Bauhaus- und Tessenowschülerinnen Bauhaus- und Tessenow-Schülerinnen Genderaspekte im Spannungsverhältnis von Tradition und Moderne Inaugural-Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Ingenieurwissenschaften (Dr.-Ing.) im Fachbereich Architektur - Stadtplanung - Landschaftsplanung der Universität Kassel vorgelegt von Corinna Isabel Bauer aus Neustadt an der Weinstraße Kassel, im Juli 2003 Ausdrucke dieser Arbeit wurden hinterlegt im Heinrich-Tessenow-Archiv (Kunstbibliothek Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz), im Bauhaus Archiv Berlin sowie im International Archive of Women in Architecture (IAWA), Virginia Polytechnic and State University, Blacksburg, VA / USA Die Arbeit wurde 2006 mit dem Milka-Bilznakov-Award ausgezeichnet Disputation am Fachbereich Architektur - Stadtplanung - Landschaftsplanung am 4.11.2003 Erste Gutachterin Prof. Dipl.Ing. Inken Baller Zweiter Gutachter Prof. Dr. Detlev Ipsen Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Dissertation selbständig und ohne unerlaubte Hilfe angefertigt und andere als die in der Dissertation angegebenen Hilfsmittel nicht benutzt habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus veröffentlichten oder unveröffentlichten Schriften entnommen sind, habe ich als solche kenntlich gemacht. Kein Teil dieser Arbeit ist in einem anderen Promotions- oder Habilitationsverfahren verwendet worden. Berlin, den 20.6.2003 Corinna Isabel Bauer „Schwerer ist es, das Gedächtnis der Namenlosen zu ehren als das der Berühmten. Dem Gedächtnis der Namenlosen ist die historische Konstruktion geweiht.” Walter Benjamin Bauhaus- und Tessenowschülerinnen Inhaltsverzeichnis 1 Was diese Untersuchung möchte - Ziele und methodisches Vorgehen 1 Worum geht es? Ausgangslage - Zum Forschungsstand: Bildungsforschung (2) - Professionsforschung / Professionalisierungsforschung (5) - Baugeschichts-forschung (7) - Rezeptionsgeschichtliche Aspekte - Rezeptionserwartungen (9) - Zu den Quellen, den Methoden und dem Aufbau der Arbeit (14) - Zu den Zielen der Arbeit (17) 2 Chancen und Möglichkeiten: Frauen in der Architektur seit der Jahrhundertwende 19 Das Erscheinen von Frauen im Berufsfeld Architektur (19) - Die Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“ (22) - Häuser der Frau oder Häuser für Frauen? (26) - Architektinnen der Kaiserzeit - Architekturstudentinnen der Kaiserzeit (29) 3 Bilder und Images: Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 33 Das Berufsbild Architektin (33) - ‘Akademische’ und ‘neue’ Architekten (35) - Neue Bauaufgaben (37) - Architektinnen der Weimarer Republik (42) - Schaffende oder schöpfende Frauen? ‘Neues Bauen’, ‘neue Frauen’ und ‘die neue Wohnung’ (49) - Architekturstudentinnen der Weimarer Republik (53) - Zur Definition der Begriffe ‘Tessenow’- und ‘Bauhausstudentin’ (56) 4 Architekturinteressierte Studentinnen am Bauhaus 57 „Gegen Ausbildung von Architektinnen sprechen wir uns grundsätzlich aus.“ (61) - Architekturinteressierte Studentinnen unter Walter Gropius (62), Hannes Meyer (71), Ludwig Mies van der Rohe (73) - Familiäre Hintergründe und kulturelle Kapitale: Wer studierte Architektur am Bauhaus? (78) - Wohnungen, Schulen, Einfamilienhäuser: Was studierten Studentinnen am Bauhaus? (84) - Studiendauer, Studienerfolge (91) - Studiensituationen (94) - Als Studentin am Bauhaus (99) - Resümee (104) 5 Architekturstudentinnen bei Tessenow 107 Das Architekturstudium an der TH Berlin-Charlottenburg (108) - Vom einfachen Bauen und vom harmonischen Menschen: Heinrich Tessenow als Lehrer (111) - Familiäre Hintergründe und kulturelle Kapitale: Wer studierte bei Tessenow? (115) - Handwerkerhäuser und Mädchenschulen: Was studierten Tessenowstuden- tinnen? (124) - Studiendauer, Studienerfolge (139) - „Straßige Straßen” und „weibliche Plätze”: Studiensituation - Studienklima (141) - Als Studentin im Seminar Tessenow (144) - Resümee (149) 6 Studengänge und Studentinnen im Vergleich 151 Kapitale im Vergleich (152) - Berufsvererbung und Studienwünsche (154) - Studienmotivationen und Lehrerwahl (155) - Werkstatt und Lehre versus Vorlesung und Seminar (157) - Reale Aufgaben, reelle Entwürfe (160) - Studium oder ‘Schule’? (162) - Mädchen, Frauen, Kameradinnen (170) - Studiendauer und Studienerfolge (174) - Realitäten und Projektionen (175) - Ambitionen und Konsequenzen (178) - Resümee (179) 7 Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 183 Berufliche Ambitionen - berufliche Hemmnisse (186) - Beziehungen und Bezüge (190) - Das Kameradschaftsehemodell (193) - Berufseinstiege im Exil (195) - Berufswege außerhalb des Reiches (197) - Weiblicher Architekt oder Innenarchitektin? (198) - Karrieren und Brüche im Nationalsozialismus (201) - Resümee (206) 8 Zum Einfluss der ‘Schulen’: Projekte, Bauten, Konzepte 209 Vom Toilettenhäuschen bis zum Rundfunkgebäude - Vom Laubenganghaus bis zur Kirche: Bauten und Projekte im Laufe der Jahrzehnte (210) - Zeitgeist oder individuelles Statement? Wie planen und bauen Architekturstudentinnen der Weimarer Republik wann? (245) - Zum Einfluss der ‘Schulen’ in der Architektur: Bauhaus- und Tessenow-’Schülerinnen’? (250) - Resümee (262) 9 Vom Auftauchen und Verschwinden: Berufsverläufe und Lebenswege von Architektinnen 265 Lebenswege nach 1945 (266) - Berufsdauer - Berufsstatus (268) - Berufsfelder mit und ohne Dauer (274) - Insiderinnen und Outsiderinnen (277) - Berufs- strategien (281) - Berufswechsel - Berufsausstiege (285) - Berufswege und Familienwege (287) - Selfmade-Women in a Man-Made World? (293) - Resümee (300) 10 Resümee 307 Zusammenfassung (307) - Forschungsbedarf (317) - Schlussbemerkungen (319) Anhang 321 Abkürzunge, Verzeichnis der Gespräche und Interviewsn (320) - Werkbiographien (321) - Literaturauswahl (415) „Research is something of which we are never completely in control. It leads us somewhere, but never to the place we thought we were going.” Beatriz Colomina1 Bauhaus- und Tessenowschülerinnen In den letzten Wochen meines Architekturstudiums an der Hochschule der Kün- ste Berlin stand nach der Abgabe meines eigenen Diplomentwurfs im Frühsom- mer 1990 noch der obligatorische Abschlussvortrag nach frei wählbarem Thema aus. Angeregt durch die „Werkberichte von Architektinnen“ 2 und irritiert durch den Vorfall, dass bei Karen van Lengens Werkvortrag alle Professoren demon- strativ den Saal verlassen hatten, beschloss ich, meinen Abschlussvortrag der historischen Dimension des Schaffens von Architektinnen zu widmen. In den Ber- liner Bibliotheken ließ sich hierzu jedoch schlichtweg nicht mehr als die mir be- reits bekannte und doch so ‘dünne’ „Architektinnenhistorie” finden. Nur zu Char- lotte Perriand hatte ich selbst etwas Material gesammelt und Eileen Gray war mir - aufgrund Hans Tupkers Begeisterung für ihre Entwürfe - immerhin mehr als ein Begriff: Eine ungemein begabte Designerin, die ebenso extravagante wie ausge- trickste Möbel entworfen hatte. Architektin war sie offenbar auch, hatte dafür je- doch bei einer Architekturstudentin Privatunterricht genommen und offenbar nur dann auch gebaut, wenn sie es selbst finanzierte. Hatte sie - oh Alptraum - etwa keine AuftraggeberInnen gefunden? Oder vielleicht gebaut, aber fast nie publi- ziert? Auf diese Idee brachte mich eine Formulierung in einem - von der Fakultät gerade abgelehnten - Forschungsantrag Karin Wilhelms. Dort war die Rede von einem ‘Schleier der Rezeption’, der erst ‘gelüftet’ werden müsse, bevor die histo- rische Dimension des Schaffens von Architektinnen erforscht werden könne. Damit kam die dunkle Ahnung auf, dass meine Neugier nicht innerhalb der ver- bleibenden Studienwochen zu befriedigen sein würde. In Ermangelung von Alter- nativen recherchierte ich also zu Eileen Gray, begeisterte mich für ihre in „Wen- dingen” publizierten Arbeiten und fand auch persönliche Äußerungen, die eine um vieles spannendere Architektin erkennen ließen als dies die allzu voyeuristi- sche Monografie Peter Adams andeutete. Mein Abschlussvortrag vor den Herren Professoren, Ingeborg Kuhler war gerade erst berufen worden, wurde mit milder Langeweile quittiert. Eine Diskussion kam nicht zustande. Erst anschließend im Café Mittelaxe äußerte einer der Hochschullehrer eine Nachfrage, die dem fachli- chen Rahmen der Präsentation offenbar nicht entsprochen hätte: Ob ich bei mei- nen Recherchen denn auch festgestellt habe, dass Gray Lesbe gewesen sei? Angesichts dieser Mischung aus eingeschränktem Erkenntnisinteresse und de- monstrativem Desinteresse setzte sich jedoch die Idee fest, dass einmal gründli- cher zu recherchieren wäre, was ‘frühere’ Architekturstudentinnen gebaut haben. Aber wie lassen sich Bauten finden, wenn mensch noch nicht einmal die Namen der Architektinnen kennt? Seit immerhin 80 Jahren hatten an deutschen Hoch- schulen auch Frauen Architektur studiert. Was hatten die aus ihren Diplomen gemacht? In Berlin gab es mit dem Bauhaus-Archiv immerhin einen systematischen Zugang zu Studentinnendaten des Bauhauses. Aber welche dieser ‘Bauhäuslerinnen’ wurden Architektinnen? Ich erfuhr, dass sich in letzter Zeit die Nachfragen häuf- ten, es aber definitiv keine richtigen Bauhaus-Architektinnen gebe. Eine architek- tonische Diplomarbeit einer Bauhausstudentin lag dennoch im Archiv. Als Wolfgang Schäche erzählte, dass er bei der Heinrich-Tessenow-Gesellschaft auch ehemalige Tessenowstudentinnen kennengelernt habe, bot sich aufgrund der im dortigen Archiv vorhandenen SchülerInnenkartei ein erster konkreter An- satzpunkt. Heinrich Tessenow selbst war mir kaum ein Begriff, obschon er ab 1926 an den Vereinigten Staatsschulen - einem Vorläufer der HdK - unterrichtet hatte. Während meines ganzen HdK-Studiums war er nicht erwähnt worden, galt er doch als ‘Traditionalist’, während sich die 1945 neubegründete Architekturfa- kultät gerne in der Tradition der ‘klassischen Moderne’ verwurzelt sah.3 Nun hatte jener Heinrich Tessenow zumindest an der TH Charlottenburg offenbar auch etli- che Studentinnen unterrichtet. Nur: Wer waren diese Architektinnen? Was, wie und wo hatten die gebaut? Darüber ließen sich im Tessenow-Archiv keine Unter- lagen finden. Meine Neugier richtete sich auf die Architekturstudentinnen der Weimarer Repu- blik: wie hatte sich der Emanzipationsschub der zwanziger Jahre auf die Studen- tinnen desselben Faches unterschie dlicher Ausrichtungen ausgewirkt? Mein spezielles Interesse an den Tessenow- und Bauhaus-Schülerinnen war geweckt. Mit ehemaligen Tessenowschülerinnen korrespondierte ich bereits als mich ein Reisestipendium des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur 1995 erstmals in die Lage versetzte, an verschiedenen Orten in Europa und den USA Pläne, Bauten und Papiere einzusehen. Auf der Basis der Namen von jeweils mehr als 30 Bauhaus- und Tessenow-Studentinnen begab ich mich auf die Su- che nach deren Verbleib nach dem Studium. Sie hatten manches Mal den Namen gewechselt, oft die Orte, gelegentlich den Beruf. Von keiner einzigen war ein Nachlass vollständig öffentlich zugänglich, von einer einzigen war ein Werkkata- log erschienen. Manch ehemalige dieser Architekturstudentinnen konnte und wollte jedoch selbst Auskunft geben über ihre Studien- und Berufserfahrungen, vereinzelt auch über Chancen und Hindernisse. So konnten im Laufe der Jahre zahlreiche Werkbiografien rekonstruiert werden. Diese können weder als vollständig noch als repräsentativ für die Generation die- ser in Deutschland während der Weimarer Republik ausgebildeten Architektin- nen bezeichnet werden. Dennoch wird hier eine ganze Reihe bisher zumeist un- bekannter Architektinnen sichtbar, ein Einblick in deren Lebenswege und beruf- liches Wirken dokumentiert. Da aus der Neugier zwischenzeitlich eine Forschung wurde, bilden diese Werkbiografien nun den Hintergrund, auf dem den Fragen nach Ausbildungsprägungen, Lebensplanungen, Arbeits- und Entwurfsbedingun- gen nachgegangen werden konnte. Anhand von Bauten, Projekten und Ideen kann - bei aller Unvollständigkeit - aufgezeigt werden, wie unterschiedlich Archi- tekturstudentinnen der Weimarer Republik - ihr kulturelles Kapital -ihre Vorstel- lungen und Fähigkeiten an verschiedenen Orten der Welt über Jahrzehnte hinweg einbrachten. Gerade diese Vielfalt, die unterschiedlichen Rahmenbedingungen, kulturellen und politischen Kontexte dieser Architektinnen führten Richtung „somewhere, but never to the place we thought“. Und es ist unübersehbar, dass über die hier vorgestellten Aspekte hinaus zahlreiche Fragestellungen entwickelt werden können, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der historischen Dimension des Schaffens von Architektinnen erst begonnen hat.4 Auf die Frage, was sie ihren Kolleginnen im Umgang mit der Frage nach der Ge- schlechterrelevanz rate, antwortete Gae Aulenti 1988: „Erfolgreich bauen kann man nur, wenn man vergisst, dass man eine Frau ist.“ Dass sie erfolgreich bau- en kann, hat Aulenti vorgeführt. Und ihre kategorische Ablehnung der Reflexion über die Gender-Dimension zeigt, dass sie sehr wohl darüber nachgedacht und auf dem Weg zum beruflichen Erfolg für sich selbst hier eine lauernde Gefahr ausgemacht hat: Nur in dem sie ‘vergisst’, dass sie eine Frau ist, kann ‘man’ er- folgreich bauen. Heide Moldenhauer räsonierte 1992, dass Architektinnen die Er- fahrung, als Frau - insbesondere als Frau mit Kindern - immer auf Hemmnisse zu stoßen, in Wut und Enttäuschung äußerten. Angesichts eines großen Verlangens nach Realisierung eigener architektonischer Vorstellungen sei - in Reaktion auf diese hemmenden Erfahrungen - im Zuge der neuen Frauenbewegung die For- derung nach einem Sonderbereich für Architektinnen entstanden. Dieser „Spezia- listenplatz“ manövriere Architektinnen jedoch wieder an den Rand des Berufes.5 Genderaspekte im Spannungsverhältnis von Tradition und Moderne Die Suche nach möglichen, lebbaren, gar erfolgreichen Positionierungen von Ar- chitektinnen im Berufsfeld dauert an.6 Sie wird von konkurrierenden Lebensmo- dellen und häufig hochemotionalen Diskussionen überschattet. Dabei scheinen die Wahrnehmungen von Architektinnen und die Sichtweisen auf Frauen im Be- rufsfeld auf komplexe Weise mit den Schwierigkeiten dieser Suche verwoben, „intertwained“ (Linda Nochlin) oder „embedded” (Ruth Schwartz Cowan) zu sein. Auch der Blick auf Architektinnen früherer Generationen kann sich diesen ver- schiedenen Sichtweisen nicht entziehen. Deshalb war ich ungemein erleichtert, als Angelika Wetterer aufzeigte, dass die Professionalisierungstheorie Schneisen in diesen Interpretations- und Wahrnehmungsdschungel schlagen kann, Struktu- ren hinter Berufskozdizes und (Legitimations-)Diskursen sichtbar werden lässt. Im Sinne der Beleuchtung und Differenzierung struktureller Dimensionen von Ge- schlechterkonstruktionen in der Architektur wurde die vorliegende Untersuchung unternommen. Denn so dezisionistisch und pragmatisch Aulentis Statement auch sein mag, sobald der Diskurs über das Verhältnis von Frauen zu Architekturen in der Welt ist - und das war er mit dem Auftauchen der ersten Architektinnen im Berufsfeld - ist er durch Tabuisierung nicht zum Verschwinden zu bringen. Und offenbar handelt es sich um einen dieser wirkmächtigen Legitimationsdiskurse, die ein ganzes Berufsfeld geschlechterhierarchisch strukturieren, Architektinnen vom Bauen abhalten und ihre Ideen, Projekte und Bauten zum Verschwinden bringen können. Eine vergleichende Betrachtung ehemaliger Bauhaus- und Tes- senowstudentinnen eröffnet darüber hinaus die Möglichkeit, einmal nachzuse- hen, was es mit den immer wieder akklamierten ‘Schulen’ in der Architektur auf sich hat und wie verschiedene Haltungen in der Architektur mit der Gretchenfrage des Geschlechterverhältnisses - Geschlechtersymmetrie versus Geschlechter- hierarchie - korrespondieren. Die Beleuchtung von Genderaspekten in der Archi- tektur ist deshalb weniger eine feministische Fingerübung anhand baugeschichtli- cher Fragestellungen als die Suche nach der Konstruktion von Architektur, dem Verhältnis von Produktion und Produkt, Berufsfeld und Rezeption und den hierbei agierenden, i.d.R. nicht geschlechtslosen Individuen. Gerade die Wechselwirkun- gen und Widersprüche zwischen Haltungen und Ansprüchen in der Architektur lassen Hemmnisse wie Möglichkeiten sichtbar werden. Eine retrospektive Untersuchung birgt jedoch keine Rezepte für die Gegenwart. Dies sei im Hinblick auf manche vorab geäußerten Erwartungen bereits an dieser Stelle nachdrücklich betont. Dennoch wurde diese Arbeit auch in der Hoffnung unternommen, dass auf der Basis historischer Erkenntnisse die Potentiale und Chancen von Architektinnen konkreter erkannt, initiiert, gefördert und genutzt werden mögen. Die Rekonstruktionen der Werkbiografien waren nur deshalb möglich, weil man- che der ehemaligen Studentinnen sowie ehemalige KommilitonInnen in zumeist langen Gesprächen zahlreiche Informationen und Details erinnerten. Viele Famili- enangehörige dieser Architektinnen unterstützten mein Vorhaben mit Informatio- nen und Materialien, durch stunden-, oft tagelange Einsichtnahme in privat nach- gelassene Materialien. Ihnen allen verdanke ich meine wichtigsten Quellen und zahlreiche besondere Begegnungen. Für die großzügige Bereitstellung von Archivalien danke ich insbesondere Ines Hildebrand von der Stiftung Schriftenarchiv Bauhaus Dessau, Elke Eckert vom Bauhaus Archiv Berlin und Theodor Böll vom Heinrich-Tessenow-Archiv. Außer- dem unterzog sich Dr. Otto Kindt der Mühe, meine Suche nach Tessenows zahl- reichen Äußerungen über das Geschlechterverhältnis durch eine Zusammenstel- lung entsprechender Textstellen zu unterstützen. Ihnen allen verdanke ich auch zahlreiche Anregungen. Dass sich zumindest biografische Spuren der jüdischen Architekturstudentinnen rekonstruieren ließen, verdanke ich mehreren menschlichen Glücksfällen: PD Dr. Elisabeth Brachmann-Teubner von der Gedenkbuchdatenbank des Bundesar- chivs, Dr. Diane Spielman vom Leo-Baeck-Institut in New York, Dr. Antje Gerlach vom Institut für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, Dr. Hermann Simon vom Centrum Judaicum und Prof. Julius Schoeps vom Moses-Mendelssohn- Zentrum Potsdam unterstützten mich ebenso kenntnis- wie einfallsreich bei der Suche nach den spurlos Verschwundenen. Und es war ein ganz besonderer Glücksfall, dass Despina Stratigakos rege Anteil an dieser Forschung nahm, sich unsere Wege in den letzten Jahren mehrfach kreuzten: Durch ihre intensiven Forschungen zu Architektinnen im Deutschen Kai- serreich wurden mancherlei Zusammenhänge erst erkennbar. Bedanken möchte ich mich auch für anregende Diskussionen im DoktorandIn- nenkolloquium bei Detlev Ipsen, in der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Frauen- forschung an der UniGH Kassel, der Arbeitsgruppe Frauen und Professionalisie- rung und dem Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung am Fachbereich 1 der Technischen Universität Berlin. Die vorliegende Arbeit wä- re ohne einen Forschungszuschuss des Hessischen Ministeriums für Wissen- schaft und Kultur im Jahre 1995, sowie eine Assistentenstelle aus dem HSPII- Programm im Land Berlin ab 1996 noch immer nicht zu einem ersten Abschluss gekommen. Hierfür möchte ich mich bei den zahlreichen Initiatorinnen und dem Zentrum für Interdisziplinäre Frauenforschung und Genderstudies an der Hoch- schule der Künste Berlin bedanken. Prof. Inken Baller und Prof. Detlev Ipsen danke ich für ihr jahrelanges Vertrauen in die Relevanz dieses Vorhabens, Prof. Elsa Prochazka und Prof. Maya Reiner für ihre eigenen Blickwinkel auf diese Forschung. Diese Arbeit ist auch das Ergebnis von Hinweisen, Anregungen und Ermunterun- gen zahlreicher Menschen aus meinem privaten Umfeld. Sie wurde darüber hin- aus in den Arbeitszusammenhängen, in denen diese Forschung nicht immer er- wünscht war, von einigen wichtigen Menschen gefördert. Ihnen sei auch an die- ser Stelle herzlich gedankt. Namentlich nennen möchte ich Irene Schicker-Ney und Peter Barozzi, ohne deren unerschütterliches Vertrauen in dieses Projekt die- se Dissertation nicht existierte. Bauhaus- und Tessenowschülerinnen 1 Colomina, Beatriz: Battle Lines E.1027, in: Hughes, Francesca (Hg.): The architect: reconstructing her practice, Cambridge, 1996, S.2 2 Initiiert und organisiert von einer kleinen Gruppe Architekturstudentinnen fand unter diesem Titel im Sommersemester 1990 eine Gastvortragsreihe am Fachbereich Architektur der HdK Berlin statt, bei der u.a. Karen van Lengen, Ria Smit und Madeleine Steigenga, Claude Bétrix, Marianne Burkhalter und Verena Dietrich Werkvorträge hielten. 3 Hier wurde „Die Nazifizierung der Kunst- und Musikhochschulen in Berlin“ von Christine Fischer- Defoy in den 1980er Jahren dokumentiert und analysiert. Vgl. Fischer-Defoy, Christine: Kunst Macht Politik. Berlin, 1987. Zum Umgang mit diesem Themenkomplex siehe auch das nicht minder spannende Buch derselben Autorin: „Kunst, im Aufbau ein Stein” Die Westberliner Kunst- und Musikhochschulen im Spannungsfeld der Nachkriegszeit, Berlin, 2001 4 Zum weiteren Forschungsbedarf siehe Kap. 10 5 Moldenhauer, Heide: Versprünge, Berlin, 1992, S.7 6 Deutsches Architektenblatt, H.3, 2000, S.3 Berlin, im Juni 2003 Isabel Bauer Privatpersonen Anna Abrahams, Amsterdam/NL Dr. Hilde Angelini, Taranto/I Ursula Appelbaum, Stein- hagen Maria und Justine Auböck, Wien/A Esther Bánki, Nijmegen/NL Susie Barton, Chicago/IL Ingrid Basler, Berlin Dipl.Arch. Carl Bauer, Hannover (+) Prof. Saul Bellow, Boston/MA. Asta Berling, Ehrenkirchen Gerda Bijhouwer, Wageningen/NL (+) Dipl.Ing. Lieselotte Boedeker, Tübingen (+) Peter Bogen, Hilchenbach Raymond T. Bowles, Bri- arcliff/NY Elfriede Brüning, Berlin Dr. Barbara Büttner, Halstenbek Dipl.Ing. Erwin Busch, Krefeld (+) Dipl.Ing. Karl Buttmann, Wulsbüttel Alexander Canthal, Berlin Christa Carras-Mory, Berlin (+) George Danforth, Chicago/IL Dore Dinkelmann-Möhring, Waldbronn Herbert Ebert, Freital Dr. Gabriel Ehren, Essen Juliane Emmerich, Berlin Lothar Enders, Mannheim (+) Thomas B. Fenlon, Pelham/NY Hanne Fischer, Berlin Gerlind Fischer-Defoy, Hanau Prof. Hartmut Frank, Hamburg Dagmar Frowein, Berlin Christa Fredenhagen, Dessau Paul Gaiser, Oberndorf Dr. Ute Georgeacopol-Winisch- hofer, Wien/A Hella Giesler, Siegen Barbara Grant, London/GB Dr. Gabriele Grawe, Paris/F Dipl.Ing. Gert Grossmann-Hensel, Mülheim (+) Gisela Gunkel, Kassel Jürgen K. Gunkel, Grenzach-Wyhlen Mechthild und Jochen Gunkel, Titisee-Neustadt Hella von dem Hagen, Berlin Dipl.Ing. Iwanka Hahn, Weßling Dr. Aurikel von Haimberger, Sidney/ CAN (+) Michael Hamburger, Berlin Prof. Asta Hampe, Hamburg Emil Bert Hartwig, Freinsheim Anja Hauptmann, Berlin Dr.Ing. Alexander Herde, Oldenburg Dipl.Ing. Gertraude Herde, Oldenburg (+) Dipl.Ing. Barbara A. Heise, Syke Assy Henschel, Berlin Dipl.Ing. Robert Hermanns, Geldern Prof. Rudolf Hillebrecht, Hannover Dipl.Ing. Linde Hohn, Berlin Prof. Hubert Hoffmann, Graz/A (+) Beatrice Trum Hunter, Hillsboro/NH Sigrid Itting, Ludwigstadt Dipl.Ing. Johannes Josefek, Dortmund Prof. Ricardo Jagmetti, Zürich Peter Karselt, Lindlar Christiane Kasparek, Grafing Dr. Otto Kindt, Hamburg Ursula Kirsten-Collein, Birkenwerder Dr. Barbara Klain, Frankfurt/M. Dipl.Ing. Christa Kleffner-Dirxen, Münster Cordula Klov, Oberaudorf Peter Knaack, Siegen Ann S. Koppelman, Yellow Springs/OH Axel Kreher, Wydenes/NL Ella Kreher, Wydenes/NL Günter Kühne, Berlin Dipl.Ing. Klara Küster, Grafing (+) Annemarie Lancelle, Berlin Helene Lauer, Wiesbaden Sibylle Lehmann, Berlin Dr. Helmut R. Leppien, Hamburg Barbara Linke, Saulheim Franz Lohmeyer, Aachen Robert MacDougall, Englewood/FL Paul Makovsky, New York City/NY Dr. Ursula Makovsky, Berlin Elisabeth Mann-Borg- hese, Halifax/CAN (+) Claus-Peter von Mansberg, Lüneburg Dorette Martin, Wiesbaden Dipl.Arch. Annamaria Mauck, München (+) Ferdinand Mauck, München Marcello Mel- meluzzi, Rom/I Dr. Esther Menaker, New York City/NY Rouane Mendel, London/GB Angelika von Mendelssohn-Siebert, Baku/UKR Prof. Grete Meyer-Ehlers, Berlin Prof. Edina Meyer-Maril, Tel Aviv/IS Ingeborg Meyer-Rey, Berlin Ove Minsos, Edmonton/CAN Roland Nachtigäller, Kassel Dipl.Ing. Ewa Oesterlen, Hannover Dipl.Ing. Friedrich Oesterlen, Celle Helly Oestreicher, Amsterdam/NL Dipl.Ing. Herbert Osenberg, Köln Dr.Ing. Hildegard Oswald, Portland/OH Dr. Renate Petzinger, Wiesbaden Dr. Sabine Plakolm-Forsthuber, Wien/A Christina van der Plas-Nau, Mill Valley/CA Mag.Arch. Anna- Lülja Praun, Wien/A Friederike Profeld, Kreuztal Betty Rahv, Newton Highlands/NJ Dipl. Arch. Hilde Reiss, Capitola/CA (+) Prof. Wolfgang Rindler, Richardson/TX Cornelia Romani, Ascona/CH Prof. Wolfgang Schieder, Köln Manuela und Michael Schmidt, Sin- delfingen Dipl.Ing. Sabine Schmidt, München Dipl.Ing. Helga Schmidt-Thomsen, Berlin Dipl.Ing. Beate Schnitter, Zürich/CH Georg Schromm, Wien/A Dr. Hardnack Graf v.d. Schulenburg, Bad Salzuflen Dirk Schwiedergoll, Berlin Emira Selmanagic, Berlin Dorothea Siebert, Aken Dr. Thomas Siedhoff, Berlin Gesa Stark, Itzehoe Robin Stein, Stamford/CT Uta Steiss-Büchner, Freiburg Albrecht von Stosch, Trier Lynette Tanzer, Briarcliff Manor/NY Dipl.Ing. Karl Tönnesmann, Jülich Albert Trübe, Aken Dipl.Ing. Fridel Vogel, Hilchenbach (+) Matthias Vogel, Siegen Prof. Clemens Weber, München Eva Weininger, New York City/NY Dr. Peter Weiß, Kassel Waltraud Windfuhr, Kassel Gertrud Zauleck, Wetter Dipl.Ing. Karl Hermann Zehm, Berlin Christine Zwingl, Wien/A Archive, Bibliotheken und Institutionen Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin, Werner Hoffmann, Herr Limberg Archiv des Art Institute of Chicago, Bart H. Ryckbosch Archiv der Hochschule der Künste Berlin, Dr. Dietmar Schenk, Karen Krukowski Archiv der Akademie der Angewandten Künste, Wien, Dr. Erika Patka, Silvia Herkt Archiv der Akademie der Künste, Abt. Baukunst, Berlin, Dr. Matthias Schirren Archiv der Deutschen Frauenbewegung, Kassel Archiv der Kunsthochschule Burg Giebichenstein, Dr. Angela Dolgner Archiv der Technischen Universität München, Herr Bachmann Archiv der Technischen Hochschule Darmstadt, Irmgard Rebel, Dr. Marianne Viefhaus Archiv Tettnang, Frau Dr. Barth Archiv der Universität der Technischen Hochschule Stuttgart, Dr. Norbert Becker Archiv des Vereins der Bildenden Künstlerinnnen Berlin, Felicitas Rink Association of Collegiate Schools of Architecture, Washington D.C., Initiative of Architectu- ral Research, Michelle A. Rinehart Avery Library, Columbia University New York, Janet Parks, Kitty Chibnik, Paula Gabbard Bauhaus Archiv Berlin, Dr. Magdalena Droste, Elke Eckert, Sabine Hartmann, Gisela Bre- mer Bauhaus Schriftenarchiv Dessau, Ines Hildebrand, Margot Rumler Bennington College, Rebecca B. Stickney Berlinische Galerie, Helga Linnemann Bundesarchiv Koblenz, Herr Pickro und Herr Postuper Bundeszentralregister Düsseldorf, Herr Holtwessels Bund Deutscher Architekten, Landesverband NRW, Frau Dr. Jöresen Bundesarchiv, Aussenstelle Berlin-Lichterfelde, Frau Maerten, Frau Meyburg, Herr Fehlauer Bundesarchiv, Aussenstelle Berlin, Gedenkbuchdatenbank, Dr. Elisabeth Brachmann-Teub- ner, Frau Völschow Busch Reisinger Museum, Cambridge/MA, Dr. Emily Norris Case Western Reserve University, Cleveland/OH, Helen Conger Centrum Judaicum Berlin, Dr. Hermann Simon, Barbara Welker Chicago Historical Society, Timothy J.Samuelson Columbiana Library der Columbia University, New York City/NY, Rhea A. Pliakas, Lennea Anderson Cooper Union, New York City/NY, Joyceann Greene Deutsches Adelsarchiv, Marburg, Herr Dr. Franke Deutscher Akademikerinnenbund, Dr. Ursula Huffmann Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt/M., Archiv, Inge Wolf Deutscher Lyzeumklub Berlin, Karen Hansel, Margaret Tratzsch Deutscher Staatsbürgerinnenverband, Frau Amunat Deutscher Werkbund Nordrhein-Westfalen, Hanns Uelner Einwohnermeldeamt Kiel, Frau Posing Einwohnermeldeamt Berlin-Steglitz, Frau Lobrecht Einwohnermeldekartei der Stadt Wien/Magistratsabteilung 8, Herbert Koch Genderaspekte im Spannungsverhältnis von Tradition und Moderne Diese Arbeit wäre nicht möglich gewesen ohne die zahlreichen Hinweise und Informationen sowie die großzügige und geduldige Bereitstellung von Materialien und Archivalien durch die im folgenden genannten Privatpersonen und MitarbeiterInnen von Archiven. Ihnen allen - wie auch denen, deren Namen mir möglicherweise nicht erinnerlich ist - gilt mein besonderer Dank. Exilarchiv in der Deutschen Bibliothek, Frankfurt/Main, Dr. Marie-Luise Hahn Gemeindearchiv Klein-Machnow, Frau Wehle Getty Center for the Arts and the Humanities, Santa Monica, Dr. Donald Anderle, Anne- Mieke Halbrook, Kristin A. Hammer Hansestadt Hamburg, Abt. Arbeit, Gesundheit und Soziales, Herr Conradt Historisches Museum der Stadt Frankfurt/Main, Almut Junker, Dr. Kurt Wettengl Institut für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin, Dr. Antje Gerlach Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt/Main, Volker Harms-Ziegler Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung, Erkner, Dr. Simone Hain Institut für Zeitgeschichte, München, Gitta Grossmann International Archive of Women in Architectre, Blacksburg/VA, Prof. Milka Blitznakov, Laura Smith Katz Johannisfriedhof Dresden, Friedhofsverwaltung, Frau Lindner Jüdisches Museum der Stadt Frankfurt/Main, Michael Lenarz Jüdisches Museum Prag, Prof. Arno Parík Katholisches Pfarramt St. Paulus, Berlin-Moabit, Frau Möller Kirchenamt Aken, Edith Ulrich Kelvin Smith Library, Case Western Reserve University, Cleveland/OH, N. Sue Hanson Kirchenbuchamt Dresden, Frau Fehre Köthen, Untere Denkmalschutzbehörde, Frau Hortig Kunsthalle Bielefeld, Wolfram Mandel Landesarchiv Berlin, Herr Dr. Wetzel, Frau Dr. Rousavy, Frau Dr. Schroll, Sylvia Fiedler, Lydia Kießling, Herr Mattschenz, Herr Schröder, Herr Krukowski Landesverwaltungsamt Berlin, Frau Winn, Herr Bogdahn, Herr Koch Landeshauptarchiv Potsdam, Frau Dr. Nakath Leo Baeck Institute, New York, Dr. Diane Spielman The Metropolitan Museum of Art, New York, Jared Aquino Morgan Guarantee Trust, New York, Bernadette Traub Moses-Mendelssohn-Zentrum, Potsdam, Prof. Dr. Julius H. Schoeps Nederlands Architectur Institut, Rotterdam, Alfred Marks, Anneke Stedehouder New School of Social Research, New York, Library and Archives, Carmen Henderschott Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Maria Wilflinger, Christa Bader-Reim Planarchiv der TU Berlin, Herr Radecke Robert L.Parkinson Library and Research Center, Circus World Museum, Baraboo, Fred Dahlinger Jr. Sarah Lawrence College, Patricia F.Owen Salzburger Landesarchiv, Dr. Roswitha Preiß Social Security Administration, Baltimore/MA, Darell Blevins Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Frau Dr. Winter Stadtarchiv Aken, Frau Lehmann Stadtarchiv Beeskow, Frau Fiedler Stadtarchiv Dessau, Frau Dr. Jablonowsky, Frau Geiger Stadtarchiv Dresden, Frau Hoppe Stadtarchiv Dortmund, Herr Buchholz Stadtarchiv Essen, Frau Vonrüden-Ferner Stadtarchiv Frankfurt/Main, Abt. Moderne Akten, Herr Dr. Schneider Stadtarchiv Halle, Frau Ullrich Stadtarchiv Hannover, Herr Heine Stadtarchiv Hilchenbach, Herr Gämlich Stadtarchiv Kassel, Herr Klaube Stadtarchiv Kiel, Frau Klüver Stadtarchiv Köln, Dr. Wolfram Hagspiel Stadtarchiv Krefeld, Herr Schulte Stadtarchiv Lüneburg, Herr Dr. Reinhardt Stadtarchiv Mainz, Frau Göbel Stadtarchiv Mannheim, Barbara Becker Stadtarchiv Oberhausen, Herr Dr. O. Dickau Stadtarchiv Solingen, Annette Rosenkaymer Stadtarchiv Zerbst, Herr Frankowski Stadtbibliothek Berlin Mitte, Herr Dr. Rohrlach Stadtgeschichtliches Museum Weissensee, Rudolph Kolitsch, Doris Kuhlmann Standesamt Schleswig, Frau Hofbauer Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Abt. Literatur, Dr. Maren Horn Stiftung Bauhaus Dessau, Dr. Harald Kegler Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Kunstbibliothek, Heinrich-Tessenow-Archiv, Theodor Böll Sylt-Archiv, Westerland, Frau Hegenberger Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Frau Fulsche, Frau Bock Ungarisches Nationalarchiv, Budapest/U, Edit András Universitätsarchiv der Bauhausuniversität Weimar, Frau Eichert University of New Hampshire, Milne Special Collections, Dimond Library, Daniel O. Cheever Vassar-College, Poughkeepsie, AAVC Webmistress Walker Art Center, Minneapolis/MI, Jill Vetter, Martha Ruddy Werkbund-Archiv Berlin, Dr. Angelika Thiekötter, Laurie Stein Bauhaus- und Tessenowschülerinnen 1 Was diese Untersuchung möchte - Ziele und methodi- sches Vorgehen Worum geht es? Ausgangslage – Zum For- schungsstand: Bildungsforschung (2) - Profes- sionsforschung / Professionalisierungsfor- schung (5) - Baugeschichtsforschung (7) - Re- zeptionsgeschichtliche Aspekte / Rezeptions- erwartungen (9) - Zu den Quellen, den Metho- den und dem Aufbau dieser Arbeit (14) - Zu den Zielen dieser Arbeit (17) Worum geht es? Diese Untersuchung entstand aus dem Erkenntnisin- teresse an Chancen, Möglichkeiten und Ergebnissen der Partizipation von Frauen im Berufsfeld Architek- tur. Welche Architektinnen entwarfen und realisierten was, wann, wo, warum und unter welchen Umstän- den - und nicht zuletzt: wie? Die seit den 1980er Jahren sichtlich steigende Anzahl von Architektinnen wie die Zunahme der Architektur- studentinnen1 verstärkte die Neugier auf die „Archi- tektinnenhistorie“, zumal dem wachsenden Interesse an Architektinnen erst wenige Versuche, die histori- sche Dimension ihres Wirkens zu erforschen, gegen- überstehen.2 Da Architektinnen augenscheinlich zu den unsicht- barsten Berufsfrauen des 20.Jahrhunderts gehören3, wählte ich für diese Arbeit den Quellenzugang, der zumindest einen Ausschnitt der Spuren potentieller Architektinnen sichtbar werden lässt: Die Architektur- fakultäten. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhun- dert verfügten nur wenige Frauen über die Möglich- keiten, sich Zugang zu höherer Bildung zu verschaf- fen. Schon aufgrund dieser Hürde konnten in den Jahren des deutschen Kaiserreiches nicht allzu viele Studentinnen Architektur an Hochschulen studiert haben, zumal hier Frauen erst nach der Wende zum 20. Jahrhundert zum Studium in Deutschland zuge- lassen worden waren.4 Um die Chance zu erhöhen, zahlreiche Architektinnen zu finden, richtete ich mein Interesse auf Architekturstudentinnen der Weimarer Republik. Aus Mangel an Daten, Fakten und Quellen standen am Anfang dieser Forschung zunächst eher grund- sätzliche Fragen. Welche Architektinnen gab es? Wa- rum scheint es im 20. Jahrhundert in Deutschland so wenige Architektinnen gegeben zu haben? Welche Frauen kamen auf die Idee, Architektur zu entwerfen, Architektin zu werden? Welche Ausbildungswege schlugen sie ein, welche Ausbildungsbedingungen fanden sie vor? - Lag hier schon der Schlüssel zu ih- rem “Verschwinden“? Daran schloss sich eine Reihe von Fragen zur Professionalisierung und Etablierung von Architektinnen im Berufsfeld an: Wann, wo und wie arbeiteten sie im Berufsfeld? Mit welchen Auf- traggeberInnen konnten, sollten oder wollten sie Ar- chitektur entwerfen und realisieren? Wie vertraten sie ihre Interessen? Welchen Organisationen traten sie bei? Wie reagierte der zuvor exklusiv männliche Be- rufsstand auf die neuen Mitglieder? Welche Berufs- wege und Karrieren standen ihnen offen, welche blie- ben ihnen verschlossen? Welche Perspektiven ent- wickelten sie selbst? Welches berufliche, politische, feministische Selbstverständnis bremste oder beflü- gelte ihre Berufswege? In welchem Verhältnis stan- den ihre Berufsvorstellungen zu ihren Lebenspla-nun- gen, ihren gelebten Leben? Ziele und methodisches Vorgehen 1 1 Ihr Anteil stieg bundesweit auf fast 40%. An der TH Dresden wurde im Studienjahr 1997/98 mit 50% der Studierenden erst- malig die Parität erreicht 2 Unter diesem Titel gab die Union International des Femmes d´Architectes, Sektion Deutschland 1984 „Eine erste Zusam- menstellung“ heraus. Für die etablierte Baugeschichtsforschung sind Architektinnen bis heute nahezu kein Forschungsbereich. Vereinzelt tauchen Architektinnen namentlich in Lexika auf. Ar- chive erwägen die Aufnahme von Architektinnennachlässen. An fast allen Architekturfakultäten in Deutschland fanden in den letzten Jahren Seminare über Architektinnen statt. Diese bleiben häufig - auf der Basis der wenigen vorhandenen idiografischen Publikationen - den Ansätzen klassischer Baugeschichtsschrei- bung verhaftet oder befragen unter Blickwinkeln der Genderfor- schung aktuell tätige Architektinnen. 3 Bereits 1939 stellte Elisabeth Boedeker fest: „Architektinnen (..) waren zahlenmäßig nicht zu ermitteln.” Boedeker, Elisabeth: 25 Jahre Frauenstudium in Deutschland, Hannover, 1939, L I - Vgl. auch Reich, Doris: Architektinnen, eine Stecknadel im Heu- haufen? in: Schlüter, Anne (Hg.): Pionierinnen - Feministinnen - Karrierefrauen?, Pfaffenweiler, 1992, S.231-242 und Wetterer, Angelika: Architektinnen - eine unbekannte Größe, in: Stein, Ruth Heidi / Angelika Wetterer (Hg.): Studierende und studierte Frauen, Kassel, 1994. 4 Dies bspw. im Unterschied zu der Schweiz, den USA, aber auch zu Finnland, wo Frauen in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zu- mindest ausnahmsweise zum Studium zugelassen wurden. Lässt die augenscheinlich geringe Anzahl der Archi- tekturstudentinnen in der ersten Hälfte des 20.Jahr- hunderts diese als Forschungsgegenstand zunächst marginal erscheinen5, so stellt sich angesichts der Breite des Nichterforschten bei näherem Hinsehen die Frage, welche Fokussierung einen befriedigen- den Tiefgang erlaubt. Wo also bietet sich eine Chan- ce, Architekturstudentinnen als potentiellen Architek- tinnen auf systematische Weise “auf die Spur zu kommen“?6 An der bekanntesten Gestaltungsschule des 20.Jahr- hunderts, dem Bauhaus, studierten bekanntermaßen überdurchschnittlich viele Frauen.7 Auch im Seminar Tessenow an der TH Charlottenburg lassen sich ab Mitte der zwanziger Jahre etliche Studentinnen nach- weisen.8 Warum auch nicht? Gilt doch die Weimarer Republik u.a. deshalb als historisch spannender Zeit- abschnitt deutscher Geschichte, weil sie auch Frauen eine Teilhabe am politischen Leben in Aussicht stell- te.9 Doch warum studierten relativ viele Studentinnen Architektur just bei jenem Heinrich Tessenow, der in seinen Schriften nicht nur ein unprätentiöses Bild vom Bauen, sondern auch immer wieder das Wesen der Geschlechter thematisierte? Und warum studier- ten von den vielen Bauhausstudentinnen so wenige Architektur? Aufgrund vorhandener Namenslisten der Studieren- den des Bauhauses wie im “Seminar Tessenow“ an der TH Charlottenburg war ein erster Zugriff möglich. Die Widersprüche und Fragen blieben. Zugespitzt auf Tessenow- und Bauhausstudentinnen ging ich man- chen der zuvor genannten Fragen nach.10 Hierdurch wurde eine Präzisierung der Fragestellungen möglich. Dabei zeichnete sich ab, dass das Erfassen eines Querschnittes einer Generation auch methodische Vorteile birgt. Zum Forschungsstand Bildungsforschung Schon vor der Jahrhundertwende engagierten sich Feministinnen für Fragen der Frauen- resp. Mädchen- bildung. Sie forderten die Einrichtung entsprechender Schulen, forcierten Hochschulgründungen. Auch wis- senschaftliche Arbeiten, die sich insbesondere sozia- len Fragestellungen widmeten, entstanden im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts.11 Angesichts der politi- schen Option auf Geschlechtergleichheit - bei zuneh- mender Zersplitterung der Frauenbewegung - nahm das Interesse an diesen „Frauenfragen“ während der Weimarer Republik offenbar ab. Ende der 1960er Jahre rückten Fragen der Mädchenbildung erneut ins Blickfeld. Auch die historische Dimension der Mäd- chenbildung sowie die Rolle der Frauenbewegung bei der Durchsetzung von Bildungsrechten für Frauen resp. Mädchen kann inzwischen - rückblickend bis ins 18.Jahrhundert - als erschlossen betrachtet wer- den.12 Historische Forschungen zur Technikpräferenz bei Mädchen fehlen bisher. Erkenntnisinteressen der Frauenforschung motivier- ten seit den späten 1970er Jahren erneut auch histo- rische Forschungsarbeiten zum ‘Frauenstudium’ in Deutschland. Dabei wurde der Kampf um den Hoch- schulzugang dokumentiert, die Studiensituationen von Studentinnen in der Kaiserzeit und während der Weimarer Republik beleuchtet.13 Die Forschungen widmeten sich zunächst den Universitäten.14 Hier war - dank der ersten Frauenbewegung - um 1899, und damit deutlich früher als an Technischen Hochschu- len (1905-1909) der Zugang von Frauen zum Studium durchgesetzt worden. Inzwischen liegen aber auch - zumindest fragmentarische - Forschungsergebnisse zu Studentinnen technischer Fächer an den Techni- schen Hochschulen Berlin, Darmstadt, Dresden, Braunschweig, München und Stuttgart vor.15 Diese Forschungen über spezifische Chancen und Rahmenbedingungen von Studentinnen wurden zu- meist anlässlich von Hochschuljubiläen - in Ergän- zung der Institutionengeschichte - unternommen. Sie enden häufig mit dem Ende des Hochschulbesuchs, da sie in der Regel auf universitären Archivquellen basieren. Auch deshalb sind sie im Hinblick auf mo- bile Architekturstudentinnen oft unbefriedigend. Denn die Auswirkungen des Studium auf die jeweilige Pro- fessionalisierung kann erst dann rekonstruiert und beurteilt werden, wenn das Wechselverhältnis von Ausbildung und Fachspezifika analysiert wird. Dies gelang in einem umfassenden Sinne erstmalig der 1997 erschienenen Studie „‘Dem Zuge der Zeit ent- sprechend....’ Zur Geschichte des Frauenstudiums in Österreich am Beispiel der Technischen Universität Wien“.16 „Sich bewähren am Objektiven“ überschreibt Ute Georgeacopol-Winischhofer ihre darin enthaltene Untersuchung zu Architekturstudentinnen der TH Wien zwischen 1919 und 1945, in der sie anhand 18 rekonstruierter Werkbiografien auch Berufswege nachzeichnet. Seit den 1980er Jahren erschienen Forschungsar- beiten über Frauen in den freien und angewandten Künsten, deren zahlreiche Aspekte und Erkenntnisse auch einem breiteren Publikum zugänglich wurden.17 In kunsthistorischen Arbeiten wie in Künstlerinnen- monografien wird der Blick des öfteren auch auf die Ausbildungsbedingungen gerichtet. Ins Blickfeld geraten hier zunehmend Gestalterinnen aus den an- gewandten Künsten. Da im Bereich der Freien Kunst exklusiv männliche Sphären besonders wirkungsvoll diskursiv durchgesetzt bzw. aufrechterhalten wurden, suchen seit den 1990er Jahren etliche Forschungen 5 Diese Annahme sollte sich als relativ erweisen. 6 Zumal der fast obligatorische Namenswechsel bei Heirat ein Auffinden ehemaliger Studentinnen erschwert. 7 Vgl. hierzu Dietzsch, Folke: Die Studierenden des Bauhauses, (Diss.) Weimar, 1990; Droste, Magdalena: Bauhaus 1919-1932, Köln, 1991; Baumhoff, Anja: Gender, Art and Handicraft at the Bauhaus, PhD. an der John Hopkins University Baltimore, 1994 8 Für diesen Hinweis danke ich Wolfgang Schäche. 9 Auch wenn gerade dieser Aspekt zunehmend kritischer beleuch- tet wird. Mit Women in the Metropolis - Gender and Modernity in Weimar Culture (Ankum, Katharina von (Hg.), Berkeley, 1997) erschien bspw. eine Sammlung kulturwissenschaftlicher Essays, in denen Modernitätsdiskurse der Weimarer Zeit unter Gender- aspekten dekonstruiert werden. 10 Im Laufe dieser Forschung wurde klar, dass jede der eingangs genannten Fragestellungen eine eigene Untersuchung lohnen würde. 11 Wie bspw. Stücklen, Gerta: Untersuchung über die soziale und wirtschaftliche Lage der Studentinnen. Ergebnisse einer an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin im Wintersemester 1913/14 veranstalteten Enquete, Göttingen, 1916; Knoblauch, Elisabeth: Zur Psychologie der studierenden Frau, Leipzig, 1930. 12 Vgl. bspw. Kleinau, Elke / Claudia Opitz (Hg.): Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, Frankfurt/M., 1996; Albisetti, Ja- mes: Schooling German Girls and Women: Secondary and Hig- her Education in the Nineteenth Century, Princeton, 1988. 13 Soden, Kristine von: Zur Geschichte des Frauenstudiums, in: diess./ Gabi Zipfel (Hg.): 70 Jahre Frauenstudium, Köln, 1979 14 Hier existieren zahlreiche Quellen, vgl. bspw. Twellmann, Margit: Die deutsche Frauenbewegung - Quellen 1843-1889, Meisen- heim, 1972. 15 Duden, Barbara / Hans Ebert: Die Anfänge des Frauenstudiums an der TH Berlin, in: Rürup, Reinhard (Hg.): Die Technische Hochschule Berlin Charlottenburg, Berlin, 1979, S.403-418; Peters, Dietlinde: Frauen an der Technischen Universität Berlin, in: Schwarz, Karl (Hg.): 1799-1999. Von der Bauakademie zur Technischen Universität Berlin, Berlin, 2000, S.518-530; Vief- haus, Marianne: Frauen an der Technischen Hochschule Darm- stadt, in: Emig, Brigitte / TH Darmstadt (Hg.): Frauen in der Wis- senschaft, Schriftenreihe Wissenschaft und Technik, Bd. 38, Darmstadt, 1988, S.35-62; Scholz, Dorothea: 80 Jahre Frauen- studium an der Technischen Universität Dresden, Dresden, 1991, in: Reiche, Karin (Hg.): 90 Jahre Frauenstudium in Sach- sen, Dresden, 1997; Eckhoff, Regina: Das Frauenstudium an der TH Braunschweig von der Kaiserzeit bis 1933, Braunschweig, 1993; Fuchs, Margot: Wie die Väter so die Töchter, Frauenstudi- um an der Technischen Hochschule München von 1899-1970, (Faktum, Bd.7), München, 1994; Becker, Norbert: Exkurs: Das Frauenstudium an der Technischen Hochschule Stuttgart, in: Fellmeth, Ulrich (Hg.): Margarete von Wrangell und andere Pio- nierinnen. Die ersten Frauen an den Hochschulen in Baden und Württemberg”, Sonderband Hohenheimer Themen, 7.Jg., St. Katharinen, 1998, S.127-129, vgl. auch: Frauen an der TH Stutt- gart, Ausstellungs-/ Forschungsprojekt, Stuttgart, 1998. 2 Was diese Untersuchung möchte diese Diskurse zu dekonstruieren. Und weil an Kunst- hochschulen und Akademien der Zugang von Frauen zum Studium in Deutschland besonders lange um- kämpft war, verbirgt sich hier noch ein spannendes Stück Institutionengeschichte, zumal von Seiten eben dieser Institutionen bisher kein Versuch unternom- men wurde, das ‘Frauenstudium’ institutionsbezogen aufzuarbeiten. In den letzten Jahren wurden verstärkt Forschungsarbeiten zu den Ausbildungs- und Schaf- fensbedingungen von Künstlerinnen publiziert. Immer mehr Arbeiten schenken auch der Situation von Stu- dentinnen Aufmerksamkeit, nennen Namen oder Bei- spiele.18 Für das Bauhaus legte Anja Baumhoff 1994 unter dem Titel „Gender, Art and Handicraft at the Bauhaus“ eine erste Untersuchung vor.19 Im gleichen Jahr schloss Claudia Huerkamp eine um- fassende Studie zur Berufstätigkeit von Akademike- rinnen ab. „Bildungsbürgerinnen - Frauen im Studium und in akademischen Berufen 1900-1945“ konfron- tiert anhand eines außergewöhnlichen Quellenzu- gangs eine Querschnitts- mit einer Längsschnittana- lyse.20 Durch die vergleichende Betrachtung der Abi- turjahrgänge 1915-1945 eines Mädchengymnasiums in Münster im Hinblick auf Studienfachpräferenzen, Studienerfolge und Berufstätigkeiten gelingt es hier, sowohl Generationenprofile von Abiturientinnen resp. Studentinnen zu erstellen, als auch bspw. Fächerprä- ferenzen im Vergleich zu männlichen Studierenden wie in Relation zu ökonomischen und gesellschaftli- chen Entwicklungen zu werten. Die außergewöhnli- che Quellenlage nutzend schlägt Huerkamp den ent- scheidenden Bogen zur Professionsforschung, be- leuchtet anhand einzelner Biografien Berufsprofile und Berufsverläufe von Ärztinnen und Juristinnen, damit vergleichend auch Fachspezifika freier Berufe. In den 1990er Jahren erschienen außerdem erste regional- und fachspezifische Untersuchungen zur Situation von Studentinnen während der Kaiserzeit.21 In den USA, wo sich Architektinnen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts nachweisen lassen, begann die For- schung nach der historischen Dimension von Frauen in der Architektur in den 1970er Jahren. 1977 wurde in New York „Women in Architecture“ publiziert, ein Versuch, eine chronologische Darstellung der Partizi- pation von Frauen in der amerikanischen Architektur von den Anfängen bis zur Gegenwart mit Projekten zu collagieren.22 Die deutsche Sektion der Union In- ternationale des Femmes Architectes gab 1984 die „Architektinnenhistorie“ heraus. Im Rahmen dieser „ersten Zuammenstellung“, so der Untertitel, unter- nahm Helga Schmidt-Thomsen Recherchen zum Werdegang und Verbleib deutscher Architektinnen, die seit der Jahrhundertwende das Berufsfeld betre- ten hatten.23 Seit den 1980er Jahren erschienen an verschiedenen europäischen Orten auch monografische Darstellun- gen über Leben und Werk einzelner Architektinnen.24 16 Mikoletzky, Juliane / Ute Georgeacopol-Winischhofer / Margit Pohl: „Dem Zuge der Zeit entsprechend....“ Zur Geschichte des Frauenstudiums in Österreich am Beispiel der Technischen Uni- versität Wien, Wien, 1997 17 Wie bspw. Berger, Renate: „Und ich sehe nichts, nichts als die Malerei“, Malerinnen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert, Köln, 1982; Design Center Stuttgart (Hg.): Frauen im Design - Berufs- bilder und Lebenswege seit 1900, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Stuttgart, 1989; Berlinische Galerie (Hg.): Profes- sion ohne Tradition - 125 Jahre Berliner Künstlerinnen, Katalog, Berlin, 1992 18 So bspw. Dolgner, Angela et. al.: Burg Giebichenstein, Halle, 1993, - siehe auch: Hoelscher, Petra: Die Kunstgewerbeschule Breslau, Wege einer Schule 1791-1933, Dissertation, Kiel, 1996 19 Vgl. FN 7 20 Huerkamp, Claudia: Bildungsbürgerinnen - Frauen im Studium und in akademischen Berufen 1900-1945, Göttingen, 1996 21 So bspw. Glaser, Edith: Hindernisse, Umwege, Sackgassen, Die Anfänge des Frauenstudiums in Tübingen, Weinheim, 1992; Burchardt, Anja: Blaustrumpf - Modestudentin - Anarchistin? Deutsche und russische Medizinstudentinnen in Berlin 1896- 1918, Stuttgart, 1997; Körner, Marianne: Auf fremdem Terrain, Studien- und Alltagserfahrungen von Studentinnen 1900 bis 1918, Bonn, 1997 22 Torre, Susanna (Hg.): Woman in American Architecture, A Histo- ric and Contemporary Perspective, New York, 1977. An Mono- grafien sind zu nennen: Cole, Doris: Eleanor Raymond, Phila- delphia, 1981, Davies, L.B.: Lilian Bridgman, (1866-1948), Ber- keley, 1983; Holmes Bouteille, Sara: Julia Morgan (1872-1957), New York, 1988; Gebhard, David: Lutah Maria Riggs (1896- 1980) A Woman in Architecture, Santa Barbara, 1992, Gruskin, Nancy B.: Building Context: The Personal and Professional Life of Eleanor Raymond, (1887-1989), Boston, 1998 23 Schmidt-Thomsen, Helga: Frauen in der Architektur - Neue Be- rufswege seit der Jahrhundertwende, in: UIFA (Hg.): Architektin nenhistorie, Zur Geschichte der Architektinnen und Designerin- nen im 20. Jahrhundert. Berlin, 1984, S.15-30, diess.: Leistun- gen im Licht der Öffentlichkeit, ibid. S.31-42 24 So bspw. Johnson, J. Stewart: Eileen Gray (1879-1976) - Desig- ner, New York, 1979; ETH Zürich (Hg.): Die Architektin Lux Gu- yer (1894-1955), Zürich, 1983; Boeminghaus, Dieter (Hg.): Zeit- räume der Architektin Lucy Hillebrand (1906-1997), Stuttgart, 1983; Musée des Arts Decoratifs (Hg.): Charlotte Perriand (1903 -1999), Paris, 1985; Hoffmann, Klaus: Lucy Hillebrand - Wege zum Raum, Göttingen, 1985; van Kessel, Ellen /Marga Kuperus: Margaret Staal-Kropholler(1891-1966), Rotterdam, 1986; Adam, Peter: Eileen Gray, London, 1987; Günther, Sonja: Lilly Reich (1885-1947), Stuttgart, 1988; Devolder, Anne-Mie / Hélène Da- men: Lotte Stam-Beese (1903-1988), Rotterdam, 1993; Allmay- er-Beck, et.al. vgl. FN 25; Bulant-Kamenova, Aneta / Daniela Denzel: Anna-Lülja Praun. Möbel, Einrichtungen, Bauten, Wien, 1996; McQuaid, Mathilda (Hg.): Lilly Reich, New York, 1996; Constant, Caroline / Wilfried Wang: Eileen Gray - Eine Architek- tur für alle Sinne, Tübingen, 1996; Renda, Gerhard (Hg.): Ger- trud Kleinhempel, 1875-1948. Künstlerin zwischen Jugendstil und Moderne, Bielefeld, 1998 Ziele und methodisches Vorgehen 3 Dabei ist die Arbeit der ‘Forschungsgrup-pe Lihotzky’ hervorzuheben, da in der Werkbiografie „Margarete Schütte-Lihotzky, Soziale Architektur, Zeitzeugin eines Jahrhunderts“ eine außergewöhnli-che Berufsbiografie im jeweiligen politischen und ge-sell- schaftlichen Kontext dargestellt wird.25 Dennoch folgt auch diese Monografie gängigen Narrationsmu- stern.26 Wie aber könnte das Schaffen von Architektinnen so beschrieben werden, dass auch das Wechselverhält- nis von Werk und Berufsfeld in den Blick kommt? Einen solchen Versuch unternahm Sabine Plakolm- Forsthuber. In ihrer Forschungsarbeit „Künstlerinnen in Österreich 1897-1938, Malerei - Plastik - Architek- tur“ diskutiert sie sowohl die Problematik idiografi- scher Darstellungen als auch die sozialhistorische Di- mension gängiger Rezeptionsmuster im Hinblick auf die Wahrnehmung des künstlerischen Schaffens von Frauen. Dank dieser Herangehensweise gelingt es ihr, Wahrnehmungsmuster zu analysieren und in Fra- ge zu stellen. Unter dem Stichwort „Funktionalität und Eleganz im privaten Raum“ widmet sie ein gan- zes Kapitel der Analyse von Bauten und Projekten österreichischer Architektinnen.27 25 Allmayer-Beck, Renate / Susanna Baumgartner-Haindl / Marion Lindner-Gross / Christine Zwingl: Margarete Schütte-Lihotzky (1897-2000). Soziale Architektur, Zeitzeugin eines Jahrhunderts, Wien, 1993 26 Ist die Ehrung des Besonderen aufgrund der Verknüpfung mit einer Einzelausstellung anlässlich des 95. Geburtstages allzu verständlich, so verwundert doch die Konstruktion dieser Singu- larität: Peter Noever sieht in ihr fälschlicherweise die erste Frau, die an der Wiener Kunstgewerbeschule studierte (ibid., S.7), die Forschungsgruppe Schütte-Lihotzky bezeichnet sie - ebenso unrichtig - als „erste Architektin Österreichs“; (ibid., S.8) - Damit bleibt auch diese umfassende Darstellung zwangsläufig idiogra- fisch, werden die Ausgrenzungen aus dem Berufsfeld, wie sie gerade Schütte-Lihotzky aufgrund ihrer klaren politischen Posi- tion in extremer Form trafen, auch retrospektiv tabuisiert. 27 Plakolm-Forsthuber, Sabine: Künstlerinnen in Österreich 1897- 1938, Malerei - Plastik - Architektur, Wien, 1994. Bereits 1988 hatte sie Österreichische Architektinnen der Zwischenkriegszeit vorgestellt in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denk- malpflege, 47.Jg., H.3/4, Wien, 1988, S.171ff. 4 Was diese Untersuchung möchte Professionsforschung - Professionalisierungsforschung Wurde bei der Erforschung von Berufen und Berufs- feldern - wie in so vielen Wissenschaftsbereichen - das Geschlecht lange Zeit nicht thematisiert, so blie- ben damit Männer der „Normalfall“, implizit die Norm. Auch hier wurden im Zuge der ersten Frauenbewe- gung wissenschaftliche Arbeiten angeregt, die erst- malig Arbeitsbereiche von Frauen analysierten.28 Dokumentiert wurde die historische Dimension von Frauenarbeiten bspw. anlässlich der Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“ 1912. Für diese Präsentation wurden Leistungen von Frauen sowie ihr Anteil an verschiedenen Berufen systematisch aufbereitet. Im Rahmen einer zwei Jahre später stattfindenden Aus- stellung in Leipzig folgte auch die Präsentation der wissenschaftlich recherchierten, historischen Leistun- gen von Malerinnen, Schriftstellerinnen und Kompo- nistinnen.29 Auch in den folgenden Jahrzehnten riss das Forschungsinteresse nie gänzlich ab, verengte sich jedoch - von wenigen Ausnahmen abgesehen - auf ‘Frauenberufe’.30 Die Fokussierung des forschen- den Blicks auf vermeintlich geschlechtsspezifische Berufsfelder erbrachte kaum neue Erkenntnisse, trug jedoch zur Genderisierung von Berufsfeldern bei, da hierbei Geschlechterrollen sowohl rekonstruiert wie zementiert wurden. Im Unterschied zu anderen Berufen, wo sich ge- schlechtsspezifische Verschiebungen und Ausdiffe- renzierungen von Berufsfeldern manches Mal bereits anhand von Berufszählungen beschreiben lassen, sind diese Daten für die Architektinnenforschung un- brauchbar, da ihre Erhebung bereits geschlechter- kodiert erfolgt.31 Zunehmend mehr SoziologInnen und [Kunst-]Histo- rikerInnen entdeckten in der Professionsforschung spannende „Schlachtfelder des Geschlechterkamp- fes“. Konfrontiert mit Hierarchien innerhalb von Be- rufsfeldern, die allzu deutlich geschlechtsspezifisch strukturiert sind, konzentriert sich die feministische Professionsforschung auf die Konstruktionen dieses Machtgefälles. Status, Habitus und Repräsentation wurden zu den Begriffen, anhand derer das „doing gender“ - das aktive Herstellen von Geschlechterhier- archien - innerhalb der Berufsfelder und der sie legi- timierenden Diskurse untersucht wird. Während die Professionsforschung die Ausbildung als konditiona- le, quasi lineare Vorstufe einer Erwerbstätigkeit be- greift, analysiert die Professionalisierungsforschung den Ausbildungsprozess als ein Segment eines Be- rufsfeldes. Die Frage, wie - auch und gerade unter Genderaspekten - aus Menschen „professionals“ werden, ist in den freien Berufen mit ihrem hohen An- teil an Autonomie - Selbstdefiniton und Selbstkon- trolle - besonders interessant. Denn für diese Berufs- gruppen wird mit Hilfe sog. Gesellschaftsverträge im- mer wieder jener Konsens zwischen Gesellschaft und Berufsgruppe ausgehandelt, der dieses Berufsfeld 28 So wie bspw. die Forschungen von Gertrud Dyhrenfurth: Die hausindustriellen Arbeiterinnen in der Berliner Blusen-, Unter- rock-, Schürzen- und Tricotkonfektion, Leipzig, 1898; diess.: Ergebnisse einer Untersuchung über die Arbeits- und Lebens- verhältnisse der Frauen in der Landwirtschaft, Jena, 1916. Kisker, Ida: Die Frauenarbeit in den Kontoren einer Grossstadt. Eine Studie über die Leipziger Kontoristinnen, Tübingen, 1910 29 Der hierzu erschienene Katalog dokumentiert zumindest die Namen der Erforschten. 30 Eine dieser Ausnahmen ist bspw. die von Edith Krull an der Phi- losophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelm Universität Berlin eingereichte Dissertation: Das Wirken der Frau im frühen deut- schen Zeitschriftenwesen (18.Jh.), Berlin, 1939. 31 Mit Hilfe bspw. der Kategorie „mithelfende Familienangehörige“ wurden Architektinnen statistisch zum Verschwinden gebracht, wenn sie in Partnerschaft mit einem Mann ein Büro betrieben. Ziele und methodisches Vorgehen 5 nachhaltig strukturiert.32 Materiell und diskursiv wird dabei zwischen verschiedenen Interessenlagen ver- mittelt, wobei das Aushandeln dieser Konsense in Si- tuationen gesellschaftlichen Umbruchs besonders deutlich sichtbar wird. Es gibt neuere, historische Forschungen zur Profes- sionalisierung von Frauen in freien Berufen, in Tech- nik und Naturwissenschaften.33 Bisher konnte die Pro- fessions- und Professionalisierungsforschung bei Ar- chitektinnen - aus Mangel an systematischen Quellen und Dokumentationen - nur auf einzelne „historische Schlaglichter“ zurückgreifen.34 Dabei führte das nicht verfügbare Wissen über die „Spezies“ Architektin zu abenteuerlichen Spekulationen, die den Blick auf die historische Dimension des Schaffens von Architektin- nen nicht erweitern, sondern erneut zu verstellen dro- hen35, so, wenn bspw. die Tätigkeit von Architektin- nen in den Weltkriegen oder während des National- sozialismus ausgeblendet oder die Partizipation an berufsständischen Organisationen mit der Präsenz im Berufsfeld gleichgesetzt wird.36 Gerade „Schreibtisch- forschungen“ sind auf erschlossene Daten angewie- sen, laufen damit Gefahr, aus Einzelfunden Befunde zu konstruieren und tappen immer wieder in die Fal- len herrschender Rezeptionsmuster.37 Und auch femi- nistische Forschungen, die Interessen und Tätigkeits- bereiche als vermeintlich geschlechtsspezifische ex- plizit in Frage stellen, neigen in ihren Erklärungsmu- stern zur Reifizierung von Geschlechterklischees.38 Wie also lässt sich ein soziohistorischer Beitrag zur Bau- und Architektinnengeschichte schreiben, der die Filter der Wahrnehmungsmuster durchkreuzt, aus de- ren Scheinlogiken ausbricht? Der sich nicht in der Addition von Einzelschicksalen erschöpft oder im Ge- genzug in die Fallen hagiografischer Betrachtung tappt? Der Projekte und Bauten nicht auf Illustratio- nen soziologischer Analysen schrumpft und die Ent- stehungsbedingungen in den Blick bekommt? Und ist es möglich, nach just jenen baugeschichtlichen Re- geln zu analysieren und zu würdigen, deren Konven- tionen solch kategorische Blindheit bisher regel(ge)- recht erzeugte? Baugeschichtsforschung Die deutsche Architekturgeschichtsschreibung hat keine Nestorinnen. Architektinnen und ihr Schaffen wurden von der bis in die fünfziger Jahre frauenfreien Architekturkritik weitgehend übersehen, blieben da- mit auch in Baugeschichtsschreibungen bis Ende der 1980er Jahre unerwähnt.39 Auch BauhistorikerInnen und ArchitektInnen kennen Architektinnen und deren Schaffen oft nur auf familiärer oder lokaler Ebene. Und selbst in interessierten Kreisen sind die Vielzahl der Architekturstudentinnen und Architektinnen vor dem 2. Weltkrieg - ihre Existenz, ihre Bauten, ge- schweige denn mögliche Qualitäten ihres Schaffens - quasi unbekannt. Versuchten Forscherinnen in den 1980er Jahren ein- zelne Aspekte der Baugeschichte feministisch zu be- leuchten, so geschah dies in der Regel in Reaktion auf diese frauenfreie Baugeschichte. Es erschienen „Women in American Architecture“, „Pioneering Wo- men Architects from Finland“, „Women in American Architecture 1888-1988“, „Women in Danish Archi- tecture“, „Am Rande der Profession - Frauen als Ar- chitektInnen in Finnland von 1850 bis 1910“ und „Les premières Femmes d´Architecture et leurs precurseu- ses“, „Frauen im Design“ und die bereits eingangs erwähnte „Architektinnenhistorie“.40 Bei näherer Be- trachtung dieser Publikationen fällt auf, dass es sich in der Regel um die Addition von Werkbiografien mit einem Exkurs zur Ausbildungssituation der dokumen- tierten Gestalterinnen und Architektinnen handelt. An einen architekturkritischen Vergleich wagten sich nur Lang-Jacob und Suominen-Kokkoinen, die hierfür stärkere zeitliche Eingrenzungen in Kauf nahmen. 32 was bspw. dadurch sichtbar wird, dass die Honorarordnungen freier Berufe durch das Parlament festgelegt resp. genehmigt werden. Hierbei werden auch die Hierarchien innerhalb des je- weilgen Berufsfeldes, die Abgrenzung und Verfassung einzelner Statusgruppen festgelegt. 33 Böge, Sybille: Weibliche Juristen? Eine historisch-soziologische Analyse des Zugangs von Frauen zu juristischen Professionen, Kassel (Mag.) 1992; Risch, Gabriele Erika: Auf der Suche nach der Geschichte der Zahnärztinnen in Deutschland, (Diss.) Mün- ster , 1992; Brinkschulte, Eva: Weibliche Ärzte, Berlin, 1993; Ko- blitz, Katja: Kuriosum und Konkurrentin - Juristinnen auf dem Vormarsch, in: Bock, Petra /Katja Koblitz (Hg.), Neue Frauen zwischen den Zeiten, Berlin, 1995, S.129-151; etc. - Tobies, Re- nate: „Aller Männerkultur zum Trotz“ - Frauen in Mathematik und Naturwissenschaften, Frankfurt/M., New York, 1997 34 Vgl. Reich, 1992: Architektinnen - eine Stecknadel im Heuhau- fen? - Wetterer, 1994; hinsichtlich der engen Lichtkegel dieser „Schlaglichter“ vgl. bspw. Dietrich, Verena: Architektinnen, Stuttgart, 1986, S.19-20 35 So, wenn Helga Schmidt-Thomsen aus einer Wahrnehmung ei- ne Feststellung macht: „Mit Architektur beschäftigten sich am Bauhaus nur ganz wenige Frauen: Vera Meyer-Waldeck, Friedl Dicker, Lotte Gerson.“ Architektinnenhistorie, 1984, S.11. 36 Der prozentuale Anteil von Architektinnen in Berufsvereinigun- gen und Standesorganisationen wird regelmäßig und hartnäckig mit ihrem Partizipationsgrad am Berufsfeld gleichgesetzt. So verwechselt Regina Mentner Repräsentanz mit Präsenz, wenn sie anhand der Kurzbiografien in der Architektinnenhistorie die Behauptung aufstellt, dass die Auswahl quantitativ und qualita- tiv deutlich mache, wie „viele“ Frauen international in diesem Berufsfeld tätig gewesen seien. Architektinnen - gab es sie? in: Mentner, R.: Lebensräume für Frauen zwischen Fremdbestim- mung und Selbstverwirklichung, Dortmund, 1995, S.134. Und Doris Reich hält es „aus gesellschafts- und frauenpolitischer Sicht nicht für wünschenswert, daß Frauen im Militärdienst tätig sind“, (Reich, 1992, S.236ff.). Da sie architektonische Beiträge - vermeintlich „dienstverpflichteter” - Architektinnen nicht sucht, findet sie sie auch nicht. 37 So kommt Ute Georgeacopol-Winischhofer anhand der von ihr rekonstruierten Werkbiografien von Architektinnen zu dem Er- gebnis, dass sich „ein buntes Bild vielfältiger, unterschiedlichs- ter Neigungen, Begabungen und Ziele“ ergebe und anhand der analysierten Aufgabenstellungen und Themenbereiche zu dem Schluss, dass das gängige Klischee eines von Architektinnen bevorzugten Arbeitsbereiches revidiert werden müsse. (Geor- geacopol-Winischofer, 1997, S.199) Dennoch beginnt ihr Absatz über freischaffende Architektinnen mit dem Satz: „Die Wohnung (..) war zweifellos jener Bereich der Architektur, dem Frauen zu- erst und vorzugsweise ihr Interesse widmeten.“ ibid., S.187 38 So bspw. „Tatsächlich studierten nur wenige Frauen am Bau- haus Architektur, was sich unter anderem auf weibliche Sozia- lisationsbedingungen und gesellschaftliche Vorurteile zurückfüh- ren läßt.“ Volland, 1989, S.15 6 Was diese Untersuchung möchte In letzter Zeit erscheinen verstärkt Artikel und Essays, die das Manko der dünnen Quellenlage positiv wen- den: Einzelaspekte aus Leben und Werk einzelner Ar- chitektinnen werden unter Verzicht auf ein Gesamt- bild baugeschichtlich analysiert.41 Despina Stratiga- kos schloss 1999 eine umfangsreiche Forschungsar- beit zu Architektinnen im deutschen Kaiserreich ab.42 Diese Untersuchung erlaubt, dank Materialfülle wie Konsistenz, auch eine baugeschichtliche Einordnung der dort dokumentierten Bauten von Architektinnen. Sichtbare Belege eines architektonischen Schaffens wecken das Interesse. Sie sind i.d.R. der Anlass, um nach den Hintergründen, Motivationen und Zielen dieses Schaffens zu forschen. Für die Rezeptionsge- schichte wie die akademische Diskussion sind mono- grafische Darstellungen überaus wichtig.43 Monografien basieren zumeist auf einem Interesse an einer singulären Person, einem singulären Werk. Die Identifikation mit Werk oder Leben geht häufig über die akademische Betrachtung hinaus, wird jedoch nicht immer reflektiert. Und die Kenntnis vieler Details führt manches Mal dazu, dass Monografien tenden- ziell idiografisch, wenn nicht hagiografisch geraten: Das “Wissen“ über Person und Werk dient, weit über eine Dokumentation hinaus, der Plazierung von Werk und Person in der Baugeschichte. Damit tritt eine - möglichst geniale - KünstlerInnenpersön-lichkeit aus dem Schatten des “allgemeinen“ Kunst- resp. Baugeschehens und wirft fortan selbst Schat-ten. Ihre Ideen und Werke werden zum Bestandteil eines Orientierungssystems, dessen Differenzierun-gen durch Identifikation und Abweichung von bereits bekanten, erforschten und bewerteten Haltungen be- stimmt werden. „Approximationswerte sind der Kunst fremd, das Mittlere ist schon das Schlechte“ formulierte Sabine Plakolm-Forsthuber unter Bezug auf Adorno die Ein- sicht, dass ein Paradigmenwechsel in der Bauge- schichtsschreibung nicht möglich sei, da durch das Festhalten an der Darstellung des Besonderen nur ei- ne Umkehrung der Prärogative postuliert werde.44 Die Konstruktion von Singularität lässt sich denn auch in nahezu jeder monografischen Darstellung finden. „Im Falle von Eileen Gray steht die bescheidene Quantität in scharfem Kontrast zu der außergewöhnlichen Qua- lität: Qualität von solchem Rang, dass sie zu den Meistern des Neuen Bauens gezählt zu werden ver- dient, so schmal auch ihr Beitrag sein mag“, schreibt Joseph Rykwert 1971, und damit über 30 Jahre nachdem Eileen Gray´s Wirken zum letzten Mal in Fachkreisen überhaupt zur Kenntnis genommen wur- de.45 Die Wiederentdeckung dieses Werkes sollte noch einmal zwanzig Jahre dauern und zeigt, dass auch die zeitgenössisch bereits erkannte Qualität ei- nes Schaffens nicht vor dem ‘Vergessen der Bauge- schichte’ schützt, selbst wenn das Werk „so anders, so prophetisch [ist], daß es früher oder später Ge- genstand eines Kultes werden mußte.“ 46 Aber auch jenseits von Kult und Prophetie geben uns Projekte und Bauten von Architektinnen Aufschluss über Sinn und Zweck, Absicht und Ergebnis. Wir müssen sie dafür lediglich lokalisieren, dokumentieren, datieren und analysieren. Mit dem Aufblühen der Sozialgeschichte als Alltags- geschichte rückten zunehmend auch Rahmenbedin- gungen und Entstehungszusammenhänge künstleri- scher Produktion ins Blickfeld. Anfang der 1980er Jahre erreichte dieses Erkenntnisinteresse auch die Architektur. So entstand bspw. die Ausstellung „Au- tobiographische Architektur“, die Werke ausgewähl- ter Architekten mit Selbstzeugnissen konfrontierte.47 39 Dies im Unterschied zu bspw. den USA, wo u.a. Catherine Bau- er, Sibyl Moholy-Nagy und Margaret McCausland seit den vier- ziger Jahren regelmäßig in verschiedenen Zeitungen und Zeit- schriften kritische Fachartikel zu historischen und aktuellen Ar- chitekturfragen publizierten und dabei auch Architektinnen und deren Schaffen mit ins Blickfeld rückten 40 zu Torre vgl. FN 24; Museum of Finnish Architecture / Architecta (Hg.): Profiles. Pioneering Women Architects from Finland, Hel- sinki, 1983; American Architectural Foundation: „That Excep- ’tional One´” Women in American Architecture 1888-1988, Wa- shington, 1988; Bay, Helle / Lisbet Pepke, Dorte Ratje, Nina Torgern, Jette Wagner: Women in Danish Architecture, Kopen- hagen, 1991; Suominen-Kokkoinen, Renja (Hg.): „The Fringe of a Profession - Women as Architects in Finland from the 1890s to the 1950s, Helsinki, 1992; Lang-Jacob; Evelyne: Les premiè- res Femmes d´Architecture et leurs precurseuses, Diss., Genf, 1990; zu Frauen im Design vgl. FN 17 41 Siehe hierzu bspw.: Huber, Dorothee: Die Architektin Lux Guyer (1894-1955), in: Kritische Berichte, 14.Jg. H.3, Marburg 1986, S.25ff.; Ehringhaus, Sybille, 1986 vgl. FN 81; Mathilda McQuaid, 1996 vgl. FN 24; Colomina, Beatriz: Battle Lines: E.1027, in Hughes, 1996, S.2-25 42 Stratigakos, Despina: Skirts and Scaffolding: Women Archi- tects, Gender and Design in Wilhelmine Germa“, PhD, Bryn Mawr, 1999. Bezeichnenderweise wurde diese grundlegende Arbeit von einer Anthropologin an einem Frauencollege in den USA in Angriff genommen. Sie unterzog sich der Mühe, die bis 1918 an Technischen Hochschulen des Deutschen Reiches in- skribierten Architekturstudentinnen zu erfassen, ihre Studien- dauer und -erfolge zu dokumentieren und mit räumlichen Ent- würfen von und für Frauen in der Kaiserzeit zu kontrastieren. 43 Da sie verschriftlicht und vervielfältigt leichter zugänglich sind als zeitgenössische Fachzeitschriften oder Archive 44 Plakolm-Forsthuber, 1993, S.17; (Th.W. Adorno, 1972, S.280) 45 Eileen Gray ist zu diesem Zeitpunkt bereits über 90 Jahre alt. Rykwert, Joseph: Zwei Häuser von Eileen Gray, in: derss.: Orna- ment ist kein Verbrechen, Köln, 1983, S.81ff. - Reprint eines Aufsatzes, der 1971 in Perspecta erschienen war (H.13/14) 46 Rykwert, 1983, S.81 - Diese Halbwertzeit scheint bzgl. der Bau- ten von Architektinnen besonders kurz zu sein 47 Ausstellungskatalog, Bonnefantenmuseum, Maastricht, 1988 Ziele und methodisches Vorgehen 7 Ohne strukturelle Kategorien dient hier der Alltag je- doch nur als Folie der Genialität der KünstlerInnen- persönlichkeit. Die alltäglich notwendigen Vorausset- zungen einer mehr oder minder genialen Produktion bleiben außen vor, die notwendigen Rahmenbedin- gungen künstlerischer Schaffensprozesse tabuisiert. Selektionskriterium bleibt das Singuläre legitimiert durch das Besondere.48 Plakolm-Forsthuber hat plausibel dargestellt, dass auch eine sozialwissenschaftliche Betrachtung nur der Aufrechterhaltung der herrschenden „Ästheti- schen Theorie“ dient.49 Solange die Entstehungsbe- dingungen von Architektur sowie die Mechanismen der Selektion und Selbstrekrutierung der Architekten- schaft tabuisiert bleiben50, bleibt auch eine sozialge- schichtlich orientierte Professionsgeschichte ge- schlechtsblind. Auch die Faschismusforschung erreichte die Bauge- schichte.51 Es entstanden Arbeiten wie „Architects of Fortune“, „Bauhaus-Architekten im 3. Reich“, „Bauen im Faschismus“ und die Längsschnittsanalyse „Deut- sche Architekten 1900-1970“.52 Hier werden architek- tonische Haltungen vor dem Hintergrund politischer wie persönlicher Integrität, die Assimilationsbereit- schaft erfolgreicher Architekten unter politisch extre- men Rahmenbedingungen beleuchtet. Besonders bri- sant, damit baugeschichtlich besonders umstritten, sind diese Erkenntnisse regelmäßig dann, wenn aus ihnen Rückschlüsse auf ideengeschichtliche Pro- grammatiken gezogen werden. Architektinnen im Na- tionalsozialismus waren bisher kein Thema.53 Im Unterschied zu anderen Berufsgruppen wie bspw. Schriftstellerinnen, Ärztinnen, Fotografinnen, Juristin- nen oder Kunstwissenschaftlerinnen sind die Berufs- wege exilierter Architektinnen bisher kaum Gegen- stand wissenschaftlicher Forschungen geworden.54 Dementsprechend wenig ist auch über Remigratio- nen bekannt. Die Emigrationsforschung - seit den 1960er Jahren in Deutschland sukzessive institutio- nalisiert - hat gerade in den letzten zehn Jahren an- gesichts ausdifferenzierter Fragestellungen neben einer Reihe lexikalischer Werke und Übersichtsdar- stellungen auch eine ganze Reihe höchst detaillierter Forschungen hervorgebracht, bleibt in der Regel je- doch der malestream-Definition von Wichtigkeit ver- haftet.55 So lassen sich vereinzelt Architektinnen als Gattinen oder Mütter bedeutender Emigranten finden. Ihre Erwähnung ist ihrer persönlichen Nähe zur wich- tigen Person geschuldet, ihr eigenes Schaffen bleibt dementsprechend unerwähnt.56 Sabine Plakolm- Forsthuber verfolgte und dokumentierte 1995 den Weg der Wiener Architektin Liane Zimbler im ameri- kanischen Exil.57 Myra Warhaftig rekonstruierte die Biografien von Lotte Cohn, Elsa Gidoni und Judith Stolzer-Segal im Rahmen ihrer Forschungen zu den Lebenswegen emigrierter ArchitektInnen in Palästi- na.58 Die Forschung über die aus Zentraleuropa emi- grierten Architektinnen steht noch am Beginn. Das Bauhaus gilt als die besterforschteste Schule in der Architekturgeschichte. Und obwohl er nicht annä- hernd so oft thematisiert wurde, kann auch der Aus- bildungsrahmen an der TH Charlottenburg als doku- mentiert gelten. Ideen- wie stilgeschichtlich rekurriert die Architekturkritik wie die Baugeschichte häufig auf ‘Schulen’.59 Neben der Referenz auf Einzelpersonen stehen Ortsnamen stellvertretend für die Fakultäten an der jeweiligen TU resp. TH.60 Einigen wenigen Pro- fessoren wird damit ein entscheidender, i.d.R. visuell unverkennbarer Einfluss auf Baukultur und Bauge- schichte zugeschrieben. Ähnlich wie der Geschlech- terdiskurs basiert das Denken in Architekturschulen auf einer dualen Logik. Meister und Schüler gewinnen in einem wechselseitigen Prozess an Profil. Als selbstreferentielles System verwischt das Wahrneh- men und Denken in ‘Schulen’ jedoch fortwährend Ur- sache und Wirkung: Meisterschulen produzieren Mei- sterschüler - und vice versa. Dieser Prozess dient weniger der Erkennbarkeit als der Unterscheidbarkeit von anderen Schulen, Schülern oder gar Autodidak- ten.61 Dementsprechend wird nur selten der Versuch unternommen, die konstitutiven Elemente überhaupt zu benennen.62 Und auffällig empfindlich (re-)agieren Schulen immer dann, wenn es um Repräsentation und öffentliche Darstellung geht. So wird zwar man- ches Mal nach dem (tat)sächlichen oder ideellen Ein- fluss von Schulen auf Schüler gefragt63, das Phäno- men Schule wird aber i.d.R. nicht systematisch er- forscht: ‘Schulen’ sind offenbar primär Referenz- systeme der Architekturwahrnehmung und Außen- darstellung, deren Relevanz so allgemeingültig ist, dass die Frage nach ihrer Konsistenz bestenfalls nachrangig beantwortet wird. Erst ein Vergleich von ‘Schulen’ über die Zeit der Ausbildung hinaus erlaubt jedoch die Beantwortung der Frage, in wieweit Aus- bildungsprägungen, ‘Schulen’ und ‘SchülerInnen’ - jenseits selbstreferentieller Legitimationsdiskurse - bestehen. 48 So bleibt auch die Monografie über Schütte-Lihotzky zwangs- läufig idiografisch, selbst wenn berufliche und politische Rah- menbedingungen explizit thematisiert werden. 49 Vgl. FN 44 50 So bildet bspw. der Wettlauf öffentlicher Ehrungen für Schütte- Lihotzky exemplarisch das Verhältnis von Berufsstand und Ar- chitekturkritik ab: Die öffentliche Wahrnehmung erfolgt dann, wenn sie mehr Reputation als Risiken verspricht, angesichts des außergewöhnlich hohen Lebensalters das Risiko schwindet, dass die so Geehrte aufgrund der Ehrungen berufliche Ansprü- che könnte. „Grete Schütte-Lihotzky wurde in Wien nicht ver- wöhnt, ihr Kampf um die Freiheit Österreichs nicht belohnt und ihre Kenntnisse und Fähigkeiten nicht in Anspruch genommen.“ Daraus zieht Friedrich Achleitner den „befriedigenden“ Schluss, „daß Wien mit ihr keine Ausnahme gemacht habe.“ (Achleitner in: Allmayer-Beck, et.al., 1993, S.11) Die Schließungsmechanis- men des Berufsfeldes bleiben tabuisiert. 51 Den frühesten Zugang legte Barbara Miller Lane vor: Architec- ture and Politics in Germany 1918-1945, Cambridge, 1968 52 Nerdinger, Winfried: Bauhaus-Architekten im 3. Reich in: Ner- dinger, W. (Hg.): Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus, München, 1993, S.153-178; Durth, Werner: Deutsche Architekt- en 1900-1970, Braunschweig, 1986; Hochman, Elaine: Archi- tects of Fortune: Mies van der Rohe and the Third Reich, New York, 1990; Weihsmann, Helmut: Bauen unterm Hakenkreuz, Wien, 1998; 53 Selbst die Tätigkeit Gerdy Troosts wurde bisher nicht erforscht. 54 Forschungen zu Vertreibung und Remigration setzen manches Mal auf regionaler Ebene an, auch hierbei geraten Architektin- nen nur ausnahmsweise ins Blickfeld. Vgl. Kunstamt Schöne- berg: Orte des Erinnerns, Berlin, 1995 oder Verein Aktives Mu- seum (Hg.): 1945: Jetzt wohin?, Berlin, 1995 55 So bspw. Grawe, Gabriele: Call for Action - Bauhausnachfolge in den USA, Diss., Berlin, 1997; Hahn, Peter: Bauhaus und Exil: Bauhaus-Architekten und Designer zwischen Alter und Neuer Welt, in: Barron, Stephanie / Sabine Eckmann (Hg.): Exil. Flucht und Emigration europäischer Künstler 1933-1945, München, 1997, S.211-223 56 Unter den 6000 Auswahlbiografien bei Röder / Strauß lassen sich nur zwei Architektinnen finden. Ihr Anteil liegt bei den 8000 Erhebungsbögen der Jewish Research Foundation etwas höher. 57 Plakolm-Forsthuber, Sabine: Ein Leben, zwei Karrieren, Die Ar- chitektin Liane Zimbler, in: Boeckl, Matthias: Visionäre und Ver- triebene, Wien, 1995, S.295-309 58 Warhaftig, Myra: Sie legten den Grundstein, Berlin, 1996. War- haftig nennt darüber hinaus im Architektenverzeichnis Dora Gad [Goldberg] und Helene Roth 59 wie bspw. historisch auf die Schinkel-Schule. Während ‘Schü- ler’ sich zumeist bekannten Lehrern zuzuordnen wissen, dient die baugeschichtliche Einordnung als ‘Schüler’ i.d.R. dem Auf- zeigen einer ‘Prägung’. Im Unterschied dazu verweisen topo- grafische Bezeichnungen wie die Berliner oder die Stuttgarter, die Darmstädter oder die Eindhovener Schule, etc. i.d.R. auf kollegial inszenierte Markenzeichen. 8 Was diese Untersuchung möchte Rezeptionsgeschichtliche Aspekte - Rezeptionserwartungen Nicht nur zu Beginn des 20. Jahrhunderts werden Ar- chitektinnen von Kollegen wie in der Öffentlichkeit als außergewöhnliche Frauen wahrgenommen. Geradezu systematisch scheint Architektinnen damit die Mög- lichkeit verstellt zu sein, primär fachbezogen wahrge- nommen zu werden, sich als normale Frauen in ei- nem normalen Beruf zu bewegen. Ein Durchbrechen dieses Rezeptionsmusters scheint nahezu unmöglich. Institutionelle Quellen (Prüfungsberichte, Protokolle u.ä.) spiegeln bereits während der Weimarer Republik die Realität des Frauenstudiums in einer seltsam ver- zerrten Weise. Nun, da das Recht zu studieren ge- setzlich auch Studentinnen einschliesst, verschwin- den ihre Namen in Protokollen und Berichten. Marti- na Fuchs kommt anhand der Quellen im Archiv der TH München zu dem Ergebnis, dass diese „gegen den Strich gelesen“ werden müssen, „um Aussagen zu finden, die sich für eine Geschichte des Frauen- studiums interpretieren“ lassen.64 Spuren einzelner Architektinnen lassen sich ab 1908 in Tages- und Fachpresse finden. In den zehner Jahren wurde auch in der Frauenpresse den wenigen Architektinnen rela- tiv viel Aufmerksamkeit geschenkt. Nur vereinzelt wird dabei hinter dem Phänomen ‘weiblicher Archi- tekt’ eine Persönlichkeit sichtbar. Anhand der gerin- gen Präsenz in Fachzeitschriften zeichnet sich ab, dass Architektur von Architektinnen bei der Kritik und somit anschließend in der Baugeschichtsschreibung nur selten Beachtung findet. Augenfällig scheint sich hierdurch der Eindruck zu bestätigen, dass Architek- tinnen ebenso marginal am Berufsfeld partizipierten. Diese Untersuchung verfolgt die Hypothese, dass dieser Eindruck weniger der realen Partizipation von Architektinnen als vielmehr einer exkludierenden Re- zeption geschuldet ist.65 Um dies zu überprüfen, den möglichen ‘Schleier der Rezeption’ lüften zu können, bleibt nur der Zugang über Quellenmaterial.66 Zu den vermeintlich authentischen Quellen werden manches Mal Autobiografien gerechnet.67 Schon an der vergleichsweise geringen Anzahl von Autobiogra- fien von Architektinnen wird deutlich, dass Architek- tinnen kaum einen Grund oder Anlass sahen, ihre be- rufsbiografischen Erfahrungen zu dokumentieren oder zu veröffentlichen.68 Eine Autobiografie, wie sie bspw. von Karola Bloch vorliegt, beschäftigt sich nur am Rande mit beruflichen Erfahrungen.69 Auch Werkver- zeichnisse, Projektdokumentationen, Überblicks- oder Selbstdarstellungen, wie sie von Kollegen ver- fasst oder in Auftrag gegeben wurden, lassen sich bei Architektinnen kaum finden.70 60 so wird bspw. der Berufung Theodor Fischers 1901 an die TH Stuttgart die Bedeutung einer ‘Wende’ im Architekturunterricht zugesprochen. „Mit der Ankunft Fischers (1901) (..) verband sich eine Wende sowohl im Lehrbetrieb an der Hochschule, als auch in der Architekturauffassung. (..) Seine neuen, von Städtebau und Werkkunde geprägte Lehrmethode, machte die Stuttgarter Hochschule in wenigen Jahren zum Anziehungspunkt“, Nerdin- ger, 1988, S.13. Theodor Fischer (1862-1938) unterrichtete 1901 bis 1908 an der TH Stuttgart, 1909 bis 1929 an der TH München 61 Im Sinne der Abgrenzung von weniger erkennbaren Formationen 62 So bspw.: „Es wäre einmal interessant festzustellen, inwieweit bei denjenigen, die sich selbständig weiter entwickelt haben, eine Bindung der Stuttgarter Schule vorhanden ist. Sicher wird sie nachzuweisen sein.“ Graubner, Gerhard: Paul Bonatz und seine Schüler, Stuttgart, 1931, S.4 63 Wie jüngst auch Engstfeld, Hans-Joachim: Lehre, Lehrer und Wirkungen: Die Poelzig- und Tessenow-„Schule“ in: Schwarz, Karl (Hg.): 1799-1999 Von der Bauakademie zur Technischen Universität Berlin, Berlin, 2000, S.224-238 64 Fuchs, 1994, S.68. Im Unterschied zur Kaiserzeit, wo Anträge von Studentinnen gestellt und verhandelt werden mussten, sich damit die Debatte um Zulassung in institutionellen Dokumenten widerspiegelt, kann das Architekturstudium von Studentinnen während der Weimarer Republik anhand offizieller Dokumente nur unvollständig beschrieben werden. 65 Plakolm-Forsthuber sieht darin weniger eine zeitgenössische Ignoranz als „einen Ausdruck der später nicht erfolgten Rezep- tion.“ Plakolm-Forsthuber, 1994, S.239 66 Denn im Unterschied zu Benhabibs Vorschlag der „Spurenana- lyse“ „in den Fußnoten, den Marginalien“, der Interpretation von randständigen Texten, benötigt die Werkbetrachtung nun einmal einen, ggf. randständigen, Entwurf. Benhabib, Sheila: Der Paria und sein Schatten - Über die Unsichtbarkeit der Frau in Hannah Arendts politischer Philosophie, in: Jansen, Mechthild M. / Inge- borg Nordmann (Hg.): Lektüren und Brüche, Jüdische Frauen in Kultur, Politik und Wissenschaft, Wiesbaden, 1993, S.130-145, hier S.133 67 Huerkamp und Glaser, die jeweils eine ganze Reihe von Auto- biografien, u.a. von Juristinnen und Ärztinnen, auswerteten, kommen zu der Einschätzung, dass diese geschilderten Erfah- rungen nicht repräsentativ interpretiert werden können. 68 So ist bspw. in der Bibliografie: Women´s Diaries, Journals and Letters (ed. Cheryl Cline, New York, 1989) unter immerhin 2990 Eintragungen kein einziges Ego-Document einer Architektin auf- geführt. Im Unterschied dazu thematisieren bspw. Ärztinnen und Juristinnen, aber auch Ingenieurinnen der gleichen Generation ihre Erfahrungen als Fachfrauen explizit. So bspw. Ilse Essers: Technik an meinem Lebensweg. Als Frau und Ingenieur in der Frühzeit der Luftfahrttechnik, Graz, 1988 69 Bloch, Karola: Aus meinem Leben, Pfullingen, 1981 70 Vgl. bspw. Haesler, Otto: Mein Lebenswerk als Architekt, Berlin, 1957; Gruening, Michael: Der Architekt Konrad Wachsmann, Erinnerungen und Selbstauskünfte, Wien, 1986; Konrad Pü- schel: Wege eines Bauhäuslers, Dessau, 1997 - Soweit Archi- tektinnen autobiografische Abrisse verfassten, sind diese i.d.R. bisher unveröffentlicht. Ziele und methodisches Vorgehen 9 Ausschnitt aus dem Fontispiz des Buches von Francesca Hughes Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bernard Rudofsky unternahm bereits während der dreißiger Jahre mit einem Ausstellungsbeitrag den Versuch, gebaute Räume explizit ohne Kenntnis ihrer Schöpfer, ohne Darstellung ihrer Entstehungsidee zu dokumentieren. In der Einleitung zu der erst Jahr- zehnte später erschienen Publikation „Architektur oh- ne Architekten“ 71 möchte er diese Bauten einem aka- demischen Diskurs zugänglich machen, der im 20. Jahrhundert bei der Interpretation und Einordnung eines Werkes zunehmend weniger auf einen ‘Urhe- ber’ resp. ‘Autor’ verzichten will oder kann.72 Für die in dieser Untersuchung dargestellten Zusammenhän- ge ist eine Gleichzeitigkeit erwähnenswert: Die Be- deutung der Autorschaft wächst mit dem Stellenwert der [klassischen] Moderne in der Architektur und vice versa. Gerade zu einer Zeit, wo die Ausdifferenzie- rung des gesellschaftlichen Sozialgefüges nicht nur denkbar, sondern möglich wird, die Diversifizierung der Produktionsprozesse eine breite Verlagerung von individuell identifizierbarer Hand- und Kopfarbeit auf industriell-anonymisierte Maschinenarbeit ihre breite Durchsetzung findet, wird die Urheberschaft in der Gestaltung konstitutiv: 1916 werden auf der Leipziger Messe - auf Betreiben des Deutschen Werkbundes - die ausgestellten Produkte erstmalig explizit mit den Namen ihrer ‘Gestalter’ präsentiert, analog zu Wer- ken in der freien Kunst.73 Wie lassen sich Rezeptionsmuster durchbrechen, die einer öffentlichen Repräsentation von Architektinnen systematisch im Wege zu stehen scheinen? Seit Mitte der 1990er Jahre gibt es erste Versuche, architektonische Entwürfe anhand analytischer Refle- xionen von Architektinnen ins Blickfeld zu rücken. Ei- ne solche „Rekonstruktion ihrer Praxis“ (Hughes) ist methodisch jedoch auf den Zugang zu entsprechen- den Selbstreflexionen von Architektinnen angewie- sen.74 Bisher stellt die vorherrschende Wahrnehmung, die lange Tradition exklusiv männlicher Rezeptionspraxis die größte Hürde im Zugang zum Werk von Architek- tinnen in Deutschland dar. Dementsprechend führt die Blindheit zeitgenössischer Architekturkritik in der historischen Verdichtung anhand publizierter Quellen i.d.R. zu blinden Flecken. Um den Blick auf Werke von Architektinnen richten zu können, sind Zugänge erforderlich, die bisherige Kategorien der Architektur- kritik aufgreifen, aber auch bewusst ignorieren. Die „wahre” AutorInnenschaft ist in der Architektur ohnehin ein heißes Eisen, sie anhand einer Entste- hungsgeschichte baugeschichtlich zu rekonstruieren resp. zu verifizieren ein schwieriges Unterfangen. Denn das Claimen der Autorschaft gehört zum Archi- tekturgeschäft des 20.Jahrhunderts, bei dem Bauhi- storikerInnen zu RichterInnen werden. So kann die Baugeschichte streiten, ob Mart Stam - wie von ihm behauptet - der Kopf hinter der unter dem Namen Brinkmann & van der Vlugt in Rotterdam errichteten Van-Nelle-Fabrik gewesen sei.75 Und so entstehen „Beweisführungen“ wie die folgende: „Das Bauamt Zehlendorf nennt als Architekten [des 1911 in Berlin realisierten Haus Perls; I.B.] einen Herrn Goebbels. Mies [v.d.Rohe], damals noch in Behrens´ Atelier, hat sich wahrscheinlich für den Bau mit ihm assoziiert. Der Entwurf gehört jedoch ihm, und er erkennt das Haus als sein Werk an.“ 76 Die Frage der Autorschaft wird hier gegen die vorliegenden Quellen entschie- den. Die materielle Quelle unter Berufung auf die Au- torität des berühmten Architekten im Schriftwechsel mit den Autoren falsifiziert. Durch die Bekanntheit des Architekten kann der Entwurf - losgelöst von Be- schäftigungsverhältnissen oder Machtgefügen wäh- rend des Entstehungsprozesses - als geistiges Eigen- tum reklamiert und interpretiert werden. „Es gehört ihm.“ Der offiziell für das Gebäude verantwortlich zeichnende Architekt Goebbels schrumpft auf einen „Herrn Goebbels“. An diesem Beispiel wird erahnbar, wie schwierig das „Outen“ der Autorinnenschaft im Falle assoziierter oder angestellter Architektinnen werden kann.77 Auch wenn sich in detaillierter Einzelforschung Urheberin- nenschaften und maßgebliche Beteiligungen an Pro- jekten rekonstruieren lassen, aufgrund der gängigen Praxen von Architekturkritik und Rezeption, bei der die Igel immer vor den Hasen ankommen, bleiben Ar- chitektinnen in der Baugeschichte aussen vor. Ange- sichts der geringen Quantität von Architekturstuden- tinnen und Architektinnen während der Weimarer Re- publik entsteht so leicht der Eindruck, dass sie bei diesem ungleichen Rennen vielleicht gar nicht an den Start gegangen sein, nicht entworfen, nicht gebaut haben könnten. Dieser Eindruck entspricht jedoch nicht der Realität. Die Rolle von Kritik und Rezeption ist gerade im Rahmen dieser Forschung unüberseh- bar. Da die geringe Historizität der Leistungen von Architektinnen kein individuelles Phänomen darstellt und die Wahrnehmung ihres Schaffens erkennbaren Mustern folgt, bemühe ich mich, diese Reaktionen anhand einzelner Projekte zu umreißen.78 Dies sei hier an einem bekannten Beispiel kurz skizziert. Moeschke wurde in der zeitgenössischen Architektur- kritik wie in der Baugeschichtsschreibung zumindest wahrgenommen.79 1918 wird die Bildhauerin Mitarbei- terin Hans Poelzigs, ab 1919 wird sie in Publikationen genannt - so bspw. beim Umbau des Schauspielhau- ses in Berlin. Insbesondere ihre Mitarbeit bei plasti- schen und bühnenbildnerischen Aufträgen findet im- mer wieder Erwähnung. Auch nach ihrer Heirat mit Hans Poelzig 1924 und der Geburt von Kindern bleibt sie als Entwerferin tätig. Der Entwurf des Hauses 71 Gedruckt erschienen als Rudofsky, Bernard: Architecture with- out Architects: An Introduction to Non-Pedigreed Architecture, New York, 1964 72 Der ‘Urheberschaft in der Architektur’ sind in den letzten Jahren Untersuchungen gewidmet worden. Dieser Diskurs kann im Rahmen dieser Arbeit nicht befriedigend berücksichtigt werden. 73 Andrew Saint zeigt die Entwicklung der Autorschaft in der Ge- staltung des 20. Jahrhunderts auf, in der in einer modernen In- dustrie- und Konsumentengesellschaft Produkt und Name des „maß“ - resp. namensgebenden Gestalters verschmelzen. 74 Hughes, Francesca (Hg.): The Architect - Reconstructing her Practice, Cambridge/London, 1996 75 Vgl. Rümmele, Simone: Mart Stam, Zürich, 1991, S.80 ; Möller, Werner: Mart Stam, Tübingen, 1997, S.49ff. 76 Burkhard Bergius und Julius Posener unter Mitarbeit von Dirk Förster und Dieter Rentschler: Die Listen der individuell geplan- ten Einfamilienhäuser 1896-1968 in AIV (Hg.) Berlin und seine Bauten, Teil IV, Wohnungsbau, Bd. C, Die Wohngebäude, S.118 77 Hier scheint ein weiteres Dilemma der Architektinnengeschichte begründet: Viele Projekte resp. Beteiligungen von Architektinnen entstanden in den frühen Berufsjahren. Die mit der Bekanntheit eines Lebenswerkes steigende Aufmerksamkeit kann für die Mehrzahl dieser Projekte nicht reklamiert werden. 78 Einer anderen Untersuchung muss es vorbehalten bleiben, die komplexen Wirkungsmechanismen offensichtlich geschlechts- spezifischer bzw. geschlechtsgebundener Wahrnehmung und Rezeption eingehend zu analysieren, zumal für eine solche Ana- lyse geeignete Parameter näher bestimmt werden müssen. 79 1894 in einer Hamburger Kaufmannsfamilie geboren studiert Martha Helene Moeschke dort bei Richard Luksch Keramik und Bildhauerei und besucht ein Jahr lang die Bildhauerklasse von Josef Wackerle in München. Spätestens ab 1918 ist sie als Mit- arbeiterin im Architekturbüro Hans Poelzigs in Berlin tätig. 1924 heiratet sie den 25 Jahre älteren Bürochef, dessen erste Frau sich angesichts der schwangeren Mitarbeiterin scheiden lässt. Auch nach der Geburt von drei Kindern bleibt Marlene Poelzig bis 1933 berufstätig. Ende 1937 - Hans Poelzig stirbt 1936 - wird sie erneut berufstätig. Ihre Arbeiten aus dieser Zeit sind bisher nicht erforscht. Marlene Poelzig starb 1985 in Hamburg. 80 Die näheren Umstände dieses Umbaus sind bisher nicht recher- chiert. Die Biografen und Poelzig-Verehrer erwähnen diesen Umbau mit keiner Silbe, obschon dieser zu den gesicherten Werken des Meisters zählt. 81 Ehringhaus, Sybille: Übrigens in ausgesprochenem Gegensatz zur Auffassung eines Corbusier..., Marlene Moeschke-Poelzig, Bildhauerin und Architektin 1994-1985, in: Frauen Kunst Wis- senschaft: Architektur - Rundbrief Heft 13, Marburg, Februar 1992, S.56-66 - Besondere Beachtung schenkt sie dabei der Rezeption von Bruno Tauts Die neue Wohnung. 10 Was diese Untersuchung möchte Poelzig in der Tannenbergallee, den sie in einem Ar- tikel selbst 1930 erläutert, wird ihr in der Fachpresse zweifelsfrei zugeschrieben. 1931 wird der Bau in der Ausstellung „Poelzig und seine Schule“ gezeigt und als ihr alleiniges Werk dargestellt. 1934 wird das Haus von Hans Poelzig umgebaut.80 Sibylle Ehringhaus nimmt 1992 dieses Haus und sei- ne Rezeption zum Anlass, mit Hilfe des Poelzig-Fun- dus, zeitgenössischen Artikeln und der Sekundärlite- ratur dem Schaffen Marlene Poelzigs auf die Spur zu kommen.81 Sie kritisiert, dass Theodor Heuss als Bio- graf Hans Poelzigs die Autorschaft Moeschke-Poel- zigs an diesem Haus lediglich als Mitarbeit darstellt.82 Julius Posener, ebenfalls Biograf wie Schüler Poel- zigs, räumt gegenüber der Autorin ein, „dass jeder, der über Hans Poelzigs Lebenswerk schreibt, dem Hause in der Tannenbergallee einen Abschnitt wid- men sollte.“ 83 Als er kurze Zeit später selbst über Le- ben und Werk Hans Poelzigs schreibt, lässt er das Haus in der Tannenbergallee außer Betracht und er- wähnt bei den Bauten, die ganz maßgeblich, wenn nicht ausschließlich von Moeschke-Poelzig entworfen wurden die „Mitarbeit seiner zweiten Frau Marlene“.84 Aber auch die Suche nach dem unbekannten Schaf- fen Marlene Moeschke-Poelzigs kann Widersprüche produzieren oder den Blick verstellen. So wenn Eh- ringhaus bspw. feststellt, dass die häufige Erwäh- nung Marlene Poelzigs im Katalog 1931 diesen zu ei- ner „hervorragenden Quelle“ mache.85 Damit geraten die dort nicht erwähnten Bauten, als möglicherweise alleinige Entwürfe Moeschke-Poelzigs, gar nicht erst in den Blick. Oder wenn sie - unter Berufung auf ein Interview mit der Tochter - festschreibt, dass „tat- sächlich Marlene Poelzigs hausfrauliche Interessen eher gering“ gewesen seien und dabei einen Wider- spruch ausmacht zur Situierung des „Atelier(s) der Hausfrau“ aus dem „das Treiben der Kinder beob- achtet“ werden kann.86 Und Ehringhaus stellt die zen- trale Frage einfach auf den Kopf: „Gibt es ein Projekt, an dem sie [Moeschke-Poelzig] nicht beteiligt war?“ So provokant sie damit Partei für die nicht-wahrge- nommene Architektin ergreift, durch den Umkehr- schluss lässt sich keine AutorInnenschaft konstituie- ren. Die planende Architektin mutiert hierdurch ledig- lich zur allgegenwärtigen Mitarbeiterin, über deren Beteiligung „wie bei vielen anderen Mitarbeitern“ spekuliert werden kann.87 Deutlich wird an diesem Beispiel, dass jeder parteili- che Blick auf ArchitektInnen vor verschleiernden Im- plikationen nicht gefeit ist, und auch die vermeintlich unparteiische Wahrnehmung nur bis zu ihren Hori- zonten blickt. Hier schimmert das ‘doing gender’ in der Baugeschichtsschreibung, die Konstruktion von Geschlecht anhand dualer Logiken in seiner ganzen Breite auf. Motiviert durch wen oder was auch immer: Sobald das Koordinatensystem Geschlechterhierar- chie ins Wanken gerät, die AkteurInnen sich nicht analog projizierter Geschlechterrollen zu verhalten scheinen, werden sie auch von kenntnisreichen und kritischen BauhistorikerInnen so verortet, wie es die Logik des jeweiligen Koordinatensystems ‘verlangt’.88 Hatten Architektinnen im 20. Jahrhundert ihrerseits nur selten die Chance, jenseits von Rollenklischees zu agieren, so gerinnt das geschlechterpolare Den- ken in parteiischen Blicken auf künstlerische Produk- tionen auch nachträglich zum aktiven ‘doing gender’. Insbesondere bei heterosexuellen Paaren wird “sie“ - bei Begeisterung für “ihn“ - bestenfalls zur Mitarbei- 82 Heuss, Theodor: Hans Poelzig, Bauten und Entwürfe, Berlin, 1939 - reprint, Stuttgart 1985 83 Ehringhaus, 1992, S.66, FN 6 - Posener, Julius: Hans Poelzig, Der Architekt, Tübingen, 1954, derss. Hans Poelzig, Gesam- melte Werke und Schriften, Berlin, 1970 84 Posener, Julius: Hans Poelzig, Sein Leben, sein Werk, Braun- schweig/Wiesbaden, 1994. Posener bedauert, dass Poelzig so wenig Bauherren für Einfamilienhäuser gefunden habe - „wir brauchen nur zwei zu besprechen“ (ibid., S.242). Dennoch be- spricht er vier: Das Wochenendhaus 1927, die Häuser für die Weißenhofsiedlung und für die Siedlung im Fischtal, (1927) sowie Haus Steinert in Krefeld, 1929. Das Wochenendhaus - von Posener als „ausgezeichnet“ und „besonders gut“ gelobt (ibid., S.247) - entwarf Moeschke-Poelzig für ihre Mutter. (Ich danke A. Poelzig für diese Mitteilung) Bei den anderen drei Bauten handelt es sich um jene, die sie 1937 im RKK-Aufnah- meantrag als ihre eigenen Entwürfe aufführt. 85 Vgl. Katalog: Poelzig und seine Schule, Berlin, 1931 - Hier wird z.B. der Entwurf des oft publizierten Wochenendhauses (1927) nicht aufgeführt. Genannt wird Marlene Poelzigs Mitarbeit bei elf Gebäuden, an erster Stelle wird sie genannt bei den Häusern für die Werkbundausstellung und die Gagfah-Siedlung, beim Gro- ßen Schauspielhaus Berlin und dem Theater Salzburg 86 Womit Ehringhaus die Möglichkeit zur Beobachtung spielender Kinder mit der Beaufsichtigung von Kindern gleichsetzt. Das Atelier ist offenbar Arbeitsraum einer Architektin und nicht einer Hausfrau, im Grundriss ist es lediglich mit „kl. Atelier“ bezeich- net. 87 Ibid., S.59 88 Bei diesem Prozess des posthum ‘In-Ordnung-Bringens’ wird i.d.R. das Verständnis vom Verhältnis der Geschlechter zum Zeitpunkt der Rekonstruktion zugrunde gelegt. Ziele und methodisches Vorgehen 11 Blick aus dem Speisezimmer in den Garten Straßenansicht (Grundriß EG siehe folgende Seite)Haus Poelzig, Berlin, 1930, Marlene Moeschke-Poelzig Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar terin. Der Wahrnehmungshorizont des Autors auf der Suche nach dem Genialischen im Architekten verschmilzt mit dem Koordinatensystem des Ge- schlechterverhältnisses. Auch bei Begeisterung für „sie“ tritt ein Verschmelzen geschlechterpolarer Er- wartungshorizonte ein, wenn - quasi kompensato- risch zur Quellendichte - gleichzeitig nach einer „Po- sition als Architektin, Ehefrau und Mutter“ gesucht wird. Wie aber lässt sich - wenn Geschlechterkonstruktio- nen nur innerhalb eines Wahrnehmungshorizontes dekonstruiert werden können - ein Beitrag zur Archi- tekturgeschichte schreiben, in dem Vielfalt jenseits von Geschlechterpolaritäten wahrnehmbar wird? Da dem circulus vitiosus der Geschlechterpolaritäten nicht zu entkommen ist, liegt dieser Arbeit kein „Ge- schlechtervergleich“ zugrunde. Hier werden Studien- bedingungen, Studienarbeiten und Werkbiografien von Architektinnen vergleichend analysiert. Dass das Fokussieren auf Architekturstudentinnen resp. Archi- tektinnen als “isolierte“ Betrachtung von Frauen im Fach nicht funktionieren kann, ist angesichts der Prä- senz von Lehrern, Kommilitonen, Kollegen und nicht zuletzt von Vätern und Gatten deutlich. Der Versuch, parteilich die Rahmenbedingungen der jeweiligen Studentin resp. Architektin zu rekonstruieren, richtet sich zunächst auf die Dekonstruktion „festgeschrie- bener“ Sichtweisen.89 Bei dem Versuch Wechselwir- kungen von AkteurInnen und Berufsfeld nachzuzeich- nen, müssen implizite Geschlechterkonstruktionen explizit diskutiert werden. Dennoch bieten nur geziel- te Blickwechsel in der Betrachtung, der Wahrneh- mung und der Analyse n.m.E. eine Chance, das Ge- flecht anscheinend widersprüchlicher Fakten, Aus- sagen und Bauten annähernd plausibel zu entwirren. Im folgenden wird der Versuch unternommen anhand einer Generation von Architekturstudentinnen ein Stück Bau- und Professionsgeschichte als “kollektive Erfahrungsgeschichte“ zu schreiben und mit einem Stück “Institutionengeschichte“ - anhand unter- schiedlicher Architekturschulen - , wie “historisch-kri- tischer Architekturgeschichte” - anhand verglei-chen- der Einzelbetrachtungen - zu collagieren. Was aber kann diese Vorgehensweise leisten und was nicht? Und wie lassen sich Chancen und Möglichkei-ten einer Generation von Architekturstudentinnen rekon- struieren? Um diese Generation fassen zu können, wird in Kapi- tel 2 zunächst die Situation während der Kaiserzeit skizziert. Im Kapitel 3 werden die Berufsprofile von ‘Architektin’ und ‘Architekt’ während der Weimarer Republik verglichen und interpretiert. Anhand von Publikationen wird ausgelotet, in welchem Wechsel- verhältnis die Aktionsradien von Gestalterinnen zu den Positionen von Standesorganisationen resp. de- 12 Was diese Untersuchung möchte Haus Poelzig, Tannenbergallee. Lageplan Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ren Vertretern stehen.90 Erste Verschiebungen im Be- rufsfeld sowie Schließungs- und Ausschluss- mechanismen werden hierbei erkennbar. Zeitspezifi- sche Geschlechterdiskurse beeinflussen die Studien- bedingungen, aber auch die Lebensplanung wie die Partnerwahl von Architekturstudentinnen der Weima- rer Republik. Deshalb wird während und innerhalb des Studiums auch der Stellenwert der Geschlechter- diskurse untersucht (Kap. 4 und 5). Im anschließen- den Vergleich wird deren Relevanz besonders deut- lich (Kap. 6). Im Vergleich zu Architektinnen der Kai- serzeit werden generationenspezifische Eigenheiten sichtbar. Der Einfluss der Ausbildung auf das weitere berufliche Schaffen wird sowohl anhand der Berufs- einstiege (Kap. 7) als auch anhand der Projekte und Bauten (Kap. 8) vergleichend analysiert. Neben der Partizipation an berufsständischen Organisationen, Gruppen und Verbänden werden Wettbewerbs- und Ausstellungsbeteiligungen als Parameter beruflichen Engagements herangezogen. Hierdurch wird zwi- schen höchst unterschiedlichen Berufs- und Lebens- wegen ein Generationsprofil der Studentinnen der Weimarer Republik zumindest in Umrissen erkennbar. Ruth Schwartz Cowan beschrieb das in den 1990er Jahren gestiegene Interesse an den Ingenieurinnen folgendermaßen: Neben dem arbeitsmarktpolitischen Interesse an Ingenieurinnen als (stiller) Reserve in Kri- senzeiten habe der enorm gewachsene Forschungs- bereich feministischer Fragestellungen zu einer er- höhten Aufmerksamkeit geführt. Feministische Er- kenntnisinteressen richteten sich insbesondere auf die „Manpower of Women“. Ingenieurinnen hätten als „Maltbreakers“ oder „Gender benders“ die als weib- lich zugeschriebenen Orte und Tätigkeitsbereiche in- nerhalb des sozialen Gefüges verlassen. Technisch geschulte Frauen brächen allzu offensichtlich aus den gängigen Rollenstereotypen aus, könnten innerhalb von Hierarchien Führungsaufgaben übernehmen. Die Ingenieurinnen selbst wählten ihren Beruf jedoch auf- grund von Fachpräferenz resp. Neigung, verstünden sich primär als ‘weibliche’ Ingenieure, identifizierten sich i.d.R. mit der gesellschaftlich etablierten, techni- schen Intelligenz. Feministinnen seien aus ihrer Sicht häufig Frauen, die primär im Bereich Feminismus ar- beiten. Demgegenüber seien Feministinnen zwar i.d.R. durch das „tatsächliche“ Gendercrossing der Ingenieurinnen fasziniert, unterstellten aber, dass dies nur unter Verleugnung resp. Ausblendung ‘weiblicher’ Anteile möglich sei. Einem Verständnis zwischen In- genieurinnen und Feministinnen geisteswissenschaft- licher Disziplinen stünde darüber hinaus die feministi- sche Grundannahme im Wege, dass das Patriarchat insbesondere im Establishment repräsentiert und zu bekämpfen sei. Diese wechselseitigen Wahrnehmun- gen führten zu Spannungen wie zu einer Entsolidari- sierung zwischen Feministinnen und Ingenieurinnen.91 Und Cowan resümierte, dass die Rollenstereotype so stark in die Geschlechterkonstruktionen eingeschrie- ben (embedded) seien, dass die Bestandteile des entstandenen „Amalgams“ nur mit Hilfe komplexer Strategien überhaupt sichtbar gemacht werden könn- ten. Sie umreisst damit die eigentliche Schwierigkeit eines solchen Unterfangens, und sie themantisiert das tiefe Misstrauen wie die - weitgehend tabuisierte - Konkurrenz zwischen unterscheidbaren Selbstver- ständnissen und Lebensmodellen unterschiedlicher, feministisch wie ingenieurtechnisch orientierter Frau- en. Gerade unter Feministinnen wurde der Geltungs- anspruch des eigenen - oft schmerzlich errungenen - Selbstverständnisses gern schwesterlich proklamiert, der individuell gewonnene Blickwinkel als verbindlich- feministische Perspektive für alle eröffnet.92 Architektinnenforschung bewegt sich damit nicht nur zwischen den Fronten etablierter Baugeschichtsfor- schung, sondern auch innerhalb der Geschlechterfor- schung in einem verminten Gelände unterschiedlicher - theoretisch wie emotional besetzter - Prämissen. Deshalb werden im Hinblick auf unterschiedliche Re- zeptionserwartungen explizit folgende Grundannah- men formuliert: - ‘Weiblich’ und ‘männlich’ werden im folgenden als Geschlechterkonstruktionen verstanden und aus- schließlich zur Kennzeichnung (innerhalb) der ent- sprechenden Diskurse verwendet. - Architekturstudentinnen und Architekturstudenten werden damit als (biologisch) unterscheidbar, nicht aber als (‘wesenhaft’) unterschiedlich vorausgesetzt. - Die Wahl des Architekturstudiums bzw. das Inter- esse an architektonischen Fragestellungen wird als individuelles Interesse der jeweiligen Studentin unter- stellt, die Studienwahl auch auf dem Hintergrund ge- schlechterstereotyper Sozialisationen beleuchtet. - Die Werkbiografien der Architektinnen werden als Ausdruck der jeweiligen Lebensplanung nach einem Architekturstudium begriffen. - Mit der „Lebensplanung“ wird - in Erweiterung der Berufs- oder Karriereplanung - der Bereich der Re- produktionsarbeit ins Blickfeld einbezogen.93 - Vergleiche zwischen den Werkbiografien fokussie- ren strukturelle Aspekte, individuelle Fälle werden nur zur Illustration herangezogen. Der Individualität des jeweiligen Lebens versucht die Werkbiografie im Anhang Rechnung zu tragen. - Die Entwürfe, Projekte und Bauten werden unter Bezug auf die jeweilige Ausbildung, aber auch typo- logisch vergleichend analysiert und interpretiert. Diese Arbeit kann hinsichtlich der Geschlechterdif- ferenzen im Berufsfeld Architektur weder konkrete 89 Auch wenn dies zwangsläufig zu Irritationen führt, da Wider- sprüche zu veröffentlichten, bereits zu Baugeschichte konden- sierten, teilweise als Bestandteil der Geschichte in die öffentli- che Wahrnehmung eingedrungenen Positionen auftreten. Hier wird bewusst der Begriff der Rekonstruktion gewählt, um die subjektive Distanz und Parteilichkeit der Rekonstrukteurin einer gezielten Reflexion auszusetzen. Zur Diskussion um feministi- sche Parteilichkeit in hermeneutischen Prozessen vgl. auch Benhabib, 1993, S.130ff. 90 Inwieweit die Politik von Standesorganisationen die realen Pro- fessionalisierungen beeinflusst hat, wird auch erkennbar, wenn in Kapitel 8 ausgewählter Beispiele genauer untersucht, in Ka- pitel 9 die Berufsverläufe von Bauhaus- und Tessenowstuden- tinnen im Längsschnitt dargestellt werden. 91 Lt. Schwartz Cowan lässt sich nur im ersten Jahrzehnt diesen Jahrhunderts eine kleine Gruppe bürgerlich-feministischer In- genieurinnen ausmachen, der es gelang, feministische und fach- liche Interessen zu vereinbaren und offensiv zu vertreten. Ruth Schwartz Cowan: Forschungsfragen zur Geschichte der Inge- nieurinnen, Vortrag im Rahmen der Internationalen Konferenz Frauen(t)raum Technik, am 15.1.1999, Berlin 92 Dieser Konflikt zwischen verschiedenen Lebensmodellen, der die Prämissen individueller Blickwinkel verallgemeinert, ist nicht neu: Eine deutliche Parallele dieses Konfliktes zeichnet sich während der Kaiserzeit zwischen den ersten Studentinnen und Vertreterinnen der ersten Frauenbewegung ab, nachdem die Zu- lassungsbeschränkungen zum Hochschulstudium für Frauen endlich gefallen waren. - Huerkamp (1996, S.150) sieht darin weniger einen spezifischen Konflikt zwischen Akademikerinnen und Frauenbewegten als „einen tiefgreifenden Generationen- konflikt“. Burchardt zeichnet diesen Konflikt in einem eigenen Abschnitt für die Zeit zwischen 1901 und 1912 nach, diskutiert ihn jedoch ebenfalls als Generationen- und nicht als Interessen- konflikt. (Burchardt, 1997, S.178-184: Generationskonflikt: Die Studentinnen und ihr Verhältnis zur Frauenbewegung) 93 Dies hat den Vorteil, dass sowohl den manchmal unterbroche- nen, manchmal abgebrochenen Berufsverläufen Rechnung ge- tragen werden kann und Rückzüge resp. Ausgrenzungen an- hand struktureller Merkmale sichtbar gemacht werden können. Ziele und methodisches Vorgehen 13 Handlungsperspektiven zu deren Überwindung auf- zeigen noch die Vielfalt biografischer, ökonomischer oder politisch-kultureller Ambivalenzen der vorliegen- den Werkbiografien erklären. Sie kann jedoch - auch ohne expliziten Geschlechtervergleich - retrospektiv das ‘doing gender’ in der Architektur während des 20. Jahrhunderts und die verschiedenen [Re-]Akti- onsformen ehemaliger Architekturstudentinnen in tra- ditionell wie modern orientierten Ausbildungs- und Berufsbereichen nachzeichnen. Zu Quellen, Methoden und dem Aufbau dieser Arbeit An Primärquellen konnten für diese Arbeit genutzt werden94: Quellenmaterialien über die Architekturausbildung - in Form von Veranstaltungsverzeichnissen, Immatrikula- tionsnachweisen, Prüfungslisten, Sitzungsprotokollen, Mitschriften von Unterrichtseinheiten, Zeitungsmel- dungen, Fotos, Zeugnissen und Diplomen sowie ein- zelnen Studienarbeiten Quellenmaterialien zum Schaffen von Architektinnen - in Form von Zeichnungen, Wettbewerbsentwürfen, Bauakten, Fotos, Schriftwechseln zu einzelnen Bau- vorhaben, Baubeschreibungen, Projektdokumentatio- nen Quellenmaterialien zur Biografie und Berufssituation von Architektinnen in Form von Selbstzeugnissen aus der jeweiligen Zeit, darunter Lebensläufe, Briefe, un- veröffentlichte Artikel, Tagebücher, Mitgliedsauswei- se; und in Form retrospektiver Selbstzeugnisse, da- runter Interviews, Fragebögen, Briefe, Lebensläufe und Werkverzeichnisse Publizierte Artikel, Manuskripte und Bücher von Ar- chitektinnen - Unpublizierte Kurzgeschichten, Roma- ne von Architektinnen Daneben konnten an Sekundärquellen ausgewertet werden95: Publizierte Artikel über Architektinnen und Architek- turstudentinnen. Publizierte Zeichnungen von Projek- ten und Fotos realisierter Bauten. Artikel über das Berufsbild ‘Architektin’ resp. ‘Innenarchitektin’, Aus- stellungskataloge, Wettbewerbspublikationen. Schon anhand der Quellenübersicht wird deutlich, dass die Vergleichbarkeit der Quellen i.d.R. hinter- fragt werden muss. Deshalb wurden die Quellen mehrfach überprüft, manche Materialien nur in Teil- bereichen herangezogen. Aufgrund der Vielfalt der Provenienzen ist eine direkte Vergleichbarkeit oft nicht gegeben.96 Diese Arbeit stellt Architekturstudentinnen und Archi- tektinnen in den Mittelpunkt der Untersuchung. Ziel dieser Forschung ist es, anhand der im Anhang do- kumentierten Werkbiografien möglichst viele Facet- ten der Ausbildung sowie der Professionalisierung vergleichend zu beleuchten. Die individuellen wie strukturellen Rahmenbedingungen dieser Architektur- studentinnen der Weimarer Republik werden im je- weiligen Ausbildungskontext, ihre Professionalisie- rung innerhalb eines jeweils zu bestimmenden, sich wandelnden wie vielschichtigen Berufsfeldes unter- sucht. Unter der Annahme, dass der Wandel des Be- rufsfeldes, der Wandel innerhalb der Architekturaus- bildungen, der Wandel der Geschlechterverhältnisse, der Wandel ökonomischer, politischer, gesellschaft- licher Rahmenbedingungen wie bestimmter Milieus interaktiv, jedoch nicht immer im zeitlichen, räumli- chen oder diskursiven Gleichklang erfolgt, werden den unterschiedlichen Blickwinkeln durchaus ver- schiedene Parameter zugrunde gelegt. Es scheint nur so möglich, dem „doing gender“ - der prozessualen (Re-)Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit - zwis- chen den verschiedenen Wandlungsprozessen auf die Spur zu kommen. So impliziert der Begriff „Generation“, der bzgl. der Bauhaus- und TessenowsstudentInnen die Geburts- jahrgänge 1893-1913 subsumiert, den Umbruch von der Kaiserzeit zur Weimarer Republik als historisches Schlüsselerlebnis.97 Der Vergleich zwischen bestimm- ten Ausbildungsrichtungen erlaubt rückblickend die Bewertung der Ausbildungsprägung, setzt jedoch zu- nächst voraus, dass die Identifikation mit der jeweili- gen Schule vergleichbar stark resp. schwach sei. Der Verzicht auf einen Vergleich mit den Kommilitonen resp. Kollegen rückt die Differenz der „Schulen“ und die Architekt(urstudent)innen als aktiv Handelnde in den Mittelpunkt.98 Dass ihr Aktionsspektrum damit nicht automatisch dem der Kommilitonen resp. Kol- legen gleichgesetzt werden kann, wird anhand punk- tueller Vergleiche immer wieder deutlich. Es existie- ren jedoch nahezu keine verschriftlichten Quellen da- rüber, ob Architekturstudentinnen und Architektur- studenten der Weimarer Republik über die gleichen familiären Hintergründe, die gleichen Vorbildungen, vergleichbare Studienmotivationen und Berufsvor- stellungen, dieselbe Anzahl Chancen verfügten. Erst dann ließe sich ausreichend differenziert interpretie- ren, weshalb sie die gleichen oder unterschiedliche Entwurfsthemen bearbeiteten, dieselben Vorbilder als die ihren ansahen oder ablehnten. Für die Berufsver- läufe ließe sich dieser Logik folgend darstellen, ob Architektinnen und Architekten dieser Generation resp. einer Ausbildungsrichtung vergleichbar bzw. in- wieweit sie tatsächlich geschlechterspezifisch agier- ten, ob die gleichen oder unterscheidbare Strategien zur Akquisition von Aufträgen, zur Publikation, zur 94 Da (Teil-)Nachlässe der von mir gesuchten Architekturstudentin- nen nur vereinzelt in deutschen Archiven zu finden waren, befin- det sich die Mehrzahl dieser Primärquellen bei den Architektin- nen resp. ihren Familien. Ein Teilnachlass von Wera Meyer-Wal- deck befindet sich im Bauhaus Archiv Berlin. Dort sind auch Teile des planerischen Nachlasses von Annamarie Mauck archi- viert. Ein Teilnachlass von Annemarie Lange befindet sich im Schriftstellerarchiv der Akademie der Künste, allerdings keinerlei planerische Unterlagen. In Deutschland sind bisher nur aus- nahmsweise Werke bzw. Nach-lässe von Architektinnen archi- viert. Der Nachlass der Göttinger Architektin Lucy Hillebrand be- findet sich im Archiv des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt/Main, Planunterlagen und Projektdokumentationen der Architektin Hilde Weström (geb. 1912) sind in der Berlinischen Galerie zu finden. 95 Diese Sekundärquellen können darüber hinaus sinnvollerweise nochmals unterschieden werden nach den Medien bzw. Ziel- gruppen dieser Medien, da die Zusammenhänge wer wann wo wie publiziert - somit einem bestimmten Publikum überhaupt bekannt gemacht - wird, ein spannendes, aber eben auch eige- nes Untersuchungsfeld darstellt. 96 Oft konnte zunächst entweder biografisches oder oeuvrebezo- genes Material recherchiert werden. Personenbezogen zugängli- che Materialien reichen für eine lückenlose Dokumentation des Schaffens nur selten aus. Auch für das Selbstverständnis konn- ten in der Regel entweder zeitgeschichtliche Aufzeichnungen oder retrospektive Äußerungen ausgewertet werden. 97 Auch wenn, schon aufgrund der Altersdifferenzen innerhalb die- ser Generation eingeschränkt werden muss, dass die individuell erlebten Konsequenzen dieses politischen Wechsels sehr deutli- che Unterschiede zeitigten. 98 Durchgängig werden nur Tessenow- und Bauhausstudentinnen verglichen, punktuell werden Architekt(urstudent)innen anderer Ausbildungswege, Generationen, Milieus und Kollegen herange- zogen. 14 Was diese Untersuchung möchte Umsetzung von Entwurfsansätzen, resp. zu ver- gleichbaren Bauten führten. Der Verzicht auf den Geschlechtervergleich basiert auf der Einsicht, dass ein solcher Vergleich die Duali- tät der Geschlechterkonsturktion selbst nicht durch- brechen kann, vielmehr erneut rekonstruiert. Gilde- meister und Wetterer problematisierten Untersuchun- gen, die auf der Grundannahme naturgegebener Ge- schlechterdualitäten basieren.99 Demnach seien diese in der Lage, geschlechtsspezifische Vor- und Nach- teile zu konkretisieren und zu analysieren. Gleichzei- tig trügen differenzfeministische Ansätze jedoch zu einer „Reifizierung und Neudramatisierung der Ge- schlechterdifferenz“ bei, da sie Genderkonstruktionen i.S. instrumenteller Konstruktionen sozialer Ge- schlechtsrollenstereotypen nicht dekonstruieren kön- nen.100 Gildemeister / Wetterer plädierten 1992 dafür, mittelfristig „die Gleichzeitigkeit einander auch wider- sprechender Zielsetzungen“ feministischer Forschung als notwendig in Kauf zu nehmen - erkenntnistheore- tisch: „das Insistieren auf Gleichheit, Differenz und Dekonstruktion“. Die vorliegende Arbeit versucht in diesem Sinne, das Dilemma der “Quellenschnipsel“ fruchtbar zu ma- chen, die Varianz der unterschiedlichen Quellen sys- tematisch zu nutzen. Durch die Überlagerung metho- discher Zugänge und Blickwinkel kann eben jene Komplexität zurückgewonnen werden, die zur Erfas- sung der Wechselwirkungen zwischen Leben und Rahmenbedingungen, Verquickung von Professions- geschichte und individuellem Werk so ergiebig ist. Die stringenten Methoden wissenschaftlicher Be- trachtung, die zum Erkenntnisinteresse bezüglich ei- ner isolierten Fragestellung entwickelt wurden und werden, müssen zur Befriedigung dieses singulären Erkenntnisinteresses zwangsläufig Abstriche in der Komplexität hinnehmen. So erlauben die deskriptiv-analytischen Verfahren der Werkbetrachtung eben nur sehr bedingt, die gesell- schaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen der Entstehung von Kunst, Architektur oder Gebrauchs- kunst zu reflektieren. Die Idiografie bedingt geradezu das Herauslösen des Autors aus dem Kontext, das Allgemeine kann nur als Folie dienen, auf der das Besondere (des Werkes, der/s KünstlerIn/ArchitektIn) in Erscheinung tritt.101 Gerade bei der Betrachtung einer Generation können soziologische Analysen - quantitativ oder qualitativ - Rahmenbedingungen und Realitäten oft schlüssig er- fassen und interpretieren. Ihre Aussagefähigkeit ist jedoch auf die Vergleichbarkeit der Daten angewie- sen, ihre Reichweite endet geschichtlich zwangsläu- fig mit der Reichweite der (nachträglich kaum adä- quat zu ergänzenden) Quellen. Diskursinterpretative Verfahren eignen sind zur Dar- stellung ideengeschichtlicher Prozesse, lassen Rück- schlüsse auf die Wirksamkeit bestimmter Diskurse aber nur innerhalb des Diskurses zu. Die Wirkmäch- tigkeit bestimmter Diskurse, also das Verhältnis von Diskurs zu Realität, kann auf diese Weise nicht be- stimmt werden. Ethnomethodologische Verfahren stehen in dem Ruf, die Beschreibung komplexer Prozesse adäquat zu er- möglichen. Die zur Erkenntnisgewinnung notwendige Wahrnehmungsdifferenz benötigt als Bezugsgröße je- doch immer eine ‘herrschende’ Kultur.102 Durch die skizzierten methodenimmanenten Schwie- rigkeiten wird deutlich, dass das mehrdimensionale Erkenntnisinteresse dieser Arbeit nicht ausschließlich durch eine Methode zu befriedigen ist. Deshalb wird in dieser Arbeit immer wieder der Blickwinkel erwei- tert oder verengt, der Blickpunkt gewechselt. Das je- weils gewählte methodische Vorgehen bleibt erkenn- bar. Es wird der Versuch unternommen, Hypothesen, aber auch Widersprüche und Brüche durch die nähe- re Betrachtung einzelner Werkbiografien zu pointie- ren, zu plausibilisieren, ggf. auch zu relativieren. Es werden unterschiedliche Ergebnisse, selbst wider- sprüchliche Schlussfolgerungen zugelassen, wenn auch immer wieder in Frage gestellt. Personenbezo- gene Quellen werden im Anhang genannt. Die eben- falls im Anhang dokumentierten Werkbiografien der Architekturstudentinnen der Weimarer Republik bil- den eine Art ‘Folie’, auf der den Fragestellungen der einzelnen Kapitel nachgegangen werden kann. Dabei orientiert sich die Arbeit zum einen an der Ar- beit Huerkamps: Die Überlagerung einer Quer- mit ei- ner Längsschnittsanalyse entspricht dem gewählten Forschungsansatz, wobei die Zeit des Studiums den Knotenpunkt der Querschnittsanalyse bildet. Zum weiteren dient die Arbeit von Georgeacopol-Winisch- hofer als Vergleich. Auch hier wird anhand einer zeit- gleichen Ausbildungssituation der Versuch unternom- men, anhand unterschiedlicher Berufswege die Para- digmen der Lebensplanungen und Lebenswege von Architektinnen aufzuspüren und dabei den Einfluss der Ausbildung retrospektiv nachzuzeichnen. Nicht zuletzt setzt die Arbeit von Plakolm-Forsthuber Maß- stäbe für den Versuch, das Schaffen von Architektin- nen kontextuell und in sozialhistorisch wacher Per- spektive analytisch einzuordnen. Im folgenden wird zunächst der Aufbau der Arbeit skizziert. Anschließend werden die Forschungsinter- essen im Hinblick auf unterschiedliche Teildisziplinen erläutert, um die Überlagerung verschiedener Be- trachtungsweisen aufzuzeigen. Nach einem kurzen historischen Abriss geht es in Ka- pitel 2 zunächst darum, die Situation im Berufsfeld 99 Gildemeister, Regine / Angelika Wetterer: Wie Geschlechter ge- macht werden. Die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlich- keit und ihre Reifizierung in der Frauenforschung. In: Knapp, Gudrun-Axeli / Angelika Wetterer (Hg.): TraditionenBrüche. Ent- wicklungen feministischer Theorie, Freiburg, 1992, S.201-254 100 Ibid., S.249 101 Aus dieser Position folgert Bourdieu, dass die monografische Betrachtung nicht mehr zeitgemäß sei, da sie die Komplexität der Genese nicht genügend berücksichtige. Dementsprechend sei ‘Kunstgeschichtsschreibung’ heute nur als strukturell ver- gleichende Kunstgeschichtsschreibung denkbar. 102 Zu den Konsequenzen einer Übertragung dieses methodischen Zugriffs auf die Frauenforschung vgl. Gildemeister / Wetterer, 1992. Ziele und methodisches Vorgehen 15 Architektur und Gestaltung bis zum Ende der Kaiser- zeit zu skizzieren. Es wird exemplarisch beschrieben und diskutiert, welche Rolle die Fachpresse, aber auch die erste Frauenbewegung bei der Professiona- lisierung von Frauen in der Architektur spielte. Aber auch Arbeiten bereits gestalterisch professionell täti- ger Frauen rücken fragmentarisch ins Blickfeld. Ihre Arbeiten entstehen in einer Zeit, in der der Zugang zum akademischen Architekturstudium durchgesetzt wird, sowie die Debatten um die Erneuerung der Ge- staltung und der Gesellschaft geführt werden. An- hand der ‘Frauenausstellungen’ wird die Zuspitzung der Debatte innerhalb des Berufsfeldes beschrieben, die Rahmenbedingungen der Studentinnen der Kai- serzeit werden skizziert. In Kapitel 3 wird der Wandel des Berufsbildes nach- gezeichnet. Anhand von Bauaufgaben, Publikationen und Arbeiten von Architektinnen der zwanziger Jahre wird ausgelotet, welche Verschiebungen innerhalb des Berufsfeldes in jenem Zeitraum stattfinden, in dem die Generation der Architekturstudentinnen der Weimarer Republik ihr Studium aufnimmt. Im folgenden werden die architekturinteressierten Studentinnen beschrieben: Mit welchem kulturellen Kapital begaben sie sich in diesen Bereich, welche Studienmotivationen und Berufsvorstellungen brach- ten sie mit, wie wurden diese im Verlauf des Studium beeinflusst? Was lernten sie in der jeweiligen Ausbil- dung? Mit welchen Positionen und Haltungen wurden sie konfrontiert? Bevor dies vergleichend diskutiert werden kann, müssen die spezifischen Profile des jeweiligen Studiums, die Bedingungen und Möglich- keiten ausgelotet werden. Deshalb werden in Kapitel 4 die Spezifika eines Studiums architekturinteressier- ter Frauen am Bauhaus beleuchtet, verglichen und diskutiert. Anhand konkreter Studiensituationen und vereinzelter Studienarbeiten werden Chancen und Grenzen dieses Studiums sichtbar. In Kapitel 5 - den Studentinnen im Seminar Tessenow an der TH Char- lottenburg gewidmet - werden deren Vorbildungen, Motivationen und Studienziele anhand der familiären Hintergründe wie der Studiensituation rekonstruiert und analysiert. Auch ihre Studienarbeiten und ihre Studienerfolge sind Gegenstand der Betrachtung. In der Folge können in Kapitel 6 beide Ausbildungs- richtungen verglichen werden. Anhand von Entwurfs- themen, Studiensituationen und -erfolgen werden die Unterschiede des Kompetenzerwerbs wie der Stu- dienbedingungen für Studentinnen beider Ausbil- dungsrichtungen besonders deutlich. Ein Blick auf andere Fakultäten zeigt Parallelen und Unterschiede. Welche Berufsbilder wurden den Studentinnen je- weils vermittelt, welche boten ihnen Anknüpfungs- punkte für eine eigene berufliche Perspektive? Und identifizierten sie sich mit den Haltungen, d.h. in wie- weit wurden aus Tessenowstudentinnen Tessenow- schülerinnen, aus Bauhausstudentinnen Bauhaus- schülerinnen? In Kapitel 7 werden die Berufseinstiege ehemaliger Bauhaus- und Tessenowstudentinnen vergleichend dargestellt und beleuchtet. Welche Strategien werden erkennbar, welche Hilfestellungen sichtbar? In wel- chen Berufsbereichen, Themenfeldern und privaten Konstellationen bleiben ehemalige Tessenow- und Bauhausstudentinnen während des Nationalsozialis- mus tätig? Wo finden sie außerhalb des Deutschen Reiches Zuflucht und Erwerbsfelder? Kurz vor sowie während der Zeit des Nationalsozialismus stellt sich für die Mehrzahl der ehemaligen Architekturstuden- tinnen die Frage nach der beruflichen Perspektive. Welchen Stellenwert nimmt dem gegenüber eine Fa- miliengründung ein? Welche Bedeutung kommt dabei dem Modell der Kameradschaftsehe zu? In Kapitel 8 werden Themen und Berufsbereiche in- nerhalb der Architektur chronologisch nachgezeich- net. Was und wie planen und bauen Architekturstu- dentinnen der Weimarer Republik im Laufe ihres Le- bens? Welche Relevanz ist rückblickend der Ausbil- dung zuzuerkennen? Anhand von Entwurfsthemen, Wettbewerbsteilnahmen, Aufträgen und Berufsberei- chen werden Interessenschwerpunkte und Tätigkeits- gebiete von Architektinnen deutlich. Im Vergleich mit den Themen der Studienzeit werden Übereinstim- mungen wie - nicht nur zeitgeschichtliche - Differen- zen sichtbar. Anhand vergleichbarer Themenstellun- gen wird die Frage nach dem Stellenwert der Ausbil- dungsprägung neu gestellt. Unter welchen Umstän- den zeichnen sich individuelle Handschriften ab? Wann bleiben Einflüsse des Studiums unverkennbar? Bleiben Bauhaus- und Tessenowstudentinnen Bau- haus- und Tessenow-”Schülerinnen”? Das Kapitel 9 setzt Berufsverläufe und Lebenswege in Relation. Wann und wo werden sie als Architektin- nen erkennbar? Unter welchen Umständen planen und bauen sie nach 1945? Unter welchen Bedingun- gen verlassen sie das Berufsfeld? Wann gelingt eine Rückkehr? Wo und wann also finden sie - innerhalb, am Rande und außerhalb des Berufsfeldes - Aufga- ben und Tätigkeitsgebiete, in denen sie ihre individu- ellen Interessen und Kompetenzen einbringen? Und welche Bedeutung messen Bauhaus- und Tessenow- studentinnen ihren beruflichen Ambitionen bei? Die Schlussfolgerungen in Kapitel 10 resümieren die möglichen Antworten auf die wichtigsten Fragestel- lungen. Erkennbarer Forschungsbedarf wird umris- sen. Es gibt mehrere Forschungsgebiete unterschied- licher Disziplinen, zu denen diese Arbeit neue Aspek- te beitragen möchte. 16 Was diese Untersuchung möchte Zu den Zielen dieser Arbeit Diese Arbeit möchte einen ergänzenden Beitrag zur Bildungsgeschichte von Frauen im Deutschland der Weimarer Republik leisten und dabei Architekturstu- dentinnen als spezielle Gruppe innerhalb der Studen- tinnengeneration der Weimarer Republik sichtbar ma- chen. Im Rahmen dieser Arbeit wird ein Profil der zwischen 1919 und 1937/1939 studierenden Generation von Architekturstudentinnen erstellt, das - zugespitzt auf Tessenow- und Bauhausstudentinnen - Aussagen über fachspezifische Besonderheiten erlaubt. Anhand des Vergleichs von Studiendauer und Stu- dienerfolgen wird das unterschiedliche Qualifikations- potential beider Schulen für Architekturstudentinnen sichtbar. Vergleichend werden Unterschiede wie Gemeinsam- keiten im Umgang mit architekturinteressierten Stu- dentinnen analysiert. Hierbei kann der Einfluss for- meller wie informeller Institutionspolitiken auf den Kompetenzerwerb von Studentinnen bestimmt wer- den. Daneben leistet diese Arbeit auf der diskursiven Ebe- ne einen Beitrag zur Geschichte der Architekturaus- bildung anhand eines ideengeschichtlich exemplari- schen Ausschnitts: der Debatte um die Modernisie- rung der Architekturausbildung. Welche Rolle spielt diese ideengeschichtliche Dimension bei der Wahl der Ausbildungsrichtung? Weshalb interessierten sich diese architekturinteressierten Studentinnen für das Bauhaus oder das Seminar Tessenow? Was gab den Ausschlag für die Immatrikulation? Diese Arbeit möchte anhand einer ausgewählten Ge- neration von Architektinnen einen Beitrag zur Profes- sionalisierungsgeschichte von Frauen in freien Beru- fen leisten. Angesichts des Fehlens jeder verlässlichen quantitati- ven Basis - Zahlen zur geschlechtsspezifischen Parti- zipation im Berufsfeld Architektur, zu Wettbewerbs- teilnahmen, Aufgabenfeldern oder Gehaltsklassen lie- gen nicht vor und sind bestenfalls annähernd zu re- konstruieren - sind wir retrospektiv auf ein nahezu ausschließlich qualitatives Vorgehen angewiesen. Um diesen Aspekt der Professionsgeschichte von Frauen beschreiben zu können, wurde der Zugang von Frauen zur Profession über die Technischen Hochschulen einleitend umrissen. Die insgesamt weit vielfältigeren Zugänge zum ArchitektInnenberuf - wie bspw. über Handwerksausbildungen und Baugewer- keschulen - stellten für Frauen aufgrund restriktiver Standesregeln der Handwerkskammern in Deutsch- land nur in Ausnahmefällen eine Alternative dar. Die Öffnung der Technischen Hochschulen für Frauen im ersten Jahrzehnt des 20.Jahrhunderts eröffnete Frau- en de facto die Aussicht, durch akademische Status- vorteile einen Zugang zu einem bis dato exklusiv männlichen Berufsbereich zu finden. Zeitgleich mit der Ausdifferenzierung des Berufsbildes erwarben Frauen zunehmend das Abitur und immatrikulierten sich an Technischen Hochschulen.103 Wird beim Blick auf die Architekturausbildung häufig die Frage nach deren Praxisrelevanz gestellt, so bleibt in aller Regel die Frage ausgeblendet, wie die- ses Studium Studentinnen ausbildet. Die akademische Architekturausbildung als Schnitt- stelle zwischen Berufswunsch und Berufseinstieg re- kurriert bei den sog. handlungswissenschaftlichen Fächern weit stärker auf die Berufspraxis als dies bei den Natur- oder den Geisteswissenschaften der Fall ist. Da sich in den Fächern Jura und (Zahn-)Medizin sowie in den ingenieurwissenschaftlichen Fächern und der Architektur die Studieninhalte - nicht nur, aber dominant - an der Ausübung des korrespondie- renden Berufes als freischaffender Tätigkeit orientie- ren, ist die Einflussnahme der jeweiligen Standesor- ganisationen dieser freien Berufe auf die entspre- chenden Studiengänge traditionell stark. Die Hoch- schulen beziehen ihr Führungspersonal ganz über- wiegend aus dieser Praxis. In Form von Pflichtprak- tika ist diese Praxis wiederum im Studium fest veran- kert. Dass angesichts dieser Verflechtungen die Stan- desorganisationen ihre Mitsprache in der Regel zur Wahrung der Interessen ihrer Mitglieder nutzen, hat Angelika Wetterer dezidiert nachgewiesen. Im Wech- selspiel der Interessen zwischen „autonomen“ Hoch- schulen und „autonomen“ Standesorganisationen wurden - so konstatiert Wetterer für alle freien Berufe - mit der Zulassung von Frauen zum Studium neue Zugangsschwellen zum Berufsfeld durch die Stan- desvertretungen eingeführt. Hatten die Hochschulen den Zugang von Frauen zum Studium in den zehner Jahren noch findungsreich verzögert und damit das Berufsfeld vor dieser neuen „Konkurrenz“ erfolgreich geschützt, so droht den Gegnern des Frauenstudiums mit Beginn der Weima- rer Republik das politische Abseits. Just als die Ex- klusivität des männlichen Berufsstandes nicht mehr durch die Hochschulen garantiert wird und damit ‘auf dem Spiel steht’, formiert sich der Berufsstand der Architekten neu. Im Unterschied zu den Juristen und Medizinern ist die Architektenschaft im Deutschen Reich qua Ausbildung und sozialer Schichtung je- doch weit weniger homogen. Der Kampf um die geis- tige Führung dieses noch nicht einheitlich formierten oder organisierten Berufsstandes wird schon um die Jahrhundertwende anhand der ‘Reform der Gestal- tung’ und der ‘Erneuerung der Baukunst’ geführt. Verbände wie der Bund Deutscher Architekten (BDA) 103 Auch wenn die Betrachtung des Architekturstudiums an Tech- nischen Hochschulen nicht alle theoretisch denkbaren Zugangs- wege zum Berufsfeld Architektur erfasst, so scheint die Betrach- tung dieses Ausbildungsrahmens legitim: Schon ab Mitte der 1910er Jahre suchten potentielle Architektinnen den Zugang zum Berufsfeld ganz überwiegend über Hochschulen. Ziele und methodisches Vorgehen 17 oder der Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin (AIV) üben sich in den ersten Jahren des Jahrhun- derts als Alleinvertreter von Standesinteressen und artikulieren ihre Auffassungen zur Reform der Architektenausbildung. Die Einflussnahme der Standesvertreter des Bauens auf die Architekturstudiengänge in Deutschland ist bisher nicht erforscht. Bis heute werden architektoni- sche Haltungen und ‘Schulen’ in der Architektur an- hand der Protagonisten unterschieden. Berufsständi- sche Interessen werden dabei nur selten thenatisiert und auch geschlechtsspezifische Interessen bleiben in aller Regel tabuisiert. Interessen und Lobbyismus der Berufsverbände spielen jedoch gerade hinsicht- lich des Architekturstudiums von Frauen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Sie werden im Laufe dieser Untersuchung immer wieder diskutiert, da sich an- hand der Architekturstudentinnen der Weimarer Re- publik die Verschränkung von Lehre und Berufsfeld in besonders prägnanter Form aufzeigen lässt. Die Diskurse um Tradition und Moderne verstellen in aller Regel den Blick auf die - seit der Kaiserzeit zu beobachtenden - Schließungen innerhalb des Berufs- feldes. Als Legitimationsdiskurse zur Neuregelung von Führungsansprüchen innerhalb des Berufsstan- des stehen sie - wie zu zeigen sein wird - in einem unmittelbaren Wechselverhältnis zum Geschlechter- diskurs. Und nicht zuletzt möchte diese Arbeit einen Beitrag zur Architekturgeschichtsschreibung des 20. Jahr- hunderts leisten, indem sie bisher unbekannte Bau- ten und Projekte dokumentiert und analysiert. Hierfür werden Projekte und Bauten ideengeschichtlich wie typolo- gisch verglichen. Entwürfe unter Bezug auf unterschiedliche Architek- turschulen beschrieben, deren Einfluss auf das jewei- lige Schaffen erkennbar, aber auch in Frage gestellt. Welche Haltungen werden in den Studienprojekten, welche in der Praxis bzw. unter verschiedenen Zeit- umständen sichtbar? Was war modern, was traditio- nell an dieser Architektur? So bildet der Bezug auf die gewählte Art der Archi- tekturausbildung im Vergleich der Tessenow- und Bauhausstudentinnen die dominante Bezugsebene dieser Untersuchung, der verschiedene Exkurse an- gegliedert werden. Wie aber lässt sich anhand unvoll- ständiger Quellen der Stellenwert der Ausbildung adäquat erfassen? Werden bisher nahezu unbekann- te Architektinnen - als Absolventinnen bekannter ‘Schulen’ - bei einer baugeschichtlichen Betrachtung nicht zwangsläufig zu Epigoninnen? Im Vergleich der Arbeiten werden - nicht nur - Ausbil- dungsprägungen erkennbar. Durch den Vergleich mit Bauten und Projekten nach der Zeit des Studiums wird die Vielfältigkeit einzelner Architektinnen, ihres des Schaffens und damit dieser Generation zumin- dest erahnbar. Hier finden wir auch überraschende Beiträge und Konzepte, die es endlich ermöglichen, Eigenheiten und persönliche Handschriften mancher Architektinnen auch als solche wahrzunehmen. Mit dieser Art ‘Näherungsverfahren’, dem Überlagern unterschiedlicher Betrachtungen können die Archi- tekturstudentinnen dieser Generation mit den Dimen- sionen ihrer Arbeit und der Bandbreite ihrer Lebens- wege ins Blickfeld rücken. Deutlich wird jedoch auch: Jenseits geschichtsblinder Fragestellungen hat die bauhistorische Erforschung der Beiträge von Archi- tektinnen gerade erst begonnen.104 18 Was diese Untersuchung möchte 104 Als ‘geschichtsblinde’ Fragestellungen bezeichne ich jene, die qua wissenschaftlichem Forschungsstand bisher lediglich spe- kulativ erörtert werden können. Die populärste dieser Fragestel- lungen lautet: „Bauen Frauen anders?“ Derlei Fragen zielen nicht auf Bauten oder Projekte sondern Geschlecht als katego- riales Differenzierungsmerkmal. 2 Chancen und Möglichkeiten: Frauen in der Architektur seit der Jahrhundertwende Das Erscheinen von Frauen im Berufsfeld Architektur (19) - Die Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“ (22) - Häuser der Frau oder Häuser für Frauen? (26) - Architektinnen der Kaiserzeit - Architekturstudentinnen der Kai- serzeit (29) Das Erscheinen von Frauen im Berufsfeld Architektur Im Deutschen Reich traten Frauen als professionelle Gestalterinnen um die Wende vom 19. zum 20. Jahr- hundert in Erscheinung. Bereits vor der Jahrhundert- wende entwarf Gertrud Kleinhempel (geb. 1875) Mö- bel und Inneneinrichtungen, die bspw. 1899 auf der „Volksthümlichen Ausstellung für Haus und Herd“ in Dresden ausgestellt wurden. Ihre ab 1902 mit Mar- garete Junge (geb. 1874) entwickelten Möbel gehör- ten zum Sortiment der ‘Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst’ und wurden auf Ausstellungen im In- und Ausland, darunter bei der Weltausstellung in St. Louis 1904 gezeigt.1 Auch Marie von Geldern-Eg- mont (geb. 1875) ist bereits ab 1902 Mitarbeiterin der Dresdner Werkstätten. Auch sie entwirft - nicht aus- schließlich, aber regelmäßig - Möbel und Raumaus- stattungen. Charlotte Krause (geb. 1879), beteiligt sich erstmalig 1903 mit dem Entwurf eines „Arbeiter- schlafzimmers” an einer öffentlichen Ausstellung.2 In Berlin entwirft Marie Kirschner (geb. 1852) Gläser, Keramiken, Teppiche und Möbel, die sie im eigenen Salon, Ende der 1890er Jahre in öffentlichen Ausstel- lungen präsentiert.3 Als 1898 der ‘Kunstsalon Keller & Reiner’ in der Potsdamer Straße in Berlin von Alfred Messel umgebaut wird, erhält sie ihren ersten Auftrag für eine öffentlich zugängliche Innenraumgestaltung: Sie zeichnet für den „Salle de repos” verantwortlich.4 In diesem Rahmen stellt sie 1900 als Mitglied der ‘Vereinigung für dekorative Kunst’ Malerei und Mö- bel aus.5 Bei der Weltausstellung in St. Louis wird ihr - im Auftrag des Deutschen Reiches entworfener - „Damensalon” mit einer Silber-Medaille ausgezeich- net. 1905 ist sie mit einem Ausstellungsstand für die Radlitzer Dampfmolkerei auf der Internationalen Aus- stellung in Lüttich vertreten, für eine weitere Innen- ausstattung erhält sie dort eine Gold-Medaille. Fia Wille (geb. 1868) führt mit ihrem Mann Rudolf ab 1900 in der Kurfürstenstraße in Berlin-Tiergarten ein Atelier, bevor die „Fia und Rudolf Wille GmbH” 1911 in der Lennéstraße ein Geschäft für Kunstgewerbe und Innendekoration eröffnet.6 Sie präsentieren ihre Entwürfe regelmäßig auf Ausstellungen. In St. Louis zeigen sie 1904 bspw. einen „Nußbaumsalon”. In den zehner Jahren werden ihre praktischen und neuarti- gen Beleuchtungs- und Heizkörper bekannt und ge- schätzt. Gertrud Roeser (geb. 1881) arbeitet bis um 1906 in den ‘Saalecker Werkstätten’, anschließend entwirft und vertreibt sie Möbel nach eigenen Ent- würfen im Raum Magdeburg. Margarethe von Brauchitsch (geb. 1865) hatte 1898 die ‘Werkstätten für Kunst im Handwerk’ in München mitbegründet, ihre Einrichtungsentwürfe werden in der Fachpresse publiziert.7 Ebenfalls mit Atelier in München tritt Else Wenz-Vietor (geb. 1882) als Ent- werferin von Inneneinrichtungen auf.8 In Berlin finden Interieurentwürfe von Marie Tscheuschner-Cucuel (geb. 1867), wie ihr in „japanisch-schottisch-neuwie- nerischer Modernität ausgestattetes“ Teezimmer für Frauen in der Architektur seit der Jahrhundertwende 19 1 Renda, Gerhard (Hg.): Gertrud Kleinhempel 1875-1948, Biele- feld, 1998, hier S.16. Zum Leben und Werk Gertrud Kleinhem- pels siehe auch Arnold, Peter: Vom Sofakissen zum Städtebau, 1993, S. 421. - Kurzbiografie Junge, ibid., S.419-420, Kurzbio- grafie Marie von Geldern-Egmont, ibid., S.414. 2 Vgl. Kurzbiografie Krause in Arnold, 1993, S.421 3 Marie Kirschner hatte 1887 gemeinsam mit ihrer Schwester Lola - der Schriftstellerin Ossip Schubin - einen Salon gegründet. 4 Neben Kirschner waren u.a. beteiligt: Henry van de Velde (Halle für Kunstgewerbe), Richard Riemerschmid (Salon), Paul Schult- ze-Naumburg (Ausstellungsraum), vgl. Berlin und seine Bauten, Bd.VIII A, 1978, S.222 5 „Als Möbelbauerin entwickelt sie (M.K.) ein bei der Grazie ihrer Entwürfe verblüffendes Gefühl für konstruktive Zweckformen.“ aus: Becker, Marie: Berliner Künstlerinnen bei Keller und Reiner, in: Die Frau, Januar 1900, S. 243-244 6 N.: Die Kunstgewerbler im Kaufmännischen Betriebe, in: Bau- welt, 1.Jg., 1910, H.25 7 Vgl. bspw. Innendekoration, 15.Jg., 1905, S.256 8 Ein Tee-Zimmer von ihr ist in Alexander Kochs Handbuch neu- zeitlicher Wohnungskultur, Das vornehm-bürgerliche Heim, zu sehen. Darmstadt, 1922, S.37 [1.Aufl. 1912] das Hohenzollern-Kunstgewerbehaus in der König- grätzer Straße öffentlich Beachtung.9 Margarete Vor- berg (geb. 1867) betreibt in Neubabelsberg bei Berlin ein ‘Atelier für Porträt- und Raumkunst’ und entwirft 1910 den überwiegenden Teil der Inneneinrichtung des von Anna von Gierke initiierten Charlottenburger Jugendheims. Dies wird in der Frauenpresse und in der Bauwelt von Max Osborn gewürdigt.10 Ebenfalls um 1910 tritt Ilse Dernburg (geb. 1880) mit Inneneinrichtungen in der Fachpresse in Erscheinung. Sie betreibt ihr ‘Atelier für Innenarchitektur’ in Berlin- Tiergarten, entwirft u.a. die Interieurs für den Damp- fer „Imperator”.11 Im benachbarten Schöneberg eröff- net Lotte Klopsch spätestens 1910 ein Atelier. Auch sie findet unter eigenem Namen in der Fachpresse Erwähnung.12 Nach der Heirat mit dem Bildhauer Gerhard Schmidt-Düppel führt sie ab 1913 ein ‘Ate- lier für Innenarchitektur’ in Berlin-Charlottenburg.13 Else Oppler-Legband (geb. 1875) gewinnt 1902 mit einem Interieur auf der Weltausstellung in Turin eine Silberne Medaille. Sie führt ab 1905 in der Nollen- dorfstr.13/14 in Berlin-Schöneberg ein eigenes ‘Schüleratelier’ und bildet ab 1911 an der neugegrün- deten ‘höheren Fachschule für Dekorationskunst’ in Berlin aus.14 1911 eröffnet Lilly Reich (geb. 1885) in Berlin ein ‘Atelier für Innenraumgestaltung, Dekorati- onskunst und Mode’. Schon etwas früher dürfte Ag- nes Rosenhain ihr ‘Atelier für Wohnungseinrichtun- gen’ in Berlin-Charlottenburg eingerichtet haben. Ebenfalls ab Beginn der zehner Jahre entwirft Ger- trud Claire Holstein nützliche und formschöne Möbel und Inneneinrichtungen. Sie führt ihr Atelier in Schö- neberg unter dem Namen „Utilis“. Elisabeth von Baczko (geb. 1864) ist bereits seit 1905 in Bremen selbständig tätig. Auf der Weltausstellung in Brüssel 1910 wird ihr in der Abteilung Raumkunst und Kunst- gewerbe gezeigtes „Kinderschlafzimmer” ausge- zeichnet.15 Hedwig Brill hatte zusammen mit ihrem Mann 1906 beim Wettbewerb der ‘Woche’ für Sommer- und Fe- rienhäuser einen Preis gewonnen. Der Entwurf wird als Modell in einer Ausstellung 1907 in Berlin gezeigt und als ausgeführtes Landhaus am Wandlitzsee 1911 auch in farbigen Fotografien publiziert. 1915 erscheint in der ‘Welt der Frau’ eine „Plauderei mit Fia Wille“ über „Das eigene Haus“, ein von Fia und Rudolf Wille entworfenes und am Wannsee er- richtetes Landhaus.16 Diese Gestalterinnen betätigen sich ebenso selbst- verständlich wie zahlreiche männliche Architekten und Kunstgewerbler in den unterschiedlichsten Berei- chen des Berufes, entwerfen Einzelmöbel, Interieurs und Architektur. Zu Beginn des Jahrhunderts sind die Übergänge zwischen kunstgewerblichen, räumlichen und architektonischen Tätigkeitsbereichen fließend. Das weite Feld der Gestaltung bietet Raum für unter- schiedlichste Kreativitäten und Konstellationen. Ar- chitekten mit akademischer Ausbildung sind inner- halb des Berufsfeldes noch in der Minderheit. Nur wenige interessierte und engagierte Frauen verfügen jedoch über Voraussetzungen und Rahmenbedingun- gen, um sich in diesem Feld zu betätigen.17 Formale Hindernisse und Barrieren verhindern bis 1908 ein Frauenstudium in Preußen. Gesetze, die (unverheira- teten) Frauen ein profesionelles Arbeiten innerhalb dieses weiten Berufsfeldes verböten, existieren am Beginn des 20. Jahrhunderts nicht. Allerdings können sie dabei nicht mit der ungeteilten Zustimmung ihrer Kollegen rechnen. Bei der Gründung von Werkstätten 9 Bspw. in der Bauwelt, 1.Jg. ,1910, H.25 10 Osborn, Max: Das Charlottenburger Jugendheim, in: Bauwelt, 11.Jg., 1911, H.9, S.17-20 - (Architekt Hermann Dernburg). An der Inneneinrichtung war neben Vorberg Lilly Reich (geb. 1885) beteiligt. vgl. auch Stropp, Emma: Im Charlottenburger Jugend- heim, in: Illustrierte Frauenzeitung, 28.Jg., 1911, H.11 11 Zum ‘Imperator’ vgl. Koch, Alexander: Empfangs- und Wohn- räume, Darmstadt, 1911, S.34 - Einen Schlafzimmerentwurf Ilse Dernburgs zeigt Alexander Koch im Handbuch neuzeitlicher Wohnungskultur, Darmstadt, 1919, 3[a] 12 So würdigt Alexander Koch bspw. 1912 Möbelentwürfe von ihr, vgl. Koch, Alexander: Herrenzimmer, Darmstadt, 1912, S.83: Herren-Arbeitszimmer, Abb. S.84: Arbeitszimmer des Sohnes, S.138 Arbeitszimmer; oder auch derss.: Schlafzimmer, Darm- stadt, o.J., S.88, außerdem Innendekoration, 30.Jg., 1920, S.373 - Die Daten von Lotte Schmidt-Klopsch sind unbekannt, sie dürfte um 1885 geboren sein. 13 1915 betreiben sie dieses Atelier in der Eosanderstraße 31 in Charlottenburg. Vgl. Adressverzeichnisse der Stadt Berlin. 14 Über ihre Erfahrungen des ersten Schuljahres berichtet sie im Jahrbuch des Deutschen Werkbundes, 1912, S.105-110. Die höhere Fachschule für Dekorationskunst wurde 1910 vom DWB, dem Verband für das kaufmännische Unterrichtswesen und dem Verband Berliner Spezialgeschäfte gegründet. Die Ausbildung der Dekorateure war auf zwei Monate begrenzt. 15 Dieser Entwurf wurde mit einer bronzenen Medaille ausgezeich- net. - Stoffers, Gottfried: Deutschland in Brüssel, Köln, 1910, S.18; Amtlicher Katalog, Brüssel 1910, Deutsches Reich, S.35. vgl. dazu auch Droste, 1989, S.185. Ab 1911 führt von Baczko in Bremen eine ‘Geschäftsstelle für Innenarchitektur’. 16 „Das eigene Haus, Plauderei mit Fia Wille“ in: Die Welt der Frau, Nr.4, 1915, S.52 - Der Bau zeigt deutliche Einflüsse von Her- mann Muthesius` Das englische Haus (1905). 17 Zumal bspw. jegliche Berufstätigkeit von Frauen an das Einver- ständnis des Gatten gebunden war. 20 Chancen und Möglichkeiten Haus “Auf´m Berg” in Wandlitzsee, Hedwig und Eduard Brill, 1910Haus im süddeutschen Gebirge, Hedwig und Eduard Brill, 1906 Haus am Wannsee, Fia und Rudolf Wille, 1912 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar und Handwerksvereinigungen spielen auch Entwerfe- rinnen aktive Rollen. Gestaltung wird um die Jahrhundertwende „vom So- fakissen bis zum Städtebau“ neu verhandelt.18 Insbe- sondere in bildungsbürgerlichen Schichten werden Gestaltungsfragen alsbald als umfassende Chance zur Modernisierung einer sich im Auf- und Umbruch befindlichen Gesellschaft - wie auch der deutschen Industrie - erkannt. Die Diskurse konzentrieren sich dementsprechend zunächst auf Gestaltungs-, nicht auf Geschlechterfragen. Die zentrale Rolle im Diskurs um die Erneuerung der Gestaltung spielt der 1907 gegründete Deutsche Werkbund (DWB). Die zuvor genannten Gestalterinnen schließen sich fast ausnahmslos dem Werkbund an.19 Dies zeigt, dass sie sich nicht nur als individuelle Gestalterinnen, sondern auch als Teil einer gestalterischen Reform- bewegung mit gesellschaftlichem Modernisierungs- anspruch verstanden. So äußert bspw. Fia Wille 1912 ganz im Duktus der Grundsätze des DWB: „Kunstge- werbe bedeutet als erstes die Schaffung der guten Grundform, erwachsen aus der Technik und den Anforderungen des Gebrauchs.“ 20 Attraktiv mag eine solche Parteinahme auch aufgrund der Aufwertung traditioneller Tätigkeitsbereiche und dem damit ver- bundenen Professionalisierungsschub gewesen sein.21 Aber - und darauf hat Magdalena Droste hin- gewiesen22 - der Werkbund verstand sich keineswegs als geschlechteregalitäre Vereinigung. Seine Satzung schloss nicht die Mitgliedschaft, jedoch die aktive Mitwirkung von Frauen faktisch aus.23 Denn per Sat- zung wurde festgelegt, dass alle Funktionen, die nicht bereits durch BGB (§26) ausschließlich Män- nern vorbehalten waren - wie bspw. alle Funktionen im Vorstand -, ebenfalls nur durch Männer besetzt werden konnten.24 Hierdurch war die Partizipation von Gestalterinnen auf passive Mitgliedschaft und kon- trollierte Patronagen begrenzt. Frauen waren willkom- men als Befürworterinnen, Konsumentinnen und Heimgestalterinnen.25 Für Architektur galten sie expli- zit als „ungeeignet“. Damit verwies der DWB Frauen ebenso strikt auf begrenzte Gestaltungsbereiche - „Erzeugnisse weiblichen Kunstfleißes” (Carl Re- horst) - wie er ihre standespolitischen Gestaltungs- möglichkeiten beschnitt. Zeitgleich mit den Erneuerungsbestrebungen in der Gestaltung blüht ein Diskurs über das Wesen der Ge- schlechter auf, der als Reaktion auf einen sichtbareen Emanzipationsschub begriffen werden kann. Nach jahrzehntelangen Bemühungen frauenbewegter Initia- tiven um die Mädchenbildung waren um die Wende zum 20. Jahrhundert in allen deutschen Großstädten höhere Mädchenschulen eingerichtet worden. Mit der Öffnung der Universitäten war auch im Deutschen Reich - nach langen öffentlichen Debatten - endlich die Zulassung von Frauen zu akademischer Bildung erstritten worden.26 Auch wenn die Akademien - als die Hüter der Hohen Kunst - und die Technischen Hochschulen Studentinnen den Zugang zu ihrem ex- klusiv männlichen Terrain etwas länger verweigerten, die Anfragen von Frauen um Zulassung zum Studium häuften sich auch hier unübersehbar. In den zehner Jahren war die öffentlich geführte De- batte um die Zulassung von Frauen zum Studium von Seiten der Frauenbewegung mit der Grundsatzfrage gesellschaftlicher Wandelbarkeit verknüpft worden. Angesichts der vielfältigen Restriktionen für bürgerli- che Frauen im 19. Jahrhundert zielte die Frauenbe- wegung auf Befreiung von diesen Rollenmustern, Erweiterung der Aktionsradien und den Zugang zu politischen wie gesellschaftlichen Handlungsfeldern.27 Die Öffnung der Hochschulen für alle Geschlechter - das ‘Frauenstudium’ - zeigt sich zumindest mittelbar mit den beiden zentralen Diskursen zur Neugestal- tung einer monarchistisch geprägten Gesellschaft verquickt: Mit den Reformen der akademischen Aus- bildung wie mit den Reformbestrebungen in Kunst und Gestaltung. Die Erneuerer der angewandten Künste ziehen die Aufmerksamkeit auf sich, ringen - in Auseinandersetzung mit den freien Künstlern - um fachliche Anerkennung wie gesellschaftliche Auf- merksamkeit. Auch die Ingenieure trachten nach ge- sellschaftlicher Etablierung. Durch die Verwissen- schaftlichung ihrer Arbeit, die Gründung von Poly- technika und technischen Hochschulen seit den 1860er Jahren konnten sie ihren gesellschaftlichen Status verbessern und um 1900 die formale Gleich- stellung mit den Universitäten erreichen. Die zunehmend sichtbar werdenden Emanzipations- etappen der Frauenbewegung konkurrieren also mit Geltungsansprüchen und Etablierungswünschen ver- schiedener Emanzipationsströmungen, die eines ge- mein haben: Sie sind nahezu ausnahmslos exklusiv männlich oder - soweit sie Frauen aufnehmen - von männlichen Protagonisten dominiert. Zum Beginn des Stühlerückens in einer vordemokratischen Ge- sellschaft ist kein Stuhl frei. Die Emanzipationserfolge der Damen zielen - im Unterschied zu den männli- chen Protagonisten - nicht auf einen bestimmten, sondern anteilig auf alle möglichen Plätze, bedrohen somit männliche Privilegien aller Fraktionen und Frik- tionen. Aus der Beseitigung juristisch zementierter Geschlechterhierarchien erwachsen allen Herren ab- sehbare Nachteile. So gerne bürgerliche Väter die Zukunft ihrer Töchter gesichert sehen wollen, deren abnehmende Abhängigkeit ficht ihre Stellung als Fa- milienoberhäupter an. So liberal wie wünschenswert eine statusadäquate Berufsausbildung für unverheira- tete Frauen scheinen mag, eine akademische Ausbil- dung vieler Frauen vergrößert das Angebot kompe- 18 So der Titel von Peter Arnolds Darstellung der Deutschen Werk- stätten für Handwerkskunst in Hellerau b. Dresden, vgl. FN 1 19 Gertrud Kleinhempel wurde bspw. 1908 Mitglied, aber auch Ale- xe Altenkirch, Elisabeth von Baczko, Else Brauneis, Hedwig Brill, Gertrud Cläre Holstein, Hertha Jeß, Margarete Knüppelholz- Roeser, Gertrud Nau-Röser, Elisabeth von Stephani-Hahn, Mar- garete Vorberg und Else Wenz-Vietor zählten nachweislich zu den Mitgliedern des DWB. Else Oppler-Legband, Margarete Junge und Margarethe von Brauchitsch gehörten bereits zu den Gründungsmitgliedern. Lilly Reich - seit 1912 Mitglied - wird im Herbst 1920 als erste Frau in den Vorstand des DWB berufen. 20 Fia Wille: Wie erzielen wir Qualitätsarbeit im Kunstgewerbe? Vortrag beim Deutschen Frauenkongress Berlin 27.2.-2.3.1912, abgedruckt in Bäumer, Gertrud (Hg.): Deutscher Frauenkongreß, Berlin, 1912, S.113 21 Plakolm-Forsthuber beschreibt die Gemengelage möglicher In- teressen für die Künstlerinnen der Wiener Secession als „Mög- lichkeit der Transformierung der angewandten zur autonomen Kunst“, der Aussicht auf Marktanteile sowie der Verbindung „in- dustrieskeptischer Motive mit den neuesten, industriekritischen und sozialutopischen Tendenzen“. Plakolm-Forsthuber, 1994, S.88 22 Droste, Magdalena: Lilly Reich: Her Career As An Artist in: McQuaid, Mathilda: Lilly Reich, 1996, S.47-59, insbes. Women and the German Werkbund , S.48-51 23 Über die Aufnahme, die auch selbständig beantragt werden konnte, entschied ausschließlich der zwölfköpfige Vorstand. 24 So setzte sich bspw. der ‘Ausschuss’ - lt. Satzung § 13 - bis zu Dreivierteln aus ‘Vertrauensmännern’ zusammen. Diese - auch als ‘Ortsvertrauensleute’ bezeichneten - Personen wurden nicht etwa durch die ortsansässigen Mitglieder gewählt, repräsentier- ten also nicht deren Vertrauen, sondern genossen, wie in § 12 festgelegt, das Vertrauen des Vorstandes. Satzung des Deut- schen Werkbundes vom 12.7.1908, in: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes, Jena, 1912, unpag. 25 Diese Rollen galten als vereinbar mit ‘weiblichen Anlagen und Tugenden’. 26 Innerhalb Europas wurden Frauen zuerst in Finnland zum Archi- tekturstudium zugelassen: Ab 1887 studierte dort bspw. Signe Hornborg (1862-1916). Sie diplomierte bereits 1890 am Poly- technikum in Helsinki. Vgl. hierzu Suominen-Kokkonen, 1992 27 Der Begriff ‘erste Frauenbewegung’ wird hier - in Ermangelung eines besseren - verwendet. Dabei soll nicht unterschlagen wer- den, dass zur Kennzeichnung unterscheidbarer Positionen in- nerhalb des weiten politischen Spektrums weit differenziertere Formulierungen gewählt werden müssten. Im folgenden wird insbesondere die Rolle der Protagonistinnen der bürgerlichen Frauenbewegung im Hinblick auf die Professionalisierung von Architektinnen untersucht. Zum politischen Spektrum der ersten Frauenbewegung vgl. Wobbe, Theresa: Das Wagnis der Öffent- lichkeit, Jüdinnen in der Deutschen Frauenbewegung vor 1933, in: Jansen, Mechthild / Ingeborg Nordmann (Hg.): Lektüren und Brüche, Wiesbaden, 1993, S.149-172 Frauen in der Architektur seit der Jahrhundertwende 21 tenter Arbeitskräfte und irritiert damit das bildungs- bürgerliche System sozialen Aufstiegs mittelloser Männer erheblich. Und so dringlich die Erneuerer der Gestaltung verstaubte Interieurs und überladene Bau- formen auch bereinigt sehen wollen, die Beseitigung des alltäglichen Staubes auf modernisierten Interieurs ist ihre Sache nicht. Noch weniger hegen sie die Ab- sicht, die aus der Notwendigkeit der Reformen resul- tierenden Aufträge mit Kolleginnen zu teilen. Einzelne Kunstgewerblerinnen hatten bereits um die Jahrhundertwende - quasi inter pares - mit ihren Ent- würfen bei den Weltausstellungen in St.Louis und Brüssel Medaillen gewonnen. Mit ihren Möbelentwür- fen und Inneneinrichtungen waren sie bei Gewerbe- schauen präsent.28 Damit waren zumindest einzelne Frauen sichtbar aus traditionellen Rollen ausgebro- chen, hatten ihre Aktivitäten professionalisiert, ihre Aktionsradien erweitert und öffentlich Anerkennung gefunden. Dabei scheint das Augenmerk dieser Ge- stalterinnen auf Interieurs und somit weiterhin auf das Innere des Hauses konzentriert zu bleiben. 1908 eröffnet Emilie Winkelmann (geb. 1875) in Berlin ein eigenes Architekturbüro und beginnt zu bauen.29 Ihre ersten beiden in Berlin realisierten Landhäuser werden 1909 in der Gesellschaftspresse abgebildet, 1910 erstmalig in der Fachpresse publiziert.30 Sie übt den Beruf der Architektin aus, baut Häuser und ist offensichtlich in der Lage, sich in der Architektur ebenso selbständig wie professionell zu bewegen. Ein gängiger Zirkelschluss des geschlechterhierarchi- sierenden Legitimationsdiskurses - das Klischee, dass Frauen für die männliche Architektur zu weiblich resp. die Baukunst für das schwache Geschlecht zu männlich sei - wird damit öffentlich obsolet. Die Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“, Berlin 1912 Die Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“, die 1912 in den Berliner Zoohallen auf Betreiben Hedwig Heyls vom Deutschen Lyzeum-Klub mit breiter Unter- stützung aus der Industrie ausgerichtet wird31, rückt erstmalig geistig und künstlerisch schaffende Frauen explizit ins öffentliche Rampenlicht: „Die Ausstellung soll zeigen, wie das erweiterte Arbeits- und Schaf- fensgebiet, das die sozialen Umwälzungen unserer Zeit der Frau eröffnet und aufgenötigt haben, neue Kräfte in ihr auslösten und ihr auch ihre Verpflichtun- gen gegenüber dem öffentlichen Leben erst voll zum Bewußtsein brachten. Sie möchte beweisen, wie das Hineinwachsen der Frau in diese neuen Aufgaben auch das Gesamtleben vertieft und bereichert hat.“ 32 Die Ausstellung 1912 markiert einen Wendepunkt in der öffentlichen Debatte. Durch die publikumswirksa- me Repräsentation erwerbstätiger Frauen - darunter professionelle Gestalterinnen - rücken Frauen in tra- ditionell männlichen Berufsfeldern auch als berufliche Konkurrenz ins männliche Blickfeld des Gesamtle- bens. „Der Deutsche Lyzeum-Klub, der einen Mittelpunkt für die mannigfaltigen Bestrebungen der heutigen Frauenwelt bildet, will durch eine Ausstellung diesen Bestrebungen einen sichtbaren Ausdruck geben.” 33 Angesichts der Mehrheit engagierter, bürgerlicher Frauen, die ihren Wirkungskreis zunächst in der Fa- milie, darüber hinaus in ehrenamtlicher Arbeit sahen, wurde auch für deren - reproduktive wie karitative - Tätigkeiten ein ebenso öffentlicher wie repräsentati- ver Rahmen gefunden. Daneben erfuhren individuelle fachliche Leistungen erwerbstätiger Ausstellerinnen eine Würdigung. Angesichts der Disparität der Tätig- keitsfelder engagierter Frauen wurde der kleinste ge- meinsame Nenner, das „Frauen-Schaffen“ betont. So gerät - eröffnet durch eine Festkantate34 - „Die Frau in Haus und Beruf“ unter dem Patronat der Kaiserin zu einer Leistungsschau ‘der Frauen’.35 Selbst lange ohne jegliche öffentliche Ausstellungsmöglichkeit und qua Geschlecht noch immer von allen politischen Ämtern ausgeschlossen, ist den Initiatorinnen be- wusst, dass eine Ausstellung von Frauenarbeiten dem Vorwurf geschlechtsexklusiver Selektion ausge- setzt ist. Hedwig Heyl betont in ihrer Eröffnungsrede am 24. Februar einleitend: „Unsere Ausstellung ist ein Zeuge, wie heute das Glücksgefühl der erwachenden eigenen Kraft die Frauen vor allem erfüllt und das Su- chen nach dem eigenen Weg bestimmt. Keineswegs aber will sie sagen, dass sich die Frauen ausschließ- lich auf sich gestellt und isoliert von dem gemeinsa- men Streben der Geschlechter fühlen. Nimmer werd- en sie vergessen, wieviel Dank sie der Kulturarbeit der Männer schulden.“ 36 28 Darunter den Ausstellungen „Haus und Hausrat“, Dresden 1906, „Haus und Heim“, München 1908. 29 Vgl. Kurzbiografie Winkelmann im Anhang. Sie hatte zwischen 1901 und 1905 an der TH Hannover Architektur studiert, war als Frau jedoch nicht zum Diplom zugelassen worden. 30 Vgl. dazu Stratigakos, 1999 31 Der Deutsche Lyzeumclub war 1905 als dritter Frauenclub in Berlin gegründet worden. Er bildete die Deutsche Sektion der International Association of Lyzeum-Clubs und sprach insbe- sondere „geistig und künstlerisch schaffende Frauen“ an. vgl. Sander, Sabine: „Nur für geladene Gäste” Der deutsche Lyze- um-Club, in: Bezirksamt Schöneberg / Kunstamt Schöneberg (Hg.): „Ich bin meine eigene Frauenbewegung“, Berlin, 1991, S.52-57 32 Zit. nach Heyl, Hedwig: Aus meinem Leben, Berlin, 1925, S.115. 33 Ibid. 34 Komposition Elisabeth Kuyper, Text Margarete Bruch 35 Wie sehr diese Ausstellung als „Leistungsschau des weiblichen Geschlechts“ begriffen wurde, wird bspw. an den Reaktionen eines Karl Kraus deutlich. Vgl. dazu Berger, 1982, S.138 f. 36 Zit. nach Heyl, 1925, S.131 22 Chancen und Möglichkeiten „Haus Höcker”, Berlin-Westend, 1908, Emilie Winkelmann, (1909) „Haus Preßber”, Berlin-Grunewald, 1909, Emilie Winkelmann (1997) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Der Katalog sowie die Pressereaktionen geben ver- einzelt Hinweise auf die Ausstellungsobjekte.37 In Hal- le I war im Erdgeschoss eine „bürgerliche Wohnung” - von Lotte Klopsch38 - zu sehen (Nr. 25). Daneben war die Fachabteilung „Die große Wohnung“ aufge- baut (Nrn. 2-6): Die Einrichtungen der einzelnen Räu- me hier waren ausschließlich von Kunstgewerblerin- nen entworfen worden. So gestaltete Fia Wille die „Klubempfangshalle” und das angrenzende „Esszim- mer” (Nrn. 1 und 5), Marie Tscheuschner-Cucuel das „Musikzimmer” (Nr. 4). Elisabeth von Baczko zeich- nete für das „Redaktionszimmer” (Nr. 2), Else Oppler- Legband für die „Bibliothek” (Nr. 3), Elisabeth von Stephani-Hahn für das „Schlafzimmer” (Nr. 6), Ilse Dernburg für das „Badezimmer” (Nr. 7) und Gertrud Cläre Holstein für ein „Beschäftigungszimmer für die Jugend” verantwortlich (Nr. 8).39 Unweit davon wurde nach Entwurf von Lilly Reich ei- ne „Mustereinrichtung für eine Arbeiterwohnung” ge- zeigt (Nr. 42), deren gesamte Grundfläche in jeweils einen der bürgerlichen Einrichtungsräume gepasst hätte. Die Ausstellung zeigte also in unmittelbarer Nachbarschaft Luxus- und Massenbedarf. Im Ober- geschoss wurden im Rahmen von „Die Frau im Be- ruf“ auch die Leistungen der „Frau in der Architektur“ präsentiert. Hier stellten die kurz zuvor diplomierten Architektinnen Elisabeth von Knobelsdorff (geb. 1877) und Therese Mogger (geb. 1875) neben ihren Diplom- arbeiten jeweils erste freiberufliche Entwürfe aus.40 Den Löwenanteil dieser Abteilung bestritt jedoch Emilie Winkelmann mit teilweise noch im Bau befind- lichen Projekten. Sie zeigte zahlreiche landwirtschaft- liche Bauten, Wettbewerbsentwürfe - darunter den realisierten „Saalbau in der Blumenstraße” -, aber auch ihre in Berliner Vororten realisierten Landhäuser. Als repräsentativer Überblick und Präsentation der Leistungen selbstbewusster, frauenbewegter Frauen gedacht, soll diese Ausstellung insbesondere die nicht im Erwerbsleben tätigen Besucherinnen auf die Möglichkeiten und Chancen der Berufstätigkeit auf- merksam machen, sie zu eigener Entfaltung anre- gen.41 Diese Zielrichtung verfolgen auch die Vorträge während des zeitgleich veranstalteten Deutschen Frauenkongresses.42 Diese Ausstellung des Lyzeum- Klubs wird entgegen allen Befürchtungen ein großer Erfolg. Erwähnung finden Ausstellung und Vorträge in der Tages-, Unterhaltungs- und Fachpresse. Die Bauwelt nimmt die Ausstellung zum Anlass, Emilie Winkel- mann als „Die Frau als Architektin“ vorzustellen.43 Neben vielen jubelnden Reaktionen druckt die Frau- enpresse auch kritische und ambivalente Äußerun- gen.44 Auf die Mehrheit der Herren wirkt diese Aus- stellung offenbar wie ein Feldzug im Geschlechter- kampf. Trotz vielfacher Erwähnung würdigt kaum eine Rezension die ausgestellten Objekte und Pro- jekte. Geachtet werden der Erfolg, der Arbeitsauf- wand, die ‘Frauenleistung’. „Es ist viel Braves vorhanden“ kommentiert die Ber- liner Architekturwelt. „Zur Genugtuung weniger frau- enfreundlicher Kollegen ist aber festzuhalten, daß wir den Wettbewerb der Frau auf dem Gebiet der Bau- kunst (..) noch keineswegs zu fürchten haben.“ 45 Drei ausstellende Architektinnen, von denen zwei kaum mehr als ihre Diplomarbeiten präsentieren, können faktisch nicht als Konkurrenz gelten. Nicht die Eigen- willigkeit, Modernität oder das ‘Brave’ bedroht die Fachwelt, erschüttert scheint vielmehr ein - offenbar männliches - Selbstverständnis in der Architektur, als die Namen von Gestalterinnen und Architektinnen in der Öffentlichkeit erscheinen. Im Mai 1912 kommentiert Paul Westheim: „Das Kunstgewerbe nahm eine ganze Halle, das heißt: die Hälfte der Ausstellung ein. Wozu noch eine Bilder- schau, eine sogenannte Architekturabteilung und eine Gewerbegruppe (..) kam (..) Selbstverständlich ist in einer so großen Ausstellung viel Minderwertiges und 37 Vergleiche zu Art und Umfang dieser Ausstellung insbesondere Stratigakos, 1999, S. 215ff. 38 Vgl. Katalog: Die Frau in Haus und Beruf, 1912, S.85, Gruppe 6: Die Frau im Haus - Gesamtentwurf des Wohnhauses (!) und der Möbel, Frl. Lotte Klopsch 39 B.P.: Die Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“, Pommer- sche Tagespost, 16.2.1912. Dort erfahren wir, dass das Esszim- mer aus „Polisander mit Einlagen“ gefertigt ist. Hier werden auch die „sehr zweckmäßige[n] Bücherschränke“ Oppler-Leg- bands und der Entwurf Holsteins gewürdigt: „Das prächtige Be- schäftigungszimmer für die Jugend mit sinnreich erdachten Spielschränken und Tischen mit doppelten Platten, deren Bilder und Gerät Instruktion und Spiel einen, und deren oberste Flä- chen gleichzeitig zum Zeichnen wie als Schutzdecke zu benut- zen sind.“ 40 Vgl. Katalog „Die Frau in Haus und Beruf”, Berlin, 1912, S.153. Mogger stellte neben ihrer Diplomarbeit, einem Herrenhaus, Entwürfe für Düsseldorfer Einfamilienhäuser aus, von Knobels- dorff, die mit einem Miethausentwurf 1911 diplomiert hatte, zeigte ihren Entwurf für ein Gemeindehaus in Jakobsdorf, das sie 1915 realisieren kann. 41 Dies stellt nicht nur Hedwig Heyl in ihrer Einleitung heraus, auch zahlreiche Vorträge zeigen diesen emanzipativ-aufklärerischen Impetus. So bspw. Fia Wille: „Wie viele geheime Arbeiten wer- den geschaffen unter unwürdigen Bedingungen und minimalster Bezahlung, nur weil die Betreffenden glauben, ihre Standesrück- sichten verlangen, daß sie sich nicht öffentlich gegen Zahlung betätigen dürften.“ Vortrag Fia Wille, vgl. FN 19, S.116 42 Der ‘Deutsche Frauenkongress’ fand vom 27.2. bis 2.3.1912 in den Zoohallen, damit in unmittelbarer Nachbarschaft zur Aus- stellung statt. 43 Anonym: Die Frau als Architektin, in: Bauwelt, 3.Jg., 1912, Nr.11, 16.3.1912, S.27-28. Hier werden einzelne ihrer ausge- stellten Projekte erwähnt, die „ehrliche künstlerische Empfind- ung“ ihrer Zeichnungen gewürdigt, die „ruhigen, sicheren, einfa- chen Verhältnisse“ der Winkelmannschen Bauten gelobt. 44 Die fachliche Würdigung der gezeigten Arrchitekturprojekte ist offenbar noch ungeübt. Neben unbeholfenen Reaktionen lassen skeptische Haltungen jedoch auch Vorbehalte gegenüber Archi- tektinnen erkennen. In dem von Agnes Harder aus Anlass der Ausstellung herausgegebenen Band „Bahnbrechende Frauen“ ist Emilie Winkelmann nicht zu finden. (Harder veröffentlicht ein Jahr später einen Artikel über Lotte Klopsch und Elisabeth von Hahn in: Die Deutsche Frau, 3.Jg. 23.8.1913, Nr.34, S.5 ff.) Erst 18 Jahre später erscheint Lux Guyer als erste Architektin in ei- nem vergleichbaren Sammelband: Kern, Elga (Hg.) Führende Frauen Europas, Neue Folge, Bd. 2, München 1930 45 Berliner Architekturwelt, 1912, S.43 Frauen in der Architektur seit der Jahrhundertwende 23 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar noch viel mehr Mittelmäßiges beisammen, allein mir scheint, hierin machen die Frauen nur von der er- strebten Gleichberechtigung Gebrauch. Der Durch- schnitt ihrer männlichen Kollegen hätte wohl man- ches anders, aber vermutlich nicht viel besser ge- macht. Es ist nicht mehr besonders originell - aber Tatsachen sind nie originell - festzustellen, daß auch diese modernen kunstgewerblichen Frauen am stärk- sten im Dekorativen sind, daß ihre Werke meist da brüchig zu werden beginnen, wo es die Konstruktion zu bewältigen gilt. (..) Das eine aber wird man ihnen unbedingt zugestehen müssen: diese große Ausstel- lung, die so viele Kräfte umfaßt, ist auch in ihrem künstlerischen Teil - in der Aufmachung der Hallen, wie in dem, was die einzelnen Gruppen bieten - ein Bekenntnis zur Moderne. Wenn uns die Matadore des Vorgestrigen immer entgegenhalten, daß die Frauen, also der für die Wohnungsgestaltung aus- schlaggebende Faktor, den neueren Bestrebungen allen Widerstand entgegensetzen, so brauchen wir sie nur auf dieses Frauenwerk zu verweisen, um sie zu widerlegen.“ 46 Der bekannte Kunstkritiker Westheim - ein Sympathi- sant gestalterischer Modernisierung - muss ange- sichts der großen Ausstellung „zugestehen“, dass es sich um „ein Bekenntnis zur Moderne“ handele. Gleichzeitig holt er jedoch zu einer vernichtenden Mutmaßung aus: Die Arbeiten „moderner kunstge- werblicher Frauen“ erreichten keinesfalls auch nur den Durchschnitt der (nicht ausgestellten) Arbeiten männlicher Kollegen. Über die Arbeiten der „soge- nannten Architekturabteilung“ schweigt er sich völlig aus.47 In der Lokalpresse werden nur in Einzelfällen die aus- gestellten Objekte oder professionellen Leistungen gewürdigt. Hier werden „spezifisch weibliche“ Eigen- schaften beobachtet und immer aufs neue bestätigt. „Als erfreulicher Umstand darf die Tatsache gelten, daß trotz des überwiegenden intellektuellen Entwick- lungsstandes, den die Frau von heute (..) eingeschla- gen und verfolgt hat, die spezifisch weiblichen Eigen- schaften eben dieser berufs- und werktätigen Frau keinerlei Einbuße erlitten haben. Man kann diese Be- obachtung machen und immer aufs neue bestätigen in den Abteilungen, die wesentlich der mütterlichen oder caritativen Frauenarbeit gewidmet sind. Das von Claire Holstein entworfene und auch von ihr selbst durchgeführte Spiel- und Beschäftigungszimmer für die Jugend (..) ist aus einem echten Frauengemüt he- raus mit intuitiver Kenntnis der Kinderseele geschaf- fen worden.“ 48 Dass die Lokalpresse Klischees des Weiblichen als ‘Tatsachen’ produziert und reproduziert, trotz des „überwiegenden” intellektuellen Entwicklungsstan- des „intuitive Kenntnis“ und das „echte Frauenge- müt“ herausstreicht, mag als Hinweis auf das Behar- rungsvermögen von Mentalitäten gelesen werden.49 „Spezifisch weibliche Eigenschaften“ werden durch diese Ausstellung offensichtlich in Frage gestellt.50 Die Passage „Man kann diese Beobachtung machen und immer aufs neue bestätigen“ verdeutlicht exem- plarisch die Produktion von Klischees, erzählt den Prozess der aktiven Konstruktion einer vermeintlichen Geschlechterspezifik nach. Aber auch die Zuschreibungen eines Paul Westheim unterscheiden sich dem Wesen nach51 nicht wesent- lich von denen eines Scheffler oder der Lokalpresse. In seinem Kommentar zeichnet sich jedoch eine Wendung ab. Die ‘Frauenausstellung’ wird nun im Sinne des Modernitätsdiskurses instrumentalisiert: „Sachlich-anständige Räumlichkeiten” sind nennens- wert, sie zeigen ein „Bekenntnis zur Moderne“.52 Da- mit stehen nach Westheims modifizierter Kriegskarte „diese Faktoren“ im Kampf gegen die Matadore des Vorgestrigen auf der richtigen Seite. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Nennenswerten - „diese mo- dernen Frauen“ - aus der Masse der Unterdurch- schnittlichen in die Reihen der Matadore des Zukünf- tigen eingereiht werden sollten oder könnten. Dem stehen schließlich ‘Tatsachen’ im Wege: Frau bleibt Frau - „Tatsachen sind nie originell“. Liest mensch diesen Text auf dem Hintergrund der Erkenntnisse der Professionalisierungstheorie53, so kennzeichnet der Text in protagonistischer Weise ei- ne Verschiebung und Ausdifferenzierung der Tren- nungslinie zwischen den diskursiv den verschiedenen Geschlechtern zugewiesenen Orten innerhalb des Faches mit einer entscheidenden Modifikation: Was nicht sein darf, bleibt unerwähnt. Westheim widmet den Innenraumgestalterinnen ein Urteil, die Architek- tinnen sind ihm keine Erwähnung wert.54 „Es ist noch neu, daß Frauen im Baufach tätig sind, aber sie als Phänomen hinstellen, hieße dem Wert ihrer Arbeiten Eintrag tun. Allerdings ist es neu, daß Frauen die Energie aufbringen, den schwersten künstlerischen Beruf auf sich zu nehmen (..) Wenn man den Wert ihrer Arbeiten messen will, soll man davon absehen, daß Emilie Winkelmann eine Frau ist: sie bleibt eine Ausnahme.“ 55 Hier würdigt ein anonymer Autor in der Bauwelt 1912 unter dem Titel „Die Frau als Architektin“ die künst- lerische Qualität der Projekte Emilie Winkelmanns: „Eine prachtvolle Arbeitskraft, Wissen und tiefe, ehrli- che künstlerische Empfindung sprechen aus jenen Blättern. Etwas Lebendiges ist in ihnen, man spürt: sie sind aus dem wahren Begreifen vom Zweck und dessen Schönheit entstanden.“ 56 Noch mehr zeigt sich der Autor jedoch gefesselt von der Frau, „die 46 Westheim, Paul : „Von der Frauenausstellung Berlin“, in: Deut- sche Kunst und Dekoration, H.8, Mai 1912, S.88-89 47 Er würdigt keines der 33 ausgestellten Projekte, erwähnt keine der drei Architektinnen namentlich. Westheim übersieht somit schlichtweg den Bereich der Ausstellung, in dem er seine Be- hauptungen ggf. revidieren müsste. 48 Vossische Zeitung 1912, zit. nach Ichenhaeuser, Berlin, 1913, S.384 49 In diesem Falle das Beharren auf der geschlechterhierarchisch geordneten Bildungsbürgerlichkeit des 19. Jahrhunderts, der ei- nen intellektuellen Entwicklungsstand nur für Herren vorsah. 50 Sprachlich wird mit den „spezifisch weiblichen Eigenschaften“ auf einen quasi natürlichen Zustand vor der „berufs- und werk- tätigen Frau“ referiert, jedoch [noch] nicht auf das „ewig Weib- iche“. Die etablierte Geschlechterhierarchie ist in Gefahr, zu ih- rer Verteidigung resp. Wiederherstellung wird ein Geschlechter- diskurs, die Herstellung einer hierarchischen Geschlechterord- nung durch Definitionsmacht aufgefahren. 51 Auch er unterstellt eine Geschlechterdifferenz im ‘Wesen’, wenn er Begrifflichkeiten wie „anders“, „dekorativer“ verwendet. Dass diese Differenz hierarchisch wertend gedacht wird, zeigt sich bspw. anhand des Ausdrucks „meist brüchig im Konstruktiven“. Die ‘wesensmäßige’ Differenz wird im Vergleich zur Diskrepanz, und ‘erweist sich’ als Defizit der Arbeiten von Gestalterinnen. 52 Ibid. „sachlich-anständige Räumlichkeiten, wie die der Oppler, der Baczko, der Wille oder Dernburg.” 53 Wonach anlässlich von Umbrüchen innerhalb eines Berufsfeldes oder Faches die Gendergrenze verschoben aber auch deutlicher gezogen wird 54 Die Legitimationsbemühungen beider Texte werden im direkten Vergleich besonders deutlich: Konkrete Objekte, die von konkre- ten Gestalterinnen präsentiert werden, bilden nur den Anlass, nicht aber den Gegenstand dieser Berichte und Kommentare. Statt dessen rekurrieren beide Autoren auf ‘Tatsachen’, die jen- seits dieser sichtbaren Objekte auf der Interpretationsebene lie- gen, also jeweils erst durch die Darstellungen konstruiert bzw. reiifiziert werden. 55 Die Frau als Architektin, vgl. FN 43 24 Chancen und Möglichkeiten solche Kraft besitzt“. Und er lässt uns an seinem Ein- druck teilhaben: „Ich sah eine lange feinlinige Gestalt mit einem kleinen dunklen Kopf. Die Züge mächtig und einfach, klar geschnitten (aber nicht scharf), der Ausdruck ernst, gemessen (nicht fremd) und hinter starken Brauen zwei sehr große, sehr stille, helle Au- gen: Denkeraugen; (..) Augen, die mehr reden als Emilie Winkelmann verraten will, denn sie ist schweigsam über sich.“ 57 Zu ihren Projekten und Bauten ließ die Architektin of- fenbar keine Frage unbeantwortet. Doch der Fach- journalist kann sich nicht entschließen, ihre fachli- chen Erläuterungen zu kolportieren, „denn sie ist schweigsam über sich.“ So hellsichtig der Autor ein- gangs für den Wert einer Arbeit ohne Ansehen der Person plädiert hatte, angesichts dieser feinlinigen Gestalt konterkariert er sein eigenes Plädoyer. Er, der offenbar Augen besser lesen kann als Pläne, erklärt uns in einer Fachzeitschrift nicht die Eigenheiten der ausgestellten Projekte, sondern die Besonderheiten dieser Frau: „Was sie uns zeigt, ist ihre Kunst; so gibt sie uns - nicht ihr Wesen - oder das Innerste dieses Wesens, weil sie nicht anders kann, weil dies ihr Beruf und ihr Schicksal ist.“ 58 Auch konservative Architekturkritiker erkennen die Zeichen der Zeit. Karl Scheffler, der 1908 noch offen und explizit gegen Frauen in Kunst und Architektur gewettert hatte59, setzt sich 1913 - also kurz nach- dem Winkelmanns realisierte resp. ausgestellte Arbei- ten Aufmerksamkeit bei Architekturkritikern finden - schon weit subtiler für eine Rettung der männlichen Exklusivität in der Baukunst ein, wenn er feinsinnig bemerkt: „Mehr als andere Berufe verlangt die Bau- kunst nun einmal die Berufskonvention.“ 60 Fachjournalisten und Architekturkritiker - die Mittler öffentlicher Meinung - spielen bei der Mobilisierung immobiler Projekte und Bauten eine zentrale Rolle: als Promotoren von Ideen. Das Bewährte wie das Neue bedarf der Orientierung am Status Quo. Und nicht nur gegenüber Architektinnen, gegen allerlei Usurpatoren übt die Fachpresse den Schulterschluss mit der eigenen Zielgruppe innerhalb des Berufsfel- des. Als Beispiel dieses protektionistischen Selbst- verständnisses mag eine allzu offensichtliche Exklusi- on der Schriftleitung der ‘Innendekoration’ vom 13.5. 1904 dienen. Interessanterweise wird auch hier im Namen einer Modernität exkludiert: „Wir möchten [es] (..) nicht unterlassen auf die überraschend starke Be- teiligung an unseren Wettbewerben von österreichi- schen Künstlern hinzuweisen, die mit so ausserge- wöhnlichen Erfolgen als Sieger aus denselben her- vorgehen. Es dürfte wohl doch an der Zeit sein, dass auch die reichsdeutschen Künstler sich wieder stär- ker beteiligen, um der Auffassung vorzubeugen, (..) dass diese positiven Erfolge Wiener Künstler auf einem ausgeprägter zutage tretenden persönlichen Können beruhten. Das ist nur zum Teil richtig, der stärkere Erfolg ist hauptsächlich von der überaus starken Beteiligung getragen. Es scheint uns gebo- ten, dem entgegenzuwirken.“ 61 So selektiert die ‘Innendekoration’ zukünftig im Vor- feld der Teilnahmebedingungen. Die Schriftleitung, die den Erfolg so klar in Relation zur Teilnehmerzahl analysierte, argumentiert nun unter Verschleierung ih- rer nationalistischen Beweggründe: „Dass wir die Möglichkeit solcher (..) Teilnahme an unseren Wett- bewerben auf die Abonnenten unserer Zeitschrift be- schränken, hat lediglich seinen Grund darin, in den Teilnehmern mittelbar Mitarbeiter zu wissen, die mit den von uns zuerst vertretenen Reform-Bestrebun- gen einer künstlerischen Gestaltung der Wohnung auch des einfachen Mannes aufs innigste vertraut sind. Wir beugen damit einer zu großen Beteiligung von Kräften vor.“ 62 Wie aber lassen sich neue UsurpatorInnen zurück- drängen, wenn keine nationalen Ressentiments be- müht werden können? Die Architekturkritik aller Lager - und der organisierte Berufsstand - findet schnell ei- nen Konsens. Hier wird verstanden, dass der konser- vative Scheffler mit „Berufskonvention“ den Schulter- schluss unter Männern meinte. Qua Vorgehensweise folgt man dabei dem Beispiel des progressiven Westheim und ignoriert auf Jahre hinaus „sogenann- te“ Architektur - nicht nur in Fachzeitschriften.63 Im Unterschied bspw. zu den Juristen, die als Berufs- stand bis in die ersten Jahren der Weimarer Republik öffentlich die Berufstätigkeit von Kolleginnen in allen traditionellen Bereichen des Berufsfeldes strikt ableh- nen64 - und von der frauenbewegten Presse heftig an- gegriffen werden -, formulieren die Berufsverbände der Architekten ihre Haltung gegenüber potentiellen Kolleginnen nicht kollektiv und nicht öffentlich. Hinter den Kulissen scheint jedoch auch unter Archi- tekten intensiv darüber nachgedacht worden zu sein, wie mit der unerwünschten Konkurrenz zukünftig um- gegangen werden könne. In Reaktion auf die Berliner Ausstellung findet sich im Deutschen Werkbund bald eine Mehrheit für die Idee, den Frauen ein besonde- res Haus zur Verfügung zu stellen.65 1913 werden Ar- chitektinnen aufgefordert, durch Wettbewerbsentwür- fe für ein „Haus der Frau“ ihren Beitrag dazu zu lei- sten, Frauenleistungen in der öffentlichen Präsenta- tion räumlich zu isolieren. Werden die offen misogynen Positionen um die Jahr- hundertwende in der Regel als Antifeminismus be- zeichnet, so werden Schließungsmechanismen im Übergang von der Kaiserzeit zur Weimarer Republik häufig mit „allgemeinen Existenzängsten“, „konserva- tiveren Grundhaltungen“ (Mikoletzky) oder 56 „Es ist so ziemlich alles darunter, was man bauen kann: Wohn- häuser, Herrenhäuser, Miethäuser, drei Fabrikgebäude: eine Torfziegelei, eine Oelfabrik, ein wirtschaftliches Fabrikhaus; der Entwurf für die Gewerbe-, Industrie- und Landwirtschaftsaus- stellung Köslin 1912, der bereits genehmigte Bebauungsplan ei- nes Geländes in Steglitz, der ungefähr dreissig Bauparzellen umfaßt, ein Wettbewerbsentwurf zu einem Festsaal- und Thea- tergebäude, zu einer Brücke über die Drapa“ ibid. 57 Ibid. 58 Die Frau als Architektin, vgl. FN 43 59 Schefflers härteste Tirade gegen Frauen in der Baukunst er- scheint just in dem Jahr, in dem Emilie Winkelmann ihr freiberuf- liches Büro eröffnet. Scheffler, Karl: Die Frau und die Kunst, Berlin, 1908, S.49: „Da die Frau des Abstrakten unfähig ist, so ist sie auch des Mathematischen unfähig. (..) Es gab denn auch niemals einen schöpferischen Komponisten oder Architekten weiblichen Geschlechts. (..) Daß die Frau der Baukunst ganz fern bleiben muß, wurde schon gesagt. Der Hauptgrund dafür hat Geltung für alle bildenden Künste: es fehlt ihr der künstleri- sche Raumsinn.“ Ibid., S.57 60 Scheffler, Karl: Die Architektur der Großstadt, Berlin, 1913, S.127 61 Zitiert nach Randa, Sigrid: Interieurs im Wandel, Möbel- und Ar- chitekturentwürfe aus den Wettbewerben der Zeitschrift „Innen- Dekoration“ 1902-1907, Leinfelden-Echterdingen, 1986, S.165 62 „[Kräften], die (..) nur in linearen Äußerlichkeiten ihr Vertrautsein mit den Forderungen des modernen Stils bekundeten, von dem Geiste desselben aber wenig beseelt schienen.“ - Innen-Deko- ration, 15.Jg., 1904, S.4. - hier zit. nach Randa, 1986, S.XV 63 Führende Bauzeitschriften ignorieren bis Ende der zwanziger Jahre jegliche Bautätigkeit von Architektinnen. 64 Auf eine Anfrage des Reichsjustizministeriums vom 5.120.1921 fasst die Vertreterversammlung des Deutschen Anwaltsvereins am 28.1.1922 im Leipzig den folgenden Beschluss: „Die Frau eignet sich nicht zur Rechtsanwaltschaft oder zum Richteramt. Ihre Zulassung würde daher zu einer Schädigung der Rechts- pflege führen und ist aus diesem Grunde abzulehnen.“ (ZStA 30.01, 4181, zit. nach Glaser/Herrmann, 1988, S.221, FN 6) 65 Die Idee zur Werkbundausstellung entsteht bereits 1911. Sie sollte ursprünglich bereits 1913 stattfinden. Die Idee zum „Haus der Frau“ entsteht 1912, damit in zeitlicher Nähe zur Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“. - Zur Entstehungsgeschichte der Werkbundausstellung in Köln 1914 vgl. (Kat.) Der westdeutsche Impuls 1900-1914, Köln, 1984 Frauen in der Architektur seit der Jahrhundertwende 25 „Mentalitätsresistenzen“ (Wierling) erklärt. Erklärun- gen, die Haltungen politischen Lagern zuschreiben, bringen die Akteure in aller Regel zum Verschwinden. Die Abwehr von Usurpatoren ist jedoch ein aktiver Prozess66, der sich offenbar mit unterschiedlichen politischen Positionen ebenso problemlos vereinba- ren lässt wie mit fachspezifischen Modernisierungs- ansprüchen. Das Mittel der Exklusion ist die diskursi- ve (Re-)Konstruktion einer Differenz: Erst durch das Konstruieren und Propagieren dieser Differenz als re- levant, kann eine Exklusion plausibilisiert, ‘wirkmäch- tig’ werden. Das ‘doing gender’ - die Exklusion zur Wahrung oder Schaffung einer geschlechtsspezifi- schen Exklusivität - wird auffällig offensiv von Prota- gonisten avantgardistischer Strömungen betrieben. Sie zeigt sich damit weniger als ‘Schließungsmecha- nismus’ etablierter, konservativer Kräfte, denn als ‘Ausschlussaktivität’ noch nicht etablierter Akteuere.67 Die Tendenz, zur Durchsetzung neuer Ideen mit einer kleinen, feinen Truppe anzutreten, erscheint im Hin- blick auf Gesellschaftsreformen paradox, bedarf es für deren Umsetzung doch einer breiten gesellschaft- lichen Zustimmung. Das ‘doing gender’ in der klassi- schen Moderne der Architekturgeschichte - wie der sektiererische Prozess von Protagonisten - ist wahr- scheinlich nur psychologisch resp. gruppendyna- misch zu fassen. Auch wenn beispielsweise Bruno Taut rückblickend die Durchsetzung der Moderne in der Architektur als „Geburt“ bezeichnet: Im Kampf um die Durchsetzung der modernen Architektur herr- schen offenbar militärische Regeln und einzelne, ‘männliche’ Helden.68 Häuser der Frau oder Häuser für Frauen?69 Das ‘Haus der Frau’ auf der Werkbundausstellung Köln, 1914 Ab 1911 plant der Deutsche Werkbund - ebenfalls mit erheblichen Mitteln der Industrie - 1913 in Köln eine Ausstellung seiner Mitglieder ins Werk zu setzen. Die Ausstellung muss um ein Jahr verschoben wer- den. Angesichts 5% weiblicher Mitglieder - von 1912 zu 1913 erhöhte sich deren Zahl von 44 auf 77 - sol- len bei der geplanten Ausstellung des Werkbundes in Köln die Arbeiten von Frauen in einem eigenen Aus- stellungsgebäude präsentiert werden.70 Es soll ein „besonderes Haus“ werden. Genauso entschieden wird sogleich festgelegt, dass darin „lediglich den auf kunstgewerblichem Gebiet arbeitenden Frauen“ die Möglichkeit zur Präsentation ihrer Arbeiten einge- räumt werden soll.71 Dies überwacht ein hierfür ge- gründetes Komitee, dessen Mitglieder paritätisch aus Gestalterinnen und Gattinnen verdienter Vertrauens- männer zusammengesetzt ist.72 Während junge und ältere Architekten des Werkbun- des die Vergabe aller anderen - mit exemplarischem Anspruch errichteten - Ausstellungsgebäude als Di- rektaufträge unter sich ausmachen, wird für das „Haus der Frau“ ein offener Wettbewerb ausgelobt.73 Die Ausschreibung des ersten dezidiert geschlechts- exklusiven Architekturwettbewerbs im Deutschen Reich erweist sich im Sinne des ‘doing gender’ als geschickter Schachzug berufsständischer Politik.74 Die Zusammensetzung der Jury wird ebenso wenig publiziert wie die Anzahl und Namen derer, die Ent- würfe zu diesem Wettbewerb einreichen. 66 Weshalb der Begriff ‘Schließungsmechanismus’ zur Beschrei- bung des ‘doing gender’ i.d.R. nur begrenzt zutreffend ist. 67 Die These, dass gerade Avantgardismen zur Ab- resp. Ausgren- zung neigen, dies vielleicht sogar ein konstituierendes Element von Avantgarde ist, findet sich auch bei Orton/Pollock: „`avant- gardism´ has it´s own structures of closure and disclosure, its own way of allowing certain perceptions and rendering others impossible“, in: Orton, Fred / Griselda Pollock: Avant-Gardes and Partisans Reviewed, Manchester, 1996, S.142 - Der Glaube an eine Erneuerung scheint - angesichts mangelnder Anerken- nung wie von Selbstzweifeln - nur durch eine Rückbesinnung auf den ‘Geist’ wie die Exklusivität einer Glaubensgemeinschaft möglich. Um dies zu gewährleisten, exkludieren die (noch nicht anerkannten) ‘Reformatoren’, wobei der Legitimationsaufwand zum Ausschluss unerwünschter Usurpatoren der Stärkung der eigenen Einzigartigkeit dient und augenscheinlich zum Parame- ter der Modernität wird. 68 Heinrich Taut zitiert (im Vorwort der Neuauflage von Taut, Bru- no: Die neue Baukunst in Europa und Amerika, Stuttgart, 1979) seinen Vater nach Aufzeichnungen eines Vortrages aus den dreißiger Jahren in Japan, in dem Bruno Taut (der 1933 bis En- de 1936 in Japan lebte) „die Härte des Kampfes um die moder- ne Architektur“ geschildert habe: „...`Großartig sei die Geschich- te ihrer Geburt. Aber voller Leiden und Quälereien ist sie bei den einzelnen Helden gewesen, die sie zur Welt gebracht haben.´ Er mag dabei auch an sich selbst gedacht haben. `In meiner Ju- gend habe ich furchtbar gearbeitet. Es war nicht leicht, als jun- ger Mann zur Anerkennung zu kommen.´ “ 69 Zu den Ausstellungsbauten „Haus der Frau“ in Köln und Leipzig vgl. auch Stratigakos, 1999, Kap. 7 70 Damit blieb der relative Anteil weiblicher Mitglieder konstant. Gesamtzahlen nach Jäckh, Ernst: 5.Jahresbericht des Deut- schen Werkbundes 1912/13, in: in: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes, Jena, 1913, S.97. Zahlen ermittelt nach Mitglie- derverzeichnissen des DWB der Jahre 1912 und 1913. 71 So der Erläuterungstext im Amtlichen Katalog zur Ausstellung, 1914, S.199 - Der Katalogtext verhehlt durch Widersprüche die eigentliche Intention nur mäßig: „Es ist das erstemal, daß auf ei- ner Ausstellung den Frauen ein besonderes Haus zur Verfügung gestellt wird, und zwar lediglich den auf kunstgewerblichem Ge- biet arbeitenden Frauen (..) Textilgewerbe (..) Muster für Tapeten und Linoleum (..) Mode (..) Schulabteilung (..) Plakatwesen (..) Keramik (..) Photographie“. Zur Entstehung dieser Idee der Se- paration vgl. Droste, 1989, Stratigakos, 1999 72 Erste Vorsitzende des ‘Ausschusses „Haus der Frau” ‘ war Anna Muthesius, geschäftsführende Vorsitzende Else Oppler- Legband, Schriftführerin Lilly Reich. Mitglieder waren außerdem: Alexe Altenkirch, Agnes Grave, Alice Hegemann, Annemarie Pallat-Hardtleben und Else Rehorst. Amtlicher Katalog, 1914, S.22-23 73 Diesen Verteilungsprozess innerhalb geschlossener Zirkel be- schreibt bspw. Isaacs anhand der Vergabe der Maschinenhalle an Walter Gropius. Isaacs, Reginald: Walter Gropius, 1985, Ber- lin, S.121 26 Chancen und Möglichkeiten Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Überliefert sind nur die Namen der Preisträgerinnen: Margarete Knüppelholz, Berlin-Friedenau, Frieda La- gus, Wien und Emilie Winkelmann, Berlin-Schöne- berg. Sie ist damit die einzige bisher bekannte Teil- nehmerin, die eine Technischen Hochschule besuch- te. Frieda Lagus (geb. 1890) studierte an der Kunst- gewerbeschule in Wien, Margarete Knüppelholz (geb. 1886) an den Kunstgewerbeschulen in Magdeburg, Stuttgart und Breslau. Ihr Entwurf wird von einem Kölner Zimmermann realisiert und von der Presse un- terschiedlich aufgenommen.75 Knüppelholz tritt - abgesehen von ihrer Nennung an- lässlich dieses Wettbewerbsgewinns - als Architektin nicht öffentlich in Erscheinung und wird im Katalog nicht namentlich genannt.76 Ebendort findet sich unter „Haus der Frau“ jedoch ein erhellender Hinweis der Initiatoren, die offenbar Missverständnisse ihrer An- strengungen fürchten und Besucherinnen vor über- steigerten Erwartungen bewahren wollen: „Vollkom- men verfehlt wäre es, geniale Einfälle und Aufsehen erregende Schöpfungen in diesem Hause zu suchen.“ 77 Im Herbst 1912 regt das Direktorium der ‘Bugra’, der „Weltausstellung für Buchgewerbe und Grafik”, dazu an, ein weiteres „Haus der Frau” zu errichten.78 Im Unterschied zu jenem in Köln wird das „Haus der Frau“ auf der Weltausstellung in Leipzig 1914 von Vertreterinnen der Frauenbewegung in der Nachfolge der Berliner Ausstellung (1912) als „erste Frauen- Fach-Weltausstellung“ initiiert.79 Emilie Winkelmann realisiert dieses Ausstellungsge- bäude ehrenamtlich.80 An dessen Innenausstattung sind neben Fia Wille und Elisabeth von Knobelsdorff auch Claire Holstein, Paula Steiner-Prag und Marie Kirschner beteiligt.81 In diesem „Haus der Frau” wer- den neben Buchbinderei und Grafik auch Möbel und Architektur ausgestellt, so bspw. von Therese Mog- ger und Hertha Jeß.82 Da aber auch dieses Haus im Rahmen einer größeren Ausstellung als geschlechts- exklusives Gebäude errichtet wird und Leistungen von Frauen präsentiert, schwindet jede äußerlich sichtbare Differenz zum „Haus der Frau“ auf der Kölner Ausstellung. 74 Vgl. Kat. Der westdeutsche Impuls 1900-1914, Die Deutsche Werkbundausstellung Cöln 1914. - Während bei der Direktver- gabe aller anderen Ausstellungsgebäude ausschließlich [männ- liche] Mitglieder des Werkbundes berücksichtigt wurden, kamen als Entwerferinnen für das Haus der Frau offenbar ausschließlich Nicht-Mitglieder in Betracht. In den Niederlanden war für die Ausstellung „De Vrouw 1813-1913“ bereits um 1911/12 für den Bau des Ausstellungsgebäudes eine Architektin gesucht wor- den. Vgl. Kessel / Kuperus, 1986, S.12 75 Vgl. Gallwitz, S.D.: Das Haus der Frau auf der Werkbundausstel- lung in Köln, in: Die Frau, 21.Jg. H.10.Juli 1914, S.591 ff. - Dort wird erwähnt, dass Robert Breuer in einer Vorbesprechung, die durch die Lokalpresse ging, dem Haus der Frau jede, aber auch jede Berechtigung abgesprochen habe. Ibid., S.593 76 Auch dies im Unterschied zu den Architekten, die für die ande- ren Ausstellungsgebäude der Ausstellung verantwortlich zeich- nen. Die genaueren Umstände dieses Nicht-in-Erscheinung-Tre- tens sind nicht bekannt. Zu Margarete Knüppelholz vgl. auch Kurzbiografie Knüppelholz[-Roeser] im Anhang. Ob Margarete und Ernst Knüppelholz, zunächst Studienkollegen und seit 1913 verheiratet, zusammen arbeiteten, ist unbekannt. Bisher lässt sich kein gemeinsames Projekt nachweisen. 77 Amtlicher Katalog zur Ausstellung, Köln, 1914, S.199 78 Katalog zur Ausstellung, Leipzig, 1914, Einleitung, S.XIII 79 Die 16 verschiedenen Ausstellungsgebiete innerhalb des Hauses wurden unter internationaler Beteiligung arrangiert. Eine interna- tionale Beteiligung von Architektinnen ist nicht festbar. 80 Ob sie damit ihren für Köln eingereichten Entwurf realisieren kann oder ein völlig anderes Gebäude für Leipzig entwirft, ist bisher unklar. 81 Fia Wille XX Reklame: Raumgestaltung sowie Entwurf der Lit- fasssäulen (vgl. hierzu Artikel Voigtländer in: Die Frau / Bericht der Vossischen Zeitung) und „Der Teeraum: Möbel, Stoffe, Beleuch-tungskörper und Vitrinen nach Entwürfen von Fia Wille, Berlin”, Emilie Winkelmann, Gebäude „Haus der Frau“ - Gertrud Claire Holstein - Raum VIII „Raumsparende Utilis-Möbel“. Man- che Möbel, darunter ihr „Papierkorb für nervöse Leute“, werden auch im Raum XXIV (Buchhandel) ausgestellt - Elisabeth von Knobelsdorff - Raumgestaltung: IV. Raumkunst, dort stellt sie selbst auch (Nr.476) „Architektonische Zeichnungen und Photo- graphien von entworfenen Möbeln“ aus - Paula Steiner-Prag, Leipzig zeichnet verantwortlich für die Raumgestaltungen „Bü- chereien und Sammelwesen” (IV) sowie „Bibliothekswesen” (V). Frauen in der Architektur seit der Jahrhundertwende 27 Haus der Frau, Leipzig, GartenterrasseHaus der Frau, Köln, Gartenansicht Haus der Frau, Köln, 1914, Margarete Knüppelholz-Roeser Haus der Frau, Leipzig, 1914, Emilie Winkelmann Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Haus der Frau, Leipzig, Aussenbereich des Teeraumes Damit bilden sich um 1914 ergänzende wie exkludie- rende Motivationen und Konzeptionen - sprachlich wie räumlich - nicht mehr unterscheidbar ab.83 Der mehrdeutige Begriff ‘Haus der Frau’ lässt emanzipati- ve und anti-feministische InitiatorInnen, Ausstellende und Adressatinnen verschwimmen.84 Die als Reaktion und Kritik auf die Exklusion von Frauen entstandene Idee eigener (Frauen-)Ausstellungen verwandelt sich so in kürzester Zeit zu einer ambivalenten Angelegen- heit: Denn ein ‘Haus der Frau’ bezeichnet nun nicht mehr nur ein Gebäude, in dem „Verständnis und In- teresse für ernste und tüchtige Frauenarbeit geweckt werden [soll], um ihr allgemeine Anerkennung zu ver- schaffen und neue Berufe zu eröffnen.“ Gegebenfalls handelt es sich dabei auch schlicht um ein besonde- res Angebot für Besucherinnen, die in einem von Frauen gestalteten Gebäude in „geschlossener Form” das zu sehen bekommen, was von Männern zuvor als adäquat weiblich befunden wurde.85 Dementsprechend beobachten gerade professionell tätige Frauen diese ‘Sonderausstellungen’ zuneh- mend skeptisch. Emmy Voigtländer äußert nach dem Besuch beider Ausstellungen hoffnungsfroh: „Vielleicht wird das für die Zukunft ertragreichste Er- gebnis dieser Sonderausstellungen der Beweis ihrer Überflüssigkeit in dem Sinne sein, daß allmählich die Leistungen von Frauen als selbstverständlich in die allgemeine Kulturarbeit aufgenommen werden, wo man zuerst die Güte der Arbeit sieht und dann ihren Verfertiger, ohne daß zu jedem Stück noch lange Re- den über Grenzen und Fähigkeiten der weiblichen Begabung gehalten zu werden brauchen. Daß es schon vielfach so ist, konnte man gerade auf der Werkbundausstellung beobachten, wo man öfter in allen möglichen Abteilungen, gefesselt von etwas Gu- tem, mit Freude dann einen weiblichen Namen las.” 86 Teeraum im Haus der Frau, Leipzig, Fia Wille Als schließlich 1931 auf der Bauausstellung in Berlin auf Initiative des ‘Reichsverbandes deutscher Haus- frauenvereine’ mit einem von Peter Behrens und Else Oppler-Legband entworfenen Pavillon erneut ein ge- sondertes Ausstellungsgebäude - als „Ring der Frau- en“ - eröffnet wird, sind die kritischen Stimmen inner- halb der Frauenpresse verstummt. Die Besucherin- nen zeigen sich vielmehr dankbar: „Es ist sehr schön, daß man den Frauen zum ersten Mal auf einer Bau- ausstellung ein eigenes Haus geschaffen hat. Das ist wohl nicht Zufall und zeigt, daß heute die Frau bei den Dingen, die sie so sehr angehen, die sie zu ver- walten, zu pflegen und einzurichten hat, ein Wort mit- spricht, daß sie stärkeren Einfluß gewinnt.“ 87 In den zehner Jahren entstanden jedoch auch weni- ger temporäre Häuser von Frauen für Frauen. So hat- te der finanzielle Erfolg der Berliner Ausstellung 1912 den Lyzeum-Club in die Lage versetzt, ein Gebäude am Lützowplatz zu erwerben. Winkelmann baut es noch im selben Jahr um, an der Inneneinrichtung sind zahlreiche Kolleginnen beteiligt.88 Dank einer Mä- zenatin entsteht ab 1914 ein weiteres Haus für Frau- en in Berlin: Emilie Winkelmann plant und realisiert im Auftrag des Lyzeum-Clubs und dank einer Stiftung Ottilie von Hansemanns das erste Studentinnen- wohnheim Europas: Das „Viktoria-Studienhaus” wird 1915 in der Nähe der TH Charlottenburg eröffnet und nach dem Tod der Stifterin nach ihr benannt.89 Ver- schiedene Initiativen zur Errichtung weiterer Studen- tinnenwohnheime scheitern, das Thema bleibt - auch als Entwurfsaufgabe - bis in die dreißiger Jahre viru- lent.90 Das „Haus des Deutschen Lyzeum-Clubs” wie das „Ottilie-von-Hansemann-Haus” bleiben bis zum Ende des zweiten Weltkrieges Zentren von Frauen- kultur und -politik, finden nach 1945 jedoch keine Weiterführung oder Nachfolge.91 82 Im Raum Raumkunst stellt Mogger „Photographien von gebau- ten und im Bau begriffenen Häusern“, Hertha Jeß „Vitrinen” aus. 83 Laut Katalogtext: „Der Wert des Hauses der Frau liegt aber nicht nur in dem individuellen Reiz und der künstlerischen Schönheit, sondern vor allem in der sozialen Bedeutung (..) Es soll Ver- ständnis und Interesse für ernste und tüchtige Frauenarbeit ge- weckt werden, um ihr allgemeine Anerkennung zu verschaffen und neue Berufe zu eröffnen.“ Der Teeraum dient als „Treff- punkt der guten Gesellschaft auf der Weltausstellung.“ 84 Droste bezeichnet beide Gebäude - in Anlehnung an Parker / Pollock - als „Frauenpaläste“. Droste, 1989. S.186 85 Im Unterschied dazu hatte Hedwig Heyl 1912 von „zusammen- fassender Form” gesprochen: „Die Ausstellung soll die Leistun- gen der deutschen Frauen unserer Zeit in zusammenfassender Form veranschaulichen und zur Darstellung bringen.“ (Heyl, 1925, S.115) 86 Voigtländer, Emmy: Das Haus der Frau auf der Buchgewerbe- ausstellung in Leipzig, in: Die Frau, 21.Jg., H.12, S.721-725 - So ist bspw. der Vorraum des „Bremen-Oldenburger Hauses“ von Martha Vogeler ,D.W.B., Worpswede entworfen (Katalog der Werkbundausstellung, 1914, S.1 ff.), Elisabeth v. Baczko, DWB, Bremen entwarf Schlaf-, Ankleide- und Badezimmer. Von Bacz- ko wird unter den Ausstellenden in Raum P nochmals genannt. Die ‘Wohnung einer selbständigen Dame’ wird hier nach Entwurf von Hermann Dieter präsentiert. 87 O.A.: Der Ring der Frauen auf der Bauausstellung Berlin 1931, in: Frau und Gegenwart, 27.Jg., 23.Heft, Sept. 1931, S.582 88 Zum Lyzeumclub vgl. Sander, 1991, S.52-57; Zum Umbau des Gebäudes vgl. Stratigakos, 1999 89 Ottilie von Hansemann (geb. von Kusserow, 11.4.1840 - 12.12. 1919), seit 1911 Direktorin der Disconto-Gesellschaft, war (wie auch Winkelmann) Mitglied im ‘Deutschen Lyzeumclub’. Sie en- gagierte sich leidenschaftlich in Fragen des Frauenstudiums. In der ‘Gartenlaube’ bezeichnet Agnes Harder 1916 den „Versuch eines so großen Studentinnenhauses als vollständig geglückt" - der „kleine Frauenstaat" biete 95 Studentinnen eine Bleibe. 90 Auch Bauhaus- und Tessenowstudentinnen beschäftigen sich mit der Entwurfsaufgabe Studentinnenwohnheim – vgl. Kap. 6 91 Am 12.3.1935 wurde der ‘Deutsche Lyzeumclub’, der sich be- reits 1933 ‘arisiert’ und damit mehr als ein Drittel seiner Mitglie- der aus rassistischen Gründen ausgeschlossen hatte, dem ‘Deutschen Frauenwerk’ angegliedert. Das Gebäude am Lüt- zowplatz wurde 1944 zerstört, der DLC, als Schatten seiner selbst, nach dem zweiten Weltkrieg neu gegründet. - Das ‘Han- semann-Haus’ wurde bis in die Zeit des Zweiten Weltkrieges als Studentinnenwohnheim geführt. Mit der Liquidation des Trägers ‘Verein Victoria-Studienhaus’ erlosch auch die Idee eines frau- enbewegten Studentinnenhauses. 92 PhD am Bryn Mawr College, 1999 28 Chancen und Möglichkeiten Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Architektinnen der Kaiserzeit – Architekturstudentinnen der Kaiserzeit Unter dem Titel „Skirts and Scaffolding: Women Ar- chitects, Gender and Design in Wilhelmine Germany“ schloss Despina Stratigakos 1999 eine umfassende Forschungsarbeit zu Architekturstudentinnen und Ar- chitektinnen der Kaiserzeit ab.92 Diese Untersuchung beleuchtet erstmalig die quantitative wie qualitative Dimension des Schaffens von Architektinnen zu Be- ginn des 20. Jahrhunderts im Deutschen Reich. Auch wenn Architektinnen dieser ersten an Technischen Hochschulen ausgebildeten Generation im Berufsfeld nicht immer öffentlich in Erscheinung traten, sie plan- ten und bauten deutlich häufiger als bisher bekannt. Ab 1910 ist für Frauen mit Abitur das ordentliche Ar- chitekturstudium innerhalb des Deutschen Reiches formal überall möglich.93 Der Zugang zur Profession ist jedoch nicht ausschließlich an den Abschluss ei- nes akademischen Studiums geknüpft. Auch an Aka- demien, Kunstgewerbe- und Handwerkerschulen fin- den architekturinteressierte Studentinnen über den Möbelentwurf bzw. die Tischlerei im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts Zugangsmöglichkeiten zur Archi- tektur.94 Gerade Kunstgewerbeschulen standen dem Studium von Frauen weit aufgeschlossener gegen- über als Technische Hochschulen und Akademien.95 Die meisten professionellen Gestalterinnen, die bis zum Ende der Kaiserzeit öffentlich in Erscheinung tre- ten, an der Seite ihrer ebenfalls häufig zunächst im Kunstgewerbe tätigen Gatten auch architektonische Entwürfe realisieren, haben in der Regel an Kunstge- werbeschulen studiert.96 Diesen Kunstgewerblerinnen gelingt es jedoch in aller Regel - und im Unterschied zu den Kunstgewerblern - nicht, sich im Bereich Ar- chitektur zu etablieren97: Unter ihrem alleinigen Na- men zeichnen diese Gestalterinnen in der Öffentlich- keit weiterhin ausschließlich für Inneneinrichtungen und Möbel verantwortlich.98 Interessierte Studienbewerberinnen klopfen ab der Wende zum 20. Jahrhundert an die Türen deutscher Architekturfakultäten. Im Besitz des geforderten Abi- turs begehren sie Zulassung zum Studium in der Ab- sicht, qualifiziert berufstätig zu werden. Da ein Studi- um aus Sicht dieser Generation zweifelsohne auch eine Berufsfrage ist, begehren diese Bürgertöchter - und mit ihnen die besorgten Eltern - insbesondere Zugang zu berufsrelevanten Abschlussprüfungen. Zu- nächst vereinzelt als Gasthörerinnen und Hospitantin- nen zugelassen, treffen Aspirantinnen an den diver- sen Architekturfakultäten auf unterschiedlich begrün- dete, in aller Regel jedoch ablehnende Haltungen. Ih- re Annahme an der jeweiligen Fakultät hängt ebenso stark wie unmittelbar von der Aufgeschlossenheit der Professoren ab und ist damit kaum berechenbar. 93 An wie vielen Orten und Hochschulen des Deutschen Reiches Frauen diese Neuregelung auch jeweils zu nutzen versuchten, wird in der o.g. Untersuchung dargestellt. 94 Auch wenn zu Architekturstudentinnen außerhalb Technischer Hochschulen bisher nahezu keinerlei Forschungen unternom- men wurden, so sind hier neben Margarete Roeser (KGS Mag- deburg) und Frieda Lagus (KGS Wien) bspw. Gertrud Roeser (Saalecker Werkstätten), Herta Jeß und Lotte Klopsch (KGS Ber- lin) oder Gertrud Kleinhempel (Damen-Akademie des Münchner Künstlerinnenvereins), aber auch Elisabeth Nießen, Ernestine Kopriva, Margarete Lihotzky, Hilda Friedenberg und Kitty Speyer (KGS Wien) zu nennen. 95 „So sind die Damen durchgängig die besseren Schüler der Klassen“, behauptet Peter Behrens in seinem Antrag auf Zulas- sung von Damen an die Kunstgewerbeschule in Düsseldorf, An- trag vom 22.2.1904. Zit. nach Moeller, 1990, S.66ff. 96 So haben bspw. die eingangs genannten ‘Raumkünstlerinnen’ wie Hedwig Brill, Ilse Dernburg, Fia Wille und Else Wenz-Vietor Kunstgewerbeschulen besucht. 97 Wie die sich hier abzeichnende Gendergrenze konstituiert wur- de, müsste näher untersucht werden. Schon Campbell wies da- rauf hin, dass „die erste Generation des Werkbundes überwie- gend aus Malern bestand, die zur Architektur überwechselten, [während] die neuen Architekten unmittelbar für den (..) Beruf ausgebildet wurden.“ Campbell, 1981, S.95 FN 98 Droste bezeichnet dies als „Fiktion eines weiblichen Kunstge- werbes“, die notwendig gewesen sei, um Frauen zurückdrängen zu können. Droste, 1989, S.192 Frauen in der Architektur seit der Jahrhundertwende 29 Lesezimmer (1913) Lyceumclub Berlin, Musikzimmer (1913) Ottilie-von-Hansemann-Haus, Berlin-Charlottenburg, 1914-16, (Zustand 1997) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 1905 wird an der TH München die erste Architektur- studentin als ordentliche Studentin zugelassen, 1908 an der TH Darmstadt, zum Wintersemester 1908/09 an der TH Stuttgart, 1909 an der TH Berlin.99 An der TH Braunschweig nimmt erst 1915 eine erste Stu- dentin ein ordentliches Architekturstudium auf.100 Zu diesem Zeitpunkt haben Elisabeth von Knobelsdorff und Margarete Wettcke an der TH Berlin-Charlotten- burg (1911 resp. 1914), Jovanka Bontschits an der TH Darmstadt (1913), Thekla Schild an der TH Karls- ruhe (1914) und Agnes Mackensen an der TH Mün- chen (1915) bereits ihre Architekturdiplome erhal- ten.101 Den Pionierinnen des akademischen Architekturstudi- ums werden die Widerstände im Fach zwangsläufig bewusst. Die wenigen Architekturstudentinnen dieser Generation setzen mit großer Energie und familiärem Rückhalt, dank hoher Mobilität, Begabung und Hart- näckigkeit ihren Studienwunsch um.102 Viele schließen ihr Studium erfolgreich ab.103 Ihre ‘ersten’ Diplome werden als Erfolge in der Frauenpresse verkündet.104 Die Anträge von Frauen auf Zulassung zum ordentli- chen Architekturstudium an Technischen Hochschu- len steigen in den zehner Jahren an, insbesondere um 1916. Architekturstudentinnen dieser Generation kommen aus bestimmten Milieus.105 Etliche dieser Studentin- nen waren in liberalen jüdischen Familien in städti- schen Milieus aufgewachsen. Sie waren vielfach im Kindesalter mit ihren zumeist zur bildungsorientierten, gehobenen Mittelschicht gehörigen Familien in die großen Städte des Deutschen Reiches oder nach Wien gezogen.106 Marianne Viefhaus konstatiert einen sehr hohen Anteil jüdischer Studentinnen an der ersten Generation technisch orientierter Studentinnen und stellt die The- se auf, dass diese Überrepräsentation aus der be- sonderen Stimulanz der Neuorientierung angesichts beschränkter akademischer Möglichkeiten sowie der Ambivalenz der Assimilationsbewegung herrühre.107 Manche stammten aus adligen Familien.108 Auch ein- zelne Töchter aus (groß-)bürgerlichen Familien, die in Großstädten bereits Schulen für höhere Mädchenbil- dung besucht hatten, nahmen manches Mal ein Ar- chitekturstudium in Angriff. Bei dieser Gruppe fällt jedoch auf, dass der Vater zum Zeitpunkt des Studi- ums häufig bereits verstorben war. Dies stellt inner- halb der Studentinnen der Kaiserzeit kein Spezifikum dar.109 Hier wird jedoch deutlich, dass in bürgerlichen Familien die Abwesenheit des Vaters die Aufnahme eines Studiums der Tochter eher förderte als - bspw. durch den Verlust des Ernährers - verhinderte.110 Ein nennenswerter Teil dieser Studentinnengenerati- on war in osteuropäischen Staaten aufgewachsen und kam zum Technischen Studium nach Deutsch- land.111 Für ein Technikstudium wählten gerade bul- garische Studentinnen - und darunter auch die Ar- chitekturinteressierten - in den zehner Jahren oft Technische Universitäten im Deutschen Reich.112 Damit lässt sich behaupten, dass Studentinnen die- 99 TH München, vgl. Fuchs,1994, S.33 - TH Darmstadt vgl. Vief- haus, 1988, S.44 - TH Stuttgart vgl. Becker, 1998, S.128 - TH Berlin vgl. Biografie Tippelskirch 100 Vgl. Biografie Dinkelmann 101 Vgl. Biografie Tippelskirch - zu Jovanka Bonschits vgl. Viefhaus, 1988, S.4 - zu Thekla Schild vgl. Neue Bahnen, 49.Jg., Heft 2, Januar 1914 - zu den ersten Diplomen an der TH München vgl. Fuchs, 1994, S.148. 102 So kann bspw. Elisabeth von Knobelsdorff erst durch die per- sönliche Fürsprache ihres Vaters 1909 die Zulassung als ordent- liche Studierende an der TH Charlottenburg erreichen. 103 Die Zahl bzw. Quote der Studienabbrecherinnen unter den Ar- chitekturstudentinnen der Kaiserzeit ist bisher nicht berechen- bar, da Angaben über den Grund der Exmatrikulation zumeist ebenso fehlen wie Informationen zum Verbleib. Anhand der an der TH Charlottenburg bis 1919 bisher nachweisbaren 41 Stu- dentinnen lässt sich eine grobe Einschätzung vornehmen: So sind bisher zumindest 15 Diplome - an der THC oder einer an- deren Hochschule - nachweisbar. 104 So bspw. die Meldung über Marie Frommers Promotion zum Dr.Ing, in: Die Frauenfrage, 21.Jg., 1919, S.73 105 Von etlichen der während der Kaiserzeit immatrikulierten Stu- dentinnen rekonstruierte Despina Stratigakos nun erstmalig den familiären Background. 106 Die Töchter aus jüdisch-liberalen Elternhäusern umfasste u.a. Ella Briggs, Charlotte Cohn, Susanne Cohn, Marie Frommer, Le- onie Pilewski, Toni Simon-Wolfskehl, Alice Reichenbach, Lucia Finkelstein und Ilse Cats. - Zum Modernisierungs- resp. Emanzi- pationsvorsprung jüdischer Frauen um 1900 vgl. Richarz, 1992, S.65 107 „In vielen östlichen Staaten war den Juden der Zugang zu den Universitäten verwehrt (..), während gerade die Ambivalenz der jüdischen Assimilationsbewegung - das Selbstverständnis des Judentums als Makel und Auszeichnung - jüdische Frauen, die sich nicht dem bürgerlichen Frauenideal anzupassen bereit wa- ren, zu hohen geistigen und wissenschaftlichen Leistungen sti- mulierte.“ - Viefhaus, 1988, S.48 108 Zu den (mehr oder minder) adeligen Pionierinnen in der Archi- tektur zählten bspw. Viktoria von Bentheim zu Steinfurt, Klothil- de Drennig von Pietra Rossa, Janina von Muliewicz, Valerie von Klier, Cornera Serger van Panhuys, Julia von Broich, Irmgard von Dincklage und Annemarie von Braunschweig. 109 Einen signifikanten - über 25%igen - Anteil ‘vaterloser’ Studen- tinnen hatte Gerta Stücklen in ihrer Umfrage an der Friedrich- Wilhelms-Universität im Wintersemester 1913/14 konstatiert. Stücklen, Gerta, 1916, S.42 - Zu den ‘vaterlosen’, bürgerlichen Architekturstudentinnen zählten beispielsweise Edith Schulze, Martha Abdank, Margarethe Wettcke, Therese Mogger, Hilda Friedenberg, Agnes Mackensen und Elsbeth Arnet. 110 Über die jeweils konkrete Studienmotivation können nur weiter- gehende Analysen Aufschluss geben. 30 Chancen und Möglichkeiten 111 Vergleichsweise viele der technikinteressierten Studentinnen an Hochschulen des Deutschen Reiches kommen in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts aus dem Ausland. Der Anteil der ausländischen Studentinnen spiegelt die kulturelle Orientie- rung der gehobenen Schichten, den geringeren Skeptizismus gegenüber den Technikwissenschaften, den internationalen Ruf einiger Hochschulen und die größere Aufgeschlossenheit gegen- über dem Studium von Frauen wider (TH Berlin, TH Darmstadt, TH München). - In Rußland war bspw. die Technische Universi- tät in St.Petersburg bereits ab 1895 für Frauen zugänglich. Wäh- rend die in Russland geborenen Studentinnen an Deutschen Hochschulen mit ihren Familien zumeist schon um die Jahrhun- dertwende nach Westen emigriert waren, kamen insbesondere Bulgarinnen und Rumäninnen häufig zum Studium technischer Fächer nach Deutschland. Zu den ausländischen Studentinnen, die während der Kaiserzeit bspw. an der TH Darmstadt studier- ten, gehörten die Serbin Jovanka Bonschits (geb. 1887), die Schweizerin Rahel Brunner (geb.1891), die Bulgarinnen Marie- Luise Dos(s)ewa (geb. 1894) und Stefana Faraschewa (geb. 1893), sowie die Österreicherin Leonie Pilewski (geb. 1894). Duden / Ebert bezifferten den Anteil ausländischer Studentinnen an der TH Charlottenburg bis 1918 mit knapp 40% (Duden / Ebert, 1979, S.407) Unter den 29 bis zum Beginn der Weimarer Republik an der TH Charlottenburg erstinskribierten, ordentli- chen Architekturstudentinnen waren sieben Ausländerinnen: die Schweizerin Gertrud Ferchland (geb. 1894) und die Ungarin Ella Kohlbach (geb. 1896), sowie die Bulgarinnen Helene Markoff (geb.1894), Iwana Arnandowa (geb. 1898), Maria Berowa (geb. 1897), Giwka Kasarowa (geb. 1897) und Mara Konsulowa (geb. 1891). 112 Mit Öffnung der TH Wien 1919 studieren auch Aspirantinnen aus den Kronländern der österreichischen Monarchie in Wien. 113 Auch wenn kein vollständiges „Generationenprofil“ der zwischen 1910 und 1919 immatrikulierten Architekturstudentinnen vorliegt, wurde diese These eines [nicht hochschul- sondern] fächerspe- zifischen Herkunftsmilieus durch eine Stichprobe an der KGS Wien überprüft, für den Zeitraum 1913-1918 die Herkunftsmili- eus der Studentinnen der Klassen Tessenow und Strnad aus- gewertet. Mit Ausnahme Maria Trinkls und Elisabeth Nießens, die bei den väterlichen Berufen nur die Eintragungen „Hotelier“ resp. „Kaufmann“ vornahmen, erlauben alle Inskriptionsbögen eine Einordnung in großbürgerliche Milieus. ser ersten Generation während der Kaiserzeit den Studienwunsch Architektur nur auf dem Hintergrund gesellschaftlich privilegierter Milieus und besonderer familiärer Konstellationen umsetzen konnten.113 Noch deutlicher als dieses spezielle kulturelle Kapital kenn- zeichnet die Architekturstudentinnen der Kaiserzeit ein ebenso individuelles wie ausgeprägtes Selbstbe- wusstsein. Denn auch innerhalb privilegierter Familien musste der resp. dieser Studienwunsch häufig zu- nächst erst durchgesetzt werden.114 Adlige Studentinnen werden nach dem Studium zumeist als ‘Privatarchitektinnen’ - im engsten Wort- sinne - im engeren und weiteren Familienkreis tätig. Ihr Adel verpflichtet sie durchaus auch zu militäri- schem Einsatz, steht einer Publizität ihrer Arbeiten wie einer freiberuflichen Existenz aber eher im We- ge.115 Ausländische Studentinnen kehren nach dem Diplom häufig in ihre Heimatorte zurück. Etlichen der jüdischen Architekturstudentinnen werden wir in den zwanziger Jahren wieder begegnen - ebenso wie manchen der vaterlosen Bürgertöchter. Dass der gesetzlich geregelte Zugang von Frauen zum Architekturstudium noch für ein ganzes Jahr- zehnt durch zahlreiche Sonderregelungen von seiten der Fakultäten de facto unterlaufen werden konnte, haben Barbara Duden und Hans Ebert, Marianne Viefhaus, Margot Fuchs wie auch Juliane Mikoletzky belegt.116 Mikoletzky spricht für die Technische Hoch- schule Wien von einer Zulassung „auf Raten“, die nicht Dokument eines „fulminanten Sieges der Eman- zipation“ oder eines „revolutionären Reformeifers“ sei, sondern „vielmehr die Summe eines langen ge- sellschaftlichen Aushandlungsprozesses, ein Kom- promiß, der am Ende sogar noch einmal männliche Vorrangstellungen bestärkt.“ 117 Die auch nach 1910 immer wiederkehrende Forde- rung, dass die Zulassung von Frauen zum Studium sich nicht nachteilig für die Studenten auswirken dür- fe, zeigt das Ausmass der psychologischen Verunsi- cherung. Im Unterschied zu juristischen und medizini- schen Fakultäten werden an Architekturfakultäten Lehrplanänderungen oder geschlechtergetrennter Unterricht weder gefordert noch umgesetzt.118 Von ei- ner Verschlechterung der Studiensituation, gar einer Benachteiligung von Studenten innerhalb des Studi- ums kann de facto keine Rede sein. Der Diskurs über Benachteiligung spiegelt vielmehr zum Ende des Kai- serreiches die Angst vor dem Verlust männlicher Ex- klusivität an technischen Fakultäten wider. Dabei ga- rantierte die außerordentliche Zulassung einzelner Frauen zu einzelnen Vorlesungen nicht nur die Vor- rangstellung von Männern im Studium sondern ins- besondere im Berufsfeld. Denn mit dem Besuch ein- zelner Vorlesungen oder dem Status der außeror- dentlichen Hörerin war keine Zulassung zum Diplom zu erwirken. Die zwischen 1908 und 1910 in den ver- schiedenen Ländern des Deutschen Reiches durch- gesetzte Zulassung von Frauen als ordentlichen Stu- dierenden rückt die - theoretisch denkbare, obschon unwahrscheinliche - Bedrohung männlicher Hegemo- nie innerhalb des Berufsfeldes ins Bewusstsein. Nicht nur im Hinblick auf staatliche Laufbahnen nehmen die Technischen Hochschulen eine Schlüsselstellung ein. Mangels Ausbildungsalternativen für Studentinnen sind sie - im Hinblick auf die mögliche Partizipation von Frauen am Berufsfeld - die zentrale Hürde.119 Die Macht hochgradig selbstreferentieller Strukturen, die für Fakultäten wie den freien Berufsstand in der Ar- chitektur konstituierend bleibt, verhindert erfolgreich eine auch nur annähernd adäquate ‘Repräsentanz’ von Frauen im Berufsfeld und an Hochschulen noch auf Jahrzehnte hinaus .120 Innerhalb der Fakultäten werden Studentinnen zunehmend formal gleichbe- rechtigt behandelt, noch bevor das Gleichheitspostu- lat während der Weimarer Republik die Egalität der Geschlechter politisch fixiert.121 Was auf den ersten Blick wie die rasche Umsetzung der nun gesetzlich geregelten Zulassung von Frauen zum Architekturstudium in eine institutionelle Praxis - gar als Antezipation des Gleichheitspostulats - aus- sehen mag, wird retrospektiv als deutlicher Indikator für einen genderspezifischen Ausgrenzungsmecha- nismus innerhalb der Ausbildung erkennbar: So geht die in den zehner Jahren langsam wachsende Prä- senz von Studentinnen an Architekturfakultäten mit einer wachsenden ‘Unscheinbarkeit’ im institutionel- len Regel- und Beziehungsgeflecht der Architektur- fakultäten einher.122 Analog zu den - anhand der Ausstellung 1912 be- schriebenen - Formen öffentlicher Wahrnehmung lässt sich dieser nur schwer fassbare Prozess viel- leicht folgendermaßen charakterisieren: Um so sicht- barer die Architektinnen und Architekturstudentinnen, ihre Präsenz, ihre Ambitionen, ihre Projekte werden, um so unsichtbarer werden sie in Hochschule und Öffentlichkeit. Dieser Ausgrenzungsprozess, den wir in den Ausbildungen von Tessenow- und Bauhaus- studentinnen verfolgen werden, zeichnet sich bereits vor der Weimarer Republik ab. Auch Mikoletzky konstatiert, dass der sukzessive Po- litikwandel der Ausbildungsinstitutionen im Hinblick auf Studentinnen in den zehner Jahren nur in einem mittelbaren Verhältnis zu allgemein-politischen Verän- derungen steht, primär einer ‘Logik des Berufsfeldes’ folgt bzw. dessen Interessen entspringt.123 Mit der zwangsweise verordneten Öffnung der Hochschulen differenzieren sich die Ausschlussmechanismen aus. An die Stelle von Sonderregelungen für Studentinnen treten strukturelle und subtilere Formen der Aus- grenzung innerhalb der Ausbildung.124 114 Vgl. hierzu bspw. die Situation und Strategie Viktoria von Bent- heims (Stratigakos, 1999). Auch die liberal jüdischen Familien standen dem Studium der Töchter nicht vorbehaltlos gegen- über, häufig konnten diese Studentinnen mit Hilfe ihrer Mütter ihren Studienwunsch realisieren. Vgl. Richarz, Monika, 1992, insbes. S.65. Vgl. auch Kaplan, Marion, 1991; zu den Durchset- zungsschwierigkeiten gegenüber den Vätern (S.140 ff.). Den Stellenwert des individuellen Selbstbewusstseins zeigen auch die Ausnahmen wie bspw. Franziska Braun (geb.1885), Tochter des Gymnasialdirektors Dr. Braun in Hanau, oder Elsbet Arnet (geb. 1891), die als Tochter eines Kaufmanns aufwuchs. Vgl. Viefhaus, 1988, S.44, resp. S.48. 115 Vgl. Stratigakos, 1999 116 Juliane Mikoletzky hat anhand der Zulassungsdebatte an der TH Wien herausgearbeitet, dass die individuellen Zulassungen von Studentinnen fächerspezifisch, insbesondere in Abhängigkeit von den Haltungen der jeweiligen Professorenkollegien sowie der angegebenen Studienzwecke stark variieren konnten, vgl. Mikoletzky, Juliane: Ordentliches Technikstudium für Frauen, in: Mikoletzky/Georgeacopol-Winsichhofer/Pohl, 1997, S.53 ff. 117 Mikoletzky, 1997, S.83 118 Körner, 1997; Burchardt, 1997 119 Durch Geschlechterrestriktionen innerhalb der Handwerksord- nungen bleibt Bewerberinnen der Weg über die Baugewerke- schulen weitgehend verschlossen. Die Schlüsselstellung der Ar- chitekturfakultäten an Technischen Hochschulen in der Ausbil- dungslandschaft korreliert somit mittelbar mit der Chance auf Partizipation am Berufsfeld 120 Diese These lässt sich bspw. dadurch plausibilisieren, dass in Deutschland erst in den 80er Jahren ordentliche Professuren - an Architektinnen vergeben wurden. 75 Jahre nachdem Profes- soren begonnen hatten, Studentinnen Architektur zu vermitteln, 65 Jahre nachdem sie erstmals einer Architektin bei einer Pro- motion „ausgezeichnete wissenschaftliche Leistungen“ attestiert hatten, sind Kollegen willens und in der Lage, in einer Architek- tin eine Kollegin wahrzunehmen. 121 Weimarer Verfassung, Art. 109 122 Die wachsende - wenn auch anteilig geringe - Zahl von Archi- tekturstudentinnen führt dazu, dass diese in den Institutionsdo- kumenten zunehmend weniger Erwähnung finden. Institutionelle Dokumente beschreiben damit in der Zeit der Weimarer Repu- blik die Realitäten eines Architekturstudiums von Studentinnen bestenfalls noch indirekt. 123 Sie erkennt dem in Österreich 1918 stattfindenden System- wechsel eine „eher untergeordnete Bedeutung“ für die Zulas- sung von Frauen zum Studium zu. Mikoletzky, 1997, S.41. Frauen in der Architektur seit der Jahrhundertwende 31 Die Undurchschaubarkeit von Selektionen, Empfeh- lungen, Kriterien erlangt - nach Wetterer - erst durch allgemeinverbindliche Plausibilitäten Legitimation. Diese Plausibilisierungen werden wir anhand des Bauhauses wie im Seminar Tessenow verfolgen. Aber auch dieser Prozess setzt nicht erst während der Weimarer Republik ein. Die schon in den zehner Jahren - mit der Zulassung von Frauen an Architekturfakultäten - nun innerhalb der Ausbildungsebene erkennbaren Ausgrenzungs- strategien, möchte ich im folgenden kurz charakteri- sieren125: Potentiellen Bewerberinnen und Studentinnen wird unter Bezug auf ihre Arbeiten und Fähigkeiten, immer jedoch auch unter Hinweis auf ihr Geschlecht in vie- lerlei Varianten verdeutlicht, dass das Fach nicht für sie geeignet sei (Abschreckungsvariante), resp. sie für das Fach nicht geeignet seien (Defizitvariante). Sie werden auf vermeintlich originäre - und immer weib- lich konnotierte - Themenstellungen verwiesen (Sepa- rationsvariante) oder ebenso kontinuierlich wie pater- nalistisch auf ihre ‘höhere’ und ‘eigentliche’ Berufung als Frau und Mutter hingewiesen (Ambivalenz- variante).126 Wie aber arrangierten sich bereits tätige Architektin- nen in einem umkämpften Markt, auf dem nicht nur Kollegen, sondern auch Auftraggeber - wie Winkel- mann es 1913 andeutet - einer „Frau als Architektin“ mit Vorbehalten begegnen?127 Überlieferte Selbstzeugnisse von Architektinnen, die Aufschluss geben könnten über ihre Sicht der Mög- lichkeiten einer Etablierung im Fach, fehlen bisher weitestgehend. Häufiger lassen sich Äußerungen von Bauherren finden. Sehr prägnant schildert der Schriftsteller Paul Oskar Höcker in seinen Lebenserinnerungen sein Verhältnis als Auftraggeber gegenüber der Architektin.128 Über dreissig Jahre nach dem Bau des Hauses Höcker er- innert der Bauherr den Entstehungsprozess wie folgt: „Vor allem wollten wir gerade das nicht, was damals die Villenkolonie Grunewald in hunderten von kleinen Scheußlichkeiten aufwies: das ins Duodezformat zu- sammengepreßte ‘Schlößchen’. Es war dann ein weiblicher Architekt, dem wir schließlich unser Ver- trauen schenkten. Fräulein Winkelmann (..) suchte al- le Aufgaben, die wir ihr stellten, mit großem Fleiß und gutem Verständnis zu lösen. (..) Gleich in den ersten Bauwochen entdeckten wir, daß unser Griff der rech- te war (..). Die Lieferanten hatten es schwerer mit ihr als mit manchem Regierungsbaumeister, denn sie konnte mit verblüffend ruhiger Gelassenheit auf ihrem Willen bestehen (..) Je stiller und trotziger sie ihre Sie- ge erzwang, desto stolzer wurden die Maurer und Zimmerleute, die Dachdecker und Rohrleger auf ihre Baumeisterin. Eine Partei empfahl sie immer der nächsten. Wir erreichten durch sie alles genau so, wie wir´s uns ausgedacht hatten. Und als wir einzogen, war der Voranschlag nicht einmal überschritten.“ 129 Als die Höckers in den zwanziger Jahren ihr Haus umbauen heisst der Architekt Allinger. Wir erfahren nicht, weshalb Höckers auch beim Neubau eines kleineren Hauses in der Nußbaumallee, ebenfalls im Westend, ihre guten Erfahrungen mit Winkelmann nicht wiederholen, obwohl diese ihr Privatbüro nun unweit in der Fraunhofer Straße betreibt. „Eine Partei empfahl sie immer der nächsten“, schrieb Höcker, der ihre Zuverlässigkeit, ihre verblüffend ruhige Ge- lassenheit und ihre Sparsamkeit gelobt hatte. Die Leistung dieser „westfälischen Bauerntochter“ (sic!) reduziert er auf Bau- und Kostenkontrolle. Die archi- tektonischen - intellektuelle wie schöpferische - Lei- stung reklamiert er rückblickend für sich (und seine Gattin?): „Wir erreichten durch sie alles genau so, wie wir´s uns ausgedacht hatten.“ 130 Auch ein weiterer Bauherr Winkelmanns, der Schrift- steller Rudolf Presber, erinnert sich gerne und stolz an den Bau seines geliebten Hauses „mit dem tief wie Wotans Sturmhut herabgezogenen seltsamen Dach“. Die Architektin scheint er nicht zu erinnern.131 Architekturstudentinnen der Kaiserzeit sind poten- tielle Architektinnen der Weimarer Republik. Was zu- nächst wie ein Generationswechsel angesichts histo- risch erweiterter Ausbildungschancen für architektur- interessierte Frauen aussieht, stellt sich schon in den zwanziger Jahren weitaus vielschichtiger dar. Archi- tektinnen der Kaiserzeit sind nur in Teilbereichen des Berufsfeldes zu finden, Architekturstudentinnen der Kaiserzeit betreten das Berufsfeld nur möglicherwei- se. Und die Gestalterinnen, die ohne Berührungs- ängste - aber auch ohne akademische Ausbildung - während der Kaiserzeit vereinzelt Zugang über die Innenraumgestaltung zur Architektur gefunden hat- ten, scheinen zu Beginn der Weimarer Republik, im Laufe der zwanziger Jahre zu verschwinden. Hat sich in dieser Zeit das gesamte Berufsfeld neu strukturiert, das Berufsbild vielleicht verändert? 124 Wie bspw. an der TH Darmstadt die Zulassung zum ‘freieren’ - jedoch nicht für alle beruflichen Laufbahnen qualifizierenden - Fachexamen anstelle des Diploms. 125 Diese Ausgrenzungsvarianten werden in den folgenden Kapiteln anhand der Situationen am Bauhaus wie im Seminar Tessenow untersucht. Da die Exklusionen jedoch nicht erst während der Weimarer Republik diese Modifikationen erfahren, werden sie hier bereits genannt. 126 Mikoletzky spricht für die Technischen Hochschulen Österreichs von „einer Art Vorwärtsstrategie“, mit der die Hochschulen in den späten zehner Jahren „den allfälligen Ansturm weiblicher Hö-rer in die gewünschten Bahnen zu lenken“ gedachten. Mikoletz-ky, 1997, S.71 127 Winkelmann, Emilie: Die Architektin und die Ingenieurin, in: So- den, Eugenie von: Das Frauenbuch, Bd.1.: Frauenberufe, Stutt- gart, 1913, S.108ff. 128 Höcker, Paul Oskar: Gottgesandte Wechselwinde - Lebenserin- nerungen eines 75-jährigen, Bielefeld / Leipzig, 1940. 1908 hatte Emilie Winkelmann für die Familie Höcker in der Lindenallee erstmalig einen Entwurf unter eigenem Namen realisieren kön- nen. Nach Ablehnung mehrerer Architekten wegen „lauter Spe- zialideen“ und der „Unverhältnismäßigkeit der zur Verfügung stehenden Mittel“ wird der Auftrag an einen „weiblichen Archi- tekten“ vergeben. 129 Ibid., S.353 130 Seine Schilderung macht deutlich, dass Winkelmann als preis- günstigstes Mittel zum Zweck zum Zuge kam. Es bleibt offen, ob seine Erinnerung oder ihr Nimbus aus der anhaltinischen Lehrerstochter die „westfälische Bauerntochter“ machte. 131 So schreibt Rudolf Presber in seinen Memoiren [Ich gehe durch mein Haus, 1935]: „Das eine hab ich selbst gebaut (..) Der Sinn für Schönheit und Ordnung einer durch Musik und Kunst leben- den Frau hat mir dies Haus (..) tauglich ausstatten helfen, da es endlich fertig dastand.“ (hier zitiert nach Presber, Wolfgang: Ich suche unseren Vater Rudolf Presber, Berlin, 1997, S.107) - Wahrscheinlich meint er hier nicht Winkelmann, sondern würdigt mit der namentlich nicht genannten Frau seine damalige Gefähr- tin „Sunchen”]. 32 Chancen und Möglichkeiten 3 Bilder und Images: Frauen und Bauen in der Weimarer Republik Das Berufsbild Architektin (33) - ‘Akademische’ und ‘neue’ Architekten (35) - Neue Bauaufga- ben (37) - Architektinnen der Weimarer Repu- blik (42) - ‘Schaffende’ oder ‘schöpfende’ Frau- en? ‘Neues Bauen’, ‘neue Frauen’ und die ‘neue Wohnung’ (49) - Architekturstudentinnen der Weimarer Republik (53) - Zur Definition der Be- griffe ‘Tessenow’- und ‘Bauhausstudentin’ (56) Das Berufsbild Architekt/in 1913 taucht das Berufsbild Architektin erstmalig in der frauenbewegten Berufsberatungsliteratur auf.1 In einer „allgemeinverständlichen Einführung in alle Ge- biete des Frauenlebens der Gegenwart“ wird „die Ar- chitektin und Ingenieurin“ nicht den freien sondern den akademischen Berufen zugeordnet. Als Autorin rät Emilie Winkelmann architekturinteressierten Frau- en eindringlich zur Selbstprüfung, denn „ohne mathe- matische Fähigkeiten, ohne zeichnerische Begabung, ja selbst ohne gewissen praktischen Sinn für Lebens- bedingungen, Material- und Geldverhältnisse, wird trotz sonstiger Intelligenz niemand gut durch das Studium und die spätere Praxis kommen.“ 2 Detailliert stellt sie das Studienpensum dar. Und auch für die Zeit nach dem Studium, die Professionalisierungs- phase, gibt sie ausführliche Hinweise: „Die Lernjahre, die nun noch nötig sind, hat die Frau, wie ja auch der Mann, der nicht in den Staatsdienst geht, im Privatatelier eines Architekten zu absolvie- ren. (..) Wer die Absicht hat, selbständige Architektin zu werden, das heißt, selbst Aufträge anzunehmen und unter eigener Verantwortung auszuführen, wird natürlich gut tun - auch wenn sie später alle Arbeit selbst leisten kann - sich nicht zu früh zu spezialisier- en. Namentlich ist es während der Jahre als Ange- stellte aber wichtig, Einsicht in praktische Arbeit zu bekommen, Bauleitung zu übernehmen (..) und der- gleichen mehr; diese praktische Tätigkeit ist unge- mein wichtig für die Architektin. Es kommen darin un- endlich viele Dinge vor, von denen sie in ihrer ganzen Hochschulzeit nichts hört, die sich aber auch nicht ohne weiteres aneignen lassen. Und doch sind diese unerläßlich für die selbständig tätige Architektin.“ Und sie schränkt abschließend ein: „Nur eine durch- aus vertrauenerweckende Persönlichkeit wird - da immerhin die Frau als Architektin noch eine Ausnah- meerscheinung ist - Privataufträge erhalten, auf die sie im ganzen mehr rechnen muß als auf den Ge- winn von Konkurrenzen, bei denen, wie in allen Fä- chern, die Chancen wegen des großen Andranges sehr gering sind. (..) In der Architektur und dem In- genieurwesen stehen der Frau die gleichen Studien- möglichkeiten zur Verfügung wie dem Manne, nur im Beruf sind ihr augenblicklich noch die Staatskarrieren verschlossen.“ 3 Die Möglichkeit, als angestellte Architektin zu arbei- ten, hält Emilie Winkelmann offenkundig für unreali- stisch oder für nicht erstrebenswert. Erwähnt wird die Mitarbeit in Ateliers nur insofern, als auch die Frau „Lernjahre“ im Privatatelier eines Architekten zu ab- solvieren hat. Winkelmann ist selbst Privatarchitektin, stellt das Berufsfeld aus dieser Perspektive dar. Auch wenn diese „allgemeinverständliche Einführung“ in ei- nem „Frauenbuch“ erscheint, ihre persönlichen Erfah- rungen als Frau in diesem Beruf bleiben unerwähnt. Nur die Nichtzulassung von Frauen zum Staatsdienst wird thematisiert. Und verdeckt deutet Winkelmann Vorbehalte von Bauherrenseite gegenüber einer 1 Winkelmann, Emilie: Die Architektin und die Ingenieurin, in: So- den, Eugenie von (Hg.): Das Frauenbuch, Bd.1: Frauenberufe, Stuttgart, 1913, S.108ff. Wie bereits erwähnt, wurden Winkel- manns Bauten bereits 1909 kommentarlos in der Gesellschafts- presse abgebildet, sie selbst 1912 in der Bauwelt als „Die Frau als Architektin“ vorgestellt. Mit ihrem Artikel im „Frauenbuch“ wird der Beruf der Architektin in einem explizit an Leserinnen gerichteten Medium als nun zumindest ’denkbarer’ Beruf vorge- stellt. Allerdings rekurrieren zahlreiche der dort gesammelten Berufsbeschreibungen auf allzu weibliche Tugenden. So bspw. die Darstellung `Wissenschaftliche Zeichnerin´. Für die „Forde- rungen dieses Berufes (..) „Anpassungsfähigkeit, Geduld und Treue in stiller Arbeit“ - sei „die Frau als solche besonders ge- eignet“. Ibid., S.110 2 Winkelmann, 1913, S.108 3 ibid., S.109, resp. S.108 Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 33 Architektin an. Hier konzediert sie Verständnis, „da die Frau als Architektin noch eine Ausnahmeerschei- nung ist.“ So selbstbewusst Emilie Winkelmann ihren Weg als Privatarchitektin geht, ihre Darstellung des Architek- turstudiums als defizitär wenn auch vielfältig, ihre skeptische Einschätzung der Möglichkeiten des Be- rufsfeldes können potentielle Studentinnen kaum als Ermutigung lesen. Emilie Winkelmann scheint die ge- schlechtsspezifischen Schwierigkeiten, ihre Erfahrun- gen ‘objektiviert’ weitergeben zu wollen. Dies lässt sich im Hinblick auf negative Erfahrungen jedoch auch - in Anlehnung an eine These von Glaser und Herrmann - „als Ausdruck der psychischen Verarbei- tungsform erlebter Diskriminierung“ interpretieren.4 Winkelmann betont die Notwendigkeit höherer ma- thematischer Vorbildung, die an höheren Mädchen- schulen, sog. Lyzeen nicht zu erwerben war. Und wir erfahren, „daß nur eine durchaus vertrauenerwecken- de Persönlichkeit Privataufträge erhalten wird.“ Wir erfahren nicht, wodurch Emilie Winkelmann dieses Vertrauen erweckt. Fünf Jahre nachdem sie sich als selbständige Architektin in Berlin niedergelassen hat, rät sie, die nach ihrem Studium ein Jahr in einem Pri- vatatelier mitarbeitete5, nachdrücklich zu notwendgen Lehrjahren, um „unendlich viele Dinge, von denen sie in ihrer ganzen Hochschulzeit nichts hört, die sich aber auch nicht ohne weiteres aneignen lassen“, zu erwerben.6 Auch zeitgleiche Berufsdarstellungen, die sich an „junge Talente“ richten, warnen vor den Kosten und vielfältigen Anforderungen des Studiums wie des Be- rufes. Daneben werden jedoch auch immer wieder Lösungen aufgezeigt, mit denen die Schwierigkeiten bewältigt werden können.7 Optimistischer schätzt Alice Salomon im gleichen Jahr die Chancen von Frauen im Beruf ein. In einem Überblick über akademische Frauenberufe weist sie darauf hin, dass das Berufsfeld Architektur nicht „ge- setzlich geschützt“ ist, betont jedoch, dass „dieser noch außergewöhnliche Weg nur für Mädchen mit außergewöhnlichen Neigungen, Interessen und Bega- bungen“ zu empfehlen sei: „Das Studium der Archi- tektin baut auf das Reifezeugnis auf, dauert meist 9 bis 10 Semester; aufgrund der Prüfung wird dann der Grad eines Diplomingenieurs erteilt. Allerdings kann die Ausbildung zum Beruf auch in Baubureaus oder Baugewerkschulen erfolgen, da die Ausübung nicht an die Ablegung von Examina gebunden ist.“ 8 Mit dem Hinweis, dass der Zugang zum Beruf formal nicht geregelt ist, hat Salomon recht. Im Unterschied zu den von ihr ebenfalls dargestellten Fächern Theo- logie und Jura, wo sowohl die Zulassung von Frauen zum Studium wie insbesondere zu den Abschluss- bzw. Zugangsprüfungen noch in den zwanziger Jah- ren umkämpft waren, stellt sich der ‘ungeregelte’ Be- reich Architektur als formal schwellenfrei dar. Der Eindruck, dass das Berufsfeld für Frauen über Bau- gewerkeschulen evt. leichter zugänglich wäre, lässt jedoch deren reale Zugangsbedingungen außer Betracht.9 Auch Luise Marelle weckt 1916 in der Vossischen Zeitung bei interessierten Leserinnen falsche Hoff- nungen, wenn sie anhand von „Frauen im Militär- dienst“ wahrheitsgemäß berichtet: „Der Studiengang für den Architektinnen-Beruf um- faßt acht Semester, also vier Jahre. Er umfaßt neben den Fachstudien der Bauwissenschaft: Mathematik, Mineralogie, Chemie, Physik usw., Formenlehre, Kunstgeschichte, Technologie des Kunstgewerbes, auch statistische Untersuchungen und Lehren der Hygiene. Zum Abschluß eines jeden Semesters muß eine Arbeit im Zeichensaal durchgeführt werden. (..) Solange ihr der Staatsdienst verschlossen war, muß- te die Architektin, bevor sie sich selbständig nieder- ließ, einige Jahre in die Werkstatt eines Privatarchi- tekten in die Lehre gehen. (..) Hier (..) schlug Elisa- beth von Knobelsdorff (..) [eine] Bresche (..) Sie stellte sich nun als erste im September 1914 der Militärbau- verwaltung (..) zur Verfügung, wurde sofort angenom- men und ist seitdem dort beschäftigt. (..) Sie ist dem Regierungsbaumeister (..) unterstellt und arbeitet täg- lich 7 1/2 Stunden. Ihr Gehalt wurde bereits zweimal freiwillig erhöht.“ 10 Neben von Knobelsdorff sind seit Beginn des ersten Weltkrieges auch Viktoria von Bentheim (geb. 1887), Agnes Mackensen (geb. 1885) und Margarete Wettke (geb. 1887) in den Staatsdienst in Form des Militär- dienstes im Kriege eingetreten. „Alle diese Hilfsarbei- terinnen bei der Militär-Bauverwaltung erhalten die- selbe Entschädigung wie ihre männlichen Kollegen in der gleichen Tätigkeit. Nachdem diese vier Frauen sich im Dienste der Militärbehörde durchaus bewähr- ten, ist es nicht ausgeschlossen, daß in Zukunft die Ausbildung als Regierungs-Bauführer auch den Frau- en offen stehen wird; damit wäre ein neuer Schritt zu voller Gleichberechtigung getan!“ 11 Der Staatsdienst in Form der öffentlichen Bauverwal- tungen stand den Architektinnen nicht offen. Das Thema „Frauen im Staatsdienst“ war in den ersten Jahren des Jahrhunderts insbesondere anhand der Lehrerinnen zwischen Frauenbewegung und Staats- verwaltung heftig umkämpft.12 Marelle begrüßt die „Bresche“ im Staatsdienst durch die freiwillige Mili- tärverpflichtung und streicht deren emazipatorische Bedeutung heraus. Dieselbe Entschädigung wie ihre männlichen Kollegen zu erhalten, war zu Beginn des Krieges keineswegs sicher.13 Hier wird deutlich, dass der Krieg - ohnehin von großen Teilen der Frauenbe- 4 Glaser, Edith / Ulrich Herrmann: Konkurrenz und Dankbarkeit, in: Zeitschrift für Pädagogik, 34.Jg., 1988, Nr.2, S.218 - Emilie Winkelmann erwähnt bspw. „unsichere Vergütungen, (..) weil es dabei immer auf die Persönlichkeit des Angestellten ankommen wird“, stellt die Erfahrung ungleicher Bezahlung als individuelles Problem dar. Wir erfahren nicht, wie es ihr gelang, zum Studium zugelassen zu werden, wie sie dies finanzierte, wo sie ihre Kenntnisse erwarb. Zur Vorbildung, familiären Situation und der „sonstigen Intelligenz“ mit der Winkelmann ihre Zulassung zum Studium erreichte vgl. Biografie im Anhang 5 „Nach absolvierter Hochschule genügte ein Jahr praktischer Ar- beit in einer Berliner Baukanzlei, dann eröffnete sie ihre eigene Kanzlei“ anonym: Die Frau als Architektin, in: Bauwelt, 3.Jg. 1912, Nr.11, 16.3.1912, S.27 6 Sie äußert sich nur zu der Wichtigkeit, nicht jedoch zu Art und Inhalt dieser an der Hochschule nicht vermittelten „unendlichen Dinge“. Dies meint nicht die eingangs detailliert beschriebenen Fähigkeiten und Begabungen. Gemeint sind - neben praktischen Erfahrungen - vielmehr Berufskodizes und Statusdistributionen, die im Berufsfeld verankert sind, nicht erlernt, bestenfalls adap- tiert werden können. 7 Vgl. z.B. Lehweß, Walter: Wie werde ich Architekt? In: Widmer, Hermann: Das Buch der kunstgewerblichen und künstlerischen Berufe, Berlin, 1912, S.177ff. 8 Salomon, Alice: Akademische Frauenberufe, in: Ichenhaeuser, Eliza (Hg.): Was die Frau von Berlin wissen muß, Berlin, 1913, S.202 9 Hier werden Frauen erst im Laufe der zehner Jahre zum Stu- dium zugelassen, zumal es ihnen qua Geschlecht - angesichts der lt. Handwerksordnungen nur Männern zugänglichen Baube- rufe - bestenfalls nach ausnahmsweise absolvierter Tischler- oder Zimmermannslehre überhaupt möglich ist, hier die Eingangsvoraussetzungen zu erfüllen. 10 Marelle, Luise: Frauen im Militärdienst, Vossische Zeitung, 5.3.1916 11 Ibid. 12 Vgl. bspw. Liebau, Veronika: Verantwortung und innerer Reich- tum unseres Berufs, Lehrerinnen erarbeiten sich ihren Platz (1832-1914) in: Beziksamt / Kunstamt Schöneberg: „Ich bin meine eigene Frauenbewegung", Berlin, 1991, S.188-202 34 Bilder und Images wegung im nationalen Sinne unterstützt - auch als Emanzipationsvehikel begriffen wird.14 Dass mit den Kriegsverdiensten von Architektinnen die Zulassungs- schwellen zum Staatsdienst tendenziell sinken wür- den, sollte sich letztlich bewahrheiten. Agnes Mackensen verlässt die Militärbauverwaltung zum Herbst 1915 und wird als ‘Hilfsarbeiterin’ bei der Allgemeinen Bauverwaltung in Düsseldorf angestellt und mit dem Bau eines Amtsgerichtsgebäudes be- traut.15 Als einzige der vier Genannten bewirbt sich Elisabeth von Knobelsdorff nach Kriegsende erfolg- reich um die Zulassung zur Regierungsbaumeister- prüfung. Sie tritt in die Bauverwaltung Potsdam ein. Nicht aufgrund ihrer vierjährigen Tätigkeit in der Mili- tärbauverwaltung16, sondern aufgrund ihrer militäri- schen Verdienste wird der „Feldarchitektin im Leut- nantsrang” die Zulassung zur Regierungsbaumeister- prüfung 1919 erteilt. Erst 1922 wird sie zum Regie- rungsbaumeister ernannt. Es charakterisiert die Widerstände und Vorbehalte in der öffentlichen Bauverwaltung, dass ihr trotz „aus- gezeichnet“ bestandener Prüfung 1919 erst Jahre später der adäquate Status zuerkannt, sie de facto zum Regierungsbaumeister ernannt wird.17 Dies geschieht just zu einem Zeitpunkt, zu dem ihre Heirat mit dem Diplomaten Kurt von Tippelskirch - und da- mit das ‘verordnete’ Ausscheiden aus dem Staats- dienst - bereits feststeht. Während aus Sicht der Frauenbewegung mit einem im Ausnahmezustand des Krieges erreichten Exem- pel ein Fortschritt auf dem Weg zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Beruf erreicht ist, lässt die Bauverwaltung keine ihrer Möglichkeiten unge- nutzt, um mit der Ausnahme keinen Präzedenzfall zu statuieren. Aber was macht die Baukunst im Staats- dienst resp. den Architekturberuf so männlich, dass schon eine einzelne Regierungsbaumeisterin ganze Bauverwaltungen zu erschüttern droht? ‘Akademische’ und ‘Neue’ Architekten18 Das ‘allgemeine’ Berufsbild des akademisch gebilde- ten Architekten bezieht seine Attribuierungen - zu- mindest bis in die Weimarer Republik - ungebrochen aus dem „Kampf gegen die Naturgewalten“. So un- terscheidet die berufskundliche Literatur, die den An- spruch auf eine repräsentative und umfassende Dar- stellung der Berufe erhebt, beim „Diplom-Ingenieur (allgemein)“ in „A. Hochbau, B. Bauingenieurwesen, C. Maschinenbau, D. Chemie und Hüttenwesen, E. Bergbau“. Wir erfahren, dass sich das Berufsfeld ins- gesamt auf drei „Haupttätigkeitsarten“ oder „Haupt- typen“ zurückführen lässt, „nämlich a) forschende und gestaltende, b) ordnende und organisierende und endlich c) unternehmende Tätigkeit.“ 19 Über das „Wesen des Berufs“ ist dort zu finden: „Für den Beruf des Dipl.Ing. wesentlich ist, daß er seine Einbildungskraft auf Tatsachen anwenden kann, daß er Voraussicht genug besitzt, um Pläne machen zu können, und daß er mit Wirklichkeiten in den Grenzen des Möglichen arbeitet. Seine Arbeit ist häufig reine Zweckarbeit (mit gewisser Ausnahme beim künstle- risch tätigen Architekten), und zwar handelt es sich meist um Gruppenleistungen (vielfach Unmöglichkei- ten der Ausführung durch einzelne). Bei Errichtung technischer Werke, besonders im Hoch- und Tiefbau, gilt es, den Kampf mit den elementaren Naturkräften (Feuer, Wasser) aufzunehmen und Hemmungen und Hindernisse bei Ueberwindung von Raum und Zeit zu umgehen. In den Fachgruppen der verschiedenen Berufe er- streckt sich die Arbeit des Dipl. Ing. nicht auf das ein- zelne Fach, nach dem die Gruppe benannt ist, son- dern auf alle Gebiete der Technik gemeinsam; der Dipl.Ing. greift in seinem Spezialberuf wie mit seinen den Nachbarwissenschaften entstammenden Kennt- nissen auch auf die übrigen Berufe über. - Die Tätig- keit ist oft gefährlich, öffentlicher Kritik ausgesetzt, immer verantwortungsreich und bisweilen örtlich wechselnd.“ Unter „Körperliche und seelische Anforderungen“ des Berufes sind insbesondere Charaktereigenschaften definiert. So sind beispielsweise neben einer „festen Gesundheit“, „Schwindelfreiheit“ und „handwerkli- chem Geschick“ auch „Unbestechlichkeit“ und „Takt, besonders im Verkehr mit geschmacklich Andersden- kenden“ vonnöten. Als „besonders fördernd“ gelten u.a. die „Fähigkeit mit Geschick seine künstlerischen Absichten auch gegen schwere Widerstände durch- zusetzen (..), hohe technische Begabung, besonderes Zeichentalent, künstlerische Ursprünglichkeit, prakti- scher Blick (..) und kaufmännische Begabung“. Er- wartet wird schließlich eine „mitschaffende Teilnahme an der baukünstlerischen Stilentwicklung der Gegen- wart.“ 20 Diese Berufsbeschreibung umfasst vier Seiten. Es werden deutlich unterscheidbare Anforderungen für unterschiedliche Zweige und Bereiche des Berufsfel- des benannt. Die Erwartungen an den akademisch ausgebildeten Ingenieur-Architekten sind hoch und vielfältig. Sie können sogar widersprüchlich sein. So, wenn die künstlerische Originalität bei selbständig tätigen Architekten als Voraussetzung, bei beamteten Architekten als eher hinderlich eingestuft wird. Team- orientierte Fähigkeiten sind für „Gruppenleistungen“ und die „mitschaffende Teilnahme an der baukünstle- rischen Stilentwicklung der Gegenwart“ notwendig, 13 So richten Dr. Elisabeth Altmann-Gottheiner (Vorsitzende der Nationalökonominnen Deutschlands) und Dr. Margarete Mese- ritz (Vorsitzende des Deutschen Juristinnen-Vereins) im Frühjahr 1917 an das königlich Preußische Kriegsministerium die nach- drückliche Bitte, die im Armeeverordnungsblatt Nr.15, 51.Jg. v. 17.1.1917 veröffentlichte Anweisung „dahingehend abzuändern, daß die betr. Weiblichen Beamten in bezug auf ihre Gehälter (..) den männlichen Beamten mit gleicher Vorbildung gleichgestellt werden.“ - die „Anweisungen für die Verwendung von Frauen im Heeresbetrieb“ verordnete nämlich, dass für Frauen „im allge- meinen 2/3 der niedrigsten Stellengebührnisse die Höchstgren- ze“ bilden. Altmann-Gottheiner und Meseritz legen dar, dass Frauen für dieselbe Vorbildung dieselben Aufwendungen tätigen mussten, ebenso lange und mit der „gleichen Hingebung für die vaterländische Sache“ arbeiteten, und oft besser bezahlte Po- sten für den Kriegsdienst aufgegeben hätten. Und sie pointieren den vordringlichen Vorwurf gegen Berufsfrauen in den zehner Jahren: „Dieser Unterschied (..) macht die weiblichen Beamten ohne ihr eigenes Zutun zu Unterbieterinnen des Mannes“, was für die Frauen unwürdig und beschämend sei. Neue Bahnen, 52.Jg., Nr.15, 1.8.1918, S.88-89 14 Dr. Käthe Stephan kommt 1918 unter dem Titel „Die deutsche Akademikerin im Kriege“ zu dem Schluss: „Der Krieg hat den meisten akademischen Frauenberufen erst zum Aufblühen ver- holfen. Es steht zu hoffen, daß die deutschen Akademikerinnen das Errungene festzuhalten und auf dem gewonnenen Boden weiterzubauen verstehen werden zum Besten der Frauenwelt und zum Wohle der deutschen Heimat.“ - Neue Bahnen, 53.Jg., Nr.19 / 20, Oktober 1918, S.63 15 Vgl. Neue Bahnen, 51.Jg., Nr. 11, 1.6.1916, S.68. 16 Männliche Bewerber hatten lediglich eine zweijährige ‘Anwär- ter-Zeit’ nachzuweisen. 17 Zwar verbot Art. 128 der Weimarer Verfassung eine Benachtei- ligung weiblicher Beamter, durch die Verordnung zur Demobil- machung vom 28.3.1919 wurde dieser Artikel jedoch de facto konterkariert. (Reichsgesetzblatt 1919, S.355-359) 18 Der Exkurs über die Verschiebungen im Berufsbild ist hier auf- genommen, um die Wechselwirkungen zwischen Berufsfeld und Berufsbild zu verdeutlichen. Der Begriff des ‘architekton’ - des Erbauers der Macht - unterscheidet - im Unterschied zu den Be- griffen ‘Zivilingenieur’ und ‘Militär-Ingenieur’ - nicht zwischen politisch resp. militärisch verfassten Hierarchien. 19 „Diplom-Ingenieur (allgemein)“ in: Reichsanstalt für Arbeitsver- mittlung und Arbeitslosenversicherung Berlin (Hg.): Akademi- sche Berufe, Handbuch des Berufe, Teil 2, bearbeitet vom Sächsischen Akademischen Auskunftsamt für Studien- und Berufsfragen Leipzig, Magdeburg, 1927 20 Als „ausschließend oder hindernd“ gelten bspw. „erhebliche Körperverletzungen, Nervenleiden, Sittliche Minderwertigkeit, Verschrobenheit des Charakters“. Als „nicht ausschließend“ werden bspw. „Einäugigkeit, (..) nervöse Veranlagung bei gei- stiger Vollwertigkeit und künstlerische Originalität von übermä- ßig individueller Art (für beamtete A. sehr hindernd).“ eingestuft. Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 35 jedoch ggf. in personam in Einklang zu bringen mit der einzelkämpferischen und eher auf Veränderung zielenden „Fähigkeit mit Geschick seine künstleri- schen Absichten auch gegen schwere Widerstände durchzusetzen“. Insgesamt wird ein Bild des Archi- tekten als omnipotentem Universalisten gezeichnet, der - gefeit gegen Feuer und Wasser - schwindelfrei und entscheidungsfreudig zur baukünstlerischen Stil- entwicklung beiträgt, wobei er bei der Überwindung von Zeit und Raum seine Absichten durchsetzt, mit Takt gegen Andersdenke. Im Anschluss an die Aufli- stung der Berufskrankheiten findet sich schließlich der Appendix: „Frauen sind die meisten der beschrie- benen Berufszweige zugänglich, wobei jedoch betont werden muß, daß ein Aufrücken in leitende Stellun- gen äußerst selten ist.“ Grundsätzlich sind offenbar auch Frauen den univer- salistischen Anforderungen des Berufes gewachsen, ein Aufrücken in leitende Stellungen de jure nicht ausgeschlossen. Es „ist“ eben „äußerst selten“. Wir erfahren nicht, wo dies seltene Aufrücken gelang, welche der vielen genannten Voraussetzungen die weniger seltenen Frauen nicht erfüllen.21 Der Hinweis, dass das - ‘falsche’ - Geschlecht beim Aufrücken in leitende Stellungen in diesem Berufsfeld schlichtweg hinderlicher ist als „Einäugigkeit“, spiegelt die von Wetterer konstatierte Exklusion von Frauen aus freien Berufen unter Rekurs auf die ‘Natur’ der ‘Geschlech- terdifferenz’ wider. „Im Mittelalter (..) war der Architekt ein Mann, der das gesamte Gebiet der Technik wie Festungsbau, Ingen- ieurwissenschaften und Baukunst beherrschte. (..) Erst die großen technischen Fortschritte des 19.Jahr- hunderts (..) brachten die Spezialisierung der techni- schen Leistung (..) Aus den Bauakademien entwickel- ten sich die Technischen Hoch- und Mittelschulen, in denen die Architektur als Sondergebiet gelehrt wur- de“, schreibt Bruno Ahrens in einem lexikalischen Ar- tikel 1930.22 Am Ende der zwanziger Jahre hat sich das Berufsbild offenbar geändert. Frauen werden nun in allgemeinen Berufsbeschreibungen - auch in Ap- pendices - nicht mehr erwähnt. Gehören Architektin- nen nun bereits so selbstverständlich zum Berufs- stand, dass sie unter „Architekt dieser neuesten Pe- riode“ subsumiert werden? Der Text gibt hierüber nur indirekt Aufschluss: „Wenn zurzeit eine Fülle aner- kannter Architekten nicht aus den Hochschulen her- vorgegangen sind, sondern von den Baugewerks- schulen oder Kunstschulen herkommen, so hat das seinen Grund darin, daß die Technischen Hochschu- len sich erst allmählich auf die Heranbildung des ‘neuen Architekten’ einstellen müssen“.23 Was ist nun - gegen Ende der Weimarer Rpublik - so ‘neu’ am ‘neuen Architekten’, dass er lieber mit dem Mittelalter als mit dem Ingenieurwesen in Verbindung gebracht werden will - und „die Fülle anerkannter Architekten” nicht mehr aus den Hochschulen hervorgeht? Nun, da der Architekt „bei der dauernden Entwick- lung (..) nicht mehr in der Lage ist, bei größeren Bau- vorhaben das ganze Gebiet bis in alle Einzelheiten selbst zu beherrschen“, will er „nicht nur der entwer- fende und rechnende Künstler, sondern der Organi- sator des gesamten Bauvorganges sein. (..) Der Ar- chitekt (..) will das Bauwerk nicht mehr nur im künst- lerischen Sinne behandeln, sondern er will gleichzei- tig alle technischen und wirtschaftlichen Fragenkom- plexe eines Baues aufrollen und lösen. Er muß das gesamte Gebiet (..) in großen Zügen beherrschen und will die Stelle sein, in der sich alle Fäden eines Bau- vorhabens vereinigen.“ Nicht nur Konstruktion und Bautechnik haben sich weiterentwickelt, auch die Arbeitsgebiete innerhalb der Architektur haben sich aufgrund der dauernden Entwicklung, des Fortschritts ausdifferenziert. „Städtebauer, (..) Industriearchitekten, die sich mit Fabrik- und Industriebauten beschäftigen, Innenar- chitekten, die sich auf den Innenausbau (..) beschrän- ken“ und Gartenarchitekten sind „Spezialisten“, die ein Gebiet bis in alle Einzelheiten beherrschen. Bruno Ahrens´ Beschreibung zeigt, wie unmittelbar die Erfindung des ‘neuen Architekten’ an den Um- bruch im Bauwesen nach der Jahrhundertwende ge- knüpft ist. Die Modernisierung hat die Architektur er- reicht: Prozesse, Märkte und Berufsfeld differenzieren sich aus. Spezialisten werden gebraucht. Der akade- mische Architekt, der an Hochschulen „das verstan- desmäßige Studium vergangener Bauperioden als Grundlage des künstlerischen Schaffens“ erlernt hat, droht schlichtweg überflüssig zu werden. Bruno Ah- rens rekurriert nicht ohne Grund auf die bedeutenden Männer seit dem Mittelalter.24 In der industrialisierten Gesellschaft ersehnt der ‘neue’ Architekt deren weit- reichende Wirkungsfelder und Entscheidungskompe- tenzen, schlicht die herausragende Stellung. Die Verwissenschaftlichung als Etablierungsstrategie gefährdet die Vorreiterrolle der handlungsorientierten Architektur. Das Diplom wertet überprüfbares Wissen auf, vererbtes Wissen ab. Das Ingenieurwesen rückt mathematisch-naturwissenschaftliche Entscheidun- gen ins Zentrum, ästhetische an den Rand. In den sich ausdifferenzierenden Ingenieurwissenschaften droht der Hochbauingenieur den bewährten Baumei- ster zu ersetzen. Das Leitbild des Baukünstlers ent- zieht sich der Verwissenschaftlichung. Deshalb soll an dessen Stelle - unter Bezug auf noch ältere Vorbil- der - der ganzheitliche Organisator, das künstlerische Allroundtalent, der ‘neue’ Architekt treten. Da dieser selbst kein Gebiet bis in alle Einzelheiten beherrscht, aber alle Fragenkomplexe lösen will, 21 Auch unter den Ausschlussgründen wird das Geschlecht nicht genannt. 22 Ahrens, Bruno: Architekt, in: Handwörterbuch des Wohnungs- wesens, Jena, 1930, S.17-20 23 Ibid., S.18 24 Er nennt nur drei „u.a. Lionardo da Vinci (..) Balthasar Neumann (..) und Johann Conrad von Schlaun“. 25 Ibid. S.17 resp. 18 26 Eine vergleichbare Position vertritt Scheffler in Deutsche Bau- meister, Berlin, 1935. Hier kennzeichnet diese Behauptung Ahrens´ antiakademische Haltung. Es besteht der Verdacht, dass auch dem Antiakademismus unter Genderaspekten eine exkludierende Funktion zukommt. (Vgl. Forschungsbedarf Kap. 10) Sowohl an Kunstgewerbeschulen wie an Technischen Hoch- schulen brachen etliche Architekten ihr Studium ab - darunter bspw. Hannes Meyer, Mies van der Rohe, Adolf Rading, Walter Gropius und Hans Luckhardt. 36 Bilder und Images muss er koordinieren. Will er sicher gehen, dass die Fäden bei ihm zusammenlaufen - und nur dies ge- währleistet seine weitreichende Entscheidungsbefug- nis -, muss er die Arbeitsteilung im Bereich Planung deutlich hierarchisieren, sich den Spezialisten über- ordnen. Nur so ist er unverzichtbar und „in der Lage, seinem Bauherrn die technisch, wirtschaftlich und künstlerisch beste Lösung vorzuschlagen“. 1930 ist es nicht unbedingt gesellschaftlicher Konsens, dass der Architekt „Anwalt seines Bauherrn ist und damit (..) eine ähnliche Stellung einnimmt wie sie der Arzt oder Rechtsanwalt hat.“ Bruno Ahrens bedauert dies: „Der Öffentlichkeit gegenüber hat sich diese neue Stellung des Architekten leider noch nicht genügend durchgesetzt und kann sich auch nur schwer durch- setzen, denn der Titel ‘Architekt’ ist in Deutschland nicht geschützt.“ 25 Anders als Ärzte und Anwälte, die ihre berufliche Mo- nopolstellung und ihre Titel schützen - in Form von Gesellschaftsverträgen ihre Etablierung absichern - konnten, sind Architekten, die gegenüber ihren Auf- traggebern ‘Anwaltsfunktion’ wahrnehmen, vor Usur- patoren nicht sicher. Denn den Titel kann „sich jeder beilegen, der mit der Bauwirtschaft in irgendeiner Be- ziehung steht.“ Deshalb muss die ‘Anwaltsfunktion’ nach außen, gegenüber Bauherren plausibilisiert und der Führungsanspruch innerhalb des sich erweitern- den Berufsfeldes gegen Diplom-Ingenieure Techni- scher Hochschulen durchgesetzt werden. Ist es da verwunderlich, dass sich die „Fülle anerkannter Ar- chitekten”, die laut Ahrens von Baugewerke- und Kunstschulen „herkommen“ 26, in möglichst kleiner Zahl an der Spitze eines stärker hierarchisierten Berufsfeldes sehen möchte? War das Aufrücken der wenigen Architektinnen der Kaiserzeit in leitende Stellungen schon „äußerst sel- ten“, so stehen ihren Ambitionen während der Wei- marer Republik nun alte wie neue Architekten im We- ge. Zu jung, um als bewährte, ‘alte’ Baumeister zu gelten, werden Architektinnen mit akademischem Di- plom nun zu jenen Akteuren zugeschlagen, deren Ausbildung schlicht überholt oder zu spezialisiert ist. Neue Bauaufgaben In den zehner Jahren rückt angesichts der Wohnsi- tuation in großstädtischen Mietshäusern, die Forde- rung nach Volksgesundheit im Massenwohnungsbau ins Blickfeld. Abhilfe vom Wohnungselend scheint durch Planung möglich. Zuvor ein Aufgabengebiet von Bauunternehmern, eröffnet die Forderung nach der Einbeziehung von Architekten diesen einen zuvor nahezu verschlossenen Markt. Dennoch finden Pri- vatarchitekten ihre AuftraggeberInnen weiterhin vor- wiegend im Bereich privaten Wohnungsbaus. Die hauptsächlich auf die Reformierung des Massenwoh- nungsbaus zielende Debatte - von der Mietskaserne zur Siedlungszeile - findet im privaten Wohnungsbau insofern ein Echo, als dort der Typus des englischen Landhauses als Vorlage für reduzierte Repräsentati- onsformen bürgerlichen Wohnens diskutiert wird. Durch die ökonomischen Krisen Anfang der zwanzi- ger Jahre erreicht die Debatte über Wohnungsfragen ihren Höhepunkt. Unter erhöhtem politischem Druck wird eine ganze Reihe an Fragen im Wohnungs- und Siedlungsbau neu verhandelt, zumal der zunehmende ‘Dienstbotenmangel’ wie die steigende Erwerbstätig- keit bürgerlicher Frauen die Grenzen gängiger Grund- riss- und Wohnformen deutlicher sichtbar werden lässt. Bauaufgaben werden modifiziert. Themen wie das ‘Haus für die (berufstätige) Dame’, die ‘Wohnung für die berufstätige Frau’, das ‘Ledigenheim’ - nun auch für Frauen - und das ‘Einküchenhaus’ erweitern das Spektrum von Bauaufgaben, die durch öffentli- che Diskussion und private wie genossenschaftlich organisierte Nachfrage zu potentiellen Aufträgen wer- den. Auch in der Frauenpresse finden die Themen des Wohnungsbaus zunehmend mehr Aufmerksam- keit. In Abhängigkeit vom politischen Standpunkt werden bestimmte Wohnformen kritisiert oder gefor- dert. 1925 veröffentlicht Paul Bonatz einen Entwurf für ein „Wohnhaus für eine alleinstehende Dame“.27 Die Pub- likation dieses Entwurfes diente sicherlich zur Akqui- sition. Paul Bonatz empfahl sich der steigenden An- zahl alleinstehender Damen. Seit 1922 hatte er in Köln auch die Wohnbedürfnisse jüngerer BauherrIn- nen schätzen gelernt.28 Ob hiermit auch die berufstä- tigen unter den alleinstehenden Damen angespro- chen werden sollten, bleibt fraglich.29 Angesichts des Raumprogramms wird deutlich, dass hier großbür- gerliche Wohnvorstellungen ‘eingedampft’ wurden. 1927 werden im Rahmen der durch den ‘Zehlendor- fer Dächerkrieg’ breit diskutierten ‘Gagfah-Siedlung’ zwei „Häuser für die berufstätige Frau“ errichtet. Da diese Siedlung unter dem Vorwurf unzeitgemäßen Wohnungsbaus stand30, könnte die Konzeption der Siedlung als Bauausstellung diese zeitgemäßen Mu- sterprogramme evoziert haben.31 27 Moderne Bauformen, 24.Jg. 1925, S.97 - Wiederabdruck in Ro- ser, Matthias: Paul Bonatz, Stuttgart 1992, S.63 28 Bonatz, Paul: Leben und Bauen, Stuttgart, 1950, S.114 Hier be- schreibt er die Zeit zwischen 1922 und 1924, in der er in Köln mit seiner „jungen Garde“ elf Mal baut: „Bisher war ich als Ar- chitekt immer jünger gewesen als meine Bauherren. Plötzlich wurde das anders und die Bauherren und besonders -herrinnen waren jünger. Es war eine gesegnete Zeit und es waren die ver- schiedensten Typen unter den Bauherren.“ 29 Im Wohnraum ist lediglich ein größerer Schreibtisch vorgesehen. Angesichts der Großzügigkeit des Raumprogramms - zwei Räu- me für ‘Mädchen’, ein Raum für einen ‘Diener’ - spricht das Fehlen eines ‘Arbeitszimmers’ der Dame für sich. 30 Zur Kritik an den Tessenow-Entwürfen vgl. auch de Michelis, 1991, S.293-296. - De Michelis zeigt im Werkverzeichnis Tesse- nows zwei Gagfah-Entwürfe, nicht jedoch dessen einzigen Ent- wurf für ein „Haus für die berufstätige Dame“. 31 In unmittelbarer Nachbarschaft zur ‘Gehag-Siedlung’ sollten zeitgemäße Wohnformen - unter dem Primat des Steildachs - proklamiert werden. Bisher ist jedoch unklar, wer die Bauauf- gabe ‘Haus für die berufstätige Frau’ im Rahmen der ‘Gagfah- Siedlung’ initiierte. Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 37 „Wohnhaus für eine alleinstehende Dame”, o.O., 1925, Paul Bonatz Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar - Ansichten Eines dieser Häuser wurde nach Entwurf von Arnold Knoblauch unter Mitarbeit von Gertrud Droste ausge- führt.32 Das andere wurde von Heinrich Tessenow entworfen, der von den beteiligten Architekten zum Koordinator des Siedlungsprojektes gewählt worden war. Gertrud Droste, die dieses Haus anschließend selbst bewohnt, schreibt dazu: „Das Haus soll ein Eigen- heim für eine berufstätige Frau sein. Um einer grö- ßeren Schicht berufstätiger Frauen ein solches Heim möglich zu machen, war es notwendig, dieses Haus im kleinsten Ausmaß zu halten. Außerdem mußte es in der Anlage so einfach sein, daß eine Frau auch oh- ne viel fremde Hilfe es neben ihrem Beruf instandhal- ten kann. (..) Der Arbeitsraum kann nach dem jewei- ligen Beruf der Frau ausgestattet und u.a. durch ei- nen Vorhang von dem Teil des Wohnraumes getrennt werden. (..) Eine Zentralheizungsanlage ermöglicht eine schnelle und einfache Bedienung, auch für die Frau, die ihren Beruf außerhalb des Hauses hat“.33 Der Zweck der Minimierung ist ein rein ökonomi- scher: Mit Blick auf die schwachen, häufig labilen Einkommensverhältnisse berufstätiger Frauen wird hier der Versuch unternommen, ein freistehendes Ei- genheim zu verwirklichen. Die Wohnfläche beträgt insgesamt nicht einmal 50qm. Das Haus hat zu allen Seiten jeweils einen Ausgang. Grundriss Erdgeschoss (oben) - Kellergeschoss und Schnitt (unten) Durch einen Vorhang ist vom Wohnraum ein Arbeits- zimmer abgetrennt. Die Aufenthaltsräume sind auch innerhalb einer durchgrünten Siedlung ausschließlich zum eigenen Garten orientiert, vom öffentlichen Stra- ßenraum abgegrenzt.34 Durch das Badezimmer ist ein direkter Austritt ins Freie vorgesehen: Hier ist für das „Sonnenbad“ die Terrasse abgesenkt. Die Haustech- nik hat die Zeichen der Zeit in Arbeitserleichterungen übersetzt. Die Wohnvorstellungen bleiben dennoch konventionell. Diesem Eigenheim der Frau liegt eine nahezu introvertierte Auffassung vom Leben der Be- wohnerin zugrunde. Das Wohnen spielt sich hinter hohen Mauern ab. Um bei dieser geringen Grundflä- che den Duktus des bürgerlichen Wohnens beibehal- ten zu können, werden alle Fenster, auf ein Minimum geschrumpft. 32 Arnold Knoblauch (1879-1963) war seit 1924 Geschäftsführer bei der Gagfah. Seine Nichte Gertrud Droste (geb. 1898) taucht Mitte der dreißiger Jahre als Bildhauerin im Berliner Adressbuch auf. Sie war 1922 am Bauhaus Weimar als Studentin nicht auf- genommen worden 33 Droste, Gertrud: Haus für die berufstätige Frau in: Bauwelt, 24.Jg., H.34, 1928, S.777 (Die Bauten der Gagfah-Siedlung Fischtalgrund, Gruppe 29, Schlieffenstr. 2) 34 Die in der Häuserflucht verlaufende Gartenmauer und die vergit- terten Fenster grenzen das Haus für einen Siedlungsbau unty- pisch hart von der Wohnstraße ab. Auf den ausgrenzenden Charakter verwies Eduard Führ: Worin noch niemand war: Heimat, Wiesbaden / Berlin, 1985, S.153 38 Bilder und Images „Haus für die berufstätige Frau”, Berlin, 1928, Arnold Knoblauch / Gertrud Droste Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ”Haus für eine berufstätige Dame”, Berlin, 1928, Heinrich Tessenow Tessenow äußert sich nur knapp zu seinem Entwurf, auch dieser „ist für eine berufstätige Dame gedacht“. Über Besonderheiten gibt der Text keine Auskunft. Dass auch diese berufstätige Dame einer außerhäu- sigen Beschäftigung nachgeht, verrät der Grundriss: Es ist kein Arbeitsraum vorgesehen. Die Dame lässt wahrscheinlich auch außer Haus waschen, denn an- dernfalls müsste sie mit der Wäsche jedesmal durch den Kohlenkeller. Dafür bietet sich der Bewohnerin trotz traditionellem Duktus ein fast moderner Wohn- raum, der sich zum Fischtal wie zur Straße öffnet. Bei Tessenows wie bei Bonatz´ Entwurf drängt sich der Eindruck auf, dass dieses „Haus für die berufstä- tige Dame“ weniger der Berufstätigkeit als bürgerli- chen Vorstellungen repräsentativen Wohnens Rech- nung trägt.35 Beide bieten entsprechend großzügigere Wohnräume, geben nach außen keinerlei Hinweise auf eine eigenwillige Wohnform. Drostes Entwurf ori- entiert sich deutlicher an den Nutzungsabläufen des Alleinwohnens, zieht die Grenze zwischen öffent- lichem und privatem Raum dabei überdeutlich.36 Die Nachfrage nach diesen speziellen Angeboten bleibt begrenzt und Emma Kromer merkt 1932 zu derlei leicht modifizierten Einfamilienhausentwürfen kritisch an: „das Wichtige ist, daß man sich mit dem Gedanken auseinandersetzt, wie man der Frau des Mittelstandes das Heim so gestaltet, daß sie eine Grundriss Erdgeschoss Wohnung, ein Zuhause bekommt, das ihren Verhält- nissen entspricht. Das nicht einfach eine verkleinerte Großwohnung ist, sondern eine ihren Bedürfnissen angepaßte Wohnung, die ihre Ergänzung dann im Garten findet.“ 37 Das Eigenheim der berufstätigen Dame bleibt bis in die Zeit des Nationalsozialismus ein populäres The- ma der bürgerlichen Frauenpresse. Maria May illu- striert ihre Begeisterung für ein „kleines Häuschen“ 1934 mit einem Projekt von Architekt Heidt, Karlsru- he, das mensch als eine Kopie des Tessenowschen Hauses bezeichnen könnte. Und May schreibt dazu: „Jede Frau sehnt sich nach einem Heim, mag der Beruf sie noch so sehr ausfüllen und befriedigen, denn Heimschaffen ist seit Urzeiten ihr eigenster Be- ruf. Nie wird sich in fremden Zimmern ein Mann so unglücklich und heimatlos fühlen wie eine Frau. (..) Warum sollten nicht auch alleinstehende Frauen draußen wohnen, nahe an Wiese, Wald und Wasser? (..) Das Häuschen soll klein sein. (..) Es soll keinen überflüssigen Raum haben, der unnütz Arbeit macht. (..) Daß es ganz auf Arbeitsersparnis eingerichtet wer- den muß, ist selbstverständlich. (..) Ein solches Häus- chen kann man, besonders wenn die Hauptmahlzeit in der Stadt genommen, und die Wäsche fortgege- ben wird, gut in Ordnung halten, wenn man nur ein- bis zweimal wöchentlich eine Aufwartung nimmt.“ 38 35 Bei Bonatz mit der Besonderheit, dass die echte Dame zwei Mädchen und einen Diener beschäftigt. Bei Tessenow mit der Besonderheit, dass der Abort für die Dame ausnahmsweise im Dachgeschoss angeordnet wird. Bisher sind keine (weiteren) Realisierungen dieser Entwürfe bekannt. 36 Ob der Entwurf tatsächlich von Gertrud Droste stammt, kann hier nicht nachgewiesen werden und wurde noch nicht einge- hend recherchiert. Droste tritt nach dem Bau dieses Hauses nicht mehr als Architektin in Erscheinung. Für ihre Autorschaft spricht aber nicht nur der von ihr autorisierte Text. Dass sie das Haus selbst bezieht, wie der Hinweis, dass ihre Mutter eine ge- borene Knoblauch ist, sprechen dafür, dass sie eine familiäre Konstellation zur Schaffung einer exemplarischen - wie selbster- tüftelten - Wohnform zu nutzen verstand. 37 Kromer, Emma: Die Frau im Eigenheim, in: Frau und Gegenwart, 29.Jg.,1.Heft, Oktober 1932, S.5 38 May, Maria: Das Heim der alleinstehenden Frau, in: Frau und Gegenwart, 30.Jg., H.11, Aug. 1934, S.250-252. „Natürlich heißt es da zugunsten des großen Zieles auf manche kleine Freude verzichten, aber es lohnt sich auch, denn sie kann dann schon in zwei bis drei Jahren ihr eigenes Heim im eigenen Garten bau- en, und wohnt viel froher, gesünder und billiger als in der Stadt.“ Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 39 Ansichten Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Diese gartenstadtorientierte Vorstellung - in der das private Glück fern der Stadt mit ihren Fabriksirenen im Jubel sonnenfroher Vögel liegt - war allerdings nur eine Perspektive und nur für Frauen mit gehobenem Einkommen denkbar. In den Siedlungsbau übersetzt hieß dieses Thema der zwanziger Jahre „Wohnung für die berufstätige Frau.“ 39 Bei diesem Grundrisstyp, der ab 1927 von Grete Lihotzky für mehrgeschossige Wohnungsbauten entwickelt wurde, handelt es sich um Einzimmerwohnungen.40 Die bekannteste und wohl am meisten publizierte Version der Wohnung für die berufstätige Frau ist Margarete Lihotzkys Entwurf für die Ausstellung „Die kleine Wohnung“.41 Ähnlich wie bei Droste steht bei Lihotzky die ökonomische Machbarkeit im Vorder- grund. Auf nur 27qm Nutzfläche bleibt kein Raum für Bad oder Küche, werden Waschtisch und Kochgele- genheit vom Wohnraum abgezwackt. Küchen- und Waschnische verschwinden hinter Vorhängen, das WC wird außerhalb der Wohnung angeordnet. Als Bewegungsfläche bleiben lediglich die notwendigen Verkehrsflächen. Wohnung für die alleinstehende, berufstätige Frau, 1928, Grete Norkauer / Käte Böhm / Gerda Wendelmuth Ebenfalls für diese Ausstellung 1928 war noch eine weitere minimierte Wohnung für die berufstätige Frau von drei Frauen entwickelt worden, die mit 36qm um die Hälfte größer ausfällt als die von Lihotzky.42 Der Entwurf der Elektrotechnikerin Käthe Böhm, der Che- mikerin Dr. Gertrud Wendelmuth und der Architektin Gretel Norkauer optimiert durch ein ausgetüfteltes System von Einbauten unter Einsatz technischer Raf- finessen eine im Raumzuschnitt klare, in den Abwick- lungen sachlich dominierte Wohnung.43 Sie verzichten auf einen Balkon, jedoch nicht auf Küche und Bad / WC als abgeschlossene Räume. Sie sehen einen mit Nachtstrom betriebenen Waschautomaten und einen Trockenschrank für Blusen vor. Das Bettzeug ver- schwindet tagsüber in einem ‘Lüftungsschrank’. „Den besonderen Ansprüchen der Frau in Bezug auf die Pflege des Äußeren“ wird mit einem eingelassenen Stehspiegel und einer Vielzahl von Steckdosen ent- sprochen. „Ein Ankleideraum, der es der Frau ermög- licht, sich umzuziehen, selbst wenn sich Gäste im Wohnraum befinden“, versucht das Problem konkur- rierender Nutzungen zu lösen wie die automatische Regelung eines elektroökonomischen Kochers „eine ständige Aufsicht beim Kochen erübrigt“.44 Die Gleit- schiene für die Beleuchtung an der Decke ist direkt aus Lihotzkys Entwurf für die Frankfurter Einbaukü- chen übernommen. Auch für Norkauer et.al. steht die Bezahlbarkeit der Wohnung im Vordergrund, auch sie schlagen Ledigenwohnungen innerhalb durchmisch- ter Wohnblocks vor: „Die Wohnung der berufstätigen 39 Margarete Schütte-Lihotzky entwickelte Typen für die „Woh- nung für die berufstätige Frau“ ab 1927, sie wurden noch im gleichen Jahr veröffentlicht; Neue Frauenkleidung und Frauen- kultur, 13.Jg., 1927, H.7, S.102-103 40 Dies im Unterschied zur mehrzimmrigen Junggesellenwohnung im ‘Apartmentblock’ oder ‘Servicehaus’, wie sie für Herren zeit- gleich bspw. in Charlottenburg von Rudolf Maté oder Hans Scharoun gebaut wurden. 41 Die Ausstellung „Die kleine Wohnung“ fand 1928 im Rahmen der Ausstellung „Heim und Technik“ in München statt 42 Der Entwurf Lihotzkys war mehrfach publiziert worden. vgl. FN 39. Böhm, Norkauer und Wendelmuth kennen offenbar die von Schütte-Lihotzky entwickelten Grundrisse. 43 Dipl.Ing. Gretel Norkauer war ab Ende der zwanziger Jahre als Architektin in München tätig. Die Elektroingenieurin Käthe [Ka- tharina] Böhm gehörte zu den ersten Elektrotechnik-Studentin- nen an der TH Wien und Dr.phil. Gertrud Wendelmuth promo- vierte 1923 in München „Über die Gelierfähigkeit von Obstsäften und Pektinlösungen“. 44 Norkauer,Gretel: Die Wohnung der berufstätigen Frau, in: Der Baumeister, 1927, S.256-257 40 Bilder und Images Blick auf die Sitzgruppe mit der Schlafcouch Ein-Zimmer-Wohnung für die berufstätige Frau, Frankfurt, 1926/27, Margarete Schütte-Lihotzky, Blick auf Koch- und Waschnische Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar alleinstehenden Frau muß im Einklang mit ihrem Ein- kommen stehen und auch ihren Ansprüchen genü- gen. Die Problemstellung lautet also: Mit einem Mini- mum an Kostenaufwand für Miete und Erhaltung der Wohnung und für die täglichen Verrichtungen, ein Maximum an Behagen und Bequemlichkeit zu schaf- fen. Der vorliegende Grundriß ist als ein in fast jedes Mietshaus einzubauendes Wohnelement gedacht (..), dessen einzelne Stockwerke eben ein oder zwei sol- che Elemente enthalten.” Damit gelingt Böhm, Norkauer und Welndelmuth in interdisziplinärer Zusammenarbeit die Entwicklung ei- ner technisch wie räumlich ausgereizten Wohnung auf knappstem Raum noch bevor 1929 beim CIAM- Kongress „Die Wohnung für das Existenzminimum“ thematisiert und 1930 „das wachsende Haus“ als Wettbewerb ausgeschrieben wird. Der Entwurf wird für die Ausstellung „Die kleine Wohnung“ ausgewählt, kommt jedoch „wegen Platzmangels“ (sic!) nicht zur Ausführung.45 Platz findet sich auf der gleichen Aus- stellung für eine „3-Raum-Wohnung für die selbstän- dige Frau“, die mit 50qm „für eine gut situierte Frau“ ausgelegt ist.46 1930 stellt Gertrud Lincke eine Zwei-Zimmer-Woh- nung eines Rentnerinnenheims vor, das 1928 in Dres- den eingerichtet wurde.47 Für alleinstehende Damen in finanziell gesicherten Verhältnissen entstehen ‘Da- menheime’, zumeist in Umnutzung, vereinzelt auch als Neubauten.48 Die Realisierung von Wohnungen für berufstätige Frauen scheitert am wohnungsbaupoliti- schen Primat des Familienwohnens. „Die Niedrigkeit der Frauenlöhne und das Ausgeschlossensein von der Mietverbilligung auf Grund der Hauszinssteuer- hypothek, die nur für Familienwohnungen in Betracht kommt, senken die Aussichten auf Erwerb einer eige- nen Wohnung für die Mehrzahl der ledigen berufstäti- gen Frauen bis zum Nullpunkt. Um den Anfang einer Abhilfe zu schaffen, plant der Ausschuß für Ledigen- wohnungen der Arbeitsgemeinschaft der Berufsorga- nisation im Bund Deutscher Frauenvereine den Weg der Selbsthilfe zu beschreiten. Vereinzelt sind auch schon praktische Versuche unternommen worden.“ 49 Diese praktischen Versuche heißen bei ökonomisch prekären Verhältnissen Ledigenwohnheim. „Nach ei- ner Sondererhebung über den Bau von Ledigenhei- men in deutschen Großstädten sind in den Jahren 1919-1926 in sieben Großstädten 393 Ledigenwoh- nungen geschaffen worden. (..) Während in Vor- kriegszeiten Ledigenheime in der Hauptsache nur für männliche Personen geschaffen wurden, wird neuer- dings infolge der immer stärker werdenden Eingliede- rung der Frau in das Wirtschaftsleben auch der Bau von Ledigenheimen für berufstätige weibliche Perso- nen nicht weniger dringlich gefordert.“ 50 Das früheste mir bekannte Ledigenheim, das von ei- ner Architektin realisiert wurde51, ist das 1927 fertig- gestellte Ledigenheim der Gemeinde Wien in der Philippovichgasse im 19. Bezirk. Es wurde von Ella Briggs in Ergänzung der Wohnanlage Pestalozzihof entworfen und als Studentenwohnheim genutzt.52 45 Katalog: Die kleine Wohnung auf der Ausstellung „Heim und Technik“ München, 1928, S.47 46 Kuhn, Fritz: „3-Raum-Wohnung für die selbständige Frau“. Ibid., S.46 47 Bisher ist unklar, ob es sich dabei um einen Neubau handelte. 48 Wie bspw. das Feierabendheim für Lehrerinnen von Emilie Win- kelmann, wie es von Despina Stratigakos recherchiert wurde 49 Grünbaum-Sachs, Hildegard: Die Wohnungsfrage vom Stand- punkt der alleinstehenden Frau, in: Handwörterbuch des Woh- nungswesens, Jena, 1930, S.254 ff. 50 May, Ernst: Ledigenheime, in: Handwörterbuch des Wohnungs- wesens, Jena, 1930, S.509 51 Schon 1919 hatte sich die niederländische Architektin Margaret Staal-Kropholler mit der Frage eines Ledigenheims für junge Frauen beschäftigt. Erst 1937 erhält sie den Auftrag für das ‘Louise-Went-Haus’ in Amsterdam, das erst 1964 realisiert und bei Erstbezug nicht mehr ausschließlich von Frauen bewohnt wird. 1927 und 1928 werden in Amsterdam die ersten Ledigen- heime für Frauen von Architekten errichtet. 52 Es zeigt die für Briggs’ Bauten so typische Staffelung kubischer Baukörper. Als Besonderheit fallen neben den sachlich-schlich- ten Fassaden nur die getrennten Garderobenräume für Raucher und Nichtraucher auf. Das Haus umfasst 26 Einzelzimmer - Die Wohnanlage Pestalozzihof, bereits ab 1925 errichtet, - bestand aus 119, überwiegend als Küche-Stube-Wohnungen organisier- ten Einheiten. Von wem die Initiative dieses Ledigenwohnhei- mes ausging, konnte bisher nicht recherchiert werden. Vgl. dazu auch: o.A: Die Wohnhausanlage der Gemeinde Wien Pestalozzi- Hof im 19. Bezirk, Philippovichgasse, Wien, 1926 Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 41 Ansicht GartenseiteLedigenwohnheim, Wien IXX, 1927, Ella Briggs, Ansicht Straßenseite Grundriss Erdgeschoss (oben) Grundriss Obergeschoss Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Auch das ‘Einküchenhaus’ - für Herren auch als ‘Ser- vicehaus’ realisiert - wird in der Frauenpresse für un- terschiedlichste Lebensformen diskutiert.53 Es gilt als besonders oder ausschließlich für Ledigen- oder Da- menwohnheime geeignet oder auch als geradezu ide- altypische Familienwohnform - „weil es die Vereini- gung von Mutterschaft und Beruf beträchtlich erleich- tere“. Unterschiedlichste politische Standpunkte las- sen sich auf das Einküchenhaus projizieren: Je nach- dem hält frau es für eine sozialistische Erfindung oder nur für gehobene Schichten für geeignet. Hildegard Grünbaum-Sachs entwirrt die Debatte 1930 lexika- lisch: „Das Einküchenhaus dient als solches der kol- lektivistischen Befriedigung lediglich des Bedürfnis- ses nach Nahrungszubereitung und enthält sich jedes Eingriffs in die Lebensgewohnheiten der Mieter. (..) kein Einküchenhaus im engeren Sinne ist ein haupt- sächlich für Ledige errichtetes Wohnhaus (..), dessen durchweg berufstätige Mieter aber die Hauptmahlzeit überhaupt nicht im Haus einnehmen. (..) In Zukunft werden zunehmender Erwerbszwang, auch für die verheiratete Frau, Zunahme der hausgehilfenlosen Haushaltungen und die Wohnungsnot die Frage des Einküchenhauses nicht mehr zur Ruhe kommen las- sen.“ 54 - Als eine Bauaufgabe, die gerade Architek- tinnen Auftragschancen eröffnet, zeigt sich auch das Einküchenhaus nicht.55 Architektinnen der Weimarer Republik Da bisher keinerlei systematische Forschungen zum Schaffen wie zur beruflichen Situation von Architek- tinnen im Deutschen Reich der zwanziger Jahre vor- liegen, kann hier nur anhand recherchierter Einzelbei- spiele ein zwangsläufig unvollständiges Bild skizziert werden. Die zwischen 1880 und 1895 geborene (er- ste) Generation von Architektinnen im Deutschen Reich hat bis zum Ende des Kaiserreiches die akade- mische Ausbildung absolviert und den Einstieg ins Berufsfeld zunächst über angestellte Anfangsstellun- gen gesucht. Mitte der zwanziger Jahre treten man- che dieser Architektinnen auch öffentlich in Erschei- nung. Wie wir anhand der von Elisabeth von Knobelsdorff 1914 geschlagenen „Bresche“ sowie ihrer von 1919 bis 1922 hinausgezögerten Anstellung gesehen ha- ben, standen Bauverwaltungen dem Staatsdienst von Frauen nicht aufgeschlossen gegenüber. So soll 1916 bspw. auch Marie Frommer, direkt im Anschluss an ihr Studium, im Hochbauamt der Stadt Dresden gear- beitet haben.56 Eine berufliche Perspektive eröffnete sich ihr dort offenbar nicht. Mit Beginn der Weimarer Republik war der Staatsdienst nach Lage der Geset- ze für Frauen geöffnet57, für Architektinnen theore- tisch eine berufliche Alternative zur Freiberuflichkeit entstanden. Dennoch blieb es offenbar ins Ermessen der jeweiligen Verwaltung gesetzt, ob sie überhaupt Architektinnen anstellen, sie als ‘Fach-’ oder ‘Hilfs- kräfte’ bezahlen oder ablehnen wollte, ihnen die Aus- bildung zum Regierungsbaumeister eröffnen oder eine entsprechende Laufbahn im öffentlichen Dienst verweigern wollte. Grete Schroeder-Zimmermann (geb. 1887) war be- reits während des ersten Weltkrieges, von 1914 bis 1916 im Hochbauamt des Magistrats Breslau als Ar- chitektin angestellt worden, wurde jedoch zum 31.12. 1916 im Rahmen der Demobilisierung entlassen.58 Dass dies im Ermessen des Vorgesetzten stand und unterschiedlich gehandhabt wurde, lässt sich schon daran ablesen, dass sie im direkten Anschluß an die Entlassung in Breslau beim Hochbauamt des Rats zu Dresden „unter Stadtbaurat Poelzig“ angestellt und mit der architektonischen Bearbeitung von „Feuerwa- chen und Schulhausbauten” betraut wurde.59 Jahre später - nach ihrem Zweitstudium an der TH Charlot- tenburg - tritt sie zum 19.5.1930 wiederum eine Stelle in der öffentlichen Bauverwaltung an. Im Preußischen Hochbauamt des Kreises Niederbarnim-Teltow wird sie Regierungsbauführerin. Aber auch mit akademi- schen Weihen gesegnet und mit 15 Jahren Berufser- fahrung bietet sich ihr dort offenbar auch dann keine Chance, eine angemessene Laufbahn zu erreichen. In einem Lebenslauf aus dem Jahre 1952 gibt sie die Gründe für ihr Ausscheiden zum 17.12.1931 wie folgt an: „Auf eigenen Wunsch ausgeschieden, weil einer Frau nur der Titel eines Regierungs-Baumeisters ver- liehen werden sollte, also ohne Aufstiegsmöglichkeit zum Regierungsbaurat.“ 60 Hier finden wir die Praxis geschlechtsspezifischer Exklusion einer Bauverwal- tung bestätigt, mehr als ein Jahrzehnt nachdem dies an von Knobelsdorff ‘erprobt’ worden war. Im Laufe der zwanziger Jahre gelingt es mehreren Architektinnen - darunter bspw. Hildegard Schröder (geb. 1901), Janina von Muliewicz (geb. 1903) und Hanna Löv (geb. 1906) -, die staatliche Ausbildung mit der Regierungsbaumeisterprüfung abzuschließen. Da gerade die Berechenbarkeit staatlicher Laufbah- nen für Architektinnen auch während der Weimarer Republik unberechenbar blieb, bot der Staatsdienst für Architektinnen zumindest keine attraktive Berufs- perspektive. Lediglich Hanna Löv tritt in die Dienste der Reichspost ein. Auch die Berufswege von Regierungsbaumeisterin- nen in Deutschland sind bisher nicht erforscht. Von Elsbet Arnet (geb. 1891) ist bekannt, dass sie lange Jahre im Staatsdienst tätig blieb. Sie tritt 1925 in die Planungsabteilung des Hessischen Ministeriums für Finanzen ein.61Und am Beispiel Hildegard Schröders wird deutlich, dass der solide Weg über die Regie- rungsbaumeisterausbildung zu einer freiberuflichen 53 Bereits in den zehner Jahren wurde das Einküchenhaus inner- halb der Frauenbewegung diskutiert, so hatte bspw. Henriette Fürth 1913 geurteilt: „Für den Arbeiterhaushalt und den Mittel- stand kann das Einküchenhaus nicht in Betracht kommen. Es ist trotzdem (..) für gewisse Bevölkerungsschichten von nicht zu unterschätzendem Wert.“ (Fürth, H.: Das Einküchenhaus, in: Soden, 1913, II, S.290). Für eine sozialistische Erfindung hält es bspw. Aimée Köster. (Köster: Einküchenhaus, in: Die schaffende Frau, 2.Jg., H.29, Februar 1922, S.72-73) - Zur Debatte vgl. auch Uhlig, Günther: Kollektivmodell Einküchenhaus, Gießen, 1981 54 Grünbaum-Sachs, 1930, S.232 55 Bisher ist kein (Entwurf für ein) ‘Einküchenhaus’ einer Architektin dokumentiert. 56 Ob Frommer die Regierungsbaumeisterlaufbahn anstrebte, ist bisher unklar. Es erscheint jedoch wenig plausibel, dass sie im Hinblick auf eine freiberufliche Praxis diese Anfangsstellung ge- sucht haben könnte. Da sich ihr Name in den Personalverzeich- nissen des Amtes nicht nachweisen lässt, besteht der Verdacht, dass sie dort lediglich als ‘Hilfsarbeiterin’ beschäftigt wurde. 57 Weimarer Verfassung, Art.109, „Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben Rechte und Pflichten“ Reichsgesetzblatt 1919, S.1404 58 Nach ihren Angaben erfolgte die Entlassung aufgrund der Ver- fügung, dass Ehefrauen, deren Männer aus dem Felde zurück- gekehrt waren, zu entlassen seien. Vgl. Biografie Schroeder- Zimmermann. 59 HdK-Archiv , Best.16, Nr.148, handschriftlicher LL vom 12.12. 1952. Sie nahm diese Tätigkeit zum 1.1.1917 auf. Hans Poelzig war nicht nur ihr Lehrer an der Kunstgewerbeschule Breslau, ab 1909 hatte sie auch in seinem Privatbüro gearbeitet. 42 Bilder und Images Schlafraum einer Zweizimmerwohnung, Rentnerinnenheim, Dresden, 1928, Gertrud Lincke Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Etablierung während der Weimarer Republik fast ein Jahrzehnt dauern konnte.62 Die meisten der in den zwanziger Jahren tätigen Ar- chitektinnen wählten als Berufseinstieg jedoch nicht den Staatsdienst, sondern arbeiteten - zumindest zu- nächst - als angestellte Architektinnen in Planungs- büros. So trat bspw. Edith Schulze (geb. 1896) 1920 in die Dienste einer Siedlungsgesellschaft in Dessau ein, war Erika Förster (geb. 1897) im Anschluss an ihr Diplom in Stuttgart ab 1922 bei der Phillip Holzmann AG in Frankfurt/M. angestellt.63 Paula Marie Canthal (geb. 1907) wurde um 1925 Mitarbeiterin im Büro von Alfred Gellhorn in Berlin.64 Und Rahel Weisbach (geb. 1907) arbeitete nach ihrer Gesellenprüfung als Tisch- lerin ab 1926 als Innenarchitektin im Büro Erich Men- delsohns in Berlin, ab 1928 für das Büro Martin Elsässers.65 Die Berufsstatistik tut sich schwer mit der Eingrup- pierung von Frauen in vermeintlichen Männerberufen, liefert bestenfalls Hinweise. So weist bspw. Silbergleit auf der Basis der Volkszählung vom 16.6.1925 für Preußen unter 229 selbständigen jüdischen Architek- tInnen drei, unter 885 angestellten ArchitektInnen nur zwei Frauen aus.66 Die reichsweite Berufszählung führt 1933 immerhin 175 Architektinnen auf, in selb- ständiger Stellung in Architektur- und Vermessungs- büros, im Hoch- und Tiefbau 19.67 „Wie groß aller- dings der Anteil der Frauen auf wirklich leitenden Po- sten war, die Hochschulbildung erfordern, läßt sich aus dieser Statistik nicht exakt herauslesen.“ 68 Darü- ber hinaus lassen sich hier keine Angaben zur Vergü- tung oder die Dauer der Berufsausübung zu finden. Auch anhand der Eintragungen in Branchenbüchern und Künstlerlexika sind Wechsel zwischen Angestell- ten und FreiberuflerInnen nur erahnbar. Nur biogra- phische Dokumente bieten überhaupt die Chance, im jeweiligen Einzelfall zu rekonstruieren, wann und wie lange welche Architektinnen in welchen Büros arbei- teten, ob sie freiberuflich tätig wurden oder dem Be- rufsfeld den Rücken kehrten. Wie Lina Hahn 1930 anhand verschiedener Untersu- chungen über weibliche Angestellte illustriert, stam- men Ende der zwanziger Jahre etwa 29% der weibli- chen Angestellten aus dem Arbeiterstand, 43% aus den Kreisen der Angestellten und Beamten, 24% aus dem selbständigen Mittelstand und 3-5% aus dem gehobenen bürgerlichen Mittelstand.69 Angestellte Architektinnen während der Weimarer Re- publik dürften ganz überwiegend dem Viertel der weiblichen Angestellten zuzurechnen sein, die dem selbständigen und gehobenen bürgerlichen Mittel- stand entstammten.70 Sie dürften im Regelfall jedoch nicht gewerkschaftlich organisiert gewesen sein.71 Dennoch trifft wahrscheinlich auch auf sie zu, was Lina Hahn für die Situation der weiblichen Angestell- ten im Allgemeinen feststellt: „Gehälter über 250 Mark sind eine seltene Ausnahmeerscheinung und werden durchschnittlich nur an 5% der weiblichen Angestellten gezahlt. Die Aufstiegsmöglichkeiten für die Frau sind also im Angestelltenberuf noch sehr ge- ring, obwohl er heute zu den verbreitetsten Frauen- berufen (sic!) gehört.“ 72 Während der Weimarer Republik war die Mitarbeit von Architektinnen in Architekturbüros - mit und ohne akademische Ausbildung - denkbar. Die Mitarbeits- formen und Verantwortlichkeiten dieser Mitarbeiterin- nen sind bisher unerforscht. Auch aussagekräftige Angaben zur Entlohnung dieser Mitarbeiterinnen feh- len weitestgehend. In manchen Schilderungen bleibt zweifelhaft, ob weibliche Angestellte überhaupt ent- lohnt wurden. Die Nennung von Mitarbeiterinnen, die Zuschreibung von Projekten und Bauten - ins Belie- ben des/r jeweiligen Büroinhabers/in gestellt - spie- gelt weniger die geistige UrheberInnenschaft als die Eigentümerstruktur bzw. Hierarchie innerhalb der Bü- ros wider. Die Nennung von MitarbeiterInnen in sub- alternen Positionen wurde bereits während der Kai- serzeit vermieden. Grundsätzlich wird nur der Name des Büroinhabers unter Projekten aufgeführt. So wird selbst bei einem so großen Projekt wie dem Waren- haus Herpich die mit dem umfangreichen Innenaus- bau befasste Rahel Weisbach in Publikationen nicht erwähnt. Auch wenn BüroinhaberInnen - wie bspw. Erich Men- delssohn, Leo Nachtlicht, Alfred Grenander, aber auch Emilie Winkelmann und Marie Frommer - nach- weislich Berufsanfängerinnen anstellen, lässt sich nur im Einzelfall klären, ob dies aufgrund persönlicher Faszination, privater Verpflichtungen oder ökonomi- schen Kalküls erfolgte. Bei Auftragsrückgang im Büro Mendelsohn wird Weisbach nach zwei Jahren als er- ste entlassen. Hierdurch entsteht der Eindruck, dass ihre Anstellung schlichtweg ein Sonderangebot auf dem Arbeitsmarkt gewesen sein könnte. Eine ambivalente Stellung zwischen Freiberuflichkeit, Angestelltenverhältnis und unvergüteter Mitarbeit fiel den Architektinnen zu, die eine Ehe mit einem Archi- tekten führten. So bezeichnet der Begriff der mithel- fenden Familienangehörigen nicht nur im Sinne der Berufsstatistik Gattinnen von Freiberuflern als eine ökonomisch unselbständige Gruppe. Da nach Lage des Bürgerlichen Gesetzbuches auch während der Weimarer Republik die Erwerbsarbeit verheirateter Frauen an die Zustimmung des Gatten geknüpft blieb, bedeutete die Eheschließung für Frauen in der Regel die Aufgabe beruflicher Selbstbestimmung. Innerhalb dieser legislativ abgesicherten Hierarchie nach Geschlecht innerhalb der Ehe waren auch wäh- rend der Weimarer Republik individuelle Spielräume 60 Ibid. Schroeder-Zimmermann spricht offenbar von sich selbst als dieser „einen Frau“. 61 Elsbet Arnet hatte ab dem Wintersemester 1914/15 an der TH Darmstadt Architektur studiert und dort 1920 das Diplom erwor- ben. Zu Arnet vgl. Viefhaus, 1988, S.48 62 Hildegard Schröder studierte zu Beginn der zwanziger Jahre zunächst an der TH Darmstadt, dann an der TH Dresden, wo sie im Winter 1926/27 das Diplom erwirbt. Im Anschluß daran ab- solviert sie die Regierungsbaumeisterlaufbahn, heiratet den fünf Jahre jüngeren Architekten Gerhard Dörge und bringt 1932 und 1935 zwei Kinder zur Welt. 1934 erscheint ihr Name erstmalig im Branchenfernsprechbuch Berlin unter den freiberuflichen Architekten gelistet. 63 Vgl. Biografie Dinkelmann. Für Hinweise zu Erika Försters Be- rufstätigkeit danke ich Dr. Norbert Becker. 64 Vgl. Biografie Canthal 65 Schemme, Dorothea, „Bei mir war eigentlich alles ein Wunder“, Notizen eines Gespräches mit Rahel Bontjes van Beek, in: Frau- en in Bau- und Ausbauberufen, Berlin, 1990, S.86 66 Silbergleit, Heinrich: Die Bevölkerungs- und Berufsverhältnisse der Juden im Deutschen Reich, Berlin, 1930, S.307 resp. S.333, 67 Nach der Berufszählung von 1933 gab es: 175 weibliche unter insgesamt 36 088 Architekten. In selbständiger Stellung in Ar- chitektur- und Vermessungsbüros 4537 Männer und 13 Frauen, im Hoch- und Tiefbau 3443 Männer und 6 Frauen. Hier zitiert nach: H.N.: Frauen als Ingenieure, - Artikel in der Frankfurter Zeitung vom 17.3.1939, (Barch/L NS5/VI, Bl.7111) 68 Ibid. 69 Hahn, Lina: Die Frau in der Angestelltenbewegung, in: Schmidt- Beil, Ada(Hg.) Die Kultur der Frau, Berlin, 1930, S.168ff. 70 Wie dies die Darstellung der familiären Hintergründe der Archi- tekturstudentinnen der Kaiserzeit vermuten läßt, die der Bau- haus- und Tessenowschülerinnen in den folgenden Kapiteln zei- gen wird. 71 Bisher ist keine gewerkschaftliche Mitgliedschaft einer Architek- tin bis 1945 nachweisbar. Heinz Hornung schreibt 1930 unter dem Titel „Frauen in der Technik: Gewiß fanden viele weibliche technische Angestellte noch nicht den Weg zur gewerkschaftli- chen Organisation. (..) Aber in dem Maße, wie die Zahl (..) zu- nimmt und diese Frauen ihre wirtschaftliche und gesellschaft- liche Lage erkennen, werden sie zur gewerkschaftlichen Betäti- gung kommen.“ in: Die schaffende Frau, 1.Jg., H.9, Juni 1930, S.298 72 Und weiter: „Diese Tatsache ist um so bedrückender, als die Frauenarbeit in den meisten Tarifverträgen noch geringer bewer- tet wird als die gleiche Leistung eines männlichen Angestellten.“ Hahn, 1930, S.169 Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 43 zumindest denkbar. Architekten - dies werden wir auch bei Architekturstudenten der Weimarer Republik ausführlich studieren können - neigen jedoch man- ches Mal dazu, in der Gattin eine mitarbeitende Familienangehörige zu sehen.73 Marlene Moeschke war zwischen 1918 und 1936 an zahlreichen Projekten des Büros Poelzig beteiligt. 1924 heiratete Prof. Hans Poelzig seine schwangere Mitarbeiterin.74 1930 tritt sie, die keinen Abschluss als Architektin, jedoch an einer Akademie studiert hatte, mit dem ‘Haus in der Tannenbergallee’ als alleinige Entwerferin öffentlich in Erscheinung. Auch wenn dies nicht etwa ihr einziger Entwurf ist und der „berühmte Poelzig“ die kleinen Bauten gerne seiner Frau über- ließ75, hält die Publizität Marlene Poelzigs nicht lange an und bleibt auf diesen Einzelfall begrenzt. Auch Leni Stahl-Langen, die eine kaufmännische Ausbildung absolviert, jedoch bereits seit 1916 im Berliner Büro ihres Architektengatten mitgearbeitet hatte, tritt weder als Entwerferin noch ökonomisch selbständig in Erscheinung, auch wenn ihre Mitarbeit im Büro nicht nur ökonomisch motiviert gewesen sein dürfte.76 Dass innerhalb solcher Partnerschaften ein strukturelles Konfliktfeld liegt, das während der Wei- marer Republik mit der Ausbildung und dem Selbst- bewusstsein der Partnerinnen wächst, wird bspw. an- hand der Scheidungen von Margarete Gutkind und Margarete Knüppelholz-Roeser in den zwanziger Jahren deutlich.77 Architektinnen üben während der Weimarer Republik den Beruf freiberuflich aber nicht nur in Partnerschaf- ten aus. Insbesondere ledige Architektinnen treten auch mit eigenen Büros in Erscheinung. Emilie Win- kelmann realisierte ihre ersten Neubauten in Berlin für Schriftsteller und nach Wettbewerbserfolgen.78 In den zehner Jahren konnte sie im Umfeld des Deutschen Lyzeum-Klubs Aufträge akquirieren79, hielt jedoch auch Kontakt mit ihrem Heimatort Aken. Sie verdankt der Heirat einer ihrer Schwestern mit einem blaublüti- gen Agrarier etliche Aufträge für landwirtschaftliche Bauten in Pommern und Westpreußen. Für diese Klientel ist sie auch weiterhin tätig. Elisabeth von Knobelsdorff erhielt ihren ersten Auftrag von ihrer Tante.80 In den zwanziger Jahren soll sie Villen für pri- vate Auftraggeber realisiert haben. Marie Frommer gelingt es ab 1926, Aufträge von Berliner Geschäfts- leuten zu akquirieren. In der Presse als Spezialistin für Warenhäuser gelobt, finden ihre neuartigen Schriftgestaltungen und Leuchtreklamen ab 1927 auch in der Fachpresse Beachtung.81 Ende der zwan- ziger Jahre wird sie Vertrauensarchitektin internatio- naler Unternehmen, für die sie Bürohäuser umbaut. Sie wird Mitglied des Clubs der ‘Soroptimists’, für den sie 1930 den Umbau des „Hotel Majestic“ reali- sieren kann.82 Sie bietet ‘Wohnberatungen’ an und betreibt ihre Aufnahme in den BDA.83 Ihr Büro wächst in den frühen dreißiger Jahren deutlich und ist über- wiegend mit Umbauten für Geschäftsleute und Ver- sicherungsunternehmen beschäftigt.84 Ella Briggs sucht und findet in Berlin ab 1926 Aufträ- ge bei Berliner Wohnungsbaugesellschaften mit Hilfe von Empfehlungsschreiben sowie Fotos ihrer in Wien realisierten Bauten.85 Sie akquiriert auch im Bereich Ausstellungsarchitektur. Bis 1928 kann sie hier zu- mindest vier Projekte realisieren. Daneben reagiert sie auf die während der zwanziger Jahre rapide stei- gende Nachfrage nach billigstem Wohnraum, wendet sich der Projektierung von Siedlungs- und Erwerbslo- senhäusern sowie der Frage von Wohnungsteilungen 73 So teilt Hans Scharoun 1928 seinem ehemaligen Büropartner Franz Bossmann jovial mit: „Wie gut, daß Ihre Frau wieder wohl- auf ist, auch die meinigte ist wieder gesund und im Büro ver- wendbar.“ Hans Scharoun, Brief vom 14.1.1928, (AdK, BK NL Scharoun, Mappe 4.4/III 130, 20-0104.) Aenne Scharoun geb. Hoffmeyer führte im Büro ihres Mannes die Korrespondenz. - Die Debatte über die ‘Verwendbarkeit’ von Frauen im Berufsfeld gewinnt im Laufe der zwanziger Jahre an Kontur. Auch dieser Prozess deutet auf eine aktive, kommunikativ hergestellte Hier- archisierung nach Geschlecht innerhalb des Berufsfeldes. 74 „Da bekam Marlene schon das Kind, da ließ sich Mutter schei- den.“ Ruth Poelzig-Ockel, (Tochter aus Poelzigs 1899 ge- schlossener, erster Ehe mit Maria Voß) im Gespräch mit Dieter Schwarzenau, „Zeugen des Jahrhunderts“, Sendung 13.1.1997 75 So bspw. zitiert bei Heuss, 1939, S.55: „er [Poelzig] hatte früher einmal gesagt, Bauten unter drei Metern beschäftigen mich nicht, später hatte er das Maß auf zehn Meter erhöht.“ 76 Vgl. Biografie Stahl-Langen. 77 Vgl. Biografie Knüppelholz-Roeser. Die Berliner Gestalterin Margarete Gutkind (geb. Jaffe, 1887 - 1942) hatte in den 10er Jahren den Architekten Erwin Gutkind (1886 - 1968) geheiratet, 1917 und 1925 Kinder zur Welt gebracht. Die Ehe wird 1929 ge- schieden. (Vgl. Strauss / Röder, 1980, S.438) Vgl. hierzu auch Kap.9, Der Traum von der Zusammenarbeit 78 Oskar Paul Höcker (1865-1944), Haus Lindenallee, 1908 und Rudolf Presber (1868-1935), Haus Trabener Straße, 1908/09. Bisher ist nicht dokumentiert, wie Winkelmann die Bauherren kennenlernt. Nach Gewinn des Wettbewerbs für die ‘Festsäle Baatz’ in der Neuen Blumenstraße, kann sie hier 1914 ihr erstes Veranstaltungsgebäude realisieren. Auch der Umbau der ‘Pensi- on von Heuckelum’ und der Bau des Viktoria-Studienhauses sind nach ihren Angaben Resultate gewonnener Wettbewerbe. Vgl. LL Winkelmann 14.9.1950, in Schmidt-Thomsen: Frauen in der Architektur, in: UIFA, 1988, S.19. 79 So bspw. das Haus für die Schwestern Grupe in Babelsberg. 80 Diesen Entwurf eines Gemeindehauses für ein schlesisches Gut hatte sie nicht nur bei der Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“ gezeigt sondern 1913 auch bei einer der Monatskonkur- renzen des Architekten- und Ingenieurvereins zu Berlin einge- reicht und dabei einen 2. Preis erhalten. Vgl. Kap.2, FN 40. 81 Architektur und Schaufenster, Berlin, 24.Jg., 1927, November- heft, S.6, Dezemberheft, S.3-5 82 Marie Frommer gehörte dem Soroptimist-Club, der nach inter- nationalem Vorbild 1929 in Berlin als Vereinigung berufstätiger Frauen gegründet wird, wohl schon als Gründungsmitglied an. 83 Ab 1931 werden ihre ‘Wohnberatungen’ in Die schaffende Frau angeboten. Im gleichen Jahr beschreibt Margot Rieß, dass sich Frommer um dieses Gebiet „verdient gemacht“ habe. 84 Ob sie durch die Beratung für Leserinnen Aufträge akquirieren kann, bleibt fraglich. Allerdings wird auch Frommer im Bereich Innenarchitektur tätig. 1930 stellt sie bei der Ausstellung „Die gestaltende Frau“ bei Wertheim auch Fotos ausgeführter Innenarchitekturen aus. 85 Vgl. S.41, sowie FN 52 44 Bilder und Images Schuhhaus Leiser, Berlin-Mitte, Umbau 1929, Marie Frommer Blick in den Verkaufsraum Blick in den Erfrischungsraum Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar zu. Im Vergleich zu Wien, wo Plakolm-Forsthuber für die Zwischenkriegszeit in der Raumkunst resp. Innen- architektur einen - wenn auch nicht konkurrenzfreien - Raum zur Etablierung von Fachfrauen ausmacht, lassen sich solch eindeutige Berufssegmente wäh- rend der Weimarer Republik nicht benennen.86 In der Fachpresse der zwanziger Jahre tauchen an- lässlich von Wettbewerben auch Namen jüngerer Ar- chitektinnen auf. Unter den preisgekrönten „Meßbau- ten in Frankfurt/M.“ findet sich bspw. 1924 der Ent- wurf von Lulu Goerz, München verzeichnet.87 Gretel Uhland aus Stuttgart gewinnt 1927 einen zweiten Preis bei einem Wettbewerb für Möbelbeschläge.88 Johanna Loev reicht im selben Jahr mit dem Kolle- gen Holl einen Entwurf für einen Wettbewerb bei Harlaching ein und erhält einen Ankauf. Beim Wett- bewerb Rathaus Insterburg (1927) gewinnen Waltru- de Enders aus Kassel und Hedwig Bock aus Kreuz- nach einen Preis. 1929 werden in den Gewinnlisten für das „Eigenhaus der neuen Zeit, der neuen Welt“, Entwürfe von Tilla Mayer-Strathmann, Stuttgart-Kal- tental, Brunhilde Dreher aus Konstanz und Ursula Weiß, Berlin aufgeführt.89 Ebenfalls 1929 gewinnen Auguste Hecht und Hermann Neumann den Wettbe- werb zum Bau einer Synagoge für die orthodoxe Ge- meinde im Berliner Hansaviertel.90 86 Dies deutet jedoch nicht darauf hin, dass es sich bei Raumkunst um einen von Frauen bevorzugten Arbeitsbereich handelt. Dies konstatiert auch Plakolm-Forsthuber, wenn sie schreibt „Die (..) den Architektinnen zugestandenen Aufgabenbereiche waren nur spezialisierte Teilaspekte der Innenarchitektur, wenig gegenüber dem, was ihnen vorenthalten blieb.“, 1994, S.250 87 Vgl. Baugilde, 6.Jg., 1924, S.184, H.12. 88 Zentralblatt der Bauverwaltung, 1927, S.225 89 Velhagen & Klasings Monatshefte, 44.Jg., Sept.1929, S.90 90 Baugilde, 1929, S.860. Der Entwurf wurde nicht realisiert. Augu- ste Hecht hatte ab dem WS 1922/23 an der Bauschule der TH Wien studiert, vgl. Georgeacopol-Winischhofer, 1997, S.327. Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 45 Wettbewerbsentwurf für den Neubau einer Synagoge in der Klopstockstraße 58, Berlin, 1.Preis, Gusti Hecht und Hermann Neumann, 1929 Ausstellungsstände nach Entwürfen von Ella Briggs auf den Messen „Ernährung 1928” „Gas und Wasser” (1929) Lederschau (1930) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Eine Art Blitzkarriere ist von Paula Marie Canthal für das Ende der zwanziger Jahre zu verzeichnen. Sie gewinnt 19-jährig gemeinsam mit ihrem Mann - beide haben an Kunst- und Kunstgewerbeschulen studiert - 1927 gleich zwei Preise beim Wettbewerb des Berli- ner Messeamtes für Wochenendhäuser. Bis 1931 fol- gen Preise bei sechs weiteren Wettbewerben, darun- ter dem renommierten Passagewettbewerb Friedrich- straße-Behrenstraße in Berlin. Anhand dieses Spektrums an Wettbewerbsthemen wird deutlich, dass auch Architektinnen, die erst im Laufe der Weimarer Republik in das Berufsfeld eintre- ten, sich thematisch aufgeschlossen für unterschied- lichste Entwurfsaufgaben interessieren und engagie- ren. Auch bei ihnen spiegeln sich hierin - eben nicht vermeintlich geschlechtsspezifische Aufgabenfelder als vielmehr - Pragmatismus und individuelle Interes- senschwerpunkte wider. Im Laufe der zwanziger Jahren werden Projekte von Architektinnen in Fachzeitschriften zunehmend selte- ner publiziert, obschon sie vereinzelt in Artikeln und Beispielsammlungen auftauchen.91 So wird bspw. der Name Winkelmanns anlässlich ihres „Haus[es] für ei- nen geistigen Arbeiter“ auf der ‘Gesolei’ in Düssel- dorf 1926 in einem ausführlichen Artikel in der ‘Deut- schen Bauzeitung’ lediglich in einer Aufzählung ge- nannt.92 1910 hatte Erich Schwinghammer ihre Land- häuser in der ‘Bauhütte’ als „anheimelnde Bauten, die das Wesen eines trauten Familienheims sehr gut zum Ausdruck bringen.“ bezeichnet und sie als „Kol- legin, die seit einer Reihe von Jahren den Architek- tenberuf selbständig ausübt und (..) durch mehrere Bauten bekannt geworden ist“ gewürdigt.93 Und soweit in der Frauenpresse ab Mitte der zwanzi- ger Jahre überhaupt noch Berichte über Arbeiten von Architektinnen zu finden sind, sind sie von zurück- haltender Skepsis geprägt.94 Angesichts der lobby- istischen Appelle für Medizinerinnen und Juristinnen fällt diese große Zurückhaltung gegenüber Architek- tinnen ins Auge.95 ‘Die Architektin’ war als ‘Neuigkeit’ offenbar verbraucht. Die progressive Frauenpresse konnte ihr darüber hinaus offenbar wenig abgewin- nen und die bürgerliche Frauenpresse hatte die (Be- rufs-)Hausfrau zur nebenberuflichen Wohnungsge- stalterin, die Hauswirtschafterinnen zu kooperieren- den Spezialistinnen des Siedlungsbaus gekürt. Hedwig Heyl hatte 1912 die Annäherung von Frauen in Haus und Beruf beschworen: „Diese Ausstellung ist eine Friedensfanfare für die beiden großen Ar- beitsgebiete der Frau. Haus und Beruf, die sich an- fänglich auszuschließen und den Rang streitig zu machen schienen, um sich nun einander immer mehr zu nähern, sich zu ergänzen.“ 96 So wurden zu Beginn des Jahrhunderts die Berufsmöglichkeiten von Frau- en öffentlich immer wieder eingefordert.97 Zum Ande- ren wurden Frauen zur materiellen Selbständigkeit durch Berufstätigkeit ermutigt, Appelle an die eige- nen Mitglieder gerichtet, die Dienste der Berufsfrauen auch in Anspruch zu nehmen, bspw. Ärztinnen aufzu- suchen oder Künstlerinnen zu beauftragen. Andererseits hatte Elly Heuss-Knapp im gleichen 91 So bspw. der Entwurf eines Arbeitszimmers von Lotte Zentner (Koch, Alexander: Farbige Wohnräume der Neuzeit, Darmstadt, 1926), Inneneinrichtungen von Gertrud Lincke und Ella Briggs finden sich in: Müller-Wuckow, Walter: Die deutsche Wohnung der Gegenwart, Königstein/Leipzig ,1930 92 Deutsche Bauzeitung , 60.Jg.,1926, S.624 - Unter dem „Dorf von Musterhäusern von Behrens, Becker, Winkelmann, Wehner, Spiegel“ subsumiert, bleibt Winkelmann wie ihr Entwurf in der Besprechungen nahezu unerwähnt. 93 Schwinghammer, Erich: Neue Einfamilienhäuser, in: Deutsche Bauhütte, 14.Jg., 1910, Abb.S.121, hier S.124 94 So bspw. Krebs, Hilda: Die aktive Mitarbeit der Frau im Woh- nungsbau, in: Neue Frauenkleidung und Frauenkultur, 14.Jg., 1928, H.3 (November), S.72 95 Gerade die Medizinerinnen waren quantitativ eher sichtbar, die Juristinnen bspw. durch Ratgeberspalten in der Frauenpresse präsent. Die Zugangsbeschränkungen zu diesen Berufsfeldern waren augenfälliger, zum anderen versprach die Durchsetzung der Berufsinteressen von Juristinnen und Medizinerinnen eman- zipatorisch wesentlich konkretere Schritte für eine weitaus grö- ßere Zahl von Frauen. Hingegen wurden bspw. Forderungen im Wohnungsbau ohne Junktim einer parteilichen Planung von Architektinnen gestellt. 96 Heyl, 1925, S.131 97 Standespolitische Hemmnisse - bei der Zulassung von Ärztin- nen zu den Krankenkassen, von Juristinnen zum Richter- oder Rechtanwaltsberuf - wurden immer wieder öffentlich angepran- gert. 46 Bilder und Images Anbau-Haus auf der Deutschen Bauausstellung, Berlin, 1931, Ansicht Gartenseite Entwurf Paula Marie Canthal und Dirk Gascard-Diepold, 1930 Grundrisse des Kernhauses (unten) und der Anbau-Stufe (oben) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Jahr formuliert:„Die Frauenbewegung hat in ihrer er- sten Entwicklungszeit sich von der Wertschätzung der Hausarbeit bewußt entfernt. Sie sah darin nur die private Leistung für den engsten Familienkreis, und sie wollte doch organisieren, die Berufsarbeit schien sichtbarlicher verwebt in die allgemeine Wirtschaft des Volkes und damit ein besserer Ausgangspunkt für die Forderung neuer Rechte.” 98 Hier klingt deut- lich an, dass bürgerliche, obschon frauenbewegte Hausfrauen der Propagierung außerhäusiger Berufe für Frauen skeptisch wenn nicht konkurrierend ge- genüber standen. Als „besserer Ausgangspunkt für die Forderung neuer Rechte für alle Frauen” wird die den professionellen Frauen gewidmete Aufmerksam- keit bis in die zehner Jahre von den Hausfrauenver- treterinnen noch mitgetragen. Verspricht die Zulas- sung zum Studium auch für bürgerliche Frauen die Chance auf mehr Selbstbestimmung, so stellt die Aussicht auf außerhäusige Erwerbsarbeit für weite Kreise bürgerlicher Hausfrauen jedoch offenbar keine erstrebte Option dar. In der frauenbewegten Presse der zehner Jahre wird auch der Zugang von Frauen zum Architektenberuf grundsätzlich befürwortet. Wenn ein ‘Haus der Frau’, ein ‘Studentinnen-Wohnheim’, ein ‘Frauenklub’ be- nötigt wird, entfaltet ihr Schaffen im Einzelfall öffentli- che Wirkung. Im Unterschied zu Medizinerinnen und Juristinnen werden Architektinnen jedoch nur aus- nahmsweise namentlich genannt und auch als partei- liche Berufsfrauen kaum erwähnt. Eine der wenigen Ausnahmen ist ein Artikel Margarete Pochhammers. Sie sieht 1913 in der Veränderung der „Berliner Woh- nungsverhältnisse” ein Betätigungsfeld für Baumei- sterinnen: „Kurz, die Bauten der letzten Jahre zeigen sich von Hygiene und Ästhetik stark beeinflußt. Nur zwei wichtige Gemächer kommen immer noch zu kurz: Die Speisekammer und das Mädchengelaß. (..) Nur selten entspricht das Personalzimmer dem, was theoretisch schon so lange dafür gefordert wird. - Vermutlich wird erst die Baumeisterin hier Wandel schaffen und ihren männlichen Kollegen zeigen, wie auch dieser letzte - sehr empfindliche Wohnungs- mißstand vermieden werden kann.“ 99 15 Jahre später schreibt Hilda Krebs über „Die aktive Mitarbeit der Frau im Wohnungsbau“: „Die Frauen sind ja ein wichtiger Faktor im Wirtschaftsleben, und dementsprechend haben sie sich einen Platz in der Öffentlichkeit erworben. Da ist es nur recht und billig, daß ihren Bedürfnissen mehr Rechnung getragen würde. Die verheiratete Frau braucht die gut durch- gebildete Wohnung (..) und die berufstätige Frau be- nötigt ein Heim, das sie endlich von dem ‘Möblierten- Zimmer-Wohnen’ befreit. Hier sind Sonderaufgaben zu lösen, bei denen die weiblichen Architekten aus ihrem weiblichen Verstehen heraus Eigenes zu geben haben. Vielleicht arbeitet eine entspanntere wirt- schaftliche Lage (..) in diesem Sinne für die Architek- tin.“ 100 Hilda Krebs hofft auf einen Aufschwung und auf „Sonderaufgaben“, für deren Befriedigung Archi- tektenkollegen in Fachzeitschriften längst Vorschläge unterbreiten. Hedwig Heyls propagierte „Friedensfanfare” kenn- zeichnete damit eher das Ende einer pragmatischen Koalition zwischen den beiden Lagern der Frauenbe- wegung denn einen Auftakt zu einer Annäherung. Die Haltung der mehrheitlich als Hausherrinnen organi- sierten Frauen gegenüber der Erwerbstätigkeit blieb ambivalent. Schon während der Kaiserzeit scheint die ablehnende Haltung gegenüber Ärztinnen oder Juri- stinnen weniger kategorisch gewesen zu sein als ge- genüber Architektinnen.101 Letztere werden in Frauen- zeitschriften fast nicht mehr erwähnt. Und angesichts ökonomischer Krisen schrumpft Anfang der zwanzi- ger Jahre die Zahl potentieller AuftraggeberInnen. Nur wenige Architektinnen sehen ihrerseits Spielräu- me, ihr spezielles Qualifikationsprofil als Emanzipa- tionsangebot für Frauen einzubringen. Für konkrete AuftraggeberInnen tun sie dies.102 Und wo sich kon- krete Anknüpfungspunkte bieten, stehen Architektin- nen der ersten Generation der Frauenbewegung kei- nesfalls grundsätzlich ablehnend gegenüber. Emilie Winkelmann ist nicht nur Mitglied des Deutschen Ly- zeumclubs, sie unterbreitet mehrfach Vorschläge für Damenwohnheime. Margarete Lihotzky entwirft Woh- nungen für berufstätige Frauen. Gertrud Lincke ent- wickelt die ‘Frauenwohnungshilfe’.103 In Artikeln stellt sie dieses Modell einer Frauengenossenschaft mehr- fach vor.104 Therese Mogger ist Mitglied im Verein der Düsseldorfer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen105, Marie Frommer Mitglied bei den Soroptimists in Ber- lin. Wie Frommer hält auch Ella Briggs auf Einladung von Frauenverbänden Vorträge.106 1930 erscheint in der neugegründeten Zeitschrift ‘Die schaffende Frau’ eine Wohnungsberatung für Leserinnen. Margarete Weinberg würdigte 1926 einen Ladenumbau Marie Frommers: „Das Ganze zeigt glücklichste Vereinigung von handwerklichem Können, künstlerischer Phanta- sie und fraulichem Verständnis für die Bedürfnisse der Verbraucherschaft.“ 107 Die meisten Architektinnen begegnen dem Interesse der Frauenpresse im Laufe der zwanziger Jahre mit zunehmender Skepsis, wollen ihre Leistungen als fachliche gewürdigt, ihre Präsenz im Berufsfeld nicht auf ihre Erscheinung als Frauen reduziert sehen. So äußert Ella Briggs 1927: „Ich bin dagegen, daß eine Arbeit nur deshalb gewertet wird, weil sie von einer Frau herrührt. Wahrscheinlich wird sich die Frau selbst in Einzelheiten anders einstellen als der Mann, im allgemeinen aber kann sie nur wie dieser anstän- dige Arbeit anstreben. Aus der Tatsache, daß eine 98 Heuss-Knapp, Elly: Die Reform der Hauswirtschaft, in: Bund deutscher Hausfrauenvereine (Hg.): Deutscher Frauenkongreß. Sämtliche Vorträge, Leipzig und Berlin, 1912, S.11 zit. nach Beer, Ingeborg: Architektur für den Alltag. Vom sozialen und frauenorientierten Anspruch der Siedlungsarchitektur der zwan- ziger Jahre, Berlin, 1994, S.182 99 Pochhammer, Margarete: Berliner Wohnverhältnisse, in: Ichen- haeuser, 1913, S.233 100 Krebs, 1928, S.72 - Hilda Krebs stellte 1927 bei der Ausstellung „Frauenschaffen des XX. Jahrhunderts“ in Hamburg Möbel aus – vgl. Katalog Frauenschaffen des XX. Jahrhunderts, Hamburg 1927 101 Ob dies, wie Schwartz Cowan für heute konstatiert, primär der Skepsis gegenüber Frauen in einem vermeintlichen ‘Männerbe- ruf’ oder einer Konkurrenz bzgl. der Zuständigkeit und Defini- tionsmacht ‘rund ums Haus’ geschuldet ist, bleibt unklar. Quel- len, in denen das Verhältnis von Frauenbewegung und Architek- tinnen explizit thematisiert worden wäre, lassen sich für die zeh- ner Jahre bisher nicht nachweisen. 102 Auch wenn angesichts knapper Budgets in den zwanziger Jah- ren überwiegend Wohnungsadaptionen entstanden, konnte bspw. in Berlin Winkelmann das Haus Bennaton (1926), From- mer das Haus Frankl (1926) realisieren. Briggs entwarf ein Haus für Milli Knopf. 103 Vgl. Lincke, Gertrud: Frauenwohnungshilfe, in Die Frau, 34.Jg., 1926/27, S.538 104 Vgl. diess. in: Die Frau , 33.Jg., H.10, Juli 1926, S.607-611 und 33.Jg., H.11, August 1926, S.673-679 105 Vgl. Eintrag Mogger in Dressler, 1930 106 So bspw. Marie Frommer auf Einladung des Studentinnenver- bandes 1930, Ella Briggs bspw. auf der Sondertagung der Ber- liner Frauenkonferenz „So baut man, so wohnt man“ 107 Weinberg, Margarete: Tüchtige Leistung eines weiblichen Bau- meisters, in: Frau und Gegenwart, 29.6.1926 (BArch/NS5/VI 7102, Bl. 93). Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 47 Frau eine bestimmte Arbeit geleistet hat, einen Mehr- anspruch an Anerkennung ableiten zu wollen (..) scheint mir unberechtigt zu sein.“ 108 Die in den zehner Jahren geführte Debatte um „We- sensunterschiede der Geschlechter“, bleibt nicht nur virulent, sie flammt in den zwanziger Jahren erneut auf und erreicht zum Ende der Weimarer Republik ihren Höhepunkt. „Nur aus den höheren Berufen wirft man die Frauen hinaus (..) Teils aus Konkurrenz und teils aus politischen Gründen (..) Überall der Kampf der Philister gegen die Frau“, wettert Gabriele Tergit im Januar 1933.109 Und Elisabeth Gotthard schreibt 1933 im Hinblick auf die augenfällige Diskrepanz zwi- schen Diskurs und Realität: „Der Vorstellung, daß ei- ne schaffende Frau anders wohne, anders lebe, an- ders geformte Möbel benütze, die normale Tagesein- teilung auf den Kopf stelle, sich anders nähre wie irgendein anderer, zu Leistung und Arbeit verpflichte- ter Mensch, muß nun wirklich einmal entgegengetre- ten werden.“ 110 Auffällig viele der Kunstgewerblerinnen, die bis in die zehner Jahre regelmäßig auch mit Inneneinrichtungen und Möbeln öffentlich in Erscheinung getreten waren und sich als Architektinnen etabliert zu haben schie- nen, sind im Laufe der zwanziger Jahre verstärkt im Bereich Weberei, Wandmalerei und Malerei zu finden. Es gibt keine numerischen Parameter, anhand derer die Verdrängung der Gestalterinnen bei der Neuord- nung des Berufsfeldes ausgezählt werden könnte. Anhand zahlreicher Hinweise wird die sukzessive Verschiebung der Geschlechtergrenze im Berufsfeld jedoch erahnbar. Anhaltspunkte hierfür lassen sich in verschiedenen Periodika finden, bspw. in Dresslers Kunsthandbuch. Dessen zweiter Band, das „Lexikon der lebenden deutschen Künstler, Altertumsforscher, Kunstgelehrten und Kunstschriftsteller” führt auch Architektinnen auf.111 Auch wenn das Puzzle an Informationen noch lange kein fertiges Bild ergibt: Manche Kunstgewerblerin- nen, darunter Else Wenz-Vietor, Gertrud Claire Hol- stein, Lotte Schmidt-Klopsch, Leni Klose-Sellschopp wenden sich Ende der zwanziger Jahre ausschließ- lich der Illustration resp. Malerei zu. Auch Architektur- studentinnen der Kaiserzeit - wie Julia Ponten von Broich und Eva Müller-Maren - finden in der freien Malerei eine Möglichkeit, selbstbestimmt schöpfe- risch tätig zu bleiben.112 Elisabeth von Baczko, seit der Jahrhundertwende als Malerin und Innenarchitek- tin tätig, stellt 1927 bspw. noch Lampenentwürfe vor, danach entwirft sie überwiegend Schmuck. Architek- turinteressierte Absolventinnen von Kunstgewerbe- schulen wie Elisabeth Nießen, Anna Schröder-Ehren- fest oder Margarete Knüppelholz-Roeser finden in- nerhalb des Berufsfeldes offenbar nur selten tragfähi- ge Berufsperspektiven.113 Nur Wenigen - darunter Ilse Dernburg, Else Oppler-Legband und Hertha Jeß - gelingt es, weiterhin im Bereich des Innenausbaus tä- tig zu bleiben.114 Auch auf benachbarten Aufgabengebieten streben Gestalterinnen und Künstlerinnen in den zwanziger Jahren eine Professionalisierung an. Elisabeth von Stephani-Hahn - seit 1904 Beraterin des Berliner Kaufhauses Wertheim - hatte 1912 Interieurs gezeigt und über Frauen im Kunsthandwerk geschrieben. Sie publiziert in den zwanziger Jahren die „Schaufenster- Kunst“.115 Eine berufliche Chance sieht sie hier jedoch nur für „besonders starke Frauennaturen“, da auch die Dekoration zu den umkämpften Bereichen des Berufsfeldes zu zählen sei.116 Auch Else Oppler-Leg- band und Lilly Reich widmen sich bereits in den zeh- ner Jahren der Schaufensterdekoration, werden dort aber nur kurzzeitig tätig.117 Anhand der Breite der hier nur angerissenen Aufga- benfelder wird deutlich, dass Architektinnen, die zum Ende des Kaiserreiches bereits im Berufsfeld tätig waren, im Verlauf der Weimarer Republik höchst fle- xibel diverse Aufgabenfelder für verschiedene Auf- traggeberInnen bearbeiten, sich für unterschiedlich- ste Entwurfsaufgaben engagieren und dennoch kaum Raum für berufliche Etablierungen innerhalb der Ar- chitektur finden.118 Wie anhand der skizzierten Wett- bewerbsteilnahmen deutlich wurde, suchen Ende der zwanziger Jahre bereits architekturinteressierte Frau- en Zugang zum Berufsfeld, die einer jüngeren, der um und nach 1900 geborenen Generation angehören. 108 O.A.: Ella Briggs - Eine Wiener Architektin, in: Frau und Gegen- wart, 4.Jg., 4.10.1927, S.12-13. Die sehr deutliche Abgrenzung gegen einen „Mehranspruch” an Anerkennung als Frau könnte auch eine Reaktion auf die zunehmenden Zuschreibungen sein 109 In: Die Frauen Tribüne, Januar 1933, H.1/2, S.3, zitiert nach: Bock, 1995, S.29 110 Gotthard, Elisabeth: Die schaffende Frau, in: Profil, 1933, H.4, S.109-110 111 Verdrängungen ließen sich erst anhand zahlreicher Werkbiogra- fien nachzeichnen. Das Kunsthandbuch des ‘Maler-Architekten’ Willy Oskar Dressler erschien ab 1898 bis 1934 in Berlin. Dress- ler bemühte sich um regelmäßige Aktualisierungen, nahm neben biografischen Daten auch Lehrtätigkeiten, Werke und Publikatio- nen auf. Bei der Eingruppierung der „lebenden Künstler“ in M(a- ler), G(riffelkünstler), B(ildhauer), A(rchitekten), Ge(brauchsgrafi- ker) und We(ber) verwendet er Zusätze in Klammern - wie (In- nenbau) - zur weiteren Diversifizierung. Etliche Architektinnen werden hier als M(alerinnen) geführt, während vielseitige Künst- ler oft ein zusätzliches „A“ führen. Dabei entsteht der Eindruck, dass Architektinnen nur dann als solche eingruppiert wurden, wenn keine alternative Eingruppierung möglich war. Vgl. bspw. die Einträge Hans Arp und Sophie Täubner-Arp 112 Vgl. hierzu Stratigakos, 1999 113 Frieda Lagus tritt nach ihrer Übersiedelung nach Berlin 1914 nicht mehr öffentlich in Erscheinung. Zu Elisabeth Nießen und Margarete Knüppelholz siehe Biografien im Anhang 114 Oppler-Legband und Jeß sind - ebenso wie Grete Gehebe (Kas- sel) und Lucy Hillebrand (Mainz) - im Mitgliederverzeichnis des Deutschen Werkbundes 1928 als Architektin resp. Architektin (Innenausbau) verzeichnet. Auch in Branchenbüchern der zwan- ziger Jahre sind vereinzelt Innenarchitektinnen namentlich geli- stet wie z.B. in Berlin Elisabeth Gerstenhauer, Elsa Gidoni, Fia von der Heyde, Lene Michels-Fougner, Elisabeth Hahn, aber auch Annemarie Funk (Frankfurt/M.) und Alice Freifrau von Pechstein (München) 115 Stephani-Hahn, Elisabeth von: Schaufensterkunst, Berlin, 1919, 2.verb. Auflage, 1923, 4.Auflage 1929 - Elisabeth von Hahn: Frauen im Kunsthandwerk, in: Eugenie von Soden, 1912. Sie wird bei Dressler als Berliner Malerin mit Kunststudium in Paris und London geführt. (Dressler 1930: Malerin, Berlin W 8, Pariser Platz 3, studierte bei Courtois, Paris, Whistler, London, publ., RvbK, VdK, DWB.) Sie selbst firmiert in Berliner Branchenbü- chern als Innenarchitektin. 116 Stephani-Hahn, Elisabeth von: Schaufenster-Kunst ein neuer Künstlerberuf, in: Neue Frauenkleidung und Frauenkultur, 13.Jg. 1927, H.4, S.104-106 117 Lilly Reich gestaltete 1911 Schaufenster für Wertheim, 1913 für die Elephantenapotheke in Berlin. 1914 war sie für den ‘Schau- fenstergang’ im ‘Haus der Frau’ auf der Werkbundausstellung Köln verantwortlich. 118 Zu den Berufsfeldern und Entwürfen vgl. auch Stratigakos, 1999 48 Bilder und Images 119 Ab 1930 gibt Margarethe Kaiser in Berlin Die schaffende Frau als Zeitschrift heraus. Wann der in den zwanziger Jahren häufig verwendete Begriff erstmals verwendet wurde, konnte nicht re- cherchiert werden. Aber bereits in Margarete Bruchs Libretto für die Festkantate zur Eröffnung von „Die Frau in Haus und Beruf“ 1912 wird exemplarisch deutlich, dass „die Schaffende“ weniger auf Reproduktionsarbeit denn auf Selbstbestimmung zielt: „Aus tiefer Nächte Dämmerschoß ringt sich´s empor und will zur Son- ne, Du Schaffende in Arbeitswonne wird Deine Seele frei und groß. Dein ist der herrlichste Gewinn, Dir blüht die Welt in Licht und Farben, Du erntest Deiner Mühe Garben und bist Dir selbst Erlöserin.“ 120 Taut, Bruno: Die neue Wohnung - die Frau als Schöpferin, Leip- zig, 1924, S.55,57 121 Innerhalb von vier Jahren erscheinen fünf Auflagen. 122 Nicht nur Verklausulierungen wie die der Erwerbsarbeit als „blo- ße Männerarbeit“ fallen auf. Allzu plakativ werden bspw. auch Fragen der Kosten-Nutzen-Relation abgehandelt. ‘Schaffende’ oder ‘schöpfende’ Frauen? - ‘Neues Bauen’, ‘neue Frauen’ und die ‘neue Wohnung’ Bruno Taut publiziert 1924 „Die neue Wohnung - Die Frau als Schöpferin“, wobei der Untertitel auf dem Cover gleich in sechsfacher Wiederholung, und damit wie ein endloses Echo erscheint. Im Unterschied zur ‘schaffenden Frau’ - einer Formulierung der Frauen- bewegung119 - ist Tauts ‘Schöpferin’ nicht unbedingt erwerbstätig. „Welchen eminenten Einfluß die Sinnesänderung der Frau (..) auf das gesamte Ergehen des Volkes ausübt, kann garnicht hoch genug eingeschätzt werden; denn um überhaupt erst bessere Wohnungen bauen zu können, muß die Frau sie mit allem Nachdruck ver- langen. Sonst bleiben (..) alle Bemühungen vergeblich und nichts weiter als bloße Männerarbeit.“ 120 Fünf Jahre nach dem Ende des ersten Weltkrieges wie der anschließenden Demobilmachung ist der Bezug auf das nationale Gewissen nicht unklug gewählt. Ausge- rechnet „die Sinnesänderung der Frau“ wird nun zum entscheidenden Faktor des Aufbruchs erklärt, die kul- turtragende Vermittlerrolle der (Haus-) Frau verklärt und in wirtschaftlichen Krisenzeiten zur Ankurbelung des Wohnungsbaus mobilisiert.121 Mit geschickt ge- wählten Metaphern ist Taut´s Publikation ein Meister- werk der Rekonstruktion von Geschlechterdifferen- zen. Retrospektiv fällt der instrumentelle Charakter seiner Argumentation ins Auge.122 Mitte der zwanziger Jahre fühlen sich jedoch viele Leserinnen unmittelbar angesprochen: „Die neue Wohnung“ findet zahllose Propagandistinnen. Die Attraktivität des - bezüglich realer Emanzipationsfortschritte höchst zweifelhaften - Bildes der ‘Schöpferin’ zeigt sich an der großen Zahl von Reaktionen und Neuauflagen.123 Zwei Jahre später erscheint mit Erna Meyers „Der neue Haus- halt“ eine Art Haushaltsbibel für die neue (Berufs-) Hausfrau.124 Der Architekt Bruno Taut sucht Unterstützung für das „befreite Wohnen“. Er sucht diese Unterstützung ge- zielt bei Frauen125 und schafft mit dem Identifikations- angebot „Berufshausfrau“ 126 eine ebenso suggestive wie preiswerte Neudefiniton der Hausfrauenrolle. Der bürgerlichen Hausfrau wird mehr Freizeit und eine Aufwertung ihrer Person durch mehr Aufmerksamkeit und wissenschaftliche Betrachtung, keine Bezahlung in Aussicht gestellt. Taut´s Frauenbild mutet nicht nur traditionell oder restriktiv an.127 Sein Verständnis von der ‘alten’ wie der - propagierten - ‘neuen’ Frau ist zynisch: Sie, die bisher durch „unnötigen Respekt vor der Männerarbeit“ innerhalb des Hauses oder der Wohnung durch Staubwischen „versklavt“ wurde, die - „wie mit Alkohol betäubt“ - offenbar nicht bemerk- te, dass man „ihr einen kleinen Affen an die Brust“ gelegt hatte, wird nun die Selbstverwirklichung durch „tauten“ gepredigt.128 Die ‘neue Frau’ der zwanziger Jahre wird häufig mit modischen Attribuierungen, einem Lebensgefühl oder Lebensstil assoziiert. Neu an der Lebensrealität vieler Frauen während der Weimarer Republik ist jedoch weniger die durch das gesetzlich verankerte Gleich- heitspostulat mögliche politische Partizipation als die Erfahrung außerhäusiger Erwerbstätigkeit. Im Unterschied zu Margarethe Lihotzky, die mit ihren Rationalisierungsvorschlägen im Wohnungsbereich die Reduktion der doppelten Arbeitsbelastung er- werbstätiger Frauen fest im Blick hat, möchte Taut vermeiden, dass die ‘neue Frau’ dieses ‘Heim’ für ei- ne außerhäusige Arbeit - „bloße Männerarbeit“ - ver- läßt.129 Der ‘neue Architekt’ sorgt dafür, dass Licht, Luft und Sonne in neuen Wohnungsbauten zu ihr in die Wohnung kommen. Die ‘neue Frau’ räumt den „Firlefanz“, die von der ‘alten’ Frau in den Privaträu- men präsentierten kunstgewerblichen Gegenstände, beiseite. Moderner noch, sie bestellt die neuen, platz- sparenden Möbel zur Arbeitserleichterung. Von po- tenten Konsumentinnen lässt sich dieses Reformpro- gramm am schnellsten umsetzen. Taut weiß um ma- terielle Hürden und Mentalitätsresistenzen, er räumt dem ‘Übergang’ ein ganzes Kapitel ein. Die eigentli- che Botschaft geht jedoch tiefer und sie ist keines- falls modern: Gebraucht wird die Frau im Haus, als Kulturträgerin im gesellschaftlichen Leben, nicht so sehr im politischen Leben, nicht als berufstätige Frau, und sicher nicht als Erbauerin von Häusern.130 Denn aus der Sicht ‘alter’ wie ‘neuer’ Männer verkörpert ‘die Frau’ - egal ob neu oder alt - in Einheit mit Haus oder Wohnung den „Mittelpunkt des Heimes“ resp. als „ruhender Pol im Haus“ den Gegenpol zu einem sich „brausend“, „hektisch“ oder „rasant“ entwickeln- den Leben der Großstadt.131 Der Architekt Taut beschwört nicht die Zusammenar- beit mit Architektinnen sondern mit den Vertreterin- nen der Hausfrauenverbände, „wenngleich man(n) hier und da auch ein mitleidiges Lächeln der erfahre- nen Hausfrau mit in Kauf nehmen muß, die hinter den Worten nur den zusehenden, aber nicht im Haushalt arbeitenden Mann leicht herausspürt.“ 132 Mit diesem verlockenden Partizipationsangebot - der Beteiligung von Frauenvertreterinnen bei Küchenplanung, Woh- nungsgestaltung und Bauausstellungen - sah die „Hausfrauenbewegung“ (Alice Simmel) ein neues Be- tätigungsfeld vermeintlicher Professionalisierung er- öffnet. Die AutorInnen der Konstrukte „Berufshaus- frau“ und „neue Frau“ stehen dem „Neuen Bauen” nahe. Bezeichnenderweise nimmt der ‘Reichsverband Deutscher Hausfrauenvereine’ noch 1924 die Frage des Wohnungsbaus auf, wird in Kooperation mit der ‘Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen’ zum Zentrum der Be- wegung zur „Redomestizierung der Frau“.133 123 Zu den Rezensionen der „Schöpferin“ vgl. Zöller-Stock, Bettina: Bruno Taut, Stuttgart, 1993, S.167f. Zöller-Stock sieht zwischen der Fertigstellung Taut´scher Siedlungen und den Neuauflagen der „Schöpferin” einen kausalen Zusammenhang. ibid. S.81 - Zur Frage Haus oder Heim vgl. Beer, Ingeborg: Architektur für den Alltag. Vom sozialen und frauenorientierten Anspruch der Siedlungsarchitektur der zwanziger Jahre, Berlin, 1994, S.182ff. 124 Meyer, Erna: Der neue Haushalt, Stuttgart, 1926 125 Ob Bruno Taut sich „damit explizit an das Kleinbürgertum und die Arbeiterschaft wandte“ - wie Bettina Zöller-Stock behauptet (Zöller-Stock, 1993, S.78) - scheint mir sehr fraglich. 126 Dieser verbrämte Begriff wird insbesondere von Erna Meyer in ihren Aufsätzen zur Rationalisierung der Hauswirtschaft gerne verwendet und lässt sich noch jahrelang durch die Debatten verfolgen s.a. Arndt, Konstanze: Weiß, Rein, Klar, Kassel, 1994. Beruf der Hausfrau versus Berufung zur Hausfrau, S.82-87 - Arndt sieht in den Diskursen um die Ästhetisierung und die Hyg- ienisierung die zentralen Steuerungsinstrumente dieses Prozes- ses, den Henderson als ‘Redomestizierung’ bezeichnet. 127 Dies merken sowohl Zöller-Stock als auch Beer kritisch an. Dass die Wertschätzung von Frauen bei Taut höchst strategisch motiviert ist zeigt sich bspw. im Vergleich zu dem 1926 erschie- nenen Artikel „Der neue Bauherr“: Dieser ist für ihn „der indivi- duelle Teil der Gesamtheit, der zu um so größerem Recht kom- men soll, je stärker, positiver und bewußter er sein eigenes Le- ben in seinem Gehäuse führen kann.“ Taut, Bruno: Der neue Bauherr, in: Die Weltbühne, 1926, H.26, S.500-502 128 Zöller-Stock wertet das „tauten“ als eine Verflachung der heh- ren Intentionen Tauts zu einem „äußerlichen Sport“. Der Begriff „tauten“ ironisiert jedoch auch, dass es sich bei dieser verord- neten Selbstverwirklichung eben nicht um selbstbestimmtes Handeln geht. Vgl. dazu Zöller-Stock, 1993, S.85 129 „Die Frau mußte bisher dem Hause den Rücken kehren und wendet sich ihm jetzt wieder zu“, so Bruno Taut in seinem „den Frauen gewidmet!“ en Vorwort. 130 Tauts ‘neue’ Frau unterscheidet sich von der ‘alten’ weder im familiären, ökonomischen noch gesellschaftlichen Status: Un- ausgesprochene Prämisse der konsumptiven Wünsche bleibt die materielle Abhängigkeit auf privater Ebene. 131 Simmel, Georg: Weibliche Kultur, Berlin, 1923 - siehe auch: Das Frauenbild in der Architekturdiskussion, in: Beer, 1994, S.96ff. 132 Taut, 1924, S.59: „Es entscheidet immer die Tat; die mutige Tat wird Vorbild, bekommt damit Macht und zugleich Recht.“ 133 Henderson, Susan R.: The Revolution in the Woman´s Sphere: Grete Lihotzky and the Frankfurt Kitchen, in: Coleman / Danze / Henderson (Hg.): Architecture and Feminism, New York, 1996, S. 221-247. Henderson sieht im Generationenwechsel zu Beginn der Weimarer Republik den Übergang zu einer Dominanz gemä- ßigter, dann konservativer Strömungen innerhalb der Frauenbe- wegung, in Marie-Elisabeth Lüders (RFG) und Erna Meyer (RDH) die entscheidenden Protagonistinnen dieser Hausfrauisierungs- kampagne. Ibid. S.221-222, zum Zusammenschluss von BDF und RDH siehe S.226ff. Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 49 Die Rationalisierung der Haushaltsführung definiert nicht nur neue Normen der Ästhetisierung und Hygie- nisierung des Haushalts, sie verspricht auch die Per- sonalkosten der im Haushalt beschäftigten Angestell- ten (Frauen) zu senken. Die Identifikationsangebote sprechen Arbeiterfrauen weniger an. Sie stehen der Ökonomisierung der Reproduktionsarbeit weit skepti- scher gegenüber als bürgerliche Hausfrauen. Im Rah- men ihrer Erwerbsarbeit haben sie in mechanisierten und normierten Produktionsprozessen bereits die Licht- und Schattenseiten der Rationalisierung ken- nengelernt. Ihre Skepsis richtet sich dabei weniger gegen arbeitsreduzierende Abläufe als gegen arbeits- ’schöpfende’ ästhetische Standards, zumal die mei- sten Haushaltsgeräte für ArbeiterInnenhaushalte öko- nomisch unerreichbar bleiben.134 Aber auch bürgerli- che Hausfrauen machen die Erfahrung, dass „die vie- len technischen Apparate, die der Hausfrau angebo- ten werden (..) durchaus nicht alle Zeit- und Raumer- sparnisse bringen.“ 135 Taut plädiert für eine Rationalisierung der Küchenar- beit, nicht jedoch für eine räumliche Minimierung der Küchen. Er unterscheidet seine Frauen nach Käufe- rinnenschichten, bietet Beispiele für bürgerliches und proletarisches Wohnen. Er verspricht keine Gleich- heit, lässt soziale Unterschiede jedoch hinter dem Begriff ‘Frau’ zurücktreten.136 Sein Buch suggeriert eine Art Jungbrunnen für alle ‘Schöpferinnen’: Durch ein face-lifting der Wohnung eröffnet es jeder Konsu- mentin die Chance, zur ‘neuen Frau’ zu werden. Die bebilderten Vorschläge hierzu kommen - wie in einem Rezeptbuch - aus der „Schöpferin“. Während der Au- tor Taut - durch seine Gehirnhygienebestrebungen - gezielt Einfluss auf das häusliche Handeln der poten- tiellen Bewohnerinnen von Siedlungswohnungen neh- men möchte - „Zu der Körperhygiene muß die Ge- hirnhygiene hinzukommen“ 137 -, bleibt es das primäre Ziel des Architekten Taut Siedlungen zu bauen. Ingeborg Beer kommt nach eingehender Analyse der realen Auswirkungen des „sozialen Versprechens des neuen Bauens“ auf die „Neue Frau“ zu dem Schluss: „Obgleich die Avantgarde mit ihrem Programm an der gesellschaftlichen Realität scheiterte, hat sie - gerade durch ihre sozialen Intentionen - für den ver- änderten Alltag des städtischen Lebens und des pri- vaten Wohnens in den zwanziger Jahren den Fortschritt gesetzt. Sie erzielte gewaltige Verbesse- rungen in der Wohnqualität. (..) Wenngleich es nicht gelang, mit dieser Entwicklung auch die Antizipation von gesellschaftlichen Freiräumen von Frauen zu ver- knüpfen (..) Man legte weitgehend Wert auf die haus- frauliche Mitbestimmung (..) und suchte jenseits der Arbeitssphäre die Erfüllung ihrer Wünsche.“ 138 Auch Beer erliegt dem Programmtext, wenn sie zu dem Erklärungsmuster greift, dass der die Frauen betreffende Teil des Programms des ‘Neuen Bauens‘ an „gesellschaftlichen Realitäten“ und insbesondere an den (Haus-)Frauen gescheitert sei.139 Die Gleich- setzung programmatischer Parteilichkeit mit Partei- nahme amalgamiert konsumptive, psychologische und politische Wünsche. Aus dem Blick geraten die strategischen Gesichtspunkte des Geschlechterdis- kurses. 134 Vgl. Hagemann, Karen: Of „Old“ and „New“ Housewives: Everyday Housework and the Limits of Household Rationalizati- on in the Urban Working-Class Milieu of the Weimar Republik, in: International Review of Social History, 41, 1996, S.305-330 135 So Elisabeth Stephani-Hahn in: Neue Frauenkleidung und Frau- enkultur, 15.Jg. 1928/29, H.4, S.100 136 In dem Buch spricht Taut bspw. von Frauen in Arbeiter- oder bürgerlichen Haushalten, nie von neuen oder alten Arbeiterin- nen, neuen oder alten Damen, etc. 137 Taut, 1924, S.60 138 Beer, 1994, S.203 139 Ibid., S.203 - „Und so relativierten sie die Ansprüche der Avant- garde“, Ibid., S.181. S.188 behauptet Beer, dass sich manche der professionellen Hausfrauen „um dieser Relativierung willen“ - der Abmilderung der Sachlichkeit in den Wohnräumen - im Wohnungsbau eingemischt hätten. Auch Zöller-Stock macht An- fang der dreißiger Jahre eine Gegenbewegung und Frauen aus, „die sich nun in ihrer alten Rolle um so hingebungsvoller aller Verantwortung zur Selbstfindung zu entziehen gedachten.“ Zöller-Stock, 1993, S.85 - Die anhand der Wohnungsgestaltung, hier insbesondere der „Schöpferin“, ausgetragene Debatte um Selbst- und Fremdbestimmung von Frauen während der Wei- marer Republik bedarf offenbar noch weiterer, genauerer Analy- sen unter Einbeziehung der jeweiligen Interessenlagen. 140 Wie bspw. Konkurrenzreduktion auf dem Arbeitsmarkt und un- bezahlte Reproduktionsleistungen 141 Volland, Gerlinde: Avantgarde ohne Frauen. Die weitgehende Abwesenheit von Frauen in den Organisationen des Neuen Bauens. in: Lichtblick, Hamburg, 1989, S.14-18, hier S.151 142 Arndt, 1994, S.69 143 Ibid., S.86 50 Bilder und Images Umgestaltungsvorschlag für ein ‘bürgerliches Wohnzimmer’, Bruno Taut, 1923 nachhervorher Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Durch die Aussicht auf die Reduktion der Reproduk- tionsarbeit birgt die Rationalisierung des Haushaltes zwar auch das Versprechen, Selbstbestimmungspo- tentiale von Hausfrauen zugunsten einer Partizipation am politischen, gesellschaftlichen und Erwerbsleben freizusetzen. Gerade diesen Effekt der Modernisie- rung gilt es jedoch offensichtlich zu vermeiden, wenn die nun denkbaren außerhäusigen Aktivitäten freige- setzter Hausfrauen über verlockende Angebote irra- tionaler „Selbsterfüllung“ diskursiv kanalisiert, in ge- ordnete, konsumptive Bahnen und zurück zu Familie und Wohnung gelenkt werden. Solange Reprodukti- onsarbeit - kulturschaffende Frauenarbeit - von be- zahlter Berufsarbeit getrennt gedacht wird, bleiben männliche Interessen gewahrt, Privilegien gesichert.140 Dass ein aus patriarchaler Perspektive konsequent durchdachter Modernisierungsschub des Wohnungs- baus ausgerechnet bei der Aufwertung der dezentra- len „Wohnung als Arbeitsstätte der Hausfrau“ an- setzt, ist demnach kein Zufall. Die ideologische Neu- definition der Berufshausfrau zielt weit weniger auf die proklamierte Aufwertung der ‘Hausfrau’ als auf die Absicherung ihres Gegenstücks: den ‘Berufs- mann’. Zu einem Zeitpunkt, wo politische Partizipation von Frauen nicht mehr gesetzlich ausgeschlossen ist, de- ren materielle Abhängigkeit von Männern schwindet, kurzum: die Geschlechterhierarchie ins Wanken zu geraten droht, wird die Programmatik einer [hier von Herren] reklamierten Teilhabe [hier von Frauen] als Konstruktionsfehler des Programms sichtbar. Die ver- meintlichen ProfiteurInnen des Programms sind nicht bei den InitiatorInnen zu finden. Und jenseits des re- klamierten Fortschritts bleiben die Eigeninteressen der InitiatorInnen ungenannt. Dies lässt den instru- mentellen Charakter des Unterfangens erahnen. Dass die Antizipation von Frauen im Berufsfeld nicht im Interesse der Avantgarde lag, stellte Gerlinde Vol- land bereits 1989 fest.141 Konstanze Arndt stellte 1994 die These auf, dass das emanzipative Frauenleitbild für die Zwecke des Neuen Bauens instrumentalisiert worden sei.142 Sie bewertete das Konzept der Ratio- nalisierung privater Haushalte als „doppeltes Diszipli- nierungsinstrumentarium“ zur Nivellierung aller Frau- en zu Hausfrauen, dessen besonderes Vermögen es sei, „diese Degradierung als Befreiung und die ge- schlechtliche Ungleichheit als Gleichberechtigung erscheinen zu lassen.“ 143 „In keinem Raum der Wohnung zeigt sich so stark die geänderte Baugesinnung, die an Stelle schlecht entworfener Großräumigkeit gut geplante Kleinheit setzt, wie in der Küche. Der neuzeitliche Architekt entwirft die Küche ebenso wie er einen Fabrikarbeits- raum entwerfen würde“, beschreibt Ella Briggs 1930 die Planungsaufgabe sachlich und sie unterscheidet nach Erfordernissen, Wünschen und Bedürfnissen bei der Küchenplanung.144 Die öffentliche Debatte um die Küche war zwischenzeitlich solch sachlichen Argu- menten jedoch kaum mehr zugänglich. In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre äußern nun auch liberale Herren Bedenken gegen die ideologische Stilisierung der Küche zum „Heiligtum der Frau“. „Ich glaube, das, was die Frau und Mutter dem überarbeiteten Manne und den Kindern geben soll, liegt doch zum großen Teile außerhalb der Küche“, schreibt Alfred Fischer 1927 in Stein Holz Eisen.145 Die ‘Frankfurter Küche’ war auf knappstem Raum als Arbeitsküche erwerbstätiger Frauen konzipiert. Bür- gerliche Hausfrauenvertreterinnen lehnten raumspa- rende Lösungen u.a. deshalb ab, da sie in der Größe der Küche auch den Stellenwert der Reproduktions- arbeit repräsentiert sehen wollten: „Vergleiche mit den Mitropa-Küchen haben für Haushaltungen keine Geltung“.146 Auch Architektinnen planten Küchen und ergriffen für die eine oder andere Küchenform Partei. So favorisierten bspw. Liane Zimbler (geb. 1892) und Ada Gomperz (geb. 1884) die ‘Wohnküche’, Margare- te Lihotzky die abgeschlossene, Lilly Reich die offene ‘Einbauküche’. Norkauer, Böhm und Wendelmuth setzten auf Rationalisierung durch Elektrifizierung. Die öffentliche Debatte über die Küche als solche spiegelt unterschiedliche, konkurrierende Lebensmo- delle wider: für die einen schlicht notwendiger Pro- duktionsraum, für die anderen Zentrum der Hausar- beit oder gar symbolischer Lebensmittelpunkt.147 Als 1928 auf der Münchner Ausstellung „Wohnung und Hausrat“ die Küche ins Zentrum der Ausstellung rückt, werden 14 Küchen in Musterwohnungen und 20 in Zusammenarbeit mit Frauenverbänden ent- wickelte Küchen vorgestellt. 1929 präsentiert die Ar- chitektengruppe „Der Ring“ die Wanderausstellung „Die neue Küche“.148 Damit wird die Planungsaufgabe Küche zwischen abgesteckten, hochemotionalen Lagern für Architektinnen zum ‘heißen Eisen’.149 Nur zu Beginn dieser Debatte war es Grete Lihotzky 1925 in Frankfurt gelungen, in Zusammenarbeit mit Haus- frauenverbänden die ‘Frankfurter Küche’ zu entwik- keln. Sobald Vertreter von Berufsverbänden wie auch die Protagonisten des ‘Neuen Bauens’ in Zusammen- arbeit mit Hausfrauenverbänden diese Planungsauf- gabe für sich reklamieren, bleiben Architektinnen außen vor. Taut hatte sein Buch mit der eingängigen Formel „Der Architekt denkt - die Hausfrau lenkt!“ beschlos- sen.150 Was aber macht diesen Legitimationsdiskurs so glaubhaft, so ‘vermögend’, dass Frauen während der Weimarer Republik Architekten so gerne denken und lenken lassen? Dass die Hausfrau macht, was der Architekt sagt?151 Was macht das Versprechen der neuen Wohnung so attraktiv, dass die Mehrheit 144 Briggs, Ella: Küchen, in: Handwörterbuch des Wohnungswe- sens, Leipzig, 1930, S. 451 145 ‘Außerhalb der Küche’ meint nicht unbedingt außerhalb der Wohnung. Auch Fischer geht davon aus, dass die Frau den Ra- tionalisierungsgewinn nicht etwa für sich behält sondern „ge- ben soll“. Fischer, Alfred: Wohnen als Lebensäußerung, in: Stein Holz Eisen, 1927, H.23, S.500, zitiert nach Beer, 1994, S.155 146 Was wir Hausfrauen nicht wollen, in: Frau und Gegenwart, 1928, H.5, S.12 147 So kommt bspw. Henderson zu dem Urteil „Es ist ironisch, daß eine politisch engagierte Lihotzky die Küche eher als Motor ei- ner Veränderung als ein Ausdruck einer großangelegten Redo- mestizierung zu sehen schien.“ Henderson, 1996, S.245 148 Vgl. hierzu auch Beer, 1994, S.133ff. 149 Sabine Plakolm-Forsthuber vermutet, „daß dem Berufszweig der `Küchenarchitektin´ ein gewisser Stellenwert zukam“, da Ada Gomperz als ‘Küchenarchitektin’ bei den Soroptimists aufge- nommen wurde. (Plakolm-Forsthuber, 1994, S.246) Die ‘Erfin- dung’ der ‘Küchenarchitektin’ könnte jedoch den Clubstatuten geschuldet sein, aufgrund derer nur jeweils eine Vertreterin ei- nes Berufes aufgenommen werden konnte. Als Architektin ge- hörte diesem Club bereits Liane Zimbler an. 150 Taut, 1924, S.104 151 Zöller-Stock kommt zu der Bewertung, dass es sich hierbei um „Regieanweisungen“ (S.81) handele, möchte das Buch aber - trotz seiner „despektierlichen Haltung“ im Unterton und „tradi- tionellem Rollenverständnis“ - als persönliche Leistung Taut´s zur Verbesserung der Lebensumstände von Frauen gewertet wissen. (S.80 ff., insb. S.82) Auch Beer erkennt Taut - trotz ebenfalls kritischer Anmerkungen - eine Vorreiterrolle nicht nur beim Siedlungsbau, sondern auch bei der Entlastung der Frau von der Hausarbeit zu. Beer, 1994, S.97 Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 51 Die ‘Frankfurter Küche’, Margarete Schütte-Lihotzky, 1925 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 152 Auch angesichts der prononcierten Ergebnisse ihrer detaillierten Analysen der realen Auswirkungen stellt Beer die Glaubwürdig- keit der emanzipatorischen Programmteile nicht in Frage. Trotz ihrer Kritik, dass Taut in der „Frau als Schöpferin“ die Arbeitstei- lung zwischen den Geschlechtern nicht grundsätzlich in Frage stelle, sondern weibliche Wesenszüge und damit die Frauen selbst verantwortlich mache, weist auch sie den [Haus]-Frauen die Verantwortung für das Scheitern zu. Beer, 1994, S.98 153 Zumal bürgerliche Gatten ihren Status durch eine Berufstätigkeit der Gattin i.d.R. eher gefährdet denn gestützt sahen. 154 Musterbeispiele geschlechtsspezifischer Diffamierung zur Steu- erung des Arbeitsmarktes sind neben ‘Demobilmachungen’ auch Kampagnen gegen vermeintliche ‘Doppelverdiener’, wie sie auch Anfang der zwanziger Jahre geführt wurden. 155 Hierdurch konnte nicht nur das Schreckgespenst außerhäusiger Arbeit, sondern das für bürgerliche Gattinnen ohne Berufsaus- bildung durchaus risikoreiche Infragestellen der eigenen, abhän- gigen Position in einer Versorgerehe vermieden werden. 156 Die Bezeichnung „Schöpferin“ - für den gezielten Erwerb resp. das Arrangieren oder ‘Abmöbeln’ bestimmter Einrichtungsge- genstände - wird zum zentralen Begriff des Suggestivromans. 157 Marcus, Käte: Die Wohnung der alleinstehenden Frau, in: Neue deutsche Frauenzeitschrift, 2.Jg., H.5, 1927 S.2ff. 158 „Die Wohnungsgestaltung ist ein Aufgabengebiet, das fast in jeder Frau Echo weckt. Nicht umsonst haben die Bauausstellun- gen, insbesondere ihre Abteilungen für Innenarchitektur, und die vielen Bücher und Broschüren, die in oft sehr schönen Bildern vom inneren und äußeren Wandel des Hauses im letzten Jahr- zehnt künden, ihren Hauptanklang bei Frauen gefunden.” En- gel, Annemarie: „Die Wohnungsgestaltung als Aufgabe der Frau“ in: Frau und Gegenwart, 29.Jg., 1.Heft, Oktober 1932, S.1-2 - Auch Engel erwähnt Architektinnen oder professionelle Wohnungsgestalterinnen mit keiner Silbe. 159 Einzig Briggs gelingt 1929 die Errichtung eines Beamten-woh- nungsbaus. Ein weiteres Siedlungsprojekt für die Primus AG im Wedding bleibt Papier. Auch Winkelmann, die in Vorbereitung eines Siedlungsbaus Ende der zwanziger Jahre stadtplanerische Vorarbeiten für ein Gebiet in Britz übernommen hatte, kann kei- ne Siedlung errichten. 160 Hildebrandt, Hans: Die Frau als Künstlerin, Berlin, 1928, S.145. Er erachtet nur vier Architektinnen einer Erwähnung wert: Ella Briggs, Lux Guyer, Margarete Knüppelholz-Roeser und Marlen Moeschke-Poelzig. Im Zusammenhang mit Innenarchitektur oder Möbeln erwähnt er Alexe Altenkirch, Sophie Arp-Täuber, Sonia Delaunay-Terk und Lilly Reich. 161 Ibid., S.151 - „Sie wissen als Frauen ja soviel besser Bescheid um die tausenderlei offenen und geheimen Wünsche der mit der Führung des Haushalts betrauten Frau (..) und sie denken mit ihren Geschlechtsgenossinnen an zahllose Kleinigkeiten, an die ein Mann nicht denkt, weil er sie übersieht oder gar nicht ahnt.“ 52 Bilder und Images der Frauen es mit der Teilhabe am gesellschaftlichen Fortschritt verwechselt, auch wenn sich damit keiner- lei konkrete Aussicht auf reale oder politische Teilha- be verbindet? Dass selbst Jahrzehnte später For- scherinnen kaum in Erwägung zu ziehen wagen, dass dies lediglich ein Versprechen, vielleicht sogar die Gegenseite ein und desselben Programms war?152 Außerhäusige Erwerbsarbeit bot verheirateten Frauen - im Unterschied zu verheirateten Männern - keinerlei Aussicht auf Entlastung bei der Reproduktionsarbeit. Sie führte angesichts niedriger ‘Frauenlöhne’ nicht unbedingt in die finanzielle Eigenständigkeit bzw. Un- abhängigkeit von Familie oder Männern. Und im Un- terschied zu Männern versprach die außerhäusige Er- werbstätigkeit für Frauen keineswegs automatisch ei- ne spürbare Anerkennung in Familie oder im Beruf. Weder für verheiratete Frauen, die gesetzlich auf die Zustimmung ihrer Gatten angewiesen waren, noch für ungebundene Berufsfrauen, die in Arbeitsverhältnis- sen die Erfahrung realer Ungleichbehandlung machen konnten, war Erwerbsarbeit uneingeschränkt erstre- benswert.153 Da die Modernisierung des Geschlech- terdiskurses auf die Abwertung beruflicher Leistun- gen wie des Images berufstätiger Frauen zielt - Ver- dienste und Verdienstlichkeiten auf „bloße Männerar- beit“ beschränkt bleiben soll - bleibt der soziale wie gesellschaftliche Status erwerbstätiger Frauen labil.154 Wie verlockend klang da das Angebot, als unbezahlte „Wohnungsgestalterin“ gesellschaftlich wichtig zu sein? Hausfrauen versprach die Aufwertung ihrer häuslichen Tätigkeit die Möglichkeit, ihren eigenen Sozialstatus wie familiäre Konstellationen nicht kon- fliktträchtig in Frage stellen zu müssen.155 Auch ab- hängig beschäftigte Berufsfrauen konnten sich mit der „Schöpferin“ identifizieren. Barg dieses Verspre- chen doch die verlockende Aussicht, die subalterne Berufsarbeit in Form vermeintlich selbstbestimmten Konsums in der eigenen Wohnung zu kompensie- ren.156 Und der Siedlungsbau der zwanziger Jahre bil- det - dank der Faszination des neuen Bauens - den gesellschaftlichen Fortschritt so nachdrücklich ab, dass es wahrlich schwer fällt, bei einer Bilanzierung gleich die Hälfte der BewohnerInnen als potentielle Verliererinnen dieser Modernisierung auszumachen. Auch Käthe Marcus erliegt Ende der zwanziger Jahre in der ‘Neuen Deutschen Frauenzeitschrift’ der Versu- chung, die Mieterin mit der Erfinderin der Wohnung zu verwechseln: „Die Wohnungsfrage ist im wesentli- chen eine Frauenfrage. Das Heim ist nicht nur die Ar- beitsstätte der Hausfrau, nicht nur der ‘ruhende Pol’ für die Berufsfrau, es ist auch im weitesten Sinne das Werk der Frau.“ 157 Was berechtigt aber, in der Woh- nungseinrichtung eine besondere „Aufgabe der Frau” zu sehen? fragt Annemarie Engel 1932. Die Frage ist berechtigt. Frau Engel stellt sie jedoch nur rhetorisch und vollzieht den biologistischen Zirkelschluss: „Zur Lösung solcher Aufgaben gehört unbedingt außer Kenntnis hauswirtschaftlich-praktischer und hygieni- scher Forderungen, die an eine Wohnung zu stellen sind, ein starkes Einfühlungsvermögen und ein ge- fühlsmäßiges Erfassen menschlicher Wesenszüge, Verständnis für Raumschönheit und ihre Eigengeset- ze und ein taktvolles Wissen um den Zusammen- klang von Menscheneigenart und Raumeigenart. Sind das nicht Voraussetzungen, die ganz besonders eine Frau erfüllen kann?“ 158 Auch Architektinnen und Architekten bringen gele- gentlich Menscheneigenart und Raumeigenart in Ein- klang. Sie tun dies in der Regel auf der Basis einer Ausbildung und verdienen damit ihren Lebensunter- halt. Nachdem sich Architekten - angesichts ökono- mischer Krisen - Mitte der zwanziger Jahre verstärkt den bezahlten Aufgaben der Wohnungsgestaltung zuwenden und in öffentlichkeitswirksamen Koalitio- nen mit Vertreterinnen von Hausfrauenverbänden und unbezahlten Wohnungsgestalterinnen den Markt er- obern, finden sich Architektinnen der ersten Genera- tion in einer mehrfach konkurrierenden Position wie- der: Im Bereich der Innenarchitektur konkurrieren sie gegen Kollegen, Möbelzeichnerinnen und unbezahlte ‘Schöpferinnen’. Im Bereich des Wohnungsbaus - als dem ihnen von einer skeptischen Öffentlichkeit am ehesten zugestandenen Tätigkeitsfeld - kommen sie bei Privataufträgen nur vereinzelt zum Zuge.159 Und wie ein Echo auf „Die Frau als Schöpferin“ liest sich das vier Jahre später erschienene „Die Frau als Künstlerin“ (1928). 1908 hatte der Kunstkritiker Karl Scheffler unter dem Titel „Die Frau und die Kunst“ dem weiblichen Geschlecht fast jede schöpferische Fähigkeit abgesprochen und kategorisch jede profes- sionelle künstlerische Tätigkeit von Frauen abgelehnt. Hans Hildebrandt, ebenfalls Kunstkritiker und wie Westheim dem ‘Neuen Bauen’ besonders zugetan, teilt offenbar Schefflers - damals noch offen misogyn formulierte - Argumentationen, wählt jedoch den Sprachduktus Westheims. Demnach sind - laut Hil- debrandt - diese „seltenste[n] Ausnahmen“ an Archi- tektinnen auch nach zwanzig Jahren immer noch neu in diesem Fach, „weil nicht allzu viele Frauen sich das Zeug zur Baukünstlerin zutrauen“.160 Kaum weni- ger zynisch liest sich seine Einschätzung der Rolle der Architektin bei der Küchenplanung: „So vermag auf einem bescheidensten, dennoch unendlich wich- tigen Gebiete die Architektin den männlichen Mitbe- werber aus dem Felde zu schlagen.“ 161 Wir erinnern uns an das Hase-und-Igel-Spiel 1912. Beraten von Walter Gropius erwähnt der mit einer Künstlerin verheiratete Hans Hildebrandt die in den zwanziger Jahre tätigen Architektinnen nur höchst unvollständig und deutet die Kriterien seiner Auswahl an, wenn er schreibt: Diese Frauen „denken (..) an keinen unfruchtbaren Wettstreit mit dem Manne im Großbau (..) dies ist ihr besonderer Vorzug“.162 Den- noch befürchtet er offenbar, dass der „unfruchtbare” Wettstreit nicht mit [s]einem Diktum erledigt sein könnte, und zitiert hier Scheffler nahezu wörtlich: „Gewiß hat keine der heute wirkenden Architektinnen mit kühner Führergebärde der Baukunst unbekannte Ziele gewiesen. Allein dies ist auch nicht ihres Am- tes.“ 163 Hildebrandt verweist Frauen in Gestaltung und Architektur auf subalterne Tätigkeiten im Verbor- genen und „mancherlei Kunstgewerbe“.164 Architekturstudentinnen der Weimarer Republik Als akademisches Fach an Technischen Hochschulen verankert, konnte Architektur ohne Abitur nur an Bau- gewerke- bzw. Kunstgewerbeschulen, vereinzelt an Akademien studiert werden. Auch das 1919 neuge- gründete Bauhaus verlangte kein Abitur als Zugangs- voraussetzung. Wie bereits während der Kaiserzeit finden auch während der Weimarer Republik archi- tekturinteressierte, selbstbewusste junge Frauen in Deutschland manches Mal höchst individuelle Wege ins Berufsfeld. Während die Studentinnen der Kaiser- zeit noch deutlich nach Durchlässigkeiten, ‘Lücken’ in einem ihnen unzugänglichen System suchten, infor- mieren sich die um die Jahrhundertwende geborenen Architekturaspirantinnen über das Spektrum an Stu- dienmöglichkeiten, wählen - soweit möglich -Hoch- schule und -lehrer nach inhaltlichen Kriterien und in- dividuellen Interessen aus. Abiturientinnen haben da- bei die Wahl zwischen acht Architekturfakultäten an Technischen Hochschulen innerhalb des Deutschen Reiches. Ohne Abitur bleiben sie auf Akademien und Fachschulen angewiesen. Wie viele architekturinteressierte Studentinnen wäh- rend der Weimarer Republik außerhalb technischer Hochschulen Ausbildungsmöglichkeiten suchten und nutzten, lässt sich bisher nicht einmal annähernd quantifizieren, womit auch die Zahl aller architekturin- teressierten Studentinnen der Weimarer Republik un- beziffert bleiben muss. Zu diesen außerhalb Techni- scher Hochschulen - wie außerhalb des Bauhauses - ausgebildeten Architekturstudentinnen in den zwanzi- ger Jahren zählen bspw. Carola Hilsdorf ebenso wie die Mitte des ersten Jahrzehnts geborenen Dorothea Lennartz, Käte Mai und Lucy Hillebrand; Asta Strom- berg (geb. 1908) sowie Leonie Behrmann, Paula Ma- rie Canthal, Ilse Hoerda, Sophie Schlichtherle und Hela Jöns, die alle dem Geburtsjahrgang 1909 ange- hören. Überwiegend während der Weimarer Republik absolvierten u.a. auch Hertha Borchmann und Lotte Tiedemann (beide geb. 1910) ihr Architekturstudium außerhalb akademischer Hochschulen erfolgreich.165 Im Verlauf der Recherchen verstärkte sich jedoch der Eindruck, dass die meisten Architekturstudentinnen der Weimarer Republik bereits ein Abitur besaßen, den Weg ins Berufsfeld über ein akademisches Stu- dium suchten. Erst nach dem ersten Weltkrieg ist die gesellschaftliche Liberalisierung so weit fortgeschrit- ten, dass Schikanen und Verhinderungsstrategien ge- genüber Studentinnen an Technischen Hochschulen inakzeptabel werden. Das sog. Professorenprivileg, demzufolge Lehrende über die Zulassung von Teil- nehmerInnen an ihren Veranstaltungen frei entschei- den konnten, fällt dennoch erst 1923.166 Der Zugang zu technischen Studienfächern war somit für Studen- tinnen erst ein Jahrzehnt nach ihrer gesetzlichen Zu- lassung annähernd gesichert. Die Vorbehalte von Sei- ten der Lehrenden gegenüber Studentinnen waren in diesen zehn Jahren jedoch weniger geschrumpft als gewachsen, auch wenn viele Lehrstühle, ja ganze Fa- kultäten noch keine Studentinnen qualifiziert hatten. Die Studentinnenzahlen wachsen zu Beginn der Wei- marer Republik deutlich an, insbesondere die Flug- zeugtechnik verzeichnet bei Studentinnen eine signi- fikante Steigerung der Nachfrage. Bei der Zahl der Neuimmatrikulationen für Architektur steigt der Anteil der Studentinnen jedoch nur sehr langsam. Er beträgt um 1930 reichsweit knapp einhundert ordentlich im- matrikulierte Studentinnen pro Studiensemester und liegt damit noch unter der Anzahl der Jurastudentin- nen.167 Geht mensch - mit Wierling - davon aus, dass sich in den Studentinnenzahlen eines Faches auch die ‘Ab- schreckungsfaktoren’ der Fakultäten spiegeln, so kä- me der Architektur angesichts dieses Zuwachses der höchste Abschreckungsfaktor zu, könnten die Archi- tekturstudentinnen im Vergleich mit der Gesamtheit der Studentinnen dieser Generation als die gänzlich ‘Unerschrockenen’ charakterisiert werden.168 Die Gesamtzahl der in Deutschland ordentlich imma- trikulierten Architekturstudentinnen an Technischen Hochschulen dürfte für den Zeitraum von 1919 bis 1933 nach meiner Schätzung ca. 500 betragen. Ins- gesamt studierten - unter Berücksichtigung ausländi- scher bzw. nicht reichsdeutscher Studentinnen sowie der bisher bekannten Gasthörerinnen - weit mehr, nämlich ca. 900 Studentinnen Architektur. Für Architektur immatrikulierten sich 1920 im Deut- schen Reich insgesamt 43 Studentinnen, 1930 mit 97 bereits mehr als doppelt so viele. In Relation zu der im Verlaufe der zwanziger Jahre deutlich ansteigen- den Gesamtzahl aller Studentinnen an Hochschulen und Universitäten betrug der Anteil der Architektur- studentinnen jedoch nie mehr als 5,6 Prozent. Somit studierte zeitweise jede 20. aller in Deutsch- land immatrikulierten Studentinnen Architektur. Unter 162 Ibid., S.145 163 Ibid., S.155 164 „Alles in allem: ein Sichbehaupten der Frau in sämtlichen Stel- lungen, die sie von früher her inne hat; ein entschlossenes Ein- rücken in jene Stellungen, die der Mann verläßt, weil er, heute der Architektur und der Technik vor allem zugeneigt, sich mit mancherlei Kunstgewerbe nicht mehr zu befassen gewillt ist, das ihn vor kurzem noch höchst wichtig bedünkte.“ Ibid., S.157 165 Carola Hilsdorf, 1920-24 KGS München (vgl. Arnold, 1993, S.418), Dorothea Lennartz, HGS Rheydt, (vgl. ibid., S.423), Käte Mai, ab 1925 VS Berlin, (vgl. HdKA, Bestand 8, Nr.146), Lucy Hillebrand, (vgl. Kap.1, FN 28), Asta Stromberg (vgl. Günther, 1989, S.126), Hela Jöns u.a. HWS Kiel, (vgl. Dolgner, 1993, S.533), Sophie Schlichtherle und Ilse Hoerda VS Berlin, HWS Dortmund, (vgl. Biografie Behrmann), Paula Marie Canthal u.a. KGS Offenbach, (vgl. Biografie Canthal), Hertha Borchmann, u.a. Burg Giebichenstein, (Schreiben Dolgner vom 7.7.1998), Lotte Tiedemann, VS Berlin, (vgl. Kap.7, FN 158) 166 Dass dieses Privileg - durch die Weimarer Verfassung ohnehin obsolet - 1923 noch abgeschafft werden muss, deutet auf den vorherigen Missbrauch als affirmative Nische der erbitter-sten ‘Gegner des Frauenstudiums’. 167 Angesichts dessen, dass Jura aufgrund der offensiv frauenfeind- lichen Haltung des Berufsstandes sowohl bzgl. der Studiensitu- ation als auch der Berufsaussichten von Frauen als besonders abschreckend galt: „Dabei war z.B. die Diskriminierung bei den Juristen so offensichtlich, daß sie von vornherein die Studentin- nenzahlen niedrig hielt.“ Wierling, 1990, S.374 168 Das für Frauen aussichtsreichste wie beliebteste akademische Fächerprofil waren bis in die 1950er Jahre die überwiegend an den Universitäten angesiedelten geisteswissenschaftlichen Fä- cher, die zum Abschluß „pro facultate docendi“ führten. Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 53 169 Jacoby-Orske, Edith: Die Frauen in der Kleinstadt, in: Neue Frauenkleidung und Frauenkultur, 15.Jg., Heft 14, v. 15.4.1929, S.413 170 Goebel, Gerhart: „frl.stud.ing. setzt sich durch“ in: Scherl´s Ma- gazin, 1931, S.172ff. Den Hinweis auf diesen Artikel verdanke ich Kerstin Dörhöfer. 171 Burchardt, Anja: Blaustrumpf - Modestudentin - Anarchistin? Deutsche und russische Medizinstudentinnen in Berlin 1896- 1918, Stuttgart, 1997 172 Dies zeigt Burchardt am Beispiel der Abgrenzung von russi- schen Medizinstudentinnen während der Kaiserzeit auf. 173 Goebel, 1931, S.177 174 Harnisch-Niessing, Hildegard: „Frauen in der Technik“ in Tech- nik und Kultur, der Zeitschrift des Verbandes Deutscher Diplom- Ingenieure, zitiert nach Abdruck in der ‘schaffenden Frau’, H. 9, (Juni) 1930 - Sie studierte ab Mitte der zwanziger Jahre Maschi- nenbau an der TH Charlottenburg. 175 1929 hatte Harnisch-Niessing, kurz vor dem Ende ihres eigenen Studiums, bereits in ‘Die Frau’ die Möglichkeiten eines Ingeni- eurstudiums von Frauen emphatisch beschrieben. Die Frau veröffentlichte 1929 unter der Überschrift „Unbekannte Frauen- berufe“ eine Serie über das Berufsleben von Frauen. 54 Bilder und Images den Studentinnen an Technischen Hochschulen stellten die Architekturstudentinnen die zweitgrößte Gruppe dar - in der Regel nach den Lehramtsstuden- tinnen naturwissenschaftlich-mathematischer Fächer. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Frauenanteil auch insgesamt verschwindend ge- ring blieb und innerhalb der Studienrichtung Architek- tur im gesamten Zeitraum nur rund drei Prozent betrug. Architekturstudentinnen der Weimarer Republik un- terscheiden sich auf den ersten Blick nur unwesent- lich von Studentinnen anderer Fächerpräferenzen der gleichen Generation. Sie lassen sich - einer Charak- terisierung von Edith Jacoby-Orske aus dem Jahre 1929 folgend - als selbstbewusste Großstädterinnen beschreiben: „Der Großstädterin der gleichen sozia- len Klasse sind gewisse Interessen gemeinsam: Mo- de, Sport, rationelle Hauswirtschaft, Theater, Film, Lindsey und die moderne Jugend, die vollkommene Ehe usw. Die Großstädterin liest (..) Fast eine jede durchfliegt regelmäßig die Tageszeitung, die Illustrier- te, das Frauenblatt, den aktuellen Roman. (..) Sozio- logie, Psychologie, Sexualwissenschaft.” 169 Studentinnen der Weimarer Republik verfügten in der Regel über die Hochschulreife und den familiären Rückhalt, der die notwendige Finanzierung einer aka- demischen Ausbildung sicherte. Begrenzte familiäre Budgets schränkten die Fächerwahl manches Mal ein. Unabhängig von den - als schlecht eingeschätz- ten - Berufsaussichten zu studieren, verbot sich für risikoscheue Studentinnen. Architekturstudentinnen stammen denn auch auffallend häufig aus Familien, deren finanzielle Ressourcen eine Absicherung der Tochter über das Studium hinaus erlaubte. Schon hierdurch sind sie nicht unbedingt repräsentative Ver- treterinnen dieser Studentinnengeneration. Was aber unterscheidet darüberhinaus technikinter- essierte Studentinnen der Weimarer Republik von der Mehrzahl der geisteswissenschaftlich orientierten Studentinnen der gleichen Generation? Nun da sie nicht mehr völlig vereinzelt studieren, wer- den Technikstudentinnen nicht mehr als individuelle Ausnahmeerscheinung sondern als ‘Typen’ wahrge- nommen. Als spezieller Typus der Studentin werden sie ‘Gegenstände’ öffentlicher Geschlechterdiskurse. Artikel wie bspw. „frl. stud.ing. setzt sich durch!“ er- scheinen.170 Auch wenn die Überschrift den Anschein erweckt, eine zunehmende Normalität zu beschrei- ben, de facto geht es nur am Rande um die realen Möglichkeiten oder Schwierigkeiten dieser Studen- tinnen als vielmehr um Projektionen und Konstruktio- nen der ‘Interviewten’. Erörtert wird in diesem Artikel die Frage, ob sich Ingenieurstudentinnen durchsetzen werden. Die Stellungnahmen von Studentinnen und Studenten geben einen Einblick in das Spektrum an Vorurteilen, das über die Gesellschaftspresse repro- duziert wird. Hier zeigt sich die Wirkmächtigkeit des öffentlichen Diskurses, dem die Studentinnen argu- mentativ wie durch reales Verhalten zu entkommen suchen. Die Vehemenz mit der sich Studentinnen ge- gen diese Vorurteile verteidigen, spiegelt die Schärfe der Konfrontation wider. Burchardt zeigt anhand der Medizinstudentinnen des Kaiserreiches, dass der ‘Blaustrumpf’-Vorwurf die Kleidungsgewohnheiten so stark beeinflusste, dass das Klischee ‘Blaustrumpf’ übergangslos von der Etikettierung ‘Modestudentin’ abgelöst wurde.171 An- dererseits konstatiert sie eine Entsolidarisierung unter den Kommilitoninnen, die sich im Bestreben um Nor- malität zunehmend assimilieren resp. an Kommilito- nen orientieren.172 Der geschärfte Blick für geschlechtsspezifische Zu- schreibungen und Projektionen zieht auch während der Weimarer Republik Trennungslinien zwischen Studentinnen. Asta Hampe, Elektrotechnikstudentin an der TH Berlin und Mitbegründerin der Vereinigung der Ingenieurstudentinnen stellt 1931 klar: „An der Technischen Hochschule Berlin studierten (..) z.B. im Sommer 1930 88 Frauen gegenüber 4764 Männern. Von diesen 88 waren aber nur 14 ‘richtige’ stud.ing, 24 Architektinnen, die übrigen studierten allgemeine Wissenschaften.“ 173 Hildegard Harnisch-Niessing beschreibt 1930 den Weg der „Frauen in der Technik“ schon quasi histo- risch zurückblickend. „Automobil und Flugzeug ka- men zu einer Zeit, als die Frau wie aus einem unwirk- lichen Traum erwachend, die Last jahrhundertelangen Vorurteils abschüttelte, sich ihres Körpers bewußt wurde und Gymnastik und Sport ganz und freudig bejahend, den reinen Genuß eines gesunden, unbe- lasteten Körpers und das Glück aus eigener Kraft er- zielter sportlicher Leistungen zum ersten Male ken- nenlernte. - Mit der schrittweisen Weiterentwicklung der Frauenbewegung fielen mehr und mehr die Wi- derstände und Hemmungen, die jeder solchen Bewe- gung (..) mehr oder weniger lange und heftig entge- genstehen, so daß später die Frau im Auto und end- lich die Frau im Flugzeug und am Fallschirm nichts Unmögliches mehr bedeutete.“ 174 Diese Darstellung der zunehmenden Partizipation von Frauen in den Ingenieurwissenschaften als einer na- türlichen Entwicklung des Fortschritts zeigt eine Fa- cette des Selbstverständnisses dieser Generation technikinteressierter Frauen. Harnisch-Niessing er- wähnt die in der Berufsberatungsliteratur immer wie- der betonte Aussichtslosigkeit für Ingenieurinnen mit keiner Silbe.175 Sie stellt sich jedoch auch nicht selbst als frauenbewegte Ingenieurin dar, die selbstbewusst studierend und arbeitend dem gesellschaftlichen Um- bruch ihre beruflichen Möglichkeiten abgewinnt. Sie erzählt eine Art Märchen, in dem „die Frau“ mit Kör- perbewusstsein dank „Weiterentwicklung der Frauen- bewegung“ und technischem Fortschritt „wie aus ei- nem unwirklichen Traum erwachend“ am Fallschirm vom Himmel fällt. In der Presse findet sich um 1930 die Forderung, nach dem Vorbild des „Ottilie-von-Hansemann-Hau- ses” mehr Studentinnen-Wohnheime zu errichten, da im „Wohnungsproblem der Studentin“ die zentrale Hürde für das Studium läge. Andere vertrauen auf die „rasanten Entwicklungen im Frauensport“, da Frauen nur aufgrund mangelnder „Schwindelfreiheit“ vom Ar- chitekturstudium bisher Abstand genommen hätten. Das Verhältnis von Geschlechterdiskurs, Gleichheits- postulat und realen Partizipationsmöglichkeiten wäh- rend der Weimarer Republik ist nur schwer zu fassen. In großer zeitlicher Nähe zum gesetzlichen Gleich- heitsgebot entfaltet der polare Geschlechterdiskurs seine Wirkmächtigkeit offenbar neu, ‘wesens’spezifi- sche Zuschreibungen werden internalisiert und dabei auch von Frauen im öffentlichen Diskurs (re)produ- ziert und reifiziert. Gerade in optimistischen Darstel- lungen technikorientierter Studentinnen zeigt sich ein seltsamer Plausibilisierungs-Mix aus ‘harten Fakten’ und ‘weicher Weiblichkeit’. Vermeintlich frauenspezi- fische Defizite und Eigenschaften gelten als historisch überwindbar, Partizipation soll quasi sportlich umge- setzt werden. Auch die Architektin Hilda Krebs ver- traut auf das technische Zeitalter: „Die Forderung der gleichen Schulbildung für Jungen und Mädchen ist ja ganz allgemein geworden, und unser technisches Zeitalter tut ein übriges, um auch in der weiblichen Generation den Sinn für die Technik zu wecken. (..) Wenn diese Generation von weiblichen Architekten - die fast unter denselben Umständen wie ihre männ- lichen Kollegen ausgebildet wurden - im Berufe steht, wird sich zeigen, ob sie weiter eine Ausnahme bilden wird, oder ob sie sich dieses Gebiet erobert.“ 176 Diese Generation von Studentinnen, die unter „fast“ denselben Umständen wie die Kommilitonen studiert, vertraut auf ihre eigenen Chancen, hofft, im Berufs- leben keine Ausnahme mehr zu bilden. Der Anteil er- werbstätiger Architektinnen liegt während der Wei- marer Republik jedoch noch weit unter dem Studen- tinnenanteil. Und der fromme Wunsch gleicher Chan- cen im Berufsfeld zeigt, dass manche bereits erah- nen, dass es in der Architekturpraxis auch um massi- ve Interessen bei der Verteilung materieller Ressour- cen und realer Handlungsmöglichkeiten geht.177 Deutlich wird, dass Technikstudentinnen dieser ‘Wei- marer Generation’ im technischen Fortschritt oft den Motor gesellschaftlicher Entwicklung sehen, bei der Umsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter nicht auf eine bürgerlicher Frauenbewegung, sondern auf die Entwicklung ihrer eigenen Fähigkeiten und Begabungen vertrauen. Risikobereit nehmen archi- tekturinteressierte Studentinnen ein Studium auf, dessen Berufsaussichten als bedenklich gelten. Sie räumen damit ihren Neigungen Priorität ein. Im Wis- sen um ökonomische Verflechtungen hoffen sie auf eine entspanntere wirtschaftliche Lage für „weibliche Architekten“. Die Architekturstudentinnen während der Weimarer Republik sind um die Jahrhundertwende geboren. Die im folgenden näher dargestellten Gruppen der Bauhaus- bzw. Tessenowstudentinnen umfassen Frauen der Geburtsjahrgänge 1893-1913. An dieser relativ großen Zeitspanne wird deutlich, dass die Al- tersstruktur der Architekturstudentinnen in den zwan- ziger Jahren noch inhomogen ist, auch etwas ältere Studentinnen die nun gebotenen Möglichkeiten nut- zen.178 Das Architekturstudium, dessen Kosten und beson- dere Voraussetzungen Emilie Winkelmann bereits 1913 als selektiv darstellte, war grundsätzlich privat zu finanzieren. Dass es damit noch nicht allen Töch- tern aus gutem Hause offen stand, werden unter- schiedliche Durchsetzungsstrategien einzelner Bau- haus- und Tessenow-Studentinnen verdeutlichen. Die Architekturstudentinnen der Weimarer Republik kom- men aus Elternhäusern, die einem technischen Stu- dium der Tochter - aus welchen Gründen auch immer - offen resp. liberal gegenüberstanden oder sich den besonderen Durchsetzungsstrategien der Tochter - zumindest nach einiger Zeit - nicht mehr verweiger- ten. Dass diese Frauen sich für ein solches Studium entschieden, verweist nicht nur auf das besondere kulturelle Kapital, das sie mit diesem Studium erwer- ben wollten, sondern auf ihren bereits vor Studienbe- ginn vorhandenen kulturellen Background.179 Hier- durch ist das Selbstbewusstsein zu erklären, mit dem sich diese Studentinnen im Hinblick auf ein Berufs- feld akademisch ausbilden lassen, in dem es zu die- sem Zeitpunkt nur sehr wenige erfolgreiche Frauen gibt. Diese Haltung kennzeichnet sie als moderne Frauen: Sie verstehen sich als Mitglieder einer Gesellschaft, die Frauen und Männern nicht nur nach der Weimarer Verfassung gleiches Wahlrecht sondern auch gleiche Möglichkeiten eröffnet. Sie schöpfen die Chancen nach subjektiver, individueller Interessenlage, nach ihren Fähigkeiten und Neigungen aus. Manche Facetten der bildhaften Attribuierungen, die in den zwanziger Jahren im Diskurs um die moderne Frau als ein bestimmtes Frauenbild, als idealisierter neuer Frauentyp insbesondere in den Zeitschriften 176 Krebs, 1928, S.72 177 „Von allen akademischen Berufen war es wohl der Architekten- beruf, der sich der Frau am schwersten erschloß. Schon viel früher wurden Frauen zum medizinischen und juristischen Stu- dium zugelassen.“ Ibid. 178 Um 1930 läßt sich eine Angleichung des Alters der Studienan- fängerinnen feststellen. Vgl. Kap.6 179 Kulturelles Kapital - im Sinne Bourdieus - das die Studentinnen im Laufe ihrer Sozialisation und Vorbildung bereits erworben hatten. Dieser These werden wir im Kapitel 7 nachgehen, wenn der Einfluß des Studiums auf die Berufseinstiege, die weitere Lebensplanung erkennbar wird. Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 55 180 Von Tessenow wurden in der von ihm selbst geführten Kartei 614 Namen von Studentinnen und Studenten vermerkt (1926- 1944). Dies ist das Resultat einer vollständigen Erfassung aller Namen auf Vorder- und Rückseiten dieser Karten, die teilweise auch mehrfach Verwendung fanden. Doppelnennungen wurden gestrichen. Es bleiben verschiedene Ungenauigkeiten, die bisher nicht definitiv ausgeräumt werden konnten. Manche Karten tra- gen allerdings nur einen Familiennamen und keinerlei Hinweise auf Semester und/oder Arbeiten. So bleibt unklar, ob diese Stu- dentInnen nach einer Vorsprache tatsächlich in das Seminar Tessenow eintraten. Bei 40 Einträgen ist kein Vornamen ver- merkt, manche Vornamen sind nicht eindeutig als Student oder Studentin zu identifizieren. Bei 34 der 614 Namen konnten je- doch eindeutig Studentinnen identifiziert werden. 181 Die Werkbiografien wurden auch dann im Anhang dieser Arbeit aufgenommen, wenn nur wenige Daten und Fakten recherchiert werden konnten. 56 Bilder und Images ihren Niederschlag finden, lassen sich bei etlichen der Architektur- und Ingenieurstudentinnen wiederfin- den. Sie reisen viel und weit, lenken Personenkraft- wagen, treiben Sport, sind politisch und kulturell in- teressiert und informiert, tragen oft Kurzhaarfrisuren und bequeme Kleidung. Weit mehr als die visuellen Zuschreibungen und ökonomisch privilegierten Ac- cessoires dieses modernen Lebens, kennzeichnet die Architekturstudentinnen dieser Generation jedoch, dass sie in der Regel die - in der Generation ihrer Mütter kaum vorstellbaren - Möglichkeiten nicht nur als zeitgebundene Erscheinungsform adaptieren, sondern als reale Option in ihrem eigenen Lebens- entwurf slebstbewusst umsetzen. Zur Definition der Begriffe ‘Tessenowstudentin- nen’ und ‘Bauhausstudentinnen’ Da im Rahmen dieser Untersuchung erst anlysiert wird, in wieweit sich Studentinnen verschiedener ‘Schulen’ mit den ihnen während der Ausbildung na- hegebrachten Haltungen, Traditionen und Berufsbil- dern identifizieren, werden die Begriffe ‘Tessenow- studentin’ resp. ‘Bauhausstudentin’ verwendet. Grundsätzlich bezeichnet im folgenden der Begriff ‘Tessenowstudentin’ alle Studentinnen, die im Semi- nar von Heinrich Tessenow zwischen 1926 und 1940 nachweisbar sind. Hierfür wurde zunächst die ‘Schü- lerkartei’ Tessenows zugrunde gelegt.180 Diese um- fasst insgesamt 614 Namen, worunter sich 34 als Studentinnen identifizieren ließen. Diese Namen wur- den um drei weitere ergänzt, mit unterschiedlichem Erfolg recherchiert. Dabei wurde unterstellt, dass be- reits ein solches Studium, nicht nur ein nachweisbar erfolgreicher Abschluss in Form eines Diploms ein ernsthaftes Interesse an Architektur bzw. dem Beruf der Architektin erkennen lässt. Somit wurden Gast- studentinnen ebenso erfasst wie Studienabbrecherin- nen oder Studienortswechslerinnen. Im Laufe der Re- cherchen wurde auch deutlich, dass manche ‘Tesse- nowstudentin’ architekturgeschichtlich bspw. als ‘Bo- natzschülerin’ bezeichnet werden könnte und sich nicht für jede ‘Schülerin’ ein Studium beim Meister nachweisen lässt. Als ‘architekturinteressierte Bauhaustudentin’ - der zumeist selbstreferentiell verwendete Begriff ‘Bau- häuslerin’ wurde gemieden - werden Studentinnen am Bauhaus zwischen 1919 und 1933 bezeichnet, bei denen während des Studiums eine Ambition für Architektur erkennbar ist oder wird. Angesichts der geringen Anzahl diplomierter Studentinnen zeichnete sich ab, dass der Begriff ‘Bauhaus-Architektin’ - ein- gegrenzt auf Bauhausdiplomandinnen - zu eng ge- fasst wäre, Architektinnen wie bspw. Friedl Dicker, Lotte Stam-Beese oder Kattina Both nicht erfassen würde. Deshalb wurden unter der Hypothese, dass näher zu bestimmende Hindernisse einem auch for- mal qualifizierenden Architekturstudium am Bauhaus im Wege gestanden haben könnten, zunächst alle Studentinnen berücksichtigt, in deren Studium, Um- feld oder späterer Biografie ein deutliches Interesse an der dreidimensionalen Gestaltung erkennbar wur- de. Somit gerieten von über 400 namentlich erfassten Bauhausstudentinnen fast 90 ins Blickfeld. Die 52 Studentinnen, für die ein Architekturinteresse nach- weisbar ist, wurden - ebenfalls mit unterschiedlichem Erfolg - recherchiert, ihre Werkbiografien im Anhang aufgenommen.181 4 Architektur- interessierte Studentinnen am Bauhaus „Gegen Ausbildung von Architektinnen spre- chen wir uns grundsätzlich aus.“ (61) - Archi- tekturinteressierte Studentinnen unter Gropius (62), Meyer (71), Mies van der Rohe (73) - Fami- liäre Hintergründe und kulturelle Kapitale: Wer studierte Architektur am Bauhaus? (78) - Woh- nungen, Schulen, Einfamilienhäuser: Was stu- dierten Studentinnen am Bauhaus? (84) - Stu- diendauer und Studienerfolge (91) - Studiensi- tuationen - Studienklima (94) - Als Studentin am Bauhaus (99) - Resümee (104) Das Bauhaus, 1919 in Weimar durch den Zusammen- schluss der Akademie und der Kunstgewerbeschule als Staatliches Bauhaus gegründet, existiert bis zu seiner Auflösung 1933 in Berlin keine 14 Jahre. Spiri- tus rector ist der gerade aus dem ersten Weltkrieg zurückgekehrte Architekt Walter Gropius (1883-1969), der 1919 als Direktor berufen wird. Als der Thüringi- sche Landtag 1924 nur die Hälfte der beantragten Mittel genehmigt und der Meisterrat daraufhin gegen Jahresende die Auflösung des Bauhauses in Weimar beschließt, siedelt das Bauhaus nach Dessau über.2 Zum Oktober 1925 beginnt dort der Unterricht in pro- visorisch hergerichteten Räumlichkeiten. Mit Inbe- triebnahme des Neubaus im Juli 1926 wie dem Ein- zug der Werkstätten zum Wintersemester 1926/27 kann wieder von einem regulären Schulbetrieb ge- sprochen werden. Auch ein weiterer wichtiger Schritt in der Etablierung der Schule erfolgt zum Oktober 1926: Das Bauhaus wird Hochschule für Gestaltung, kann damit Diplome vergeben. Zum Sommersemester 1927 wird eine Architekturab- teilung gegründet, die der Architekt Hannes Meyer (1889-1954) leitet. Er wird 1928 zum Direktor ernannt, als Walter Gropius das Bauhaus verlässt. Nach der politisch motivierten Entlassung Hannes Meyers im Sommer 1930 tritt der Architekt Mies van der Rohe (1886-1969) seinen Dienst als Architekturlehrer und dritter Direktor des Bauhauses zum Oktober 1930 an. Nachdem der Dessauer Gemeinderat am 22. August die Schließung zum 30. September verfügt hatte, zieht das Bauhaus - nun als private Schule - zum Herbst 1932 in ein ehemaliges Fabrikgebäude in Ber- lin-Friedenau. Ein halbes Jahr später kommen die Lehrenden einer drohenden Schließung durch die Nationalsozialisten zuvor: Am 20.4.1933 wird die Schule durch Beschluss der Lehrenden aufgelöst. Zu Beginn der Weimarer Republik und nach dem En- de eines Weltkrieges zieht das neugegründete Bau- haus in Weimar die unterschiedlichsten Studierenden an. Mara Auböck [geb. Utschkunowa] erinnert Jahr- zehnte später: „1918 in der Kunstakademie in Wei- mar (..) als diplomierte Meisterschülerin, erlebte ich die Ereignisse, die 1919 die Kunstakademie zum Bauhaus umgestalteten. (..) 1919 war es soweit: Die Akademie wurde Bauhaus, die Professoren - Meister, die Ateliers - Werkstätten. Das war die äußere Seite des Geschehens. Aber das Wesentliche bestand in einer Explosion von ca. 200 jungen Menschen, die das ‘Neue’ witterten und stürmisch sich darin versu- chen wollten.“ 3 Und Tut Schlemmer, die das Haus als Meistergattin zwischen 1921 und 1929 ebenfalls erlebte, betont auch drei Jahrzehnte später noch die Rolle der Studierenden: „Auch die Meister waren Magneten, aber das Bauhaus hätte sich nicht bis zur Idee verkörpern können, wenn diese Schüler nicht gewesen wären.“ 4 Architekturinteressierte Studentinnen am Bauhaus 57 1 Gropius, Walter: Manifest und Programm des Staatlichen Bau- hauses in Weimar, 1919, wie es gleichlautend auch in „JA! Stim- men des Arbeitsrates für Kunst“ erschien. Vgl. Akademie der Künste (Hg.): Arbeitsrat für Kunst Berlin 1918-1921. Katalog, Berlin, 1980, S.31 2 Offizieller Arbeits- resp. Unterrichtsbeginn in Dessau 1.4.1925, Richtfest März 1926, Einzug Ateliertrakt Juli 1926, Einzug Werk- stätten Oktober 1926, Einweihung Bauhaus-Neubau Dessau am 4./5.12.1926 3 „Die neue politische Lage brachte es mit sich: Architekt Walter Gropius, ein bahnbrechender Bauingenieur (sic) und ausge- zeichneter Diplomat, gelang das Kunststück, dem Herzog wie dem Direktor der Akademie nahezulegen sich in Frieden zu ent- fernen.“ undat. Brief von Mara Auböck an Herrn M. Hassiminski (in den 1960er Jahren). Ich danke Maria Auböck für den Hin- weis. - Direktor der Kunstakademie Weimar war Fritz Macken- sen. Er hatte bereits 1915 versucht, Gropius als Leiter einer Architekturklasse nach Weimar zu berufen. 4 Tut Schlemmer, Vortrag am 8.7.1961, abgedruckt in Neumann, Eckhard (Hg.): Bauhaus und Bauhäusler, Köln, 1985, S.227 Architekten, Bildhauer, Maler, - wir alle müssen zum Handwerk zurück! Denn es gibt keine „Kunst von Beruf“. Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen dem Künstler und dem Handwerker. Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers. 1 Diese Magnete hießen zunächst Wassily Kandinsky (1866-1944), Lyonel Feininger (1871-1956), Johannes Itten (1888-1967) und Oskar Schlemmer (1888-1943); in späteren Jahren auch Paul Klee (1866-1944), Josef Albers (1888-1976) und László Moholy-Nagy (1895- 1946). Damit unterrichteten am Bauhaus mehrheitlich freie Künstler. Architektur gehört zunächst nicht zu den angebotenen Studienfächern. Architektur wird je- doch bereits im Gründungsmanifest als die führende, zusammenführende Disziplin und als „Endziel aller bildnerischen Tätigkeit“ proklamiert. Ein Architektur- studium wird am Bauhaus erst 1927 möglich. Die er- sten Bauhaus-Diplome werden ab Herbst 1929, die meisten Diplome im Bereich Bau/Ausbau ab 1930 unter dem Direktorat Mies van der Rohes ausgestellt. Im Verlauf der drei Direktorate entwickelt sich das Bauhaus von einer Kunstgewerbeschule mit Architek- turanspruch zu einer Architekturschule mit weiteren Studienfächern: Im letzten Semester des Bauhauses, im WS 1932/33 studieren mehr als die Hälfte der Stu- dierenden - 66 von 114 - architektonische Fächer.5 Unter den Ausbildungsinstitutionen der Weimarer Re- publik ist das Bauhaus für Studentinnen offensicht- lich besonders attraktiv: Hier immatrikulieren sich we- sentlich mehr Frauen als an Technischen Hochschu- len, zeitweilig sogar mehr als an Kunstgewerbeschu- len. Der Studentinnenanteil liegt im ersten Jahr nach Gründung mit fast der Hälfte aller Studierenden (über 45%) signifikant hoch. Um 1928 sind nur noch ein knappes Drittel der 166 Studierenden Studentinnen.6 An den Bauhäusern in Weimar, Dessau und Berlin studieren zwischen 1919 und 1933 - incl. der 278 HospitantInnen - mehr als 1200 Studierende.7 Folke Dietzsch legte 1990 eine Dokumentation der archi- vierten StudentInnendaten vor. Er dokumentierte die Namen von 465 Studentinnen zwischen 1919 und 1933 unter insgesamt 1258 Studierenden, was einem Anteil von mehr als einem Drittel entspricht.8 Von den zwischen September 1929 und April 1933 insgesamt 131 verliehenen Bauhaus-Diplomen wur- den 25 an Studentinnen vergeben, davon 17 im Be- reich Weberei, nur vier im Bereich Bau/Ausbau. Ins- gesamt waren jedoch fast zwei Drittel aller vergebe- nen Bauhaus-Diplome, nämlich 81, Diplome im Be- reich Bau/Ausbau.9 Nach offiziellen Quellen studieren zwischen 1927 und 1933 lediglich 16 Studentinnen im Bereich Bau-/Ausbau. Von den insgesamt über 450 Studentinnen interessieren sich jedoch mehr als 50 - und damit weitaus mehr als Listen und Statisti- ken ausweisen - für die räumliche Gestaltung. Darü- ber hinaus wenden sich etliche Bewerberinnen an das Bauhaus in der Absicht Architektur zu studieren. Am Bauhaus werden Studierende im Hinblick auf ein neuartiges Verständnis von Gestaltung unterwiesen. Im Sinne dieser Suche nach dem Neuen sollten sie in einem obligatorischen Vorkurs ein Semester lang ihre Wahrnehmung schulen, sich selbst und ihre gestalte- rischen Fähigkeiten erproben.10 Im Vorkurs unter Lei- tung von Johannes Itten betreiben Studierende Na- turstudien, analysieren Werke alter Meister. Dabei wird zumeist flächig gearbeitet. „Das Aufregendste aber waren die Vorkursstudien“, erinnert Mara Auböck die Vorlehre bei Itten: „Dieser Kurs hatte geradezu magische Wirkung - alle schlos- sen sich begeistert an. (..) Es lag pädagogische Ge- niaität in der Art des Lehrens, aus dem augenblickli- chen Zusammentreffen neue Themen, neue Interes- sen anzuregen. (..) Das Wichtigste war diese Vielheit der Eindrücke.“ 11 Als 1923 László Moholy-Nagy Leiter der Grundlehre wird, erteilt er für das zweite Semester den Kurs „Material und Raum“. Die Aufgabenstellungen sind nun dementsprechend dreidimensional. In seinem Buch „Vom Material zur Architektur“ (1929) betont Moholy-Nagy die Wichtigkeit der Vermittlung elemen- 5 Im WS 1932/33 sind im Bau/Ausbau 54 Studierende und 4 Hos- pitierende immatrikuliert. (2. Semester: 6 S[tudierende], 1 H[o- sp-tant]; 3. Semester: 11 S, 1 H; 4. Semester: 11 S, 1 H; 5. Se- mester: 13 S, 1 H; 6. Semester: 13 S, 2 H; 7. Semester: 6 S) 6 Sommersemester 1928: 121 männliche, 45 weibliche, 129 inlän- der, 37 ausländer (bauhauszeitschrift 2/3, 1928, S.32) 7 Obwohl ForscherInnen seit den 1960er Jahren mehrfach Zahlen und Namen der BauhausstudentInnen rekonstruierten, steht ei- ne einheitliche und differenzierte Statistik der ‘besterforschte- sten’ Schule immer noch aus. Auch nach einer Erfassung aller Studierenden aus Einschreibebuch und veröffentlichten Listen bleibt nach Abgleich von Heiratsnamen die Schwierigkeit, dass häufig keine Angaben zur Studiendauer ermittelbar sind. In Ab- hängigkeit des Einschreibebuches - hier trugen sich die Studen- tInnen i.d.R. selbst ein -, und des von der Verwaltung geführten Immatrikulationsbuches resp. den Prüfungs- und Werkstattlisten unterliegen die jeweils ermittelten Zahlen erheblichen Schwan- kungsbreiten. Diese Differenzen basieren auf unterschiedlich ge- handhabten Erfassungsmodalitäten (u.a. bei Außensemestern, Praktika u.ä., bei Übertritten von HospitantInnen zu HörerInnen). Außerdem fanden die Ein- und Austritte nicht immer deckungs- gleich mit den Semestern statt. Wingler behauptete, dass nicht mehr als 1250 Studierende insgesamt am Bauhaus studierten - 600 in Weimar, 650 in Dessau und Berlin. Wingler, Hans Maria: Das Bauhaus, Bramsche, 1963, S.151 8 Rechnerisch sind dies 37%. Dietzsch, Folke: Die Studierenden am Bauhaus, Dissertation Weimar, 1990, Anlage 6, S.293 - Dietzsch führt 29 Studierende „nach Abschluß der Datenbank“ und 108 Studierende „ohne genaue Quellen“ auf, ibid. II, S.290- 292. Hierin sind Doppelnennungen (u.a. Heiratsnamen) und Ver- wechslungen enthalten. 9 Damit wurden weniger als 20% aller Diplome, weniger als 5% der Bau-/Ausbau-Diplome an Studentinnen vergeben. Hier wur- den die von Folke Dietzsch ermittelten Zahlen zugrunde gelegt. Da Annemarie Wimmer jedoch schlussendlich kein Diplom er- hielt, wurde ihr - als Nr.101 geführtes - Diplom abgezogen. 10 Nach dem Weggang Ittens (1923) wird der Vorkurs 1924 auf zwei Semester verlängert. 11 Brief von Mara Auböck an M. Hassiminski, vgl. FN 3 12 Moholy-Nagy, László: Vom Material zur Architektur, (Bauhaus- buch) Passau, 1929, reprint (Neue Bauhausbücher) Mainz, 1968. Zur Illustration verwendet er überwiegend Erstsemesterarbeiten. Die Datierung dieser Arbeiten zeigt, dass Studentinnen diese räumlichen Aufgabenstellungen ab 1923 bearbeiteten. Dabei werden auch Studentinnen genannt, die in offiziellen Dokumen- ten des Bauhauses nicht nachweisbar sind. 58 Architekturinteressierte Studentinnen Das Bauhausgebäude in Weimar. Blick auf die Ateliers Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar tarer räumlicher Zusammenhänge in der Vorlehre. Er verwendet Studienarbeiten - darunter fünf von Stu- dentinnen - zur Illustration.12 Im Vorkurs bei Josef A- lbers, er unterrichtet ab April 1925, experimentieren Studentinnen wie Studenten mit unterschiedlichen Materialien, deren Eigenschaften und Strukturen. Ne- ben Zeichnungen und Collagen entstehen bei diesen Übungen auch Plastiken aus unterschiedlichsten Materialien. Lehraufbau und Themenstellungen des Bauhausstu- diums waren nicht unbedingt einmalig. An Kunstge- werbeschulen gab es bereits in den zehner Jahren Naturstudium und Werkstattunterricht. Und vor dem Hauptstudium in einer Fachklasse war auch hier ein Vorkurs zur Wahrnehmungsschulung zu absolvieren.13 Die Singularität des Bauhauses bestand damit weni- ger im Lehrangebot als vielmehr in der Eigenwillig- keit, mit der neue Lehrformen und -inhalte von Leh- rern wie Itten, Kandinsky, Moholy-Nagy und Schlem- mer, sowie Albers und Klee umgesetzt wurden. Mit „Das Endziel (..) ist der Bau!“ schreibt Gropius die Maxime jedes Architekten ins Gründungsmanifest. Architektur ist Chefsache, der Direktor unter den Mei- stern der einzige Architekt. In diesem Manifest ideali- siert er auch die mittelalterliche Bauhütte: „Architek- ten, Bildhauer, Maler, - wir alle müssen zum Hand- werk zurück! Denn es gibt keine `Kunst von Beruf´ - Kunst entsteht oberhalb aller Methoden, sie ist an sich nicht lehrbar, es sei denn durch das Beispiel, wohl aber das Handwerk.“ 14 Auch wenn die Definition zunftgemäßer Ausbildungen wie das Prüfungsrecht nach wie vor ausschließlich bei den Handwerkskammern liegt, werden für die Ausbildung von Künstlern als „Steigerung des Hand- werkers“ am Bauhaus Werkstätten für Steinbildhau- erei, Tischlerei, Glas- und Wandmalerei, Metall, Töp- fern, Buchbinden und Weben eingerichtet.15 Dies er- innert Konrad Wachsmann als „Handwerkseuphorie des Bauhauses“.16 Studierende wurden ab 1920 ver- pflichtet, einen Lehrvertrag über eine - in der Regel dreijährige - Handwerkslehre abzuschließen.17 Im Un- terschied zu den Handwerkerschulen, die auf eine bi- näre Ausbildungsstruktur setzten, wurden diese Leh- ren innerhalb des Bauhauses absolviert. Die Werk- stätten am Bauhaus waren jedoch nur mit sehr be- grenzten Kapazitäten ausgestattet, zumal sie auch produzieren und an verschiedenen Bauprojekten mit- wirken sollten. Die Leitung der Bauhauswerkstätten wurde Künstlern - „Formmeistern” - übertragen, die selbst keine handwerkliche Ausbildungen durchlaufen hatten. Ihnen waren die jeweiligen Handwerksmei- sterInnen unterstellt. Obschon die Bedeutung von handwerklicher Arbeit und Lehrausbildung ab 1923 deutlich abnahm, schlossen Studierende auch in der Dessauer Zeit noch Lehrverträge ab.18 Ab 1922 legten BauhausstudentInnen Gesellenpr-fungen vor der ört- lichen Handwerkskammer ab. Nur in der Weberei war keine Gesellenprüfung vorgesehen. Studentinnen studieren am Bauhaus häufig, jedoch nicht ausschließlich in der Werkstatt für Weberei. So finden wir in der Werkstatt für Wandmalerei bspw. 1919 Elisabeth Abegg und Dörte Helm, 1920 Dolly Borkowsky, Louise Berkenkamp und Margarete Vier- eck.19 Sie alle schließen einen Lehrvertrag, jedoch fast nie die Lehre ab.20 Ruth Hildegard Raack nimmt 1922 an Kursen dieser Werkstatt teil. Während der Dessauer Zeit sind ab 1928 bspw. Margarete Leite- ritz, ab dem Herbst 1929 Maria Müller Studierende der Wandmalereiwerkstatt. Auch in der Metallwerk- statt unter Naum Slutzky arbeiten Studentinnen. Ab dem Wintersemester 1919 studieren dort bspw. Kä- the Reiche, aber auch Elisabeth Hauck, ab Herbst 1921 die erst 15jährige Erika Hackmack, ab dem Sommersemester 1923 Erika Marx, ab dem Winter- semester 1924 die 29jährige Lili Schultz und die 13 An Akademien und Technischen Hochschulen setzten Reform- bestrebungen überhaupt erst in den 20er Jahren ein. Dort glie- derte sich das Studium - getrennt nach Fächern - in ein zweijäh- riges Grund- und ein dreijähriges Hauptstudium. 14 Walter Gropius, 1919, reprint, Akademie der Künste, 1980, S.30 15 Weberei, Buchbinderei und Töpferei waren nicht im Besitz des Bauhauses. Für die Töpferei wurde in Dornburg ein kooperieren- der Betrieb gefunden. Sie blieb damit außerhalb angesiedelt, die Leitung wurde Gerhard Marcks unterstellt. Die Weberei wurde einschließlich der Handwerksmeisterin Helene Börner aus der Staatlichen Kunstgewerbeschule übernommen, die in Börners Besitz befindlichen Webstühle kostenfrei genutzt. Als ‘Form- meister’ fungierte der Maler Georg Muche. 16 „Vielmehr schockierte mich jedoch die Handwerkseuphorie des Bauhauses (..) die Besinnung auf das Handwerk? Freilich do- zierte Gropius, daß die Werke aller großen Kunstepochen einem souverän beherrschten Handwerk zu verdanken seien, daß der Künstler eine Steigerung des Handwerkers sei. Ich aber war Handwerker und glaubte begriffen zu haben, daß die Zeit des Handwerks vorbei ist.“ Gruening, 1986, S.142. Konrad Wachs- mann (1901-1980) weilte 1921 besuchsweise am Bauhaus. 17 Die handwerkliche Ausbildung war damit unmittelbar an das Studium gebunden. Die Gesellenprüfung musste jedoch bei der örtlichen Handwerkskammer abgelegt werden. 18 So bspw. Wera Meyer-Waldeck und Annemarie Wimmer. Buch- binderei und Glasmalerei wurden bereits 1923 eingestellt, die Töpferei anlässlich des Umzuges nach Dessau aufgegeben. Am Bauhaus Berlin wurden keine Werkstätten mehr eingerichtet. 19 Bis 1923, d.h. unter der Leitung von Itten, finden wir dort Stu- dentinnen. Nach dem Weggang Ittens obliegt die Werkstattlei- tung Kandinsky. Erst als 1925 Hinnerk Scheper die Leitung der Wandmalerei übernimmt, finden wir dort wieder Studentinnen. - Lis [Elisabeth, Thusnelde] Abegg (geb. 18.8.1899 Tübingen) schließt zum 6.10.1919 einen Lehrvertrag in der Dekorationsma- lerei ab. (SBW, Sign.150, Bl. 534) - Dolly Borkowsky (geb. 16.5. 1900 Naumburg) unterzeichnet zum Sommersemester 1920 ei- nen Lehrvertrag in Buchbinderei und studiert daneben Bühnen- bild. (SBW, Sign.150, Bl. 768) - Margarete Viereck (geb. Schön, 5.11.1898 Ernsthof), studiert ab dem Sommersemester 1919 am Bauhaus, wo sie nach der Grundlehre zum Sommersemester 1920 in die Druckwerkstatt eintritt, im folgenden Wintersemester einen Lehrvertrag in Wandmalerei abschließt. (Dietzsch, 1990) - Zu Helm und Berkenkamp vgl. Biografien im Anhang. 20 Die Zahl der Studienabbrecherinnen unter den Lehrlingen der Wandmalerei ist auffällig hoch. Lediglich Dörte Helm schließt die Lehre mit der Gesellenprüfung im Maler- und Lackiererhandwerk am 6. Mai 1922 vor der Innung in Weimar ab. am Bauhaus 59 Das Bauhausgebäude in Dessau. Links das Schulgebäude, rechts das ‘Prellerhaus’, dazwischen die Kantine. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 31jährige Marianne Brandt. Während der Dessauer Jahre studieren dort 1928 Gerda Marx und Margit Vries, ein Jahr später Lotte Rothschild und 1930 Eva Busse.21 Mit Ausnahme Brandts verlassen alle diese Studentinnen die Metallwerkstatt ohne Abschluss. Und noch bevor in der Werkstatt für Tischlerei zum 1.6.1925 mit Karl Bökenheide ein Tischler als Werk- meister eingestellt, Marcel Breuer zum Formmeister ernannt wird, arbeiten dort bspw. Gertrud Bernays- Herrlich und Alma Buscher.22 Bernays tritt nach der Grundlehre 1920 in die Tischlerwerkstatt ein. Buscher arbeitet dort ab 1923. In Dessau arbeiten spätestens ab 1926 Kattina Both, ab Januar 1927 Eva Fernbach, ab April 1927 Wera Meyer-Waldeck und Lotte Gerson in der Tischlerei. Ab 1928 studieren dort offiziell Ella Rogler und Gerda Marx, ab Frühjahr 1929 Annemarie Wimmer und ein Jahr später Annemarie Wilke. Mey- er-Waldeck und Wimmer schließen im Frühjahr 1929 Lehrverträge im Tischlerhandwerk ab, beide absolvie- ren die Gesellinnenprüfung 1932.23 Gemeinhin werden die 14 kurzen Jahre des Bauhau- ses in Weimar, Dessau und Berlin in zumindest drei Phasen gegliedert. Mehr noch als die drei Orte, die dem Bauhaus unterschiedliche Rahmenbedingungen boten, stehen die Namen der drei Direktoren - alle- samt Architekten - für unterscheidbare Auffassungen über die Lehre. Dies wiederum beeinflusste die realen Studienbedingungen von StudentInnen am Bauhaus maßgeblich.24 Um diese Unterschiede darzustellen, ist auch hier im Folgenden eine Gliederung der unter- schiedlichen Phasen nach Direktoren gewählt. Zunächst geht es jedoch um den Stellenwert der Dis- ziplin Architektur. Das Bauhaus war eine Schule für Gestaltung, auch wenn die Architektur in der Nach- kriegsrezeption des Bauhauses häufig überbetont und damit eine Stilisierung zur Architektur(hoch)schu- le betrieben wurde.25 Das Begriffspaar ‘Architektur’ und ‘Bauhaus’ ist durch ebenso vielfachen wie viel- fältigen Gebrauch so stark überformt, dass ein unbe- fangener Gebrauch nicht mehr möglich ist, darauf haben insbesondere Gloria Weiß und Annemarie Jaeggi hingewiesen.26 „Architektur am Bauhaus“ kennzeichnet ein Span- nungsfeld, das aus zumindest drei Ebenen gebildet wird: Dem konkreten Architekturunterricht, Projekten und Bauten im und am Bauhaus sowie den Diskursen über Architektur rund um das Bauhaus.27 Nach dem Ende des ersten Weltkriegs wurde an ver- schiedenen Orten in Europa in den Kreisen des neu- en Bauens - wie auch am Bauhaus - experimentell nach zeitgemäßen, neuen architektonischen Aus- drucksformen gesucht. „Wir unterscheiden wesent- lich nicht mehr tragend und getragen, wir lassen nicht mehr Scheidung zu in dienend und bedient, schmückend und geschmückt. Jedes Element oder Bauglied muß gleichzeitig helfend und geholfen wirk- sam sein, stützend und gestützt. So schwinden Sok- kel und Rahmen und damit das Denkmal, das auf ei- nem Übermaß an Unterbau ein Untermaß von Getra- genem trägt“, führt Josef Albers dazu 1928 aus.28 Klare Raumgliederungen, geometrische Grundfor- men, kubische Gebäudekompositionen und flächige Gliederungen wurden zu einem Erkennungsmerkmal dieser Suche nach zeitgemäßem Bauen. In der Re- zeption verschmelzen Bauhaus und Neues Bauen, wurden im stilbildenden Sinne zum ‘Bauhausstil’ amalgamiert. Seit dem Aufruf zum Bauen im Gründungsmanifest sind Architekturdiskussionen am Bauhaus virulent. Insbesondere nach Außen wird der Anspruch ‘neu’ zu bauen propagiert. Durch Ausstellungen, Vorträge und Publikationen werden ‘Hausbau’ und ‘Bauhaus’ ver- knüpft und öffentlich präsentiert. Unter den Studie- renden regt sich Unmut, da der Aufbau einer Archi- tekturlehre diesem in der Öffentlichkeit reklamierten Bild des Bauhauses hinterherhinkt. „Was erwartest Du? (..) hier wollen Maler Architekten ausbilden!“ erinnert Wachsmann seine damalige Reaktion auf die Unzufriedenheit einer Freundin.29 21 Vgl. zu Hackmack und Busse Biografien im Anhang. Käthe Rei- che (geb. 3.2.1896 Alfeld) studiert ab dem Wintersemester 1919 in Metall (Vgl. Dietzsch, 1990). Zu Elisabeth Hauck[-Winkelma- yer] (geb. 9.2.1896 Frankfurt/M.) und Erika Marx vgl. Weber, 1992, S.321 resp. 318. Erika Hackmack schließt zum 1.9.1921 einen Lehrvertrag ab. Lili [Elisabeth] Schultz (geb. 21.6. 1895 Halle) hatte bereits seit 1913 studiert (KGS Dresden, Burg Gie- bichenstein, KGS München). Sie studiert am Bauhaus zwischen Herbst 1924 und Sommer 1925; vgl. Biografie Schultz in Weber, 1992, S.320. Marianne Brandt [geb. Liebe] (geb. 6.10.1893 Chemnitz) studiert ab 1924 am Bauhaus; vgl. ibid., S.315. Mar- git Vries wurde am 26.4.1896 in Frankfurt/ M. geboren. Gerda Marx besucht zeitgleich auch die Tischlerei. Lotte Rothschild (geb. 10.11.1909 Frankfurt/M.) besucht die Metallwerkstatt wahrscheinlich nur zwei Semester. Sie zählt mit Busse im Winter 1929/30 zu den „5 kandidaten“ in der Metallwerkstatt. (BHD, NL Engemann, 7.4.1930, Bl. 2) 22 Gropius gibt die Leitung der Tischlerei im April 1925 an den Ge- sellen Marcel Breuer ab. 23 Meyer-Waldeck absolviert die Gesellenprüfung im Januar 1932 erfolgreich nach einer zweijährigen Lehrzeit, in der sie parallel auch Studierende bei Hilberseimer und Meyer, Klee und Kan- dinsky ist. Bereits seit Herbst 1927 in der Tischlerei, schließt sie den entsprechenden Lehrvertrag - ebenso wie Wimmer - im Frühjahr 1929 ab. Im Wintersemester 1929/30 leistet sie ein Bü- ropraktikum ab, von Mai 1930 bis Mai 1931 fällt sie wegen fami- liärer Verpflichtungen und Krankheit aus. Wie der „Anhalter An- zeiger” am 21.1.1932 vermeldet, legt Meyer-Waldeck die Gesel- lenprüfung mit dem Prädikat „sehr gut” ab. Wimmer besteht im Mai 1932. 24 Wie für unterscheidbare Positionen innerhalb des Neuen Bau- ens. Individuelle Architekturauffassungen und Positionen einzel- ner Bauhausdirektoren innerhalb des ‘Neuen Bauens’ werden im folgenden nur insoweit dargestellt, als sie nachvollziehbar Ein- fluss auf die Angebote an Architekturlehre resp. Studienbedin- gungen ausübten. 25 Vgl. dazu auch Hermann van Bergeijk: De mythes rond het Bau- haus, in: archis, 1988, H.5, S.47-51 26 Jaeggi, Annemarie: Adolf Meyer, Der zweite Mann, Berlin, 1994; zu Weiß vgl. FN 32. 27 Auch wenn es im Rahmen dieser Untersuchung zunächst nur um Themen, Arbeiten und Projekte von Studentinnen in der Ar- chitekturlehre am Bauhaus gehen sollte, so ist eine isolierte Be- trachtung des Architekturunterrichts - angesichts der großen Diskrepanz zwischen der Fülle an Interpretationen und der tat- sächlichen Anzahl an Dokumenten - schlicht nicht möglich. 28 Albers, Josef: „werklicher formunterricht“ in: Bauhauszeitschrift, 2.Jg., 1928, Heft 2/3, S.5 29 Gruening, 1986, S.145 - „Meine Arroganz aus dieser Zeit ist mir noch gut in Erinnerung..” 30 Jaeggi, 1994 31 Olga Arpasi an Ö. Bánki, Dessau 24.10.1930, in: Bánki, Esther: Die ‘Bauhäuslerin’ Zsuzska Bánki, Nijmegen, 1990, S.63 60 Architekturinteressierte Studentinnen Wera Meyer-Waldeck in der Tischlerei, 1930 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Schon mit der Begriffsfindung, der Benennung der neuen Schule als „Bauhaus“, waren - wie Annemarie Jaeggi plausibel erläutert hat30 - ebenso oszillierende Assoziationen und Erwartungen zum Bauen intendiert wie der Anspruch der Ausbildung zusammengefasst: Ein Haus, in dem der neue Mensch gebaut, gebildet werden sollte. Die seit der Gründung proklamierte Ar- chitekturlehre wurde nicht erst in der Rezeption, son- dern bereits durch die Publikationstätigkeit mancher Lehrenden mit diversen Vorstellungen vom neuen Bauen verwischt. Auch wenn in Artikeln, Stellungnah- men und nicht zuletzt den als Serie herausgegebenen ‘Bauhausbüchern’ nicht nur Architektur transportiert wurde, so nahm bei allen nach außen gerichteten Ak- tivitäten des Bauhauses die Architektur eine zentrale Stellung ein. 1923 wurde auf der Bauhausausstellung „Internationale Architektur“ gezeigt und Gropius ver- öffentlicht „Die neue Architektur und das Bauhaus“ als Buch. Im Juni 1926 erscheint als erstes Buch in der Schriftenreihe Bauhausbücher „Internationale Ar- chitektur“, in dem nicht zuletzt der spektakuläre Neu- bau des Bauhauses in Dessau vorgestellt wird. Architektur ist am Bauhaus auf der medialen wie dis- kursiven Ebene präsent, und seit dem Bezug des Neubaus auch im Schulalltag. Zeitgleich ist noch kein geregeltes Architekturstudium möglich. Während in diesem „eigenartigen, sehr großen Gebäude“ 31 der International Style programmatisch antecipiert wird, findet am Bauhaus keiner die Zeit, einmal konkret festzulegen, wie Studierende Architektur erlernen oder betreiben sollen. Durch das ständige Re- und Proklamieren vom Bauen, amalgamiert das Bauhaus zu einem Idiom, was Gloria Weiß mit „das Bauen des Mythos und der Mythos des Bauens“ umschrieben hat.32 Obschon der Führungsanspruch der Architektur innerhalb der Künste unter den Meistern umstritten ist, im Bemühen, das Bauhaus zu sichtbar mehr als einer Kunstgewerbeschule zu machen, messen auch sie der Architektur innerhalb der Schule konstituie- rende Bedeutung bei.33 „Gegen Ausbildung von Architektinnen sprechen wir uns grundsätzlich aus.“ „In Beantwortung Ihres Telegramms teile ich Ihnen mit, dass die von mir geplante Abteilung für Baukunst an dem hier neu gegründeten Staatlichen Bauhaus erst im Werden begriffen ist. Ich bin daher im Augen- blick noch nicht in der Lage, Sie entsprechend zu be- schäftigen, da auch mein eigenes Atelier noch nicht von Berlin nach hier übergesiedelt wurde“, schreibt Gropius im Mai 1919 an die Bewerberin Tony Simon- Wolfskehl.34 Diese ist jedoch enthusiastisch über das Konzept des Bauhauses und schreibt sich - gegen Gropius´ Rat - umgehend am Bauhaus Weimar ein. Während der Weimarer Jahre werden Studienbewer- berinnen auffällig häufig bereits im Vorfeld abgewie- sen. Und etliche Studentinnen wechseln - trotz deut- lichem Architekturinteresse - nach der Vorlehre in die Weberei.35 Zu diesen Architekturinteressierten gehörte u.a. eine Freundin Konrad Wachsmanns, „die sich zunächst der Architektur verschrieben hatte.“ 36 Na- mentlich bekannt sind Elfriede Knott, Alexa Gutzeit, Alma Buscher, Mila Lederer und Gertrud Hantschk. Und wahrscheinlich sind auch Margarete Bittkow, Gertrud Droste, Lene Wulff und Elisabeth Jäger zu diesen - zunächst - architekturinteressierten Studen- tinnen zu rechnen.37 In Ablehnungsschreiben an Bewerberinnen wird ab dem Herbst 1920 eine vielsagende Formulierung ver- wendet. So wird mit gleichlautendem Schreiben vom 2.10.1920 sowohl Irmela Platz in Bad Berka als auch Klara Tiessen in Königsberg mitgeteilt: „Wegen Über- füllung des Staatlichen Bauhauses namentlich an Da- men können zum Herbst nur sehr wenig Schüler auf- genommen werden. In diesem Sinne ließen die uns eingereichten Arbeiten eine entsprechende Vorbil- dung nicht erkennen. Der Meisterrat konnte sich des- halb für Ihre Aufnahme nicht entscheiden.“ 38 Da das vorab verschickte Programm des Bauhauses keinerlei Hinweis auf eine Vorauswahl „in diesem Sinne“ ent- hielt, dürfte die geschlechtsbezogene Begründung „wegen Überfüllung (..) namentlich an Damen“ be- reits 1920 Befremden ausgelöst haben.39 Die Meister- ratsentscheidung über eine - wem auch immer nicht „entsprechende“ - Vorbildung war jedoch nicht an- fechtbar.40 Vergleichbar fadenscheinig wird 1921 die „sehr geehrte gnädige Frau“ Ilse Faber mit Verweis auf das bereits fortgeschrittene Semester abgelehnt, während aus dem Zirkular hervorgeht, dass die Mei- ster im fortgeschrittenen Alter der in Weimar leben- den Schriftstellerin den entscheidenden Hinderungs- grund sehen.41 Ablehnungen erfolgen jedoch insbe- sondere dann, wenn Bewerberinnen erkennen lassen, dass sie am Bauhaus räumlich arbeiten möchten. 32 Weiß, Gloria: Het Bauhaus: het bouwen van een mythe en de mythe van het bouwen, in: archis, 1995, H.9, S.32-37 33 Dass bspw. auch Moholy-Nagy der Statusfrage der Architektur- abteilung konstituierende Bedeutung beimaß, wird deutlich, wenn Grawe auch für die Architekturabteilung des New Bau- haus in Chicago feststellt, dass diese „vergleichbar mit der des Bauhauses in Deutschland, wo sie existierte ohne zu existieren, den höheren Studien vorbehalten werden (mußte).“ Grawe, Ga- briele: Call for Action - Bauhausnachfolge in den USA, Disserta- tion, Berlin, 1997, Bd.1, S.84: FN 236 34 SBW, Sign.155, Bl..1092 Brief Gropius vom 30.5.1919. Die dop- pelte Kausalformulierung lässt offen, ob die „geplante Abteilung für Baukunst“ mit „mein eigenes Atelier“ identisch sein wird. 35 Die Zahl der im Vorfeld abgewiesenen architekturinteressierten Bewerberinnen zwischen 1919 und 1927 - vor Einrichtung eines regulären Architekturunterrichts - lässt sich bisher ebensowenig beziffern wie die Zahl der Studentinnen, die entgegen eigener Prioritäten nach der Vorlehre in die Weberei wechseln. 36 Gruening, 1986, S.145. In den Erinnerungen Wachsmanns lässt sich diese Studentin nicht namentlich identifizieren. 37 Margarete Bittkow (geb. 22.4.1887 Groß-Lübars) studiert ab 1919 (bis 1922) in der Weberei. Sie emigriert später in die USA, wo sie als Malerin ab 1932 in Cambridge lebt. (Vgl. Fiedler, 1987, Dietzsch, 1990, Grawe, 1997) Auch [Mar]Lene Wulff (geb. 13.2.1899) studiert zwischen 1919 und 1922 in Weimar. Nach der Grundlehre besucht sie ab dem Frühjahr 1920 die Wandma- lereiwerkstatt. Gertrud Droste, als Enkelin des Architekten Gu- stav Knoblauch am 17.8.1898 in Berlin geboren, besucht ab Herbst 1921 die Grundlehre, wird am 11.7.1922 jedoch nicht aufgenommen. Vgl. zu Droste auch Kap. 3, FN 32. Die 1906 in Bremerhaven geborene Architektentochter Elisabeth Jäger hatte vor ihrem Bauhausstudium (1924 bis 1925) an der WKS Bremen Innenarchitektur studiert. Vgl. Schwarzbauer, Georg F.: Elisa- beth Kadow, Recklinghausen, 1973; Fiedler, 1987, S.154 38 SBW, Sign.161, Bl.898 resp. Bl.974. Irmela Platz (geb. 9.3.1900 Neuhausen b.Königsberg) war die Tochter eines Pfarrers. Klara Tiessen, deren Aufnahmegesuch in der Akte nicht vorhanden ist, war zum Bewerbungszeitpunkt 26 Jahre alt. 39 Gropius verwendet diese Formulierung noch bis in den Herbst 1921 (bspw. im Ablehnungsschreiben vom 23.9.1921 an Hilde- gard Gött aus Naumburg, SBW, Sign.160, Bl.184 - Lt. Zirkular hatte in ihrem Fall nur Itten für eine Aufnahme gestimmt: „Erst 16 Jahre alt. Ich stimme für Probesemester.“ Ibid., Bl.183) 40 Auch wenn dies suggeriert, dass Bewerberinnen mit besseren Arbeiten ausgewählt worden seien resp. dass eine Art Studen- tinnenkontingent am Bauhaus bereits ausgeschöpft sei, so ver- standen abgelehnte Bewerberinnen dies offenbar nicht als rela- tive Einschätzung ihrer Arbeit sondern als Ablehnung ihrer Per- son: Keine unterwirft sich diesem Verfahren erneut. 41 SBW, Sign.161, Bl. 760. Zirkular Faber, 34 Jahre, vom 16.11. 1921 „gegen. Gropius (..) Meiner Ansicht nach sollten wir nie- manden aufnehmen, der das 28 oder 30. Altersjahr überschrit- ten hat. Itten“ - Ilse Faber (geb. 1887) bewarb sich am 10.11. 1921, um Lithografie zu studieren. „Ihr Aufnahmegesuch kön- nen wir im Augenblick nicht bejahen, da wir mitten im Semester sind. Ihr sehr ergebener Gropius“. (Brief an Dr. Ilse Faber vom 17.11.1921, ibid., Bl.765) am Bauhaus 61 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar „Da mich aber ein fortwährendes Modellieren nach Gipsabgüssen nicht befriedigte, versuchte ich (..) für mich allein zu arbeiten.(..) Zum allein weiterarbeiten fühle ich mich viel zu jung und zu unsicher“, bewirbt sich 1923 die 19jährige Käthe Ury am Bauhaus. Und sie äußert eine eindeutige Fächerpriorität: „Ich würde gerne in eine Werkstatt eintreten, in der ich plastisch arbeiten kann, wenn möglich unter Meister Oskar Schlemmer.“ Von Bruno Adler ermutigt hat sie „mei- ne Sachen, die hier beiliegen, (..) in der Bauhauswo- che schon Herrn Muche gezeigt“, der „meinte, ich sollte sie ruhig einreichen.“ 42 Ury erhält umgehend ei- ne Ablehnung. Auf dem Zirkular ist - wie so häufig - von Gropius nur ein schlichtes „Gegen“ notiert. Da- runter setzen - wie so häufig - alle Meister ihre Unter- schrift. Nur Josef Hartwigs Kommentar auf dem Bo- gen enthüllt den Grund der Ablehnung: „Holz- und Metallbildhauerei kein Frauenberuf“. Ähnlich war 1921 das Aufnahmeverfahren einer Stu- dentin der Wiener Kunstgewerbeschule verlaufen. Im Fall von Anni Weil war Mitte Februar 1921 die „Auf- nahme auf Probe“ einstimmig beschlossen worden, Gropius fragt mit Schreiben vom 23.2.1921 jedoch nach: „Es geht aus Ihrer Schilderung nicht klar her- vor, welche Ausbildungsabsichten Sie hegen. Nach unseren Erfahrungen ist es nicht ratsam, daß Frauen in schweren Handwerksbetrieben wie Tischlerei usw. arbeiten. Aus diesem Grunde bildet sich im Bauhaus mehr und mehr eine ausgesprochene Frauenabtei- lung, die sich namentlich mit textilen Arbeiten be- schäftigt, auch Buchbinderei und Töpferei nehmen Frauen auf. Gegen Ausbildung von Architektinnen sprechen wir uns grundsätzlich aus.“ 43 Anni Weil prä- zisiert umgehend Berufsziel - Theaterdekoration - und Werkstattwunsch: Tischlerei.44 Erst Wochen spä- ter wird sie von ihrer Aufnahme in Kenntnis gesetzt, zwei Tage vor Semesterbeginn zu „baldmöglichstem Eintritt“ aufgefordert.45 Sie teilt Mitte April freundlich mit: „Ich habe Ihre werte Mitteilung von meiner Auf- nahme leider so spät bekommen, daß es mir bereits unmöglich ist, ihr Folge zu leisten, da ich schon seit 2 Wochen hier in Salzburg in einer Werkstätte als Lehrling tätig bin.“ 46 Nur von wenigen der abgelehnten Bewerberinnen ist mehr als die Bewerbung archiviert, noch seltener fin- den sich unter den archivierten Dokumenten konkrete Reaktionen. Ebenfalls 1921 teilt jedoch bspw. Ursula Bobann-Hessel aus München dem „sehr geehrten Herrn Gropius“ mit, „daß ich nun doch auf den Eint- ritt in das Bauhaus verzichten muß, da es für mich notwendig gewesen wäre nur in der Metallwerkstatt arbeiten zu können“.47 Architekturinteressierte Studenten sind am Bauhaus Weimar erwünscht. Im Unterschied dazu werden Stu- dentinnen nur mit vermeintlich weiblichen Ambitionen aufgenommen. Dementsprechend werden Bewerbe- rinnen abgewiesen, sobald sie Ambitionen im räumli- chen Entwurf erkennen lassen. Wer aber sind die Studentinnen, die sich noch vor Einführung einer Ar- chitekturabteilung für ein Architekturstudium am Bau- haus Weimar interessieren? Eine neue Schule bildet neue Menschen heran: Architekturinteressierte Studentinnen unter Gro- pius „erbitte durch aufnahmebestätigung direkt bei frem- denstelle weimar umgehende einreiseerlaubnis bewir- ken zu wollen“, meldet sich Tony Simon-Wolfskehl mit Telegramm vom 28.5.1919 „auf empfehlung von doktor müller-wulkow (..) als lehrling [am] bauhaus an.“ 48 Sie war mit einer jüngeren Schwester in Frank- furt am Main aufgewachsen. Ihr Vater handelte mit Weinen, die Mutter entstammte der Bankiersfamilie Wolfskehl. Tony Simon-Wolfskehl besuchte private Mädchenschulen, legte um 1911 am Mädchengym- nasium in Frankfurt das Abitur ab und studierte an- schließend Architektur an der TH Darmstadt. Auch Mara Utschkunowa bringt Vorerfahrungen ans Bau- haus mit. Sie hatte ein Gymnasium im bulgarischen Plowdiw besucht, bevor sie um 1915 zum Studium an die Akademie nach München ging. 1918 wechselt sie erneut, nun an die Akademie in Weimar. Sie zählt damit - wie auch Dörte Helm und Alexa Gutzeit - zu den 1919 von der Akademie wie der Kunstgewerbe- schule Weimar ‘übernommenen’ Studentinnen.49 Dörte Helm, als Tochter eines Altphilologen in Berlin und Rostock aufgewachsen, hatte in Rostock neben dem Lyzeum auch die Kunstgewerbeschule besucht. Seit ihrem 16. Lebensjahr hatte sie an der Kunstaka- demie in Kassel Malerei und Plastik, seit 1918 an der Kunstakademie in Weimar bei Walther Klemm stu- diert. Alexa Gutzeit bewirbt sich 1919 direkt im An- schluss an das Abitur an der Akademie in Weimar.50 Sie war als Tochter eines ostpreussischen Ritterguts- besitzers auf dem Land aufgewachsen, hatte Privat- unterricht genossen und ab 1916 ein Lyzeum in Kö- nigsberg besucht. Zum Herbst 1919 schreibt sich Anny Bernoully am Bauhaus ein.51 Im Sommer hatte ihr Vater erwogen, die 19-jährige Anny, „die jetzt leider die Frankfurter Kunstgewerbeschule (Klasse Innendekoration) be- sucht“, ans Bauhaus zu schicken.52 Als Ludwig Ber- noully, der seit 1899 als freischaffender Architekt in Frankfurt/Main ansässig war, auf seine Frage nach der Art der Qualifikationen keine Antwort erhält, wen- det er sich Ende September erneut an Gropius. Die- ser lässt den BDA-Kollegen nun wissen: „Eine beson- dere Klasse für Innendekoration ist zur Zeit noch nicht eingerichtet. (..) Mit Ausnahme der Weberei ist 42 SBW, Sign.161, Bl.979, resp. Bl.980, Aufnahmegesuch Käthe Ury (geb. 1904 in Leipzig). Deren gleichaltrige Freundin Ruth Vallentin studiert am Bauhaus auf Anraten Bruno Adlers seit 1920. Als Minderjährige genießt sie das Privileg, an allen Kursen teilnehmen zu dürfen. Vgl. Fiedler, 1987, S.147 43 SBW, Sign.159, BL.50, Zirkular 14.2.1921 Annie Weil - resp. Bl.55, Brief Gropius an Anni Weil vom 23.2.1921 44 Ibid., Bl.53-54, Annie Weil an den Direktor des Bauhauses Wien 2. März (1921) „Ich bitte, aufgrund meines ersten Gesuchs und meiner eingereichten Arbeiten um Aufnahme (..) Ich will Theater- dekoration arbeiten; bin [in] praktisch konstruktivistischer Bezie- hung ganz vernachlässigt; So zwar, daß mir nur die gründliche Erlernung eines Handwerkes weiter helfen kann. Da mir Tischle- rei persönlich am nächsten liegt, mir auch körperlich nicht scha- det, ersuche ich um Aufnahme in die Tischlerei.“ 45 Ibid., Bl.52, Schreiben vom 9.3.1921, resp., Bl.51. Schreiben an Anni Weil vom 2.4.1921 „Baldmöglichster Eintritt ist notwendig.“ Das Sommersemester 1921 begann am 4. April. 46 SBW, Sign.161, 1013f., Brief Annie Weil v. 15.4.1921 „Ich danke bestens für Ihre Bemühungen und ersuche Sie meine Dokumen- te und Arbeiten Frl. Sophie Korner zu übergeben. Mit bestem Dank. Annie Weil, Salzburg, Österreichischer Hof“ (ibid., S.1014) 47 SBW, Sign.161, S.773, Brief vom 15.9. 1921. Die Mitteilung über ihre Aufnahme auf Probe enthält offenbar die Auflage, nicht in der Metallwerkstatt zu arbeiten. Sie bittet um Rücksendung ihrer Arbeiten „an Fräulein Fanny Remak, München”. In der Akte Bo- bann-Hessel ist keine Durchschrift der Aufnahme-Mitteilung vor- handen. (Zirkular Hessel v. 29.6.1921 SBW, Sign.161, S.771) 48 SBW, Sign.155, S.1090 Telegramm S-W an Gropius 28.5.1919 49 Zu denen bspw. auch Gertrud Bernays und Toni von Haken-Ne- lissen, aber auch Harriet Rathkleff-Keilmann, Immeke Schwoll- mann, Margarete Bittkow zu rechnen sind. Mara Utschkunowa, am 5.8.1895 in Philipopoli geboren, hatte zuvor in München bei Wackerle studiert. 50 SBW, Sign.152, Bl.1512 51 SBW, Sign.150, Bl. 661, W.Gropius an L.Bernoully 1.10.1919, „In Beantwortung der Anfrage vom 27.9.1919“ - Aufnahme am Bauhaus am 15.10.1919 52 Ibid., Bl. 665, Ludwig Bernoully an Walter Gropius, 19.8.1919 62 Architekturinteressierte Studentinnen der Abschluß dieser Lehrzeit eine Gesellenprobe, die zur praktischen Berufsausübung ermächtigt. Die in den Werkstätten arbeitenden Studierenden sind be- rechtigt, auch an den theoretischen Ausbildungsgän- gen teilzunehmen, soweit es die Zeit zuläßt.“ Knapp zwanzig Bauhausstudierende der Jahre 1919 und 1920 kommen aus Wien nach Weimar, wo sie zuvor an der privaten Kunstschule Johannes Ittens studiert hatten.53 Zu diesen ‘IttenschülerInnen’ zählt Friedl Dicker, die als Tochter eines Papierwarenver- käufers in Wien aufgewachsen war, wo sie nach der Bürgermädchenschule an der Grafischen Lehr- und Versuchsanstalt - gerade 14jährig - Fotografie belegt hatte. Drei Jahre später studierte sie an der Kunstge- werbeschule in der Textilklasse bei Prof. Rosalie Rot- hansl bevor sie 1916 zu Itten wechselte. Aus Berlin bewirbt sich 1920 Ruth Hildegard Raack. Als Pfar- rerstochter zunächst im Harz, ab 1913 in Berlin auf- gewachsen, hatte sie an Abiturientenkursen teilge- nommen. Ab 1914 studierte sie an der Unterrichtsan- stalt am Kunstgewerbemuseum - u.a. bei Bruno Paul - Schrift, Malerei und Möbelentwurf und schloss 1919 erfolgreich ab. Luise Berkenkamp kommt 1920 direkt nach dem Abitur in Essen, ihr Vater betrieb eine Pa- pier- und Tütenfabrik in Wesel. Bereits vor Ort ist Eri- ka Hackmack, die sich - 15jährig - zum Frühjahr 1921 immatrikuliert. Alma Buscher schreibt sich im Früh- jahr 1922 in Weimar ein. Sie war als Tochter eines Reichsbahninspektors im Siegerland geboren und in Berlin aufgewachsen, wo sie 1916 das Abitur ableg- te. Zwischen 1917 und 1920 besuchte sie die Kunstschule Reimann in Ber-lin. Ein Jahr später, zum Sommersemester 1923 im-matrikuliert sich Mila Lederer nach vier Semestern Innendekoration an der Kunstgewerbeschule Trier. Dort hatte sie 1920 das Abitur erworben, ihr Vater war Innenarchitekt. Gertrud Hantschk kommt ebenfalls 1923 ans Bauhaus. Sie hatte eine Lehre in einem Architekturbüro absolviert.54 Kattina Both war in einer Pfarrersfamilie aufgewach- sen und hatte nach dem Abitur in Kassel Grafik und Malerei, ab 1924 an der Burg Giebichenstein Töpferei und Skulptur studiert. Sie fährt 1925 nach Weimar, um sich das Bauhaus anzusehen, immatrikuliert sich jedoch erst nach der Übersiedelung des Bauhauses nach Dessau. Auch Lotte Beese schreibt sich dort 1926 ein. Sie kommt nach verschiedenen Tätigkeiten, u.a. in einer Handweberei und einem Verlag. Sie war als jüngste Tochter eines Reichsbahnbeamten im schlesischen Nodlau aufgewachsen und hatte die Schule wahrscheinlich mit der mittleren Reife verlas- sen. Auch Gerda Marx verfügt nicht über ein Abitur, als sie ab 1926 das Bauhaus besucht. Als einziges Kind einer Kunstgewerblerin und eines Chemikers in Dessau und Berlin aufgewachsen, immatrikuliert sie sich dort zum Sommersemester 1927. Gertrud Ursula Schneider, Wera Meyer-Waldeck, Lot- te Gerson und Eva Fernbach kommen im Frühjahr 1927 nach Dessau. Schneider, bereits seit 1923 di- plomierte Architektin, arbeitete zuvor im Büro von Er- win Gutkind in Berlin. Sie war in Berlin aufgewach- sen, hatte während der Zeit an der Cecilienschule den Vornamen Ursula angenommen und nach dem Abitur an der TH Charlottenburg ab 1916 Architektur belegt. Meyer-Waldeck war in Alexandrien und der Schweiz aufgewachsen und studierte seit 1924 an der Akademie in Dresden. Sie hatte zuvor bereits ei- ne Frauenschule besucht und 1924 die Ausbildung zur Kindergärtnerin abgeschlossen. Gerson, die sich vor Immatrikulation vor Ort informiert, hatte ebenfalls zunächst eine Frauenschule besucht. Sie bringt auch Erfahrungen aus einer Schneiderwerkstatt, einer Handweberei und einem Jahr im „Bürodienst“ mit. Und Fernbach, als Tochter eines Verlegers mit meh- reren Schwestern in Babelsberg bei Berlin aufge- wachsen, hatte die Augusta-Schule in Berlin-Schöne- berg mit der mittleren Reife verlassen, ab 1924 die Berliner Tischlerschule absolviert. Nach dreijähriger Ausbildung war sie als Frau jedoch nicht zur Gesel- lenprüfung zugelassen worden. Die architekturinteressierten Studentinnen während der Ära Gropius sind damit zur Hälfte zunächst auf dem Land oder in kleinen Städten, häufig in finanziell gesicherten, bildungsbürgerlich orientierten Verhält- nissen und i.d.R. mit Geschwistern aufgewachsen. Nur in Ausnahmefällen kommen sie aus einem klein- bürgerlichen Milieu. Sie wurden manches Mal privat unterrichtet, besuchten vereinzelt Realgymnasien, in der Regel Lyzeen in mittleren oder großen Städten. Nur zum Teil haben diese Studentinnen das Abitur abgelegt.55 Fast ausnahmslos haben sie jedoch be- reits studiert.56 Welche architektonischen Lehrangebote existierten am Bauhaus vor dem Sommersemester 1927? Auf Anfrage von Walter Gropius wurde im Juni 1919 von Paul Klopfer, dem Direktor der Baugewerkeschu- le Weimar, ein Architekturkurs konzipiert, der als sog. Baukonstruktionskurs von Ernst Schumann in der ehemaligen Kunstgewerbeschule im Herbst 1919 ab- gehalten wird.57 Für diese Kurse, deren Studienge- bühren zusätzlich zu zahlen waren, konnten sich Stu- dierende auf einem Aushang am schwarzen Brett ein- tragen. 1919 bekundeten auf diese Weise Alexandra Gutzeit, Elfriede Knott und Tony Simon-Wolfskehl ihr Interesse an der Teilnahme. Lediglich Simon-Wolfs- kehl finden wir unter den elf Bauhausstudierenden, die für den Kurs schlussendlich zugelassen werden. Am Bauhaus selbst wird im Mai 1920 eine „Architek- turabteilung“ unter Adolf Meyer aktenkundig, die je- doch - falls überhaupt - nur kurzzeitig besteht.58 Ab dem Wintersemester 1920/21 bietet Meyer für 53 Badura-Triska (1987) spricht von 15, Dietzsch (1990, II, S.323) führt - ohne Auböck und Korner - 17 Namen auf. Hierzu zählten bspw. Anni Wottiz, Sofie Korner, Ola Okuniewska, Margit Téry- Adler, Franz Singer, Carl Auböck und Alfred Lipovec. [Anna] Wottiz wurde am 19.5.1900 in Budapest geboren. Grafische Arbeiten von ihr befinden sich im BHAB. Sophie Korner wurde am 16.12.1879 in Wien geboren (vgl. Kurzbiografie Korner in: Plakolm-Forsthuber, 1994, S.271). Ola [Olga] Okuniewska kam am 18.1.1902 in Brünn als Österreicherin auf die Welt. Margit Téry (1892-1977) hatte zwischen 1912 und 1916 Kunstschulen in Wien und München besucht bevor sie bei Itten studierte. 1918 heiratete sie den Kunstkritiker Bruno Adler. Vgl. Kurzbio- grafie Téry von Eva Badura-Triska in Gaßner, 1986, S.292 54 Zu Gertrud Hantschk (geb. 20.9.1903 Ratibor) vgl. Kurzbiografie in: Bojunga, Heike / Leibold, Ilona: Die Lust am Experiment, in: Bock, Petra / Katja Koblitz (Hg.): Neue Frauen zwischen den Zeiten, Berlin, 1995, S.157 55 Ein Abitur erwarben Berkenkamp, Buscher. Gutzeit, Lederer, Schneider, Simon-Wolfskehl. Kein Abitur besaßen Helm, Dicker, Raack, Beese, Meyer-Waldeck und Fernbach. Gerson besuchte ein Lyzeum und eine Frauenschule. Ob sie ein Abitur erwarb, bleibt ebenso unklar wie bei Bernoully und Marx, die das Lyze- um nach der Untersekunda verlassen zu haben scheint. 56 Mit Ausnahme von Gutzeit, Berkenkamp und Beese. 57 Der Kurs umfasste 24 Wochenstunden und wurde durch ein vierstündiges Angebot in Projektionslehre und Werkzeichnen er- gänzt. Vgl. Winkler, Klaus-Jürgen: Die Architektur am Bauhaus in Weimar, Berlin, 1993, insbesondere: Die Baugewerkenschule und das Bauhaus, S.23ff. 58 Ibid., S.28. Adolf Meyer fungiert auch in Weimar als Büroleiter, daneben unterrichtet er einzelne Kurse. Erneut ist Tony Simon- Wolfskehl die einzige Interessentin unter den acht aktenkundi- gen Studierenden. am Bauhaus 63 Studierende aller Werkstätten das praktische Werk- zeichnen, die ‘Projektionslehre’ an. Gropius hält Vorlesungen über ‘Raumkunde’ und übernimmt 1921 den theoretischen Unterricht im Werkzeichnen.59 1920 nahmen daran bspw. Grete Heymann und Ola Oku- niewska, 1921/22 Dörte Helm, Hedwig Jungnik und Ruth Hildegard Raack teil.60 Ab 1922 hält Adolf Meyer im Rahmen von Lehraufträgen Vorlesungen über Ar- chitektur. Diese architekturspezifischen Lehrveran- staltungen scheinen jedoch „nur nebenbei und äu- ßerst selten“ stattgefunden zu haben.61 1923 besuch- te Gertrud Hantschk einen der Kurse bei Meyer. Von den zuvor Genannten gelingt es nur Dörte Helm und Alma Buscher während der Zeit am Bauhaus mit räumlichen Entwürfen in Erscheinung zu treten. Zur Vertretung studentischer Interessen existierte am Bauhaus ein Studierendenausschuss. Eine aktive Mit- sprache von Studierenden war jedoch weder vorge- sehen noch erwünscht, bedeutete deshalb die direkte Konfrontation mit Meistern wie Direktor.62 Etliche Stu- dienabbrüche der frühen zwanziger Jahre stehen im Zusammenhang mit fehlenden Architekturangeboten. Dennoch bleibt die studentische Forderung nach ei- ner solchen Ausbildung virulent. Studierende ver- schiedener Werkstätten versuchen diese Interessen selbständig umzusetzen, beschäftigen sich auch mit Architekturentwürfen. 1919, 1920 und 1921 bilden sie ‘Arbeitsgemeinschaften für Architektur’.63 Im Juli 1922 findet im Bauhaus eine ‘Architekturausstellung’ statt, bei der auch Arbeiten des Baubüros gezeigt werden. Während der ‘Bauhauswoche’ 1923 sind in einer Ausstellungsnische einer „Internationale[n] Architek- turausstellung“ erstmalig auch StudentInnenentwürfe - Modelle für Typenhäuser und Entwürfe freistehen- der Einfamilienhäuser - sowie das gerade im Bau be- findliche ‘Haus am Horn’ öffentlich zu sehen. Im Hin- blick auf eine geregelte Architekturlehre bewegt sich weiterhin nichts. Erst auf eine studentische Eingabe hin wird die Frage einer ‘Architekturabteilung’ wäh- rend einer Meisterratssitzung im Herbst 1923 erörtert, aber nicht entschieden.64 Ab Januar 1924 wird erneut ein vierstündiger Baukonstruktionskurs durch Ernst Schumann abgehalten, nun in den Räumen des Bauhauses.65 Am 2.4.1924 legen Marcel Breuer, Farkas Molnár und Georg Muche eine „Denkschrift zur Gründung einer Architekturabteilung“ vor, in der sie eine „selbständi- g[e], direkt dem Direktor unterstellt[e]“ Architekturab- teilung, bestehend aus den drei Initiatoren zzgl. Syn- dikus Lange und einem Ingenieur vorschlagen. Deren Aufgabe sei es, „a) architektonische Aufträge von au- ßen zu bearbeiten und b) Mitarbeit der Werkstätten an der Ausführung zu organisieren.“ Nun reagiert Gropius sofort. Am folgenden Tag fasst der Meister- rat einen Beschluss, der hinsichtlich des geforderten Unterrichts außerordentlich vage bleibt, eine Art Mei- sterschülerstatus für bereits ausgebildete Architekten in Aussicht stellt, den Zugang zur Architektur aber noch strikter reglementiert: Die nun geforderten „Vo- raussetzungen: Gesellenbrief, Grundlagenausbildung im Baufach und besondere künstlerische Befähi- gung“ erlauben eine Chancenvergabe nach Gutsher- renart. „Freie selbständige Arbeit“ bleibt „durchgebil- dete[n] Architekten“ vorbehalten.66 Zeitgleich werden die Initiatoren der Denkschrift abgefunden oder ‘hin- weggelobt’.67 Da der Erweb eines Gesellenbriefes in den Bauge- werken aufgrund reaktionärer Handwerksordnungen männlichen Bewerbern vorbehalten bleibt, werden ar- chitekturinteressierte Studentinnen mit diesem Be- schluss für die nächsten Jahre wirkungsvoll von der Architektur ausgeschlossen. Gleichzeitig bleibt der erzielte Gratifikationseffekt für Studenten nicht unbe- merkt: Schon wenige Monate später wenden sich er- neut drei architekturinteressierte Studenten an den Meisterrat und drohen das Bauhaus zu verlassen.68 Die Initiatoren dieser Eingabe finden wir nur kurze Zeit später als Mitarbeiter im Bauatelier Gropius. 59 Droste, Magdalena: Bauhaus 1919-1933, Köln, 1991, S.34. ‘Raumkunde’ war ein Bestandteil der ‘Werklehre’. Ibid., S.44, vgl. auch Winkler, 1993, S.28 60 Listen darüber, wer diesen Unterricht besuchte, existieren nicht. Margarete Heymann (geb. 10.8.1898 Köln), studiert ab 1920 am Bauhaus. Jadwiga [resp. Hedwig] Jungnik (geb.10.8.1897 Nowy Tomysyl) immatrikuliert sich nach Lyzeumbesuch in Posen und Studien an den Kunstakademien Breslau, Berlin und Weimar zum Herbst 1920 am Bauhaus, wo sie ab 1921 in der Weberei studiert. Vgl. Fiedler, 1987, S.148 61 Konrad Wachsmann erinnert den Unmut seiner enttäuschten Freundin, da Adolf Meyer „nur nebenbei und äußerst selten Ar- chitekturvorlesungen hielt.“ Gruening, 1986, S.141 62 Damit bleibt offen, wann und wie oft Studierende vor 1923 eine Architekturausbildung einforderten. „Die Entscheidungen traf der Direktor.“ Isaacs, 1983, S.257 resp. S.366. Der Meisterrat tagte nicht-öffentlich, wenn auch unter Anwesenheit von ein oder zwei Vertretern der Schülerschaft. Ein offizielles Stimmrecht wurde weder diesen noch den Meistern eingeräumt. 63 So bspw. 1920 anlässlich eines internen Wettbewerbes für das Projekt einer Bauhaussiedlung. Bereits 1919 wurde die ‘Arbeits- gemeinschaft Determann’ gegründet. Dieser lose Zusammen- schluss existierte bestenfalls bis 1923. Als zwei Jahre nach Bauhausgründung die in Aussicht gestellte Architekturausbil- dung immer noch auf sich warten lässt, bilden Georg Muche, Marcel Breuer und Farkas Molnár 1921 erneut eine studentische ‘Architektur-Arbeitsgemeinschaft’ - „Als Protest gegen die feh- lende Bauabteilung“ , Droste, 1991, S.112. Isaacs erwähnt einen informellen ‘Arbeitskreis für Architektur’, den Herbert Bayer mit Unterstützung Meyers in den späten Weimarer Jahren zusam- mengeführt habe. Isaacs, 1985, S.260 64 Meisterrats-Sitzung vom 22.10.1923, Winkler, 1993, S.31. Im April 1924 wird die Denkschrift von Breuer, Muche und Molnár zur Gründung einer Bauabteilung vom Meisterrat bestätigt. SBW, Sign.77, Bl.1-3; Vgl. Wechselwirkungen, 1986, S.361. 65 Winkler, 1993, S.28 - Dieser Kurs wurde durch einen Mathema- tik - und Statik-Kurs ergänzt. Ab Herbst 1924 sollen 14, nament- lich nicht bekannte, Studierende daran teilgenommen haben. 66 MRP vom 3. April 1924 - Der Vorschlag muss für den Privatar- chitekten Gropius bedrohlich klingen, schlagen die Initiatoren doch auch noch vor, einen prozentualen Anteil an den Aufträgen an die Bauhauskasse abzuführen, was u.a. eine Offenlegung der Honorare bedeutet. Schon bei der Abrechnung des ‘Musterhau- ses’ 1923 führte insbesondere die Honorarfrage zu einem Eklat, waren auf einer Rechnung Honorare für Gropius, Muche, Molnár und Breuer ausgewiesen worden. 67 Fred Forbat, seit 1920 Mitarbeiter im Privatatelier wird zum Technischen Leiter der ‘dehatege’-Siedlungen berufen. Als das im Auftrag des Völkerbundes durchgeführte Projekt scheitert, wird er 1925 Chefarchitekt bei Adolf Sommerfeld in Berlin. Marcel Breuer wird 1925 zum Leiter der Tischlerwerkstatt er- nannt und Georg Muche, der zunächst gemeinsam mit Itten, seit 1923 allein Leiter der Textilwerkstatt geworden war, erhält die Möglichkeit zu einer Studienreise in die USA. 64 Architekturinteressierte Studentinnen Blick in die Ausstellungsnische mit den studentischen Entwürfen 1923 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Im offiziellen Lehrangebot wird der Unterricht in Sta- tik und Baukonstruktion erweitert. Gropius und Meyer unterrichten nun je zwei Wochenstunden ‘Entwerfen’. Damit ist ‘Architektur’ ab Herbst 1924 im Stunden- plan mit 14 Wochenstunden präsent. Erst nach wei- teren fünf Semestern beruft Gropius mit dem Schwei- zer Architekten Hannes Meyer einen verantwortlichen Architekturlehrer.69 Zum Sommersemester 1927 wird am Bauhaus eine ‘Architekturabteilung’ eröffnet. Damit ist - acht Jahre nach Gründung der Schule - ein Architekturstudium am Bauhaus möglich. Wo und wie studierten jedoch Studentinnen mit Interesse an der räumlichen Gestaltung vor Einführung eines regu- lären Architekturunterrichts am Bauhaus? Die ersten räumlichen Entwürfen von Bauhausstudie- renden, die dokumentiert sind, entstanden während des vierwöchigen Kurses an der Baugewerkeschule 1919/20. Hier wurden bescheidene Einfamilienhäuser in ländlicher Umgebung entworfen. Die Arbeiten der einzigen Teilnehmerin, Tony Simon-Wolfskehl, sind bisher nicht bekannt. „In der baulich-architektoni- schen Qualität wird allerdings kaum mehr als das tra- ditionelle Niveau handwerklichen Bauens reflektiert”, stellt Klaus-Jürgen Winkler über die dokumentierten Entwürfe wohlwollend fest.70 Auch bei den durch Bauernmöbel inspirierten „Volksmöbeln“, die in der ‘Arbeitsgemeinschaft Determann’ unter Beteiligung von Toni von Haken-Nelissen und Elfriede Knott ent- worfen werden, ist keinerlei Innovation zu erkennen. Siedlungsentwürfe, wie sie ab 1920 für das Vorhaben einer Bauhaussiedlung entstanden, sind von Studen- tinnen bisher nicht nachweisbar. Augenscheinlich üben die meisten Studentinnen in dieser Phase ungeregelter Rahmenbedingungen am Bauhaus Enthaltsamkeit im räumlichen Entwurf. Ver- einzelt werden ihre architektonischen Interessen den- noch sichtbar. So bspw. an den Grundrissen von Friedl Dicker und Franz Singer (um 1922), dem Ent- wurf einer Rundbühne für ein Marionettentheather von Ilse Fehling (1922)71, einer nicht minder räumli- chen Würfelkomposition von Else Mögelin (1923)72 oder auch den Möbeln von Alma Buscher und Benita Otte (1923). Studentinnen mit architektonischen Interessen finden wir bis 1927 i.d.R. außerhalb der Weberei. Alma Bu- scher soll sich ebendort „völlig fehl am Platz“ gefühlt und Gropius schriftlich, aber erfolglos um ihre Verset- zung in die Holzbildhauerei gebeten haben.73 Nach der Ausstattung des Kinderzimmers im Musterhaus am Horn erreicht sie schließlich die Erlaubnis, in der Tischlerei zu arbeiten. Die Tischlerei wird in den Des- sauer Jahren auch zumindest durch Kattina Both, Lotte Gerson, Wera Meyer-Waldeck, Ella Rogler, Eva Fernbach und Annemarie Wimmer intensiv genutzt.74 Buscher produziert noch in Weimar ihre Kindermöbel nach eigenen Entwürfen. Meyer-Waldeck entwirft und realisiert einen Kinderhocker, einen Liegestuhl, einen Teetisch, einen Stuhl, einen Schreibtisch und einen Klapptisch.75 Gerson tischlert in dieser Werkstatt zu- mindest eine Kinderwippe, Both und Wimmer bauen Schränke, Rogler und Fernbach Stühle. Die Möglichkeiten des Kompetenzerwerbs waren in der Tischlereiwerkstatt jedoch begrenzt. Eva Weinin- ger [geb. Fernbach] erinnert: „Die Tischlerei konnte man mit der Berliner Tischlerschule nicht vergleichen. Die waren einfach darauf nicht eingerichtet, und woll- ten’s gar nicht sein. Die war dazu da, dass man sich ein Modell ausgucken kann, und nicht um sich zum Tischler auszubilden.“ 76 Zu einem ähnlichen Urteil kommt Ella Kreher [geb. Rogler], die das Tischlern 68 Lt. Winkler handelt es sich dabei um [Hans] Volger, [Erich] Bren- del und [?] Rösselt. Winkler, 1993, S.32: Eingabe von drei Stu- dierenden September 1924. Wahrscheinlich handelt es sich bei dem Studenten Rösselt um Heinz Nösselt, der - wie Erich Bren- del und Hans Volger - 1925 Mitarbeiter im Atelier Gropius wird. 69 Getty bauhaus correspondence 870570, Gropius an Meyer vom 18.12.1926. Im Februar 1927 übersendet Hannes Meyer seine Bewerbung und erhält Anfang März von Bürgermeister Hesse seinen Anstellungsvertrag zum 1.4.1927. 70 Winkler, 1993, S.26 71 Ilse Fehling (geb. 25.4.1896 Danzig) studiert bei Klee und Mu- che. Sie lässt diesen Entwurf 1922 patentieren. Vgl. Winkler, 1993, S.135 72 Else Mögelin (geb. 20.4.1887 Berlin) studierte seit 1919 am Bauhaus mit Schwerpunkt in der Töpferei und der Weberei. Seit 1906 im Besitz des Zeichenlehrerinnenexames war auch sie im ‘Zweitstudium’ und brachte jahrelange Arbeitserfahrungen mit. Fiedler (1987, S.159) vermerkt bei ihr „Versuche in der Metall- werkstatt“. 73 Will, Cornelia: Alma Siedhoff-Buscher - Entwürfe für Kinder am Bauhaus in Weimar, Ausstellungskatalog, Velbert, 1997, S.19. Auch Baumhoff berichtet - unter Bezug auf ein im September 1993 geführtes Gespräch mit Joost Siedhoff -, dass Buscher im privaten Rahmen von den Schwierigkeiten erzählte, in der Tisch- lerei überhaupt zugelassen zu werden. Baumhoff, 1994, S.90 74 Auch Zsuszanna Bánki, die in dieser Zeit bereits erste Innenaus- bauaufträge ausführt und Edit Rindler als gelernte Tischlerin dürften dort auch produziert haben. 75 Im Diplomzeugnis Wera Meyer-Waldecks vom 12.7.1932 sind unter „tischlerei“ aufgeführt: „mitarbeit bei aufträgen: entwurf und Ausführung der wohnung piscator berlin, arbeitsamt des- sau, innenausstattung, haus hahn, dessau törten - modellar- beit: kinderhocker, liegestuhl, teetisch, klapptisch, entwurf und ausführung eines schreibtisches gesellenstück“ - der Teetisch wie auch der Stuhl werden publiziert (bauauszeitschrift, 2.Jg., 1928, H.4, S.16) 76 Eva Weininger im Interview am 2.2.1995. Deshalb wandte sie sich bei schwierigeren handwerklichen Fragen auch weiterhin an ihre ehemaligen Lehrer in der Berliner Tischlerschule. am Bauhaus 65 Würfelkomposition, Else Mögelin Rundbühne, Ilse Fehling Stuhl für die ‘Volkswohnung’, Wera Meyer-Waldeck,1929 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar zuvor bereits in Stuttgart gelernt hatte: „Da konnte man nicht viel lernen, formal ja, aber nicht handwerk- lich.” Und auch Annamaria Mauck [geb. Wilke] äußert über die Qualität der handwerklichen Grundlagenver- mittlung rückblickend kritisch: „Die praktische Lehre war sehr schlecht besetzt da.“ 77 Offenbar werden die handwerklichen Kompetenzen, die manche Studentin mitbringt, aber erkannt. „Am 2. Januar `27 bin ich ans Bauhaus gegangen. Der Kurs fing dann erst im April an (..) und ich bin direkt in die Tischlerei gegangen und sofort haben sie mir da ei- nen Breuerstuhl vorgesetzt, gesagt, dass ich den ma- chen könnte. Und da hab’ ich mehrmals diesen Breu- erstuhl angefertigt und nachher eigene Entwürfe“, erzählt Eva Weininger.78 Kaum anders stellt sich die Situation in der Metallwerkstatt dar: „Eine lange Aus- bildungszeit war mir nicht vergönnt“, erinnert Marian- ne Brandt ihren dortigen Einstieg 1924. „Es hieß sehr bald: entwerfen, ausführen, helfen, sich umtun.“ 79 Und 1928 wird Gerda Marx in dieser Werkstatt mit der Produktion von Aschenbechern beschäftigt, rea- lisiert an der Blechbiegemaschine die „Fuge“ nach Entwurf von Henri Neugeboren. Erst während eines Außensemesters in Berlin 1929 kann sie auch eigene Entwürfe, darunter einen Leuchter, produzieren. Architekturinteressierte Studentinnen können am Bauhaus die Werkstätten nicht nach Interessenlage und Neigungen wählen. Außerhalb der Weberei wird ihnen offensichtlich dann eine Art Duldung gewährt, wenn sie als Ausführende in der Produktion einge- setzt werden können. Der einzige Ort kontinuierlichen architektonischen Arbeitens bis 1927 ist das private Atelier von Gropius. Studierende - darunter auch Stu- dentinnen - partizipierten hier immer wieder an Pro- jekten.80 Winkler verwies darauf, dass Gropius seine Mitarbeiter für das Privatatelier sorgsam selektierte, „um die Qualität und die Leistungsfähigkeit des Bü- ros zu garantieren”.81 Jaeggi kommt zu der Einschät- zung, dass studentische Mitarbeit dort als Ressource geschätzt wurde.82 Gropius beschäftigt zunächst Mit- arbeiter, die außerhalb des Bauhauses eine Ausbil- dung absolviert haben.83 Ab 1923 arbeiten im Atelier auch Bauhausstudenten resp. -absolventen.84 Archi- tekturstudentinnen finden wir im Büro Gropius erst 1933. Lediglich die bereits diplomierten Architektin- nen Tony Simon-Wolfskehl und Gertrud Schneider erhalten 1920 resp. 1927 Zutritt zum Atelier.85 77 Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995 78 Eva Weininger im Interview am 2.2.1995 79 Brandt, 1985, S.159 80 Auch wenn sich Mitarbeiterinnen im Atelier Gropius bisher nicht anhand schriftlicher Dokumente nachweisen lassen, so sind die- se Studentinnen vereinzelt auf Fotografien zu finden. Auf einem Foto „bauatelier im Sommer 1927“ sind sechs zeichenbekittelte Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin zu sehen, laut Niegemans Be- schriftung ‘gaede’. Foto im Nachlass Niegeman (NAI). 81 „Gropius nimmt die Auswahl seiner Mitarbeiter sehr sorgfältig vor, um die Qualität und die Leistungsfähigkeit des Büros zu ga- rantieren. Wenn er auch unerfahrene Studierende einsetzt, so vertraut er der Führung durch seinen Mitarbeiterstamm und ver- spricht sich wohl zugleich pädagogische Effekte im Sinne der erstrebten Baulehre.“ Winkler, 1993, S.35 82 Jaeggi hat jedoch auch auf den verschleiernden Charakter gän- giger Darstellungen verwiesen, so wenn Wingler behauptet: „Schöpferische Mitarbeit, selbst wenn sie sich nicht durch her- vorragende Qualitäten auszeichnete, war im Bau-Atelier Gropius stets willkommen - ähnlich dem Bauhaus hat es das Prinzip der Arbeitsgemeinschaft praktiziert, so vermochte es dem Bauhaus lange Zeit hindurch eine Architekturabteilung zu ersetzen und die Voraussetzung für sie zu schaffen.“ Wingler, 1975, S.397 83 Neben dem Büroleiter Adolf Meyer arbeiten im Bauatelier Gropi- us in Weimar ab 1920 Otto Meyer-Ottens, (Heinrich?) Petersen und Fred Forbát, der in Budapest und München Architektur stu- diert hatte. (Winkler, 1993, S.35) Ab 1921 arbeiten dort Carl Fie- ger, der zu-vor bei Behrens arbeitete, und Ernst Neufert, der an der BGS Weimar studiert hatte, ab 1922 Otto Eisler. 84 So ab 1924 Farkas Molnar und Marcel Breuer, Joost Schmidt, 1925 Erich Brendel und Heinz Nösselt (Winkler, 1993, S.35), 1926 bis 1928 Johan Niegemann. 85 Sie, die trotz mehrjähriger Berufserfahrung durch ein erneutes Studium am Bauhaus bereitwillig die Rolle der Lernenden resp. subalternen Zeichnerin einnehmen, werden innerhalb des Büros als jeweils einzige Mitarbeiterin geduldet, verlassen das Atelier jedoch nach kurzer Zeit. Simon-Wolfskehl arbeitet anschließend als selbständige Innen- und Bühnenarchitektin in Frankfurt/M., Schneider als Architektin bei der AHAG in Berlin. Vgl. Biografien Simon-Wolfskehl resp. Schneider. 66 Architekturinteressierte Studentinnen Gerda Marx beim Abkanten der „Fuge” „Fuge in e-moll”, Entwurf von Heinrich Neugeboren Ursula Schneider im Atelier Gropius / Meyer, Sommer 1927 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Aus den Werkbiografien wissen wir, dass dennoch auch weitere Studentinnen an den Projekten des Privatateliers partizipierten.86 So beteiligt sich Lou Berkenkamp 1920 als Lehrling in der Wandmalerei sowohl bei der Kantine in Weimar als auch am Haus Sommerfeld. Bei diesem Projekt obliegt Dörte Helm die Auswahl von Stoffen und Lampen. Sie realisiert die Innendekoration und entwirft u.a. einen Vorhang. 1923 werden im ‘Haus am Horn’ mit den Innenraum- entwürfen von Benita Otte und Alma Buscher zumin- dest zwei Studentinnenentwürfe realisiert - bezeich- nenderweise Küche und Kinderzimmer. Am Ausbau des Bauhausneubaus 1925 sowie der Meisterhäuser ist Kattina Both beteiligt. Mila Lederer arbeitet bspw. an der Kantine Dessau mit. Um 1926/27 ist Wera Meyer-Waldeck sowohl an der Innenausstattung des Arbeitsamtes Dessau als auch bei der Möblierung des Hauses Hahn beteiligt. Margaret Leiteritz soll an der Ausmalung des Palais Hilda und der Lutherschule sowie der Siedlung Törten beteiligt gewesen sein.87 1929 werden auf einer Liste Engemanns Lore Enders und Annemarie Wimmer als „arbeitsgruppe küche“ der Siedlung Törten aufgeführt.89 Und auch nach der Entflechtung von Privatatelier und Bauhaus sind Studentinnen für Gropius tätig: 1929 arbeitet Meyer-Waldeck an der Ausstattung der Woh- nung Piscator in Berlin ebenso mit wie Eva Fernbach, deren Entwurf für eine Wandlampe Verwendung fin- det.90 Auch Marianne Brandt und Ruth Hollos sind an dieser Ausstattung beteiligt91, erwähnt wird in Publi- kationen jedoch nur die Mitwirkung Marcel Breuers. Innerhalb der Bürohierarchie Gropius bleibt die Situa- tion von Mitarbeiterinnen auch bei verstärkter Bautä- tigkeit und nach der Verlegung des Büros nach Berlin perspektivlos. Durch Nichterwähnung von Mitarbeite- rinnen in Publikationen sind sie bis heute nahezu unbekannt.92 Die vier Wohnungsgrundrisse für einen freistehenden Flachbau von Friedl Dicker und Franz Singer aus der Zeit um 1922/1923 sind die frühesten bisher doku- mentierten architektonischen Entwürfe, an denen nachweislich eine Studentin beteiligt ist. Insgesamt sind vier gemeinsame Entwürfe von Dicker / Singer bekannt, die ebenso wie die Vorschläge Forbats und Muches im Kontext der geplanten Bauhaussiedlung in Weimar und des Musterhauses am Horn entstan- den. 86 Nach bisherigem Recherchestand zumindest neun: Dörte Helm, Lou Berkenkamp, Mila Lederer, Benita Otte, Alma Buscher, Ma- rianne Brandt, Gerda Marx, Eva Fernbach, Margaret Leiteritz. 87 Vgl. Biografien im Anhang. 88 So der Eintrag auf der Prüfungsliste vom 21.10.1929, der jeweils „wa/ausbau“ vermerkt. Da Margaret Leiteritz erst ab dem Win- tersemester 1928/29 die Wandmalerei besucht, scheint ihre Mit- arbeit an Törten fraglich. Vgl. Biografie Leiteritz 89 In einem Schreiben aus den 1960er Jahren bezeichnet Wimmer diese Küchenausbauten als Gemeinschaftarbeit, BHD 2-K-1967- 01-04 Brief Annemarie Lange an Konrad Püschel, Bl.1, S.1: „Die eine Mappe [Törten] wird Dir bekannt vorkommen, es sind auch ein paar Pausen von Dir dabei. Erinnerst Du Dich noch an diese unsere Gemeinschaftsarbeit?“ 90 Vgl. Zeugnis Meyer-Waldeck vom 12.7.1932, S. 80 91 Zu Brandt vgl. FN 79 (S.160). Ruth Hollos sp. Consemüller (geb. 1904) studiert ab 1924 in der Weberei. Vgl. Fiedler, 1987, S.147. 92 Beide erhalten kein Empfehlungsschreiben, beide werden nicht bezahlt, beide werden als Mitarbeiterinnen nie genannt. Mitar- beiter des Büros Gropius/Meyer werden ohnehin nur selten ge- nannt. In sämtlichen Veröffentlichungen und internen Papieren gänzlich ungenannt bleiben jedoch nur die Damen. So bspw. auch die TH-Studentin Hilda Harte, die zwischen 1930 und 1933 im Berliner Atelier von Gropius mitarbeitete. Auch ihr Name taucht selbst in den archivierten Abrechnungsbüchern des Büros Gropius nirgendwo auf, weshalb bezweifelt werden kann, dass sie - wie die Herren - für ihre Tätigkeit bezahlt wurde. am Bauhaus 67 Köpfe des Bauateliers, um 1927 Blick ins Architekturatelier Gropius Ursula Schneider und Johan Niegeman, Dessau, 1928 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Alle Grundrisse sind auf Millimeterpapier aufgetragen und um eine Axonometrie ergänzt. Dicker und Singer haben jeweils signiert, jedoch nicht datiert.93 Bei allen Grundrissen fehlen Angaben zu Ausrichtung und Ma- terial. Zwei dieser Entwürfe sind in die Tiefe, die bei- den anderen in die Breite entwickelt. Sie sind sicht- lich von innen nach außen gedacht - im Unterschied zu den unter Stam, Meyer oder Hilberseimer entwor- fenen Wohnungsgrundrissen späterer Jahre. Durch alle Entwürfe zieht sich die Suche nach egali- tären Wohnformen und die Vermeidung von Fluren. Bei ebenso unorthodoxen wie unbeholfenen Erschlie- ßungen, wie einer Drehtür im Zentrum der Wohnung, entstehen so strikt geometrisch aufgebaute Bereiche für ‘M’(ann) und ‘F’(rau). Hier wird offensichtlich ein adäquater räumlicher Ausdruck für ein egalitär ge- dachtes Geschlechterverhältnis innerhalb des priva- ten Wohnens gesucht. Die Varianten loten mit Hilfe jeweils gleich großer, ja möglichst gleichförmiger Flä- chen für Frau und Mann neue Grundrisse für die he- terosexuelle Paarbeziehung aus.94 Dies führt in ge- meinsam zu nutzenden Bereiche wie dem großen Wohnsalon bzw. nur einmalig vorgesehener Räume wie Kinderzimmer und Küche zu unkonventionellen räumlichen Zuordnungen: Im Gemeinschaftsbereich sind grundsätzlich alle Möglichkeiten doppelt vorge- sehen, allein der Flügel ist ggf. vierhändig zu bespie- len. Grenzt die Küche in ihren Wohnungsbereich, ist das Kinderzimmer ausschließlich über seinen indivi- duellen Wohnbereich erschlossen. Ähnlich wie im Versuchshaus von Muche - oder auch im wachsen- den Haus von Scharoun - wird dem Wohnen die zen- trale Lage zugewiesen. Was Wingler als einen typischen Bauhausgrundriss charakterisiert - „Einen getrennten Bereich für Mann und Frau, die Zuordnung des Kinderzimmers zu dem der Frau, der große Wohnbereich und der abgeson- derte Kücheneingangsteil.“ 95 - zeigt sich schon im Vergleich aller vier Grundrisse lediglich als Variante.96 Im Unterschied zur Minimierung von Erschließungs- flächen bleibt die architektonische Reflexion eines egalitären Geschlechterverhältnisses singulär, sind explizit ausgewiesene Bereiche für Mann und Frau in zeitgleichen Entwürfen nicht zu finden.97 Die Herren - darunter auch Alfred Arndt98, Adolf Meyer oder Georg Muche99 - stellen in ihren Entwürfen lediglich die ar- chitektonische Ausformulierung, nicht jedoch die räumlich zementierten Organisationsformen bürgerli- chen Wohnens in Frage. 93 Die Datierungen reichen von 1921 bis 1923. Ein so langer Zeit- raum scheint hierfür aber kaum wahrscheinlich. 94 Im Unterschied zum freistehenden Villen- oder Landhausbau, wo den Bereichen der Dame und des Herrn im Formenvokabu- lar ggf. unterschiedliche Ausdrucksformen zugewiesen werden, um hierdurch ein spannungsreicheres Gebäude komponieren zu können, geht es Dicker / Singer bei ihrem Egalitätsanspruch um die Neuverteilung des Terrains innerhalb des Gebäudes. 95 Wingler in Sammlungskatalog (BHA), Berlin, 1981, S.187, zitiert nach Plakolm-Forsthuber, 1994, S.254 96 So ist weder das Kinderzimmer immer dem der Frau zugeord- net, nur bei zwei Entwürfen ein gesonderter Küchenzugang zu finden. Die Küche ist im einen Fall dem Wohnzimmer des Man- nes zugeordnet, im anderen Fall nur durch das gemeinsame Wohnzimmer überhaupt erreichbar. Allerdings ist jeweils ein Speisezimmer eingeplant, selbst wenn es innenliegend und nur über Oberlicht beleuchtet (4) oder als Appendix der Speisekam- mer konzipiert ist. Ob an Dienstboten gedacht ist, bleibt fraglich Personalräume sind nicht vorgesehen. 97 Während Peter Keler im fahrbaren Haus von 1924 bspw. eben- falls Flure durch eine Drehtür ersetzt (Winkler, 1993, S.159), sind in keinem der anderen Entwürfe - bspw. von Breuer, Forbat oder Molnar - geschlechteregalitäre Bereiche zu finden. 98 So bspw. 1924 beim Haus Auerbach in Jena - vgl. Winkler, 1993, S.122. 68 Architekturinteressierte Studentinnen Vier Entwürfe für ein Einfamilienhaus mit einem Kinderzimmer, um 1922, Friedl Dicker und Franz Singer. Bisher ist unbekannt, ob die in die Tiefe wie die in die Breite entwickelten Grundrissen gemeinsam geplant Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bereits 1989 hat Magdalena Droste für die Instituti- onspolitik des Bauhauses in der Weimarer Zeit fest- gestellt, „daß Frauen der Zugang grundsätzlich er- schwert wurde und (..) sie in die Weberei abgedrängt wurden.“ 100 Anja Baumhoff untersuchte in „Women, Art and Handicraft at the Bauhaus“ 1994 die Selbst- verständnisse von Meistern, zeichnete die Instituti- onspolitik gegenüber Studentinnen anhand der Mei- sterratsprotokolle der Weimarer Jahre nach und be- zeichnete sie als ‘Geschlechterpolitik’.101 Sie belegte, dass Gropius immer wieder initiativ wurde, um Stu- dentinnen schlichtweg aufgrund ihres Geschlechtes Ausbildungschancen vorzuenthalten: So, wenn er für Frauen erhöhtes Schulgeld in Erwägung zieht oder Werkstätten für Männer zu reservieren beabsichtigt.102 Auch wenn er im Februar 1920 einklagt, „daß das weibliche Element nach und nach nicht mehr als 1/3 der Plätze einnimmt“, und im September des glei- chen Jahres „eine scharfe Reduzierung des überre- präsentierten weiblichen Geschlechts” fordert.103 Befremdlich bleiben auch die Vorschläge, „in der nä- heren Zukunft nur noch Frauen mit außergewöhnli- chem Talent“ aufzunehmen und für Studentinnen die Werkstattwahl einzugrenzen, da „ohne Frage (..) der Zugang von Damen gestoppt werden“ müsse.104 Obschon die seit Mai 1920 existierende ‘Frauenklas- se’ auch von manchen Studentinnen begrüßt wurde, sie wurde lt. Baumhoff auf Betreiben Walter Gropius´ „hauptsächlich zur Trennung der Geschlechter” ein- gerichtet.105 Über die Zeit seines Direktorats hinaus war damit für die meisten Studentinnen innerhalb des Bauhauses der Betätigungsrahmen in der Weberei abgesteckt, ein Studium im räumlichen Entwurf systematisch verstellt.106 Auch architekturinteressierte Studentinnen fügen sich - wenn auch widerstrebend - manches Mal dem Ge- bot, in die Weberei einzutreten.107 Offenbar üben An- fang der zwanziger Jahre jedoch nicht alle Studentin- nen die gewünschte Enthaltsamkeit im räumlichen Entwurf: Als „noch immer ungelöst“ wird ‘die Frauen- frage’ 1922 im Meisterrat erneut verhandelt. Während der Weimarer Jahre verlassen jedoch auch etliche Studentinnen das Bauhaus nach nur wenigen Seme- stern. Dietzsch hat 231 Austritte von Studierenden für diesen Zeitraum dokumentiert, wobei erkennbar wird, dass familiäre und finanzielle Gründe eine verschwin- dend geringe Rolle spielen.108 Bereits 1920 bricht An- ny Bernoully ihr Studium am Bauhaus ab. 1921 ge- hen Elfriede Knott und Ola Okuniewska109, 1922 Mar- garete Viereck, Lene Wulff, Gertrud Droste und Käte 99 So bspw. beim Entwurf des Stahlhauses, 1923 oder dem Ent- wurf für ein Stadtwohnhaus 1924. Winkler, 1993, S.130 100 Droste, Magdalena: Beruf Kunstgewerblerin, 1989, S.190 101 Vgl. Baumhoff, 1994, S.81ff. „Änderungen der Bauhauspolitik gegenüber Frauen“ 102 Vgl. dazu bspw. den Kostenvoranschlag vom 28.2.1919 in dem Gropius unter Einnahme: Schulgelder „100 Herren à 150 M, 50 Damen à 180 M“ aufführt. (Wingler, 1975, S.34) Zur Frage der Werkstätten vgl. MRP 14.5.1920 und 20.9.1920 103 Meisterrtsprotokoll vom 2.2.1920 resp. vom 20.9.1920 104 Gropius (SBW Nr.13/85) „Ohne Frage muß der Zugang von Da- men gestoppt werden. Die Töpferei, Holzplastik u.a. Werkstät- ten sind teilweise schon von Frauen überlaufen. Ich schlage deshalb vor, daß in der näheren Zukunft nur noch Frauen mit außergewöhnlichem Talent aufgenommen werden.” - SBW, Nr.12 MRP 26.6.22 §7 Eingrenzung der für Frauen zugänglichen Werkstätten 105 Baumhoff wertet die Einführung der ‘Frauenklasse’ bzgl. der Si- tuation von Studentinnen als Paradox: Für Frauen, die in ge- schlechtsexklusiver Atmosphäre die Weberei besuchen wollten, habe sie durchaus eine Befreiung, für Aspirantinnen anderer Werkstätten eine Beschränkung bedeutet. Baumhoff, 1994, S.89 106 Ibid., S.83 107 Dies wird nie aktenkundig, bestenfalls retrospektiv bekannt. So bspw. bei Anni Fleischmann und Gertrud Hantschk, die nach der Grundlehre 1923 in die Weberei eintreten, auch wenn sie 1922 resp. 1923 in der Absicht kamen, Wandmalerei bzw. Ar- chitektur zu studieren. Fleischmann war 1899 als Tochter eines Möbelproduzenten in Berlin geboren (vgl. Biografie bei Fiedler, 1987, S.143). Hantschk verlässt das Bauhaus Ende 1927 mit ei- nem Zeugnis der Weberei. Auch Kitty van der Mijl-Dekker gibt in ihrer Bewerbung zunächst Architektur als Studienwunsch an. (BHAB, Brief v.d.Mijll an Gropius vom 14.12.1928) - Wie sich an Vielfalt wie Qualität von Stoffen, Bildwebereien und Wandbe- hängen belegen lässt, nutzen zahlreiche Studentinnen den ihnen mehr als Nische denn als professionelles Arbeitsfeld zugewiese- nen Bereich der Weberei, um dort außergewöhnliche Meister- schaft zu entwickeln. 108 Dietzsch, 1990, II, S.323, Anlage 45. Auch wenn die Liste lt. Dietzsch lediglich eine Tendenz angibt - ein Fünftel der Abmel- dungen erfolgt ohne Begründung -, so wird doch deutlich, dass zu etwa einem Viertel disziplinarische Gründe (unerlaubter Ur- laub, u.ä.), zu einem weiteren Viertel die Nichtaufnahme (resp. nicht bestandenes Probesemester) ausschlaggebend waren. Familiäre Gründe (wie Heirat) werden nur bei 7 Austritten akten- kundig, vergleichbar häufig ist das Ausscheiden durch Tod (6). 109 Ol[g]a Okuniewska, seit 1919 am Bauhaus, wird zum Sommer- semester 1920 nur unter Vorbehalt aufgenommen. Sie absolviert ein 2. Probesemester, besucht im Winter 1920/21 neben der Grundlehre das ‘Werkzeichnen’ und wird anschließend aufge- nommen. Ein Jahr später, am 12.10.1921, wird sie vom Meister- rat gestrichen. Der weitere Lebensweg Okuniewskas wurde nicht recherchiert. Vgl. FN 53 sowie Dietzsch, 1990. am Bauhaus 69 oder lediglich gemeinsam signiert wurden. Es wurde jeweils eine Variante mit Unterkellerung vorgesehen. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Reiche. Mit dem Weggang Ittens verlassen 1923 wei- tere Studentinnen das Haus, darunter Friedl Dicker, Mara Utschkunowa und Anni Wottitz.110 1924 gehen Hilde Horn, Suse Becken und Gertrud Bernays-Herr- lich, 1925 Anni Wildberg ab. Bernoully, die in der in Aussicht gestellten Klasse für [Innen-]Architektur studieren wollte oder sollte, ver- lässt Weimar nach nur einem Semester 1920.111 Knott und Bernays-Herrlich, die für den Kurs an der Bauge- werkeschule nicht zugelassen wurden, treten 1920 in die Tischlerwerkstatt ein. Knott geht 1921 ab, Ber- nays 1924. Viereck und Wulff verlassen das Bauhaus ohne Zeugnis 1922 nach sechs Semestern, darunter mehreren in der Wandmalereiwerkstatt.112 Und auch Reiche, seit 1919 in der Metallwerkstatt, geht 1922 ab.113 Auch auffällig viele der Studentinnen, die um 1923 im Vorkurs bei Moholy-Nagy räumlich arbeiten, verlassen das Bauhaus Weimar nach kurzer Zeit und ohne Abschluss, so Korona Krause, Suse Becken, Anni Wildberg und Hilde Horn.114 Walter Gropius, seit 1919 Vorsitzender des Arbeits- rates für Kunst in Berlin115, war Mitte der zehner Jahre durch zwei radikal moderne Industriebauten bekannt geworden: Das Faguswerk - eine Schuhleistenfabrik in Alfeld an der Leine (1911-1913) - und die ‘Muster- fabrik’ auf der Werkbundausstellung 1914 in Köln. Als er 1919 zum Gründungsdirektor des Bauhauses be- rufen wird, lässt er sich in seinem Vertrag mit der thüringischen Regierung schriftlich zusichern, sein Privatatelier in den Räumen des Bauhauses betreiben zu dürfen. Zum Herbst verlagert er sein Büro, das er zuvor in Berlin und seit 1912 mit Adolf Meyer (1881- 1929) betrieb nach Weimar.116 Das als ‘Baubüro’ be- zeichnete Privatatelier wird innerhalb der Hauses be- argwöhnt, offene Kritik bleibt tabu.117 In persona Bau- hausdirektor und Bürochef verquickt Gropius bei der Öffentlichkeitsarbeit für die Schule beide Rollen: Die des Repräsentanten einer öffentlichen Bildungsein- richtung und die des freiberuflichen Architekten. In Weimar setzt er sich mehrfach für den ‘Bauhof’, einen experimentellen Bauplatz ein.118 Sein persönli- ches Interesse an der Etablierung eines qualifizieren- den Architekturstudiums bleibt jedoch gering.119 Stu- dierende sollen über baukundliche Vorerfahrungen verfügen, jedoch erst im Anschluss an ein mehrjähri- ges Studium ggfs. auch in der Architektur tätig wer- den. Unter der Prämisse, dass Hannes Meyer bei der Berufung 1927 ein gleichsam situiertes Privatatelier nicht vorzuenthalten war und die Lehre anhand von Praxisprojekten erfolgen sollte, wird die Koexistenz zweier Privatbüros und eines ausbildungsrelevanten Planungsbereiches unter einem Dach zur konflikt- trächtigen Konstruktion.120 Noch weit deutlicher als Gropius´ Abschied als Direktor steht sein Weggang im Februar 1928 damit im Zusammenhang mit kon- kurrierenden Auftragslagen, dem faktischen Verlust der Büroprivilegien in Folge einer geregelten Archi- tekturausbildung am Bauhaus. 110 Utschkunowa hatte 1919 eine Belobigung „für Modellieren“ er- halten, ab 1920 am Bauhaus die Grundlehre und ‘probeweise’ die Holzbildhauerei besucht. Die Gründe ihres Ausscheidens sind nicht ganz klar. Gropius hatte am 25.10.1920 „ein Gesuch um Unterstützung der außerordentlich befähigten und tüchtigen Bulgarin“ beim Bulgarischen Kulturministerium eingereicht. SBW, Sign.156, Bl.1807, vgl. auch FN 49 111 1920 bestand keinerlei Aussicht, dass diese Klasse in absehba- rer Zeit zustande kommen würde. Vgl. auch Biografie Bernoully 112 Lene Wulff, die seit dem Wintersemester 1921/22 neben der Wandmalerei auch die Weberei besuchte, verlässt das Bauhaus wahrscheinlich ohne Zeugnis wie ohne Gesellenbrief. Von ihrem weiteren Lebensweg ist lediglich bekannt, dass sie emigriert und um 1934 in New York gelebt haben soll. Vgl. Fiedler, 1987, S.167 resp. Grawe, 1997. Zu Wulff vgl. auch FN 37 113 Käthe Reiche ist im Wintersemester 1921/22 Mitglied im Stu- dierendenausschuss, wird jedoch nicht mehr als Mitglied einer Werkstatt geführt, nachdem sie 1921 aus der Metallwerkstatt ausscheidet. Ihre Tätigkeit im Studierendenausschuss verweist auf ihr Interesse, an der Schaffung akzeptabler Studienbedin- gungen mitzuwirken. Das Studium nach vier Semestern abzu- brechen, deutet n.m.E. daraufhin, dass ihr das angestrebte Ziel nicht erreichbar scheint. Vgl. auch FN 21 114 Um 1924 ist Korona Krause letztmalig in der Weberei nachweis- bar. Suse Becken hat das Bauhaus nach dem Vorkurs verlas- sen. Auch Anni Wildberg, die im Wintersemester 1924/25 die Grundlehre bei Moholy-Nagy besucht hatte, scheidet nach nur einem Semester am Bauhaus aus. (vgl. Dietzsch, 1990, II). Bei ihr findet sich allerdings der Hinweis „will Sommersemester 28 weiterstudieren.“ Wildberg scheint in die USA emigriert zu sein. Von Hilde Horn fehlen alle biografischen Angaben, wodurch unklar bleibt, ob sie mit dem gleichnamigen Werkbundmitglied identisch ist. (Mitgliederverzeichnis 1928: Hilde Horn, Kunstge- werblerin, München, Bergmannstr.62) 115 Gropius war seit 1908 Mitglied des Werkbundes und wird im Februar 1919 Nachfolger von Bruno Taut als Vorsitzender des „Arbeitsrates für Kunst“, der 1920 den „Ruf zum Bauen“ publi- zierte, nachdem 1919 „JA! Stimmen des Arbeitsrates für Kunst“ erschienen war. Vgl. Akademie der Künste (Katalog): Arbeitsrat für Kunst Berlin 1918-1921, Berlin, 1980 116 Wodurch dessen Rolle als ‘zweiter Mann’ gesichert, aber auch festgeschrieben war. 70 Architekturinteressierte Studentinnen Blick von oben auf die Terrasse vor der Mensa, um 1928 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar „Bauhaustöchter“ - Architekturinteressierte Bau- hausstudentinnen unter Meyer Zum April 1927 tritt der seit 1919 freiberuflich tätige Basler Architekt Hannes Meyer die am Bauhaus neu- geschaffene Stelle eines Leiters der Bauabteilung an. Er war mit dem Bau der Siedlung Freidorf bei Basel (1919-1925) bekannt geworden und kooperierte seit 1926 mit Hans Wittwer (1894-1952). Mit Meyer wird ein Architekt ans Bauhaus berufen, der die Verwis- senschaftlichung der Bedarfsermittlung wie des Ent- wurfsprozesses betreibt. „meine architekturstudie- renden werden keine architekten“, soll Meyer verkün- det haben.121 Er möchte in seinem - nun „co-op” ge- nannten - Privatbüro mit einem Team von Speziali- sten arbeiten. Hannes Meyer organisiert die Architekturlehre, in dem er den Architekturunterricht am Bauhaus zum Herbst 1927 in ‘Baulehre’ und ‘Bauabteilung’ teilt.122 Er selbst unterrichtet in der Bauabteilung. Und da auch er seinen Büropartner mitbringt, wird Hans Witt- wer Dozent in der Baulehre. Meyer baut das Angebot des Architekturunterrichts systematisch aus. Das Studienangebot in der Baulehre umfasst zunächst 16 Stunden und wird - vergleichbar dem Grundstudium an Technischen Hochschulen - auf vier Semester an- gesetzt. 1927 treten jedoch nur wenige Studierende unmittelbar in diese Abteilung ein. Zum Winterseme- ster 1927/28 finden wir dort 21 StudentInnen. Als Hannes Meyer Anfang 1928 auf Vorschlag Walter Gropius´ zu dessen Nachfolger im Amt des Direktors ernannt wird, gliedert er alle Abteilungen am Bauhaus neu. Hatte er nur wenige Monate zuvor die Aufteilung in ‘Baulehre’ und ‘Bauabteilung’ vorgenommen, so wird die Bauabteilung nun - nach seinem „Organisa- tionsplan“ - in ‘Bauverwaltung’ und ‘Baubüro’ unter- teilt. Wandmalerei, Metall- und Tischlereiwerkstatt werden zu einer eigenen ‘Ausbauabteilung’ zusam- mengefasst.123 Die nun wieder auf ein Semester ver- kürzte Grundlehre bleibt weiterhin obligatorischer Einführungskurs. „jeder neueintretende muss - ohne rücksicht auf vorbildung und ziel - zunächst ein se- mester lang die grundlehre des bauhauses durchma- chen. (..) die verschiedenartigkeit der übungen lässt alle möglichkeiten der spezialisierung für die weitere ausbildung am bauhaus offen“, vermerkt das Infor- mationsblatt des Bauhauses im Juni 1930.124 An- schließend sind ggf. vier Semester in der ‘Baulehre’ vorgesehen, wo Ingenieure wie Friedrich Engemann und Friedrich Köhn technische Fächer unterrichten. Erst danach werden im Baubüro konkrete Bauaufga- ben bearbeitet. In der Bauhauszeitschrift erscheint im Sommer 1928 die Ankündigung: „mart stam - rotterdam hält als gastlehrer monatlich eine woche vorträge über ele- mentare baulehre und städtebau.“ 125 Bereits im Juli findet die erste Veranstaltung von Stam als Ferien- kurs statt.126 Vorab informiert ihn Meyer, dass „die ei- gentliche Baulehre“ nur sieben Hörer umfasse.127 Stam ist offenbar weder mit der Vergütung noch mit den Studierenden zufrieden. Vor Beginn seiner zwei- ten Gastwoche im September desgleichen Jahres stellt er als Bedingung: „Gib mir diesmal möglichst nur Fachleute - und keine aus der Malerei oder We- berei. Damit ich etwas gründlicher machen kann.” 128 Wer de facto diese Kurse besucht, ist nicht doku- mentiert. Im November teilt Meyer Stam mit, dass er im Winter nicht die Baulehre, sondern den Städtebau übernehmen solle und informiert ihn über seine Ab- sicht, für Städtebau zukünftig Ludwig Hilberseimer anzustellen.129 Die Gastwochen Stams werden das Wintersemester hindurch fortgeführt. Dieser verlangt im Februar 1929 von Meyer eine Neuorganisation der Baulehre.130 Meyer lässt ihn wissen, „daß die studen- ten mit den letzten drei kursen nicht mehr so zufrie- den waren”.131 Mit dem Wintersemester endet die Verpflichtung Mart Stams als externem Lehrer. Der Berliner Architekt Ludwig Hilberseimer (1885-1967) übernimmt ab 1929 als Nachfolger von Wittwer die Grundlagenfächer der Baulehre und wird Leiter des neugeschaffenen „Seminars für Siedlungs- und Wohnungsbau“. Welche Studentinnen studieren nun, da ein Architek- turstudium an Kontur gewinnt, am Bauhaus? Bereits vor Ort sind seit Herbst 1926 Lotte Beese, seit Frühjahr 1927 Ursula Schneider, Eva Fernbach, Gerda Marx, Lotte Gerson und Wera Meyer-Waldeck. Schneider verlässt Dessau bereits 1928 und kehrt nach Berlin zurück. Zum Wintersemester 1928/29 schreiben sich Maria Müller und Annemarie Wimmer am Bauhaus ein. Müller lebt seit 1922 in Dessau, wo sie im Architekturbüro ihres Mannes mitarbeitet. Als Tochter eines Zigarrenhändlers in Dresden aufge- wachsen, hatte sie Anfang der zwanziger Jahre an der dortigen Akademie studiert. Auch Wimmer war in Dresden aufgewachsen, wo ihr Vater eine Strohhut- fabrikation betrieb, ihre Mutter als Musikpädagogin tätig war. Auch sie hatte an der dortigen Akademie studiert, zuletzt jedoch ein halbjähriges Praktikum in einer Weberei in Worpswede absolviert.132 Ein Semester später, zum Frühjahr 1929 kommen Eva Busse und Margot Loewe aus Berlin, Lore En- ders aus Mannheim, Ella Rogler aus Stuttgart und die Niederländerin Kitty van der Mijl-Dekker ans Bau- haus. Busse kommt im Anschluss an das Abitur. Loe- we, als Tochter eines freiberuflichen Architekten mit einem älteren und einem jüngeren Bruder in Berlin aufgewachsen, arbeitete dort als Apothekenhelferin, kommt nun jedoch aus Frankfurt am Main. Auch En- ders, als älteste Tochter eines Baurats mit drei Ge- schwistern in Mannheim aufgewachsen, hatte bereits 117 „Ich fühle gerade bei den meistern oder einigen von ihnen eine derartige ablehnung gegen das architektur-atelier, das sie als fremdkörper im bauhaus empfinden, dass ich förmlich einge- schüchtert bin“, schreibt Fred Forbat Anfang der zwanziger Jahre an seinen Arbeitgeber Gropius (Brief an Gropius, unda- tiert, um 1922) Forbat, Fred: Erinnerungen eines Architekten aus vier Ländern, unveröffentlichtes Manuskript, BHA, 1972, S.66, zit. nach Winkler, 1993, S.36, FN 92 118 Das Gelände wurde hierfür ebensowenig zur Verfügung gestellt wie für die um 1922 geplante Bauhaus-Siedlung. 119 „Auch in den Jahren 1922-25 gelang es Gropius nicht, die als Ziel der Bauhausausbildung angekündigte Architekturlehre ein- zurichten.“ Droste, 1991, S.110 - Jaeggi verweist darauf, dass sich - außer dem Bemühen um den Bauhof - keinerlei Initiative von seiten Gropius´ ausmachen lässt. Bereits Isaacs ging hinge- gen davon aus, „daß das Bauhaus damals noch kein eigentli- ches Architekturstudium anbieten wollte.“ Isaacs, 1983, S.287 120 Getty bauhaus correspondence 870570, Schreiben an Gropius vom 16.2.1927 mit den Bedingungen für die Anstellung (8000,- RM, Privatatelier, Wohnungsübernahme von Schlemmer etc.) - „Wir haben jetzt seit jahren nur theorie getrieben an unsrer bau- abteilung und konnten zugucken, wie das privatbüro gropius stetsfort zu bauen hat.“ schreibt Hannes Meyer an Adolf Behne, im Brief vom 24.12.1927. Zitiert nach Droste, 1990, S.166f. 121 Meyer-Bergner, Léna (Hg.): Hannes Meyer. Bauen und Gesell- schaft, Dresden, 1980, S.60 zitiert nach Droste, 1991, S.192, FN 118 122 Droste, 1991, S.190 123 Auch die anderen Bereiche werden neu organisiert. Als ‘Rekla- meabteilung’ werden nun Fotografie, Plastik und Druck zusam- mengefasst, die ‘Textilabteilung’ umfasst Färberei, Weberei und Gobelin. Organisationsplan des Bauhauses unter Meyer, Januar 1930, vgl. Wingler, 1975, S.463 124 Rückseite des Informationsblattes, das in Ermangelung des ver- griffenen Lehrprospektes im Juni 1930 vom Bauhaus Dessau herausgegeben wurde. NL Meyer-Ehlers 125 Bauhauszeitschrift, 1928, H.2/3, S.32 126 Hannes Meyer hatte im März 1928 bei Mart Stam angefragt, dieser hatte in seiner Antwort vorgeschlagen eine Woche pro Monat am Bauhaus zu unterrichten. Getty bauhaus correspon- dence 870570, Meyer an Stam 15.3.1928 Anfrage Berufung, Stam an Meyer 26.3.1928 127 Ibid., Meyer an Stam vom 14.5.1928, S.2. 128 Ibid., Stam an Meyer vom 4.9.1928 - Eine namentliche Teilneh- merliste ist nicht dokumentiert. Am Kurs im Sommer nehmen u.a. Beese, Meyer-Waldeck und Fernbach teil. 129 Ibid., Meyer an Stam vom 22.11 1928 130 Ibid., Stam an Meyer vom 8.2.1929 131 Ibid., Meyer an Stam vom 6.2.1929 „soweit ausserdem private gründe und deine einstellung zum bauhaus mitspielen, möchte ich mich nächstens (..) mit dir darüber unterhalten.” 132 AdKS, PA Lange, Zeugnis Annemarie Wimmer, Frühjahr 1929, unterschrieben von Martha Vogeler. am Bauhaus 71 als Au-Pair, zuletzt als Zahnarztgehilfin gearbeitet. Rogler kommt nach Abitur und einer Tischlerausbil- dung in den Werkstätten Schmidt und Merz in Stutt- gart. Ihr Vater bewirtschaftete ausgedehnten land- wirtschaftichen Besitz in der Nähe von Odessa, wo sie als jüngstes von sieben Kindern die ersten Le- bensjahre verbrachte. Und van der Mijl-Dekker, sie war zunächst auf einer indonesischen Tabakplantage aufgewachsen, hatte nach dem Schulbesuch in den Niederlanden Zeichenkurse an der Londoner Hornsey School of Art belegt und bei einem Architekten Pri- vatunterricht genommen.133 Zum Herbst 1929 schreibt sich Annemarie Wilke in Dessau ein, nachdem sie vorab eine kaufmännische Ausbildung absolviert und Musik studiert hat. Sie war als Einzelkind auf der vä- terlichen Mühleninsel in Lübeck aufgewachsen. Zum Frühjahr 1930 immatrikuliert sich Wera Itting am Bau- haus. Ihr Vater war Ingenieur und leitete die Itting- Werke in Probstzella, wo sie mit zwei Brüdern auf- wuchs. Bevor sie ans Bauhaus kommt hat sie eine Haushaltungsschule besucht und ihre Sprachkennt- nisse bei einem einjährigen Aufenthalt in England und Schottland vertieft. Alle architekturinteressierten Studentinnen, die nach Einführung einer Architekturabteilung ans Bauhaus kommen, haben weiterführende Schulen besucht. Sie haben in der Regel bereits studiert und/oder gearbei- tet. Aber sie haben häufig kein Abitur erworben.134 Nach Hannes Meyer ist Bauen „ein biologischer vor- gang (..) kein ästhetischer prozeß. (..) nur wer als mei- ster in der arbeitsgemeinschaft anderer den lebens- prozeß selbst meistert, ...ist baumeister.“ Demnach ist „bauen nur organisation: soziale, technische, öko- nomische, psychische organisation.“ 135 Unter Meyer entstehen Entwürfe wie das „Gewerkschaftshaus für Tel Aviv“ oder das „Haus des Arbeiterrates für Jeru- salem“ von Arieh Scharon, „Arbeiterwohnhäuser” von Philipp Tolziner und Tibor Weiner und eine „Volks- schule” von Ernst Göhl. Was Studentinnen de facto bei ihm, resp. in der Baulehre bei Wittwer entwerfen, ist weitgehend unbekannt. Ella Rogler zeigt auf der Semester-Prüfungsausstellung im September 1928 ihren - bisher nicht dokumentierten - Entwurf eines Einfamilienhauses. Die wenigen architekturinteres- sierten Studentinnen dieser Jahre scheinen überwie- gend im Rahmen von Gemeinschaftsprojekten tätig geworden zu sein oder - so bspw. Müller und Wim- mer - ab 1929 im Seminar für Siedlungsbau bei Hil- berseimer studiert zu haben. Als das Baubüro 1928 am Wettbewerb „Lungenheilstätte in Harzgerode“ und 1929 am Wettbewerb für die „ADGB-Bundes- schule in Bernau“ teilnimmt, arbeitet bspw. Lotte Beese mit.136 Wera Meyer-Waldeck entwirft für die ADGB einen Schreibtisch, der gleichzeitig ihr Gesel- lenstück in der Tischlerei wird. 1929 arbeiten Lore Enders und Annemarie Wimmer an den Einbaukü- chen der Siedlung Törten.137 Lotte Gerson plant im Frühjahr 1930 eine Volksschule für eben diese Siedlung.138 Unter Direktor Meyer werden - drei Jahre nach Ein- führung eines Architekturunterrichtes - erstmalig Di- plome vergeben: Dreizehn ingesamt, vier davon in der Bauabteilung, keines davon an eine Studentin.139 Auch nach Einführung der Architekturlehre gewinnen die Studienbedingungen für Architekturstudentinnen nicht unbedingt an Attraktivität. Bei insgesamt wieder steigenden Studierendenzahlen - der Studentinnen- anteil bleibt mit insgesamt 28% nahezu konstant- schreiben sich zunehmend weniger architekturinter- essierte Studentinnen am Bauhaus ein.140 Die Neu- gliederung der Architekturlehre - offiziell eine Selek- tion nach Vorbildung, um eine adäquate Form der Schulung zu gewährleisten - zeigt erneut die deutli- che Tendenz zur Ausgrenzung von Studentinnen, 133 Catharina Louise (Kitty) van der Mijl-Dekker wurde am 22.2.1908 in Djodhjakarta geboren. Zur Biografie van der Mijl-Dekkers vgl. Fiedler, 1987, S.149 134 Annemarie Wimmer am 6.3.1926 an der Städtischen Studienan- stalt Dresden-Neustadt, Ella Rogler um 1927 am Olga-Gymnasi- um in Stuttgart. Eva Busse bestand ihr Abitur wahrscheinlich 1929 am Oberlyzeum in Berlin-Pankow. Sie ist damit die Einzige der hier genannten, die unmittelbar im Anschluss an die Schul- ausbildung ein Studium am Bauhaus aufnimmt. Kein Abitur er- warben Margot Loewe, Annemarie Wilke, Kitty van der Mijl-Dek- ker, Lore Enders und Wera Itting. Die Schulabschluss von Maria Müller ist unbekannt. 135 Meyer, Hannes: „bauen“ in: bauhauszeitschrift, 2.Jg., 1928, H.4, S.12ff 136 Im Bauhaus-Zeugnis wird ihr die „zeichnerische mitarbeit am wettbewerbsprojekt lungenheilstätte harzgerode“ bescheinigt Bauhaus-Zeugnis Lotte Beese vom 29.10.1929, S.3 137 Vgl. S.67 138 Ihr Lageplan mit einer Übersicht der „statistischen daten für ei- nen volksschule in der siedlung törten“ datiert vom 22.5.1930, BHD I 1617 G 139 Die vier Bau-Diplome werden an Seifi-Naki Halil Bey (Bauhaus- Diplom Nr.1 vom 10.9.1929), Erich Consemüller, Hermann Bun- zel und Arieh Sharon vergeben (Nr.4, 5, 6, alle datierend vom 27.11.1929). 140 Organisationsplan des Bauhauses unter Meyer, Januar 1930: 190 Studierende, davon 136 männliche, 54 weibliche. Wingler, 1975, S.463 141 Bauhaus-Zeitschrift, 2.Jg., 1928, Heft 2/3, S.12 142 „Denn egal ob es um die etagenwohnung, oder gar nur das ein- zelzimmer der alleinstehenden frau [geht] (..) auch mit den be- scheidensten mitteln lassen sich immer wieder verbesserungen schaffen, wenn man nur weiß, wo die möglichkeiten dazu lie- gen.“ bauhauszeitschrift, 3.Jg., 1929, Heft 4, S.25 143 „Vorweg sei bemerkt, daß sie [die heikle Aufgabe] innerhalb der vom Verlag gezogenen Grenzen, überraschend gut gelöst ist.“ 144 Er lobt Hildebrandt als einen „Mann mit vorurteilslosem Blick für historische wie psychologische, soziologische und wirtschaftli- che Zusammenhänge, im Textteil beweist er ungewöhnliche Fä- higkeiten der Einfühlung und Aufhellung (..) Methodisch geht er den schwierigen Fragen nach dem Wesen der weiblich-schöpfe- rischen Begabung, ihrer Verschiedenheit von der Genialität des Mannes, der Beziehung der schaffenden Frau zum männlichen Künstler usw. nach“. Behne, Adolf: Rezension zu Hildebrandt, Hans: Die Frau als Künstlerin, in: Die Form, 1929, 4.Jg. H.11, 1.6.1929, S.300 145 Hildebrandt, Hans: Die Frau als Künstlerin, Berlin, 1928, S.30 146 Bereits seit Mitte der zwanziger Jahre nehmen ablehnende Ten- denzen gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen merklich zu. 72 Architekturinteressierte Studentinnen „Haus des Arbeiterrates für Jerusalem”, Arieh Sharon, 1929, Axonometrie Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar zumal die Zusammenfassung von Wandmalerei, Metall- und Tischlereiwerkstatt zu einer ‘Ausbauab- teilung’ die faktische Ausgliederung dieser Werkstät- ten aus dem Bereich ‘Bau’ bedeutet. Unter der Schriftleitung von Hannes Meyer ist in der Bauhauszeitschrift 1928 zwischen Architekturartikeln - wie dem Kongressbericht über die „Wohnung für das Existenzminimum“ von Gerrit Rietveld - nun zu lesen: „hausfrauen! besucht die ausstellung heim und technik münchen (..) lernt moderne hausarbeitsöko- nomie, damit ihr mehr zeit habt für die morgenpost, den lokalanzeiger und, wenn´s hoch kommt, die da- me!” 141 Wie kommt der Hinweis auf eine Bauausstel- lung, an der mit Kattina Both auch eine ehemalige Studentin beteiligt ist, als Aufruf an ‘Hausfrauen’ in die hauseigene Depesche? - Just ab dem Zeitpunkt, zu dem ein Architekturunterricht angeboten wird, sich auch für Studentinnen erweiterte Studienmöglichkei- ten abzeichnen, reproduziert die Bauhauszeitschrift offensiv Geschlechterklischees. „die frau (..) wird eine ausführliche erörterung der wohnungsfrage begrü- ßen“ und sie „bedarf (..), sofern sie berufs- und damit verantwortungsbewußt genug ist, erheblicher kennt- nisse aller teilfragen dieses gebietes“.142 Die Schriftlei- tung empfiehlt hier unter dem Titel „wohnberatung“ der „berufsbewußten” Leserin die neu erschienene Zeitschrift „die neue hauswirtschaft“. - Ebenfalls 1929 wird hier eine jubelnde Rezension Adolf Behnes über Hildebrandts „Die Frau als Künstlerin“ erneut abge- druckt. Behne lobt, dass Hildebrandt die „heikle Auf- gabe (..) innerhalb der vom Verlag gezogenen Gren- zen überraschend gut gelöst“ habe.143 Er hält insbe- sondere die Abgrenzung vom „männlichen Künstler“ für gelungen und hätte sich wohl noch offenere Wor- te gewünscht. Dennoch empfiehlt er die „geistreiche, angenehm zu lesende und doch sehr exakte Darstel- lung des geschichtlich-seelischen Verlaufs.“ 144 Was Behne da als geistreiche Darstellung, vorurteilslosen Blick und einfühlsames Nachgehen lobt, liest sich im Originaltext auch schon mal ziemlich platt: „Das Weib ist ans Haus gekettet. Nur eine Kunstbetätigung, die sich zu Haus verrichten läßt, steht ihr zu.“ 145 Zum Zeitpunkt des Weggangs von Gropius propa- giert die Bauhauszeitschrift unter Kallai und Meyer damit ausgerechnet jenes Buch, in dem ein Intimus von Gropius´ sämtliche alten und neuen Vorurteile gegenüber Frauen in Kunst und Architektur aufkocht. Damit nimmt das doing gender - zweifellos im Sinne der Verantwortlichen - nun ebenso unverhohlen wie öffentlich sichtbare Formen an.146 Der Aufklärer Han- nes Meyer, der 1930 auf die Diskrepanz zur propa- gierten Individualität hinweisen, die „Revolutionäre der Vorkriegskunst“ mit ihrem reklamierten Gemein- schaftsprojekt als „mittelalterlichen Kult“ anprangern wird147, stellt die unter Gropius bereits erprobte Aus- grenzung von Studentinnen nicht in Frage. Im direk- ten Gespräch gibt er sich gern väterlich jovial, spricht von „seinen Bauhaus-Töchtern“ und Teppichen als „Seelenkomplexe[n] junger Mädchen“.148 Die reale Studiensituation der Studentinnen wird von diesem Charakteristikum der Phase Meyer, das mensch als ‘laissez-faire Paternalismus’ bezeichnen könnte, zwi- schen 1928 und 1930 deutlich überschattet. „Dann überkam uns der Abschluss eben zwangs- weise“ - Architekturinteressierte Studentinnen unter Mies van der Rohe Nachdem Hannes Meyer im Vorgriff seiner Entlas- sung als Direktor zum 1.8.1930 kündigt, verfügt der Meisterrat die sofortige Schließung des Instituts. Mies van der Rohe wird zum Oktober 1930 als neuer Di- rektor berufen. Er erlässt umgehend eine neue Sat- zung, mit der ein Ausschluss politisch missliebiger Studentinnen und Studenten durch eine komplette „Neuaufnahme der Studierenden“ zum Beginn des Wintersemesters am 26.10. möglich wird.149 Er führt den unter Meyer ab 1928 begonnenen Ausbau des Architekturunterrichts zu einem Studiengang weiter und rückt damit faktisch bereits 1930 die Architektur in den Mittelpunkt des Lehrangebots. In einem nun deutlich dreigeteilten Studienaufbau steht nach der Vermittlung technischen Grundwissens und eines ele- mentaren Architekturunterrichts ab dem dritten Studienjahr die Entwurfsarbeit bei einem Architekten im Zentrum.150 Mies streicht ersatzlos etliche Fächer - und damit auch Besonderheiten des Bauhausstudi- ums - und führt ‘Freihandzeichnen’ während der Vor- lehre ein.151 Die Studiendauer wird von neun auf nun sechs Semester gesenkt, unter Verzicht auf die bis dato obligatorische Vorlehre werden außerhalb der Schule erworbene Vorkenntnisse angerechnet. Durch diese Zuspitzung des Studienangebotes, bei dem in Architekturklassen unter Verantwortung eines Mei- sters entworfen wird, nähert sich das Studium am Bauhaus dem an Kunstgewerbeschulen und Techni- schen Hochschulen an.152 Anlässlich eines Antrags legt der Beirat, der angesichts mangelnder Mittel wie in Ermangelung von Aufträgen nichts zu verteilen hat, im Frühjahr 1931 für die Bauabteilung jedoch vielsa- gend fest: „genau abzuklären sind die kompetenzen der bauabteilung.“ 153 Anfang 1932 stellt Mies van der Rohe seine Partnerin Lilly Reich (1885-1945) als Dozentin für den Bereich Innenausbau an. Als nach dem Verlust politischer wie finanzieller Unterstützung durch die Stadt Dessau En- de 1932 die Weiterführung des Bauhauses nur noch als Privatschule möglich ist, versucht der Beirat die Schule durch eine Verlegung nach Berlin zu retten. Angesichts dieser Umstände kann nicht mehr von 147 „Unter Assistenz einer Jugend, die nach links schielte und gleichzeitig selber hoffte, im gleichen Tempel dermaleinst heilig gesprochen zu werden.“ Meyer, 1930: Mein Hinauswurf aus dem Bauhaus - Offener Brief an Oberbürgermeister Hesse, Des- sau in: Das Tagebuch, Berlin, 11.Jg., H.33, 16.8.1930, S.1307 ff., abgedruckt in Wingler,1975, S.169 ff. - hier S.170 148 Und diese Haltung gegenüber Studentinnen überdauert das Bauhaus: So fragt Hannes Meyer bspw. 1940 eine ehemalige Studentin: „.wo steckt dein mann und was macht er? bauen? planen? was machst du selbst? textilien? felddienst? aushilfe?“ (DAM, NL Meyer, Brief an Margot Sander vom 15.4.1940) Und 1951 fragt er die als Weberin in erster Ehe mit einem Nicht-Bau- häusler verheiratete „Liebe Lisbeth (..) warum müssen wir Bau- häusler so oft heiraten, bis wir endlich ein selbstverständliches Glück finden? Hat dies etwas mit dem falschverstandenen ‘Funktionalismus’ zu tun, oder gar mit der ‘Weberei-Krankheit’? (..) und schreib bald, wie & was & wozu Du in Deiner Familie taugst.“ Ibid., Brief an Lisbeth Birman[-Oestreicher], 15.6.1951 149 Die neue Satzung tritt zum 21.10.1930 in Kraft. 150 Droste, 1991, S.210 - Der elementare Architekturunterricht fand ab 1929 bei Ludwig Hilberseimer zunächst als ‘Baulehre’ (bis 1930) dann als ‘Seminar für Siedlungs- und Städtebau’ statt 151 „Da während des Direktorats Mies van der Rohes keine exter- nen Aufträge mehr bearbeitet wurden, entfiel nicht nur die Aus- sicht auf eine Verzahnung von Theorie und Praxis“, beschreibt Magdalena Droste die Situation. Droste, 1991, S.214. -„Es fällt schwer zu glauben, daß es allein die katastrophalen wirtschaftli- chen und politischen Verhältnisse waren, die eine derartige Re- duktion des nichtarchitektonischen Unterrichts erzwangen“, be- urteilt Peter Hahn die Konzentration des Lehrprogramms. Hahn, Peter: Bauhaus und Exil, in: Baron, 1997, S.212 152 Wie dies Mies van der Rohe selbst zwanzig Jahre zuvor als Mit- arbeiter und Schüler von Bruno Paul an der Kunstgewerbeschu- le Berlin kennengelernt hatte. 153 Hans Volger stellt - sieben Jahre nach seinem ersten Vorstoß - einen Antrag auf „Stellungsnahme“. Die Antwort auf diese Anfra- ge zeigt erneut die große Vorsicht vor jeglicher Regelung dieser ‘Abteilung’. (BHD, NL Engemann, 35-D-1931-03-10. protokoll der beiratssitzung vom 10. märz 1931, pkt.2) „organisation der bauabteilung. antrag volger auf stellungsnahme bzw. entschei- dung folgender fragen: a) ist eine bauabteilung, eine produktion nötig? b) welches kann ihr aufgabenkreis sein? c) welche mass- nahmen und einrichtungen sind nötig, um diese aufgabe zu lö- sen und die abteilung weitmöglichst auszuwerten? zu a) die frage wird bejaht, zu b) der aufgabenkreis richtet sich nach den vorhandenen auf- trägen und den finanziellen möglichkeiten zu c) zur durchführung der wesentlichen wünsche sind ca. rm 2.000 monatlich erforderlich, verfügbar sind etwa rm 1.000 mo- natlich. herr volger wird gebeten, einen vorschlag zu machen, welche aufgaben mit diesen beschränkten mitteln gelöst werden können und welche hiernach ausdrücklich zurückgestellt werden müssen. genau abzuklären sind die kompetenzen der bauabtei- lung. solange keine wirklichen ‘bau’-aufgaben vorliegen, wird die beschäftigung eines möbeltechnikers für wichtiger gehalten als die eines bautechnikers.” am Bauhaus 73 regulären Studienbedingungen gesprochen werden.154 Mit Wera Meyer-Waldeck, Annemarie Wimmer, Maria Müller, Margot Loewe, Lore Enders, Wera Itting und Annemarie Wilke finden wir in der Bauabteilung unter Mies Studentinnen, die schon unter Meyer studiert hatten. Meyer-Waldeck, die bereits unter Gropius ihr Studium in der Tischlerei begonnen hatte, erlebt da- mit den dritten Bauhausdirektor. Neu ans Bauhaus kommen im Herbst 1930 Szuszanna Bánki, Ruth Jo- sefek, Anny Wettengel, Grete Meyer, Mathy Wiener und Hilde Reiss. Während sich Bánki, als Arzttochter mit einem Bruder im ungarischen Györ aufgewach- sen, direkt im Anschluss an das Abitur einschreibt, hat Wettengel drei Jahre lang eine Web- und Werk- schule besucht und vor ihrem Bauhausstudium als Kontoristin, Verkäuferin und Expedientin gearbeitet. Josefek war zuvor als Gymnastikerin in Coburg tätig, nachdem sie zunächst mit einem jüngeren Bruder in Gleiwitz als Tochter eines freischaffenden Architekten aufgewachsen war. Meyer war zuvor als Gewerbeleh- rerin in Kassel tätig, sie wuchs mit einem Bruder in Schleswig auf, wo ihr Vater mit Landmaschinen han- delte. Wiener, in einer wohlsituierten, deutschen Fa- milie in Prag aufgewachsen, studierte zunächst Spra- chen an der deutschen Universität in Prag.155 Reiss studierte zuvor zwei Semester Architektur an der Bauhochschule Weimar und kann - unter Auflagen - direkt ins dritte Semester wechseln. Ihre Eltern waren im Journalismus tätig. Sie war in Berlin-Charlotten- burg aufgewachsen. Ein Jahr später, zum Herbst 1931 nehmen Inge Sti- panitz, Szuszanne Markos-Ney und die Amerikanerin- nen Lila Ulrich und Elsa Hill am Bauhaus ihr Studium auf. Stipanitz kommt direkt im Anschluss an das Abi- tur, Markos-Ney nach einer Familiengründung. Sie war in großbürgerlichen Verhältnissen in Budapest aufgewachsen, ihr Vater verdiente sein Geld in der Textilbranche. Ulrichs Vater verstarb früh, weshalb sie mit ihrer Schwester zeitweilig bei einer Tante in der Nähe von Chicago aufwuchs. Sie hatte vor ihrer Europareise drei Jahre am Art Institute Chicago stu- diert. Hills Background ist nicht bekannt, sie ist bei Immatrikulation verheiratet. Verspätet nimmt Edita Rindler im November 1931 in Dessau das Studium auf. Ihr Vater, als Futtermittelgroßhändler in Prag tä- tig, setzt sich bei der Direktion für die Aufnahme sei- ner Tochter ein. Nach Schul- und Tischlerausbildung in Prag hatte sich Rindler zunächst für Innenarchitek- tur an den Vereinigten Staatsschulen für freie und an- gewandte Kunst in Berlin beworben, war jedoch ab- gelehnt worden.156 Ebenfalls nach Ablehnung an den VS in Berlin schreibt sich Christa Schöder am Bau- haus in Dessau zum Frühjahr 1932 ein. Sie wuchs als Einzelkind in Berlin-Tegel auf und kommt direkt nach dem Abitur. Ihr Vater war gelernter Kupferschmied und arbeitete als Maschinenbauingenieur. Als das Bauhaus zum Wintersemester 1932/33 in den Räumen einer ehemaligen Telefonfabrik in Berlin- Steglitz den Unterricht aufnimmt, studieren von den zuvor Genannten nur noch wenige.157 Der Ortswech- sel eröffnet nun jedoch auch ortsgebundenen Berli- nerinnen wie Hilde Katz, Anneliese Brauer und Eva Lilly Lewin die Möglichkeit der Immatrikulation. Katz, als eine von drei Töchtern eines Juristen im Berliner Tiergartenviertel aufgewachsen, wechselt nach vier- semestrigem Studium an der Berliner Ittenschule ans Bauhaus, zuvor hatte sie Musik studiert. Brauer [geb. Otto] hatte nach dem Ende des ersten Weltkrieges an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin zwei, an einer Kaufmännischen Hochschule ein Semester stu- diert und anschließend eine Familie gegründet. Ihr Vater war Kaufmann.158 Lewins Vater betrieb einen Baustoffhandel in Berlin, sie arbeitete zunächst als Büroangestellte. Auch die 42jährige Münchnerin Grete Schlagenhaufer arbeitete wahrscheinlich be- reits in Berlin. Zuvor hatte sie eine Handelsschule und eine Gewerbeschule absolviert, sowie an der Akademie in München studiert. Zu den Neuimmatrikulierten im Herbst 1932 zählen außerdem Elfriede Knoblauch, Nat(h)alie Swan, Rose Mendel und Angela Press. Knoblauch hatte in Berlin Musik studiert, dann geheiratet. Swan war als Toch- ter eines erfolgreichen Bankiers mit zwei Schwestern in New York City aufgewachsen und hatte drei Jahre lang das Vassar College in Poughkeepsie besucht.159 Mendel studierte zunächst an den Universitäten in Hamburg, Frankfurt, aber auch in Grenoble und an der Sorbonne in Paris Kunstgeschichte und Soziolo- gie. Sie wuchs als einziges Kind ihrer Eltern, die mit Lederwaren handelten, in Hamburg auf. Press kommt im Anschluss an ein Grafikstudium in Königsberg. Sie war in Berlin-Wilmersdorf, wahrscheinlich in einer Musikerfamilie aufgewachsen. Damit finden wir die meisten architekturinteressierten Studentinnen am Bauhaus während des Direktorats Mies van der Rohes. Von denjenigen, die ab 1930 neu hinzukommen, ist die Mehrheit in Großstädten aufgewachsen und im Besitz eines Reifezeugnis- ses.160 Bei diesen Studentinnen springt die Vielzahl wie die Unterschiedlichkeit der ‘Vorleben’ ins Auge: Sie kommen nur vereinzelt im Anschluss an das Abi- tur, haben zu einem Viertel im Erwerbsleben Erfah- rungen gesammelt, zur Hälfte zuvor studiert.161 Nur Reiss und Katz haben jedoch bereits Architektur stu- diert und sind damit die einzigen, für die der Wechsel ans Bauhaus lediglich einen Schulwechsel bedeutet. Welche Aufgabenstellungen bearbeiteten die Studen- tinnen nun? 154 Während im letzten Semester in Dessau, im Sommersemester 1932 noch insgesamt 167 Studierende eingeschrieben waren, sank deren Zahl im Wintersemester 1932/33, dem letzten Bau- haussemester, auf 114. Gut 20% aller Studierenden waren im letzten Dessauer Semester Studentinnen (incl. HospitantInnen und HörerInnen). Hahn/Wolsdorff, 1985, S.62 resp. S.102 - Sommersemester 1932: 142 Studierende, 17 Hospitanten, da- von im Bau/Ausbau 87 Studierende, 4 Hospitanten, 2 Hörer (männlich 125 S, incl. 6 Hosp., 4 Hörer, d.h. 135 insgesamt), weiblich: 17 Studierende, 11 Hosp., 5 Hörer, d.h. 33 insgesamt. 155 Wobei sie die Lehrbefähigung in englischer und französischer Sprache erwarb, vgl. Biografie Wiener. 156 HDKA Best.8, Nr.116 Aufnahmeentscheidungen WS 1931/32 157 Im Bereich Bau/Ausbau nur noch Itting, Stipanitz, Ulrich und - trotz bereits bestandenem Diplom - Wilke. 158 Bisher ist unbekannt, in welcher Branche Robert Otto tätig war. Familie Otto wechselt den Wohnsitz mehrfach: Anneliese Otto ging in Görlitz, Düsseldorf und Berlin zur Schule. 159 Natalie Swan bringt von dort u.a. Erfahrungen in Tischlern, Töp- fern, Malen und Geometrie mit. 160 So hatte Ruth Josefek zunächst im oberschlesischen Gleiwitz nach der vierjährigen Mittelschule ein Mädchenlyzeum besucht, um 1922 mit dem Reifezeugnis abgeschlossen. Szuszanne Mar- kos-Ney hatte in Budapest, wahrscheinlich 1926, Hilde Katz um 1927 in Berlin das Abitur erworben. Mathy Wiener dürfte - nach fünf Jahren Volksschule und acht Jahren am Realgymnasium - das Abitur um 1928 in Prag abgelegt haben. Hilde Reiss be- stand das Abitur 1928 an der Fürstin-Bismarck-Schule in Berlin. Szuszanna Bánki absolvierte die Reifeprüfung 1930 an einem Realgymnasium in Györ, Inge Stipanitz 1931 an einem Reform- gymnasium in Ostpreußen. Lila Ulrich und Natalie Swan hatten High Schools und Colleges, Rose Mendel nach Privatunterricht das Mädchenlyzeum in Husum besucht. Sie wechselte 1925 für drei Jahre an die Lichtwarkschule in Hamburg. Lediglich die mittlere Reife erworben hatten Brauer, Lewin, Wettengel und Rindler evtl. auch Knoblauch und Schlagenhaufer. 161 Direkt im Anschluss an das Abitur kommen Bánki, Schöder und Stipanitz. 74 Architekturinteressierte Studentinnen „La Casa Grande”, Lore Enders, 1932, Südansicht Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Fast alle der genannten Studentinnen studierten zu- nächst zwei Semester bei Ludwig Hilberseimer im Seminar für Siedlungsbau. Wera Meyer-Waldeck ent- wirft hier Wohnbauten sowie - wahrscheinlich 1931 - ein „familienhaus“.162 „Siedlungsschemen verschiede- ner Wohndichte“ sowie eine „Citybebauung mit Büro- häusern“ von Hilde Reiss entstehen im Winterseme- ster 1931/32. 1932 entwirft sie eine „Kinderstadt” für eine Junkers-Arbeitersiedlung mit Wohnhäusern und Schulen. Annemarie Wilke entwickelt hier zwischen 1930 und 1932 mehrere Einfamilien- resp. Siedlungs- häuser.163 Und auch Zsuzsanna Bánki und Annemarie Wimmer entwerfen zumindest im WS 1931/32 Sied- lungshäuser.164 Alle genannten Arbeiten sind bisher unbekannt. Zu vermuten ist, dass auch sie jene do- minierende Serialität aufweisen, die zeitgleich ent- standene Siedlungsentwürfe bei Hilberseimer zeigen. Das ‘Studentinnenwohnheim’ Annemarie Wimmers entstand im Sommersemester 1932, evtl. bei Hilbers- eimer oder als freie Arbeit. Aber auch ihre Entwürfe sind bisher nicht dokumentiert. Erhalten sind Skizzen des Wohnhausentwurfes ‘La Casa Grande’ von Lore Enders. Sie datieren jedoch aus dem Dezember 1932 und entstanden damit wahrscheinlich erst nach ihrer Bauhauszeit. Bei Mies van der Rohe entwerfen Studenten zum ei- nen - nahezu obligatorisch - freistehende Einfamilien- häuser, zum anderen - auf eigenen Vorschlag - Bau- ten unterschiedlichster Nutzungen. Bekannt sind bspw. das 1932 entstandene Schwimmbad von Ho- ward Dearstyne und - aus dem Jahre 1933 - die „Villa am Gardasee” von Pius Pahl und die „Bergbau- siedlung im Harz“ von Carl Bauer.165 Hilde Reiss ent- wirft im Winter 1931/32 bei Mies ein Wohnhaus, im Sommersemester 1932 ein Einfamilienhaus und eine Riesengebirgsbaude. Noch im gleichen Sommer di- plomiert sie mit einem Großstadthotel. Wera Meyer- Waldeck entwirft 1932 - ebenfalls bei Mies - als Di- plomarbeit eine „8-klassige Volksschule mit Ganz- tagskindergarten für die Junkerssiedlung“. Dies ist die einzige bisher dokumentierte Diplomarbeit einer Bauhausstudentin, wobei von den meisten der archi- tektonischen Studienarbeiten bisher nicht einmal die Themen bekannt sind.166 Während des Direktorats Mies van der Rohes ist der Studentinnenanteil im Bereich Bau-/Ausbau so hoch wie nie zuvor. Im Sommersemester 1931 ist jede/r 6. Studierende im Bereich Bau/Ausbau eine Studen- tin.167 Während damit im ersten Semester Baulehre - dem zweiten Semester der Studierenden - der fakti- sche Studentinnenanteil mit ca. 30% erstmalig deren Anteil am Bauhaus insgesamt entspricht, bleiben Ar- chitekturstudentinnen in höheren Semestern Ausnah- men. Diese Minderheitensituation bleibt bis zur Auflö- sung des Bauhauses bestehen.168 Auch im letzten Bauhaussemester, dem Wintersemester 1932/33, 162 Lt. Diplom Meyer-Waldeck, vgl. Biografie Meyer-Waldeck. 163 Annamaria Mauck gab im Interview an, hauptsächlich bei Lud- wig Hilberseimer und Lilly Reich studiert zu haben. 164 Zsuzsanna Bánki scheint von den Entwurfsthemen eher ent- täuscht zu sein. 1931 schreibt sie an ihren Bruder: „Ich hoffe, daß Du Dein Haus von mir bauen läßt, auch wenn wir uns hier hauptsächlich mit dem Entwerfen einfacher Arbeiterwohnungen beschäftigen. Aber ich werde mich bemühen, ein Haus nach Deinen Wünschen zu bauen.“ Z. Bánki an Ö. Bánki, Brief vom 30.4.1931 - abgedruckt in Bánki, 1990, S.67 165 Zur Siedlungsplanung Bauers s.a. Biografie Wilke. 166 Im Bauhaus-Archiv Berlin werden Reproduktionen der Diplomar- beit Meyer-Waldecks aufbewahrt. Von Gersons Entwurf für eine Volksschule befindet sich lediglich der Lageplan im Bauhausar- chiv Dessau. Die Studien- wie die Diplomthemen von Wilke und Müller sind bisher unbekannt. 167 Unter den 73 Immatrikulierten Studierenden sind dreizehn Stu- dentinnen zu finden: Bánki, Josefek, Itting, Meyer, Wettengel und Wiener sind die sechs Studentinnen unter real anwesenden zwanzig Studierenden des zweiten Semesters (STAD SB 21, NL Engemann „Statistik“ bau/ ausbau. Von den offiziell 24 Studie- renden des zweiten Semesters sind vier beurlaubt.) Im 3.Seme- ster finden wir unter 18 Immatrikulierten keine Einzige, im 4. Se- mester drei unter insgesamt 19 immatrikulierten StudentInnen, real 17 anwesenden Viertsemestern (Enders, Reiss und Wilke). Im 5. Fachsemester studiert vor Ort lediglich Müller, ab Mai auch wieder Meyer-Waldeck. Wimmer - ebenfalls im 5.Semester - verlängerte ihr Aussensemester in Lübeck. Unter den Beur- laubten der Bauabteilung wird im Sommersemester 1931 auch Gerda Marx aufgeführt. Sie hatte das Bauhaus bereits im Som- mer 1929 nach nur einem Semester im Bau/Ausbau verlassen und kehrt nicht ans Bauhaus zurück. 168 Im SS 1931 zehn Studentinnen unter real anwesenden 59 Stu- dierenden, im WS 1932/33 11 von 66 Studierenden. Im folgen- den Wintersemester (1931/32) studiert auch Annemarie Wimmer wieder am Bauhaus. Daneben alle zuvor Genannten mit Aus- nahme Grete Meyers. Zum Herbst 1931 tritt keine Studentin neu in die Bau-/Ausbauabteilung ein. Anni Wettengel wird im März 1932, Riccarda Meltzer, Zsuzsanna Bánki und Mathy Wiener werden im April 1932 vom Weiterstudium ausgeschlossen. Im Sommersemester 1932 treten in den Bereich Bau/Ausbau Lila Ulrich, Edit Rindler, Inge Stipanitz, Michiko Yamawaki und Käthe Schmidt neu ein. Die beiden letztgenannten studieren hier ledig- lich ein Semester lang. Sie hatten zuvor in der Weberei studiert und dort ein Zeugnis erhalten. (Zeugnis Schmidt vom 7.2.1932). Während dies für Michiko Yamawaki, die gleichzeitig mit ihrem Mann Iwao in die Baulehre wechselt, das letzte Bauhausseme- ster ist, wechselt Schmidt, die im Frühjahr 1931 gekommen war, zum Herbst 1932 wieder in die Weberei. Zu Michiko Yamawaki (geb. 13.7.1910 Tokio) vgl. Fiedler, 1987, S.167 - Ihr Mann wird als Architekt in Japan tätig. Zu Käthe Schmidt, sp. Rose (geb. 8.7.1905 Bromberg) vgl. BHD, NL Engemann, semesterprü- fungsliste vom 6.7.1931 und Fiedler, 1987, S.164-165. am Bauhaus 75 8-klassige Volksschule mit Ganztagskindergarten für die Junkerssiedlung, Diplomarbeit, Wera Meyer-Waldeck, 1932 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar studieren hier nur 14 Studentinnen.169 Auch während des Direktorats von Mies van der Ro- he erreichen Architekturstudentinnen damit nicht je- ne ‘kritische Quantität’, in der sie als Studierende ernst genommen werden. So sehr die Architektur nun auch in den Mittelpunkt der Lehre rückt, die Möglich- keiten, innerhalb des Unterrichts eigenständige resp. eigenwillige Entwürfe zu entwickeln schwinden. Auch wenn Mies van der Rohe immer wieder als Va-terfigur und dominantes Vorbild beschrieben wird, angesichts seiner übermächtigen Position als Architekt, Lehrer und Direktor ist dieses Epigonentum nicht unbedingt der Adoration geschuldet.170 Droste umschreibt seine Auffassung des Unterrichts als „eine ästhetische Schulung im Sinne seiner eigenen Architekturauffas- sung“, bei der fast nur Kopien entstehen konnten.171 Aber nicht nur bei Mies bestand ein enormer Anpas- sungsdruck, wie Annamaria Mauck erinnert: „Wenn wir da mit unseren individuellen Wünschen oder In- timsphäre oder sowas ankamen, da hatte man keine Chance, dass die das durchgehen lassen. Da ist man bei den Meistern nicht recht angekommen.“ 172 Auch Howard Dearstyne erinnert die Schlussphase des Architekturstudiums am Bauhaus Dessau: „Als das letzte Semester anfing, waren wir in unserer Klasse nur noch vier Leute. (..) Wir zogen in einen Atelierraum im Erdgeschoß, der immer abgeschlos- sen war. (..) Hier arbeiteten wir an unseren Diplomar- beiten. (..) In diesem letzten Semester hatten wir be- neidenswert oft Gelegenheit, uns mit Mies zu unter- halten; isoliert von allen anderen Klassen in unserem Privatraum, hatten wir ihn Stunden am Tage ganz für uns allein.“ 173 Ähnlich exklusiv schildert auch Frank Trudel die Situation im Seminar Mies: „Mehr als sechs Schüler gab es da wohl kaum jemals.“ 174 Wir wissen jedoch, dass offiziell weitaus mehr Studieren- de bei Mies van der Rohe in höheren Semestern stu- dierten.175 Und wir ahnen, was Hilde Reiss´ Andeu- tung, dass es bei Mies bevorzugte Schüler gegeben habe, die Intensität der Betreuung sehr unterschied- lich ge-wesen sei, bei der Absolvierung ein und des- selben Studiums realiter bedeutet haben mag. Zeitgenössische Aussagen zur Studiensituation unter Mies van der Rohe sind bisher lediglich von Studen- ten dokumentiert. Annamaria Mauck erinnert die kon- krete Arbeitsweise unter Mies: „Jeder hatte seinen Tisch und sein Zeichenzeug und dann eine kleine oder größere Aufgabe und puzzelte daran rum, und dies wurde schön, anderes wurde verworfen. (..) es hat sich nie ergeben, dass wir alle ein Projekt durch- gezogen hätten.” 176 Trotz zunehmender Präsenz werden Studentinnen im Architekturstudium von Meistern wie Kommilitonen offenbar ignoriert. Hinzu kommt, dass Studentinnen höherer Semester nun aus politischen, disziplinari- schen und fachlichen Gründen auch formal vom Wei- terstudium ausgeschlossen werden. Nach einem ver- meintlichen Eklat lässt Mies van der Rohe die Kantine am 19.3.1932 polizeilich räumen, um die dortige Stu- dierendenversammlung aufzulösen. Der sog. kostu- fra-Streit gerät zum Politikum, etliche Studierende verweigern die Teilnahme an der Jahresausstellung. Zsuzsanna Bánki schildert ihrem Bruder kurze Zeit später ausführlich die Situation aus ihrer Sicht: „Du kannst Dir vorstellen, daß nach diesem Vorfall viele nicht ausgestellt, sondern ihre Arbeiten zum Seme- sterende nur abgegeben haben. Das war eine öffent- liche Schande für Mies. Wir haben tatsächlich nicht ausgestellt. Du kannst Dir vorstellen, in welcher Si- tuation sie waren, als die Ausstellung eröffnet wurde. Alle hohen Tiere kommen, um die Ausstellung offiziell zu besichtigen und dann fehlen viele Arbeiten und von jedem, der nicht ausstellt, liegt da ein Name und eine Notiz, daß er oder sie nicht ausstellt. Die Dozen- ten haben die ganze Nacht gearbeitet, um das Mate- rial für die Ausstellung in einen kleineren Raum zu bringen, damit der Skandal nicht sichtbar wird. In den Bauhaus-Regeln ist festgelegt, daß am Ende eines Jahres bzw. eines jeden Semesters die Meister und zwei Vertreter der Studentenvertretung das Recht zur Mitsprache bei der Beurteilung der Arbeiten haben. Zwei Tage vor der Ausstellung kam eine Mitteilung der Direktion, daß sie nicht bereit ist, mit den beiden Studenten [Cees v.d.Linden und Heinz Schwerin] zu sprechen, da diese ein vertrauliches Gespräch mit Dozenten in der Presse verbreitet haben. Diese ‘Presse’ ist eine Bauhaus-Zeitung, die von kommunistischen Studenten herausgegeben wird, beide Jungen (einer ist Niederländer, der andere Jude) sind k.[ommunisten]. Dies ist wichtig im heuti- gen Deutschland. Erstens ist das aber nicht ‘die Presse’, zweitens stellt man solche Regeln nicht im letzten Moment auf. (..) Im Anschluß daran hat man die meisten dieser Leute nicht mehr (ins nächste Se- mester) aufgenommen, manche sind ganz von der Schule ausgeschlossen worden, so daß sie nie mehr zurückkommen dürfen. (..) Natürlich bin ich auch eine dieser Personen, die sie nicht wieder aufgenommen haben“.177 Mies reagiert seinerseits, in dem er 13 Studierende, darunter Meltzer, Bánki und Wiener vom Weiterstudi- um ausschließt. Mathy Wiener stellt umgehend einen Wiederaufnahmeantrag, der abgelehnt wird, „da man sich auch von dem gewünschten studium im ausbau nichts verspricht“.178 Auch der kurz darauf gemein- sam mit Bánki gestellte Wiederaufnahmeantrag wird eine Woche später erneut abgelehnt.179 Darüber be- richtet Zsuzsanna Bánki ihrem Bruder am folgenden Tag: „Hier sagt man, daß ich einzig und allein des- 169 Im Frühsommer resp. Sommer 1932 beenden Meyer-Waldeck, Reiss, Wilke und Müller ihr Studium am Bauhaus mit Diplom. Unter den Studierenden des letzten Bauhaussemesters finden wir in der Bauabteilung von den zuvor genannten nur noch Ul- rich, Itting, Schöder und Wilke. Im 1.Semester und gleichzeitig im Bau-/Ausbau studieren 17 Studierende, darunter drei Stu- dentinnen (Swan, Brauer und Knoblauch). Im 2.Semester, und damit nach Studienplan im ersten Bau-/Ausbausemester studie- ren drei Studentinnen unter acht Studierenden (Schlagenhaufer, Mendel und die aus dem Gastsemester in Wien zurückgekehrte Christa Schöder) Im 3. und 4. Semester finden wir jeweils zwei von 12 Immatrikulierten. (im 3.Semester Stipanitz und - nun als Hospitantin - Ulrich, im 4.Semester Itting und Katz). In höheren Semestern ist - als einzige Studentin unter 29 Studierenden - Wilke immatrikuliert, auch wenn sie im August ihr Diplom erhal- ten hat. (Im 5. Semester studieren lt. dieser Aufstellung 14, im 6.Semester 15, im 7.Semester 7 Studierende) 170 So bspw. Fritz Schreiber im Brief an Hansgeorg und Elfriede Knoblauch vom 30.7.1933: „Mein empfinden, ihn [Mies] als vater zu betrachten, hat sich noch sehr verstärkt.“ Getty, 870570-5 171 Droste, 1991, S.215 „Mies hoher Anspruch an die ausgeführten Entwürfe und das übermächtige Vorbild der von ihm ausgeführ- ten Bauten (..) verführte eine ganze Reihe der Studierenden da- zu, flutende Räume à la Mies zu zeichnen und die Interieurs mit seinen Barcelona- oder Weissenhofmöbeln zu bestücken. Da viele Schüler die Formen und das Material von Mies übernah- men, konnten dabei fast nur Kopien des Meisters entstehen.“ Ibid., S.213 172 Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995 - „Ich will nicht sagen, dass mir das nicht gefiel, Vieles, ach, Alles gefiel uns da- mals eigentlich.“ 173 Dearstyne in Neumann, 1985, S. 318 - Trotz der Überschaubar- keit der Kleingruppe weiß er nicht mehr mit Sicherheit zu sagen, wer der vierte im exklusiven Quartett war: „Eduard Ludwig, Ed- gar Hecht und wahrsch. Hubert Döllner.“ 174 Frank Trudel in Neumann, 1985, S.330 175 Vgl. FN 169. Nach der von Dietzsch rekonstruierten Diplom- übersicht erhielten sechzehn Studenten und vier Studentinnen ihr Diplom im Bereich Bau-/Ausbau im Juli 1932 . Vgl. hierzu auch Biografie Wimmer. 176 Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995 177 Brief Z.Banki an Ö.Bánki vom 8.4.1932 - Bánki, 1990, S.68ff. 178 BHD, NL Engemann, Beiratssitzung 5.4.1932, Bl.1, Pkt.5 179 Ibid., Beiratssitzung 12.4.1932, Bl.1, Pkt.9 - BHAB, Zeugnis und Fragebogen Matty Weiner, 1982, S.2 180 Brief Z. Bánki an Ö. Bánki vom 13.4.1932 - in: Bánki, 1990, S.70 76 Architekturinteressierte Studentinnen halb nicht aufgenommen werde, weil wir dem Niveau der Anderen nicht folgen können. Und es ist keine Zeit, um sich mit jedem Einzelnen zu befassen. Aber wahrscheinlich hat diese Sache auch einen anderen Grund.“ 180 Bánki verlässt das Bauhaus ohne Zeugnis, Wiener geht mit einem um drei Wochen rückdatierten Zeugnis ab. Riccarda Meltzer erhält, wie ihr Freund Heinz Schwerin, zum 14.4.1932 Hausverbot. Sie legt Beschwerde ein, auch diese bleibt erfolglos.181 Etwa zeitgleich erscheint der Name Anny Wettengels - sie studiert seit dem Sommersemester 1931 im 3.Semester der Baulehre - mehrfach in Meisterrats- protokollen. Bis November 1931 fehlt sie drei Mal im Unterricht von Hinnerk Scheper. Im März 1932 gibt auch Alfred Arndt ihr Fehlen in seinem Unterricht zu Protokoll. Wettengel wird im März 1932 nach drei Se- mestern vom Weiterstudium ausgeschlossen und er- hält am 26.3.1932 eine Bescheinigung über ihr Studi- um am Bauhaus. Ab diesem Zeitpunkt findet in den Meisterratsprotokollen ein Konflikt seinen Nieder- schlag, der sich - bei allen Auslassungen - erahnen lässt.182 Wettengels Schreiben vom 9.4.1932 enthält eidesstattliche Erklärungen namentlich nicht erwähn- ter Personen, die lt. Protokoll „nach stellungnahme der infragekommenden Herren zu den akten genom- men werden“ sollen. „herr engemann wird gebeten, den tischlermeister klever noch einmal besonders auf die notwendigkeit hinzuweisen, den studierenden ge- genüber distanz zu halten“.183 Anny Wettengels Fehlen steht offensichtlich im Zu- sammenhang mit mangelnder Distanz in der Tischle- rei. Der Meisterrat berät den ‘Fall’ in diesen Wochen mehrfach - zwischen dem 12.4. und 3.5. zumindest fünf Mal -, und bietet Wettengel bei Vermeidung jeg- lichen Aufsehens ein unbewertetes Zeugnis an. Ihr scheint jedoch klar zu sein, dass ein Abgangszeugnis außerhalb kaum anerkannt wird. Sie verlässt das Bauhaus ohne Zeugnis und wendet sich an höhere Stellen.184 Statt akzeptable Arbeitsbedingungen - auch für Studentinnen - in der Tischlerei zu gewähr- leisten, forciert der Meisterrat den Weggang der belä- stigten Studentin und stellt sich vor den männlichen Kollegen. Anhand von Beiratsprotokollen wird immer wieder deutlich, dass Ambitionen und Qualifikationen archi- tekturinteressierter Studentinnen auch während des Direktorats Mies unter besonderer Aufmerksamkeit stehen.185 So wird die Vorkursstudentin Mathy Wiener im Oktober 1930 vom Mathematikunterricht zunächst befreit, zum Sommersemester 1931 in die Bau-/Aus- bauabteilung aufgenommen, während Marie Doleza- lowas fast zeitgleich gestellter Aufnahmeantrag für die Baulehre abgelehnt wird, da eine Aufnahme erst nach drei Semestern Theorie möglich sei.186 Edita Rindler stellt im Dezember 1931 den Antrag, in der Metallwerkstatt praktisch arbeiten zu dürfen. Ihr wird mitgeteilt „dass die absicht besteht, lehrplanungsän- derungen vorzunehmen, wodurch sich die frage er- ledigen wird.“ 187 Als Szuszanne Markos-Ney im Herbst 1931 in die Baulehre eintreten möchte, stellt der Beirat die Frage, warum sie denn nicht in der Fo- tografieabteilung bleiben wolle.188 Studieninteressen, Zulassungen und Qualifikationen scheinen häufig widersprüchlich. Hieran wird jedoch deutlich, dass sie in einem Wechselspiel jeweils indi- viduell ausgehandelt werden und keine verlässlichen Regelungen vorhanden sind. So bspw. auch bei Lotte Gerson. Seit Frühjahr 1927 am Bauhaus, absolviert sie die Grundlehre bei Albers und die Formenlehre bei Kandinsky, besucht die Tischlereiwerkstatt und fotografiert. In der Bauhauszeitschrift werden mehre- re ihrer Arbeiten publiziert. Zum Herbst 1928 wird sie Baulehreanwärterin bei Hannes Meyer, studiert fortan Architektur.189 Als Gerson nach sechs Semestern am Bauhaus und zwei Jahren in der Baulehre im Herbst 1930 den Antrag auf Erteilung eines Diploms im Be- reich Bau-/Ausbau stellt, kommt die Lehrendenkonfe- renz unter Leitung von Mies v.d.Rohe zu dem Be- schluss: „der antrag auf diplomerteilung wird sowohl für die bauabteilung wie für die ausbauabteilung ab- gelehnt“.190 1932 wird auch das Studium Annemarie Wimmers von seiten des Meisterrates beendet. Sie scheint das Studium bei Mies van der Rohe gemie- den, ihre eigene Chance gesucht zu haben.191 Obschon sich auch für die letzten Jahre des Bauhau- ses die Situation architekturinteressierter Studentin- nen bisher nicht vollständig dokumentieren lässt, so weisen eine ganze Reihe Indizien darauf hin, dass die Rahmenbedingungen eines akzeptablen Kompetenz- erwerbs in der Architektur für Studentinnen auch in dieser Phase nicht wirklich gegeben sind. Im folgenden wird der Versuch unternommen, Unter- schiede und Gemeinsamkeiten des Studiums archi- tekturinteressierter Bauhausstudentinnen während der unterschiedlichen Direktorate zusammenfassend zu analysieren. Unter den insgesamt über 400 Stu- dentinnen am Bauhaus lassen sich bisher 55 nach- weisen, die - wenn auch manchmal nur kurzzeitig oder unter anderem - im Bereich räumlicher Gestal- tung studierten. Sie können damit zumindest als ar- chitekturinteressierte Bauhausstudentinnen bezeich- net werden. Auf der Basis der in den Werkbiografien ausführlich dargestellten Sozialisationen werden nun die Milieus beschrieben, in denen diese Studentinnen aufwuchsen. Sie bieten - vergleichend - Anhaltspunk- te für Lebensstile, Studienmotivationen und Haltun- gen architekturinteressierter Bauhaussstudentinnen. Familiäre Hintergründe und kulturelle Kapitale: 181 Lt. Protokoll der Beiratssitzung vom 19.4.1932 geht ihre Be- schwerde gegen dieses Hausverbot „unbeantwortet zu den Ak- ten.“ Vgl. auch Biografie Meltzer 182 Es bleibt unklar, ob auch Wettengel im Anschluss an den Kostu- fra-Streit die Teilnahme an der Jahresausstellung verweigert hatte. Ende März wendet sie sich mit zwei - bisher nicht be- kannten - Schreiben an den Meisterrat, diese werden in der Sit- zung vom 5.4.1931 „zur kenntnis genommen, die konferenz hält ihren beschluß aufrecht.“ Nun allerdings soll sie ein unbenotetes Abgangszeugnis erhalten. Mit Schreiben vom 9.4.1931 wendet sie sich erneut an den Meisterrat. 183 BHD, NL Engemann, Protokoll der Beiratssitzung vom 14.4. 1932, Bl.2, Pkt.5 - Die eidesstattlichen Erklärungen lassen sich inden Akten bisher nicht nachweisen. 184 Das Protokoll vermerkt hierzu: „beschwerde wettengel ist bei der regierung eingegangen und unterwegs an uns zur äusse- rung. in der antwort ist klarzustellen, dass ein lehrvertrag nicht abgeschlossen ist, dass ein entlassungsgrund im zeugnis nicht angegeben ist, und ob ein amtliches zeugnis über die hand- werkliche ausbildung gegenüber der handwerkskammer abge- geben werden kann.“ BHD/NL Engemann, Protokoll der Beirats- sitzung am 3.5.1932, Bl.1, Pkt.2 185 Im Unterschied zu Kommilitonen, aber auch Kommilitoninnen anderer Werkstätten werden sie - häufig mehrfach - im Meister- rat verhandelt. So berichtet bspw. Herr Hilberseimer auf der Konferenz am 11.1.1933 von einer Unterredung mit Wera Itting. Die Konferenz kommt zu dem Schluss „Wenn ihre Arbeiten sich nicht ändern, soll sie nicht am bauhaus behalten werden. man soll sie dies aber rechtzeitig wissen (..) lassen“. 186 BHD, NL Engemann, Beiratssitzung 11.11.1930, Bl.2 Pkt.14 187 Ibid., Protokoll der Beiratssitzung vom 15.12.1931 188 Ibid., Protokoll der Beiratssitzung am 26.10.31, Bl.1, Pkt.1: „zu- nächst [soll] bei herrn peterhanns festgestellt werden, warum frau markos-ney nicht in der abteilung bleiben will. herr hilbers- eimer hält eine aufnahme ohne vorbildung nicht für möglich.“ - Zehn Tage später wird sie „von der direktion aufgefordert, den schriftlichen nachweis der dozenten darüber beizubringen, daß sie von den kursen des II.semesters befreit werden kann.“ (Pro- tokoll der Beiratssitzung am 4.11.1931, Bl.1 Pkt.2) - Vgl. Biogra- fie Markos-Ney 189 Damit wird deutlich, dass Lotte Gerson das Studium weder aus Interesse an breiter Bildung noch im Hinblick auf den Beruf der Hortnerin betrieb. In wieweit Studien- und Berufsziele schwan- ken - 1928 gibt sie im Interview als angestrebtes Berufsfeld den „Bereich der sozialen Arbeit“ an - oder ihre Angaben strategi- schen Erwägungen geschuldet sind, ist hier selbst im Einzelfall unklar. 190 BHD, NL Engemann, Konferenz vom 18.11.1930, Bl.2, Pkt.6: „der antrag auf diplomerteilung wird sowohl für die bauabteilung wie für die ausbauabteilung abgelehnt, weil trotz der anerkann- ten fleissigen und sauberen arbeiten selbständige schöpferische tätigkeit von ihr nicht erwartet werden kann.“ 191 In einem Lebenslauf aus den 1950er Jahren erwähnt sie Mies mit keiner Silbe: „Ich (..) studierte Innenarchitektur und Sied- lungsbau (bei Hilberseimer und Hannes Meyer)“ Lebenslauf Annemarie Lange vom 3.3.1953; AdKS, PA Lange am Bauhaus 77 Wer studierte Architektur am Bauhaus? Bei immerhin zwei Dritteln der hier näher betrachte- ten Studentinnen mit deutlicher Affinität zur räumli- chen Gestaltung konnten die Berufe der Väter recher- chiert werden. Demnach waren mehr als die Hälfte dieser 36 Väter als Kaufmann oder Unternehmer tätig (11 resp. 8).192 Vereinzelt arbeiteten sie in freien Beru- fen (7), - u.a. als Architekten oder Ingenieure -, selte- ner als Pfarrer, Hochschulprofessoren, Reichsbahn- beamte, vereinzelt als Arzt, Musiker, Journalist oder Verkäufer.193 Die architekturinteressierten Studentin- nen am Bauhaus stammen damit ganz überwiegend aus Elternhäusern gehobener bürgerlicher oder groß- bürgerlicher Schichten. Die Mütter von Bauhausstudentinnen aller Phasen hatten manches Mal studiert, sind i.d.R. jedoch nicht berufstätig.194 Lediglich Gerda Marx, Hilde Reiss, An- nemarie Wimmer und Ursula Schneider kannten ihre Mütter auch als berufstätige Frauen.195 Manche der nicht-berufstätigen Mütter beschränkten ihre Aktivitä- ten nicht auf die eigene Familie. Aber auch sie durch- brachen damit i.d.R. nicht das Rollenmuster der bür- gerlich-repräsentativen Gattin. Im Umfeld mancher Bauhausstudentin leben jedoch auch beruflich selb- ständige und erfolgreiche Frauen.196 Architekturinteressierte Studentinnen der frühen Jah- re in Weimar wuchsen zum Teil in kleinen und mittle- ren Städten, manches Mal in ländlicher Umgebung auf. Die architekturinteressierten Studentinnen, die Mitte der zwanziger Jahre ans Bauhaus kommen, sind bereits häufiger in Großstädten aufgewachsen. Die am Bauhaus Berlin immatrikulierten Studentinnen verfügen fast ausnahmslos über eine großstädtische Sozialisation. Damit sind architekturinteressierte Bau- hausstudentinnen insgesamt überwiegend in groß- städtischen Milieus - oft in Berlin - aufgewachsen, auch wenn sie nur selten dort bereits zur Welt ka- men.197 Am Bauhaus schreiben sich nur wenige Studentinnen aus katholischen Elternhäusern ein.198 Die überwie- gende Mehrheit der Studentinnen war in protestanti- schen, ein Drittel in jüdischen Elternhäusern aufge- wachsen.199 Über die religiöse Praxis der Studentin- nen ist nur wenig bekannt, religiös-innerliche Orien- tierungen finden wir unter den Bauhausstudentinnen jedoch nicht. Diese jungen Frauen sind fast immer kulturell, häufig sehr rational, manches Mal politisch orientiert. Die Elternhäuser architekturinteressierter Bauhausschülerinnen waren i.d.R. kulturell orientiert. Nur vereinzelt ist ein parteipolitisches Engagement der Eltern bekannt.200 Architekturinteressierte Bauhausstudentinnen wuch- 192 Als Unternehmer waren die Väter von Berkenkamp (Papierfabri- kant), Fernbach (Verleger), Gutzeit und Rogler (Grundbesitz), It- ting (Elektrizitätswerk), Swan (Bank) Ulrich (Versicherungen) Wil- ke (Mühlenbetrieb) tätig, als Kaufleute oder Großhändler die Vä- ter von Brauer, Lewin (Baustoffe), Markos-Ney (Textil), Mendel (Lederwaren), Meyer (Landmaschinen), Meyer-Waldeck (Baum- wolle), Müller (Zigarran), Rindler (Futtermittel), Simon-Wolfskehl (Weine), Schneider (Drogerie) und Wimmer (Strohhüte). 193 Architekten als Väter hatten Bernoully, Lederer, Josefek, Enders und Loewe. Schöders Vater war als angestellter Ingenieur tätig. Reiss´ Eltern arbeiteten als Journalisten, Leo Katz unterhielt als Jurist eine Kanzlei, hatte jedoch auch unternehmerische Ambi- tionen als Gesellschafter einer Häuserbau-Aktiengesellschaft. Die Väter von Raack und Both waren Pfarrer. Hans Meltzer war als Volkswirtschaftler, Rudolf Helm als Philologe im Hochschul- dienst tätig. Max von Haken-Nelissen und Michael Press ver- dienten ihr Geld als Dirigenten. Die Väter von Buscher und Bee- se arbeiteten bei der Reichsbahn. Zoltán Bánki war Gynäkologe, Simon Dicker arbeitete als Verkäufer im Einzelhandel. 194 Lediglich vier erwerbstätige Mütter konnten bisher ermittelt wer- den. Mindestens die Hälfte aller Mütter war nicht erwerbstätig, so die Mütter von Simon-Wolfskehl, Meyer-Waldeck, Fernbach, Rogler, Enders, Loewe, Wilke, Itting, Bánki, Markos-Ney, Ulrich, Katz, Schöder, Lewin und Swan. 195 Die Mütter von Schneider und Wimmer hatten Musik studiert. Die Pianistin Berta Schneider (geb. Korn) trat nach ihrer Heirat nicht mehr öffentlich auf. Maria Johanna Wimmer (geb. Schwar- tze) unterrichtete auch nach Heirat und Geburt der Kinder als Klavierlehrerin. Die Mutter von Marx, Lizzie Diestelmann-Marx war als akademisch ausgebildete Zeichenlehrerin zeitweilig an der Debschitzschule in München tätig. Als erfolgreiche Kunstge- werblerin blieb sie - auch nach der Geburt der Tochter - berufs- tätig, stellte bspw. 1914 Spitzen bei der Werkbundausstellung in Köln aus. Reiss´ Mutter, Charlotte Bloch-Zavrél schrieb unter Pseudonym u.a. für Die Dame, war im PEN aktiv und gab 1929 gemeinsam mit Martin Beradt die Briefe an Auguste Hauschner heraus. Studiert hatte auch Nathalie Swan geb. Henderson. 196 Tanten, auf die sich die Studentinnen bei ihren beruflichen Am- bitionen beziehen konnten, waren wahrscheinlich bei Katz, und zumindest im Familienkreis von Ulrich und Schöder vorhanden. So war Helen Noldi, eine Tante Lila Ulrichs als Opernsängerin erfolgreich, eine Tante Christa Schöders führte ein Hotel in Ber- lin, ihre Großmutter arbeitete als Hebamme. 197 Schulen in Berlin besuchten Buscher, Brauer, Busse, Fernbach, Hesse, Katz, Lewin, Loewe, Marx, Press, Reiss, Schneider und Schöder. In Dresden gingen Müller (geb. Scholz), Wimmer und Meyer-Waldeck zur Schule. - Etliche der jüdischen Studentinnen wuchsen in Berlin auf, wo in den zwanziger Jahren fast ein Drit- tel der jüdischen Bevölkerung des Deutschen Reiches - mehr als 172 000 Jüdinnen und Juden - lebte/n. Vgl. Bendt, Veronika / Rolf Bothe (Hg.): Synagogen in Berlin, Berlin, 1983, Bd.1, S.60. 198 Nach bisherigen Erkenntnissen wurden nur zwei Studentinnen, Lore Enders und Eva Fernbach, katholisch erzogen. 78 Architekturinteressierte Studentinnen 199 Aus protestantischen Elternhäusern stammten Beese, Berken- kamp, Both, Brauer, Haken-Nelissen, Helm, Josefek, Lederer, Marx, Meltzer, Meyer, Meyer-Waldeck, Müller, Raack, Rogler, Schneider, Stipanitz, Wilke und Wimmer. In jüdischen Elternhäu- sern wuchsen Bánki, Dicker, Itting, Katz, Lewin, Loewe, Mendel, Markos-Ney, Press, Reiss, Simon-Wolfskehl und Wiener auf. Die Hypothese, dass Töchter aus christlichen Elternhäusern keinen repräsentativen Anteil an der Studentinnenschaft der Weimarer Republik hatten, resp. vergleichsweise selten studier[en durf]ten, werden wir im Vergleich der Studentinnen verschiedener Ausbil- dungsrichtungen ebenso überprüfen wie die These, dass das Bauhaus insbesondere großstädtische, religiös freidenkende Studierende angesprochen habe. 200 So war der Vater von Lore Enders, der Mannheimer Stadtbaurat Georg Enders Mitglied der Zentrumspartei und gehörte der Frie- densgesellschaft an. Adolf Both und Albert Beese sollen natio- nalkonservativ orientiert gewesen sein. 201 Die meisten Bauhausstudentinnen wachsen mit - zumeist meh- reren - Geschwistern auf. Die einzigen Kinder ihrer Eltern sind Dicker, Marx, Schöder und Wilke. Mit jeweils einem Bruder wachsen bspw. Josefek und Meyer auf. Manches Mal sind sie die Erstgeborenen, so Enders, Scholz sp. Müller, Reiss, Ulrich. 202 Wie bspw. Irena Blühova, die mit fünf Geschwistern in einer slo- wakischen Kleinstadt aufwuchs und ihr Studium aus finanziellen Gründen unterbrechen musste. 203 Wilke nahm in Dessau Sprechunterricht bei der Schauspielerin Bettina Schart und weiterhin Gesangsunterricht: „Herr Lührs - der hatte eine Sängerin zur Frau (..). Die bestellte mich mal zum Vorsingen und dann fragte sie mich, ob ich nicht weitermachen wollte. ‘Doch, ganz gern’, sagte ich, ‘aber das kann ich nicht unter einen Hut bringen.’ So bot sie mir dann an, mich umsonst zu unterrichten. (..) Und bei der hab’ ich (..) gesungen, was man so Repertoire nennt, (..) die Liederzyklen der Romantik, die lieb’ ich heute noch.“ Interview am 17.11.1995 Familie Schneider, um 1910, Gertrud Ursula stehend in der Mitte Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar sen selten als Einzelkinder und häufiger mit Schwe- stern als mit Brüdern auf.201 Im Unterschied zu man- chen Kommilitoninnen202, aber auch etlichen Kommili- tonen genossen architekturinteressierte Bauhausstu- dentinnen während ihrer Jugend in aller der Regel die Förderung ihrer musischen Talente, wie sie wohlsitu- ierte Elternhäuser auch ihren Töchtern ermöglichten. So erhielt bspw. Alexa Gutzeit in den späten zehner Jahren privaten Zeichenunterricht in Königsberg, Eva Fernbach genoss Anfang der zwanziger Jahre priva- ten Zeichenunterricht in Berlin. Lore Enders besuchte während ihrer Lyzealzeit den Zeichenunterricht an der Mannheimer Gewerbeschule. Und sie dürfte - wie auch Ursula Schneider, Suzanne Markos-Ney, Anne- marie Wimmer, Zsuzsanna Bánki und Angela Press - zumindest ein Instrument erlernt haben. Hilde Katz, Elfriede Knott und Annemarie Wilke pflegen ihre Mu- sikalität so intensiv, dass sie zunächst sogar Musik studieren.203 Auch wenn architekturinteressierten Studentinnen nicht ausnahmslos in Großstädten aufwuchsen, so verfügten Bauhausstudentinnen aller Phasen in der Regel über eine Schulbildung, die für Mädchen dieser Generation überdurchschnittlich war: Bauhausstu- dentinnen haben zumeist Ober- oder Realgymnasien zumindest bis zur mittleren Reife oder Obersekundar- reife besucht, ein Abitur erwarb jedoch insgesamt nur jede zweite. Mit oder ohne Reifezeugnis hatten fast zwei Drittel dieser Studentinnen bereits ein Studium - zumeist an Kunstgewerbeschulen oder Akademien - begonnen oder abgeschlossen.204 Weniger als ein Drittel der Bauhausstudentinnen studiert direkt im Anschluss an die Schulausbildung.205 Bei den meisten Abiturientinnen, die am Bauhaus studieren, liegen zwischen Schulabschluss und Studienbeginn am Bauhaus mindestens drei Jahre. In dieser Zwischen- zeit haben manche - im Duktus bürgerlicher Heirats- kandidatinnen - Sprachstudien im Ausland betrieben, Frauenschulen besucht, Haushaltungskurse oder kaufmännische Ausbildungen absolviert.206 Etliche studierten zunächst im Bereich der angewandten oder freien Kunst, manche Musik.207 Einige Studentin- nen absolvierten Berufsausbildu-gen, fast die Hälfte verfügte über Berufserfahrungen.208 Angesichts der vielfältigen Vorerfahrungen wird die Unterschiedlich- keit dieser architekturinteressierten Studentinnen deutlich. Auffälligerweise finden wir unter ihnen etli- che mit Vorerfahrungen im Weben, so bspw. Lotte Beese, Lotte Gerson, Anny Wettengel und Annemarie Wimmer.209 Sie halten sich am Bauhaus der Weberei fern. Dies unterstreicht das große Interesse dieser Studentinnen an der räumlichen Gestaltung. Es zeigt jedoch auch, dass bei der Durchsetzung des eigenen Architekturinteresses innerhalb des Bauhauses nach- weisbare Webereierfahrungen hilfreich sein konnten. An der breit gestreuten und zu allen Zeiten heteroge- nen Altersstruktur der Studentinnen am Bauhaus wird die Vielfalt an Lebenserfahrungen, die Unterschied- 204 Mehr als die Hälfte der architekturinteressierten Studentinnen in Weimar und die Hälfte der Studentinnen in Dessau und Berlin. 205 So bspw. 1919 Alexandra Gutzeit, 1920 Lou Berkenkamp, 1927 Gerda Marx, 1930 Zsuzsanna Bánki sowie 1932 Natalie Swan und Christa Schöder. Vermutlich kommen auch Elfriede Knott 1919 sowie Eva Busse 1929 direkt nach einem Abitur. 206 So hatte bspw. Raack ein Jahr als Austauschschülerin in Eng- land verbracht, Itting dort einen Koch- und Haushaltungskurs absolviert. Auch van der Mijl-Dekker unternahm Sprach- und Bildungsreisen ins Ausland. Schlagenhaufer hat eine Handels- schule, eine Gewerbeschule und eine Akademie besucht. Wilke besuchte dem Vater zuliebe zunächst zwei Jahre die Handels- schule und begann eine Banklehre. Lewin belegte kaufmänni- sche und Fremdsprachen-Kurse an der Brewitzschule, Haushal- tungslehre und Schneiderei an der Hausfrauenschule Berlin. 207 Nur bei Reiss, Katz und Ulrich bedeutet der Studienortswechsel keinen Fächerwechsel. Neben den Wiener Ittenschülerinnen hat- ten Helm, (KGS Rostock, Akademien in Kassel und Weimar, Malerei und Skulptur), Bernoully (KGS Frankfurt/M., Innendeko- ration), Bernays (Akademie Weimar, Kunst), Utschkunowa (Aka- demie München, Kunst), Raack (KGS Berlin, Kunst), Jäger (WKS Bremen, Innenarchitektur), Hantschk (KGS Erfurt) und Lederer (KGS Trier, Innendekoration) bereits an Kunstgewerbeschulen und Akademien studiert. Zu den Akademiestudentinnen zählen auch die Dessauer Studentinnen Both (Akademie Kassel und Burg Giebichenstein, Malerei und Skulptur), Müller, Wimmer und Meyer-Waldeck (Akademie Dresden, Malerei resp.Grafik), und Schlagenhaufer (Akademie München), sowie die Berliner Stu- dentin Press (Akademie Königsberg, Grafik). Mendel studierte an Universitäten (in Hamburg, Frankfurt, Berlin, Grenoble, Paris; Kunstgeschichte und Soziologie). Musik hatten zuvor Katz und Knoblauch in Berlin und Wilke in Lübeck studiert. 208 Eine Tischlerlehre durchliefen bspw. Fernbach, Rindler und Rog- ler. Hantschk absolvierte eine Lehre in einem Architekturbüro. Wilke besuchte eine Handelsschule, Loewe eine einjährige Apo- thekerschule, Enders das Fröbelseminar. Meyer-Waldeck legte das Examen als Kindergärtnerin und Hortnerin ab. Josefek und Meyer unterrichteten nach der Ausbildung mehrere Jahre als Gymnastikerin resp. Handarbeits- und Gewerbelehrerin. Zu allen Zeiten immatrikulieren sich auch architekturinteressierte Studen- tinnen, die über Berufserfahrungen verfügen, auch wenn sie nicht immer eine Berufsausbildung durchlaufen hatten. So arbei- tete Gerson ein Jahr „im Bürodienst“, Wettengel als Kontoristin, Lewin kurzzeitig als Büroangestellte. Enders war mehrere Jahre als Au-pair in Südamerika und zeitweilig als Zahnarzthelferin, Loewe als Apothekenhelferin tätig. Fernbach arbeitete mehrere Jahre im väterlichen Verlag, Beese in einem Verlag und einer Weberei. Josefek, Müller und Brauer hatten mehrere Jahre in Architekturbüros mitgearbeitet und auch die Architektinnen Si- mon-Wolfskehl und Schneider verfügten über Berufserfahrung. 209 Beese besuchte eine Handweberei in Dachau, Gerson die We- berei an der Frauenschule Bremen, Wettengel die Web- und Werkschule Chemnitz und Wimmer eine Weberei in Worpswede. Vgl. Biografien im Anhang am Bauhaus 79 Ella Rogler um 1912 Szuszanna und Ödon Bánki um 1915 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar lichkeit der jeweiligen Lebenssituationen sichtbar.210 Architekturinteressierte Studentinnen kommen zu ei- nem Drittel minderjährig, - in Ausnahmefällen sogar unter 18-jährig - ans Bauhaus.211 Studentinnen, die zuvor eine Ausbildung oder ein Studium durchlaufen, resp. eine Familie gegründet haben, sind in der Regel Mitte zwanzig und älter.212 Die durchgängig breitge- streute Altersstruktur - Ausdruck wie Folge der unter- schiedlichsten Vorerfahrungen - kennzeichnet die He- terogenität der architekturinteressierten Studentin- nen, auch wenn die ganz überwiegende Zahl der Stu- dentinnen ledig und kinderlos ans Bauhaus kommt.213 Wie erfuhren die Studentinnen vom Bauhaus? Der ganz überwiegende Teil der Studierenden musste von außerhalb geworben werden.214 Von manchen Studentinnen ist bekannt, wie ihr Interesse für das Bauhaus geweckt wurde. Insbesondere in der frühen Phase des Bauhauses werden potentielle Studentin- nen häufig durch Werkbundmitglieder, Architekten resp. Architekturkritiker gezielt darauf hingewiesen, so bspw. Tony Simon-Wolfskehl (1919), Elsa Franke (1920) Ruth Vallentin oder Käthe Ury (1923), Elisabeth Jäger (1924) und Kitty van der Mijl-Dekker (1929).215 Aber auch Studentinnen, die sich selbst auf die Su- che nach einer Ausbildung begeben, werden in der frühen Phase durch Mundpropaganda geworben: Sie ‘hören’ vom Bauhaus. Ruth Hildegard Raack hatte - wahrscheinlich durch ihren Lehrer Bruno Paul - um 1920 in Berlin „von den Bauhausplänen gehört“. Etwa zeitgleich erfuhr Anni Weil an der Kunstgewer- beschule Wien von dessen Existenz. Lotte Beese und Wera Meyer-Waldeck scheinen in Dresden, Kattina Both 1924 an der Burg Giebichenstein auf das Bau- haus aufmerksam geworden zu sein.216 Ob auch An- nemarie Wimmer in Dresden oder erst während ihres Praktikums in Worpswede 1928 vom Bauhaus erfah- ren hat, ist unklar. Die Idee, dass Annemarie Wilke hier studieren könne, entstand durch einen Vortrag von Walter Gropius in Lübeck, den sie 1925 gemein- sam mit ihrer Mutter besuchte.217 Ursula Schneider und Wera Itting war das Bauhaus durch persönliche Kontakte bekannt.218 Eva Fernbach wurde es während ihrer Malstudien in Berlin empfohlen. Lila Ulrich soll in Hamburg davon gehört haben und Hilde Reiss erin- nert nicht mehr, wo dies zum ersten Mal war: Ende der zwanziger Jahre ist das Bauhaus bekannt.219 Spätestens mit Erscheinen der Bauhauszeitschrift ist auch für Interessierte, die nicht zum unmittelbaren Kreis der Freunde des Hauses gehören, ein regelmä- ßiger Einblick in Positionen, Ansätze und Produkte möglich. So abonniert Grete Meyer die Zeitschrift ab 1928, kauft sich ihren ersten Stahlrohrstuhl und orga- nisiert für die von ihr unterrichtete Klasse an der Han- dels- und Gewerbeschule in Kassel eine Tagesexkur- sion zum Bauhaus nach Dessau. 1929 wird Lore En- ders wahrscheinlich durch die in Mannheim gastie- rende Bauhaus-Ausstellung, Zsuzsanna Bánki anläs- slich eines Architekturwettbewerbes in ihrer Heimat- stadt Györ auf das Bauhaus aufmerksam.220 210 So sind Schneider und Brauer, Markos-Ney und Müller bereits selbst Mütter. Während Anneliese Brauer und Ursula Schneider seit Jahren geschieden resp. getrennt lebend als alleinerziehen- de Mütter studieren, kommt Suzanne Markos-Ney, die 19jährig eine eigene Familien gegründet hatte, 1931 allein ans Bauhaus. Die mit einem Architekten verheiratete Maria Müller wohnt be- reits seit 1922 in Dessau und arbeitet im Büro des Gatten mit. 211 Aus der frühen Phase sind Dicker, Gutzeit sowie Hackmack und Knott, Ende der zwanziger Jahre Bánki, Busse, Marx, Rogler und Schöder als unter 20jährig zu nennen. Insgesamt fällt das rechnerische Durchschnittsalter der Studentinnen während der Dessauer Jahre, während es im letzten Jahr in Berlin steigt. 212 Über 30jährige Studentinnen - wie Bernays in Weimar, Schnei- der in Dessau und in der Berliner Zeit Hill, Wettengel, Brauer, Schlagenhaufer und Knoblauch - sind jedoch in der Minderheit. 213 Auch wenn bspw. im Sommersemester 1932 mehr als die Hälfte der [wenigen] HospitantInnen und HörerInnen verheiratet war, ist 1932 insgesamt nur jede/r 11.StudentIn verheiratet. Angaben 1932 nach Hahn, Peter / Wolsdorff, Christian: Bauhaus Berlin: Auflösung Dessau 1932; Schliessung Berlin 1933; Bauhäusler und Drittes Reich, Weingarten, 1985, S.62 214 In Weimar mit Ausnahme der ‘übernommenen’ Studierenden und den Wiener IttenschülerInnen. In Dessau waren nur Gerda Marx und Maria Müller bereits ‘vor Ort’. 215 So schreibt bspw. Thilo Schoder am 19.7.1920 an die Direktion: „Ich empfahl dieser Dame [Fräulein Elsa Franke, Hagen i/W.- Emst] den Besuch des Bauhauses.“ - SBW, Sign.88, Bl.884 216 Beese gibt an, in einer Weberei in Dresden vom Bauhaus gehört zu haben. Meyer-Waldeck studierte ab 1924 an der Akademie Dresden. Von der Burg Giebichenstein ans Bauhaus wechselte 1924 bereits Lili Schultz (1895-1970). Sie hatte zuvor das Mei- steratelier für Email bei Maria Likarz absolviert. Vgl. FN 21 217 Interview mit Annamaria Mauck am 17.11.1995 218 Ittings Bruder Gottfried studierte am Bauhaus, Alfred Arndt war Auftragnehmer ihres Vaters. Schneider arbeitete vor ihrer Bau- hauszeit (ab 1925/26) im Büro von Erwin Gutkind in Berlin. 219 So erinnert sich Christa Carras-Mory [geb.Schöder], dass sie im Immatrikulationsamt der Vereinigten Staatsschulen Berlin auf das Bauhaus hingewiesen wurde. Auch Edita Rindler bewirbt sich am Bauhaus, nachdem sie an den VS abgelehnt wurde. 220 Dort werden 1929, Bánkis letztem Schuljahr - die Wettbewerbs- ergebnisse für den Neubau der Theaters Györ ausgestellt, da- runter auch ein Entwurf des Privatatelier Gropius. Der ungari- sche Architekt Stefan Sebök (1904-1944) ist seit 1927 im Büro Gropius, 1929 auch am Wettbewerbsentwurf für Györ beteiligt. Vgl. Wechselwirkungen, 1986, S.585 - Familie Bánki weilte je- doch auch des öfteren in Budapest und Wien. Bánki, 1990,S.5 80 Architekturinteressierte Studentinnen Titel des ersten Bauhaus-Buches 1925 Titel der Bauhauszeitschrift, Heft 1, 1928 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Nicht nur bei Grete Meyer vergehen zwischen dem ersten Interesse und dem eigenen Studium Jahre. Suzanne Markos-Ney, die sich im Frühjahr 1931 am Bauhaus Dessau einschreibt, berichtet ihren Eltern bereits im Herbst 1929 aus Dessau, „dauernd mit Beckmann, Neuner und Margot Loewe zusammen“ zu sein.221 Und Hilde Katz kennt das Bauhaus späte- stens seit ihrer Teilnahme am metallischen Fest 1929 in Dessau. Sie studiert ab 1930 Architektur, zunächst an der Ittenschule in Berlin, und wechselt 1932 ans Bauhaus.222 Auch für Eva Lilly Lewin könnte das Bau- haus schon länger ein Begriff gewesen sein.223 In der Anfangszeit in Weimar wird die ganz überwie- gende Anzahl der architekturinteressierten Studentin- nen durch einzelne Personen - insbesondere aus dem Umfeld des Werkbundes - auf das Bauhaus auf- merksam und bewirbt sich aufgrund einer Empfeh- lung. Im Laufe der zwanziger Jahre verbreiten aber auch Studierende der ersten Semester die Kunde von der neuartigen Schule.224 Manche Interessentinnen machen sich zunächst vor Ort ein Bild, wobei Kon- takte zu befreundeten Studierenden, Ausstellungen wie die ‘Bauhauswoche’ oder Feste willkommene An- knüpfungspunkte bieten. Mit der Eröffnung des Bau- hausneubaues in Dessau, Gropius´ Vortragsreisen, dem zunehmenden Presseecho225 und dem Erschei- nen der Bauhauszeitschrift wächst die Bekanntheit: Während der Direktorate von Meyer und Mies ist das Bauhaus bekannt. Wie kommen die um die Jahrhundertwende gebore- nen Studentinnen auf die Idee Architektur zu studie- ren? Und warum entscheiden sie sich für dieses Stu- dium? Die Entstehung des Studienwunsches lässt sich bei den meisten architekturinteressierten Bauhausstu- dentinnen bisher nicht dokumentieren, nur von man- chen sind explizite Studien- resp. Berufswünsche am Ende der Schulzeit bekannt.226 So ist bei Hilde Reiss bereits im Abiturzeugnis vermerkt: „Fräulein Reiss will Architektur studieren“.227 Wann sie auf die Idee kam, erinnert sie nicht mehr. Mit einem Architekten-Onkel hatte sie - wie auch Tony Simon-Wolfskehl und Kitty van der Mijl-Dekker - einen Ansprechpartner im fami- liären Umfeld. Auch die Väter von Amy Bernoully, Mi- la Lederer, Margot Loewe, Elisabeth Jäger und Ruth Josefek waren als freie [Innen-]Architekten tätig. Lie- ße sich bei diesen Studentinnen von einer Berufsver- erbung sprechen, so markiert bei anderen bereits der Studienwunsch einen deutlichen Bruch mit familiären Traditionen. Immeke Schwollmann deutet 1919 in ihrer Bewer- bung solche Durchsetzungsschwierigkeiten an: „Durch die Kriegszeit wurde ich gezwungen den Be- ginn meiner Studienzeit immer noch aufzuschieben, bis ich jetzt die Erlaubnis dazu errungen habe.“ 228 Lotte Beese schlägt sich in verschiedenen Städten als ungelernte Arbeiterin mit unsicheren Jobs durch, um den elterlichen Heiratserwartungen zu entgehen. Sie nutzt eine schwere Erkrankung, um den Eltern die Einwilligung zum Bauhausstudium abzutrotzen.229 Ella Rogler sucht und findet einen Fürsprecher für ihren Studienwunsch in jenem älteren Bruder, der an der TH Stuttgart sein Architekturstudium bereits abge- schlossen hat. Lore Enders bricht die Ausbildung ab, für die sie ihr Vater angemeldet hatte, und geht als Au-pair nach Südamerika. Erst nach dem Tod des Vaters nimmt sie das Studium auf. Und Grete Meyer erwirkt die elterliche Zustimmung zu einem Studium erst mit dem Zugeständnis, zunächst ein Jahr als Haushaltshilfe zu arbeiten. Etliche Bauhausstudentinnen interessieren sich zu- nächst für andere Fächer und Berufe. So will Kattina Both Portraitmalerin, Annemarie Wilke Schauspielerin oder Sängerin werden.230 Und auch Christa Schöder, die von ihrer Zeichenlehrerin ermutigt worden war, „wollte Malerin werden. Aber meine Eltern meinten, es wäre besser, erstmal etwas mehr Bürgerliches zu studieren.“ 231 Zsuzsanna Bánki möchte - wie ihr älte- rer Bruder - Medizin studieren. Doch der Vater sieht in der Medizin keine Berufsperspektive für die Toch- 221 Brief Markos-Ney an die Eltern im Herbst 1929, zitiert nach Schreiben von Dr.Helmut R. Leppien, 20.9.1999 222 Von der Ittenschule ans Bauhaus hatte im Oktober 1931 bereits Ernst Louis Beck (1908-1957) gewechselt. Er hatte seit 1929 dort, von 1927 bis 1931 als Werkstudent (Elektro) an der VHS Berlin studiert und zuvor eine Banklehre absolviert. 223 Elise Hoeniger, die Leiterin des Landeserziehungsheims Agne- tendorf, das Lewin ab 1927 besucht, war langjähriges Werk- bundmitglied. 224 Rosa Berger (geb. 7.9.1907 Chrzanow) studiert ab 1927 in der Weberei. Sie gibt 1928 an, dass die Menschen, die ihr gefielen „alle ehemalige bauhäusler waren“. Vgl. Bauhauszeitschrift, 2.Jg., 1928, H. 2/3, S.24 und Fiedler, 1987, S.195 225 Die Bauhauszeitschrift erscheint ab Ende 1926. Von Irena Blü- hova ist bekannt, dass sie durch einen Bericht Ilja Ehrenburgs in der Frankfurter Zeitung vom 28.Mai 1927 aufmerksam wurde. Ihren Entschluss, dort zu studieren, fasst sie offenbar ein Jahr später, als in Prag eine Nummer der Zeitschrift RED dem Bau- haus gewidmet ist. Erst 1931 kann sie ihren Studienwunsch re- alisieren. Vgl. Blühova, Irena: Mein Weg zum Bauhaus, Septem- ber 1983, in: bauhaus 6, Leipzig, 1983, S.8-9 226 Anders als an Kunstgewerbeschulen oder Technischen Hoch- schulen, wo bei Immatrikulation der Berufswunsch systematisch erhoben wurde, lassen sich Studienziele am Bauhaus besten- falls aus Bewerbungsschreiben entnehmen. 227 Reifezeugnis der Fürstin-Bismark-Schule vom 11.9.1928 228 Lebenslauf Immeke Schwollmann. (SBW, Sign.155, Bl. 1051) Immeke [Emma Catarina Caroline] Schwollmann sp. Mitscher- lich wurde am 29.April 1899 auf Rittergut Kowalew bei Margonin in Posen „als zweites und letztes Kind des Rittergutsbesitzers Otto Schwollmann und seiner Frau Margaretha geb. Bossell“ geboren. Sie bewarb sich bereits 1919 um die Aufnahme, nimmt - aus Magdeburg kommend - ihr Studium erst zum 11.5.1925 am Bauhaus Dessau auf. (lt. Einschreibbuch BHD) 229 „Als die Ärzte um ihr Leben bangen, ringt sie den Eltern das Versprechen ab, daß sie studieren darf, wenn sie nur wieder ge- sund würde (..) Viel später, als diese Geschichte nur noch eine Anekdote ist, wird sie dies als ‘einen gelungenen Fall von Er- pressung’ bezeichnen.“ Schilt/Selier, 1993, S.11 230 „Ich wollte an sich eigentlich lieber Schauspielerin werden, aber das war damals nicht ‘in’, das gehörte sich nicht. (..) Und ich mußte also lernen, da ich das einzige Kind war, mit Geld umzu- gehen. Und da fand er [der Vater] das wohl am Richtigsten. Ich hatte immer nur die Musik im Kopf. Das wurde sehr gern gese- hen und geduldet, solange es nicht in einen Beruf ausartete. Aber das ging dann nicht, und ich hab’ mich nicht dagegen ge- wehrt. (..) Ich mußte das machen, wenn auch nicht sehr gern.“ Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995 231 Brief Christa Carras-Mory vom 16.1.1998 am Bauhaus 81 Hilde Katz und Konrad Püschel auf dem ‘Metallischen Fest’, 1929 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ter. Die wiederum steht der Architektur skeptisch ge- genüber und hofft deshalb zunächst, am Bauhaus abgelehnt zu werden.232 Etliche Studentinnen treffen die Entscheidung eines Studiums am Bauhaus nach einem Erststudium, einer Ausbildung oder mehreren Ausbildungswegen. Im Einzelfall baut dieses Studium auf eine zuvor begon- nene Ausbildung auf, häufig ist jedoch keinerlei Zu- sammenhang erkennbar. Damit stellt das Bauhaus- resp. Architekturstudium in den meisten Fällen eine Neuorientierung dar: In Abwendung von einem tradi- tionellen Brotberuf - als Kindergärtnerin, Gewerbeleh- rerin, Kontoristin - oder dem traditionell-bürgerlichen Ausbildungsspektrum höherer Töchter im Anschluss an den Schulbesuch - Haushaltungsschule, Sprach- kurse, Auslandsaufenthalte - treffen diese Studentin- nen ihre, in der Regel eigene Studienentscheidung. Hier ist in manchen Fällen eine Distanzierung von fa- miliären Erwartungen und manches Mal eine Ableh- nung traditioneller Geschlechterrollen erkennbar. Während Bánki, Wilke und Schöder ihren eigentlichen Studienwunsch gegen elterlichen Widerstand nicht durchsetzen, Beese, Both, Rogler, Enders und Meyer ihn erst über Umwege realisieren können, zeigen sich andere Elternhäuser gegenüber den Ausbildungsent- scheidungen ihrer Töchter tolerant. Eva Weininger beteuert: „Wir waren selbständige junge Damen.“ 233 Dennoch verweist die häufig mehrjährige Phase zwi- schen Schulabschluss resp. Erstkontakt und Umset- zung des Studienwunsches auf elterliche Skepsis ge- genüber einem resp. diesem Studium der Töchter. Bauhausstudentinnen sind neugierig auf neue Lern- und Arbeitsformen, alternative Lebensformen und Le- bensstile. Sie möchten sich und dieses Neue erpro- ben, während der Jahre in Weimar an einem Auf- bruch teilhaben, „eigene - oft noch unklare - Vorstel- lungen und Wünsche“ verwirklichen.234 Auch wenn an der Vielzahl der Studienabbrüche deutlich wird, dass Studentinnen am Bauhaus nicht nur studieren, son- dern auch ohne Abitur einen Studienabschluss erwer- ben möchten, bis gegen Ende des Direktorats von Gropius bleiben allgemeine und ganzheitliche Motiva- tionen für Studentinnen offenbar attraktiv. In seiner Umfrage für die Bauhauszeitschrift stellt Lothar Lang Studierenden 1928 u.a. die Frage: „Weshalb sind Sie an das Bauhaus gekommen?“ Hierauf antworten Stu- dentinnen ausnahmslos ohne erkennbaren Bezug zum Studienfach. So gibt Wera Meyer-Waldeck an, dass sie ans Bauhaus gekommen sei, „um mich von dieser Steifheit zu befreien“, da sie „durch erziehung, schule und akademieluft geistig so verkalkt“ gewesen sei.235 Und Otti Berger antwortet: „um mich zu über- winden und das ich zu finden.“ 236 Annemarie Wilke entscheidet sich für die Bauabteilung, „weil alles andere nicht in Frage kam.“ 237 Zunehmend finden wir jedoch auch berufsgerichtete Motivationen und Stu- dentinnen, die Fachkompetenzen erwerben und eine berufliche Perspektive entwickeln möchten. So fährt Kattina Both 1925 nach Weimar, weil sie am Bauhaus sehen will, „was beruflich für sie nun wirklich zu ma- chen ist.“ 238 Und Zsuzsanna Bánki hat offenbar ganz konkrete berufliche Erwartungen, wenn sie bedauert: „die sog. Innenarchitektur kann man hier nicht studie- ren. Also studiere ich beide Fächer zusammen, aber auch dann liegt der Akzent auf dem Hausbau.“ 239 Zu den prägenden Erfahrungen dieser Studentinnen- generation, zumindest für die bis 1905 Geborenen, gehören der erste Weltkrieg und die Abdankung des Kaisers.240 Der damit einhergehende Verlust von poli- tischen und geistigen Orientierungen führt zu einer Suche nach neuer Sinnhaftigkeit. Welche Faszination von dem Signal eines Neuanfangs ausgehen konnte, wird deutlich, wenn Lotte Beese das bekannte Al- bers-Zitat - „Vergessen Sie alles, was man Sie bisher gelehrt hat“ - als Erweckungserlebnis erinnert: „[da] wußte ich, daß ich gefunden hatte, wonach ich ge- sucht hatte in den hinter mir liegenden Jahren mit unbestimmtem Ziel.“ 241 Suchten Studentinnen der ersten Jahre eine Orientie- rung, fühlten sich angesprochen, gerufen oder ans Bauhaus verwiesen242, und wollten sie sich ebenso umfassend wie experimentell mit Fragen der Gestal- tung beschäftigen, so verbanden sie damit doch auch die Erwartung konkreter Fähigkeiten zu erler- nen. Dabei stand weniger der Erwerb formaler Ab- schlüsse als das Interesse an vielfältigen Kompeten- zen und unterschiedlichen Denkweisen im Zentrum der durchaus unterschiedlichen Studienmotivationen. Häufig hatten Bauhausstudentinnen - trotz teilweise widriger Umstände - bereits im Vorfeld handwerklich praktische Fähigkeiten erworben. Noch häufiger wu- ssten sie aufgrund bereits vorhandener Studienerfah- rungen die besonderen Umgangs- und Unterrichts- formen zu schätzen. Auch nach bereits abgeschlos- senen Studien suchen Studentinnen - wie Simon- Wolfskehl, Helm, Raack, Schneider oder Meyer - am Bauhaus primär nach einem Ort experimentellen Stu- dierens. Keine dieser Studentinnen bleibt allerdings länger als ein Jahr. Dass die Studienmotivationen weniger in klaren Be- rufsperspektiven als in einer möglichst umfassenden wie ganzheitlichen Entwicklung der Persönlichkeit zu finden sind, wird bspw. deutlich, wenn Mara Auböck die Gründungsphase beschreibt: „Die schöpferischen Kräfte zu wecken, entwickeln und veredlen, wollte wohl jeder von uns.“ 243 Auch 1928 formuliert Wera Meyer-Waldeck ihre Motivation ganz ähnlich, „sich für alles zu interessieren, alles verstehen zu lernen, ohne dabei kritiklos zu werden“.244 232 „Bisher habe ich beschlossen, bei der Architektur zu bleiben und mich mit Innenarchitektur zu beschäftigen (..) Außerdem ist es gut möglich, daß ich nach einem Semester vom Bauhaus flie- ge, denn in dieser Zeit verlangen sie viel von den Studenten.“ Z. Bánki an Ö. Bánki, Dessau, Anfang 1931 (Bánki, 1990, S.66) Auch als sie kurze Zeit später endgültig aufgenommen wird, be- reut sie das verpasste Medizinstudium. „Ich studiere schon ger- ne Architektur, aber für ein Mädchen hat dies keine Zukunft.” Brief vom 12.4.1931 (ibid., S.67) 233 So bei ihrer Entscheidung, die Schule zu verlassen und eine Tischlerausbildung zu absolvieren. „Na, sie [die Eltern] haben’s, sagen wir mal geduldet. Sie fanden Praktisches gut, Praktisches ist gut. Zu der Zeit konnte man mit einem Abitur gar nichts an- fangen.“ Eva Weininger im Interview am 2.12.1995 234 So formulierte Lou Scheper-Berkenkamp retrospektiv „aus der Erfahrung des Bauhäuslers der `Gründerzeit´ (..): Er hatte in dem so vieldeutigen Manifest (..) eigene Fragen beantwortet gefun- den. Er erwartete in Weimar theoretische und praktische Mög- lichkeiten und Verwirklichungen eigener - oft noch unklarer - Vorstellungen und Wünsche.“ Scheper, Lou: Rückschau, in: Neumann, 1985, S.175 235 Bauhauszeitschrift, 2.Jg., 1928, H. 4, S.18 236 Bauhauszeitschrift, 2.Jg., 1928, H. 2/3, S.24 237 Annamaria Mauck im Interview 17.11.1995 238 Petzinger, Renate in: Architektinnenhistorie, 1984, S. 47-48, hier S.47 239 Zsuzsanna Bánki an Ödön Bánki, Brief vom 2.11.1930 Dessau, in: Bánki, 1990, S.63ff. - Bánki bedauert dies, da sie an den Be- rufsaussichten für Architektinnen zweifelt. 240 Gropius - selbst Kriegsteilnehmer - benennt in seiner Rede an die Studierenden im Juli 1919 die Todeserfahrung im ersten Weltkrieg als emotionale Triebfeder für Veränderungen. „Ich un- terschätze, meine Damen nicht die menschliche Leistung derer, die während des Krieges Zuhause blieben, aber ich glaube, daß eine persönliche Erfahrung des Todes die härteste ist. Die, die dies dort erlebten, sind vollkommen verändert zurückgekehrt, sie fühlen, daß die Dinge nicht in der bisherigen Weise weiter- gehen können.“ BHA Rede Juli 1919, BHA Nr.7/15 Baumhoff wies darauf hin, dass auch manche Studentinnen - als Rot- Kreuz-Schwestern - auf den Schlachtfeldern gedient hatten. 241 Beese, Lotte: Form als zeitliche Konstruktion, in: Neue Heimat Monatshefte Nr.8/1981 - hier zitiert nach: Achitektinnenhistorie, 1987, S. 66 242 „Ich komme nach Weimar (..) weil ich meine, daß mein bisheri- ger Studienplan und meine Wünsche und Ziele und die Art mei- ner Begabung mich durchaus dorthin weisen“, schreibt Ruth Hildegard Raack 1920 in ihrer Bewerbung. - vgl. Dietzsch, 1990 (II), S.52-53, Dokument 25 243 Brief von Mara Auböck an M. Hassiminski, vgl. FN 3 82 Architekturinteressierte Studentinnen Just im Wissen um die Differenz von Gestaltungszie- len und Unterrichtsformen, in Ablehnung oder Abkehr von einem Akademie- oder Hochschulstudium nah- men Studierende ein Studium am Bauhaus auf. „Ich sehe es im Berufe wie wenig die Menschen riskieren (..) Immer wieder finde ich, daß wir Bauhäusler ganz anders und viel leichter an neue Aufgaben, neue Ar- beitsgebiete herangehen als Menschen, die vielleicht viel mehr Fachwissen haben“, schreibt - zwei Jahre nach ihrem Weggang vom Bauhaus - die inzwischen in den Niederlanden als Dessinateurin arbeitende Lis- beth Oestreicher 1932.245 Und Hans Konrad Keßler, der zuvor zwei Semester Architektur an der TH Stutt- gart studiert hatte, erinnert das eigene TH-Studium als „massenunterricht an den hochschulen“. Er hat nach mehreren Bauhaussemestern „noch angstträu- me, in denen ich den ganzen stumpfsinn an der th wiedererlebe.“ 246 Architekturinteressierte BauhausstudentInnen wollen - nicht immer berufsgerichtet, aber keineswegs ziel- los - praxisorientiert lernen, neue Gestaltungsmög- lichkeiten entdecken und an der neuen Schule expe- rimentell ausschöpfen. Aufgrund politisch-weltan- schaulicher Überzeugungen möchten sie häufig auch an der sichtbaren Gestaltung einer neuen Gesell- schaft, dem gestalterischen Großprojekt der Moderne mitarbeiten. Ihre konkrete Neugier bezieht sich des- halb weit häufiger über Fächergrenzen hinweg auf alle denkbaren Gestaltungsbereiche als auf ein fach- spezifisch abgegrenztes Berufsfeld. Anfang der dreißiger Jahre wird das unter Mies van der Rohe auf Architektur zugespitzte Profil der Schule auch von Studierenden thematisiert: „Waren früher hauptsächlich nur suchende, revolutionär denkende menschen an das haus gekommen, so lockte der sich verbreiternde ruf desselben allmählich auch sol- che an, die nichts wollten, als ihr fach studieren.“ 247 Was da als Kritik am Wandel der Studienmotivatio- nen anklingt, wäre gerade aus der Situation von Stu- dentinnen nur allzu erklärlich. Denn, weshalb sollten Studentinnen, denen zuvor ein Studium resp. der Ab- schluss verweigert worden war oder für die bis dato ein Studium an einer TH nicht in Frage kam am Bau- haus nicht ‘ihr’ Fach studieren? Andererseits wird an- hand der Studienverläufe etlicher Studentinnen aller Phasen deutlich, dass sie auf der Suche nach einem adäquaten Tätigkeitsbereich waren.248 Die meisten bemühen sich, den realen Bedingungen des Archi- tekturstudiums am Bauhaus ihre Chance auf eine berufliche Perspektive abzugewinnen. Nur wenige Studentinnen - wie bspw. Hilde Reiss oder Zsuzsanna Bánki - gehen so offensiv vor, dass ihr Berufsziel eindeutig sichtbar wird. So vergleicht Bánki immer wieder die gebotenen Studieninhalte mit ihren Vorstellungen vom Beruf und führt schon wäh- rend des Studiums kleinere Aufträge aus. Und Reiss lässt kein Projekt und keine Möglichkeit aus, um Ar- chitektur zu betreiben. Auch Ruth Josefek kann sich ein Leben als Architektin vorstellen. Ihre berufliche Perspektive ist jedoch offenbar eng mit dem väterli- chen Büro verknüpft: Sie wechselt just in dem Seme- ster von der Bau/Ausbaulehre zur freien Malklasse als ihr jüngerer Bruder sein Architekturstudium auf- nimmt.249 Für keine Studentin ist bereits während des Studiums ein konkreter Berufsweg geebnet, bspw. familiär. Wera Meyer-Waldeck antwortet im dritten Semester auf die Frage, was sie nach Verlassen des Bauhauses tun werde, „daß ich da selber sehr neu- gierig bin und es gern auch wissen möchte.“ 250 Und Otti Berger äußert auf diese Frage nicht ohne Ironie: „Heiraten“.251 Annamaria Mauck gibt zu ihren Berufs- vorstellungen rückblickend an: „Was ich sonst ge- macht haben würde, das wußte ich damals selber noch nicht so genau.“ 252 Bauhausstudentinnen aller Phasen, die sich auch oder ausschließlich für den Bereich Bau/Ausbau in- teressierten resp. dort eine Qualifikation erwerben wollten, entstammten häufig großbürgerlichen Eltern- häusern mit breitgestreuten kulturellen Interessen. Sie wuchsen ganz überwiegend in bildungsbürgerlichen Milieus als Töchter von Industriellen, Kaufleuten und Freiberuflern auf, besuchten weiterführende Schulen und erlebten schon vor Beginn der Weimarer Repu- blik in einem liberalen, häufig großstädtischen Umfeld ein hohes Maß individueller Freiheit. Bauhausstuden- tinnen mit Architekturaffinität waren wissbegierig und verfolgten bereits in ihrer Schulzeit eigenwillige Inter- essen. In Relation zu ihren Geschwistern wie ihren Altersgenossinnen können sie als ausgeprägte Indivi- dualistinnen be-zeichnet werden. Im städtischen Um- feld fiel der Blick dieser jungen Frauen auch auf die Architektur. Etliche wurden durch Architekten aus dem Familien- oder Bekanntenkreis auf das Bauhaus aufmerksam. Der Anteil der Architektentöchter ist mit deutlich unter 20% jedoch vergleichsweise gering. Dies deutet nicht zuletzt auf Vorbehalte bei Architek- tenvätern hin. Auf der Suche nach neuen Lebensperspektiven mu- ssten manche Studentinnen zunächst elterliche Skepsis oder massive Vorbehalte überwinden. In kleinbürgerlichen oder kleinstädtischen Milieus ge- lang ihnen dies nur mit besonderer Hartnäckigkeit. Die Studienmotivationen architekturinteressierter Studentinnen waren ebenso vielfältig wie vielschich- tig. Sie weisen nicht immer eindeutig auf eine ange- strebte Karriere als Architektin. Vielfach wurden meh- rere Ausbildungswege eingeschlagen. Einzelne setz- ten bereits begonnene Ausbildungen fort, bei der Mehrzahl markiert das Stu-dium am Bauhaus jedoch eine Neuorientierung. Da-bei nutzten oder nahmen 244 Lang, Lothar: interviews mit bauhäuslern, wera meyer-waldeck, Bauhauszeitschrift, 2.Jg., 1928, H.4, S.18 245 Beilage zur Berliner Zeitung vom 21.8.1932, abgedruckt in Hahn /Wolsdorff, 1985, S.77 - Lisbeth Oestreicher (geb. 1902) studier- te 1926 bis 1930 am Bauhaus Dessau, Diplom Nr. 25 (Weberei) vom 31.10.1930. Vgl. Fiedler, 1987, S.146. 246 Brief vom 10.10.1931 resp. vom 2.10.1932 (Hahn/Wolsdorff, 1985, S.157 und S.166f.) Allerdings steht er aufgrund seines Studienplatzwechsels auch unter Legitimationsdruck, da sein Studium von einem Onkel finanziell unterstützt wird, der ihn lie- ber zu einem Architekten ‘in die Lehre geben’ möchte. 247 Rose, Katja und Hajo: unveröffentlichtes Manuskript für Die Weltbühne, 1932, zitiert nach Droste, 1991, S.199 248 Aus dem Jahre 1928 datiert bspw. ein Schreiben, in dem Prof. Hermann Annemarie Wimmer nach zwei Jahren Grafikstudium bestätigt, dass das Berufsziel noch nicht feststehe. AdKS/Lange 249 Ihr Bruder erinnert, dass mit Beginn seines Architekturstudiums die Perspektive zur Übernahme des väterlichen Büros zu seinen Gunsten gefallen sei. Er studierte zwischen 1930 und 1934 an der TH München. Telefonat mit Johannes Josefek, 25.11.1997 250 Vgl. FN 244, S.19 - Unklar bleibt, ob Meyer-Waldeck zu diesem Zeitpunkt noch keine Berufsperspektive sieht oder eine allzu eindeutige Antwort vermeiden möchte. 251 Otti Berger im Interview 1928. Lang, Lothar: interviews mit bau- häuslern, Bauhauszeitschrift, 2.Jg., 1928, H.4, S.25. 252 Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995 am Bauhaus 83 Annemarie Wilke am Zeichentisch und im Unterricht Reich, um 1932 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar sie sich die Freiheit, nach geeigneten Tätigkeitsfel- dern für ihre Fähigkeiten zu suchen. Bauhausstuden- tinnen aller Phasen studierten häufiger im Hinblick auf eine umfassende Weiterentwicklung ihrer Persön- lichkeit denn auf einen konkreten Beruf. Hier erwarte- ten sie die Auseinandersetzung mit aktuellen Gestal- tungsfragen und eine Förderung ihrer individuellen Begabungen. Häufig erhofften sie sich auch die Mög- lichkeit, ihre Ambitionen im Rahmen eines gesell- schaftlichen Projektes einbringen zu können. Wohnungen, Schulen, Einfamilienhäuser: Was stu- dierten Studentinnen am Bauhaus? Für eine mögliche Architekturlehre existieren während der Weimarer Jahre weder Curricula noch konkrete Vorstellungen. Anfang Juni 1919 veröffentlichte der Student Walter Determann in der studentischen Zeit- schrift „Der Austausch” seine „Gedanken über das Bauen: (..) Es gibt nur einen Weg der Baukunst zu helfen! - Wieder naiv werden! - Wir müssen alles, was wir Stil oder Tradition nennen, vergessen! (..) der wahrhaft organische Bau kann nur im Urbau wur- zeln.“ Deshalb fordert er zum Studium der „Ur-Bau- ten“ auf: „Lern an den Wohnungen der Tiere (..) an den Hütten der primitiven Völker (..) den Bauernhäu- sern. (..) Baue für deinen Zweck so gut und so fest, wie nur möglich. (..) Laß neben männlichem Ernst auch weibliche Munterkeit walten. Denk dran: Ein fröhliches Haus macht auch fröhliche Menschen.“ 253 Solch fröhlich-naives Bauen-Wollen fordert die Kom- militonin Margarete Bittkow zum Widerspruch heraus. Im nächsten ‘Austausch’ erinnert sie an die höhere Mission: „Es geht um mehr als Zweckerfüllung, es geht um Offenbarung des Geistes aus Maßlosigkeit zu Wirklichkeit.“ Und auch Alexandra Gutzeit meldet sich hier zu Wort: „Menschen, lebendige Wesen, lernt wieder hören auf Euer Leben in Euch, lernt es in Zu- sammenhang bringen mit der großen Bewegung um Euch.“ 254 Ähnlich vage bleiben die Versuche einzelner StudentInnen, Architektur im Selbststudium zu betrei- ben. Erst auf massiven Druck hin steigt im Laufe der Jahre das Angebot architektonischer Fächer, bis im Sommersemester 1927 eine Architekturabteilung ein- gerichtet wird. Qua Lehrangebot stellt das Bauhaus für architekturinteressierte Studentinnen und Studen- ten faktisch nur zwischen 1931 und 1932 eine Ausbil- dungsalternative zu einem Architekturstudium an ei- ner Technischen Hochschule dar.255 Schon im Gründungsmanifest war nicht von einem Studium, geschweige einem Architekturstudium die Rede. Hier ging es um Erziehung - zum Handwerker oder Künstler. Gleichzeitig ruft Gropius zur Grün- dung einer „Arbeitsgemeinschaft führender und wer- dender Werkkünstler“ auf.256 Diese möchte er zu einer gestalterischen Einheit wie einer einheitlichen Gestal- tung zusammenführen.257 Konkrete Aussagen über die Art der Lehre in dieser „Arbeitsgemeinschaft” fin- den sich hier nicht. Josef Albers beschreibt die im Vorkurs angewandten didaktischen Überlegungen 1928 in „werklicher form- unterricht“ folgendermaßen: „erfindendes bauen und entdeckendes aufmerken werden entfaltet - minde- stens zu anfang - durch ungestörtes, unbeeinflußtes, also vorurteilfreies probieren, das (zuerst) zwecklo- ses, spielerisches basteln in material ist. also durch 253 Determann, Walter: Gedanken über das Bauen in: Der Austausch (Zweites Flugblatt), Anfang Juni 1919, S.3 254 Bittkow, Margarete in: Der Austausch, Juli 1919, S.2-3, Gutzeit, Alexandra: Von Bürger zu Künstler, ibid, S.2 255 Indem Hans Maria Wingler in seiner Funktion als Direktor des Bauhaus-Archives in Darmstadt und Nestor des Bauhauserbes in Westdeutschland im Mai 1961 vor dem Regierungspräsiden- ten in Darmstadt posthum den „Hochschulcharakter des Bau- hauses“ an Eidesstatt erklärt, übergeht er die fehlenden Rah- menbedingungen eines regulären [Architektur-]Studiums. So be- scheinigt er bspw. im November 1967 Gotthard Itting auf des- sen Anfrage: „Die Ausbildung am Staatlichen Bauhaus in Wei- mar in der Zeit vom März 1919 bis März 1925, wie auch die am Bauhaus Dessau in der Zeit vom 20.Oktober 1926 bis zum 30. September 1932, ist der Ausbildung an einer Akademie gleich- zusetzen. Dies gilt insbesondere auch für das Architekturstudi- um, das dem an einer Akademie oder Technischen Hochschule absolvierten entspricht.“ Erklärung vom 28.11.1967, BHAB, 17, NL Wingler 256 „Das Bauhaus will Architekten, Maler und Bildhauer aller Grade je nach ihren Fähigkeiten zu tüchtigen Handwerkern oder selb- ständig schaffenden Künstlern erziehen und eine Arbeitsgemein- schaft führender und werdender Werkkünstler gründen, die Bau- werke in ihrer Gesamtheit (..) aus gleich geartetem Geist heraus einheitlich zu gestalten weiß.“ Vgl. FN 1. 257 Der Gedanke Prototypen zu entwickeln war seit dem sog. Pro- totypenstreit auf der Kölner Werkbundtagung 1914 virulent. 258 Albers in Werklicher Formunterricht, S.4 - vgl. FN 28 259 Ibid. 260 Ibid., S.5 84 Architekturinteressierte Studentinnen Gleichgewichtsstudie „konstruktion aus metall und glas“, Anni Wildberg, 1924Gleichgewichtsstudie aus Glas und Kaliko, Charlotte Victoria, 1923 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar unfachliche (das heißt nicht durch lehre beschwerte) versuchsarbeit. (..) lernen ist besser, weil intensiver, als lehren“, bringt er den Anspruch seiner Unter- richtsmethode auf den Punkt und räumt im Hinblick auf die Gestaltungsziele ein: „die betonung der nega- tiva (der rest-, zwischen- und minuswerte) ist viel- leicht das einzige ganz neue, vielleicht das wichtigste moment der heutigen formabsichten.“ 258 Im Zusammenhang mit dem „analytischen Zeichnen“ bei Kandinsky ist in der gleichen Ausgabe der Bau- hauszeitschrift jedoch erneut von Erziehung die Re- de: „Der Zeichenunterricht am Bauhaus ist eine Erzie- hung zum Beobachten, exakten Sehen und exakter Darstellung nicht der äußeren Erscheinung, sondern der konstruktiven Elemente ihrer gesetzmäßigen Kräf- te.“ 259 Geht es nun um die Suche nach den inneren Gesetzen der Dinge mit Hilfe theoretischer Konstruk- te, so steht im Zentrum des Entwerfens - der sog. „Versuchsarbeit“ - die zunehmend rationalisierte Op- timierung: „Äußerste Ausnutzung des Stoffes wird er- strebt durch Ausprobieren der größten Tragfähigkeit (höchsten Aufbau, weiteste Ausladung, stärkste Bela- stung), der größten Festigkeit (Zug, Biegung), der engsten Verbindungen, des kleinsten oder schwäch- sten Standes“.260 Und die Erziehung im Sinne theore- tischer Gesetzmäßigkeiten fällt auf fruchtbaren Bo- den: „Der Vorkurs und die Baulehre haben mich ge- lehrt, die Form zu sehen als eine zeitliche Konstrukti- on, aufgebaut auf Komponenten von materieller und sozialer Art, wobei Funktion eine der Komponenten ist“, schreibt Lotte Beese Jahrzehnte später anläss- lich eines Funktionalismus-Kolloquiums.261 Die meisten Vorkursarbeiten sind durch die bereits erwähnte Publikation Moholy-Nagys bekannt.262 Die frühesten Arbeiten von Studentinnen datieren aus dem Jahre 1923, so die „Gleichgewichtsstudie” von Marianne Brandt263 und die „Volumen- und Raumstu- die aus Glas und Kaliko” von Charlotte Viktoria.264 Die Plastiken von Korona Krause und Irmgard Sörensen aus dem Jahre 1924 überlisten bei der Suche nach dem Gleichgewicht die Schwerkraft. Als „schweben- de Plastik“ oder „schwebende Plastik (illusionistisch)“ sind sie auf einen Punkt der Aufhängung resp. Ein- spannung konzipiert.265 Von Anni Wildberg sind zwei Gleichgewichtsstudien, darunter eine „konstruktion aus metall und glas“ dokumentiert.266 Die Plastik von Suse Becken setzt Glas, Metall und Holz komposito- risch in ein Gleichgewicht.267 Und eine „Gleichge- wichtsstudie“ von Thoma Grote komponiert verschie- dene Holzarten nach ihren spezifischen Gewichten.268 Diese Aufgabenstellungen werden in mehreren Vor- kursen - zumindest bis 1927 - immer wieder bearbei- tet. Dabei dürften die „Gleichgewichtsstudien” aus Blech, resp. Blech und Draht von Lotte Beese eben- am Bauhaus 85 261 Beese, Lotte: Form als zeitliche Konstruktion. in: Neue Heimat Monatshefte Nr.8/1981 sowie in: UIFA, 1984, S. 66 262 Vgl. FN 11 263 Wingler, 1975, S.287 264 Moholy-Nagy, 1929, S.202. Von Charlotte Viktoria sind keine Le- bensdaten bekannt, sie ist in Verzeichnissen nicht nachweisbar. 265 Ibid., S.151 resp. 153. Die persönlichen Daten von Korona (oder Corona) Krause sind unbekannt. Lt. Fiedler studiert sie um 1924 in der Webereiwerkstatt. (Fiedler, 1987, S.158) Irmgard Sören- sen (geb. 3.7.1896 Kiel) studiert ab 1923 am Bauhaus. 266 Ibid., S.139, - Wildbergs persönliche Daten sind bisher unbe- kannt. Evtl. ist Anni Wildberg identisch mit der im 1983 in Cleveland, OH verstorbenen Anna Wildberg (geb. 16.8.1894). 267 Ibid., S.146. Suse Beckens persönliche Daten sind bisher un- bekannt. 268 Ibid., S.147. Diese Studienaufgabe wird um 1922 am Moskauer Wchutemas von der Studentin Lidiya Komarova zeichnerisch verblüffend ähnlich gelöst. (Vgl. De grote Utopie, Katalog, Am- sterdam, 1992, Nr. 639). Thoma Gräfin Grote wurde am 22.4. 1896 in Hannover als drittes Kind von Graf Adolf Viktor Ludwig Grote (25.10.1864 Hannover - 10.11.1931 Berlin) und Ilse (geb.) von Reden (9.10.1868 Franzburg - 20.9.1928 Berlin) geboren. Sie studierte - lt. Dietzsch - zwischen 1924 und Frühjahr 1926 am Bauhaus. Biografische Angaben lt. Starke, Gräfliche Häu- ser, 1952, Bd.1, S.180ff., hier S.182. Schwebende Plastik (illusionistisch), Korona Krause, 1924Schwebende Plastik, Irmgard Sörensen, 1924 Gleichgewichtsstudie, Thoma Grote, 1924 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar so in einem Moholy-Nagy-Kurs entstanden sein wie die „Gleichgewichtsstudie aus Glas und Metall” von Gerda Marx.269 Außerdem werden im ersten Semester Fakturen und Texturen erprobt, lt. Moholy-Nagy opti- sche Übersetzungen von Materialwerten, wobei die Textur der Fläche, die Faktur dem Raum zugerechnet wird. Bekannt sind u.a. die „Textur- und Faktur-Stu- die” von Hilde Horn - eine Erstsemesterarbeit aus dem Jahre 1924 -, die „Fakturstudie in Holz”, die We- ra Meyer-Waldeck in ihrem ersten Semester 1927 be- arbeitet oder die Fakturen von Gerda Marx: „ein Ma- terial verschiedene Werkzeuge“.270 Im Vorkurs bei Al- bers entsteht 1926 die „Materie- und Schwerpunkt- studie“ von Ursula Schneider, 1927 realisiert Elisa- beth Henneberger hier ihre „Plastische Schnitt- und Faltungsfaktur“.271 Auch Lotte Gerson besucht den Vorkurs im Sommersemester 1927 und entwirft dort eine „Positiv-Negativ-Faltung“, die 1928 in der Bau- 269 Moholy-Nagy, 1929, S.145 270 Ibid., S.62 resp. 61 und 57. Zu Hilde Horn vgl. FN 114. 271 Bauhauszeitschrift, 2.Jg. 1928, H.2/3, S.6 resp. S.7 272 Ibid., S.4. Ebendort erscheint auch die Vorkursarbeit Schneiders 86 Architekturinteressierte Studentinnen Metallobjekt, Lotte Beese, 1926 Papierfaktur, Gerda Marx, 1927 „Ein Material verschiedene Werkzeuge“, Gerda Marx, 1927 Materialstudie, Gerda Marx, 1927 Materialstudie, Ursula Schneider, 1928 Positiv-Negativ-Faltungen, Lotte Gerson (hinten links), 1928 Metallobjekt, Gerda Marx, 1927 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar hauszeitschrift abgebildet wird.272 Aus dem Jahre 1927 lassen sich gleich mehrere Vorkursarbeiten von Gerda Marx dokumentieren, die unterschiedliche Ma- terialien räumlich kombinieren.273 Daneben fertigt sie anlässlich eines Festes eine Ansteckbrosche „Perle und Cellophan“. Eine weitere „Materialstudie“ aus Weissblech und grobem Cellophan entsteht 1928 als Arbeit Ursula Schneiders. Eine im gleichen Jahr ent- standene - und mit „müller“ signierte - Collage in Zeitungspapier dürfte von Maria Müller im Vorkurs angefertigt worden sein.274 Vorkursarbeiten architekturinteressierter Studentinnen aus späteren Jahren lassen sich bisher kaum doku- mentieren. Lediglich im Nachlass von Lila Ulrich fin- det sich ein Foto einer 1931 bei Albers entstandenen „räumlichen Filzplastik“. Die Vorkursarbeiten von An- nemarie Wilke, Christa Schöder oder Grete Meyer sind bspw. nicht erhalten. Alle drei erinnern sich je- am Bauhaus 87 273 Manche dieser Vorkursarbeiten befinden sich im BHAB, andere im NL Marx 274 Alle anderen Bauhausstudierenden namens Müller belegten den Vorkurs zu einem anderen Zeitpunkt. Material- und Schwerpunkstudie, Ursula Schneider, 1927 Texturstudie, Hilde Horn, 1924 „Weissblech, Spirale aus einem Rechteck“, Gerda Marx, 1927 Metallobjekt, Lotte Beese, um 1928 Gleichgewichtsstudie Glas und Metall, Gerda Marx, 1927 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar doch lebhaft an den Vorkurs bei Albers, bspw. an das Thema „Papier: aus der Fläche in die Plastik“.275 So unterschiedlich diese Vorkursarbeiten sind, hier wird deutlich, dass Studentinnen im Vorkurs auch räumlich arbeiteten und damit die flächige „einfüh- rungsstufe zum räumlichen“ gern überschritten.276 Was aber entwarfen architekturinteressierte Studen- tinnen nach dem Vorkurs? Da die weitaus meisten architektonischen Studienar- beiten von Bauhausstudentinnen bisher nicht doku- mentiert sind, bleibt die Beantwortung dieser zentra- len Frage unbefriedigend. Häufig sind bisher nicht einmal die Entwurfsthemen bekannt. Die aus Zeug- nissen und Diplomen rekonstruierten Aufgabenstel- lungen lassen jedoch erkennen, dass sich die Ent- wurfsaufgaben von Bauhausstudentinnen nicht we- sentlich von denen ihrer Kommilitonen unterschieden. Wurden während der Weimarer Jahre am Bauhaus, resp. außerhalb des Privatateliers Gropius, überwie- gend Grundrisstypen und Einfamilienhäuser entwor- fen277, so sind private Bauaufgaben unter Meyer na- hezu tabu. Sein politischer Impetus spiegelt sich in Aufgabenstellungen und studentischen Einzelentwür- fen wider. So werden unter Hannes Meyer Gemein- schaftsbauten für die Siedlung Törten entworfen, wie bspw. 1930 die Volksschule Lotte Gersons, entste- hen Arbeiten wie der „Versuch des Typs eines Ge- meinschaftswohnhauses“. Weit deutlicher als unter Gropius strahlen nun jedoch auch die konkreten Auf- träge des Büros Meyer/Wittwer auf die Lehre aus. So wenn in Mart Stams erstem Gastkurs vom 16.-21.Juli 1928 ein „Doppelhaus (für vier Familien) bei Bernau“ bearbeitet wird, eine Aufgabe, die im Zusammenhang mit dem Neubau der Bundesschule des Allgemeinen deutschen Gewerkschaftsbundes steht.278 Im Winter- semester 1928/29 bearbeiten die Studierenden im Städtebaukurs bei Stam eine Aufgabenstellung ana- log der Wettbewerbsausschreibung für die Siedlung Haselhorst in Berlin-Spandau. Im ‘städtebaulichen Seminar’ bei Ludwig Hilbersei- mer steht der Siedlungsbau im Mittelpunkt. Die Stu- dierenden entwerfen hier ab Frühjahr 1929 Siedlun- gen nach 4 Prinzipien: Zeilenbau, soziale Mischung durch Mischbebauung, Typenhäuser, Infrastruktur, während die wichtigste Aufgabe bei Mies v.d. Rohe der „Flachbau im Wohnhof“ war.279 Hier bearbeiten Studierende ‘Idealaufgaben’ mit nur wenigen Vorga- ben, aber auch Projekte für sehr konkrete Standorte. Im Unterschied zu den Themen bei Meyer geht es nun nicht mehr um kollektive Entwurfsthemen, son- dern Einzelentwürfe für zumeist private Auftraggebe- rInnen. Das Themenspektrum reicht von Gebirgsbau- den, Einfamilien- und Reihenhäusern über Siedlungs- planungen und öffentliche Bauten - insbesondere Schulen - bis hin zu Schwimmbad und Rittergut. Dies zeigt, in welchem Maße Studierende ab 1930 die Auf- gabenstellungen selbst beeinflussen konnten, aber auch, dass Art und Umfang der Studien- und Diplom- arbeiten stark variierten. 275 So bspw. Annamaria Mauck [geb. Wilke] und Grete Meyer[-Eh- lers] im Interview. Meyer-Ehlers knüpft in den 1960er Jahren an didaktische Überlegungen des Vorkurses bei Albers an. In der Einführung zu „Textilwerken“ nimmt sie hierauf explizit Bezug. (Meyer-Ehlers, Grete: Textilwerken. Arbeiten mit Faden und Ge- webe, Berlin, 1965) 276 Im „werklichen formunterricht” (S.10) führte Albers aus: „wobei flächenerscheinungen eine einführungsstufe zum räumlichen sind.“ Vgl. FN 28 277 Der Entwurf einer Bauhaus-Siedlung von Walter Determann bleibt ebenso singulär wie die städtischen Wohnhochhäuser von Breuer und Muche. 278 Hannes Meyer schlägt diesen Privatauftrag als Thema für Stams Gastkurs vor: „Doppelhaus (für vier Familien) bei Bernau (inmit- ten des Waldes auszuwählen an der bestehenden Chaussee Bernau-Liepnitzsee)“ Getty bauhaus correspondence 870570, Meyer an Stam vom 9.7.1928: Für den nächsten Kurs ab 9.Sep- tember sagt Meyer zu, in Bernau zu klären „in welcher richtung der endgültige entwurf, aufgrund der vier vorentwürfe, weiter verfolgt werden soll.” Ibid., Meyer an Stam vom 22.8.1928: „in der angelegenheit des vierfamilienhauses der stadt bernau bei berlin konnte eine rücksprache noch nicht stattfinden.“ 279 Droste, 1991, S.210 resp. S.212 280 Albers, Josef: werklicher formunterricht, S.5 vgl. FN 28 281 Pallowski, Katrin: Zur Kontinuität der `klassischen Moderne´ in den 50er Jahren, in Weißler, Sabine (Hg.) Design in Deutschland 1933-34, Gießen, 1990, S.132-135, hier S.135 282 Annamarie Mauck im Interview am 17.11.1995 88 Architekturinteressierte Studentinnen „Räumliche Filzplastik“, Lila Ulrich, 1931/32Materialübung, Glasplättchen mit Gewebe, Otti Berger, um 1926Gleichgewichtsstudie, (Entwurf für eine Plastik), Suse Becken, 1924 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar „Das Verhältnis von Aufwand und Wirkung gilt als Wertmaß für das Arbeitsergebnis“, schrieb Josef Al- bers in „werklicher formunterricht“.280 „Sparsamkeit führt zur Betonung der Leichtigkeit: Volumen wird wirksamer übertroffen durch die wirksamere Fläche.“ Diese Haltung zielt auf funktionales, ‘lineares’ Bauen. Damit korrespondierten jedoch ästhetische Präferen- zen, die i.d.R. unbenannt blieben. Pallowski verwies darauf, dass am Bauhaus „die formalen Experimente [belegen], daß das Schlichtheitsgebot keineswegs als Ästhetikverbot verstanden wurde.“ 281 Angesichts dessen, dass bisher nur ganz vereinzelt architektonische Studienarbeiten von Studentinnen zu finden sind, ist eine resümierende Wertung der Studienarbeiten von Bauhausstudentinnen noch immer nicht möglich, die Frage, wie sie entwarfen, nur spekulativ zu beantworten. Zu vermuten bleibt, dass auch diese Studienarbeiten im Duktus denen der Lehrenden, den jeweiligen Ge- wie Verboten folg- ten, wie dies bspw. an den Entwürfen von Dicker und Singer wie auch am Diplomentwurf Wera Meyer- Waldecks sichtbar wird. „Diese Grundrisse (..), alle sind sie verschieden (..) Aber sie sind doch alle so stark von der ganzen Rich- tung, die die Meister vorgaben, beeinflußt, daß sie nicht individuell sind. Das haben wir damals nicht so gesehen dabei. Aber sich dem Einfluß zu entziehen, war hier nicht möglich. (..) Ach, mehr oder weniger sahen meine Projekte auch so aus.“ 282 - Allzu ver- wunderlich ist eine solche Assimilation an die Vor- gaben und Erwartungen der Lehrenden schon ange- sichts der Minderheitenposition der Studentinnen nicht, zumal deren Chancen, jenseits der zugewiese- nen Aufgaben rund um Küche oder Kinder eigenstän- dige wie eigenwillige Themen zu bearbeiten, sehr be- grenzt waren. Der Anpassungsdruck war enorm, auch wenn sich nicht alle Studentinnen mit den gestellten Aufgaben identifizierten. Wie Annamaria Mauck erinnert, ver- trauten die Meister bei der Durchsetzung moderner Entwurfsprogramme nicht unbedingt auf die Poten- tiale der Studierenden und die Wirkung moderner Lehrmethoden: „Hilberseimer war ein interessanter und liebenswürdiger Herr. (..) Er war sehr streng. Also wenn was falsch war, nahm er’s Lineal und haute ei- nen auf die Finger. Nicht sehr natürlich, aber er hatte immer so ein langes Lineal in der Hand (..) und dann bums, war’s geschehn. Es nahm kein Mensch übel, ich auch nicht.“ 283 Einzelne Studentinnen versuchen dennoch immer wieder, ihre Vorstellungen auch ge- gen Widerstände einzubringen. So bspw. Annemarie Wimmer, die 1932 ein „Studentinnenwohnheim“ ent- wirft und im Wintersemester 1929/ 30 an der Planung der Innenausbauten der Siedlung Törten beteiligt ist. „Erinnerst Du Dich noch an diese unsere Gemein- schaftsarbeit?“ schreibt sie 1967 an ihren ehemaligen Kommilitonen Konrad Püschel. „Ich hatte protestiert, daß der Küchenausbau ganz gestrichen werden soll- te und du hast wenigstens den Einbau von Schrän- ken durchgedrückt.“ 284 Welches Berufsbild wurde Studierenden am Bauhaus vermittelt? Während Itten für die Entwicklung der ganzheitlichen Künstlerpersönlichkeit eintritt, Gropius zunächst von Künstlern und Handwerkern, gegen Ende der zwanzi- ger Jahre vom Architekt als „Organisator der neuen Werkwelt” spricht, plädiert Laszlo Moholy-Nagy für eine Erziehung zum Generalisten: „die sektorenhafte ausbildung ist heute nicht zu übergehen. sie darf aber nicht soweit getrieben werden, daß der mensch dabei verkümmert.“ 285 Hannes Meyer möchte mit ei- nem Kollektiv von Spezialisten arbeiten und Mies van der Rohe sieht im Architekten eine weitgehend auto- nome Künstlerpersönlichkeit. Künstler, Handwerker, Organisatoren, Generalisten, Spezialisten; alle diese Begriffe beschreiben profes- sionelle Profile, die äußerst unterschiedlich, jedoch traditionell männlich konnotiert sind. Am Bauhaus werden neue Möglichkeiten und Arbeitsfelder eröff- net und neue Berufsbilder gesucht, die in unter- schiedliche Richtungen weisen. Hinsichtlich profes- sioneller Perspektiven und Existenzen werden jedoch Geschlechterdifferenzen und -polaritäten perpetuiert, die Frauen qua definitionem - im Sinne des same- less-Tabu - bei der Definition professioneller Profile ausschließen. Analog der Handlungskategorie - same / not the same - werden innerhalb eines homosexu- ellen Referenzsystems alle berufsrelevanten resp. professionsspezifischen Entscheidungen getroffen.286 Während der Kompetenzerwerb von Studentinnen demzufolge nur in semiprofessionellen Bereichen ge- duldet resp. zertifiziert wird, werden Studenten ver- wertbare Diplome, professionelle Perspektiven und ggf. direkte Berufseinstiege geboten.287 Dabei bildet Nepotismus nur einen markanten Bestandteil eines Machtgefüges, das innerhalb seiner Interessengrup- pen kaum weniger hierarchisch ist: Alle Direktoren bringen ihre Kompagnons mit, fast alle Meister ver- leihen Patronagen auf Zeit. Während nicht nur Walter Gropius über die Neudefi- nition von Aufgabenfeldern wie der Stellung des Ar- chitekten in dieser veränderten Welt des Bauens nachdenkt, sind Studentinnen am Bauhaus Weimar mit der Situation konfrontiert, dass ihre Möglichkeiten dreidimensional zu arbeiten offenbar in dem Maße schwinden, in dem Werkstätten dem ‘heiligen Be- zirk’ Architektur zugeordnet werden. Obschon Han- nes Meyer die Wechselwirkungen zwischen Baulehre und der als kollektivistisch verstandenen Planungs- 283 Ibid. Annemarie Wilke war vom Unterricht begeistert und sam- melte Hilberseimers Aufzeichnungen. 284 Brief Annemarie Lange an Konrad Püschel vom 4.1.1967 anläss- lich der Übersendung einer Mappe mit Zeichnungen der Sied- lung Törten (BHD 2-K-1967-01-04, Bl.1, S.1) - In der entspre- chenden Aufstellung der arbeitsgruppe küche wird Püschel je- doch nicht erwähnt. Vgl. FN 89. 285 „Der primitive mensch war in einer person jäger, handwerker, baumeister, arzt usw.; heute beschäftigt man sich - alle anderen fähigkeiten unausgenützt lassend - nur mit einem bestimmten beruf“. Er beklagt den „sektoralen menschen“, das „Lebens- tempo“, dass das Vordringen „zum eigentlichen wesenskern der dinge und des eigenen“ nur noch selten möglich mache. „der heutige schöpferische mensch (..) leidet unter der rein materiel- len verwertung seiner vitalität, unter der verflachung seiner in- stinkte, unter der nivellierung seiner biologischen spannungen.“ (Moholy-Nagy, 1929, hier zit. nach reprint 1968, S.11) - Gropius, Walter: Der Architekt als Organisator in: Wohnungswirtschaft, 5.Jg., Berlin, 15.3.1928 „Die vergangene ‘kunstgewerbliche Epo- che’ vermochte nicht die rechte Führerschaft für die neue Werk- welt und die Verbindung zwischen Handwerk und Industrie in sich zu entwickeln. (..) Wäre es also nicht geradezu wider den Sinn seines Berufs, wenn es der moderne Architekt durch fal- sche Bedenken versäumen sollte, sich die ungeheuren Errun- genschaften unseres technischen Zeitalters, die neuen Maschi- nen, Materialien, Konstruktionen, Werk- und Betriebsmethoden zunutze zu machen? Er muß sich zum unentbehrlichen Faktor in dieser veränderten Welt des Bauens aufschwingen.“ 286 Dieser Logik des ‘sameless tabu’ folgt die Ernennung Gunta Stölzls zur Werkmeisterin der Weberei im Herbst 1925 ebenso konsequent wie das Vorenthalten des Status einer Formmeiste- rin trotz Übernahme der Gesamtleitung der Weberei ab dem Frühjahr 1927. Gunta Stölzl (1897-1983) ab Oktober 1919 Stu- dentin am Bauhaus, legte 1922/23 die Gesellenprüfung als We- berin ab. Sie ist die einzige Studentin, der am Bauhaus im direk- ten Anschluss an das Studium der Übergang in eine Lehrposi- tion gelingt 287 So wechseln manche Bauhausstudenten bruchlos in eine hono- rierte Praxis, indem sie zu Jung-Meistern und Werkstattleitern arrivieren. Zu diesen lebenden Beweisen des didaktischen An- satzes zählen bspw. Alfred Arndt, Naum Slutzky, Hinnerk Sche- per, Joost Schmidt, aber auch Marcel Breuer und Erich Conse- müller. So wird Schmidt, der seit Herbst 1919 in der Holzbild- hauerei studiert hatte, seit 1924 auch typograpisch arbeitete, im Mai 1925 (unmittelbar im Anschluss an sein Studium in der Holzbildhauerei, Leiter der Reklame. Ab Oktober 1925 (bis 1930) wird er Leiter der Plastischen Werkstatt. Und Consemüller, der zuvor eine Tischlerlehre absolviert hatte, ab 1922 am Bauhaus Weimar studierte, wird - nach fünf Semestern in der Tischlerei - beim Neubau des Bauhauses Dessau und eines Meister-Einzel- hauses die Montageleitung übertragen. Mit Eröffnung der Bau- abteilung wird er Mitarbeiter von Hannes Meyer und stellvertre- tender Leiter der Bauabteilung. 1929 ist er im Büro Meyer/Witt- wer an der ADGB beteiligt, 1934 wird er auf Vermittlung von Gerhard Marcks an die KGS Halle berufen. am Bauhaus 89 praxis seines Büros betont, Architektur bleibt auch unter Meyer - wie später unter Mies van der Rohe - sowohl ‘Chef-’ als auch ‘Männersache’. Hatten Studentinnen während ihrer Sozialisation manches Mal auch Architekten und deren Büroalltag kennen gelernt, so hatten sie in allen Direktoren im Studienalltag weniger den entwerfenden Architekten als einen Repräsentanten der Schule, ggf. des Be- rufsstandes vor Augen. Von eben diesen Repräsen- tanten wurde ihnen einerseits signalisiert, dass sie als Studentinnen am Bauhaus erwünscht, in der Archi- tektur jedoch entbehrlich, wenn nicht unerwünscht seien. „Frauen haben in der Architektur nichts zu su- chen“ erinnert Kattina Both die kaum misszuverste- hende Haltung.288 Als Architekten werden am Bauhaus so eindeutig wie ausschließlich männliche Wesen angesprochen, dass weibliche Wesen sich ausgeschlossen fühlen müs- sen. Tun sie dies nicht, werden sie notfalls mit lang- weilig-mühseliger Arbeit beschäftigt oder vor „immer abgeschlossene“ Türen gestellt. Diese geschlechter- polare Studienrealität ist ebenso absurd wie über- mächtig, so dass Studentinnen an dieser Situation fast verzweifeln. Nachdem sie in die Baulehre aufge- nommen wird schreibt Zsuzsanna Bánki: „Gegen meine eigene Überzeugung werde ich nun also Archi- tektur studieren, was nun ausgerechnet am allerwe- nigsten für Mädchen geeignet ist, Mädchen können auf diesem Gebiet nicht einmal anständige Ergebnis- se erzielen. Denn Du denkst doch nicht etwa, daß ei- ne Frau ein Haus bauen kann, ich kann es mir jeden- falls nicht vorstellen.“ 289 Wie wurde unterichtet? Das Verhältnis zwischen Leh- renden und Studierenden am Bauhaus war sicherlich unkonventionell. Dass „die Meister (..) alles mit den Schülern kameradschaftlich besprachen“, wie Mara Auböck dies für die Anfangsjahre erinnert, mag eine Art Vertrauensverhältnis begründet haben.290 Im Un- terschied dazu beschreibt Will Grohmann die Weima- rer Jahre als Zeit harter Auseinandersetzungen.291 Wie das jahrelange Ringen um die Einführung der Ar- chitekturlehre zeigte, war die Situation am Bauhaus von deutlichen Interessengegensätzen geprägt, wo- bei Hierarchien und Machtverhältnisse zeitweilig in die Kritik gerieten, jedoch faktisch nicht in Frage ge- stellt werden konnten. Ebensowenig zur Diskussion stand das Unterrichtsprogramm, in dem nur der Vor- kurs - als Initiationsphase der Bauhauslehre - dem geschlechterpolaren Denken zumindest weitgehend entzogen war.292 Mara Auböck spricht rückblickend von einer „magische[n] Wirkung“ des Vorkurses unter Itten. Bereits 1928 äußert Wera Meyer-Waldeck über den Vorkurs der Dessauer Zeit: „eine pädagogische arbeit, wie sie beispielsweise im vorkurs geleistet wird, ist kaum noch einer steigerung fähig. Und wenn es am bauhaus nichts weiter gäbe als diesen vorkurs, so würde das menschlich und künstlerisch soviel be- deuten, daß es sich schon allein darum lohnte, herzu- kommen.” 293 Grete Meyer kommt wegen des Vorkur- ses bei Albers und wird nicht enttäuscht.294 Bot die Grundlehre unter Itten große Freiheiten bei der Dar- stellung, und regten Moholy-Nagy wie Albers das Ex- perimentieren mit Material und Form an, so blieb die- ser elementare Unterricht, in dem Studierende in an- nähernd egalitärer Weise gefördert wurden und die fachlichen Optionen des weiteren Studiums noch ebenso vielfältig wie vielversprechend schienen, doch auf ein resp. zwei Semester beschränkt. Dies dürfte der Grund sein, weshalb der Vorkurs etlichen Stu- dentinnen ebenso gut erinnerlich wie in guter Erinne- rung ist. Im Studienverlauf war zeitweilig eine handwerkliche Lehre, anschließend ein sog. Werkstattsemester vor- geschrieben. Im September 1931 wird „der seinerzei- tige beschluss auf absolvierung eines werkstattseme- sters (..) aufgehoben“.295 Für architekturinteressierte Studierende war am Bauhaus damit weder ein Bau- stellenpraktikum noch ein Büropraktikum obligato- risch. Dementsprechend selten absolvieren Architek- turstudierende Büropraktika und nur ausnahmsweise ein Baustellenpraktikum.296 Am Bauhaus selbst unter- zeichneten manche Studentinnen Lehrverträge für Tischlerei oder Wandmalerei. Kattina Both, die in der Schreinerei der Akademie in Kassel handwerkliche Fertigkeiten erworben haben dürfte, arbeitet 1925 beim Ausbau der Meisterhäuser praktisch mit.297 Im Sommer 1931 absolviert Mathy Wiener einen sechs- wöchigen „werkkurs“ bei Engemann und belegt die „Einführung in die Schweißtechniken“. Etliche Stu- dentinnen hatten bereits im Vorfeld allerlei Anstren- gungen unternommen, um handwerkliche Kompeten- zen zu erwerben. Andere absolvierten Außenseme- ster, selbst wenn sie keinen Lehrvertrag abgeschlos- sen hatten. Bereits zuvor durchliefen bspw. Eva Fern- bach, Edith Rindler und Ella Rogler Tischlerlehren. Grete Meyer fuhr Anfang der zwanziger Jahre regel- mäßig von Husum nach Bremen, weil sie im dort in einem technischen Seminar „praktische Werkstatt- arbeit“ erlernen konnte. Zu einem Außensemester wechselte bspw. Gerda Marx in eine Metallwaren- fabrik in Berlin. Annemarie Wimmer war ein ganzes Jahr lang bei der Gemeinnützigen Arbeitsgenossen- schaft in Lübeck in verschiedenen Sparten hand- werklich tätig.298 Auch Margaret Leiteritz leistet zwi- schen Juli 1929 und Juni 1930 am Staatstheater Kassel ein Praktikum ab. Einzelne Bauhausstudentinnen gewannen auch Ein- blicke in die berufliche Praxis eines Architekturbüros. Büropraktika absolvierten lediglich Wera Meyer-Wal- deck und Hilde Reiss. Vor ihrem Studium hatte Ruth 288 Vgl. FN 238 289 Zsuzsanna Bánki an Ödön Bánki, Dessau, 12.4.1931. Bánki, 1990, S.67 290 „So war es möglich, daß unter der kultivierten Toleranz unseres Direktors, Walter Gropius, das Unvorstellbare gelang. Er gab freimütig zu Manches nicht zu kennen u.[zu] verstehen, aber sein Instinkt ließ jeden Meister nach seiner Art ungestört unter- richten. Das war ein großes Glück. So war es möglich, daß ‘Alte’ und ‘Neue’ Meister (..) alles mit den Schülern kameradschaftlich besprachen.“ Brief M. Auböck an M.Hassiminski, vgl. FN 3. 291 „Es ging oft hart auf hart in den ersten Jahren des Aufbaus, es gab heftige Auseinandersetzungen zwischen den Lehrern und den Studierenden, aber Gropius vertrug Wahrheit und Wider- spruch.“ Grohmann, Will: Bauhaus und moderne Kunst, in: Neu- mann, 1985, S.245 292 Schließlich musste die - von den Meistern unter Bezug auf ele- mentare menschliche Wahrnehmung als naturgegeben unter- stellte - Geschlechterdifferenz, nach der Schülerinnen dekorativ, Schüler konstruktiv arbeiten - in den Vorkursarbeiten erst ihren Niederschlag finden. Damit garantierte das Konstrukt ‘wesens’- mäßiger Veranlagungen mittelbar den zeitlich begrenzten Frei- raum dreidimensionalen Arbeitens auch für Studentinnen. 293 Interview mit Wera Meyer-Waldeck, Lang, 1928, S.18 s. FN 244 294 Interview am 1.7.1998. 295 BHD, Beiratssitzung 30.9.1931, Bl.2, Pkt.6: „itting, wettengel, wiener (..) der seinerzeitige beschluss auf absolvierung eines werkstattsemesters wird aufgehoben. die 3 studierenden wer- den in das 3.semester bau/ausbau aufgenommen. herr rudelt ist mit der aufnahme einverstanden, kann jedoch nicht die verant- wortung übernehmen, dass sie das verlangte pensum wirklich schaffen. er muss sich bei aufbau seines unterrichtes nach den übrigen studierenden richten.“ 296 So leistete Hilde Reiss, die zunächst an der Bauhochschule Weimar studierte, 1929 ein viermonatiges Baustellenpraktikum ab. Auch Ursula Schneider und Tony Simon-Wolfskehl dürften solche Praktika absolviert haben. 297 Kattina Both studierte an der Staatlichen Kunstakademie Kassel ab ca. 1922. Sie wird 1926 in der Tischlerei als „Geselle“ ge- führt, ihr „wandhoher Schrank“ im gleichen Jahr als Warenmus- ter in das Lieferprogramm aufgenommen. Obwohl sie keinen Lehrvertrag für die Tischlerei abschließt, taucht 1927 hinter ih- rem Namen der Zusatz „Lehre“ auf. Offenbar ist sie nicht im Be- sitz eines Gesellenbriefes, wird im folgenden Jahr zurückgestuft. 298 „Ich lernte das Tischlerhandwerk (..) Beim Abschluß meines Lehrvertrages hatte ich mich zu 1 Aussensemester verpflichtet; ich verlängerte jedoch meine Lehrzeit bei der Lübecker Tischle- rei- und Baugenossenschaft freiwillig auf 2 Semester.“ LL Lange vom 3.3.1953; vgl. FN 191 90 Architekturinteressierte Studentinnen Josefek mehrere Jahre im väterlichen, Maria Müller im Architekturbüro ihres Mannes mitgearbeitet. Auch Anneliese Brauer war zuvor als Mitarbeiterin in Archi- tekturbüros tätig. Und Kitty van der Mijl-Dekker hatte zunächst Privatunterricht bei einem Architekten ge- nommen. Durch ihren Architektenvater könnte auch Mila Lederer mit dem Büroalltag bereits vertraut ge- wesen sein. Explizit auf Anraten des Meisterrates ab- solviert einzig Wera Meyer-Waldeck ein Praktikum im Büro Meyer/Wittwer in Berlin. Im Unterschied hierzu absolviert Annemarie Wilke weder Baustellen- noch Büropraktika. Sie kam lediglich als Kind durch einen Arbeiter auf der elterlichen Mühleninsel in Lübeck mit Handwerkzeugen in Berührung.299 Während Büropraktika obligatorischer Bestandteil ei- nes TH-Studiums ist - und die akademisch ausgebil- deten Architektinnen Simon-Wolfskehl und Schneider selbstverständlich volontiert hatten - finden die mei- sten Studierenden am Bauhaus im Laufe des Studi- ums keinen direkten Zugang zum Berufsfeld. Das Ab- solvieren eines Büropraktikums bleibt hier in das Er- messen der StudentInnen gestellt. Und die Studen- tinnen, die mehrheitlich zuvor Erfahrungen im Er- werbsleben gesammelt haben, drängen während des Studiums in die handwerkliche, nicht jedoch in die planerische Praxis. Lediglich Hilde Reiss nutzt regel- mäßig die Semesterferien, um in Berliner Architektur- büros Erfahrungen zu sammeln. Auch als unter den Direktoren Meyer und Mies v.d. Rohe das Studium gestrafft resp. stärker am akademischen Studium ori- entiert wird, bleibt das Büropraktikum fakultativ und damit der Eigeninitiative der StudentInnen überlas- sen. Nur vereinzelt finden wir Hinweise auf solche Ei- geninitiativen.300 War die handwerkliche Ausbildung von StudentInnen in den Werkstätten des Bauhauses nicht mit der in Handwerksbetrieben vergleichbar, so wurden außer- halb erworbene Fähigkeiten innerhalb der Produktion wie innerhalb des Bauhauses durchaus genutzt. Stu- dentinnen waren dabei nicht nur an der Produktion von Teppichen und Aschenbechern, sondern auch an der von Möbeln und Architektur beteiligt, wie bspw. am Haus Sommerfeld, dem Haus am Horn, beim Neubau des Bauhauses wie der Meisterhäuser, der Siedlung Törten, dem Haus Hahn und dem Arbeits- amt Dessau. Unter Meyer waren sie bspw. an Wett- bewerben und den Planungen für die ADGB-Bundes- schule beteiligt. Unter Mies finden wir keine studenti- sche Beteiligung an realen Projekten: Ab 1931 wur- den keine externen Aufträge mehr bearbeitet. Bauhausstudentinnen erwarben während ihres Studi- ums nur sehr bedingt Erfahrungen in der beruflichen Praxis. Die Außensemester wurden nur ausnahms- weise auf Baustellen - so bspw. beim Bau der Sied- lung Törten - abgeleistet. Die berufspraktischen Au- ßenkontakte blieben weitgehend auf das Bauhaus- umfeld beschränkt. Es entsteht immer wieder der Eindruck, dass der berufspraktische - im Vergleich zum handwerklichen - Kompetenzerwerb weit hinten auf der Wunschliste der Studentinnen stand. Nur sehr vereinzelt volontierten oder arbeiteten einzelne - wie Lotte Beese, Wera Meyer-Waldeck, Ruth Josefek, Hilde Reiss und wahrscheinlich auch Margot Loewe - in Architekturbüros. Studiendauer und Studienerfolge Wie lange studieren Studentinnen an einem Bauhaus, an dem ihnen bis Ende der zwanziger Jahre die Aus- bildung in räumlichen Klassen vorenthalten wurde? Und unter welchen Umständen führt ihr Studium dort zu Erfolgen? Die weitaus meisten der architekturinteressierten Bauhausstudentinnen absolvieren am Bauhaus kein komplettes Studium. Auffällig viele Studentinnen ver- bleiben nur sehr begrenzte Zeit am Bauhaus. Mehr als die Hälfte der an räumlichen Gestaltungsfragen interessierten Studentinnen studiert dort nicht einmal zwei Jahre. „Die Unbegabten spuckte das Bauhaus automatisch wieder aus, sie konnten sich nicht länger als ein hal- bes Jahr halten“, hält Tut Schlemmer noch Jahrzehn- te später am zentralen Erklärungsmuster fest.301 Um 1921 steigt die Zahl der Studienabbrecherinnen deut- lich, was auf einen kausalen Zusammenhang mit der Einführung der Frauenklasse verweist. Nur in Einzel- fällen scheiden Studentinnen aus finanziellen Grün- den aus, scheitert die Weiterführung des Studiums am Schulgeld.302 Nicht immer lässt sich der Abbruch so eindeutig als direkte Folge vorenthaltener Qualifi- kationen belegen wie bei Lotte Gerson und Eva Fern- bach.303 Da jedoch etliche Studienabbrecherinnen ihre Ambitionen andernorts weiterverfolgen, wird sichtbar, dass das Studienangebot den individuell gesteckten Zielen häufig nicht Rechnung trug und verweist damit ebenso auf enttäuschte Erwartungen wie die auffällig kurze Studiendauer der meisten Studentinnen.304 Die geringe Chance, hier ein Diplom erwerben zu können, machte ein langjähriges Studium nicht nur für archi- tekturinteressierte Studentinnen wenig attraktiv.305 Entsprach - wie Droste betont - „die tatsächlich von Frauen geleistete Arbeit (..) dem Standard der übli- chen Leistungen an der Schule“ 306, und waren in der ersten Zeit nach Gründung des Bauhauses anlässlich der Jahresausstellungen auch Studienleistungen von Studentinnen prämiert worden, so bleibt in den fol- genden Jahren eine Anerkennung im Studium weit- gehend aus.307 Während mit der Einführung von Di- plomen ab 1929 fast drei Viertel aller diplomierten 299 „Der war eigentlich Hilfsarbeiter in dem Mühlenbetrieb, würde man sagen. Er hatte nichts gelernt und konnte alles. Er machte den sehr großen Garten (..) und dann die vielen Öfen (..). Wo es irgendwas zu tun gab, das machte er, und der spielte mit mir, und beschäftigte mich wenigstens mit allem, was er tat. Da- durch lernte ich auch mit Handwerkszeug sehr früh umgehn.“ Annamaria Mauck im Interview 17.11.1995 300 So soll der Weggang von Hilde Katz und Margot Loewe Ende 1932 nach Paris durch ein Volontariat motiviert gewesen sein. Auch Zsuzsanna Bánki thematisiert 1932 ein Volontariat. 301 FN 4 302 So spielten bei Mara Utschkunowa und Ursula Schneider finan- zielle Schwierigkeiten eine Rolle. Die elterliche Alimentierung bei Lotte Beese soll dürftig resp. unzureichend gewesen sein. (Schilt / Selier, 1993, S.11) In der Frage des Schulgeldes zeigte sich das Bauhaus unnachgiebig. So wurde bspw. Ruth Josefek die Teilnahme am Unterricht untersagt. BHD, NL Engemann, Protokoll Beiratssitzung am 25.1.1933, Bl.1, Pkt.3: „schulgeld josefek. ist trotz wiederholter mahnungen und stellung einer letzten frist nicht eingegangen. es wird ihr teilnahme am unter- richt untersagt und klage angedroht.“ Auch Käthe Schmidt, die zum Herbst 1932 aus der Bauabteilung in die Weberei zurück- kehrt, „scheidet aus finanziellen Gründen aus. das noch nicht gezahlte schulgeld kann ihr nur gestundet werden. es ist bei besserung ihrer finanziellen verhältnisse noch zu zahlen.“ (Ibid., Beiratssitzung 11.1.1933, Bl.2 Pkt.11) 303 Wenn sich bspw. Rindler, Enders, Markos-Ney, Katz, Ulrich und Loewe nach dem Umzug des Bauhauses von Dessau nach Ber- lin nicht mehr einschreiben oder Both, Fernbach, Beese, Rogler und Marx direkt erwerbstätig werden, wird nicht sofort erkenn- bar, ob sie sich damit primär einer neuen Perspektive zu- oder vom Bauhaus abwenden. 304 Nicht unbedingt zu den Studienabbrecherinnen sind diejenigen Studentinnen zu rechnen, die in einen zuvor erlernten oder aus- geübten Beruf zurückkehren, wie bspw. Simon-Wolfskehl, Gey- er-Raack und Schneider. 305 Auch für Studentinnen der Weberei, die in Weimar nicht einmal einen Gesellenbrief erwerben konnten, stellte sich offenbar die Frage der Qualifikation. Gunta Stölzl ergriff deshalb die Initiative, eine Art Kreativdiplom zu vergeben, das auch als Scherzdiplom bezeichnet wurde. 306 Droste, 1989, S.198 am Bauhaus 91 Studenten das Bauhaus mit einem Bau-Diplom ver- lassen - 81 der insgesamt 131 vergebenen Diplome sind Bau-/Ausbaudiplome - erhalten nur wenige Stu- dentinnen ein Diplom außerhalb der Weberei.308 Im Unterschied dazu wird Studenten häufig auch dann ein Bau-Diplom zuerkannt, wenn sie überwie- gend in anderen Werkstattbereichen oder gar nicht in der Bau/Ausbauwerkstatt studieren. Ein solches Bau/ Ausbau-Diplom erhalten bspw. Werner Zimmermann, Max Enderlin und Gerd Balzer. Zimmermann verlässt das Bauhaus Ende 1930 im Alter von 24 Jahren nach sieben Semestern mit einem Bau/Ausbau-Diplom.309 Seit Frühjahr 1927 am Bauhaus hatte er nach dem Vorkurs bei Moholy-Nagy, gemeinsam mit der drei- zehn Jahre älteren Marianne Brandt in der Metall- werkstatt Beleuchtungskörper entwickelt. Brandt arri- viert 1928 zur stellvertretenden Leiterin dieser Werk- statt und verlässt das Bauhaus nach zehn Semestern 1929 mit einem Diplom in Metall. - Werner Zimmer- mann bearbeitete am Bauhaus ebensowenig Archi- tekturprojekte wie Max Enderlin, dem im Sommer 1932 - 23jährig - ein Bau/ Ausbau-Diplom zuerkant wird. Enderlin hatte zunächst bei einem Mannheimer Architekten gelernt und studierte zwischen 1928 und 1932 in Dessau in der Metall- und Webereiwerkstatt. Er setzte sich Anfang der dreißiger Jahre bei Klee und Kandinsky insbesondere mit Fragen der Wand- malerei auseinander.310 Auch Gerhard Balzer wird im Sommer 1932 im Alter von 23 Jahren nach einer ein- jährigen Studienreise durch England ein Bau/Ausbau- Diplom verliehen. Er hatte vor seinem de facto nur fünfsemestrigen Studium als Tischlerlehrling gearbei- tet und brachte weder Erfahrungen noch Studienlei- stungen im Bereich Architektur mit.311 Der erste Antrag einer Studentin auf Erteilung eines Diploms im Bau-/Ausbau wurde im Herbst 1930 von Lotte Gerson gestellt. Der Meisterrat verweigert ihr nach zwei Jahren in der Bauabteilung jedoch das Di- plom, „weil trotz der anerkannten fleissigen und sau- beren arbeiten selbständige schöpferische tätigkeit von ihr nicht erwartet werden kann“.312 Margaret Lei- teritz, die 1928 ihr Studium am Bauhaus aufnimmt, studiert nach der Grundlehre im Winter 1928/29 in der Wandmalerei und im Ausbau. Zwischen Juli 1929 und Juni 1930 leistet sie am Staatstheater Kassel ein Praktikum ab.313 Ans Bauhaus zurückgekehrt studiert sie Freie Malerei und Weberei. Nur ein Jahr später, und nach nur zwei von fünf Studiensemestern in die- ser Fächerkonstellation, erhält sie ein Diplom in We- berei und Freier Malerei. Innerhalb der vorgesehenen sechs Semester gelingt es keiner Bau/Ausbaustudentin ein Diplom zu erwer- ben.314 Und dennoch verlassen vier Bauhaus-Studen- tinnen die Institution mit einem Diplom der Bau-/Aus- bauabteilung. Alle vier Diplome werden jedoch in ei- nem auffallend kurzen Zeitraum - zwischen Juni und August 1932 - verliehen.315 Wieviel Zeit benötigten diese Studentinnen bis zum formalen Studienabschluss? Wie lange studierten sie de facto Architektur am Bauhaus? Die erste Diplo-mandin - Wera Meyer-Waldeck - er- hält im Juni 1932 26jährig das Diplom. Sie studierte neun Semester, davon vier im Bereich Architektur.316 Im August diplomiert die 32jährige Maria Müller nach insgesamt acht Semestern, davon drei im Bau/Aus- bau.317 Zum glei-chen Zeitpunkt erhalten Annemarie Wilke und Hilde Reiss ihre Diplome im Bau/Ausbau. Sie haben jeweils acht Semester studiert und sind bei Beendigung ihres Studiums 26 bzw. 22 Jahre alt. Von diesen vier Diplomandinnen nahm nur Hilde Reiss das Studium direkt nach dem Abitur auf und studier- te ausschließlich Architektur. Ließ die Verteilung der Diplome nach Fachsparten ei- ne geschlechtsspezifische Vergabe eines hinter ver- schlossenen Türen agierenden Meisterrates erken- nen, so verweist die enorme Schwankungsbreite in- nerhalb der Bau-Diplomandinnen auf eine völlig de- regulierte, ja willkürliche Diplomvergabepraxis, nach der Studentinnen ein Bau-Diplom seltener durch Be- stehen aller anberaumten Prüfungen nach der vorge- sehenen Zeit als durch eine Fügung des Schicksals ereilte. Der ‘Fall Wimmer’ ist insofern symptomatisch, als er die Gleichzeitigkeit von geregeltem Studienablauf und ungeregelter Zertifizierungspraxis und damit die Machtverhältnisse im Konfliktfall plastisch illustriert. Der Beirat verweigert Annemarie Wimmer im März 1932 die Diplomzulassung, da das Studium noch nicht beendet sei, beschließt jedoch vier Wochen später: „Wimmer ist im neuen Semester nicht mehr Studierende, da das Studium beendet ist“.318 Am 15. 8.1932 wird das Bauhaus-Diplom Nr.101 auf den Na- men Annemarie Wimmer ausgestellt.319 Im Nachlass befindet sich jedoch lediglich ein von Mies van der Rohe erst im November 1932 unterzeichnetes Zeug- nis. Hatten Hilberseimer oder Reich der Studentin ge- genüber bereits geäußert, dass sie sich in ihrem sechsten Semester zum Diplom melden solle? Da nicht sein kann, was nicht sein darf, nämlich die Ver- gabe eines Architekturdiploms ohne die persönliche Billigung Mies van der Rohes, beschließt der Beirat Mitte April an Wimmer ein ‘Ausbau-Diplom’ zu verge- ben und erklärt ihr Studium für beendet. Offenbar in- sistiert die Studentin jedoch, dass sie die für ein Bau- diplom erforderlichen Studienschritte erfolgreich ab- solviert habe.320 Und sie ist nicht bereit, den abschlie- ßenden „entwurf für ein studentinnenheim“ als Aus- bauprojekt einstufen zu lassen.321 In das maßgebliche Ermessen des Direktors gestellt, erhält sie Monate später schlussendlich ein Zeugnis, in dem dieser 307 Dabei wurden bspw. Arbeiten von Mara Utschkunowa (1919), Elfriede Knott und Toni von Haken-Nelissen (1920) ausgezeich- net. Anfang der dreißiger Jahre wird bei einem Wettbewerb für Garderobengarnituren bspw. ein Entwurf von Reiss prämiert. Dieser Entwurf soll im Unterricht bei Arndt entstanden sein. 308 Von den 106 an Studenten vergebene Diplome wurden 77 im Bereich Bau/Ausbau vergebn 309 Werner Zimmermann (1906-1975), Diplom Nr. 29 Bau/Ausbau vom 12.11.1930 - Marianne Brandt, Diplom Nr.2 vom 10.9.1929. 310 Max Enderlin (1909-1944) Bauhaus-Diplom Nr.85 im Bau/Aus- bau vom 12.8.1932. Vgl. Fiedler, 1987, S.149 311 Gerd Balzer (1909-1986), 15.8.1932 Bauhaus-Diplom Nr.99 312 FN 190 313 Auch während des Außensemesters wird sie in Freier Malerei, im Sommersemester 1930 als Studentin in Ausbau und Weberei geführt. Vgl. Biografie Leiteritz. 314 So erhalten bspw. Gerson und Enders nach sechs Semestern am Bauhaus kein Diplom. Enders scheint ein Weiterstudium und einen Umzug nach Berlin zumindest erwogen zu haben. 315 1932 werden insgesamt 42 Diplome, davon 33 im Bau/Ausbau vergeben. 316 Im ersten Semester besuchte sie die Grundlehre, drei Semester wurde sie wg. Krankheit beurlaubt, eines volontierte sie im Büro Meyer/Wittwer. Neben der Tischlerlehre studierte sie ein Seme- ster Städtebau bei Stam, ein Jahr in der Ausbauabteilung unter Arndt und Meyer und ein Semester Wohnungs- und Siedlungs- bau bei Hilberseimer. Vgl. Diplomzeugnis vom 12.7.1932, S.93. 317 Sie hospitiert ab dem Wintersemester 1928 zunächst in der Wandmalerei, bringt im Sommersemester 1930 ihr zweites Kind zur Welt und wechselt erst unter Mies zur Architektur. 318 BHD, NL Engemann, Beiratssitzung am 14.3.1932, Bl.1, Pkt.3: „annemarie wimmer. auf die ausstellung kann nicht verzichtet werden. eine zulassung zum diplom scheint nicht möglich, da das studium noch nicht abgeschlossen ist. mit frau lilly reich zu besprechen.“ - Beiratssitzung 12.4.1932, Bl.2, Pkt.15 „wimmer, ti [schlerei] ist im neuen semester nicht mehr studierende, da das studium beendet ist. sie hat gelegenheit in der ti ihr gesel- lenstück fertigzustellen.“ 319 Das - bspw. bei Dietzsch aufgeführte - Diplom Nr.101 dürfte als Diplom im Ausbau ausgestellt worden sein. Wimmer legt am 13.5.1932 mit einem Kleider- und Wäscheschrank in Esche die Gesellenprüfung ab und tritt zwei Tage später offiziell aus dem Bauhaus aus. Ihr Name taucht zum Ende des Sommerseme- sters erneut auf: „gesellenstück wimmer. der verkaufspreis wird auf rm 100,- festgesetzt.“ - Ibid., Beiratssitzung 14.7.1932, Bl.2, Pkt.13 92 Architekturinteressierte Studentinnen Entwurf als „freie arbeit“ aufgeführt ist. Ganz anders erinnert Annamaria Mauck die Diplom- vergabe: „Ich war nicht so fixiert auf den Abschluß, und dann überkam uns der Abschluß eben zwangs- weise, so hat sich das ergeben.“ 322 Wilke studierte ebensowenig wie Wimmer oder Meyer-Waldeck bei Mies van der Rohe. Sie genoss jedoch hohe Akzep- tanz bei Reich und zählt zu den Glücklichen, bei de- nen sich ein Diplom wie eine unausweichliche Fü- gung des Schicksals „ergeben” hat. Manche Studentinnen reagierten auf die Ungleichbe- handlung, die ihnen trotz kulturellem Kapital und Le- benserfahrung nahezu keine Chance bot, architekto- nische Kompetenzen und formale Qualifikationen zu erwerben, in dem sie Zertifizierungen nur eine geringe Bedeutung zuerkannten, ihrerseits darauf „verzichte- ten“.323 Jahre nach ihrem jeweiligen Abgang benöti- gen sie dennoch manches Mal derlei formale Qualifi- kationen.324 Dennoch identifizieren sich zahlreiche Studentinnen so weitgehend mit dieser Schule und ihren program- matischen Ansprüchen, dass sie Sprachregelungen, Umgangs- und Ausdrucksformen übernehmen, sich assimilieren. Auch wenn Einzelne durchaus Kritik an 320 Annemarie Wimmer scheint Mies van der Rohe nicht bekannt zu sein. Nachweislich entwirft sie im Wintersemester 1931/32 bei Hilberseimer Siedlungshäuser und studiert Ausbau bei Reich. Das Sommersemester 1932, in dem sie das ‘Studentinnenheim’ entwirft und ihre Zulassung zum Diplom anfragt, ist ihr sechstes Bauhaussemester und ihr fünftes Semester im Bau/ Ausbau. Wimmer beteiligt sich nach dem kostufra-Streit evtl. auch am Boykott der Jahresausstellung. 321 Gerd Balzer schreibt im November 1932 an Reinhold Rossig: „Bist Du noch einmal bei der Wimmer gewesen - sie ist jetzt hier in Berlin, um um ihr Diplom zu kämpfen, denn man hat ihr nur ein ‘Genügend’ gegeben.“ ((BHD, 25 - K - 1932-11, Brief Balzer an Rossig, November 1932, Bl.1, S.2) - Da das Bauhaus-Diplom jedoch nicht benotet ist, handelt es sich offenbar um Auseinan- dersetzungen über den Diplomstatus, das vermutlich für ‘Aus- bau’, nicht jedoch für ‘Bau’ ausgestellt wurde. Vgl. Biografie Wimmer 322 Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995. Die Darstellung als zwanghaftes Schicksal - im Unterschied zu anderen, ‘fixier- ten’ KommilitonInnen - weist darauf hin, dass Mauck die Un- gleichbehandlung bewusst ist. 323 „Man geht dann weg, da man meint, alles gelernt zu haben“, beschreibt Petzinger diese Haltung Kattina Boths. (Vgl. FN 238) Angesichts der zeitgleichen Aussage - „Gelernt haben wir nix, wir haben nur unseren Charakter gefestigt“ - klingt diese Dar- stellung widersprüchlich, verweist jedoch auf den limitierten Kompetenzerwerb. 324 So wenden sich bspw. Friedl Dicker 1931 und Katt Both 1936 an den ehemaligen Bauhausdirektor Gropius mit der Bitte ihnen nun ein Zeugnis auszustellen. Diese Empfehlungsschreiben - die einzigen, die Gropius ehemaligen Bauhausstudentinnen im Be- reich Architektur ausstellt -, erhalten Dicker und Both als sie sich weit entfernt vom Bauhaus bewegen. Zu den ‘Zeugnissen’ Dicker und Both vgl. Kap.7, resp. Biografien. am Bauhaus 93 Diplomzeugnis Wera Meyer-Waldeck vom 12.7.1932, Auszug der Seiten 3 und 4 (S.5 unten) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar der Umsetzung des Programms üben, so wählen sie dafür i.d.R. individuelle, keine politisch wirksamen Wege.325 Angesichts der großen Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit - der ihnen suggerierten Möglichkeiten und dem ihnen zugestandenen Bereich der Zweidimensionalität - bleibt den an räumlicher Gestaltung interessierten Studentinnen außer dem Abdrängen in die Weberei resp. der Suche nach Pa- tronagen oder Schleichwegen nur eine Möglichkeit: Die des Studienabbruchs am Bauhaus. Ein Studien- ortswechsel war für Bauhausstudentinnen nicht un- bedingt attraktiv, ein Studium an Technischen Hoch- schulen für Studentinnen ohne Abitur nicht denkbar. Dennoch wechseln manche nach dem Studienab- bruch am Bauhaus in Architekturklassen an Akade- mien und Technischen Hochschulen.326 Daneben lässt sich bei einigen wenigen nachweisen, dass ihnen au- ßerhalb des Bauhauses der Zugang zu baulich-räum- lichen wie technischen Aufgaben gelingt.327 Der hohe Anteil architekturinteressierter Studienab- brecherinnen macht deutlich, dass Studentinnen, die sich von diesem Studium auch den Erwerb professio- neller Kompetenzen und einer formalen Qualifikation versprachen, die Verdrängung aus räumlichen in flä- chige Gestaltungsbereiche und die Reduktion ihres Aktionsradius´ auf die Webereiwerkstatt nicht akzep- tierten. So ist der Studienabbruch nicht die einzige, aber die deutlichste Reaktion architekturinteressierter Studentinnen auf die reale Studiensituation am Bau- haus.328 Die elterliche Alimentierung des Studiums steht für architekturinteressierte Bauhausstudentinnen i.d.R. nicht in Frage. Nicht nur Väter, auch (Groß-)Mütter kommen gelegentlich für Studiengebühren und Le- benshaltungskosten auf.329 Lotte Gerson gibt an, dass ihre Eltern ihr die Freiheit einräumten, ihren Weg frei zu wählen. Demgegenüber bezeichnet Kattina Both ihre Studienzeit als „Entfremdung“ von der Familie, auch wenn sich ihre Eltern der Berufswahl „in groß- zügiger Haltung nie entgegengestellt” hätten.330 Lud- wig Bernoully und Alois Rindler setzen sich bei der Aufnahme für das Studium der Töchter, Hans Meltzer für eine Diplomoption der Tochter ein. Olga Arpasi- Bánki begleitet ihre Tochter zur Immatrikulation. Und Hilde Reiss dürfte von einem Onkel bei der Suche nach Praktika unterstützt worden sein.331 Besondere Rücksichtnahme zeigt Lizzie Diestelmann-Marx, die auf Wunsch der Tochter ihre Hospitation am Bauhaus 1927 unterbricht.332 Studiensituationen - Studienklima Am Bauhaus studieren überwiegend ledige Studen- tinnen aber auch manche, die bereits während des Studiums mit Freunden zusammen leben, Kinder ha- ben, verheiratet oder geschieden sind.333 Dies findet in den Rahmenbedingungen - wie Zeitstruktur und Studienablauf - keinen Niederschlag. Das Studienan- gebot am Bauhaus richtet sich an ledige und kinder- lose Studierende. In Weimar und Berlin waren die Studierenden grund- sätzlich, in Dessau überwiegend auf private Quartiere angewiesen. Dabei wohnten Studentinnen in der Re- gel möbliert bei alleinstehenden Damen.334 Als sich die ungarische Abiturientin Zsuzsanna Bánki 1930 am Bauhaus Dessau einschreibt, berichtet ihre Mutter über die studentischen Wohnverhältnisse: „Die mei- sten Studenten wohnen in ‘Siedlungen’, einer Art ein- fachem Villacampus, aber 30-40 Minuten vom Bau- haus entfernt. Im Winter muß man sehr früh aufste- hen und sie würde erst sehr spät abends nach Hause kommen, außerdem ist es schrecklich primitiv.“ 335 Etliche Studentinnen bezogen jedoch trotz der gro- ßen Distanz Untermietquartiere in den aus großbür- gerlicher Sicht ‘schrecklich primitiven’ Siedlungen.336 Mit den Ateliers im ‘Prellerhaus’ standen in Dessau ab 1926 erstmals Wohnmöglichkeiten für Studierende auf dem Gelände zur Verfügung, die sich - obschon teurer als private Quartiere - großer Nachfrage erfreu- ten.337 Nur wenige Bauhausstudentinnen wohnen in familiären Konstellationen, noch bei den Eltern oder in Wohngemeinschaften - wie in der Berliner Zeit.338 Stellte das Programm allen begabten Studierenden fachlichen Kompetenzerwerb und inhaltliche Ausein- andersetzung in Aussicht, so war dies in räumlichen Fächern de facto den Studenten vorbehalten. Anhand der Studienabbrüche wurde deutlich, dass Studentin- nen die zunehmend subtileren Formen der Ausgren- zung wahrnahmen und nicht akzeptierten. Manche konnten oder wollten dies jedoch schlicht nicht wahr- haben. Zu anachronistisch und absurd war im Selbst- verständnis vieler Studentinnen die Vorstellung ge- schlechterpolaren Denkens. „Der Plan Ihres Bauhauses ist so wundervoll, daß ich sofort wußte, daß ich später nur da arbeiten wolle”, schreibt Tony Simon-Wolfskehl im Juni 1919 an Gro- pius.339 „Nehmen Sie nun noch bitte allen Dank dafür, daß sie an meiner Arbeit nicht vorübergegangen sind und vor allem, daß man hier frei atmen und das junge wollende Leben fühlen darf“, bedankt sie sich „erge- ben“ nach dem ersten Besuch, bei dem Gropius ihrer vorbehaltlosen Bewunderung denn auch erliegt.340 Auch Ruth Hildegard Raack macht 1920 bereits in der Bewerbung aus ihrem Enthusiasmus keinen Hehl: „Ich komme nach Weimar auf die Bauhausschule, weil ich seit dem Augenblick, wo ich von den Bau- 325 „Die technik ist dazu da, das leben angenehmer zu machen (..) aber die kunst macht es erst wertvoll.“ Wera Meyer-Waldeck im Interview 1928, s. FN 244 326 Studiensemester wurden nur zwischen Technischen Hochschu- len anerkannt, zum anderen bot das akademische Studium nicht immer eine Alternative. Für Patronagen und Schleichwege ent- schieden sich häufig Architekturinteressierte, für die ein (erneu- ter) Schulwechsel nicht in Betracht kam, aber auch diejenigen, die ihre Hoffnungen nicht aufgeben wollten. Zu den Studien- wechslerinnen vgl. Kap.6 - Weiterstudium 327 So bspw. Jadwiga Jungnik, Mara Utschkunowa, Anni Weil und Gertrud Droste. Vgl. zu diesen Kap.7. Bisher liegen von etlichen Studienabbrecherinnen - so bei Grote, Becken, Horn, Wulff, Rei- che, Abegg und Viereck nur wenige Informationen über den wei- teren Lebensweg vor. Zu Lene Wulff vgl. FN 37 und 112 - Käthe Reiche ist nach dem WS 1921/22 bisher nicht nachweisbar, vgl. auch FN 21 - Zu Elisabeth Abegg und Margarete Viereck vgl. FN 19 - Zu Erika Marx vgl. FN 21. 328 Die Vielzahl der Studienabbrüche von Studentinnen in Metall und Wandmalerei lässt das Erklärungsmuster mangelnder Bega- bung wenig plausibel erscheinen. 329 Anna Simon-Wolfskehl finanziert ihrer Tochter das Jahr am Bau- haus. Hilde Reiss und Wera Meyer-Waldeck werden im Studium von ihren Großmüttern unterstützt. 330 Kattina Both, Schreiben vom 28.5.1947 331 Das Baugeschäft Ernst Kuhl, bei dem Hilde Reiss 1929 ihr Prak- tikum ableistet, war offenbar für Bauvorhaben ihres Onkels tätig. In der Publikation Fritz Ruhemann, Architekt (Berlin, 1930) ist im Inserententeil auch diese Firma zu finden. 332 Lizzie Diestelmann-Marx (geb. 30.4.1880 Hamburg) hospitierte ab Mitte der zwanziger Jahre am Bauhaus. Als die Tochter nach einem Aussensemester 1930 nicht mehr ans Bauhaus zurück- kehrt, hospitiert sie dort erneut. 94 Architekturinteressierte Studentinnen Blick in das Zimmer von Lila Ulrich in Dessau um 1932 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar hausplänen hörte, von ihnen begeistert war.“ 341 Jene befreiende „Explosion“ von jungen Menschen der Weimarer Jahre, die ‘das Neue’ witterten und stürmisch ausprobieren wollten, findet in der kurzen Zeit statt, in der die Studienmöglichkeiten für Studen- tinnen noch nicht rigoros beschränkt sind. Enthusia- stisch nehmen jedoch auch räumlich interessierte Studentinnen späterer Jahre ihr Studium auf. So schreibt Zsuzsanna Bánki 1930, zehn Tage nach ihrer Ankunft in Dessau: „Ich weiß gar nicht, womit ich meinen Brief beginnen soll. Es gibt soviel zu berich- ten. Die Schule selbst ist gewaltig, die Lehrer unter- richten hervorragend, strengen sich bis zum Äußer- sten an (..) Die Lehrer sind sehr freundlich und reden mit uns.“ 342 Und auch Eva Weininger betont: „Ich war sehr glücklich im Bauhaus.“ 343 Emphatische Äuße- rungen, wie sie - auch von Architekturaspirantinnen - über die Grundlehre überliefert sind, lassen sich über die Architekturangebote nicht finden. Moholy-Nagy tritt weniger für das Selektieren als für das Entwickeln von Begabungen ein, denn „daß das wesentliche über kurz oder lang immer erarbeitbar ist, steht heute schon außer zweifel.“ 344 Dazu führt er aus: „Ein jeder mensch ist begabt (..) jeder mensch ist ton- und farbenempfindlich, tast- und raumsicher usw. (..) das heißt weiter, daß jeder gesunde mensch auch aktiv musiker, maler, bildhauer, architekt, usw. sein kann“. Diese Vorstellungen finden innerhalb des Meisterrates offenbar wenig, bei den Studentinnen umso mehr Resonanz.345 Während Lisbeth Oestreicher 1932 ihre persönliche Haltung rückblickend auch als Ergebnis des Studi- ums darstellt - „Das Bauhaus hat mich gelehrt, selb- ständig zu denken, stets meine eigenen Anschauun- gen zu verteidigen, unbefangen an neue Aufgaben heranzutreten und meine Handlungen vor mir selbst zu verantworten“ 346, geht Wera Meyer-Waldeck 1928 lediglich von einer „Festigung“ einer eigenen Weltan- schauung aus, die sie am Bauhaus bestätigt gefun- den habe.347 Und Kattina Both merkt in ihrer Rück- schau lakonisch an: „Gelernt haben wir nix, wir ha- ben nur unseren Charakter gefestigt.“ 348 Manche Studentinnen nehmen schon nach kurzer Zeit am Bauhaus die Studienangebote nicht nur als anregend sondern auch als beschränkt wahr. Dies wird bspw. deutlich, wenn Rosa Berger 1928 ihrer großen Begei- sterung über den Unterricht hinzufügt: „ich glaube, daß dasselbe menschenmaterial sich außerhalb des bauhauses bedeutend intensiver mit lebensanschau- ung, lebensgestaltung und all diesen fragen befassen würde.“ 349 Das Bauhaus sprach Studierende unterschiedlicher politischer Couleur an. Etliche Bauhausstudentinnen interessierten sich für alternative Lebensphilosophien 333 So war Schneider bereits Mutter zweier Kinder. Sie nimmt den 1926 geborenen Sohn 1927 mit nach Dessau. Müller lebt bereits mit Mann und Tochter in Dessau. Bei der Geburt des zweiten Kindes unterbricht sie das Studium kurzzeitig. Markos-Ney kommt 1931 ohne Mann und Tochter. Brauer - sie ließ sich 1928 scheiden - wohnt mit ihren zwei Kindern nördlich von Ber- lin, als sie sich 1932 einschreibt. Zu diesen Ausnahmen unter den Studierenden zählen auch Téry-Adler, Bernays-Herrlich, Viereck, Hauck-Winkelmayer, Stölzl, Brandt, Marx-Diestelmann und Knoblauch. Dass die Vielfalt an Lebensumständen auch at- mosphärisch präsent war, wird bspw. auch deutlich, wenn Ra- kette in seinen Erinnerungen an die Zeit um 1932 erwähnt, dass „Jovanowitschs“ ihr Kind in rote Windeln wickelten. Vgl. Raket- te, Egon: Bauhausfest mit Truxa, München, 1973, S.263 334 In Weimar wohnte Simon-Wolfskehl zur Untermiete. In Dessau mieteten bspw. Fernbach, Wilke und Schöder ‘möbliert’. 335 „Auch in der Stadt kann man nicht wohnen, das ist auch zu weit. Also habe ich eine Anzeige in der Zeitung aufgegeben und wir haben ein Zimmer in der Nähe gefunden, 5 Minuten vom Bauhaus entfernt in einer Villa. Es ist ein mittelgroßes Zimmer (..) 55 Mark incl. Licht und Schuheputzen.“ Olga Arpasi an Ödön Bánki, Brief vom 24.10.1930 aus Dessau, in: Bánki, 1990, S.63 336 So wohnen bspw. Rogler und Wettengel zur Untermiete in Tör- ten, Loewe in der Siedlung Fichtenbreite, Ulrich in Ziebigk. 337 Hier bezieht bspw. Both direkt nach Fertigstellung ein Atelier. Auch Beese, die zunächst in der Innenstadt gewohnt hatte, und Marx, deren Eltern in Dessau wohnen, ziehen dort ein. Sollten bei der Bauhaussiedlung in Weimar Wohnmöglichkeiten für ver- heiratete wie ledige BauhausstudentInnen geschaffen werden, so wurde mit den Ateliers lediglich eine Wohnform realisiert. 338 So wohnten Katz, Press oder Lewin bei den Eltern. Mit Mann und/oder Kindern wohnten in Weimar Téry-Adler, in Dessau Müller, in Berlin Brauer und Knoblauch. Wohngemeinschaften von Studentinnen lassen sich - im Unterschied zu Bauhausstu- denten - bisher nicht dokumentieren. Während des Gastseme- sters in Wien wohnt aber bspw. auch Schöder in einer WG. 339 SBW, Sign.155, Bl.1091, Brief Simon-Wolfskehl vom 8.6.1919 340 Ibid., Bl.1088, Brief Simon-Wolfskehl an Direktor Gropius, o.D. 341 Bewerbung Ruth Hildegard Raack, 1920, SBW, abgedruckt in: Dietzsch, 1990, Bd.II, S.52-53, Dokument 25 342 Auch der Gymnastikunterricht hat es ihr angetan: „Wir haben Unterricht in einer sehr kleinen Gruppe, erstklassige Lehrerin. So etwas habe ich noch nicht erlebt.“ Zsuzsanna Bánki an Ödön Bánki am 2.11.1930 in: Bánki, 1990, S.63 343 Eva Weininger im Interview am 2.2.1995 344 Moholy-Nagy, (1928) 1968, S.14f. 345 Er rät bspw. Marianne Brandt und Lili Schultz 1924 zur Metall- werkstatt. Schultz studiert hier nur bis Sommer 1925. Vgl. FN 21 346 FN 245 347 „Das ist meine weltanschauung, die habe ich aber schon ge- habt, bevor ich ans bauhaus kam, nur hat sie sich gefestigt, weil ich sie hier bestätigt gefunden habe.“ Wera Meyer-Waldeck im „interview mit bauhäuslern“, Lang, 1928, S.18, vgl. FN 244. 348 Kattina Both im Interview mit Petzinger. (S.47) vgl. FN 238. 349 Interview mit Rosa Berger (Lang, 1928, S.25). Berger hatte zu- vor bereits an der Webschule Berlin studiert. am Bauhaus 95 Zeichenunterricht in Dessau Unterricht in Möbelkonstruktion bei Alfred Arndt Einzelkorrektur bei Hinnerk Scheper Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar und schlossen sich bereits in ihrer Jugend dem Wan- dervogel und damit der einflussreichsten Jugendbe- wegung seit der Jahrhundertwende an.350 Einige we- nige Studentinnen - wie Käthe Reiche und Elisabeth Abegg - finden wir im Studierendenausschuss.351 Manche - wie Judith Kárász, Lotte Beese, Ricarda Meltzer und Irena Blühova - werden als Mitglieder der kommunistischen Studentenfraktion (kostufra) auch parteipolitisch aktiv, andere - wie Zsuzsanna Bánki und Hilde Reiss - solidarisieren sich mit politischen Aktionen ohne selbst Mitglieder zu werden.352 Hinwei- se eines politischen Selbstverständnisses finden wir bspw. auch bei Both und Gerson.353 „wir kommen am bauhaus nicht um die politik herum. (..) wir können natürlich keine häuser bauen für verhältnisse, die gar nicht da sind, aber von selber werden auch keine vernünftigen sozialen verhältnisse kommen. die arbeit und die lebensgestaltung müssen hand in hand ge- hen“, äußert Lotte Gerson 1928 ganz im Duktus Han- nes Meyers, kurz nachdem sie „Baulehreanwärterin“ wird.354 Die Ende 1931 am Bauhaus erschienene Karikatur „Faschismus ist an dieser Institution autorisiert“ rea- giert auf die Veränderung des politisch-kulturellen Kli- mas zu Beginn der dreißiger Jahre.355 Nun bekunden auch hier manche Studierenden offen ihre Sympathi- en für nationalsozialistische und antisemitische Hal- tungen. Andere treten gegen den deutlichen Rechts- ruck am Bauhaus auf, kritisieren die ‘law-and-order- Mentalität’ Mies van der Rohes als politischen Op- portunismus. Während die politische Polarisierung unter den Studierenden spürbar zunimmt356, wenden sich insbesondere jüdische Studierende vom Bau- haus ab: Szuszanne Markos-Ney, Edit Rindler, Mar- got Loewe und Hilde Katz schreiben sich in Berlin nicht mehr am Bauhaus ein. Nicht nur Studentinnen, die zuvor gearbeitet und / oder geheiratet haben, studieren als „recht selbstän- dige junge Damen“. Auch wenn die Finanzierung durch den elterlichen Wechsel alimentiert wird, be- trachten Bauhausstudentinnen das Studium i.d.R. nicht als verlängerte Adoleszenz sondern als selbst- bestimmte Lebensphase. Etliche - darunter ebenso die katholisch erzogene Lore Enders, wie die Pro- testantinnen Lotte Beese, Ursula Schneider, Maria Müller, Matty Wiener und Annemarie Wimmer - treten vor oder während ihres Studiums aus der Kirche aus. Auch wenn religiöse Bindungen in den meisten Her- kunftsfamilien nicht bestimmend waren, so markiert die verhältnismäßig hohe Zahl von Kirchenaustritten auch einen Bruch mit familiären Traditionen.357 Hier spiegelt sich die Suche nach einem eigenständigen Selbstverständnis wider. Als Suche nach einer „Ga- rantie für die menschliche Existenz“ beschreibt bspw. Lotte Beese ihre Jugend rückblickend: „Ich hatte ver- sucht diese [Garantie] zu finden in dem Studium von Swedenborg, Nietzsche, dem Katholizismus, dem Buddhismus und der Anthroposophie.“ 358 Völlig selbstverständlich geht bspw. Bánki 1932 da- von aus, ein Volontariat „bei Le Corbusier (..) oder dem einen oder anderen großen Niederländer“ zu ab- solvieren. Andererseits finden wir bei denselben Stu- dentinnen auch Verunsicherungen. Als kurz darauf ihr Studium zu scheitern droht, schreibt sie: „Ich werde am Bauhaus doch nicht wieder angenommen. Nun muß ich in die Welt ziehen. Bis jetzt habe ich noch nicht einmal eine Idee, wohin ich gehen sollte.“ 359 Ähnlich verunsichert war sie nach der Grundlehre. „In jedem Fall habe ich in vielerlei Hinsicht hier viel stu- diert, und dennoch ist es nichts, was mir liegt, dieser Beruf. Langsam verliere ich den Boden unter den Fü- ßen; und ich weiß selbst auch nicht mehr was ich möchte oder was ich lieber möchte.“ 360 Im Februar 1920 schreibt Toni von Haken-Nelissen an die Direktion: „Da ich mich im März verheirate, melde ich mich hierdurch als Schülerin des Staatli- chen Bauhauses ab.“ 361 Ebenfalls ohne Abschluss scheidet im März 1921 Elisabeth Abegg - nun verhei- ratet mit dem Bauhausstudenten Werner Chomton - aus.362 Und auch Lou Berkenkamp, seit 1920 in der Wandmalerei, bricht nach ihrem zweiten Lehrjahr im Sommer 1922 ihr Studium ohne Abschluss ab, als ihre Heirat mit dem kommilitonen Hinnerk Scheper bevorsteht. „Ich bitte meine Frau, Alexandra Röhl, aus der Liste des Staatl. Bauhauses zu streichen, da meine Frau vorläufig keine Kraft zu weiterer Arbeit in künstlerischen Dingen hat und sich ganz dem Haus- halt widmet“, schreibt der Bildhauereistudent Karl Peter Röhl bereits Ende 1919 an die Leitung des Staatlichen Bauhauses.363 Er selbst verliert offenbar keinerlei Kraft und studiert - wie die Gatten aller Ge- nannten - weiterhin am Bauhaus. Bis Mitte der zwanziger Jahre führt die Heirat ebenso offensichtlich wie kausal zum Studienabbruch einer Studentin.364 Im Unterschied dazu wird während der Zeit in Dessau und Berlin die Architekturambition der jeweiligen Studentin durch eine private Bindung mit einem [Architektur-]Studenten eher verstärkt. Häufig scheinen aber auch diese Studentinnen die eigenen Ambitionen denen eines Freundes unterzuordnen. Nicht nur Mila Lederer und Gertrud Arndt folgen - scheinbar ohne Rücksicht auf die eigene Qualifikation - ihren späteren Gatten, nachdem diese ihr Studium abschließen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass das vermeintlich freiwillige Aufgeben des eigenen Studiums häufig mit einem unvermeidli- chen Perspektivwechsel zusammenfällt. Nachdem Eva Fernbach die Anerkennung ihrer mehr- jährigen Tischlerlehre von der Dessauer Handwerks- 350 So war Ursula Schneider vor 1916 Leiterin des Wandervogel in Berlin-Wilmersdorf, Lore Enders gehörte in Mannheim jahrelang einer Wandervogelgruppe an. Vgl. auch Biografie Beese. Nicht nur in Weimar interessieren sich manche Studentinnen bspw. für Mazdaznan, so bspw. Mara Utschkunowa und Alma Buscher, aber auch Kattina Both, Immeke Schwollmann und Ella Rogler. 351 Lis Abegg gehört dem Studierendenausschuss 1920, Käthe Rei- che im Wintersemester 1921/22 an. Dietzsch, 1990, II, S.326 352 So solidarisieren sich nach der Räumung der Kantine u.a. Bánki, Wiener, Meltzer und Wimmer, Reiss angesichts des Rauswurfes von Heinz Schwerin. Reiss, deren Freund Waldemar Alder 1929 in die KPD eintritt, war nach eigenen Angaben nie Mitglied der KPD. Judith Kárász wurde gemeinsam mit Isaac Buttkow propa- gandistisch für die KPD tätig und aufgrund dessen im April 1932 aus Anhalt ausgewiesen. Als Mitglied der Internationalen Arbei- terhilfe dürfte sich neben Irene Blühova auch Annemarie Wim- mer einer Exkursion zu einer Veranstaltung der IAH in Berlin 1931 angeschlossen haben. (Blühova, 1983, S.8) „In Dessau kam ich zum erstenmal in engere Berührung mit der Arbeiterbe- wegung und der marxistischen Theorie (..) Ich trat der IAH und der Roten Hilfe bei, jedoch noch nicht der Partei. (..) Frühjahr 1932 (..) Eintritt in die KPD.“ (LL vom 3.3.1953; vgl. FN 191) 353 „Im 18. Lebensjahr stand ich im linksgerichteten Lager der Ju- gend.“ Schreiben Both vom 28.5.1947 354 Interview mit Lotte Burckhardt [geb. Gerson] Lang, Lothar: in- terviews mit bauhäuslern, in: Bauhauszeitschrift, 2.Jg., 1928, H.2/3, S.26. 355 Broschüre Bauhaus, November/Dezember 1931, zit. Nach Hahn in Barron, 1999, S.212 356 So spiegelt bspw. die Sitzordnung in der Bauhausmensa in Des- sau, wo - wie bspw. Carl Bauer erinnert - die ‘Linke’ an der Fen- sterfront, die ‘rechte’ Fraktion am Tisch im Eingangsbereich isst, die zunehmende Verfestigung politischer Lager. 357 Die genaue Anzahl wie der Zeitpunkt der Kirchenaustritte konnte nicht ermittelt werden: Schneider vor 1926, Müller vor 1930, Wimmer 1930, Enders in den dreißiger Jahren, Matty und Han- nes Beckmann sind bei ihrer Anmeldung in Wien im Herbst 1932 ‘confessionslos’. Dass dieser Bruch nicht immer dauerhaft vollzogen wird, wird bspw. deutlich, wenn Müller - wie ihr Mann ‘Dissidentin’ - ihre Kinder kirchlich taufen lässt, Meyer-Waldeck wie Wilke in späteren Jahren zum Katholizismus konvertieren. 358 Beese, Lotte: Form als zeitliche Konstruktion wiedergegeben in: Neue Heimat Monatshefte Nr.8/1981 reprint: UIFA, 1987, S. 66 359 Brief Z.Bánki an Ö.Bánki vom 13.4.1932 - Bánki, 1990, S.70 360 „Das erste Semester ist schon zu Ende, und hier gibt es keine Prüfungen mehr, nur die Ausstellung und dort entscheiden sie über das Los der Kandidaten. Das ist jetzt ungefähr drei Wo- chen her und es ist gut gelungen.” Zsuzsanna Bánki an Ödön Bánki, Dessau, 12.4.1931- Bánki, 1990, S.67 361 SBW, Sign. 152, Bl.1517, Bl.1517-1526, Schreiben Toni v. Ha- ken, Dresden, 27.2.1920. Sie hatte drei Jahre an der KGS, dann am Bauhaus studiert und bricht 1920 ohne Abschluss ab. 362 SBW, Sign.150, Bl. 534f., Studentinnenakte Abegg. 363 SBW, Sign.152, Bl.1496. Studentinnenakte Gutzeit, undatiertes Schreiben von Karl Peter Röhl. 96 Architekturinteressierte Studentinnen kammer verweigert wird, zieht es sie 1928 mit Andor Weininger ebenso nach Berlin wie Kattina Both, die zeitgleich mit Marcel Breuer und ebenfalls ohne Ab- schluss dorthin übersiedelt. Lotte Beese arbeitet 1929 im Büro Hannes Meyers in Berlin und kehrt auf des-sen Wunsch nicht ans Bauhaus zurück.365 1929 ab-solviert Gerda Marx ihr Außensemester in Berlin, als Johan Niegeman dort eine neue Perspektive sucht und findet. Im gleichen Jahr zieht Ella Rogler ein von Hans Fischli vermitteltes Angebot eines Volontariats in einem Zürcher Architekturbüro einem Weiterstudi-um am Bauhaus vor. Als 1930 Lotte Gersons Diplom-zulassung scheitert, geht sie ohne Diplom mit dem frisch diplomierten Edmund Collein nach Brünn.366 Als Ricarda Meltzer und Heinz Schwerin im April 1932 am Bauhaus mit Hausverbot belegt werden, ziehen sie gemeinsam nach Frankfurt am Main. Und als zum gleichen Zeitpunkt Mathy Wieners Antrag auf Weiter-studium scheitert, siedelt sie mit dem diplomierten Hannes Beckmann nach Wien über.367Auch wenn diese Studentinnen die eige- nen Ambitionen denen von Lebensgefährten freiwillig unterzuordnen scheinen, so fällt doch ins Auge, dass die eigenständige Ambition just zu dem Zeitpunkt untergeordnet wird, an dem der Erwerb einer eigenen Qualifikation durch äußere Umstände in Frage gestellt oder verhindert wird. Bauhausstudentinnen interessieren sich für neue, von gängigen Rollenvorstellungen abweichende Lebens- formen. Die überwiegende Zahl dieser Studentinnen sieht - als selbstbewusste Töchter liberaler Eltern - in der Suche nach Selbstbestimmung nicht nur eine persönliche Perspektive sondern eine gesellschaftli- che Dimension. Aber auch eigenwillige Töchter aus weniger toleranten Elternhäusern suchen hier einen Rahmen, um sich Konventionen - auch denen ihrer Herkunftsfamilien - zu entziehen. Sie finden im Bau- haus eine Schule, die Experiment wie Innovation zum Programm erhebt. Und sie studieren in einem Klima, das bürgerliche Normen wie akademische Traditio- nen in Abrede zu stellen scheint. Die Praxis dieser Grenzüberschreitungen findet jedoch im Schutz einer Gemeinschaft statt, die sich auch durch Abgrenzung gegenüber einer ‘spießbürgerlichen’ Außenwelt kon- stituiert, deren eigener Rahmen eine Welt für sich, aber nicht minder festgefügt ist.368 So schätzt Rosa Berger die „fähigkeit, die verschie- densten menschen aufzunehmen und ihnen (..) die verschiedensten entwicklungsmöglichkeiten zu bie- ten“.369 Wera Meyer-Waldeck beurteilt nach einem Jahr das Angebot nicht ganz so positiv: „die allge- meinen interessen beschränken sich auf ein viel zu kleines gebiet. Für mich sind literatur, tanz, musik genau so interessant wie form, farbe, mathematik oder irgendwelche statischen fragen.” Sie wünscht sich, „daß die basis des bauhauses eine noch viel breitere wäre. (..) wo so wenig anregung von außen kommt wie hier in Dessau, müßte im innern eine viel größere vielgestaltigkeit vorhanden sein, um der ge- fahr des einseitigwerdens zu entgehen.“ 370 Und of- fenbar wird ihr zuviel diskutiert: „die bauhäusler re- den zu viel und tun zu wenig, sie kritisieren zu viel und machen selber nichts besser.“ 371 Ähnlich äußert sich auch Lotte Gerson, die nach einem Jahr Studi- um am Bauhaus feststellt, „daß nicht alles so ideal ist, wie es in meiner vorstellung lebte (..) und über- haupt wird im ganzen nicht intensiv genug gearbei- tet“.372 War die Ausgangssitutation der architekturinteressier- ten Bauhausstudentinnen qua kulturellem und sozia- lem Kapital i.d.R. privilegiert, so können sie ihre Am- bitionen angesichts institutionell begrenzter Aktions- radien nicht umsetzen. Soweit sie die Ambivalenz ih- rer Situation nicht erkennen und nicht nach Studien- alternativen suchen, bleiben sie gezwungen, sich in- nerhalb der Widersprüche des geschlechterkodierten Bauhausstudiums zu bewegen. Manche projizieren ihre Ambitionen auf einzelne Kommilitonen und trans- ferieren ihr kulturelles wie soziales Kapital auf männ- liche Partner. „Im Bauhaus war das Geben und Nehmen wechsel- seitig“, erinnert Irena Blühova, und mitunter konnte dies auch zwischen den Geschlechtern gelten.373 Bekanntermaßen heirateten etliche Bauhausstudie- rende KommilitonInnen.374 Dennoch kann das Verhält- nis zwischen den Geschlechtern kaum als kamerad- schaftlich oder entspannt bezeichnet werden. Mari- anne Brandt berichtet, dass sie 1924 in der Metall- werkstatt „nicht eben freudig aufgenommen“ wurde: „Eine Frau gehört nicht in die Metallwerkstatt, war die Meinung (..) und man hat dieser Meinung Ausdruck zu verleihen gewußt“.375 Auch wenn sie mit ihren Am- bitionen bei Studenten manches Mal sehr deutliche Ablehnung erfahren unterhalten architekturinteres- sierte Studentinnen während der Studienzeit doch häufiger Freundschaften mit Kommilitonen als mit Kommilitoninnen.376 Die subtilen Anspielungen kennzeichnen die ‘double bind’-Situation der Studentinnen: Einerseits Ausnah- mefrauen, andererseits ‘nur’ Frauen wird ihnen einer- seits unterstellt, dass sie sich als Bauhausangehörige von ‘der Frau’, den ‘Damen’ positiv unterscheiden, so lange sie sich über ihre Zugehörigkeit zum Bauhaus definieren.377 Andererseits werden ihnen aber nicht die gleichen Rechte eingeräumt wie ‘echten Bau- häuslern’. An einer Erinnerung Carl Bauers wird sicht- bar, wie eng der Begriff ‘Bauhäuslerin’ aus der Sicht von ‘Bauhäuslern’ - und Bauer verstand sich selbst- verständlich als solcher - mit einem optischen Bild verknüpft ist, während ‘Bauhäusler’ für sich in 364 Auch bspw. Dolly Borkowsky verlässt das Bauhaus nach fünf Semestern ohne Abschluss, um im Frühjahr 1922 den Bauhaus- studenten Henrik Stephan zu heiraten. SBW, Sign.150, Bl.763 365 Mit dem Bauhausdirektor Hannes Meyer liiert, bleibt sie aus Rücksicht auf dessen Stellung dem Bauhaus fern. Sie bleibt zu- nächst ebenso eingeschrieben wie Gerda Marx. 366 Edmund Collein erhält am 24.10.1930, drei Wochen vor ihrem Antrag, das Bau-/Ausbau-Diplom Nr.24. 367 Der gleichaltrige Hannes Beckmann belegte seit dem Frühjahr 1929 unterschiedliche Fächer am Bauhaus. Am 7.11.1931 erhält er für seine bühnenbildnerischen Arbeiten - in seinem sechsten Studiensemester - das Bauhausdiplom Nr.61. 368 Sowohl im bildungsbürgerlichen Weimar als auch im industriell prosperierenden Dessau blieb das Bauhaus trotz seiner zahl-rei- chen Kontakte nach außen innerhalb der Stadt eher isoliert. „berlin ist die richtige stadt für das bauhaus. zusammenarbeit mit der industrie, das ist einer der punkte aus dem programm des bauhauses. Und nirgens in deutschland gibt es eine derarti- ge fülle von niederlassungen und vertretungen der industrie wie in berlin“, schreibt Hans Keßler nach dem Umzug des Bauhau- ses nach Berlin. Die konkrete Situation am neuen Standort bleibt davon jedoch unberührt: „daß ich in Berlin lebe, merke ich nur am wochenende, wenn ich in die innenstadt fahre; sonst glaubt man in einer kleinstadt zu sein.“ Brief Keßler vom 12.11. resp. 25.11.1932, in: Hahn/Wolsdorff, 1985, S.167, resp. S.169 369 Rosa Berger im Interview 1928. Lang, 1928, H. 2/3, S.25 370 Meyer-Waldeck im Interview 1928. Vgl. FN 244, S.18-19. 371 Ibid. 372 Lotte Burckhardt [geb. Gerson] im Interview 1928. Vgl. FN 354 373 Blühova, 1983, S. 9. So entwirft bspw. Friedl Dicker für Stefan Wolpe einen Einband für Noten. Er komponiert 1920 ein „Ada- gio (..) für Friedl, den verträumtesten aller Menschen“. 374 Mit Ausnahme der Weimarer Zeit wurden diese Ehen i.d.R. erst nach Studienende geschlossen. Dietzsch führt 56 Ehen zwi- schen Bauhausstudierenden auf. Dietzsch, 1990, II, Anlagen 20- 22, S.302-303 375 Marianne Brandt, 1966, vgl. FN 79 (S.157-158). 376 Mauck gibt bspw. an, am Bauhaus mit Hermann Klumpp, Fritz Schreiber und Carl Bauer befreundet gewesen zu sein, jedoch keine Freundschaft mit Kommilitoninnen gepflegt zu haben. Sie „stand gut auch mit den Feininger-Söhnen”. Reiss und Marx erinnern ebenfalls überwiegend Kommilitonen. Während Freund- schaften wie bspw. die zwischen Wera Meyer-Waldeck und Otti Berger oder Katt Both und Immeke Schwollmann auch über die Studienzeit hinaus Bestand haben, lassen sich Freundschaften zwischen Architekturstudentinnen bisher nicht nachweisen. 377 So konzediert bspw. Hans Keßler bei Hilde Katz, dass sie sich aus der großbürgerlich überkommenen Athmosphäre ihres El- ternhauses zu befreien vermocht habe, „nicht wie ihre Zwillings- schwester in einen modernismus verfiel, der sich von (..) snobis- mus nicht im wesentlichen unterscheidet.“ Hans Keßler, Brief vom 20.1.1933 an seine Mutter in: Hahn/Wolsdorff, 1985, S.172 am Bauhaus 97 Anspruch nehmen, sich durch Haltungen und innere Werte auszuzeichnen. Er kommentiert eine eher zu- fällige Begegnung mit der ehemaligen Kommilitonin Annemarie Wilke kurz vor Ausbruch des Krieges in Hannover: „Sie war eine ganz feine Dame, gar keine Bauhäuslerin.“ 378 Die Erscheinung einer feinen Dame steht aus seiner Sicht in solch krassem Kontrast zum Bild einer ‘Bauhäuslerin’, dass er in ihr quasi keine Kollegin mehr sieht. Auch wenn ehemalige Bauhaus- studentinnen - wie Annemarie Wilke - erfolgreich tätig sind, sobald sie das Out-fit, das Alter oder die politi- sche Couleur ändern, büßen sie - im Unterschied zu Bauhäuslern’ - offenbar so sehr an ‘Echtheit’ ein, dass sie „gar keine Bauhäuslerinnen“ mehr sind. Auch wenn manche Studenten - ähnlich den meisten architekturinteressierten Studentinnen - in großbür- gerlichen Familien aufgewachsen waren oder bereits studiert hatten, die ganz überwiegende Mehrzahl der Bauhausstudenten kam aus Mittelschichtsfamilien und verfügte nicht über akademische Vorbildungen.379 Damit brachten Studentinnen im Vergleich zu ihren Kommilitonen deutlich höhere kulturelle Kapitale mit. Auch das soziale Kapital der Bauhausstudierenden war faktisch zwischen den Geschlechtern verteilt. „Einige sind gekommen, denen zahlen die Eltern die Semestergebühren über die Bank. Andere wissen nicht, wovon sie den nächsten Tag leben sollen“, beschreibt Egon Rakette die augenfälligste Diskre- panz.380 Da nicht nur gemeinsam studiert, sondern häufig auch die Freizeit gemeinsam verbracht wurde, waren die Unterschiede qua finanzieller Ausstattung durchaus präsent. Bereits nach kurzer Zeit in Dessau merkt Rosa Berger an: „ich finde daß man am bau- haus äußerst materiell eingestellt ist, sonderfall ‘ar- chitekten!’ ” 381 Bauhausstudentinnen haben während des Studiums in der Regel weit weniger finanzielle Sorgen als die Mehrzahl ihrer Kommilitonen. Manche griffen nach ih- ren Möglichkeiten regulierend ein.382 Als Statusfrage löst diese Differenz Neid aus, der in Begriffen wie ‘Tuchhändlertochter’, ‘Bürgertöchter’, ‘Mädchen’, ‘Pfarrerstöchterchen’ und ‘behütete Töchterchen’ deutlich mitschwingt. So, als könnte diese Statusdif- ferenz diskursiv kompensiert werden, finden wir für Studentinnen häufig abwertende, zumindest diminu- ierende Bezeichnungen.383 Weit entfernt von einer Ge- schlechteregalität werden Studentinnen von Kommi- litonen i.d.R. aufgrund ihrer Besitzverhältnisse, als Freundinnen resp. Gattinen wichtiger Kollegen oder dank ihrer erotischen Ausstrahlung erwähnt, was be- legt, dass ihre Interessen - jenseits von proklamier- tem Teamgeist oder zeitgemäßer Kameradschaft - lediglich den traditionellen Mustern materieller, rela- tionaler und sexuelle Verwertbarkeit folgen.384 Die Rekonstruktionen der Geschlechterdifferenz - als bewusster Prozess der Nicht-Wahrnehmung resp. Ausgrenzung von Studentinnen - diente einer Hier- archisierung nach Geschlecht, die zumindest inner- halb des Bauhauses den Einfluss finanzieller wie kul- tureller Statusvorteile aushebelte. Die von Meistern unverhohlen demonstrierte Geschlechterhierarchie wurde von Kommilitonen kopiert. Marianne Brandt erinnert die realen Auswirkungen dieser Haltung im alltägli-chen Umgang, wenn sie von den Kollegen in der Me-tallwerkstatt ganz bewusst - „Man gestand mir das später ein“ - mit „vorwiegend langweilig- mühselige[r] Arbeit“ beschäftigt wurde.385 Sie erreicht akzeptable Arrangements nur dank Ungläubigkeit und Beharrungsvermögen. Ähnlich deutlich diente Howard Dearstynes Schaf- fung eines „immer abgeschlossenen“ Raumes der ei- genen Positionierung durch aktive Exklusion. Mensch glaubt kaum, dass Howard Dearstyne weitere Kom- militonInnen explizit unerwähnt lässt, wenn er lapidar „nur noch vier Leute“ konstatiert. Da jedoch Sinn und Zweck des ganzen Unterfangens - das Projekt, die Architektur, die Qualität der Gestaltung, die Ansprü- che an Idee, Konzeption und inhaltliche Auseinander- setzung mit dem Meister - in derselben Darstellung kaum der Erwähnung wert erachtet werden, wird die vermeintlich authentische Erinnerung als Konstrukt erkennbar.386 Während Bauhausstudierende in den Weimarer Jah- ren noch vergleichsweise häufig heiraten, wird diese bürgerliche Konvention ab Mitte der zwanziger Jahre zunehmend abgelehnt. Und während freizügige Um- gangsformen zwischen den Geschlechtern von den teilweise höchst irritierten Kommilitonen durchaus geschätzt werden, bleibt die ‘Befreiung von der Ehe’ für Studentinnen ambivalent.387 Diese ‘Jugendkultur’, die mit der Ehe auch das Machtgefüge zwischen den Geschlechtern in Frage zu stellen droht, tangiert of- fenbar auch das Selbstverständnis lehrender Männer, die sich in einer geschlechterhierarchischen Umge- bung eingerichtet haben. Meister wie Jungmeister- Aspiranten grenzen sich als Lehrende ab, in dem sie rigoros an der Konvention der bürgerlichen Ehe fest- halten. Die Gleichzeitigkeit von männlich-exklusiven beruflichen Netzwerken und heterosexuellen Paarbe- ziehungen mit geschlechterhierarchischer Rollenver- teilung bleibt die verbindliche Konvention des Füh- rungspersonals am Bauhaus: Verbindungen zwischen Meistern und Studentinnen werden in aller Regel in- nerhalb des ersten Studienjahres der Studentin durch Heirat besiegelt.388 Dabei erzwingen die traditionellen Verhaltenskodizes beim Statuswechsel von der Stu- dentin zur Meistergattin den kompromisslosen Ver- zicht auf Qualifikation, den Abbruch des Studiums. Während unter den Bauhausstudierenden die Ehe grundsätzlich in Frage gestellt wird, wird sie zeit- 378 Carl Bauer im Gespräch am 8.11.1997 - Annemarie Wilke übt 1939 ihren Beruf als Architektin aus und ist Mitglied im BDA. Sie realisiert Einfamilienhäuser für private Auftraggeber wie Ausstel- lungen für die Industrie. 379 In großbürgerlichen Verhältnissen waren bspw. auch Max Bill oder die Brüder v.d.Linden aufgewachsen. Und vereinzelt hatten auch Studenten - wie bspw. Hermann Klumpp - bereits zuvor ein komplettes Studium abgeschlossen. Dietzsch geht davon aus, dass ein Viertel aller Bauhausstudierenden zuvor studiert hat. Unter den architekturinteressierten Studentinnen lag dieser Anteil bei zumindest 70%. 380 Rakette, 1973, S.174 - Er beschreibt die Situation um 1931 381 Rosa Berger im Interview 1928. Vgl. FN 369 382 Rakette erwähnt bspw. immer wieder Begebenheiten, bei denen Studentinnen wie auch einzelne Studenten für Kommilitonen be- zahlen. Auch Keßler berichtet bspw.: „wir verlangen nichts für das Zimmer, da er [der Kommilitone] nur mit mühe weiterstudie- ren kann.“ Keßler 12.11.1932, in: Hahn/Wolsdorff, 1985, S.168 383 So charakterisiert Egon Rakette den „von einer Berliner Kunst- schule hergekommenen ‘Luxemburger’ (..) Er hatte genug vom verdrängten Innenleben malender Lyzeumsschülerinnen“ (Ra- kette, 1973, S.135) Während Studentinnen die Differenz im So- zialstatus i.d.R. als Alltagsprobleme erinnern - „Die zum Teil recht mittellosen ‘Jungens’ satt zu bekommen, war oft ein Pro- blem.“ (Marianne Brandt, Neumann, 1985, S.160) - thematisie- ren Studenten das Sozialgefälle - auch zwischen Kommilitonen - als Statusfrage. So bspw. Rakette: „wenn man ständig in die schweiz fahren kann...“ oder Keßler: „genau wie millionärssöhne kommunisten und pfarrerssöhne atheisten spielen.“ (Hahn/Wols- dorff, 1985, S.172) 384 „Also lotte wird immer schlanker, dann kann man sich ja mal wieder in sie verlieben? ist sie denn schon geschieden?“ (BHD 2 - K(1) - 1929-03-25 Brief Tralau an Püschel, Bl.2 S.1) - „Die an- deren Bauhäuslerinnen sind bis auf eine Schwedin wenig ver- führerisch. Vom ‘Bordell’ habe ich nicht mehr gemerkt als auf den Hochschulen.“ (Brief Hans Keßler an seine Mutter vom 24.10.1931. Keßler schwärmt hier wohl von Wysse Hägg, die ab dem Sommersemester 1931 die Grundlehre besuchte. 385 „Wie viele kleine Halbkugeln in sprödem Neusilber habe ich in der Anke geschlagen und gedacht, das müsse so sein und „aller Anfang ist schwer“! Später haben wir uns dann prächtig arran- giert und uns gut aufeinander eingestellt.“ Brandt, 1966, FN 79, S.158 386 Über seine Diplomarbeit - „Entwurf einer Badeanstalt für den Kühnauer See“ - erfahren wir nur das Thema und: „Mies fuhr mit mir zusammen hinaus, um die Gegend erst einmal anzusehen.“ (Dearstyne in Neumann, 1985, S. 318) - Diese ‘in-group’ konsti- tuiert sich durch räumliche Schließung: wer nicht ‘drin’ ist, exi- stiert in diesem Kontext nicht -, obschon Dearstyne ein anderes Erklärungsmuster anbietet: „Es scheint als unterhalte er [Mies] sich lieber mit uns als mit den unteren Semestern“. (Ibid.) 387 So bspw. hinsichtlich der Geburtenregelung. Obschon Abtrei- bungen am Bauhaus nicht skandalisiert wurden, waren uneheli- che Schwangerschaften auch hier Hohn und Spott ausgesetzt 388 Diesem Muster folgen bspw. die im folgenden genannten Ehe- 98 Architekturinteressierte Studentinnen gleich von den Lehrenden in traditionell bürgerlicher Form repräsentiert und reproduziert. Anhand des Umgangs mit architekturinteressierten Bewerberinnen wurde deutlich, dass eine Institution, die im Gründungsmanifest ihre Übereinstimmung mit dem Gleichheitspostulat der Weimarer Verfassung öf- fentlich bekannt hatte, eine verschärfte Selektion von Studentinnen für kurze Zeit im offenen Widerspruch zu diesem Gleichheitspostulat praktizierte. Offenbar geriet diese Praxis in die Kritik, denn die Legitimati- onsmuster wurden nach 1922 modifiziert. Dank weit- gehender Autonomie der Schule konnte das Kriterium künstlerischer Begabung von den Meistern jedoch weiterhin ‘geschlechtsspezifisch’ gehandhabt wer- den, wodurch der Begabungsdiskurs den faktischen Ausschluss von Studentinnen aus räumlichen Klas- sen, die Selektion nach Geschlecht im Vorfeld des Studiums wie beim Übergang von der Vorlehre ins Hauptstudium kaschierte. Über diesen offensiven - in den zwanziger Jahren be- reits unzeitgemäßen - Ausschluss von Studentinnen lassen sich in offiziellen Archivunterlagen ebenso wenig Hinweise finden wie zu der hohen Quote an Nichtaufnahmen und Studienabbrüchen von Studen- tinnen.389 Dennoch wird an Studienwechslerinnen wie -abbrecherinnen evident, dass nicht alle bereit waren, ihre Ambitionen in eine verordnete Richtung umlen- ken zu lassen. Trotz mehrfacher Modifikationen des Lehrprogramms im Laufe der zwanziger Jahre blei- ben Studentinnen die Ausbildungsangebote in Skulp- tur, Metall und Wandmalerei, und selbst in der Tisch- lerei weitgehend verschlossen. Und nach Einführung der Architekturabteilung werden sie auch dort eher geduldet als gefördet. Als Studentin am Bauhaus... Waren Studentinnen und Studenten aufgrund ihrer Begabung, und - laut Programm - unabhängig von Geschlecht, Alter, Religion und Rasse am Bauhaus aufgenommen worden, so kam der Interpretation von Vorkursarbeiten die zentrale Rolle bei der Verschleie- rung ungleicher, und derart geschlechts’spezifischer’ Ausbildungschancen von Studentinnen und Studen- ten zu, wenn sie als Projektionsfläche zur Konstrukti- on eben dieser ‘Spezifikation’ von Begabung heran- gezogen wurden. „Am Ende des Vorkurses wurde ich nicht zur Bau-Ausbau-Abteilung zugelassen, für die ich mich beworben hatte, weil meine Bewertung im Vorkurs zeigte, daß alle meine Arbeiten dekorativ und nicht konstruktiv waren, wie dies für diese Abteilung verlangt war“, erinnert Kitty Fischer [geb. van der Mijl-Dekker] über sechs Jahrzehnte später noch das Scheitern ihrer Ambitionen.390 Im Vorkurs setzten sich Studierende individuell an- hand räumlicher wie flächiger Themenstellungen mit Wahrnehmungen, Wirkungen und Materialeigenschaf- ten auseinander. Das Ergebnis waren flächige wie räumliche Arbeiten, die von Meistern in Kenntnis des biologischen Geschlechts der Studierenden beurteilt wurden. Entsprechend treffsicher wurden die Arbei- ten von Studentinnen als dekorativ, die Arbeiten von Studenten als konstruktiv eingestuft. In einem Selek- tionsprozess, der Vorkursabsolventinnen grundsätz- lich jede konstruktive Begabung abspricht und ihnen damit jede weitere Auseinandersetzung mit räumli- cher Gestaltung vorenthält, kommt den Vorkursar- beiten, die keinerlei ‘Geschlechtscharaktere’ erken- nen lassen, lediglich die Rolle des Dekorums zu. Mit Gründung der ‘Frauenklasse’ wird bereits Anfang der zwanziger Jahre die Trennung der Studierenden in vermeintlich adäquate, faktisch nach Geschlecht getrennte Ausbildungsbereiche vollzogen. Bereits die Existenz dieser Klasse offenbart, wie systematisch schließungen. Herbert Bayer und Irene Hecht (geb. 1898) heira- ten 1925. Bayer, seit 1921 Studierender am Bauhaus wird im April 1925 Jungmeister für Druck und Reklame. Hecht besucht - ohne immatrikuliert zu sein - am Bauhaus ab dem 1.6.1925 bis Dezember 1926 die Grundlehre. (Zu Irene Hecht sp. Bayer vgl. Fiedler, 1990, S.341) Margarete Heymann (geb. 1898), seit 1920 am Bauhaus, heiratet Gerhard Marcks und bricht im Sommer 1921 das Studium ab. Elsa Franke (geb. 1901), seit 1921 Bau- hausstudentin, heiratet 1922 Georg Muche und bricht ihr Studi- um ebenfalls ab. Lou Berkenkamp unterbricht ihr Studium am Bauhaus nach fünf Semestern als 1922 die Ernennung ihres zu- künftigen Gatten zum Jungmeister bevorsteht. Hedwig Düllberg- Arnheim (geb. 1894), seit Herbst 1922 am Bauhaus, heiratet 1923 Naum Slutzky und bricht das Studium ab. (Zu Düllberg- Arnheim vgl. Fiedler, 1990, S.148). Margarete Donner, seit 1922 am Bauhaus, heiratet 1924 Lothar Schreyer. Ihr Studium endet mit dem Sommersemester 1924. Helene Nonné (geb. 1891) hei- ratet 1925 Joost Schmidt, kurz bevor dieser im Oktober 1925 zum Leiter der Plastischen Werkstatt berufen wird. Ellen Hau- schild (geb. 1901), seit Frühjahr 1926 am Bauhaus, heiratet im gleichen Jahr Walter Peterhans. Sie wird zum Wintersemester beurlaubt, im November 1926 exmatrikuliert. Im Unterschied da- zu führt Arieh Sharon, der einzige Student der eine Jung-Meiste- rin heiratet, sein Studium auch nach der Heirat mit Gunta Stölzl zu Ende. Dietzsch führt 17 Eheschließungen zwischen (Jung-) Meistern und Studentinnen auf. Dietzsch, 1990, II, Anlagen 20- 22, S.302-303. - Die Ehen von Lotte Beese mit Mart Stam, Ger- da Marx mit Johann Niegemann und Lena Bergner mit Hannes Meyer werden erst nach der Zeit am Bauhaus geschlossen. (Vgl. zu Berkenkamp, Beese und Marx Biografien im Anhang.) 389 In den i.d.R. höchst penibel geführten Studentinnenakten des Bauhauses sind just die Schriftwechsel mit Bewerberinnen und Studentinnen höchst unvollständig, die ihr Interesse an der räumlichen Gestaltung artikulieren. Hier fehlt das mit Einschrän- kungen versehene Aufnahmeschreiben an Ursula Bobann-Hes- sel ebenso wie das Bewerbungsschreiben Anni Weils, aus dem „nicht klar hervorgeht, was Sie studieren möchten“. Diese ver- wunderliche Form der Archivierung deutet auf eine gezielte Sichtung der offiziellen Unterlagen. 390 Kitty Fischer im Interview mit Anja Baumhoff am 30.9.1991. Baumhoff, 1994, S.91 391 Vgl. Baumhoff, 1994, S.97 am Bauhaus 99 Dieses Foto von Lila Ulrich erscheint im Oktober 1932 im Berliner Tageblatt „Eine amerikanische Bauhausschülerin beim Anstreichen der Wände...“ Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar die Selektion von Studenten resp. die Ausgrenzung von Studentinnen betrieben wird, obschon Gropius für deren Plausibilisierung öffentlich eine Art Arbeits- schutzbestimmung für Damen reklamiert. Denn dem Überschreiten einer explizit nach Geschlecht gezoge- nen Grenze kommt symbolische Bedeutung zu, dar- auf hat bereits Baumhoff hingewiesen.391 Ein Agieren aufgrund subjektiver Interessen und Vorlieben ist Studentinnen damit kaum mehr möglich. Ein individu- elles Verhalten jenseits dieser Norm unterliegt der Repression des Normativen: Nach Einführung der ‘Frauenklasse’ können Studentinnen lediglich im Ein- zelfall - als Ausnahme von der Regel - außerhalb der Weberei arbeiten. Selbst nach Einführung einer offiziellen Architekturab- teilung ändert sich an der männlichen Exklusivität der Architekturausbildung nur wenig. Auch während des Direktorates von Meyer erwerben Studentinnen nicht die notwendigen Kompetenzen und erhalten keine Zeugnisse oder Diplome. Auf die Phase offensiven Ausschlusses von Studentinnen folgt eine Phase der Disqualifikation, Abwertung und Verniedlichung. Un- ter Mies van der Rohe werden Studentinnen häufig von technischen Fächern ‘befreit’, fachlich ignoriert und räumlich ausgeschlossen. Auch wenn im Laufe der Jahre die Zahl der Architekturstudentinnen ge- ringfügig steigt, so wurde deutlich, dass weder in den frühen noch in späteren Jahren Studentinnen in den räumlichen Klassen willkommen waren. Am Bauhaus waren Studentinnen mit einem ganzen Spektrum an Meistern und Kommilitonen konfrontiert, deren Rollenbilder i.d.R. weit traditioneller waren als dies der Gleichheitsgrundsatz im Gründungsmanifest suggerierte. Die vor Ort präsenten Mitarbeiterinnen - wie auch die Meistergattinen - repräsentierten eine Vielzahl von Haltungen, Lebensstilen und Lebenswe- gen. Beruflich erfolgreiche resp. in ihren professionel- len Leistungen anerkannte Frauen scheinen hier aber nicht existent. Volland, Droste und Baumhoff konstatierten die Mar- ginalisierung beruflicher Leistungen von Frauen am Bauhaus, wo Dozentinnen - wie Helene Börner, Ger- trud Grunow, Karla Grosch und Gunta Stölzl - durch- aus tätig, jedoch ausschließlich in untergeordneten Stellungen zu finden sind.392 Im Januar 1932 ernennt Mies van der Rohe Lilly Reich (1885-1947) zur Leite- rin der Ausbauabteilung. Damit wird den Studieren- den erstmalig eine Dozentin im Bereich Architektur präsentiert, die von manchen Studentinnen verehrt wird. Reich steht als Dozentin einerseits in der Tradi- tion aller Kompagnons von Bauhausdirektoren, reprä- sentiert gleichzeitig jedoch innerhalb der Bauhaushie- rarchie die Zuständigkeit professioneller Gestalterin- nen für den Innenraum. Auch sie erhält keinen Mei- sterinnenstatus und wird von Studierenden lediglich als Mitarbeiterin von Mies wahrgenommen.393 Das Auftreten der Direktoren gegenüber Frauen oszil- liert zwischen bürgerlich traditionellen Umgangsfor- men und aktiver Ausgrenzung.394 Dieses Verhalten bleibt weder den Studenten noch den Studentinnen verborgen. Zu offensichtlich bringen führende Herren am Bauhaus ihre geschätzte Aufmerksamkeit ledig- lich jenen Damen entgegen, die ihren Status auf die gesellschaftliche Stellung ihrer Gatten begründen und auf Erwerbstätigkeit ebenso gänzlich wie freiwillig verzichten. Besondere Aufmerksamkeit genießen Da- men, die darüber hinaus die auf ‘neue Frauen’ proji- zierten Bilder visualisieren. Dementsprechend prä- sentieren auch Meistergattinnen in aller Regel die vi- suellen Attribute moderner Frauen: moderne Haar- schnitte, moderne Kleidung, moderne Möbel, moder- ne Hobbies, moderne Autos. Auf Wunsch ihrer Gat- ten tragen sie - als ‘Ise’, ‘Tut’, ‘El’ oder ‘Lou’ - sogar modern[isiert]e Vornamen. Sie, die strikt in Abhängig- keit von ihren Gatten agieren, repräsentieren mit den Attributen der Modernität jedoch lediglich auf alther- gebrachte Weise eine vermeintlich moderne Einstel- lung ihrer Gatten. Denn sie verzichten bei Heirat um- gehend auf einen eigenen Qualifikationserwerb oder eine eigenständige Erwerbstätigkeit. Ihre materielle Abhängigkeit bleibt konditional ausgeklammert, jeder Rollenwechsel tabu. Dementsprechend enthalten sie sich zwar nicht einer öffentlichen, jedoch öffentlich jeder eigenständigen Meinung.395 Angesichts einer zu Beginn der Weimarer Republik steigenden Anzahl moderner - unabhängig agieren- der - Frauen kommt den Meistergattinnen bei der Modernisierung des Patriarchats damit eine zentrale [Vorbild-]Rolle zu: Ohne auf Attribute und Produkte des modernen Lebens verzichten zu müssen, bezeu- gen sie ihre Loyalität, in dem sie demonstrativ auf alle Errungenschaften moderner Geschlechteregalität ver- zichten. Bereits 1926 erscheint der Artikel „Das Ge- biet der Frau im Bauhaus“ von Helene Schmidt-Non- né, die spätestens seit ihrer Heirat mit dem frischge- backenen Meister Joost Schmidt 1925 diesem Loya- litätsgebot unterliegt.396 Sie veröffentlicht diesen Arti- kel bezeichnenderweise unter ihrem Mädchennamen Nonné und reklamiert damit als Studentin zu spre- chen.397 Schon an der Überschrift - das Gebiet der Frau im Bauhaus - wird deutlich, wie ernst sie ihre Rolle nimmt.398 Mit Vehemenz hält sie am „So-Sein“ der Frau fest, die sich „meistens und am erfolgreich- sten der Fläche“ zugewandt habe. Auch wenn man dies „nicht als Mangel ansprechen“ sollte, „denn gleich dem Kinde sieht sie das Einzelne und nicht das Allgemeine (..) Das erklärt sich aus der ihr fehlen- den, dem Manne eigentümlichen räumlichen Vorstel- lungskraft.“ Ebenso widersprüchlich wie fatalistisch beschreibt Nonné die eigene Aufgabe, „das Prakti- 392 Volland, Gerlinde: Avantgarde ohne Frauen. Die weitgehende Abwesenheit von Frauen in den Organisationen des Neuen Bau- ens. in: Lichtblick, Hamburg, 1989, S.14-18; Droste, 1989, Baumhoff, 1994 393 Lilly Reich, seit den zehner Jahren auch im Bereich Innenarchi- tektur tätig, arbeitete seit 1927 mit Mies zusammen. In den Erinnerungen von Studenten und Meisterkollegen finden sich - im Unterschied zu jenen von Studentinnen - häufig abwertende Urteile über Reich. So erinnert bspw. Howard Dear-styne sie als „mies right hand man“ und Frank Trudel betont: „Hier am Bau´- haus hat Mies nie irgendwelche Assistenten gehabt, es sei denn Frau Reich, die sich mit Kücheneinrichtungen und Textilentwurf befaßte.“ (Neumann, 1985, S.330) Zur Biografie Reichs vgl. Günther, 1989, Droste, 1996. 394 Insbesondere bei Gropius wird deutlich, dass er im Außenver- hältnis ‘gentleman-like’ die Form zu wahren, Damen - wie bspw. Anna Freud -, denen er für das Projekt Bauhaus Bedeutung bei- misst, strategisch einzubinden sucht. „Wie ich höre haben Sie es übel aufgenommen, daß ich Sie nicht empfangen habe, um ihnen Adieu zu sagen (..) In ihrem Fall war ich gerade mit einer dringenden Angelegenheit beschäftigt.“ (SBW, Sign.150, Bl. 614, Schreiben Gropius an Lou Berkenkamp vom 1.7.1922) Gegenüber (potentiellen) Kolleginnen - wie bspw. der Architektin Edith Schulze - verhält er sich jedoch pejorativ. 395 Meistergattinen enthalten sich in der Öffentlichkeit jeder eigen- ständigen Ambition, selbst wenn sie studieren. So besucht Julie Feininger 1919/1920 als Hospitantin den ‘Abendakt’ bei ihrem Mann. Gertrud Arndt [geb. Hantschk], die bereits zwischen 1923 und 1927 am Bauhaus mit Schwerpunkt in der Weberei studier- te und 1927 den Bauhausmeister und Architekten Alfred Arndt heiratet, studiert auch 1929 - als sie sich erneut einschreibt und eine Architekturabteilung eingerichtet ist - nicht ihren ursprüngli- chen Studienwunsch Architektur, sondern belegt lediglich ver- schiedene Kurse. - Besonders engagiert übernimmt I[l]se Gropi- us die Rolle der (Direktoren)Gattin. Sie gab anlässlich ihrer Hei- rat mit dem 14 Jahre älteren Gropius 1923 ihren Beruf als Buch- händlerin auf und nimmt im Außenverhältnis - ggf. auch allein - Repräsentationsfunktionen für eine Schule wahr, in der ihr offizi- ell keinerlei Funktion zukommt. (Vgl. Isaacs, 1983, S.335ff.) Dass sich manche Gattinnen das Loyalitätsgebot höchst bereitwillig zu eigen machen wird auch deutlich, wenn Tut Schlemmer von „automatischem Ausspucken von Unbegabten“ spricht oder Lou Scheper behauptet: „In den jungen Bauhaus-Meistern hatte das Bauhaus sich selbst bewiesen - sie beherrschten Handwerk und Form“ und betont: „In die nicht am Bauhaus verbrachte Zwi- schenzeit fielen grundlegende Arbeiten (..), die die Vorausset- zungen zur Berufung als Bauhaus-Meister schufen.“ (Neumann, 1985, S.179) 396 Schmidt-Nonné, Helene: Das Gebiet der Frau im Bauhaus in Vivos voco, V. Band, 8./9. Heft, September 1926. Bei Wingler kommentarlos abgedruckt (Wingler, 1963, S.126), nach Droste, 1989 und Baumhoff, 1994 eine Bestätigung bekannter Vorurteile 397 Helene Nonné (1891-1976) studiert ab Oktober 1924 am Bau- 100 Architekturinteressierte Studentinnen sche und zugleich ästhetisch befriedigende zu fin- den“, als eine Aushilfstätigkeit von begrenzter Dauer und untergeordneter Bedeutung.399 Der Artikel cha- rakterisiert jedoch nicht nur die Autorin als eine sich dem Ganzen wie dem jüngeren Gatten unterordnen- de Meistergattin, er lässt sich auch als flammendes Plädoyer für eine - offenbar angezweifelte - Vorrang- stellung exklusiv männlicher Aufgabenkreise lesen. Verheiratete Meister brachten ihren Status quo an das Bauhaus mit.400 Angesichts offener Kritik an bür- gerlichen Verhaltenskodices wirkt das Festhalten an ‘privaten’ Geschlechterhierarchien seltsam anachro- nistisch. Doch just die ebenso traditionelle wie reprä- sentative Ordnung der (Geschlechter-)Verhältnisse nach bürgerlicher Konvention markiert am Bauhaus die Grenze zwischen ‘Häuptlingen’ und ‘Indianern’. Dies zeigt sich anhand von Nachahmungseffekten.401 Angesichts des umfassenden, gesellschaftlichen Neugestaltungsanspruchs verblüfft die Tabuisierung jeglicher Geschlechteregalität, das rigide Perpetuie- ren konventioneller Hierarchien. Selbst bei den noch nicht verheirateten Kommilitoninnen und Kommilito- nen werden nahezu keinerlei Rollenverschiebungen sichtbar. Unzweifelhaft klaffte am Bauhaus aber nicht nur eine erhebliche Lücke zwischen proklamierten und realen Chancen. Offizielle Sprachregelungen, da- runter auch der Gleichheitsgrundsatz, erreichten eine so hohe Verbindlichkeit, dass sie - von den Wortfüh- rern dieses normativen Diskurses - ebenso selbstver- ständlich unterlaufen werden konnten. Intern wurde die Diskrepanz zwischen Anspruch und Umsetzung der Geschlechternormalität durch den Begabungsdis- kurs legitimiert und vermittelt. In der Außenwirkung war der Architekturdiskurs dominant. Aber auch die- ser blieb strategisch mit dem Geschlechterdiskurs verquickt. Gerlinde Volland hat darauf hingewiesen, dass in dem 1923 von Gropius herausgegebenen Buch „Die neue Architektur und das Bauhaus“ unter den abge- bildeten Werkbeispielen ausschließlich Künstlerinnen genannt werden, die in den Bereichen Design und Textilien tätig waren.402 Hier - wie im folgenden Jahr in Tauts „Neuer Wohnung - Die Frau als Schöpferin“ - schmücken die neuen Teppiche der Gestalterinnen von Männern entworfene Häuser, werden publika- tionsstrategisch Modernisierung und geschlechterge- trennte Gestaltungsbereiche amalgamiert.403 Intern setzt Gropius die rigorose Ausgrenzung von Studen- tinnen aus allen räumlichen Arbeitsbereichen durch. Nach Einführung der Architekturlehre tritt während der Phase Meyer ein lassez-faire Paternalismus ein. Architekturinteressierte Studentinnen werden be- lächelt und nun auch öffentlich lächerlich gemacht. Während des Direktorats Mies van der Rohes können sie bis in die Architektur vordringen, werden dabei jedoch ignoriert und isoliert. Da die Zulassung nicht formal geregelt war, blieb die Selektion ausschließlich ins Ermessen der Lehrenden gestellt. Während ‘Begabung’ offiziell als vermeint- lich geschlechtsunabhängiges Selektionskriterium hochgehalten wird, erfolgt die Verteilung von Qualifi- kationschancen auf allen Ebenen de facto nach Ge- schlecht. Damit bleibt Gender bei Selektion wie Aus- bildung der Studierenden zu allen Zeiten des Bau- hauses die zentrale handlungsleitende Kategorie. Nach tiefster Überzeugung der Meister gebührt den Studenten als den vermeintlich begabteren Studie- renden die vorrangige Förderung. „In diesem Sinne“ werden Studentinnen in ihren Ambitionen aktiv ge- bremst, umgelenkt oder ausgeschlossen. Die große haus. Sie heiratet 1925 Joost Schmidt (1893-1948) kurz vor dessen Berufung zum Leiter der Plastischen Werkstatt (Oktober 1925). 1929 schreibt ‘lene’ Schmidt-Nonne in der Bauhaus- Zeitschrift über „kinderzeichnungen“:( 3.Jg., 1929, H.2/3, S.13- 16), Zur Biografie Schmidt-Nonnés siehe Fiedler, 1987, S.165 398 „Die Aufgaben der Bauhausweberei liegen in den Grenzen des Innenraumes.“ Ibid. 399 Sie vertraut auf industrielle Lösungen: „Sobald dieser Stoff er- funden ist“ - lt. Schmidt-Nonné eine Aufgabe der chemischen Industrie und der Universitätslaboratorien - „wird für uns die Weberei erledigt sein. Aber noch ist dieser Tag nicht da; und so lange Notwendigkeiten bestehen (..) so lange sind Aufgaben [für Frauen im Bauhaus] da.“ Ibid. 400 So war bspw. Paul Klee seit 1906 mit Lily Stumpf, Lyonel Fei- ninger seit 1908 (in 2. Ehe) mit Julia Berg Lilienfeld, Gerhard Marcks seit 1914 mit Maria Schmidtlein verheiratet. 401 So, wenn auch Studentinnen wie ‘Katt’ Both und ‘Mark’ Leiteritz ihre Namen modernisieren oder die Heirat mit der beruflichen Ambition verknüpft wird: Die Ehen der Jungmeister(-in) werden alle unmittelbar vor dem Statuswechsel geschlossen. 402 Volland, FN 392 403 So selbstverständlich die Nennung von Künstlerinnen die Publi- kation als modernes Buch ausweist, so selbstverständlich bildet es Frauen in traditionellen Tätigkeitsbereichen ab. Auch hier wird ein Bild neuer Frauen produziert und zur Propagierung mo- derner Häuser genutzt wie - gleichzeitig - auf traditionelle, ge- schlechtsspezifische Sphären und Aktionsradien rekurriert. 404 „Werkmeister hauswaldt hat festgestelllt, dass von Ricarda am Bauhaus 101 Eine unbekannte Studentin beim Streichen einer Wand Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Diskrepanz zwischen Programm und Realität, Offen- heit und konventionellen Rollenklischees wird durch Diskurse am Bauhaus jedoch wirkungsvoll verschlei- ert. Ambivalente Umgangsformen und ebenso schil- lernde wie verbindliche Begrifflichkeiten erzeugen ein hochgradig suggestives Klima, in dem Begabung er- kannt, aber auch geflissentlich übersehen werden kann, Kritik überhört oder ggf. kanalisiert wird. Die organisatorische Trennung von ‘bau’ und ‘aus- bau’ markiert mit der Einführung des Architekturun- terrichts eine - nun innerhalb des räumlichen Ent- wurfs verlaufende - Geschlechtergrenze. Und eine weitere Engführung des doing gender zeichnet sich Ende der zwanziger Jahre ab. Nun müssen Studen- tinnen ihr Können auch außerhalb der turnusmäßigen Ausstellungen und Prüfungen unter Beweis stellen, werden ihre Studienleistungen immer wieder in Zwei- fel gezogen.404 So muss im Oktober 1929 bspw. Ma- ria Müller nochmals, im Frühjahr 1930 die Metall-Stu- dentin Lotte Rothschild „lt. besond. vereinbarung” ausstellen.405 Im März 1931 wird Ricarda Meltzer nur „auf scharfe probe“ in die Fotoabteilung aufgenom- men, im Juli 1931 soll Wera Itting das zweite Seme- ster wiederholen. Studentinnen bleiben im Bereich Bau unerwünscht. Und Hannes Meyer tut sich offenbar schwer, die Lei- stungen von Studentinnen angemessen zu zertifizie- ren. Als Wera Meyer-Waldeck auf Anraten Meyers ab Herbst 1929 ein Büropraktikum in seinem Berliner Büro absolviert, bescheinigt er ihr: „bei gegebenen direktiven ist sie durchaus in der lage, projekte des durchschnittlichen innenausbaus selbständig zu be- arbeiten.“ 406 Und er vergisst nicht zu erwähnen, dass seine Architekturstudentin lediglich als „Möbelzeich- nerin“ gearbeitet habe und im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Beschaffung von „wäsche, geschirr und be- stecke[n], sowie das hausreinigungsinventar“ zustän- dig gewesen sei. In einem anderen Zeugnis lesen wir: „frl. lotte beese ist sehr arbeitsfreudig, fleissig und gewissenhaft. (..) fähigkeiten und vorkenntnisse set- zen frl. lotte beese in den stand, zeichnerische mit- arbeit in einem architekturbüro zu leisten. Unter an- leitung auf dem gebiet der baustatik kann sie als si- cherer rechner gelten.“ 407 Daneben wird ihr „kombi- natorisches geschick“ bescheinigt. Bei formal zunehmender Öffnung des Architekturstu- diums ab 1930 wird die - weiterhin ausschließlich ins Ermessen der Meister gestellte - Geschlechtergrenze erneut modifiziert. Wird im Falle eines Studienorts- wechsels nun vergleichbar großzügig verfahren408, so zeichnet sich zeitgleich - durch die zunehmende ‘Be- freiung’ von Fächern wie Mathematik oder Statik - ei- ne Tendenz zur fachlichen Disqualifikation von Stu- dentinnen ab. Begründungen oder Hinweise - wie „mit rücksicht auf ihr bisheriges studium und ihre be- stimmten ziele“ - finden sich hierfür nur selten.409 An- dere erhalten nach jahrelangem Studium keine Di- plomzulassung, „weil (..) selbständige schöpferische tätigkeit von ihr nicht erwartet werden kann“ oder „man sich auch von dem gewünschten studium im ausbau nichts verspricht.“ 410 Mies van der Rohe pro- longiert die unter Meyer begonnene Ausgrenzung durch Ausdifferenzierung. Und so bietet sich auch am Ende des Bauhauses das Bild der ungestörten Männergesellschaft: In den nach der Schließung des Bauhauses „im engeren Kreis abgehaltenen Semina- ren“ Mies van der Rohes finden wir keine einzige Stu- dentin.411 Bot Gropius einzelnen Studentinnen wie Absolventin- nen im Rahmen des privaten Bauateliers die Mög- lichkeit zur Mitarbeit an konkreten Projekten, so er- öffnete sich hierdurch keiner dieser Mitarbeiterinnen eine Aussicht auf ein Beschäftigungsverhältnis, Ver- gütung oder gar auf Reputation.412 In Weimar und Dessau wurde nur Frauen mit bereits abgeschlosse- nem Architekturstudium Zutritt zu diesem Atelier ge- währt. Für die Duldung von Architektinnen im ‘Team’ ist die konkrete Verwertbarkeit bereits vorhandener Fähigkeiten ebenso konditionale Voraussetzung wie die uneingeschränkte Akzeptanz resp. Subordination innerhalb der bestehenden Hierarchie. Auch bei der späteren Mitarbeit ehemaliger Bauhausstudentinnen im Berliner Büro von Gropius und Meyer wird die Verwertbarkeit von Fähigkeiten nur nach diesen Ma- ximen in Erwägung gezogen.413 Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern am Bau- haus war vielschichtig und widersprüchlich. Einer- seits verstanden sich großbürgerlich sozialisierte Stu- dentinnen geschlechteregalitär und brachten dieses Selbstverständnis selbstverständlich auch ans Bau- haus mit. Andererseits waren sie bereits zuvor man- ches Mal mit den strukturellen Geschlechterhierarchi- en im Handwerk konfrontiert worden. Dementspre- chend verheißungsvoll dürfte die im Gründungsmani- fest proklamierte Geschlechteregalität bei handwerk- licher Orientierung geklungen haben. Vor Ort trafen diese Studentinnen jedoch auf Meister, deren tradi- tionelles Geschlechterverständnis in einem krassen Missverhältnis zu den im Programm formulierten Vor- stellungen wie auch der manchmal bereits gelebten Geschlechternormalität der Studentinnen stand. In diesem Sinne erlebten etliche Studentinnen am Bau- haus qua Geschlechterverhältnis eine Art ‘Kultur- schock’. Grundsätzlich suchten sie hier zwar radikal innovative - ggf. ‘schockierende’ - Gestaltungs- und Denkweisen, Gesellschafts- und Architekturformen. Nichts und niemand brachte sie jedoch auf die abwe- gige Idee, dass in dieser neuen Welt ausgerechnet qua Geschlecht alles beim Alten bleiben müsse. Begeistert identifizierten sich viele Studierende mit Meltzer arbeiten in der ausstellung vorgelegt worden sind, die sie nicht selbst gefertigt haben kann, weil schriftmaterial ver- wendet wurde, das das haus nicht besitzt.“ BHD, NL Enge- mann, Konferenz am 24.3.1931, Bl.1, Pkt.4 405 Ibid., 21.10.1929, Bl. 1„prüfung sommersemester 1929: (..) stu- dierende des II.semesters, die nochmals ausstellen müssen: müller, maria Wa./Ausbau,“ Ibid., „prüfung wintersemester 1929/ 30”, vom 7.4.1930 , Bl.2 „Lotte Rothschild: muss lt. besond. vereinbarung ausstellen.“ 406 BHAB, Zeugnis für Wera Meyer-Waldeck, unterzeichnet von Hannes Meyer am 14.7.1930. Praktikum vom 15.9.1929 bis 15.4.1930. Ausgeführt wurde bspw. der für das ADGB-Projekt von Meyer-Waldeck entwickelte Schreibtisch, der zur Standard- möblierung der Zimmer diente. 407 BHAB, Bauhaus-Zeugnis Lotte Beese vom 29.10.1929, S.3. Das von Kandinsky unterschriebene Zeugnis dürfte nicht ohne Mey- ers Mitwirkung entstanden sein. Vgl. Biografie Beese 408 So wird 1930 bspw. Hilde Reiss´ Studienjahr an der Bauhoch- schule Weimar als gleichwertig anerkannt. Hilde Katz wird nach zweijährigem Architekturstudium an der Ittenschule Berlin für das 4.Semester zugelassen. 1932 studiert bspw. Anny Wetten- gel gleichzeitig im ersten und zweiten Semester Baulehre. Inge Stipanitz wird im Januar 1932, in ihrem ersten Semester am Bauhaus, zur Baustofflehre für das zweite Semester zugelassen. BHD, NL Engemann, Protokoll der Beiratssitzung am 5.1.1932, Bl.1, Pkt. 5 „baustofflehre II.semester. mit zustimmung von herrn studienrat müller wird den studierenden des I.semesters: hilgers, stipanitz und ulrich teilnahme am II.semester baustoff- lehre gestattet.“ 409 BHD, NL Engemann, Beiratssitzung 4.11.1931, Bl.2 Pkt.11. Dem Protokoll lassen sich diese Ziele nicht entnehmen. 1930 werden bspw. Ulrich und Wiener, 1931 Gerson, Bánki, Schmidt und Schöder von Fächern befreit. 410 Ibid., sowie FN 190 resp. FN 178 411 An diesen Kursen nahmen bspw. Trudel, Dearstyne und Weber teil. Vgl. Hahn/Wolsdorff, 1985, S.147f. - Siehe auch „5 Privat- schüler im Tessin” (Trudel in Neumann, 1985, S.330) 412 Da sowohl Simon-Wolfskehl als auch Schneider das Baubüro verlassen, als ihre familiären Alimentierungen zur Neige gehen, scheint ihre Mitarbeit nicht vergütet worden zu sein. Vgl. Werk- biografien im Anhang. 413 Aufgrund dieser Selektionsstrategie wird erklärlich, weshalb die Mitarbeit von Gestalterinnen in subalternen Positionen so leicht verschwiegen, die Urheberschaft vom Architekten reklamiert werden kann. 102 Architekturinteressierte Studentinnen den offiziellen Zielen. Sie folgten den bewunderten Meistern nahezu bedingungslos. Lou Scheper erin- nert sich an jene Mischung aus „Lust und schlechtem Gewissen“, die angesichts der vorhandenen Wider- sprüche kaum ausbleiben konnte.414 Denn Widersprü- che waren nicht nur im Geschlechterverhältnis son- dern in nahezu allen Bereichen präsent. So in der Diskrepanz zwischen dem reklamierten Stellenwert der Architektur und der Realität des Architekturstudi- ums, zwischen proklamierter und realer Kollegialität, zwischen Ausbildungs- und Produktionsinteressen, zwischen Selektion nach Begabung und Nepotismus. Zumindest Studierende höherer Semester nahmen dies bewusst wahr. Sie scheinen über die die realen Machtverhältnisse im Bauatelier-’Team’ ebensowe- nig im Unklaren gewesen zu sein wie über das Ver- hältnis der Meister untereinander.415 Es lässt sich nur bruchstückhaft rekonstruieren, wann und wie am Bauhaus Fragen der Geschlechteregalität resp. Geschlechterdifferenz präsent waren. Während 1919 in der Studentenzeitschrift „Der Austausch“ die Frage des Geschlechterverhältnisses für kurze Zeit als offen geführte Debatte sichtbar wird, tritt mit Ein- führung der ‘Frauenklasse’ eine Tabuisierung des Ge- schlechterdiskurses ein. In den Entwürfen von Dicker/ Singer zeigte sich, dass die Frage geschlechterega- litärer Grundrißdisposition um 1922/23 am Bauhaus präsent war. Auch wenn die Entscheidung für das Stahlhaus von Muche auch eine Entscheidung gegen den Entwurf von Forbat / Gropius war, sichtbar wird gleichzeitig, dass geschlechteregalitäre Überlegun- gen in der Architektur am Bauhaus nicht fortgeführt wurden. Hatten 1919 Studentinnen wie Dörte Helm und Käthe Brachmann noch darüber debattiert, ob die Chan- cengleichheit der Geschlechter aufgrund unterschied- licher Voraussetzungen erst erlangt werden müsse oder bereits erreicht sei, und hatte Resi Jäger-Pfleger gefordert: „wir wollen mehr als toleriert werden” 416, so thematisierten im Laufe der zwanziger Jahre Mei- ster wie Kommilitonen die Verschiedenartigkeit der Geschlechter. Frauen kommen öffentlich nurmehr dann zu Wort, wenn sie grundlegende - biologische resp. psychologische - Geschlechterdifferenzen re- klamieren.417 Der vielzitierte Artikel „Das Gebiet der Frau im Bauhaus“ markiert dabei nur die Spitze der- art instrumentalisierter Authentizität, bei der Meister- gattinen als Sprachrohr ihrer Männer fungieren. Analog zu den Protagonisten des Werkbundes, die in der Kommission für das ‘Haus der Frau’ 1914 ihnen verpflichtete Frauen resp. Gattinen darüber hatten wachen lassen, dass Ausstellerinnen die Grenzen vermeintlich weiblicher Tätigkeitsbereiche nicht über- schritten, veröffentlichen nun Meistergattinen ihre Er- kenntnisse über ‘die Bestimmung der Frau’ und ver- weisen ihre Geschlechtsgenossinnen in die Schran- ken.418 Die öffentliche Proklamation geschlechtsspezi- fischer Defizite kennzeichnet ein Klima am Bauhaus, in dem geschlechteregalitäre Vorstellungen von Stu- dentinnen keinen öffentlichen Raum mehr einnehmen (konnten). Ob Privatatelier, Bauatelier oder Baubüro, Aufnahme- verfahren, Selektion, Zeugnis oder Diplom: Immer werden Bauhausstudentinnen lediglich semiprofes- sionelle Bereiche - zuarbeitende, subalterne Tätig- keiten - zugewiesen. Für die Modernisierung der Ge- schlechterhierarchie innerhalb des Bauhauses liest sich Hildebrandts Buch „Die Frau als Künstlerin“ wie eine Gebrauchsanweisung. Unter der Prämisse, dass sich das Schaffen „schöpferisch auch ohne Heraus- stellung eines Werkes, das die Blicke auf sich lenkt“ und „gleichsam anonym“ vollzieht, empfiehlt er „Stel- lungen, (..) in denen die Frau als seine Gehilfin und Kameradin Kräfte erproben mag.“ 419 Die Konflikte um Zulassung einzelner Studentinnen zu Metall und Architektur, aber auch Holzbildhauerei und Bühnenbau charakterisieren damit weniger fach- spezifische Geschlechterkonstruktionen als eine Aus- bildungspolitik, die Studentinnen nicht professionell auszubilden gedenkt, da sie ihr Ziel in der - bevor- zugten - Ausbildung von Studenten sieht. Im Hinblick auf eine potentielle Berufstätigkeit werden formale Qualifikationen dementsprechend auch nur an Stu- denten vergeben. Analog zum Werkbund sind Frauen auch am Bau- haus nur insoweit und so lange erwünscht als sie ihre Energien und Ambitionen zum Wohle der Schule, sei- ner Protagonisten und Studenten einbringen. Dabei werden traditionelle Gestaltungsformen wie -ziele in Frage gestellt, die Tradition der Geschlechterhierar- chie aber beibehalten und jeglicher Kritik entzogen. Mit Ausnahme des Vorkurses, der - im Unterschied zu Werkstätten und Kursen - koedukativ stattfindet und der damit der einzige Bereich bleibt, in dem Re- alität und Programm annähernd zur Deckung ge- bracht werden, bleiben die Ausbildungsangebote für Studentinnen ebenso lückenhaft wie fragwürdig.420 Denn so sehr ihnen innovative Gestaltungsziele nahe- gelegt werden, so systematisch werden ihre Möglich- keiten professionellen Kompetenzerwerbs erschwert oder behindert. Die Chance, eigene Ambitionen, ei- gene Arbeiten und die eigene Person im Hinblick auf eine tragfähige Berufsperspektive zu entwickeln und im Rahmen des Bauhauses zu positionieren, wird weder Studentinnen noch Dozentinnen zugestanden. Für die Entwicklung einer professionellen Identität als Architektin bieten sich hier keinerlei Anknüpfungs- punkte. Soweit und solange die Sinnhaftigkeit des Studiums 414 „Wir malten und spritzten in Gemeinschaftsarbeit (..) mit Lust und schlechtem Gewissen, denn wir waren uns bewußt, daß un- ser Tun gänzlich unfunktionell sei.“ (Scheper-Berkenkamp in Neumann, 1985, S.177) Sie erinnert die Ausmalung der Kantine in Weimar im Mai 1920, „deren Wände und Deckenkonstruktio- nen bis in die letzten, nur mit farbgetränkten hochgeschleuder- ten Schwämmen erreichbaren Ecken“ sie „als Tummelplatz be- wegter Ornamente“ bezeichnet. 415 Vgl. Jaeggi, 1994, S.138 - Und Mauck erinnert: „auch die Mei- ster untereinander pflegten keine Freundschaften. (..) Wenn ich zum Beispiel an Kandinskys denke, seine Frau war sehr schwie- rig, und er sehr reserviert, sehr.“ Interview am 17.11.1995 416 Forderung von Resi Jäger-Pfleger in: Austausch, Juni, 1919. Im gleichen Heft wendet sich Dörte Helm vehement gegen biologi- stische Zuschreibungen: „Es ist falsch nach Unterschieden zwi- schen den Geschlechtern hier zu suchen.” (Ibid. ) Käthe Brach- mann hatte ausgeführt: „Es schwingt und tönt in mir, ich darf mitarbeiten. (..) Und ich finde keine Ruhe, bis ich nicht meiner Dankbarkeit Ausdruck verliehen habe. Als Frau besonders halte ich meinen Schatz. Denn was sind wir Frauen hier? Wir sind wie alle berufstätigen Frauen den Männern zum mindesten ein Ge- genstand des Mitleids. ‘Warum füllst Du nicht Deinen natürli- chen Beruf aus?’ das ist die eingehendste Frage die sie stellen, manche äußerliche geht voraus. (..) So glaubt mir, wir können nicht anders als unsere Kräfte spielen lassen wie ihr. Wir tun es nicht aus Eitelkeit, nicht aus Übermut, noch weniger aus Ver- achtung unseres Mutterberufes. So haben auch wir hier in die- ser Schule uns eingefunden, weil wir hier, jede einzelne von uns, eine Arbeit fanden, die wir nicht liegen lassen durften! Gönnt uns diese Arbeit alle! Dank denen die es schon tun.“ Vgl. zu Helm Werkbiografie im Anhang. Die biografischen Daten von Brachmann sind unbekannt. Therese [Dora] Jäger-Pfleger (geb. 17.1.1890 Leipzig) wird 1919 nicht am Bauhaus aufgenommen. 417 Auffälligerweise wird die Differenz der Geschlechter jedoch nicht von Studentinnen mit räumlichen Ambitionen beschworen. 418 Sie, die eine eigene berufliche Perspektive mit der Heirat aufge- ben, generalisieren ihre Entscheidung für alle Geschlechtsge- nossinnen. Da die Unterordnung oder Aufgabe eigener Ambiti- onen anlässlich der Eheschließung jedoch allzu deutlich Rollen- bildern bürgerlicher Gattinnen des 19.Jahrunderts folgt, konter- kariert deren öffentliche Propagierung als authentische Erkennt- nis moderner Frauen jeden Emanzipationsanspruch. 419 Hildebrandt, 1928, S.155 resp. S.157. „Das organisatorische Wirken Lilly Reichs vollzieht sich gleichsam anonym. Wer fragt bei einer Ausstellung, (..) wem er die Freude verdankt?“ 420 So wenn die Weberei - als bevorzugte Disziplin für Studentinnen - nicht auf den Erwerb eines berufsqualifizierenden Abschlusses angelegt ist. Der Wunsch der Meister nach geschlechtergetrenn- tem Unterricht wird auch daran erkennbar, dass auf dem Höhe- punkt der Geschlechterdebatte eine Geschlechtertrennung in der Grundlehre erwogen wird (Rundbrief vom 15.3.1921, zitiert nach Baumhoff, 1994, S.87) oder im Meisterrat eine Fusion von Weberei und Frauenklasse bereits unterstellt wird, noch bevor diese 1922 stattfindet. (Ibid., S.143) am Bauhaus 103 nicht in Zweifel gezogen werden muss, ordnen sich die meisten Studentinnen den Kodizes starrer Ge- schlechterstereotype unter. Notgedrungen nehmen sie sogar Ausgrenzungen hin und verzichten auf for- male Qualifikationen. Etliche versuchen, individuelle Interessen und Begabungen in Nischen zu verfolgen. Andere intervenieren trotz der Aussichtslosigkeit des Unterfangens offensiv für eine gleichberechtigte Teil- habe. Daneben lassen sich Distanzierungen zu ein- zelnen Meistern oder deren Positionen finden. So wenn bspw. Wera Meyer-Waldeck ihre Mitschrift ei- ner Kandinsky-Vorlesung für die Freundin Otti Berger kommentiert: „wenn du dich jetzt hinsetzt und auf diese Ergüsse hin ein Bild malen willst, dann wird es ganz bestimmt Mist. Ich habe nur durch meine Ver- suche gelernt.“ 421 Angesichts der - in persona der Meister - untrennba- ren Verbindung von modernem Unterricht mit tradi- tionellen Geschlechtervorstellungen bewegen sich Studentinnen permanent zwischen den vermeintlich unvereinbaren ‘Rollen’: ‘Frau’ und ‘Architekt’. Eine Gleichzeitigkeit beider Identitäten scheint ausge- schlossen. Denn die Ablehnung gestalterischer und gesellschaftlicher Konventionen und Normen führt weder zur kritischen Reflexion über geschlechtsspe- zifische Privilegien noch zum Verzicht auf bürgerliche Lebensformen. In Anbetracht der realen Machtver- hältnisse ist den i.d.R. individuell - und immer in einer Minderheitenposition - agierenden Studentinnen ein Ausbrechen aus diesen Polaritäten nicht möglich. So verwundert es kaum, dass sich Studentinnen entwe- der im Laufe ihres Studiums bis zur Selbstaufgabe assimilieren oder nach kurzer Zeit völlig abwenden. Resümee Bauhausstudierende kamen häufig über Umwege aus allen Himmelsrichtungen und unterschiedlichen kultu- rellen Kontexten ans Bauhaus. Architekturinteressier- te Studentinnen waren nicht ausnahmslos aber über- wiegend in großbürgerlichen, häufig liberalen Eltern- häusern und zumeist in städtischen Milieus mit gro- ßen Freiheiten aufgewachsen. Sie waren religiös nicht gebunden, hatten mehrheitlich ein Abitur erworben und häufig musische Ausbildungen genossen. Die meisten dieser Studentinnen schrieben sich nach un- terschiedlichsten Vorerfahrungen am Bauhaus ein. Nur ein Drittel der Studentinnen nahm das Studium direkt im Anschluss an die Schulausbildung auf. Sie hatten manches Mal zunächst ein Haushaltsjahr ab- solviert, einen typischen Frauenberuf erlernt oder ein - i.d.R. musisches - Studium aufgenommen. Weit häufiger als Bauhausstudenten, denen sie qua Bil- dung, kulturellem Kapital und Lebenserfahrung in Nichts nachstanden, hatten architekturinteressierte Bauhausstudentinnen bereits studiert. Kaum seltener als ihre Kommilitonen verfügten sie auch über hand- werkliche Vorerfahrungen. Nicht zuletzt aufgrund der vielfältigen Ausbildungs- wege im Vorfeld des Studiums war die Altersstruktur wie auch die jeweilige Lebenssituation der Studentin- nen höchst heterogen. Ebenso disparat resp. indivi- duell waren die Motive für ein Studium am Bauhaus. Für viele Bauhausstudentinnen war die räumliche Gestaltung ein Teil ihrer weit gesteckten Ambitio- nen.422 Manche sahen ihre Interessen und Neigungen eindeutig in der Architektur. Bei der überwiegenden Mehrheit der Studentinnen fällt die Studienentschei- dung in Abkehr von zuvor gesammelten Studien- und Berufserfahrungen resp. in Abgrenzung zu familiären Erwartungen. Wie viele der mehr als 1200 Studierenden in der Ab- sicht Architektur zu studieren ans Bauhaus kamen, kann bisher ebensowenig beziffert werden wie die Zahl der Bewerberinnen, die während des Direktorats von Walter Gropius aufgrund ihrer architektonischen Ambitionen bereits innerhalb des Aufnahmeverfah- rens scheiterten. Wahrscheinlich interessierte sich etwa jede/r Fünfte auch für Architektur.423 Oft war die Neugier der Studentinnen durch Men- schen aus ihrem privaten Umfeld geweckt, ihre Auf- merksamkeit durch persönliche Berichte auf das Bauhaus gelenkt worden. In der Regel suchten sie am Bauhaus mehr als ein Studium oder eine Berufs- ausbildung. Sowohl in Weimar als auch in Dessau und selbst während der kurzen Zeit in Berlin interes- sierten sie sich häufig für verschiedene Disziplinen, verstanden diese Schule als eine Möglichkeit, unter- schiedliche Gestaltungsbereiche, verschiedene Le- bensformen und sich selbst auszuprobieren. Auf der Suche nach lebensweltlichen Orientierungen und ex- perimentellen Lebensformen wurden sie manches Mal fündig. Neben einer hohen Identifikation mit Ide- en und Haltungen sind große Affinitäten mit einzelnen Lehrenden zu beobachten. Während des Studiums entstanden persönliche Bindungen, die häufig weit über die Studienzeit hinaus existierten. Soweit Studentinnen ihre Architekturpriorität bereits im Vorfeld zu erkennen gaben, wurden sie während des Direktorats Gropius schlichtweg nicht aufgenom- men. Anhand der Ablehnungsmuster zeigte sich, dass primär nicht Begabung und Vorbildung sondern die vermeintlich geschlechtsadäquate Ambition beur- teilt wurde. Soweit Absolventinnen der Grundlehre dreidimensional zu studieren gedachten, wurden sie i.d.R. ausgegrenzt. Da die Arbeiten von Studierenden auch beim Übergang vom koedukativen Vorkurs in die - de facto geschlechtergetrennten - Werkstätten und Kurse des zweiten Studienjahres in Kenntnis des 421 BHA, Hannes Meyer, 658/5, Brief von Wera Meyer-Waldeck an Otti Berger, 27.Juli 1927 - In der Vorlesung ging es um Kompo- sitionsprinzipien wie den ‘goldenen Schnitt’ aber auch die pola- re Charakterisierung von Formelementen: „vertikale Linien sind aktiv, horizontale passiv”. Meyer-Waldeck bemerkt zumindest, dass die vorgegebenen Regeln für ihre Bedürfnisse nicht ausrei- chen. 422 So interessierte sich bspw. Anneliese Fleischmann, seit 1922 in der Textilwerkstatt tätig, am Bauhaus keinesfalls nur für Frage- stellungen der Weberei. Dies zeigt ihr Artikel „Wohnökonomie” in: Neue Frauenkleidung und Frauenkultur, 1925, H. 21, S.7-8. 423 Die Zahl architekturinteressierter Studentinnen wird auf ca. 70, die der Studenten auf ca. 200 geschätzt wird. 104 Architekturinteressierte Studentinnen blick ins bauatelier, 2h nachts Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar biologischen Geschlechts beurteilt wurden, konnte der Zirkelschluss des doing gender wirksam vollzo- gen werden. Dabei kaschierte das Kriterium individu- eller, künstlerischer Begabung die geschlechtsexklu- sive Selektion äußerst wirkungsvoll. Auch wenn Lou Scheper-Berkenkamp das Bauhaus nach Jahrzehnten als eine Art gesunden Organismus erinnert, dessen Selbstheilungskräfte gegen Dogma- tismen geschützt hätten424, gegen die Geringschät- zung der künstlerischen Ambitionen von Studentin- nen wie der systematischen Missachtung potentieller Architektinnen schützte am Bauhaus nichts und nie- mand. ‘Konstruktive’ Begabungen blieben männlich, Studentinnen bestenfalls ‘flächig’ begabt. Einige wenige suchten in den zwanziger Jahren im Schutz männlicher Patronagen individuelle Schleich- wege zur Architektur über Tischlerei, Wandmalerei oder Metall. Friedl Dicker, Alma Buscher, Dörte Helm, Otti Berger, Kattina Both fanden - trotz Hartnäckig- keit, Flexibilität und Kompromissbereitschaft - nur temporär Zugänge und kamen lediglich in Teilberei- chen der Architektur zum Zuge. Nur bereits ausgebil- dete Architektinnen konnten im Baubüro Gropius mit- arbeiten, professionelle Perspektiven wurden ihnen nicht eröffnet. Die weitaus meisten Studentinnen ver- ließen das Bauhaus ohne einen formalen Studienab- schluss. Etliche akzeptierten die für sie höchst einge- schränkte Perspektive nicht und brachen das Studi- um ab. Erst mit Eröffnung der Architekturabteilung 1927 gelang es sukzessive einigen wenigen Studen- tinnen, im Bereich Bau auch offiziell zugelassen zu werden. Zeitgleich wird diese Abteilung unter Hannes Meyer jedoch aufgeteilt. Die Trennung in eine profes- sionelle und eine semiprofessionelle Ausbildung bot Studentinnen weiterhin nur eingeschränkte Möglich- keiten des Kompetenzerwerbs. Als Architekturinter- essierte blieben sie belächelt, ihre Arbeiten unbeach- tet. Ob sie sich an Gemeinschaftsprojekten beteilig- ten oder eigenständig entwarfen, qualifizierte Zeug- nisse oder Diplome im Bereich der Baulehre erhielten Studentinnen auch während dieser Zeit nicht. Mit der Aufwertung der Architektur im Lehrplan des Bauhauses unter dem Direktorat Mies van der Rohes wurde das Bauhaus „de facto (..) eine vereinfachte, praktische Technische Universität“.425 Die Binnendif- ferenzierung in ‘Bau’ und ‘Ausbau’, die Grenze zwi- schen Außen- und Innenarchitektur resp. den Ge- schlechtern blieb erhalten: Keine Studentin genoss die Betreuungsintensität oder Aufmerksamkeit, die Mies ‘seinen’ Studenten angedeihen ließ. Das Archi- tekturstudium führte für Studenten in aller Regel zum Bau-Diplom, für Studentinnen nur in vier Ausnahme- fällen. Auch während der Phasen Meyer und Mies brachen Studentinnen das Studium in diesem Be- reich ab. Manche führten es an anderen Orten weiter, andere suchten einen direkten Einstieg ins Berufsfeld. Wurden während der Jahre in Weimar Einfamilien- häuser, insbesondere freistehende Bauten für experi- mentelle Wohnformen entworfen und mit jeder kon- kreten Bauaufgabe möglichst ein Exempel statuiert, so verschieben sich unter Hannes Meyer die Ent- wurfsthemen deutlich in Richtung Siedlungs- und Ge- meinschaftsbauten: Die in Dessau studierenden Stu- dentInnen entwarfen anhand möglichst realer Projek- te Gebäude für das kollektive Leben. Unter Mies van der Rohe rücken wieder Bauaufgaben privater Auf- traggeber, und damit insbesondere das freistehende Wohnhaus ins Zentrum der Entwurfsthemen. Außer- dem wurden hier - insbesondere im letzten Studien- jahr - auch öffentliche Bauten entworfen. Fanden wir zu Beginn in Weimar Studentinnen und Studenten zunächst in allen Bereichen und war der Anteil der Studentinnen in den Anfangsjahren des Bauhauses noch signifikant hoch, so sank er sichtlich mit der rigorosen „Reduzierung des weiblichen Ge- schlechts“. Der Studentinnenanteil im Bereich Bau- /Ausbau und Städtebau erreichte an den Bauhäusern in Weimar, Dessau und Berlin nie 20%. Bereits um 1920 zeichnete sich die Schließung räumlicher Aus- bildungsbereiche für Studentinnen ab. Sie wurde mit der Einrichtung der Frauenklasse 1921 manifest und fand 1922 ihren vorläufigen Abschluss durch die Fu- sion von Weberei und Frauenklassen. Auch während der Dessauer Zeit änderten sich die Rahmenbedin- gungen bis zum Frühjahr 1927 nur unwesentlich: Studentinnen wurde bestenfalls der Entwurf von Mö- beln und Inneneinrichtungen zugestanden. Mit der Einführung eines Architekturstudiums wuchsen die Chancen des Kompetenzerwerbs, mit der zeitgleich eingeführten Binnendifferenzierung des Fachgebietes und einer für den Innenausbau zuständigen Dozentin wurden die Chancen für Studentinnen jedoch erneut minimiert. Ihr Handlungsradius blieb weitgehend auf den Möbelbau beschränkt. Erst in den letzten zwei- einhalb Jahren des Bauhauses gelang es Studentin- nen, hier auch Architektur zu studieren, betreut wur- den sie dabei eher selten. Immer wieder versuchten Studentinnen, in den ihnen nahezu hermetisch verschlossenen Bereich der Ar- chitektur vorzudringen, legten - erfolglos - Einspruch gegen die unterschiedlichsten Benachteiligungen ein oder entwickelten architektonische Entwürfe. Eigen- willige Projekte wurden jedoch ausgegrenzt, gefor- dert war auch bei Themenwahl und Ausdrucksform die Assimilation. Die wenigen dokumentierten Ent- würfe zeigen - ebenso wie die bekannten Studienpro- jekte von Kommilitonen - große Übereinstimmung zu den am Bauhaus propagierten Prinzipien des neuen Bauens. Sie lassen kaum emanzipative Konzepte oder Eigenwilligkeiten erkennen.426 424 Scheper-Berkenkamp in Neumann, 1985, S.177. „Im geistigen Raum war nichts erlernbar, aber vieles erfahrbar. (..) Die Lehr- systeme waren so frei wie die Lehrenden. Methoden, Prinzipien und Theorien nahmen nicht den Charakter von Dogmen an - wo sie in Gefahr dazu gerieten, stieß das Bauhaus sie ab und aus.“ 425 „De facto ist dies eine vereinfachte, praktische Technische Uni- versität, man lernt viel Mathematik, Zeichnen“ - Olga Arpasi am 24.10.1930 an Ödön Bánki aus Dessau, in: Bánki, 1990, S.63 426 Auch wenn bisher nur ein Bruchteil der architektonischen Studi- enarbeiten von Bauhausstudentinnen bekannt ist, so bestätigen die wenigen bisher dokumentierten Studienentwürfe von Stu- dentinnen die Hypothese, dass auch diese Arbeiten dem Kanon wie dem Duktus der Schule folgen. am Bauhaus 105 Komposition aus Holz, Metall und Kork, Margit Téry-Adler, um 1920 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Da am Bauhaus in den ersten Jahren gar kein Archi- tekturstudium möglich war, verblüfft die Härte, mit der das Architekturinteresse von Frauen als nicht ge- schlechtsadäquate Ambition zurückgewiesen wurde. Diese Rigidität verdeutlicht jedoch die aktive Rolle der Protagonisten beim Ausschluss von Frauen aus dem ‘heiligen Bezirk’ der Architektur. Architektur ge- noss an allen Bauhäusern einen hohen Stellenwert, während die konkreten Studienangebote vergleichs- weise marginal waren, nur zwischen 1930 und 1932 von einem regulären Architekturstudium gesprochen werden kann. Unter Genderaspekten beleuchtet er- scheint der Architekturdiskurs hier noch deutlicher instrumentalisiert, als dies Annemarie Jaeggi bereits herausgearbeitet hat. Architektur war - von Beginn bis zum bitteren Ende des Bauhauses - primär Chef- und damit ‘Männersache’. Retrospektiv ist unüber- sehbar, dass dieses innovative Studium keine ge- schlechteregalitäre Chance des Kompetenzerwerbs bot. Während eine neue Gemeinschaft hier experimentell neue Gestaltungen für eine neue Gesellschaft ent- warf, wurde an der Spitze dieser Gemeinschaft ein Konsens darüber erzielt, dass Schritte auf dem Weg zu einer Gleichberechtigung der Geschlechter zu den „unnötigen Experimenten“ dieses Projektes der Mo- derne zu rechnen seien.427 Noch bevor das Experi- ment richtig begonnen hatte, wurde der Rückschritt in die Geschlechterhierarchie des 19. Jahrhunderts faktisch umgesetzt. Nach der Vorlehre wurden die Motivationen von Stu- dentinnen krass missachtet, ihre Ambitionen in ver- meintlich weibliche Sphären kanalisiert. Außerhalb der Weberei kamen ihre Fähigkeiten und Begabun- gen nur in direkten Verwertungszusammenhängen zum Einsatz. Auf allen Ebenen der Ausbildung wur- den männliche Studierende gegenüber Studentinnen bevorzugt gefördert. Nur mit außergewöhnlicher Ziel- strebigkeit und besonderer Hartnäckigkeit konnten Studentinnen bei Verkettung glücklicher Zufälle und entgegen allen Entmutigungen überhaupt Kompeten- zen in räumlichen Gestaltungsfragen erlangen. Noch seltener - und nur innerhalb eines Zeitfensters von fünf Monaten - konnte es ihnen gelingen, ihre Lei- stungen so zu plazieren, dass ihnen der Qualifika- tionsnachweis eines Bau-/Ausbaudiploms nicht vor- enthalten werden konnte. Bauhausstudentinnen begriffen sich häufig als Teil ei- ner Zivilgesellschaft und versuchten bereits im Studi- um, individuelle, kulturelle und politische Beiträge im Hinblick auf gesellschaftliche Veränderungen einzu- bringen. Gerade weil sie - von der Notwendigkeit ge- sellschaftlicher Gestaltungsprozesse überzeugt - sich für die programmatischen Ansätzen des Bauhauses häufig stark engagierten, bleibt es enttäuschend, dass ihr kulturelles Kapital hier ignoriert, ihre Progres- sivität visuell vermarktet und ihr Engagement lediglich verwertet wurde.428 Trotz der häufig geänderten Studienbedingungen kann zu keinem Zeitpunkt von einer Nomalität des Geschlechterverhältnisses am Bauhaus gesprochen werden. 1989 kam Gerlinde Volland zu der Feststel- lung: „Die Praxis im Bauhaus (..) war weit entfernt von einer tatsächlichen Gleichstellung der Ge- schlechter.“ 429 Und Cornelia Will hat diese Situation zutreffend als „eine nur vordergründig gelebte Gleichberechtigung“ bezeichnet.430 Weshalb aber funktionierte die Gleichzeitigkeit von Gleichheitspostulat und Geschlechterhierarchie? Und warum konnten ausgerechnet am Bauhaus vorrepub- likanische Geschlechterstereotype in offener und subtiler Form so rigoros rekonstruiert und durch die jeweiligen Direktoren und Meister unter aktiver Teil- nahme von Studierenden und Gattinnen so durch- gängig konsensualisiert werden, dass sie nicht mehr durchbrochen werden konnten? Fred Orton und Griselda Pollock vermuteten 1996, dass die Geschlechtertrennung der zentrale Schlüs- sel zur Konstitution von ‘Avantgarde’ sei, die lediglich ihren eigenen Strukturen, Regeln und Wahrnehmun- gen folge.431 Nur innerhalb eines autonom agierenden Systems ist erklärlich, weshalb - durch Konsens un- ter den maßgeblich Handelnden - die grundsätzliche Benachteiligung von Studentinnen, ihre Exklusion aus der Architektur so reibungslos erfolgen konnte. So bleibt es tragisch, dass die Protagonisten am Bau- haus die Fähigkeiten begabter wie enthusiatischer Architekturaspirantinnen verkannten und diese zu Statistinnen degradierten. Manche Studentinnen suchten und fanden dennoch eigenwillig und eigen- sinnig Wege, ihre Kompetenzen, Ambitionen und ihr Verständnis eines Bauhauses in ihrem weiteren Le- ben einzubringen und in den unterschiedlichsten Kontexten fruchtbar zu machen. Und einige wenige taten dies auch als Architektinnen. 427 Meisteratsprotokoll vom 15.3.1921, zit. nach Droste, 1989, S.189 428 So erinnert Kattina Both, dass „wenn er [El Lissitzky] zu Besuch kam, kriegte ich ´nen Anruf: ‘Wir brauchen mal ´ne typische Schülerin, gehen Sie da mit’.“ Vgl. FN 238 429 Volland, 1989, S.15. Vgl. FN 392 430 Will, Cornelia: Alma Siedhoff-Buscher - Entwürfe für Kinder am Bauhaus in Weimar, Ausstellungskatalog, Velbert, 1997, S.15 431 Orto n/ Pollock thematisieren dies für die amerikanische Kunst- szene Ende der dreißiger Jahre: „like all ideologies, ‘avant-gar- dism’ has ist own structures of closure and disclosure, its own way of allowing certain perceptions and rendering others impos- sible.“ Orton, Fred / Griselda Pollock: Avant-gardes and Partisans reviewed, 1996, S.142 106 Architekturinteressierte Studentinnen am Bauhaus 5 Architekturstuden- tinnen im Seminar Tessenow Das Architekturstudium an der TH Berlin-Char- lottenburg (108) - Vom einfachen Bauen und vom harmonischen Menschen: Heinrich Tesse- now als Lehrer (111) - Familiäre Hintergründe und kulturelle Kapitale: Wer studierte bei Tes- senow? (115) - Handwerkerhäuser und Mäd- chenschulen: Was studierten Tessenowstuden- tinnen? (124) - Studiendauer, Studienerfolge (139) - ‘Straßige Straßen’ und ‘weibliche Plätze’: Studiensituation - Studienklima (141) - Als Stu- dentin im Seminar Tessenow (144) - Resümee (149) Im Jahre 1909 - dem Jahr, in dem mit Elisabeth von Knobelsdorff die erste ordentlich immatrikulierte Stu- dentin an der TH Charlottenburg zugelassen wird - beschäftigt sich die Neudeutsche Bauzeitung mit der Frage der Notwendigkeit einer Erneuerung des Archi- tekturstudiums am Beispiel der TH Charlottenburg. „Das neue Programm für das Studienjahr 1909/10 liegt vor. Die ‚Chronik’ teilt mit, daß der Besuch der Hochschule auch im verflossenen Jahre abgenom- men hat. Im Winterhalbjahr 1908/09 betrug die Zahl der Studierenden 2209 gegen 2324 im Vorjahre. Da- von gehörten 405 der Architekturabteilung an gegen 442 im Vorjahr (..) Diese Zahlen reden eine deutliche Sprache. Sie bestätigen die vielfach laut gewordenen Klagen der Studierenden, die bisher nur selten den Weg in die Öffentlichkeit gefunden haben. Ein veral- teter Lehrkörper sucht mit einem gänzlich unzulängli- chen Lehrmittelapparat und einer allseitig sonst als überwunden geltenden Lehrmethode die junge Gene- ration zu Architekten ‚perfekt in allen Stilarten’ heran- zubilden. Mit der ‚Konstruktions- und Formenlehre mittelalterlicher Baukunst’ mit ‚ornamentalen Studien in den auf der Antike beruhenden späteren Stilrich- tungen zur Vorbereitung auf das Ornamententwerfen’ (sic!) wird der Hungrige gespeist. Solche Nahrung muß auch dem Stärksten den Magen verderben. Statt die Schaffenslust zu wecken und zur selbstän- digen Arbeit anzuregen, wird die Phantasie auch der Besten mit dieser Methode langsam ertötet. Die wichtigsten Lehrstühle sind mit Dozenten besetzt, denen ihr hohes, ehrwürdiges Alter zur Entschuldi- gung dient, wenn sie den Ideen der Jugend fremd und für das Wollen der Zeit verständnislos bleiben.“ 2 Bereits während der Kaiserzeit wird die Neuorientie- rung der akademischen Architektenausbildung immer wieder öffentlich thematisiert, um „der Architekturab- teilung der Technischen Hochschule zu neuem Anse- hen zu verhelfen“. Innerhalb der Technischen Hoch- schulen findet die Forderung nach ‘Befreiung vom akademischen Lehrzwang’ jedoch nahezu kein Echo. Hier zielt das Architekturstudium - im Unterschied zu dem an Akademien - nicht nur auf die Ausbildung von freiberuflich tätigen ‘Privat-Architekten’. Der In- genieur-Studiengang Architektur stellt insbesondere die Grundausbildung für leitende Baubeamte sicher. Als Regierungsbauanwärter absolvieren diese im An- schluss an das Diplom eine dreijährige Ausbildung in einer staatlichen Hochbauverwaltung, um nach der abschließenden Regierungsbaumeisterprüfung als Assessoren zu beginnen. Auch wenn sich manche der Professoren gegen die- se klare Ausrichtung des Studiums auf die Laufbahn des Regierungsbaumeisters wandten, etliche - darun- ter bspw. Hans Poelzig - hatten selbst ihren Einstieg ins Berufsfeld über die staatliche Anwärterzeit gefun- den und erst anschließend freie Büros gegründet. im Seminar Tessenow 107 1 Tessenow, Heinrich: Die Handwerkergemeinde Hellerau, 1919 - zit. nach Kindt, Otto (Hg.): Geschriebenes, Wiesbaden, 1982, S.133 2 O.P.N.: Von der Technischen Hochschule Charlottenburg, in: Neudeutsche Bauzeitung, 5.Jg., 1909, S.461 Die überragende Bedeutung des Handwerkers besteht darin, daß er im Arbeiten am wenigsten einseitig ist und am meisten verbindet. Er ist auch einseitig, aber am wenigsten, und er verbindet nicht alles, aber am meisten. 1 Auch für Studierende während der Weimarer Repu- blik blieb die staatliche Ausbildung eine Alternative zu einer Anfangsstellung in einem Privatatelier. Denn auch auf der Basis der Regierungsbaumeisterprüfung konnte die Gründung eines eigenen, freiberuflichen Büros betrieben werden. Die Technischen Hochschulen im Deutschen Reich wurden in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhun- derts gegründet. Mit Erlass vom 18.8.1908 war auch Abiturientinnen der Zugang zum Studium an Hoch- schulen in Preußen ermöglicht worden.3 Bis 1923 herrschte hier an den Universitäten jedoch noch das sog. Professorenprivileg, dem zufolge Hochschulleh- rer entscheiden konnten, StudentInnen im Einzelfall zu ihren Veranstaltungen zuzulassen oder eben auch nicht.4 In den zwanziger Jahren existierten an acht Techni- schen Hochschulen im Deutschen Reich Architektur- fakultäten. Es waren dies neben der TH Berlin-Char- lottenburg die TH Aachen, die TH Darmstadt, die TH Dresden, die TH Hannover, die TH Karlsruhe, die TH München und die TH Stuttgart. In der Zeit der Wei- marer Republik genossen insbesondere die beiden letztgenannten einen überregionalen Ruf, der zum einen auf der Solidität der Ausbildung, zum anderen auf der Reputation einzelner, langjährig tätiger Professoren gründete.5 Das Architekturstudium an der TH Charlottenburg Die Königlich Technische Hochschule in Berlin Char- lottenburg entstand 1879 im Zusammenschluss der bereits 1799 gegründeten Bauakademie mit der 1821 gegründeten Gewerbeakademie. Als ihr bedeutend- ster - wenn auch nicht ältester - Vorläufer gilt die Bauakademie.6 Die Architekturfakultät blieb - wohl auch in Abgrenzung zu der weit jüngeren Disziplin des Bauingenieurwesens - der Baukunst in der Tradi- tion dieser traditionsreichsten akademischen Einrich- tung für Architektur im Deutschen Reich verpflichtet, obschon der TH Charlottenburg bereits 1899 durch Kaiser Wilhelm das Promotionsrecht zuerkannt wor- den war.7 Diese statusrechtliche Aufwertung erfolgte in Anerkennung der Vorreiterrolle der Technikwissen- schaften. Denn die industrielle und wirtschaftliche Entwicklung Preußens verdankte ihren Aufschwung im 19.Jahrhundert insbesondere dem Hüttenwesen, dem Maschinenbau und der Elektrotechnik. In räumli- cher Nähe zu diesen - nun offiziell als akademische Wissenschaften anerkannten - Disziplinen angesie- delt, versuchte auch die Architekturfakultät von deren wachsender Bedeutung zu profitieren. Im Unter- schied zu den Technikwissenschaften schlug sich der Druck zur Verwissenschaftlichung hinsichtlich des Ar- chitekturstudiums jedoch nicht in einer innovativen, sondern in einer restaurativen Form nieder: Wissen- schaftlich erforscht wurden historische Baustile und -techniken. Und die derart kanonisierte Baugeschich- te bestimmte nicht nur die Theorie, sondern als wis- senschaftliche Lehre auch die Vermittlung entwerferi- scher Praxis. Dies wiederum erregte die Vertreter ei- ner baukünstlerisch orientierten Architektur. „Die Baukunst gilt ganz allgemein nicht mehr als eine Kunst, wozu man von Natur berufen sein muß, son- dern als ein wissenschaftliches Studium. (..) Im Pro- gramm der Hochschulen steht nicht die Frage nach dem Talent. Dagegen fordert die Hochschule als Le- gitimation das Reifezeugnis eines Gymnasiums. (..) Sie begreift die Architektur als eine technische, stil- kritische, archäologische oder bestenfalls als eine kunsthandwerkliche Wissenschaft. (..) Wer diese Exa- men - worin natürlich nur von dem Lehr- und Lern- baren (..) die Rede sein kann, nicht jedoch von den geheimen Schöpfungsideen des Talents - absolviert, der hat ohne weiteres auch (..) die höhere Würde. (..) Aus dem Kunstberuf wird eine Beamtenkarriere ge- macht“, formulierte Karl Scheffler seine Vorbehalte gegen die Architektenausbildung 1913.8 Mit dem Wechsel vom Akademieprinzip zum akademischen Lehrbetrieb befanden sich Architekturfakultäten - nicht nur an der TH Charlottenburg - in einem Di- lemma: Wollten sie weder auf die, aufgrund der Ver- wissenschaftlichung gewährten staatliche Anerken- nung noch die, aufgrund der baukünstlerischen Tra- dition gewachsenen gesellschaftliche Reputation ver- zichten, mussten sie versuchen, zwei ebenso ‘akade- mische’ wie sich gegenseitig kategorisch ausschlie- ßende Prinzipien zur Deckung zu bringen. Betrachten wir die TH-Studentinnen, dieses „äußerst kleine(..) Trüppchen von Frauen, das (..) unter der Masse der männlichen Kommilitonen oft unterzuge- hen droht.“ 9 Bereits 1915 konstatierte Judith Herr- mann, dass „auch an den Technischen Hochschulen (..) die Zahl der Studentinnen im Wachsen begriffen“ sei und weist reichsweit zwischen 1908 und 1914 ei- nen Zuwachs der Architekturstudentinnen von 2 auf 17 Studentinnen aus, „wenn auch das prozentuale Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Stu- dierenden noch nicht annähernd so hoch ist wie an den Universitäten.“ 10 Trotz insgesamt rückläufiger Immatrikulationszahlen in den zwanziger Jahren erreichte der wachsende Anteil der Studentinnen an Technischen Hochschulen im Laufe der Weimarer Republik nie auch nur 5%. Im Unterschied zu den Universitäten, wo Studentinnen bereits während wie nach dem ersten Weltkrieg doch immer zumindest zehn Prozent aller Studierenden stellten, stieg die Zahl der Studentinnen an Techni- schen Hochschulen deutlich langsamer an. 3 Veröffentlicht im Zentralblatt des Preußischen Staates, 1908, S.691f. 4 Dies galt de jure jedoch nicht für die Technischen Hochschulen. Fraglich bleibt, inwieweit im Bereich der sog. Entwurfsseminare, wo die Aufnahmeentscheidung - auch nach 1923 - ausschließ- lich beim Professor lag, von einem Professorenprivileg gespro- chen werden kann. 5 Fischer unterrichtete 1901 bis 1908 an der TH Stuttgart, 1909 bis 1929 an der TH München. - 1919 gilt als das Gründungsjahr der ‘Stuttgarter Schule’. Nerdinger spricht im Zusammenhang der Berufung Theodor Fischers (1862-1938) an die TH Stuttgart 1901 von einer ‘Wende’, die innerhalb weniger Jahre die Stutt- garter Hochschule zum Anziehungspunkt gemacht habe. Ner- dinger, Winfried: Theodor Fischer 1862-1938, Architekt und Städtebauer, Berlin, 1988, S.13 6 Die bereits 1770 gegründete Bergakademie wurde der Techni- schen Hochschule Charlottenburg erst später angegliedert. 7 Das Recht zur Verleihung eines akademischen Ingenieurtitels bedeutete eine statusrechtliche Gleichstellung mit den - weit älteren - Universitäten, denen zuvor exklusiv das Promotions- recht zustand. 8 Scheffler, Karl: Die Architektur der Großstadt, Berlin, 1913, S.122 9 Duden, Barbara/Hans Ebert: Die Anfänge des Frauenstudiums an der TH Berlin, in: Rürup, Reinhard (Hg.): Wissenschaft und Gesellschaft. Beiträge zur Geschichte der Technischen Universi- tät Berlin 1879-1979, Berlin, Heidelberg, New York, 1979, S.403-418, hier S. 403 10 Herrmann, Judith: Die deutsche Frau in akademischen Berufen, Leipzig / Berlin, 1915, S.45 108 Architekturstudentinnen Innerhalb der Studentinnen Technischer Hochschulen bildeten die Architekturstudentinnen die größte Grup- pe - neben denen der Chemie. An der TH Berlin- Charlottenburg studierte in diesem Zeitraum zumin- dest jede fünfte, zeitweilig sogar jede zweite Studen- tin Architektur. Die vorstehende Tabelle zeigt jedoch insbesondere, dass der Anteil der Architekturstuden- tinnen an den Studentinnen Technischer Hochschu- len - bei insgesamt deutlich steigenden Zahlen - reichsweit rückläufig ist, während er an der TH Berlin steigt. Dies spricht für eine relative Attraktivität der Berliner Architekturfakultät, allerdings auch gegen die realen Studienbedingungen an anderen Fakultäten.12 Duden und Ebert konstatierten, dass die TH Berlin ihren Rang als ‘frauenfreundlichste’ Hochschule be- reits während des ersten Weltkrieges eingebüßt ha- be.13 Mit Ausnahme des Jahres 1922 lag die Archi- tekturfakultät hier in der Gunst der Studentinnen je- doch immer an der Spitze. Dieser deutliche Haupt- stadtbonus zeigt sich in der folgenden Grafik: Die meisten Architekturstudentinnen studieren in Berlin, wo zeitweilig allein im ‘Seminar Tessenow’ fast eben- so viele Studentinnen präsent waren als andernorts innerhalb der gesamten Fakultät - so bspw. 1929 mit Blank, von Bonin, Eisenberg, Karselt, Koch und Waltschanowa. Zugangsvoraussetzung für ein Architekturstudium an einer Technischen Hochschule war das Abitur. Darü- ber hinaus wurde zu Studienbeginn das Absolvieren von bis zu sechsmonatigen Praktika im Bauhaupt- oder Nebengewerbe verlangt. Dabei sollten Einblicke in konkrete handwerkliche Techniken und die Abläufe auf der Baustelle vermittelt werden. In der zweiten 11 Gesamtzahlen nach Reichsstatistik 1930. Architekturstudentin- nen der TH Berlin nach Duden/Ebert, entsprechende %-Zahlen nach eigenen Ermittlungen. Aufgrund unterschiedlicher Zählwei- sen - bspw. hinsichtlich der Berücksichtigung von Ausländerin- nen - bleiben die Studentinnenzahlen fehlerbehaftet. Erwäh- nenswert sind in diesem Zusammenhang auch die Diplomquo- ten der Architekturfakultät insgesamt, die allerdings nicht für alle Jahre ermittelt werden konnten: So betrug die Diplomquote an der TH Berlin im Studienjahr 1921/22 25%, 1924 annähernd 14%, 1926/27 annähernd 24% und 1927 etwas über 16%. 12 Während sich technikinteressierte Studentinnen zu Beginn der zwanziger Jahre verstärkt unterschiedlichen Fächern zuwenden, ist das Spektrum der von Studentinnen gewählten Fächer be- reits im Laufe der kommenden Jahre rückläufig. 13 Duden / Ebert, 1979, S.407 14 Zahlen ermittelt nach Angaben der Deutschen Hochschulstati- stik 1930. Berücksichtigt wurden nur die vollimmatrikulierten Studierenden des jeweiligen Sommersemesters. Die Prozent- zahlen geben den Anteil der Studentinnen an der Gesamtzahl der Architekturstudenten an. Anzahl und Relation aller Studentinnen Technischer Hochschulen zu den Architekturstudentinnen im Deutschen Reich 1919-1929 insgesamt sowie an der TH Berlin-Charlottenburg WS /Jahr 8 Gesamtzahl davon Gesamtzahl davon Studentinnen im Fach Studentinnen im Fach an TH´s Architektur % TH Berlin Architektur % 14/15 73 17 23,3 11 2 18,2 15/16 115 27 23,5 26 7 26,9 16/17 177 47 26,5 32 16 50,0 17/18 222 45 20,3 27 16 59,3 18/19 286 56 19,6 23 19 82,6 19/20 289 46 15,9 18 5 27,7 20/21 286 43 15,0 26 6 23,1 21/22 345 42 12,2 24 7 29,1 22/23 418 43 10,3 27 8 29,6 23/24 472 35 7,4 28 7 25,0 24/25 311 27 8,7 25 8 32,0 25/26 381 38 10,0 43 13 20,2 26/27 382 39 10,2 36 12 33,3 27/28 441 51 11,6 35 16 45,7 28/29 513 76 14,8 62 15 24,2 29/30 658 97 14,7 77 30 39,0 München Dresden Stuttgart Karlsruhe Darmstadt Summe Jahr abs. % abs. % abs. % abs. % abs. % abs. % 1919 9 4,3 5 1,8 3 1,8 3 2,3 11 5,6 31 3,1 1922 9 2,9 12 4,8 1 0,4 keine Ang. 8 3,8 >28 2,9 1924 keine Ang. 3 1,5 3 2,1 2 2,3 4 2,9 >12 2,2 1927 6 2,2 4 2,5 3 1,4 3 2,3 4 2,1 20 2,9 1929 8 2,4 8 3,8 6 1,6 6 2,8 7 2,8 35 2,7 im Seminar Tessenow 109 Anzahl und Anteil der Studentinnen am Studiengang Architektur 1919-1929 an verschiedenen Techni- schen Hochschulen außerhalb Preußens14 Studienhälfte war ein weiteres, das sogenannte Büro- praktikum abzuleisten. Hierbei ging es um die Teil- nahme an konkreten Planungsprozessen sowie Ein- blicke in die alltägliche Praxis des Architekturge- schäfts. Das Studium selbst gliederte sich in ein viersemestri- ges Grundstudium, in dem in Vorlesungen und Übun- gen ‘Darstellende Geometrie’, ‘Baukonstruktion’, ‘Statik’, ‘Konstruktions- und Formenlehre’, ‘Bauauf- nahme’, sowie ‘Plastik’ und ‘Freihandzeichnen’ ver- mittelt wurden. Dabei nahm die ‘Baukonstruktion’ mit zwei Vorlesungs- und 12 Übungsstunden pro Woche den größten Raum ein. Nach dem Vordiplom, für dessen Bestehen die Bewertungen von Klausuren und Studienarbeiten im Mittel 3,39 nicht überschrei- ten durften, schloss sich ein viersemestriges Haupt- studium an. Die Vorlesungen wurden um Fächer wie ‘Hochbaukunde’, ‘Geschichte der Baukunst’, ‘Städte- bau’ und ‘Heizung und Lüftung’ erweitert. In der Hauptsache arbeiteten die StudentInnen nun in ‘Ent- wurfs-Seminaren’. Für dieses ‘Entwerfen von Hoch- bauten’ sah der Stundenplan 18 Stunden vor. Bei der Anmeldung zum Diplom mussten alle im Verlauf des Studiums entstandenen Arbeiten gesammelt vorge- legt werden. Den Abschluss des Studiums bildete der Diplomentwurf, in sechs Fächern mussten mündliche Prüfungen abgelegt werden. Im Zeugnis der Diplom- Hauptprüfung wurden die belegten Fächer nament- lich, die Ergebnisse summarisch aufgeführt. 15 Hier arbeitet seit 1901 bspw. auch Elisabeth von Baczko. Vgl. Kap.2, S.20. 110 Architekturstudentinnen Auszug aus dem Belegbuch von Gertraude Engels, 1. und 2.Studiensemester Zeugnis der Diplom-Hauptprüfung, Lieselotte von Bonin, 1931, mit Übersicht der belegten Fächer (links) und Wertungen (rechts) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Vom einfachen Bauen und vom harmonischen Menschen: Heinrich Tessenow als Lehrer Als Heinrich Tessenow 1926 an die TH Charlotten- burg berufen wird, gibt er dafür einen Lehrstuhl an der TH Dresden auf. 1876 in Rostock geboren hatte er 16-jährig eine Ausbildung in der Lehrerbildungsan- stalt wegen einer Lungenerkrankung abgebrochen und bei seinem Vater eine Zimmermannslehre absol- viert. Nach dem Besuch einer Baugewerkeschule stu- dierte Tessenow zwischen 1899 und 1901 zeitweilig als Hörer an der TH München bei den Professoren Karl Hocheder und Friedrich von Thiersch. Während seines letzten Jahres in München arbeitete er im Pri- vatbüro Martin Dülfers. Schon früh bietet sich Tessenow die Möglichkeit zu unterrichten. Seine Tätigkeit als Architekturlehrer be- ginnt im Herbst 1902 an Baugewerkeschulen, zu- nächst in Sternberg, dann in Lüchow. 1904 kommt er auf Wunsch von Paul Schultze-Naumburg kurzzeitig an die Saalecker Werkstätten.15 Ab 1905 unterrichtet er mehrere Jahre in der neugegründeten Architektur- abteilung der Handwerker- und Kunstgewerbeschule Trier. Er beteiligt sich am Aufbau der 1908 gegründe- ten Gartenstadt Hellerau bei Dresden. 1909 publiziert er „Der Wohnhausbau“ und assistiert für drei Seme- ster Martin Dülfer an der TH Dresden.16 1910 wird er in den BDA und den DWB aufgenom- men. 1913 erhält er die Möglichkeit, als ‘provisori- scher Lehrer’ für Architektur und Baukonstruktion an der Kunstgewerbeschule in Wien zu lehren. Nach ei- nem Jahr wird er dort zum ‘K.K. Professor’ berufen. Ab 1920 unterrichtet er an der TH Dresden, ab 1926 bis 1941 und 1945 bis zu seinem Tod 1950 an der TH Berlin. Damit hat Tessenow quasi zeit seines Be- rufslebens auch unterrichtet. Seine Motivation hierzu mag neben der Suche nach einer verlässlichen Ein- kommensquelle zunächst auch die nach der Kom- pensation der eigenen, mehrfach unterbrochenen Ausbildung gewesen sein.17 Ohne Abitur war ihm wie- derholt die Zulassung zum Diplom versagt geblieben. Spätestens mit der Berufung nach Dresden erreichte Tessenow die akademische Etablierung als Profes- sor, die seine Freiberuflichkeit wirtschaftlich in den Hintergrund treten ließ. Obschon er die eigene Ent- wurfs- und Planungstätigkeit nie ganz aufgab, genoss seine Lehrtätigkeit Priorität vor dem eigenen Büro. In Wien unterrichtete Heinrich Tessenow - wie außer ihm auch Oskar Strnad und Josef Hoffmann - eine Fachklasse für Architektur, in der pro Studienjahr et- wa ein Dutzend Studentinnen und Studenten einge- schrieben waren.18 Zu den sieben ordentlichen Stu- dierenden und drei Hospitanten des Jahrgangs 1915/ 16 zählte bspw. die aus Schlesien stammende Elisa- beth Nießen (geb. 1884).19 Sie entwarf bei Tessenow Möbel und 1915 ein Kriegerdenkmal. An der KGS Wien wurde Tessenow einem größeren Kreis Studierender aus nächster Nähe bekannt, da er hier neben seiner Architekturklasse auch das Fach Baukonstruktion unterrichtete. Wenngleich seine Be- liebtheit bei den StudentInnen der Wiener Kunstge- werbeschule hier nicht näher untersucht wird, bleibt festzuhalten, dass sich manche Studentinnen nach dem Besuch dieser Vorlesungen um Aufnahme in Tessenows Klasse bemühten.20 Aus den Teilnehme- rInnenlisten geht bspw. hervor, dass im Studienjahr 1915/16 u.a. Klothilde Drennig aus Semlin in Slavoni- en (geb. 1899), Hilda Friedenberg aus Cronberg (geb. 1896) und Marie Hahn aus Wien seine Vorlesungen hörten.21 Auch die Wienerinnen Ernestine Kopriva (geb. 1894), Maria Trinkl (geb. 1896), Hertha Ramsau- er und Margarete Lihotzky (beide geb. 1897) besuch- ten Tessenows Baukonstruktionsvorlesungen.22 Angesichts eines Studentinnenanteils von über 50% aller Studierenden an der KGS Wien kann bei Tesse- nows Architekturklasse nicht von einer besonders ho- hen Frequentierung durch Studentinnen gesprochen werden. Auch die Architekturklasse von Strnad war für architekturinteressierte Studentinnen zugänglich.23 Die weitaus meisten Studentinnen sind aber in Hoff- manns Fachklasse für Architektur zu finden. 1916/17 waren dort drei Viertel - 15 von 20 - der Studierenden Frauen. Bei 11 der 15 ordentlich Immatrikulierten fin- den sich unter „Art der Studien“ jedoch Eintragun- gen wie „kunstgewerbliche Entwürfe“ und „Stoffmu- ster“. Vertraut mensch auf die Aussagefähigkeit die- ser Quellen, so war hier lediglich die Hospitantin Ju- liana Rysavy (geb. 1893) ausschließlich mit „Arbeiten für Innen- und Außenarchitektur“ beschäftigt.24 16 Martin Dülfer (1859-1929) unterrichtete hier seit 1906. 17 „Hätte ich die nötigen Examina gehabt, so hätte ich damals ge- sucht, in den Staatsdienst zu kommen.“ (LL, zit. nach Schuster, Franz: Über Heinrich Tessenow, in: Hasche, Hans (Hg.): Die klei- ne und große Stadt. Nachdenkliches von Heinrich Tessenow, München, 1961, S.9). Seit Ende 1903 mit Elly Schülke verheira- tet war er seit 1905 auch Vater einer Tochter. Die zweite Tochter kommt 1915 zur Welt. 18 Im Studienjahr 1915/16 gehört zu diesen Schülern bspw. auch Franz Schuster (geb. 1896), der nach einem Jahr in der Allge- meinen Abteilung 1914 in die Fachklasse eintrat und nach der Bearbeitung eines freistehenden Einfamilienhauses mit Garten- plan, eines Grabmales sowie Entwürfen für Möbel, Kamine und Türbeschläge am 30.6.1916 sein Abgangszeugnis erhält. Zu Schuster vgl. auch Kap. 6, S.176. 19 Nießen, ab 1912/13 als ordentliche Schülerin immatrikuliert, stu- dierte zunächst ein Jahr lang in der Allgemeinen Abteilung. Tes- senow vermerkt ausdauernden Fleiß und lobenswertes Verhal- ten, sowie einen lobenswerten Fortgang ihres Fachstudiums. Sie erhält am 30.6.1919 ein Jahreszeugnis. AAKW, Studentinnenbo- gen Nießen. Vgl. auch Biografie Nießen im Anhang. 20 So findet sich bei Maria Trinkl 1916 der Vermerk „will zu Prof. Tessenow“. Er vermerkt, dass sie in Baukonstruktion „ausdau- ernd“, der Fortgang ihrer Studien „lobenswert“ sei. Weshalb sie doch nicht zur Architektur wechselt, inst unbekannt. Vgl. FN 22. 21 AAKW, Katalog der Kunstgewerbeschule des Österr. Museums für Kunst und Industrie, Schuljahr 1915/16. Hahn tritt am 16.11. 1915 ein und erhält am 30.6.1916 ein Zeugnis. Friedeberg ist zunächst Hospitantin mit „Berufsziel: Architektin”. Sie wechselt 1917 in die Klasse Strnad und schließt ihr Studium 1920 ab. AAKW, StudentInnenbögen Hahn und Friedeberg. 22 Ernestine (Erna) Kopriva, Tochter des K.u.K-Generalstabsarztes Dr. Ignatz Kopriva, besuchte die KGS als Gast ab 1913, trat 1915 in die Klasse Strnad ein und hörte die Baukonstruktion bei Tessenow spätestens ab 1916. Als Berufsziel gab sie 1916 „Ar- chitektur” an. Sie schloss sie ihr Studium 1919 bei Hoffmann ab. Maria Trinkl, Tochter des Hoteliers Eduard Trinkl, nahm ihr Stu- dium hier nach einer Lyzealmatura auf und war seit 1913 Schü- lerin von Josef Hoffmann. (AAKW, Studentinnenbögen Kopriva und Trinkl). Hertha Ramsauer, Tochter des Reisenden Raymund Ramsauer, studierte seit dem Herbst 1914 an der KGS. Sie be- legte verschiedene Klassen, u.a. Architektur bei Strnad und schloss um 1918 ab. (AAKW, Personalakte Ramsauer) - Zu Li- hotzky vgl. Allmayer-Beck, Wien, 1993, S.269ff., sowie S.17f. 23 Außer Friedeberg studierten dort bspw. ab dem Herbst 1918 die aus Brünn stammende Gertrude Morgenstern (geb. 1896) und die Wienerin Alice Hauber (geb. 1900). Morgenstern war nach einer zweijährigen Praxis als Möbelzeichnerin zum Herbst 1915 zunächst als „Gast für Hilfsfächer“ an der KGS zugelassen wor- den. Ab dem Herbst 1916 studierte sie in der Allgemeinen Ab- teilung bei Strnad , ab Herbst 1918 in dessen Architekturklas- se. Auch Hauber hatte ab 1916 zunächst in der Allgemeinen Ab- teilung studiert. Sie trat - nach Beurlaubung im Wintersemester 1920/21 - am 15.2.1921 aus der KGS aus. (AAKW, Studentin- nenbögen Morgenstern und Hauber) 24 AAKW, Fachklasse Hoffmann, Studienjahr 1916/17, Bl.4. im Seminar Tessenow 111 Elisabeth Nießen, Studienarbeit um 1915 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 1920 nahm Tessenow einen Ruf an die TH Dresden an und unterrichtete auch hier eine Architekturklas- se.25 Der Studentinnenanteil an der Dresdner Fakultät für Hochbau war bis in die dreißiger Jahre sehr ge- ring, dennoch studierten auch dort Frauen erfolgreich Architektur.26 In Tessenows Klasse an der TH Dres- den lassen sich keine Studentinnen nachweisen. Hier scheinen nur Studenten am Unterricht teilgenommen zu haben.27 Als Tessenow 1926 einen Ruf auf eine neu geschaf- fene Entwurfsprofessur an die TH Charlottenburg er- hält, ist Poelzig als Befürworter zur Stelle - wie zuvor bereits in Dresden.28 Die Berufung der Entwurfspro- fessoren Poelzig und Tessenow wird von manchen Studierenden geradezu als Befreiungsschlag erlebt, denn bis dato wurde ‘in Stilen’ entworfen. Dennoch markieren diese Berufungen eine eher vorsichtige Haltung der Fakultät, denn Poelzig und Tessenow galten in Fachkreisen seit mehr als einem Jahrzehnt als bewährte Baumeister. Erst zum Herbst 1930 wird mit Bruno Taut ein Vertreter des Neuen Bauens als Honorarprofessor an die TH Charlottenburg berufen.29 „Daß der Einzug dieser beiden bewährten Meister in die Technische Hochschule uns wie eine Befreiung erschien, zeigt allerdings, wie dringend notwendig ein Hauch frischer Luft in diesen heiligen Hallen war. Wer immer unter den Studenten etwas Neues lernen woll- te, ging zu einem der beiden Professoren“, erinnert Julius Posener.30 Poelzig war bereits 1920 die Leitung eines Meister- ateliers an der Akademie der Künste übertragen wor- den. Mit seiner Berufung an die TH 1923 - die Lehrtä- tigkeit nahm er erst zum Sommersemester 1926 auf - beanspruchte er Privilegien.31 Neben der außerplan- mäßigen Dotierung gehörte dazu das Vorrecht, die TeilnehmerInnenzahl seines Seminars auf 25 zu be- grenzen, sowie die Verlegung seines Unterrichts in die Akademie, wo er in einem Meisteratelier Privat- aufträge bearbeitete. Solches kam für den sieben Jahre jüngeren Heinrich Tessenow nicht in Frage, ob- schon auch er Anfang der zwanziger Jahre in die Preußische Akademie der Künste und 1926 in die Architektenvereinigung ‘Der Ring’ aufgenommen wur- de. Er widmete sich überwiegend der Lehrtätigkeit und unterrichtete neben seiner Professur an der TH im Rahmen von Lehraufträgen bereits ab 1926 auch an den ebenfalls in Charlottenburg ansässigen Verei- nigten Staatsschulen. Iwanka Hahn [geb. Waltscha- nowa] erinnert „die ersten Semester seiner Lehrtätig- keit in Berlin“ als „eine schöne Zeit, (..) sie trugen das Zeichen eines neuen Geistes.“ 32 In den Entwurfsseminaren dieser beiden Professoren steht die Ausbildung im Entwurf im Mittelpunkt. „Im Laufe der Zeit haben sich beim Entwerfen zwei Me- thoden herausgearbeitet (..). Die eine überlässt dem Studierenden die Wahl seiner Aufgabe, die er allein und selbständig bearbeitet. So ist es z.B. im Seminar Poelzig üblich. Die andere dagegen stellt für alle eine einzige Aufgabe, die dann in gemeinsamer Arbeit er- ledigt wird, wie es z.B. im Seminar Tessenow der Fall ist. (..) Es hat nun zunächst den Anschein, (..) daß, theoretisch gesehen, Schüler mit größerer innerer Energie und ausgesprochenem Selbstbewußtsein sich im Seminar Poelzig sehr wohl fühlen, während sie im Seminar Tessenow oft schwere Stunden zu bestehen haben, und daß dagegen andererseits nicht sehr selbständige Schüler sich im Seminar Poelzig verlieren, während sie im Seminar Tessenow immer einen besorgten Halt und eine feste Rückenstütze finden.“ 33 Auch Posener konstatiert eine Differenz zwischen den beiden Entwurfsseminaren. Rückblickend macht er diese Differenz jedoch weniger an Methoden als an Haltungen fest. „Es hat wohl immer diese beiden Arten von Lehrern gegeben: den Lehrer, welcher sei- ne Schüler auf einem sicheren Wege zur Wahrheit führt, zu der einen Wahrheit nämlich, die unumstöß- lich ist, und den anderen, der versucht, (..), ihn diesen Weg erst finden zu lassen. Tessenow war der Mann der unbedingten Wahrheit, Poelzig hätte mit Mao sa- gen können: ‚Laßt tausend Blumen blühen!’ “ 34 Einen solch selbständigen Weg zur Wahrheit lehnte Posener 1931 allerdings noch deutlich ab. „Ein junger Mann ist immer noch lieber an einem ‚Großen’ zu- grunde gegangen, als daß er sich dazu verstanden hätte, unter freundlicher Leitung ‚sich selbst zu su- chen’ “, schrieb er damals in Entgegnung auf Profes- sor Friedrich Seeßelberg.35 Dieser hatte 1930 unter dem Titel „Die Totalität des baulichen Gestaltens“ Kritik an der Neuregelung geäußert, nach der sich ein Studierender „möglichst für die ganze Dauer seiner abschließenden Durchbildung e i n e m bestimmten ‚Entwurfsprofessor’ anzuvertrauen“ habe, zumal ein numerus clausus die Lehrerwahl beschränke.36 Die Debatte um die Architekturausbildung führt im Laufe der zwanziger Jahre zu einer Ausdifferenzie- rung der Profile und einer zunehmend sichtbareren Konkurrenz zwischen Lehrenden und den verschie- denen Hochschulen. Um 1930 präsentieren sich mehrere ‘Schulen’ in Form von Selbstdarstellungen: 1928 und 1929 stellt Schmitthenner die ‘Stuttgarter Schule’ - quasi zum 10-jährigen Jubiläum - durch die Veröffentlichung von Schülerarbeiten in Wasmuths Monatsheften vor.37 Anfang November 1930 werden in der TH Charlottenburg Arbeiten von ehemaligen TessenowstudentInnen ausgestellt. In der Form wer- den „die auffallende Einheitlichkeit der geistigen Ge- samthaltung dieser Ausstellung, ihre innere Geschlossenheit“ gelobt.38 25 Er wird damit Nachfolger Hans Poelzigs, der die Hochschule verlässt, um nach Berlin zu wechseln. Als Leiter der Architektur- abteilung ist er unmittelbarer Nachfolger von Paul Wallot. 26 So studiert hier während der zwanziger Jahre bspw. Hildegard Schröder (geb. 1901). Sie diplomiert im WS 1926/27. Ab 1908 waren vereinzelt Studentinnen wie Paula Gehrke (geb. 1886) als Hörerinnen an der TH Dresden eingeschrieben. Zu den ersten Diplomandinnen - noch vor der Berufung Tessenows - gehörten 1919 Else Riedel und 1920 Lilia Sofer (beide geb. 1895). 27 De Michelis listet - unter Verweis auf Unvollständigkeit - 47 Stu- denten namentlich auf. Michelis, Marco de: Heinrich Tessenow 1876-1950, Stuttgart, 1991, S.345, FN15 - Zu Konrad Wachs- mann, der um 1921 in Dresden bei Tessenow studierte, vgl. ne- ben den bei Michelis angegebenen Verweisen auch Gruening, Michael: Der Architekt Konrad Wachsmann, Erinnerungen und Selbstauskünfte, Wien, 1986, S.53. 28 Für die neue Entwurfsprofessur war auch der zehn Jahre jünge- re Mies van der Rohe gehandelt worden. 29 Als Dozenten unterrichteten jedoch auch hier ab den späten zwanziger Jahren auch Architekten, die dem ‘neuen Bauen’ nahe standen, so bspw. Alexander Klein und Ed. Jobst Siedler. Klein beschäftigte sich seit 1927 mit ‘Kleinstwohnungsbauten’ (Vgl. Klein´s Typengrundrisse für mehrgeschossige Wohnungs- bauten in: Adler, Leo: Flurlose Wohnungen, in: Wasmuth´s Monatshefte für Baukunst, 12.Jg., 1928, S.454-461). Siedler publiziert 1932 Die Lehre vom neuen Bauen (Berlin). 30 Posener, Julius: Zwei Lehrer: Heinrich Tessenow und Hans Poelzig, in: Rürup, Reinhard (Hg.): Wissenschaft und Gesell- schaft. Beiträge zur Geschichte der Technischen Universität Berlin 1879-1979, Berlin, Heidelberg, New York, 1979, I, S.364- 371, hier S.364 31 Zu den Privilegien vgl. Heuss, Theodor: Hans Poelzig, Berlin, 1939, S.57 - Poelzig kokettiert geradezu mit seiner unangefoch- tenen Position wie seinen Privilegien.Vgl. FN 39 32 HTG, Brief Iwanka Hahn an den Vorsitzenden der HTG Walter Jessen vom 20.2.1987. 33 Friedrich, o.A.: Die Meisterklassen an der Technischen Hoch- schule in Charlottenburg im Rahmen der Hochschulreform, in: Die Baugilde, 13.Jg, 1931, H.6, 25.3.1931, S.453-454, hier S.454. In seiner Kritik am kanonisierten Grundstudium fragt er, „warum nicht das System der Meisterklassen auch als Grundla- ge der Reform für die Unterstufe zugrunde gelegt wird.“ - Zu der Vergabe von Aufgaben im Seminar Tessenow vgl. S.126. 34 Posener, 1979, S.364 35 „Sie werden die Jugend nicht auf Ihrer Seite sehen, Herr Ge- heimrat, wenn Sie sie zur Selbständigkeit gegen die ‘großen Meister’ aufrufen. Ein junger Mann ist immer noch lieber an ei- nem ‘Großen’ zugrunde gegangen, als daß er sich dazu verstan- den hätte, unter freundlicher Leitung ‘sich selbst zu suchen’.“ Posener 1931, zit. nach Posener, Julius: Aufsätze und Vorträge 1931-1980, Berlin, 1981, S.22 112 Architekturstudentinnen 1931 findet in den Räumlichkeiten der Akademie die Ausstellung „Poelzig und seine Schüler“ statt. Im Vorwort des gleichnamigen Katalogs kommt Poelzig anhand der „eigentlichen Schülerarbeiten“ zu der Ein- schätzung, „daß jeder [Schüler] wohl in seiner eige- nen Art sich auswirkt, daß aber doch eine gemeinsa- me Haltung vorhanden ist. (..) diese Gemeinsamkeit der Erscheinung (..) beruht jedenfalls nicht auf einem formalistischen Prinzip. Wenn eine Architekturschule es erreicht, daß die Schüler den Möglichkeiten des heutigen Architekturschaffens unbefangen gegen- überstehen, ohne Scheuklappen traditioneller oder modernistischer Färbung - ist wohl alles erreicht, was erstrebt werden kann.“ 39 Otto Brattskoven konstatiert in der Baugilde anhand der ausgestellten Schülerar- beiten „die bewusste Erziehung zu Rationalität“ und sieht Poelzigs Verdienst darin, dass diese Haltung sowohl den Studierenden an der TH wie den Meister- schülern an der Akademie „beigebogen wird.“ 40 Paul Bonatz lässt im gleichen Jahr durch seinen Assi- stenten Gerhard Graubner „Bonatz und seine Schü- ler“ herausgeben.41 Die Charakteristika des Entwurfs- unterrichts an der TH Stuttgart beschreibt er dabei selbst wie folgt. „Der Sinn der Neuerung war, den Studierenden vom ersten Tage an in die eigentliche Fachausbildung einzuführen. (..) Durch die Erleichte- rung in Hilfsfächern wurde es möglich das Funda- ment der Fachausbildung zu verbreitern, vor allem den Unterricht der elementaren Baukonstruktion so auszubauen, daß die Studierenden schon nach 2-jäh- rigem Unterricht mit der Vordiplomprüfung als nützli- che Hilfskräfte in die Praxis eintreten können.“ Durch die Praktika (6 Monate Bau,12 Monate Büro) sei die „wirklichkeitsferne Phantastik der Studierenden frü- herer Zeiten (..) einer baumeisterlich sachlichen Ein- stellung gewichen.“ 42 Fast zeitgleich mit seiner Lehrtätigkeit begann Tesse- now zu publizieren.43 Als Mitarbeiter verschiedener Fachzeitschriften - wie der Neudeutschen Bauzeitung (Leipzig), der Deutsche[n] Bauhütte (Hannover) und der Bautechnischen Zeitschrift (Weimar) - veröffent- lichte er ab 1903 zunächst Illustrationen, ab 1907 in unregelmäßiger Folge auch Artikel. In seine Wiener Zeit fallen die Publikationen „Hausbau und derglei- chen“ (München, 1916) und „Handwerk und Klein- stadt“ (Berlin, 1919). In letzterem stellt er Gedanken vor, die deutlich über bauliche Fragestellungen hinausgehen. In „Der har- monische Mensch“ erläutert er bspw.: „Wir sind heu- 36 Seeßelberg, Friedrich: Die Totalität des baulichen Gestaltens in: Die Baugilde, 12.Jg., 1930, H.24, S.2208-2214 - Seeßelberg fragt „angesichts der hart umstrittenen Grundfrage, ob die schon ins ungeheure gehende Spezialisierung der Lehrgebiete noch weitergetrieben, oder ob auf Zusammenfassung und Syn- these hingewirkt werden soll. (..) Die schon jetzt vielfach zu be- obachtende Folge der beregten Ausbildungsart ist eine zwiefa- che. Entweder hält sich der Kunstjünger nach fortgeschrittener Angleichung an seinen Führer selbst für einen Meister (..) oder aber, es führt den bescheideneren, an seiner Individualität stän- dig vorbeiarbeitenden Schüler im ständigen Sichmessen mit dem Meister (..) zu der nicht minder gefährlichen und entsa- gungsvollen Vorstellung: ‘Ich kann ja doch nichts.’ (..) Es fehlt von Natur in diesem Lehrverfahren die Gegebenheit für das der Jugend so wohl anstehende Sich-Erkühnen, das Draufgängeri- sche ohne den Führer, das verschwenderische Irren mit dem schließlichen Erfolge des sicheren Sichselberfindens.“ Ibid., S.2208, resp. 2209 37 Wasmuths Monatshefte für Baukunst, 12.Jg., Berlin, 1928, S.474ff. 38 Nachwort zu „Arbeiten junger Architekten” von Ralf Troje in: Die Form, Zeitschrift des DWB, 1930, Heft 11, November 1930, S.352: Eine Ausstellung der Schüler Heinrich Tessenows. 39 Poelzig, Hans: Zur Einführung in: Poelzig und seine Schule, Ber- lin, März 1931, S.3 - Hier betont er, dass es „eine Poelzigschule überhaupt nicht gibt.“ Dagegen verweisen Titel und Aufbau der Ausstellung auf ein traditionelles Meisterschulverständnis: die Arbeiten des Meisters werden dort linear entlang der Mittelach- se aufgereiht präsentiert. Über die Seitenkabinette, wo Arbeiten früherer Schüler aus der Breslauer Zeit zu sehen sind, gelangt mensch zu den Sälen 8 und 9, wo „Schülerarbeiten aus dem Seminar der Technischen Hochschule“ gezeigt werden, die „bei einer Ausstellung ’Poelzig und seine Schüler’ nicht gut fehlen durften, um wenigstens einen beschränkten Ausschnitt aus der rein akademischen Lehrtätigkeit zu geben. Es erschien (..) nicht abwegig, bei dieser Gelegenheit wenigstens Arbeiten von einem der Hochschulseminare zu zeigen, die im besten Einvernehmen jedes in seiner Art nebeneinander arbeiten.“ Ibid., S.2. Ebendort verweist er darauf, dass diese Ausstellung für das Jahr 1929 ge- plant, jedoch verschoben worden sei, „um die Vollendung ge- rade der größten Bauaufgaben (..) vorführen zu können.“ 40 Brattskoven, Otto: Poelzig und seine Schule, in: Die Baugilde, 13.Jg., H.6, 25.3.1931, S.484 - „die bewußte Erziehung zu Ra- tionalität, wie sie in den Arbeiten seiner Schüler in den um die Mittelachse gruppierten Räumen zum Ausdruck kommt“. 41 Graubner, Gerhard (Hg.): Bonatz und seine Schüler, Stuttgart, 1931 42 Paul Bonatz im Vorwort in: Graubner, 1931, o.S. 43 Vgl. Kindt, 1982, S.7. 1907 erscheinen die von Paul Waetzel in Freiburg als 4 Hefte herausgegebenen „Zimmermannsarbeiten“, die 1921 als Buch veröffentlicht werden. 1909 kann er bei Call- wey in München „Der Wohnhausbau“ publizieren. Das 1916 ebenfalls in München erscheinende Bändchen „Hausbau und dergleichen“ findet rege Verbreitung und wird 1920 und 1928 erneut aufgelegt. 1919 erscheint in Berlin „Handwerk und Klein- stadt“, 1921 in Hellerau „Das unglückliche Land in der Mitte“. im Seminar Tessenow 113 Exkursion mit Prof. Friedrich Seeßelberg (Mitte) in ein schlesisches Bergwerk, 1931, erste von links Gertraude Engels Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar te klügste Techniker und Ingenieure, mächtigste Krie- ger, kaltblütigste Kaufleute, empfindlichste Maler, Musiker, usw. sind große Spezialisten, aber wir sind nicht überhaupt groß, sind nicht große Menschen; denn es fehlt uns als Spezialisten in dem Vielfachen die Harmonie.“ 44 Und da der Spezialist ein beson- ders unharmonischer Mensch ist, ja, jeder Spezialist „von einer gewissen Grenzen ab beginnt (..) wie ein Haufen menschliches Unglück zu sein“, sucht Tesse- now in Anlehnung an Ideale der Aufklärung nach ei- ner vernünftig-natürlichen Balance zwischen Gefühl und Verstand, einen Weg „zum Menschlichen oder Rein-Geistige[n]“. „Zum Beispiel der Adam will, des Gleichgewichtes wegen, für sich eine Eva, die Eva will für sich und für Adam, des Gleichgewichtes we- gen, einen Apfel; gut; aber der Apfel hat in seinem Kern den Willen, daß Apfelbäume werden, die Apfel- bäume aber wieder wollen, daß Adam Gärtner sei usw.“ 45 Weniger im Apfel als in der Eigenliebe sieht Tessenow den Sündenfall, den Verlust von „Erden- schwere“ und „Erdenliebe“, die Bedrohung der Natur durch die Zivilisation. „Jedenfalls: Je länger unsere Auswüchse, um so unähnlicher sind wir dem Ur- sprung und um so schlimmer geht es uns.“ 46 Im Unterschied zu den polaristischen Geschlechter- philosophien, die seit Beginn des 19.Jahrhunderts dieses Ideal in der Ergänzung unterschiedlicher - je- doch gleichwertiger wie gleichrangiger - Geschlech- ter anstreben, unternimmt Tessenow hier den Ver- such, das durch „das Materielle“ - Auswüchse emo- tionaler wie rationaler Art - bedrohte Gleichgewicht menschlicher Existenz für das [männliche] Individuum zurückzugewinnen. Zur Veranschaulichung wählt er die Kugel - „hier in der Flächenprojektion als Kreis“. Er sieht die Chance einer neuen Balance, wenn alle Interessen „möglichst die genau gleiche Länge be- kommen“. Dies führt zum „einfach harmonischen Menschen“ resp. dem Künstler, wobei ersterer seine verschiedenen Interessen und Auswüchse auf einen einheitlichen Radius „zurückschneidet”, während es dem Künstler - als „dem großharmonischen Men- schen“ - obliegt, alle Interessen auf das Maß des größten Auswuchses auszudehnen: „immer größer, bis in der Unendlichkeit aller Raum vergeistigt ist und wir damit alles Weltliche gerechtfertigt haben.“ 47 Diese ‚Harmonielehre’ kennzeichnet Tessenows Denkweise. Sie lässt sich im Wechsel mit polaren Geschlechterphilosophien auch innerhalb seines Unterrichts verfolgen. Polaritäten und das Denken in ‘Geschlechtscharakteren’ bilden seit Ende des 18. Jahrhunderts jene Folie auf deren Hintergrund im Laufe des 19. Jahrhunderts eine zunehmende Nor- mierung von Geschlechtsspezifika zu beobachten ist, die eine eindeutige Verteilung von Handlungsspiel- räumen zwischen den Geschlechtern kennzeichnet.48 44 Tessenow, Heinrich: Der harmonische Mensch (in: Handwerk und Kleinstadt, Berlin, 1919) hier zitiert nach Kindt, Otto (Hg.): Heinrich Tessenow: Geschriebenes, Braunschweig / Wiesbaden, 1982, S.165) 45 Ibid., S.167 46 Ibid., S.169 47 Ibid., S.172 48 Zur Rolle der Geschlechtscharaktere vgl. Hausen, Karin: Die Po- larisierung der ‚Geschlechtscharaktere’ - Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Conze, Werner (Hg.): Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart, 1976, S.363-393 114 Architekturstudentinnen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Familiäre Hintersgründe und kulturelle Kapitale: Wer studierte bei Tessenow? Wer sind die Studentinnen, die zwischen ab 1926 im Seminar Tessenow an der Architekturfakultät der TH Charlottenburg studieren? Wo und wie sind sie auf- gewachsen? Welche Schulen haben sie besucht, welche Ausbildungen durchlaufen? Innerhalb der Stu- dentInnenkartei Tessenows ließen sich unter insge- samt 614 Namen 34 Studentinnen eindeutig identifi- zieren. 25 dieser Studentinnen studierten im Seminar zwischen und 1926 und 1936. Iwanka Waltschanowa wuchs mit zwei Schwestern und einem Bruder im südbulgarischen Plowdiw auf, wo ihr Vater als Architekt im öffentlichen Dienst ar- beitete. Sie geht unmittelbar nach dem Abitur 1925 nach Berlin, wo eine ihrer Schwestern bereits Volks- wirtschaft studiert. Sie schreibt sich an der TH Char- lottenburg für Architektur ein. Thea Kochs Vater war Oberbaurat. Sie studiert zunächst Architektur an der TH München und legt dort das Vordiplom ab, bevor sie zum Wintersemester 1926/27 an die TH Charlot- tenburg wechselt. Die Väter von Hanna Blank und Helga Karselt waren Lehrer. Beide beginnen ihr Ar- chitekturstudium zum Sommersemester 1925 an der TH Charlottenburg und studieren wahrscheinlich ab 1928 im Seminar. Blank wuchs in Charlottenburg auf, wo sie in Nähe des Kaiserdamms zur Schule ging. Karselt wuchs mit zwei Geschwistern im Prenzlauer Berg auf. Ihr Vater ist Rektor der 174.Gemeindeschu- le in der Schönhauser Allee. Sie erwirbt ihr Abitur 1925 an der Elisabethschule. Ihre Schwester studiert Mathematik, ihr Bruder Philosophie. Mit bestandenem Vordiplom an der TH München und einem Praxisjahr in Düsseldorfer Büros wechseln Gi- sela Eisenberg und Lieselotte von Bonin zum Herbst 1928/29 nach Berlin ins Seminar Tessenow. Eisen- berg stammt aus Kassel, wo sie als einziges Kind in einer Arztfamilie aufwuchs. Von Bonins Vater war als Ingenieur in den Diensten eines Hüttenbetriebes in Mülheim tätig. Lieselotte von Bonin besuchte zu- nächst das städtische Lyzeum in Gelsenkirchen und wechselte 1921 an das städtische Realgymnasium, wo sie 1924 das Abitur erwarb. Ihre ältere Schwester heiratet, ihr Zwillingsbruder studiert Bauingenieurwe- sen. Lieselotte von Bonin begann ihr Architekturstu- dium im Anschluss an das Abitur zunächst an der TH Charlottenburg, wechselte jedoch bereits nach einem Semester nach München. Ludmilla Herzenstein besucht das Seminar Tessenow zwischen 1930 und 1933. Sie bestand die Reifeprü- fung 1926 in Berlin und immatrikulierte sich zum Win- tersemester für Architektur.49 Herzenstein wuchs mit zwei jüngeren Brüdern bei der Mutter in Berlin auf. Ihr Vater war Bauingenieur. Zum Wintersemester 1929/ 30 wechselt Anni Pfeiffer nach einem abgebrochenen Chemiestudium und einem Vordiplom der TH Mün- chen ins Seminar. Sie wuchs als älteste von drei Ge- schwistern einer Bankiersfamilie in Kassel auf und erwarb 1925 an der dortigen städtischen Studienan- stalt - wie ein Jahr zuvor bereits Gisela Eisenberg - das Abitur. Von Pfeiffer ist bekannt, dass sie ‘die realgymnasiale Richtung’ und freiwillig auch ‘Latein’ und ‘Französisch’ belegte. Ihr Bruder studiert Meteo- rologie und Geologie, ihre Schwester heiratet. Roswitha Rossius tritt im Mai 1930 in das Seminar ein. Sie war als Tochter eines in Berlin-Zehlendorf ansässigen Architekten mit zumindest einem Bruder aufgewachsen.50 Das Abitur erwarb sie im Frühjahr 1927, wahrscheinlich ebenfalls in Berlin. Um 1928 bestand Fridel Hohmann das Abitur in Elbing, wo ihr Vater ein Sägewerk betrieben haben soll. Sie wuchs mit einem Bruder auf und dürfte das Mädchenreal- gymnasium in Elbing besucht haben. Nach dem Abi- tur studiert sie Architektur zunächst in Stuttgart und Graz, wahrscheinlich ab 1928. Sie tritt um 1931 in das Seminar bei Tessenow ein. Leonie Behrmann, die ab dem Herbst 1930 an den Vereinigten Staatsschulen bei Tessenow studiert, hat einen Ingenieur zum Vater und ist in Berlin-Schöne- berg aufgewachsen. Ihre jüngere Schwester studiert Medizin. In der StudentInnenkartei Tessenow befin- det sich keine Karte Behrmann.51 Eine weitere Tesse- now-Studentin, die zumindest zeitweilig auch an den Vereinigten Staatsschulen studierte und von der eine solche Karte existiert, war die aus Frankfurt a.d.Oder stammende Friedel Schmidt. Über sie ist jedoch fast ebenso wenig bekannt wie über eine weitere Studen- tin namens Schmidt, die - in Zerbst beheimatet - um 1930 bei Tessenow an der Technischen Hochschule studiert und 1932 diplomiert. Sigrid Rauter wechselt zum Herbst 1932 - nach dem Vordiplom an der TH Stuttgart - an die TH Charlot- tenburg resp. zu Tessenow. Zu diesem Zeitpunkt tre- ten auch Irina Kaatz und Rina Paschowa in das Se- minar ein. Über die familiären Hintergründe dieser beiden Studentinnen ist nahezu nichts bekannt. Ab dem Sommersemester 1933 studiert hier außerdem Zweta Beloweschdowa. Sie war als Tochter eines Verlegers mit mehreren Geschwistern in Plowdiw auf- gewachsen und hatte dort das Abitur abgelegt, bevor sie sich im Herbst 1930 an der TH Charlottenburg für Architektur immatrikulierte. Auch ihre Geschwister studieren. Im Frühjahr 1933 besucht auch Johanna Tönnesmann das Seminar Tessenow, im Winterse- mester 1933/1934 tut dies Christa Dirxen. Beide kommen von der TH Stuttgart und bleiben lediglich für ein Gastsemester. Tönnesmann war als ältestes von vier Kindern eines Papierfabrikanten in Essen aufgewachsen und hatte 1929 ein humanistisches Abitur an der dortigen Viktoria-Schule erworben. Ein 49 Zeitgleich studiert auch Hilda Harte Architektur, nämlich eben- falls zwischen 1926 und 1933. Ob resp. wann sie das Seminar Tessenow besucht, lässt sich bisher nicht belegen. Hartes Vater war Kaufmann, sie wuchs in Berlin-Kreuzberg auf. Spätestens seit dem Studium ist sie mit Ludmilla Herzenstein befreundet. Harte hatte zunächst die Staatliche Elisabethschule, ein Lyzeum am Mariannenplatz in Berlin-Kreuzberg besucht und Ostern 1926 das Abitur an der 1. Städtischen Studienanstalt abgelegt. Ob Herzenstein ebenfalls hier ihr Abitur erwarb, bleibt unklar. 50 Wo Ernst Rossius van Ryhn als Professor unterrichtete, konnte nicht ermittelt werden. Er baut in den zwanziger und dreißiger Jahren zahlreiche Siedlungen. Bereits 1904 war eine erste Mo- nografie erschienen. Vgl. auch Lorenz, Felix: Ernst Rossius van Rhyn, Berlin, 1913. 51 Dort befinden sich jedoch die Karten von Gerhard Eichler und Hans Mucke, die ebenfalls an den VS bei Tessenow studierten. im Seminar Tessenow 115 Abiturklassse am Realgymnasium Gelsenkirchen, 1924, erste von rechts Lieselotte von Bonin Abiturklassse am Oberlyzeum Remscheid, 1931, erste von links Gisela Schneider Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bruder übernimmt die Fabrik, der andere studiert ebenfalls Architektur. Die Schwester studiert Medizin. Dirxen wuchs als Tochter eines Studienrats im Ruhr- gebiet auf, ihre ältere Schwester studiert in München Graphik. Zum Wintersemester 1933/34 tritt auch Gertrude En- gels ins Seminar ein. Sie war als Einzelkind in Berlin- Niederschöneweide aufgewachsen, wo sie die Doro- theenschule besuchte. Engels, deren Vater als Elek- troingenieur für die AEG arbeitete, nahm das Archi- tekturstudium 1931 unmittelbar nach dem Abitur am Oberlyzeum Cöpenick - und zeitgleichmit ihrem Ju- gendfreund Alexander Herde - auf. Luise Zauleck war mit drei jüngeren Geschwistern in einer Pfarrersfami- lie in Bochum und Wetter aufgewachsen. Sie be- suchte unterschiedliche Schulen und bestand Ostern 1930 die Reifeprüfung am Oberlyzeum in Hagen. Sie schreibt sich zum Herbst 1931 an der TH Charlotten- burg für Architektur ein und legt nach vier Semestern das Vordiplom ab. Ab dem Herbst 1933 studiert sie im Seminar. Eine ihrer Schwestern wird Krankengym- nastin, die andere studiert Musik. Der vier Jahre jün- gere Bruder studiert - ebenfalls an der TH Charlotten- burg - Eisenhüttenkunde. Ebenfalls 1933 tritt Ewa Freise ins Seminar ein. Sie wechselt gemeinsam mit ihrem Studienfreund Dieter Oesterlen von der Stutt- garter an die Charlottenburger TH. Ihr Vater ist als Ar- chitekt bei der Reichsbahn in Halle tätig. Dort erwarb Freise 1930 das Abitur. Ihre jüngeren Schwestern studieren Sprachen resp. Gestaltung an der Burg Giebichenstein. Gisela Schneider tritt zum Wintersemester 1934/35 ins Seminar Tessenow ein. Sie wuchs mit einer jün- geren Schwester in einer Lehrerfamilie in Remscheid auf und erwarb das Abitur am dortigen Oberlyzeum im Februar 1931. Sie wechselt nach einem Semester an der Kunstgewerbeschule Stuttgart noch 1931 zur Architektur an der dortigen TH, wo sie im Sommer 1933 das Vordiplom ablegt. Irmgard Fischer, wahr- scheinlich als Tochter eines Oberbaurats in Heiners- dorf bei Berlin aufgewachsen, tritt noch im Semester ihres Vordiploms an der TH Charlottenburg - dem Sommersemester 1935 - ins Seminar ein. Sie dürfte das Architekturstudium bereits 1932 oder 1933 be- gonnen haben. Für ein Gastsemester studieren im Sommersemester 1935 auch Ilse Sahlmann und Gre- te Berg bei Tessenow. Sahlmann war in Fürth aufge- wachsen und hatte im Herbst 1934 an der TH Stutt- gart das Vordiplom absolviert. Berg war als Tochter eines Unternehmers in Solingen aufgewachsen. Ihre Vorbildung ist unbekannt. Ab dem Herbst 1935 studieren Galina Taizale, Hilde- gard Korte und Maria Gaiser bei Tessenow. Alle drei hatten im Sommer 1935 das Vordiplom an der TH Charlottenburg bestanden. Taizale stammte aus dem finnischen Helsingfors und studierte spätestens ab 1934 in Berlin. Korte war als Einzelkind in Berlin-Wil- mersdorf aufgewachsen. Ihr Vater war Architekt und baugewerblich tätig. Sie legte Ostern 1932 an der Viktoria-Luisen-Schule, einem Wilmersdorfer Oberly- zeum mit realgymnasialen Zweig, das Abitur ab. An- schließend studierte sie zunächst ein Semester roma- nische Sprachen, Mathematik und Kunstgeschichte, bevor sie sich zum Herbst 1932 an der TH Charlot- tenburg für Architektur immatrikuliert. Gaiser war als ältestes Kind eines Maschinenbauingenieurs in Ber- lin-Moabit aufgewachsen. Sie schreibt sich im Früh- jahr 1933 an der TH Charlottenburg ein. Auch ihr jün- gerer Bruder studiert hier in den dreißiger Jahren: Maschinenbau. Ebenfalls zum Wintersemester 1935/ 36 kommt die in Berlin geborene Lisbeth Reimmann aus der Schweiz für ein Gastsemester ins Seminar. Sie besitzt ein Vordiplom der ETH Zürich, wo sie ver- mutlich bereits seit 1932 studiert hat. Ab Herbst 1935 besucht auch Klara Brobecker das Seminar Tesse- now. Sie wuchs in Berlin-Steglitz als Einzelkind auf und bestand - ebenso wie Elfriede Schaar - Ostern 1932 die Reifeprüfung am Goethelyzeum in Steglitz. Ihr Vater war Architekt bei der Reichsbahn. Sie stu- dierte bereits ab 1932 an der TH Charlottenburg und trat nach dem Vordiplom 1934 zunächst ins ‘Seminar Rüster’ ein. Ein Semester nach Brobecker tritt zum Frühjahr 1936 Elfriede Schaar ins Seminar ein. Sie war als Tochter eines Kaufmanns in Berlin-Lichterfel- de aufgewachsen, hatte sich 1932 an der TH Charlot- tenburg immatrikuliert und im Winter 1935/36 das Vordiplom abgelegt. Zum Wintersemester 1936/37 besucht Ingeborg Ull- rich das Seminar für ein Gastsemester. Sie hatte zu- vor in Stuttgart das Vordiplom erworben und kehrt 1937 an die TH Stuttgart zurück. Edeltraut Lätzsch und Ruth Weckend studieren ab dem Frühjahr 1937 für ein Gastsemester im Seminar Tessenow. Die aus dem Vogtland stammende Edeltraud Lätzsch hat zu diesem Zeitpunkt noch kein Vordiplom. Ruth Weck- end, Architektentochter aus Oberhausen, kommt mit Vordiplom aus Aachen. Auch Ingrid Heidenreich ist die Tochter eines Architekten. Sie wuchs in Berlin- Westend mit zumindest einem älteren Bruder auf. Dieser studiert Architektur an der TH Charlottenburg und diplomiert bei Tessenow im Sommer 1937. Erst anschließend - zum Zwischensemester 1937 - tritt auch Ingrid Heidenreich in dieses Seminar ein, ob- schon sie ihr Vordiplom bereits im Sommer 1936 in Berlin bestanden hatte. Friedel Hajek besucht das Seminar ab November 1938 für ein Semester als Gaststudentin. Unmittelbar zuvor bestand sie an der TH Wien die erste Staatsprüfung als Architektin. Sie hatte die Realmatura im Sommer 1934 in Wien abge- legt und dort zunächst an der Kunstgewerbeschule, ab 1936 an der Technischen Hochschule studiert. 116 Architekturstudentinnen Familie von Bonin, um 1918, Lieselotte vorne links Auguste Schneider mit ihren beiden Töchtern, Weihnachten im Kriegsjahr 1917 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Tessenowstudentinnen wuchsen demnach als Töch- ter von Kaufleuten oder Unternehmern (6) oder auch von Lehrern (3), häufiger jedoch als Töchter von Ar- chitekten (9) oder Ingenieuren (5) auf. Vereinzelt fin- den wir auch Arzt- resp. Pfarrerstöchter.52 Und man- che der Tessenowstudentinnen hatten mit der eige- nen Mutter eine akademisch gebildete, einzelne so- gar eine berufstätige Frau unmittelbar vor Augen. Doch bei weniger als der Hälfte aller Tessenowstu- dentinnen konnten Daten und Hinweise zur Tätigkeit und Ausbildung der Mütter zusammengetragen wer- den. Obschon die Mehrzahl der Tessenowstudentin- nen sicherlich in Familien mit traditionellen Rollenver- teilungen aufwuchs, erweist sich die Hypothese, dass die Mütter von Tessenowstudentinnen alternativlos die Rolle der bürgerlichen Hausfrau übernommen hätten, nur bedingt als zutreffend. Nach bisherigen Erkenntnissen übten die Mütter von Lieselotte von Bonin, Klara Brobecker, Gisela Eisenberg, Gertraude Engels, Maria Gaiser, Helga Karselt, Hildegard Korte und Anni Pfeiffer keine Berufstätigkeit aus. Hedwig Hohmann [geb. Hirschberg] hatte vor der Heirat an der Königsberger Akademie Bildhauerei, Alice Tön- nesmann [geb. Hermann] in Süddeutschland Kunst studiert. Tatjana Herzenstein blieb auch nach der Ge- burt von drei Kindern als Linguistin berufstätig. Sie dürfte ebenso über eine akademische Bildung verfügt haben wie Auguste Schneider [geb. Schmidt], die wahrscheinlich an einer Pädagogischen Hochschule studiert hatte. Sie blieb als Volksschullehrerin sowohl nach der Geburt ihrer beiden Töchter wie nach einer erneuten Heirat berufstätig. Die weitaus meisten Tessenowstudentinnen wachsen mit Geschwistern, manche als Einzelkinder auf.53 Die einzigen Kinder ihrer Eltern waren Klara Brobecker, Gisela Eisenberg, Gertraude Engels, Hildegard Korte und wahrscheinlich Elfriede Schaar. Die Erstgebore- nen waren Leonie Behrmann, Ewa Freise, Maria Gai- ser, Anni Pfeiffer, Gisela Schneider, Johanna Tönnes- mann, Luise Zauleck und wahrscheinlich Helga Kar- selt. Eine Relevanz der Geschwisterkonstellation für den Studienwunsch Architektur lässt sich hier inso- fern erkennen, als der Anteil der Erstgeborenen resp. Einzelkinder relativ hoch ist. Deutlich wird auch, dass in diesen technikinteressierten Familien nicht nur die Söhne, sondern auch nahezu alle Töchter studieren.54 Weniger die bildungsbürgerliche Orientierung als die Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Entwicklungen kennzeichnet somit jene familiären Milieus, in denen alle Kinder hinsichtlich schulischer und akademischer Bildung gefördert werden. Tessenowstudentinnen kamen überwiegend in Groß- städten zur Welt und wuchsen häufig dort auch auf.55 So wuchs Ludmilla Herzenstein, in St.Petersburg ge- boren, in Berlin-Schöneberg auf. Hanna Blank wurde in Berlin-Charlottenburg geboren und besuchte dort auch die Schule. Lieselotte von Bonin wuchs in Mül- heim a.d.Ruhr, Thea Koch und Friedel Schmidt wahr- scheinlich in Frankfurt a.d.Oder auf. Gisela Eisenberg und Anni Pfeiffer verlebten ihre Kindheit in Kassel. Von den Studentinnen, die in den dreißiger Jahren das Seminar besuchten, war ein großer Teil in und um Berlin aufgewachsen, so Leonie Behrmann in Schöneberg, Gertraude Engels in Niederschönewei- de, Maria Gaiser in Moabit, Klara Brobecker und El- friede Schaar in Steglitz, Hildegard Korte in Wilmers- dorf, Roswitha Rossius in Neubabelsberg oder Zeh- lendorf und Ingrid Heidenreich im Westend. Die Fa- milie von Irina Kaatz lebte in der Nähe von Eberswal- de, die von Irmgard Fischer in Heinersdorf. Luise Zauleck verbrachte ihre Kindheit in Bochum und Wetter. Ruth Weckend wuchs in Oberhausen, Christa Dirxen in Hamm, Johanna Tönnesmann in Essen, Ewa Freise in Halle an der Saale und Fridel Hohmann in Elbing auf. Damit ist deutlich, dass Tessenowstudentinnen ganz überwiegend in industriell prosperierenden Städten des ehemals preußischen Territoriums aufwuchsen - zu einem Drittel in Berlin. Im Seminar studierten im Laufe der Jahre aber auch zahlreiche ausländische Studentinnen und Studenten. Studierende aus Bulga- rien, Jugoslawien, Rumänien Polen und den westli- chen Teilen des russischen Reiches waren in Berlin traditionell stärker vertreten als an anderen Hoch- schulen im Deutschen Reich. In Tessenows Seminar studierten außerdem auch dänische, französische, italienische, türkische und sogar argentinische Stu- denten. Unter den Studentinnen sind die Bulgarinnen Irina Waltschanowa, Rina Paschowa und Zweta Belo- weschdowa, die Österreicherin Friedel Hajek und die Finnin Galina Taizale zu nennen. Welche Rolle die Konfession resp. die Religiosität in den Familien einnahm, ist weitgehend unbekannt. Nur bei der Hälfte der Studentinnen konnte die Kon- fession recherchiert werden.56 Demnach wuchsen zwei Drittel von ihnen in protestantischen Familien, eine in einer jüdischen Familie auf. Fünf Studentinnen waren katholischen Bekenntnisses.57 Auch wenn Tes- senowstudentinnen i.d.R. auch eine religiöse Erzie- hung genossen, so spielte Religion in den meisten Familien wohl keine zentrale Rolle. Lediglich Maria Gaiser soll streng katholisch erzogen worden sein.58 Von keiner Tessenowstudentin lässt sich bisher ein Kirchenaustritt nachweisen. Und eine Art Pragmatis- mus im Umgang mit kirchlichen Traditionen zeigt das Beispiel der Familie von Bonin: Hier ‘erbte’ der Sohn die protetantische Konfession des Vaters, während die katholische Konfession der Mutter die Töchter ereilte. Kaum mehr ist über die politischen Haltungen der Familien der Studentinnen bekannt, bisher lässt 52 Bei fast Dreiviertel, 25 der 34 Studentinnen ließen sich Angaben zum Beruf des Vaters zusammentragen. 53 Bei Hanna Blank, Grete Berg, Irina Kaatz, Rina Paschowa, Sigrid Rauter, Galina Taizale und Friedel Schmidt sind keinerlei Infor- mationen über Geschwister bekannt. 54 So studieren bspw. die Schwestern von Tönnesmann und Behr- mann Medizin, die von Schneider und Freise Grafik. Helga Kar- selts Schwester studiert Mathematik, eine Schwester Iwanka Waltschanowas Volkswirtschaft, die Schwester Luise Zaulecks Philologie und Musik. 55 Wo Edeltraut Lätzsch, Ingeborg Ullrich, Sigrid Rauter, Lisbeth Reimmann und Ilse Sahlmann aufwuchsen, ist bisher unbe- kannt. 56 Damit bleibt bspw. offen, ob jüdische Studentinnen im Seminar Tessenow unterrepräsentiert waren. Unbekannt sind bisher die Konfessionszugehörigkeiten von Zweta Beloweschdowa, Grete Berg, Irmgard Fischer, Friedel Hajek, Ingrid Heidenreich, Ludmil- la Herzenstein, Irina Kaatz, Edeltraud Lätzsch, Rina Paschowa, Sigrid Rauter, Lisbeth Reimmann, Roswita Rossius, Ilse Sahl- mann, (Frl. Schmidt), Friedel Schmidt, Galina Taizale, Ingeborg Ullrich, Iwanka Waltschanowa und Ruth Weckend. 57 In protestantischen Familien wuchsen Hanna Blank, Gisela Ei- senberg, Gertraude Engels, Ewa Freise, (Hilde Harte), Fridel Hohmann, Helga Karselt, Hildegard Korte, Anni Pfeiffer, Elfriede Schaar, Gisela Schneider, Johanna Tönnesmann und Luise Zau- leck, in einer jüdischen Familie wuchs Leonie Behrmann auf. Lieselotte von Bonin, Klara Brobecker, Christa Dirxen, Maria Gaiser und Thea Koch gehörten der katholischen Kirche an. 58 Laut einer Angabe von Klara Küster im Telefonat am 9.8.1997. im Seminar Tessenow 117 sich nahezu kein politisches Engagement von Vätern oder Müttern nachweisen.59 Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Familien resp. die Studentinnen poli- tisch desinteressiert waren. Allerdings nahmen Tes- senowstudentinnen i.d.R. nicht Partei für politische Positionen oder Programme. Noch seltener taten sie dies öffentlich, wie bspw. Leonie Behrmann, die An- fang der dreißiger Jahre an den Vereinigten Staats- schulen dem ‘Kollektiv für sozialistisches Bauen’ an- gehörte, das aus dem Kreis der Tessenowstudieren- den an den VS hervorgegangen sein soll.60 Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund - 1926 gegründet - fand unter den StudentInnen der TH Charlottenburg schnell große Unterstützung. Während der Anteil an Professoren und Assistenten, die sich öffentlich zu nationalsozialistischem Gedan- kengut bekannten 1930 noch unter 10% lag, wählten im Wintersemester 1930/31 bereits 62% der Studen- tInnen die Vertreter des NSDStB.61 Die Karrieren mancher Studenten - wie bspw. die eines Rudolf Wolters oder von Carl Culemann -, insbesondere jedoch die Prominenz des Seminaristen und späteren Assistenten Albert Speer trug dem Seminar Tesse- now retrospektiv den Ruf ein, eine Art nationalsoziali- stische Keimzelle unter den ArchitekturstudentInnen gewesen zu sein. Zweifellos studierten hier auch und bereits Ende der zwanziger Jahre frühe Anhänger ei- nes ‘politischen Aufbruchs’, darunter auch Studentin- nen. Auch wenn das Seminar selbst nicht der Ort po- litischer Agitation war und Tessenow sich dezidiert politischen Stellungnahmen enthielt, so bot doch ge- rade dieser - im Spektrum der Entwurfsseminare - vermeintlich apolitische Rahmen auch gegenüber An- hängerInnen der ‘neuen Bewegung’ entsprechend großzügige Toleranz. So soll bspw. Lieselotte von Bonin um 1930 darüber enttäuscht gewesen sein, dass ihr verehrter Lehrer Tessenow ihre Begeisterung nicht geteilt habe. Sie kehrt der Partei jedoch auch wieder den Rücken.62 Bei zunehmender Politisierung der TH Charlottenburg kennzeichnete eine unentschieden abwartende Skep- sis anscheinend die Haltung der meisten Verantwort- lichen innerhalb der Architekturfakultät. Sowohl bei der Entlassung jüdischer Kollegen 1933 wie der zu- nehmenden Verschärfung der Studienbedingungen für jüdische Studierende übten sich die etablierten Architekturprofessoren bestenfalls in vornehmer Zu- rückhaltung. Erst lange nachdem die Hochschule ihre politische Selbstbestimmung aufgegeben hatte, regte sich auch hier vereinzelt Widerspruch, wie ihn bspw. Daniel Krencker in seiner Funktion als Dekan gegen das Tragen von SS-Uniformen innerhalb der Fakultät übte. Krencker wird 1939 entlassen. Tessenow wird an der TH Charlottenburg 1941 planmäßig pensio- niert. An den Vereinigten Staatsschulen wurde ihm bereits zum 30.9.1933 gekündigt, was jedoch - so die Erkenntnisse Christine Fischer-Defoys - weder auf politisches Engagement zurückzuführen noch als Ablehnung seiner Architekturauffassung zu interpre- tieren ist.63 Tessenowstudentinnen sind insofern typische Töch- ter des Bürgertums, als sie den durch die Schulre- form 1908 auf Mädchen erweiterten Bildungsauf- schwung mühelos mitmachen. Sie erwerben alle ein Regelabitur, auch wenn manche dafür nach dem Ly- zeum auf ein Realgymnasium wechseln muss. Fast ausnahmslos nehmen Tessenowstudentinnen unmit- telbar im Anschluss an den Erwerb des Reifezeugnis- ses ein Studium auf. Dies zeigt, dass ihre Eltern den Besuch höherer Schulen nicht nur als statusadäquate Bildung der Töchter, sondern im Hinblick auf den Zu- gang zu einem akademischem Studium förderten. Diese - sozial aufstrebende - Zielorientierung des Bil- dungserwerbs, wie sie für Männer des Bildungsbür- gertums als Schlüsselqualifikation sozialer Etablie- rung als charakteristisch gilt, bildet sich somit auch im Bildungsverlauf dieser Architekturstudentinnen ab. Auch wenn die konkrete Schulbildung der meisten Studentinnen bisher nicht belegt ist, so zeigen die bekannten schulischen Laufbahnen, dass Tessenow- studentinnen häufiger ein Abitur der realgymnasialen als der humanistischen Richtung erwarben.64 Damit konnte der ganz überwiegende Teil dieser Studentin- nen bereits während der Schulzeit auch mathema- tisch-naturwissenschaftliche Interessen verfolgen. Für diejenigen Studentinnen, die ausschließlich ‘Mäd- chenschulen’ besucht hatten, bedeutet der Besuch der Hochschule aber auch den Wechsel in ein koe- dukatives Umfeld. Infolge des häufig geradlinigen Verlaufs ihrer schuli- schen Ausbildung sind Tessenowstudentinnen bei Immatrikulation i.d.R. noch minderjährig, manches Mal - wie Brobecker, Engels, Heidenreich und Koch - erst 18 Jahre alt. Die ganz überwiegende Anzahl der TH-Studentinnen nimmt im Alter von 19 resp. 20 Jah- ren das Architekturstudium auf. Selbst bei einem Stu- dienfachwechsel sind die Studentinnen bei Beginn des Architekturstudiums nur ausnahmsweise bereits volljährig. Die geringe Spanne des Eintrittsalters von Tessenowstudentinnen - zwischen 18 und höchstens 22 Jahren - kennzeichnet diese jungen Frauen als ei- ne qua Lebenserfahrung homogene Gruppe.65 Eben- so einheitlich ist ihr Familienstand: Alle Studentinnen im Seminar Tessenow sind ledig. Etwas weniger homogen - aber für die Herkunftsmili- eus durchaus kennzeichnend - ist das kulturelle Um- feld, in dem Tessenowstudentinnen ihre Interessen und Neigungen entwickeln können. So sind die mei- sten Familien bildungsbürgerlich orientiert und för- dern musische, sprachliche und auch naturwissen- 59 „Unser Haus stand schon seit langen Jahren der Jugendbewe- gung offen“, schreibt Luise Zauleck 1930 in ihrer Bewerbung für eine Pädagogische Akademie (NL Seitz-Zauleck). Ihr Vater ist kirchenpolitisch, in den zwanziger Jahren auch zunehmend par- teipolitisch für den Christlichen Volksdienst aktiv. Vgl. Friede- mann, Peter: Johannes Zauleck - Ein deutsches Pfarrerleben zwischen Kaiserreich und Diktatur, Bielefeld, 1990, S.78ff. (Schriften zur politischen und sozialen Geschichte des neuzeitli- chen Christentums, Bd.6) 60 Vgl. Fischer-Defoy, Christine: Kunst Macht Politik. Die Nazifizie- rung der Kunst- und Musikhochschulen in Berlin, Berlin, 1988, S.104 61 Lt. Schröder-Werle treten bis 1941 rund zwei Drittel der Hoch- schullehrer und Assistenten der NSDAP bei. Schröder-Werle, Renate: Chronik zur Geschichte der Technischen Universität Berlin, in: Rürup, 1979, Bd. II, S.1-36 1979, hier S.19. 62 Die Daten ihres Ein- resp. Austritts sind bisher nicht belegt. „Seine [Tessenows] Besuche in unserem Haus in der Königsal- lee 18a nahmen erst ein Ende als wir Berlin 1941 wegen der Luftangriffe verließen. In den meist abendlichen Unterhaltungen (..) sprach er sich völlig rückhaltlos aus. (..) Tessenow hielt den nationalsozialistischen „Idealismus“ für Irrsinn (..) Freilich war es für mich jetzt schmerzlich zu erfahren, daß Tessenow sich 1936 an diesem Wettbewerb [KdF-Seebad auf Rügen] beteiligt hatte und ich kann es mir auch heute noch nicht erklären.“ HTG, Brief Lieselotte Boedekers an Walter Jessen in Replik auf einen Vor- trag Julius Poseners am 25.5.1986, undat. 63 Fischer-Defoy, 1988, S.104. „So liegt der Entlassung Tessenows (..) nicht die Ablehnung seiner Architekturauffassung zugrunde, vielmehr gilt er wegen seiner gleichzeitigen Professur an der TH als ‘Doppelverdiener’, der zugleich durch die aufgespürte ‘kom- munistische Zelle’ in seiner Klasse an den VS in Mißkredit gefal- len ist.“ 64 Zur Vorbildung ließen sich keine Angaben ermitteln bei Behr- mann, Berg, Dirxen, Fischer, Kaatz, Koch, Lätzsch, Letz, Pa- schowa, Rauter, Reimmann, Sahlmann, Schmidt, Schmidt, Tai- zale, Ullrich und Weckend. 65 Bekannt ist das Alter bei Studieneintritt bei 27 Studentinnen. 19 Jahre sind bei Immatrikulation: Blank, Freise, Hohmann, Kaatz, Karselt, Korte, Rossius, Schneider Tönnesmann und Waltscha- nowa. 20jährig immatrikulieren sich Behrmann, Beloweschdowa, Bonin, Dirxen, Eisenberg, Hajek, (Harte,) Herzenstein, Pascho- wa, Pfeiffer, Rauter, Reimmann und Sahlmann. Bereits 21 Jahre alt und damit volljährig sind bei Immatrikulation: Gaiser, Schaar, Zauleck und wahrscheinlich Weckend. Berg und Ulrich sind bei Erstimmatrikulation höchstens 22 Jahre alt. An Technischen Hochschulen war das Studium älterer Studentinnen jedoch nicht ausgeschlossen. 66 „Mein Vater war sehr gebildet und musisch interessiert, er pass- te eigentlich nicht zum Kaufmann. Meine Mutter war künstle- risch sehr begabt (..), wie auch mein Vater sehr musikalisch. Wir 4 Kinder haben alle auch etwas gemalt, vorwiegend Aquarell und (..) haben auch jeder ein Instrument gespielt: Meine Schwe- ster Johanna (..) sehr gut Klavier, mein Bruder Karl Cello und ich Geige.“ Barbara Büttner, Brief vom 3.3.1998 118 Architekturstudentinnen schaftlich-technische Begabungen der Kinder. Deren kulturelle Interessen werden durch den Besuch von Museen, Theatern und Konzerten geweckt. Und - wo die finanziellen Verhältnisse dies erlauben - werden Bildungs- und Erholungsreisen unternommen. Außer- dem werden auch sportliche Aktivitäten der Töchter durchaus unterstützt. Musik spielte bspw. in den Familien Schneider, Zau- leck, Tönnesmann und Pfeiffer eine große Rolle.66 Von Gisela Schneider, Luise Zauleck und Ewa Freise ist bekannt, dass sie literaturbegeistert sind. Schneider zeichnet und aquarelliert, Zauleck illustriert u.a. die Abiturzeitung. Johanna Tönnesmann kann in der vä- terlichen Papierfabrik ihre Entwürfe für Vorsatzpapie- re umsetzen. Auch Lieselotte von Bonin, Gertraude Engels und Iwanka Waltschanowa zeichnen ebenso gut wie gern. Waltschanowa und Freise sind aber ebenso an Mathematik interessiert. Dies trifft auch auf Hildegard Korte und Maria Gaiser zu. Und Familie Karselt ist regelrecht mathematikbegeistert.67 Helga Karselt interessiert sich darüber hinaus für die Ar- chäologie. Ausgrabungen und geologische Phänome- ne werden bspw. auch in der Familie Pfeiffer auf- merksam verfolgt.68 Hier wird außerdem zeitgenössi- sche Kunst gesammelt. Von den Familien von Bonin, Waltschanow und Pfeiffer ist bekannt, dass ebenso selbstverständlich wie häufig internationale Reisen unternommen werden. Solche Weltläufigkeit bleibt in anderen Familien aufgrund begrenzter familiärer Bud- gets undenkbar. Dennoch begeistert sich bspw. Hil- degard Korte für Südamerika und alle romanischen Sprachen, Gisela Schneider insbesondere für Franzö- sisch. Und etliche Tessenowstudentinnen widmen sich bereits während der Schulzeit begeistert ver- schiedenen Sportarten wie Reiten, Paddeln, Tennis und Skilaufen. So unterschiedlich die Aktionsradien und finanziellen Rahmenbedingungen einzelner Tes- senowstudentinnen im direkten Vergleich auch wa- ren, kennzeichnend für die Hekunftsfamilien ist ein musisch-kulturell orientiertes Klima, in dem den Nei- gungen der Töchter Raum gegeben und ihre Interes- sen vielseitig angeregt wurden. Für die Zulassung zum Architekturstudium an einer Technischen Hochschule waren die Hürden Abitur und Pflichtpraktikum im Baugewerbe zu nehmen. Stellte das Abitur angesichts des seit der Jahrhun- dertwende in den Städten enorm verbesserten Ange- bots bei der Mädchenbildung für bürgerliche Töchter bei familiärer Unterstützung nun kein außerordentli- ches Hindernis mehr dar, so blieb die Schwierigkeit, als junge Frau einen Praktikumsplatz zu erhalten.69 Auf Baustellen arbeitende Frauen - und damit auch Praktikantinnen - blieben in den Bauhauptgewerken ein Kuriosum. Tessenowstudentinnen leisten ihre Praktika häufig in Betrieben und auf Baustellen in der Nähe des elterli- chen Wohnsitzes. Die meisten verwenden bereits die Zeit zwischen Abitur und Studienbeginn für das vor- geschriebene Praktikum. Lieselotte von Bonin tisch- lert 1925 vier Monate lang in der Tischlerei Ricken in Gelsenkirchen, Anni Pfeiffer im Jahr darauf zunächst in den Werkstätten der Akademie in Kassel bevor sie in das Baugeschäft Zimmermann wechseln kann. In den ersten Semesterferien leistet Helga Karselt 1926 das geforderte dreimonatige Baupraktikum bei der Philipp Holzmann AG auf einer Baustelle in Berlin- Britz, der Holzbearbeitungswerkstatt in Tempelhof und dem technischen Büro am Schöneberger Ufer ab.70 Johanna Tönnesmann absolviert 1929 ein Praktikum auf der Baustelle eines Einfamilienhauses in Essen- Bredeney. Hier in der Zeunerstraße kann sie im Haus von Bekannten ihrer Eltern die Toilette benutzen und sich umziehen. Gertraude Engels arbeitet 1930 ein halbes Jahr auf Baustellen der Firma Richter & Schä- del. Sie fährt täglich von Niederschöneweide zu Bau- stellen in Dahlem resp. Pankow.71 Luise Zauleck mau- ert und tischlert 1930/31 neun Monate in Dortmund und Wetter/Ruhr. Gisela Schneider arbeitet ab Au- gust 1931 drei Monate in der Tischlerei von Peter & Carl Heinmöller in Remscheid.72 Ewa Freise leistet ihr Baustellenpraktikum 1931 im Maurer- und Zimmer- mannshandwerk in Halle ab. Dabei zieht sie Tätigkei- ten zu ebener Erde vor, als sie feststellt, dass sie nicht über freitragende Balken laufen kann.73 67 Diese Begeisterung soll vom Vater geweckt worden sein. Hilde Karselt studiert Mathematik und promoviert 1932 über „Ebene Flugbahnen starrer Körper“ (Disputation in Berlin am 9.5.1932) 68 Hier treibt der Vater, Karl Ludwig Pfeiffer, neben seinem Beruf als Bankier wissenschaftliche Studien in der Paläontologie, die durch die Universität Marburg durch einen Ehrendoktortitel ge- würdigt werden. Der Bruder studiert u.a. Geologie. Anni Pfeiffer bereist Ende der zwanziger Jahre Griechenland. 69 Duden und Ebert wiesen darauf hin, dass das Unterrichtsmini- sterium bei den positiven Stellungnahmen zum Frauenstudium an THs davon ausging, „daß die praktische Tätigkeit vor dem Studium (..) eine ausreichende Barriere darstellen würde.“ Duden / Ebert, 1979, S.406 70 Lt. Zeugnis vom 30.10.1926: August bis Oktober 1926, NL Schuster 71 NL Herde, Praktikantenzeugnis Gertraude Engels vom 2.10. 1930. Hier ist eine „Großbaustelle Pankow“ aufgeführt, während Gertraude Engels - nach der Überlieferung der Tochter - ihr Praktikum überwiegend auf einer Baustelle in Dahlem ableistete. „Tischlereiwerkstatt (Fenster- und Türenbau) sechs Wochen, Erd- und Betonarbeiten vier Wochen, Maurerarbeiten zehn Wo- chen, Zimmererarbeiten drei Wochen, Maurer- und Zimmerer- ausbau sechs Wochen.” 72 Lt. Praktikumsbescheinigung vom 1.8.-31.10.1931, NL Ehren 73 Ewa Oesterlen in den Telefonaten am 18. und 24.11.1997 im Seminar Tessenow 119 Johanna Tönnesmann beim Baustellenpraktikum in Essen-Bredeney, 1929 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Nur von einem Drittel der Tessenowstudentinnen las- sen sich bisher die Betriebe resp. Baustellen der Baupraktika nachweisen. Zweifelsohne absolvierten jedoch nahezu alle Studentinnen die vorgeschriebene Praktikantinnenzeit im Bauhaupt- oder Nebengewer- be.74 Handwerkliche Lehren, wie sie manche der zeit- gleich an den Vereinigten Staatsschulen studierenden Architekturstudentinnen absolviert hatten, lassen sich bei ihnen hingegen bisher nicht nachweisen.75 Wie vieler Anläufe es bedurfte, um - ggf. mit familiä- rer Unterstützung - eine geeignete Praktikantinnen- stelle zu finden, lässt sich bisher nicht einmal im Ein- zelfall nachzeichnen. Wie die dokumentierten Prakti- ka zeigen gelang Tessenowstudentinnen dies in aller Regel jedoch unmittelbar im Anschluss an das Abitur. Während des Praktikums musste - aufgrund der Aus- nahmesituation - die Frage geeigneter Umkleide- und Sanitärräume gelöst werden. Im Unterschied zu Ar- chitekturstudentinnen der Kaiserzeit konnten sich die Architekturstudentinnen der Weimarer Republik je- doch schon sicher sein, dass es zwar ungewöhnlich, aber nicht mehr anstößig oder unanständig war, als bürgerliche Tochter für eine begrenzte Zeit auf einer Baustelle handwerklich zu arbeiten.76 Lediglich Jo- hanna Tönnesmann soll auf der Baustelle - insbeson- dere von Passantinnen - vorgeworfen worden sein, dass sie Männern die Arbeit wegnähme.77 Tessenow- studentinnen erlebten das Baustellenpraktikum i.d.R. als körperlich anstrengend, insbesondere jedoch als sehr lehrreich. Auf den Baustellen resp. in den Be- trieben waren sie jeweils die einzige Frau und wurden i.d.R. freundlich aufgenommen. Im Hinblick auf prak- tisches wie handwerkliches Wissen erwiesen sich die Praktika im Studium häufig als positiv. Wie jedoch entstand der Studienwunsch? Luise Zauleck verfolgte als 15-Jährige aufmerksam den Neubau des Pfarrhauses in Wetter/Ruhr. Dieses war auf Wunsch ihres Vaters von dessen Bruder, dem in Hamburg ansässigen Architekten Christian Zauleck entworfen worden. Und so ist es denn auch dieser Onkel, der ihr Interesse für Architektur för- dert.78 Nach dem Abitur am Oberlyzeum in Hagen im Frühjahr 1930 schwanken ihre Berufswünsche zwi- schen der Architektur und der Pädagogik. Auch Anni Pfeiffers Interesse an der Architektur könnte beim Bau des elterlichen Hauses 1923 geweckt worden sein.79 Ihre konkrete Entscheidung für eine eigene Be- rufsperspektive in der Architektur fällt jedoch im - zu- mindest zeitlichen - Zusammenhang mit dem Neubau des örtlichen Mädchengymnasiums.80 Ein Jahr nach ihrem Abitur an der Städtischen Studienanstalt Kas- sel - Pfeiffer studiert zu diesem Zeitpunkt Chemie in München - entscheidet sie sich im Sommer 1926 für einen Studienfachwechsel. Auch das Architekturinter- 74 Nur ausnahmsweise konnte dieses Praktikum ersatzweise im Bürobereich absolviert werden, so bspw. im Fall der an Kinder- lähmung erkrankten Elfriede Schaar. 75 Siehe hierzu im Anhang „Anmerkungen zu Architektinnen na- mens Schmidt“. So gibt bspw. Ilse Hoerda bei ihrer Bewerbung an den VS zum Wintersemester 1930/31 als erlernten Beruf „Tischler“ an. Und Herta Borchmann, die sich ein Jahr später bewirbt, hat seit 1928 an der KGS Magdeburg wie an der Burg Giebichenstein Tischlerei gelernt. HdKA, Best.8, Nr.115 76 So soll der Mutter von Edith Schulze 1915 die praktische Bau- stellentätigkeit ihrer Tochter so wenig standesgemäß erschienen sein, dass sie sich nicht als Mutter zu erkennen gab. 77 Information von Barbara Büttner am 26.2.1998 78 Ob sie auf dessen Rat das Architekturstudium aufnimmt - wie dies der Nachruf nahelegt -, ließ sich bisher nicht verifizieren. HTG, Jessen, Peter: Luise Seitz zum Gedenken, undat., 10/1988 79 Sie kannte „mit Sicherheit den damals in Kassel bekannten Ar- chitekten [Rudolf] Kasteleiner sen., der 1923 das Haus meiner Großeltern gebaut hatte.“ Brief Jürgen Gunkel, 31.1.1998, S.3 80 Der Wettbewerb zur Malwida-von Meysenbug-Oberschule wird 1927 durch Tessenow gewonnen, der Bau bis 1930 realisiert. Tessenow soll in diesem Zeitraum im Haus Pfeiffer verkehrt ha- ben. Der Zeitpunkt des Erstkontakts ist unbekannt. Dass ihm die Familie ein Begriff war, zeigt der lokal übliche Begriff ‘Rammels- berg’ auf der zwei Jahre später von ihm angelegten Karteikarte für Pfeiffer. Üblicherweise sind hier Straßenamen vermerkt. 120 Architekturstudentinnen Gertraude Engels als Praktikantin während einer Pause und inmitten der Belegschaft der Firma Richter & Schädel, 1931 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar esse Johanna Tönnesmanns wird durch ein konkre- tes Bauvorhaben 1929 geweckt oder bestärkt. Im Jahr ihres Abiturs an der Viktoria-Schule in Essen be- ginnt unweit dieses Gymnasiums die Realisierung der Auferstehungskirche nach Entwurf von Otto Bart- ning.81 Iwanka Hahn schildert ihre Studienfachwahl rückblik- kend als Schnittmenge unterschiedlichster Interessen und Neigungen: „Als ich mein Studium begonnen ha- be, dachte ich an erster Stelle nicht an einen Beruf um Geld zu verdienen. Mich drängte es, meinen Ho- rizont zu erweitern (..) Das Studium der Architektur erschien mir ein Weg dazu. Ich konnte ein bißchen zeichnen und in Mathematik war ich gut.“ 82 Als sich Maria Gaiser 1933 für Architektur immatrikuliert, revi- diert sie damit ihren ursprünglichen Fächerwunsch, der dem Maschinenbau - dem Berufsfeld des Vaters - gegolten haben soll.83 Helga Karselt soll auch ein Archäologiestudium in Erwägung gezogen haben. Ihr - wie auch Gertraude Engels´ - Architekturinteresse dürfte während der Schulzeit durch den jeweiligen Jugendfreund resp. deren Architektenväter geweckt worden sein. Bei der Mehrheit der Tessenowstudentinnen lässt sich die Entstehung des Studienwunsches nicht bele- gen. Bei manchen finden sich jedoch bereits im Abi- turzeugnis entsprechende Einträge, die dokumentie- ren, dass nicht nur bei Architektentöchter das Inter- esse am Fach häufig bereits während der Schulzeit geweckt wurde.84 So findet sich im Abiturzeugnis Lie- selotte von Bonins 1924 der Passus: „Die unterzeich- nete Prüfungskommission hat ihr demnach, da sie jetzt die Anstalt verläßt, um sich dem Studium der Architektur zu widmen, das Zeugnis der Reife zuer- kannt.“ 85 Auch „Gertraude Engels will sich dem Stu- dium des Baufachs (Innenarchitektur) widmen.“ 86 Und obschon Franz Korte, selbst Baumeister, diesen Studienwunsch seiner Tochter zum Zeitpunkt des Abiturs noch nicht befürwortet, vermerkt auch das Reifezeugnis Hildegard Kortes, dass sie Architektur studieren möchte. Auch ihre Studienfachpräferenz scheint durch das väterliche Vorbild geprägt.87 Sicher trugen Einblicke in den Berufsalltag, die auch nicht freiberuflich tätige Architektenväter, wie bspw. Heinrich Brobecker, Wilhelm Freise oder Franz Korte ihren Töchtern gewährten, zu deren frühzeitigem In- teresse bei. Bei einem engen Vater-Tochter-Verhält- nis mag auch eine besondere Aufmerksamkeit der Väter derartige Ambitionen gefördert haben.88 Huer- kamp kommt in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die ‘Berufsvererbung’ von Vätern auf Töchter insofern mit der Geschlechtskodierung des Berufs- feldes korreliert, als dem väterlichen Vorbild offenbar dann besondere Bedeutung zukam, wenn „die ge- wählte Studienrichtung als besonders ’unweiblich’ (..) galt“. Dies belegt sie bspw. anhand der Jurastuden- tinnen der Weimarer Republik, deren Väter (im Som- mersemester 1932) zu 16,3% Richter oder Anwälte waren.89 Dieser These folgend ließe sich für die Tes- senowstudentinnen sogar von einer außerordentli- chen Bedeutung des väterlichen Vorbildes sprechen, denn zumindest 40% der Väter waren studierte In- genieure resp. Architekten und/oder als solche tätig.90 Hinsichtlich der Fächerwahl dem väterlichen Vorbild zentrale Bedeutung zuzuerkennen, ist jedoch insofern unpräzise, als dabei unbeachtet bleibt, dass diese Fächerpräferenz der Tochter auch bereits an väterli- cher Skepsis scheitern konnte. Undeutlich bleibt ebenso, wie häufig die Väter potentieller Architektur- studentinnen die Studienentscheidung faktisch tra- fen, zumal keine Architektentochter ohne elterliche Alimentierung studiert. So oft die Fächerwahl von Architekturstudentinnen mit einer familiären Tradition verknüpft scheint, die Existenz eines Architektenvaters gibt über die Präfe- renz der Tochter resp. die elterliche Akzeptanz nur bedingt Aufschluss: Die Rolle der Väter bei der Studi- enfachwahl lässt sich bisher nur bei wenigen Tesse- nowstudentinnen - und nicht immer eindeutig - nach- zeichnen. Die Rolle der meisten Mütter bleibt in Er- mangelung geeigneter Quellen noch undeutlicher. Eine sehr aktive Rolle bei der Studienfachwahl der Tochter übernahm der Hochbaudezernent Wilhelm Freise. Er favorisiert für seine älteste, beruflich noch unentschiedene Tochter ein Architekturstudium, zu- mal die Erfolge einer in Halle tätigen Architektin da- für sprechen, dass die Architektur auch Frauen Be- rufsaussichten bietet. Ein von ihm initiierter Besuch 81 Johanna Tönnesmann soll nach Erinnerung ihrer Schwester die Baustelle des öfteren besucht haben und dabei auch Bartning persönlich begegnet sein. Ich danke Barbara Büttner für diesen Hinweis. 82 FN 32 83 FN 58 - Nach Erinnerung Küsters wurde Gaiser bei der Immatri- kulation 1933 an der TH Charlottenburg als Maschinenbaustu- dentin zurückgewiesen. Die genauen Umstände lassen sich nicht dokumentieren. 84 Zumindest Lieselotte von Bonin, Gertraude Engels, Christa Dir- xen, Klara Brobecker, Johanna Tönnesmann und Hildegard Kor- te fassen dieses Studienfach bereits während der Schulzeit ins Auge. 85 NL Bonin, Zeugnis der Reife des Städtischen Realgymnasiums zu Gelsenkirchen vom 24.3.1924 86 Abiturzeugnis Gertraude Engels vom 4.3.1931 87 Dies trifft zumindest auch auf Klara Brobecker und Maria Gaiser zu und könnte auch bei Ingrid Heidenreich, Leonie Behrmann, Irmgard Fischer, Thea Koch, Friedel Schmidt und Roswita Ros- sius der Fall gewesen sein. Hier konnten zur Studienmotivation resp. Fächerwahl jedoch keinerlei Informationen recherchiert werden. 88 Über die konkreten familiären Bindungen ist in aller Regel aber zu wenig bekannt, um hinsichtlich dieses beliebten Plausibilisie- rungsmusters hier tatsächlich Aussagen treffen zu können. 89 Huerkamp, Claudia: Bildungsbürgerinnen, Frauen im Studium und in akademischen Berufen 1900-1945, Göttingen, 1996, S.39f. 90 Da der Beruf des Vaters bei 10 Studentinnen nicht ermittelt wer- den konnte, stellen die Architektentöchter nach bisherigem Re- cherchestand sogar die absolute Mehrheit. im Seminar Tessenow 121 Stahlskelett der Rundkirche in Essen, Otto Bartning, 1929 Auferstehungskirche, Steubenstraße 50, Essen, Aufnahme 1997 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar bei dieser Architektin, den Ewa Freise in Begleitung ihrer Mutter absolviert, scheint die Tochter nicht zu überzeugen.91 Dennoch setzt der Vater seine Präfe- renz durch. Er trifft auch die Entscheidung, dass sie - wegen des guten Rufs einer fundierten Ausbildung - bei Schmitthenner in Stuttgart die Grundzüge des Faches studieren solle und begleitet sie persönlich bei der Immatrikulation. Wie anhand der direkten Übergänge zwischen Schule und Studium und den zahlreichen Studienortswech- seln sichtbar wird, studierten die meisten Architektur- studentinnen mit Unterstützung ihrer Eltern. So stan- den die Mütter von Ludmilla Herzenstein und Gisela Schneider einem Architekturstudium ihrer Töchter ebenso wenig im Wege wie die Eltern von Bonin, Ei- senberg, Heidenreich, Hohmann, Karselt und Tön- nesmann. Die elterliche Unterstützung war auch bei den Eltern von Klara Brobecker und Hildegard Korte gegeben, obschon beide erinnern, dass der Studien- wunsch vom Architektenvater zunächst skeptisch be- urteilt wurde. Brobecker vereinbart mit ihren Eltern ei- ne Art Probestudienjahr, während Korte den elterli- chen Bedenken nachgibt und zunächst an der Fried- rich-Wilhelm-Universität Romanistik, Kunstgeschichte und Mathematik studiert, bevor sie zum Herbst 1932 zum Architekturstudium an die TH Charlottenburg wechselt. Auch Anni Pfeiffer kommt erst über einen Umweg zur Architektur. Ob die Wahl eines Chemie- studiums in Frankfurt und München auf einen elterli- chen Vorschlag oder den eigenen Wunsch zurück- geht, bleibt unklar. Nach einem Semester wechselt sie die Hochschule, nach zwei Semestern - zum Herbst 1926 - das Fach. Luise Zauleck verbringt den Sommer nach dem Abi- tur 1930 als sog. Haustochter in der Nähe von Lon- don und bewirbt sich, „nach langem Schwanken zwi- schen der Laufbahn als Architektin oder dem Besuch der pädagogischen Hochschule“ für das Pädagogik- studium.92 Erst nach Ablehnung ihrer Bewerbung fällt die Entscheidung zugunsten der Architektur. „Archi- tektur ist eine schöne und wichtige Arbeit“, erinnert die Schwester Luise Zaulecks deren Überzeugung.93 Auch Gisela Schneider präferiert zunächst ein Päda- gogikstudium.94 Auch sie wird abgelehnt und studiert ein Semester an der Württembergischen Staatlichen Kunstgewerbeschule Stuttgart künstlerisches Zeich- nen und Malen, bevor sie zur Architektur wechselt.95 Die Gaststudentin Friedel Hajek kommt während ih- res Studiums an der Kunstgewerbeschule Wien zur Architektur. Bei Inskription am 1.10.1936 trug sie zu- nächst unter „Lebensberuf: Modezeichnerin“ ein. Pfeiffer, Schneider, Korte und Hajek zählen damit zu den wenigen Tessenowstudentinnen, die zunächst kurzzeitig andere Fächer studieren. Wenn Studentinnen ihren Durchsetzungswillen ein- setzen mussten, hatten sie dies manches Mal bereits beim Zugang zu höherer Bildung erprobt.96 Die Stu- dienmotivation von Tessenowstudentinnen lässt sich auch als ‘Horizonterweiterung’ beschreiben, denn das Architekturstudium ist für sie auch hinsichtlich seiner vielfältigen Facetten attraktiv. Vorherrschend ist jedoch die fachliche Motivation, das Interesse am konkreten Beruf. Diese Fächerwahl korrespondiert deutlich mit den bereits während der Schulzeit ver- folgten Interessen für das Zeichnen, noch häufiger mit dem für die Mathematik. Die Geradlinigkeit, mit der TH-Studentinnen ihr Studium i.d. R. direkt nach dem Abitur aufnehmen, und die Intensität, mit der sie das Studium wie die Praktika betreiben, weisen ein- deutig auf berufliche Ambitionen. Diese Architektur- studentinnen wollen vielfältige Kompetenzen erwer- ben und im Entwurfsseminar ihre künstlerischen Ta- lente und Ideen erproben. Sie tun dies im Hinblick auf eine berufliche Perspektive und gedenken, ihre Ideen bei realistischen Planungen umzusetzen. Spä- testens nach dem Erwerb des Vordiploms - und zwi- schenzeitlich volljährig - entscheiden sie sich für das Seminar Tessenow als ebenso anerkannte wie anre- gende ‘Institution’. Zumindest ein Drittel der Studentinnen besucht im Hauptstudium ausschließlich sein Entwurfsseminar, andere wechseln gezielt im Hinblick auf das Diplom zu Tessenow.97 Zweifellos war Tessenow den meisten StudentInnen schon zu Beginn des Studiums ein Be- griff. Seine Präsenz an der Hochschule bietet den Vorteil, sich bereits vor Eintritt ins Seminar ein kon- kretes Bild von seiner Person wie von seiner Lehre machen zu können. Aufgrund eigener Publikationen 91 Telefongespräche mit Ewa Oesterlen am 18. und 24. November 1997. Diese „sehr männliche Frau“, deren Namen Ewa Oester- len nicht mehr erinnert, machte auf sie keinen positiven Ein- druck. - Bei dieser Architektin, deren Bauten in der Lokalpresse ein Echo fanden, könnte es sich um Lore Anders handeln, die ihr Büro 1930 in der Wettiner Str. 2 betrieb. Ich danke Frau Ull- rich vom Stadtarchiv Halle für ihren Hinweis vom 19.11.1997. 92 NL Seitz-Zauleck, Bewerbung für eine Pädagogische Akademie, 1930. Luise Zauleck bewirbt sich in der Gewissheit, „daß meine Veranlagung und Lebensführung mich in einen Beruf wirft, der mich in (..) nahe Beziehung mit jugendlichen Menschen bringt“, und sie führt zur Begründung aus, dass schon der Großvater Kindergottesdienst gehalten habe, ihr Vater Jugendpfarrer gewesen sei. 93 Gertrud Zauleck im Brief vom 3.2.1995 resp. dem beigelegten Fragebogen. 94 In ihrem Abiturzeugnis am Oberlyzeum Remscheid ist ihr Be- rufswunsch mit ‘Volksschullehrerin’ angegeben. NL Ehren, Rei- fezeugnis Gisela Schneider vom 25.2.1931 95 NL Schneider-Ehren, Zeugnis der Kunstgewerbeschule Stuttgart vom 15.7.1931, unterschrieben von [Bernhard] Pankok. 96 So soll Lieselotte von Bonin, deren ältere Schwester keine gym- nasiale Bildung durchlaufen hatte, durchgesetzt haben, dass sie gemeinsam mit einer Freundin das Gymnasium in Gelsenkirchen besuchen durfte. Information von Angelika Mendelssohn-Sie- beck am 30.8.1995. 97 Ausschließlich das Seminar Tessenow besuchten im Hauptstu- dium Beloweschdowa, Bonin, Engels, Eisenberg, Freise, Kaatz, Korte, Paschowa, Pfeiffer, Schaar, Schneider, Zauleck; wenige Semester vor dem Diplom, und damit im Hinblick auf den Ab- schluss wechselten Heidenreich, Rauter und evtl. Hohmann. 98 Vgl. FN 24 122 Architekturstudentinnen Praktikantenzeugnis für Gisela Schneider, 1931 (oben) und Lieselotte von Bonin, 1928 (rechts) wie der Publikation seiner Entwürfe in Fachzeitschrif- ten ist Tessenow in den zwanziger Jahren aber auch einem weitaus größeren Kreis von Studierenden be- kannt.98 So erinnert bspw. Christa Kleffner-Dirxen: „Nach dem Vorexamen kam ich nach Berlin, weil ich unbedingt bei Tessenow arbeiten wollte.“ 99 Thea Koch studiert zunächst an der TH in München Architektur, bevor sie 1926 an die TH Charlottenburg wechselt. Ebenfalls von der TH München nach Berlin wechseln im Herbst 1928 Gisela Eisenberg und Lie- selotte von Bonin, ein Jahr später Anni Pfeiffer. Für alle diese Studentinnen mit Münchner Vordiplom ist der Wechsel zu Tessenow an die TH Charlottenburg definitiv. Mit Vordiplomen der TH Stuttgart wechseln Sigrid Rauter und Ewa Freise 1932 bzw. 1933 nach Berlin resp. zu Tessenow. Auch sie bleiben für den Rest ihres Studiums. Im Unterschied dazu kehrt etwa ein Viertel der Studentinnen nach einem, höchstens zwei Gastsemestern an die zuvor besuchten Fakultä- ten zurück.100 Für die Berliner Architekturstudentinnen, für die ein Studienortswechsel aufgrund familiärer Bindungen oder finanzieller Erwägungen nicht in Betracht kam, stellte sich die Situation als beschränkte Wahlmög- lichkeit - zwischen den an der TH Charlottenburg vorhandenen Entwurfsseminaren - dar.101 Häufig ent- scheiden sie sich dabei zwischen Poelzig und Tesse- now.102 Ewa Oesterlen [geb. Freise] erinnert ihre Ent- scheidung noch gut: „Poelzig war ja so auftrump- fend, Tessenow war menschlicher.“ 103 Auch Klara Brobecker´s Entscheidung für das Seminar Tessenow fällt in Abwägung dieser Alternativen: „Ich habe mich umgeschaut. Taut und Poelzig lagen mir nicht so (..) Tessenow kam den Frauen ja entgegen, weil er nicht so großspurig war.“ 104 Bei rückblickenden Bewertun- gen wird jedoch auch deutlich, dass die Lehrerwahl weniger rational abwägend als beeinflusst durch Stimmungen und Strömungen getroffen wurde.105 Mit Tessenow wählen diese Studentinnen aus dem Spektrum der Entwurfsprofessoren just jenen „Leh- rer, Meister und Mensch[en]“, dessen Entwürfe nicht durch große Gesten einschüchtern und der - in Auf- treten und Habitus - weniger autoritative Züge als vä- terliches Wohlwollen ausstrahlt.106 Und Tessenow war sich seiner Rolle offenbar sehr bewusst, bereits 1919 schreibt er: „Ein Lehrer muß meiner Meinung nach ganz zuerst großherzig, großmütig, voller sozusagen einfacher Liebe sein“.107 „Ängstlich und feierlich zu- gleich“ ist denn auch Hanna Blank und Iwanka Walt- schanowa zu Mute, als sie 1928 „aus lauter Über- mut“ anlässlich des Geburtstages ihres Lehrers mit „52 langstieligen Teerosen vor dem Eingang des Tes- senowschen Hauses“ stehen. „‘Das habt ihr aber hübsch gemacht’, sagte Tessenow gütig lächelnd, fast gerührt.“ 108 Tessenowstudentinnen kommen zu einem Drittel aus kaufmännisch geprägten Milieus, überwiegend je- doch aus Schichten der sogenannten neuen Mittel- standes, der ‘technischen Intelligenz’. Sowohl inner- halb der kaufmännisch wie auch der technisch ge- prägten Milieus ist jedoch eine deutliche Streuung zu finden. So reicht das Spektrum von großbürgerlichen Elternhäusern über mittelständische Familientraditio- nen bis zu fast kleinbürgerlichen Verhältnissen. Auch die Mütter hatten manches Mal bereits studiert, wa- ren i.d.R. aber nicht erwerbstätig. Das Interesse an der Architektur wurde oft durch die Väter geweckt. Der Wunsch dieses Fach zu studieren, entstand zu- meist während der Schulzeit. Häufig wurden hier auch bereits mathematisch-naturwissenschaftliche und künstlerisch-musische Interessen gefördert. Die Möglichkeit einer höheren Schulbildung wie eines akademischen Studiums stand für Tessenowstuden- tinnen nahezu ausnahmslos außer Frage. Bezeich- nend für das bildungsbürgerlich orientierte, großstäd- tische Milieu dieser Herkunftsfamilien ist die Selbst- verständlichkeit, mit der allen Kindern - Söhnen wie Töchtern - die akademische Bildung ermöglicht wird.109 Während bei der Fächerwahl wie bei der Wahl des ersten Studienortes der Einfluss der Eltern resp. der Väter manches Mal vage, häufiger deutlich sicht- bar ist, treffen die Studentinnen nach dem Vordiplom die Studienorts- wie Lehrerwahl i.d.R. selbständig. Tessenows Präsenz in Publikationen begründet sein überregionales Renommee und macht ihn als Lehrer auch für StudienortswechslerInnen zu einem Anzie- hungspunkt. Aber auch jene Berliner Architekturstu- dentinnen, für die aus den unterschiedlichsten Grün- den kein Ortswechsel in Betracht kam, entscheiden sich i.d.R. gezielt für Tessenow, nachdem sie sich hinsichtlich der konkreten Bedingungen vorab ein Bild gemacht haben. Sein Seminar eröffnet ihnen ne- ben dem Kompetenzerwerb auch die Aussicht, zwi- schen mehreren Studentinnen keine allzu exponierte Sonderrolle einzunehmen. Denn eine geschlechter- konforme Passgenauigkeit bei beruflicher Orientie- rung bietet sich ihnen nicht. Hinsichtlich der (Un-)Ver- einbarkeit von Berufs- und Geschlechtsrolle sind die eigenen Väter ebensowenig unvoreingenommene An- sprechpartner wie die Lehrenden. So entscheiden sich diese Studentinnen für eine konfliktminimierende Konstellation, die ihnen Qualifikationen in Aussicht stellt und Anknüpfungspunkte signalisiert. 99 Christa Kleffner-Dirxen im Brief vom 15.1.1998 100 Eindeutig gastweise studierten Grete Berg, Christa Dirxen, Frie- del Hajek, Edeltraut Lätzsch, Lisbeth Reimmann, Ilse Sahlmann, Ingeborg Ullrich und Ruth Weckend. Weshalb keine Studentin nach München, vergleichsweise viele jedoch nach Stuttgart zu- rückkehren, wird nicht unmittelbar deutlich. 101 Wie Maria Gaiser als einziger Tochter einer streng katholischen Familie, Engels, Korte und Brobecker als einzige Kinder ihrer Eltern. Auch Elfriede Schaars eingeschränkte Mobilität scheint weniger auf die Kinderlähmung als auf familiäre Bindungen zurückzuführen sein. 102 Im Seminar Poelzig studierten in den späten zwanziger Jahren bspw. Grete Schroeder-Zimmermann (geb. 1887), Camilla Stark (geb. 1904) und Nina Keßler (geb. 1909). 103 Ewa Oesterlen im Telefonat am 24.11.1997. Ihr Freund wechsel- te nach einem Semester bei Tessenow zu Poelzig. 104 FN 58 105 Dies wird bspw. deutlich, wenn Oesterlen, die im Grundstudium an der TH Stuttgart bei Prof Hugo Keuerleber (1883-1949) stu- diert hatte, anmerkt: „Keuerleber war ein viel besserer Architekt als wir so dachten.“ Ewa Oesterlen im Telefonat am 24.11.1997 106 So unterstreicht Lieselotte Boedeker [geb. von Bonin] ihre Be- reitschaft zu einem Interview mit dem Hinweis: „(weil) ich noch zu den wenigen Menschen gehöre, die das große Glück hatten, Tessenow als Lehrer, Meister und Mensch kennen gelernt zu haben!“ Brief Lieselotte Boedeker, November 1990, S.1. 107 Wangerin, Gerda: Professor an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg in: Wangerin, Gerda / Gerhard Weiss: Heinrich Tessenow - Ein Baumeister, Essen, 1976, S.18 108 HTG, Schülererinnerungen, Hahn-Waltschanowa, Iwanka: Zu Besuch in Neubrandenburg, MS, 4 Bl. 7.4.1978 „Aus lauter Übermut kamen wir, - Hanna Blank und ich, - im April 1928 auf die Idee nach Neu-Brandenburg zu fahren und Tessenow zum Geburtstag zu gratulieren. Und weil Erwin Kretzer seit kurzem ein schönes, rotes Fiat’chen besaß, fragten wir ihn, ob er nicht Lust hätte, als dritter im Bunde mitzufahren. (..) Ängstlich und feierlich zugleich war es uns zu Mute, als wir mit unserem Prä- sent - 52 langstieligen Teerosen, - vor dem Eingang des Tesse- now’schen Hauses standen. Die Hausangestellte, die uns die Türe öffnete, führte uns auf unseren Wunsch hin gleich zu Tes- senow, der sich an diesem schönen Morgen in dem Garten be- fand. (..) Bei unserem Eintreten in den Garten drehte er sich um und schaute uns mit erstaunten Augen an. Hanna Blank und ich eilten mit unseren Sträußen auf ihn zu und drückten sie ihm in die Arme, während Erwin Kretzer sich verbeugte und freundlich lächelnd im Namen des Seminars gratulierte. „Das habt ihr aber hübsch gemacht“, sagte Tessenow gütig lächelnd, fast gerührt. Dann schaute er auf die schönen Rosen ..“ 109 Dass lediglich die Brüder studieren, die Schwestern ohne aka- demische Ausbildung heiraten, ist nur in den Familien Pfeiffer und von Bonin der Fall. im Seminar Tessenow 123 Handwerkerhäuser und Mädchenschulen: Was studierten Tessenowstudentinnen? Mit welchen Aufgabenstellungen setzten sich Studie- rende im Seminar Tessenow auseinander? Welche Orientierungen wurden ihnen hier angeboten? Wel- che Themen bestimmten die Ausbildung? Bei sieben Tessenowstudentinnen sind annähernd alle Aufgabenstellungen während des Seminarbe- suchs bekannt, von 18 Studentinnen ließen sich zu- mindest einzelne Studienthemen recherchieren. Die meisten Informationen zu Studienarbeiten und Ent- wurfsthemen basieren auf Karteikarteneinträgen der von Tessenow geführten StudentInnenkartei, deren Informationsgehalt jedoch sehr stark variiert.110 Von immerhin sechs Studentinnen konnten Studien- bzw. Diplomarbeiten dokumentiert werden. Für Sigrid Rau- ter, Luise Zauleck, Klara Brobecker, Maria Gaiser, El- friede Schaar, Hildegard Korte, Ingrid Heidenreich und anhand des Nachlasses von Gertraude Engels ist der Aufbau der Entwurfsaufgaben nahezu lückenlos darstellbar. Auf 27 Karteikarten von Studentinnen ist zumindest eine Entwurfsaufgabe eingetragen. Ledig- lich bei einem Viertel der Studentinnen lässt sich bis- her das Diplomthema nachweisen.111 So diplomiert Lieselotte von Bonin im Sommerseme- ster 1931 mit einem ‘Hotel’, Anni Pfeiffer im darauffol- genden Winter vermutlich mit einer ‘Jugendherber- ge’.112 Fridel Hohmann entwirft als Diplomarbeit 1934 ein Schwimmbad, Ewa Freise und Gertraude Engels diplomieren im Wintersemester 1935/36 mit einer ‘Montessorischule’ resp. einem ‘Kindererholungs- heim’. Luise Zauleck bearbeitet im folgenden Seme- ster als Diplomentwurf eine ‘Kunsthochschule’.113 Ebenfalls 1936 soll Johanna Tönnesmann - an die TH Stuttgart zurückgekehrt - als Diplomaufgabe bei Bo- natz ein ‘Sportstadion’ entworfen haben. Klara Bro- becker diplomiert im Herbst 1937 bei Tessenow mit einer ‘Gutsanlage’. Und auch bei der zeitgleich von Elfriede Schaar entworfenen ‘Trink- und Wandelhalle’ könnte es sich um eine Diplomarbeit handeln. Im Februar 1938 diplomiert Hildegard Korte mit einer ‘Landwirtschaftlichen Frauenschule’ und im Sommer 1939 Ingrid Heidenreich mit einem ‘Rathaus’. Tessenows Lehre sieht ein gestaffeltes Entwurfspro- gramm vor. Neueintretende Studierende werden im Seminar zunächst mit der Entwurfsaufgabe ‘kleines Wohnhaus’ betraut. Anschließend werden zuneh- mend größere Aufgaben gestellt. Und nach bis zu drei weiteren Entwurfsaufgaben folgt als Diplomauf- gabe i.d.R. ein öffentliches Gebäude. Die Themen- stellungen im Seminar Tessenow variieren über die Jahre. Angaben über die bis 1932 bearbeiteten Auf- gaben finden sich in der Kartei nur fragmentarisch. Kartiert sind für diesen Zeitraum lediglich die Ent- wurfsthemen im Sommersemester 1929. Demnach entwirft Helga Karselt einen Bahnhof, Thea Koch ein Kurhaus und Lieselotte von Bonin ein Rathaus. Han- na Blank und Gisela Eisenberg bearbeiten jeweils eine Volksschule. Besser lässt sich die Bandbreite des Themenspek- trums im Laufe der dreißiger Jahre anhand der auf den Karteikarten vermerkten Aufgabenstellungen re- konstruieren. Demnach entwirft Friedel Schmidt im Wintersemester 1932/33 ein Arzthaus und im Früh- jahr 1933 ein Berghotel.114 Sigrid Rauter bearbeitet bei Eintritt ins Seminar im Herbst 1932 zunächst das ‘kleine Wohnhaus’, anschließend eine ‘Dorfschule’ und - wahrscheinlich im Winter 1933/34 - ein ‘kl. Sa- natorium’. Bei dem auf ihrer Karte vermerkten ‘Ho- tel- und Geschäftshaus’ bleibt spekulativ, ob es sich um den Entwurf handelt, mit dem sie im Juli 1934 bei Tessenow erfolgreich diplomiert. Gertraude Engels erster Entwurf ist im Winter 1933/34 ein ‘kleines Siedlerhaus’. Es folgt 1934 ein ‘Arzthaus’. Spätestens 1935 entwirft sie eine ‘Mädchenschule’ bevor sie im Winter 1935/36 mit einem ‘Kindererholungsheim’ das Studium abschließt. Auch auf der Karteikarte von Luise Zauleck ist als er- ster Entwurf bei Eintritt ins Seminar zum Herbst 1933 124 Architekturstudentinnen Kunsthochschule, Luise Zauleck, Diplomarbeit, 1936, Schnittzeichnung Gipsmodell aus dem NL Gunkel, wahrscheinlich Diplomarbeit Anni Pfeiffers, 1932 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar das ‘kleine Wohnhaus’ vermerkt. Obwohl sie erst En- de 1933 das Vordiplom besteht, scheint sie diese Aufgabe im verbleibenden Wintersemester zu bewäl- tigen, denn für das Sommersemester 1934 ist bereits der Entwurf eines Krankenhauses eingetragen. Im Winter 1934/35 entwirft sie ‘Ladenbauten’ und im Sommersemester 1935 ein ‘Arzthaus’. Für das Win- tersemester 1935/36 ist keine Aufgabe eingetragen. Luise Zauleck dürfte in diesem Zeitraum das Büro- praktikum abgeleistet haben. Mit dem Entwurf einer ‘Kunsthochschule’ diplomiert sie im Juli 1936. Zu die- sem Zeitpunkt entwirft Klara Brobecker, die nach Wechsel von Rüster zu Tessenow im Herbst 1935 ebenfalls ein ‘kleines Wohnhaus’ entworfen hatte, eine ‘Dorfkirche mit Schule’. Schon nach einem wei- teren Entwurf, sie bearbeitet im Winter 1936/37 einen ‘Gasthof’, meldet sie sich zum Diplom und diplomiert im November 1937 mit dem Entwurf einer ‘Gutsanla- ge’ bei Tessenow. Auch Elfriede Schaar, die zum Sommersemester 1936 ins Seminar eintritt und ein ‘Handwerkerhaus’ entwirft, diplomiert dort Ende 1937. Ihre Karteikarte weist die „Dorfkirche m. Schu- le“ für das Wintersemester 1936/37 aus und im fol- genden Frühjahr einen ‘Gasthof’. Für das Zwischen- semester 1937 ist auf ihrer Karteikarte eine ‘Trink- und Wandelhalle’ eingetragen. Seit dem Frühjahr 1935 studieren sowohl Maria Gai- ser als auch Hildegard Korte im Seminar Tessenow. Beide entwerfen zunächst ein ‘kleines Wohnhaus’. Während Korte im folgenden Wintersemester einen ‘Bauernhof’ entwirft, bearbeitet Gaiser ein ‘Konzert- haus’. Im Frühjahr 1936 folgt bei Gaiser eine ‘Dorfkir- che mit Schule’ während Korte ein ‘Postamt’ entwirft. Aber auch Korte bearbeitet - im Winter 1936/37 - die Aufgabe ‘Dorfkirche mit Schule’ und im folgenden Sommersemester einen Gasthof, während Maria Gai- ser im Frühjahr 1937 eine Jugendherberge und an- schließend eine ‘Trink- und Wandelhalle’ entwirft. Hildegard Korte setzt für ein mehrmonatiges Volonta- riat ein Semester aus und diplomiert im Februar 1938 bei Tessenow mit einer Landwirtschaftlichen Frauen- schule. Gaiser unterbricht ihr Studium nach fünf Se- mestern zumindest für zwei, wahrscheinlich sogar für drei Semester.115 Sie bearbeitet ihren Diplomentwurf bei Tessenow erst im Winter 1939/40. Ingrid Heiden- reich entwirft - nach einem ‘Malerhaus’ im Zwischen- semester 1937 - im Winter 1937/38 ein ‘Theater’ und im Sommersemester 1938 ein ‘Gemeinschaftshaus’. Bereits im Sommer des darauffolgenden Jahres ist sie mit einem Rathaus-Entwurf bei Tessenow diplo- miert.116 110 Diese StudentInnenkartei befindet sich im HTA. Die Homogeni- tät der Schrift für die Einträge um 1930 legt nahe, dass diese in- formelle Kartei am Lehrstuhl Anfang der dreißiger Jahre begon- nen wurde, evtl. anlässlich der Ausstellung „Tessenow und seine Schule“. Sie wurde bis in die vierziger Jahre fortgeführt. 111 Die Themen der Diplomarbeiten sind auf den Karteikarten häufig nicht als solche vermerkt. 112 Das Thema der Diplomarbeit Pfeiffers ist nicht nachgewiesen, erhalten sind in ihrem Nachlass jedoch undatierte Modellfo-tos eines zweistöckigen Gebäudes auf einem Bergrücken. 113 1937 diplomiert bspw. auch Josef Ehren bei Tessenow mit einer ‘Kunstfachschule’. HTA, Karteikarte Ehren 114 Obschon die Karteikarte „Schmid, Friedel“ auch den Vermerk „2 Semester in den Vereinigten Staatsschulen“ enthält, dürften diese beiden Entwürfe im Seminar an der TH Charlottenburg entstanden sein. 115 Wahrscheinlich arbeitet sie in diesem Zeitraum in einem Archi- tekturbüro. 116 Was Heidenreich im Wintersemester 1938/39 entwirft, resp. ob sie in diesem Semester überhaupt im Seminar studiert, geht aus ihrer Karteikarte nicht hervor. im Seminar Tessenow 125 Arzthaus, Gertraude Engels, 1934, Ansichten der Gartenseite (oben) und Straßenseite (unten) Ansicht des Giebels zum Hof resp. zur Straßenmündung (unten) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Insbesondere das ‘kleine Wohnhaus’, das im Einzel- fall auch ein Siedler-, Handwerker-, Maler- oder Arzt- haus sein konnte, ist bei Eintritt ins Seminar - auch für Gaststudierende - derart obligatorisch, dass es auch bei denjenigen Studentinnen als erste Entwurfs- aufgabe unterstellt werden kann, bei denen bisher je- der Nachweis fehlt.117 Friedel Schmidt und Ilse Sahl- mann projektieren als erste Entwurfsaufgabe bei Tessenow im Herbst 1932 resp. im Frühjahr 1935 ein ‘Arzthaus’. Im Winter 1933/34 entwirft Gertraude En- gels ein ‘kleines Siedlerhaus’. Diese Aufgabe wird auch den beiden 1937 neu ins Seminar eintretenden Studentinnen Edeltraud Lätzsch und Ruth Weckend als erste gestellt. Galina Taizale entwirft im Herbst 1935 ein ‘Wohnhaus’. Im Sommersemester 1936 be- arbeitet Elfriede Schaar als erste Aufgabe ein ‘Hand- werkerhaus’ und Ingrid Heidenreich projektiert 1937 zunächst ein ‘Malerhaus’. Bereits in einer deutlich fortgeschrittenen Phase ihres Studiums entwirft Fridel Hohmann bei Eintritt ins Seminar - im Frühjahr oder Herbst 1932 - ein ‘Bauernhaus’.118 Bei dem nebenstehend abgebildeten Arzthaus han- delt es sich um einen Entwurf von Gertraude Engels aus dem Jahre 1934. Auf einem großzügig bemesse- nen Grundstück an einer Straßenmündung ist das Programm als vollständig umfriedete Anlage ausge- führt. Die Höhen- und Tiefenstaffelung von Baukör- pern und Umfriedung bildet einen erweiterten Fuß- gängerbereich an der Straßenmündung im Norden. Von hier aus ist die Praxis - als eingeschossige Ver- längerung dem Wohnhaus vorgelagert - über einen gesonderten Zugang erschlossen. Das Wohnhaus selbst steht als zweigeschossiges Siedlerhaus trauf- ständig parallel zur Straße. Südwestlich schließt sich dem Wohnhaus ein durch eine Mauer gefasster Hof an, der von einer Garage mit Schuppen begrenzt wird. Der dem Haus südlich vorgelagerte Garten be- steht überwiegend aus einer großen Rasenfläche mit Obstbäumen, der sich - durch eine Hecke säuberlich getrennt - ein akkurater Gemüsegarten anschließt. Dessen Staketenzaun fasst die parallel verlaufende Straße in ihrem weiteren Verlauf enger. Das Wohnhaus selbst besteht im Erdgeschoss ledig- lich aus Küche, Ess- und Wohnzimmer, wobei sich nur letzteres über die Tiefe des ganzen Hauses er- streckt. Küche und Esszimmer ist gartenseitig eine Terrasse mit Pergola vorgelagert. Im Obergeschoss befinden sich neben Bad und gesondertem WC die zum Garten orientierten Schlafräume für Eltern, Toch- ter, Sohn und - straßenseitig - das Gästezimer. Das gesonderte Ankleidezimmer ist mit dem Zusatz „bzw. Zimmer der Dame” ausgewiesen. Vorrats- und Ab- stellräume sind sowohl auf dem Dachboden wie im Keller vorgesehen. Hier befinden sich auch Wasch- küche und Heizraum, sowie der Lagerraum für Wein. 126 Architekturstudentinnen Arzthaus, Gertraude Engels, 1934, von oben nach unten: Dachstuhl, Grundriß Obergeschoss und Grundriss Erdgeschoss Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Auch als Arzthaus bleibt dieser Entwurf mit Hauswirt- schaftshof, zweitem Kellerzugang ins Freie, dem gro- ßen Dachboden und der kleinen Vortreppe deutlich der Typologie des märkischen Siedlerhauses ver- pflichtet, auch wenn - wie bei den tiefergezogenen Fenstern zum Garten - Anklänge an das Landhaus erkennbar sind. Hier siedelt offenbar eine Familie mit gärtnerischer Selbstversorgung und umfangreicher Hauswirtschaft in ländlicher Umgebung. Die Arztpra- xis im nördlichen Anbau - intern durch einen Durch- gang in der Wohnzimmerwand mit dem Wohnhaus verbunden, - nutzt geschickt die Lage an der Stra- ßenmündung. Engels ordnet ihr Arzthaus dezidiert als ‘normales’ Siedlerhaus in klarer Reihung an. Sie kon- zentriert die medizinische Infrastruktur des Dorfes ge- schickt in so kompakter und unauffälliger Form, dass die Dorfstruktur unangetastet bleibt. Galt das ‘kleine Wohnhaus’ als bewältigt, wurden die weiteren Aufgabenstellungen individuell nach Stu- dienfortschritt festgelegt und in Einzelarbeit entwor- fen.119 Hierdurch ist im Seminar immer ein Spektrum bearbeiteter Themen präsent.120 Anhand der 1935 von Gertraude Engels bei der Diplomanmeldung einge- reichten Studienblätter lässt sich der Studienumfang ermessen: Sie legt insgesamt 36 Blätter mit Zeich- nungen vor und absolviert - neben Vorlesungen, Se- minaren und Entwurfsprojekten - elf mündliche Prü- fungen.121 Im Spektrum aller Aufgabenstellungen springen die eher ungewöhnlichen Themen - wie bspw. die ‘Fried- hofsanlage’, der ‘Gasthof’ oder die ‘Trink- und Wan- delhalle’ ins Auge. Deutliche Schwerpunkte lassen sich jedoch insbesondere im Wohnungs- und Ge- meindebau ausmachen. Vereinzelt tauchen ab Mitte der dreißiger Jahre Karteieinträge auf, die einen di- rekten Bezug zur Expansions- und Aufrüstungspolitik des Dritten Reiches aufweisen. So wird ab 1937 ne- ben dem Thema ‘Dorfkirche mit Schule’ nun auch das ‘Gemeinschaftshaus’ bearbeitet. Dieses Gebäu- deprogramm wurde bereits 1933 von Robert Ley als säkularer Ersatz der dörflichen Mitte gefordert und in den Fachzeitschriften als neue Bauaufgabe eines ‘Kulturhauses’ propagiert. Auch die im Rahmen der ‘Volk-ohne-Raum’-Politik gen Osten introduzierte ‘Bauernstelle’ taucht nun neben den Bauaufgaben ‘Bauernhof’ und ‘Siedlerhaus’ auf. Politisch brisante Themenstellungen - wie das ‘Gemeinschaftshaus’ oder das ‘Krematorium’ - verschwinden jedoch um 1939 ebenso plötzlich wieder aus dem Spektrum der im Seminar bearbeiteten Entwurfsaufgaben wie sie dort aufgetaucht sind.122 Zu den immer wieder gestellten und bearbeiteten Themen gehören insbesondere ‘Schulen’. Im Unter- schied dazu erleben Programme wie bspw. das ‘Ho- tel’ oder das ‘kleine Sanatorium’ ab und an eine Art Renaissance. Wie die ‘Schule’, die als Volks-, ‘Dorf-, Knaben- und Mädchenschulen bearbeitet wird123, zeigt bspw. auch die Entwurfsaufgabe Hotel eine gewisse Variationsbreite: als ‘Berghotel’, ‘kl.[eines] Hotel’, oder ‘Hotel für eine mittlere Stadt’.124 Neben dieser Ausdifferenzierung einzelner Themen fällt auf, dass andererseits ganze Themenbereiche nahezu ganz ausgeklammert bleiben, so bspw. Kindergärten, Appartementhäuser oder Botschaftsgebäude, aber auch Sport- und Verkehrsbauten. ‘Großbauten’ - wie Schwimmbad, Kunsthochschule, Rathaus oder Thea- ter - sind in aller Regel dem Diplomentwurf vorbehal- ten. Während es im Seminar Tessenow nicht möglich ist, die unspektakulären Themen auszulassen, kön- nen SeminaristInnen bei ihm umgekehrt auch aus- schließlich mit unspektakulären Themen diplomieren, wie sich bspw. am Studienverlauf Gertraude Engels belegen lässt. 117 Von Bonin entwarf das ‘kleine Wohnhaus’ im Winter 1928/29, Rauter - und wahrscheinlich Kaatz - im Wintersemester 1932/33 und Dirxen wie auch Zauleck im Winter 1933/34. Im Sommerse- mester 1935 bearbeiteten Schneider und Korte diese Aufgabe und im Winter 1935/36 Brobecker. Als Ausnahmen können Tön- nesmann und Reimmann gelten, die während ihrer Gastseme- ster im Sommer 1933 resp. im Herbst 1935 jeweils ein Schule entwarfen. Tönnesmann hatte bereits vier Jahre studiert. Auch Koch, die zum Herbst 1929 - ihrem letzten Studienjahr - ins Se- minar eintritt, ist im Studium bereits so weit fortgeschritten, dass sie kein Wohn-, sondern ein Kurhaus entwirft. 118 Auch sie hat zu diesem Zeitpunkt bereits mindestens vier Jahre studiert. 119 Nur ausnahmsweise wird im zweiten Semester erneut ein Sied- ler-, Arzt- oder„kl. Bauernhaus” als Aufgabe gestellt, so bspw. bei Engels und Korte. Und vereinzelt wird im späteren Studien- verlauf erneut ein freistehendes Wohnhaus bearbeitet, so bspw. ein „Arzthaus” von Zauleck. 120 Dies konnte eine Schule resp. eine Dorfkirche mit Schule sein (SS29, SS33, 34/35, 35/36, SS37), ein Gasthof (1936 und 37), ein Hotel, ein Sanatorium, ein Krankenhaus, ein Theater (WS 1937/38), eine Trink- und Wandelhalle (1937/38), ein Rathaus, eine Jugendherberge, ein Klubhaus für Segler oder auch ein Konzerthaus sein. 121 NL Herde, Zeugnisse Gertraude Engels. Es handelt sich dabei im Einzelnen um mündliche Prüfungen in Bau- und Kunstge- schichte, Hochbaukunde, Baukonstruktionslehre, Technischer Ausbau, Statik sowie Städtebau- und Siedlungswesen. Bei der Vorprüfung 1933 hatte sie bereits mündliche Prüfungen in Dar- stellender Geometrie, Festigkeitslehre und Grundlagen der Sta- tik, Baukonstruktionslehre I, Baustofflehre und Grundzüge der Formenlehre abgelegt. Die eingereichten Zeichnungen aus Grund- und Hauptstudium umfassen 19 Blätter Übungen in Dar- stellender Geometrie, Abb. von Körpern, (1931/32), 3 Blätter zur Hochbaukonstruktion I 1932, 4 Blätter zur Hochbaukonstruktion II, 2 Blätter zur Baukonstruktion I, 2 Blätter zur Baukonstruktion II, 2 Blätter zur Handwerkskunde, 1933 (alle aus dem Jahre 1933), 2 Blätter Statik der Hochbaukonstruktionen III (1934) und 2 Blätter Aufmaße aus dem Unterricht bei Prof. Andrae, wofür Gertraude Engels im Pergamonmuseum u.a. den Wasserspeier vom Olympiatempel Pergamon zeichnete. 122 Ein „Krematorium” taucht als Entwurfsaufgabe - lt. Karteieinträ- gen - ausschließlich im Sommersemester 1936 auf. HTA, Kartei- karten Bodo Jeske, Arnold Klingmüller, Heinz Kankel und Franz Rosenberg. 123 So entwirft Blank im Sommersemester 1929 eine Volksschule, Tönnesmann 1933 eine Dorfschule, Engels im Winter 1934/35 eine Mädchenschule, Freise im Winter 1936 eine „Montessori- schule”. Brobecker und Gaiser entwerfen im Frühjahr 1936 eine „Dorfschule mit Kirche”. Und von Korte existiert ebenfalls eine Entwurf dieses Themas aus dem Frühjahr 1937, bevor sie mit einer ‘Landwirtschaftlichen Frauenschule’ diplomiert. 124 So wird ein ‘Hotel’ bspw. 1930/31 von Bonin als „Hotel für eine mittlere Stadt“, 1932 von Rauter und 1933 von Schmidt als „Berghotel“ entworfen. im Seminar Tessenow 127 Lageplan des Arzthauses Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Außerhalb dieser auf jeweils ein Semester begrenzten Entwurfsaufgaben stellte Tessenow in unregelmäßi- gen Abständen - und wahrscheinlich ab 1929 - sog. Monatsaufgaben.125 Hier konnten Studentinnen und Studenten unterschiedlicher Semester anhand von Stegreifentwürfen zu einem vorgegebenen Thema in direkte Konkurrenz treten: Die Arbeiten wurden unter einem Motto eingereicht bzw. an die Wand gehängt. Im Rahmen einer gemeinsamen Besprechung wurden die Entwürfe beurteilt und Plätze bzw. Preise verteilt. Thematisch ähneln manche Monatskonkurrenzen Se- mesterprojekten, so bspw. beim ‘Postamt’ oder dem ‘Handwerkerhaus’. Selten ist ein konkreter Ort oder Anlass - wie im Fall der „Gewerbeausstellung ‚Alte Kunst in Bayern’ “ oder beim ‘Havelrestaurant’ - er- kennbar.126 Und nur ausnahmsweise handelt es sich dabei um eine Übung im Freihandzeichnen wie bei der Aufgabe ‘Naturstudie’. In aller Regel ist die Mo- natsaufgabe ein hinsichtlich des Raumprogramms sehr überschaubares Thema ohne konkreten Kontext, wie bspw. ein ‘Musikpavillon’, ein ‘Kriegerdenkmal’, eine ‘Schutzhütte’, oder eine ‘Gartenlaube. Etwa die Hälfte der bisher bekannten Aufgabenstellungen lässt sich datieren. So wurde im Sommersemester 1929 eine ‘Treppe’, um 1932 eine ‘Telephonzelle’ ausge- lobt.127 Im Winter 1932/33 wie im Sommersemester 1935 wurde ein ‘Handwerkerhaus’ als Monatsaufga- be bearbeitet. Im Frühjahr 1933 zählten eine ‘Park- brücke’ und die bereits erwähnte ‘Gewerbeausstel- lung’ zu den Aufgabenstellungen, und im Winter 1935/36 ein ‘Aussichtsturm’ und eine ‘Schutzhütte’. Die Teilnahme an diesen sporadisch gestellten Auf- gaben war freiwillig. Da keine TeilnehmerInnenlisten geführt wurden, sind Angaben über die Häufigkeit der Teilnahme von StudentInnen nicht möglich.128 Wäh- rend Manche dieser offenen Konkurrenz innerhalb des Seminars aus dem Wege gehen, beteiligen sich Andere auch mehrfach an den Monatsaufgaben.129 1929 scheinen zumindest Anni Pfeiffer und Gisela Ei- senberg jeweils einen Entwurf für die ‘Treppe’ einge- reicht zu haben.130 Friedel Schmidt beteiligt sich mit eigenen Entwürfen an den Monatsaufgaben ‘Brücke’ und ‘Handwerkerhaus’. Bei der Themenstellung ‘Gar- tenlaube’ reicht Gertraude Engels um 1935 ihren Ent- wurf unter dem Motto „Rührei” ein.131 Im Februar 1936 gewinnt Gisela Schneider mit ihrem ‘Aussichts- turm’ einen 2. Preis.132 Und wahrscheinlich ebenfalls 1936 beteiligt sich Maria Gaiser mit einem ‘Krieger- denkmal’ an einem solchen Wettbewerb. Bisher lässt sich kein Gewinn einer Monatskonkurrenz bei Tesse- now durch eine Studentin nachweisen. An der TH Stuttgart, wo bei einem der vergleichbaren ‘Ferien- wettbewerbe’ Anfang der dreißiger Jahre ein Park- haus in der Stuttgarter Innenstadt zu entwerfen war, soll Johanna Tönnesmann gewonnen haben.133 Auch wenn sich zu Themen einzelner Monatsaufga- ben - wie bspw. der Treppe - Skizzen in Tessenows Nachlass finden lassen und manche Themenstellun- gen - wie bspw. Jugendherbergen und Rathäuser - mit aktuellen Wettbewerben korrespondieren, so bleibt das Entwerfen im Seminar von realen Bauauf- gaben an konkreten Standorten doch weitgehend entkoppelt.134 Dies spiegelt sich auch in der Darstel- lung wider. Denn so viel Aufmerksamkeit dem ‘Einfü- gen in die Landschaft’ bei Jugendherbergen, Sanato- rien und Siedlungshäusern geschenkt wird, bei städ- tischen Themen sucht mensch vergebens nach ei- nem Kontext. Die urbanen Entwürfe stehen auf den Zeichnungen ‘in the middle of nowhere’. Während Heinrich Tessenow selbst auch Bauaufga- ben in Großstädten übernimmt und sich anlässlich von Wettbewerben auch mit großmaßstäblichen Ent- würfen beschäftigt - so bspw. 1925 beim „Wettbe- werb für das Bürohaus des Dresdner Anzeigers” und 1927 für Schulen in Berlin135 -, so entsteht anhand der Aufgabenstellungen im Seminar der Eindruck, als wolle er die ihm anvertrauten Studentinnen und Stu- denten vor den Bauaufgaben der Großstadt bewah- ren: Es finden sich kaum Aufgabenstellung im Büro-, Sportstätten- oder Verkehrsbau, keine einzige im In- dustriebau. Studentinnen und Studenten bleiben an diesen Themen dennoch interessiert. Insbesondere beim Diplom, wo ihnen die Möglichkeit eines eigenen Themenvorschlags eingeräumt wird, bearbeiten sie Aufgaben wie Theater, Rathaus, Hotel, Schwimmbad und ‘großer Bahnhof’. Aber auch hier bleiben Ge- 125 Die Bearbeitungsdauer dieser internen Wettbewerbe lässt sich nicht näher bestimmen. 126 HTA, Studentenkartei, Marschall, Günther. Hier finden sich u.a. Einträge für das Sommersemester 1935 „Gewerbeausstellung ‚Alte Kunst in Bayern“ 2.Preis und im Wintersemester 1935/36 ein Eintrag 1. Preis „Schutzhütte Elias Holl“. 127 „Telephonzelle” lt. HTA, Karteikarte Donath, Gerhard. Er erhielt bei dieser Monatsaufgabe den 1.Preis (und diplomierte 1933). 128 Auch wenn die Preisvergaben hier relativ häufig vermerkt sind, so sind die Einträge zu Teilnahmen nicht vollständig. 129 Klara Küster erinnert, dass sie nie teilgenommen habe, da sie schon die Vorlage ihres Entwurfsprojektes im Seminar jedes Mal große Überwindung gekostet habe. Telefonat am 9.8.1997 130 HTA, Karteikarten Pfeiffer und Eisenberg (Rückseite der Karte Schröder). 131 Dieser Entwurf befindet sich im NL Herde. 132 Bei dieser Aufgabe erhält ihr späterer Gatte Josef Ehren den 3. Preis. HTA, Karteikarten Schneider und Ehren. 133 FN 77 - Einen Eindruck von diesen Ferienwettbewerben vermit- teln bspw. die 1929 in Wasmuth´s Monatsheften vorgestellten Wettbewerbsarbeiten „Kleines Haus mit Garten“ und „Tennis- klubhaus“. Wasmuth´s Monatshefte, Berlin, 12.Jg., 1928, S.498 ff. 134 Tessenows Zeichnungen für eine geschwungene Treppe (Z 5/41 und Z 2/16) ordnet de Michelis den Entwürfen für die Kirche am Hang in Karlshafen zu. (Vgl. Abb.) De Michelis, 1991, S.303. Ver- merke wie „Bibliothek (=Frankfurter Wettb.)“ finden sich auf Karteikarten nur sehr selten. HTA, Karteikarte Franz Mannstaedt. 135 Komplex dreier Berufsschulen in Berlin-Charlottenburg, „Schule im Afrikanischen Viertel“ in Berlin und „Entwurf für eine Musik- hochschule in Charlottenburg“. 128 Architekturstudentinnen Heinrich Tessenow, Kirche in Karlshafen mit Freitreppe, Vorentwürfe, um 1929 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar bäude für die Massengesellschaft, Bauten für anony- me NutzerInnen und staatliche Repräsentationsbau- ten tabu. Aufgabenstellungen wie ‘Ledigenheim’, ‘Kindergarten’ oder „Haus für die berufstätige Frau” sind schlicht nicht existent.136 Verwaltungsgebäuden wird als „Reichsbanknebenstelle” oder „kl.[eines] Postamt” der großstädtische Maßstab genommen. Und die Grandezza eines „Hotel ‘Vier Jahreszeiten’ “ wird auf ein „Hotel für eine mittlere Stadt” gestutzt.137 Lassen sich die Entwurfsaufgaben im Seminar wäh- rend der zwanziger Jahre als asynchron zur Situati- on der Studierenden wie zum ‘mainstream’ der Archi- tekturausbildung bezeichnen so steigt das Interes- sen an eben diesem Themenkanon gegen Ende der Weimarer Republik. Tessenow scheint zu beobach- ten, nicht aber gänzlich zu begreifen, dass die am ländlichen Raum und an bodenständigen Siedlungs- formen orientierten Entwurfsaufgaben nicht nur will- kommene Anknüpfungspunkte für eine neue, ‘deut- sche’ Bautradition, sondern auch für eine auf ländli- che Räume zielende Expansionspolitik bieten. In sei- ner Skepsis gegenüber allem Großspurigen und Poli- tischen beschäftigt er seine Studierenden weiterhin mit überschaubaren Entwurfsaufgaben. Allerdings nimmt er nun auch manche der neuen Bauaufgaben des ‘neuen’ Deutschen Reiches ins Programm auf. Boten sich den Studierenden im Seminar während der zwanziger Jahre kaum Möglichkeiten, um an den weitreichenden Planungsvisionen des ‘Neuen Bau- ens’ zu partizipieren, so eröffnet sich Studierenden in den dreißiger Jahren hier die Chance, sich mit Ent- wurfsaufgaben zu beschäftigen, die zunehmend mehr Aktualität genießen. Wie aber lernten die Studentin- nen entwerfen und wie sahen ihre Entwürfe aus? Im Entwurfsseminar spricht Tessenow „gemeinhin nicht von den letzten Dingen, sondern von den er- sten. (..) Er spricht auch von den Fragen des Ent- wurfs und der Gestaltung.“ 138 „’Meine Herren, haben Sie Mut zur Einfachheit’, ermahnte er seine Schüler bei den Korrekturen, und diese Worte wurden ein ständiges Zitat für uns.“ Und so strebten seine Stu- dentInnen in ihren Entwürfen nach dem tiefsinnig Einfachen und mieden „die `Architektur´ - jenes Wort, das Tessenow bei der Besprechung der vorgelegten Arbeiten gelegentlich an den Rand unserer Zeichnun- gen schrieb und das wir als ein deutlich negatives Urteil begriffen.“ 139 Tessenow insistiert auf einem Leben in überschauba- rer Gesellschaft, in geordneten familiären Verhältnis- sen und in Nähe zur Natur. Er bleibt dieser Überzeu- gung auch im Laufe der Weimarer Republik treu und vermittelt seine Präferenz für das Leben in land- schaftsnahen Siedlungsformen nicht nur beim freiste- henden Wohnhaus. Jugendherbergen, Erholungshei- me und Frauenlandwirtschaftsschulen liegen fernab in der Natur. Seine SeminaristInnen sollen zu keiner Form der Verstädterung beitragen, sondern - quasi im Einklang mit der Natur - handwerkliche Bautradi- tionen schätzen lernen und behutsam neue Bauten entwickeln. Tessenow, der sich selbst als „unverbes- serlichen Kleinstädter“ bezeichnete, hegt eine Skep- sis vor dem Großstädtischen, Schnellen, Industriel- len.140 Seine Sympathien und Publikationen gelten Gartenstädten, ländlichen Siedlungen und der Klein- stadt. Deshalb lässt er seine Studentinnen und Stu- denten zahllose Gebäude in unterschiedlichen ländli- chen Siedlungen aufmessen. Aufmaße zu erstellen gehörte bereits im Grundstudi- um zur Pflicht. „Es gehörte zum Studienplan ein be- sonders attraktives Bauwerk aufzunehmen. Meine Kommilitonen wählten zum Teil kleine Adelshäuser in Potsdam für diesen Zweck“, erinnert Karola Bloch, die selbst im Frühjahr 1932 eine kleine romanische Kirche am Gardasee aufmisst.141 Der Einfluss Tesse- nows bestand sichtbar darin, die Studierenden über das Pflichtprogramm hinaus zu weiteren Aufmaßen anzuregen und dabei auch an den eher unauffälligen, in handwerklichen Traditionen verfertigten Bauformen 136 Lediglich als Bestandteil bzw. Nebengebäude der ‘Landfrauen- schule’ lässt sich hier die seit den zwanziger Jahren beliebte Entwurfsaufgabe ‘Kindergarten’ nachweisen. Vgl. Kap.6, FN 37. 137 Vgl. Diplomarbeit Lieselotte von Bonins. In wieweit er Diplom- themen explizit ablehnte, bleibt unklar. Da diese Themen jedoch faktisch von ihm gestellt und vom Dekanat genehmigt werden mußten, blieb die Wahl des Entwurfsthemas an Tessenows Akzeptanz gebunden. 138 Posener, 1979, S.366: „Extrem ist (..)Tessenows Sprache. Im all- gemeinen ist sie klar, populär, ein wenig umständlich: eine gesprochene Sprache, die jeder verstehen soll und verstehen kann. Auch spricht er gemeinhin nicht von den letzten Dingen, sondern von den ersten. (..) Er spricht auch von den Fragen des Entwurfs und der Gestaltung.“ 139 HTA, Schülererinnerungen, Boedeker, Lieselotte: Erwin Kretzer zum Gedächtnis, 14.10.1986 140 „Tessenow (..) meinte, der kleinen Stadt gehöre die Zukunft. (..) Man kann sagen, daß die These, welche Schiller vertrat und dann Morris und Tessenow, gegen die Arbeitsteilung gerichtet war, auf jeden Fall gegen die extreme Arbeitsteilung, welche die Industrie fordert.“ (Posener, 1979, S.365) Als „unverbesserlichen Kleinstädter“ bezeichnete sich Tessenow bspw. in einem Le- benslauf, der auszugsweise veröffentlicht ist in: Schuster, 1961, S.9, vgl. FN16. 141 Bloch, Karola: Aus meinem Leben, Pfullingen, 1981, S.72 im Seminar Tessenow 129 Wettbewerbsentwurf für den Neubau des Dresdner Anzeigers, 1925 und für Schulneubauten im Afrikanischen Viertel in Berlin-Wedding (unten) Heinrich Tessenow, 1927, Wettbewerbsentwurf für einen Neubau mit drei Berufsschulen in Berlin-Charlottenburg (oben) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar auf dem Lande das Zusammenspiel von Tektonik, Material und Form studieren zu lassen. Manche taten dies ebenso akribisch wie ausdauernd, wie dies bspw. die Aufmaße von Gertraude Engels und Ale- xander Herde mit ihren liebevoll protokollierten De- tails belegen.142 Tessenow lässt bescheidene Häuschen für private Auftraggeber konzipieren, denn „die Unwohnlichkeit ist der beste Boden für die ‚unbegrenzten Möglich- keiten’, während die Wohnlichkeit in allen Hinsichten und zu allererst auf Begrenzungen beruht.“ 143 „In sei- nem Werk wie in seinem Wesen durchdringen einan- der Handwerk, Kunst und Philosophie. Wer ihn ein- fach nennen wollte, schlicht, anspruchslos, hätte recht, und er hätte unrecht. Seine Einfachheit ist un- tergründig.“ 144 So umschreibt Posener die Komplexi- tät dieser Haltung, die sich nicht sofort erschließt. Denn so konkret Tessenow bei seinen Entwürfen ei- nerseits auf den schlichten Ausdruck, andererseits auf die Bildhaftigkeit setzt, so umfassend ist sein An- spruch, der sich in Sätzen wie dem folgenden andeu- tet. „Dem Künstler ist nichts wichtiger als (..) sozusa- gen das Ei zu zeigen, aus dem die ganze Welt gebo- ren wird.“ 145 Tessenow nutzte die Korrekturen im Seminar zumeist zur exemplarischen Illustration. Dabei nahm er sich - nach Erinnerungen Gertraude Herdes an ihre Zeit im Seminar zwischen 1933 und 1936 - „am Tisch sit- zend, die Studenten drumherum stehend“ einen stu- dentischen Entwurf vor „und hielt anhand eines De- tails (sei es ein Fehler oder lobenswerter Punkt) eine Vorlesung zu diesem speziellen Thema.“ 146 Die Situa- tion in den späten zwanziger Jahren erinnert Iwanka Hahn ähnlich: „Das waren nicht allein ästhetische, das waren philosophische, humane Vorstellungen, die über den Rahmen des einfachen Hausbaus hin- ausgingen. Tessenow sprach von Wahrheit und Sau- berkeit im Bauen, von Echtheit des Materials, von Schönheit im Einfachen, von Gefühl für Proportion. Er sprach ganz unpathetisch, gewöhnlich beim Korrigie- ren, wir standen um ihn versammelt, hörten aufmerk- sam zu und uns war die Kostbarkeit der Stunden bewusst.“ 147 Klara Küster [geb. Brobecker] erinnert, dass Tesse- now mit seiner Kritik an den Entwürfen immer höchst sensibel und rücksichtsvoll vorgegangen sei.148 Im Seminar beschränkte er sich auf eine Beurteilung des Gesamtentwurfes. Dabei lobte er die aus seiner Sicht gelungenen Entwürfe, brachte aber auch seine Miss- billigung durchaus deutlich zum Ausdruck. Bei völli- gem Missfallen strich er bspw. über das Entwurfs- blatt und sagte: „Das ist aber ein schönes Papier; wo haben Sie das gekauft?“ 149 Seine nicht direkt geäu- ßerte, apodiktische Kritik wird von den Studierenden gefürchtet. Posener erinnert: „Tessenow war nicht je- mand, der keinen Widerspruch duldete; es war viel- mehr so, dass man ihm nicht widersprach. Das lag freilich sehr stark an seiner Persönlichkeit.“ 150 Über die Intensität und die Streuung der Betreuung lassen sich keine zuverlässigen Aussagen machen. Die Angaben zur Präsenz Tessenows im Seminar va- riieren.151 Studierende erhielten aber zumindest durch die Assistenten regelmäßig eine persönliche Rück- meldung mit konkreten Verbesserungsvorschlägen. Bei diesen Einzelkorrekturen der Entwürfe konnte die Grenze zwischen Hilfestellung und Einflussnahme je- doch verschwimmen. So erinnert Christa Kleffner- Dirxen, dass kleines Wohnhaus im Wintersemester 1933/34 „eigentlich eher ein Entwurf von Löffler als von mir“ gewesen sei.152 Mit den Studierenden verschiedener Semester und den individuell gestellten Aufgaben ist im Seminar im- mer eine Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Themen präsent. Anhand der gemeinsam durchgeführten Kor- rekturen konnten die SeminaristInnen zu jedem Zeit- punkt den Studienfortschritt der KommilitonInnen verfolgen. Die Möglichkeit des unmittelbaren Ver- gleichs unterschiedlicher Lösungen war gegeben, so- weit Studierende die gleiche Aufgabenstellung bear- beiteten. Zum anderen boten die semesterübergrei- fend gestellten Monatsaufgaben die Möglichkeit sich zu messen. Tessenow favorisiert die Reihung familiären Wohnens und Arbeitens als ebenso ursprüngliche wie ideale Siedlungsform. Das städtebauliche Leitbild ist dem- entsprechend die Kleinstadt. Trotz des großstädti- schen Umfeldes der Hochschule bleibt jegliche verti- kale Addition von Funktionen, Familien oder Lebens- formen ausgeblendet. Diese anachronistische Positi- on besitzt auch - oder gerade - für die ‘Großstadtkin- der’ unter Tessenows StudentInnen eine Faszination, die sicherlich nicht nur der Bewunderung des Mei- sters geschuldet ist. Denn die Anziehungskraft eines ländlichen resp. kleinstädtischen Lebens basiert auch auf der Abwesenheit jener gesellschaftlichen Brüche und Widersprüche, die gerade in der Großstadt sicht- bar werden. „Seine Zeichnungen, die wir in Büchern und Zeitschriften bewunderten, waren Kunstblätter, in 142 Unter diesen zahlreichen - inzwischen im HTA archivierten Auf- maßen - befinden sich u.a. ein Büdnerhaus in Fangschleuse bei Erkner (erbaut 1823), ein Friderizianisches Heimarbeiter-Sied- lungshaus (erbaut 1754) in Gosen, das Haus Kirchgasse 2 in Beeskow, die Dorfschmiede Kuschten, Kreis Meseritz und die Nordseite der Dorfstraße Lauske, Kreis Schwerin a.d. Warthe. HTA, Gertraude Engels, Fach 36, Inv.1989, 47 AOZ 143 Ibid., S.40 144 Posener, 1979, S.366 145 Tessenow, Heinrich: Vom Wohnen, in: Hasche, 1961, S.33 146 Erinnerung Gertraude Herde, zitiert nach dem Brief von Barbara A. Heise vom 4.11.1995 147 FN 32 148 So habe Tessenow bspw. bei der seminaröffentlichen Bewer- tung einer Monatsaufgabe, bei der Maria Gaiser ihren Entwurf eines Kriegerdenkmals mit mehreren Kreuzen gekrönt hatte, die- sen Entwurf nicht kommentiert, ihr gegenüber aber angemerkt, dass er das ‘Mädchen’, welches „offenbar ‚zu fromm aufgezo- gen’ worden sei”, nicht kränken wolle. FN 58 149 FN 146 150 Posener, 1979, S.366 151 Nach Erinnerungen Hanna Blanks bspw. war Tessenow an zwei oder drei Tagen in der Woche im Seminar präsent, während Engstfeld seine Präsenz mit „vier bis sechs Stunden die Woche“ angibt. Engstfeld, 2000, S.232 152 „Ich hab bei ihm natürlich das kleine Wohnhaus entworfen, das heißt, es war eigentlich mehr ein Entwurf von Löffler als von mir.“ Christa Kleffner-Dirxen im Brief vom 15.1.1998 – Walter Löffler war in den späten dreißiger Jahren Assistent bei Tessenow. 153 FN 32 130 Architekturstudentinnen Heinrich Tessenow beim Korrigieren im Seminar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar denen die Häuser von Bäumen und Pflanzen umge- ben die Atmosphäre eines friedlichen, sonnigen Le- bens ausstrahlten“, erinnert Iwanka Hahn.153 Im Unterschied zu seiner ‘umständlichen’ Sprache meidet Tessenow in Darstellung und Entwurf alle Se- rifen. Manche seiner Zeichnungen sind auf Umrisse oder Schattendarstellungen reduziert. Hier findet er im Ausdruck jene geradlinige Einfachheit, die er in manchen seiner Texte so verzweifelt sucht. Typolo- gisch knüpft Tessenow theoretisch wie praktisch an historisch gewachsene Gebäudeformen im ländlichen Raum an. Er versucht diese über Generationen ent- standenen Typologien weiterzuentwickeln und im Ausdruck auf das Wesentliche zu reduzieren. Pose- ner beschreibt dies rückblickend folgendermaßen: „Im Mittelpunkt dieses Werkes steht das Haus und die Schule. (..) Die Grundlage dieser Architektur ist die Einfachheit. Viele seiner Zeitgenossen haben die- se Einfachheit mit Nüchternheit verwechselt. (..) In Tessenows Architektur wird ein Leben der Arbeit und des Genügens in die Sphäre der hohen Kunst erho- ben.“ 154 Bereits 1933 schreibt Gustav Adolf Platz: „Es ist ein Glück, daß ein beträchtlicher Teil des Nach- wuchses heute von Tessenow erzogen wird. (..) Da ist kein Ehrgeiz, mit Reichtum und Talent zu prunken, sondern handwerklich gute Arbeit und Rhythmus der Anordnung. Das Geheimnis der Wirkung ist klare, möglichst kubische Form der Möbel, Ruhe der Zu- sammenstellung, strenge Einhaltung durchlaufender Höhen, zurückhaltende und dennoch heitere Farben- klänge, alles in allem: Auswirkung des Fingerspitzen- gefühls.“ 155 Im Laufe der Jahre lassen sich Verschiebungen inner- halb der Entwurfsthemen erkennen. Den Kern des Studiums bilden Wohnhausentwürfe. Im Laufe des Studiums kommen auch öffentliche Bauten hinzu. Anhand der Karteikarten lassen sich insgesamt mehr als vierzig Entwurfsthemen dokumentieren. Von die- sen werden fast dreißig auch von Studentinnen bear- beitet. Um 1933/34 bildet sich bei der Entwurfsauf- gabe Schule die Tendenz zur Geschlechtertrennung ab: Das bis dato von Studentinnen wie Studenten überwiegend als Volks-, vereinzelt als Stadt- und manchmal als Dorfschulen bearbeitete Thema wird nun als ‘Mädchen-’ resp. ‘Knabenschule’ gestellt.156 Ist mit der leichten Zunahme von Studentinnen im Seminar zunächst eine Diversifizierung der Aufgaben zu beobachten, so korrespondieren diese Themen- profile im Laufe der dreißiger Jahre mit der in der NS- Propaganda zunehmenden Eindeutigkeit von Ge- schlechterrollen. Nun neu hinzukommende Themen - wie bspw. ‘HJ-Heim’ und ‘Fliegerhorst’ resp. ‘Mäd- chenheim’ oder ‘Frauenschule’ - werden immer nach geschlechterkonnotierter Passgenauigkeit vergeben. Sie gehören nicht zum Kanon der obligatorischen Aufgaben und werden bspw. auch nicht als Monats- aufgaben gestellt. Dennoch spiegelt diese Tendenz zur ‘Vergeschlechtlichung von Themenstellungen’ innerhalb des Seminars die Zuweisung geschlechts- spezifischer Zuständigkeiten wider. Denn während Studenten alle Entwurfsaufgaben zugänglich bleiben, werden Studentinnen zunehmend mehr Aufgaben- stellungen entzogen. Große und kleine Bahnhöfe, Ausstellungsgebäude und Stadthallen, aber auch Flieger-, Funker- und Führerschulen werden nun aus- schließlich von Studenten entworfen.157 Hingegen be- arbeiten nicht nur Studentinnen Themen wie ‘Kinder- u. Ferienheim’ oder ‘Landwirtschaftliche Frauenschu- le’.158 Die Aufgabenstellungen selbst werden jedoch nicht als geschlechtsspezifisches Programm formu- liert.159 Als im November 1930 in der TH Charlottenburg eine Ausstellung der Schüler Heinrich Tessenows stattfin- det, erscheint in der Zeitschrift des DWB ein Artikel des Tessenowstudenten Ralf Troje. Unter dem Titel „Arbeiten junger Architekten” stellt er in der ‘Form’ Arbeiten von 13 ehemaligen Studierenden vor.160 Und er reklamiert, dass „im Geiste ihres Lehrers und Mei- sters Heinrich Tessenow (..) das Handwerkliche eine besondere Bedeutung“ gewinne: „Dieser Geist des Handwerklichen, in seiner ganzen Tragweite, ist die Grundlage der Schule Heinrich Tessenow´s. Und wenn dieser am Abend nach der Eröffnung der Aus- stellung vor 185 seiner Schüler, die aus allen deut- schen Gauen zusammengekommen waren, das ‘Hin und Her zwischen Mensch und Natur’, als Ausdruck des erdgebundenen Schaffens, zum Ausgangspunkt seiner Betrachtung über die deutsche Kulturentwick- lung machte, so sprach daraus der gleiche Geist des Handwerklichen, aus dem er seine Schule gestaltet hat. Es ist das Bekenntnis zur Einheit der geistigen Persönlichkeit, eine Ablehnung der wurzellosen Spal- tungsformen des rein Verstandesmäßigen und des dumpf Triebhaften.“ 161 In dieser Darstellung Trojes kommt einmal mehr zum Ausdruck, dass ‘das Handwerkliche’ im Seminar Tes- senow eine zentrale Rolle spielt. Über historisch ge- wachsene und regional verortete Referenzen hinaus weist dieser ‘Geist des Handwerklichen’ - weit über das Entwerfen und Herstellen einzelner Gebäude hin- aus - den Weg in eine nationale, kulturelle Identität, die ebenso um Ganzheitlichkeit wie Authentizität be- müht ist. „So hat er gelehrt: geduldig aber insistent. Er hat seinen Schülern eine sehr gediegene Grundla- ge gegeben. Da er aber von seiner Lehre einer Rück- führung jeder Arbeit auf das Wesentliche so tief durchdrungen war, konnte es nicht ausbleiben, daß er seine Schüler auf diese Lehre festlegte, und zwar bis in die Art der Darstellung hinein. Wenn man Tes- senows Klasse betrat, so sah man an den Wänden 154 Posener, 1979, S.365 (FN 30) 155 Platz, Gustav Adolf: Wohnräume der Gegenwart, Berlin, 1933, S.28. Platz beschreibt hier Tessenows Entwurfshaltung rück- blickend wie folgt: „Der Gefahr der bequemen Biedermeierei war wohl als einziger Heinrich Tessenow entgangen, obwohl die Wurzeln seiner Kraft in eben dieser letzten, noch lebendigen Überlieferung lagen. (..) Aber Tessenow stand vor dem Kriege noch als einzelner abseits, während um ihn herum der Kampf der Geister tobte.“ 156 Dabei lässt sich keine von einem Studenten entworfene Mäd- chenschule und kein Studentinnenentwurf einer Knabenschule finden. 157 So entwirft bspw. Fritz Besecke als Diplomarbeit im Sommerse- mester 1934 eine ‘Fliegerschule’. Vergleichbare Einträge finden sich bspw. auf den Karteikarten von Jeniz Bennert, Fritz Be- secke, Werner Dücker, Johannes Heydrich, Eberhard Kleffner, Herbert Luttiz, Horst Niessen und Alwin Rischer. Eine von Wil- helm von Gumberz-Rhonthal entworfene ‘SA-Fliegerschule in der Mark’ wird 1933 in der ‘Form’ publiziert. Die Form, 9.Jg., 1933, H.11, S.344. 158 So entwirft bspw. Gerhard Heuss 1937 als Diplomaufgabe ein ‘Kinder- u. Ferienheim’, Karl-Heinz Atzpodien eine ‘Landwirt- schaftliche Frauenschule’. HTA; Studentenkartei, Karten Atzpo- dien und Heuss 159 So enthält bspw. die Ausformulierung der Aufgabenstellung „Kinderheim für erholungsbedürftige Schilkinder von 6-14 Jah- ren, Mädchenheim“ für Gertraude Engels auch Hinweise auf Ein- zelaspekte, jedoch keinen - weiteren - Hinweis auf die Nutzerin- nengruppe. Diplomaufgabenstellung vom 1.11.1935, NL Herde. 160 Troje, Ralf: „Arbeiten junger Architekten” in: Die Form, 1930, Heft 11, November 1930, S.339-352. Es bleibt undeutlich, ob es sich bei den hier abgedruckten Arbeiten um alle ausgestellten Projekte handelt. Gezeigt werden Projekte von Walther Schmidt, München, Rolf Göpfert, Freiberg/Sa., Heinz Bahr, Danzig, Leon- hard Schulze, Hindenburg/O.S., sowie der in Berlin ansässigen ArchitektInnen Rudolf Wolters, Josef Umlauf, Albert Speer, Lie- selotte von Bonin, Wilhelm von Gumberz-Rhonthal, Karl Mayr und R. Riedel, Guido Görres und Otto Oskar Graeßner. Troje selbst diplomiert 1931 bei Tessenow. 161 Ibid. Nachwort von Ralf Troje, S.352 im Seminar Tessenow 131 Havelrestaurant, Wilhelm von Gumberz-Rhonthal, um 1929, Perspektive Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar und auf den Zeichentischen lauter kleine Tessenows. Sie waren entworfen, wie der Meister sie entwarf, sie waren gezeichnet ,wie der Meister zu zeichnen pfleg- te. Und er sah jede Abweichung mit Skepsis.“ 162 Posener beschreibt damit treffend die Tendenz zur repressiven Assimilation. Entgegen dem Eindruck, dass aufgrund der gediegenen, handwerklichen Ori- entierung alle Projekte im Seminar bspw.bedächtig steil bedacht worden seien, lassen sich in mehreren studentischen Entwürfen - zumindest Ende der zwan- ziger Jahre - auch flache Dächer finden. So zeigt bspw. der, wahrscheinlich als Monatsaufgabe um 1929 entstandene Entwurf eines ‘Havelrestaurants’ von Wilhelm von Gumberz-Rhonthal für ein hierar- chisch organisiertes Raumprogramm eine spielerisch- moderne Entwurfslösung in Form fünf gegeneinander verschobener, zum Ufer abgestaffelter Kuben. Mitte bis Ende der zwanziger Jahre ist allerdings auch die Zeit, in der Tessenow selbst mehrfach flache Dächer und die kubische Staffelung von Baukörpern einsetzt.163 Realisiert werden von den Entwurf aus dieser Phase jedoch lediglich der Pavillon ‘Oberbayern’ auf der 3. Jahresschau Deutscher Arbeit 1925 und die 1927 entworfene Malwida-von- Meysenbug-Schule, die 1930 in Kassel eingeweiht wird. Auch die Diplomarbeit Lieselotte von Bonins zeigt ei- ne derart kubische Konzeption. Bei diesem Entwurf handelt es sich um die einzige bisher von ihr doku- mentierte Studienarbeit.164 Bei Bonins Hotelentwurf fällt sofort die geradezu archaische Erscheinung des Baukörpers ins Auge. Ebenso kahl wie die Bäume, die den Vorplatz säumen, wirken die strengen Loch- fassaden mit der betonten Traufkante. Sie werden einzig im Erdgeschoss durch die aus den Achsen ge- rückten Zugänge rhythmisiert. Als erstes Haus am Platz verfügt dieses ‘Hotel für eine mittlere Stadt’ über einen gesondert zugänglichen Theatersaal. So- wohl in diesem Entwurf Bonins wie in dem - wahr- scheinlich um 1929 entstandenen und schlicht als ‘Gasthaus’ bezeichneten Entwurf Anni Pfeiffers für ein Hotel am See - finden sich deutliche Parallelen zu 162 Posener, 1979, S.366 163 Vgl. FN 135 - Zu Tessenows Versuchen, insbesondere bei um- fassenderen Raumprogrammen öffentlicher Bauten mit Hilfe ku- bischer Baukörper zu neuen Ausdrucksformen zu gelangen vgl. auch de Michelis, 1991, S.120 ff. 164 Die Diplomarbeit Bonins ist - mit zwei Perspektiven sowie dem Erdgeschossgrundriß - aufgrund ihrer Veröffentlichung 1933 do- kumentiert. Nach Erinnerung ihres Münchner Kommilitonen Cle- mens Weber entwarf sie an der TH München ein ‘Torhaus’. Im Seminar Tessenow bearbeitete sie 1928/29 ein ‘kleines Wohn- haus’, im darauffolgenden Sommersemester ein ‘Rathaus’. 165 Vgl. hierzu de Michelis, 1991, S.292 132 Architekturstudentinnen Hotel Vier Jahreszeiten Lieselotte von Bonin, Diplomarbeit, 1930, Perspektive (links) und Grundriß Erdgeschoß (oben) Parkhotel Ressen, Neubau 1928, Emil Fahrenkamp, Aufnahme von der Straße Malwida-von Meysenbug-Schule, Kassel, Heinrich Tessenow, 1930 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar dem von Tessenow 1927 realisierten Umbau des Schlosshotels Wilhelmshöhe.165 Pfeiffer organisiert ihr Hotel als zweiflügelige Anlage. Sie reiht ebenso wie Tessenow die Salons, Musikzim- mer und Restaurantbereiche nach dem Kabinettprin- zip von Schlossanlagen, ordnet die beim Schlossho- tel alleeseitig vorgelagerte Terrasse zur Seeseite an und stellt das gesamte Gebäude auf einen Sockel. Pfeiffer übernimmt außerdem die Axialität, auch in der Erschließung. Auch Bonin wählt im Grundriss die von Tessenow bevorzugte Symmetrie. Sie durch- bricht in ihrem Entwurf jedoch die axialen Bezüge, in dem sie großzügig bemessenen Aufenthaltsbereiche, darunter einen Innenhof, tangential erschließt. Ihre freiere Grundrissgestaltung orientiert sich damit deut- licher an Emil Fahrenkamps Parkhotel in Bochum.166 In diesen Studienarbeiten bilden sich Parallelen ab. Da beide Studentinnen die Referenzprojekte aus nächster Nähe kannten, können sie als Adaptionen bezeichnet werden. Die ganz überwiegende Mehrheit der studentischen Arbeiten zeigt jedoch jene geneigten Dächer, wie sie das Bild freistehender Siedlungshäuser ebenso ver- traut wie entscheidend prägen. Dabei wird im Semi- nar jedoch ganz überwiegend das extrem steile Dach mit minimierter Traufe gewählt. Hierdurch ist eine weitgehende Nutzung des Dachraumes möglich, die Betonung des - durchaus auch funktionalen - Wetter- schutzes weit auskragender Dachüberstände auf ein Minimum reduziert. Hier zeigt sich, dass der Präfe- renz für geneigte Dächer auch die Frage der Ange- messenheit zugrunde liegt. Denn lediglich dort, wo dem umbauten Dachraum weniger eine klimatische Funktion als die einer faktischen Nutzungsreserve zukommt, kommt das Steildach zum Einsatz. Dementsprechend flach deckt bspw. Gertraude En- gels ihr zweigeschossiges ‘Kindererholungsheim’, mit dem sie im Februar 1936 diplomiert.167 Dem Dach- raum kommt hier lediglich klimatische Funktion zu. Schlaf- und Ruheräume nehmen das gesamte Ober- geschoss ein und sind zwecks Querlüftung zum Teil nur einhüftig erschlossen. Darunter liegen im 166 Fahrenkamp, Emil: Parkhotel Rechen Bochum, Berlin, 1928, Re- print Berlin, 1999 - Ob Lieselotte von Bonin, die ab Herbst 1926 bis Sommer 1928 im Büro Fahrenkamps volontierte, an diesem Projekt mitarbeitete, lässt sich bisher nicht nachweisen. 167 Bei diesem Entwurf handelt es sich um die nächstbekannte Di- plomarbeit, denn von den acht thematisch bekannten Studen- tinnen-Diplomen lassen sich bisher nur von dreien auch Zeich- nungen dokumentieren. Abbildung siehe S. 135. Erdgeschoss- grundriss vgl. S.166. 168 FN 32 im Seminar Tessenow 133 Grundriß einer Studienarbeit im NL Pfeiffer-Gunkel, wahrscheinlich Anni Pfeiffer, vor oder um 1930 Schloßhotel Wilhelmshöhe, Umbau 1928, Heinrich Tessenow, Grundriß und Straßenansicht (oben) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Erdgeschoss alle Aufenthalts- und Versorgungsbe- reiche, die - mittig erschlossen - den Tagesbetrieb des Hauses gewährleisten. Engels konzipiert dieses Heim ebenso übersichtlich wie umsichtig. Sie reiht in lockerer Folge Bereiche unterschiedlicher Nutzung zu einem mehrfach gegliederten Gebäude, das ebenso spielerisch wie großzügig die Gunst der Lage nutzt. Der Entwurf einer ‘Landwirtschaftlichen Frauenschu- le’, mit dem Hildegard Korte ihr Studium bei Tesse- now im Februar 1938 abschließt, ist die letztdatieren- de Diplomarbeit, die hier dokumentiert werden kann. Diese Internatsschule für hauswirtschaftlichen Unter- richt ist als eine Art erweiterte Gutsanlage in Anleh- nung an die Typologie von Landschlössern mit eben- so hierarchischem wie symmetrischem Grundriss aufgebaut. Erschlossen durch einen Wirtschaftshof im Nordosten, der - flankiert von zwei Pförtnerhäus- chen - betreten und begrenzt von Stall, Scheune, Wäscherei und Kindergarten den Blick auf die achsial angeordnete, zweigeschossige Schule richtet. Diese stellt un-weigerlich das Zentrum der Anlage dar. Da- hinter liegt die ‘Festwiese’, die den Blick in die Land- schaft öffnet, seitlich von den dramaturgisch kalku- liert gestaffelten Wohnhäusern der Schülerinnen be- grenzt. So durchlässig versetzt die Gebäude immer wieder den seitlichen Blick in die Landschaft freigeben, der ordnende Gesamtcharakter der Anlage bleibt domi- nant. Der Zwangscharakter dieser Schule mit ihren strikt axialen Gebäudebezügen wird weder durch die weit freier angeordneten, funktional durchdachten Grundrisse noch durch die seitlich versetzten Eingän- ge der Nebengebäude wirklich gebrochen. Vielmehr verstärken die starren Fassadengliederungen und die konsequente Reduktion der Formen und Materialien den statischen Ausdruck einer Schule, deren Pole die große Lehrküche im Norden und der auch als Gym- nastiksaal zu nutzende Festsaal im Süden bilden. Wie stark Aufgabenstellung und Typologie korres- pondieren, zeigt sich bspw. auch an Kortes Entwurf einer ‘Dorfkirche mit Schule’. Diese 1937 entstande- ne, nebenstehend abgebildete Studienarbeit kombi- niert zwei öffentliche Gebäude, in deren Verlängerung das Pfarr- resp. Lehrerhaus angeordnet sind. Als Eckbetonung fungiert das kleine Kirchlein, dessen Erschließung geschickt als Scharnier zwischen den niedrigeren Gebäuden - Schule und Gemeinderäu- men - eingesetzt ist. Auch hier dominiert eine klare geometrische Konzeption. Durch Vor- und Rück- sprünge sowie ein differenziertes Spiel mit den Hö- hen wird die ordnungspolitische Dimension dieses baulichen Ensembles jedoch gemildert, ein mehrfach nutzbarer dorföffentlicher Raum geschaffen. 134 Architekturstudentinnen eigenes haus tessenow 1930 Landwirtschaftliche Frauenschule, Hildegard Korte, Diplomarbeit, 1937, Ansicht des Hauptgebäudes, Lageplan, Grundrisse Nebengebäude Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar im Seminar Tessenow 135 Dorfkirche mit Schule, Hildegard Korte, Studienarbeit, 1937, Grundrisse und Ansicht von Westen Kindererholungsheim, Gertraude Engels, Diplomarbeit, 1936, Ansicht und Grundriß Obergeschoß (vgl. auch S.166) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Zuvor hatte Hildegard Korte - wahrscheinlich im Win- ter 1935/36 - einen Bauernhof entworfen. Bei diesem stirnseitig an einer Dorfstraße projektierten Zweiseit- gehöft sind Wohngebäude, Stallungen und Schuppen in traditioneller Form um einen zentralen Wirtschafts hof gruppiert. Im Osten schließt die Scheune an das Nachbargrundstück an. Im Westen ist der Auslauf für die Schweine und ein Bauerngarten angeordnet, un- tergliedert in Blumen-, Gemüse- und Obstgarten. Der Entwurf orientiert sich an den alltäglichen Abläufen eines landwirtschaftlichen Familienbetriebes. Alle Räume sind minimiert und auf hohe Nutzungsintensi- tät ausgelegt. Neben dem Eingang ist die ‘Gute Stu- be’ vorgesehen. Auch sie ist auffällig klein dimensio- niert. In dem Entwurf ist das einfache bäuerliche Lebens ebenso ablesbar wie in minimiert-optimierter Form nachempfunden: Alle herkömmlichen Funktionen sind bedacht und an ihrem angestammten Ort neu ange- ordnet. Die Reproduktion dieser baulichen Ordnung stellt Raumhierarchien nicht in Frage und lässt kein- erlei Spielraum für Veränderungen. Die Zeichnungen der Studentinnen zeigen immer wie- der Darstellungsformen, wie sie Tessenow selbst über Jahrzehnte hinweg benutzt. Und neben der von Posener beschriebenen ‘handwerklichen Sauberkeit’ tragen sie auch alle Merkmale einer sauberen Hand- werklichkeit: Akkurate Werkzeichnungen werden in Bleistift oder Tusche ausgeführt und von Hand be- schriftet, räumliche Darstellungen, insbesondere die perspektivischen häufig in freier Schraffur angelegt. In diesen Blättern spiegelt sich aber nicht nur eine ‘Darstellungsmanier’ des Meisters, die Einheitlichkeit der Durcharbeitung bildet vielmehr die an einem Pflichtkanon von Typologien und Handwerkerbüchern geschulten und bei zahlreichen Aufmaßen und Detail- darstellungen bestehender Gebäude vertieften Blicke einer ganzen Studierendengeneration ab: Zahlrei-che Zeichnungen belegen, dass das Verfertigen der Ge- bäude planerisch bis ins Detail antecipiert ist. Aber nicht nur in der Darstellung, auch in Duktus und Formfindung lassen die Studentinnenarbeiten große Übereinstimmung mit Arbeiten Tessenows erkennen. Diese Adaption scheint angesichts der gefürchteten Skepsis Tessenows wie der massiven Betreuung durch Assistenten nahezu unausweichlich. Häufig ist die Identifikation mit der meisterlichen Haltung aber auch einer großen Bewunderung geschuldet. Dies wird anhand der geringen Zahl an Seminarwechsle- rinnen und zahlreichen retrospektiven Äußerungen deutlich. So resümiert bspw. Iwanka Hahn 1987: „Heute schaue ich auf die Studienjahre zurück und finde, daß sie eine schöne Zeit waren, die mir sehr viel gegeben haben. Die zwei Jahre im Seminar Tes- senow waren der Höhepunkt. (..) Ich kam mir damals 136 Architekturstudentinnen Bauernhof, Hildegard Korte, Studienarbeit, 1935, Ansicht von Nordosten sowie Grundrisse Dach-, Erd- und Kellergeschoß (unten) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar vor wie eine ’!Schülerin von Athen’, der es vergönnt war, einem berühmten Lehrer aus der Nähe zuzuhö- ren, wenn er seine Ideen und Vorstellungen vom Bau- en darlegte.“ 168 Und Gertraude Herde [geb. Engels] betont: „Ich bin sehr glücklich, Architektin zu sein; ich bin meinen Eltern und vorzüglichen Lehrern sehr dankbar für ihre Mühe um mich!“ 169 TessenowstudentInnen erwarben ihre Kompetenzen aber nicht nur im Seminar und auf Baustellen. Von etwa einem Drittel aller Studentinnen konnten Infor- mationen zum Büropraktikum recherchiert werden, bei mehr als der Hälfte ist zumindest die Dauer be- kannt. Wo volontierten Tessenowstudentinnen? Und anhand welcher Projekte konnten sie ihre Fähigkeiten in der Praxis erproben? Lieselotte von Bonin geht nach dem Vordiplom in München im Sommer 1926 zum Praktikum nach Düs- seldorf, wo sie im Büro von Emil Fahrenkamp andert- halb Jahre mitarbeitet. Im Mai 1927 kommt auch ihre Freundin Gisela Eisenberg nach Düsseldorf, um im Büro von Fritz Becker mindestens zehn Monate lang zu volontieren.170 Helga Karselt arbeitet in Berlin im Sommer 1927 bei Ed.Jobst Siedler, im Sommer des folgenden Jahres bei Arthur Schragenheim. 1927 vo- lontiert Anni Pfeiffer sechs, im Frühjahr 1928 erneut vier Wochen in der Bauabteilung der Lokomotivfabrik Henschel & Sohn in Kassel. Nach ihrem Vordiplom in München arbeitet sie ab November 1929 zehn Mona- te im Büro des Frankfurter Architekten Robert Woll- mann.171 Im Baubüro der Allgemeinen Häuserbau AG (AHAG) in Berlin arbeiten um 1928 Hanna Blank und Iwanka Waltschanowa.172 1929 findet Ludmilla Her- zenstein dort einen Arbeitsplatz. Sie wechselt 1930 in das Büro von Alexander Klein, wo nun auch die zwi- schenzeitlich diplomierte Waltschanowa arbeitet. Fri- del Hohmann volontiert während der Semesterferien 1929 und vom Februar bis Oktober 1931 zehneinhalb Monate im Hochbauamt ihrer Heimatstadt. Im Som- mer 1932 arbeitet sie zweieinhalb Monate in Berlin im Büro von Bruno Ahrends.173 Gisela Schneider wech- selt nach dem Vordiplom zum November 1933 für ein Jahr in das Büro eines freiberuflich tätigen Architek- ten in Stuttgart. Wahrscheinlich hatte sie bereits zu- vor volontiert.174 Im Sommer 1933 arbeitet Hildegard Korte mehrere Wochen, 1934 und 1935 jeweils meh- rere Monate im Baubüro der AHAG. Lisbeth Reim- mann volontiert um 1934 im Zürcher Architekturbüro 169 Gertraude Herde im Brief vom 7.2.1990, S.2 170 Fahrenkamp und Becker kannten sich spätestens seit ihrer Zeit als Kollegen an der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule, wo Fah- renkamp seit 1911, Becker seit 1912 unterrichtete. Vgl. Moeller, 1991, S.162. 171 NL Gunkel, Zeugnis vom 15.9.1929 172 Bereits beim Bau der Villa Sommerfeld 1920 in Zehlendorf wa- ren auch Bauhausstudentinnen beteiligt. Leiter des AHAG-Büros war zwischen 1925 und 1928 Fred Forbat. Sommerfeld soll - lt. Notizen eines Gesprächs, das Helga Schmidt-Thomsen mit Elly Lehning führte - bevorzugt Tessenowschüler eingestellt haben. In der Studentenkartei findet sich lediglich bei Werner Mach- schefer ein derartiger Eintrag. 173 NL Vogel, Bescheinigungen des Hochbauamtes Elbing vom 21.10.1929 und 29.10.1931, sowie Bescheinigung Ahrends vom 16.12.1932. Am 4.2.1934 werden für die Diplom-Vorprüfung in Stuttgart 12 Tage des Praktikums bei Ahrends angerechnet. 174 HTA, StudentInnenkartei, Karte Schneider. Dort findet sich der Eintrag „Bü: 1,5 J.“ im Seminar Tessenow 137 Bauernhaus, Hildegard Korte, perspektivische Ansicht von der Straße Blick in die Straße der Kriegersiedlung Rähnitz, Tessenow, 1919 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Steger. Johanna Tönnesmann soll ab dem Sommer 1934 für ein ganzes Jahr im Büro der Berliner Archi- tekten Mebes und Emmerich mitgearbeitet haben. Während ihres Studiums in Stuttgart wird sie mehr- fach im Büro Bonatz tätig. Bereits bei Eintritt ins Seminar verfügen etliche Stu- dentinnen über Büroerfahrungen. Laut StudentInnen- kartei beträgt die Büropraxis bei Klara Brobecker ei- nen Monat, bei Galina Taizale fünf, und bei Elfriede Schaar acht Monate. Auf Ingeborg Ullrichs Karteikar- te ist vermerkt, dass sie beim Wechsel aus Stuttgart bereits ein ganzes Jahr in Büros gearbeitet hat.175 Bei manchen Studentinnen konnten keinerlei Informatio- nen zur Büropraxis recherchiert werden.176 Zweifels- ohne absolvieren aber auch sie im Laufe des Haupt- studiums zumindest die vorgeschriebenen sechs Mo- nate Praktikumszeit. Und - dies legt die Streuung der Praktika ihrer Kommilitoninnen nahe - auch sie dürf- ten überwiegend in freien und kleinen Büros volon- tiert haben. Damit bleibt festzuhalten, dass die Büro- praktika in der Länge, insbesondere jedoch in der Wahl der Zeitpunkte innerhalb des Studiums deutlich variieren. Während manche nach dem Vordiplom möglichst schnell - und häufig lange - den Praxistest anstreben, volontieren andere erst nach mehreren Jahren im Hauptstudium. Über die konkreten Tätigkeiten während der Praktika lassen sich nur vereinzelt schriftliche Quellen finden. Die vorliegenden Bescheinigungen vermitteln jedoch i.d.R. den Eindruck, dass die Praktikantinnen - in den Büroalltag eingebunden - aus nächster Nähe an der Projektarbeit partizipierten.177 Anni Pfeiffer ist wäh- rend ihres ersten Praktikums 1927 mit der „Ausarbei- tung eines Einfamilienhauses“, im folgenden Frühjahr bereits „mit der Ausarbeitung abgeschlossener indu- strieller Anlagen beschäftigt.“ 178 Als sie nach dem Vordiplom an der TH München im Büro Wollmann in Frankfurt a.M. arbeitet, erstreckt sich ihre zehnmona- tige Tätigkeit „auf das Auftragen von Bauamtsplänen, von Werkzeichnungen und Detailplänen aller Art, auf die Ausarbeitung von Innenarchitektur von Villen und Perspektiven sowie von Skizzen für verschiedene Projekte.“ 179 Helga Karselt wird bei ihrem ersten Büropraktikum 1927 bei E.J. Siedler mit der „Ausarbeitung von Woh- nungsprojekten und bei Bearbeitung von Ausfüh- rungszeichnungen“ betraut.180 Direkt im Anschluss an das Vordiplom arbeitet sie im Sommer 1928 im Büro von Arthur Schragenheim. Dieser bestätigt ihr Zuver- lässigkeit und guten künstlerischen Geschmack bei den ihr übertragenen „Entwürfen für Ladenumbauten, Umbauten in Landhäusern und Entwurfgestaltung kleinerer Bauten nebst Detailzeichnungen, Baurech- nungsprüfungen etc.“.181 An welchen Projekten Liese- lotte von Bonin im Büro Fahrenkamp und Gisela Ei- senberg im Büro Becker beteiligt sind, lässt sich bis- her nur mutmaßen. Emil Fahrenkamp war im entspre- chenden Zeitraum u.a. mit dem ‘Parkhotel Rechen’, Fritz Becker u.a. mit dem ‘Haus B. in Meerbusch’ be- auftragt.182 Fridel Hohmann wird 1929 im Hochbau- amt Elbing als „Hilfe bei der inneren Einrichtung der Jahnschule (22 klassige Volksschule)“ und zwei Jahre später ebendort mit „Entwurfszeichnungen, Detail- zeichnungen, Möbel etc.“ beschäftigt.183 Mehr Kom- petenzen werden ihr 1932 im Büro Ahrends in Berlin zugestanden. Hier bearbeitet sie ‘Vollbauernstellen’ und „Einfamilienhäuser von 5-12.000 Mk.“ 184 Gisela Schneider ist ab Ende 1933 für ein Jahr im Büro des Stuttgarter Architekten Hans Anton Geiger „mit Ausarbeitung von Entwürfen, Massenberechnun- gen und Kostenvoranschlägen, Arbeitszeichnungen und Werkplänen, Vergebung von Bauarbeiten und deren Ausmass (sic) auf den Baustellen, sowie mit Aufstellen von Messurkunden und Abrechnungen für Wohnhäuser“ beschäftigt.185 Hildegard Korte wird im Herbst 1933 bei der AHAG mehrere Wochen in der Bauleitung der Sommerfeld-Siedlung in Klein-Mach- now eingesetzt. Hier besteht ihre Tätigkeit „in der Aufnahme von Aufmassen mit den Subunternehmern, Akkordabrechnungen, statistischen Aufstellungen und kleinen zeichnerischen Arbeiten.“ 186 1934 unter- bricht sie - „auf unsere besondere Bitte hin“ - ihr Stu- dium für ein Semester und ist acht Monate bei der Überwachung bis zur „Übergabe der fertiggestellten Häuser an die Käufer“ eben dieser Siedlung tätig.187 Im Sommer 1935 arbeitet sie nochmals vier Monate lang „für Gesamtbauvorhaben“ der AHAG. Nun wird sie „mit der Aufstellung von Kubus-, Wohnflächen-, Finanzierungs- und Lastenberechnungen sowie Mietsaufstellungen und Zusammenstellung sämtlicher zur Einreichung an Hypothekeninstitute und Reichs- 175 Hier sind Angaben zu Büropraktika nur sporadisch zu finden, insbesondere wenn die Bürotätigkeit vor dem Seminareintritt liegt. Dies zeigt, dass ‘die Praxis’ bei Eintritt ‘abgefragt’ wurde. 176 Keinerlei Angaben zum Büropraktikum sind bekannt bei Belo- weschdowa, Engels, Gaiser, Heidenreich, Kaatz, Frl. Schmidt, Friedel Schmidt, Rossius und Sahlmann. 177 Auch wenn diese Bescheinigungen häufig als „Zeugnis“ be- zeichnet sind, so enthalten sie i.d.R. weder detaillierte Angaben noch konkrete Empfehlungen, die eine weitergehende Verwer- tung - über die Vorlage beim Studien- und Prüfungsamt hinaus - erlauben würden. 178 NL Gunkel, Zeugnis Henschel & Sohn vom 16.10.1927 resp. vom 25.4.1928 „Die Beschäftigung bestand in der Ausarbeitung eines Einfamilienhauses.“ 179 Ibid., Zeugnis Wollmann vom 15.9.1929 180 NL Schuster, Zeugnis vom 1.10.1927 von Ed. Jobst Siedler für die Zeit vom 1.8. bis 1.10.1927 181 NL Schuster, Zeugnis vom 16.10.1928 von Arthur Schragenheim für den Zeitraum 2.9. bis 31.10.1928 - Zur Biografie Schragen- heims vgl. Warhaftig, Myra: Sie legten den Grundstein, Berlin, 1996, S.288f. 182 Vgl. dazu bspw. Schmidt, Friedrich: Wohnungsbau der Nach- kriegszeit, Berlin, 1929, S.45-46. 183 NL Vogel, Bescheinigung vom 21.10.1929 für die Zeit vom 26.8. bis 22.10.1929 resp. vom 29.10.1931 für die Zeit vom 2.2. bis 31.10.1931. 184 Lt. Bescheinigung Ahrends vom 16.12.1932 für die Zeit vom 15.8. bis 31.10.1932. 185 NL Ehren, Zeugnis vom 1.11.1934 von Hans Anton Geiger 186 Zeugnis der AHAG für Hildegard Korte vom 3.11.1933. An der Planung dieser - auch als ‚Sommerfeld-Siedlung’ bezeichneten - Einfamilienhaussiedlung hatte seit dem Frühsommer 1932 die frisch diplomierte Tessenowstudentin Annie Pfeiffer gearbeitet. Vgl. Biografie Pfeiffer 187 Zeugnis der AHAG für Hildegard Korte vom 2.11.1934 138 Architekturstudentinnen Lieselotte von Bonin im Büro Fahrenkamp, 1929 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar bürgschaftsstellen erforderlichen Unterlagen“ be- schäftigt.188 Auch Johanna Tönnesmann könnte ihre Praxiserfahrungen überwiegend im Wohnungsbau gesammelt haben. Sie dürfte während ihres einjäh- rigen Volontariats im Berliner Büro Mebes und Em- merich ab Sommer 1934 an Siedlungsbauten in Pots- dam und Hohenschönhausen mitgewirkt haben.189 Die meisten der Tessenowstudentinnen volontierten in privaten Architekturbüros. Zu den bevorzugten Praktikumsplätzen gehörten die Büros von Professo- ren und Dozenten.190 Demgegenüber scheint die öf- fentliche Bauverwaltung kein gefragter Ort für das Praktikum gewesen zu sein.191 Und Planungsabteilun- gen privater oder gemeinnütziger Wohnungsbauge- sellschaften wurden häufig aufgrund der Vergütung gewählt.192 Im Regelfall volontierten Tessenowstudentinnen ohne Vergütung, was ihre Akzeptanz bei den Büroinhabern erheblich gefördert haben dürfte. Als Volontärinnen wurden sie im Büroumfeld offenbar akzeptiert, sie scheinen dabei die jeweils einzige Architektin gewe- sen zu sein. In den Zeugnissen wird des öfteren ihr Fleiß wie ihre Zuverlässigkeit gelobt. Stimmen die dort gemachten Angaben, so wurden die Studentin- nen im Praktikum zumeist mit Ausführungs- und De- tail-, seltener mit Entwurfsplanungen beschäftigt. Vereinzelt wurden ihnen Bauleitungsaufgaben und fast immer die Abrechnung übertragen. Da nachweis- lich mehr als die Hälfte der Studentinnen deutlich länger als die vorgeschriebenen sechs Monate volon- tierte, zeigt sich hier deutlich, dass die Meisten das Büropraktikum keinesfalls nur als Pflichtübung absol- vierten, zumal nur wenige auf den Gelderwerb wäh- rend des Studiums wirklich angewiesen waren. Über die Gründe lässt sich bisher jedoch nur spekulieren. Denn offen bleibt, ob sie an der konkreten Mitarbeit besonderen Gefallen fanden oder den Praktika im Hinblick auf den späteren Berufseinstieg entschei- denden Stellenwert zumaßen.193 Bei manchen Praktikumsstellen sind Bezüge zum Heimatort erkennbar.194 Bei anderen bietet sich im Umfeld des Studiums die Möglichkeit eines Volontari- ats.195 Aus den bisher vorliegenden Unterlagen lässt sich nicht ersehen, auf welchen Wegen sich Studen- tinnen um Büropraktika bewarben, wie viele Anfragen bis zu einer Zusage ggf. notwendig waren. Manche Büronamen deuten jedoch darauf hin, dass sich etli- che gezielt an etablierte Büros wandten, die aufgrund der Publikation ihrer Bauten auch überregionales Re- nomee besaßen. Studiendauer, Studienerfolge In der Regel suchten sich StudentInnen nach dem Vordiplom ein sog. Entwurfsseminar, das unter der Leitung eines Professors stand. Hier arbeiteten Stu- dierende verschiedener Jahrgänge an Entwurfsauf- gaben, die im Hinblick auf ihren Studienfortschritt vom jeweiligen Professor formuliert wurden. Die Wahl des Seminars wurde i.d.R. zunächst von den Studie- renden getroffen. Über den ‘Eintritt’ entschied jedoch der jeweilige Professor.196 Bisher liegen zu dieser Se- lektion an der TH Charlottenburg - im Unterschied zu den Sitzungsprotokollen und Prüfungslisten am Bau- haus - keinerlei schriftliche Quellen vor, die eine Ein- schätzung möglicher Hürden bei der Aufnahme in ein bestimmtes Seminar erlauben würden. Dennoch ver- fügten die Professoren bei Zulassung und Ablehnung zweifelsohne auch hier über erhebliche Spielräume. Tessenowstudentinnen studieren unterschiedlich lan- ge, insgesamt jedoch vergleichsweise kurz. Von 30 der im Seminar Tessenow nachweisbaren Studentin- nen lässt sich der Studienverlauf, von 25 - und damit immerhin zwei Dritteln - die Länge des erfolgreich ab- solvierten Architekturstudiums mit Hilfe des Diplom- zeitpunkts rekonstruieren. Alle 24 Studentinnen, die drei oder mehr Semester im Seminar studieren, ab- solvieren bei Tessenow auch ihr Diplom. Von den ins- gesamt 34 Tessenowstudentinnen (inklusive Gaststu- dentinnen) bestehen zumindest 27 die Diplom-Haupt- prüfung. Angesichts einer gesicherten Diplomquote von über 70% aller jemals das Seminar besuchenden Studentinnen lässt sich von einer - im Vergleich aller Seminaristen wie an der Fakultät insgesamt - weit überdurchschnittlichen Erfolgsquote dieser Studen- tinnen sprechen.197 Von den bei Tessenow im Ver- gleichszeitraum bestandenen Diplomen entfällt damit etwa jedes sechste an eine Studentin. Dabei schließt die Mehrheit der Studentinnen das Studium innerhalb von 12 Semestern erfolgreich ab, ein Drittel benötigt bis zum Diplom lediglich die Mindeststudienzeit von neun Semestern.198 Obschon die Studiengeschwin- digkeit bei manchen - insbesondere bei den Gaststu- dentinnen - nicht ermittelt werden konnte, und auch nicht immer ein bestandenes Diplom nachgewiesen werden kann199, spricht die ermittelte Studiendauer für sich: Zumindest zwei Drittel aller das Seminar be- suchenden Studentinnen beendet das Architektur- studium nachweislich innerhalb von nicht mehr als zwölf Semestern. Tessenowstudentinnen sind spätestens im Alter von 27 Jahren diplomiert.200 Zu den älteren Diplomandin- nen zählen insbesondere die Werkstudentinnen, die das Studium häufig mehrfach unterbrechen.201 Bereits im Alter von 22 Jahren diplomiert Gertraude Engels, mit 23 Jahren bestehen Klara Brobecker und Ingrid Heidenreich das Diplom. Immerhin 27 Jahre alt sind 188 Zeugnis AHAG vom 31.10.1935. Zeugnisse Privatbesitz Oswald. 189 Belegt ist ihre Mitarbeit bisher nicht. Mebes und Emmerich wa- ren zu dieser Zeit u.a. mit der Kriegsbeschädigtensiedlung an der Drewitzer Straße in Potsdam und der Planung umfangrei- cher Siedlungen in Hohenschönhausen und Tempelhof beschäf- tigt. Vgl. Meyer, Edina: Paul Mebes - Mietshausbau in Berlin, Berlin, 1972, S. 216 und S. 223 190 Neben Bonin und Eisenberg arbeitet bspw. Herzenstein bei Ale- xander Klein, Tönnesmann bei Paul Bonatz. Karselt soll im Büro Tessenow mitgearbeitet haben, ob diese Mitarbeit in die Studi- enzeit fiel, bleibt zweifelhaft. Brief Dorette Martin vom 25.6.1998 191 Es lässt sich aufgrund der vorliegenden Quellen nicht beantwor- ten, ob Studentinnen hier kaum zum Zuge kamen oder öffent- liche Bauverwaltungen keine attraktive Praxis boten. 192 Dies lässt sich u.a. anhand der Praktika bei der AHAG belegen. 193 Auch wenn bisher keine entsprechenden Praktikumsberichte o.ä. Quellen ausgewertet werden konnten, so kann schon auf- grund der langen Dauer vermutet werden, dass die meisten Ar- chitekturstudentinnen die Praxiserfahrung im Büro positiv erleb- ten und werteten. 194 So bspw. bei Karselt, Korte und Hohmann. Die Architekten Ste- ger & Egender hatten in Küsnacht, dem Wohnort von Lisbeth Reimmann ein Freibad realisiert. Fahrenkamp baute in Mülheim, dem Geburtsort von Bonins, das Theater der Stadthalle. 195 Dies legt die Vielzahl der Volontariate bei Professoren nahe. Eine Verbindung mit privaten Kontakten liegt bspw. bei Tönnesmann und Schneider nahe. Tönnesmann soll mit Susa(nne) Bonatz, Schneider mit Jürgen Emmerich befreundet gewesen sein. 196 Nur Gaiser, die offenbar bereits ab ihrem zweiten Studienseme- ster bei Tessenow studierte und Hohmann, die - angesichts häufiger Studienortswechsel - ihr Vordiplom erst unmittelbar vor dem Diplom absolvierte, werden hier ohne Vordiplom aufge- nommen. 197 Die Diplomquoten an der Architekturfakultät der TH Berlin lagen in den zwanziger Jahren zwischen 14 und 25%, konnten jedoch nicht für alle Jahre ermittelt werden. (Vgl. FN 9) Auch für die Studierenden bei Tessenow kann diese Quote bisher nicht ein- deutig rekonstruiert werden: Von den bisher insgesamt 614 er- mittelten Studierenden scheinen zwischen 1926 und 1938 ca. 410 ein Diplom bei ihm erworben zu haben. 198 Besonders schnell - lediglich neun Semester - studieren Belo- weschdowa, Brobecker, Engels, Heidenreich, Korte, Rossius, Waltschanowa und Weckend. Innerhalb von zehn Semestern di- plomieren Blank, Bonin, Eisenberg, Karselt, Rauter, Schaar. Elf Semester (inkl. Diplom) benötigen Dirxen, Freise und Kaatz. 199 Bei Berg, Fischer, Reimmann, Schmidt und Taizale wurden zu Studienbeginn und Diplom keine genauen Daten ermittelt. 200 24 Jahre sind zum Zeitpunkt des Diploms Beloweschdowa, Blank, Hajek, Kaatz, Karselt, Korte, Rossius, Tönnesmann und Waltschanowa, 25 Jahre alt sind Hohmann und Paschowa. 26- jährig diplomieren Dirxen, Freise, Herzenstein, Pfeiffer, Schaar, Schneider und Zauleck. 201 Herzenstein ist beim Diplom 26 Jahre alt, Harte diplomiert mit 27 Jahren. Auch Gaiser ist zum Zeitpunkt des Diploms 27 Jahre alt, könnte demnach ebenfalls ‘Werkstudentin’ gewesen sein. im Seminar Tessenow 139 zum Zeitpunkt des Studienabschlusses von Bonin, Eisenberg, Gaiser, Koch und Ulrich. Angesichts der nahezu reibungslosen - resp. ohne Auswirkung auf die Studiendauer verlaufenden - Studienortswechsel wird sichtbar, dass Tessenowstudentinnen ihr Studi- um ebenso planvoll wie zielstrebig durchführen. Auf- fällig häufig sind es die Töchter von Ingenieuren und Architekten, die - soweit sie diesen Studienwunsch direkt im Anschluss an das Abitur umsetzen können - mit 23 oder 24 Jahren das Diplom bereits erfolgreich absolviert haben. Dies bestätigt die Hypothese, dass eine familiäre Berufstradition in der Architektur auch bei Töchtern den Qualifikationserwerb positiv unter- stützt. Und nicht nur anhand der Diplomarbeiten von Stu- dentinnen zeichnet sich hinsichtlich der Studienerfol- ge eine zumindest durchschnittliche Bilanz ab. Ob- schon auch hier keine Vollständigkeit der Daten vor- liegt, sind hier zumindest die nachweislich mit ‘sehr gut’ bewerteten Diplome von Klara Brobecker, Ingrid Heidenreich und Gertraude Engels zu nennen. Die Di- plomarbeit Brobeckers wird sogar als bestes Diplom des Jahrgangs 1937 ausgezeichnet.202 Die Mehrzahl der Tessenowstudentinnen diplomiert mit ‘gut’. Le- diglich mit ‘3’ bewertet werden die Diplomarbeiten von Sigrid Rauter und Fridel Hohmann. Angesichts der hohen Studienmotivation Hohmanns und des Entwurfspensums Rauters verwundert die vergleichsweise schlechte Benotung. Rauter - die zum Wintersemester 1932/33 in das Seminar einge- treten war, reicht im Juli 1934 als Diplomentwurf wahrscheinlich ein ‘Hotel und Geschäftshaus’ ein.203 Ebenfalls im Sommer 1934 diplomiert Fridel Hoh- mann mit dem Entwurf eines Schwimmbades.204 Bei- de Arbeiten sind nicht dokumentiert. Hier könnte sich - wenn auch erst in Kenntnis der Arbeiten - bestäti- gen, was Posener als Tessenows Skepsis gegenüber jeder Abweichung beschrieben hat. Denn Hohmann wie Rauter könnten durchaus eigenwillige architekto- nische Vorstellungen verfolgt haben. Bereits die Stu- dienverläufe deuten auf eigenwillige Interessen und lassen eine selbstbewusste Studiengestaltung erken- nen. Studienabbrecherinnen lassen sich unter den Tesse- nowstudentinnen bisher nicht nachweisen. Zwangs- weise wird das Studium Leonie Behrmanns an den Vereinigten Staatsschulen beendet, als sie im Som- mer 1933 aufgrund ihres politischen Engagements nach sechs Semestern vom Unterricht ausgeschlos- sen wird.205 Nicht auszuschließen ist ein Studienab- bruch lediglich bei Ilse Sahlmann, Lisbeth Reimmann, Galina Taizale, Edeltraud Lätzsch und Irmgard Fi- scher. Sahlmann könnte nach ihrem Gastsemester 1935 jedoch ebenso an die TH Stuttgart zurückge- kehrt sein wie dies Ingeborg Ullrich 1937 getan ha- ben soll.206 Auch Reimmann dürfte, nachdem sie am 22.2.1936 exmatrikuliert wird, ihr Studium andernorts 202 Auch die Diplomarbeit von Johanna Tönnesmann, die 1932 an der TH Stuttgart ihr Vordiplom mit ‘gut’ abgelegt hatte, wird 1936 mit ‘sehr gut’ bewertet. NL Minsos, Diplomurkunde Tön- nesmann vom 10.7.1936 - mit Dank an Ove Minsos. 203 Die Arbeit ist nicht dokumentiert. Lt. Karteieintrag wird sie mit „3“ bewertet. HTA, Karteikarte Rauter 204 HTA, Karteikarte Hohmann 205 Es ist jedoch nicht völlig auszuschließen, dass Behrmann ihr Studium anschließend an einer anderen Schule - bspw. der Schule ‘Kunst und Werk’ oder der ‘Ittenschule’ - weiterführen resp. abschließen kann. Vgl. Biografie Behrmann. 206 Sie soll dort noch deutlich vor Kriegsbeginn diplomiert haben. (Angabe Christa Kleffner-Dirxens im Telefonat am 19.1.1998.) Da die Unterlagen im Archiv der TH Stuttgart aus diesem Zeit- raum unvollständig sind, lässt sich dies bisher ebenso wenig dokumentieren wie ihr Studium in Stuttgart vor dem Wechsel nach Berlin. 140 Architekturstudentinnen Diplomurkunden von Helga Karselt (1930), Lieselotte von Bonin und Anni Pfeiffer (1931) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar fortgesetzt haben. Bei ihr - wie auch bei Lätzsch, die nach dem Sommersemester 1937 austritt - weist der Verbleib von nur einem Semester auf ein planmäßig durchgeführtes Gaststudium. Undeutlich ist dies hin- gegen bei Taizale, die das Vordiplom an der TH Charlottenburg abgelegt hatte und das Seminar im Sommer 1936 nach einem Jahr verlässt. Da sie auch in späteren Jahren nicht zurückkehrt, weist ihre Ex- matrikulation - wie das auf ihrer Karteikarte vermerkte Fehlen im Seminar - auf eine Neuorientierung, zumin- dest auf einen definitiven Hochschulwechsel. Die ein- zige Studentin im Seminar, die das Architekturstudi- um nach zwei Semestern im Seminar abgebrochen haben dürfte, ist Irmgard Fischer. Sie hatte das Stu- dium wahrscheinlich 1932 an der TH Charlottenburg aufgenommen und exmatrikuliert sich hier am 29.2. 1936. Unbekannt ist, ob sie es an einer anderen Hochschule fortführt. Abzuschließen scheint sie das Architekturstudium jedoch nicht: Auch Anfang der vierziger Jahre ist sie nicht diplomiert. Die meisten Studentinnen im Seminar Tessenow stu- dieren ebenso kurz wie erfolgreich. Auch wenn die Studienzeiten und -erfolge der Kommilitonen nur als Stichprobe herangezogen wurden, so kann ange- sichts der Diplomquote wie hinsichtlich der -bewer- tungen - von überdurchschnittlichen Studienerfolgen dieser Studentinnen gesprochen werden. Tessenow- studentinnen brachten ganz offensichtlich die für das Studienfach notwendigen Voraussetzungen mit und widmeten dem Studium hinlängliche Aufmerksamkeit. Studiendauer wie Studienerfolge weisen darauf hin, dass die Eltern ihre Töchter nicht nur finanziell, son- dern - spätestens nach der Überwindung anfängli- cher Skepsis - ggf. auch bei Störungen oder Schwie- rigkeiten unterstützten. Und offenbar wollten die mei- sten Architekturstudentinnen ihrerseits - auch dies belegt ihre Zielstrebigkeit - die Erwartungen ihrer El- tern nicht enttäuschen. Das vergleichsweise niedrige Alter beim Diplomerwerb resp. die hohen Studienge- schwindigkeiten deuten darüber hinaus auf eine be- rufsgerichtete Motivation: Diese potentiellen Architek- tinnen streben ins Berufsfeld und absolvieren den akademischen Teil der Professionalisierung ebenso schnell wie pragmatisch. Und angesichts der Ortswechslerinnen bleibt festzu- halten, dass das Seminar Tessenow zumindest für manche Studentinnen auch eine Hinwendung zu ei- ner weniger traditionellen, offeneren Architekturaus- bildung bedeutete. Denn aus München oder Stuttgart kommend - wie Bonin, Eisenberg, Koch und Pfeiffer resp. Freise, Rauter, Dirxen und Ulrich - hatten sie an nicht minder traditionsorientierten Hochschulen bei zumindest ebenso altbewährten Lehrern studiert. ‘Straßige Straßen’ und ‘weibliche Plätze’: Studiensituation - Studienklima Während es unter Tessenowstudentinnen - auch im Hauptstudium - unüblich bleibt, mit einem Freund oder einer Freundin zusammen zu wohnen, bleiben etliche Studentinnen während der Dauer des gesam- ten Studiums weiterhin bei den Eltern gemeldet. Lieselotte von Bonin teilt sich um 1930 mit ihrem Freund und späteren Mann Wilhelm von Gumberz eine Wohnung im Westend, während Gisela Eisen- berg ein Zimmer zur Untermiete in dem zu Friedenau zählenden Abschnitt der Kaiserallee bezieht. Ludmilla Herzenstein bleibt während ihres Studiums auf der Adresse ihrer Mutter am Viktoria-Luise-Platz gemel- det. Helga Karselt wohnt spätestens gegen Ende ihres Studiums in der Meinekestraße und Anni Pfeif- fer ab dem Wintersemester 1929/30 in der Matthäi- kirchstraße in Berlin-Tiergarten.207 Während etliche Studentinnen, darunter Ludmila Herzenstein, Gertraude Engels, Klara Brobecker, Hildegard Korte, Maria Gaiser, Roswita Rossius und Elfriede Schaar weiterhin bei den Eltern wohnen, be- zieht Fridel Hohmann um 1931 mit ihrem Studien- freund Karl Buttmann eine Wohnung in der Charlot- tenburger Gustorffstraße. Zweta Beloweschdowa be- wohnt während ihres Studiums, zumindest zwischen 1933 und 1935, nicht weit von der TH entfernt am Kaiserdamm ein Zimmer zur Untermiete. Irina Kaatz wohnt bei Eintritt ins Seminar 1932 in Tempelhof, zieht kurze Zeit später jedoch ebenfalls nach Charlot- tenburg, in die Schlüterstraße. Johanna Tönnesmann wohnt ab Frühjahr 1933 in der Sophienstraße in un- mittelbarer Nähe zur Hochschule.208 Luise Zauleck bezieht 1933 in der Kantstraße 144 ein Zimmer zur Untermiete. Gisela Schneider findet unweit davon, in der Nr.141, im Herbst 1934 ebenfalls ein Zimmer. Ewa Freise bewohnt seit dem Wechsel nach Berlin 1934 in der Akazienallee im Westend gemeinsam mit ihrem Freund eine Wohnung.209 Mitte der dreißiger Jahre bezieht Galina Taizale in der Albestraße in Friedenau ein Zimmer. Grete Berg wohnt während ihres Gastsemesters 1935 in der Herthastraße im Grunewald.210 Und Edeltraud Lätzsch mietet sich 1937 in der Englischen Straße ein. Anhand der Wohnsituation wird besonders deutlich, dass Tessenowstudentinnen von ihren Eltern sehr un- terschiedliche Handlungsspielräume zugestanden wurden. Relativ häufig bleibt das alimentierte Studi- um - als verlängerte Adoleszenz - sichtbar den elterli- chen Erwartungen und damit i.d.R. den Normen bür- gerlicher Verhaltens- und Umgangsformen unterwor- fen. Dies betrifft insbesondere die Einzelkinder En- gels, Brobecker und Korte, sowie Behrmann, Fischer, Gaiser, Herzenstein, Rossius und Schaar, sowie evtl. Blank.211 Dies bedeutet für manche - wie die in 207 Adresse laut Belegbuch, NL Gunkel. Im Haus Nr.27 hat auch der Verlag Ernst Pollak seinen Sitz, der - auf Architektur spezi- alisiert und der neuen Sachlichkeit verpflichtet - um 1929 den erfolgreichen Bildband „Moderne Ladenbauten“ herausbringt. 208 Die Straße verlief auf dem heutigen Nordgelände der TU Berlin. 209 Im Haus Akazienallee 4 wohnte die Familie des Theaterkritikers Julius Bab. Zu Beginn ihres Studiums im Herbst 1930 hatte der Vater sie für die erste Semesterwoche nach Stuttgart begleitet und der Obhut eines dort ansässigen, befreundeten Baurats un- terstellt. Gemeinsam mit acht Mädchen aus verschiedenen Län- dern wohnte sie zunächst in einer Pension in der Alexanderstra- ße, bevor sie sich nach einem halben Jahr soweit in der Stadt orientiert hatte, dass sie sich ein günstigeres Zimmer suchte. Telefonate mit Ewa Oesterlen am 18. und 24.11.1997 210 Lt. Adressverzeichnis der Stadt Berlin gehört dieses Haus einem Fabrikdirektor, weshalb es sich hier auch um eine über familiäre Kontakte vermittelte Wohnmöglichkeit handeln könnte. 211 Behrmann bleibt während ihres Studiums an den VS (1930 - 1933) in der Akazienstraße in Schöneberg gemeldet, Gaiser in der Moabiter Stromstraße, Schaar in der Lorenzstraße in Lich- terfelde-Ost, Brobecker in der Lothar-Blücher-Straße in Steglitz, Korte in der Trautenaustraße in Wilmersdorf und Rossius in der Ringstraße in Zehlendorf. im Seminar Tessenow 141 Tessenow, Landhaus an der Ruhr, 1909 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Niederschöneweide wohnende Gertraude Engels - täglich erhebliche Fahrtwege zurückzulegen. Aller- dings weist eine ganze Reihe von Karteikarten Adres- sen in der weiteren Umgebung Berlins aus, was ei- nerseits auf knappe Familienbudgets, andererseits auf informelle Lösungen hindeutet. Aber selbst wenn der finanzielle Spielraum vorhanden ist, um in Pen- sionaten oder dem unweit der TH gelegenen Studen- tinnenwohnheim zu wohnen, bevorzugen Tessenow- studentinnen offensichtlich Wohnformen, bei denen sie nicht an besondere Hausordnungen gebunden sind.212 Häufig bewohnen sie Zimmer zur Untermiete und achten dabei auch auf die telefonische Erreich- barkeit.213 Sie bevorzugen eindeutig den Bezirk Char- lottenburg und hier wiederum Lagen in fußläufiger Entfernung zur Hochschule. Obschon für die Mehr- heit der Studentinnen eine eigenständige Lebensfüh- rung erst nach Abschluss des Studiums, mit eigenem Erwerb und Berufsstatus denkbar wird, bleibt festzu- halten, dass die meisten Tessenowstudentinnen indi- viduelle Wohnformen dem Zusammenwohnen mit Kommilitoninnen - in einer Pension, einem Wohnheim oder einer Wohnung - vorzogen und sich Einzelne den bürgerlichen Vorstellungen der Eltern entzogen. Weniger gut als die Bindungen an Eltern oder Part- ner, die sich in der Wohnsituation abbilden, lassen sich Freundschaften belegen. Zumindest etliche Tes- senowstudentinnen pflegten untereinander aber re- gen Umgang, wie bspw. Klara Brobecker und Maria Gaiser oder Iwanka Waltschanowa und Hanna Blank. Dies war jedoch keinesfalls an den Besuch des glei- chen Seminars gebunden, wie die langjährigen Ver- bindungen zwischen Hildegard Korte und Erika von Beerfelde oder auch Elfriede Schaar und Hilde Eberle belegen.214 Manche dieser Freundschaften - wie u.a. die zwischen Gisela Eisenberg und Lieselotte von Bonin - hatten weit über die Studienzeit hinaus Be- stand. Und auch etliche Partnerschaften wurden während der Studienzeit angebahnt oder - wie im Falle Anni Pfeiffers mit Karl Gunkel - ‘vereinbart’. Eheschließungen blieben jedoch tabu, alle Studentin- nen während der Studienzeit unverheiratet.215 Nicht nur im Falle einer bestehenden Liaison oder ei- ner geplanten Heirat gehörte der freundschaftliche Umgang mit Kommilitonen zum Lebensstil der Stu- dentinnen. So pflegte bspw. Gisela Schneider freund- schaftlichen Umgang mit Jürgen Emmerich ebenso wie Johanna Tönnesmann mit Georg Hillebrand und Helmut Zeidler. Und Lieselotte von Bonin blieb mit Clemens Weber, den sie aus dem Studium in Mün- chen kannte, wie mit Erwin Kretzer, mit dem sie im Seminar Tessenow zwei Jahre lang ‘Tisch an Tisch’ saß, lebenslang befreundet.216 Die Situation zwischen den Geschlechtern im Seminar Tessenow lässt sich als kameradschaftlich bezeichnen. Der auf Fotografi- en dokumentierte, ungezwungene Umgang entspricht den „vielen engen freundschaftlichen Beziehungen, die im Seminar Tessenow üblich waren“.217 War vor der Weimarer Republik zwischen den Ge- schlechtern jene ‘enge’ freundschaftliche Verbunden- heit noch verpönt, so pflegen zahlreiche Studentin- nen nun innerhalb wie außerhalb des Seminars - mit Kommilitonen wie Kommilitoninnen - persönliche Freundschaften. Fotos studentischer Feste zeigen deutlich, dass die Steifheit gesellschaftlicher Um- gangsformen einem entspannten Miteinander gewi- chen ist.218 Und auch in der konkreten Zusammenar- beit bilden sich derlei Freundschaften ab. So führen bspw. Gisela Eisenberg und Anni Pfeiffer, aber auch Gertraude Engels und Alexander Herde gemeinsam Aufmaße durch. Neben Exkursionen und den wö- chentlichen Treffen „zum ‚Bäume zeichnen’ im Park Bellevue“ wurden auch außerhalb der Hochschule gemeinsame Ausflüge und Touren unternommen.219 Karl Gunkel erinnert das Kennenlernen seiner späte- ren Frau folgendermaßen: „Sie war sportlich sehr tä- tig (..) Reiten (..) vor allem Schwimmen, Rudern und als Studentin Paddeln als Faltbootfahrerin. Die Seme- sterferien wurden meist zu solchen Wanderfahrten genutzt, wodurch auch die Verbindung zu dem spä- teren Ehemann sich ergab.“ 220 Im Seminar selbst scheint die Haltung der Kommilito- nen gegenüber den Kommilitoninnen einerseits durch zwischenmenschliche Neugier, andererseits - ganz im Duktus Tessenows - durch eine eher skeptische Haltung gegenüber deren fachlichen Kapazitäten ge- prägt. Gerhart Goebel bezeichnet in einem 1931 er- scheinenden Artikel die Architekturstudentinnen im Spektrum der „Frl.stud.ing.” als „ein mehr weiblicher Typ“.221 Und unter Bezug auf die Situation an der TH Charlottenburg führt er aus: „Man glaubt oft, daß wir Männer in diesen Eindringlingen in ‚unsere’ Technik bereits die späteren Konkurrentin sähen und daß wir die weibliche Konkurrenz fürchteten. Nein! Ich glau- be, dazu ist jeder Student viel zu sehr durchdrungen von seiner eigenen ‚technischen Sendung’ und von dem Begriffe der ‚untechnischen Frau’, dazu ist auch die Zahl der weiblichen Studierenden noch viel zu ge- ring im Vergleich zu der der männlichen. Vielleicht fehlt der Frau (..) eine reiche technische Phantasie. Dafür ist sie Frau! Mag sie sehen, wie sie sich später im Beruf mit der Technik der Praxis (sic!) abfindet!“ 222 Ähnliche Vorurteile und vergleichbare Vorbehalte scheinen auch bei Kommilitonen im Seminar Tesse- now nicht völlig abwegig - trotz des vielzitierten, ka- meradschaftlichen Umgangs. Klara Küster erinnert das große Erstaunen der Kommilitonen, als ihre Di- plomarbeit im November 1937 als bestes Diplom des Jahrgangs ausgezeichnet wird: „die Herren haben geschaut“.223 Und vielsagend formuliert der ehemalige 212 Im Studentinnenwohnheim ‘Ottilie-von-Hansemann-Haus’ (vgl. Kap.2, S.28) wohnte bis Mitte der zwanziger Jahre bspw. die Architekturstudentin Anna Timoschenko. Auch Tesssenows älte- ste Tochter bewohnte hier während ihres Medizinstudiums an der Friedrich-Wilhelm-Universität ein Zimmer. 213 Zahlreiche Karteikarten von Studentinnen sind mit einer Telefon- verbindung versehen. 214 Für diesen Hinweis danke ich Ute Weström. 215 In den vierziger Jahren sind an der TH Charlottenburg vereinzelt auch nicht-ledige - zumeist verheiratete - Architekturstudentin- nen zu finden. Zuvor ist die bereits geschiedene Grete Schrö- der-Zimmermann eine Ausnahme. 216 Die Freundschaft mit Erwin Kretzer erinnert Clemens Weber. Lieselotte Boedeker [geb. von Bonin] schrieb 1986 einen Nach- ruf auf den Kommilitonen. Vgl. FN 139. 217 NL Gunkel, Karl Gunkel im LL Anni Gunkel [geb. Pfeiffer], un- dat., wahrscheinlich Spätjahr 1941 218 Vgl. bspw. Abbildung S.180. Das Foto, das Anni Pfeiffer im Kreis von KommilitonInnen kostümiert zeigt, würde ihr Sohn Jür- gen K.Gunkel „in die ‚Berliner Studentenszene’ einordnen.“ Brief vom 24.7.1998, S.2 219 HTG Briefe 1968-71, Brief Elfriede Schaar an Hans Hasche vom 10.2.1969. 220 „Nach dem Diplom Frühjahr `32 war es aber schwierig eine Stellung zu erhalten, die die Gründung einer Existenz ermöglicht hätte. So nahm Annie zunächst eine Stellung als Architektin bei der Allgemeinen Häuserbau A.G. von 1872 in Berlin an (11.5.32 bis 31.3.33) wo sie an der Siedlung Klein-Machnow (250 Häu- ser) an dem Entwurf und Bau des Kinos Onkel Toms-Hütte in Berlin-Zehlendorf mitarbeitete neben andern laufenden Sachen. Dann schied sie aus um zu Hause 1/2Jahr Kochen zu lernen und ihre Aussteuer selbst vorzubereiten. Weihnachten `33 öf- fentl. Verlobung, Februar `34 Hochzeit in Kassel.“ FN 217 221 „Auch ein mehr weiblicher Typ findet sich: Eine Architekturstu- dentin“ - Goebel, Gerhart: frl.stud.ing. setzt sich durch. Eine Umfrage bei Studentinnen (sic!) der TH Berlin in: Scherl´s Maga- zin, 7.Jg., H.2, Februar 1931, S.172ff, hier S.176. Für den Hin- weis auf diesen Artikel danke ich Kerstin Dörhöfer. 222 Ibid., S.175 - Ganz im Duktus dieses Grundtenors kommt hier auch der Physikstudent „Erich D.” zu Wort: „Ich habe oft das Gefühl, daß unsere Studentinnen alles Technische zwar rein for- melmäßig glänzend beherrschen, vielleicht besser als wir, daß sie aber das Wesen technischer Probleme selten ganz erfassen. (..) Deshalb glaube ich auch, daß die Frau wohl später (..) eine fleißige und gewissenhafte Mitarbeiterin des Mannes werden, dem echten Ingenieur aber selten eine ernsthafte Konkurrentin sein wird.“ Ibid., S.164 223 FN 58 142 Architekturstudentinnen Kommilitone Gert Grossmann-Hensel im Nachruf auf Irina Zuschneid [geb. Kaatz] 1986: „Ich glaube, sie war begabt für den von ihr gewählten Beruf des Ar- chitekten. Kreativ, intelligent, fleißig und zielstrebig bewältigte sie Studium und Examina selbstverständ- lich und glänzend.“ 224 In aller Regel bleiben die Verbindungen zu Kommilito- nen wie Kommilitoninnen auch in der Phase des Be- rufseinstieges noch bestehen. Nach der Studienzeit nimmt die Intensität der Freundschaften in aller Regel jedoch deutlich ab. So kann bspw. Hildegard Korte beim Berufseinstieg mit der Unterstützung durch An- selm Förster rechnen. Brobecker, Rauter und Freise arbeiten im Anschluss an das Diplom zeitweilig im selben Planungsbüro. Längerfristige tragfähige Netz- werke unter Teilhabe von oder zwischen Tessenow- studentinnen lassen sich aber nicht ausmachen. Eine weitergehende Verbindung von privaten und berufli- chen Interessen bleibt auf heterosexuelle Paarkon- stellationen begrenzt, obschon sich manches Mal auch noch nach Jahrzehnten erneute private Kontak- te nachweisen lassen, innerhalb wie außerhalb der nach dem Tode Tessenows 1950 gegründeten Hein- rich-Tessenow-Gesellschaft.225 Während des Studiums wird sichtbar, dass manche Studentinnen im Vertrauen in ihre habituellen Mög- lichkeiten die Grenzen der ihnen - als Töchter bürger- licher Eltern - zugebilligten Handlungsfelder zu erwei- tern resp. zu überschreiten suchen. Damit verbunde- ne Irritationen versuchen sie zu reduzieren. So ver- wundert es kaum, dass sich die meisten Studentin- nen im Seminar um eine Art gemäßigte Position be- mühen und auf den Qualifikationserwerb konzentrie- ren. Denn obschon sich das Spektrum denkbar ge- wordener Umgangsformen nun so sichtbar erweitert, die Aktionsradien von Studentinnen erreichen i.d.R. nicht die der Brüder resp. Kommilitonen. Traditionelle Rollenbilder konfligieren mit den Vorstellungen und Erwartungen dieser jungen Frauen ebenso wie die hier vermittelten Berufsvorstellungen. An Rücksicht- nahmen auf Eltern, Kommilitonen und zukünftige Partner wird erkennbar, wie tief bürgerliche Konven- tionen den gesellschaftlichen Normen der Weimarer Republik eingeschrieben bleiben, wie selten diese Studentinnen sich ihnen entziehen wollen oder kön- nen. Während Hans Poelzig auch in den dreißiger Jahren der politischen Ungleichheit der Geschlechter öffent- lich nachtrauert und latent misogyne Zuschreibungen vor männlichem Publikum kolportiert, steht Tessenow während der Weimarer Republik dem Architekturstu- dium von Frauen nicht offen ablehnend gegenüber.226 Seine Zurückhaltung in dieser Hinsicht fällt insbeson- dere im Vergleich zu früheren Äußerungen auf, denn bei der Gründung der Handwerkergemeinde Hellerau 1918 hatte er für den Ausschluss von Handwerksmei- sterinnen plädiert und ein Werkstattverbot für Frauen durchgesetzt.227 Im Unterschied zu seinem Freund Karl Scheffler forderte er jedoch nie öffentlich, „daß die Frau der Baukunst ganz fern bleiben muß.“ 228 Inwieweit Tessenow die in den Schriften des öfteren zu findenden Geschlechterpolaritäten auch im Semi- narunterricht illustrierend einsetzte, bleibt fraglich.229 Dr. Otto Kindt, zeitweilig Assistent bei Tessenow, er- innert, dass dieser sich zu den „zu seiner Zeit be- reits häufigen Diskussionen“ nicht direkt geäußert ha- be. Seine Maxime im realen Geschlechterverhältnis blieb: „Sie [Frauen und Männer] müssen lernen, sich besser zu verständigen.“ 230 Dies erscheint unwahr- scheinlich in Anbetracht der Häufigkeit wie der De- tailfreudigkeit bei der Verwendung geschlechterpola- rer Metaphern in seinen Aufzeichnungen.231 Vielleicht mied er im direkten Umgang mit der gemischtge- schlechtlichen ‘Jugend’ aber auch tatsächlich die ‘unschickliche’ Thematisierung jeglicher Geschlechtlichkeit.232 An die ‘Damen’ gerichtete Botschaften Tessenows sind nicht überliefert. Und so harmlos die gut ge- meinte Rede von ‘Herren Kollegen’ und ‘Mädchen’ geklungen haben mag, mit dieser Sprachregelung markiert Tessenow nicht nur den Unterschied zwi- schen ‘Mädchen’ und ‘Knaben’ oder ‘Damen’ und ‘Herren’, hier kennzeichnet er Studenten als zukünfti- ge Kollegen, Studentinnen als adoleszent. Im retro- spektiven Verweis der studierenden Frauen auf ein vorprofes-sionelles Niveau wie im Vorgriff auf einen noch nicht erlangten Berufsstatus der männlichen Studierenden spiegelt sich die Grenzziehung entlang des Geschlechts innerhalb der Profession wider. Hier kommt deutlich zum Ausdruck, dass ‘Mädchen’ - auch nach Tessenows Auffassung - eigentlich nicht zum und in das Berufsfeld gehören. Auf die Frage, ob angesichts des Vielgebrauchten ‘Meine Herren’ der Begriff ‘Mädchen’ für Studentin- nen nicht vielleicht etwas unpassend gewesen sei, besteht bspw. Klara Küster darauf, dass dies ledig- lich eine liebevoll gemeinte Anrede gewesen sei.233 Huerkamp wie Glaser beobachteten bei Autonarratio- nen ehemaliger Studentinnen, dass selbst eindeutig diskriminierende Umgangsformen i.d.R. nicht als Diskriminierung thematisiert resp. erinnert werden.234 Sie kommen übereinstimmend zu der Interpretation, dass die augenfällige „Abwesenheit von Diskriminie- rungserfahrungen“ auf Verdrängungsleistungen beru- he, zumal die ganz überwiegende Mehrheit der Hochschullehrer, trotz deutlichen Sinneswandels zu Beginn des Jahrhunderts, „nicht frei von Vorurteilen und Ressentiments gegenüber studierenden Frauen“ gewesen sei. Rückblickend beschreibt Karola Bloch die Haltung von Architekturprofessoren gegenüber 224 HTG Rundbrief Gert Grossmann-Hensel: Irina Zuschneid zum Gedächtnis, 1986 225 So bleiben bspw. Klara Brobecker und Elfriede Schaar bis in die Zeit des zweiten Weltkrieges befreundet. Ewa Oesterlen erinnert bspw. einen Besuch der ehemaligen Kommilitonin Sigrid Rauter mit Mann und Kind in den 1950er Jahren und Jürgen Gunkel er- wähnt einen Ende der 1950er oder Anfang der 1960er Jahre „in alter freundschaftlicher Verbundenheit zu meinem Vater“ statt- gefundenen Besuch von Gisela Eisenberg mit Familie in Kassel. FN 58, FN 103, Jürgen K. Gunkel im Brief vom 17.2.1998, S.2 226 Poelzig bedauert in seiner Rede vor dem BDA 1930 nicht nur den „Strom der Studierenden (..) beiderlei Geschlechts“, son- dern erinnert bspw. auch ausführlich an einen Vortrag seines „unvergeßlichen“ Lehrers Schäfer aus dem Jahre 1896, in dem dieser die „unlogische Entwicklung der damaligen Baukunst“ anhand des Empfangsgebäudes des Karlsruher Bahnhofs vor- führte: „Da waren große Bogenöffnungen (..) und allerlei kleine, rhythmisch ornamental nebeneinandergereihte. Durch die kleine Öffnung war der Hauptausgang, und an einer ganz großen, be- sonders bedeutungsvollen stand: ‚für Damen’.“ Poelzig, 1931, Nachdruck 1994, S.7 227 Erste Mitteilung über eine Handwerkergemeide Hellerau, Dres- den, 1919. Faktisch bedeutete dies bspw. Berufsverbot für die Handwerksmeisterin Hertha von Buchner, der die vor Ort vor- handene Töpferwerkstatt gehörte. Vgl. Arnold, Klaus-Peter: Vom Sofakissen zum Städtebau, S.367f. Angesichts der Fortschritte der Frauenemanzipation während der Kaiserzeit verwundert eine solch revisionistische Haltung, zumal die Gründung der Hand- werkergemeinde ohne das von der Bielefelder Schriftstellerin Hertha König (1884-1976) eingebrachte Stiftungsvermögen in Höhe von 100.000,- Mark kaum möglich gewesen wäre. Vgl. De Michelis, 1991, S.79 - Zu Hertha König dort auch FN 31, S.92 228 Scheffler, Karl: Die Frau und die Kunst, Berlin, 1908, S.57. Vgl. Kap.1, FN 59. Scheffler und Tessenow - bereits bei der Grün- dung der Handwerkergemeinde Hellerau gemeinsam aktiv - pflegten privat regen Umgang, wozu bspw. auch gemeinsame Hausmusikabende gehörten. 229 Einzelne Anekdoten, nach denen Tessenow einzelne Studentin- nen anhand ihrer Studienarbeiten als ‘männliche’ oder ‘weibli- che’ Typen bezeichnet haben soll, sind - im Unterschied zu den meisten Anekdoten aus dem Seminar - unter SchülerInnen hef- tig umstritten. 230 Otto Kindt im Brief vom 4.2.1998 231 Im Unterschied zu dem ‘Geschriebenen’ der Nachlasshefte, die Tessenow in der Absicht führte, eigene Gedanken zu ordnen, sind in den Publikationen deutlich weniger dieser Metaphern zu finden. 232 Diese Vermutung ist angesichts der heftigen Auseinanderset- zungen um (die Tabuisierungen von) Geschlechtlichkeit, die bspw. im Studiengang Medizin zu geschlechtergetrennten Ver- anstaltungen geführt hatten, nicht unrealistisch. Vgl. Burchardt, 1997, S.95ff. 233 FN 58 234 Huerkamp, 1996, S.153, „Diskriminiert wurden wir nicht“. Vgl. auch Glaser, 1992, S.243 ff. im Seminar Tessenow 143 Studentinnen an der TH Wien zu Anfang der dreißiger Jahre als „altvorderlich”. In der ‘Statik’ sei die „Diskri- minierung des weiblichen Geschlechts (..) sichtbar“ gewesen.235 So selten derlei Ausgrenzungserfahrungen selbst re- trospektiv benannt oder auch nur angedeutet wer- den, fraglich bleibt, in wieweit die eigene Situation in- nerhalb des Studiums nicht nur erfahren wurde, son- dern - angesichts der Minderheitensituation und der Macht des Normativen - bereits in der Studiensitua- tion reflektiert werden konnte. Klara Küster erinnert die eigene Situation hinsichtlich der Lehrerwahl sogar als privilegiert: „Rüster ließ mich ja ungern gehen, es war ja ‚in’, dass man eine Frau im Seminar hatte und ich war bei ihm die einzige.“ 236 Auch diese Erinne- rung spricht jedoch für die These der Ausblendung, da die Minderheitensituation in der retrospektiven Bi- lanzierung hier als Zuwachs individueller Handlungs- möglichkeiten betont, wenn nicht imaginiert wird, während deren Kehrseite unerwähnt bleibt.237 Als Studentin im Seminar Tessenow Die Studiensituation von Tessenowstudentinnen un- terscheidet sich analog zum sozialen Milieu der Her- kunftsfamilien, noch deutlicher korreliert sie jedoch mit der jeweiligen Lebenssituation. Denn während manche - insbesondere der noch bei den Eltern woh- nenden - Studentinnen darauf angewiesen sind, sich mit elterlichen Erwartungen zu arrangieren, wird an- deren bereits eine eigenständige Lebensführung zu- gebilligt. Und während einzelne Eltern ihre Töchter materiell großzügig ausstatten, sind andere hierzu nicht in der Lage. In aller Regel müssen sich Archi- tekturstudentinnen im Seminar Tessenow das Geld für ihr Studium aber nicht selbst erarbeiten. Für einen größeren Spielraum des persönlichen Lebensstils und die mittelbar mit dem Studium verbundenen Kosten, wie bspw. Exkursionen, werden jedoch mehrere auch erwerbstätig. Im Unterschied zu Studentinnen ande- rer Fächer wählen Tessenowstudentinnen auf der Su- che nach geeigneten Jobs kaum fachfremde Strate- gien.238 Lediglich Hildegard Korte ist auch als Über- setzerin für die argentinische Botschaft tätig.239 Als Mitarbeiterinnen in Architekturbüros bessern bspw. Hanna Blank, Gisela Schneider und Hilda Harte - alle drei sind Töchter von Lehrern - zumindest während der vorlesungsfreien Zeit ihre Finanzen auf. Die Möglichkeiten, mit Hilfe eines Darlehens oder Sti- pendiums zu studieren, waren für Studentinnen der Weimarer Republik vergleichsweise schlecht. Es ist jedoch unbekannt, wie viele Architekturaspirantinnen versuchten, das Studium mit Hilfe eines Stipendiums zu realisieren. Nur von Gisela Schneider lässt sich bisher überhaupt eine Stipendienbewerbung nach- weisen.240 Um 1930 waren gut 10% aller Darlehens- nehmerInnen und knapp 14% aller StipendiatInnen Studentinnen.241 Und nur gut 2 % der Studentinnen aller Fachrichtungen studierten bspw. 1932 mit Hilfe einer solchen Unterstützung. Nach bisheriger Kennt- nis kam keine Tessenow-Seminaristin in den Genuss einer staatlichen Alimentierung. Drohten im Verlauf des Studiums finanzielle Engpässe, boten ‘Fleißprü- fungen’ eine Möglichkeit, bei Bestehen einen weit- gehenden oder vollständigen Erlass des Studiengel- des zu erwirken. Auf diese Weise gelang es bspw. Gertraude Engels, ihr Studium zu Ende zu führen. Fri- del Hohmann erhielt 1933 - einer Eintragung auf ihrer Karteikarte zufolge - ein einmaliges Stipendium i.H. von 50 Mark. Angesichts des von Hohmann gepfleg- ten Lebensstils - sie fuhr bereits im Studium einen ei- genen Sportwagen - scheint es sich dabei aber eher um eine Gratifikation gehandelt zu haben. Mit welchem Selbstverständnis, welchen Erwartun- gen betrieben Tessenowstudentinnen dieses Studi- um? Stimmten ihre eigenen Erfahrungen so weitge- hend mit dem geschlechterpolaren Denken Tesse- nows überein, dass sie die ihnen angebotenen Rol- lenbilder freiwillig adaptierten? Oder entsprach seine Haltung just jenen, ihnen bereits bekannten väterli- chen Vorbehalten, die es in Dankbarkeit zu würdigen, jedoch eigenständig zu umschiffen galt? Die meisten Aussagen zu Studienmotivationen und - erwartungen dieser TH-Studentinnen können bisher lediglich spekulativ, und damit kaum befriedigend getroffen werden. Denn zu dieser Frage konnten kei- nerlei Aufzeichnungen aus der Studienzeit ausgewer- tet werden. „An das Bauhaus zu gehen, (..) daran ha- ben wir überhaupt nicht gedacht“, erinnert bspw. Ewa Oesterlen, die nach eigenen Angaben etliche Bauhausstudierende kannte und Bauhausbücher las.242 Auch Sigrid Rauter, die 1932 gastweise Veran- staltungen am Bauhaus besucht, sieht hier offenbar keine realistische Alternative zum TH-Studium.243 Be- reits bei der Studien- und insbesondere bei der Orts- wahl wurde deutlich, dass Tessenowstudentinnen zu Beginn des Studiums Entscheidungen häufig in Ab- stimmung mit ihren Eltern trafen. Diese lassen sich deshalb kaum als freie Entscheidung zwischen archi- tektonischen Haltungen resp. ‘Schulen’ interpretieren, zumal die Mehrheit dieser Studentinnen noch minder- jährig ist und gerade die Hochschulreife erlangt hat. Mit zunehmendem Alter und spätestens hinsichtlich des Hauptstudiums werden aber - selbst bei Studen- tinnen, die ausschließlich an der TH Charlottenburg studieren - zunehmend individuelle Abwägungen zwi- schen Alternativen sichtbar.244 Signifikant für die Studienmotivationen von Tesse- nowstudentinnen scheint ihre Konzentration auf das Studium. Neben den durchaus umfangreichen Studi- 235 „Unsere Lehrer waren altvorderlich; in der Statik hatten wir einen alten verknöcherten Professor, der sich nicht daran gewöhnen konnte, daß auch Frauen Architektur studierten. (..) Die Diskrimi- nierung des weiblichen Geschlechts in diesem Fach war sicht- bar.“ Bloch, 1981, S.61. 236 FN 58 237 Zumal der Bedeutungszuwachs dieser individuellen Einzelent- scheidungsmöglichkeit allzu deutlich auf der Ungleichheit der Aktionsradien von Studentinnen resp. Studenten basiert. 238 So findet sich bei Goebel (1931, S.180) bspw. der Bericht einer Flugzeugbaustudentin, die ihr Studium - wie auch einen Motor- radurlaub - als Stehgeigerin und als Gymnastiklehrerin finanziert. In demselben Artikel merkt die Physikstudentin „Liselotte B.“ zu ihrer Tätigkeit als Werkstudentin in der Industrie an: „Trotz der stumpfsinnigen und geistestötenden Arbeit (..) bin [ich] froh, ein- mal ganz als Arbeiterin gelebt zu haben.“ Ibid., S.179 239 Diese Tätigkeit erweist sich im Hinblick auf den eigenen finan- ziellen Spielraum wie auf die geplante Südamerikareise als hilf- reich. Ihr Studium wurde jedoch durch die Eltern finanziert. 240 Sie bewirbt sich allerdings erst nach dem Diplom für ein einjähri- ges Aufbaustudium in Paris beim DAAD. Bewerbung vom 30.11. 1937. Ihr Antrag wird mit Schreiben vom 13.10.1938 - und da- mit fast ein Jahr später - abgelehnt. NL Ehren 241 Huerkamp, 1996, S.138ff. 242 FN 103 243 Rauter besucht im Februar 1933 auf Einladung des ihr bereits aus Stuttgart bekannten (Bauhausstudenten) Hans Keßler das Bauhausfest in Berlin, anschließend auf Einladung von Mies van der Rohe den Unterricht. Lt. Keßler ist sie begeistert. Auszüge aus Briefen Hans Keßlers abgedruckt in: Hahn, Peter / Christi- an Wolsdorff (Hg.): Bauhaus Berlin, Weingarten, 1985, S.169 ff. 244 Auch in den Fällen, in denen Studentinnen das Seminar wieder verlassen - wie bspw. Taizale und Sahlmann -, ist nicht auszu- schließen, dass sie sich zugunsten anderer Entwurfshaltungen orientierten. 144 Architekturstudentinnen Fridel Hohmann mit ihrem Sportcoupé, Anfang der 1930er Jahre Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar enplänen betreiben etliche jedoch auch Studien in nicht-architektonischen Fächern. Angesichts der Stu- dienintensität - wie auch der Studienerfolge - zeigt sich hier deutlich das Bestreben, die Studienzeit zur Entwicklung möglichst vieler Fähigkeiten zu nutzen. So besucht Gisela Schneider neben ihrem TH-Studi- um die Vereinigten Staatsschulen und wird dort Mit- glied in der Klasse von Eugen Schmohl.245 Johanna Tönnesmann belegt als Wahlfächer sog. Aufbaukurse in Geschichte, Literatur und Aquarellieren, aber auch in Freihandzeichnen und Baukonstruktion III.246 Unter- schiedliche Studien wie die verschiedenen Hobbies werden von den Architekturstudentinnen über einen längeren Zeitraum und durchaus ernsthaft betrieben. Sie ergreifen damit die Initiative, ihre Studienmöglich- keiten zu erweitern ohne den Rahmen einer gesicher- ten Ausbildung zu verlassen. Denn Priorität genießt i.d.R. das Fachstudium, auch wenn manche keine konkreten Vorstellungen von der späteren beruflichen Tätigkeit haben und ein Architekturstudium während der Weimarer Republik nicht unbedingt eine beruflich tragfähige Perspektive verspricht.247 Tessenowstudentinnen widmen sich ihrem Architek- turstudium ebenso intensiv wie zielstrebig. Dies als primäres Bildungsinteresse zu interpretieren, greift jedoch zu kurz. Denn die Studentinnen suchen die eigene Erprobung nicht nur im Studium sondern ins- besondere in der Praxis, dies zeigen die langen Vo- lontariate. Das Beispiel Anni Pfeiffers belegt darüber hinaus, wie selbstbewusst manch eine Studentin jede Chance nutzt, um eigene architektonische Positionen zu entwickeln. Als 1929 in Kassel der Wettbewerb für das Aschrott-Wohlfahrtshaus an der Fuldabrücke ausgeschrieben wird, beteiligt sie sich nach nur zwei- jährigem Studium mit einem eigenen Entwurf an ei- nem Wettbewerb, bei dem so bekannte Architekten wie Gropius, Berstelmeyer, Poelzig und Tessenow zur Teilnahme aufgefordert wuden. Sie ist zu diesem Zeitpunkt als Volontärin tätig. Ihr Entwurf wird mit einem Ankauf prämiert.248 Welches Berufsbild wurde den TH-Studentinnen ver- mittelt? Welches Rollenbild wurde ihnen durch Tes- senow nahegebracht? Obschon auch die Entwurfsprofessoren im Rahmen der Hochschule nahezu ausschließlich in ihrer Funk- tion als Lehrende in Erscheinung treten, im Spektrum aller Professoren repräsentieren sie dennoch das Ide- al des freischaffenden Entwerfers. In persona - und im Widerspruch zur eigenen Reputation als verbeam- tete Hochschullehrer in einem akademisch etablierten Rahmen - verkörpern sie die seit der Jahrhundert- wende ersehnte ‘Befreiung vom akademischen Lehr- zwang’.249 Hierauf gründet ihre Vorrangstellung unter den Kollegen der ‘Fächer’. Und in ihren Seminaren lassen die Entwurfsprofessoren kaum Zweifel darüber aufkommen, dass nicht der verbeamtete, sondern der freiberufliche Architekt der erstrebenswerte Be- rufsstatus sei. Nicht nur nach Tessenows Vorstellung ist diesem ambitionierten Freiberufler „das einlinige (berufliche) Vorwärtswollen, das Karrieremachen“ als „etwas wesentlich Männliches“ inhärent.250 Sein Verhältnis gegenüber Architektur, gar ‘großer Architektur’ ist als zumindest ambivalent zu bezeich- nen. ‘Architektur’ galt im Seminar Poelzig als Maxime und wurde intern als Auszeichnung, als ‘Qualitäts- prädikat’ verstanden. Demgegenüber war der Begriff Architektur im Seminar Tessenow negativ besetzt und fungierte hier gleichsam als Synonym für Gel- tungssucht. „Sie machen wohl Architektur?“ brachte Tessenow seine Kritik unmissverständlich zum Aus- druck. Die Notwendigkeit, Gebäuden Gestalt zu ver- leihen, war unbestritten. Anrüchig war jedoch der Entwurf repräsentativer Bauten, und jedes gestalteri- sche Geltungsbedürfnis galt geradezu als verwerflich. im Seminar Tessenow 145 245 Vgl. Biografie Schneider. Auch die TH-Studentin Lotte Werner belegt hier zeitweilig Veranstaltungen. Brief Lotte Werner vom 30.11.1927, HdKA Best. 8 Nr.150, WS 1927/28. 246 Lt. Auszug aus dem Prüfungsprotokoll Johanna Tönnesmann, Juni/Juli 1936, NL Minsos 247 So gibt bspw. Gertraude Herde an, wegen der schwierigen poli- tischen Verhältnisse keine konkreten Vorstellungen von der spä- teren beruflichen Tätigkeit gehabt zu haben. Antworten in der Anlage zum Brief vom 17.9.1995. 248 Deines, Emil (Hg.): Bauwettbewerbe, H.50, Karlsruhe, Mai 1930, S.27. Der Wettbewerb wird von den Kasseler Architekten Karl Hermann Sichel und Waldemar Leers gewonnen. In der Jury urteilten u.a. Häring und Taut. Vgl. auch Biografie Pfeiffer. 249 Im Unterschied zur Weimarer Republik galt diese Sehnsucht während der Kaiserzeit noch jeder Neuberufung, wie der folgen- de Bericht zeigt: „Die Hoffnung der Studierenden gründet sich jetzt auf den jüngst zum etatsmäßigen Professor berufenen Kreisbauinspektor Karl Caesar, dem der Lehrstuhl für ‘ländliche Baukunst’ übertragen worden ist. (...) Er ist berufen, vielen unge- stillten Wünschen der Studierenden, die in ihm den Befreier von akademischem Lehrzwang ersehnen, Erfüllung zu bringen und der Architekturabteilung der Technischen Hochschule zu neuem Ansehen zu verhelfen.“ Vgl. FN 2. 250 „Die Straßen oder das großweltliche Ungeformte, immer Unferti- ge, immer Vorwärtsdrängende oder Fortschreitende, das einlini- ge (berufliche) Vorwärtswollen, das Karrieremachen usw. ist et- was wesentlich Männliches.“ HTG, Nachlassheft Heinrich Tessenow XX 24,25,26 Wettbewerb Aschrott-Wohlfahrtshaus, Kassel, 1930, Entwurf Pfeiffer Sichel / Leers Gropius Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar „Das Einfache ist nicht immer schön, aber das Schö- ne wird immer einfach sein“ ist zweifelsohne die meistzitierte Gestaltungsmaxime Tessenows. Beim ‘Meistern’ der Entwurfsthemen galt es mit dem indivi- duellen Gestaltungswillen hinter der Aufgabe zurück- zutreten und nicht als Architekt zu ‘gelten’. Dieses Streben nach dem Ideal des ‘bescheidenen Baumei- sters’ spiegelt sich bspw. noch nach Jahrzehnten in der Haltung Gertraude Herdes wider: „Mein Mann - auch Tessenowschüler - und ich sind nur schlichte Wohnhaus-Architekten. Wir haben von unserem Mei- ster gelernt, daß das einfachste nicht das Größte, das wirklich Größte aber bestimmt einfach ist!“ 251 Gerade den im Seminar favorisierten Siedlungsfor- men mit ‘menschlichem Maßstab’ - Kleinstadt und Siedlung - ist jedoch unübersehbar auch jene tradi- tionelle Hierarchie der Geschlechter eingeschrieben, in der Frauen wenn nicht ausschließlich, so doch pri- mär innerhalb von Familienverbänden agieren. Diese Überschaubarkeit geordneter familiärer Verhältnisse birgt just jene normative Repressivität, die i.d.R. ver- hindert, dass Frauen berufliche Selbständigkeit erlan- gen und sichtbaren Einfluss auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens ausüben können. Während sich für Architekturstudentinnen in der Vielfalt der Groß- stadt berufliche Aktionsradien abzeichnen, werden sie bei Tessenow auf die vermeintlich harmonische Welt ebenso kleinstädtischer wie kleinbürgerlicher Wohn- und Lebensformen eingeschworen. Sein Seminar bietet quasi einen Schutzraum, in dem für die berufliche Praxis geprobt, jedoch weitgehend losgelöst von zeitgeistigen Themen über das Bauen nachgedacht werden soll. Diese Konzentration auf ei- ne Welt, in der das Leben noch überschaubar - noch nicht aus den Fugen geordneter (Geschlechter-)Hie- rarchien geraten - ist, birgt Widersprüche. Für die Studentinnen stellt sich dabei nicht nur die Frage, ob ein derartiges Weltbild zukunftsfähig ist. Bei der ge- sellschaftlichen Orientierung an kleinstädtischen Le- bensformen stehen ihre eigenen professionellen Am- bitionen als ‘Damen Kolleginnen’ auf dem Spiel. Denn angesichts dessen, dass berufliche Perspekti- ven innerhalb des Seminars nur für Kollegen präsent sind, bleibt es der einzelnen Studentin überlassen, auf dem Weg zur ganzheitlichen Persönlichkeit des Baumeisters auf jenen „immer Vorwärtsdrängende[n] (..) männlichen“ Anteil der eigenen Person zu vertrau- en oder sich als notwendigen Teil einer polaren Partnerschaft zu begreifen. Explizite Aussagen Tessenows hinsichtlich des Archi- tekturstudiums von Studentinnen lassen sich bisher nicht dokumentieren. Ein leichter Wandel seiner Hal- tung scheint dennoch naheliegend, nicht zuletzt an- gesichts der unterschiedlichen Frequentierung seines Unterrichts durch Studentinnen an den verschiede- nen Hochschulen wie den beruflichen Ambitionen der eigenen Töchter.252 Tessenows Geschlechterprojek- tionen tragen in den zwanziger Jahren zunehmend weniger misogyne Züge, vom Denken in polaren Ge- schlechtscharakteren löst er sich dennoch nie wirk- lich - dies zeigen die i.d.R. ebenso stereotypen wie diminuierenden Zuschreibungen des Weiblichen. Seine Einstellung zur Geschlechterfrage wird offenbar durch die Erfahrung des ersten Weltkrieges beein- flusst: Mit dem Ausmaß der realen Zerstörungen sieht sich der nachdenkliche Tessenow in seinem Streben nach Reduktion und Bescheidenheit im Leben wie im Bauen bestärkt. Seine Kritik richtet sich nun gegen das „Zerstörerische“ alles „Weltmännischen“ und das „männlich Widerwärtige“. Seine Position hinsichtlich des Geschlechterverhält- nisses bleibt jedoch ambivalent. Denn obschon mit zunehmendem Alter sowie in der konkreten Ausein- andersetzung mit Studentinnen durchaus Zugeständ- nisse erkennbar sind, zeigt er sich weiterhin auch von der ‘Unterlegenheit des weiblichen Prinzips’ über- zeugt - und damit von der Legitimität einer ‘naturge- gebenen’ Geschlechterhierarchie.253 Dementspre- chend hält er an tradierten Rollenzuschreibungen und dem „männlichen Gebiet der Baukunst“ fest.254 „Nicht der Mann und nicht die Frau sondern die Verbindung beider ist hier das allgemein Entscheidende (..) auch für unsere Wohnlichkeit.“ 255 Auf der Suche nach ‘Be- hausung’ und ‘Wohnlichkeit’ ironisiert er vermeintlich weibliche Denk- und Lebensformen als „häkeldeck- chenhaft“ und „kleinweltlich“. In seinen Schriften verwendet Tessenow des öfteren Geschlechtermetaphern zur Illustration, häufiger noch zur Charakterisierung unterschiedlicher und selbst abwegiger Polaritäten, wie der zwischen Straßen und Plätzen. „Da wir nicht wissen - auch trotz Otto Wei- ninger nicht -, ob in der Welt das Männliche oder das Weibliche das Wichtigere ist, so ist jede Verherrli- chung des einseitig Männlichen, wie jede Verherrli- chung des einseitig Weiblichen ohne rechten tragfä- higen Grund, und so ist auch das Allermeiste der neueren Weltgeschichte sehr wacklig fundiert, sie ist voller gefährlicher Hochstapeleien; und dies gilt be- sonders auch hinsichtlich unseres Glaubens an den Fortschritt oder an die Straßen.“ 256 Diese Konstruktion resp. Dramatisierung vermeintlich unvereinbarer Gegensätze findet sich in der Regel im analytischen Teil der jeweiligen Darstellung, um an- schließend synthetisiert zu werden. Im Unterschied zu Fritz Wichert, dem Direktor der Städelschule in Frankfurt am Main, der 1929 fordert, „die Erziehung schöpferischer Kräfte polarisch anzulegen“ und pä- dagogische Konzepte „streng zu Gunsten einer einzi- gen Anschauung (..) gleichsam faschistisch“ strikt ab- lehnt, sieht Tessenow in der Synthese jedoch keinen 251 Gertraude Herde im Brief vom 7.2.1990, S.1 252 Denn die Dresdener Phase - ohne Studentinnen - fällt mit jenem Lebensabschnitt zusammen, in dem der als Professor bereits überregional etablierte Tessenow die Berufstätigkeit von Frauen ebenso grundsätzlich wie rigoros ablehnt und den Ausschluss von Handwerksmeisterinnen bei der Gründung der Handwerker- gemeinde Hellerau betreibt. 253 „Und so mag nun das Männliche, das Willensbetonte widerlich sein, sich auch in höchstem Maße widerlich äußern, sie bejaht es und unterliegt ihm doch, und zwar dem tiefsten Grund nach ihrer Mütterlichkeit wegen oder damit es sie befruchte.“ Heinrich Tessenow, Aus dem Nachlassheft „Block“, o.D., S.30 254 HTG, Jahresheft XI, S.46 255 Das „männliche Gebiet der Baukunst“ definierte Scheffler als „im wesentlichen (..) kunstmäßige Abwandlung der Schwerkraft; also einer Energie, die nur statisch-mathematisch begriffen wer- den kann.“ Scheffler, 1908, S.57 256 HTG, Nachlassheft Heinrich Tessenow XXX, 25,26,27. Der Psy- chologe und Philosoph Otto Weininger (1880 - 1903) publizierte kurz vor seinem Freitod das vieldiskutierte Buch „Geschlecht und Charakter“ Wien / Leipzig, 1903. 257 Wichert, Fritz: Polarität als Grundsatz, in: Das neue Frankfurt, Mai 1929, Heft 5, S.85ff, erneut abgedruckt in: Verein Freunde der Städelschule (Hg.): Städelschule Frankfurt am Main, Frank- furt, 1982, S.90ff. 258 „Daneben ist die menschliche Aufgabe eigentlich nur, das har- monisch Verbindliche hoch zu kultivieren.“ Tessenow, Heinrich: Zwischen Natur und Kultur, in: Hasche, Hans (Hg.): Die kleine und große Stadt. Nachdenkliches von Heinrich Tessenow, Mün- chen, 1961, S.21 146 Architekturstudentinnen gewaltsamen Prozess.257 Sein Anliegen bleibt die Ver- söhnung jedweder Gegensätze. Auch in seiner Lehre sucht er einen ebenso harmonisierenden wie harmo- nischen Ausgleich zwischen Polaritäten als zivilisato- rischen Prozess zu vermitteln, denn er sieht seine resp. „die menschliche Aufgabe“ darin, „das harmo- nisch Verbindliche hoch zu kultivieren.“ 258 Demge- genüber schreibt Wichert: „Man darf Zweiheitlichkeit nicht scheuen. Höchste Schöpferleistung beruht wohl immer auf einem fast unbegreiflichen Zusammen- zwingen von gegensätzlichen und scheinbar unver- einbaren Elementen.“ 259 So sehr Tessenow für eine neue Harmonie zwischen den Geschlechtern plädiert, in seinem Seminar blei- ben vermeintlich naturgegebene Geschlechterpolari- täten und -rollen präsent. „Unterschiede gab es zwi- schen den Gattungen Frau und Mann“, erinnert Otto Kindt. „Danach gab es geeignete, nicht geeignete, kaum geeignete usw. Berufe für diese. Handwerk? Vorsicht. Vielleicht, aber nur vielleicht Tischler. Be- stimmt nicht: Maurer. Man soll nicht in der Natur und ihren Gegebenheiten herumpfuschen.“ 260 Und man- che schriftlichen Ausführungen Tessenows zeigen sich zwar nicht so sexistisch wie bspw. die eines Karl Kraus, so doch ebenso biologistisch wie die eines Adolf Loos.261 „Wenn der Straßenbau durch so echt frauliche Frau- en regiert würde (was sich nebenbei bemerkt, nicht für sie eignet, aber angenommen einmal, sie würden ihn trotzdem regieren), dann würden alle Straßen un- versehens Plätze, wahrscheinlich sehr merkwürdige Plätze, aber doch Plätze, während andererseits so- genannt echt männliche Männer ungefähr überhaupt keine Plätze bauen können sondern statt Plätzen im- mer so etwas wie ein reichlich großes horizontales und steriles Nichts erbauen. (..) das unterschiedliche Verhalten des Mannes und der Frau zu den Plätzen mag von der heutigen zivilisierten Welt aus, die das Unterschiedliche des männlichen und fraulichen We- sens zunehmend mehr verschleierte, nicht so ohne weiteres erkennbar sein. Aber so straßenfreudig und straßengläubig unzählige Frauen zu sein scheinen und gelegentlich wirklich sind, so beweist doch nur einigermaßen aufmerksame Betrachtung, daß unge- fähr jeder Frau die Straßen wesensfremd sind, aus- genommen allenfalls solche Straßen, die in hohem Maße platzartig sind oder die auf Schritt und Tritt platzartige Raumbilder zeigen.“ 262 Eröffnete das Seminar Tessenow Studentinnen ab Ende der zwanziger Jahre jene egalitären Bedingun- gen, die mit der Öffnung des TH-Studiums für Frauen und der Verankerung des Gleichheitspostulats in der Weimarer Verfassung intendiert worden waren? Knüpften diese Studentinnen ihre Berufsperspektive an die eigenen Kompetenzen und die fundierte Aus- bildung, an Tessenows Reputation oder auch an fa- miliäre Hilfestellungen? Tessenow bot Studentinnen akzeptable Rahmenbedingungen des Qualifikations- erwerbes. Anhand der Entwurfsaufgaben zeichnet sich jedoch auch die Tendenz zu geschlechterkonno- tierten Zuständigkeitsbereichen ab. Stärker als die ‘Separationsvariante’ finden wird im Seminar jedoch die ‘Ambivalenzvariante’, den latenten oder direkten Verweis der Studentinnen auf eine ‘eigentliche Be- stimmung’ als Hausfrau und Mutter.265 Dass Tesse- now der Berufstätigkeit von Frauen nach wie vor ab- lehnend gegenüberstand, wird nicht zuletzt anhand der tabuisierten Themenstellungen deutlich: Auf das ‘kleine Wohnhaus’ folgte nie das Mehrfamilienhaus. Und Wohnformen außerhalb eines expliziten Famili- enbezuges existierten hier ebenso wenig wie bspw. die Entwurfsaufgaben ‘Kindergarten’ oder ‘Altersheim’. Ob und wie diese augenscheinlichen Defizite im Se- minar resp. in der Fakultät diskutiert wurde, bleibt unklar. Bisher lassen sich keine expliziten Aussagen von Architekturstudentinnen zum Verhältnis der Ge- schlechter finden. Mit der leichten Zunahme von Ar- chitekturstudentinnen während des ersten Weltkrie- ges und der Weimarer Republik tritt weniger eine Normalität im Umgang mit Studentinnen als eine Nor- malität im Umgang mit deren Präsenz ein. Denn of- fenbar gewinnt die Frage des Geschlechterverhältnis- ses an Aufmerksamkeit: Während dem Studium von Architekturstudentinnen augenscheinlich keine nen- nenswerte Bedeutung mehr zugemessen wird, notie- ren die Professoren sehr genau, wie viele Studentin- nen in wessen Seminar studieren.263 Die Anwesenheit von Frauen an der Fakultät bleibt ‘gelitten’, vermeint- lich exklusiv ‘männliches’ - ‘objektiv-fachliches’ - Denken und Handeln System. Nicht nur in der Hal- tung einzelner Professoren und in einzelnen Fächern finden Studentinnen der Weimarer Republik Bedin- gungen vor, die ihnen bei deutlicher Überrepräsen- tanz von Männern mangelnde Akzeptanz signalisie- ren. Im Lehrbetrieb der Architekturfakultät der TH Charlottenburg finden wir Frauen lediglich sehr ver- einzelt als ‘Hilfsarbeiterin’ oder ‘Hilfsassistentin’. So arbeitet die Kunsthistorikerin Dr. Charlotte Giese hier zwischen 1924 und 1926 am Lehrstuhl für Bauge- schichte und zwischen 1930 und 1935 ebendort die ‘Hilfsassistentin’ Dipl.Ing. Helga Karselt.264 Hier bildet sich deutlich ab, dass ein beruflicher Aufstieg von Frauen innerhalb der Fakultät über die Stufe der Zuarbeit hinaus ausgeschlossen war. Dass der Geschlechterdiskurs aber auch an der TH Charlottenburg virulent war, verdeutlicht bspw. eine Aussage der Elektrotechnikstudentin Asta Hampe: „Man möchte so gern uns Ingenieurinnen abdrängen auf das ‘ureigenste’ Gebiet der Frau, auf ’Heim und 259 Vgl. FN 255. Wichert stellt die von ihm als fruchtbar einge- schätzte Polarität anhand von freier und angewandter Kunst, organischer Naturerscheinung und mathematischer Grundform sowie von Unikat - handwerklichem Ingenium - und Modell (für die maschinelle Erzeugung) dar. 260 FN 225 - Dr. Otto Kindt danke ich ganz besonders für die Zu- sammenstellung der Tessenow-Zitate „zum Thema Mann und Frau“. 261 Zu Karl Kraus vgl. Berger, 1982, S. 138ff. resp. FN 206, zu den Biologismen bei Loos vgl. bspw. Nierhaus, Irene: Arch6, Wien, 2001. 262 HTG, Nachlassheft Heinrich Tessenow X 10,11 resp. X,12. 263 Vgl. S.144 264 Die Rolle von Dr. Charlotte Giese (geb. 1893 Berlin) bedarf wei- terer Recherchen. Ob sie, die 1920 bei Waetzold in Halle pro- moviert hatte und am Lehrstuhl Daniel Krenckers - sie war zwi- schen 1924 und 1926 als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin am Architekturmuseum Berlin angestellt - arbeitete, von Architektur- studentinnen als Rollenmodell wahrgenommen wurde, muss hier offen bleiben. Zur Biografie Gieses vgl. auch Wendland, Ulrike: Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil, München, 1999, S.195. im Seminar Tessenow 147 Entwürfe exemplarischer Straßenkreuzungen, Heinrich Tessenow, 1946 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Technik’. Ich jedenfalls möchte betonen, daß die Begeisterung für elektrische Bügeleisen, Staubsauger und Kaffeemaschinen mich nicht zur Wahl des tech- nischen Studiums bestimmt hat. Das Entwerfen und der Bau von Nähmaschinen und anderen ‘Haus- und Küchengeräten’ ist ein konstruktives und fabrikatori- sches Sondergebiet.“ 266 Hampe problematisiert da- mit 1931 nicht nur die Tendenz des ‘Abdrängens’ auf vermeintlich geschlechtsadäquates Terrain. Sie nutzt die Gelegenheit auch zur Replik auf Äußerungen von Kolleginnen, die - wie die Vorsitzende des GDI267 - auf frauenspezifische Arbeitschancen in geschlechter- konnotierten Tätigkeitsfeldern der Ingenieurwissen- schaften hoffen. So hatte Ilse Knott ter Meer wenige Monate zuvor in den VDI-Nachrichten für den Einsatz von Ingenieurinnen auf dem Gebiet der Heim- und Haushaltstechnik plädiert: „Hier gibt es ohne Zweifel viele Fragen, die am besten von einer technisch vor- gebildeten Frau gelöst werden könne(n), da sie eben doch in den Bereich der Frau fallen.“ 268 Im Laufe der Recherchen bestätigte sich des öfteren der Eindruck, dass Tessenowstudentinnen, als ‘be- hütete’ Töchter ihrer Eltern eher Kompromisse als Konflikte suchten.269 In aller Regel ist dies ihr erstes Studium, und sie sind dabei - zumindest aus ihrer Sicht - auf die familiäre Alimentierung angewiesen. Für die Hypothese der Konfliktminimierung spricht auch die kaum auszumachende politische Haltung der meisten Studentinen.270 Denn obschon an der TH Charlottenburg politische Studentenvereinigungen existierten - wie der ‘Rote Studentenclub’ und der ‘Nationalsozialistische Studentenbund’ -, so scheinen Architekturstudentinnen hier nur sehr vereinzelt aktiv geworden zu sein.271 Ebenso selten engagierten sie sich nach bisherigem Stand der Recherche in Stu- dentinnenvereinigungen. Falls Tessenowstudentinnen mit gesellschaftspolitischen Ideen sympathisierten oder sich dafür engagierten, so taten sie dies - mit Ausnahme Leonie Behrmanns an den VS - offenbar nicht an der Hochschule.272 Tessenowstudentinnen sind in der Lage ihre Chancen zu finden und zu ergreifen, und zumeist durchaus ei- genwillige Individualistinnen. Sie verfügen häufig über „allerlei speziell großstädtische persönliche Eigen- schaften“, die dieser Beruf nach Tessenows eigener Einschätzung erfordert, auch wenn er selbst davon „bestenfalls immer nur andeutungsweise einiges be- saß“.273 So soll nicht nur Lieselotte von Bonin ebenso bestimmt wie couragiert aufgetreten sein. Fridel Hoh- mann studiert bspw. ebenso eigenwillig wie nach gu- sto, in dem sie jenseits von Studienordnungen zehn Semester lang an verschiedenen Orten studiert und darüber fast den Erwerb des Vordiploms versäumt.274 Sie zeigt sich von Konventionen unbeeindruckt, wenn sie - ebenso wie auch Ewa Freise oder Lieselotte von Bonin - unverheiratet mit ihrem Freund zusammen- zieht. Hanna Blank und Irina Kaatz arbeiten selbst- verständlich in einem eigenen Atelier in TH-Nähe, das auch für Kommilitonen zu einem Treffpunkt wird. Und Johanna Tönnesmann war - wie ihre jüngere Schwe- ster erinnert -„bis zum Abitur (..) eine gute, brave Schülerin mit tiefem Knoten. Zur Entlassungsfeier hatte sie sich plötzlich die Haare abgeschnitten. (..) Von da an war sie auch sonst ziemlich ‘genial’, mal stieg sie in Essen mit 3 Hüten übereinander aus dem Zug, mal kam sie nur mit Zeichenrolle an, das Ge- päck mußte ihr nachgeschickt werden.“ Gleichzeitig verfügte sie über „besonders viel Scharm, der sie bei Allen beliebt machte.“ 275 Ähnliche Züge erinnert der Kommilitone Gert Grossmann-Hensel bei Irina Kaatz: „Mit ihrem sehr weiblichen Charme bildete sie eigent- lich immer den Mittelpunkt des jeweiligen Personen- kreises. Dabei war sie bei aller Kontaktoffenheit auf Distanz bedacht, was respektiert wurde.“ 276 Auch wenn sich die meisten Tessenowstudentinnen bemühten, bürgerliche Konventionen nicht zu verlet- zen und familiäre Erwartungen zu erfüllen, so nutzten sie offenbar ihre habituellen Möglichkeiten, um deren Grenzen sowohl zu überschreiten wie zu ziehen. Und so sehr das Studium mancher TH-Studentinnen als verlängerte Adoleszenz unter elterlicher Aufsicht er- scheint, die Mehrheit dieser Architekturaspirantinnen studiert nicht nur zielstrebig sondern ebenso selbst- bewusst. Sie verbinden mit dem Architekturstudium die Erwartung, sich möglichst bald am realen Bau- geschehen aktiv zu beteiligen. Diesen Studentinnen bietet das Seminar Tessenow klare Rahmenbedin- gungen des Kompetenzerwerbs. Die Berechenbarkeit dieses Studiums basiert ebenso auf einer erkennba- ren, architektonischen Haltung wie auf einem über- schaubaren Aufbau. Die Kehrseite dieses verlässli- chen Rahmens bildet jedoch ein ebenso kanonisier- tes wie konditionierendes Studium mit nicht infrage zu stellenden, nahezu starren Kodizes. Quasi als Initiationsritus gehört hierzu das ‘kleine Wohnhaus’ ebenso wie die Suche nach der ‘einen Wahrheit’, was Posener folgendermaßen skizzierte: „Tessenow schloß ein Gespräch nicht ab, er wollte nur, daß der Lernende sich die Sache noch einmal überlegte; er war sicher, daß dieser dann den Weg zur Wahrheit finden werde.“ 277 Tessenow signalisierte eine Orientierung an ganzheit- lichen Lebensformen, die wohlwollende Förderung in- dividueller Kompetenzen und die Anerkennung fachli- cher Leistungen.278 Diese Mischung aus menschlicher und fachlicher Haltung machte ihn nicht nur als Pro- fessor im Entwurf für etliche der Architekturstudieren- den attraktiv. Der intellektuelle Reiz seines Seminars lag auch darin, dass hier Schlichtheit und Beschei- denheit zum Prinzip erhoben wurden, der Meister am 265 Zu den Varianten der Exklusion von Studentinnen vgl. Kap.2, S.32. 266 Goebel, 1931, S.177 267 Die Gesellschaft Deutscher Ingenieurinnen (GDI) wird 1930 in Berlin - als bis dato einzige kollektiven Interessenvertretung von Ingenieur(student)innen - gegründet. Die Maschinenbauingeni- eurin Ilse Knott ter Meer wird zur ersten Vorsitzenden gewählt. Zur Biografie Knott ter Meers vgl. Fuchs, 1994, S.117f. 268 VDI-Nachrichten Nr.24 vom 11.6.1930, hier zitiert nach Fuchs, 1994, S.121. 269 Bisher sind persönliche Aufzeichnungen von Tessenow-Studen- tinnen - wie bspw. die Tagebücher Luise Zaulecks - als Quellen- material kaum zugänglich. 270 Die politischen Haltungen der Studentinnen während des Stu- diums sind i.d.R. unbekannt. 271 Bisher lässt sich keine Tessenowstudentin im ‘Roten Studenten- club’ nachweisen. Hildegard Oswald [geb. Korte] erinnert, dass sie zeitweilig Leitungsfunktionen für Studentinnen im NSDStB wahrnahm. Vgl. Kap.6, S.173 272 Nach Erinnerung einer Kommilitonin soll sich bspw. Luise Zau- leck um 1936 - also nach dem Diplom - der KPD zugewandt haben. Ewa Oesterlen im Gespräch am 14.11.1997 273 LL zit. in Schuster, Franz: Über Heinrich Tessenow, in Hasche, Hans (Hg.): Die kleine und große Stadt. Nachdenkliches von Heinrich Tessenow, München, 1961, S.9 274 Ihr Vordiplom an der TH Stuttgart datiert vom 20.2.1934 und da- mit ein halbes Jahr vor der Diplomhauptprüfung in Berlin. 275 Barbara Büttner im Brief vom 3.3.1998 276 FN 220 277 Posener, 1979, S.366 278 Dass Tessenow individuell erbrachte Leistungen als solche dezi- diert zu würdigen versteht, mag mit seinen eigenen Erfahrungen zusammenhängen. De Michelis thematisiert dies anhand Tesse- nows Zusammenarbeit mit Schmitthenner. „Die veränderte Situ- ation [in den Saalecker Werkstätten] führt bald zu Misshelligkei- ten, vor allem weil Tessenow für seine Leistungen selbst verant- wortlich zeichnen will (..)“ de Michelis, 1991, S.343 148 Architekturstudentinnen Handwerk als ebenso sichtbarem wie berechtigtem Ausdruck des Unspektakulären festhielt.279 Gerade in einer Zeit, in der ‘Ingenieurkunst’ und ‘der Schrei nach dem Turmhochhaus’ die Konkurrenz in der Ar- chitektur beflügelte, bot sich hier ein Rahmen, in dem es nicht primär um Machbarkeit, sondern um Ange- messenheit ging. In diesem Seminar trat Konkurrenz nicht offen zu Tage. Und die Studentinnen erlebten diesen Lehrer als Garanten eines Kameradschaft- lichkeitsgebots, als Wahrer ihrer Interessen und als Förderer ihrer Kompetenzen.280 Sie sahen den Sinn eines Architekturstudiums primär im Erwerb berufli- cher Fähigkeiten und suchten bei ihm den Selbsttest als Planer- und Entwerferinnen, nicht unbedingt das große Experiment. Warum sollten diese Studentinnen an einem Lehrer zweifeln, der es offensichtlich gut mit ihnen meinte? Oder, soweit sie selbst von der Unterschiedlichkeit der Geschlechter überzeugt waren, geschlechtsko- dierte Themen zurückweisen, zumal ihre Qualifikation außer Frage stand? Heinrich Tessenow wusste auch ihre Studienleistungen zu würdigen. Dennoch ließ er kaum Zweifel darüber aufkommen, dass die fachliche Förderung von Studentinnen mit dem bestandenen Diplom ihren Abschluss erreicht habe. Und während er für die berufliche Entwicklung seiner Studenten auch weiterhin ein offenes Ohr hatte und bspw. zahl- reiche Empfehlungen verfasste, lässt sich bisher kein vergleichbares Engagement für seine Studentinnen finden. Obschon auch manche seiner Diplomandin- nen hinsichtlich einer Promotion immatrikuliert blie- ben, lässt sich keine Dissertation einer Studentin bei ihm nachweisen, während er Studenten durchaus auch promovierte.281 Resümee Tessenowstudentinnen waren zumeist in bürgerlichen Familien, mehrheitlich mit Geschwistern und fast aus- nahmslos in Großstädten aufgewachsen. Oft kamen sie bereits im Familien- und Verwandtenkreis - und damit im Kindesalter - mit Architekten oder Ingenieu- ren in Berührung. Denn die Väter dieser Studentinnen waren häufig selbst Architekten und Ingenieure, aber auch als Kaufleute oder in bildungsbürgerlichen Be- rufen tätig. Nur ausnahmsweise waren auch die Müt- ter erwerbstätig. Tessenowstudentinnen erwarben ausnahmslos ein Abitur. Sie nahmen mehrheitlich im Alter von knapp zwanzig Jahren und unmittelbar im Anschluss an die Schulausbildung das Studium auf. Diese Entschei- dung wurde von den Eltern - spätestens nach an- fänglicher Skepsis - unterstützt und begleitet, in Ein- zelfällen sogar forciert. Mögliche Schwellen und Wi- derstände wie „kritische Bemerkung[en] mancher Leute“ über das Studium von Frauen oder das Bau- stellenpraktikum begriffen die meisten Studentinnen eher als Herausforderung denn als Hindernis.282 So- weit sie zunächst ein anderes Fach studierten, wech- selten sie innerhalb von zwei Jahren zur Architektur. Ortsansässige Studentinnen lebten ganz überwie- gend weiterhin bei den Eltern, auswärtige Studentin- nen i.d.R. allein zur Untermiete. Das akademische Architekturstudium wurde von den meisten TH-Studentinnen als Berufsausbildung be- trieben. Manches Mal belegten sie daneben noch Neigungsfächer und häufig gingen sie in ihrer Freizeit kulturellen und sportlichen Hobbies nach. So zielge- richtet Tessenowstudentinnen das Pflichtprogramm in aller Regel bewältigten, so häufig dehnten sie die Büropraktika deutlich über die vorgeschriebene Zeit hinaus aus. Und soweit es die finanziellen Verhältnis- se zuließen, wechselten sie im Laufe des Studiums - i.d.R. nach dem Vordiplom - zumindest ein Mal die Hochschule. Nicht ganz so häufig wechselten sie den Entwurfsprofessor. Ob sie den ersten Studienab- schnitt an der TH Charlottenburg oder einer anderen Hochschule absolvierten, mehrheitlich traten diese Studentinnen direkt nach dem Vordiplom in das Se- minar Tessenow ein und bearbeiteten hier vier Ent- wurfsprojekte bis sie sich zum Diplom anmeldeten. Hier waren sie nie die einzige Studentin, blieben aber immer in einer Minderheitenposition. Tessenow repräsentierte eine ebenso ganzheitliche wie zurückhaltende Form des Baumeisters, eine Hal- tung mit der sich zahlreiche Studentinnen ebenso be- reitwillig identifizierten wie mit den im Seminar ange- botenen Themen und Ausdrucksformen. Studierende bearbeiteten hier - grundsätzlich in Einzelarbeit - zu- nächst die Entwurfsaufgabe ‘kleines Wohnhaus’. Auch die anschließend bearbeiteten Entwurfsaufga- ben waren häufig ebenfalls im Wohnungsbau und na- hezu immer in kleinstädtischer oder ländlicher Umge- bung angesiedelt. Als Diplomarbeit wurde i.d.R. ein öffentliches Gebäude bearbeitet, wobei die Studie- renden zumindest auf diese letzte Aufgabenstellung thematisch Einfluss nehmen konnten. Ausgangs- wie Zielpunkt von Tessenows Weltan- schauung war das familiär geprägte Wohnen und Ar- beiten, das nach seiner Vorstellung auch in ländlicher Umgebung und im Einklang mit der Natur gelebt wer- den sollte. In diesem Sinne schlug seine Präferenz für Siedlung und Kleinstadt bei den Entwurfsaufgaben in eine Art Exklusivität anachronistischer Lebensformen um. Tessenow ließ keine mehrgeschossigen Wohn- bauten oder gar Industriebauten studieren und ent- werfen. Seine Studierenden vollzogen mit Hilfe detail- lierter Aufmaße traditionelle Bautechniken nach, stu- dierten zahlreiche, handwerklich verfertigte Gebäude und entwarfen in Anknüpfung an das Bewährte. 279 „Der Handwerker rückt bei Tessenow zur zentralen Figur auf, weil er in der Lage ist, die Gegensätze miteinander zu versöh- nen, und sein Zuhause in Mäßigung und Gleichgewicht zu fin- den vermag.” De Michelis, 1991, S.77 280 Dass Studentinnen in Tessenow auch einen parteiischen Förde- rer sahen, zeigt bspw. ein kolportiertes Zitat von Gisela Ehren [geb. Schneider] anlässlich der 1964 unter den Mitgliedern der Heinrich-Tessenow-Gesellschaft durchgeführten Meinungsum- frage zur Vergabe des Heinrich-Tessenow-Preises: „Meine Frau Gisela zu diesem Thema: Es wäre sehr im Sinne von Heinrich Tessenow, wenn dieser Preis nur an Frauen verliehen würde.“ HTA, HTG 64-65, NL Jessen. Josef Ehren, Nachtrag zum Brief an Otto Kindt vom 24.11.1964, bzgl. Heinrich-Tessenow-Preis. 281 So promoviert bspw. Rudolf Wolters 1930 bei Tessenow über Bahnhofsbauten. Vgl. Engstfeld, 2000, S.232. Vgl. hierzu auch Kap. 6, S.177 282 „Wozu ein Studium für ein Mädchen? Schnell wirst Du heiraten, und dann sind Geld und Arbeit für das Studium umsonst gewe- sen.“ Derlei Vorbehalte erinnert Iwanka Hahn, FN 32. im Seminar Tessenow 149 Und während Tessenow auf der theoretischen Ebene aus Formeln und Begrifflichkeiten auszubrechen und sprachlich - dies zeigen die zahlreichen Wortschöp- fungen und Umschreibungen - nach einer Erweite- rung des Vokabulars suchte, blieb im architektoni- schen Entwurf die Reduktion bereits bekannter Aus- drucksrepertoires Maxime. Diese Suche nach dem Wesentlichen durch größtmögliche Reduktion auf ebenso gültige wie ‘wahre’ Ausdrucksformen wurde mit der Hoffnung verknüpft, dass dergestalt ein Ge- genpol zu den Entfremdungen des modernen Lebens zu finden sei - zu Maschinisierung, Industrialisierung und Verstädterung. Doch so sehr Tessenow die Kon- kretisierung eines Gegenentwurfes zur ‘Massenge- sellschaft’ in Form einer (be)greifbaren, auf das We- sentliche konzentrierten Lebenswelt auch proklamier- te, die Aufgabenstellungen für die Studierenden neh- men kaum Bezug auf Umgebung oder Kontext. Die Studienentwürfe zeigen in lebendigen Darstellungen alltägliche Details und wirken dennoch seltsam iso- liert vom aktuellen Baugeschehen. Das Seminar bot in seinen handwerklichen und tradi- tionellen Bezügen auch über die Jahre ebenso kon- stante wie vergleichbare Studienbedingungen. Es er- wies sich für Frauen als zugänglich und sprach viele so stark an, dass sie hier ganz im Sinne des Meisters studierten. Tessenow gestand den ‘Mädchen’ in sei- nem Seminar quasi einen Ausflug in Welt des ‘männ- lich-Großweltlichen’ zu: Während einer verlängerten Adoleszenz durften sie hier unter Begleitung durch den Meister - und behütet vor der Unbill realer Mög- lichkeiten und Machtverhältnisse - ihren Fähigkeiten und Neigungen nachgehen. Erst im Laufe der dreißi- ger Jahre zeichneten sich auch geschlechtersegre- gierende Aufgabenstellungen ab. Tessenows architektonische und menschliche Hal- tung beeindruckte zahlreiche Studierende. Die Auf- merksamkeit, die er zahlreichen unspektakulären - Gestaltungsaufgaben widmete, schien auch seinen Studentinnen Anknüpfungs- und Identifikationsmög- lichkeiten zu eröffnen. Während den realiter studie- renden und entwerfenden Architekturstudentinnen suggeriert und zertifiziert wurde, dass sie die ihnen zugewiesenen Aufgaben fachgerecht lösen, blieb das in der Diskussion begriffene Berufsbild auch an den Hochschulen auf „ausgesprochene Architekten“ fo- kussiert, das Berufsfeld für ‘nicht-männliche’ Diplom- Ingenieure nur bedingt geeignet.283 Und obschon Tes- senows Kritik an der „Einseitigkeit des Weltmänni- schen“ auf eine Ausgewogenheit der Persönlichkeit zielte, auch seine Vorstellung vom Baumeister wie vom Verhältnis der Geschlechter blieb mit männlicher Dominanz amalgamiert. Das geschlechterpolare Den- ken Tessenows wurde von seinen Studentinnen ge- teilt oder ignoriert. So wenig die Hierarchie der Ge- schlechter im Seminar thematisiert wurde, sie wurde auch nicht in Frage gestellt. Hier blieben die Regeln bürgerlichen Anstands unangetastet, die ihnen nor- mativ eingeschriebenen Unterschiede immer präsent. Im Unterschied zu den ‘Herren Kollegen’ wurde Stu- dentinnen auf dem Weg in eine berufliche Existenz keine professionelle Perspektive als selbständige Kol- leginnen gewiesen. Es blieb damit ebenso offen wie den Studentinnen selbst überlassen, außerhalb derart väterlicher Fürsorge Talente und Qualifikationen um- zusetzen. So sehr diese sich auch mit dem Ideal des selbständigen Baumeisters identifizierten und sich die Maximen - wie den ‘Mut zur Einfachheit’ - zu ei- gen machten, nach der ‘Logik’ geschlechtsspezifi- scher Passgenauigkeit zeichnete sich für sie lediglich eine semiprofessionelle Existenz ab: Als Mitarbeiterin oder Kameradin an der Seite von Männern. Tessenowstudentinnen scheinen Fragen des Ge- schlechterverhältnisses in aller Regel sehr wohl er- wogen zu haben. Häufig sahen sie sich selbst als gleichwertige Kameradin ihrer Kommilitonen resp. Kollegen. Ohnehin war die Atmosphäre im Seminar von einem kameradschaftlichen Umgang geprägt. Sexuelle Beziehungen blieben für die meisten Stu- dentinnen vor einer Heirat tabu. Es entstanden zahl- reiche Freundschaften und Bindungen, mindestens ebenso häufig zu Kommilitonen wie zu Kommilitonin- nen, die auch beim Berufseinstieg manches Mal ge- nutzt werden konnten. Tessenowstudentinnen waren junge Frauen mit viel- fältigen Neigungen und manch eigenwilligen Interes- sen. In aller Regel suchten sie im Studium nach einer Möglichkeit, ihre vielseitigen Fähigkeiten zielgerichtet weiterzuentwickeln und ihre Handlungsradien zu er- weitern. Sie studierten ebenso wissbegierig wie en- gagiert und in der Regel ebenso erfolgreich wie zü- gig. Hierfür erhielten sie bei Tessenow ebenso ein Diplom wie ihre Kommilitonen und damit auch die formale Voraussetzung für einen Einstieg in den Be- ruf. Ein Drittel dieser Studentinnen diplomiert inner- halb von neun Studiensemestern, ein weiteres Drittel innerhalb von höchstens elf Semestern. Obschon auch Tessenowstudentinnen Lehrer und Orte wechselten, sich für andere Fächer und unter- schiedliche Zugänge zur Architektur interessierten, ein Verlassen des akademischen Ausbildungs-weges kam für sie nicht in Frage. Im Entwurfsduktus wie in der Darstellung adaptierten sie den Meister und des- sen Erwartungen. Und der Haltung, konkrete Gebäu- de für bekannte Nutzungen in der Tradition hand- werklicher Formensprachen zu entwickeln, blieben sie häufig weit über das Studium hinaus verpflichtet. 283 So betont Poelzig 1931 bei der Auswahl der ausstellungswürdi- gen Schülerarbeiten, dass es sich um selbständige Arbeiten frü- herer Schüler handelt „soweit sie ausgesprochene Architekten wurden“. FN 39, S.2 150 Architekturstudentinnen Tessenowweg in Hannover Mitglieder der Heinrich-Tessenow-Gesellschaft bei der Einweihung, Anfang der 1970er Jahre, 2.v.l. Luise Seitz Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 6 Studiengänge und Studentinnen im Vergleich Kapitale im Vergleich (152) - Berufsvererbung und Studienwünsche (154) - Studienmotivatio- nen und Lehrerwahl (155) - Werkstatt und Lehre versus Vorlesung und Seminar (157) - Reale Aufgaben - reelle Entwürfe (160) - Studium oder ‘Schule’? (162) - Mädchen, Frauen, Kameradin- nen (170) - Studiendauer - Studienerfolge (174) - Realitäten und Projektionen (175) - Ambitio- nen und Konsequenzen (178) - Resümee (179) Die Architekturstudentinnen der Weimarer Republik - darunter die Tessenow- und Bauhausstudentinnen - sind nicht mehr Pionierinnen im engeren Wortsinn. In einer deutlichen Minderheitenposition, jedoch nicht mehr völlig vereinzelt, beginnen sie ihr Studium in ei- ner Zeit, in der das Berufsfeld durch ökonomische Krisen geschüttelt, durch gewandelte gesellschaftli- che Erwartungen und Möglichkeiten im Umbruch be- griffen ist. Die Ausbildungsrichtungen ‘Tessenow’ an der TH Charlottenburg und ‘Bauhaus’ - in Weimar, Dessau und Berlin - existierten unterschiedlich lange, davon zwischen 1926 und 1933 zeitgleich. Von den mehr als 400 Studentinnen, die am Bauhaus zwi- schen 1919 und 1933 studierten, interessierten sich zumindest 52 Studentinnen - unter anderem oder ins- besondere - für architektonische Fragestellungen. Bei Tessenow studierten an der TH Charlottenburg zwi- schen 1926 und 1939 - einschließlich der Gaststu- dentinnen - mindestens 34 Studentinnen Architektur.1 Ausschließlich während der überlappenden Zeitspan- ne zwischen 1926 und 1933 studierten 35 - also zwei Drittel - der architekturinteressierten Bauhausstuden- tinnen und 18 - damit knapp die Hälfte - der Tesse- nowstudentinnen. Die Studienzeit der Mehrzahl aller hier betrachteten Studentinnen fällt somit in das enge Vergleichsraster. Elf dieser achtzehn Tessenowstu- dentinnen schlossen ihr Studium zwischen 1930 und 1933 mit Diplom bei Tessenow ab. Das Bauhaus ver- ließen nur vier Studentinnen mit einem Bau- resp. Ausbau-Diplom. Diese vier Diplome wurde 1932 aus- gestellt. In den folgenden Vergleich werden auch die früher oder später studierenden Studentinnen einbe- zogen.2 Während am Bauhaus de facto nur zwischen 1927 und 1932 von einem Architekturstudium gesprochen werden kann, lässt sich die Studiensituation im Semi- nar Tessenow zumindest bis Mitte der dreißiger Jahre als nahezu stabil bezeichnen.3 Diese Diskrepanz der Rahmenbedingungen verschärft sich beim Vergleich der Studiensituationen unter Genderaspekten: Wäh- rend Architekturstudentinnen im Seminar Tessenow über den gesamten Zeitraum ein weitgehend kanoni- siertes Studium unter annähernd geschlechteregalitä- ren Bedingungen absolvieren, finden wir in allen Pha- sen des Bauhauses Studentinnen, denen es ange- sichts weitgehend ungeregelter, mehrfach modifizier- ter und weitgehend geschlechtergetrennter Studien- bedingungen nur in Ausnahmefällen gelingt, bis in den Bereich der Architektur überhaupt vorzudringen. Um die Relation von Gender zu Ausbildungschancen resp. Berufsqualifikationen in der Architektur während der Weimarer Republik ausloten zu können, wurden die beiden Schulen - Bauhaus und Seminar Tesse- now - unter besonderer Berücksichtigung der Situati- on von Studentinnen untersucht und in den vorange- gangenen Kapiteln dargestellt. Im folgenden wird der Versuch unternommen, generationenspezifische Ge- meinsamkeiten und ausbildungsspezifische Beson- derheiten vergleichend zu diskutieren. Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 151 1 Dies bedeutet einen gesicherten Anteil von 6% (Gesamtzahl der Studierenden hier ermittelt anhand der StudentInnenkartei). Im Zeitraum zwischen 1928 und 1936 studieren bei Tessenow zumindest 25 Studentinnen Architektur. 15 schließen bei ihm mit Diplom ab. 2 Dies auszuschließen, ergäbe insbesondere bzgl. der Bauhaus- studentinnen ein unzulängliches Bild, auch wenn die Verände- rung der ökonomischen wie politischen Rahmenbedingungen die Studien- und Lebenssituationen mancher Architekturstuden- tinnen massiv beeinflussten. 3 Das politische Klima an der TH Charlottenburg veränderte sich bereits um 1930 spürbar, da hier die Konfrontation mit national- sozialistischen Ideen und Praktiken u.a. durch den NSDStB deutlich präsent war. Kapitale im Vergleich: Unterschiede und Gemein- samkeiten der Sozialisationen von Tessenow- und Bauhausstudentinnen Architekturstudentinnen der Weimarer Republik kom- men häufig aus technisch orientierten Mittelschichten des großstädtischen Bürgertums oder kulturell orien- tierten großbürgerlichen Elternhäusern. Die ganz überwiegende Zahl dieser Studentinnen stammt aus finanziell abgesicherten bis sehr gut ausgestatteten Verhältnissen. Dabei unterscheiden sich die sozialen und kulturellen Milieus der Herkunftsfamilien von Tes- senowstudentinnen deutlich weniger als die von Bau- hausstudentinnen. Tessenow- wie Bauhausstudentin- nen wachsen nur selten in Großfamilien, manches Mal als Einzelkinder, zumeist jedoch mit ein oder zwei Geschwistern auf. Ihr künstlerisches Interesse wird manches Mal durch die Mütter, ihr naturwissen- schaftliches, mathematisch-technisches oder archi- tektonisches Interesse oft durch die Väter geweckt. Die meisten architekturinteressierten Bauhausstuden- tinnen sind mit einem selbständigen Kaufmann oder Unternehmer als Vater, nur ausnahmsweise mit be- rufstätigen, häufig jedoch mit kulturell umtriebigen Müttern aufgewachsen. Sie kommen aus dem Bil- dungsbürgertum, häufiger noch aus dem Besitzbür- gertum. Vereinzelt finden wir am Bauhaus auch Ar- chitektentöchter und ausnahmsweise Studentinnen aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Im Unterschied dazu wachsen Tessenowstudentinnen nie in kleinbür- gerlichen Verhältnissen auf. Sie stammen teilweise aus einem kaufmännisch geprägten Milieu, das vom Buchhändler bis zum Bankier reicht. Weitaus häufiger sind sie jedoch Töchter von Ingenieuren oder Archi- tekten, die zum überwiegenden Teil in öffentlichen Diensten tätig sind. Auch hier sind die Mütter nur sel- ten berufstätig, noch seltener treten sie öffentlich in Erscheinung. Arzt- und Pfarrerstöchter studieren ver- einzelt sowohl am Bauhaus als auch bei Tessenow. Töchter aus Lehrerfamilien sind unter den Architek- turstudentinnen an der TH Charlottenburg, nicht aber am Bauhaus zu finden.4 Auch die familiären Konstel- lationen von Tessenow- und Bauhausstudentinnen unterscheiden sich. Während Tessenowstudentinnen häufig die ältesten oder einzigen Kinder ihrer Eltern sind, zeigen die Geschwisterkonstellationen von Bau- hausstudentinnen keine Auffälligkeiten.5 Während jedoch in den Familien von Tessenowstu- dentinnen i.d.R. alle Geschwister vergleichbare Aus- bildungswege durchlaufen resp. ebenfalls studieren, tun dies in den Familien von Bauhausstudentinnen häufig nur die Brüder.6 Hier ergreifen die Schwestern in aller Regel ‘weibliche Berufe’ oder heiraten ohne jegliche Ausbildung. Hieran wird sichtbar, dass die Elternhäuser von Bauhausstudentinnen traditionellen Geschlechterrollen weit deutlicher und länger verhaf- tet bleiben als die aufgeklärt bildungsbürgerlichen, resp. technikorientierten Kreise, in denen TH-Studen- tinnen aufwachsen. Diese – auch durch die Konfes- sionszugehörigkeit gekennzeichneten - Milieus beein- flussten die Bildungschancen der Mädchen deutlich, obschon die Religion in den meisten Familien der Architekturstudentinnen keine zentrale Rolle spielte.7 Stammten die Architekturstudentinnen der Kaiserzeit noch ganz überwiegend aus protestantischen Famili- en und zu einem Drittel aus jüdischen Elternhäusern, so ist während der Weimarer Republik ein Zuwachs an protestantischen und sukzessive auch katholi- schen Architekturstudentinnen zu verzeichnen, wäh- rend die absolute Anzahl der jüdischen Studentinnen annähernd konstant bleibt. Bauhausstudentinnen sind zum ganz überwiegenden Teil in protestanti- schen, zu einem Drittel in jüdischen Elternhäusern aufgewachsen. Auch Tessenowstudentinnen wuch- sen ganz überwiegend in protestantischen, zu einem Viertel in katholischen, nur selten in jüdischen Eltern- häusern auf. Damit sind insbesondere am Bauhaus die christlich sozialisierten Architekturstudentinnen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung immer noch weit unterrepräsentiert, was auf die hohe Repressivität christlicher Mädchenerziehung verweist.8 Entscheidender als die soziale Situation der Her- kunftsfamilie war also das kulturelle Milieu, das Mäd- chen mit vielseitigen Neigungen die Chance eröffne- te, kulturelles Kapital zu erwerben und ihr Interesse an der Architektur zu entdecken. Nahezu selbstver- ständlich besuchten Studentinnen der Weimarer Re- publik in den zehner und zwanziger Jahren weiterfüh- rende Schulen, widmeten sich daneben Musik- und Zeichenstudien. Häufig nahmen sie ebenso selbstver- ständlich am kulturellen und gesellschaftlichen Leben teil, trieben Sport, bereisten kulturelle Stätten im In- und Ausland, besuchten Konzerte, Kino und Theater, lasen Presse und - insbesondere zeitgenössische - Literatur. Im Unterschied zu den Architekturstuden- tinnen der Kaiserzeit erwarb die große Mehrheit der Studentinnen der Weimarer Republik bereits ein Re- gelabitur. Sie gehören jener ersten Frauengeneration an, die - durch den enormen Aufschwung der Mäd- chenbildung nach der Jahrhundertwende - in den größeren Städten nun ohne Umwege und Zusatzprü- fungen das Abitur erwerben konnte. Tessenowstudentinnen absolvierten mehrheitlich Re- algymnasien mit mathematischem Schwerpunkt, ver- einzelt auch humanistische Gymnasien. Sie schlos- sen die Schulbildung zumeist zielstrebig und immer mit einem Abitur ab. Nur die Hälfte der Bauhausstu- dentinnen erwarb ein Abitur. Sie besuchten zumeist Lyzeen, manches Mal Reformschulen und durchliefen mehrheitlich Vorbildungen mit sprachlichem oder mu- sischem Schwerpunkt. Manche - wie Alexa Gutzeit, 4 Auch Architekturstudentinnen in den Seminaren Poelzig und Taut an der TH Charlottenburg sowie an der Bauabteilung der Vereinigten Staatsschulen in Berlin sind – so das Ergebnis von Stichproben - häufig als Töchter von Architekten oder Ingenieu- ren sowie von Kaufleuten aufgewachsen. 5 Die Geschwisterfolge ist nur manchmal bekannt. Die Jüngsten unter mehreren Geschwistern waren bspw. Beese, Both, Meyer und Rogler. Relativ häufig sind sie die Ältesten, so Bernoully, Enders, Fernbach, Helm, Josefek, Reiss, Schneider, Swan, Si- mon-Wolfskehl, Ulrich. Von den Tessenowstudentinnen sind nur Freise, Gaiser, Pfeiffer, Schneider, Tönnesmann und Zauleck die Erstgeborenen. 6 So studierten bspw. auch die Schwestern von Behrmann, Belo- weschdowa, Dirxen, Freise, Karselt, Schneider, Tönnesmann, Waltschanowa und Zauleck, während dies bei den Bauhausstu- dentinnen lediglich den Schwestern von Helm, Reiss und einer der drei Schwestern von Meyer-Waldeck vergönnt ist. 7 Dennoch genossen Bauhaus- und Tessenowstudentinnen fast ausnahmslos auch eine religiöse Erziehung. Ruth Hildegard Raack. Katt Both und Luise Zauleck wuchsen in Pfarrersfamilien auf. 8 Im Seminar Tessenow studieren damit relativ viele katholische, relativ wenige jüdische Studentinnen. Am Bauhaus ist der Anteil katholischer Studentinnen auffallend niedrig. Letzteres zeigt Pa- rallelen zur Konfessionsstreuung bei Architekturstudentinnen der Kaiserzeit. Bisher lassen sich jedoch keine eindeutigen ‘Konfes- sionsprofile’ der Ausbildungsinstitutionen erstellen. 152 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? Wera Meyer-Waldeck und Rose Mendel - erhielten zeitweilig Privatunterricht. Während die Vorbildungen von Bauhausstudentinnen nicht immer bruchlos und - qua Inhalten und Qualifikation - insgesamt hetero- gen sind, erwerben Tessenowstudentinnen ihre schu- lische Bildung ausnahmslos an öffentlichen Bildungs- einrichtungen. Als Abiturientinnen können sie zwis- chen nahezu allen akademischen Studienrichtungen wählen. Weiterführende Schulen besuchen Bauhaus- wie Tessenowstudentinnen ausnahmslos in Groß- städten, zu mehr als einem Drittel in Berlin. Dass Architekturstudentinnen der Weimarer Republik - darunter auch die Tessenow- und Bauhausstuden- tinnen - ihr kulturelles Kapital überwiegend in Groß- städten erwerben, ist kein Zufall.9 Bereits 1929 kon- statierte Edith Jacoby-Orske, „daß die Großstadt für den Geist, die Intelligenz, das Berufsstreben einer wachsenden Frauenschicht willkommene Möglichkei- ten öffnet, daß die Großstadt eher als der kleinere Ort den Gesichtskreis weitet, Menschen- und Lebens- kenntnis entwickelt. (..) Während man sonst noch sehr weit entfernt ist von der vollkommenen Sach- lichkeit der Zusammenarbeit und der selbständigen Wertung der Frauenleistung, die die führenden Frau- en in der Großstadt heute schon als Selbstverständ- lichkeit voraussetzen können.“ 10 Im Gegensatz zum „starren Kastengeist der Klein- stadt“ eröffnete sich im großstädtisch-liberalen Um- feld den um die Jahrhundertwende geborenen Mäd- chen die Möglichkeit, individuelle Interessen nahezu ohne Rücksicht auf Geschlecht zu verfolgen. Und of- fensichtlich machten sie davon vielfältig Gebrauch, fanden mit ihren Aktivitäten und Leistungen Anerken- nung und Bestätigung, erlebten in ihrem Tun Erfolge und konnten den - in einer ‘geschlechter-relativen’ Gesellschaft vermeintlich ungewöhnlichen - Studien- wunsch Architektur individuell entwickeln. In ihrer Jugend verfolgten Tessenow- wie Bauhaus- studentinnen fast ausnahmslos musikalische und kul- turelle Interessen. Tessenowstudentinnen scheinen daneben häufig in ihren sportlichen und mathema- tisch-naturwissenschaftlichen Neigungen, Bauhaus- studentinnen in ihren musischen Ambitionen ermutigt worden zu sein. Tessenowstudentinnen wuchsen im- mer in wohlgeordneten Familienverhältnissen auf. Sie wurden häufig bildungsbürgerlich behütet, manches Mal liberal erzogen. Bauhausstudentinnen wurden häufig liberal erzogen. Manche suchten eigenwillig Freiräume, die sich anderen bereits durch die - nicht immer bürgerliche - Familienkonstellation boten. Im Laufe ihrer schulischen wie außerschulischen Aktivi- täten fanden auch die behüteteren Töchter Gelegen- heiten, kreative Fähigkeiten zu entwickeln und eige- nen Mut zu erproben. Das kulturelle Kapital, das Bauhaus- und Tessenow- studentinnen im Laufe ihrer Sozialisation i.d.R. erwer- ben, ist außergewöhnlich vielfältig und dem von Söh- nen vergleichbarer gesellschaftlicher Kreise in den großen Städten des Deutschen Reiches während der Weimarer Republik zumindest äquivalent. Und öfter als die jeweiligen Kommilitonen, weit häufiger als Studentinnen anderer Fächer fanden Architekturstu- dentinnen der Weimarer Republik in ihren Eltern An- sprechpartner, die dank der eigenen Bildungserfah- rung den Studienwunsch der Tochter akzeptierten oder zumindest tolerierten. Während Karl Keller 1928 im Hinblick auf die Architekturstudenten konstatierte, dass deren soziale Schichtung im wesentlichen dem Durchschnitt aller Studierenden entspricht11, stellte die Studiendirektorin Anna Schönborn bei ihrer Ana- lyse der Bildung der Väter von Studierenden aller Studienrichtungen 1932 ein Gefälle fest: „Von den Vätern der Studentinnen haben mehr als 30% akade- mische Bildung, von den Studenten knapp 20%.“ 12 Bauhaus- und Tessenowstudentinnen sind noch weit häufiger Kinder von Akademikern: Zumindest Drei- viertel der Väter waren im Besitz eines akademischen Abschlusses. Berücksichtigt mensch daneben noch die Akademikerinnen unter den Müttern, so lassen sich die familiären Rahmenbedingungen von Archi- tekturstudentinnen der Weimarer Republik als bil- dungsbürgerlich privilegiert bezeichnen. Hierbei wird aber auch sichtbar, in welch hohem Maße die Akzep- tanz eines Architekturstudiums von Frauen während der Weimarer Republik vom elterlichen Bildungsni- veau abhängig war. Während die weitaus meisten - Dreiviertel - der Tes- senowstudentinnen ihr Architekturstudium direkt nach der Reifeprüfung aufnehmen, haben Dreiviertel der architekturinteressierten Bauhausstudentinnen zuvor bereits einen Ausbildungsweg eingeschlagen, ein Studium begonnen oder absolviert.13 Auch Archi- tekturstudentInnen Technischer Hochschulen interes- sieren sich vereinzelt für ein Studium am Bauhaus.14 Die Mehrheit der Bauhausstudentinnen ist bei Studi- enbeginn am Bauhaus bereits Mitte zwanzig oder äl- ter. Im Unterschied dazu sind Tessenowstudentinnen in der Regel noch minderjährig und damit kaum jün- ger als jenes Drittel der architekturinteressierten Bau- hausstudentinnen, das sich direkt nach dem Schul- besuch am Bauhaus immatrikuliert.15 Diese unter- schiedlichen Zugänge zum Architekturstudium kor- relieren i.d.R. mit der Entstehung resp. Entwicklung des Studienwunsches. 9 Im Vergleich zur ersten Studentinnengeneration sind architektur- interessierte Studentinnen der Weimarer Republik weit häufiger bereits in Großstädten geboren und aufgewachsen. Tessenow- studentinnen wachsen fast ausnahmslos, Bauhausstudentinnen überwiegend in großen Städten auf. Seltener als Tessenowstu- dentinnen kamen sie dort bereits zur Welt. 10 Jacoby-Orske, Edith: Die Frauen in der Kleinstadt, in: Neue Frauenkleidung und Frauenkultur, 25.Jg., Heft 14, 15.4.1919, S.413. Obschon sie den „starren Kastengeist der Kleinstadt” kri- tisiert, konzediert sie auch: „Für den Durchschnitt der Frauen sind andere Werte entscheidender: die lebendige Gemeinschaft im Hause, der die kleine Stadt günstiger ist als die große.“ 11 Keller, Karl: Die Entwicklung des Frauenstudiums, Vorwort zur Hochschulstatistik des Jahres 1928, Berlin, 1929 12 Schönborn, Anna: Die Frau als Akademikerin, in: Grabei, Paul (Hg.): Vivat Academia, Essen, 1932, S.94-97, hier S.95 13 Nach bereits abgeschlossenen Hochschulstudien nehmen Mara Utschkunowa, Tony Simon-Wolfskehl, Ruth Hildegard Raack, Ursula Schneider und Mathy Wiener ihr Studium am Bauhaus auf. Nach abgebrochenen Kunst-, Grafik-, Design- oder Musik- studien kommen u.a. Katt Both, Annemarie Wilke, Wera Meyer- Waldeck, Annemarie Wimmer, Hilde Katz, Lila Ulrich und Rose Mendel. Bereits auf dem Hintergrund mehrjähriger Berufstätig- keit beginnen bspw. Lotte Beese, Lore Enders, Ruth Josefek, Grete Meyer und Anny Wettengel ein Bauhausstudium. Tessenowstudentinnen haben nur in Ausnahmefällen – so Anni Pfeiffer oder Hildegard Korte - bereits zuvor ein Studium ande- rer Disziplinen aufgenommen. 14 So Tony Simon-Wolfskehl, Ursula Schneider, Hilde Reiss resp. Sigrid Rauter. Zu den vormaligen TH-Studenten gehören bspw. Edmund Collein und Hans Keßler (TH Darmstadt resp. Stutt- gart). Aber auch Ferdinand Kramer (1898-1985) soll 1919, er- muntert durch seinen Lehrer Theodor Fischer, von der TH Mün- chen kommend einige Monate am Bauhaus Weimar verbracht haben. Da es jedoch noch keine Architektenausbildung gab, ging er nach wieder zurück zu Fischer. (Vgl. Kramer, Beate: 36 Jahre mit Ferdinand Kramer, Interview Claude Lichtenstein, in: Ferdinand Kramer, Katalog, Gießen, 1991, S.12ff.) 1921 kommt auch Konrad Wachsmann nach Weimar. Auch er - seit 1920 Ar- chitekturstudent bei Tessenow in Dresden - kommt schnell zu der Einschätzung, dass ein Architekturstudium am Bauhaus nicht möglich sei. Sein retrospektiver Abgleich von Programm und Realität ist deutlich: „Gropius bestimmte in seinem Pro- gramm den Bau zum Endziel aller Bemühungen, aber es wurde nicht gebaut. (..) Und das Haus Sommerfeld in Berlin-Dahlem war alles andere als überzeugend. Da wucherten Ornamente.“ Gruening, Michael: Der Architekt Konrad Wachsmann, Erinne- rungen und Selbstauskünfte, Wien, 1986, S.141 15 Ab 1928 steigt auch am Bauhaus der Anteil der knapp 20-jähri- gen Abiturientinnen deutlich an. Insgesamt liegt das rechneri- sche Durchschnittsalter der Bauhausstudentinnen bei Studien- beginn mit 23 Jahren deutlich über dem von Studentinnen an Technischen Hochschulen. Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 153 Berufsvererbung und Studienwünsche Im Unterschied zur Kaiserzeit greifen Architekturstu- dentinnen während der Weimarer Republik mit ihrem Studienwunsch häufig die väterliche Berufstradition auf.16 Nur wenige der Bauhausstudentinnen, jedoch fast die Hälfte der Tessenowstudentinnen war im Umfeld von Architekten oder Ingenieuren aufgewach- sen und hatte damit bereits Berufsangehörige in per- sonae kennengelernt.17 Der Frage der ‘Berufsvererbung’ - 1906 wird dies in der Reichsstatistik erstmalig als signifikantes Merk- mal freier Berufe thematisiert - wurde bei der Studi- enfachwahl von Töchtern bisher weder dokumentiert noch untersucht.18 Im Sinne einer familiären Tradie- rung konkurrieren bei ‘Vererbung’ des Berufes von den Vätern auf die Töchter – im Unterschied zur ‘Ver- erbung’ auf die Söhne - jedoch zwei sich ausschlie- ßende Rollen: Die der väterlichen und die der müt- terlichen Traditionslinie. Damit ist die Frage der Be- rufsperspektive auch im Hinblick auf geschlechtsspe- zifische Passgenauigkeit virulent. Eine ‘Vererbung’ des technischen Berufsinteresses durch Mütter, Tan- ten oder ältere Schwestern scheint in dieser Genera- tion noch nahezu ausgeschlossen.19 Vereinzelt lassen sich jedoch freiberuflich erfolgreiche Frauen im Fami- lien- und Bekanntenkreis nachweisen. Deren konkre- te Vorbild- und Unterstützerinnenrolle kann hier nicht dokumentiert werden, dürfte aber nicht zu unter- schätzen sein. Besorgte Eltern fragen sich häufig bereits zu Studien- beginn, ob dieses Berufsfeld für ihre Tochter geeig- net sei. Architektenväter zweifeln häufiger, ob die Tochter für das Berufsfeld geeignet sei. Auch wenn sie das Interesse der Töchter geweckt oder gefördert haben, beurteilen sie Begabung wie ‘standing’ oft skeptisch. Damit sind auch die Architektentöchter bereits zum Zeitpunkt der Studienwahl mit der Frage konfrontiert, inwieweit ihr Geschlecht diesem Fach- studium resp. einer professionellen Etablierung in diesem Berufsfeld im Wege stehen könnte. Etliche der Architekturstudentinnen stammen aus fa- miliären Verhältnissen, in der die Studienfachwahl nicht zwingend mit einer Erwerbsperspektive ver- knüpft werden muss. Sie nutzen das Privileg, unab- hängig von einer beruflichen Verwertbarkeit zu stu- dieren. Diese finanziell privilegierte Situation ändert sich in manchen Familien jedoch noch während der Studienzeit. Die Erwartungshaltung gegenüber einem technischen Studium formulierte eine Maschinenbau- studentin dieser Generation folgendermaßen: „Ich wollte ein Leben, in dem ich mich nie langweilen wür- de, d.h. ein Leben, in dem immer neue Dinge auftau- chen würden (..) Ich wollte ein Berufsleben, bei dem ich immer glücklich sein würde, auch wenn ich unver- heiratet geblieben wäre.“ 20 Glaser und Herrmann kommen in ihrer Untersuchung zu dem Schluss, dass die von den Eltern getragene Studienentscheidung in den meisten Fällen keine ei- gene Entscheidung - aufgrund persönlicher Interes- sen und Absichten - gewesen sei. Dementsprechend habe sie noch keinen eigenen Entschluss für einen späteren Beruf beinhaltet, da sie i.d.R. „entweder in Abgrenzung zu anderen traditionellen Berufslaufbah- nen oder unter dem Einfluß von Familientradition oder sogar unter einem gewissen Druck von seiten der Eltern“ erfolgt sei: „Es war noch nicht die Phase der aktiven Durchsetzung eigener Lebensentwürfe.“ 21 Ob diese Feststellung auch auf Architekturstudentin- nen der Weimarer Republik zutrifft, muss bezweifelt werden. Denn gerade bei Tessenowstudentinnen wird deutlich, dass sie mit ihrer Studienfachwahl häu- fig auch bereits eine eindeutige Berufswahl treffen. Und die hohe Zahl der Studienabbrecherinnen und Fachwechslerinnen unter den Bauhausstudentinnen verweist nicht nur auf enttäuschte Erwartungen, son- dern auch darauf, dass zumindest diese Studentin- nen die Umsetzung eigener Perspektiven fest im Blick haben. Ob Architekturstudentinnen der Weim- arer Republik damit schon eine Entscheidung zwi- schen konfligierender Berufs- und Familienperspekti- ve treffen und ob bereits zum Studienbeginn von ‘eigenen Lebensentwürfen’ gesprochen werden kann, muss – in Ermangelung aussagefähiger Ego-docu- ments – bisher offen bleiben. Aber auch die Hartnäk- kigkeit und die Verve, mit der zumindest etliche die- ser Studentinnen die elterliche Skepsis überwinden und eigene Präferenzen durchsetzen, deutet auf ebenso eigenwillige wie selbstbewusste Lebensvor- stellungen. Während Bauhausstudentinnen häufig erst in späte- ren Jugendjahren einen Zugang zur Architektur finden und dieses Interesse mehrheitlich anhand von Publi- kationen und Ausstellungen entwickeln, entdecken Tessenowstudentinnen ihr Architekturinteresse in al- ler Regel während der Schulzeit auf Baustellen und in Architekturbüros. Von elf Tessenowstudentinnen ist bereits vor Studienbeginn der Berufswunsch Archi- tektin bekannt, bei zumindest vier Studentinnen ist er im Reifezeugnis vermerkt. Bauhausstudentinnen be- ginnen ihr Studium mit weniger eindeutigen Berufs- wünschen, nur bei einer Studentin lässt sich der ent- sprechende Eintrag im Abiturzeugnis nachweisen. Rolle und Einfluß der Mütter im Hinblick auf das Stu- dium der Töchter sind nur fragmentarisch dokumen- tiert, denn nur in einzelnen Fällen lässt sich bisher ei- ne aktive Rolle der Mutter bei der Fächerwahl nach- weisen. Im Unterschied dazu spielen die Väter von Architekturstudentinnen häufig eine aktive Rolle. Sie lassen sich bezüglich des Studiums der Tochter in drei Lager einteilen: Diejenigen, die jede Form einer 16 Selbst im weiteren familiären Umfeld von Architekturstudentin- nen der Kaiserzeit lassen sich kaum Architekten und Ingenieure finden. Lediglich der – vor Studienbeginn bereits verstorbene - Vater von Janina von Muliewicz war Oberingenieur. Ein Onkel Hilda Friedenbergs war Architekt, ein Bruder von Elisabeth Nies- sen Ingenieur, ein Bruder Emilie Winkelmanns Zimmermann und Architekt. 17 So waren die Väter von Behrmann, Brobecker, Freise, Heiden- reich, Josefek, Korte, Lederer, Loewe, Rossius, die Onkel von Simon-Wolfskehl, Reiss und Zauleck, der Bruder von Rogler und die - potentiellen - Schwiegerväter von Karselt und Engels als Architekten und Ingenieure tätig. 18 Fuchs spricht 1994 bereits im Titel - „Wie die Väter so die Töch- ter...“ - von Berufsvererbung bei Technikstudentinnen, weist de- ren statistische Relevanz jedoch nicht nach. Seit der Jahrhun- dertwende wird der Beruf des Vaters nicht nur auf den Immatri- kulationsbögen, sondern auch in der reichsweiten Statistik er- fasst. Dabei weist die Reichsstatistik Zahlen und Anteile aber nicht nach Geschlecht aus. Und da die Anzahl der Halbwaisen nur insgesamt aufgeführt wird, bleibt offen, ob primär ver- oder geerbt wird. 19 Bisher lässt sich keine Architektin / Ingenieurin in den Familien von Bauhaus- und Tessenowstudentinnen nachweisen. Aber auch dies ist in dieser Generation bereits denkbar. Vgl. FN 20 20 So umschreibt die Aerodynamikerin Irmgard Flügge-Lotz (1903- 1974) im Mai 1969 in den Stanford Engeneering News ihre Ent- scheidung für den Maschinenbau rückblickend. (Zitiert nach: Notable American Women, Cambridge/London, 1980, S. 241) Ihr technisches Interesse wurde eindeutig durch ihre Mutter ge- weckt und unterstützt. Sie studierte ab 1923 an der TH Hanno- ver. Von Tessenow- und Bauhausstudentinnen konnten bisher keine entsprechenden Quellen aus der Zeit des Studienbeginns ausgewertet werden, die Aufschluss über das Verhältnis von Studienfachwahl und Lebensplanung geben. 21 Glaser, Edith / Herrmann, Ulrich: Konkurrenz und Dankbarkeit, Die ersten drei Jahrzehnte des Frauenstudiums im Spiegel von Lebenserinnerungen - am Beispiel der Universität Tübingen, in: Zeitschrift für Pädagogik, 34.Jg., 1988, Nr.2, S.205-220, hier S.215 154 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? Erwerbstätigkeit – oder des Studiums - der Tochter ablehnen. Daneben jene, die ein Studium befürwor- ten, jedoch an den Berufsaussichten zweifeln, wes- halb ihre Skepsis gegenüber dem Architekturstudium der Tochter zunächst überwunden werden muss. Und drittens finden wir Väter, die ein solches Studi- um der Tochter sichtlich unterstützen oder sogar for- cieren. Soweit der Vater dem Studium oder der Fächerwahl im Wege steht, gelingt es den Töchtern nur auf zeit- raubenden Umwegen resp. nach dem Tod des Vaters Architektur zu studieren.22 In den Fällen väterlicher Skepsis beweisen die Töchter i.d.R. durch Baustel- lenpraktika und ‘Probesemester’, dass sie den Anfor- derungen des Studiums gewachsen sind. Eine Unter- stützung des Studienwunsches finden wir zum einen bei einigen wenigen Architektenvätern, zum anderen in großbürgerlichen Elternhäusern. Hier muss der Studienwunsch nicht mit einer Erwerbsperspektive in Einklang gebracht werden. Forciert der Architekten- vater den Studienwunsch, ist die Tochter i.d.R. die Älteste oder das einzige Kind. Mütter von Architektur- studentinnen der Weimarer Republik scheinen den Wunsch der Tochter nach einem Studium grundsätz- lich unterstützt, zuweilen tatkräftig gefördert zu ha- ben. Einem technischen Studium der Tochter stehen jedoch auch sie häufig skeptisch gegenüber. Das Changieren der Studienfaches Architektur zwischen Technik und Kunst dürfte diese Bedenken gemindert haben.23 Für die Phase der Etablierung des Frauenstudiums in den zehner Jahren hat Edith Glaser die Haltung der Väter gegenüber eigenständigen Studienperspektiven der Töchter als ambivalent beschrieben und mit de- ren Einbindung in Berufsverbände erklärt.24 Im Über- gang von der Kaiserzeit zur Weimarer Republik ist hinsichtlich der beruflichen Eigenständigkeit der Töchter kein grundlegender Sinneswandel der Väter zu verzeichnen. Interessenlagen und Kräfteverhält- nisse im Berufsfeld scheinen sich angesichts abseh- barer Veränderungen eher zu verhärten. Auch wenn Architekturstudentinnen der Weimarer Republik nicht mehr gezwungen sind, ihre Zulassung zu Fakultäten einzeln zu erkämpfen, so kommen sie doch häufig nicht umhin, den Studienwunsch gegen familiäre Vorbehalte erst durchzusetzen.25 Und selbst wenn dieser Studienwunsch – wie bei manchen Tes- senowstudentinnen - auf eine Anregung des Vaters zurückgeht, so eröffnet sich hiermit ein familiäres Spannungsfeld: Das Architekturstudium signalisiert einen ersten Schritt auf dem Weg in eine anspruchs- volle Berufsperspektive und damit in eine Rolle, die mit bürgerlichen Frauenrollen - wie der Mutter oder der Hausfrau/herrin - konfligiert.26 Die entsprechen- den Diskussionen um das Studium als Beginn einer angemessenen Lebensperspektive werden sowohl in den Elternhäusern von Bauhaus- wie in denen von Tessenowstudentinnen geführt. Dabei wird die Studi- enfachwahl der Tochter in Familien von Tessenow- studentinnen insbesondere hinsichtlich der Berufs- perspektive erörtert. Im Unterschied dazu kommt in den Familien von Bauhausstudentinnen den Chancen und Aussichten des Berufes für die Tochter häufiger nur nachgeordnete Bedeutung zu. Dass die elterli- chen Vorstellungen hier jedoch ebenfalls von bürger- lichen Traditionen geprägt sind, wird daran deutlich, dass sich die weitaus meisten dieser Studentinnen zunächst Ausbildungen oder Fächern widmen, die ‘höheren Töchtern’ gemäß sind - selbst wenn sie „wie ein Bub erzogen“ wurden.27 Sie betreiben Musik- studien oder Sprachstudien im Ausland, lernen Haus- haltung oder Kindererziehung oder erwerben auf Handelsschulen Kenntnisse zur Verwaltung des elter- lichen Vermögens. Während einzelne Tessenow- wie Bauhausstudentin- nen mit dem Architekturstudium primär einen elterli- chen Wunsch erfüllen, benötigen manch andere ei- nen Fürsprecher oder müssen die elterliche Akzep- tanz für ein Studium sogar erst erringen.28 Dabei ge- lingt es Tessenowstudentinnen weit häufiger als Bau- hausstudentinnen, ihren Studienwunsch unmittelbar umzusetzen. Bei elterlichem Widerstand gelingt es ihnen i.d.R. binnen einem Jahr, die Vorbehalte zu überwinden. Im Vergleich dazu sind die ‘Umwege’ mancher Bauhausstudentinnen weit zeitintensiver, was erneut auf die höhere Repressivität hinsichtlich rollenkonformer Erwartungen verweist. Insgesamt kann die elterliche Haltung dann als eher besorgt charakterisiert werden, wenn das Architek- turstudium der Tochter - ob Bauhaus- oder TH-Stu- dium - auch das Erststudium ist. Nach Studienbeginn unterstützen und finanzieren die Eltern das Studium der Tochter jedoch in aller Regel. Sie helfen bei der Beschaffung von Praktika und Unterkunft. Im Einzel- fall intervenieren sie auch.29 Studienmotivationen und Lehrerwahl Studentinnen kommen aus allen Himmelsrichtungen ans Bauhaus. Sie entscheiden sich für dieses Studi- um aus Neugier auf diesen Ort der Avantgarde. Sie werden zum einen durch Personen im familiären Um- feld, zum anderen durch Publikationen, Ausstellun- gen und Vorträge auf das Bauhaus – weniger auf ein- zelne Lehrende - aufmerksam. Vor Ort sind sie von der Andersartigkeit des Studiums meist noch mehr beeindruckt als von den realen Studienmöglichkeiten. Manches Mal ist die Studienentscheidung auch be- reits von dem Wunsch beflügelt Architektin zu wer- den. Bei Bauhausstudentinnen steht die Berufswahl 22 So gelang es bspw. Beese oder Meyer nur sukzessive, die vä- terliche Ablehnung aufzuweichen. Lore Enders studierte erst nach dem Tod des (Architekten-)Vaters. Der Anteil ‘vaterloser’ Architekturstudentinnen ist während der Weimarer Republik jedoch deutlich geringer als während der Kaiserzeit. 23 In der Frauenpresse der zwanziger Jahre wurde bei der Darstel- lung des Architekturstudiums häufig die kunstwissenschaftliche Facette des Faches betont. 24 „Viele setzten sich als Väter für eine qualifizierte Ausbildung ih- rer Töchter ein, aber als Mitglieder der Berufsverbände (..) vo- tierten sie nicht öffentlich gegen deren Professionspolitik, die Frauen fast durchweg ausgrenzte.“ Glaser, Edith: Hindernisse, Umwege, Sackgassen, Die Anfänge des Frauenstudiums in Tü- bingen (1904-1934), Weinheim, 1992, S.43 25 Die Vorbehalte sind nun jedoch deutlich weniger massiv als während der Kaiserzeit. So erinnert bspw. Grete Schütte-Lihotz- ky für das Jahr 1916: „Jeder hat mir das ausreden wollen, daß ich Architektin werde, mein Lehrer [Oskar] Strnad, mein Vater und mein Großvater [der selbst Baudirektor war]. Nicht weil sie so reaktionär waren, sondern weil sie geglaubt haben, ich werde dabei verhungern, kein Mensch wird sich von einer Frau ein Haus bauen lassen.“ Schütte-Lihotzky, Grete: Erinnerungen aus dem Widerstand, Hamburg, 1985, S.13 26 So soll der Onkel van der Mijl-Dekkers, auf dessen Anraten sie ans Bauhaus ging, den Architekturberuf als für Frauen ‘unpas- send’ befunden haben. (Baumhoff, 1994, S.91) 27 Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995. 28 Mit massiven elterlichen Widerständen waren bspw. Beese, Both und Meyer konfrontiert. Die elterliche Skepsis mussten u.a. Brobecker und Korte überwinden. Initiativ wurden hingegen die Eltern von Bánki, Bernoully, Schöder und Wilke resp. Freise. Al- lerdings wurden die elterlichen Initiativen – so ist dies für Bánki, Schöder und Wilke dokumentiert – in Ablehnung des ursprüngli- chen Fächerwunsches der Tochter ergriffen. 29 Am Bauhaus lassen sich mehrere, bei Tessenow bisher keine Versuche elterlicher Interventionen finden. Hier sind die Eltern häufiger bei der Suche nach geeigneten Praktikumsstellen be- hilflich. Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 155 bei Studienbeginn jedoch weniger deutlich im Vor- dergrund als bei Tessenowstudentinnen. Auch für diese ist ein Architekturstudium aber nicht nur hin- sichtlich der Berufsqualifikation, sondern auch auf- grund seiner Vielseitigkeit attraktiv. Trotz des weitge- hend kanonisierten Grundstudiums ziehen sie nach dem Vordiplom resp. beim Eintritt ins Seminar Tes- senow die Berufsentscheidung nur in Einzelfällen in Zweifel. Wurde die Fachwahl relativ häufig unter el- terlichem Einfluss getroffen, so ist die Lehrerwahl im Hauptstudium bei Tessenowstudentinnen in der Re- gel das Ergebnis einer eigenständigen Orientierung. Studentinnen werden im Laufe ihres Grundstudiums vereinzelt durch persönliche Kontakte, häufiger durch Publikationen auf Tessenow aufmerksam. Die Ent- scheidung bei ihm zu studieren, treffen sie aufgrund seines fachlichen wie persönlichen Rufes. Die Wahl der unterschiedlichen Ausbildungsrichtun- gen ist damit zum Teil das Ergebnis unterschiedlicher Informations- und Suchstrategien. Die Wahl des Or- tes erfolgt in deutlicher Relation zu Vorerfahrungen und Milieus. Die Wahl zwischen Lehrern - wie zwi- schen architektonischen Haltungen - hingegen relati- viert sich angesichts des Spektrums resp. des Man- gels möglicher Alternativen. Nicht nur die Gaststudentinnen im Seminar Tesse- now kennen verschiedene Hochschulen von innen. Fast ein Drittel der Tessenowstudentinnen hat vor Eintritt ins Seminar bereits Architektur - in der Regel bis zum Vordiplom - an einer anderen Hochschule studiert.30 Auch Bauhausstudentinnen bringen häufig bereits Studienerfahrungen mit. Für sie ist mit dem Wechsel ans Bauhaus in aller Regel aber auch ein Fächerwechsel verbunden.31 Ein Großteil der Eltern von Tessenowstudentinnen legte auf die Solidität des Studiums wert und nahm deshalb nicht selten Einfluss auf die Lehrerwahl. Bau- hausstudentinnen trafen diese Entscheidung häufiger selbständig, oft in Abkehr von zuvor durchlaufenen Ausbildungen resp. Studien. Sie waren für das Studi- um i.d.R. auf den elterlichen Wechsel angewiesen und konnten nicht immer mit Begeisterung, häufig jedoch mit Duldung der Eltern rechnen.32 Auch wenn fast ein Drittel der Bauhausstudentinnen vor Studien- beginn durch eigene Berufstätigkeit finanziell bereits unabhängig war, so ließen sich am Bauhaus fast kei- ne Studentinnen nachweisen, die das Studium mit Hilfe eigener Erwerbstätigkeit finanzieren.33 Ebenso- wenig fanden sich Stipendien oder Schulgelderlasse für architekturinteressierte Bauhausstudentinnen. Auch Tessenowstudentinnen bestreiten ihr Studium i.d.R. durch elterliche Alimentierungen. Vereinzelt ver- dienen sie als Werkstudentinnen dazu. In Einzelfällen helfen Schulgelderlasse oder Stipendienzahlungen, finanziell angespannte Situationen zu überbrücken. Anhand der Werkstudentinnen im Seminar wird den- noch deutlich, dass während der Weimarer Republik auch ein Architekturstudium nicht zwingend an mate- rielle Privilegien geknüpft war.34 Während Bauhausstudentinnen oft – und nicht zuletzt aufgrund ihrer Volljährigkeit - von ihren Eltern i.d.R. eine weitgehende Eigenständigkeit zugestanden wur- de, war ihre Entscheidungsfreiheit innerhalb des Bau- hauses sehr begrenzt, eine Art Wahlfreiheit lediglich beim Außensemester gegeben. Demgegenüber stan- den Tessenowstudentinnen weit häufiger unter Beob- achtung der Eltern, hatten innerhalb des Studiums aber die deutlich größere Wahlfreiheit.35 Sie konnten nicht nur bei den Praktika, sondern auch zwischen den Entwurfsseminaren einzelner Professoren wäh- len. Aus Professorensicht erinnert Paul Bonatz die Wahlmöglichkeiten an der TH Stuttgart: „Wir konnten es uns leisten, für das Fach Entwerfen dem Studen- ten die freie Lehrerwahl zu überlassen. Es war nie zu befürchten, daß die Studenten alle zu einem Lehrer liefen, (..) denn die Festsetzung der Noten für Entwer- fen und für die Diplomarbeit (..) nahmen wir am Ende jedes Semesters gemeinsam vor.“ 36 Auch von der im Studienverlauf vorgesehenen Möglichkeit, zeitweise oder dauerhaft an eine andere TH zu wechseln, ma- chen etliche Studentinnen Gebrauch. Tessenowstudentinnen studieren in der Absicht, den Architekturberuf zu erlernen. Sie wollen sich intellek- tuell mit Architektur und Baugeschichte auseinander- setzen, im Laufe eines vielfältigen Studiums sowohl die praktischen wie die theoretischen Bedingungen eines sinnhaften Bauens erlernen und dabei ihre Fä- higkeiten zielgerichtet erproben. Demgegenüber zie- len die Studienmotivationen von Bauhausstudentin- nen nicht immer explizit auf einen einzigen Beruf. In der Regel nehmen jedoch auch sie ihr Studium im Hinblick auf eine professionelle Tätigkeit in der Ge- staltung auf. Mehr als die Hälfte der architekturinteressierten Bau- hausstudentinnen hatte die Schulausbildung mit ei- nem Reifezeugnis abgeschlossen und erfüllt damit die Zulassungsbedingung regulärer Hochschulen. Die Entscheidung der Abiturientinnen für ein Studium am Bauhaus ist somit auch eine Entscheidung gegen das Hochschulstudium an einer TH. Diese Suche nach Al- ternativen lässt sich auch bei anderen Architekturas- pirantinnen dieser Generation finden.37 Und hier zeigt sich nicht nur eine antiakademische Haltung, sondern auch individuelles Selbstvertrauen wie Selbstbewußt- sein: Im Wissen um ihre Talente und Fähigkeiten un- terziehen sich diese Abiturientinnen zusätzlich künst- lerischen Aufnahmeprüfungen, da sie sich an Akade- mien eine höhere Förderung ihrer künstlerischen Am- bitionen versprechen. Bereits bei der Aufnahme er- 30 So kommen bspw. Lieselotte von Bonin, Anni Pfeiffer und Gise- la Eisenberg mit Vordiplomen der TH München, haben Ewa Frei- se, Ilse Sahlmann, Gisela Schneider, Sigrid Rauter, Ingeborg Ull- rich und Christa Dirxen ihr Vordiplom an der TH Stuttgart be- standen. Grete Berg absolvierte an der TH Aachen das Vordi- plom und auch Fridel Hohmann ist zu den Ortswechslerinnen zu rechnen. 31 Lediglich Amy Bernoully, Mila Lederer, Hilde Reiss und Hilde Katz können hier als Hochschulwechslerinnen bezeichnet wer- den. 32 Eine der wenigen Ausnahmen scheint hier Ursula Schneider ge- wesen zu sein, für deren Studium am Bauhaus ihr Freund [und späterer zweiter Mann] aufgekommen sein soll. Information von Dr. Peter Weiß. 33 Die Fotografiestudentin Irena Blühova gehört zu diesen Ausnah- men: Sie nimmt zur Finanzierung eines Studiums zunächst einen „kleinen Beamtenposten“ in der Sparkasse ihrer Heimatstadt an. Blühova, Irena: Mein Weg zum Bauhaus, 1983, S.7 34 Nur wenige Studentinnen trauten sich die Doppelbelastung ei- nes selbstfinanzierten Studiums zu. Schönborn beziffert die Zahl der Stipendiatinnen der Studienstiftung zum Wintersemester 1929/30 mit 180 (was einem Anteil von knapp 14% entspricht). Schönborn, 1932, S.96. Unter den architekturinteressierten Stu- dentinnen am Bauhaus studierte lediglich Grete Meyer mit Hilfe eines externen Stipendiums. Grete Schroeder-Zimmermann konnte ab 1925 an der TH Charlottenburg mit Hilfe eines Preußi- schen Staatsstipendiums Architektur studieren. 35 Huerkamp bezeichnet die Wahlmöglichkeiten angesichts der Präsenz frauenfeindlicher Hochschullehrer während der Kaiser- zeit denn auch als „gewisse Wahlfreiheit“. Huerkamp, 1996, S.151 36 Bonatz, Paul: Leben und Bauen, Stuttgart, 1950, S.105 37 So bewirbt sich bspw. die Abiturientin Gudrun Horn (geb. 1910 Kiel) 1929 zunächst an den Vereinigten Staatsschulen Berlin. Als sie dort nicht für Architektur zugelassen wird, immatrikuliert sie sich umgehend an der TH. „Gudrun Horn hat sich gemeldet für Architektur, wird abgewiesen, Arbeiten nicht ausreichend. Soll versuchsweise 1/2 Jahr bei Fr. Marcks arbeiten.“ HdKA, Be- stand 8 Nr.114, Aufnahmeentscheidungen Winter 29/30. Horn studiert ab dem 22.10.1929 an der TH Charlottenburg. In den 1950er Jahren ist sie als Architektin nachweisbar. 156 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? weist sich die Hoffnung auf eine – geschlechtsunab- hängige – Selektion nach Begabung nicht nur am Bauhaus als trügerisch.38 Die Entscheidung für oder gegen das akademische Studium, für oder gegen einen bestimmten Studien- ort resp. einen bestimmten Ausbildungsgang hängt von mehreren Faktoren ab und korrespondiert nur bedingt mit der Vorbildung. Auch das Renommee des Lehrers resp. der Hochschule spielt bei dieser Entscheidung manches Mal nur eine untergeordnete Rolle. So entscheidet sich Iwanka Waltschanowa bei der Ortswahl für „Berlin - die Stadt mit alter Kultur und Kunstschätzen“. Und Christa Kleffner-Dirxen er- innert, dass sie wohl auch deshalb an die TH Stutt- gart zurückgekehrt sei, da auf der schwäbischen Alp das Segelfliegen so viel einfacher war als in Berlin.39 Auch Karola Bloch deutet in ihrer Autobiografie un- terschiedlichste Beweggründe an. Sie schildert das Bauhausfest 1923 als Auslöser ihrer Entscheidung, Architektur zu studieren. „Aber ich hatte damals noch kein Abitur und darum war mir die Technische Hoch- schule nicht zugänglich.“ 40 Obschon sie weiß, dass ein Bauhausstudium auch ohne Abitur möglich ist, wählt sie den klassischen Weg über Abitur und Tech- nische Hochschule. Sie nimmt ihr Architekturstudium erst 1929 an der TH Wien auf, wechselt 1931 nach Berlin in das Seminar Bruno Taut´s an der TH Char- lottenburg und diplomiert 1934 an der ETH Zürich. Architekturstudentinnen der Weimarer Republik sind i.d.R. hochmobil und wechseln den Studienort ggf. auch mehrfach.41 Vergleichen wir im folgenden die Parallelen und Diskrepanzen der Rahmenbedingun- gen des Kompetenzerwerbs dieser Studentinnen vor dem Hintergrund der Ausbildungspraxen dieser un- terschiedlichen Schulen. Werkstatt und Lehre versus Vorlesung und Seminar „Das neue (..) soll auf unabhängigen Handwerker- Gruppen aufbauen, deren innere Ordnung durch die traditionelle gewerbliche Hierarchie geregelt ist: Meister, Geselle, Lehrling, Hilfsarbeiter. (..) Auch das Mitspracherecht unterliegt dieser hierarchischen Ord- nung, denn die Stimme der Meister wiegt in jedem Fall schwerer als die aller anderen Mitglieder. Eben- sowenig verwundern darf, (..) daß Frauen der Zugang zu den Funktionen Meister, Geselle und Lehrling ver- wehrt wird, da die Arbeit von Frauen als Missachtung ihrer natürlichen Anlage und Schwächung ihrer müt- terlichen Eigenschaften angesehen wird.“ 42 Die Konzeption einer solchen Handwerkergemeinde, bei der Marco De Michelis „in mehr als einer Hinsicht (..) Themen und Gefühlslagen jener ‚konservativen Revolution’ “ ausmacht, „mit der die orientierungslo- sen deutschen Mittelschichten sich in der Weltunter- gangsstimmung der Nachkriegsjahre der ideologi- schen Hegemonie von Sozialismus und parlamentari- scher Demokratie zu entziehen trachten“, liest sich auf dem Hintergrund des hier gezogenen Vergleichs zwischen den Ausbildungsrichtungen Bauhaus und Tessenow wie ein nahezu identischer Entwurf einer Gesellschaftskonzeption. „Die Rolle Tessenows scheint in diesem Zusammenhang [der Handwerker- Gemeinde Hellerau] weit über die Rolle des neuen Ar- chitekten hinauszugehen. Er entwirft ausdrücklich ein künftiges soziales Gefüge, dessen tragende Struktur eine zünftig geordnete Handwerker-Gemeinde ist.“ 43 Zeitgleich - und ebenso deutlich in Reaktion auf die Erfahrungen des ersten Weltkrieges - sucht auch Gropius nach der Grundlage einer geistigen Erneu- erung, auf der ein gesellschaftlicher Wandel vollzo- gen werden kann. Auch er versteht sich als ‘neuer’ Architekt, dessen Bauten bereits vor dem Krieg auf ein künftige Gesellschaft zielten. Aber auch Gropius orientiert sich 1919 im „Gründungsmanifest des Staatlichen Bauhauses“ an zünftigen Handwerksord- nungen. In einer nun demokratisch verfassten Weimarer Re- publik favorisieren beide - Tessenow wie Gropius - die explizit hierarchische und implizit geschlechter- hierarchische Referenz der Handwerkszünfte als Ziel- resp. Ausgangsvorstellung eines vermeintlich neuen Gesellschaftsentwurfes. Während sich Gropius je- doch um 1922 von der handwerklichen Orientierung ab- und der industriellen Produktion zuwendet, an der Geschlechterhierarchie jedoch festhält, bleibt Tessenow dem Handwerk und dem geschlechterpo- laren Denken verbunden. Geschlechterhierarchische Umgangsformen sind in seinem Seminars jedoch durch eine Art Harmoniegebot außer Kraft gesetzt. Die Debatte über Sinn und Zweck von Werkstätten im Ausbildungszusammenhang war seit der Jahrhun- dertwende virulent. Während an Akademien traditio- nellerweise in Ateliers praktisch gearbeitet wurde, verfügten Kunstgewerbe- und Tischlerschulen in der Regel über eigene Werkstätten. An Kunstgewerbe- schulen wurde handwerkliches Grundverständnis be- fürwortet, eine mehrjährige Lehre jedoch aus Rück- sicht auf die Konkurrenzangst örtlicher Handwerker als unökonomisch abgelehnt.44 So sah der Maler Pe- ter Behrens, 1903 zum Direktor der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule berufen, im Werkstattunterricht - neben dem Naturstudium - den entscheidenden Reformansatz zur Qualitätssteigerung. 1907 schreibt er über den Ausbildungsauftrag der Werkstätten: „Die Entwürfe werden ausgeführt, um die Wirkung zu zei- gen, die Übung aber nur fortgesetzt, bis Technik und Material verstanden sind.“ 45 38 Auch wenn Aufnahmeverfahren an Kunsthochschulen bisher nicht untersucht wurden, so wird an Stichproben von Aufnah- meprotokollen der Vereinigten Staatsschulen Berlin 1931 sicht- bar, dass auch hier Bewerbungen von Studentinnen bereits bei der Aufnahme durch ausschließlich männlich besetzte Kommis- sionen nicht in egalitärer Weise beurteilt, Begabung wie Hand- werksbereiche geschlechtsexklusiv gedacht wurden. So werden bspw. die Bewerberinnen Rindler und Borchmann, die sich für Innenarchitektur resp. „als Architekturschülerin“ angemeldet hatten, abgelehnt und an die Tischlerschule verwiesen, obwohl beide 1931 bereits Tischlereiausbildungen absolviert hatten. Vgl. Biografie Rindler. Die Architektentochter Herta Borchmann (geb.1910 Tientsin/China) studiert zunächst an der KGS Magde- burg, ab 1929 an der Burg Giebichenstein als Lehrling in der Tischlerei. 1931 wird sie an den VS mit der Begründung abge- wiesen: „Reicht nicht aus. Tischler-Fachschule empfohlen“ - HdKA, Best.8. Aufnahmeentscheidungen Winter 1931/32, Nr.116 - Borchmann studiert ab dem Herbst 1938 dann doch an der SHfBK (frühere VS) ‘Innenarchitektur’ bei Prof. Bohnen. 39 Iwanka Hahn [geb. Waltschanowa] an Walter Jessen im Brief vom 20.2.1987 - Christa Kleffner-Dirxen im Brief vom 15.1.1998 40 Bloch, Karola: Aus meinem Leben, Pfullingen, 1981, S.37. Karo- la Piotrkowskas Kommilitone an der Kunstgewerbeschule Berlin, Xanti Schawinsky, wechselte bereits 1922 an das Bauhaus. Für sie selbst steht das Bauhaus - auch als sie 1931 von Wien nach Berlin wechselt - offenbar nicht zur Debatte. Zur Studienorts- wahl finden sich hier nur spärliche Hinweise. Ibid., S.36ff., S.41 41 Tessenowstudentinnen zogen anlässlich des Studiums nach Berlin, lediglich ein Fünftel war in Berlin aufgewachsen. Bau- hausstudentinnen übersiedelten nach Weimar oder Dessau. Mit dem Umzug des Bauhauses nach Berlin-Steglitz finden wir unter den Studentinnen etwa ein Drittel, die bereits zuvor in Berlin wohnten. Ausschließlich in Berlin studierten fastausnahmslos jene, die noch bei den Eltern wohnten - als Einzelkinder und / oder aus finanziellen Gründen. 42 De Michelis, 1991, S.79-80 unter Bezug auf Tessenows 1919 entstandenes Typoskript „Erste Mitteilungen einer Handwerker- Gemeinde in Hellerau“. 43 Ibid., S.79 44 Fia Wille führt 1912 dazu aus: „Der entwerfende Künstler wird genau unterrichtet sein müssen von der Herstellungsart des Ge- genstandes, den er entwirft, von der Natur und den Behand- lungsmöglichkeiten des dazu ausersehenen Stoffes. Er muß die entsprechende Technik von Grund aus (!) kennen. Zu verlangen, daß er das betreffende Handwerk auch ausüben kann, ist eine Forderung, die unökonomisch wäre.“ Vortrag: Wie erzielen wir Qualitätsarbeit im Kunstgewerbe? beim Deutschen Frauenkon- greß Berlin 27.2.-2.3.1912, abgedruckt in Bäumer, Gertrud (Hg.): Deutscher Frauenkongreß, Berlin, 1912, S.113 - Zur Konkur-ren- zangst vgl. Moeller, Gisela: Von der Ornamentzeichnung zum Architekturentwurf. Peter Behrens´ Reform der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule, in: Pfeiffer, Hans-Georg (Hg.): „Wer aber will sagen, was Schönheit sei?“, Düsseldorf, 1990, S.63ff. 45 Behrens, Peter: Kunstschulen in: Scheffler, Karl: Kunstschulen in: Kunst und Künstler, 5.Jg., 1906/07, S.207, hier zit. nach Moeller, 1990, S.64. Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 157 Auch an der Akademie Breslau existieren Werkstät- ten, durch die auch die interdisziplinäre Zusammen- arbeit gefördert werden sollte. Bereits 1900 hatte Hans Poelzig hier eine Kunsttischlerei eingerichtet.46 Auch im Werkstattkonzept des Bauhauses war die handwerkliche Ausbildung lediglich Mittel zu einem höheren Zweck, obschon der Stellenwert handwerkli- cher Ausbildung durch die zunächst obligatorische Lehre hier besonders stark betont wurde. Auch in der zeitgenössischen Berufsberatungsliteratur wird immer wieder – und explizit auch für Frauen - dringlichst zur Lehre geraten, da ein solides handwerkliches Funda- ment für die Ausübung eines künstlerischen Berufes unabdingbare Voraussetzung sei.47 Werkstätten innerhalb der Ausbildung anzusiedeln und damit auch die Trennung zwischen Entwurf und praktischer Umsetzung aufzuheben, barg den Vorteil, dass die Entwicklung von Prototypen direkt an die Ausbildung gekoppelt werden konnte. Die als Werk- stattleiter berufenen Künstler repräsentierten quasi in personam diese Grenzüberschreitung. Sie stellten sich in die Tradition des Handwerksmeisters, vermit- telten jedoch keine handwerkliche Meisterschaft. Im- plizit wurde der Stellenwert des Handwerks hierdurch abgewertet. Der Einblick in betriebliche Abläufe blieb auf das Außensemester beschränkt. Im Unterschied dazu erhob das Architekturstudium an Technischen Hochschulen nie den Anspruch, den Studierenden handwerkliche Kompetenzen zu vermit- teln. Hier konzentrierte sich der Unterricht darauf, ar- chitektonisches Wissen und berufsspezifische Fertig- keiten, das ‘Handwerk des Architekten’ zu vermitteln. Die obligatorischen Praktika waren außerhalb der Hochschule angesiedelt. Nach einem weitgehend kanonisierten Grundstudium, in dem in Vorlesungen technisches und bauhistorisches Wissen in Form von Vorlesungen vermittelt und in Form von Klausuren abgeprüft wurde, setzte die Arbeit an Projekten – in ‘Entwurfsseminaren’ – erst nach bestandenem Vordi- plom ein. Während im Seminar Tessenow Lehre und Handwerk inhaltlich so eng verschränkt waren, dass sich Konzepte und Entwürfe jenseits dieser Tra-dition quasi erübrigten, bestanden am Bauhaus längere Zeit Lehre und Werkstatt nebeneinander. Hier sollte die handwerkliche Praxis resp. die Umsetzung von Pro- totypen möglichst unmittelbar mit der Entwurfstätig- keit verbunden werden. Die wissenschaftliche Lehre fand quasi begleitend in Vorlesungen und Seminaren statt. Eine Forschung wie sie zum Aufgabenbereich akademischer Hochschulen gehörte, war innerhalb des Bauhauses nicht vorgesehen. Wie nun der Vorkurs ein Spezifikum des Bauhauses war, in dem gleich zu Beginn des Studiums theoreti- sche und konzeptionelle Vorgaben in einer experi- mentellen Praxis erprobt wurden, so stellte Tesse- nows Entwurfsseminar innerhalb der Architekturfakul- tät an der TH Charlottenburg u.a. deshalb eine Be- sonderheit dar, als hier handwerkliche Prozesse auch Gegenstand des Unterrichts waren. Auch wenn das Ziel des Unterrichts eine handwerkliche Meisterschaft in der Architektur blieb, das Verständnis für das handwerkliche Verfertigen von Bauten wurde von Tessenow - der selbst eine zeitlang Zimmermann ge- lernt hatte - immer wieder angeregt und gefördert. Eine Renaissance erlebte das Handwerk wie das ide- alisierte Bild der mittelalterlichen Bauhütte zeit-gleich an jenen Schulen, die sich eine Modernisie-rung des Bauens wie des Studiums auf die Fahnen schrieben. Während hier die Qualität der handwerkli-chen Ausbildung nicht gewährleistet werden kann, wird eine solche Ausbildung mit ungeheurer Rigidität ein- gefordert.48 Dieser Bezug mag einem ‘Romantizis- mus’ geschuldet sein oder als ‘Widerspruch der Mo- derne(n)’ selbst für modern erklärt werden: Im Spek- trum der (nicht-akademischen) Hochschulen galt das Bauhaus als radikal modern, während das handwerk- lich orientierte Seminar Tessenow im Spektrum der bekannten Lehrer traditioneller Architekturfakultäten in dem Ruf stand, mäßig modern zu sein. Ob interne Werkstattpraxis oder externes Bauprakti- kum, stärker noch schieden sich die Geister an der Frage, ob Architektur als kanonisiertes akademisches Wissen vermittelt oder als künstlerisches Schaffen in Form individueller Erfahrungen weitergegeben wer- den solle. So proklamiert bspw. Oskar Schlemmer 1931, nun an der Breslauer Akademie tätig, dass im ‘egoistischen Prinzip’ des Meisterateliers ‘das Beste’ für die Allgemeinheit ‘eingefangen’ werden könne. „Bauhauslehre (..): Das Eigne zum Allgemeinen ma- chen. - Auf Breslau angewandt, extremistisch: schaf- fen, teilnehmenlassen der Schüler, heranziehen zu eigenen größeren Aufgaben (..) Egoistisches Prinzip also: arbeiten als das beste Mittel sich selbst und andere zu fördern. Im Grunde das Prinzip, das das selbstverständliche ist: Das Beste geschieht, wo ei- nem etwas Spaß macht. (..) Für die Akademie handelt es sich darum: dieses Egoistische für die Allgemein- heit einzufangen.“ 49 Im Zentrum dieser Akademieauffassung steht also nicht die Qualifikation real vorhandener ‘Schüler’. Das „teilnehmenlassen der Schüler und heranziehen zu eigenen größeren Aufgaben” ist lediglich ein Mittel für einen auf eine vage „Allgemeinheit“ gerichteten Zweck. Auch für den Architekturunterricht an der Breslauer Akademie wurde eine kanonisierte Lehre abgelehnt. Hans Scharoun und Adolf Rading erläu- tern in einem Lehrplanentwurf aus dem Jahr 1932: „So kann (..) ein Bauunterricht nicht, wie so oft, be- griffen werden in einer Reihe fester Konstruktionen, 46 Poelzig war seit 1899 als Lehrer für Stilkunde an der Kunst- und Kunstgewerbeschule Breslau tätig. 1903 zum Direktor ernannt, betrieb er die Umwandlung in eine Akademie (1911 vollzogen). Hier werden Werkstätten für Weberei, Holz-, Metall- und Stein- bearbeitung eingerichtet, die von Künstlern - nicht von Hand- werksmeistern - geleitet werden. Vgl. Frank, Hartmut: Ein Bau- haus vor dem Bauhaus, in: bauwelt, 74.Jg., 1983, H.41, S.1640- 1658 47 Vgl. bspw. Widmer, Hermann: Das Buch der kunstgewerblichen und künstlerischen Berufe, Berlin, 1912, S.16 48 Ähnlich rigide forderte nur Bruno Taut - unter Berufung auf das Bauhaus - 1922 für die Magdeburger Kunstgewerbeschule: „Die Werkstattausbildung muß eine Handwerkslehre mit Gesellenprü- fung sein, worüber eine Verständigung mit der Handwerkskam- mer zu versuchen ist. Wenn diese nicht erreicht wird, so müßte sie trotzdem vorgenommen werden.“ Taut, Bruno: Über die Magdeburger Kunstgewerbeschule. Eine Denkschrift von Bruno Taut, Magdeburg, 1922, reprint in: Nippa, Annegret: Bruno Taut in Magdeburg, Schriftenreihe des Stadtplanungsamtes Magde- burg, Heft 20, Magdeburg, 1995, S.116-122, hier S.121 49 Schlemmer, Oskar, 1931, abgedruckt in: Lauterbach, Heinrich: Poelzig, Endell, Moll und die Breslauer Kunstakademie 1911- 1932, Berlin, 1965, S.55 158 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? Baulichkeiten und Bauformen, die ‘gelernt’, ‘be-herr- scht’ und ‘angewandt’ werden, sondern der Lehr- plan muß vor allem anderen deutlich machen, was Bauen überhaupt ist, Gefäß und gestaltgewordene Voraussetzung für natürliche und menschliche Le- bensvorgänge.“ 50 Faktisch ging man im Bauunterricht in der Breslauer Kunstakademie - wie der Architekt Heinrich Lauter- bach in den sechziger Jahren erinnert - „von Fall zu Fall vom Bezug zum Menschen aus, löste die Aufga- ben auf dem Aspekt des Individuellen und bemühte sich um zeitliche Zusammenhänge auf Grund des kri- tischen Vergleichs im geschichtlichen Ablauf.“ 51 Im Unterschied zu Hochschulen, an denen durch Lehrpläne und Studienordnungen die Vermittlung und Umsetzung eines weitgehend kanonisierten Wissens definiert und damit berechenbar ist, entzieht das Mei- ster(schul)prinzip die Qualifikation der Studierenden jeder öffentlichen Kontrolle. Der Meister, in dessen Verantwortung aber auch Belieben es gesetzt ist, „sich selbst und andere zu fördern“, wird zur alleini- gen Instanz des Kompetenzerwerbs. Im Gegensatz zum Handwerksmeister, der im Rahmen einer Kam- mer kontrollierbaren Regeln unterliegt, ist dieser Ty- pus des (Atelier-)Meisters völlig autonom. Dieses egoistische Prinzip ist damit im Wortsinne ‘selbstver- ständlich’, selbstreferentiell. Da kein externes Korrek- tiv - zur Wahrung der Interessen der Studierenden wie jener ‘Allgemeinheit’ - mehr vorgesehen ist und die Qualität der Lehre nur an der Reputation der Leh- renden gemessen werden soll, kann der in Aussicht gestellte Nutzen - ‘das Beste’ - nicht eingefordert, bestenfalls „eingefangen“ werden. Dieses Verständnis einer Akademie zeigt mehr Über- einstimmung mit Sammlungsaufträgen öffentlicher Museen als mit dem Ausbildungsauftrag öffentlicher Hochschulen. Denn folgt mensch Schlemmers Argu- mentation, so ist eine Akademie kein Ort, an dem Meister primär ihr Wissen und ihre Erfahrungen wei- tergeben, sondern eine Gemeinschaft Gleichgesinn- ter, die Privilegien – wie u.a. ein Meisteratelier – auto- nom unter sich verteilt. Hier entscheiden die Akade- miemitglieder lediglich, wessen ‘Bestes’ aus Mitteln der Allgemeinheit subventioniert werden sollte. „Im Gegensatz zu Akademien, Kunstgewerbeschulen und Bauhäusern, die in der Auswahl ganz individuel- ler Lehrgegenstände völlige Freiheit haben, muß die Hochschule eine umfassende Ausbildung den jungen Architekten vermitteln“, stellte Paul Bonatz 1931 nicht nur für die TH Stuttgart fest.52 Noch Jahrzehnte später erinnert er die Präsentation der Diplomarbeiten als den „große[n] Tag des Semesters“, an dem „die freie offene Aussprache und gegenseitige Kritik“ zwi- schen den verschiedenen Auffassungen stattgefun- den habe.53 Ähnlich erinnert Gerhard Kosel – Poelzig- student in Berlin - die Präsentationen von Studien- projekten als „Termine ganz besonderer Art. Poelzig erschien in weißem Mantel mit Zigarre (..) erfaßte so- fort das Wesentliche des Entwurfs und formulierte seine Einschätzung auf eine Art, daß es kaum eine Möglichkeit gab, darauf etwas zu erwidern. (..) Wenn jemand etliche Male nicht gelobt oder getadelt wur- de, dann begann damit seine Position im Seminar zu wanken. Es war ein sehr harter Kampf, ein echter Konkurrenzkampf.“ 54 Ebenfalls in Konkurrenz - wenn auch weniger kämp- ferisch - fand die Beurteilung der Einzelentwürfe im Seminar Tessenow in Form der ‘Korrektur’ statt, wo- bei die Einzelentwürfe unter beobachtender Teilnah- me aller SeminaristInnen begutachtet wurden. Die Entwicklung der einzelnen Studierenden blieb damit sichtbar in die Verantwortung des Lehrers wie der Studierenden gestellt. Sowohl im Seminar Tessenow als auch am Bauhaus begaben sich Studentinnen auch in die offene Konkurrenz. Sie stellten bspw. ihre Diplomarbeiten hochschulöffentlich vor und beteilig- ten sich manches Mal an Wettbewerben.55 Am Bau- haus konkurrierten die Studierenden jedoch be-reits im Vorfeld - nicht erst bei der Präsentation - um die Aufmerksamkeit resp. Akzeptanz der Lehrenden. Denn die Zulassung zu Kursen, Studienbereichen und Werkstätten war hier weit fraglicher als die Auf- nahme in ein Seminar an der TH. Und auch die Inten- sität der Betreuung im Studium blieb hier ins Ermes- sen der Lehrenden gestellt. Und während bei Tesse- now der Einzelentwurf als alleinige Arbeitsform beibe- halten wird, wird am Bauhaus unter Meyer auch die Teamarbeit erprobt. Formuliert wurde ein teamorientierter, interdisziplinä- rer Anspruch Anfang der dreißiger Jahre des öfteren. So erläutern bspw. Scharoun und Rading in ihrem Lehrplanentwurf für die Kunstakademie Breslau 1932: „Die Seminararbeit ist eine Gemeinschaftsarbeit von Arbeitsgruppen (..) Die Arbeit wird auf diese Weise sicher reifer und fundierter werden, die Studierenden selbst bescheidener und leistungsstärker.“ 56 Wie be- scheiden oder leistungsstark die Studierenden vor Einführung der Gemeinschaftsarbeit entwarfen, ist nicht dokumentiert. Denn im Unterschied zu anderen Fachklassen zeigte der Katalog der Akademieausstel- lung 1930 unter dem Stichwort ‘Fachklassen für Ar- chitektur’ nur Bauten von Rading und Scharoun.57 Schon zwei Jahrzehnte früher hatte Poelzig an der Vorläuferinstitution, der ‘Kunstschule Breslau’, Praxis und Architekturausbildung bewusst verknüpft. Auch er hatte die Teilhabe von Studierenden an einem Meisterwerk didaktisch idealisiert und in der Außen- darstellung mit seiner individuellen Autorschaft ver- knüpft.58 Ob Meisterwerk, Gemeinschaftsarbeit, co- 50 Scharoun, Hans / Adolf Rading: Entwurf eines Lehrplans aus dem Jahr 1932, (dem Jahr der Akademieauflösung). Ibid., S.37- 38 51 „In jenen Jahren geht es in der Kunst und in den Kunstschulen um Systeme, um übergeordnete Verfahrensweisen, wie zum Beispiel um die Zuordnung des Künstlerisch-Geistigen oder des sozialen Zwecks (..) Kennzeichnend war die Verwendung vorge- gebener geometrischer Formen unter strikter Ablehnung des Ornaments.“ – Lauterbach, 1965, S.5 52 Bonatz, Paul: Vorwort in: Graubner, Gerhard (Hg.): Bonatz und seine Schüler, Stuttgart, 1931 53 „Diese gemeinsame Beurteilung der Arbeiten durch alle Lehrer, die freie offene Aussprache und gegenseitige Kritik und das Aushandeln der Noten war der große Tag des Semesters.“ Bonatz, 1950, S.105 54 Gerhard Kosel im Gespräch mit Hans-Joachim Engstfeld: Archi- tekt im Takt, in: Schwarz, Karl (Hg.): 1799-1999, Von der Bau- akademie zur Technischen Universität Berlin, Berlin, 2000, S.240-249, hier S.241 55 Eine Teilnahme an den ‘Monatsaufgaben’ lässt sich für Friedel Schmidt, Gertraude Engels, Gisela Schneider und Maria Gaiser nachweisen. Johanna Tönnesmann soll an der TH Stuttgart an ‘Ferienwettbewerben’ teilgenommen und gewonnen haben. Am Bauhaus beteiligte sich bspw. Hilde Reiss am Wettbewerb für eine ‘Garderobengarnitur’, Irene Hoffmann [geb. Hecht] mit dem Entwurf eines Teewagens am ‘Kleinmöbelwettbewerb’. 56 „Die Seminararbeit ist eine Gemeinschaftsarbeit von Arbeits- gruppen, die in sich wiederum die Spezialbearbeitung von Ein- zelaufgaben an Einzelne verteilen, die jedoch immer der Gruppe verantwortlich bleiben. Diese Arbeitsgruppen sollen sich nicht auf die Architekten beschränken. (..) Es war die Absicht, auf die- se Weise den einzelnen Disziplinen Kenntnis und Verständnis von den Aufgaben der Anderen zu vermitteln, sie aus ihrer Iso- lierung zu lösen und so zu gemeinsamen Arbeiten der ganzen Akademie zu kommen.“ Scharoun/Rading in: Lauterbach, 1965, S.55 57 Katalog Staatliche Akademie Breslau, Berlin, 1930, darin das Turmhaus (Rading) und das Junggesellenhaus (Scharoun), die anlässlich der ‘Wuwa’ gebaut wurden. Von anderen Fachklas- sen sind hier auch Arbeiten von Studierenden abgebildet. 58 Bereits beim Bau des Rathauses in Löwenberg 1906 war er be- müht, mit Lehrern, Schülern und Werkstätten „ein Werk durch- zuformen. Ein Vorgang, der ihm immer als pädagogisches Ideal vorgeschwebt hat.“ Lauterbach, 1965, S.16 - „In Breslau und Berlin waren die Mitarbeiter an meinen Arbeiten, soweit schöp- ferische Mitarbeit in Frage kommt, fast durchweg die Schüler während ihrer Ausbildung oder nachher. (..) im Gegensatz zum akademischen Hochschulunterricht erfolgt die Beschäftigung der Meisterschüler fast durchweg an den Vorbereitungen und der Durchführung von Bauten." Dabei versteht er die Übernah- me ins Meisteratelier auch als Selektion im Hinblick auf eine prospektierte Selbständigkeit: „Die Zahl der unmittelbar in das Meisteratelier eintretenden Schüler ist gering.” Poelzig, Hans: Zur Einführung in: „Poelzig und seine Schule”, Berlin, 1931, S.1 Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 159 op oder Team: bei der architektonischen Studienar- beit gerät - nicht nur am Bauhaus - manches Mal das Studium aus dem Blick, verschmelzen im Rekurs auf bewährte Meistertraditionen Mittelalter und Moderne zu didaktisch fragwürdigen Ansätzen. Vergleichsweise selten bringen Bauhausstudentinnen konkrete Vorerfahrungen von Baustellen oder aus Ar- chitekturbüros mit.59 Tessenowstudentinnen hingegen haben i.d.R. schon vor dem Studium Baustellen be- sucht und Büros von innen kennengelernt. Etliche Ar- chitekturstudentinnen der Weimarer Republik - da- runter auch manche Bauhaus-, aber kaum eine der Tessenowstudentinnen – sind ausgebildete Tischle- rinnen.60 TH-Studentinnen absolvieren aber häufig so- wohl Baustellen- als auch Handwerkspraktika. Dabei geht es jedoch um eine temporäre Partizipation, nicht um eine Ausbildungsstufe innerhalb einer handwerk- lichen Profession. Am Bauhaus signalisiert die Existenz von Werkstät- ten, dass ein handwerklicher Kompetenzerwerb in- nerhalb eines Studiums möglich sei, obschon die Zu- gangsschwellen für Studentinnen hier – im Unter- schied zur vorhandenen Kompetenz - nicht niedriger sind als in konventionellen Handwerksbetrieben. TH- Studentinnen nutzen häufig familiäre Kontakte am Heimatort, um Zugang zu Bau- und Handwerksbe- trieben zu finden. Hier werden sie manches Mal auch mit Vorbehalten und Ressentiments konfrontiert. Relativ häufig nahmen Architekturstudentinnen der Weimarer Republik bereits während der Schulzeit je- de Gelegenheit wahr, um handwerkliche Fähigkeiten zu erproben und handwerkliche Fertigkeiten zu er- werben. Mit zunehmendem Alter - auf Baustellen, in Handwerksbetrieben, bei der Zulassung zu Gesellen- prüfungen und im Studium - erleben sie jedoch, dass ihrem technischen Verständnis wie ihren handwerkli- chen Fähigkeiten misstraut wird. Die Diskrepanz zwi- schen zugeschriebenen Defiziten einerseits und rea- len Kompetenzen wie Ambitionen andererseits bleibt spürbar. Sie nimmt mit zunehmendem Kompetenzer- werb nicht etwa ab, sondern zu. Im TH-Studium war auch ein halbjähriges Büroprakti- kum vorgeschrieben. Manches Mal volontierten Ar- chitekturstudentinnen in gewerblichen Planungsbü- ros, nur selten im öffentlichen Dienst. Die weitaus meisten Tessenowstudentinnen arbeiteten auf ent- sprechenden Stellen in Privatbüros, auffällig häufig sind dies die Privatateliers von Dozenten und Profes- soren.61 Auf einem Arbeitsmarkt, auf dem Vergütun- gen auch in Form von Referenzen und Statusdistribu- tionen gehandelt werden, konnten PraktikantInnen nicht unbedingt mit einer Vergütung rechnen. Für sie wurde das Büropraktikum ggf. zu einer Ausbildungs- investition, während es von Studenten i.d.R. auch als Erwerbsmöglichkeit genutzt wurde.62 Alle Tessenow- studentinnen volontieren. Signifikant häufig dehnen sie die Zeit der Mitarbeit weit über die vorgeschriebe- nen sechs Monate hinaus aus. Offensichtlich schät- zen sie die Tätigkeit und sehen hier auch die Chance, relevante Erfahrungen für das weitere Studium resp. die spätere Praxis zu erwerben. Im Unterschied dazu ist am Bauhaus ein Büropraktikum nicht obligato- risch.63 Nur jede zehnte Studentin partizipiert hier im Laufe des Studiums an der Praxis im Berufsfeld, wo- bei die Möglichkeiten berufspraktischer Erfahrungen für die meisten Studentinnen auf das Bauhaus und dessen Umfeld reduziert bleiben. Reale Aufgaben - reelle Entwürfe: Was entwarfen Architekturstudentinnen der Weimarer Republik? Am Bauhaus gilt die möglichst objektive Analyse von Nutzungsabläufen und - da die AdressatInnen der Planung im Siedlungsbau mit den AuftraggeberInnen nicht identisch sind - die wissenschaftlich begründete Ermittlung des Bedarfs anonymer BewohnerInnen als Voraussetzung jeder Gebäudeplanung. Hier orientiert sich die Suche nach zeitgemäßen Ausdruckformen an der Großstadt wie der Industrie, deren Dynamiken auch eine Modernisierung der Architektur verspricht und mit der Hoffnung verknüpft wird, dass das Inno- vationspotential industrieller Formen der Gesellschaft nicht nur angemessen sei, sondern auch angemes- sen werden könne. Die Aufträge, an denen dies aus- probiert werden kann, stehen diesem Impetus eher im Wege.64 Der programmatische Anspruch, durch in- novative Raumprogramme und Gebäude einen ge- sellschaftlichen Fortschritt abbilden wie entwickeln zu können, bleibt dennoch immer präsent. Dementspre- chend plakativ tragen Entwurfsprojekte am Bauhaus in aller Regel antezipierenden Charakter.65 Selbst mit den für konkrete Orte entworfenen Einzelgebäuden entstehen in aller Regel Prototypen. Auch Heinrich Tessenow verknüpft mit dem Bauen weitgehende gesellschaftliche Optionen. Die konkre- ten Möglichkeiten und Aufgaben von Architekten be- urteilt er jedoch weit bescheidener. Sein Verständnis vom Bauen konzentriert sich auf das einzelne Gebäu- de und den Bauprozess. Als Lehrer sucht er das Pra- xiswissen seiner StudentInnen solide zu erweitern und fachliche Kompetenzen in einer komplexen Form zu vermitteln. Und er bemüht sich, das Verständnis für die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Bauens zu wecken. Er konfrontiert seine StudentIn- nen mit der Wohnsituation von Berliner Arbeiterfamili- en und schickt sie zum architektonischen Aufmass in Dörfer und Kleinstädte. Den Ausgangspunkt der Ent- wurfskonzepte bei Tessenow bildet die Beobachtung und Reflexion subjektiven Bedarfs. Bei der Suche 59 So Kitty van der Mijl-Dekker, Ruth Josefek, Hilde Reiss, Gertrud Hantschk, Maria Müller und vermutlich auch Amy Bernoully und Margot Loewe. 60 So Rindler, Rogler, Fernbach, Meyer-Waldeck, Wimmer, aber auch Borchmann, Hoerda, Tiedemann und Weisbach. 61 Herzenstein und Waltschanowa bei Alexander Klein, Korte bei Wilhelm Büning, Bonin bei Emil Fahrenkamp, Eisenberg bei Fritz Becker und Karselt bei Heinrich Tessenow. Auch die Bauhaus- studentinnen Beese und Bánki arbeiten bei Hannes Meyer resp. Clemens Holzmeister, sowie Ursula Schneider - während ihres Studiums an der THD - bei Otto Zoller. Und bei der Beschäfti- gung von Architekturstudentinnen zeigen manche Professoren weniger Vorbehalte als bei deren akademischer Ausbildung. So beschäftigt Walter Gropius Hilda Harte über mehrere Jahre und Hans Scharoun - im Winter 1935/36 - die englische Studentin Noreen Hepburn. AdKBK, NL Scharoun, Briefwechsel Hepburn 62 So erinnert bspw. Konrad Wachsmann seine Zeit als Praktikant um 1923: „Dann ließ mich [Leo] Nachtlicht entwerfen, denn ich hatte bei Heinrich Tessenow ziemlich viel gelernt. Trotzdem be- zahlte mir dieser Halsabschneider nur ein schäbiges Gehalt.“ Gruening, 1986, S.138 63 Welch große Bedeutung derlei Erfahrungen für das Selbstbe- wusstsein zukommt, wird deutlich, wenn die ehemalige Bau- hausstudentin Judith Kárász 1938 schreibt: „Kurz gesagt, viele von meiner Generation haben kein Fundament. (..) Ich besitze einerseits eine ungeheure Selbstsicherheit, andererseits eine noch ungeheuerere Unsicherheit. Denn ich muß immer wieder sehen, daß alles was ich kann und mache mir leicht fällt und (..) auch ganz richtig“ ist. DAM, NL Hannes Meyer, Schreiben von Judith Müller-Tourraine geb. Kárász (1912 Szeged - 1977 Buda- pest) an Meyer, Bondegaard, 26.1.1938. Kárász studierte 1931 bis 1932 am Bauhaus Fotografie bei Peterhans. Sie war zu Be- ginn ihres Studiums in Dessau 18 Jahre alt. Vgl. auch Nachti- gäller, Roland: Kurzbiografie Kárász, in: Wechselwirkungen, 1987, S.57 64 Bei den Privataufträgen des Ateliers Gropius mussten häufig in- dividuelle Wünsche der Auftraggeber berücksichtigt werden. Die wichtigen Aufträge aus der Ära Hannes Meyer - die ADGB in Bernau sowie die Siedlungsbauten für Dessau-Törten - sind qua Programm wie Auftragssituation unmittelbarer als gesellschafts- reformerische Projekte erkennbar. Sie entstehen jedoch in städ- tischen Randlagen oder räumlich abgeschieden. 65 So lassen sich bspw. bei den Entwürfen für die Junkerssiedlung weniger Reform- als Gestaltungsansprüche ausmachen, wenn die seriellen Ausdrucksformen industrieller Fertigung über den Horizont hinaus reproduziert werden. 160 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? nach angemessenen Entwurfslösungen avancieren - in Reaktion auf die moderne Massengesellschaft - Bauten zu Beispielen, deren Bildhaftigkeit und Ver- trautheit den NutzerInnen in einer überschaubaren Gemeinschaft Halt bieten sollen. Dementsprechend werden die beim Aufmessen und Skizzieren histo- risch gewachsener Siedlungs- und Gebäudestruktu- ren gesammelten Anschauungen in Bauten für zu- künftige Siedlungen und Kleinstädte quasi - formal reduziert - ‘übersetzt’. Maßstab bleibt die Schlichtheit in Material, Form und Ausdruck. Als höchstes Gebot gilt das Anknüpfen an das Bewährte, tektonisch wie formal. Und während sich Tessenow selbst auch an Bauaufgaben und Wettbewerben in großstädtischen Kontexten beteiligt, bleibt dieses Entwurfsterrain für seine StudentInnen quasi tabu. Auch am Bauhaus existiert insgesamt - nicht zuletzt aufgrund des Spektrums an Lehrenden - eine gewis- se Themenbreite. Hier werden insbesondere Aufga- ben des Siedlungsbaus und öffentliche Bauten bear- beitet, aber auch Innenausstattungen, Einfamilien- häuser und Villen, Riesengebirgsbauden und Ritter- güter entworfen. Hier dominieren jedoch konkrete, zumeist auch konkret verortete Einzelthemen, die i.d.R. semesterweise und im Maßstab variieren: Die Aufgaben reichen vom Möbel bis zur Siedlung. TH- Studentinnen können demgegenüber einerseits be- reits zwischen Lehrenden, andererseits häufig auch zwischen Entwurfsthemen wählen. Obligatorisch ist bei Eintritt ins Seminar Tessenow ‘das kleine Wohn- haus’. Anschließend werden in Abhängigkeit vom individuellen Studienfortschritt Einzelaufgaben aus unterschiedlichen Themenbereichen bearbeitet - mit tendenziell wachsendem Maßstab. Mit der Semester- zahl wächst auch die Möglichkeit eigene Themenvor- schläge einzubringen. Insbesondere beim Diploment- wurf ist bei Tessenow wie am Bauhaus zumindest eine Mitsprache möglich.66 Wie an der breiten Streu- ung der Arbeiten deutlich wurde, machten StudentIn- nen von dieser Möglichkeit rege Gebrauch. Als Diplo- me werden i.d.R. öffentliche Bauten resp. Bauten für die Gemeinschaft gewählt. Zeitgleich werden in anderen Seminaren resp. an an- deren Hochschulen vergleichbare Themenstellungen bearbeitet, so entstehen Anfang der dreißiger Jahre an der TH Charlottenburg im Seminar Bruno Tauts Wohnungsbauten, Schulen und Kindergärten, zeit- gleich lässt Poelzig bspw. Hotels, Schwimmbäder und Theater entwerfen.67 Auch im Seminar Bonatz an der TH Stuttgart beschäftigen sich Studierende mit Wohnbauten, Geschäfts- und Sonderbauten, sie ent- werfen als Diplomarbeiten Hotels, Schwimmbäder, Kuranla-gen, Sportstätten oder auch Bahnhöfe und Großga-ragen.68 Die Aufgabenstellungen sind häufig in konkreter großstädtischer Umgebung verortet und zeigen – nicht nur bei Wettbewerben - Aktualität.69 Bonatz lässt in seinem Seminar auch Aufgaben aus dem eigenen Büro bearbeiten, wie bspw. die Neu- bauten für die TH Stuttgart.70 Am Bauhaus werden Studentinnen im Bereich Bau/ Ausbau bevorzugt mit Fragen der Innenausstattung und Küchenplanung beschäftigt. Die Zuweisung ge- schlechtsspezifischer Zuständigkeitsbereiche bildet sich bei Tessenow, der Möbelentwurf und Interieur durchaus auch als seine Sache verstand, nicht in die- ser, jedoch in anderer Form ab: Während Studentin- nen und Studenten in den zwanziger Jahren die glei- chen Aufgabenstellungen bearbeiten, nehmen ge- schlechtlich konnotierte Entwurfsaufgaben im Laufe der dreißiger Jahre - in Relation zum Anstieg der Studentinnen sowie der Politik geschlechtergetrenn- ter Sphären - zu.71 Öffentliche resp. öffentlich sichtbare Räume für Frau- en - wie sie während der Kaiserzeit durch frauenbe- wegte Mäzenatinnen initiiert und finanziert wurden - und Wohnformen mit emanzipatorischem Charakter - wie Einküchenhäuser oder auch Studentinnenwohn- heime - werden von Architekturstudentinnen der Wei- marer Republik durchaus bearbeitet, als Aufgaben- stellungen aber weder bei Tessenow noch am Bau- haus angeboten. Wenn Studentinnen Themen aus diesem Bereich initiieren oder aufgreifen, wird dies ignoriert.72 66 Dies war auch an anderen Fakultäten üblich. Mitsprache beim Diplomthema war bspw. auch bei Bonatz möglich. Und auch Poelzig stellte Ende der zwanziger Jahre den Studierenden die Wahl des Diplomthemas frei. Engstfeld, 2000, S.233. 67 Hotel in Chemnitz (Kosel 1931), Theater (Oesterlen um 1935), Schwimmbad (Diplomarbeit Oesterlen 1936). Vgl. Engstfeld, 2000, S.240 - „Meine Gruppe entwarf einen Kindergarten“, erin- nert Karola Bloch. (Bloch, 1981, S.79) 68 Johanna Tönnesmann diplomierte bei Bonatz 1936 wahrschein- lich mit einem Sportstadion. (Schreiben Barbara Büttner vom 3.3.1998.) Aufgrund einer Veröffentlichung ist die 1939 als Di- plomarbeit bei Bonatz eingereichte Kuranlage von Genia Ma- rohn-Stockmayer bekannt. (Architekturwettbewerbe, 1.Jg., H.3, Kuranlagen, Stuttgart ,1939, S.52-56.) - 1930 wurden als Di- plomthemen bspw. eine Altstadt-Sanierung in Stuttgart und der ‘Bahnhof Angora’ bearbeitet. Zu diesem Bahnhof sind die Di- plomentwürfe von Robert Hussendörfer (Stuttgart), Walter Kön- geter (Düsseldorf) und Fritz Schumacher (Bremen) in den Kata- log aufgenommen. (Graubner, 1931, S.46-50) 69 Darunter ein Entwurf für ein Appartementhaus, das offensicht- lich als Beitrag für den Wettbewerb für das ‘Budge-Heim’ in Frankfurt entstand. Auch an der TH Dresden wurden aktuelle Wettbewerbsaufgaben zu Studienthemen. 1938 war bspw. der zeitgleich ausgelobte Wettbewerb für den Neubau der Deut- schen Botschaft in Stockholm auch Diplomthema. Hilde Eberles Diplomentwurf war eine ‘Deutsche Botschaft in Stockholm’. Droste, Christiane: Hilde Weström – zur Person, in: Das verbor- gene Museum (Hg.): Hilde Weström, 2000, S.15-23, hier S.19. 70 Darunter im Sommer 1930 das ‘Studentenheim in Stuttgart auf dem Weissenhofgelände’. Vgl die Entwürfe von Elmar Rogge, Wilhelmshaven oder Ernst Reitzer, Perjámos (Banat/Rumänien) in Graubner, 1931, S.72-73, resp. S.74-75 71 Lediglich bei der Aufgabenstellung ‘Schule’ lässt sich neben der ‘Dorfschule’ auch die ‘Knabenschule’ (für Studenten) resp. die ‘Mädchenschule’ (für Studentinnen) finden. Dieser Modus ist auch an anderen Hochschulen zu finden: So entwarf bspw. Leonie Pilewski an der TH Darmstadt als Diplomarbeit 1922 eine ‘Achtklassige Mädchenschule’. Vgl. Biografie Pilewski. 72 Wie bspw. 1923 bei Dicker und 1932 bei Wimmer resp. Karselt. Im Unterschied dazu stellt bspw. Franz Schuster am Städel in Frankfurt um 1931 die Aufgabe ‘Wohnung für eine berufstätige Dame’. Wasmuth´s Monatshefte für Baukunst, Berlin, 16.Jg., 1932, S. 246 Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 161 Wohnung der berufstätigen Frau, Studentischer Entwurf in der Architekturklasse (Franz) Schuster an der Städelschule, um 1931 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Studium oder ‘Schule’? Wie entwerfen Architek- turstudentinnen der Weimarer Republik Auch wenn im Rahmen der vorliegenden Arbeit nun zahlreiche Aufgabenstellungen und Entwurfsthemen dokumentiert werden konnten, so sind bisher doch mehr Themen als Arbeiten von Architekturstudentin- nen der Weimarer Republik bekannt. So liegen bspw. eine ganze Reihe der ‘kleinen Wohnhäuser’ von Tes- senowstudentinnen vor. Obschon Wohn- oder Ein- familienhäuser auch am Bauhaus – bspw. von Reiss, Wilke, Wimmer oder Meyer-Waldeck –entworfen wur- den lässt sich aus der Studienzeit bisher kein einziger Entwurf einer Studentin dokumentieren und damit auch konkret analysieren. Hier ist lediglich der 1932 - wahrscheinlich bereits außerhalb des Studiums - ent- standene Entwurf ‘Casa Grande’ von Lore Enders dokumentiert. Neben den unterschiedlichen Entste- hungszeiten vergleichbarer Aufgabenstellungen steht vor allem die Unterschiedlichkeit der Entwurfsthemen vergleichenden Analysen im Wege.73 73 Auch der Diplomentwurf ‘Großstadthotel’ von Hilde Reiss aus dem Jahre 1932 konnte nicht dokumentiert werden und lässt sich bisher nicht mit dem Entwurf ‘Hotel Vier Jahreszeiten’ von Lieselotte von Bonin 1931 vergleichen. Ähnliches gilt für die 1932 von Helga Karselt resp. Annemarie Wimmer entworfenen Studentinnenwohnheime. 74 Droste, 1991, S.212 162 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? Ansicht von NordenGertraude Engels, Arzthaus, 1935, Südansicht Lore Enders, La Casa Grande, 1932, Ansicht von Norden Ansicht von Süden Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Ein direkter Vergleich gleichartiger Aufgabenstellun- gen ist jedoch bspw. zwischen der von Wera Meyer- Waldeck 1932 entworfenen ‘8-klassigen Schule’ und der – 1937 entstandenen – Diplomarbeit Hildegard Kortes ‘Landwirtschaftliche Frauenschule’ möglich. Eine ähnliche Vergleichbarkeit scheint zwischen den 1936 resp. 1942 entstandenen Entwürfen für ein Mädchen- resp. Kindererholungsheim von Gertraude Engels und Lotte Stam-Beese gegeben. Am Bauhaus wurden möglichst abstrakte, distanzier- te Formen der Entwurfsdarstellung gewählt und typo- grafisch beschriftet. Iso- und Axometrien, die techni- sche Tuschezeichnung, aber auch Farbkonzepte prä- sentieren den Anspruch wissenschaftlich objektiver Analyseverfahren in die Darstellung. Manches Mal vermitteln Fotocollagen zwischen abstraktem Kon- zept und Wirklichkeit. Im Unterschied dazu finden wir bei Tessenow möglichst lebendige, alltagsweltlich greifbare Zeichnungen. Hier wird versucht, mit Hilfe der Darstellung die Distanz zwischen Zeichnung und zu bauendem Objekt verschwinden zu lassen. Grund- und Aufrisse werden als Handzeichnungen über- zeichnet, selbst technische Zeichnungen mit Hand beschriftet. Perspektiven deuten durch landschaftli- che Elemente eine reale Umgebung an, in Detaildar- stellungen und Schnitten simulieren bspw. dampfen- de Töpfe, dass die gezeichneten Räume bereits von NutzerInnen in Gebrauch genommen worden seien. In Gipsmodellen werden die Projekte als gleichsam mit der Landschaft verwachsen dargestellt. Während die bei Tessenow entstandenen Entwürfe in der Art der Darstellung eine konkrete Umgebung suggerie- ren, die ihnen - qua Aufgabenstellung - nicht zugrun- de liegt, erscheinen Bauhaus-Entwürfe in der Präsen- tation losgelöst von der Umgebung, obwohl sie ganz überwiegend für konkrete Orte entstehen. Und während Entwürfe am Bauhaus die plakative Modernität durchaus großformatig - bei Mies „auf übergroßen weißen Blättern“ 74 - präsentiert werden, gilt die großformatige Zeichnung im Seminar Tesse- now als architektonische Großmannssucht. Nicht nur qua Darstellung tragen beide Entwürfe Beispielcha- rakter. Zunächst folgt nun die Gegenüberstellung typolo- gisch vergleichbarer Studienentwürfe beider ‘Schu- len’, zweier Schulen und zweier Erholungsheime. Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 163 8-klassige Volksschule, Diplomarbeit Wera Meyer-Waldeck, 1932, Schnittdetails Kindererholungsheim, Diplomarbeit Gertraude Engels, 1936, Schnitt Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Nebenstehend ist eines von vier Blättern der 1932 entstandenen Diplomarbeit Wera Meyer-Waldecks zu sehen. Der Entwurf einer 8-klassigen Volksschule entstand wahrscheinlich im Kontext der Dessauer Junkerssiedlung. Ebenso wie der von ihr 1931 für diese Siedlung entworfenen Ganztagskindergarten75, ist diese Schule im Unterschied zu den - strikt ost- west-orientierten Wohnzeilen - in der die Infrastruk- turbauten kennzeichenden Winkelform konzipiert. Im Unterschied zum Kindergarten handelt es sich um ein zweigeschossiges Gebäude, dessen Westecke drei- geschossig markiert wird. Die Klassen- und Werkräume dieser Schule sind über zwei Geschosse verteilt ausschließlich südwestorien- tiert im Westteil des Gebäudes einhüftig angeordnet. Diesen Räumen sind Freiflächen - ‘Freiklassen’ - zu- geordnet. Erschlossen über die Nordostecke befin- det sich die Direktion direkt neben dem Eingang. Da- runter ist ein über Außenrampe erschlossener Fahr- radkeller, darüber sind Essraum, Küche und Biblio- thek untergebracht. Im Ostflügel des Gebäudes ord- net Meyer-Waldeck einen Veranstaltungs- und Sport- bereich mit Oberlichtbändern an. Die von ihr gewähl- te Stahlbetonskelettkonstruktion ermöglicht einen ho- hen Fensterflächenanteil. In den Klassenräumen setzt sie durchgängig raumhohe Fensterelemente ein. Die teilweise erheblichen Spannweiten überbrückt sie mit Hilfe von Fachwerkträgern. Dieser Schulentwurf addiert quasi das zugrundege- legte Raumprogramm. Dies führt zu teilweise fragli- chen Nutzungsabläufen, einem immensen Erschlie- ßungsflächenanteil und einem hohen konstruktiven Aufwand. 164 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? Diplomarbeit Wera Meyer-Waldeck, 1932, Ansicht von Südwesten, Schnitt, Grundrisse EG und (rechts unten) 1.OG Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Im Unterschied zu einem Schulkomplex besteht die 1937 von Hildegard Korte bei Tessenow entworfenen Landfrauenschule aus einer raumgreifenden, strikt symmetrisch aufgebauten Anlage, die - in der Typo- logie ländlicher Schlossanlagen - mitten in der Land- schaft plaziert ist.76 Im Zentrum steht mit dem Haupt- gebäude das eigentliche Schulgebäude, das von We- sten durch einen von eingeschossigen Nebengebäu- den flankierten Cour d´Honeur erschlossen wird. Nach Osten öffnet sich - flankiert von ebenfalls ein- geschossigen Schlafhäusern der Schülerinnen - der Blick vom Hauptgebäude über die Festwiese zur Landschaft. Das zentral erschlossene Hauptgebäude - die mittige Erschließung wird durch das Tryptichon im Giebel betont - beherbergt im Obergeschoss ein- hüftig erschlossene, nach Südosten orientierte Unter- richtsräume und - mittig vorspringend - die Direktion. Das Erdgeschoss gliedert sich in den nördlichen Kü- chentrakt und den südlichen Gemeinschaftstrakt. Als eingeschossige Appendices sind an den Schmalsei- ten des Gebäudes eine große Lehrküche und ein als ‘Spielzimmer’ bezeichneter Veranstaltungsbereich angegliedert und über Vorhallen mit Nebenausgän- gen versehen. Alle Bauten auf dem Gelände sind als verputzte Mauerwerksbauten geringer Spannweiten mit Satteldach konzipiert. Sowohl in der Gebäudepla- nung wie in der Konstruktion beweist Korte Sorgfalt, Sachkenntnis und ökonomisches Denken. Beide Schuleentwürfe verbindet, dass sie den Unter- richtsräumen in zentraler - und erhöhter - Lage opti- male räumliche Bedingungen zu schaffen suchen und dafür einhüftige Erschließungen wählen. Während Meyer-Waldeck Konzentrations- und Kommunikati- onsräume nach zuvor getroffenen Entscheidungen - gebäudeplanerisch eher unbeholfen - quasi addiert, kombiniert Korte in ihrem Entwurf souverän die Nut- zungsanforderungen einer Landfrauenschule ökono- misch mit der Lagegunst und einer strikt ordnenden Grundstruktur. In der Höhenstaffelung wie in den Fassadengliederungen lässt dieses Ensemble keiner- lei Zweifel über die ordnungspolitische Dimension dieser Schule aufkommen, während Meyer-Waldecks Entwurf mit den - nicht minder strikten - Fassaden- gliederungen die Serialität industrieller Produktions- bedingungen auf den Schulbau überträgt. 75 Vgl. Entwurf Kindertagesstätte Meyer-Waldeck, Kap.4, S.75 76 Vgl. Lageplan der Landfrauenschule von Hildegard Korte in Kap.5, S.134. Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 165 Ansicht von Nordwesten Landfrauenschule, Diplomarbeit Hildegard Korte, 1937, Hauptgebäude der Anlage, Grundriss OG, Grundriss EG (unten) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 1936 diplomiert Gertraude Engels mit dem hier in Auszügen gezeigten Entwurf eines Erholungsheimes für 40 Mädchen. Nordseitig an einem Waldrand ge- legen und von Westen durch eine Landstraße er- schlossen besteht der Bau aus einem verputzten Sockelgeschoss mit angehängtem Schuppen und ei- nem Obergeschoss in Holzfachwerkbauweise. Tes- senow hatte in der Aufgabenstellung angeregt, we- gen der zeitlich begrenzten Nutzung eine gedämmte Leichtbaukonstruktion zu wählen. Engels entscheidet sich aber für den ‘Dauerbetrieb’ und für 38 cm star- kes ‘Vollgiebelmauerwerk’ für das dem Tagesbetrieb gewidmeten Erdgeschoss.77 Hier sind Küche, Ess- und Aufenthaltsräume und - durch die große Halle des Haupttreppenhauses getrennt - Nebenräume wie Büro, Sprech- und Krankenzimmer untergebracht. Im Obergeschoss sind sämtliche Schlafräume nach Sü- den orientiert und mittig ein Liegeraum angeordnet. Engels entwickelt ein ebenso übersichtliches wie funktional störungsfreies Ferienheim, das eindeutig zu der bevorzugten Südseite orientiert ist. Dies ist auch der für die Kinder vorgesehene Freibereich, von dem der im Norden liegende Wirtschaftshof durch das Gebäude abgetrennt ist. Gleichzeitig gelingt es ihr durch Materialwechsel, leichte Vor- und Rück- sprünge in den Gebäudefronten sowie die rhythmi- sierte Anordnung unterschiedlicher Fensterformate, dem auch ökonomisch optimierten Raumprogramm die Großmaßstäblichkeit zu nehmen. 77 NL Herde, Diplomaufgabe Tessenow „Kinderheim für erho- lungsbedürftige Schulkinder von 6-14 Jahren - Mächenheim”, genehmigt durch den Dekan am 1.11.1935, - Erläuterungstext Engels, MS, 4 Bl., o.D. 166 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? Mädchenerholungsheim, Diplomarbeit Gertraude Engels, 1936, Grundrisse EG und Obergeschoss (oben) Perspektive von Südwesten Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Ebenfalls ein Kindererholungsheim - allerdings für 24 Kinder - entwirft Lotte Stam-Beese als Studienarbeit 1941/42. Jahre nach ihrem Besuch der Bauabteilung - 1928 in Dessau - und nach jahrelanger Mitarbeit in verschiedenen Projektzusammenhängen ist sie seit Herbst 1940 an der Academie voor Bouwkunst in Amsterdam immatrikuliert, als Han Groenewegen als Semesteraufgabe eine ‘Kinderkoloniehuis’ stellt. Ähnlich wie Engels´ Entwurf liegt auch Beeses Heim in waldiger Umgebung. Von Norden erschlossen ist dieses ebenfalls zweigeschossige Gebäude jedoch als freie, dreiflügelige Form in Skelettbauweise auf eine Lichtung gesetzt. Auch Beese ordnet die Schlaf- räume auf zwei Flügel verteilt und nach Süden und Osten orientiert im Obergeschoss an. Auch sie glie- dert das Erdgeschoss in einen Küchen- / Essbe-reich sowie einen - durch einen überdachten Durchgang getrennten - Verwaltungsbereich mit Krankenzimmer- chen. Den Aufenthaltsbereich konzipiert sie jedoch als eigenständigen, nach Süden freigestellten Appen- dix. Im Unterschied zu Engels rythmisiert Beese die Fassaden als offene und geschlossene Flächen und betont derart die Skelettbauweise. Und während En- gels die unterschiedlichen Bereiche durch Material- wahl in der Horizontalen, durch Versprünge in der Vertikalen differenziert, komponiert Beese die ver- schiedenen Bereiche als Raumvolumia in freier Form. Hier durchdringen sich Außenräume und umbaute Räume ebenso souverän wie spielerisch, während Engels’ Entwurf die Verbindung zur Umgebung durch die Materialität sucht. Obschon dieser Entwurf eines Kindererholungshei- mes deutlich nach der Zeit Stam-Beeses am Bau- haus - wenngleich erneut in einem Ausbildungskon- text entsteht - spiegeln beide Entwürfe exemplarisch die am Bauhaus resp. von Tessenow vertretene Ent- wurfshaltung wider. Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 167 Perspektive von Süden Grundriß des Obergeschosses Blick in die Halle Kindererholungsheim, Studienarbeit Lotte Stam-Beese, 1942, Lageplan mit Erdgeschoß Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Ob großformatige Axonometrie oder kleinformatige Handzeichnung, ob mit Bitumiplast und Bitumitekt gedichteten Flachdächern oder mit traut geneigten Ziegeldächern bedacht, sowohl am Bauhaus wie bei Tessenow folgen die Entwürfe der Studierenden de- nen der Lehrenden überdeutlich. Bei den Themen, deutlicher aber noch am Repertoire architektonischer Ausdrucksformen wie auch an den Darstellungswei- sen zeigt sich der klar konditionierende Charakter beider Schulen. Denn im Unterschied zu Poseners Erinnerungen an die Vielfalt der Studienentwürfe bei Poelzig - „es war alles da“ 78 - künden beide Ausbil- dungsrichtungen in der Wahl der Darstellungsformen wie des architektonischen Ausdrucks von Entwurfs- haltungen im Sinne einheitlicher - auch stilistisch er- kennbarer - Schulen. Die in der Großstadt studierenden Tessenowstuden- tinnen entwarfen idealtypische Gebäude für eine Ge- sellschaft, die ihren Lebensmittelpunkt in Klein- und Mittelstädten sieht und deren Keimzelle die traditio- nelle Familie ist. Die in Weimar und Dessau studie- renden Bauhausstudentinnen konzipierten möglichst reale Projekte für eine großstädtisch-orientierte Ge- sellschaft. Damit beschäftigten sich Studierende - am Bauhaus wie bei Tessenow - mit Gestaltungsaufga- ben, die in auffälliger Diskrepanz zum jeweiligen Stu- dienumfeld und häufig auch in deutlichem Kontrast zu ihrer Erfahrungswelt standen.79 An beiden Schulen wurde das vordergründig Reprä- sentative der Gründerzeit als unangemessen abge- lehnt und nach angemesseneren Ausdruckformen der gebauten Umwelt gesucht. Während Tessenow den Ansatz verfolgte, einer durch Industrialisierung und Verstädterung aus den Fugen geratenen Gesellschaft durch handwerklich-orientiertes Bauen und über- schaubare Siedlungen eine Heimat zurückzugeben, waren Großstadt und Industrialisierung am Bauhaus positiv besetzte Begriffe, die mit der Hoffnung auf ei- ne offenere Gesellschaft und politische Mündigkeit verknüpft wurden. Insbesondere seriell realisierbare Architektur galt dabei als Mittel wie als Motor, um einen sichtbaren Weg in eine fortschrittliche Gesell- schaft zu weisen. In der Präferenz der Entwurfsaufgabe Wohnhaus zeigt sich eine Parallele zwischen Tessenow und Mies. Beide machten das Wohnhaus zum obligatori- schen Ausgangspunkt ihres Entwurfsunterrichts, ob- schon sie ihren Studierenden völlig unterschiedliche Gestaltungs- und Ausführungsprinzipien vermittelten. Wie Tessenow, der das kleine Wohnhaus als Funda- ment jeglichen Entwerfens wie als Keimzelle aller Be- hausung betrachtete, war auch Mies der Ansicht, „wer ein Haus entwerfen könne, werde auch mit allen anderen Bauaufgaben fertig.“ 80 Der Vergleich der Aufgabenstellungen macht aber auch Unterschiede zwischen den Schulen sichtbar: Während bei Tessenow ‘Schulen’, ‘Dorfhäuser mit Kirche’, Jugendherbergen, Restaurants, Sanatorien, Wandelhallen, ‘Nebenstellen’ für Reichspost oder Reichsbank, vereinzelt auch Hotels, Ladenzeilen und Rathäuser geplant werden, finden wir hier keinen mehrgeschossigen Wohnungsbau, kein Geschäfts- und kein Parkhaus. Selbst Themen wie ‘Kindergar- ten’ sind hier quasi nicht existent. So unmittelbar die gewählten Darstellungsformen im Seminar Tessenow an die Alltagswelt anknüpfen, die 78 An „Kritiktagen - das waren der Donnerstag und der Freitag - ein unbeschreibliches Gewimmel der verschiedensten Entwürfe an der Wand: klassische, romantische, bauhäuslerische, von Mendelsohn beeinflußte: es war alles da.“ Posener, Julius: Zwei Lehrer: Heinrich Tessenow und Hans Poelzig, in: Rürup, Rein- hard (Hg.): Wissenschaft und Gesellschaft. Beiträge zur Ge- schichte der Technischen Universität Berlin 1879-1979, Berlin, Heidelberg, New York, 1979, I, S.364-371, hier S.367 79 Denn die in Großstädten geborenen und aufgewachsenen Tes- senowstudentInnen befassten sich mit Bauaufgaben, die in aller Regel in mittleren und kleinen Städten angesiedelt waren, wäh- rend die weit seltener in Großstädten aufgewachsenen Bau- hausstudentInnen ganz überwiegend großstädtische Bauaufga- ben bearbeiteten. 80 Droste, Magdalena: bauhaus 1919 - 1933, Köln, 1991, S.212 168 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? Jugendherberge resp. Hotel auf einer Bergkante, Studienarbeit bei Tessenow, vor 1932, evtl. Diplomarbeit Anni Pfeiffer, Modell Berghotel, Diplomarbeit bei Bonatz, Elisabeth von Rossig,1930 Hotel „Vier Jahreszeiten”, Diplomarbeit bei Tessenow, Lieselotte von Bonin, 1930 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Aufgabenstellungen bleiben traditionell bzw. meiden geradezu das aktuelle Baugeschehen. Im Unter- schied dazu knüpfen Bauhausentwürfe qua Aufga- benstellung i.d.R. an konkrete Fragestellungen und aktuelle Wettbewerbe an, erheben mit abstrakten Darstellungsformen jedoch einen universellen An- spruch. Die Aufgabenstellungen des Wohnungs-, Verkehrs-, Repräsentations- und Gesellschaftsbaus im Seminar Bonatz stehen - qua Aktualität und Realitätsbezug - den Entwurfsaufgaben am Bauhaus weit näher als den Themenstellungen bei Tessenow. Andererseits zeigen sich in den Entwurfsauffassungen, der Form- findung und der Darstellung deutliche Parallelen zwi- schen Bonatz und Tessenow. Auch bei der Bearbei- tung bevorzugen beide Schulen handwerkliche Tech- niken. Im Vergleich zeigt sich besonders deutlich, wie stark Tessenow bzgl. der Themen zu aktuellen Archi- tekturdebatten auf Distanz bleibt und dies auch sei- nen StudentInnen abfordert. „Kein Wunder (..), daß es niemals eine ‘Schule Poel- zig’ gegeben hat, so wie es eine ’Schule Tessenow’ gab und eine ‚Schule Mies’ “, resümiert Posener in seinem rückblickenden Vergleich der Seminare.81 So augenfällig sich diese These anhand der Homogeni- tät der Darstellung in den Studienarbeiten - sowohl bei Tessenow wie bei Mies - bestätigt, hinsichtlich der Entwurfshaltungen lassen sich Parallelen zwi- schen ‘Meister-’ und ‘Schülerwerken’ auch in jenen Seminaren finden, die qua Themenspektrum dichter beieinander liegen. Dass sich hier die Affirmation der ‘Lehrmeinung’ nicht immer unmittelbar abbildet, die Adaption nicht in Epigonentum umschlägt, lässt sich als liberale Haltung eines Gropius´ oder Meyer, eines Rading, Scharoun oder Poelzig interpretieren. Zwei- felhaft bleibt jedoch, ob eine Förderung individueller Ausdrucksformen hier tatsächlich Ziel der Lehre war. Die Differenz in den Raumauffassungen bildet sich in Formgebung wie Materialwahl deutlich ab. Blieb die klimatische Trennung zwischen Innen- und Außen- raum unverzichtbar, so hielt Tessenow an der Grenze zwischen Räumen auch deshalb fest, weil für ihn die materialisierte Begrenzung eine unverzichtbare Vor- aussetzung für jede Form von Behausung war. Dem- entsprechend wurde im Seminar in Mauerwerk, Holz und Ziegel gedacht und entworfen, um diese Projekte mit Hilfe konventioneller Bautechniken zu errichten. Im Unterschied dazu ging es beim ‘Neuen Bauen’ im- mer auch um die Öffnung geschlossener Räume. Ma- teriell notwendige Begrenzungen durch die Schaffung immaterieller Räume erweitern zu können, barg die Faszination, dank der Wahrnehmung uralte Gesetz- mäßigkeiten mit Hilfe neuer Materialien überwinden zu können. Dementsprechend galt es am Bauhaus, die neuen industriellen Möglichkeiten und Baustoffe wie Stahl, Glas, Beton, Roste und Sand-wichplatten auszuprobieren und Bauprozesse so zu elementieren, dass sie industriell (vor)gefertigt werden können. Von Meistern und Assistenten ermutigt, passten sich offensichtlich auch die ArchitekturstudentInnen den jeweils vorgegebenen Programmen an. Sie entwarfen thematisch programmgetreu und bewegten sich in- nerhalb des Formenrepertoires der jeweiligen ‘Schu- le’. Wie radikal oder grundsätzlich das Entwerfen ‘in Stilen’ auch abgelehnt wurde, die StudentInnenarbei- ten zeigen deutlich, dass - wo nötig - das Entwerfen ‘im Sinne des Meisters’ mit mehr oder minder sanf- tem Druck durchgesetzt wurde, die Entwicklung indi- vidueller Ausdrucksformen sowohl im Seminar Tesse- now wie am Bauhaus nur im Ausnahmefall geduldet und keinesfalls gefördert wurde. So verwundert nicht, dass im Laufe des Studiums die Assimilation an das jeweilige Milieu der Fachkultur – die Schule - steigt, sich auch die Studentinnen in die SchülerInnenrolle fügten. Unter dem Einfluss „übermächtiger Vorbilder“ am Bauhaus resp. eines Lehrers, der „jede Abwei- chung mit Skepsis“ sah, entstanden in aller Regel ‘Bauhausbauten’ bzw. „lauter kleine Tessenows“.82 „Endlich einer, der bewußt Erzieher ist, Schule bil- det“, gerät Paul Bonatz 1941 in einem Brief an den Leiter der Deutschen Werkstätten in Hellerau über Ri- chard Riemerschmid ins Schwärmen und verleiht die- ses Prädikat auch Heinrich Tessenow.83 Ob Meister, Lehrer oder gar Erzieher: Sowohl an den Studentin- nenarbeiten im Seminar Tessenow als auch anhand der wenigen Studienarbeiten von Bauhausstudentin- nen wurde sichtbar, dass während des Studiums ei- ne große Übereinstimmung mit den geistigen Haltun- gen der Lehrenden zum Ausdruck kommt, weshalb sowohl von ‘Tessenowschülerinnen’ als auch von ‘Bauhausschülerinnen’ gesprochen werden kann. Zweifelhaft erscheint jedoch manches Mal, ob damit auch eine geistige Gefolgschaft verbunden ist oder sich primär eine Konvergenz in der Wahl der Aus- drucks- und Präsentationsformen abbildet. Denn die Bandbreite akzeptabler Themen und Positionen war innerhalb der jeweiligen Ausbildung ebenso limitiert wie die Wahl der Mittel. Auch wenn immer wieder reklamiert wird, dass eine Prägung im Sinne einer ‘Schule’ das Ergebnis einer inhaltlichen Auseinandersetzung während einer prä- genden Lebensphase, nämlich der Ausbildungspha- se sei84, so lassen bereits die Titel der Außendarstel- lungen - wie „Poelzig und seine Schule“ und „Bonatz und seine Schüler“ - die Leichtigkeit des Drucks er- ahnen, mit der derlei Einheitlichkeit der Gestaltung resp. geistigen Haltung während eines mehrjährigen Prozesses aktiv hergestellt wird. Symbolträchtig präsentiert 1931 die Berliner Akade- 81 Posener, Julius: Hans Poelzig in: Ribbe, Wolfgang / Schäche, Wolfgang (Hg.): Baumeister. Architekten. Stadtplaner, Berlin, 1987, S.375. - Allerdings sind weder die ‘Schülerarbeiten’ noch die späteren Arbeiten ehemaliger Studentinnen und Studenten bei Hans Poelzig bisher vergleichend erforscht worden. 82 Posener, 1979, S.366 83 Brief von Paul Bonatz an Karl Schmidt 10.4.1941 - abgedruckt in Nerdinger, Winfried: Theodor Fischer, 1988, S.340 ff. – „Schmitthenner: Wie holt der aus Handwerk und Material Reiz und Form heraus. Endlich einer, der bewußt Erzieher ist, Schule bildet. Lasst nun diese Schüler einen Schritt wieder weiter ge- hen, eilt ja gar nicht, die besonderen Aufgaben werden das Neue bringen. (..) Als Schulebilder und Erzieher muß man auch Tessenow nennen, wenn man einige Arbeiten, die unter dem Einfluß des ‘Ring’, der Vereinigung der sogenannten modernen Architekten, abzieht, wie etwa die gesimslose Schule in Kassel. (..) In diesen ‘Ring’ passte dieser ehrliche Mann gar nicht hin- ein.“ - Bonatz weitere Ausführungen machen deutlich, dass er den Begriff ‘Erzieher’ nur für Professoren aus dem traditionellen Spektrum in Betracht zieht. - Tessenow war 1926 Mitglied der Architektenvereinigung ‘Der Ring’ geworden. 84 So schreibt bspw. Poelzig 1931: „Aus den eigentlichen Schüler- arbeiten scheint mir aber doch hervorzugehen, daß jeder wohl in seiner eigenen Art sich auswirkt, daß aber doch eine gemeinsa- me Haltung vorhanden ist. (..) Es muß erstrebt werden, jeden Schüler dazu zu bringen, dieses sein Eigenstes zu erkennen und sich durch ihm nicht gemäße Äußerlichkeiten nicht blenden und von seinem Weg abbringenzu lassen.“ Katalog „Poelzig und seine Schule“, Berlin, 1931, S.3 Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 169 mieausstelllung „Poelzig und seine Schule“ die Ver- bindung von Lehrer und Schülern. Laut Lageplan im gleichnamigen Ausstellungsführer werden die in der Hauptachse der Ausstellung gehängten Arbeiten des privaten Meisterateliers in den umgebenden Kabinet- ten von „selbständigen Arbeiten von Poelzigschülern“ und „Arbeiten aus dem Seminar Poelzig an der Tech- nischen Hochschule zu Berlin“ umrahmt. Unter den MitarbeiterInnen sind diejenigen gekennzeichnet, die „keine Schüler von Professor Poelzig gewesen“ sind, während der Katalog von den Studierenden lediglich die Namen von „selbständigen“ PoelzigschülerInnen überliefert.85 In dem im gleichen Jahr in Stuttgart erscheinenden „Bonatz und seine Schüler“ wird die im Vorwort re- klamierte Bindung an die ‘Stuttgarter Schule’ auch im Layout als Ziel professoraler Bemühungen sichtbar.86 Nach dem Vorwort stellt Bonatz zunächst Projekte und Bauten aus seinem Privatbüro vor. Der Katalog wird mit einer Serie von sieben Bauten und Projekten des Assistenten und Herausgebers Gerhard Graub- ner abgeschlossen. Dazwischen werden 33 ausge- wählte Einzel- und Gruppenarbeiten - von einer Stu- dentin und 30 Studenten - nach Themen geordnet präsentiert.87 Die außerhalb der Hochschule realisier- ten Projekte von Professor und Assistent bilden somit eine Art Klammer um die Projekt- und Diplomentwür- fe aus den oberen Semestern der späten zwanziger Jahre. Während sich die Lehrenden in Kollegialität üben oder, wie Posener dies für Poelzig und Tessenow beschrieb, „miteinander befreundet“ sind, steigt un- ter den Studierenden die Neigung zur Lagerbildung. Er erinnert die Situation Anfang der dreißiger Jahre an der TH Charlottenburg als polarisiert und polari- sierend.88 Ein Konstruieren von Differenzen zwischen Studieren- den verschiedener Lager wird auch in den 1931/32 geschrieben Briefen des am Bauhaus studierenden, ehemaligen TH-Studenten Hans Keßler sichtbar.89 Diese Wochenberichte tragen deutlich instrumentel- len Charakter, da Keßler gegenüber einer skeptischen Familie seine Entscheidung für das Bauhaus immer wieder rechtfertigt.90 Hier sind sie jedoch von Interes- se, da die kolportierten Dialoge mit der Tessenowstu- dentin Sigrid Rauter zur Illustration von Gegensätzen und Vorurteilen eingesetzt werden. Über einen Be- such der ehemaligen Stuttgarter Kommilitonin berich- tet er: Sie „fand unsere wohnung sehr nett, mein zim- mer wäre ja ‘typisch bauhaus’. wir sprachen natürlich vom unterricht am bauhaus. sie konnte sich nicht vorstellen, daß wir auch statikunterricht hätten, als wir ihr unsere kolleghefte zeigten, kam sie aus dem staunen garnicht heraus. (..) man scheint immer noch zu glauben, daß wir hier am hause nur schöne bild- chen machen. (..) für uns bauhäusler war es lehrreich, einmal alles das in frage gestellt zu hören, was uns selbstverständlich geworden ist, und die dinge durch neue augen neu zu sehen.“ 91 Im Dezember 1932 besucht Rauter auf Einladung Keßlers das Bauhaus-Fest. Kurz darauf nimmt sie die Einladung Mies van der Rohes an, sich den Unter- richt selbst einmal anzuhören. Darüber erfährt Mutter Keßler: „sie fand den unterricht fabelhaft interessant. doch hatte sie einige einwände: der unterricht sei zu theoretisch, sei ja viel abstrakter, akademischer als auf der t.h. und dann: man berücksichtige zu wenig die wirtschaftlichkeit. (..) sie meinte, wir arbeiteten mit idealfällen, die man nie verwirklichen könne. (..) dann warf uns die studentin vor, wir sähen zu sehr auf die äußere gestaltung des hauses. Bei ihnen an der t.h. hieß es: ein haus ist gut, wenn sein grundriß gut ist. Die gestaltung des aufrisses sei nebensächlich und könne den wert eines hauses nicht verringern.“ 92 Mädchen, Frauen, Kameradinnen: Studiensituationen im Vergleich „Das Bild, das die deutsche Studentinnenschaft jetzt bietet ist kein einheitliches“, stellte Anna Schönborn 1932 fest.93 Die Unterschiedlichkeit der Sozialisa- tionsbedingungen von Studentinnen betonend beob- achtet Huerkamp im Lauf der zwanziger Jahre jedoch eine „Annäherung des Sozialprofils der weiblichen Studenten an das der männlichen.“ 94 Das Durchschnittsalter der TH-Studentinnen ist ge- sunken. Und die deutliche Mehrheit der Architektur- studentinnen entstammt nun - im Vergleich zu denen der Kaiserzeit - dem bürgerlichen Spektrum.95 Qua sozialer Herkunft und kulturellem Kapital befinden sich Bauhaus- wie Tessenowstudentinnen in einer privilegierten Position. Qua Geschlecht bleiben sie immer in einer deutlichen, wie auch deutlich wahr- nehmbaren Minderheitenposition.96 Diese zunehmende Homogenisierung, die in aller Re- gel durch den historischen Nachholbedarf sowie das starke Stadt-Land-Gefälle bei der höheren Mädchen- bildung erklärt wird, bildete sich am Bauhaus deutlich weniger ab. Aber auch hier realisierten fast nur Aka- demikertöchter ein Architekturstudium. Und offenbar handelt es sich bei der Homogenisierung der Studen- tinnenschaft auch um einen Prozess normativer An- passung, denn das Spektrum der Studienfächer nimmt mit den legislativ erweiterten Aktionsradien von Studentinnen während der Weimarer Republik nicht zu, sondern ab. Dies bestätigt die Hypothese, dass die in Schule, Familie oder Medien vermittelten Geschlechterdiskurse gerade während der Weimarer Republik zur Rekonstruktion berufs- bzw. fächerspe- 85 Das Verzeichnis der „Selbständige[n] Arbeiten von Poelzig- Schülern“ führt jedoch keine Arbeiten, sondern biografische Daten, Berufsstatus und Wirkungsort von 43 nicht immer selb- ständig tätigen Schülern auf. Ibid., S.10-14 86 „Es wäre einmal interessant festzustellen, inwieweit bei denjeni- gen, die sich selbständig weiter entwickelt haben, eine Bindung der Stuttgarter Schule vorhanden ist. Sicher wird sie nachzuwei- sen sein.“ Graubner, 1931, S.4 87 Lt. Vorwort umfasst der Katalog Arbeiten von begabten Studie- renden aus den letzten vier Jahren, also zwischen 1927/28 und 1930/31. Von fünf Studenten sind zwei bzw. drei Projekte in den Katalog aufgenommen. Die Wertschätzung der StudentInnen spiegelt sich somit auch in der Anzahl der vertretenen Studien- entwürfe wider. 88 Posener, 1979, S.364 „Wobei sich bald eine Gruppe Poelzig und eine Gruppe Tessenow hervortat, die voneinander nichts wissen wollten.“ 89 Auszüge aus Briefen Hans Keßlers in: Hahn, 1985, S.169 ff. - Keßler gibt gegenüber seiner Mutter an, „die T.H-Studentin“ während eines Besuchs in Stuttgart kennengelernt zu haben. Er könnte Rauter aber auch aus seinem Grundstudium an der TH Stuttgart gekannt haben. Rauter wechselt zum Herbst 1932 an die TH Charlottenburg und studiert bei Tessenow. Vgl. Biografie Rauter. 90 Etliche Repliken lassen die Abwehr mütterlicher Sorgen erkenn- en, so bspw. „was und wo ich esse, wird dich interessieren“; Brief vom 4.11.1932, Auszüge aus Briefen Hans Keßlers, 1985, S.167. „Die anderen Bauhäuslerinnen sind bis auf eine Schwe- din wenig verführerisch. Vom ‚Bordell’ habe ich nicht mehr ge- merkt als auf den Hochschulen.“ Brief vom 24.10.1931, Ibid., S.157 ff. 91 Ibid., S.169, hier Brief vom 9.12.1932. 92 Ibid. 93 Schönborn, 1932, S.96 94 Huerkamp, 1996, S.35. Huerkamps These der zunehmenden Homogenisierung der Studentinnen im Übergang von der Kai- serzeit wie im Laufe der Weimarer Republik bestätigt sich an- hand der Tessenowstudentinnen. Im Vergleich zu den Architek- turstudentinnen der zehner Jahre nimmt die bis in die zwanziger Jahre an verschiedenen Hochschulen und quer zu den meisten Fächern vorhandene Streuung qua Altersstruktur wie qua Her- kunftsmilieu signifikant ab. 95 Im Unterschied zu Medizinstudentinnen der Kaiserzeit, deren fa- miliärer Background keineswegs immer dem bürgerlicher Töch- ter entsprach - wie Burchardt anhand der Sozialprofile 1994 be- legte -, stammten Architekturstudentinnen überwiegend aus dem Großbürgertum, dem Adel oder Offiziersfamilien. Während der Weimarer Republik sinkt deren Anteil rapide. Bei Tessenow finden wir keine Studentin aus einer Adels- oder Offiziersfamilie, am Bauhaus sind mehrere adlige Studierende zu finden, darun- ter Thoma [Gräfin] Grote. 96 So erinnert Karola Bloch, dass in ihrem Semester an der TH Charlottenburg Anfang der dreißiger Jahre „etwa 10 Prozent Mädchen“ waren. Bloch, 1981, S.68 170 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? zifischer Geschlechtstypisierungen erheblich beige- tragen haben. Bereits 1930 thematisiert Agnes von Zahn-Harnack die erneute Ausgrenzung von Frauen aus dem Bil- dungswesen und problematisierte die im Laufe der zwanziger Jahre zunehmend subtileren Legitimations- diskurse: „Daß alle Berufsbildungsfragen heute von der psychologischen Seite angepackt werden (wenn auch oft genug noch mit dilettantischen oder unzu- länglichen Mitteln) ist eine offenkundige Tatsache. Man denke nur, wie sich der Begriff ‘Eignung’ in den letzten zwei Jahrzehnten verfeinert hat.“ 97 Demgegenüber hält Wally Dietrich 1931 am selekti- ven Begabungsbegriff der „kunstgewerblichen Pra- xis“ fest, der eine „natürliche Begabtenauslese“ be- wirke. Sie betont die Wichtigkeit der richtigen Ausbil- dungsstätte und empfiehlt u.a. das Bauhaus Dessau, da nur „kunstgewerbliche Potenzen und reinliche Führerschaft“ die Förderung gefälliger oder starker Begabungen gewährleisteten.98 Sie charakterisiert die ‘natürliche’ Begabung der Frau durch „jahrhunderte- lange Übung“ als gegenüber dem Mann überlegen und imaginiert in einem - explizit an eine Leserinnen- schaft gerichteten - Artikel jene Mischung aus Opti- mismus und Naivität, die das bürgerlich feministische Spektrum dieser Zeit charakterisiert. Entgegen offen- sichtlicher Diskrepanzen in Bildungsniveau und Beruf wird die geringe Präsenz professioneller Frauen nicht mehr Geschlechterhierarchien im Erwerbsleben, son- dern dem ‘historischen Überhang’ zugeschrieben. Während die Erwerbstätigkeit von Frauen hier nicht als unerwünschte Folge, sondern als ebenso notwen- diger wie unverzichtbarer Bestandteil eines Moderni- sierungsprozesses begriffen wird, scheint die legisla- tiv ‘verordnete’ Geschlechteregalität in großen Teilen der Gesellschaft jene Mentalitätsresistenzen und re- staurativen Haltungen zu verstärken, die besonders empfänglich für biologistisch plausibilisierte Ge- schlechterdifferenzen sind. Da die Geschlechteregali- tät während der Weimarer Republik nicht von einer gesellschaftlichen Mehrheit getragen wird, entfalten Geschlechterdiskurse eine Wirkmächtigkeit, mit der die gesetzliche Option auf Gleichheit faktisch außer Kraft gesetzt wird. Wuchsen die Aktionsradien von Architekturstudentin- nen gegen Ende der Kaiserzeit, und war es Architek- turstudentinnen der Weimarer Republik gelungen, das Problem geschlechtspezifischer Passgenauigkeit bei der Studienfachwahl zu ignorieren oder zu über- winden, so machte die Studiensituation - insbeson- dere die der Bauhausstudentinnen - deutlich, dass kulturelles und ökonomisches Kapital nur sehr be- grenzte Möglichkeiten bietet, virulenten Geschlech- terdiskursen zu entkommen. Auch wenn sie von Studentinnen durchaus in Zweifel gezogen wurden, so wurden die diskursiv rekonstru- ierten Geschlechterrollen wirkmächtig. Die faktische Geschlechterhierarchie konnte - in Ermangelung einer geschlechteregalitären Lobby - durch Konsens der Lehrenden zu jedem Zeitpunkt abgesichert werden. Das doing gender - der Vollzug des geschlechterhier- archisierenden Zirkelschlusses – spielte sich jedoch auch vor aller Augen ab. So wenn ausschließlich männliche Juroren in den studentischen Entwürfen just jene Geschlechtsspezifika wiedererkannten, die auch das neben der jeweiligen Arbeit aufgehängte Porträtfoto erkennen liess.99 Bauhaus- wie Tessenowstudentinnen verfügten in al- ler Regel über ein enormes kulturelles Kapital, konn- ten während des Architekturstudiums aber nur selten davon profitieren, da soziale wie gesellschaftliche Pa- rameter durch vermeintliche Geschlechtsspezifika dominiert wurden. Insbesondere die Situation der Studentinnen am Bauhaus lässt sich als eine ambiva- lent privilegierte bezeichnen: Qua kulturellem und materiellem Kapital ihren Kommilitonen häufig überle- gen, erlebten sie die permanente - offene und ver- deckte – Benachteiligung qua Geschlecht. Das soziale Gefälle zwischen Bauhausstudentinnen und ihren Kommilitonen war weit stärker ausgeprägt als im Seminar Tessenow, wo deutlich mehr Studie- rende beiderlei Geschlechts in mittleren bis gehobe- nen Mittelschichtsfamilien aufgewachsen waren. Dementsprechend verwundert nicht, dass Tessenow- studentinnen die Situation im Studium weniger deut- lich als Benachteiligte wahrnahmen, insbesondere die Atmosphäre im Seminar schätzten.100 Denn während sie bei Baustellenpraktika manches Mal auch die Er- fahrung deutlicher Ablehnung ‘weiblicher Architek- ten’ machten, wurde ihnen innerhalb des Seminars auch Anerkennung gezollt, immer zumindest freund- liche Duldung gewährt. Auch am Bauhaus konnten Studentinnen die Erfahrung machen, dass sie als Frauen durchaus willkommen waren. Als potentielle Architektinnen wurden sie jedoch während aller Pha- sen zurückgewiesen oder ausgegrenzt. Bauhaus- wie Tessenowstudentinnen bewegten sich permanent in ‘double bind’-Situationen, wie sie durch die große Diskrepanz zwischen einer ‘offiziellen’ und einer ‘inoffiziellen’ Haltung der Meister gegenüber Architekturstudentinnen und Architektinnen zwangs- läufig hervorgerufen wird.101 Immer in einer Minderhei- tensituation und mit geschlechterpolaren Weltbildern konfrontiert, steigt der Druck, sich als ‘besondere’ oder als ‘besonders normale’ Frau zu präsentieren.102 Im Unterschied zur Kaiserzeit, während der das i.d.R. höhere Alter der Studentinnen – und darauf haben Burchardt und Körner hingewiesen - den Vorteil bot, 97 Zahn-Harnack, Agnes von: Die Frau und das Hochschulpro- blem, reprint in Agnes von Zahn-Harnack, Schriften und Reden 1914-1950, Tübingen, 1964, S.27ff. hier S.28. Dieser Artikel wird mehrfach, u.a. 1930 in Die Frau publiziert. 98 Dietrich, Wally H.: Die Frau im Kunstgewerbe, in: Schmidt-Beil, Ada (Hg.): Die Kultur der Frau, Berlin, 1931, S.290 99 „Erst am Ende des Semesters legte jeder Bauhäusler seine Ar- beiten (..) auf den Tisch. An die Wand dahinter wurden zwei oder drei Zeichnungen (..) zusammen mit seinem Foto geheftet.“ Pahl in Neumann, 1985, S.333f. 100 Lt. Glaser werden Diskriminierungen in dieser Generation nicht als solche wahrgenommen, d.h. als authentische, jedoch i.d.R. nicht selbst erlebte Diskriminierung geschildert. „Diskriminiert wurden wir nicht“, vgl. Glaser, 1992, S.243 ff 101 Dem gemäß der Weimarer Verfassung formulierten Anspruch gleichberechtigter Geschlechter steht am Bauhaus intern eine deutliche Geschlechterhierarchie gegenüber, obschon dies im Vergleich zu den geschlechterpolaren Texten eines Heinrich Tessenow, gar den offen misogynen Tiraden eines Karl Scheffler als Liberalität mit patriarchalen Zügen erscheinen mag. 102 Als Kommilitonin ist die Architekturstudentin dem Dilemma aus- gesetzt, als wahrnehmbar ‘weiblicher’ Architekturstudent fach- lich nicht ernst genommen bzw. nicht gefördert zu werden, bei Wahrnehmung als ‘männliche’ Architekturstudentin mit erhöh- tem Konkurrenzgebaren resp. Isolation konfrontiert zu werden. Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 171 der teilweise noch starken Ablehnung des Frauenstu- diums gelassener und selbstsicherer entgegenzutre- ten, werden die Studentinnen der Weimarer Republik durch die Debatte um Modestudentinnen und der Leistungsfähigkeit von Frauen verunsichert. Sich als normale Architekturstudentin wahrzunehmen, kommt angesichts ebenso widersprüchlicher wie resistenter Rollenklischees einer permanenten Quadratur des Kreises gleich. Sich souverän den projizierten Zu- schreibungen zu entziehen, gelingt auch den älteren unter den - qua Altersstruktur heterogenen - Bau- hausstudentinnen nur bedingt. In einem Artikel über Technikstudentinnen an der TH Charlottenburg beschwört Gerhart Goebel 1931 unter dem Titel „frl. stud.ing. setzt sich durch“ weniger die Möglichkeiten seiner Kommilitoninnen als die ‘der Frau’. „In dem großen Bereich der Architektur jeden- falls bieten sich ihr viele Möglichkeiten zu positiver Arbeit.“ Gleichzeitig gibt er jedoch zum Besten, dass sie - „um ein geeignetes Arbeitsfeld zu finden“ - noch „herumtaste“ und „sicher manchen Fehlschritt“ tue.103 Schlicht durch die vermeintliche Widersprüchlichkeit zweier Bilder - das der (jungen) Frau und das des männlichen Architekten - steht ‘frl.’ stud.ing. im Un- terschied zu Kommilitonen und der Mehrheit der Al- tersgenossinnen unter einem illegitimen Legitima- tionsdruck. „Von Irina ging eine gewisse Verzaube- rung aus. Etwas geheimnisvoll-exotisches war um die aus dem unbekannt fernen Rußland Gekommene - und sie kultivierte das auch.“ 104 Als der vermeintlich „mehr weibliche Typus einer TH-Studentin“ (Goebel) apostrophiert konnten sich Architekturstudentinnen den häufig ebenso stereotypen wie widersprüchli- chen Projektionen kaum entziehen, zumal wider- sprüchliche Geschlechtsspezifika auch von Frauen öffentlich reproduziert wurden. So warnt Anna Schönborn, - selbst Mitbegründerin des 1926 ins Leben gerufenen Deutschen Akademi- kerinnenbundes - 1932: „Der Studentin möge die gegnerische Haltung, die noch immer von Professo- ren und Studenten gegen das Frauenstudium einge- nommen wird (..) eine ernste Mahnung sein.“ 105 Sie geht davon aus, dass die Studentin bestimmte For- men „annehmen muß, wenn sie ihr auch nicht gemäß sind“, betont gegen Ende des gleichen Artikels je- doch: „Die Studentin allein kann durch ihre Haltung die der Professoren und Studenten bestimmen.“ 106 Architekturstudentinnen der Weimarer Republik wa- ren einem enormen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Sie mussten manches Mal gegenüber Eltern ihre Eig- nung, gegenüber Lehrern ihre Begabung und gegen- über Kommilitonen „erst ihre Berechtigung nachwei- sen“. Im Unterschied zum Bauhaus wurden sie an Technischen Hochschulen jedoch nicht fachlich se- pariert oder räumlich exkludiert.107 Sämtliche fachli- chen Lehrangebote an der TH Charlottenburg richte- ten sich an Studierende beiderlei Geschlechts wäh- rend am Bauhaus lediglich der Vorkurs eine koeduka- tive Lernsituation bot.108 Bauhausstudentinnen hielten i.d.R. Unterschiede zwi- schen Frauen und Männern für ebenso unzeitgemäß wie unmaßgeblich. Nun machten sie jedoch die Er- fahrung, dass der ihnen zugestandene Aktionsradius deutlich kleiner war als der ihrer Kommilitonen, die Lehrenden ihre fachspezifischen Fähigkeiten nur be- dingt förderten.109 Dank eines instrumentalisierten Be- gabungsdiskurses konnten hier proklamierte Ge- schlechteregalität und praktizierte Geschlechterhie- rarchie nahezu problemlos und zeitweilig so plausibel nebeneinander bestehen, dass Studentinnen häufiger an ihrer Begabung als an ihrer Gleichberechtigung zweifelten. Spannungen zwischen den Geschlechtern blieben am Bauhaus dennoch deutlich wahrnehmbar. Im Unterschied dazu gingen zahlreiche Tessenowstu- dentinnen - im Konsens mit ihrem Lehrer - i.d.R. da- von aus, dass Frauen sich ebenso grundsätzlich wie maßgeblich von Männern unterscheiden. Sie nahmen sich innerhalb des Seminars als gleichberechtigt wahr, erlebten ihre Minderheitenposition, aber Tesse- now auch als Förderer ihrer fachlichen Kompetenzen, ggf. als ausgleichenden oder sogar als parteilichen Unterstützer.110 Seine Maxime des Ausgleichs zwi- schen Polaritäten eröffnete innerhalb des Seminars auch den Studentinnen Handlungsspielräume, deren Grenzen nicht allzu spürbar waren. Sind doch auch in einer polar gedachten Welt für eine Harmonie zwi- schen Extremen beide Pole notwendig. Dementsprechend waren Geschlechterpolaritäten im Seminar präsent, deren Instrumentalisierung zur Aus- grenzung von Seminaristinnen jedoch tabu. Tesse- nowstudentinnen konnten sich innerhalb des koedu- kativen Seminars bewegen und wurden im Kompe- tenzerwerb nicht behindert. Selbst die Zuweisung exklusiver Themenbereiche nahmen sie nicht als Aus- schluss oder subtile Form des ‘doing gender’ wahr, zumal in diesem harmonischen Rahmen mit verbindli- chen Umgangsformen und kameradschaftlicher At- mosphäre die Gleichwertigkeit der Geschlechter - bei aller Unterschiedlichkeit - nicht in Abrede gestellt wurde. „So wie nun die Jugendbewegung als Sauerteig das gesamte deutsche Jugendleben durchdrang und um- formte, ist auch die Entwicklung des Mädchen- und Frauenlebens von der Jugendbewegung sehr stark beeinflußt worden“, stellt Luise Riegger 1930 fest und sieht aufgrund des Emanzipationsschubes im Wan- dervogel „die notwendige Ergänzung der Frauenbe- wegung“.111 Claudia Huerkamp konstatiert, dass während der 103 Goebel, Gerhart: „frl. stud.ing. setzt sich durch“ in: Scherl´s Ma- gazin, 7.Jg., H.2, Februar 1931, S.178-179 104 HTG, Grossmann-Hensel, Gert: Irina Zuschneid zum Gedächt- nis, 1986 105 Schönborn, 1932, S.95 - Gertrud Bäumer hatte 1919 gefordert, dass Studentinnen Wert darauf legen müßten, „daß nicht die einfach Unfähigen sich hinter die Ansprüche an wesensgemäße weibliche Methoden zurückziehen.“ in: Die Frau, 27.Jg., 1919 / 1920, S.44, hier zit. nach Huerkamp, 1996 S.149 106 Ibid., S.97 107 Bei den von Dearstyne geschilderten ‘Ingroups’, deren beson- derer Reiz darin lag „über alles“, aber eben nicht mit allen zu diskutieren, trifft die Exklusion auch Studenten, nicht nur - aber immer - Studentinnen. Sie stellt damit zuverlässig geschlechts- homogene Zirkel her, die gruppenreflexive Referenzsysteme (re)- produzieren. 108 Lediglich die ‘Leibesübungen’ wurden nach Geschlechtern ge- trennt durchgeführt. Sie waren im Rahmen eines TH-Studiums ebenso obligatorisch wie am Bauhaus die ’Gymnastik’. 109 Unter den vielen enthusiastischen Stimmen über die Studienzeit am Bauhaus sind bemerkenswert wenige Stimmen architekturin- teressierter Studentinnen zu finden. 110 So wird Gisela Ehren [geb. Schneider] anlässlich einer Umfrage zur Vergabe des Heinrich-Tessenow-Preises 1964 zitiert: „Meine Frau Gisela zu diesem Thema: Es wäre sehr im Sinne von Hein- rich Tessenow, wenn dieser Preis nur an Frauen verliehen wür- de.“ HTG, NL Jessen, Brief Josef Ehren an Otto Kindt vom 24.11.1964, betr. Heinrich-Tessenow-Preis. 111 „In der Wandervogelgruppe aber herrschte unbegrenzte Frei- heit.“ Riegger, Luise: Die Frau in der Jugendbewegung, in Schmidt-Beil, Ada: Die Kultur der Frau, Berlin, 1930, S.237ff., hier S.239. Im Vergleich zum „konventionellen Verkehr mit Män- nern in der Tanzstunde“ wird Rieggers Euphorie verständlich: „..daß eine freie, verantwortungsfrohe Jugend eine Spanne Zeit voll unbefangener Jugendlust durchleben kann in Gemeinschaft mit den Kameraden des anderen Geschlechts, die ihr für das kommende Erleben des Eros Maßstäbe gibt, Sicherheit und Schutz vor Überrumpelung.“ Ibid., S.240 172 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? Weimarer Republik ein ‘Verwischen der Geschlech- terdifferenz’ stattfand, das auf faktische Änderungen im Geschlechterverhältnis, ein gewandeltes Frauen- ideal und das steigende Interesse an weltanschauli- chen Themen zurückzuführen sei.112 Infolgedessen charakterisiert sie das Interesse der Studentinnen an der Frauenbewegung ab den zwanziger Jahren als zunehmend gleichgültig und skeptisch.113 Anja Bur- chardt zeichnet anhand von Artikeln im ersten Jahr- zehnt des 20. Jahrhunderts eine zunehmende Distanz zwischen Studentinnenvereinigungen und Frauenbe- wegung nach: Das Reklamieren der Studentinnen für eine ‘Epoche der Tat’ nach einer ‘Epoche der Agita- tion’ (Helene Lange), dem sich die - aus der Sicht der Bewegung - „eigensüchtigen Studentinnen“ jedoch entzogen hätten .114 Laut Huerkamp und Burchardt kennzeichnet diese zunehmende Distanz einen Generationenkonflikt.115 Aus der Sicht langjähriger Mitglieder mag die Kon- zentration von Studentinnen auf das Studium, die Di- stanz zu feministisch agitierenden Verbänden enttäu- schend sein. N.m.E. wird hier jedoch weniger ein Dis- senz zwischen Generationen als zwischen familien- und erwerbsorientierten Frauen sichtbar, der sich be- reits während der Kaiserzeit abzeichnete, dank wech- selseitiger Referenzen und Projektionen aber immer wieder besänftigt werden konnte. Im Laufe der zwan- ziger Jahre bot eine Frauenbewegung, deren Mitglie- der mehrheitlich einer bürgerlichen Hausfrauenper- spektive verhaftet blieben und damit politisch deut- lich an Profil einbüßte, für fachlich orientierte wie po- litisch interessierte Frauen zunehmend weniger Anknüpfungspunkte. Im Unterschied zu den Studentinnen der Kaiserzeit, die private Kontakte mit Kommilitonen eher mieden als unterhielten, scheint die „Selbstbehauptung der Frau an den Hochschulen“ (Schlüter-Hermkes) zum Ende der Weimarer Republik erreicht.116 Mitte der zwanziger Jahre trafen Studentinnen auf Kommilito- nen, mit denen ein offener und kollegialer Umgang möglich scheint.117 Durch den Wegfall offener Konkurrenz zwischen den Geschlechtern im Seminar Tessenow sahen Architek- turstudentinnen kaum einen Grund, eigenes Terrain gegen Kommilitonen zu behaupten, sich in Studentin- nenvereinigungen zu organisieren oder reine Frauen- arbeitsgruppen zu bilden. Am Bauhaus war eine sol- che Notwendigkeit durchaus gegeben. Angesichts ei- ner Tabuisierung der Geschlechterhierarchie wie höchst unterschiedlicher Interessenlagen der Studen- tinnen war ein solches Unterfangen innerhalb der re- aliter geschlechtergetrennten Studiensituation jedoch aussichtslos. In Verbänden und Vereinigungen waren Studentinnen seltener organisiert als ihre Kommilitonen. Architek- turstudentinnen sind in Studentinnenvereinigungen bisher überhaupt nicht nachweisbar. Waren diese Studentinnen also weder frauenbewegt noch poli- tisch interessiert? Politische Disparitäten herrschten unter den Studie- renden an beiden Ausbildungsinstitutionen, am Bau- haus stärker spürbar als im Seminar Tessenow. Wäh- rend politische Implikationen des Bauens an Archi- tekturfakultäten Technischer Hochschulen i.d.R. nicht präsent waren, wurde Architektur am Bauhaus impli- zit mit einem gesellschaftspolitischen Anspruch ver- knüpft, unter Meyer explizit im Hinblick auf die gesell- schaftspolitische Dimension betrieben. Tessenow be- obachtete die gesellschaftliche Entwicklung wie kon- krete bauliche Missstände mit großer Sorge. Im Ein- zelfall - wie 1924 bei der Bedrohung des Bauhauses Weimar118 - ergriff er auch öffentlich Partei. Seine Auf- gabe als Architekt und Professor sah er jedoch in konkreten Bauaufgaben und der Lehre. Der politische Impetus eines Hannes Meyer war ihm ebenso fremd wie eine öffentliche politische Positionierung. Dementsprechend galt Politik im Seminar Tessenow eher als Privatsache denn als öffentliches Thema. Am Bauhaus hingegen wurde vielfach politisch diskutiert. An der Schnittstelle von öffentlicher politischer Rede und Architektur existierten jedoch keinerlei Foren, auf denen politisch interessierte ArchitekturstudentInnen sichtbar aktiv hätten werden können. So öffentlich der Diskurs um das ‘Neue Bauen’ geführt wurde, er wurde von einzelnen Protagonisten - nicht als offene Diskussion - im wörtlichen Sinne ‘geführt’.119 Nach bisherigem Kenntnisstand wurden nur wenige Bauhausstudentinnen über einen kürzeren oder län- geren Zeitraum Mitglieder politischer Vereinigungen oder Parteien. Bei einigen Architekturstudentinnen wird dennoch ein deutliches politisches, in Einzelfäl- len auch parteiliches Engagement erkennbar.120 Bei Tessenowstudentinnen wird politisches Interesse sel- tener, dann jedoch deutlicher sichtbar. Auch an Technischen Hochschulen waren Architek- turstudentinnen nicht etwa apolitisch.121 Anfang der dreißiger Jahre sympathisierten etliche TH-Studentin- nen mit der ‘neuen Bewegung’, ab Mitte der dreißiger Jahre waren einzelne auch in der ‘Arbeitsgemein- schaft Nationalsozialistischer Studentinnen’ aktiv. Gemeinsam mit ihrer Freundin Erika von Beerfelde nahm Hildegard Korte hier zeitweilig Leitungsfunktio- nen wahr. Das politische Engagement dieser Gruppe - so ihre Erinnerung - sei jedoch gering gewesen.122 Karola Bloch erinnert die frühen dreißiger Jahre an der TH aus der Perspektive eines Mitgliedes im ‘Ro- ten Studentenclub’ und berichtet, dass sie versuchte, eine nationalsozialistisch orientierte Kommilitonin, zu 112 Huerkamp, 1996, S.148 113 Sie belegt dies an den Studentinnenvereinigungen, deren Ver- bindungen im Laufe der Zeit „immer dünner“ geworden seien. Ibid., S.144ff., hier S.147 114 Helene Lange 1907 zit. nach Burchardt, 1997, S.170 115 Huerkamp, 1996, S.148, Burchardt, 1997, S.178ff. 116 Schlüter-Hermkes, Maria: Die Selbstbehauptung der Frau an den Hochschulen, in: Die Frau, 41.Jg., 1933/34, S.214-218 117 Glaser, 1992, S.252 118 Tessenow gehört 1924 zu den Unterzeichnern des Protest- schreibens, als die neugewählte Thüringische Regierung in Wei- mar die finanzielle Unterstützung des Bauhauses halbiert. Wing- ler, 1963, S.104; Winkler,1993, S.144 119 Dies wird bspw. an einer Anmerkung der Schriftleitung der Deutschen Bauzeitung 1928 deutlich. „Bei der ganzen Bewe- gung auf dem Gebiet des neuzeitlichen baulichen Schaffens ste- hen die Persönlichkeiten so ausgesprochen im Vordergrund, daß man eine Richtung und ein System kaum kritisieren kann, ohne zugleich auch der Person zu nahe zu treten.“ Deutsche Bauzeitung, 62.Jg., 1928, S.327 (Herausgeber war Erich Blunck, die Schriftleitung hatte Fritz Eiselen). Diese Anmerkung ist einem Artikel über den Konflikt zwischen Konrad Nonn und Gropius anläßlich der verschwundenen Kostenrechnungen des Ver- suchshauses am Horn vorangestellt. 120 Ein politisches Selbstverständnis wurde bspw. bei Reiss, Bánki, Gerson, Meltzer, Dicker sichtbar. Mittelbar ließen auch die zahl- reichen Kirchenaustritte emanzipative Bestrebungen erkennen. 121 So war Leonie Pilewski in Darmstadt 1918 Gründungsmitglied der mosaisch sozialistischen Gemeinschaft. Zwischen 1933 und 1934 gehört sie nach eigenen Angaben in Wien der sozialdemo- kratische Partei an. JRF-Fragebogen Pilewski, Dezember 1978: „Unabhängige Sozialistische Partei Darmstadt 1918-1923“ Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 173 Lila Ulrich mit Kurt Kranz bei einer Fete in Berlin 1933 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar der sie ein gutes Verhältnis hatte, „kommunistisch zu beeinflussen (..) Aber man konnte sie nur neutralisie- ren.“ 123 Im Unterschied zum Seminar an der TH Charlotten- burg lassen sich unter den Studierenden bei Tesse- now an den Vereinigten Staatsschulen auch Mitglie- der des dortigen Revolutionären Studentenbundes finden. Hier war Leonie Behrmann bereits zu Beginn ihres Studiums 1930 aktives Gründungsmitglied. Sie wurde 1933 vom Studium an den VS ausgeschlos- sen.124 Aber auch Studentinnen, die sich „im linksge- richteten Lager der Jugend“ (Both) sahen, schlossen sich während ihrer Studienzeit nur ausnahmsweise politischen Parteien an. Dennoch agierten diese Stu- dentinnen nicht nur individualistisch. Frauenbewegte Aktivitäten lassen sich während der Studienzeit bis- her weder bei Bauhaus- noch bei Tessenowstuden- tinnen nachweisen. Allerdings boten frauenbewegte Verbindungen als politische Gruppierungen – wie Studentinnen- oder Frauenvereine – für Architektur- studentinnen kaum mehr Anknüpfungspunkte.125 Deutlich wurde jedoch auch, dass sich Architektur- studentinnen der Weimarer Republik in der Regel als Staatsbürgerinnen verstanden, die sich politisch in- teressierten resp. engagierten - in relativer Unabhän- gigkeit von Geschlechtszugehörigkeiten. Studiendauer und Studienerfolge: Kompetenzen und Qualifikationen im Vergleich Im Rahmen des Studienganges Architektur absolvie- ren Studentinnen, die das Seminar Tessenow besu- chen, sowohl das vorgesehene Studienpensum als auch die Diplomhauptprüfung mit überdurchschnittli- chem Erfolg: Mindestens 28 der 34 Studentinnen - einschließlich der Gaststudentinnen - bestehen die Diplomprüfung. 24 Studentinnen, und damit mehr als zwei Drittel aller Tessenowstudentinnen, legen bei ihm dieses Diplom ab.126 Im Unterschied dazu erwer- ben nur 10 Bauhausstudentinnen einen Studienab- schluss im Bereich Architektur/Innenarchitektur. Am Bauhaus selbst gelingt dies nur vier Studentinnen und damit höchstens jeder achten der architekturin- teressierten Bauhausstudentinnen.127 Tessenowstudentinnen studieren erfolgreich und zü- gig, schließen in Ausnahmefällen bereits nach der Mindeststudiendauer von acht, höchstens elf Seme- stern mit bestandenem Diplom ab. In der Regel be- wältigen sie das Studium ohne Dispense innerhalb von neun Semestern. Bereits im Alter von 23 Jahren, spätestens im Alter von 27 Jahren haben sie die Di- plomhauptprüfung erfolgreich beendet. Besonders geradlinig verlaufen die Studienwege der Töchter von Ingenieuren und Architekten: Fast ausnahmslos ha- ben sie haben im Alter von 24 Jahren das Diplom be- standen. Architekturinteressierte Bauhausstudentinnen kom- men im Alter von 17 bis 34 Jahren ans Bauhaus und sind beim Erwerb eines Bauhaus-Diploms zwischen 23 und 32 Jahre alt. Auch wenn am Bauhaus das Di- plom als Maßstab des Studienerfolges nicht durch- gängig angelegt werden kann, - da Diplome hier erst ab 1929 vergeben werden -, so wurde sichtbar, dass Bauhausstudentinnen weit weniger Studienerfolge vergönnt waren. Von den manches Mal nach nur zwei Entwurfsprojekten und keinerlei Klausuren vergebe- nen 81 Diplomen im Bereich Bau/Ausbau, die nach acht, höchstens neun Semestern ausgestellt wurden, wurde nur jedes 20. einer Studentin zuerkannt. Während damit mehr als 80% aller Tessenowstuden- tinnen ihr Studium nach vier Projekten im Hauptstudi- um und Klausuren in den theoretischen Fächern er- folgreich mit einem Diplom abschließen - 70% bear- beiten den Diplomentwurf bei Tessenow -, können am Bauhaus nicht einmal 10% aller architekturinter- essierten Studentinnen ihr Studium erfolgreich been- den. Damit ist deutlich, dass die fachlichen Ambitio- nen von Architekturstudentinnen der Weimarer Repu- blik bei Tessenow ernst genommen und gefördert wurden, während sie zeitgleich am Bauhaus bereits innerhalb resp. an einer Ausbildung scheiterten, die innovativ und vielseitig, jedoch in höchstem Maße ungeregelt war. 122 Dr.Hildegard Oswald [geb. Korte] im Interview am 14.10.1997 123 Bloch, 1981, S.68 resp. S. 70 - Dem ‘Roten Studentenclub’ ge- hörten um 1931 u.a. auch die Architekturstudentinnen Suse Chotzen und Grete Ehrmann an. 124 Diese studentische Vereinigung, der nur wenige StudentInnen angehören, tritt mittels einer studentischen Zeitung gegen die Faschisierung der Hochschule ein. Vgl. Biografie Behrmann 125 Lt. Huerkamp (1994, S.146) nahm der mit ca. 15% ohnehin nur geringe Organisationsgrad von Studentinnen - im Unterschied zu dem der Studenten - im Laufe der zwanziger Jahre noch ab. 126 Zumindest drei weiteren Tessenowstudentinnen gelingt ein ver- gleichbarer Studienabschluss zu einem späteren Zeitpunkt an einer anderen Hochschule. 127 Die vier Bau-/Ausbau-Diplome an Studentinnen werden zwi- schen August 1932 und März 1933 zuerkannt. 174 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? Diplomzeugnis TH Berlin 1932, Anni Pfeiffer Bauhauszeugnis 1932, Matty Wiener Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Nicht nur die deutliche Ablehnung von Architektur- aspirantinnen im Vorfeld trug zu dieser geringen Er- folgsquote bei. Insbesondere die Missachtung des Engagements architekturinteressierter Studentinnen, die Ignoranz gegenüber ihren Berufswünschen sowie der enge Rahmen zugestandener Kompetenzen wur- de Studentinnen hier zum Verhängnis und führte häu- fig zum Studienabbruch. Es kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht beur- teilt werden, ob die Studienerfolge der Tessenowstu- dentinnen über denen zeitgleich studierender Archi- tektinnen an anderen Technischen Hochschulen la- gen, obschon die hohe Diplomquote diese Hypothe- se nahelegt. Studiendauer und -erfolg mancher Gast- studentinnen im Seminar belegen jedoch, dass auch andernorts berechenbare Studienangebote von Stu- dentinnen mit vergleichbarem Zeitaufwand zum Er- werb eines Diploms genutzt wurden. Innerhalb geregelter Studienbedingungen erreichten Tessenowstudentinnen innerhalb kürzester Studien- zeiten Studienerfolge und Praxiserfahrungen, die de- nen ihrer Kommilitonen zumindest vergleichbar wa- ren. Demgegenüber wird an der geringen Erfolgsquo- te von Bauhausstudentinnen unmittelbar sichtbar, dass ihnen dieses Studium - völlig ins Ermessen der Lehrenden gesetzt - kaum verlässliche Studienbedin- gungen und nur bedingt Qualifikationen bot. Während Architekturstudentinnen an Technischen Hochschulen ihre Lehrer wählen konnten, war dies am Bauhaus nahezu ausgeschlossen. Und während Tessenowstu-dentinnen an der TH Charlottenburg für vergleichbare Studienleistungen dieselben formalen Qualifikationen erhielten wie ihre Kommilitonen - und mehr als zwei Drittel der Studentinnen wussten diese Chance zu nutzen -, wurden architekturinteressierten Studentinnen am Bauhaus häufig nicht die gleichen Qualifikationen zuerkannt wie ihren Kommilitonen. Diese Bilanz der Studienerfolge potentieller Architek- tinnen bestätigt rückblickend die hohe Studienmoti- vation von Architekturstudentinnen der Weimarer Re- publik und straft jede Hypothese ‘geschlechtsspezifi- scher Begabung’ Lügen. Dabei repräsentiert die ek- latante Diskrepanz der Studienerfolge besonders ein- drücklich, wie entscheidend die unterschiedlichen Rahmenbedingungen die fachlichen Ambitionen von Studentinnen während der Weimarer Republik förder- ten oder zunichte machten. Denn während architek- turinteressierte Studentinnen am Bauhaus Kompe- tenzen nur in Ausnahmefällen erwerben konnten, wurden Studentinnen im Seminar Tessenow bis zum erfolgreichen Diplom qualifiziert. Realitäten und Projektionen: Balancen der [Un]Möglichkeiten Kein Jahr nach der Gründung des Bauhauses ver- knüpfte Gropius im Herbst 1920 die Forderung einer Selektion nach Begabung unmissverständlich mit ei- ner „scharfe[n] Reduzierung des weiblichen Ge- schlechts“.128 Entgegen der Position eines Moholy- Nagy, dass „ein jeder mensch begabt“ und „fast alles erlernbar“ sei, lehnen Meister wie Gropius und Poel- zig, aber auch Scharoun und Rading die Verantwor- tung ab, aus Architekturinteressierten systematisch ArchitektInnen heranzubilden. Sie sehen ihre Aufgabe primär darin, besonders Begabte zu selektieren und diese an ihrem Schaffen teilhaben zu lassen. Die Forderung einer Selektion nach Begabung wird zu Beginn wie gegen Ende der Weimarer Republik besonders offensiv vertreten. Und der Begabungsdis- kurs zeigt sich erneut besonders eng mit der ‘Gret- chenfrage der Emanzipation’ verknüpft. So selten sich Hochschullehrer - Meister, Baumeister und Ar- chitekten wie Poelzig, Bonatz, Gropius, Meyer und Mies, aber auch der zurückhaltendere Tessenow - öf- fentlich zu dieser Frage äußern, intern wurde längst über alle Lager hinweg ein Konsens gefunden: Auch nach Beginn der Weimarer Republik bleibt der männ- liche Meister das Maß aller Dinge, der männliche (Meister-)Schüler Adressat aller Bemühungen. Dies wird deutlich, wenn Hans Poelzig 1931 pikiert feststellt, dass die Architektur an Bau-, Kunst- und Hochschulen „populär geworden“, der sich „ergie- ßende Strom“ von Studierenden „jetzt schon beider- lei Geschlechts“ sei.129 Auch er vertritt die Überzeu- gung einer quasi ‘naturgegebenen Begabung’ und plädiert dementsprechend für eine subjektive Auslese „aufs schärfste“ 130 In seinem „großen programmati- schen Vortrag über das Wesen und das Ethos des Baumeisters“ vor dem BDA führt er dazu aus: „Den Hochschulen ist - bisher - eine Auslese ver- wehrt, man wird aber so nicht weiterkommen (..) Eine Auslese muß zu Beginn des Studiums ausgeübt wer- den, und eher sollte sie rigoros ausgeübt werden - selbst wenn Justizmorde passieren, da die wirkliche Begabung oft schwer zu erkennen ist.“ 131 Und Bonatz schreibt im gleichen Jahr: „Der Wunsch die Studierenden an der Wirklichkeit statt am ‘Phan- tom’ zu erziehen, ist bei der großen Zahl der Studie- renden unerfüllbar. Nur wenige können (..) an den Bauaufgaben des Lehrers praktisch mitarbeiten. Die- se Mitarbeit bildet für eine kleine Auslese den wirk- samsten Abschluß der Ausbildung.“ 132 Während des Krieges mit „einigen Ausländer[n], Studentinnen, Ver- letzte[n]“ konfrontiert, scheint ihm die Freude an der Lehrtätigkeit regelrecht vergällt, da „der Normalstu- dent fehlte.“ 133 128 Meisterratsprotokoll vom 20.9.1920 129 Poelzig, Hans: Der Architekt, Berlin, 1931, S.32 130 Ibid.,S.34 131 Poelzig, 1931, S.32. In der Neuausgabe (Berlin, 1954), in deren Vorwort Theodor Heuss diese Rede als „großen programmati- schen Vortrag über das Wesen und das Ethos des Baumeisters“ bezeichnet, sind die ‘Justizmorde’ nicht mehr zu finden. 132 Bonatz, Paul: Vorwort in: Graubner, 1931, o.S. 133 Stellte er 1950 rückblickend auf den ersten Weltkrieg für die Si- tuation an der TH Stuttgart noch fest, dass im WS 1916/17 „im- merhin einige kriegsverletzte Studenten und einige Schweizer“ seine Veranstaltungen besuchten (Bonatz, 1950, S.195), so em- pfindet er die Zusammensetzung der Studierenden im WS 41/42 offenbar als Zumutung: „Den Rest des Jahres 1941 tat ich wei- ter meinen Dienst: Hochschule, kleiner Betrieb, alles war Soldat, einige Ausländer, Studentinnen, Verletzte, der Normalstudent fehlte.“ (Ibid., S.88) - Im Unterschied dazu erinnert er das Früh- jahr 1919 als die „für die Architekten-Abteilung unserer Hoch- schule (..) glücklichste und fruchtbarste Zeit. Junge lebendige Lehrer begegneten sich hier mit den besten Schülern. Es waren die Heimkehrer aus dem Feld.“ Ibid., S.95 Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 175 Das Berufsbild des Architekten am Bauhaus chan- gierte zwischen dem die Welt nach wissenschaftli- chen Erkenntnissen kollektiv verändernden Planer und dem in einer veränderten Welt des Bauens un- verändert kühnen Schöpfer. Architekturstudentinnen engagieren sich hier in kollektiven Planungsprozes- sen oder entwerfen vereinzelt ihre konkreten wie ab- strakten Vorschläge zur baulichen Neugestaltung der Zukunft. Permanent ignoriert und mit der eigenen ‘Entbehrlichkeit’ in der Architektur konfrontiert, fin- den sie weder im ‘Planungsexperten’ noch im ‘Künst- lerarchitekten’ Anknüpfungspunkte für ein tragfähi- ges, auf sie selbst übertragbares Berufsbild. Auch das Leitbild bei Tessenow bietet für potentielle Architektinnen keine explizite Identifikationsmög-lich- keit: der entwerfende und beratende ‘Baumeister’, der nicht alles neu und anders machen will, jedoch explizit hinter Entwürfen und Bauten zurücktritt, er- scheint nur vordergründig allgemeingültig. Eine ‘Bau- meisterin’ existiert auch hier explizit nicht. In Tesse- nows Seminar sind Studentinnen jedoch nicht kate- gorisch ausgeschlossen. Und in dem geschlechter- polarisierenden Denken oszilliert ein weibliches Pen- dant zum männlich attribuierten Baumeister: Tes- senows Ideal des ganzheitlichen Baumeisters balan- ciert männliche wie weibliche Anteile in (s)einer Per- sönlichkeit aus. Im Hochschulrahmen erlebten die Architekturstuden- tinnen der Weimarer Republik Architekten in ihrer Funktion als Lehrende. Dies ließ die Vereinbarkeit von Architekten- und Professorenberuf erkennen, reprä- sentierte jedoch lediglich das Idealbild des von jeder Reproduktionsarbeit entbundenen fulltime-Architek- ten. Die teilnehmende Beobachtung an den Produk- tionsprozessen meisterlicher Architektur blieb dem Kreis der BüromitarbeiterInnen vorbehalten. Studen- tinnen mit Architekten im Familienkreis konnten weit deutlichere Einblicke in die konkrete Berufstätigkeit gewinnen und anhand von Vätern, Onkeln oder Brü- dern das Verhältnis von Berufspriorität und Familien- rolle erleben. Auch diese ‘Vorbilder’ waren in aller Regel Männer.134 So stark die Erwerbstätigkeit von Frauen seit der Jahrhundertwende zugenommen hatte, selbständige Berufsfrauen waren in den zwanziger Jahren dünn gesät. Spätestens im Laufe ihrer Sozialisation hatten diese Architekturstudentinnen aber auch selbstbe- wusste Berufsfrauen kennengelernt.135 Und von man- chen Eltern wurden bereits tätige Architektinnen auch als Referenzmodelle für die eigene Tochter wahrge- nommen.136 Die Studentinnen selbst scheinen diese Architektinnen nahezu selbstverständlich, obschon nicht unbedingt unter emanzipativen Aspekten gese- hen zu haben.137 Der Bekanntheitsgrad einzelner, öffentlich agierender Architektinnen ist aber ebenso schwer einzuschätzen wie die Wirkung, die einzelne ihrer Bauten erreichten - wie bspw. Emilie Winkelmanns 1916 fertiggestelltes Studentinnenwohnheim oder Alexandra Exters kon- struktivistischer Istvestija-Pavillon bei der allrussi- schen Agrarausstellung 1923.138 Und während Dozentinnen an Kunst- und Kunstge- werbeschulen als Rollenmodelle wie Ansprechpart- nerinnen im Ausbildungskontext durchaus präsent waren139, fehlten sie in den Architekturfakultäten Technischer Hochschulen, wo Frauen bestenfalls als Hilfsassistentinnen beschäftigt wurden.140 Am Bau- haus fanden wir vereinzelt Dozentinnen. So waren in Weimar mit Helene Börner als Leiterin der Textilwerk- statt und Gertrud Grunow als Lehrende für Harmoni- sierungslehre zwei ledige Dozentinnen präsent. Der Unterricht in Leibesübungen wurde in Dessau von der jungen Gymnastin Karla Grosch durchgeführt. Gunta Stölzl wurde und blieb die einzige Jungmeiste- rin am Bauhaus, die aus den Reihen der Studieren- den hervorging. Sie bewegt sich in ihren Loyalitäten wie Aktionsradien strikt innerhalb der zugewiesenen, weiblich konnotierten Kompetenzen und Tätigkeits- bereiche und verlässt das Bauhaus, vier Jahre nach- dem ihr der Status der Jungmeisterin zuerkannt wor- den war. Kaum weniger ambivalent bleibt die Rolle Lilly Reichs: 1930 als Leiterin der Ausbauabteilung berufen, wird sie häufig lediglich in Relation zu Mies wahrgenommen und bleibt in ihrem Kompetenzbe- reich auf den - seit der Neuordnung aus der Architek- tur ausgegliederten - Ausbau beschränkt. Hinsichtlich der Überschreitung von Geschlechtergrenzen, der Er- weiterung eigener Aktionsradien boten derartige Rol- lenvorbilder Studentinnen kaum Anknüpfungspunkte. Die während der Weimarer Republik sichtbar freibe- ruflich tätigen Architektinnen waren häufig ebenso ledig wie die Lehrerinnen, von denen Architekturstu- dentinnen der Weimarer Republik in ihrer Schulzeit unterrichtet worden waren.141 Nicht nur angesichts des Zwangszölibats der Lehrerinnen war damit zu- mindest latent jener Interessenkonflikt präsent, der durch die gesellschaftliche Trennung von Produk- tions- und Reproduktionsnotwendigkeiten entstand und in der Trennung zwischen Familien- und Berufs- rollen seinen Ausdruck fand. In ihren Müttern hatten die Architekturstudentinnen der Weimarer Republik in der Regel eine tatkräftige Hausfrau oder eine repräsentative Hausherrin vor Au- gen. Etliche dieser Mütter hatten selbst Ausbildungen absolviert, ein Teil sogar bereits studiert. Wie es dem Rollenbild der Gattin und Mutter in bürgerlichen Schichten entsprach, ging der ganz überwiegende Teil dieser Mütter jedoch seit der Heirat keiner außer- häusigen Erwerbstätigkeit (mehr) nach.142 Unterstüt- 134 Nach bisherigen Erkenntnissen kamen nur Ursula Schneider und Ewa Freise, eventuell auch Margot Loewe vor bzw. während ih- res Studiums mit freiberuflich und erkennbar selbständig arbei- tenden Architektinnen überhaupt in Berührung. 135 Freiberuflerinnen – u.a. Ärztinnen, Juristinnen, Künstlerinnen und Kauffrauen - lassen sich bspw. im familiären Umfeld von Hilde Reiss, Christa Schöder, Lila Ulrich, aber auch in dem von Anna- Lülja Praun, Leonie Pilewski und Stefanie Zwirn nachweisen. 136 Dies wurde am Beispiel des ‘Besuchs’ bei einer Architektin deutlich (vgl. Biografie Freise). Da hier mit dem Architektenvater Fachkompetenz im familiären Umfeld bereits vorhanden war, wurde die Architektin offenbar als potentielles Rollenvorbild auf- gesucht. Aber auch bspw. Eva Weininger wie Hilde Reiss erin- nern, dass es während ihrer Jugend in Berlin selbstverständlich Architektinnen gegeben habe. Beide geben an, keine davon per- sönlich gekannt zu haben. 137 Manche gaben an, bspw. Artikel von Architektinnen gelesen zu haben - wie sie u.a. von Ella Briggs, Margarete Lihotzky,Therese Mogger, Leonie Pilewski oder Edith Schulze publiziert wurden. 138 Als Architektinnen öffentlich sichtbar waren bspw. Marie From- mer, Ella Briggs, Elsa Gidoni oder Emilie Winkelmann in Berlin oder Therese Mogger in Düsseldorf. Alexandra Exter (1882- 1949) publiziert bspw. bei Behne, 1924, S.121; vgl. auch Ama- zonen der Avantgarde, 1999, S.139 139 Wo auch räumliche Fächer von Dozentinnen vertreten wurden, wie bspw. von Hertha Jeß an der Reimannschule in Berlin oder Ernestine Kopriva an der Kunstgewerbeschule Wien. 140 Die Rolle der Kunsthistorikerin Dr. Charlotte Giese (geb. 1893 Berlin, Promotion 1920 bei Waetzold in Halle) als Assistentin bedarf weitergehender Recherchen. Ob sie, die zwischen 1924 und 1926 als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin am Architektur- museum Berlin angestellt war, am Lehrstuhl Daniel Krenckers als Dozentin in Erscheinung trat, scheint bisher zweifelhaft. Her- mann Schmitz berichtet 1926, dass „unter der rührigen Leitung von Professor Krencker und seiner Assistentin Frau Dr. Giese“ nun eine dritte bemerkenswerte Ausstellung über Architektur- schöpfungen Emil Fahrenkamps an der TH Charlottenburg ge- folgt sei. (Beilage der Dekorativen Kunst, 29.Jg., Heft 5, Februar 1926). - Zur Biografie Charlotte Gieses vgl. Wendland, Ulrike, Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthi-storiker im Exil, München, 1999, S.195 141 Im Unterschied dazu traten in Partnerschaft mit ihren Gatten ar- beitende Architektinnen, wie bspw. Ilse Dernburg, Hildegard Dörge, Anna Endell, Margarete Gutkind, Marlene Poelzig, Leni Stahl-Langen oder Else Wenz-Vietor nur in Einzelfällen erkenn- bar in Erscheinung. 142 Nur vereinzelt lassen sich unter den Müttern Berufstätige finden, wie die Volksschullehrerin Auguste Schneider [geb. Schmidt], die Linguistin Tatjana Herzenstein, die Musiklehrerin Johanna Wimmer [geb. Schwartze], die Schriftstellerin und Journalistin Charlotte Reiss [geb. Ruhemann] oder die im Kunstgewerbe tä- tige Lizzie Marx[-Diestelmann]. 176 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? zen die Mütter - sowohl von Tessenow- wie von Bau- hausstudentinnen - in der Regel den Erwerb des Abi- turs, so scheinen sie dem Studienwunsch Architektur überwiegend mit Skepsis begegnet zu sein. Höchst unterschiedliche Positionen nehmen sie jedoch ins- besondere im Hinblick auf eine Erwerbstätigkeit der Töchter ein. Bei berufstätigen Müttern konnten Bau- haus- wie Tessenowstudentinnen i.d.R. mit Unter- stützung professioneller Ambitionen rechnen. Ambi- valenter scheint die Unterstützung der nicht berufstä- tigen Mütter, die sich vereinzelt ebenfalls für den Stu- dienwunsch der Tochter einsetzten, in aller Regel die Tochter jedoch versorgt und behütet wissen wollten, wie dies ihrer eigenen Konstellation entsprach. Unter- stützung und Ermutigung erfuhren die Töchter dieser Mütter häufiger von berufstätigen Tanten und Lehre- rinnen. In Artikeln zum Frauenstudium in der Frauenpresse erscheint im Laufe der zwanziger Jahre in der Reihe der Wunschberufe nun auch ‘die Architektin’ - im Un- terschied zu anderen Berufen bereits mit weiblicher Endung aufgeführt.143 Titel wie „Was soll unsere Tochter studieren?“ weisen auf die zunehmende Einflussnahme der Mütter bei der Fächerwahl.144 Das Architekturstudium wird dabei als vielseitig dar- gestellt. In der Regel wird jedoch sowohl vor den ver- gleichsweise hohen Studienkosten als auch vor den Berufsaussichten vehement gewarnt. Hinweise auf Mängel in der Ausbildung finden sich nur verdeckt. So schreibt bspw. Edith Hinze 1926: „Das Studium der Architektur auf Grund einer voraussichtlichen Verstärkung der Bautätigkeit in den nächsten Jahren als aussichtsreich zu benennen, verbietet sich, da das Baufach als Frauenarbeitsgebiet noch zu neu ist - die Forderung nach ganz besonderer Befähigung und Neigung muß hier, wie bei aller Pionierarbeit, mit be-sonderem Nachdruck aufgestellt werden. Verein- zelt sind Frauen erfolgreich in diesem Beruf tätig.“ 145 Im Seminar Tessenow schlossen sich geschlechter- polares Weltbild und Kompetenzerwerb nicht aus. Die meisten Studentinnen stellten die Geschlechter- polarität nicht in Frage und bewegten sich hier zwi- schen - möglichst geschlechtslosem - ‘Architektur- individuum’ und ‘architekturinteressierter Kameradin’. In der Hauptsache nutzten sie hier ihre Chance, die eigenen Fähigkeiten gezielt zu erweitern, ihren fachli- chen Interessen nachzugehen und entsprechende Qualifikationen zu erwerben. Am Bauhaus blieb das Architektenbild konstitutiv an den Ausschluss alles vermeintlich Weiblichen ge- knüpft. Dieses primäre Wahrnehmungsmuster konn- ten Studentinnen individuell nur in Form temporär verliehener Patronagen umgehen. Erst bei rückläufi- gen StudentInnenzahlen und mit zunehmender Insta- bilität der Schule in den dreißiger Jahren wurde die männliche Exklusivität vereinzelt durchbrochen. Nur soweit Bauhausstudentinnen in der Lage waren, in Nischen eigene Fähigkeiten wie Interessen zu ent- wickeln, bot sich ihnen hier überhaupt die Chance des Kompetenzerwerbs. Häufiger verzweifelten sie an den ihnen aufoktroyierten Zuschreibungen. Die Mehr- zahl der Studentinnen fand auf dem schmalen Grat zwischen Selbstverleugnung und zugestandenem Aktionsradius keine Balance und verließ das Bauhaus ohne berufsqualifizierenden Abschluss. Magdalena Droste resümierte 1989, dass das Selbst- verständnis von Frauen am Bauhaus und der ihnen von Männern zugewiesene Raum in ihrem Rekurs auf tradierte Rollenzuweisungen einander weitgehend entsprochen habe.146 Für die Künstlerinnen der Wie- ner Secession stellte Plakolm-Forsthuber fest: „Sie wachsen gleichsam in den geltend gemachten weib- lichen Geschlechtscharakter hinein.“ 147 Der Relation von Selbstverständnissen zu ‘geltend gemachten’ Geschlechtscharakteren werden wir anhand der Be- rufs- und Lebenswege nachgehen. 143 Neben traditionell gemischtgeschlechtlichen Berufen - die Musi- kerin, die Schauspielerin,etc. - werden in diesen Darstellungen offenbar nun auch die ‘neuen’ Frauenberufe - die Fotografin, die Ärztin, die Architektin - im Femininum benannt. 144 Jungermann-Travers, Eva: Was soll unsere Tochter studieren? Studentinnen-Statistik, in: Frau und Gegenwart, 27.Jg., H.3, 1.11.1930, S.62 145 Hinze, Edith: Die Frau im akademischen Beruf, in: Neue Frauen- kleidung und Frauenkultur, 1926, S.132 146 Droste, 1989, S.198. Diese Schlussfolgerung erhebt jedoch die öffentlichen Äußerungen jener Gestalterinnen zum Maßstab, die sich mit den ihnen zugewiesenen Bereichen identifizierten. 147 Plakolm-Forsthuber, 1994, S.88. Und sie rückt den diskursiven Aspekt in den Mittelpunkt, wenn sie schreibt: „Was hier inter- essiert ist der Zusammenhang von weiblicher Produktivität (..) und der Rezeption derselben. Was frappiert, ist, wie unvermittelt die Kunsthandwerkerinnen mit den dem Secessionismus und der Wiener Werkstätte zugedachten Geschlechtscharakteristi- ken konfrontiert werden und das Stillschweigen, mit dem sie sich dieser Wertung ergeben.“ Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 177 Isvestija-Pavillon, Moskau, 1923, Alexandra Exter Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Ambitionen und Konsequenzen: Studienabbrüche und Weiterstudium Während fast Dreiviertel der Tessenowstudentinnen mit dem Diplom den erfolgreichen Abschluss ihres Studiums erreichen, stehen architekturinteressierte Bauhausstudentinnen - mit Ausnahme der vier Diplo- mandinnen - angesichts ihrer fragilen Studienqualifi- kation i.d.R. vor der Entscheidung, ob resp. wo sie notwendige Qualifikationen erwerben können. Oder sollten sie auch ohne formale Qualifikation einen Ein- stieg ins Berufsfeld wagen? Auch wenn sich Gründe und Motive für Studienab- brüche i.d.R. nur schwer dokumentieren lassen, so werden anhand der recherchierten Lebenswege ein- zelner Abbrecherinnen die unterschiedlichen Gründe des jeweiligen Studienabbruchs sichtbar. So kehrten bspw. die meisten der Studentinnen, die nur kurzzei- tig bei Tessenow studierten, an die zuvor besuchte Hochschule zurück. Damit sind sie keinesfalls zu den Abbrecherinnen zu rechnen, sondern ambitionierte Hochschulwechslerinnen innerhalb der Architektur. Im Unterschied dazu war keine der Bauhausstuden- tinnen anschließend an der zuvor besuchten Hoch- schule wieder zu finden.148 Hier verweist die Vielzahl der Studienabbrüche deutlich auf die Grenzen des Kompetenzerwerbs am Bauhaus. Mindestens ein Drittel der ehemaligen Bauhausstu- dentinnen suchte nach Ausbildungsalternativen und strebte einen - auch formal - qualifizierenden Ab- schluss an. Manche hatten zuvor eine Berufsausbil- dung abgeschlossen. Einzelne – wie bspw. Grete Meyer und Mark Leiteritz - griffen nach ihrer Zeit am Bauhaus auf diese Qualifikation zurück. Andere – da- runter Katina Both, Gerda Marx und Ewa Fernbach - suchten nach einem direkten Einstieg in die Praxis. 149 Auf welch vielfältigen Wegen Architekturaspirantin- nen, die am Bauhaus mit ihren Ambitionen geschei- tert waren, nach akzeptablen Studien- und Ausbil- dungsmöglichkeit suchten, sei im folgenden darge- stellt. Erika Hackmack, 1921 bis 1924 Studentin am Bau- haus, studiert ab 1926 in der Bauabteilung der Staat- lichen Bauhochschule Weimar.150 Eva Busse wechselt kurz nach ihrer Aufnahme in die Baulehre in Dessau im Sommersemester 1930 an die TH Charlottenburg und immatrikuliert sich dort für Architektur.151 Zsuzsanna Bánki, deren Weiterstudium am Bauhaus 1932 scheitert, findet zunächst am Städel in Frankfurt am Main in Franz Schuster einen neuen Lehrer. Als im Frühjahr 1933 Franz Wichert als Direktor entlassen wird, wechselt sie nach Wien, wo sie ab Herbst 1934 an der Akademie der Künste zugelassen wird und bei Clemens Holzmeister studiert.152 Im Sommer 1936 besteht sie dort mit „belobender Anerkennung“ das Diplom. Zsuzsanna Bánki benötigt somit drei Hoch- schulen, sechs Jahre und neun Fachsemester bis zum erfolgreichen Studienabschluss. Anneliese Brauer begibt sich nach der Schließung des Bauhauses in das Büro der Brüder Luckhardt, um Arbeiten für eine aussichtsreiche Bewerbung an einer anderen Hochschule zu erstellen.153 Wera Itting und Eva Lilly Lewin schreiben sich nach der Schlie- ßung des Bauhauses an der in Berlin als „Moderne Kunstschule für Maler, Bildhauer, Architekten, Foto- grafen, Pädagogen, Reklame- und Musterzeichner“ von Johannes Itten gegründeten Privatschule ein. Als auch diese Schule - mit der Berufung Ittens nach Krefeld - im Sommer 1934 schließt, erhält Eva Lewin auf Nachfrage ein Zeugnis.154 Wera Itting arbeitet ab 1934 im Büro Luckhardt. Wie lange sie ihre Architek- turambitionen verfolgen kann, ist bisher unbekannt. Natalie Swan studiert ab dem Herbst 1933 erneut Ar- chitektur. Nach ihrer Rückkehr in die USA tut sie dies an der School for Architecture der Columbia Univer- sity in New York.155 Obschon unter den Lehrenden et- liche Befürworter des „neuen Bauens in Europa“ zu finden sind und einzelne Lehrende dieser neuen Strö- mung ihren Job verdanken, werden Studienzeiten am Bauhaus hier nicht anerkannt.156 Swan absolviert das volle Vier-Jahres-Programm und erhält nach fünf Jahren im Juni 1938 den Bachelor. Auch Lotte Beese muss erneut ein komplettes Studi- um absolvieren, da ihr Antrag auf Anrechnung bishe- riger Studiensemester 1940 an der Academie voor Bouwkunst in Amsterdam abgelehnt wird. Um als al- leinerziehende Mutter zweier Kinder Leben und Stu- dium zu finanzieren, verdingt sie sich als Zeichnerin im Büro von Ben Merkelbach. Sie erwirbt erst 1944, im Alter von 34 Jahren und nach insgesamt 12 Se- mestern - davon 11 im Bereich Bau/Städtebau - ein Diplom. Nach über zehnjähriger Berufstätigkeit und jahrelanger Mitgliedschaft in berufsständischen Verei- nigungen wie ‘De 8 en opbouw’ oder dem ‘CIAM’ war es ihr ohne formale Qualifikation nicht gelungen, einen adäquaten Tätigkeitsbereich zu finden. Nur wenige Studentinnen fanden eine Möglichkeit, das am Bauhaus begonnene Studium in der Architek- tur unmittelbar weiterzuführen resp. abzuschließen. Ihre Studienzeiten wurden in aller Regel nicht aner- kannt. Um nicht erneut ein komplettes Architekturstu- dium absolvieren zu müssen, suchten etliche der Stu- dentinnen nach alternativen Qualifikationen. Mathy Wiener, Suzanne Markos-Ney und Riccarda Meltzer begeben sich in eine erneute Ausbildung in der Fotografie. Ella Rogler studiert 1933 - wenn auch kaum länger als ein Semester - an der Städel-schule in Frankfurt. Ruth Josefek erwirbt 1934 nach Besuch der Textilfachschule Langenbielau einen Gesellenbrief 148 Als Gaststudentinnen lassen sich hier nur Tony Simon-Wolfs- kehl, Ruth Hildegard Raack und Ursula Schneider bezeichnen, die bereits zuvor Studienabschlüsse erwarben. 149 Zu den Bauhausstudentinnen, die unmittelbar den Einstieg in die Praxis suchen vgl. Kap.7, S.184. 150 Erika Hackmack dürfte zunächst das Abitur erworben haben, bevor sie 1926-28 in der Bauabteilung der Bauhochschule Wei- mar studiert. Das andere Bauhaus, Weimar, 1996, S.227. 151 Eva Busse hatte - lt. Protokollen - am Bauhaus im Winterseme- ster 1929/30 Reklame, Wandmalerei und Metall studiert. Vgl. Biografie Busse. 152 Anschließend bemüht sie sich - nach drei Semestern am Bau- haus und zwei Semestern am Städel - um Aufnahme an den Technischen Universitäten in Budapest und Prag, sowie in die Klasse Oskar Strnads an der KGS Wien. Vgl. Biografie Bánki. 153 Ob ihr dies gelang, scheint nach den bisherigen Informationen zweifelhaft. 154 Aus diesem gehen ihre Studienschwerpunkte nicht hervor. Be- scheinigung Johannes Itten vom 7.7.1934. Vgl. Biografie Lewin. 155 Ebenso wie ihre Bauhauskommilitonen Howard Dearstyne, Ber- trand Goldberg, John B. Rodgers und William T.Priestley. 156 An der School of Architecture der Columbia University unterrich- ten u.a. Jan Ruthenberg, Carol Aronovici und Werner Hege- mann. Hegemann bietet im Studienjahr 1935/36 neben einem Entwurfskurs das Seminar „The Plan of New York City“ an. Aronovici hält Vorlesungen über „Architecture and Urbanism“ sowie „Housing development“. Er propagiert in „America Can´t Have Housing?“ 1934 die Übertragbarkeit europäischer Erfah- rungen im Siedlungsbau auf den amerikanischen Wohnungsbau. Columbiana der Columbia University. Announcements der School of Architecture 1932/33 - 1942/43 178 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? in der Weberei. Auch Eva Lilly Lewin lässt sich auf der Suche nach einer realistischen Erwerbsperspek- tive ab Ende 1934 praktisch in einer Handweberei ausbilden. Sie absolviert ab 1949 in London erneut eine Ausbildung zur Lehrerin in Schneiderei. Im Un- terschied dazu wendet sich Rose Mendel nach ihrer einsemestrigen Hospitation am Bauhaus 1933 wieder der Malerei zu, studiert zunächst in Berlin, ab 1934 in Paris. Ende der vierziger Jahre studiert sie in London erneut, nun Innendekoration. Lila Ulrich kehrt noch 1933 in die USA zurück und studiert in New York Malerei bei Hans Hoffmann. Im Unterschied zu Zsuzsanna Bánki, die unter großen Schwierigkeiten und mehrfachen Studienortswech- seln ihr Studium 1936 erfolgreich abschließen kann, gibt Matty Wiener das Studium der Architektur auf, nachdem ihr 1932 das Weiterstudium verweigert wor- den war. Der Vergleich dieser beiden am Bauhaus befreundeten Architekturstudentinnen deutet auf den Stellenwert familiärer Unterstützung im Krisenfall. Beide scheitern am Bauhaus nicht aus fachlichen Gründen. Die 23jährige Mathy Wiener verfügt durch ihren Prager Universitätsabschluss bereits über eine Qualifikation. Dennoch beendet die Absage am Bau- haus ihre Studienambitionen nicht gänzlich, sie wechselt Institution und Fach.157 Demgegenüber ver- folgt die 21jährige, ungebundene Zsuzsanna Bánki nach der Ablehnung am Bauhaus die Architektur, die sie zunächst so vehement abgelehnt hatte, nun um so entschlossener. Sie findet bei ihren Eltern den not- wendigen Rückhalt. Bestand für Tessenowdiplomandinnen keine Notwen- digkeit, sich nach dem Studium nach neuen Ausbil- dungsmöglichkeiten umzusehen, so erwogen mehre- re von ihnen offenbar ein Weiterstudium in Form ei- ner Promotion. So blieben bspw. Iwanka Waltscha- nowa, Helga Karselt und Elfriede Schaar weiterhin immatrikuliert. Im Anschluss an ihr Diplom 1937 un- ternahm Hildegard Korte erste Feldforschungen zu einer Dissertation im Bereich „Bauen in der Land- schaft“ in Alpentälern.158 Keiner dieser Studentinnen bot sich jedoch bei Tessenow resp. an der TH Char- lottenburg die reale Chance zur Promotion.159 Hildegard Korte findet an der TH Braunschweig in den Bauingenieur-Professoren Herzig und Gersten- berg Mentoren, um - vier Jahre nach dem Diplom - mit einer Arbeit über die „Gestaltung bombensicherer Luftschutzräume nach Gesichtspunkten der Wirt- schaftlichkeit“ im Februar 1942 zu promovieren. Ruth Weckend gelingt die Promotion 1944, damit fünf Jah- re nach dem Diplom an der TH Aachen mit einer bau- geschichtlichen Arbeit über „Der karolingische Fron- hof Seffent bei Aachen und Laurensberg”. Bei den Versuchen, das Studium fortzuführen, in eine Meisterklasse einzutreten, zu promovieren oder über die Praxis einen Zugang zum Berufsfeld Architektur zu finden, stießen die Architekturstudentinnen am En- de der Weimarer Republik auf vielfältige Schwierig- keiten. Knapp zwei Jahrzehnte nachdem sich Frauen der Zugang zum Architekturstudium im Deutschen Reich erstmalig geöffnet hatte, zeigt sich die deut- sche Architekturszene als nahezu lückenlos ‘gende- red’, als ein hinsichtlich geregelter wie ungeregelter Einstiege von Frauen ins Berufsfeld Architektur bzw. ihres Ausschlusses höchst wirkungsvoll strukturiertes Berufsfeld. Zeichneten sich gegen Ende der Kaiser- zeit und zu Beginn der Weimarer Republik ‘Durchläs- sigkeiten’ ab, so wird noch während der Weimarer Republik das Geschlecht zur entscheidenden Kate- gorie bei der Vergabe beruflicher Chancen in der Ar- chitektur. Am Bauhaus bildet bereits der verweigerte Kompetenzerwerb die Achillesferse bei der Professio- nalisierung von Architektinnen. Resümee Architekturstudentinnen der Weimarer Republik sind um die Wende vom 19. zum 20.Jahrhundert geboren. Sie gehören damit zu der ersten Generation von Frauen, die bereits selbstverständlich weiterführende Schulen besuchen konnte. Manche Bauhausstuden- tin und alle Tessenowstudentinnen schlossen ihre Schulbildung mit dem Abitur ab. Auch ein - durch die Eltern finanziertes - Studium war für sie häufig bereits eine Selbstverständlichkeit. Und auch ein Architektur- studium zählte nun zu den für junge Frauen akzep- tablen Studienfächern. Im Unterschied zur Kaiserzeit forcieren einzelne Elternhäuser nun sogar bereits ein Architekturstudium der Tochter. Die familiären Verhältnisse von Architekturstudentin- nen der Weimarer Republik sind manchmal großbür- gerlich, öfter mittelständisch resp. bildungsbürgerlich. Dabei wuchsen Tessenowstudentinnen häufiger in in- genieurwissenschaftlich geprägten, Bauhausstuden- tinnen häufiger in musisch orientierten Milieus auf. Dank der in der Regel breiten kulturellen Orientierung ihrer Familien hatten sowohl Bauhaus- wie Tesse- nowstudentinnen während ihrer Jugend die Chance, eigene Fähigkeiten und Interessen vielfältig zu ent- wickeln. Ihr Wissensdrang war mit zunehmender Bildung, ihr Selbstbewusstsein mit zunehmender Be- stätigung gewachsen. Qua Sozialisation unterschie- den sie sich damit nur unwesentlich von anderen Studentinnen ihrer Generation, qua Fächerpriorität lassen sie sich als eigenwillige Bildungsbürgerinnen mit hohem Individualisierungsgrad und ausgeprägtem Selbstbewusstsein charakterisieren. Ihre häufig vielfältigen Interessen und Talente wollten sie in einem möglichst breit angelegten Studium nut- 157 Ab Herbst 1932 studiert sie zwei Jahre lang an der Grafischen Lehr- und Versuchsanstalt Wien Fotografie. Ob Mathy Wiener in dieser Situation ebenfalls auf familiären Rückhalt rechnen konn- te, ist bisher nicht bekannt. In den fünfziger Jahren studiert sie in New York City erneut Pädagogik und schließt mit dem Master of Science ab. 158 Woran diese Dissertation innerhalb des ersten Jahres scheitert, bleibt im Interview offen. Der Doktorvater Daniel Krencker wurde 1939 suspendiert. 159 An der TH Charlottenburg gelang dies bspw. Erika von Beerfel- de (geb. 1913), die 1939 - zwei Jahre nach ihrem Diplom - über die Caracallathermen promoviert wurde. Von den Tessenowstu- denten promoviert am der TH Berlin bspw. Alexander Herde, der nach dem Diplom bei Tessenow 1936 und Verlobung mit Gertraude Engels die Regierungsbaumeisterlaufbahn einschlug. (Herde, Alexander: „Der Luftschutzbunker im Wohngebiet“, 63 Bl., TH Berlin 14.12.1941.) Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 179 zen und weiterentwickeln. Die nähere Untersuchung der Studienmotivationen und Lehrerwahl zeigte, dass die Entscheidungen für resp. gegen eine akademi- sche Ausbildung, für bzw. gegen bestimmte Hoch- schulorte weit stärker mit milieuspezifischen Vorbil- dungen und Prägungen korrelierte als mit formalen Qualifikationen. Tessenowstudentinnen fassten weit häufiger als Bau- hausstudentinnen bereits während der Schulzeit den Entschluss Architektur zu studieren. Sie wurden teil- weise ermutigt oder sogar gedrängt, mussten man- ches Mal jedoch auch erst die elterliche Akzeptanz gewinnen. Bauhausstudentinnen waren - wie an zahl- reichen ‘Umwegen’ deutlich wurde - mit vergleichs- weise höheren Widerständen im familiären Umfeld konfrontiert. Studentinnen, die ein [Zweit-]Studium am Bauhaus aufnahmen, konnten nicht immer mit der elterlichen Unterstützung rechnen. Trafen Bau- hausstudentinnen ihre Studienwahl oft selbständig und oft in Abkehr von zuvor bereits eingeschlagenen Ausbildungswegen, so stand die Fächerwahl der Tes- senowstudentinnen häufig in der väterlichen Traditi- on. Dementsprechend hatten etliche dieser Studen- tinnen im Vater neben einem interessierten Beobach- ter auch einen Mentor ihrer fachlichen Entwicklung. Die Haltung der Väter von Bauhausstudentinnen reichte von liberal bis besorgt. Je früher die Studen- tinnen die Berufsentscheidung trafen, desto häufiger studierten sie an einer Technischen Hochschule. Zeichneten sich im Vergleich der Herkunftsfamilien von Bauhaus- und Tessenowstudentinnen graduelle Unterschiede ab, so differierten die Rahmenbedin- gungen, unter denen der Berufswunsch resp. Studi- enwunsch entstand und umgesetzt werden konnte deutlich. Noch augenfälligere Diskrepanzen fanden wir bei den Lebensstilen von Bauhaus- und Tesse- nowstudentinnen während des Studiums. Bauhausstudentinnen brachten weit unterschiedliche- re Lebenserfahrungen ins Studium mit als Tessenow- studentinnen, die dieses Studium fast immer als aka- demische Erstausbildung - und ausnahmslos ledig und kinderlos - aufnahmen. Manche Studentinnen experimentierten mit eigenen Lebensformen und –sti- len. Etliche Baushausstudentinnen, die zuvor bereits eine Ausbildung durchlaufen oder gearbeitet hatten resp. bereits mit [Ehe-]Partnern zusammenlebten, be- griffen das Studium sichtlich nicht als verlängerte Adoleszenz. Dahingegen studierten die meisten Tes- senowstudentinnen als Töchter ihrer Eltern, bei de- nen manche auch weiterhin wohnten. Dies setzte ih- ren Aktionsradien häufiger normative Grenzen. Den- noch erprobten auch sie ihre Fähigkeiten und Mög- lichkeiten – innerhalb und außerhalb des Studiums - auf vielfältige Weise, in der Regel jedoch in geordne- ten oder organisierten Gruppen, Vereinen oder Clubs. Daneben reisten Tessenowstudentinnen gern und viel. Bauhausstudentinnen waren nicht minder mobil. Manche waren aktive Mitglieder im Wandervogel, häufiger gingen sie ihren Interessen jedoch individuell nach, interessierten sich für Lebensphilosophien und politische Strömungen jenseits ihrer Herkunftsfamili- en. Sie versuchten häufig, möglichst viele ihrer Inte- ressen im Studium unmittelbar zu verknüpfen. Der direktere Fachbezug der Tessenowstudentinnen bestätigte sich anhand der Praktika: Sie absolvierten nahezu ausnahmslos sowohl handwerkliche wie Bü- ropraktika und nutzten vielfach auch jede Möglich- keit, um – über den vorgeschriebenen Rahmen hi- naus – ihre Praxiskenntnisse zu vertiefen. Im Unter- schied dazu war am Bauhaus lediglich der handwerk- liche Praxisbezug präsent. Deutlich häufiger als Tes- senowstudentinnen absolvierten Bauhausstudentin- nen mehrere Lehrjahre. Büropraktika leisteten sie nur in Ausnahmefällen ab. Aber nicht nur bzgl. der Praxisbezüge unterschieden sich beide Ausbildungswege deutlich. Noch gravie- render wichen die Studienbedingungen voneinander ab. So bot das TH-Studium Architekturstudentinnen der Weimarer Republik einen geregelten - und damit berechenbaren Rahmen mit einem anerkannten Di- plom, das Seminar Tessenow darüber hinaus die na- hezu geschlechteregalitäre Möglichkeit des Kompe- tenzerwerbs. Im Unterschied dazu fanden architek- turinteressierte Studentinnen am Bauhaus nur einge- schränkt koedukative, weitgehend deregulierte Stu- dienbedingungen ohne berufsqualifizierenden Ab- schluss vor. Ihnen wurden weder vergleichbare Aus- bildungsmöglichkeiten eröffnet, noch die gleiche För- derung zuteil wie den Studenten. Im Gegensatz zum Gleichheitsversprechen wie den im Alltag zunehmend durchlässigeren Geschlechterrollen, blieb die inoffi- zielle Ausbildungspolitik am Bauhaus traditionellen Rollenstereotypen verhaftet, die lediglich visuell ‘mo- dernisiert’ wurden. Wurde Architekturstudentinnen aufgrund ihres Ge- schlechts i.d.R. fachlich weniger zugetraut als ihren Kommilitonen, so eröffnete sich ihnen im Seminar Tessenow neben dem Kompetenzerwerb auch die Aussicht auf fachliche wie persönliche Anerkennung. Heinrich Tessenow unterrichtete und förderte die fachlichen Ambitionen dieser ‘Mädchen’ bis zum erfolgreichen Diplom, auch wenn er sie damit doch eher am Ziel als am Beginn ihres beruflichen Enga- gements sah. Verboten sich Kritik oder Zweifel an Tessenow durch die unumstrittene Vorbildfunktion und den Duktus des Meisters im Seminar quasi von selbst, so waren die Meister am Bauhaus nicht immer durch Adoration vor interner Kritik gefeit. Auch wenn der Schule im- 180 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? Studentische Fete in Berlin, 1933, im Vordergrund Sigrid Rauter und Hans Keßler, auf der Couch links Hildegard Katz Studentische Fete in Berlin, 1933, im Vordergrund links Anni Pfeiffer Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar mer große öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wurde, so blieben die Akteure dank weitgehender Autonomie vor wirksamer Kontrolle geschützt und konnten sich somit interner Kritik weitgehend entziehen. Insbeson- dere die Ungleichheit der Geschlechter war damit je- der Korrektur enthoben, zumal wechselseitig Gleich- heitspostulat und Begabungsdiskurs bemüht werden konnten. Im Seminar Tessenow herrschte dahinge- gen der wirkungsvolle Ausnahmezustand einer kame- radschaftlichen Schutzzone, obschon die Frage des Geschlechterverhältnisses wie der paternalistische Verweis auf die eigentliche Berufung der Frau als Mutter latent präsent waren. Die hierarchische Ord- nung der Geschlechter wurde durch geschlechterpo- lare Metaphern jedoch nicht in Frage gestellt sondern blieb, - dank Harmonie- und Gleichwertigkeitsgebot - weitgehend tabuisiert. Erst im Laufe der dreißiger Jahre ließ sich anhand der Aufgabenstellungen die Tendenz zur Separation nach Geschlechtern erken- nen. Da Studentinnen hier die gleichen Studienmög- lichkeiten offenstanden wie Studenten, war die Situa- tion im Seminar Tessenow jedoch weit entspannter als am Bauhaus, wo potentiellen Bewerberinnen wie architekturinteressierten Studentinnen in vielerlei Vari- anten verdeutlicht wurde, dass sie in der Architektur nicht willkommen waren. Stellte sich die Abwehrhaltung des organisierten Be- rufsstandes für Architekturstudentinnen der Kaiserzeit noch unverblümt als geschlechtsspezifische Schwelle zum Studium dar, so konnten sich Architekturstuden- tinnen Ende der dreißiger Jahre mancherorts bereits unbefangen mit den Lehrenden identifizieren. Das „männliche Gebiet der Baukunst“ (Scheffler) wurde im Seminar Tessenow nun auch unter Anwesenheit von Studentinnen studiert, am Bauhaus blieb die Schefflersche Haltung hinsichtlich des Ausschlusses von Frauen Maxime. Während sich innerhalb des Be- rufsfeldes zeitgleich - im stillschweigenden Konsens zwischen Traditionalisten und Modernisten - die Se- lektion und Hierarchisierung nach Geschlechtszuge- hörigkeit verfestigte, verschwand die politische Frage der Geschlechterrelevanz während der Weimarer Re- publik hinter der politisierenden Frage, was und wie modern resp. traditionell zu bauen sei. Anhand der von Studentinnen bearbeiteten Themen wurde deutlich, dass sich Bauhaus- wie Tessenow- studentinnen in aller Regel mit den angebotenen The- menspektren identifizierten oder zumindest arrangier- ten, obschon sie auch nach Möglichkeiten suchten, eigene Themenvorschläge einzubringen und zu ver- folgen. Im Vergleich der Aufgabenstellungen wurde deutlich, dass sich die Themen in den Schwerpunk- ten und Maßstabsnivaus unterschieden, im Spektrum zeitgleicher Entwurfsseminare an Akademien und Hochschulen jedoch kaum Signifikanzen aufwiesen. Sichtbarer wurden die Unterschiede anhand tabu- isierter Aufgabenstellungen, die deutlich auf das je- weils präferierte Weltbild rekurrierten. Weit deutlicher wirkte sich das jeweilige Verständnis für die gesell- schaftlichen Dimensionen des Bauens - am Bauhaus wie bei Tessenow auch explizit vermittelt - jedoch auf die jeweilige Entwurfshaltung aus. Konkrete Studienarbeiten und Diplomentwürfe zeig- ten, dass diese Architekturstudentinnen auch das je- weils angebotene Formenrepertoire weitestgehend übernahmen, Bauhaus- resp. Tessenowschülerinnen wurden. Ob und inwieweit diese Entwurfshaltungen mit den Vorstellungen der jeweiligen Studentin kor- relierten oder ob sich hier ein - der Überzeugungs- kraft oder der Repressivität - der jeweiligen ‘Schule’ geschuldeter Assimilationsprozess abbildet, werden wir anhand von Projekten aus dem Berufsleben der Architektinnen sehen. Signifikant unterschieden sich beide Ausbildungsrich- tungen auch hinsichtlich der Studiendauer wie der Studienerfolge der Studentinnen. Während im Be- reich Bau-/Ausbau am Bauhaus überhaupt nur vier Studentinnen diplomieren konnten - und zahlreiche Studentinnen das Studium nach nur wenigen Seme- stern abbrachen - qualifizierten sich Tessenowstu- dentinnen häufig bereits nach nicht mehr als neun Fachsemestern mit dem Erwerb des Diploms. An- hand der Diskrepanz der Studienerfolge erwies sich die unmittelbare Korrelation von Förderung und Stu- dienerfolg. Diesen Zusammenhang hatte Immeke Schwollmann bereits vor ihrem Studium erkannt, als sie in ihrer Bewerbung 1919 formulierte, dass der Un- terricht „mich besonders deshalb förderte, weil meine Zeichenlehrerin mir besonderes Talent zusprach und mir viel Interesse entgegenbrachte.“ 160 Die unterschiedlichen Studienbedingungen von Tes- senow- und Bauhausstudentinnen machten deutlich, dass der kontrollierte wie formal geregelte Rahmen der Technischen Hochschulen den Kompetenzerwerb von Studentinnen ebenso wirkungsvoll erhöhte wie der Begabungsdiskurs an einem autonom agierenden Bauhaus das ‘Aushebeln’ des Gleichheitspostulats verschleierte. So bot das TH-Studium mit seinen ver- meintlich höheren Zugangsbedingungen die weitaus günstigeren Rahmenbedingungen für Partizipation wie Qualifikation von Architekturstudentinnen wäh- rend der Weimarer Republik. Im Vergleich wird deutlich, dass die Ausbildungs- chancen von Frauen in der Architektur am Bauhaus am effizientesten minimiert werden konnten, die Mo- dernisierung traditioneller Geschlechterhierarchien während der Weimarer Republik im Schulterschluss der Protagonisten einer autonom agierenden Avant- garde am schnellsten gelang.161 Hinsichtlich der Ex- 160 Immeke Schwollmann besuchte [siebenjährig] die höhere Töch- terschule von Fräulein Brennecke in Hannover, wo sie zwei Jah- re „guten Zeichenunterricht genoß“. SBW, Sign.155, Bl.1052 161 Wie groß das Interesse war, die Geschlechtergrenze innerhalb professioneller Felder ebenso schnell wie hart zu ziehen, zeigte sich bspw. daran deutlich, dass die Weichen für die systemati- sche Ausgrenzung potentieller Architektinnen am Bauhaus be- reits um 1920 mit der verschärften Auslese von Studienbewer- berinnen gestellt wurden, obschon eine Architekturausbildung noch auf Jahre hinaus nicht eingerichtet werden sollte. Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 181 klusion von Frauen erwies sich dabei die Referenz auf das mittelalterliche Handwerk als ebenso wir- kungsvoll wie die Orientierung an industriellen Pro- duktionsweisen. Den vergleichsweise niedrigen Stu- dienvoraussetzungen standen intern sehr schnell wirksame Mechanismen gegenüber, die ein annä- hernd chancenegalitäres Studium wirkungsvoll ver- hinderten. Da die Lehrenden eine Berufstätigkeit von Frauen ablehnten und in einem hohen Studentinnen- anteil eine Bedrohung für die Etablierung der Schule sahen, lässt sich der Gleichheitsgrundsatz im Grün- dungsmanifest schlicht als strategisches Zugeständ- nis an politische Zeitumstände und die besonderen Bedingungen der Neugründung interpretieren. Im Unterschied dazu wirkt sich die in der Kaiserzeit von frauenbewegten Kreisen eingeforderte, im Zuge der Weimarer Verfassung erstmals legislativ fixierten Gleichheit der Geschlechter auf die Qualifikationsbe- dingungen der Studentinnen im Seminar Tessenow positiv aus. Technische Hochschulen, die sich noch wenige Jahre zuvor vehement gegen eine Präsenz von Frauen in ihrer akademischen Männerenklave zur Wehr gesetzt und Studentinnen zögerlich erst im Laufe der zwanziger Jahre die Möglichkeit eines Stu- diums auch eingeräumt hatten, unterstanden öffentli- cher Kontrolle. So konnten sich auch langjährige Hochschullehrer diesem gesellschaftlichen Wandel nicht entziehen. Wohlwollend paternalistisch oder - wie Tessenow - zunehmend aufgeschlossen, wirkten sie nun an der akademischen Ausbildung von Stu- dentinnen mit, deren Eignung sie noch wenige Jahre zuvor kategorisch bestritten hatten. Sie waren nach der Zulassung von Studentinnen gezwungen, formal- rechtliche Ausgrenzungen fallen zu lassen. Demgegenüber stand das Staatliche Bauhaus nicht minder unter öffentlicher Aufmerksamkeit, war in der Umsetzung seiner Lehrmethoden wie Selektionen je- doch weitgehend autonom. Deshalb konnte gerade hier entsprechend schneller und flexibler mit der Er- neuerung der Gestaltung auch die Modernisierung der Geschlechterhierarchie umgesetzt werden. Hier- für galt es, plausible Identifikationsmuster wie weiche Ausgrenzungsmechanismen hinsichtlich konkurren- zierender AkteurInnen zu finden und deren Potentiale - mit dem sicheren Instinkt für die Zeichen der Zeit – für die Durchsetzung eigener Ideen einzusetzen. Nachdem die meisten der architekturinteressierten Studentinnen aufgrund der limitierten Möglichkeiten innerhalb das Bauhauses keine Möglichkeit fanden, Kompetenzen für eine professionelle Tätigkeit als Gestalterin oder Architektin zu erwerben, gab fast ein Drittel dieser Studentinnen die Architekturambition auf. Etliche suchten jedoch nach Ausbildungsalterna- tiven, obwohl die Anerkennung der Studienzeiten beim Weiterstudium an etablierten Hochschulen strit- tig war. Manchen gelang es andernorts dennoch, die für eine Architektinnentätigkeit notwendigen Qualifi- kationen zu erwerben, selbst wenn sie erneut ein komplettes Studium absolvieren oder mehrfach die Hochschule wechseln mussten. Tessenowstudentin- nen waren ggfs. dann auf eine weitere Hochschule angewiesen, wenn sie im Anschluss eine Promotion anstrebten. Stellten Forscherinnen noch in den 1980er Jahren fest, dass sich „am Bauhaus nur ganz wenige Frauen (..) mit Architektur beschäftigt hätten” oder „auch am Bauhaus (..) die Beschäftigung der Frau mit der Tech- nik keine Selbstverständlichkeit, sondern die Ausnah- me“ gewesen sei162, so lässt sich nun belegen, dass Studentinnen die ernsthafte Auseinandersetzung mit Architektur am Bauhaus nur ausnahmsweise zuge- standen wurde. Und dass dies selbst dann noch dem Selbstverständnis der Lehrenden entsprach, als Stu- dentinnen an traditionelen Fakultäten ihre techni- schen wie künstlerischen Interessen bereits weitaus ungehinderter verfolgen konnten. Anhand des Vergleiches der unterschiedlichen Aus- bildungssituationen wurde deutlich, wie maßgeblich die Berechenbarkeit der Ausbildung dazu beitrug, dass die Professionalisierungschancen von Architek- tinnen nicht bereits beim Kompetenzerwerb unterlau- fen werden konnten. In wieweit sich Kompetenzer- werb und Qualifikationen, Themen und Schulen auf die Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik auswirkten, wird im folgenden Kapitel untersucht. 162 „Mit Architektur beschäftigten sich am Bauhaus nur ganz we- nige Frauen.“ Günther, Sonja: Zur Konzeption der Ausstellung in: UIFA (Hg.): Architektinnenhistorie, 1984, S.11 – „Auch am Bauhaus ist die Beschäftigung der Frau mit der Technik keine Selbstverständlichkeit, sondern die Ausnahme.“ Droste, 1989, S.198 182 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? 7 Berufseinstiege von Architekturstu- dentinnen der Weimarer Republik Berufliche Ambitionen - berufliche Hemmnisse (186) - Beziehungen und Bezüge (190) - Das Ka- meradschaftsehemodell (193) - Berufseinstiege im Exil (195) - Berufswege außerhalb des Rei- ches (197) - Weiblicher Architekt oder Innenar- chitektin? (198) - Karrieren und Brüche im Na- tionalsozialismus (201) - Resümee (206) Nach bisherigem Stand der Recherche wurden zwei Drittel des ehemaligen Tessenowstudentinnen und die Hälfte der Bauhausstudentinnen in der Architektur tätig.1 Bisher liegen Informationen über eine solche Erwerbstätigkeit zu 21 der ehemaligen Tessenowstu- dentinnen vor. Auch 26 der ehemaligen Bauhausstu- dentinnen waren oder wurden nachweislich innerhalb oder am Rande dieses Berufsfeldes tätig. Eine späte- re Tätigkeit im Bereich Architektur kann bei keiner der Tessenowstudentinnen, jedoch bei neun der ar- chitekturinteressierten Bauhausstudentinnen ausge- schlossen werden.2 Bauhausstudentinnen begeben sich bereits in den zwanzig Jahren, Tessenowstudentinnen ab 1930 in das Berufsfeld Architektur. Die Phase des Berufsein- stieges lässt sich bisher bei 21 Bauhausstudentinnen wie 19 Seminarteilnehmerinnen bei Tessenow zumin- dest annähernd verfolgen.3 Im folgenden werden die- se Berufseinstiege chronologisch nachgezeichnet. Hierbei werden berufliche Ambitionen, aber auch strukturelle Hindernisse erkennbar. Die sich abzeich- nenden Berufswege werden zunächst vor dem Hin- tergrund der Zeitumstände diskutiert. In die ersten Jahre der Berufstätigkeit der meisten Architekturstu- dentinnen der Weimarer Republik fällt die Entschei- dung über eine mögliche Familiengründung. Da zahl- reiche Studentinnen ihre berufliche und private Per- spektive gemeinsam mit einem Partner planen, spürt ein Exkurs der Faszination der ‘Kameradschaftsehe’ nach. Mit dem aufkeimenden Antisemitismus werden Berufs- und Existenzbedingungen jüdischer Architek- tInnnen zunehmend bedroht. Ins Exil getrieben, sind sie gezwungen, dort nach Einstiegen ins Berufsfeld zu suchen. Aber auch die Berufsbedingungen ‘ari- scher’ ArchitektInnen ändern sich mit Einführung der Reichskulturkammer im Herbst 1933 merklich. Des- halb werden die Verschiebungen innerhalb des Be- rufsbildes wie des Berufsfeldes skizziert, Etablierun- gen und Rückzüge von Architektinnen im Nationalso- zialismus untersucht. Wo werden Tessenow- und Bauhausstudentinnen beim Berufseinstieg tätig? Tony Simon-Wolfskehl kehrt 1920 aus Weimar nach Frankfurt am Main zurück und nimmt ihre Berufstätig- keit als selbständige Architektin auf. Über ihre innen- architektonischen Arbeiten ist bisher nichts bekannt. Nachweisbar ist jedoch ihre Tätigkeit als Bühnenar- chitektin. Am Neuen Theater im Frankfurter Westend stattet sie zwischen Herbst 1921 und Januar 1924 zumindest sechs Bühnenstücke mit eigenen Entwür- fen aus. Ruth Hildegard Raack arbeitet zwischen den Gastkursen am Bauhaus immer wieder in Berlin, wo sie bereits seit Mitte der zehner Jahre freiberuflich er- ste Aufträge ausführt. Sie bleibt auch nach der Heirat mit einem Fliegeroffizier 1922 und der Geburt zweier Kinder freiberuflich tätig, gestaltet überwiegend priva- te Wohnräume und kann ab 1924 Ausmalungen und Inneneinrichtungen publizieren. Jadwiga Jungnik fin- det in Saarbrücken im Mai 1923 ihre erste Stelle nach dem Studium. Bei Villeroy & Boch arbeitet sie an der Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 183 1 Da mit dem Studium fast immer auch die institutionellen Quellen enden, sind wir im folgenden auf die Werkbiografien angewie- sen. Auch wenn nur 14 Berufsbiografien vollständig rekonstru- iert werden konnten, so kennen wir inzwischen von mehr als der Hälfte aller zuvor erwähnten potentiellen Architektinnen den wei- teren Lebens- und Berufsweg zumindest in Ausschnitten. Dem- nach wurden von den Tessenowstudentinnen als Architektinnen tätig: Beloweschdowa, Blank, Bonin, Brobecker, Eisenberg, En- gels, Freise, Herzenstein, Hohmann, Kaatz, Karselt, Koch, Korte, Pfeiffer, Rauter, Schaar, Schmidt, Schneider, Waltschanowa, Zauleck; außerdem die Gaststudentinnen Dirxen und Tönnes- mann. Bei den Bauhausstudentinnen waren dies: Bánki, Beese, Both, Brandt, Dicker, Fernbach, Fodor, Helm, Jungnik, Lederer, Marx, Mendel, Meyer-Waldeck, Otte, Raack, Reiss, Rogler, Schneider, Simon-Wolfskehl, Swan, Ulrich, Wilke, Wimmer. 2 Dies sind Buscher, Enders, Josefek, Knoblauch, Leiteritz, Mar- kos-Ney, Meltzer, Schöder und Wiener. Höchst unwahrschein- lich erscheint darüber hinaus eine spätere Berufstätigkeit in der Architektur bei den ehemaligen Bauhausstudentinnen Bernays, Busse, Dolezelowa, Haken-Nelissen, Hill, Itting und Knott. 3 Bei fast dreissig dieser ehemaligen Architekturstudentinnen konnten jedoch keine näheren Angaben zum Berufseinstieg er- mittelt werden, so bei den Bauhausstudentinnen Bernoully, Bus- se, Gerson, Hackmack, Knott, Müller, Press, Schlagenhaufer, Wettengel sowie den Tessenowstudentinnen Beloweschdowa, Eisenberg, Gaiser, Heidenreich, Lätzsch, Schaar, Schmidt, Ros- sius, Paschowa und den Gaststudentinnen Berg, Hajek, Reim- mann, Sahlmann, Taizale, Ullrich und Weckend. technischen Durcharbeitung und künstlerischen Aus- führung von Wärmeanlagen sowie keramischen In- nenausstattungen.4 Friedl Dicker ist im Anschluss an ihr Bauhaus-Studium als freiberufliche Gestalterin in Wien und Berlin tätig. Ebenfalls seit 1923 führt Mara Auböck [geb. Utschkunowa] mit ihrem Mann in Wien eine kunstgewerbliche Werkstätte.5 Hildegard Hesse kehrt 1923 nach Berlin zurück, wo sie gemeinsam mit ihrem Mann Felix Kube im Bereich Gebrauchsgrafik und Textilentwurf freiberuflich tätig wird. 1925 betei- ligt sie sich mit dem Entwurf eines „Kleinst-Wochen- endhauses” erfolgreich an einem Wettbewerb.6 1924 kehrt Dörte Helm aus Weimar nach Rostock zurück. Sie schreibt, malt und betätigt sich als freiberufliche Innenarchitektin. Im Auftrag der Stadt kann sie im Neubau des Warnemünder Kurhauses einen Fries ausführen. Mila Hoffmann-Lederer, die seit 1924 ih- ren Lebensunterhalt mit Weberei und Werbegrafik bestreitet, nutzt die sich bietende Chance, ab 1926 mehrere Jahre als künstlerische Mitarbeiterin des Messeamtes Magdeburg Farbgestaltungen für städti- sche Neubauten zu entwerfen. Kattina Both beginnt 1928 im Büro der Brüder Luck- hardt in Berlin-Zehlendorf und wird 1929 Mitarbeiterin Fred Forbats in dessen Büro in Berlin-Lichterfelde. Lotte Beese arbeitet ab Beginn des Jahres 1929 im Büro Meyer/Wittwer in Berlin an der Ausführungspla- nung der ADGB-Bundesschule mit. Ende 1929 wech- selt sie in das Büro von Hugo Häring, zum April 1930 in das Büro von Bohuslav Fuchs in Brünn. Als eine „wenn auch allzu kurze - glückliche Zeit“ erinnert Ma- rianne Brandt die sechs Monate im Berliner Atelier von Gropius/Meyer im Anschluss an ihre Bauhaus- zeit.7 Für die Dammerstocksiedlung Karlsruhe soll sie dort 1929 Möbel entworfen haben.8 Anschließend kann sie ab 1930 als Entwerferin für die Ruppelwerke in Gotha arbeiten, wird 1933 jedoch arbeitslos. Sie wird nicht mehr im Bereich Architektur tätig. Eben- falls ab 1929 arbeitet Ursula Schneider, die ihr Zweit- studium am Bauhaus nach etwas mehr als zwei Se- mestern im Herbst 1928 abbrach und erneut heirate- te, in Berlin für Adolf Sommerfeld. Dort ist sie in der Bauleitung beschäftigt, betreut zunächst einen Sied- lungsbau für das Leunawerk in Merseburg, dann in Schneidemühl den Bau einer Villa für Max Sommer- feld. Bei eben diesem Projekt obliegen der freiberuf- lich tätigen Eva Fernbach 1930 Entwurf und Realisie- rung der Innenausbauten.9 Auch Eva Fernbach und Gerda Marx siedelten 1929 nach Berlin über, nach- dem sie am Bauhaus keinen Abschluss erworben hatten. Marx wird ab 1930 im Büro [Hanns] Hopp und [Georg] Lucas in Königsberg als angestellte Ar- chitektin tätig. Daneben beteiligt sie sich gemeinsam mit ihrem Mann an einem Wettbewerb. Hilde Reiss ist nach dem Diplom 1932 in Berliner Ar- chitekturbüros tätig, bevor sie ab dem Sommer 1933 in New York als Mitarbeiterin bekannter Designbüros einen erneuten Einstieg ins Berufsfeld findet. Dane- ben bemüht sie sich zusammen mit der 1933 remi- grierten Bauhauskollegin Lila Ulrich um die Akquisiti- on eigener Aufträge. Beide bestreiten ihren Lebens- unterhalt auch als Dozentinnen. Anneliese Brauer wird nach der Schließung des Bauhauses in Berlin als Innenarchitektin und für das Büro Hetzer, ab Herbst 1933 im Büro der Brüder Luckhardt tätig. Dort arbei- tet ab September 1933 auch Wera Itting. Zeitgleich gelingt Annamaria Wilke in Berlin der Einstieg ins Be- rufsleben. Sie jobbte Anfang 1933 zunächst im Harz gemeinsam mit dem Kommilitonen Carl Bauer.10 An- schließend arbeitet sie in Berlin in den Büros von Lilly Reich und Ludwig Hilberseimer bevor sie ab Mitte der dreißiger Jahre als Entwerferin für die VLG, die Vereinigten Lausitzer Glaswerke in Weiswasser tätig wird. Annemarie Wimmer wie Wera Meyer-Waldeck, die 1932 ihr Bauhausstudium beendeten, gelingt der Berufseinstieg nach Arbeitslosigkeit erst 1934. Wim- mer wird aushilfsweise beim Hochbauamt Berlin- Schöneberg, Meyer-Waldeck als Grafikerin für die Junkerswerke in Dessau tätig. Zsuzsanna Bánki kehrt 1936 - im Anschluss an das Diplom an der Akademie in Wien - in ihre Heimat- stadt Györ zurück, wo sie ein eigenes Architekturbüro eröffnet und den „Lloydball” der örtlichen Kaufmann- schaft ausstatten kann. Natalie Swan, die 1937 in New York City ihr Architekturstudium erfolgreich ab- schließt, soll anschließend in Chicago freiberuflich gearbeitet haben - in Bürogemeinschaft mit den Stu- dienkollegen Priestley und Rogers. Als selbständige Architektin wird sie erst nach zehn Jahren, 1947 im Staat New York registriert. Lediglich die ehemalige Gaststudentin Rose Mendel sucht und findet noch später einen Zugang zum Berufsfeld. 1937 nach Eng- land emigriert, studiert sie zwischen 1941 und 1948 ‘Interior Decoration’ an der Chelsea School of Com- mercial Art und kann im Anschluss freiberuflich in- nenarchitektonische Aufträge realisieren. Damit betreten ehemalige Bauhausstudentinnen das Berufsfeld Architektur zwischen 1920 und 1948. Sie tun dies manches Mal mit, häufiger jedoch ohne Di- plom und höchst individuell. Dementsprechend fin- den wir sie beim Berufseinstieg häufig projektabhän- gig in freien Büros beschäftigt, nur selten in ange- stellter Position, noch seltener in öffentlichen Ämtern. Ein Drittel dieser Bauhausstudentinnen wagt im un- mittelbaren Anschluss an das Studium den Sprung in eine eigenständige, freiberufliche Existenz. In den meisten Fällen bleibt jedoch zweifelhaft, ob die erziel- ten Einkünfte bereits eine unabhängige Existenz si- chern. Im Vergleich dazu betreten ehemalige Tessenowstu- 4 Das Bauhaus, das sie ab Herbst 1921 besuchte, hatte sie nach der Grundlehre bei Itten, Projektionszeichnen bei Adolf Meyer und einem Semester in der Weberei verlassen. Fiedler, 1987, S.148 5 Carl Auböck (1900-1957), der als Wiener Ittenschüler seit dem Wintersemester 1919 in der Bildhauerei und der Metallwerkstatt des Bauhauses studierte, übernimmt nach dem frühen Tod sei- nes Vaters Heinrich Auböck (1872-1923) dessen 1906 gegrün- dete Werkstätten. 6 Im Bauhaus-Archiv Berlin befindet sich ein Entwurf, der verso handschriftlich mit „1925, Hildegard Hesse (prämiert)“ bezeich- net ist. Weitere architektonische Ambitionen Hesses sind bisher nicht dokumentiert. 7 Brandt, 1985, S.160 8 Lt. Weise muss Brandt noch 1929 das Büro verlassen, weil es zu wenig Einkünfte hat. Ob sie als freie Mitarbeiterin tätig war, ist in beiden Fällen unklar. Droste, 1991, S.243 - Weise, Anne- Kathrin: Leben und Werk von Marianne Brandt, Diplomarbeit, Humboldtuniversität, 1991; S.239 - zitiert hier nach Baumhoff, 1994, S.233 9 Die Villa von Max Sommerfeld in Schneidemühl entsteht ab 1928. Max Sommerfeld ist der Bruder des Berliner Bauunterneh- mers und Direktor des dortigen Sägewerks. Bereits beim Bau der Villa von Adolf Sommerfeld in Zehlendorf waren 1920 auch Bauhausstudentinnen beteiligt. In den zwanziger Jahren be- schäftigte die Allgemeine Häuserbau AG von Adolf Sommerfeld in Berlin-Zehlendorf mehrere Praktikantinnen, darunter Blank und Waltschanowa. Nach Erinnerungen Elly Lehnings stellte Sommerfeld bevorzugt TessenowschülerInnen ein (lt. Notizen eines Gesprächs, das Helga Schmidt-Thomsen mit Elly Lehning führte). Leiter des AHAG-Büros war zwischen 1925 und 1928 Fred Forbat. In diesem Zeitraum lassen sich bisher keine Bau- hausstudentinnen im Büro nachweisen. 10 Dieser hatte von der Gemeinde Bad Grund den Auftrag für eine Siedlungsplanung erhalten. 184 Ambitionen und Realitäten dentinnen das Berufsfeld innerhalb eines wesentlich engeren Zeitfensters, zwischen 1930 und 1938. Iwan- ka Waltschanowa bleibt nach ihrem Diplom im Som- mersemester 1929 ein weiteres Jahr immatrikuliert, sie arbeitet in dieser Zeit jedoch auch im Büro Ale- xander Kleins an der Großsiedlung Bad Dürrenberg.11 Anschließend kehrt sie nach Plowdiw zurück, wo ihr Vater als Baurat in städtischen Diensten arbeitet. Sie tritt dort zunächst in den öffentlichen Dienst ein, ent- wirft und realisiert einen Stadtpark. 1931 macht sie sich selbständig und kann für private Auftraggeber Wohnhäuser realisieren. Hanna Blank arbeitet auch im Anschluss an ihr Diplom 1930 im Planungsbüro der Allgemeinen Häuserbau (AHAG) von Adolf Som- merfeld. Ebenso wie Waltschanowa hatte sie dort zuvor bereits als Bauzeichnerin gearbeitet. Ab 1932 arbeitet Blank als angestellte Architektin im Büro der Brüder Walter und Johannes Krüger im Westend. Auch Thea Koch diplomiert 1930. Sie absolviert die staatliche Ausbildung zum Regierungsbauführer.12 Anni Pfeiffer, seit Februar 1932 diplomiert, tritt im Mai 1932 in das Büro der AHAG in Berlin-Zehlendorf ein, wo sie u.a. an dem Kino in der Onkel-Tom-Siedlung und der Einfamilienhaussiedlung Klein-Machnow mit- arbeitet.13 Sie verlässt die Stellung nach einem Jahr, um sich auf ihre Ehe mit einem Kollegen vorzuberei- ten und wird erst nach der Heirat im Februar 1934 wieder berufstätig. Obwohl sie nun mit ihrem Mann in Hamburg wohnt, nutzt sie die Gelegenheit, 1934 in Kassel ein Einfamilienhaus zu realisieren. Helga Kar- selt tritt unmittelbar nach ihrem Diplom 1932 eine Stelle als Hilfsassistentin an der TH Charlottenburg an. Daneben ist sie freiberuflich tätig und kann 1934 ein Ferienhaus realisieren. Lieselotte von Bonin be- wirbt sich nach ihrem Diplom 1932 zunächst für die staatliche Ausbildung, akquiriert jedoch auch im Be- kanntenkreis. Als sich innerhalb kürzester Zeit in Ber- lin Aufträge für Einfamilien- und Landhäuser abzeich- nen, tritt sie von der staatlichen Ausbildung zurück, plant und baut gemeinsam mit ihrem Mann verschie- dene Wohnungsbauten in und um Berlin. Unter eige- nem Namen taucht 1934 Gisela Eisenberg als Archi- tektin im Berliner Branchenverzeichnis auf. Auch sie diplomierte 1932 bei Tessenow. Ob auch ihr im An- schluss die Gründung einer freiberuflichen Existenz gelingt oder ob auch sie zunächst angestellt arbeitet, ist bisher unbekannt. Auch die Berufseinstiege von Ludmilla Herzenstein und Friedel Schmidt lassen sich bisher nicht genau dokumentieren. Wahrscheinlich arbeitet Herzenstein - wie bereits vor dem Diplom - um 1933 in Berliner Architekturbüros und Baufirmen, bevor sie im Herbst 1935 ins Stadtplanungsamt Rostock wechselt. Schmidt soll um 1936 als selbständige Architektin in ihrem Heimatort Frankfurt/Oder tätig geworden sein. Im Anschluss an ihr Diplom bei Tessenow im Som- mer 1934 zeichnet Fridel Hohmann die Illustrationen für Walter Löfflers Buch „Das kleine Wohnhaus“. Daneben entwickelt sie mit ihrem Studienfreund Karl Buttmann Vorschläge für die in Selbsthilfe zu errich- tende, unkonventionelle Einsiedelei des Malers Nie- meyer-Holstein auf Usedom. Sigrid Rauter arbeitet spätestens 1934, zwei Jahre nach Abschluss ihres Studiums, in der Planungsabteilung des Luftfahrtmi- nisteriums. Dies erinnert Ewa Oesterlen, die im An- schluss an ihr Diplom im März 1936 ebendort ihre Anfangsstellung antritt. Und auch Irina Kaatz, die im Februar 1936 die Diplomurkunde in Händen hält, könnte dort ihren Berufseinstieg gefunden haben.14 Gertraude Engels führt nach ihrem Diplom im Som- mer 1936 zunächst Bauaufnahmen landwirtschaftli- cher Bauten in der Mark Brandenburg im Dienste der Deutschen Forschungsgemeinschaft durch, bevor sie 1937 eine Stelle in der Preußischen Bau- und Finanz- direktion antritt. Dort wird sie mit Bauleitungsaufga- ben der Charité betraut, überwacht u.a. den Bau ei- nes Operationssaales und eines Absonderungshau- ses.15 Luise Zauleck arbeitet nach dem Diplom 1936 zunächst im Büro von Walter Löffler, dann im Büro von Günther Wentzel. Sie macht sich um 1938 selb- ständig. Johanna Tönnesmann, seit 1935 wieder an der TH Stuttgart, diplomiert 1936 bei Bonatz und ar- beitet zunächst in dessen Büro mit. Zum Sommer 1937 wechselt sie in das Büro Gutschow nach Ham- burg. Gisela Schneider tritt nach dem Diplom im März 1937 in die Planungsabteilung des Reichspost- ministeriums in Berlin ein. Dort arbeitet bereits Chri- sta Dirxen, die seit 1936 im Besitz eines Stuttgarter Diploms ist. Klara Brobecker findet nach dem Diplom im November 1937 in der Planungsabteilung des Luftfahrtministeriums ihre erste Stelle. Als sie 1939 einen beim Neubauamt in Trier beschäftigten Bauin- genieur heiratet, kann sie an Erweiterungsplanungen eines dortigen „Regierungsgebäudes“ mitarbeiten. Hildegard Korte, seit Februar 1938 diplomiert, findet ab August 1938 im Büro von Prof. Büning eine Stelle. Hier wird sie für den Neubau der Argentinischen Bot- schaft im Tiergartenviertel tätig.16 Tessenowstudentinnen treten damit in aller Regel im unmittelbaren Anschluss an das Diplom in das Be- rufsfeld ein.17 Sie werden überwiegend als angestellte Architektinnen tätig. Auf Aufgaben und Tätigkeitsfel- der in freien Architekturbüros nicht minder vorbereitet als auf die in öffentlichen Ämtern, werden sie auffällig häufig in öffentlichen Planungsbüros, seltener in frei- en Planungsbüros angestellt. Eine freiberufliche Tä- tigkeit unmittelbar nach dem Diplom bleibt bei Tesse- nowdiplomandinnen die Ausnahme. Auch die staatli- che Ausbildung zum Regierungbauführer ziehen sie nur selten in Erwägung. Ihnen gelingt es bereits wäh- 11 HTG, „Kurzer Lebenslauf, umfassend die Zeit zwischen 1925 u. 1960", Anlage zum Brief Iwanka Hahns an Walter Jessen vom 20.2.1987. Ob sie eine Dissertation erwägt, bleibt unklar. 12 Die näheren Umstände ihrer Bewerbung konnten bisher nicht rekonstruiert werden. Vgl. Biografie Koch. 13 Lt. Zeugnis vom 31.3.1933 und LL Gunkel 14 Nach Erinnerungen eines jüngeren Kommilitonen übt sie den Beruf nur in jungen Jahren und nur sporadisch aus, „so war sie im Kriege in der Bauabteilung des Luftfahrtministeriums und später (..) in der Mark Brandenburg an der Planung von land- wirtschaftlichen Bauten beteiligt.“ Zehm, Karl-Hermann: Irina Zuschneid zum Gedächtnis, 1986, HTG-Rundbrief, S.9 15 17.8.1936 bis 30.4.1939, Schreiben Gertraude Herde vom 7.2.1990 16 Für diese Botschaft war sie bereits während ihres Studiums als Übersetzerin tätig geworden. 17 Nur Maria Gaiser soll lediglich ehrenamtlich als Architektin tätig geworden zu sein, das Berufsfeld nicht betreten haben. Dabei seien die Eltern - so die Erinnerung Klara Küsters - die treibende Kraft gewesen. Dass Gaiser - als ledige Diplomingenieurin - in der Zeit zwischen dem Diplom im Sommer 1940 und der Flucht aus Berlin 1943 nicht gearbeitet haben soll, scheint angesichts von Dienstverpflichtungen zweifelhaft, konnte jedoch nicht verifi- ziert werden. Weitere Hinweise, dass Tessenowdiplomandinnen nicht ins Berufsfeld eingetreten sind, ließen sich nicht belegen. Umgekehrt ist - nach bisherigem Recherchestand - für immerhin 56% der Tessenowstudentinnen (19 von 34), 68% der Diplo- mandinnen (19 von 28) eine Berufstätigkeit nachweisbar. Bei den Tessenowstudentinnen, bei denen keine Informationen zum Berufseinstieg recherchierbar waren, fehlen bisher (nahezu) alle Angaben nach dem Diplom. Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 185 rend der Berufseinstiegsphase die eigene Existenz zu sichern. Im Vergleich der Berufseinstiege fällt auf, dass Tes- senowdiplomandinnen i.d.R. direkt ins Berufsfeld streben. Nur soweit sie - wie Korte, Karselt, wahr- scheinlich Schaar und evt. Waltschanowa - zunächst eine weitere, wissenschaftliche Qualifikation in Erwä- gung ziehen, verzögert sich ihr Berufseintritt. Auch mehr als ein Drittel der architekturinteressierten Bau- hausstudentinnen strebt - auch ohne Abschluss - un- mittelbar ins Berufsfeld.18 Demgegenüber verzögert sich der Berufseinstieg bei jenem Viertel, das zu- nächst einen auch formal qualifizierenden Abschluss anstrebt.19 Die Übergänge zwischen Bauhausstudium und Leben nach dem Studium sind - nicht zuletzt aufgrund un- geregelter Qualifikationen - sowohl fragiler als auch fließender als die von Tessenowdiplomandinnen, die mehrheitlich gezielt auf Architekturstellen antreten, die sowohl eine verantwortliche Mitarbeit wie die Si- cherung einer eigenständigen Existenz versprechen. Tessenowdiplomandinnen sind in ihren beruflichen Anfangsstellungen ganz überwiegend mit Ausfüh- rungsplanungen, seltener mit Entwurfsplanungen und manches Mal mit Bauleitungsaufgaben betraut. Mit guten bis sehr guten Diplomen und den Erfahrungen aus den Büropraktika betreten sie im Anschluss an das Diplom innerhalb öffentlicher und privater Pla- nungsbüros i.d.R. die mittlere Hierarchieebene. Bauhausstudentinnen suchen gezielt individuelle Zu- gangsmöglichkeiten zu den gestaltenden Bereichen des Berufsfeldes. Sie sind i.d.R. auf die Mitarbeit in freien Büros angewiesen. Ihr Tätigkeitsradius dort ist zumeist nicht bekannt, scheint jedoch häufig auf die untere Hierarchieebene begrenzt zu sein. Soweit sie freiberuflich tätig werden, sind sie häufig im Bereich Innenausbau tätig. Bereits beim Berufseintritt wird deutlich, dass das Spektrum denkbarer Berufsstarts - bei aller Flexibili- tät wie Individualität der Berufsanfängerinnen - ge- schlechtsspezifische Chancen und Tücken zeigt. Tä- tigkeitsgebiete und Arbeitsverhältnisse beim Berufs- einstieg verweisen auf weitgefächerte Interessen- spektren und unterschiedliche Berufswege der Archi- tekturstudentinnen der Weimarer Republik. Sie lassen hohe berufliche Ambitionen wie auch pragmatisches Vorgehen erkennen. Der hohe Anteil der TH-Diplo- mandinnen, der sich für Anfangsstellungen in öffent- lichen Planungsbüros entscheidet, belegt, was Ewa Oesterlen als eindeutigen Grund ihrer Entscheidung benennt: „weil ich da gut bezahlt wurde.“ 20 Dies war in freien Planungsbüros offenbar fraglich. Berufliche Ambitionen - Berufliche Hemnisse Welche Berufsperspektiven boten sich ehemaligen Bauhaus- und Tessenowstudentinnen innerhalb des Berufsfeldes während resp. am Ende der Weimarer Republik? Welche Berufswege zeichnen sich beim Berufseinstieg ab? Ließen sich die Mehrheit der Berufseinstiege von Ar- chitekturstudentinnen der Weimarer Republik rekon- struieren, so können die von ihnen angestrebten Be- rufswege damit jedoch häufig nicht eindeutig be- stimmt werden.21 „Ich ließ es doch mehr auf mich zukommen“, erinnert bspw. Annamarie Mauck [geb. Wilke] und betont, dass sie „keine Schiene vorge- plant“ habe.22 Spätestens mit dem Ende ihre Studi- ums standen Architekturstudentinnen der Weimarer Republik - wie ihre Kommilitonen - vor der Frage des adäquaten Berufseinstiegs: Hatten sie wissenschaftli- che Ambitionen, so musste eine Möglichkeit zur Dis- sertation gefunden werden. Strebten sie eine freibe- rufliche Existenz an, so war dies i.d.R. nicht unmittel- bar im Anschluss an das Studium möglich, mussten Kontakte und finanzielle Mittel, sowie weitere berufli- che Erfahrungen aufgebaut werden. Wollten sie in die als schlecht bezahlt, wenn auch krisensicher gelten- den Laufbahnen des öffentlichen Dienstes eintreten, so war zunächst im Anschluss an das akademische Studium die zweijährige Ausbildung zum Regierungs- bauführer zu absolvieren, die mit der staatlichen Prü- fung abschloss. Danach erfolgte in der Regel die Er- nennung zum Regierungsbaumeister, mit der sich - allerdings nur für Herren - die Aussicht auf eine ver- beamtete Laufbahn im öffentlichen Dienst eröffnete.23 Nach dieser Prüfung resp. ihrer Ernennung kehrten auch die Architekten der staatlichen Laufbahn sehr oft den Rücken, um als ‘Regierungsbaumeister a.D.’ eine freiberufliche Existenz zu beginnen, die eine größere Vielfalt an Bauaufgaben und eine bessere Vergütung versprach. So kennzeichnet die Ausbil- dung zum Regierungsbaumeister den möglichen Be- ginn, nicht aber zwangsläufig eine staatliche Lauf- bahn eines/r preußischen BaubeamtIn. Ab dem Zeit- punkt der Zulassung zum Hochschuldiplom lassen sich auch von Architektinnen immer wieder Bewer- bungen zur Regierungsbaumeisterprüfung beleben.24 Drei der Tessenowstudentinnen - Lieselotte von Bo- nin, Fridel Hohmann und Theodora Koch - ziehen die Ausbildung zur RegierungsbauführerIn nachweislich in Betracht. Thea Koch - seit Sommer 1930 diplo- miert - tritt spätestens 1932 die Aspirantur an und schließt die Ausbildung mit der Staatsprüfung um 1934 erfolgreich ab.25 Lieselotte von Bonin, seit 1931 diplomiert, bewirbt sich ein Jahr nach dem Diplom für diese Ausbildung beim Preußischen Finanzministeri- um und unterzieht sich der dafür notwendigen Ge- sundheitsuntersuchung. Als sie im April 1932 den Zu- 18 Direkt im Anschluss an das Studium werden Dicker, Both, Bee- se, Buscher, Brandt, Brauer, Geyer-Raack, Itting, Lederer, Marx, Meyer-Waldeck, Ulrich, Otte, Reiss, Schneider, Simon-Wolfs- kehl, Wilke, Wimmer, aber auch Jungnik erwerbstätig. - Einzelne Bauhausstudentinnen kehren in einen zuvor ausgeübten Beruf resp. ihre Familie zurück oder wechseln in eine baldige Heirat. Die Lebenswege von einem Drittel der Bauhausstudentinnen sind jedoch für die Zeit nach dem Studium bisher - nahezu oder gänzlich - unbekannt. 19 Einen Abschluss strebten an (in der Architektur:) Bánki, Hack- mack, Katz, Loewe, Swan; (in der Fotografie:) Wiener, Markos- Ney und Meltzer; (in der Weberei:) Josefek und Lewin; (in der Kunst, dann Innendekoration:) Mendel, (und in der Innenarchi- tektur:) Rogler. 20 So Ewa Oesterlen im Telefongespräch am 24. November 1997 21 von keiner Studentin konnten bspw. Bewerbungen nach dem Diplom annähernd vollständig rekonstruiert werden 22 „.. ich muss von mir aus sagen, ich hatte keine Schiene vorge- plant. Ich ließ es doch mehr auf mich zukommen und ergriff, was sich bot, und das gern.“ Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995 23 Zu den Hindernissen, als Architektin de facto in die Stellung ei- nes Regierungsbaumeisters aufzurücken vgl. Biografien Tip- pelskirch und Schroeder-Zimmermann 24 Zur Regierungsbauführerlaufbahn liegen keine geschlechtsspe- zifischen Forschungen vor. Über deren Attraktivität kann nur spekuliert werden, da bisher unklar ist, ab wann diese Laufbahn für Architektinnen de facto auch ohne zölibatäre Auflagen zu- gänglich war. Nach bisherigen Recherchen waren auch alle in den dreißiger Jahren zum Regierungsbaumeister ernannten Architektinnen ledig. 25 Vgl. Biografie Koch. Ihre Bewerbung wie die näheren Umstände ihrer Ausbildung im öffentlichen Dienst sind nicht bekannt. 26 Zumindest der Auftrag für den Bau des Hauses Raumer war im Frühjahr 1932 schon sicher. Mit Schreiben des Preußischen Fi- nanzministeriums vom 15.4.1932 wird von Bonin aufgefordert, „binnen 8 Tagen anzugeben, bei welcher Behörde und seit wann Sie als Regierungsbauführer beschäftigt sind. Sollte inner- halb dieser Frist eine Mitteilung nicht an mich gelangt sein, wer- de ich, in der Annahme, daß Sie auf Ihre Ausbildung verzichten, Ihre Streichung in der Regierungsbauführerliste veranlassen.“ NL Boedeker 27 „Ich wollte meinen Regierungsbaumeister machen und dafür mußte das Staatsexamen in Berlin abgelegt werden.“, efa: „Je- der Architekt hat seine ganz eigene ‘Handschrift’ “, Siegener Zeitung vom 11.7.1980 28 Hohmann beendet ihr Studium im Sommer 1934. Angesichts zunehmender antisemitischer Exklusionen, die Zulassung jüdi- scher Studierender war bereits kontingentiert, stand ihr als ‘Halbjüdin’ der höhere Staatsdienst nicht offen. Bisher ist nicht bekannt, ob sie einen Antrag auf Zulassung stellte. 186 Ambitionen und Realitäten lassungsbescheid erhält, liegen jedoch private Aufträ- ge vor, die eine freiberufliche Existenz in Aussicht stellen.26 Von Bonin tritt die Ausbildung nicht an. Ihre Bewerbung zeigt, dass sie die staatliche Laufbahn le- diglich zur Absicherung der freiberuflichen Perspekti- ve in Betracht zieht. Mit ähnlicher Intention dürfte auch Fridel Hohmann die Regierungsbaumeisterlauf- bahn in Erwägung gezogen haben. „Da es ihr im Drit- ten Reich nicht behagte ‘beamtet’ zu sein, ließ sie den Regierungsbaumeister fallen“, wird sie im Rück- blick 1980 zitiert.27 Ihr eigener Entscheidungsspiel- raum, freiberuflich oder im öffentlichen Dienst tätig zu werden, war jedoch durch den seit 1933 obligatori- schen Ariernachweis mehr als begrenzt.28 Thea Koch entscheidet sich als eine einzige Tessenowstudentin für den Dienst als Regierungsbaumeisterin. Da das Bauhaus-Diplom nicht den Status eines In- genieurdiploms an Technischen Hochschulen hatte, stand selbst Bauhausstudentinnen mit Diplom die Regierungsbaumeisterlaufbahn nicht offen. Ebenfalls nur mit TH-Diplom kam eine Dissertation in Frage. Seit dem ersten Weltkrieg hatten mehrere TH-Stu- dentinnen diese Option zumindest erwogen.29 Auch die Tessenowstudentinnen Helga Karselt, Hildegard Korte, Elfriede Schaar und Ruth Weckend verfolgen nach dem Diplom eine wissenschaftliche Perspektive. Helga Karselt tritt 1930 am Baugeschichtslehrstuhl bei Prof. Daniel Krencker eine Stelle als Hilfsassisten- tin an. Als ihr auf dieser Stelle keine Möglichkeit ein- geräumt wird, ihre baugeschichtlichen Interessen in Form einer Dissertation zu vertiefen, kündigt sie.30 Auch die bereits 42jährige, alleinerziehende Grete Schroeder-Zimmermann sieht 1930 im Anschluss an ihr ‘sehr gutes’ Diplom bei Poelzig offenbar Perspek- tiven in der wissenschaftlichen Arbeit und strebt die Dissertation an.31 Woran dieses Vorhaben scheitert, wird ebensowenig deutlich wie bei Hildegard Korte, die 1937 nach dem Diplom zunächst immatrikuliert bleibt, da sie - einem Wunsch ihrer Mutter entspre- chend - promovieren möchte.32 Als sich um 1940 mit einer kriegswichtigen Forschung die Chance zur Pro- motion bietet, untersucht Hildegard Korte Bauverfah- ren für Luftschutzbauten im Hinblick auf ihre Ökono- misierbarkeit. Diese Arbeit wird 1941 im Fachbereich Maschinenbau der TH Braunschweig als Promotion angenommen.33 Ruth Weckend, die 1939 an der TH Aachen diplomiert, finden wir ab dem Frühsommer 1940 erneut in Aachen immatrikuliert. Mit ihrer bau- geschichtlichen Arbeit über den karolingischen Fron- hof Seffent bei Aachen und Laurensberg wird sie 1944 an der dortigen Architekturfakultät promoviert. Auch Elfriede Schaar scheint wissenschaftliche Ambi- tionen gehabt und eine Dissertation erwogen zu ha- ben. Sie bleibt 1937 nach dem Diplom ein weiteres Jahr immatrikuliert. Bereits 1929 war dies bei Iwanka Waltschanowa ebenfalls zu beobachten. Wie Ute Georgeacopol-Winischhofer am Beispiel der Architekturstudentinnen der TH Wien zeigt, hatten die Architekturstudentinnen durchaus Ambitionen für akademische Karrieren.34 Auch bei manchen Archi- tekturstudentinnen der Weimarer Republik sind derlei Ambitionen erkennbar. Selbst unter den wenigen er- folgreich Promovierten findet jedoch kein gelungener Berufseinstieg als Wissenschaftlerin. Dies weist dar- auf hin, dass im Bereich akademischer Hierarchien das Geschlecht als primäres Selektions- resp. Aus- schlusskriterium weiterhin funktioniert - auch mehr als zwanzig Jahre nach der rechtlichen Gleichstel- lung von Studentinnen mit Studenten.35 Rückblickend auf ein erfülltes Architektenleben schwärmt Paul Bonatz 1950 von der Freiberuflichkeit in der Architektur: „Es ist der einzige technische Be- ruf, der leicht in die Selbständigkeit führt.“ 36 Bonatz gründete 1907 im Alter von 30 Jahren sein Büro als selbständiger Architekt. Ihm gelang der erste Berufs- einstieg anlässlich eines Wettbewerbserfolges mit Hilfe tatkräftiger Patronagen.37 Fast zeitgleich und nur unwesentlich älter gründete Emilie Winkelmann ein Büro als selbständige Architektin. Auch sie nimmt während der Gründungsphase erfolgreich an Wettbe- werben teil.38 Von der „Leichtigkeit“ einer freiberufli- chen Existenzgründung ist in den zwanziger und drei- ßiger Jahren nichts mehr zu spüren: Auch bekannte Architekten finden angesichts der schwierigen wirt- schaftlichen Situation teilweise über Jahre hinweg keine nennenswerten Aufträge. Die Aussicht, im An- schluss an ein Architekturstudium den Einstieg in ei- ne freiberufliche Existenz zu finden, stellt sich um 1930 als weitgehend unrealistisch dar. Dennoch he- gen zahlreiche junge Architektinnen und Architekten die Absicht, an eigenen Bauaufträgen „frei und selb- ständig“ zu werden. Eine Existenzgründung im An- schluss an das Studium betreiben offensichtlich ins- besondere diejenigen, die ihre materielle Basis auf familiärer Ebene absichern können. So ist Ruth Hildegard Geyer-Raack seit 1922 verhei- ratet, verfügen Bonin, Fernbach, Wilke, Bánki, Swan, Mendel, Hohmann - aber auch Canthal - über soviel materiellen Rückhalt durch die Eltern, dass sie das Risiko unregelmäßiger Einkünfte ggf. verkraften kön- nen. Sie alle haben jedoch den Ehrgeiz, dies auch ohne familiäre Hilfestellung zu schaffen. Sechs der Bauhausstudentinnen sowie zwei der Tessenowdiplo- mandinnen wagen den Sprung in die Freiberuflichkeit quasi aus dem Stand heraus. Die meisten Architek- turstudentinnen der Weimarer Republik sind jedoch darauf angewiesen, ihren Lebensunterhalt nach dem Studium nun selbst zu sichern und streben zunächst Positionen mit regelmäßiger Vergütung an. Auch bei finanziell gut ausgestatteten Architektinnen ist zu be- obachten, dass sie eine finanzielle Unabhängigkeit 29 Die erste Architektin, die in Deutschland promoviert wurde, war Marie Frommer. Drei Jahre nach ihrem Diplom (TH Charlotten- burg) schließt sie 1919 an der TH Dresden ab. Ob sie damit wei- tergehende akademische Ambitionen verband, ist nicht deutlich. Ihr jüngerer Bruder unterrichtete nach Promotion im Maschinen- bau als Dozent an der TH Charlottenburg. - vgl. auch Akademi- sche Ambitionen (Kap. 9) 30 Inwiefern HilfsassistentInnen in den dreißiger Jahren an der Architekturfakultät ausschließlich mit diplomierten Frauen be- setzt wurden, konnte bisher nicht recherchiert werden. Nach Erinnerungen ihrer Tochter hatte Helga Karselt seit der Studien- zeit forschende Ambitionen. Sie soll baugeschichtliche Studien verfasst, in einer späteren Lebensphase erneut baugeschichtli- che Forschungen betrieben haben. Vgl. Biografie Karselt 31 Thema und Umstände ihres Dissertationsvorhabens sind bisher nicht bekannt. Die 1919 geborene Tochter ist zu diesem Zeit- punkt schulpflichtig. Vgl. Biografie Schroeder-Zimmermann 32 Für die Promotion im Bereich Heimatschutz und Heimatbild in den Alpen unternahm sie Vorstudien. Auf Nachfrage gibt Hilde- gard Oswald an, das wenig aussichtsreiche Promotionsvorha- ben anlässlich der Südamerikareise aufgegeben zu haben. Inter- view am 14.10.1997 33 Korte bearbeitet als Architektin im Büro von Kurt Krause ab 1939 u.a. Luftschutzbauten. Mit dieser Arbeit wird sie am 7.2.1942 an der TH Braunschweig promoviert 34 Für sieben von rund 100 Architekturstudentinnen weist George- acopol-Winischhofer den erfolgreichen Abschluss einer Promoti- on zwischen 1935 und 1947 nach. Dieser hohe Anteil an Promo- vendinnen kann auch als Hinweis auf Mangel an beruflichen Al- ternativen interpretiert werden. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass diese Studentinnen nicht nur wissenschaftliche Ambitionen hatten, sondern eine Hochschulkarriere anstrebten. Entwürfe, wie sie an der TH Wien als Promotion anerkannt wurden - wie der „Flughafen Wien” von Brigitte Kundl oder der „Vorschlag zur Londoner Stadtsanierung” von Lionore Perin (1935) - lassen sich von Doktorandinnen deutscher Fakultäten nicht nachweisen. Vgl. Georgeacopol-Winischhofer, 1997, S.207, 226ff., 327. 35 Glaser weist bis 1934 sieben Promotionen von Juristinnen in Württemberg nach. (Glaser, 1992, S.101) Angesichts vehemen- ter Ablehnung der Kammern bis in die zwanziger Jahre und re- striktiver Einstellungspolitik gegenüber Frauen im öffentlichen Dienst, waren mit diesen Promotionen keine Anstellungen oder die Aussicht auf akademische Karrieren verbunden. Eindeutig akademische Ambitionen in Form der Habilitation zeigt Glaser für die Medizin auf. Jedoch auch keiner der 14 bis 1933 habili- tierten Medizinerinnen eröffnete sich auch nur die Aussicht auf ein Ordinariat. (Ibid., S.96) 36 Bonatz, Paul: Leben und Bauen, Stuttgart, 1950, S.106-107 37 „An dieser Aufgabe wurde ich frei und selbständig.“ Bonatz er- innert hier den Wettbewerb Sektkellerei Henkell, Biebrich-Wies- baden (1907-1909). Ibid., S.54. Zur Patronage, die zur Wettbe- werbsteilnahme resp. zum -gewinn führte, vgl. ibid., S.55ff. 38 Vgl. Biografie Winkelmann Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 187 von den Eltern noch vor der beruflichen Selbständig- keit anstreben. Direkt im Anschluss an das Studium machen sich die Tessenowdiplomandinnen Lieselotte von Bonin, Fri- del Hohmann (1932 resp. 1934) selbständig. Nach weniger als zwei Jahren im Beruf scheint dies auch Iwanka Waltschanowa und Gisela Eisenberg um 1932 zu gelingen. Von den Bauhausstudentinnen wagen - ohne Diplom - Friedl Dicker (1923), Gerda Marx und Eva Fernbach (1929), mit Berufsabschlüssen Tony Si- mon-Wolfskehl (1920), Ruth Hildegard Geyer-Raack (1922), Zsuzsanna Bánki (1936) und Rose Mendel (1948) - und evtl. auch Natalie Swan (1937) - Direkt- einstiege in die Freiberuflichkeit. Tessenowstudentinnen finden ihre beruflichen An- fangsstellungen häufig durch Bewerbungen, Bau- hausstudentinnen greifen mehrfach auf persönliche Beziehungen zurück. So erinnert Eva Weininger, dass sie den Auftrag für den Innenausbau der Villa Som- merfeld bekam, weil sie ihr Mann als „erstklassigen Tischler“ empfohlen hatte.39 Im familiären Umfeld su- chen oder finden Studentinnen der Weimarer Repu- blik nach dem Studienende nur selten eine Beschäf- tigung. Bisher lässt sich bei keiner der Architekten- töchter ein Einstieg in das väterliche Büro nachwei- sen.40 Hilde Reiss wird kurzzeitig im Büro ihres On- kels tätig41, Iwanka Waltschanowa findet im berufli- chen Umfeld ihres Vaters eine Stelle im öffentlichen Dienst. Auch wenn manche nach dem Studium in ih- re Herkunftsfamilien zurückkehren, eine berufliche Perspektive eröffnet sich ihnen dort in der Regel nicht.42 Die elterlichen Haltungen in der Frage beruflicher Selbständigkeit der Töchter zu rekonstruieren, bleibt aufgrund der disparaten Rahmenbedingungen und wenigen Quellen schwierig. So finanziell wohlbehal- ten manche der Tessenow- und die meisten der ar- chitekturinteressierten Bauhausstudentinnen studie- ren konnten, die familiären Vermögen hatten unter den Wirtschaftskrisen der zwanziger Jahre zumeist deutlich gelitten. Manche Eltern waren durchaus be- reit, die Tochter auch weiterhin finanziell zu unterstüt- zen. Für eine weitergehende Unterstützung reichten die Mittel der meisten Familien jedoch nicht. Das An- gebot einer ‘Büroaussteuer’, wie es Karola Bloch er- innert43, scheint keiner der ehemaligen Bauhaus- oder Tessenowstudentinnen offeriert worden zu sein.44 Lässt sich demgegenüber vielleicht ein Rückhalt durch Freundinnen oder Frauen aus der Familie beim beruflichen Einstieg ausmachen? Wie bspw. bei Elisabeth von Knobelsdorff, die ihren ersten freiberuf- lichen Auftrag von ihrer Tante erhielt. Oder realisieren Studentinnen der Weimarer Republik vielleicht Auf- träge frauenbewegter Mäzenatinnen - wie dies bspw. bei Emilie Winkelmann der Fall war? Anni Gunkel erhält ihren ersten Auftrag von ihrer Patentante, plant und realisiert 1934 deren Einfamilienhaus in Kassel- Wilhelmshöhe. Im gleichen Jahr baut Helga Karselt für ihre Studienfreundin und deren Schwester ein Ferienhaus auf Sylt. Im Vergleich zu den Kommilitonen, die manches Mal ihre Familien „ermuntern oder gar verleiten“ konnten, ihnen bald nach dem Studium den ersten Auftrag zu erteilen45, bleiben die Architekturstudentinnen im Fa- milienkreis i.d.R. ohne Auftrag, finden auch bei weib- lichen Bekannten und Verwandten offenbar nur wenig Rückhalt. Fridel Hohmann kann ihren ersten Bau - ei- genen Angaben zufolge - im Auftrag ihres Vaters rea- lisieren.46 „Kaum bist Du weg, da fliegt beinahe ein Auftrag ins Haus“, schreibt Ferdinand Wilke Ende Fe- bruar 1934 an seine in Berlin weilende Tochter Anne- marie.47 Er übermittelt die Wünsche des Bauherrn, bietet weitere Hilfestellung an und bemüht sich, sei- ner Tochter einen - wenn auch unbezahlten - Auftrag in Lübeck zu vermitteln.48 Dennoch kommt schluss- endlich kein Auftrag zustande.49 Zsuzsanna Bánki wird bei ihrer Rückkehr in ihre Heimatstadt 1936 durch einen Onkel unterstützt. Derart familiäre Unter- stützungen beim beruflichen Einstieg resp. für eine freiberufliche Perspektive der Töchter müssen an- hand der hier untersuchten Werkbiografien jedoch als Ausnahmen bezeichnet werden. Während Tessenowstudentinnen der Übergang ins Berufsleben i.d.R. ohne Verzögerung gelingt, sind Bauhausstudentinnen manches Mal zunächst arbeits- los, auf kleine Aufträge oder die Zusammenarbeit mit Kollegen angewiesen. Ihr Übergang ins Berufsleben vollzieht sich zumeist ebenso fließend wie fragil, wäh- rend TH-Diplomandinnen nach dem Diplom in aller Regel den Statuswechsel zur bezahlten Architektin vollziehen können. In die Unsicherheit einer freiberuf- lichen Existenz begeben sich unmittelbar nach dem Diplom nur wenige. Den innerhalb des Berufsfeldes theoretisch denkbaren - aufgrund unterschiedlicher Interessenlagen wie des standesrechtlich protektio- nierten Umgangs mit intellektueller Autorschaft je- doch höchst schwierigen50 - Übergang zwischen An- gestelltenstatus und Freiberuflichkeit vollzieht in den ersten Jahren des Berufseinstiegs keine einzige der Tessenow- oder Bauhausstudentinnen. Ähnlich unat- traktiv scheint die staatliche Laufbahn: Nur eine Di- plomandin schlägt diesen Weg ein. Was kennzeichnet die Berufseinstiege von Architek- turstudentinnen der Weimarer Republik? In welchem Verhältnis stehen Kompetenzerwerb, Studienqualifi- kation und Berufseinstieg? Wie wir anhand der Tessenowdiplomandinnen sahen, bot ein anerkanntes Diplom Architekturstudentinnen der Weimarer Republik ganz offensichtlich gute Vor- aussetzungen, um unmittelbar im Anschluss an das 39 Eva Weininger im Interview am 2.12.1995 40 Allerdings konnten gerade bei den Töchtern bekannter Architek- ten - wie Roswitha Rossius und Ingrid Heidenreich - entschei- dende Fakten nicht recherchiert werden. Da die Auftragslage der ‘Baustube’ von Ernst Rossius um 1933 als gut bezeichnet werden kann, er baute um 1934 zwei größere Siedlungen für die Gehag, stand der Tochter eventuell im väterlichen Büro wahr- scheinlich ein Betätigungsfeld offen. (vgl. Neue Bürgerhaussied- lungen um Berlin, Bauten der Gehag von Rossius-Rhyn; Bau- welt, 1935, H.7, 14.2.1935, S.144/145: Gehag-Siedlung ‘Rauhe Berge’ in Berlin-Mariendorf Attilastr./Ecke Schöneberger Str. und Gehag-Siedlung an der Hakeburg in Klein-Machnow bei Berlin). Bauhaus-Studentinnen, deren Väter Architekten waren - gaben ihre architektonischen Ambitionen bereits während des Studiums häufig auf, so bspw. Gertrud Hantschk, Mila Lederer, Margot Loewe, Elisabeth Jäger und Ruth Josefek. 41 Sie wechselt jedoch bald in das Büro eines bisher noch nicht identifizierten Architekten, der nach ihren Aussagen „merkwür- dige Vorstellungen von sparsamem Wohnungsbau“ hatte. 42 Eine Ausnahme ist hier vielleicht Dörte Helm, die in Rostock - wo ihr Vater als Professor tätig ist - freiberuflich als Innenarchi- tektin, Malerin und Autorin tätig wird. 43 Bloch, 1981, S. 91 - Dieses Angebot des Vaters, ihr ein Atelier für eine freiberufliche Tätigkeit in Warschau einzurichten, wird jedoch mit der Erwartung verknüpft, dass sie sich von ihrem kommunistischen Engagement lossagt. Auch in dieser wohlha- benden Familie bleibt die Haltung gegenüber berufstätigen Töchtern ambivalent, wird die ältere Schwester im Anschluss an ihr Ökonomiestudium verheiratet. 44 Ausnahmen von dieser Regel könnten Fridel Schmidt und Ruth Weckend sein. Schmidt ist Ende der dreißiger Jahre als freibe- rufliche Architektin unter ihrer Heimatadresse eingetragen, die Gaststudentin Weckend ist spätestens ab den fünfziger Jahren als Architektin unter der Adresse des ehemals väterlichen Büros in Oberhausen tätig. 45 So beschreibt Jost das Vorgehen Max Bills und Hans Fischlis. Das durch den Vater Fischlis beauftragte „Haus Schlehstud” in Obermeilen,1933 bezeichnet er in der Biografie denn auch als „Meisterstück“. Jost, Karl: Hans Fischli, Zürich, 1992, S.15 - Fischli, der eine Bauzeichnerlehre nahezu durchlaufen, vor der Abschlussprüfung jedoch ans Bauhaus Dessau abgereist war, dort nie die Bauabteilung erreichte, arbeitete ab 1929 bei Huba- cher und Steiger, wo lt. Jost, aus dem Bauzeichner ein Archi- tekt wurde. 1935 baut er Oskar Schlemmers Atelierhaus in Ba- denweiler. 46 Es gibt bisher keinerlei Nachweis dieses Hauses in Elbing, von dem auch nicht bekannt ist, ob es sich um ein privates Wohn- haus oder ein Mietshaus handelt. 47 Brief von Ferdinand Wilke vom 20.2.1934, NL Mauck 48 „Ich habe vorgeschlagen, daß Du die Bauzeichnungen etc. ma- chen könntest. Er wäre damit einverstanden. - Honorar Null - Aber unter Deinem Namen die Ausführungen als Architekt. (..) Nun mein Lütten, überlege Dir die Sache einmal und gib mir recht bald Bescheid (..) ich würde dann sofort die Angelegenheit weiterbehandeln.“ Ibid., Blatt 2 188 Ambitionen und Realitäten Studium einen Berufseinstieg zu finden. Im Vergleich der Berufseinstiege wird sichtbar, dass das Bauhaus- Diplom zeitweilig nur in eingeschränkten Bereichen des Berufsfeldes verwertbar war. Die Einstiegssitua- tion für die wenigen Bauhaus-Diplomandinnen stellt sich gegen Ende der Weimarer Republik nicht nur als schwieriger dar als für TH-Diplomandinnen, sondern auch als für ehemalige Bauhausstudentinnen zu Be- ginn der zwanziger Jahre. Damit erweist sich die for- male Qualifikation im Übergang zum Nationalsozialis- mus für Architektinnen als eine Achillesferse des Be- rufseinstiegs. Zum anderen bestätigt sich angesichts der Berufseinstiege der vier Bauhausdiplomandinnen, dass ihr Diplom in aller Regel eben nicht einem TH- Diplom entsprach, auch wenn der Studienumfang im Einzelfall dem an einer TH entsprechen konnte.51 Schon Mitte der dreißiger Jahre ändert sich die Situa- tion allerdings erneut: Während des Nationalsozialis- mus finden sowohl Bauhaus- als auch Tessenowdi- plomandinnen - soweit sie ‘arisch’ sind - ohne größe- re Zeitverzögerungen Arbeit im Bereich Architektur.52 Während Kompetenzerwerb und Studienerfolge dem Berufseinstieg von Tessenowstudentinnen sichtbar förderlich waren, führten verweigerte Qualifikationen und Entmutigungen am Bauhaus bereits im Architek- turstudium häufig zu Selbstzweifeln, dem Abbruch des Studiums oder dem Aufgeben der architektoni- schen Ambitionen. Manche Studentinnen ließen sich durch die Verweigerung des Kompetenzerwerbs nicht entmutigen, sondern setzen - wie wir dies bei Bánki beobachten konnten - ihr Studium geradezu ange- spornt fort. Auch anhand der Ausbildungswege von Stefanie Zwirn und Paula Marie Canthal wird deutlich, dass manche Studentinnen ihren Berufsentschluss nicht von zuerkannten Bewertungen abhängig ma- chen. Zwirn legt Ostern 1919 die Vorprüfung lediglich mit „befriedigend“, 1922 an der TH Karlsruhe die Di- plomhauptprüfung mit „genügend“ ab. Canthal wird 1924 als Architekturstudentin an den VS in Berlin ab- gewiesen. Um 1923 resp. 1935 treten Zwirn und Canthal in Berlin Anfangsstellungen als Architektin- nen an. Während sich Bauhausstudentinnen im Studium häu- fig mit innenarchitektonischen Entwürfen oder The- men des Siedlungsbaus beschäftigten, bringen Tes- senowstudentinnen aus dem Studium ein an privaten BauherInnen oriertiertes und damit auch breiter ver- wertbares Repertoire mit. Auch deshalb gelingt ihnen der Berufseinstieg leichter. Denn wie anhand des Studienvergleichs deutlich wurde, unterschieden sich die während des Studiums bearbeiteten Aufgaben und Themenspektren erheblich. Während an der TH Charlottenburg - und insbesondere im Seminar Tes- senow - kleinere Raumprogramme bearbeitet wur- den, die ‘dicht’ an der Nachfrage privater Auftraggeb- erInnen lagen, so bearbeiteten Bauhausstudentinnen während des Studiums häufiger Themen des Sied- lungsbaus. Tessenowstudierende verfügten für den privaten Bereich mit ihren Studienprojekten ggfs. be- reits über Referenzobjekte, während der Entwurf von Prototypen und industriell vorgefertigten Bauten auf institutionelle Auftraggeber - Kommunen, Siedlungs- gesellschaften und Systemmöbelproduzenten - ange- wiesen blieb. Selbst mit einem Bauhaus-Diplom sind Bauhausstudierende damit just in einem Arbeitsbe- reich qualifiziert, der B-erufseinsteigerInnen innerhalb freier Büros wie von Seiten institutioneller Auftragge- ber nur allzu selten zugestanden wird. Auch hinsicht- lich der Verwertbarkeit bautechnischer Kompetenzen ebnete das Bauhausstudium - zumal ohne Praktika - kaum einen Einstieg für angestellte Positionen. Die konkrete Mitarbeit blieb manches Mal sogar auf reine Zeichenarbeit beschränkt. Im Unterschied zu den meisten Bauhausstudentinnen hatten Tessenowstudentinnen die Realität der Bau- stellen während der Praktika zeitweilig kennengelernt. Im Unterschied zu Lotte Tiedemann, die nach Kunst- gewerbeschule und „Lehre“ bei einem Architekten „aufgeregt“ war, „als ich zum ersten Mal angewiesen wurde, einen Bau zu überwachen“ und sich genötigt sieht, sich „gewissermaßen von der negativen Seite her in den nötigen Respekt zu bringen“ 53, scheinen Tessenowstudentinnen Bauleitungsfunktionen auch ohne größere Aufregung auszuüben, so bspw. Pfeif- fer, Engels, Korte und Hohmann. Die Büropaktika wurden von Bauhausstudentinnen nur ausnahmsweise, von Tessenowstudentinnen aus- nahmslos absolviert. Häufig volontierten sie über die vorgeschriebenen sechs Monate hinaus. Lediglich bei Werkstudentinnen lassen sich jedoch Berufseinstiege in zuvor bereits bekannten Büros nachweisen.54 Beim Übergang ins Berufsfeld kommt den Baustel- len- wie Büropraktika damit i.d.R. eine mittelbar pro- fessionalisierende Funktion zu. Neben der Nutzung von Referenzen stärkte der zeitweilige Einblick in die Berufsrealisitäten das Selbstbewusstsein der Archi- tektinnen. Um beauftragt zu werden - der Vorausset- zung jeglicher freiberuflicher Tätigkeit in der Architek- tur - sind ArchitektInnen auf den Gewinn von Wettbe- werben, häufiger jedoch auf Empfehlungen und Be- ziehungsgeflechte angewiesen. Solche Geflechte per- sönlicher Beziehungen spielten im Seminar Tesse- now eine kaum erkennbare Rolle. Für Bauhausstu- dentinnen waren sie nicht selten bereits beim Quali- fikationserwerb relevant. Bei öffentlichen Architekturwettbewerben bleiben die Namen der TeilnehmerInnen anonym. Publiziert wer- den im Regelfall die Namen der PreisträgerInnen so- wie die der Jurymitglieder. Gegen Ende der Weimarer 49 Wilke legt bis Anfang März 1934 einen Vorentwurf vor. Woran der Auftrag scheitert, ist bisher unbekannt. Das entsprechende Grundstück war im Frühjahr 1934 noch nicht im Besitz des Bau- herrn. Im Juli 1934 stirbt jedoch auch der Vater Wilkes. 50 Zur Problematik der Autorschaft in der Architektur vgl. Kap.9 selfmade woman in a manmade world 51 Dies wurde bspw. am Studienpensum Hilde Reiss´ deutlich. Das Studium am Bauhaus umfasste - auch nach Gründung der Bau- /Ausbauabteilung - stärker baufremde Fächer, ein geringe-res fachspezifisches Spektrum als das Architekturstudium an ei-ner TH. Insbesondere die Grundlagenvermittlung kanonisierten Fachwissens war am Bauhaus geringer. Auch die Anzahl der bearbeiteten Entwurfsaufgaben wurde am Bauhaus variabel ge- handhabt, während sie in den Studienordnungen der Techni- schen Hochschulen festgelegt war. 52 Vgl. Karrieren und Brüche im Nationalsozialismus 53 Brüning, Elfriede: Die Architektin, in: Berliner Tageblatt vom 7.7.1935 54 Keine Diplomandin kehrt als Architektin in das Büro zurück, das sie als Praktikantin im Studium kennengelernt hatte. Von den Werkstudentinnen arbeitet bspw. Hanna Blank nach Studienab- schluss 1930 erneut für die AHAG von Adolf Sommerfeld, kehrt auch Hildegard Harte nach dem Diplom 1933 zunächst in das Büro von Walter Gropius und Adolf Meyer zurück. Evtl. arbeitet auch Ludmilla Herzenstein nach ihrem Diplom 1933 erneut im Büro Alexander Kleins, bei dem sie bereits als Werkstudentin gearbeitet hatte. Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 189 Republik zeigt damit auch das Wettbewerbswesen in der Architektur zunehmend Schließungen. So werden bspw. Architekten-Wettbewerbe nicht mehr als Aus- schreibungen zur Erlangung bestmöglicher Architek- tur, sondern als berufsständische Wettbewerbe unter Architekten definiert.55 Ein weiterer Schritt der Schlie- ßung bildet sich wörtlich ab: Die nach wie vor aus- schließlich männlich besetzten Preisgerichte wenden sich in steigendem Maße von ‘offenen’ Wettbewer- ben ab, befürworten zunehmend Wettbewerbe unter „bewährten Kräften“. Demgegenüber erscheint eine weitere Verengung fast marginal: Wird bis Ende der zwanziger Jahre daran festgehalten, die Zahl der Ein- sendungen zu nennen, so verschwindet Anfang der dreißiger Jahre nun auch noch dieser abstrakte Maß- stab der Selektion, werden nur noch die Namen der Preisträger veröffentlicht.56 So lässt sich bisher nur anhand von Einzelnachweisen belegen, wann sich Ar- chitektinnen vor und während der Weimarer Republik an Wettbewerben beteiligten.57 Hatten in den zwanziger Jahren gerade Architektin- nen öfter auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit gesucht - so Liane Zimbler, Friedl Dicker oder auch Gretel Norkauer58, - und sich zunehmend an Wettbe- werben beteiligt, so liegt der Verdacht nahe, dass die Neuregelungen des Wettbewerbswesens von Seiten des organisierten Berufsstandes durchaus als geziel- te Schließungen betrieben wurden. Beziehungen und Bezüge Nach welchen Kriterien wählten Architekturstudentin- nen ihre Arbeitsstellen aus? Nicht immer wird die Vergütung so deutlich als Grund für einen Berufsein- stieg im öffentlichen Dienst genannt, wie dies Ewa Freise für ihre Stelle beim Luftfahrtministerium an- gibt.59 Während manche Bauhausabsolventinnen erst nach langer Suche überhaupt eine Arbeitsstelle fin- den, scheinen sich andere nie beworben zu haben, lassen sich empfehlen oder werden empfohlen. Gera- de Stellen im öffentlichen Dienst dürften jedoch kaum ohne Bewerbung vergeben worden sein. Auch Tesse- nowstudentinnen scheinen sich nur zum Teil um eine Anfangsstellung beworben zu haben. Wie wir in Kapitek 4 gesehen haben, bahnte sich für manche Studenten bereits innerhalb des Bauhauses der Wechsel in eine professionelle Existenz an. Dies lässt sich auch beim Übergang in die außer(bau)häu- sige Erwerbsarbeit beobachten. So wechselt bspw. Erich Consemüller, der direkt im Anschluss an sein Studium in der Tischlerei zum stellvertretenden Leiter der Bauabteilung unter Hannes Meyer avanciert war, 1929 in das Büro Meyer/Wittwer in Berlin und wird 1934 - nun auf Vermittlung von Gerhard Marcks - an die Burg Giebichenstein berufen. Nicht nur ehemalige Bauhausstudenten wie Gerd Balzer60 oder Werner Zimmermann61, Walter Tralau, Max Enderlin62, Hubert Hoffmann, Wils Ebert, Eduard Ludwig, Herbert Hirche und Carl Bauer finden im Anschluss an ihr Studium einen Einstieg ins Berufsfeld Architektur. Selbst Kom- militonen ohne Diplom, wie Rudolf Lutz und Ernst Louis Beck63, oder mit einem Bauhausdiplom außer- halb von Bau/Ausbau - wie bspw. Otto Rittweger - scheinen eher einen Einstieg ins Berufsfeld zu finden als Tischlereigesellinnen mit Bau(haus)-Diplom.64 Poelzig „leitete eine ‘Meisterklasse’ an der Kunst- schule, der sogenannten Akademie (..) Die Hoch- schule, das war die große Klasse: dreißig bis vierzig Studierende. Die Akademie war intimer, war der Übergang könnte man sagen, zu seinem eigenen Atelier.“ 65 In diesem intimeren Bereich des Über- gangs finden wir Studentinnen nur in Ausnahmefäl- len: Camilla Stark, 1930 bei Poelzig diplomiert, ist bis 1932 Mitglied im Meisteratelier. Auch Asta Berling, die nie bei Poelzig studierte, aber gemeinsam mit Marlene Moeschke-Poelzig bspw. die Innenausbau- ten des Rundfunkgebäudes entwarf, wird zeitweilig Mitglied des Meisterateliers. Was Posener nicht als Selektionsprozess benennt, sondern als „Übergang (..) zu seinem eigenen Atelier“ umschreibt, zeigt deut- liche Parallelen zur Situation der privaten Bauateliers am Bauhaus. Bei Tessenow werden derlei „Übergän- ge“ durch die klarere Trennung von Lehrtätigkeit und eigener Praxis nicht sichtbar. Da aber gerade in dieser Grauzone des Übergangs der Statusdistribution durch Selektion eine Schlüssel- funktion zukommt und hier in zeitlicher Nähe zum Studium persönliche Entwicklungen ehemaliger Stu- dierender mit materiellen Interessen von Lehrern ver- flochten werden, changiert die Nähe von Lehrenden und ehemaligen Studierenden innerhalb einer privat- wirtschaftlichen Bürohierarchie in der Regel zwischen Patronage - prospektierter Statusdistribution - und Verwertungsinteresse. So erinnert Konrad Wachsmann: „Ende Mai rief mich Poelzig in [Leo] Nachtlichts Büro an. Er teilte mir mit, daß ich im Juli bei ihm anfangen könne. Allerdings müßte ich einen Monat oder vielleicht auch etwas länger als technischer Assistent arbeiten, dann hätte er die Möglichkeit, mich als seinen Meisterschüler an der Akademie unterzubringen.“ 66 Hier wird offensichtlich, dass verwertbare Fähigkeiten eines Studenten mit Statusdistribution vergütet wer- den sollen, die Förderung architektonischer Bega- bung aufgrund des Kriteriums persönlichen Nutzens erfolgt. Damit befremdet das Pathos, mit dem Poel- zig 1931 unter Beifall seiner Kollegen im BDA die Verknüpfung von Selektion und Privilegien verteidigt: „hier herrscht als Mittler zur Erkenntnis der Eros, nicht der rechnende Verstand“. Ohnehin sei nur 55 So wird bspw. 1932 beim Wettbewerb für den Neubau des Kol- legienhauses der Universität Basel der Entwurf der Mathemati- kerin Frl. Paula Schildknecht, Eschlikon mit einem von vier An- käufen ausgezeichnet, dann jedoch disqualifiziert, da er „den Programmbedingungen nicht entspricht“, Zentralblatt der Bau- verwaltung, 1932, S.240 56 In den frühen zwanziger Jahren lassen sich bspw. in Architektur- wettbewerbe noch komplette Namenslisten aller TeilnehmerIn- nen finden. Erst weitere Untersuchungen könnten zeigen, ob diese Reduktion evtl. dem Verständnis von Wettbewerben als Konkurrenzen unter Männern geschuldet ist. 57 Eine Aussage darüber, in welchem Verhältnis ihre Teilnahmen zu den bekannt gemachten Erfolgen stehen, ist nicht möglich. Eine Analyse, wie sie Doris Haneberg für 300 Wettbewerbsverfahren seit 1948 in Berlin durchgeführt hat, ist für die Zeit vor 1945 nicht verfügbar. Da die Analyse nicht vollständig veröffentlicht ist, bleiben auch hier Fragen wie die nach bevorzugten Themen offen. Haneberg kommt jedoch zu dem Schluss, „daß sich die Rahmenbedingungen für Architektinnen nicht in dem Maße ver- ändern, wie sich ihre Anzahl vergrößert.“ vgl. Haneberg, Doris: Frauen und Architektur - Anteil und Status am Wettbewerbswe- sen, in: Baufachfrau (Hg.): Frauen in Bau- und Ausbauberufen, Berlin, 1990, S.103-106, hier S.105 58 Vgl. Kap.3, S.40. 59 Vgl. S. 186, FN 20. 60 Gerd Balzer (1909-1986) Tischlerlehre SS29 Vorkurs Albers, WS 29/30 - SS 1930 Me und Ti, SS31-SS32 Studienreise durch England, 15.8.1932 Bauhaus-Diplom für Bau/Ausbau, kann ab 1933 in Rostocker Architekturbüros mitarbeiten, später in Orani- enburg und Salzgitter. 61 Zimmermann erhielt das Diplom Nr.29 bereits 12.11.1930. Er arbeitet ab 1931 - mit kriegsbedingter Unterbrechung ab 1941 - durchgängig als Architekt. 62 Vgl. Fiedler, 1987, S.149. Max Enderlin (1909-1944) studierte zwischen 1928 und 1932 am Bauhaus Dessau insbesondere in der Metall- und Webereiwerkstatt. (Bauhausdiplom Nr. 85) Er ar- beitet zunächst als Maler und Grafiker und findet 1935 in einem Berliner Architekturbüro eine Anstellung. 63 Rudolf Lutz (1895-1966) studierte 1915 bei Pankok in Stuttgart, ab 1919 am Bauhaus, nach der Grundlehre in der Tischlerei und Töpferei. 1922 arbeitet er in einem Stuttgarter Architekturbüro, ab 1925 selbständig, ab 1948 erneut selbständig. Ernst Louis Beck (1908-1957) absolvierte bis 1926 eine Banklehre, arbeitete dann als Zeichner, 1927 bis 31 als Werkstudent (Elektro) an den VS Berlin Architektur, parallel dazu - 1929-30 - an der Ittenschu- le. Er war zwischen Oktober 1931 und April 1933 am Bauhaus immatrikuliert. Anschließend lebt er vom Möbelbau und Schnit- zereien, arbeitet 1937 als Hochbautechniker, ab 1939 als ange- stellter Architekt. Ab 1946 wird er als selbständiger Architekt in seinem Geburtsort Ebingen tätig. 64 Otto Rittweger (1904-1965), wird 1926, im Anschluss an sein Metallstudium am Bauhaus - 1922 bis 1926 bei Moholy und Dell, Gesellenprüfung als Silberschmied - zunächst als Lehrer an die Architekturabteilung der Burg Giebichenstein berufen bevor er als Architekt tätig wird. Vgl. Fiedler, Jeannine: Fotografie am Bauhaus, Berlin, 1990, S.353 190 Ambitionen und Realitäten nachprüfbar, „was technisch richtig oder falsch ist, darüberhinaus herrscht das Irrationale. Und hier kann nur der Meister den Schüler belehren.“ 67 Bonatz benennt in seinen Erinnerungen offen die Vor- teile des Professorenprivilegs: „Als Hochschullehrer hatte ich die unvergleichliche Gelegenheit, die Ent- wicklung der Einzelnen zu beobachten, und konnte von jedem Jahrgang die besten heraussuchen, bei denen es klar war, daß sie nicht nur gute Architekten, sondern auch gute Kameraden würden.“ 68 In seinem Weltbild sind diese Besten eben „nicht nur gute Ar- chitekten“, beziehen ihre Attribuierungen auch aus kameradschaftlichen resp. militärischen Tugenden. So landen die „guten Kameraden“ denn auch bei Bo- natz im eigenen Büro. Er verhehlt nicht, dass die Sta- tusdistribution innerhalb des Berufsfeldes, wie auch innerhalb der Hochschule, nicht uneigennützig er- folgt. Da er „mit Vorliebe mit Jungen und Jüngsten (..) nicht mit Routiniers“ arbeitet, muss er für die besten eines jeden Jahrgangs im eigenen Büro immer wieder Platz schaffen: Er „lieferte“ deshalb Bauräte für die Stadtverwaltungen.69 Bleibt noch offen, ob bei diesem Lancieren Einflussnahme oder Abfindung im Vorder- grund steht, so lässt er innerhalb der Hochschule kei- ne Zweifel an seiner Interessenlage aufkommen. Jahre nach seiner Emeritierung schreibt er: „Dieser ist heute Dozent an der Technischen Universität an meinem Lehrstuhl. So ist er für mich Mund und rech- ter Arm und treuester Kamerad.“ 70 In Ermangelung formaler Qualifikationen wenden sich Friedl Dicker und Kattina Both Jahre nach ihrem Bau- hausstudium an Walter Gropius mit der Bitte um Re- ferenzen. Im Frühjahr 1931 bestätigt Gropius schrift- lich, dass sich Friedl Dicker durch „seltene und aus- serordentliche künstlerische begabung dauernd her- vorgetan“ habe, und „ihre leistungen und arbeiten zu den allerbesten des instituts gehörten“.71 Johannes Itten empfiehlt „sie aufs beste den Behörden.“ 72 Als sich Kattina Both im Mai 1936 mit der Bitte um ein Zeugnis aus Rom an Gropius wendet weil sie ein solches nun vorlegen müsse, bestätigt dieser, dass sie „ihre Ausbildung vielseitig gestaltet” und sich „während ihrer Studien durch künstlerische Bega- bung namentlich auf architektonischem Gebiet aus- gezeichnet“ habe. „Wegen dieser künstlerischen Ver- anlagung verbunden mit hoher Intelligenz, Energie und Können, halte ich sie zur selbständigen Durch- führung auch schwieriger Bauaufgaben für hervorra- gend befähigt.“ 73 Auch Annamaria Wilke wird dank Lilly Reich via Wil- helm Wagenfeld weiter vermittelt. „Das ergibt sich damals, wenn einem so etwas angeboten wird, und man hat noch nichts anderes auf der Pfanne, dann sagt man ja, und dann rutscht man hinein. Und wenn alles gut eingeschlagen ist, wird man gefragt: ‘Ach, möchten Sie das nicht nächstes Mal auch wieder machen?’ Dann sagt man: ‘Doch, gerne’. Und so kommt man auf eine Schiene, die ursprünglich viel- leicht nicht vorgeplant war.“ 74 Hier werden Zeugnisse - im Unterschied zu Qualifika- tionsnachweisen - im Sinne von Empfehlungsschrei- ben vergeben. Konnten solche Referenzen beim Ein- tritt in private Architekturbüros durchaus wirkungsvoll sein, so ließen sich derlei Zeugnisse im Hinblick auf öffentliche Auftrag- resp. Arbeitgeber 1931 bzw. 1936 offenbar nicht verwerten: Friedl Dicker gelingt es nicht mehr, an einem öffentlichen Auftrag beteiligt zu werden und Katt Both kann nicht - wie beabsichtigt - in ‘der neuen Bewegung’ in Italien Fuß fassen. So gerne und häufig Architekturstudentinnen in Büros von Professoren volontieren und arbeiten, evtl. auf ei- nen Fürsprecher ihrer Belange hoffen, ihnen eröffnet sich dort keine Perspektive als eigenständige Archi- tektinnen.75 Erwies sich Kameradschaft bei der Stellensuche manches Mal als vorteilhaft, so konnten zuviele Ka- meraden auch schon mal zum Stolperstein werden. Lotte Beese ist 1929 bereit, für einen qualifizierten Arbeitsplatz große Entfernungen in Kauf zu nehmen. Hannes Meyer empfiehlt sie bei Otto Haesler in Celle. Gegen Ende Mai 1929 äußert Walter Tralau zur mög- lichen Einstellung Beeses: „nach meiner meinung ge- fragt, habe ich abgelehnt, denn ich arbeite nicht gern mit damen zusammen.“ 76 Lotte Beese erhält trotz Meyers Empfehlung nicht die Chance bei Haesler zu arbeiten. Und Walter Tralau wird dennoch mit einer Kollegin konfrontiert: Kattina Both nimmt Ende 1929 die Arbeit im Büro Haesler auf. Lotte Beese findet im Mai 1920 auf persönliche Em- pfehlung von Hannes Meyer eine Stelle im Büro von Hugo Häring. Hier wird sie lediglich als Zeichnerin eingesetzt, weshalb sie Meyer erneut um Hilfe bittet. Die Chance auf Empfehlungsschreiben so unmittel- bar Einfluss nehmen zu können, bot sich Beese je- doch nur durch die Liaison mit Meyer. Sie fängt Ende 1929 als Mitarbeiterin im Büro von Bohuslav Fuchs in Brno an. Auch dort sind die ehemaligen Kommilito- nen bereits vor Ort, auch dort funktioniert das Infor- mations-Netzwerk unter den Kollegen. Im November des folgenden Jahres berichtet der ehemalige Bau- hausstudent Peer Bücking aus dem Büro Fuchs sei- nem Freund Konrad Püschel: „Lotte Beese geht am 10.11. von Fuchs fort, nach Moskau. (..) Vielleicht stellt er wieder einen Bauhäusler ein.“ 77 Sowohl Tony Simon-Wolfskehl als auch [Gertrud] Ur- sula Schneider können von der Mitarbeit im Baubüro Gropius nicht profitieren, keine eigenständige berufli- che Perspektive etablieren. Ihre Berufschancen blei- 65 Posener, 1994, S.146 66 Gruening, 1986, S.140. Wahrscheinlich handelt es sich um den Mai 1923 67 „Dem Schüler vermitteln, kann nur der Schaffende (..) nachzu- prüfen ist bei uns nur, was technisch richtig oder falsch ist, da- rüberhinaus herrscht das Irrationale. Und hier kann nur der Mei- ster den Schüler belehren.“ Poelzig, Hans: Der Architekt, Re- print der Rede von 1931, 1954, S.34 68 Bonatz, 1950, S.107 69 „Nach einigen Jahren konnte ich sie meistens mit guten Chan- cen weiterleiten. Wir lieferten junge Bauräte für die Stadtverwal- tungen.“ Ibid., S.107 70 Ibid., S.193 - Auch wenn Bonatz (S.285) doch zu der Einsicht kommt: „Ich hatte eine lange Zeit zu wirken, von 1908 bis 1943, das sind fünfunddreißig volle Mannesjahre. (..) Jetzt ist die näch- ste Generation an der Reihe (..) Es gibt ein Gesetz, dem sich keiner entzieht, dem generationsmäßig bedingten Wechsel.“ 71 BHA, Gropius-papers II (204), 8/58. Zeugnis Dicker 29.4.1931 72 BHA, Zeugnis Dicker 28.4.1931, unterzeichnet von Itten 73 BHA, Gropius-papers 8/58, Anfrage Both, Rom, 28.5.1936. „Sehr geehrter Herr Professor Gropius. Es ist mir durch einen persönlichen Besuch in Rom gelungen, vom Sindikarta faschista für Mitarbeit an den Bauaufgaben des Regimes Erlaubnis-Auf- forderung und Zusicherung zu erhalten. Bei der obersten Lei- tung muß ich zur Regelung der Angelegenheit ein Zeugnis von Ih-nen vorlegen - Bisher brauchte ich das nicht. Es ist mir un- endlich leid, darum bitten zu müssen; aber an dieser Arbeit in Rom liegt mir so unendlich viel, daß ich hiermit darum bitte.“ - Zeugnis für Katt Both, 1936 74 Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995 75 Nach Studienende arbeiten bspw. Hohmann und Zauleck bei Prof. Walter Löffler, Korte bei Prof. Wilhelm Büning. 76 BHD 2 - K(1) 1929-05-25 Brief Tralau an Püschel „aus einem brief von h.m. [hannes meyer], den er an haesler geschickt hatte und der mir vorgelesen wurde, entnehme ich, dass es h.m. mehr darum zu tun war, seine freundin l.b. [lotte beese] bei uns unter- zubringen, denn er empfahl sie als tüchtige architektin mit stati- schen und konstruktiven kenntnissen. (..) ich bitte dich jedoch, über diesen fall, der mir vertraulich von h. mitgeteilt wurde, nicht zu sprechen, da sonst die grössten quatschereien aufkommen können.“ Tralau kommentiert: „es wundert mich nur, dass h.m. in diesem falle wenig wert auf eine praktische ausbildung legt, die er bei dir so sehr vermisst.“ - Fünf Tage später berichtet Konrad Püschel - selbst im Büro Meyer/Wittwer tätig - seinem Freund Tralau vom Fortgang der ADGB-Bundesschule Bernau. Durch eine Stichelei Tralaus in seiner Loyalität zu Meyer irritiert, brüstet sich Püschel mit seiner Vermittlerrolle: „H.M. hat doch L.B. erst nach Pfingsten angeboten und somit erst von mir er- fahren, dass da etwas [die Stelle im Büro Haesler] in Aussicht war.“ Mehr Verständnis zeigt er für die Motive Meyers: „schein- bar will er L.B. auf eine anständige Art loswerden.“ BHD 2 - K(1) - 1929-05-30 Brief Püschel an Tralau 77 BHD 2-K-1930-11-02 Brief Peer Bücking an Konrad Püschel Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 191 ben auf architektonischem Gebiet auf einzelne Arbei- ten beschränkt. Selbst die wenigen Bauhausstuden- tinnen, denen im Studium ein Zugang zu räumlichen Werkstätten und Architekturprojekten gelang, können aus ihrer Partizipation an Projekten, ihrer Beteiligung an der Architekturproduktion, ihrer Nähe zu den Pro- tagonisten bei der beruflichen Etablierung keinen Vorteil ziehen. Während das Verhältnis zwischen Leh- renden und Studentinnen am Bauhaus deutlich weni- ger distanziert war als an Technischen Hochschulen und einzelne Studentinnen - wie bspw. Beese, Both und Wilke - beim Berufseinstieg persönliche Bezie- hungen zu Lehrenden nutzen können, diese Patrona- gen sind zeitlich nur sehr beschränkt wirksam, i.d.R. auf die Zeit einer Liaison begrenzt. Auch einige, wenige Tessenowstudentinnen verfüg- ten über ein Vertrauensverhältnis zu Tessenow, das durchaus als persönlich bezeichnet werden kann. So erinnert Hanna Blank bspw. einen Autoausflug, der Ende der zwanziger Jahre unternommen wurde, um Heinrich Tessenow anlässlich seines Geburtstages zu überraschen. Auch Lieselotte von Bonin gehört zu je- nen Studierenden, die - auch nach dem Studium - den Kontakt zu Tessenow pflegen: Mensch traf sich zum Gedankenaustausch im privaten Rahmen. Etwas mittelbarer und wahrscheinlich aufgrund einer Einla- dung des Vaters lernt bspw. Anni Pfeiffer bereits vor ihrem Studium Heinrich Tessenow kennen.78 Für kei- ne Studentin wird die Nähe zu dem bewährten Bau- meister beruflich wirksam. In Korrespondenz wie im privaten Umgang wahrt Tessenow gegenüber (ehe- maligen) Studentinnen Distanz. Während er bei zahl- reichen ehemaligen Studierenden bei Geburt eines Kindes der Bitte um Patenschaft entspricht - so über- nimmt er bspw. Patenschaften für Kinder von Schnei- der/Ehren, Pfeiffer/Gunkel und von Bonin - zu ehe- maligen Studentinnen pflegt er nach Beendigung des Studiums nur ausnahmsweise Kontakte.79 Als seine ehemalige Diplomandin Anni Pfeiffer das erste Zwil- lingspaar zur Welt bringt, übermittelt Tessenow: „Lie- ber Herr Gunkel (..) Ihnen und ihrer lieben verehrten Gattin herzlichste Glückwünsche zur Geburt des Stammhalters.“ 80 Im schriftlichen Nachlass Tessenows lassen sich etli- che Empfehlungsschreiben für ehemalige Studenten finden, was zeigt, dass auch er individuellen Empfeh- lungsschreiben für den Zugang zu manchen Projek- ten und Büros durchaus Wirkung beimisst. Die Bitte einer ehemaligen Studentin auf Rat bzw. Empfehlung bleibt jedoch unerhört.81 Während sich Tessenow bei der beruflichen Etablierung seiner ehemaligen Stu- denten - auch mehrfach und auf informeller Ebene, wie nicht nur Karl Buttmann erinnert82 - durchaus hel- fend einsetzt, endet seine Unterstützung bei berufli- chen Belangen seiner Studentinnen offensichtlich mit deren Diplom. Huerkamp verwies darauf, dass Studentinnen, die promovieren wollten, dafür geeignete Professoren finden mussten. Andererseits habe manche Studentin der Kaiserzeit erst aufgrund der Ermutigung durch (männliche) Lehrer die wissenschaftliche Laufbahn angestrebt.83 Es spricht bisher wenig dafür, dass Ar- chitekturstudentinnen während der Weimarer Repu- blik von seiten eines Architekturprofessors zur Pro- motion und zu einer wissenschaftlichen Laufbahn er- mutigt worden sein könnte: Architekturstudentinnen promovieren selten, noch seltener innerhalb einer Ar- chitekturfakultät.84 Nur Ruth Weckends Promotion verläuft planmäßig. Hildegard Korte findet im zweiten Anlauf an einer anderen Fakultät die Möglichkeit zur Promotion, während Helga Karselts Ausscheiden dar- auf hindeutet, dass sie nach mehrjährigem Abwarten - wenn auch nicht die wissenschaftlichen Ambitionen so doch - die Promotion aufgibt. Vielsagend - im Hinblick auf die fördernde Haltung von Architekturprofessoren - ist ein Zeugnis, das der Baugeschichtsprofessor Daniel Krencker seiner Hilfs- assistentin Helga Karselt mit auf den Weg gibt, als sie auf eigenen Wunsch nach fast fünf Jahren zum 1.April 1935 ausscheidet, „um als Architektin einen sie befriedigerenden Beruf zu finden“. Aus ihrer Bio- grafie wissen wir, dass sie auch nach dem Diplom als Entwerferin tätig war. Anhand eines 1932 publizierten Entwurfes lässt sich belegen, dass sie auch Studien- projekte betreute und ihre fachlichen Interessen ein- bringt. Im Unterschied zu den Ausführungen des Ar- beitszeugnisses beschränkten sich ihre Kom-petenz- bereiche damit nicht auf Stenografie und das Schie- ben von Lichtbildern für den Professor.85 So zufrieden Professor Krencker mit ihren Dienstleistungen ist - er listet alle Hilfstätigkeiten bis in nebensächlichste De- tails auf, und so wenig er diese hilfsbereite Person verlieren möchte, deren fachlichen wie wissenschaft- lichen Ambitionen erwähnt er mit keiner Silbe. Damit legt dieses Zeugnis für die Mitarbeiterin beredtes Zeugnis davon ab, wie wenig diesem Professor an jedweder wissenschaftlichen Qualifikation seiner Assistentin lag.86 Klara-Maria Kuthe ist ein Beispiel aus dieser Genera- tion, bei der die Ermutigung von seiten einer Schule zum Schlüssel der eigenen beruflichen Perspektive wird. Seit 1915 Schülerin an der Handwerkerschule in Halle/Saale, studiert sie in der Klasse für Architektur und Raumausstattung von Paul Thiersch sowie der Klasse für kunstgewerbliche Frauenarbeiten bei Maria Likarz. Anschließend ist sie ab 1919 für ein Jahr als Assistentin von Likarz tätig. Dass das Angebot einer Professionalisierung aus dem Bereich kunstgewerbli- che Frauenarbeiten kommt, aus dem Bereich Archi- tektur ausbleibt, scheint symptomatisch. Klara-Maria 78 Tessenow kannte Familie Pfeiffer, war anlässlich seiner Besuche in Kassel dort mehrfach zu Gast. Vgl. Biografie Pfeiffer. 79 Auf den Karteikarten von Studentinnen ist nach dem Diplom i.d.R. kein aktualisierter Adresseintrag mehr zu finden. 80 Karte H.T. an Karl Gunkel, Neubrandenburg 27.6.1941, NL Pfeif- fer 81 Vgl. Biografie Nießen. 82 „Als meine Zeit bei Tessenow zu Ende war, verdingte ich mich bei einem Bauunternehmer, danach bei einem Tischlermeister. (..) Dann verließ ich Berlin und arbeitete in Freiburg bei einem Architekten, der Nazi war und Mütterheime entwarf. Da machte ich mich bald wieder davon, fuhr mit dem Fahrrad nach Berlin zurück und wußte zunächst nicht, was ich tun sollte. Durch Ver- mittlung von Tessenow bekam ich eine Anstellung bei Professor Kurt Frick in Königsberg, einem Konjunkturritter, der aber die Lehrtätigkeit weitgehend mir überließ.“ Karl Buttmann in: Ro- scher, Achim: Lüttenort, Das Bilder-Leben und Bild-Erleben des Malers Otto Niemeyer-Holstein, Berlin, 1989, S.108 83 Huerkamp, 1996, S.150-151 84 Lediglich die Promotion Marie Frommers 1919 wird an einer Architekturfakultät angenommen und bleibt lange Jahre die ein- zige Dissertation einer Studentin an einer Architekturfakultät. Als bspw. Helen Rosenau, die sich zum Herbst 1924 an der TH Charlottenburg für Architektur immatrikuliert hatte, über „Der Kölner Dom, seine Baugeschichte und historische Stellung“ pro- moviert, tut sie dies an der Universität Hamburg (1932). 85 Frau und Gegenwart, 1931/32, H.6, März 1932, S.159. Dieser Entwurf für ein Studentinnenwohnheim wurde von ihr gemein- sam mit Studentinnen entwickelt. 86 „Sie war in allem zur Hand“ - So sehr sich Prof. Krencker im Zeugnis auch bemüht, Karselt als zuverlässige Person, ihre Tä- tigkeit als verdienstvoll zu beschreiben, dies Zeugnis gibt inhalt- lich wie im Duktus weniger Auskunft über die Ambition der Assi- stentin als die des Professors: „Sie leitete auch die umfangrei- che Lichtbildsammlung, bediente während der Vorlesungen in der ganzen Zeit den Lichtbildapparat, half gelegentlich auch bei der Verwaltung der Bibliothek, sie erledigte schriftliche und zeichnerische Arbeiten, widmete sich der Buch- und Kassenfüh- rung, half mit bei der Vorbereitung von Ausstellungen und Stu- dienreisen und gab vor allem den Studenten Auskunft über alle das Fach und Studium angehenden Angelegenheiten. Sie be- herrscht die Stenographie und die Schreibmaschine.“ Zeugnis Daniel Krencker für Helga Karselt vom 31.3.1935, NL Schuster 192 Ambitionen und Realitäten Kuthe wird nach Abschluss ihres Studiums 1921 nicht in der Architektur tätig, sondern Leiterin der Emailwerkstatt an der Burg Giebichenstein.87 Das „Wie die Väter so die Töchter...“ 88 wird von der Generation der Architekturstudentinnen der Weimarer Republik an Technischen Hochschulen durchexer- ziert: Nicht nur die Söhne, auch die Töchter von Ar- chitekten und Ingenieuren - und nicht nur diese - ab- solvieren das akademische Studium und das Diplom erfolgreich, treten im Anschluss an das Diplom auch fast ausnahmslos in das Berufsfeld ein. Traditionelle Orientierungen, in der Familie wie im Studium, stehen der Fächerwahl dieser Studentinnen nicht mehr wirk- lich im Wege, sondern wirken sich im Studienverlauf wie im Studienerfolg sichtbar positiv aus. Auch wenn Studentinnen zeitweise in familiären Büros mitarbei- teten89, im Unterschied zur traditionellen ‘Berufsverer- bung’ in den freien Berufen - vom Vater auf den Sohn - erhält keine der hier betrachteten Architektinnen die Chance, das väterliche Büro zu übernehmen. Damit erscheint die von Glaser für die Kaiserzeit be- schriebene Ambivalenz ‘berufsvererbender’ Väter ge- genüber ihren ‘Berufserbinnen’ während der Weima- rer Republik nahezu unverändert. Und an den Hoch- schulen scheint ein Konsens unter den Professoren dafür gesorgt zu haben, ehemalige Studentinnen we- der zu empfehlen noch innerhalb der Fakultäten über den Status der Hilfsassistentin hinaus zu qualifizieren. Bildet sich in zahlreichen (Diplom-)Bewertungen der Arbeiten von Architekturstudentinnen die Wertschät- zung der fachlichen Leistung von seiten der Lehren- den noch ab, so wird im Anschluss jenseits von Lei- stungen geschlechtsexklusiv selektiert. Bei Bonatz findet sich ein Hinweis, wie während der zwanziger Jahre „eine aufrichtige Kameradschaft ohne Eifer- sucht und Neid“ 90 - Selektion und Umgangsformen unter Kollegen ‘vererbt’: „Die Assistenten waren [bei der gemeinsamen Beurteilung der Diplomarbeiten] zugegen und sollten lernen, wie Männer verschiede- ner Auffassung nach dem gerechten Ausgleich such- ten.“ 91 Ab Mitte der zwanziger Jahre erweisen sich beim Be- rufseinstieg von Architekturstudentinnen für etwa ein Jahrzehnt Kompetenzerwerb wie die formale Zertifi- zierung von Studienerfolgen als Schlüssel zum Be- rufsfeld. Darüberhinaus entscheiden Beziehungen und Statusdistribution über Bezüge, erreichbare Stel- lungen und Aufträge. Nur in Ausnahmefällen erhalten ehemalige Architekturstudentinnen jedoch diese not- wendigen Referenzen. Dennoch zeichnen sich beruf- liche Laufbahnen ab, insbesondere soweit sie eigene Ressourcen und familiäre Beziehungen als Anknüp- fungspunkte nutzen können. Die frühen dreißger Jahre fallen bei den Studentinnen der Weimarer Republik mit dem ‘reproduktionsfähi- gen Alter’, der Zeit von Heirat und Familiengründung zusammen. Auch wenn das Heiratsalter von Archi- tektinnen weit über dem Durchschnitt liegt und weni- ger als 20% der ehemaligen Tessenow- wie der ar- chitekturinteressierten Bauhausstudentinnen ledig bleiben, mehr als zwei Drittel heiraten. Die meisten dieser Architekturstudentinnen heiraten zwischen 1931 und 1937 nicht zuletzt deshalb, weil sie eine Familie gründen möchten. Der Kinderwunsch scheint bei Tessenowdiplomandinnen, die bei Heirat meist älter sind als Bauhausstudentinnen, deutlicher ausge- prägt. Dieser Abwägungsprozess ist in aller Regel nicht verschriftlicht. 1938 schreibt bspw. die 26jähri- ge, ehemalige Bauhausstudentin Judith Müller-Tour- raine [geb. Káràsz], „daß ich endlich einmal ein Kind haben möchte, denn ich bin schließlich eine Frau, wenn ich auch in Hosen herumlaufe und für einen 16jährigen Bengel gehalten werde. Es ist mir zwar klar, daß dies Kind auch nur die Menschheit noch mehr vermehren würde, aber ich möchte nur eins haben.“ 92 Komplexität und Widerspruch: Das Modell der Kameradschaftsehe Bauhaus- wie Tessenowstudentinnen mussten beim Übergang ins Berufsfeld auf Ermutigungen durch ihre Lehrer i.d.R. verzichten.93 Umso wichtiger wurde die fachliche Motivation, hohe Flexibilität, eine unbeirrba- re Hartnäckigkeit und unterstützende Rahmenbedin- gungen im privaten Kreis. Nicht überall konnten oder wollten die Herkunftsfamilien eigene Hilfestellung bie- ten. Anders als die Architekturstudentinnen der Kaiserzeit, die Familiengründungen unter den gege- benen Umständen i.d.R. meiden, entscheidet sich die ganz überwiegende Mehrheit der Architekturstuden- tinnen der Weimarer Republik nicht eindeutig zugun- sten der Berufspriorität. Selbstbewusst halten die meisten Studentinnen Beruf und Familie für verein- bar. Dabei scheint insbesondere die Heirat mit einem Architekten vielversprechend, der Ehevertrag eine Art Optionsschein, um - wie die Mehrheit der Kollegen - weder auf Berufstätigkeit noch auf Kinder verzichten zu müssen. Claudia Huerkamp hat im Vergleich zwischen den Studentinnengenerationen festgestellt, dass sich in der Generation der Weimarer Republik - quer zu allen Disziplinen - anteilig mehr Frauen gegen die Berufs- tätigkeit entscheiden.94 Es handelt sich dabei offenbar um ein zeitgeschichtliches ggf. generationenspezifi- sches Phänomen. Bei den von ihr näher untersuchten Medizinerinnen, fiel auf, dass die Gattenwahl häufig auf einen Kollegen fällt. Dies scheint kein Zufall. Viel- mehr wird erkennbar, dass bei freiberuflichen 87 Zu Klara-Maria Kuthe (1894 -1981) vgl. Kurzbiografie in: Dolg- ner, 1993, S.540 - und Kap.9, Akademische Ambitionen. 88 So der Titel der Untersuchung von Margot Fuchs über Studen- tinnen an der TH München. Fuchs, München, 1994 89 Bspw. Hilde Reiss bei ihrem Onkel, Ruth Josefek bei ihrem Va- er, Maria Müller bei ihrem Mann. Auch Heidenreich, Lederer, Loewe, Rossius und Zosel könnten - zumindest zeitweilig - in den väterlichen Büros gearbeitet haben. 90 Bonatz, 1950, S.104ff: „Wir waren sehr verschiedenartige Män- ner, (..) aber wir waren eine aufrichtige Kameradschaft ohne Ei- fersucht und Neid.“ Diesem Kollegium gehörten lt. Bonatz „Schmoll von Eisenwerth, Bonatz, Fiechter, Janssen, Schmitt- henner, Wetzel, Keuerleber und Stortz, später Tiedje“ an. 91 Bonatz, 1950, S.105 92 Schreiben von Judit Müller-Tourraine, Bondegaard, 11.4.1938; DAM, NL Meyer 93 Im Unterschied dazu wurde bspw. Konrad Wachsmann von Tessenow und Poelzig, Egon Eiermann durch Poelzig ermutigt. Wachsmann erinnert diese Ermutigungen als ausschlaggebend für seine berufliche Entwicklung. Vgl. Guening, 1986, S.140, zu Eiermann vgl. Posener, 1993, S.170. 94 Huerkamp, 1996 Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 193 Ambitionen die Lebensplanung bevorzugt an einen Kollegen gekoppelt wird. Hier spiegelt sich das Kon- zept der Kameradschaftsehe wider: „The Companio- nate Marriage“.95 Dieses auch in Europa vielgelesene Buch favorisiert Ende der zwanziger Jahre die Vereinbarkeit von Beruf und Ehe als idealtypisches, aufgeklärtes und emanzi- patives Partnerschaftskonzept. In der Kamerad- schaftsehe wird der geschlechterhierarchisch besetz- te Begriff der Ehe zum gleichberechtigten Partner- schaftskonzept transformiert, was die Reduktion hier- achisch bedingter Konfliktpotentiale in Aussicht stellt. Lindsey und Evans betonen die hierfür notwendige Eigenständigkeit der jeweiligen Partner. Ihr aus einer subsistenzwirtschaftlichen Produktions- gemeinschaft entlehntes Modell stösst in der Realität jedoch an die Grenzen geschlechterkonnotierter Akti- onsradien. Das Modell einer gleichberechtigten resp. gleichwertigen Zusammenarbeit kollidiert offenbar mit der Konstitution kreativer Subjekte. Denn bei der Schaffung kultureller, zumeist haltbarer ‘Produkte’ wird die Notwendigkeit der Produktion nicht mehr als jeweils lebenswichtige Voraussetzung aller Beteiligten unmittelbar evident, sondern - mittelbar - erst herge- stellt resp. etabliert. Während dieser Etablierungspro- zessen werden kulturelle Werte zu- oder aberkannt, Hierarchien gefestigt oder aufgebaut. Auch Tessenow- und Bauhausstudentinnen lasen die auch in zahlreichen Artikeln popularisierte „Kamerad- schaftsehe.“ Elfriede Knoblauch bezeichnet es 1929 als „das moderne, zeitgemäße Buch“.96 Das Bild der Kameradin war zweifelsohne attraktiv, wurde hier doch ein Ausweg aus einem Dilemma offeriert, das zahlreiche Architekturstudentinnen spätestens am Ende ihres Studiums ereilte. Als private Partnerin wie als Büropartnerin Interessen und Aufgaben mit einen Mann zu teilen stellte die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Rückhalt bei beruflichen wie familiären Schwierigkeiten in Aussicht. Unmittelbar im Anschluss an das Diplom verlobt sich Gertraude Engels mit ihrem Jugendfreund und Stu- dienkollegen Alexander Herde. Auch Anni Pfeiffer und Heinrich Gunkel sind sich schon vor Studienende ei- nig97,und Helga Karselt heiratet 1936 ihren Jugend- freund und Studienkollegen Emil Schuster. Von 20 ehemaligen Tessenow-Studentinnen, bei denen sich eine Ehe nachweisen lässt, heiraten zumindest 13 ei- nen Bauingenieur resp. Architekten, davon jeweils vier einen Tessenow- resp. Poelzigstudenten. Die An- ziehungskraft der Kameradschaftsehe ist damit bei den Tessenowstudentinnen augenfällig. Lässt sich - in Kenntnis der Studiensituation im Se- minar Tessenow - vermuten, dass eine „zugestande- ne und erlebte Ebenbürtigkeit der Frau“ das Vertrau- en in eine mögliche ‘Kameradschaft der Geschlech- ter’ bei Tessenowstudentinnen genährt haben könn- te98, so scheint dies in Kenntnis geschlechtsabhängi- ger Ausgrenzungen am Bauhaus nicht möglich. Der Trend zur ‘beruflich sinnfälligen Kameradschaftsehe’ bildet sich bei Bauhausstudentinnen jedoch noch weit deutlicher ab. Sie knüpfen bereits während des Studiums - auffällig häufig im Konfliktfall und beim Wegbrechen einer eigenständigen Studienqualifikati- on - ihre Perspektive an einen privaten Partner, mit dem sie während des Studiums - auch ohne Trau- schein - das Kameradschaftsehemodell quasi testen. Eine eigene Berufstätigkeit steht für Tessenowstu- dentinnen nach dem Studium in der Regel nicht in Frage. Im Unterschied zu den Kollegen steht ihnen die Möglichkeit, gleichzeitig auch Kinder zu haben und die Reproduktionsarbeit verrichten zu lassen nur sehr bedingt offen. Waren Tessenowstudentinnen schon vor oder im Studium mit Kommilitonen be- freundet, so eröffnete ihnen die Kameradschaftsehe die Möglichkeit, sich nicht zwischen einer beruflichen und einer familiären Lebensplanung entscheiden zu müssen. Für die beteiligten Herren barg dieses Mo- dell allerdings die Gefahr, bei einer beruflich ambitio- nierten Gattin die traditionelle Freistellung von Repro- duktionsarbeit zu verlieren sowie auf beruflichem Ter- rain ggf. mit der eigenen Gattin zu konkurrieren. Nach dem Verständnis mancher Architektinnen war jedoch weiterhin mit der Eheschließung, spätestens mit der Geburt von Kindern die eigene Berufstätigkeit gefährdet. „Ich wollte ja nicht umsonst studiert ha- ben“, kommentiert denn auch Christa Dirxen ihre Ent- scheidung für eine verzögerte Heirat mit einem Kom- militonen.99 Viele Studentinnen der Weimarer Republik suchen in der Phase des Berufseinstiegs nach einer Vereinbar- keit von Berufs- und Privatleben. Zeichneten sich vor und zu Beginn der Weimarer Republik im Hinblick auf die Gleichstellung von Frauen Liberalisierungstenden- zen ab, so bleibt die Vereinbarkeit von sozialer Mut- terschaft mit Berufstätigkeit - gerade in bürgerlichen Schichten - nahezu undenkbar. Die Diskurse um die ‘neue Frau’ hatten lediglich zur Spaltung zwischen ‘alten’ Familienfrauen und ‘neuen’ Berufsfrauen ge- führt. Innerhalb des Berufs- wie des Gesellschaftsle- bens sind weder neue Modelle zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit noch ‘neue Män- ner’ in Sicht. War für Architekturstudentinnen der Kaiserzeit eine Berufstätigkeit bei Heirat, für Frauen mit Berufspriorität deshalb eine Heirat noch nahezu ausgeschlossen, so sind Studentinnen der Weimarer Republik i.d.R. nicht mehr bereit, sich solcher Aus- schließlichkeit zu beugen. So sehr die familiäre Berufstradition - das im Fach ‘Zuhause-Sein’ - Architektentöchtern den Erwerb be- 95 Lindsey, Judge Ben B. / Wainwright Evans: The Companionate Marriage, New York, 1927, erscheint auf deutsch 1928 bei der Deutschen Verlagsanstalt in Leipzig. 96 Elfriede Knoblauch im Brief an E.L. Kirchner vom 8.3.1929. Erna und Ernst Kirchner hatten dieses Buch im Januar 1929 Elfriede und Hansgeorg Knoblauch geschenkt. Knoblauch, Gertrud / Eu- gen W. Kornfeld (Hg.): Ernst Ludwig Kirchner. Briefwechsel mit einem jungen Ehepaar 1927-1937, Bern, 1989, S. 65 resp. S.39 97 „Schon am 6. Dez. 31 waren wir einig, daß wir einander heiraten würden.“ NL Gunkel / Pfeiffer, LL Anni Gunkel geb. Pfeiffer ver- fasst von Karl Gunkel nach dem 1.7.1941 98 „Die mit der zugestandenen und erlebten Ebenbürtigkeit der Frau ermöglichte Kameradschaft der Geschlechter“ hatte Ger- trud Bäumer 1930 konstatiert, zit. nach Huerkamp, 1996, S.148 99 Christa Kleffner-Dirxen im Telefonat am 19.1.1998 194 Ambitionen und Realitäten ruflicher Qualifikationen erleichtert haben mag, das Einordnen in familiäre Traditionen birgt auch für sie das Dilemma eines Konfliktes zwischen Berufsvor- stellungen und Rollenerwartung. Knüpfen sie an die väterliche Berufsrolle an und richten ihre Lebenspla- nung auf eine professionelle Existenz als Architektin aus, so brechen sie damit zwangsläufig mit der Rolle ihrer Mütter, womit ihnen i.d.R. nur zölibatäre Le- bensformen zugestanden werden. Möchten sie je- doch heiraten, gar die soziale Mutterschaft überneh- men, können ihre Energien nicht mehr ungeteilt in die professionelle Existenz fließen. Auch in einem libera- len Umfeld sind diese Rollenbilder nicht annähernd zur Deckung zu bringen, Irritationen vorprogrammiert. Die Phase des Berufseinstiegs fällt für die meisten Architekturstudentinnen der Weimarer Republik in die letzten Jahre dieser Republik. Damit sind die Berufs- einstiege nicht nur von ökonomischen Krisen, son- dern auch von spürbaren Verschiebungen des gesell- schaftlichen und kulturellen Klimas gekennzeichnet. Außerdem wirft der politische Umbruch seine Schat- ten voraus: Mit dem definitiven Ende der Weimarer Republik verändern sich auch die beruflichen Mög- lichkeiten nicht-jüdischer Architektinnen, häufig - wenn auch nicht ausschließlich - in sichtbarer Rela- tion zur politischen Assimilationsbereitschaft. Für Ar- chitektinnen und Architekten jüdischer Abstammung brechen Berufs- wie Lebensperspektiven Mitte der dreißiger Jahre völlig weg. Tod oder Leben? Berufseinstiege im Exil Nicht erst aufgrund der Nürnberger Rassegesetze waren jüdische Architektinnen in ihren beruflichen Möglichkeiten beschnitten. Bereits 1933 beraubten berufsständische Organisationen wie der BDA und der Werkbund ihre jüdischen KollegInnen ihrer be- rufsständischen Legitimation.100 Die Zwangsmitglied- schaft in der Reichskulturkammer ab Herbst 1933 bedeutete den flächendeckenden Ausschluss jüdi- scher Architektinnen und Architekten. Persönlich zu- gestellte Berufsverbote wurden bereits ab Ende 1933 verhängt. Marie Frommer - bereits 1933 aus dem BDA ausge- schlossen - traf das Berufsverbot mit Schreiben vom 14.11.1934 aus dem alleinigen Grund: Jüdin.101 Sie emigriert Im September 1936 nach London.102 Bereits ein Jahr zuvor - im September 1935 - emigriert die ebenfalls aus dem BDA ausgeschlossene Ella Briggs. Auch jüngere Architektinnen wie Suse Chotzen, Grete Ehrmann, Judith Segal oder Stefanie Zwirn, Innenar- chitektinnen wie Elsa Gidoni, Asta Berling und Rahel Bontjes van Beek unterlagen dem Berufsverbot, ge- rieten manches Mal jedoch nicht sofort ins Blickfeld der Baupolizei.103 Chotzen emigriert nach Frankreich, Ehrmann nach Schweden, Segal und Gidoni nach Palästina. Zwirn, Berling und Bontjes van Beek blei- ben im Deutschen Reich.104 Bei den meisten Architektinnen, die zunächst ange- stellt gearbeitet hatten, sowie den Studentinnen, die ihr Studium noch nicht oder gerade erst abgeschlos- sen hatten, ist das berufliche Schicksal in der Emi- gration bisher zumeist unbekannt, so bei Ehrmann und Chotzen, aber auch bei Hilde Katz und Margot Loewe, die 1933 in Paris gearbeitet haben sollen.104 Soweit die Lebenswege exilierter Architektinnen re- konstruiert werden konnten, ist eine Vielfalt berufli- cher Wege erkennbar. Dabei zeichnet sich ab, dass der Verlauf dieser Berufswege insbesondere vom Zeitpunkt der Emigration, der beruflichen Situation im Zielland, der familiären Konstellation und der Berufs- erfahrung vor Emigration abhängt.105 Relativ früh, nämlich bereits im Mai 1933 betritt Hilde Reiss amerikanischen Boden. Aufgrund ihres politi- schen Engagements wurde sie noch vor der Reichs- tagswahl 1933 von ihren Eltern zur Ausreise gedrängt - ihr Freund Waldemar Alder wird kurz nach ihrer Ab- reise verhaftet. Sie hatte ihren Berufseinstieg bereits 1932 in Berliner Architekturbüros gefunden. Auch in New York findet sie umgehend Arbeitsmöglichkeiten in den Büros von Gilbert Rhode und Norman BelGed- des. Rohdes Arbeit könnte ihr schon vor der Emigra- tion ein Begriff gewesen sein, denn 1932 hatte Ca- therine K. Bauer in der ‘Form’ dessen Möbel präsen- tiert und „vernünftige Gestaltung in der Massenware“ propagiert.107 Nicht immer ist der Anlass der Emigration so deutlich wie bei Hilde Reiss, erfolgen Immigration und Job- suche so bruchlos. Und neben den ArchitektInnen, EntwerferInnen und GestalterInnen, die auf der Flucht vor dem Antisemitismus emigrierten, verließen man- che Architektinnen bereits in den zwanziger oder zu Beginn der dreißiger Jahre das Reich auf der Suche nach Arbeitsmöglichkeiten. So wanderte Lotte Cohn schon 1921 nach Palästina aus, arbeitete Leonie Pi- lewski bereits zwischen 1926 und 1928 in Moskau. Bis Ende der dreißiger Jahre - wie auch nach 1945 - suchen auch nicht-jüdische Architektinnen immer wieder ihr Glück, resp. bessere Arbeitsmöglichkeiten im Ausland. So zieht Lotte Beese 1930 zunächst nach Brünn und 1932 nach Charkow und Moskau, um an dortigen Projekten mitzuarbeiten. Auch Gerda und Johan Niegeman-Marx siedeln 1932 in die Sow- jetunion über, um als PlanerInnen in Magnitogorsk tätig werden. 1937 folgt ein Umzug nach Amsterdam, wo die zwischenzeitlich mit Mart Stam verheiratete Lotte Beese bereits seit 1934 arbeitet. Ebenfalls in die Niederlande übersiedeln 1938 Eva und Andor Weininger, die auf der Suche nach Arbeitsmöglich- 100 Ausschluss jüdischer Mitglieder: Auch der DWB beschloss auf seiner Sitzung am 10.6.1933 - mit den Gegenstimmen von Gro- pius, Wagner und Wagenfeld - den Ausschluss nichtarischer Mitglieder. Vgl. Kramer, Lore: Marginalien, in: Weißler, 1991, S.61 101 STA Rep.10-02 16642 - Auf der gleichen Liste findet sich bspw. auch der Name Alfons Anker. Über ihn wird das Berufsverbot sechs Monate später, am 9.5.1935 verhängt. Die Brüder Luck- hardt beendeten die 1923 geschlossene Partnerschaft mit Anker bereits 1933. Anker emigrierte 1939 nach Schweden. 102 Ihr Bruder Leopold Frommer war 1934 mit seiner Familie nach London emigriert, nachdem er als Dozent an der TH Charlotten- burg aus rassistischen Gründen entlassen worden, seine Frau, die Violinvirtuosin Jadwiga Elsner auf den Index jüdischer Musi- kerInnen gesetzt worden war. In London hatten auch frühere Auftraggeber Marie Frommers - wie Heinrich Mendelssohn oder Gustav Fürstenberg - Zuflucht gesucht. 103 Vgl. Karrieren und Brüche im Nationalsozialismus. 104 Rahel Weishaus, die nach ihrer Gesellenprüfung als Tischlerin zunächst mehrere Jahre in den Büros von Erich Mendelsohn und Martin Elsässer gearbeitet hatte, war 1930 nach Berlin zu- rückgekehrt, wo sie sich - inzwischen verheiratet mit dem Kera- miker Bontjes van Beek - als selbständige Innenarchitektin tätig ist. Sie ereilt das Berufsverbot 1935. - vgl. „Bei mir war eigent- lich alles ein Wunder“ Notizen eines Gespräches mit Rahel Bontjes van Beek, das Dorothea Schemme 1990 führte, in: Frauen in Bau- und Ausbauberufen, Berlin, 1990, S.86, S.88. 105 So blieben bisherige Recherchen über exilierte Tessenowstu- dentinnen erfolglos. Friedel Letz soll nach der Reichskristall- nacht in die Niederlande, Sigrid Weiß [geb. Rauter] Ende der dreißiger Jahre mit ihrem Mann nach Südamerika emigriert sein. Ob resp. wo sie ggf. beruflich tätig wurden, liegt bisher völlig im Dunkeln. Auch bei manchen der exilierten Bauhausstudentinnen verliert sich die Spur bereits während der Emigration. So scheint Angela Press in die USA emigriert zu sein. Von Eva Busse ist lediglich bekannt, dass sie zeitweilig in Amsterdam arbeitete. 106 Auch wenn sich die Motive von ‘Emigrantinnen’ von denen der ‘Exilierten’ unterscheiden lassen, hinsichtlich der Chancen im Berufsfeld erscheint der Zeitpunkt der Immigration wie die Situ- ation im Zielland weitaus maßgeblicher als Gründe resp. Anläs- se der Emigration. 107 Bauer, Catherine K.: Typenware in Amerika in: Die Form, 7.Jg. H.9, 15.9.1932, S.275 ff. „gegenwärtig gibt es Entwürfe und Modelle von einer neuen Generation von Möbelgestaltern, die sich erfolgreich damit beschäftigen, vernünftige Entwürfe für bil- lige fabrikgearbeitete Möbel auszuarbeiten. Einer dieser Archi- tekten ist Gilbert Rohde“. Bauer stellt Möbel und eine ‘Schlaf- Wohn-Einrichtung’ nach Rohdes Entwurf vor. Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 195 keiten eigentlich in die USA auswandern möchten. Nur die jeweilige Biografie gibt bei hochmobilen Ar- chitektInnen Aufschluss über Anlass und Motivation der Emigration resp. Immigration.108 So finden wir bspw. bei Migrationen nach Frankreich, insbesonde- re nach Paris, unterschiedlichste Motive.109 Auch die USA, wohin zahlreiche ehemalige Bauhausmitglieder auswandern, besaßen für ArchitektInnen offensicht- lich besondere Anziehungskraft.110 1929 wandert Ursula Weiß [geb. Schneider] mit ihrem Mann aus, da er sich als Arzt in den USA bessere Ar- beitsmöglichkeiten erhofft. Sie kehren bereits 1933 wieder zurück nach Berlin. Um 1933 ziehen Margot Loewe und Hilde Katz von Berlin nach Paris.111 Rose Mendel, die um 1930 in Paris und Grenoble studiert hatte, wechselt um 1934 erneut nach Paris, um bei Pablo Gargallo Bildhauerei zu studieren. Zunächst nach Hamburg zurückgekehrt, reist sie im Frühjahr 1937 legal nach London aus.112 An ihrer Emigration - wie wohl auch an den Migrationen von Katz und Loewe - wird ein in manchen Fällen fließender Über- gang zwischen Mobilität und Exodus sichtbar. Dem- gegenüber handelt es sich bei der Übersiedelung der Lasnitzkis bereits 1933 nach Belgien eindeutig um ei- ne Flucht, nachdem der Mann Tony Lasnitzkis [geb. Simon-Wolfskehl] in Berlin aufgrund seiner jüdischen Abstammung entlassen wird. 1934 geht Paula Maria Canthal nach London, um ei- nen Auftrag auszuführen.113 Im gleichen Jahr siedeln sowohl Matty und Hannes Beckmann [geb.Wiener] wie auch Friedl Dicker von Wien nach Prag über. 1938 zieht sich Friedl Brandeisova [geb. Dicker] mit ihrem Mann nach Hronov zurück.114 Beckmanns rei- sen 1938 - auf der Suche nach Emigrationsmöglich- keiten - nach Paris.115 Gisela Eisenberg zieht um 1936 mit ihrem italienischen Gatten nach Rom, wo sie sich ausschließlich der Familie gewidmet haben soll. Dort wohnt spätestens in den vierziger Jahren auch Hilde- gard Coccia [geb. Katz], seit 1936 mit einem italieni- schen Künstler verheiratet. Ende der dreißiger Jahre gründet Johanna Tönnesmann mit ihrem norwegi- schen Studienkollegen Alfred Minsos ein eigenes Bü- ro in Oslo, nachdem sie im Herbst 1938 in Stuttgart geheiratet hatten. Leonie Pilewski flieht 1938, am Tag nach dem Anschluss Österreichs nach Schweden, wo sie bis in die vierziger Jahre als Architektin bei ei- ner Wohnungsbaukooperative arbeitet. Nach London emigrierten neben Ella Briggs und Ma- rie Frommer bspw. auch Eva Lewin, Rose Mendel, Il- se Dernburg und Else Taterka. Lewin flieht im Som- mer 1939 und findet bei ihrer Schwester Aufnahme. Sie arbeitet zunächst als Hausangestellte, dienstver- pflichtet ab 1941 (bis 1947) in einem technischen Zei- chenbüro. Trotz der relativen Offenheit in England, das im Vergleich zu anderen Berufen bis Ende 1938 für Architekten nur geringe formale Hürden für eine Aufnahme vorsah, haben dort nur die Wenigsten fak- tisch die Chance, unmittelbar weiterarbeiten zu kön- nen.116 Häufig sehen Architektinnen keinen adäquaten Rahmen oder - wie bspw. Ella Briggs - eine Chance für den Aufbau einer tragfähige Existenz.117 Marie Frommer zieht 1939 in die USA weiter, da sie sich dort - wie auch etliche Kollegen - bessere berufliche Möglichkeiten im Bereich moderner Architektur ver- spricht. Angesichts einer von Rezession und Zurückhaltung privater wie öffentlicher Auftraggeber gekennzeichne- ten Wirtschaftslage in den USA, aber auch in Frank- reich und England, erwartete die Immigrierten - ins- besondere ab Mitte der dreißiger Jahre - im Zielland ein ‘Selektionsprozess’, den Christian Wolsdorff für die Londoner Szene anhand eines Bittschreibens an Gropius skizzierte. Darin wird neben familiären und kollegialen Referenzen auch die Verantwortung als Familienernährer und Kriegsteilnehmer bemüht.118 Hier wird deutlich, dass beim Eintritt in den Berufs- stand geschlechtsspezifischen Passgenauigkeiten eine nicht minder wichtige Bedeutung zukam wie fachlichen Kompetenzen, Referenzen und Netzwer- ken, obschon Wolsdorff betont, dass für immigrieren- de Architekten „keine unüberwindbaren Hindernisse“ errichtet wurden.119 Auch Ella Briggs benötigte für ihre Zulassung bei der Britischen Architektenkammer Ende der dreißiger Jahre einen Bürgen, den sie in ihrem emigrierten Wiener Kollegen Ernst L. Freund fand. Bis zu ihrer Zulassung als ‘licensed architect’ im Jahre 1946 in New York ist Marie Frommer auf die Zusammenarbeit mit anderen Architekten angewiesen. Nachweislich kooperierte sie bspw. mit dem aus Berlin emigrierten Paul Bry. Auch auf der Suche nach Informationen über die beruflichen Möglichkeiten im Zielland wand- ten sich Architektinnen an bereits zuvor immigrierte Kollegen, so Liane Zimbler 1938 an Rudolf Schindler mit der Bitte um „a little talk on bussiness conditions here“.120 Berufswege außerhalb des Reiches Hilde Reiss findet nach ihrer Emigration in die USA 1933 zunächst Arbeit als Zeichnerin, unterrichtet als Dozentin für Innenarchitektur und kann - in Zusam- menarbeit mit einem amerikanischen Architekten - ei- nen Umbauvorschlag und zwei Einfamilienhäuser rea- lisieren. Sie sucht und findet ein neues Betätigungs- feld, als sie am Walker Art Center erstmalig eine Gal- lery für Every Day Art einrichten und als Kuratorin be- treuen kann. Suzanne Markos-Ney jobbt in Paris in den dreißiger Jahren u.a. in einem Reisebüro, nach 108 Mikoletzky geht bei den Studentinnengenerationen der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts von einer Prägung hohen Ausmaßes durch Mobilitätserfahrungen aus. „und zwar sowohl dauerhafte (..) als auch temporäre im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Studium.“ (Mikoletzky, 1997, S.136) - Während manche der Architekturstudentinnen der Kaiserzeit im Kindesalter die Flucht vor antisemitischen Pogromen in Russland und Galizien erlebt hatten - wie Frommer, Briggs, Pilewski -, finden wir familiäre Mi- grationserfahrungen auch in den Familien von Behrmann, Katz, Lewin, Loewe, Rindler, Wiener. Aber auch die Familien Herzen- stein, Schneider, Rogler und Beloweschdowa flohen. Für die meisten Architekturstudentinnen der Weimarer Republik dürfte Mobilität jedoch positiv besetzt gewesen sein. 109 Neben Hedwig Jungnik, die bereits 1924 nach Frankreich über- siedelte, wohnten in Paris in den dreißiger Jahren etliche ehe- malige BauhausstudentInnen, darunter Lotte Mentzel-Flocon und Albert Mentzel, José Tokayer, Jean Leppien, Jaschek Wein- feld, Florence Henri, Hedwig Düllberg und Robert Lenz. Letz- terer volontierte bspw. im Büro Le Corbusiers, das als Mekka eines Büropraktikums galt. 110 Zu den zahlreichen Bauhausstudentinnen, die in den USA immi- grierten zählen bspw. Trude Schmidl-Wahner, Claire Kosterlitz, Margarete Bittkow-Köhler, Irene Hoffmann [geb. Wallbrecht], Monica Bella-Broner und Marli Heimann. 111 Hildegard Katz wie auch Margot Loewe ziehen um 1933 nach Paris, wo sie evtl. bei Corbusier volontierten, ggf. auch studier- ten. Bisher ist nicht bekannt, wo Margot Loewe und Hilde Katz beruflich tätig werden. 112 Sie hatte zunächst Frankreich als Emigrationsziel in Erwägung gezogen. England scheint bald das sicherere Exil, nach London ist vor ihr bereits ein Onkel geflüchtet. 113 Canthal kommt 1936 nach Berlin zurück. 114 Im April 1938 siedelt auch ihre frühere Studien- und Atelierkolle- gin Anni Moller[-Wottitz] nach Baby bei Nachod über, nachdem ihr samt Gatten und Kind im Dezember 1935 bereits die Staats- angehörigkeit aberkannt worden war. Lt. Vermerk 50 7934/35. Koch/MA8 10.9.1998 115 Hannes Meyer erinnert 1951, dass er das „Ehepaar Weiner“ 1938 in Paris vor seiner Ausreise nach Mexiko getroffen habe. DAM, NL Hannes Meyer, Meyer an Birman, 15.6.1951 116 Else Taterka lehrte seit den zwanziger Jahren an der Reimann- schule in Berlin und wird an der in London neu eröffneten Rei- mannschule tätig. Vgl. Kunstamt Schöneberg (Hg.): Orte des Erinnerns, Berlin, 1995, Bd.2, S.169 196 Ambitionen und Realitäten dem Einmarsch der Deutschen in Südfrankfreich in der Landwirtschaft. Leonie Pilewski arbeitet nach ih- rer Emigration nach Schweden bis in die vierziger Jahre als Architektin, bevor sie sich ganz der Malerei widmet. Tony Lasnitzki schlägt sich zwischen 1940 und 1942 mit privatem Sprachunterricht durch. Dann muss sie untertauchen, verbringt bis zur Befreiung Belgiens mehr als zwei Jahre versteckt in einem Dachkämmerchen. Karola Bloch, die - angesichts des philosophierenden Gatten - im amerikanischen Exil ab 1938 zu einer Er- werbstätigkeit gezwungen war, beschrieb in ihren Er- innerungen die mühsame Stellensuche, bei der sie u.a. den Job eines Liftboys annahm. Auch nachdem es ihr gelingt als Architektin zu arbeiten - 1939 kann sie einen eigenen Auftrag realisieren - sieht sie sich immer wieder auch gezwungen, sich als Kellnerin oder als Zeichnerin zu verdingen. Erst unter den Be- dingungen des Exils wird Etel Fodor-Mittag in der Ar- chitektur tätig. Nachdem sie am Bauhaus Fotografie und Weberei studiert hatte und 1938 mit ihrem Mann nach Südafrika emigriert war, findet sie im Architek- turbüro ihres Onkels Arbeit. Sie soll auch in späteren Jahren im Architekturbüro ihres Mannes gearbeitet haben.121 Für die auf dem europäischen Festland gebliebenen Exilierten, ist die Situation - neben der Suche nach Erwerbsmöglichkeiten - häufig durch massive Unsi- cherheit wie die Bedrohung durch Verfolgung über- schattet. So schreibt Judith Müller-Tourraine 1938 verzweifelt an Hannes Meyer: „Am 2. Mai wird mein deutscher Pass ablaufen und nun ist die Frage, ob ich überhaupt einen neuen erhalten werde. (..) diese ‘Friedenszeit’ hilft nur alle noch bestehenden Werte in die Vergessenheit zu bringen. (..) Und es wird mir klar, dass unser winziges Dasein so weitgehend von der sog. Hohen Politik abhängt, besonders wenn man zufällig als Jude geboren ist. (..) Und dann weiß ich, daß ich jung bin und irgendwie ganz innen mich dem herrlichen Frühling freue, daß ich mit meinen beiden Händen etwas auszurichten vermag und daß das alles eigentlich garnichts nützt.“ 122 Mit einer ebenfalls typischen Exilsituation ist Ricarda Meltzer konfrontiert. Nachdem sie 1932 das Bauhaus verlassen musste und - wie ihr Freund Heinz Schwe- rin - auch bei Schließung der Städelschule im Mai 1933 keinen offiziellen Abschluss hat, flüchten sie ge- meinsam in die Tschechoslowakei, nach Ungarn und in die Schweiz. 1935 emigrieren sie nach Tel Aviv. „Wir bauten aus ganz kleinen anfängen eine werk- statt auf für holzspielsachen und kunstgewerbe. In krisenzeiten, und deren gab es manche, fabrizierten wir wirtschaftsartikel. Wir hatten grosse freude an unserer arbeit, (..) ausserdem verschaffte uns diese arbeit eine grosse unabhängigkeit, die wir brauchten um hier leben zu können, da wir nicht als zionisten nach palästina kamen, sondern aus mangel an ande- ren möglichkeiten.“ 123 Kehrten ausländische Bauhaus- wie Tessenowstu- dentinnen nach dem Studium i.d.R. zumindest zu- nächst in ihre Herkunftsorte zurück124, so überschnei- den sich diese Remigrationen zeitlich mit Migrationen von Kolleginnen, die auf der Suche nach beruflichen Perspektiven oder im Zusammenhang mit der Part- nerwahl auswandern, zunehmend aber auch auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus im Deutschen Reich ins Exil getrieben werden. Den Versuch, zeit- weilig im Ausland zu arbeiten resp. dort eine Existenz zu gründen, unternahmen Architektinnen manches Mal auch allein. Unter dem Zwang existentieller Be- drohung emigrieren allein nur wenige Architektinnen, so bspw. Reiss, Briggs, Frommer, Pilewski und Roth. Im Einzelfall überschneiden sich häufig mehrere Mo- tivationen und manches Mal sind Anlass resp. Motive der Emigration unbekannt. So bspw. bei Sigrid Weiß [geb. Rauter], die mit ihrem Mann um 1937 nach Südamerika emigriert sein soll.125 Exilierte ArchitektInnen waren manches Mal gezwun- gen, ihre Energien zunächst auf die Existenzsiche- rung zu konzentrieren. Blieben sie auf dem europä- ischen Festland, so überlebten jüdische ArchitektInnen den Holocaust nur ausnahmsweise. Exilierte wie emigrierte Architektinnen strebten auch im Zielland in der Regel den Aufbau einer neuen Exi- stenz innerhalb der Architektur an. Im Unterschied zu SchriftstellerInnen verloren sie im Exil nicht ihre Aus- drucksmittel, im Unterschied zu Juristinnen trafen sie nicht auf unvergleichliche Berufsfelder.126 Manche Ar- chitektinnen taten sich dennoch mit der im Zielland notwendigen Akkulturation schwer, da nicht nur tech- nische Standards - wie Beschriftungen und Maßein- heiten - modifiziert, sondern neue Auftraggeber ge- funden, lokale Besonderheiten und Ansprüche be- rücksichtigt werden mussten.127 Um den berufsständisch geregelten Kodizes insbe- sondere in Frankreich, England und den USA Genüge zu tun, mussten auch Architektinnen Zulassungen er- reichen, ggf. erneut Prüfungen ablegen. Dies fiel den bereits Berufserfahrenen offenbar leichter als den Be- rufsanfängerinnen.128 Bis zum Ende des zweiten Welt- krieges haben manche bereits eine tragfähige Exi- stenz gefunden. Für etliche - insbesondere der nach 1938 Geflüchteten - führt die Emigration jedoch zu einer mehrjährigen Unterbrechung in der Erwerbsbio- grafie. Sie finden häufig erst nach 1945 einen berufli- chen Neuanfang.129 117 Es lässt sich ohne weitergehende Quellen bisher lediglich darü- ber spekulieren, ob dies mit fehlenden finanziellen Mitteln zum Nachweis einer wirtschaftlich unabhängigen freiberuflichen Exi- stenz oder den für die Zulassung notwendigen drei Empfeh- lungsschreiben anerkannter Kollegen zusammenhing. Esslin sieht die mangelnden Erfolge deutscher Exilanten auch in (Sta- tus-)Diskrepanzen zu einer mitteleuropäischen Tradition von In- tellektualität begründet. Vgl. Esslin, Martin: Deutsche Intellektu- elle im englischen Exil, in: NGBK (Hg.): Kunst im Exil in Groß- britannien 1933-45, Berlin, 1986, S.217ff. 118 Der Berliner Architekt Fritz Herrmann, ehemaliger Bonatzschüler, rekurriert auf ein Unterstützungsgesuch, das Gropius´ 1919 an die Eltern Herrmann gerichtet habe. Daneben verweist er auf seine Rolle als Familienernährer und Kriegsteilnehmer und auf die zugesicherte Unterstützung durch Eugen Kaufmann, dem er seine Arbeiten gezeigt habe. Wolsdorff, Christian: Deutsche Ar- chitekten im Exil, in: NGBK, 1986, S.107ff. 119 Ibid., S.106 - „..wurde für Gropius der rote Teppich ausgerollt. Aber auch weniger exponierte Architekten fanden Einlaß; un- überwindliche Hindernisse wurden für sie nicht errichtet.“ 120 Liane Zimbler an Rudolf Schindler, 24.11.1938. Plakolm-Forst- huber, 1995, S.302 121 Etel Fodor[-Mittag] (geb. 28.12.1905 Agram b. Zagreb), studierte 1928 bis 1930 am Bauhaus Fotografie und Weberei. Sie heira- tet in den dreißiger Jahren den Bauhauskollegen Ernst Mittag. Vgl. dazu Biografie Fodor in: Gaßner, 1986, S.571, J. Fiedler (Hg.), Fotografie am Bauhaus, 1990 und Honnef / Weyers, 1997, S.226 122 Schreiben von Judith Müller-Tourraine, Bondegaard,11.4.1938; DAM, NL Meyer 123 DAM, NL Meyer, Brief Ricarda Schwerin an Hannes Meyer vom 4.3.1948 124 Auch wenn manche in späteren Jahren erneut - auch ins Deut- sche Reich - migrieren. Mara Utschkunowa kehrt 1920, Iwanka Waltschanowa 1931 nach Plowdiw zurück. Suzanne Markos- Ney hält sich 1933 vorübergehend bei ihrer Familie in Budapest auf. Natalie Swan und Lila Ulrich sind bereits 1933 in NYC zu finden, Elsa Hill wohnt spätestens ab 1935 dort. Matty Beck- mann [geb. Wiener] kehrt um 1934 nach Prag, Zsuzsanna Bánki 1936 nach Györ zurück. Auch Edit Rindler dürfte um 1933 nach Prag, Zweta Beloweschdowa und Rina Paschowa dürften um 1935 nach Bulgarien zurückgekehrt sein. 125 Dies erinnert Ewa Oesterlen. Vgl. Biografie Rauter. Nach Süd- amerika emigrierte bspw. auch die Architektin Luise Goldschmidt (Venezuela). 126 Vgl. Quack, 1995: Anderes Rechtssystem: Juristinnen, S.18ff. 127 Plakolm-Forsthuber hat den durch die Emigration erzwungenen Akkulturationsprozess Liane Zimblers dargestellt. Vgl. Plakolm- Forsthuber, Sabine: Ein Leben, zwei Karrieren. Die Architektin Liane Zimbler, in: Boeckl, Matthias (Hg.): Visionäre und Vertrie- bene, Wien, 1995, S.295-309 128 Diese „Steine im Weg“ sind wohl am ehesten mit den Schwellen für emigrierte Ärztinnen vergleichbar. Vgl. Quack, 1995, S.182ff. 129 Zu den Berufswegen im Ausland nach 1945 siehe Kap. 9 Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 197 ‘Weiblicher Architekt’ oder ‘Innenarchitektin’? Segregationen der dreißiger Jahre „Wer jetzt noch zu der Frau eines Regierungsbaumei- sters (..) Frau Regierungsbaumeister sagt, statt ein- fach gnädige Frau - ist ein Zurückgebliebener“, ist 1930 in der Vossischen Zeitung zu lesen.130 Bereits 1927 hatte Frieda Radel über die auf der Hamburger Ausstellung „Frauenschaffen des XX. Jahrhunderts“ gezeigte Architektur stolz berichtet: „Jetzt prunken neben Bauplänen und Abbildungen ausgeführter Bauten aus früherer Zeit die Grundrisse und Fassa- denentwürfe für Siedelungshäuser, Stockwerksbau- ten, Wohnblöcke für berufstätige Frauen von Grete Schütte-Lihotzki (sic!), Frankfurt und Hilda Krebs, Hamburg.“ 131 Und Käte Marcus zieht den Vergleich zur Ausstellung 1912 und betont: „Die Frage, ob die Frau freigestaltende Kräfte oder nur Aufnahme und Umbildungsfähigkeiten besitzt, beschäftigte lange Zeit die Gegner wie die Freunde der Frauenbewe- gung. Heute ist es still um diese Frage geworden. (..) Es scheint fast sicher zu sein, daß die Unterschei- dung zwischen ‘männlicher’ und ‘weiblicher’ Leistung eines Tages in die Rumpelkammer der überholten Begriffe wandern [wird], und daß man dann allein das Werk und die gestaltende Kraft, die es schuf, werten wird.“ 132 Ihre optimistische Einschätzung sollte jedoch ein frommer Wunsch bleiben, auch wenn 1929 sogar die Leipziger Baumesse unter dem Motte „Frau und Bau- wirtschaft“ steht133 und 1930 in Berlin erneut Architek- tur nach Entwürfen von Architektinnen präsentiert wird: Fotos ausgeführter Bauten von Marie Frommer, Hanna Löv, Elisabeth von Tippelskirch-Knobelsdorff und Emilie Winkelmann, sowie Fotos ausgeführter Räume und Wandmalereien von Ruth Hildegard Gey- er-Raack werden im Berliner Kaufhaus Wertheim im Rahmen der Ausstellung „Die gestaltende Frau“ ge- zeigt.134 Diese vom deutschen Staatsbürgerinnenver- band organisierte Ausstellung findet in der Presse, insbesondere in der Lokalpresse große Beachtung.135 Nun bricht allerdings die Debatte los, die Käte Mar- cus 1927 für überwunden geglaubt hatte. So resü- miert ‘Die schaffende Frau’ über diese Ausstellung: „Allgemein war der Eindruck der ‘Leistungsannähe- rung’ zwischen Mann und Frau, der Verwischung frü- her für grundlegend gehaltener Unterschiede in Auf- fassung und Gestaltungskraft“ [zu verzeichnen].136 Im Unterschied dazu macht Alice Türk einen ganz be- sonderen „Frauenwillen“ aus und beantwortet die Frage, „ob die Darstellung ihres besonderen Stre- bens, ihrer besonderen Wesensart, ihrer eigenen Ge- schlechtsbetontheit (..) gerechtfertigt ist oder nicht (..) mit einem eindeutigen `Ja!´“ 137 Demgegenüber kritisiert die ‘Vossische Zeitung’: „Im Vorwort zum Katalog fühlt sich Herr Reichskunstwart Redslob veranlaßt, eine gefällige Lanze für die schö- pferische Betätigung der Frau zu brechen. Für ihn steht sie ‘im bewußten Ausgleich zu der anders gear- teten männlichen Produktion’. (..) Große Kunst dürfte (..) geschlechtslos sein - wenn man ganz vorsichtig sein will. Der Reichskunstwart hat aber nunmehr eine männliche und eine weibliche Kunst eingeführt. Arme Kritiker!“ 138 Anlässlich dieser letzten expliziten Frauenausstellung, an der auch Architektinnen beteiligt sind, feiert die Debatte über ‘Geschlechtscharaktere’ - im Rückgriff auf eine Gesellschaft getrennter Sphären resp. im Vorgriff auf die geschlechtergetrennte ‘Volksgemein- schaft’ - fröhliche Urstände. Als im Sommer 1931 in Berlin die „Deutsche Bauausstellung” stattfindet, auf der ein nach Plänen von Prof. Peter Behrens in Ver- bindung mit dem Verein für Deutsches Kunstgewerbe und dem Verein zur Förderung des Gewerbefleißes errichtete Pavillon „Ring der Frauen“ dem Kulturwir- ken und den kulturellen Bedürfnissen der Frau gewid- met ist139, halten sich Architektinnen diesem - in di- rekter Nachbarschaft zum „Musterfriedhof“ gelege- nen - „gesellschaftlichen Mittelpunkt“ fern: Ella Briggs und Emilie Winkelmann stellen in der Ab- teilung „Das Bauwerk unserer Zeit“ aus, Lilly Reich in der Abteilung „Die Wohnung unserer Zeit“. Geschlechterzuschreibungen und Rollenzuweisungen spielten in der nationalsozialistischen Politik eine zen- trale Rolle. Bisher ist die Geschlechterpolitik der 1933 per Gesetz eingerichteten Reichskulturkammer nicht untersucht worden. Bei der Aufnahme resp. Verdrän- gung von Architektinnen scheint jedoch der 1903 ge- gründete „Bund Deutscher Architekten e.V.” - als der für die ArchitektInnen zuständige Fachverband - eine weit wichtigere Rolle gespielt zu haben als die Kultur- kammer selbst, die auf der Basis des Reichskultur- kammergesetzes vom 22.9.1933 verordnete: „Die Mitgliedschaft zur Reichskammer der bildenden Kün- ste wird unmittelbar erworben durch Eingliederung in den zuständigen Fachverband.“ Von den Berufsverbänden der Architekten wurde die- ses Gesetz auch deshalb begrüßt, weil es erstmalig einen Schutz des zuvor ungeschützten Titels ‘Archi- tekt’ versprach. Die Erfassung, Selektion und Ein- gruppierung aller ‘Kunstschaffenden’ ging den Ver- antwortlichen jedoch nicht zügig genug, wobei sie immer wieder zwischen größtmöglicher Autonomie der Fachverbände und größtmöglicher Nähe zu natio- nalsozialistischen Grundsätzen lavierten - im Bemü- hen, die Verflechtungen von Kammer, Partei und Staat zu kaschieren.140 Die Einstufungen innerhalb dieser Aufnahmeverfahren - offiziell durch den Kulturwalter des jeweiligen ‘Gau- es’ ausgesprochen - sind bisher noch nicht verglei- 130 „F.W.Sch.“ Vossische Zeitung, 19.10.1930. 131 Radel, Frieda: Frauenschaffen des XX.Jahrhunderts, in: Neue Frauenkleidung und Frauenkultur, 13.Jg., 1927, S.366 - Bei die- ser Ausstellung, die insbesondere Malerei, Plastik, Kunstgewer- be, Fotografie und Mode zeigte, wurde Architektur - von Grete Lihotzky, Hilda Krebs, Emilie Winkelmann und Klara von Möller in der Buch-Abteilung präsentiert (vgl. Katalog der Ausstellung Frauenschaffen des XX.Jahrhunderts, Hamburg, 1927, S.15 ). Für Hinweise zu dieser Ausstellung danke ich Magdalena Droste 132 Marcus, Käte: Die schöpferische Frau, in: Neue deutsche Frau- enzeitschrift, 2.Jg., 1927, H.21, S.4. „Im Jahre 1912 nannten die Frauen ihre imposante Berliner Ausstellung ‘Die Frau in Haus und Beruf’. Diese Benennung zeigte deutlich, daß die werterhal- tende und wertschaffende Arbeit der Frau im Hause damals noch den Vorrang vor der Arbeit im außerhäuslichen Beruf hatte. Jetzt im Jahre 1927, sehen wir eine Ausstellung (..), die nur die Arbeitsergebnisse der Frauen zeigt, die den engen Rahmen des Hauses gesprengt und auf gleichem Felde wie der Mann ihre schöpferischen Kräfte ausgewirkt haben.“ 133 für diesen Hinweis danke ich Despina Stratigakos 134 vgl. Katalog „Die gestaltende Frau”, Berlin, 1930, Ausstellungs- verzeichnis Architektur. (Ausstellungsdaten 18.10.- 5.11. 1930) 135 M.O.: „Die gestaltende Frau“ in der Beilage „Das Unterhaltungs- blatt“ der Vossischen Zeitung vom 17.10.1930 - Abendausgabe; Donath, Adolph: „Kunst der Frau“ in Berliner Tageblatt, 17.10. 1930, Abendausgabe, „H.K.“ [Hilda Krebs?] „Die gestaltende Frau“ in der Abendausgabe der Deutschen Tageszeitung Berlin vom 17.10.1930, Seckel, Senta: „Die gestaltende Frau“ in der Morgenausgabe der Berliner Volkszeitung vom 21.10.1930; Wolff-Zimmermann, Elisabeth: „Aus der Vogelschau. Über Berlins gestaltende Frauen“ in: Die Frau, 1930, S.351ff., 136 O.A.: „Die gestaltende Frau”, in: Die schaffende Frau, 1930, S.437 137 Türk, Alice: Die gestaltende Frau in: Neue Frauenkleidung und Frauenkultur, H.8, 1930/31, S.208 138 Rezension von „F.W.Sch.“, 19.10.1930. „Die erste Forderung, nämlich Proben aus allen Gebieten der Kunst und des Kunstge- werbes zu zeigen, wird durch die Ausstellung (..) erfüllt. Eine weitere Forderung, eine Heranziehung aller namhaften weibli- chen Kunstschaffenden, blieb leider unerfüllt.“ Archiv der VBK, wahrscheinlich Vossische Zeitung, Quelle nicht verifiziert. 139 Vgl. Wischeck, Albert „Die ‘Deutsche Bauaustellung 1931’ ” in Katalog „Deutsche Bauaustellung”, Berlin, 1930, S.57 140 So wurden Passbilder retourniert, die Bewerber in SS- oder SA- Uniform zeigten. 141 Leistungen von Architektinnen wurden häufig mit „C“ eingestuft. - „Ich bitte mir mitzuteilen, ob Sie nach Ihrer Verehelichung den Beruf als Architektin noch weiterhin ausüben.“ (Schreiben vom 2.11.42. BArchB, RKK 2400, Box 0153, File: 33) - Vgl. auch die Biografien im Anhang von Brauer, Geyer-Raack, Müller. 198 Ambitionen und Realitäten chend erforscht worden. Auffällig bleibt, dass viele Architektinnen mehrfach Unterlagen einreichen mus- sten, häufig eine Aufnahme als Innenarchitektin bean- tragten und bei Heirat hinsichtlich der Einstellung der Berufstätigkeit i.d.R. angeschrieben wurden.141 Zur Überwachung der expliziten Berufsverbote wurde ggf. die Gestapo eingeschaltet, was u.a. darauf ver- weist, dass nicht nur die angewiesenen Baubeamten sondern auch KollegInnen für Denunziationen unlieb- samer KonkurrentInnen ihre wachsamen Augen der staatlichen Gängelung zur Verfügung stellten. „Ohne stichhaltige Beweise für mangelnde Zuverlässigkeit“ war eine Ablehnung innerhalb der RKK jedoch nicht ohne weiteres möglich, weshalb auf der Suche nach ‘Unzuverlässigkeitstatsachen’ bspw. auch die Gesta- po oder die DAF bemüht, zur Überwachung die Bau- verwaltungen herangezogen wurden.142 Im Herbst 1933 bekräftigt der Geschäftsführer der RKK, Franz Th. Moraller, dass „Persönlichkeiten (..), die in der Judenfrage oder anderen entscheidenden Problemen des nationalsozialistischen Staates zu Kompromissen neigen oder liberalistischen Erwägun- gen Raum geben, nicht mehr geduldet werden kön- nen.“ 143 Untersagte das Reichskulturkammergesetz eine Be- rufsausübung ohne Mitgliedschaft, so drohte Goeb- bels mit Anordnung vom 9. Dezember 1935 nun auch all jenen Mitgliedern mit „Untersagung ihrer Berufstä- tigkeit“, die „sich bei öffentlichen Ankündigungen, auf Firmenschildern und dgl. als Mitglied der Reichskul- turkammer oder einer ihrer Einzelgliederungen be- zeichnen.“ 144 Damit war den ArchitektInnen auch der Zusatz BDA untersagt. Diese Anordnung wurde of- fenbar so heftig angefochten, dass zwei Monate spä- ter ein relativierender Bescheid erging.145 Unter den Einzelverbänden verweigerte der BDA nun insofern die Gefolgschaft, als er als Architekten-Fachverband die Eingliederung von InnenarchitektInnen ablehnte.146 Im März 1936 verweist ‘Die Kulturkammer’ - das von Stephan Hirzel herausgegebene Organ der Reichs- kulturkammer - erstmalig auf die Meldepflicht der ‘Innenraumgestalter’.147 Diesen „bisher sogenannten Innenarchitekten“ wird nun mitgeteilt, dass sie laut §4 der Verordnung des RKK-Gesetzes „Erzeugung von Kulturgut“ melde- resp. mitgliedspflichtig seien, ob- schon sie von dem zum 16.6.1935 als Fachverband in die Kammer überführten BDA offenbar als Mitglie- der abgelehnt wurden.148 Und lautet die Definition 1935 noch: „wobei als Kul- turgut jede Leistung und Schöpfung der Baukunst gilt, wenn sie der Oeffentlichkeit übermittelt wird“ 149, so wird der Begriff des Kulturgutes 1936 auch auf nicht-öffentlichkeitswirksame Leistungen erweitert, eine neue Berufsbezeichnung geschaffen: „Die Be- rufsbezeichnung für diesen Personenkreis lautet ‘In- nenraumgestalter’. Die Führung der Bezeichnung ‘In- nenarchitekt’ ist nicht mehr zulässig.“ 150 Offensicht- lich handelt es sich dabei um ein Zugeständnis an Architekten und Baukünstler im BDA: Die Grenze zwi- schen Außen- und Innenarchitektur, die Trennung zwischen professionellem Architekturbereich und se- miprofessionellem Gestaltungsbereich wird mit dieser Regelung innerhalb des Berufsfeldes 1935 legislativ gezogen.151 Während es weiterhin ins Belieben der im BDA organisierten ArchitektInnen gestellt ist, auch Innenarchitektur zu betreiben, sind Innenraumgestal- terInnen fortan in ihrer Berufsausübung auf den en- geren Bereich des Innenraumes beschränkt.152 Diese Anordnung schreibt jedoch offenbar lediglich eine zuvor durch den BDA bereits gehandhabte Pra- xis fest. Wie anders als nach Ablehnung durch den BDA als zuständigem Fachverband wäre denkbar, dass sich Maria Müller im Oktober 1935 - noch bevor die Einrichtung dieser Gruppe öffentlich bekannt ge- macht wird - als „Schülerin von Prof. Mies v.d. Ro- he“ für die Gruppe Innenraumgestalter bewirbt, mit Bauhaus-Diplom und Referenzprojekten in die Grup- pe Innenraumgestalter aufgenommen wird?153 Anneliese Brauer erhält auf ihren Antrag im Sommer 1935 einen ablehnenden Vorbescheid: „Ihr Aufnah- meantrag ist mir mit ablehnendem Gutachten vorge- legt worden, weil Tatsachen vorliegen, aus denen sich ergibt, daß Sie die für die Ausübung der kam- merpflichtigen Tätigkeit erforderliche Eignung nicht besitzen.“ 154 Auch Marlene Poelzig, die sich als In- nenarchitektin und Architektin bewirbt, scheint vom BDA zunächst abgelehnt worden zu sein. Auf ihrem Eingruppierungsbogen findet sich die befremdliche „Bemerkung“, dass ihr aufgrund der Belastung als Mutter dreier minderjähriger Kinder eine Umschulung nicht zuzumuten sei. Die Ausgrenzung von Architektinnen aus dem ent- sprechenden Fachverband der RKK scheint auf Be- treiben des BDA forciert worden zu sein. Mit der „Gruppe Innenraumgestalter“ finden RKK und BDA ab 1936 „für diesen Personenkreis“ einen vorläufigen Konsens. Ende 1940 ordnet der Präsident der RKK die Rückgabe der Mitgliedsbücher von Innenraumge- stalterinnen an und lässt mitteilen: „Nach Auflösung der bisher in meiner Kammer bestandenen Fachgrup- pe Innenraumgestalter, habe ich Sie entsprechend Ihrer Berufsausübung in Weiterführung Ihrer Mitglied- schaft der Fachgruppe Entwerfer (..) eingegliedert. Sie sind berechtigt, Ihre Tätigkeit auf dem Gebiete der Innenraumgestaltung wie bisher weiter auszu- üben.“ 155 Mit dieser weiteren Umstrukturierung nach Kriegsbe- ginn, bei der Innenraumgestalter mit einem Feder- strich zu „Entwerfern“ werden, reagiert die Kammer 142 LA, STA Rep.10-02 16642. Die hier vorhandene Listendurch- schrift ist bis 1937 mit handschriftlichen Bleistiftnachträgen und ergänzenden Briefen in einer Mappe zusammengefasst - Über- sendung der Liste lt. anliegender Durchschrift am 17.11.1937 mit Mitteilungsschreiben des Oberbürgermeisters v. 30.7.1937 „An die Baupolizeiabteilungen (..) Ich ersuche die Genannten in Liste A der unzuverlässigen Bauunternehmer und Bauleiter auf- zunehmen und bei Bekanntwerden von Tatsachen, die die wei- tere Betätigung als Architekt beweisen (Eingehen von Plänen, von Bau- und Befreiungsanträgen) mir (H VII) sofort Mitteilung zu machen.“ 143 Die Kunstkammer, H.10, Oktober 1935, S.23, zitiert wird hier die im Völkischen Beobachter vom 5.9.1935 abgedruckte Rede Mo- rallers vom 4.9.1935 144 Die Kunstkammer, H.1, Berlin, Januar 1936, S.22 145 Bescheid vom 4.Februar 1936 (Die Kulturkammer, H.4, 1936, S.23) „‘Zweck’ der Anordnung ist im wesentlichen, einen Miß- brauch der Kammermitgliedschaft zu verhindern. (..) Dagegen bestehen keine Bedenken, daß im schriftlichen Verkehr auf die Kammermitgliedschaft hingewiesen wird.“ 146 Dieser Prozess müsste - auch im Hinblick auf den Ausschluss von Frauen - anhand von BDA-Unterlagen nachzuzeichnen sein. Die Archive des BDA sind bisher jedoch nicht zugänglich. 147 Die Kulturkammer, H. 3, Berlin, März 1936, S.23 148 Hierfür wurde in der Reichskammer der bildenden Künste „die Fachgruppe ‘nnenraumgestalter“ geschaffen. ibid. 149 Vgl. „Sechs Anordnungen der Reichskulturkammer“ in: bauwelt, 26.Jg., H.26, Berlin, 27.6.1935, S.599 150 Vgl. FN 147 151 Es wird keinerlei Plausibilisierung für die Schaffung dieses neu- en ‘Berufsstandes’ bemüht. Hier wird Geschlecht als Selektions- kriterium verdeckt erkennbar, da die Geschlechterfrage dabei gerade nicht thematisiert wird, nicht der Erwähnung bedarf. 152 Zuvor bot lediglich das Kriterium „eigenschöpferische Gestal- tungskraft“ bei publizierten Bauten und Innenraumgestaltungen eine ‘letzte Handhabe’ der Ausgrenzung. 153 Der Vorlauf zu dieser Bewerbung ist nicht dokumentiert. Da Müller jedoch als Beruf eindeutig Architektin angibt, dürfte ihre Bewerbung beim BDA zuvor gescheitert sein. Eingangsstempel der Bewerbung vom 10.10.1935, BArchB, RKK 2400, Box 0233, file 04 154 „Ich gebe Ihnen hiervon durch diesen Vorentscheid Kenntnis und fordere Sie auf, weitere Unterlagen zum Nachweis Ihrer ge- staltenden Tätigkeit einzureichen. Die Einsendung hat bis spä- testens 1.September 1935 zu erfolgen.“ BArchB, Schreiben der RKK vom 21.8.1935 an Anneliese Brauer, Aktenz. VI. 602.3055/ 35, gez. I.A. Dr.Gaber 155 RKK Schreiben vom 30.12.1940 (Aktenzeichen II C E 3641/fr. R 272) - Ein neues Mitgliedsbuch wird nach Rückgabe in Aussicht gestellt. Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 199 resp. der inkorporierte BDA auf einen Konflikt, der ab Mitte der dreißiger Jahre auch wieder öffentlich sicht- bar wird. So erscheint im Januar 1935 in der „N.S. Frauenwarte“ der Artikel „Die Architektin“.156 Dort stellt die bei Poelzig diplomierte Irmgard Déspres fest, dass die Zeiten vorbei seien, „in denen sich die Frau unter völliger Verkennung ihrer Eigenart bemüh- te, es in allen Dingen dem Mann gleich zu tun“. Dem- entsprechend begibt sie sich in der Architektur auf die Suche nach Gebieten „für welche Frauenarbeit heute ganz unentbehrlich geworden ist und solche, wo sie für die Arbeit des Mannes eine glückliche Er- gänzung bietet.“ Trotz der Schwierigkeiten dieses Berufes, die nach ihrer Einschätzung „ohne Zweifel für die Frau auf dem Gebiet der Konstruktionen und der Arbeit auf dem Bauplatz” liegen, kommt sie zu dem Schluss, dass es sich lohne, für die Ausübung diess Berufes „die allerschwersten Kämpfe durchzu- fechten, denn wie der Beruf der Ärztin nicht anderes ist, als die ins allgemeine gewachsene, uralte Aufga- be der Frau, die Krankenpflege, so ist die Arbeit der Architektin nur die ebenso alte, die der sinnvollen Gestaltung des Heims.“ 157 Ein knappes halbes Jahr später stellt Elfriede Brüning unter dem Titel „Die Architektin, der Traum vom Be- ruf und die Wirklichkeit“ im Berliner Tageblatt eine ehemalige Klassenkameradin als „Vertreterin dieses Berufs“ vor.158 Diese beschreibt ihre Schwierigkeiten beim Berufseinstieg, dabei insbesondere Akzeptanz- probleme: „In der ersten Zeit ging es ja. (..) Schwieri- ger wurde es erst, als ich mich selbständig machte. Ich hatte immer erst mit den Vorurteilen zu kämpfen“. Und während sie ihre Studienmotivation auch rück- blickend noch eindeutig mit durchaus gängigen Be- rufsmotivationen umschreibt - „Ich wollte Häuser bauen, ich wollte bessere Häuser bauen (..) ach, ich wollte im Grunde nicht viel weniger als die Welt ver- ändern“ - so resümiert sie als Erkenntnis aus der ‘Wirklichkeit’: „Im Laufe meiner selbständigen Praxis bin ich darauf gekommen, daß es gar nicht der Sinn der weiblichen Architektin sein kann, Häuser zu bau- en - das kann der Herr Architekt wahrscheinlich ebenso gut, wenn nicht sogar besser. Aber wir Frau- en können etwas anderes.“ In der „Heimgestaltung“ und als „Beratende“ sieht sie nun „ein Gebiet, auf dem die Architektin wirken kann. Wenn nebenbei ein größerer Auftrag abfällt, um so besser, um so mehr Freude ist mit der Arbeit verbunden.“ Da die Architektin einräumt, dass es um so besser sei, wenn ein größerer Auftrag „abfällt“, thematisiert „der Traum vom Beruf und die Wirklichkeit“ nicht nur eine Diskrepanz zwischen Ausbildung und Praxis. Hier versucht eine Studentin der Weimarer Republik, die Widersprüche zwischen Berufs- und Geschlech- terrolle während des Nationalsozialismus auszubalan- cieren, wobei deutlich wird, dass nicht die konkreten Problemstellungen sondern vielmehr die ‘unweibli- che’ Berufstätigkeit - das Auftreten als sichtbar tätige und bezahlte Architektin - die Irritationen resp. massi- ven Widerstände gegen die konkrete Berufsausübung auslösen.159 In der ‘Völkischen Frauenzeitung’ erscheinen 1937 in der Serie „ein schöner Frauenberuf“ u.a. „Die Garten- architektin“ und „Neue Aufgaben für die Heimgestal- terin“.160 Darin ist zu lesen, dass „auch der Innenar- chitektin - wir wollen sie Heimgestalterin nennen - durch die Organisationen der Partei große neue Auf- gabengebiete erschlossen“ worden sind. 1938 erscheint im ‘NSK’ unter dem Titel „Berufsmög- lichkeiten für die Akademikerin - Eine praktische Ant- wort auf die alte Lüge von der Unterdrückung der Frau“ ein Aufruf der Beauftragten für Wissenschaft und Facherziehung im Amt Studentinnen der Reichs- studentenführung Anna Kottenhoff: „das begabte deutsche Mädel soll studieren - Sie wird im Aufbau- werk des Nationalsozialismus gebraucht.“ Kottenhoff betont, dass die Frage nach dem Frauenberuf und damit nach dem Frauenstudium „aus dem Bereich der grundsätzlichen Erörterung herausgenommen und einer gesunden, wirklichkeitsgebundenen Be- trachtung unterstellt“ worden sei. Sie räumt ein, „daß dieser oder jener akademische Beruf für die Frau, wenn auch nicht gesetzlich, so doch faktisch ge- schlossen ist, zum mindesten wenig Aussicht bietet.“ Hinsichtlich des Technikstudiums hat sich 1938 die Einschätzung jedoch sichtlich geändert: „Insbeson- dere für die Architektin“ sieht Kottenhoff „genügend Berufsmöglichkeiten“, zumal ein berufmäßiger Ein- satz hier besonders lohnend sei, „weil er dem natio- nalsozialistischen Aufbauwerk unmittelbar“ diene.161 Als ab 1938 Studentinnen öffentlich für das Architek- turstudium geworben werden, schlagen die Kollegen in der Presse Alarm: „Der Reichsberufswalter des NS-Bundes Deutscher Technik Professor Dr. Streck, erlässt folgende Bekanntmachung: In der Tagespres- se wird seit einigen Monaten unter dem Schlagwort Frl. Ingenieur“ eine lebhafte Propaganda für das In- genieurstudium bei Frauen durchgeführt. Diese Pro- pagierung entspricht weder der Auffassung des Lei- ters des Hauptamtes für Technik, Pg. Dr.Todt, noch der der Reichsfrauenführerin Pgn. Scholtz-Klink.“ 162 Dennoch ist 1939 in der „Frau am Werk“ zu lesen: „Daß auch in den Ingenieurberufen eine Reihe von Arbeiten vorhanden sind, die geeignete Frauen lei- sten können, wird hervorgehoben, seitdem der Man- gel an Ingenieuren dazu zwingt, alle befähigten Kräfte heranzuziehen.“ 163 Auch in der offiziellen Lesart kom- men noch vor Kriegsbeginn die Ambivalenzen zwi- schen Frauenausschluss und Arbeitskräftemangel deutlich zum Vorschein. Dies ist nicht gerade eine 156 NS Frauenwarte Nr.15 1934/35, S.471,LA /LI NS5/VI/7102,Bl.71 157 Ibid. - Irmgard Déspres (geb.1903) studiert ab dem 10.10.1923 Architektur an der TH Charlottenburg. Sie diplomiert 1930. 158 Brüning, Elfriede: Die Architektin, in: Berliner Tagblatt vom 7.7. 1935. Bei der für diesen Artikel befragten ehemaligen Klassen- kameradin handelt es sich um Lotte Tiedemann. Mitteilung von Elfriede Brüning vom 15.2.2000; Vgl. dazu auch Brüning, Elfrie- de: Und außerdem war es mein Leben, München, 1998, S.60ff. 159 Zur Problematik dieser Dissonanzen, resp. der Dissonanzreduk- tion siehe Kap. 9 - Der Traum von der Zusammenarbeit 160 BArchB, NS5/VI/Bl. 8 resp.6 - Völkische Frauenzeitung Nr.32, 2.8.1937 resp. Nr.40 v. 1.10.1937 161 Kottenhoff, Anna: Berufsmöglichkeiten für die Akademikerin, in: N.S.K, H.7, 29.3.1938 162 Berliner Tageblatt, Nr. 10, 6.1.1939 163 o.A.: Die Berufsaussichten des weiblichen akademischen Nach- wuchses in: Frau am Werk, der die seit 1936 in Berlin erschei- nende Frauenzeitung der DAF, August 1939, S.175. 164 Neben Leonie Behrmann, die um 1932 an den Vereinigten Staatsschulen Berlin Mitglied der ‘roten Kapelle’ wurde, gehörte Friedl Dicker Anfang der dreißiger Jahre in Wien dem Kreis um die Buchhandlung weiße Rose an, druckte Hilde Reiss gemein- sam mit Waldemar Alder Flugblätter und wurden Grete Schütte- Lihotzky wie Karola Bloch als Kurierinnen tätig. 165 Christa Dirxen im Telefonat am 19.1.1998 166 Gleichlautend wurde die Ausübung des Berufes untersagt, wenn die Gattin oder der Gatte jüdisch war. bspw. „Die Ablehnung war lediglich erfolgt, weil der Ehemann (..) Jude ist.“ Schreiben des Landesleiters der Reichskammer der Bildenden Künste an die DAF, Abt. Technik vom 21.10.1938 - BArchB, RKK 2400, box 0336 167 Der von ihr geplante Umbau der Schweizer Bank Guyerzeller in der Taubenstraße wird mit ihrer namentlichen Nennung bis No- vember 1936 in Haberlands Bautennachweis aufgeführt. Der von ihr geplante Umbau eines Geschäftshauses für die Haupt- verwaltung der Schweizerischen Lebensversicherung in der Jä- gerstraße wird erst nach ihrer Emigration fertiggestellt. 168 So ihre Angaben in: Günther, 1989, S.126. 169 BArchB, RKK 2400, box 0221, file 06, Schreiben des Landeslei- ters der RKK vom 19.6.1937, gez. Hoffmann 200 Ambitionen und Realitäten Einladung an Ingenieurinnen, denn die Mitarbeit an „einer Reihe von Arbeiten“ verspricht weder eigene Entscheidungskompetenz noch Kreativität. Allerdings steht auch kein „Heer befähigter Kräfte“ bereit. Die- jenigen unter den ehemaligen Bauhaus- und Tesse- nowstudentinnen, die anlässlich der Geburt von Kin- dern aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, kehren Ende der dreißiger Jahre i.d.R. auch nicht in das Berufsfeld zurück. Aber auf welche realen Arbeitsmöglichkeiten im Be- rufsfeld trafen Architektinnen im Nationalsozialismus? Wie wirkten sich die Änderungen in Klima und Stan- despolitik aus? Etablierung oder Rückzug? Karrieren und Brüche im Nationalsozialismus Hatten jüdische Bauhausstudentinnen aufgrund des wachsenden Antisemitismus ihr Studium bereits 1932 abgebrochen resp. nach dem Umzug nach Berlin nicht fortgesetzt, und strebte Fridel Hohmann an der TH Charlottenburg ihren Studienabschluss unter deutlichem Zeitdruck an, so wurde Leonie Behrmann aufgrund ihres antifaschistischen Engagements das Weiterstudium an den Vereinigten Staatsschulen 1933 untersagt. Für die weitaus meisten Architektur- studentinnen, die zu Beginn der dreißiger Jahre ihr Studium aufgenommen hatten, führte der Sieg der NSDAP bei den Reichstagswahlen 1933 jedoch nicht zu einer sichtbaren Zäsur im Studienverlauf. Nahezu alle führ-ten ihr Studium erfolgreich zu Ende. Und auch die beruflichen Möglichkeiten von Architek- tinnen veränderten sich nicht schlagartig mit der Er- nennung Adolf Hitlers zum Reichsklanzler. Und hatte die Renaissance traditioneller Rollenzuweisungen - wie bspw. die verstärkte Ablehnung des ‘Doppelver- dienertums’ um 1930 - bereits deutlich vor den ideo- logischen Zuweisungen des Nationalsozialismus ge- sellschaftliche Retradierungen vorweg genommen, so stellt sich bis Mitte der dreißiger Jahre die berufliche Situation von Architektinnen höchst unterschiedlich dar. Mit zunehmendem Einfluss des Nationalsozialis- mus werden nur einige wenige politisch aktiv164, zie- hen sich andere aus der Berufs- resp. Erwerbstätig- keit zurück, verschlechtern sich die beruflichen Per- spektiven jüdischer ArchitekInnen drastisch. Manche Architektinnen verzeichnen aber auch erleichtert ei- nen Zuwachs beruflicher Möglichkeiten. „Das war ja das Schöne, dass ich genau richtig fertig wurde“, er- innert bspw. Christa Kleffner-Dirxen, die 1936 bei Bo- natz diplomierte.165 Wurde jüdischen ArchitektInnen mit Einführung des Reichskulturkammergesetzes die Berufsausübung schlicht verboten - offiziell wegen „mangelnder Zu- verlässigkeit“ 166-, so gelingt es manchen von ihnen bis Mitte der dreißiger Jahre, auch unter diesen er- heblich erschwerten Bedingungen noch Einkünfte zu erzielen. So kann Marie Frommer, bereits begonnene Bauvorhaben für ausländische, insbesondere schwei- zerische Auftraggeber teilweise noch zu Ende füh- ren.167 Stefanie Zwirn kann ihr Büro in Berlin-Steglitz bis 1935 halten. Als sie danach wieder unter der Ad- resse ihrer Mutter gemeldet ist, erscheint ihr Eintrag mit voller Berufsbezeichnung „Dipl. Ing. Architekt“. Sie hatte zuletzt 1932 in eigener Sache publiziert, war überwiegend im privaten Wohnhaus- und Laubenbau tätig. Die Möglichkeiten, nach 1933 noch Auftragge- berInnen zu finden, waren jedoch sehr gering - wie dies bspw. Eva Weininger beschreibt. Obwohl seit 1933 von Berufsverbot betroffen, bleibt auch Asta Berling im Deutschen Reich, zieht sich mit ihrem Mann jedoch aus Berlin in die Neumark zurück und produziert Kindermöbel und Spielzeug.168 Für alle im Reich gebliebenen Architektinnen, die von Berufsverboten betroffen oder bedroht waren, kamen ab Mitte der dreißiger Jahre innerhalb des Berufsfel- des kaum mehr Erwerbsmöglichkeiten in Betracht. Als ‘Halbjüdin’ eingestuft endet Paula Marie Canthals Tätigkeit als freiberufliche Architektin um 1934. Seit Mitte der zwanziger Jahre im Berufsfeld kann sie um 1934 in London arbeiten, kehrt jedoch 1936 anläss- lich der Scheidung nach Berlin zurück. Als ‘Arier’ er- hält ihr Mann das gemeinsame Büro. Canthal findet 1937 zeitweilig eine Möglichkeit freiberuflicher Mitar- beit bei Ed. Jobst Siedler. Ab 1938 gelingt es ihr je- doch offenbar nicht mehr, in diesem Beruf ein Aus- kommen zu finden. Sie bemüht sich um die Zulas- sung als Filmautorin, bestreitet ihren Lebensunterhalt mit Skripten für die Studios in Babelsberg und wird 1942, nach mehrfacher Ablehnung als Filmautorin in die Reichsschrifttumskammer aufgenommen. Nach ihrer Heirat mit dem Bankier Robert von Men- delssohn im Frühjahr 1936 reicht Lieselotte von Men- delssohn [geb. von Bonin] bei der RKK die geforder- ten Abstammungsnachweise (mit 26 Anlagen) ein, um als vormaliges BDA-Mitglied einen neuen Mitglieds- ausweis zu erhalten. Dies führt jedoch nicht zum ge- wünschten Erfolg, da sie inzwischen einen ‘nichtari- schen’ Mann geheiratet hat . Offenbar stand für Lie- selotte von Bonin, die bei Publikationen immer ihren eigenen Namen verwendet hatte, mit der Scheidung von Wilhelm von Gumberz-Rhonthal auch die BDA- Mitgliedschaft - und damit die Mitgliedschaft in der Reichskulturkammer - auf dem Spiel. Gegen die anti- semitische Auflagen ist sie machtlos. Im Juni 1937 teilt ihr der Landesleiter der RKK ihre „Löschung in der Mitgliederliste (Fachgruppe Architekten) mit Wir- kung vom 15.6.1936“ mit.169 Als sie 1937 im Grune- wald ein Haus für die eigene Familie baut, tritt sie - Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 201 im Unterschied zu ihren früheren Bauten - lediglich als Bauherrin namentlich in Erscheinung. Diejenigen Architektinnen, die durch den Antisemitis- mus persönlich keine Nachteile erfahren, können im Berufsfeld tätig bleiben oder werden. So kann Fridel Hohmann, für die aufgrund des Ariernachweises eine freiberufliche Perspektive zunächst in weite Ferne rückt, Mitte der dreißiger Jahre in das Büro des Ge- neralbauinspektors für die Reichshauptstadt eintre- ten, wo sie u.a. in der Modellbauwerkstatt tätig ge- worden sein soll. Sie bleibt bis 1945 in Berlin als Ar- chitektin tätig, ist nach eigenen Angaben auch mit größeren Planungen direkt am Fehrbelliner Platz be- schäftigt.170 Hanna Blank, seit 1932 im Büro der Brü- der Walter und Johannes Krüger in Berlin tätig und an den dort erstellten Planungen für Heer und Luft- waffe wahrscheinlich nicht ganz unbeteiligt, kann um 1938 in das unter Leitung von Herbert Rimpl stehen- de Baubüro der ‘Reichswerke Hermann-Göring’ wechseln, wo sie als Mitarbeiterin der ‘Großsiedlung’ - der städtebaulichen Planung der späteren Stadt Salzgitter-Lebenstedt l - bis 1945 Arbeit findet. Hilda Harte hatte nach ihrem Diplom an der TH Char- lottenburg (Februar 1933) zunächst erneut im Büro Gropius gearbeitet. Nach einer Tätigkeit als Büroan- gestellte für den ‘Ingenieurdienst’ des VDI ab April 1933 kann sie ab Februar 1935 beim „LKK III Flug- platz Brandis“ wieder als Architektin arbeiten.171 Harte wechselt Ende 1935 zur deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt nach Adlershof, wo sie zum 15.3. 1937 freiwillig ausscheidet. Nach mehrmonatiger Arbeitslo- sigkeit tritt sie zum Dezember 1937 eine Anstellung als Architektin bei der ‘Reichsumsiedlungsgesell- schaft’ an. Dafür zieht sie zunächst nach Hessen (bei der Gutsverwaltung Neuenberg bei Fulda), zum Ja- nuar 1938 nach Unterfranken (Bezirksstelle Brücken- au). Wie lange sie diese Tätigkeit ausübt bleibt un- klar. Ab Januar 1940 arbeitet sie wieder in Berlin, nun als Statikerin im Büro von Herbert Kretschmann. Kattina Both, die sich seit 1933 an Wettbewerben be- teiligt, für unterschiedliche Architekturbüros in Kas- sel arbeitet und Mitte der dreißiger Jahre versucht in Rom als Architektin zu arbeiten, kann 1938 in Kassel ein eigenes Haus realisieren. Da sie hier jedoch we- der Auftraggeber noch eine Anstellung findet, kehrt sie nach Berlin zurück, wo sie zunächst bei der Deut- schen Arbeitsfront, dann in der Abt. Hauswirtschaft des Deutschen Frauenwerkes eine Stelle als Archi- tektin findet. Unter dem Namen Katharina Both ent- wirft sie u.a. ein Frauenwohnheim sowie den Umbau eines Bauernhofes in eine Frauenschule im ‘Gouver- nement’, dem besetzten Polen. Ab Frühjahr 1942 ar- beitet sie im Büro von Ernst Neufert, wo sie in der Normierung und an der „Bauentwurfslehre“ arbeitet. Freiberuflich tätig entwirft Annemarie Wilke Mitte der dreißiger Jahre Ferienhäuser für private Auftraggeber auf Hiddensee. 1936 kann sie den Neubau des Hau- ses Haertel in Vitte, aber auch Um- und Anbauten anderer Häuser realisieren. Zumindest bis 1939 ent- wirft sie auch verschiedentlich private Wohnhäuser für Standorte in Berlin. Verlässlicher sind jedoch die Einkünfte aus ihrer Tätigkeit für die Vereinigten Lau- sitzer Werkstätten in Weiswasser, für die sie Gläser entwirft und zwischen 1936 und 1939 Präsentationen bei Messe- und Ausstellungsauftritten verantwortlich gestaltet. Als sie anschließend nach Wien übersiedelt, führt sie die Berufstätigkeit nicht weiter. Durchgängig freiberuflich tätig bleibt Ruth Hildegard Geyer-Raack, die neben Privataufträgen ab Mitte der dreißiger Jah- re auch öffentliche Aufträge erhält, die Belgische Bot- schaft in Berlin einrichtet, und Hotels, eine Flieger- schule und das Schloss Krakau mit Decken- und Wandmalereien ausschmückt. Ursula [Schneider-] Weiß, die 1933 mit Mann und Sohn aus den USA nach Berlin zurückkehrt, kann 1935 in Berlin-Nieder- schönhausen ein Haus für die eigene Familie realisie- ren. 1938 nimmt sie ihre Erwerbstätigkeit zeitweilig wieder auf, arbeitet im Baubüro der Architekten Wer- ner und Harting. Als 1939 eine Dienstverpflichtung droht, gibt sie an, sich als Wohnungsberaterin selb- ständig machen zu wollen, „augenblicklich in Vorbe- reitung zu selbständiger Tätigkeit“ zu sein. Die beiden ehemaligen Bauhauskommilitoninnen An- nemarie Wimmer und Wera Meyer-Waldeck werden 1935 resp. 1936 bei den Reichsautobahnen ange- stellt, wo sie bspw. mit Natursteinverblendungen von Brückenbauten befasst waren. Annemarie Wimmer kann neben dieser Tätigkeit 1937 freiberuflich Mu- sterräume für eine Wanderausstellung des deutschen Frauenwerks entwerfen. Sie bleibt bis 1945 in den Diensten der Reichsautobahnen tätig, während Wera Meyer-Waldeck nach fünf Jahren als technische An- gestellte 1939 zur Reichsbahn wechselt, da sie dort auch als entwerfernde Architektin tätig werden kann. 1942 ergreift sie die Gelegenheit, als Leiterin eines Planungsbüros im Industriebau sämtliche Planungen der Hüttenwerksgesellschaft Karwin-Thynietz verant- wortlich zu betreiben. Ludmilla Herzenstein arbeitet ab 1935 für eine Baufirma in Berlin, wechselt im Ok- tober 1935 ins Stadtplanungsamt nach Rostock. Wie lange sie dort arbeitet, ist bisher nicht bekannt. Als Mitglied in der Reichskulturkammer könnte sie jedoch auch zeitweilig als freiberufliche Architektin gearbeitet haben. 1938 betreut sie für das Hamburger Architek- turbüro von [A.] Schoch und [Erich] zu Putlitz einen Villenbau in Wiesbaden. Ab Januar 1939 arbeitet sie im Büro Hopp und Lucas in Königsberg. 1940 zieht sie ins westpreußische Kleinstädtchen Konitz und be- arbeitet im Büro des Architekten E. Loos bis Anfang 1945 landwirtschaftliche Bauten. 170 Sie könnte zeitweilig auch für die DAF tätig geworden sein. Ihre Berufstätigkeit zwischen 1935 und 45 lässt sich bisher nicht an- hand schriftlicher Quellen belegen. Von ihrer Tätigkeit im Mo- dellsaal sowie den Planungen für den Fehrbelliner Platz erzählte sie Hella Giesler. 171 Dies wird von ihr als „augenblickliche Beschäftigung in der wert- schaffenden Arbeitslosenfürsorge“ im RKK-Antrag vom 20.12. 1933 aufgeführt 202 Ambitionen und Realitäten In welchen Beschäftigungsverhältnissen Klara Küster während des Nationalsozialismus tätig ist, wird nicht ganz deutlich. Zunächst im Luftwaffenministerium mit dem Entwurf von Offiziersunterkünften beschäftigt, ist sie zwischen 1939 und 1942 an Planungen für ‘Re- gierungsgebäude’ in Trier, an Wiederaufbauplanun- gen für die Staatsoper unter den Linden in Berlin so- wie - im Auftrag des Reichsernährungsministeriums - an Planungen für „Bauernhöfe in Polen“ beteiligt. Und während Christa Dirxen 1938 das Postministeri- um nach zwei Jahren wieder verlässt, um bei einer Siedlungsplanung in Mecklenburg tätig zu werden, bleibt Gisela Schneider, seit 1937 bei der Reichspost, in den Diensten der Post tätig. Hier kann sie ab 1942 einen Radiosender planen wird ab 1943 im Auslands- einsatz in Rumänien tätig wird. Luise Zauleck, seit 1938 freiberuflich tätig, ist ab Juli 1942 mit der Pla- nung des Ortsteils Rehbrücke bei Potsdam beschäf- tigt. Für den Architekten Otto Rauter bearbeitet sie ab April 1942 landwirtschaftliche Bauten - im Auftrag des Reichskommissars für die Erhaltung deutschen Volkstums im Osten.172 Gertraude Engels gibt 1939 ihre Stelle bei der Preußischen Bauverwaltung auf, als anlässlich ihrer Heirat ein Umzug nach Hildesheim bevorsteht. Gemeinsam mit ihrem Mann beteiligt sie sich 1941 an einem Wettbewerb für Luftschutzbun- ker, obschon sie inzwischen auch wiederholt Mutter wurde. Von Thea Koch, die um 1934 die Regierungsbaumei- sterprüfung ablegt, ist lediglich bekannt, dass sie zu Beginn der vierziger Jahre in Ruthnik/Ruppin tätig war. Als Hildegard Korte mit dem Überfall auf Polen den Mobilmachungsbescheid erhält, sucht sie eine sogenannt ‘kriegswichtige Stellung’, die es ihr erlaubt in Berlin zu bleiben. Aufträge im Industrie- und Luft- schutzbau im Büro Kurt Krause bieten diese Voraus- setzung.173 1941 wird sie Assistentin ihres ehemaligen Professors Daniel Krencker im „Reichsministerium Speer“ und Schriftleiterin im Arbeitsstab „Wiederauf- bauplanung zerstörter Städte“. 1943 führt sie, inzwi- schen promoviert und Vertreterin des Hauptschriftlei- ters der „Deutschen Kunst, Teil B Baukunst“, wäh- rend der Weltausstellung in Barcelona durch die Aus- stellung „Neue deutsche Baukunst“. Anschließend ar- beitet sie bis Kriegsende als Architektin in dem unter der Leitung von Rudolf Wolters stehenden Stab an Wiederaufbauplanungen mit. Und Lotte Tiedemann erstellt Ende der dreißiger Jahre im Auftrag der DAF Bauaufnahmen und Fotos, die unter Nennung ihres Namens in der Publikation „Die landschaftlichen Vo- raussetzungen des Bauens im Osten“ publiziert wer- den.174 Während manche Architektinnen im Nationalsozialis- mus des öfteren den Arbeitgeber wie den Ort wech- seln175, bleiben andere - in den unterschiedlichsten Konstellationen - tätig, ziehen sich wieder andere aus der Berufstätigkeit ins Privatleben zurück. So widmet sich Iwanka Waltschanowa, keine zwei Jahre nach- dem sie sich in ihrer Heimatstadt Plowdiw selbstän- dig gemacht hatte und im Sommer 1933 - anlässlich ihrer Heirat mit dem Poelzigschüler Heinrich Hahn - nach Frankfurt/Main gezogen war, zunächst aus- schließlich der Familie, zu der bald zwei Töchter ge- hören. Auch Ewa Oesterlen [geb.Freise] und Irina Zu- schneid [geb. Kaatz], wenden sich nach ihrer Tätig- keit im Luftwaffenministerium den eigenen Familien zu. Und Gisela Eisenberg verlässt Berlin wie wohl auch das Berufsfeld, als sie anlässlich ihrer Heirat mit einem italienischen Kunstgewerbler und Geschäfts- mann nach Rom zieht. Ebenfalls Mitte der dreißiger Jahre stellen Helga Schuster [geb. Karselt] wie Anni Gunkel [geb. Pfeiffer] mit der Geburt von Kindern die Tätigkeit als Architektin zurück. Diese Darstellung der Berufstätigkeiten von Architek- tinnen während des Nationalsozialismus bleibt lük- kenhaft, da Tabuisierung und Ängste, Quellen- und Datenschutz nach wie vor der Auseinandersetzung mit den oft vielschichtigen Teilhaben am Funktionie- ren des Nationalsozialismus im Wege stehen. So auf- geschlossen manche Architektinnen schon zu Beginn der dreißiger Jahre der ‘neuen Bewegung’ gegen- überstanden, so wenig Identifikationsmuster boten ihnen die angebotenen Rollenklischees. Das Spek- trum der Begeisterung spiegelt sich in den Anträgen wider: Während das Einreichen eines Konterfeis mit Parteiabzeichen am Revers oder in SA- oder SS-Uni- form als Geste besonderer Loyalitätsbekundung Männern vorbehalten bleibt, erwähnen auch Architek- tinnen die Parteimitgliedschaft in der NSDAP, drän- gen auf Aufnahme und ergänzen in Einzelfällen die - in der Regel über zwei Generationen zu erbringen- den - ‘Ariernachweise’ über Jahrhunderte zurück. Die Mitgliedschaft in der RKK wurde i.d.R. wohlüberlegt resp. zur Vermeidung beruflicher Nachteile beantragt, obschon gerade engagierte Architektinnen häufig große Sympathien für ‘straffe Organisationsformen’ zeigten.176 Architektinnen, die mit einem Architekten verheiratet waren, wählten hinsichtlich staatlicher Kontrolle of- fenbar häufig die Grauzone ‘mithelfende Familienan- gehörige’. Damit entgingen sie der beitragspflichtigen Zwangsmitgliedschaft für FreiberuflerInnen ebenso wie einer möglichen Dienstverpflichtung. Dieser ver- meintliche Rückzug ins Private wird eindeutig als ‘Hinter-einem-Mann-nicht-direkt-in-Erscheinung-Tre- ten’ erkennbar, wenn die jeweilige Architektin er- werbstätig wird, sich an Wettbewerben beteiligt oder Artikel schreibt. Diese sanktionsfreie ‘Strategie der Wartestellung’ kam für ledige oder geschiedene Ar- chitektinnen ebenso wenig in Frage wie für Architek- 172 Es bleibt unklar, ob sie in dieser Zeit an folgender Publikation mitarbeitet: Rauter, Otto: Das Bauernhaus im Gau Tirol und Vor- arlberg. Berlin, 1943. (= Schriften für neues Bauerntum, hrsg. v. Konrad Meyer). 173 Lt. Zeugnis von Karl Krause vom 25.10.1941 bearbeitete Hilde- gard Korte neben den „bombensicheren Luftschutzbauwerken“ insbesondere „sämtliche Detailpläne“ eines Braunschweiger Hochschulinstituts sowie die Trafostationen der Mitteldeutschen Spinnhütte GmbH. 174 Schulte-Frohlinde, Julius: Die landschaftlichen Voraussetzungen des Bauens im Osten, München, 1940 175 Dies deutet bspw. auf ausweichende Strategien. Vgl. zu Berufs- strategien von Architektinnen - vor, während und nach dem Na- tionalsozialismus - S.281. 176 Wie groß die Verunsicherung über Verpflichtungen, Fristen und Sanktionen war, lässt sich aus zahlreichen Anträgen angestellter ArchitektInnen ersehen, die nicht der Zwangsmitgliedschaft un- terlagen, sich jedoch auf der Suche nach verbindlichen Informa- tionen oder auch mit Anträgen auf Aufnahme an das Präsidium der Reichskammer der Bildenden Künste wandten. Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 203 ten: Im Falle der Freiberuflichkeit waren sie nach- weispflichtig: sowohl antrags- wie beitragspflichtig und - im Falle eines Umzuges - meldepflichtig. Ange- stellte ArchitektInnen waren gehalten, bei einzelnen freiberuflichen Aufträgen ‘Befreiungen’ von der RKK- Mitgliedschaft zu beantragen. Die Aufnahmeanträge an die RKK sind weder voll- ständig vorhanden noch sind vorhandene Anträge immer vollständig.177 So geben in diesen Quellen zu- meist weniger die Angaben als die Auslassungen und Widersprüche zu weiteren Informationen und Äuße- rungen Aufschluss über Affinitäten und Haltungen von Architektinnen gegenüber beruflichen Organisa- tionen im Nationalsozialismus. Das entstehende Bild kann bisher nur anhand einzelner Werkbiografien auf- gezeigt und belegt werden. Es bleibt unvollständig. Die für die Freiberuflichkeit vorgeschriebene Mitglied- schaft in der Reichskulturkammer erforderte den Ari- ernachweis über zwei Generationen. Hierfür wurden auf einem Vordruck die Angaben über Lebens- und Kirchendaten bis zu den Großeltern abgefordert. Ge- gen den dadurch bezweckten Ausschluss jüdischer Kolleginnen und Kollegen regte sich kein nennens- werter Widerstand. Ebenso brav wie pflichtbewusst lieferten ArchitektInnen diese Ariernachweise - wenn auch nicht immer vollständig - ab.178 Anhand von Ak- tenrecherchen in den Beständen des Bundesarchivs zeichnet sich für Architektinnen insgesamt ein gerin- ger Organisationsgrad in Partei, deren Gliederungen und Berufsverbänden ab. Nach bisherigem Recher- chestand traten manche der ehemaligen Bauhaus- wie der Tessenowstudentinnen der NSDAP bei und manches Mal auch wieder aus. Parteikarrieren blie- ben die Ausnahme. Damit stellt sich die berufliche Situation nicht-jüdi- scher Architektinnen insgesamt ambivalent, wenn auch für Berufsfrauen in freien Berufen während des Nationalsozialismus nicht ungewöhnlich dar179: Bei hoher Assimilationsbereitschaft und geringem Orga- nisationsgrad - im Sinne messbarer Mitgliedschaften - steigen ihre Berufschancen in Teilbereichen des Berufsfeldes. Dafür lassen sich zumindest mehrere Ursachen benennen. Zum einen streben engagierte Architektinnen mit hohen Erwartungen in das Berufs- feld, zum anderen zielt die Kammermitgliedschaft nur auf freiberuflich tätige ArchitektInnen und damit auf jene Statusgruppe innerhalb des Berufsfeldes, in dem Frauen noch deutlich unterrepräsentiert sind. Dar- überhinaus boten berufsständische Organisationen wie der NSBdT durch antidemokratische wie antife- ministische Haltungen kaum Identifikationsmuster für Berufsfrauen. Architektinnen, deren Selbstverständnis durchaus elitäre Züge aufweist, konnten in berufsori- entierten Organisationen bestenfalls subalterne Posi- tionen einnehmen. Leitende Funktionen wurden ihnen lediglich innerhalb der NS-Frauenschaft offeriert. Zu den Motivationen von Architektinnen, diesem oder jenem Verband wohl oder nicht beizutreten, sind bis- her keine geeigneten Quellen dokumentiert. Festzu- halten bleibt, dass sich Architektinnen - soweit resp. sobald sie mit einem Architekten verheiratet sind - Verbänden und Organisationen eher fernhalten: Gat- tin eines Mitglieds zu sein ist zur Wahrung eigener Ambitionen offenbar ausreichend, (Verbands-)Politik bleibt Männersache. 1993 resümierte Magdalena Droste über die Berufs- tätigkeit im Nationalsozialismus: „Weder bei den Frei- beruflern noch bei den angestellten Bauhäuslern gab es ‘große Karrieren’. Die kleinen, mühsamen, ange- paßten, unauffälligen Existenzen waren die Regel.“ 180 Und Sabine Weißler stellte „für Bauhäusler“ fest, „was für andere auch zutrifft“ und für Tessenowstu- dentInnen bisher kaum in Zweifel gezogen wurde: „Wo es ging, wurde weitergearbeitet.“ 181 Angesichts der Tatsache, dass über zwei Drittel der ehemaligen Tessenow- und Bauhausstudentinnen in diesen Jahren heirateten oder bereits verheiratet wa- ren und die Erfassungskriterien und -methoden ver- heirateten, ‘arischen’ Ehefrauen in der Regel weniger Aufmerksamkeit widmeten, sie weniger systematisch erfassten, kann auf der Basis dieser Quellen nicht automatisch von einer ‘Systemferne’ oder überwie- genden Ablehnung des Nationalsozialismus gespro- chen werden. Manches Mal eröffnen die nur bruch- stückhaft vorhandene Informationen lediglich einen Rahmen für mögliche Interpretationen. So bei Maria Müller, die 1932 am Bauhaus diplomiert hatte und sich 1933 im Dessauer Adressbuch mit dem Zusatz „Architektin“ eintragen ließ.182 Sie zieht noch 1933 nach Berlin und taucht ab 1934 im dortigen Adress- buch mit dem Zusatz „Innenarchitektin“ auf. Als sie sich als Architektin im Herbst 1935 um die Aufnahme in die Reichskulturkammer bewirbt, stellt sie diesen Antrag zur Aufnahme für die „Gruppe Innenraumge- stalter“.183 Dies lässt - ohne weitere Informationen - Spielraum für unterschiedliche Interpretationen: Denkbar ist, dass ihr Bauhaus-Diplom durch die auf- geführten Arbeiten einen Schwerpunkt im Ausbau er- kennen ließ oder sie zu diesem Zeitpunkt Aufträge im Innenausbau bearbeitete. Evtl. war ihr für die „Fach- gruppe Innenraumgestalter“ die schnellere oder über- haupt eine Aufnahme in Aussicht gestellt worden.184 Die Mitgliedschaft als solche war immerhin die Be- dingung jeder freiberuflichen Tätigkeit und evtl. stand Müller zu diesem Zeitpunkt vor einer Scheidung.185 Angesichts der Meldepflicht drohte FreiberuflerInnen bei Berufsausübung ohne Mitgliedschaft Berufsver- bot, bei verspäteter Meldung ein Zwangsgeld. Dies hätte für Maria Müller bedeutet, dass sie - nachdem sie jahrelang Mitarbeiterin ihres Mannes war - auch 177 Dokumentieren lassen sich zwischen 1934 und 1940 sieben An- träge architekturinteressierter Bauhausstudentinnen, sowie vier Anträge ehemaliger Tessenowstudentinnen zwischen 1935 und 1939. Diese Zahlen weichen jedoch von den realen Mitglied- schaften ab. 178 Brief Luise Seitz-Zaulecks an die Eltern vom 2.2.1939: „..schicke ich jetzt endlich den Ahnenkram herzlich dankend zurück, denn ich habe jetzt mein Mitgliedsbuch der Kammer in Händen.“ NL Seitz-Zauleck 179 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Sabine Schleierma- cher anhand ihrer Untersuchung über Ärztinnen im Nationalso- zialismus. Bei der von ihr untersuchten Gruppe der bis 1918 ap- probierten (zwischen 1850 und 1895 geborenen fast 800) Ärztin- nen konstatiert sie insbesondere unter den Verheirateten einen geringen Organisationsgrad. (Weniger als ein Drittel aller Ärztin- nen waren Mitglieder in Partei und/oder NS-Ärztebund) Schleier- macher stellt dennoch für die ganz überwiegende Mehrheit die- ser Ärztinnen eine ebenso nationalkonservative wie elitär Hal- tung fest: „Sie verstanden sich als Garantinnen bei der Durchf- ührung rassehygienische Vorstellungen bei Frauen.“ - Vortrag Sabine Schleiermacher im Interdisziplinären Forschungscollo- quium am ZIFG der TU Berlin am 15.12.1999 180 Droste, Magdalena: Bauhaus-Designer zwischen Handwerk und Moderne in: Nerdinger, Winfried (Hg.): Bauhaus-Moderne im Na- tionalsozialismus, München, 1993, S.85-100, hier S.97 181 Weißler, Sabine: Bauhaus-Gestaltung in NS-Propaganda-Aus- stellungen, in Nerdinger, 1993, S.62. Und Rolf Sachsse kommt für die Fotografie zu dem Resümee: „So muß sich das Bauhaus mit dem Durchschnittsschicksal begnügen, zum Erfolg des NS- Regimes einiges, zum Widerstand mit ästhetischen Mitteln da- gegen nichts beigetragen zu haben.“ Sachsse, Rolf: Kontinuitä- ten, Brüche und Mißverständnisse, in Nerdinger, 1993, S.82 182 Nun erstmalig mit eigenem Namen und alleinig, d.h. ohne bzw. anstelle ihres Mannes 183 BArchB, RKK 2400, Box 0233, file 04 184 Maria Müllers Diplom ist bisher ebensowenig bekannt wie die Themen ihrer Studienarbeiten oder ihres Diploms. Sie hatte nach dem Besuch des Vorkurses 1928 zumindest zwei Seme- ster Wandmalerei studiert, eine Werkstatt, die seit der Umstruk- turierung unter Hannes Meyer zur ‘Ausbauabteilung’ gehörte. Ab dem Wintersemester 1930/31 ist allerdings ihre Zugehörigkeit zur Bauabteilung belegbar, somit hat sie bis zum Diplom 1932 zumindest vier Semester in der Bauabteilung studiert. 185 Hierfür spricht, dass Müller bereits 1933 in Dessau unter eige- nem Namen im Adressbuch erscheint, aber auch, dass sie die- sen Antrag überhaupt stellt. Über die konkreten familiären Ver- hältnisse Maria Müllers ist bisher jedoch wenig bekannt. 204 Ambitionen und Realitäten mit Diplom ausschließlich als angestellte Architektin hätte tätig werden können, oder im Falle einer erfolg- reichen Akquisition Strafzahlungen wegen unterlasse- ner Beantragung der Mitgliedschaft drohten. Bereits am 18.12.1935 wendet sie sich jedoch erneut mit einem Gesuch an die RKK, das wie folgt beschie- den wird: „Die Genannte hat glaubhaft nachgewie- sen, dass sie den Beruf als Innenraumgestalterin nur gelegentlich und geringfügig ausübt, da sie durch ih- re Pflichten als Hausfrau und Mutter (..) voll bean- sprucht ist.“ 186 Durch diese - auch im Hinblick auf die Beiträge relevante Entscheidung - wird sie rückwir- kend zum Dezember 1933 (Beginn der Mitglieds- pflicht) freigestellt. Undeutlich bleibt Maria Müllers weiterer Berufs- resp. Lebensweg. Deutlich wird, dass das Antragsverhalten wie die Reaktion der Kammer durchaus Flexibilität zeigten, und dass Mutterschaft Architektinnen eine glaubhafte Möglichkeit bot, den Nachweispflichten bzw. der Erfassung durch die Kammer zu entgehen, wie dieser Tatbestand der Kammer einen willkomme- nen Anlass bot, derart beanspruchte Mitglieder aus dem Kodex der Professionalität zu entlassen. Die Situation während des Nationalsozialismus bleibt paradox: Während Leistungen von Frauen auf männ- lichem Terrain systematisch abgewertet werden, sind die jeweils denkbaren wie getroffenen Arrangements angesichts individuell unterschiedlicher Interessenla- gen, Möglichkeiten und Ambitionen, sowie die ver- schiedenen Filter der Überlieferung bisher kaum zu verallgemeinern. Für etliche der Architekturstudentin- nen der Weimarer Republik kann sicherlich von Stra- tegien der Unauffälligkeit gesprochen werden. Bei anderen werden deutliche Arrangements zur Stabili- sierung der individuellen Professionalisierung im Na- tionalsozialismus erkennbar. Annemarie Lange [geb. Wimmer], die seit 1933 über ein rückdatiertes Bauhaus-Zeugnis verfügte und ab Jahresende 1935 fast zehn Jahre für die Bauleitung der Reichsautobahnen tätig wurde, stellt dieses Pla- nungsbüro in den fünfziger Jahren als eine Insel des Antifaschismus im nationalsozialistischen Meer dar, wenn sie schreibt: „Die humane und menschlich wie sachlich einwandfreie Haltung unseres Abteilungslei- ters machte es mir wie der Mehrzahl meiner z.T. of- fen antifaschistischen Kollegen möglich, bis zum En- de meiner Arbeit nachzugehen, ohne dass ein Druck zum Eintritt in die NSDAP, selbst nicht in den NSBDT ausgeübt wurde.“ 187 Wera Meyer-Waldeck beschreibt die Situation 1947 in einem Brief an Hannes Meyer konträr: „1936 als meine Mutter starb versuchte ich dann wieder eine Stelle in einem Architekturbureau zu bekommen und es gelang mir schließlich in Berlin bei der Reichsbahn (..) eine eigentlich recht befriedi- gende Tätigkeit zu finden. (..) Und dann kam der Krieg und mehr und mehr wurde es unerträglicher bei einer Behörde zu arbeiten und Partei und Behörde und der ganze Tod und Teufel, der daran hing mach- ten einem das Arbeiten zur Hölle. Da ergriff ich dann 41 die gute Gelegenheit abzuhauen.“ 188 Anlässlich der Abgrenzung zum Nationalsozialismus wird das Bauhaus retrospektiv zur Projektionsfolie. „Wie unsagbar lang liegt die ganze Bauhauszeit zu- rück und wie entsetzlich viel Leid und Elend ist über uns alle gekommen“ schreibt Meyer-Waldeck in eben diesem Brief und erhebt das Bauhaus damit zu ei- nem Sehnsuchtstopos: Der Ort, an dem die Welt noch in Ordnung war. Auch die Erinnerung Annema- rie Langes zeigt deutliche Instrumentalisierungen, wenn sie 1953 darauf verweist, sich 1928 an der „da- mals modernsten Bauhochschule“ immatrikuliert zu haben und eine politisch plausibilisierte Verklärung ihrer Niederlage findet: „Mein Studium konnte ich nicht mehr abschliessen, da das Bauhaus von den Faschisten liquidiert wurde.“ 189 Nach 1945, insbesondere während der Zeit der Ent- nazifizierung und ‘Persilscheine’ kam der Akklamation eines „von den Nazis geschlossenen Bauhauses“ Le- gitimationsfunktion zu, diente der Konstruktion ‘inne- rer Emigration’ oder eigener Gegnerschaft. Und sar- kastisch bemerkt Waldemar Alder gegenüber Han- nes Meyer über diese Form der kollektiven öffentli- chen Entschuldung vom Nationalsozialismus: „Hier wird ein Kult entwickelt (..) Ich konnte gerade in den letzten 12 Jahren feststellen, dass sich unsere werten Kollegen recht wohl im 3. Reich gefühlt haben.“ 190 Aber nicht nur Bauhausstudierende erlagen nach 1945 der Verlockung, das eigene Engagement wäh- rend des Nationalsozialismus durch einen großzügi- gen Umgang mit Daten und Fakten einer Neuinter- pretation zu unterziehen.191 „Keiner von all denen, die die Grundsätze der CIAM mit unterschrieben haben und keiner von denen, die an ihrer weiteren Formulie- rung mitarbeiteten, haben sich je mit den Ideen des Nationalsozialismus identifiziert“, schreibt Werner He- bebrand 1964.192 Da der überwiegende Teil der ehemaligen Bauhaus- und Tessenowstudentinnen zu Beginn oder im Laufe der dreißiger Jahre jedoch auch in einem Alter ist, in dem möglicherweise über eine Familiengründung zu entscheiden war193, in der Erinnerung an den Natio- nalsozialismus Anlass und Motive für einen Rückzug aus dem Berufsfeld resp. in die Familiengründung verwischen, wird die Frage von Mutterschaft im Na- tionalsozialismus in Kapitel 9 erneut aufgegriffen.194 186 BArchB / RKK 2400, Box 0233, file 04. Schreiben „Anders“ an den Präsidenten der RKK vom 7.4.1936, Betr.: Das Schreiben vom 14.1.1936 – IV R.104/7089: 187 ADKS, PA Annemarie Lange. Die Personalakte enthält mehrere handschriftliche Lebensläufe Annemarie Langes. Dieser Lebens- lauf dürfte in den fünfziger Jahren verfasst worden sein. 188 DAM, NL Meyer II 4(10) 81/2-847 Brief Wera Meyer-Waldeck an Hannes Meyer vom 9.8.1947. Wer dieser ehemalige Kollege war, ist bisher unklar. 189 Lebenslauf Lange vom 3.3.1953; ADKS, PA Lange. Annemarie Wimmer [spätere Lange] war bei der Anerkennung ihres Diplom- arbeit bei Mies van der Rohe gescheitert, hatte schließlich ein Zeugnis erhalten. 190 „Wenn ich also sage, dass ich an den Bauhäuslern kein solches Interesse aufbringe wie Joost Schmidt oder Selmanagic, so hat das seinen bestimmten Grund. Hier wird ein Kult entwickelt. als wären die Bauhäusler eine besondere Sorte Menschen, mit be- sonders künstlerischen Qualifikationen und ausgezeichneter Geisteshaltung. Dem ist nicht so. Ich konnte gerade in den letz- ten 12 Jahren feststellen, dass sich unsere werten Kollegen recht wohl im 3. Reich gefühlt haben, und wenn irgendwo ein Funke von Opposition da war, so bestand er eben nur darin, dass man diese formale Richtung als Kulturbolschewismus abt- at. Wäre an Stelle von Hitler Mussolini am Ruder gewesen, so wäre alles wunderbar in Ordnung gewesen und nicht die leise- ste Auflehnung wäre erfolgt.“ Brief W. Alder an H. Meyer um 1947, BHD 2 -K-1947/48 191 17.4.1947„Wera [Meyer-Waldeck] macht den Vorschlag einige Daten zu ändern, was auch geschehen ist.“ Auszüge der Tage- bücher von Alfred Arndt in: Hahn, Peter / Christian Wolsdorff: In der Vollendung liegt die Schönheit. Der Bauhausmeister Alfred Arndt 1898-1976, Berlin, 1999, S.103 192 „Statt dessen haben ich und viele meiner Freude wie May selbst, Schütte, Lihotzky, Leistikow, Mart Stam, Walter Kratz, Ulrich Wolf, Heinrich Willing u.a. die im äußeren parallele geisti- ge Entwicklung zum ‘sozialistischen Realismus’ Stalinscher Pro- venienz mitmachen müssen.“ In: Städtebau - ein Generations- problem? (1964) abgedruckt in: Hebebrand, Werner: Zur neuen Stadt, Berlin, 1969, S.56-66, hier S.63 193 Angesichts der Reichweite dieser Koinzidenzen für die persönli- che Lebensgestaltung läuft jegliche Bildung von Kausalitäten Gefahr, rückwirkend aus Anlässen oder Folgen Ursachen zu ma- chen. Die Interpretation einzelner Befunde korrespondiert allzu häufig - und angesichts tabuisierter ‘Erinnerungen’ an den Na- tionalsozialismus - mit der retrospektiven Bewertung politischer ‘correctness’. 194 So bei der beruflichen Partizipation von Architektinnen - vor, während und nach dem Nationalsozialismus - (S.277ff.) sowie bei der Diskussion von Berufs- und Lebenswegen (S.287ff.) Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 205 Resümee Deutlich wurde, dass der Berufseinstieg von Archi- tekturstudentinnen der Weimarer Republik durchaus Schwierigkeiten bergen konnte, insbesondere jedoch, dass manche dieser Schwierigkeiten bereits in der Ausbildung begründet sind. Denn während Tesse- nowstudentinnen - über 90% der Diplomandinnen bei Tessenow - der Berufseinstieg nahezu problemlos gelang, so fanden Bauhausstudentinnen - selbst mit Diplom - nicht immer eine adäquate Beschäftigung. Gab es unter den ehemaligen Bauhausstudentinnen mit Friedl Dicker, Jadwiga Jungnik, Kattina Both, Lot- te Beese, Eva Weininger, Gerda Marx Gestalterinnen, die auch ohne Abschluss unmittelbar im Anschluss an das Studium ins Erwerbsleben wechseln konnten, so fanden von den vier Diplomandinnen im Bereich Bau/Ausbau nur zwei direkte Berufseinstiege: Hilde Reiss und Annamaria Wilke.195 Während also Bau- hausstudentinnen zunächst resp. immer wieder er- werbslos waren und ein Drittel das Berufsfeld gar nicht erst betrat196, fanden Tessenowstudentinnen - auffällig häufig bei öffentlichen Ämtern - Anfangsstel- lungen als angestellte Architektin. Und während ehe- malige Bauhausstudentinnen häufig auf Zusammen- arbeit und Patronagen männlicher Kollegen angewie- sen waren, fanden Tessenowdiplomandinnen ihre An- fangsstellungen in der Regel selbständig, auch wenn sich KollegInnen manches Mal als Stützen im Bezie- hungsgeflecht erwiesen. Das mehrstufige Initiationsverfahren ins Berufsfeld über akademische Ausbildungen - Architekturstuden- tinnen am Bauhaus bereits während des Studiums nahezu kategorisch verschlossen - scheint Frauen an Technischen Hochschulen während der Weimarer Republik zugänglich zu werden. Nach der Aufnahme des Studiums, dem Bestehen des Vordiploms, stellte der Eintritt in ein Seminar zuweilen die erste status- resp. berufsfeldrelevante Selektionsstufe dar.197 Etli- che schafften mit der Aufnahme in eine Meisterklasse auch die zweite Stufe. Allerdings finden wir hier, wo es um die Mitwirkung an Projekten des Meisters geht, auch vermehrt Hinweise auf die Einbindung die- ser StudentInnen in ein Geflecht privater Beziehun- gen.198 An der Schnittstelle zur Professionalität - dem Eintritt in Stellen, die eine berufliche Perspektive und finanzielle Vergütung versprechen und damit neben der Existenzsicherung die Aussicht auf eine eigen- ständige Professionalität bieten - müssen Berufsein- steigerinnen mit TH-Diplom im Unterschied zu den Kollegen jedoch offenbar auf Hilfestellungen und Em- pfehlungen von seiten der Lehrer weitgehend ver- zichten, während Bauhausstudentinnen in einzelnen Fällen Empfehlungen erwirken können. An dieser Schwelle zur Professionalität spielen häufig Vertrauensverhältnisse eine Rolle, die offenbar ge- schlechtsspezifisch aufgebaut werden. Just dieses persönliche Vertrauen führt jedoch zu dem, was als Statusdistribution, als eine Art Vererbung individueller Machtpositionen in einem gewachsenen Interessen- gefüge bezeichnet werden kann. Dementsprechend wichtig ist der Aufbau des Beziehungsgeflechtes zwi- schen Protagonisten, Standesvertretern, Professoren und Meistern innerhalb und außerhalb der Hochschu- len. Und so aktiv solche Beziehungen geknüpft und aufgebaut werden, so begrenzt ist aufgrund bürger- licher Normen der Aktionsradius von Studentinnen, sobald das Beziehungsgeflecht außerhalb der Hoch- schule angesiedelt ist. So schildert bspw. Anneliese Eichberg199, dass das persönliche Verhältnis des Assi- stenten Werner Eichberg, ihres Mannes, zu seinem Förderer Prof. Adolf Abel u.a. durch gemeinsame Radtouren nach Venedig und Rom während der Stu- dienzeit begründet worden sei.200 Zum Aufbau eines beruflichen Vertrauensverhältnisses gemeinsam mit einem Professor durch Italien zu radeln, kam in den dreißiger Jahren selbst für großbürgerliche Studentin- nen trotz sportlicher Ambitionen nicht in Frage. Dennoch suchen und finden auch die Studentinnen der Weimarer Republik den Berufseinstieg oft im Um- feld des Abschlusses, in der Regel in Großstädten und häufig in Berlin.201 Lediglich ausländische Stu- dentinnen kehren im Anschluss an das Studium in ihre Heimatorte zurück, suchen den Berufseinstieg vereinzelt auch in kleineren Städten. Im Unterschied zu Architekturstudentinnen der Kaiserzeit, die der Kollision gängiger Berufsvorstellungen mit traditionel- len Rollenerwartungen nicht entgehen konnten, mit sämtlichen Traditionen brechen mussten, um über- haupt studieren resp. den Beruf ausüben zu können, waren Architekturstudentinnen der Weimarer Repu- blik nicht mehr mit der Frage konfrontiert, wie sich eine Dame auf einer Baustelle zu kleiden habe. Sie konnten bereits auf Hüte und Handschuhe verzich- ten, als Praktikantinnen auch Hosen tragen. Wie die Studentinnen der Kaiserzeit müssen sie ihre Lebens- vorstellungen jedoch quasi ‘entwerfen’, zumal Vorbil- der jenseits stereotyper Frauenrollen noch immer rar sind. So selbstverständlich Architekturstudentinnen nach Wegfall der geschlechtsspezifischen Zugangs- schwellen ihre Studienmöglichkeiten nutzen, so fragil erscheinen ihre beruflichen Perspektiven. Tessenowstudentinnen verließen das Seminar mit den fachlichen wie formalen Voraussetzungen, als Ar- chitektinnen tätig zu werden, erwarben in der Regel das für den Einstieg in die Regierungsbaumeister- laufbahn notwendige Diplom. Diese Laufbahn des gehobenen Dienstes schlagen sie jedoch nur im Aus- nahmefall ein. Weit häufiger finden wir Tessenowstu- dentinnen in privaten Büros in angestellten Positio- nen sowie - und dies im Unterschied zu den in den 195 während sich Wera Meyer-Waldeck trotz Gesellenbrief, Büro- praktikum und Diplom zunächst mit allerlei fachfremden Jobs durchschlägt . Auch Maria Müller scheint 1932 nach dem Di- plom keinen unmittelbaren Übergang ins Berufsfeld gefunden zu haben. Mit drei kleineren Kindern zieht sie um 1933 nach Berlin, scheint aber auch dort - zumindest bis Anfang der vierziger Jah- re - keinen beruflichen Einstieg zu finden. 196 Vgl. FN 2 197 Gerhard Kosel (geb. 1909) erinnert: „Der Platz im Seminar war außerordentlich begehrt, denn damals Poelzig-Schüler zu sein, war eine große Auszeichnung, eine Eintrittskarte fürs Leben.“ Engstfeld, Hans-Joachim: Architekt im Takt, in: Schwarz, 2000, S.240-249, hier S.241 198 Was auf die Rolle dieser Beziehungen bei der Selektion veweist. So ist bspw. Johanna Tönnesmann mit der Tochter von Paul Bonatz befreundet, ist Asta Stromberg zum Zeitpunkt ihres Ein- tritts in das Meisteratelier Poelzig bereits mit Max Berling verhei- ratet. Camilla Stark - einzige Architektin in der Vereinigung jun- ger Architekten - heiratet das Mitglied Karl Sommer. 199 Dipl.Ing. Anneliese Thienes sp. Eichberg (geb. 1910), als Archi- tektentochter in Wuppertal-Barmen aufgewachsen, studierte ab 1930 bis 1936 an der TH München. 1938 heiratete sie den Stu- dienkollegen Werner Eichberg. Vgl. Interview, das Margot Fuchs mit Anneliese Eichberg führte in: Fuchs, 1993, S.149 ff. 200 Ibid., S.154 201 So Gertraude Engels, Helga Karselt, Sigrid Rauter, Hildegard Korte, Christa Dirxen, Ewa Freise, Klara Brobecker, Lieselotte von Bonin, Gisela Eisenberg und wahrscheinlich auch Elfriede Schaar, evtl. Maria Gaiser. - Auch etliche BauhausstudentInnen, darunter alle vier Diplomandinnen im Bau/Ausbau (Wera Meyer- Waldeck, Maria Müller, Hilde Reiss, Annemarie Wilke), sowie Kattina Both, Eva Fernbach Anneliese Brauer, Wera Itting und Annemarie Wimmer fanden in Berlin ihren Berufseinstieg. 206 Ambitionen und Realitäten zwanziger Jahre bereits tätigen Architektinnen - auf angestellten Positionen im öffentlichen Dienst. Und so häufig die Ambitionen in Richtung einer freiberufli- chen Existenz weisen - fast die Hälfte der Tessenow- wie der Bauhausstudentinnen scheinen die Freiberuf- lichkeit anzustreben -, nur selten finden Bauhausab- solventinnen, noch seltener Tessenowdiplomandin- nen eine Möglichkeit, im Anschluss an das Studium eine solche zu begründen. Auch Einstiege in väterli- che resp. familiäre Büros sind hier nicht zu finden. Und selbst diejenigen, die eine erste Stufe der freibe- ruflichen Etablierung erreichen, können ihre Existenz- gründung häufig nicht einmal bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges betreiben. Wie im Vergleich der Berufseinstiege deutlich wurde, fanden Tessenowstudentinnen i.d.R. einen direkten Übergangs ins Berufsleben. Ihrer Ausbildung kommt zum Beginn der Professionalisierungsphase - sowohl qua Praxisorientierung wie auch qua formaler Qualifi- kation - die entscheidende Bedeutung zu. Im Unter- schied dazu korrespondieren die Studienqualifikatio- nen am Bauhaus - Praxiserfahrungen wie Studienar- beiten - oft nur in Teilbereichen mit den gängigen Praxen des Berufsfeldes. In Ermangelung umfassen- der fachlicher Kompetenzen wie anerkannter - ihnen zumeist auch noch vorenthaltenen - Zertifizierungen sind Bauhausstudentinnen beim Berufseinstieg weit- gehend auf Vermittlung, Vertrauensvorschuss und Empfehlung angewiesen. Sie knüpfen ihre Berufs- und Lebensperspektive auf- fällig häufig schon während des Studiums an den ei- nen oder anderen Herrn, streben sichtlich eine Part- nerschaft im Sinne der Kameradschaftsehe an. Auch auffällig viele TH-Studentinnen planen bereits gegen Ende des Studiums eine kameradschaftliche Partner- schaft mit einem Kollegen. Unter den Tessenowdiplo- mandinnen finden wir jedoch etliche, die das eigene Diplom sichtlich nicht gegen einen Trauschein tau- schen möchten, Perspektiven und Konsequenzen ei- ner Partnerschaft sehr genau abwägen. Erlaubte der soziale Status den Architekturstudentin- nen i.d.R. die Entscheidung für das hinsichtlich beruf- licher Perspektiven ‘unsichere’ Fach und konnten die meisten bei Beginn ihres Studiums noch ohne ‘Ver- wertungsdruck’ studieren, so verschlechterte sich die finanzielle Lage etlicher Familien im Laufe der Wei- marer Republik merklich.202 Aber auch wenn der fi- nanzielle background vorhanden war, zeigten bürger- liche Elternhäuser durchaus ambivalente Haltungen gegenüber der Berufstätigkeit der Töchter.203 Auch deshalb waren mehr als die Hälfte der Bauhaus- und zwei Drittel der Tessenowstudentinnen zum Ende ih- res Studiums darauf angewiesen, eine eigene materi- elle Absicherung zu finden. Nicht befriedigend zu be- antworten ist bisher die Frage ist, inwieweit auch El- tern von Architekturstudentinnen häufiger deren Ver- heiratung als deren Professionalisierung förderten. Illustrativ mag hier die Haltung von Paul Bonatz sein, der die Heirat seiner geliebten - und als Architektin diplomierten - Tochter Susa 1931 bezeichnender- weise als die Hochzeit seines Assistenten Kurt Düb- bers mit seiner Tochter rekapituliert.204 Der zahlenmäßige Anstieg der Architekturstudentin- nen während der Weimarer Republik schlägt sich auch beim Berufseinstieg nieder: Wir finden sie nun in nahezu allen Bereichen wie mit allen Tätigkeiten des Berufsfeldes befasst. Während immerhin ein Fünftel der Bauhausstudentinnen bei Studienbeginn bereits über einen berufsqualifizierenden Abschluss und damit über eine Erwerbsperspektive außerhalb der Architektur verfügte, hatte keine der Tessenow- diplomandinnen vor dem Studium eine Berufsausbil- dung abgeschlossen. Und während der Übergang vom Studium in den Be- ruf bei den Kollegen i.d.R. keine Irritationen im beruf- lichen und familiären Umfeld auslöst, stehen berufli- che und private Ambitionen von Architekturstudentin- nen der Weimarer Republik spätestens mit dem Er- werb der Berufsqualifikation zueinander in einem Spannungsverhältnis. Der Konflikt zwischen konkur- rierenden Rollenerwartungen, dessen Ursprung in der ungleichen Lastenverteilung privatisierter Reprodukti- onsarbeit zwischen den Geschlechtern liegt und mit dem die Studentinnen qua Geschlecht so existentiell wie ausnahmslos konfrontiert sind, bleibt in der Regel tabuisiert.205 Nur die wenigsten Architekturstudentin- nen sind jedoch bereit, die ausschließlich ihnen auf- gezwungene Entscheidung zwischen den konfligie- renden Rollen zu treffen. Die meisten möchten - wie ihre Kollegen auch - weder auf die angestrebte Be- rufstätigkeit verzichten noch allzu viele Kompromisse im Privatleben machen. So verwundert es kaum, dass die meisten Architekturstudentinnen gegen En- de ihres Studiums auf der Suche nach konfliktredu- zierenden Auswegen aus diesem Dilemma das Mo- dell der Kameradschaftsehe favorisieren. Diese neu- formulierte Vorstellung der heterosexuellen Paarbe- ziehungen stellt die Vereinbarkeit unterschiedlichster Ambitionen just zu einem Zeitpunkt in Aussicht, zu dem die Unvereinbarkeit professioneller Identitäten und familiärer Erwartungen aufzubrechen droht. Da- mit verbinden Tessenowstudentinnen die Hoffnung, eine akzeptable Konstellation in die Zeit nach dem Studium zu prolongieren. Für Bauhausstudentinnen bietet diese Option die Ausschicht darauf, eine ledig- lich propagierte Gleichberechtigung zumindest auf der privaten Ebene zu realisieren. Während Bauhausstudentinnen die Zeit ihres vom El- ternhaus bereits weitgehend losgelösten, wenn auch i.d.R. alimentierten Studiums als Experimentierfeld 202 Dreiviertel der Bauhausstudentinnen und der Hälfte der Tesse- nowstudentinnen stammen aus Familien, deren finanzieller Hin- tergrund die Wahl des Architekturstudiums auch ohne unmittel- bare Verwertungsperspektive im Berufsfeld erlaubte. 203 So wenn Eltern tatkräftig die Verheiratung förderten, dem Stu- dium als Berufsqualifikation der Tochter also weniger trauten als der traditionellen Versorgerehe. 204 Bonatz, 1950, S.138. An diesem Beispiel wird deutlich, welch hohe Aufmerksamkeit Ambitionen und Lebensstil der Architek- tentochter zuteil wird. - „Hochszeitsreise im Faltboot mit Zelt? Welche Verirrungen!“ brandmarkt Bonatz die eigenwillige Idee der Tochter, toleriert dennoch die abweichende Ausdrucksform, da alles ‘in geordneten Bahnen’ verläuft, der Status quo bürger- licher Geschlechterhierarchien nicht in Frage gestellt wird. 205 War in dem auf Ausgleich und Harmonie gerichteten Klima des Seminars Tessenow das Austragen jeglichen Konfliktes kaum denkbar, so wurden am Bauhaus Rollenverständnisse nur zu Beginn der zwanziger Jahre offen diskutiert. Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 207 nutzen, ihre privaten und beruflichen Interessen aus- balancieren, sind Tessenowstudentinnen, die in ihrer Studienzeit ebenfalls berufliche und private Interes- sen verfolgen, zumeist erst beim Berufseinstieg mit der Frage konkurrierender Ambitionen konfrontiert. Und während nur wenige Bauhausstudentinnen einen Einstieg ins Berufsfeld finden, manche in den zuvor erlernten Beruf, andere ins Elternhaus zurückkehren, kehrt kaum eine Tessenowstudentin ins Elternhaus zurück. Fast alle finden unmittelbar im Anschluss an das Diplom eine bezahlte Stellung als Architektin und damit erstmalig materielle Unabhängigkeit. Während also Bauhausstudentinnen häufig auch außerhalb der Architektur nach existenzsichernden Perspektiven su- chen, bereits bestehende Arbeits- und Lebensge- meinschaften in die Zeit nach dem Studium ‘verlän- gern’ und dabei manches Mal vermeintlich talentier- tere Partner alimentieren, suchen und finden Tesse- nowstudentinnen nach dem Studium eine die eigene Existenz sichernde Position innerhalb der Architektur, obschon auch etliche Tessenowdiplomandinnen ihren weiteren Berufsweg in Verbindung mit einem Kolle- gen als Lebensperspektive planen. Deutlich wurde, dass das restriktive Frauenbild im Nationalsozialismus misogynen Tendenzen innerhalb des Berufsstandes Vorschub leistete und sich damit auf die Etablierungsbedingungen von Architektinnen insgesamt verheerend auswirkte. Im Unterschied zum Berufsverbot für jüdische KollegInnen - wie im Ver- gleich zur Situation der Richterinnen - kann hinsicht- lich ‘arischer’ Architektinnen jedoch keinesfalls von einem ‘Berufsverbot während des Nationalsozialis- mus’ gesprochen werden. Auch die Nähe zum Bau- haus führte keineswegs zu einem Berufsverbot, so dass bspw. Wera Meyer-Waldecks Behauptung si- cherlich nicht zutrifft, dass sie „arbeitslos wegen Zu- gehörigkeit zum Bauhaus“ und ihr Diplom nur „einen Pfifferling wert“ gewesen sei.206 Mit der Retradierung männlicher wie weiblicher Rollen - der ideologischen Aufwertung der ‘Mutterpflichten’ - gerät allerdings je- de Erwerbstätigkeit von Frauen unter Legitimations- druck, steigen für Frauen die Schwellen beruflicher Selbständigkeit deutlich an. Da sich die Architektur- studentinnen der Weimarer Republik Anfang der drei- ßiger Jahre auch im ‘Reproduktionsalter’ befinden, mischen und überlagern sich private und politische Motive - insbesondere bei Verheirateten resp. Heira- tenden - in unterschiedlichster Weise. Deutlich wurde jedoch auch, dass der durch Rassenhass erzwunge- ne Exodus wie die Ermordung jüdischer KollegInnen für die Emanzipation von Architektinnen in Deutsch- land den entscheidenderen Einschnitt bedeutete. 206 BHA, LL Wera Meyer-Waldeck, 1950er Jahre, resp. Brief Meyer- Waldeck an Hannes Meyer vom 9.8.1947. DAM, NL Meyer II 4(10) 81/2-847 208 Ambitionen und Realitäten 8 Zum Einfluss der ‘Schulen’: Projekte, Bauten, Konzepte Vom Toilettenhäuschen bis zum Rundfunkge- bäude, vom Laubenganghaus bis zur Kirche: Bauten und Projekte im Laufe der Jahrzehnte (210) - Zeitgeist oder individuelles Statement? (245) - Zum Einfluss der ‘Schulen’ in der Archi- tektur: Bauhaus- und Tessenow-’Schülerin- nen’? (250) - Resümee (262) Was - und nicht zuletzt wie - planen, bauen und ge- stalten ehemalige Tessenow- und Bauhausstudentin- nen im Laufe ihrer Berufsleben? Welche Projekte re- alisieren sie wann? Bearbeiten sie Themen, die ihnen schon im Studium gestellt worden waren? Oder sind Tätigkeitsbereiche und Aufgabenstellungen vielmehr zeitgebunden? Lässt sich anhand dieser Entwürfe verifizieren, dass unterschiedliche ‘Schulen’ die Hal- tungen von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik nachhaltig bestimmen? Oder wird mit zu- nehmender Berufserfahrung ein wachsender Abstand zu den Lehrmeinungen sichtbar? Spiegeln sich in Bauten und Projekten deutlich identifizierbare Ausbil- dungsrichtungen oder vielmehr (unv)erkennbare Handschriften wider? Oder dominieren Zeitumstände und erkennbare BauherrInnenwünsche das Bild? Die im folgenden chronologisch genannten und, so- weit möglich, gezeigten und kontextualisierten Bau- ten und Projekte bieten sicher keinen vollständigen Überblick. Denn noch immer sind nur wenige Projek- te bekannt, konnte nur ein Bruchteil des Schaffens dieser Architektinnen überhaupt recherchiert werden. Von diesen recherchierten Projekten ließ sich wieder- um bisher nicht einmal die Hälfte dokumentieren. All- zu häufig wären weitere Recherchen notwendig, um Projekthinweisen nachzugehen, bisher nur namentlich bekannte Bauten nachzuweisen oder - trotz bspw. verschollener Bauakten - bereits zerstörte Gebäude zu dokumentieren. Und keinen geringeren Aufwand erfordert es, derart unzugängliches resp. in Archiven und Nachlässen irreführend oder fehlerhaft zugeord- netes Material über Umwege zu erschließen sowie in zahlreichen Einzelfällen Zuschreibungen und Wider- sprüche entsprechend detaillierten Überprüfungen zu unterziehen. Soweit dies im Rahmen dieser Untersu- chung gelang, sind die Ergebnisse dieser Überprü- fungen im folgenden dargestellt. Schon angesichts der Vielfalt von Themen, Projekten, Provenienzen, Orten und Beteiligten bleibt die folgende Zusammen- stellung zwangsläufig lückenhaft - worauf hier aus- drücklich hingewiesen wird. Anschließend werden Themen- und Projektschwer- punkte hinsichtlich der Zeitumstände resümiert. Kaum einer dieser Architektinnen war es vergönnt, im Sinne eines - mehr oder minder - kontinuierlichen Schaffensprozesses ein umfangreiches Lebenswerk in der Architektur zu erarbeiten. Dennoch lassen Bau- ten und Projekte aus unterschiedlichen Jahrzehnten durchaus Bewegung hinsichtlich architektonischer Haltungen erkennen. Und Arbeiten verschiedener Ar- chitektinnen können zu den Rahmenbedingungen ih- rer Entstehung vergleichend in Relation gesetzt wer- den. Anhand ausgewählter Projekte - insbesondere freiberuflich tätiger Architektinnen - kann dann die Frage der Ausbildungsprägung näher untersucht und diskutiert werden. Betrachten wir zunächst die Zeit- komponente1: Was entwerfen ehemalige Bauhaus- und Tessenow-Studentinnen in den zwanziger, drei- ßiger, vierziger, fünfziger, sechziger, siebziger und achtziger Jahren? Projekte, Bauten, Konzepte 209 1 Obschon in den zwanziger Jahren noch alle Tessenow-Studen- tinnen studieren. Lediglich von den vor der Jahrhundertwende geborenen ‘Wiener’ Studentinnen Tessenows lassen sich einzel- ne bereits im Berufsfeld nachweisen. So ist bspw. Else Nießen seit 1918 für das Hochbauamt Wien tätig, wo sie Wohnungs- bauprojekte bearbeitet wie die Siedlung „Auf der Schmelz” und die „Kriegersiedlung Aspern”. Und Grete Lihotzky arbeitet ab 1919 freiberuflich wie angestellt zunächst für die Siedlerbewe- gung in Wien, bevor sie ab 1926 (bis 1929) in der Typisierungs- abteilung des Hochbauamtes der Stadt Frankfurt tätig wird. Zu Nießen vgl. Biografie im Anhang, zu Lihotzky vgl. insbesondere Allmayer-Beck, et.al., 1993 resp. 1996. Vom Toilettenhäuschen bis zum Rundfunkgebäu- de - Vom Laubenganghaus bis zur Kirche: Bauten und Projekte im Laufe der Jahrzehnte. In den zwanziger Jahren finden wir die ersten Arbei- ten ehemaliger Bauhausstudentinnen. 1929 betreten auch die Tessenowdiplomandinnen Iwanka Waltscha- nowa und Fridel Schmidt das Berufsfeld. Insgesamt sind es jedoch nur wenige, die in diesem Jahrzehnt bereits berufstätig werden, so Tony Simon-Wolfskehl, Friedl Dicker, Ruth Hildegard Geyer-Raack, Dörte Helm, Hildegard Hesse, Jadwiga Jungnik, Mila Lede- rer, Ursula Schneider, Katt Both und Gerda Marx. Tony Simon-Wolfskehl wird um 1922 in Frankfurt am Main als freiberufliche Innenarchitektin tätig. Belegen lässt sich ihre Tätigkeit als Bühnenarchitektin am Neuen Theater ab Herbst 1921. Hier entwirft sie bis Anfang 1924 die Bühnenbilder für zumindest sechs Theaterstücke.2 Die Entwürfe - Zeichnungen, Foto- grafien oder Modelle sind nicht überliefert - finden je- doch in Kritiken mehrfach Erwähnung. Demnach be- steht bspw. ihr Bühnenbild für die Wedekindinszenie- rung aus einem „in zartes Frühlingsblau getauchten Mittelrahmen (..) mit nur plastisch andeutendem Büh- nenwerk“.3 Ab 1923 wird auch Friedl Dicker freiberuf- lich tätig. Bekannt sind manche ihrer Entwürfe für raumbildende Ausbauten, wie sie zwischen 1926 und 1931 in Wien entstehen. Für private, aber auch öffentliche und gewerbliche Auftraggeber entstehen so räumlich ausgetrickste Innenausstattungen wie der „Modesalon Lore Krisner” (1929), die Wohnungen Dr. Reisner (1929) und Moller (1931) und der Kinder- garten Goethehof (1930). Zunehmend nutzt Dicker aber auch die in Zusammenarbeit mit Franz Singer gebotenen Chancen, um ganze Gebäude, wie das „Tennisclubhaus Heller” und das „Gästehaus Heriot” zu realisieren.4 Aufgrund eines Wettbewerbserfolges wird 1925 Hil- degard Hesses Entwurf eines ‘Kleinst-Wochenend- hauses’ gebaut.5 2 Es handelt sich um „Der Barometermacher auf der Zauberinsel“, die Doppelaufführung von Molieres „Arzt wider Willen“ und Gol- donis „Diener zweier Herren“, die Uraufführung „Sirill am Wrack“ von Max Mohr, Wedekinds „Frühlingserwachen“ und Grillpar- zers „Weh dem, der lügt“. Zu den rekonstruierten Spielplänen dieses Boulevardtheaters vgl.: Siedhoff, Thomas: Das neue The- ater in Frankfurt am Main 1911-1935, Frankfurt/M., 1985. 3 Stadtarchiv Frankfurt/M. ,S3/N2519 „W.U.“, Frankfurter Zeitung, Nr.806, vom 30.10.1923. Die/derselbe KritikerIn spricht beim „Barometermacher“ von „phantasie- und farbenfrohen Umrah- mungsbilder[n] von Toni Simon-Wolfskehl (..), die ungefähr einen Begriff davon [gaben], wie expressionistisch und bunt es in ei- nem solchen Feenlande hergehen muß.“ Ibid. Nr.897, 2.12.1921 4 Zu den Projekten Dicker/Singer vgl. insbesondere Trauttmanns- dorff/Schromm, Wien, 1999 und Makarowa, Wien, 2001. 210 Zum Einfluss der Schulen „Kleinst-Wochenendhaus”, Ort unbekannt, 1925, Hildegard Hesse „Tennisclubhaus Dr. Heller”, Wien IIX, Dicker und Singer, 1928 „Gästehaus Heriot”, Aufgang Dachterrasse, Dicker und Singer, 1930 Inneneinrichtung Kindergarten Goethehof, Wien II, 1930, Dicker, Blick in die Kinderküchennische Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Ab Mitte der zwanziger Jahre werden mehrere aus- geführte Projekte von Ruth Hildegard Geyer-Raack publiziert. Sie ist, seit 1922 verheiratet, in Berlin als freiberufliche Innenraumgestalterin tätig, entwirft Ta- peten und Möbel und bemalt nach eigenen Entwür- fen Wände und Decken privater Häuser. 1930 zeich- net sie gemeinsam mit Elsa Fleischmann für die Ge- staltung der Ausstellung „Die gestaltende Frau“ bei Wertheim verantwortlich. Als künstlerische Leiterin organisiert sie die im folgenden Jahr in Köln stattfin- dende „Internationale Raumausstellung”. Neben Ent- würfen von u.a. Adolf Loos, Bruno Paul und ‘Le Cor- busier-Jeanneret-Perriand’ zeigt sie hier auch einen eigenen Entwurf, den „Wohn- und Schlafraum für die Dame“.6 Daneben ist sie mit Möbeln und Wandmale- reien 1931 auf der „Deutschen Bauausstellung” in Berlin präsent.7 In Zusammenarbeit mit dem Kölner Einrichtungshaus Schürmann entstehen Interieurs wie das oben abgebildete, die als „Meisterräume” in „Kunst und Innendekoration” vorgestellt werden. Im Unterschied dazu können die ab 1924 in Rostock entstandenen Innenraumentwürfe und Wandmalerei- en Dörte Helms - darunter ein Fries im neuerbauten Warnemünder Kurhaus - bisher ebenso wenig doku- mentiert werden wie die zeitgleich für die Firma Ville- roy & Boch entworfenen, keramischen Einrichtungen Jadwiga [Hedwig] Jungniks. In Magdeburg entwirft Mila [Hoffmann-]Lederer, die seit Ende 1926 künstle- rische Mitarbeiterin des dortigen Messe- und Hoch- bauamtes ist, Farbgestaltungen für neu entstehende Wohnsiedlungen sowie die Stadthalle. Ab 1929 wird sie in Berlin freiberuflich auch für Ausstellungen tätig. 1930 präsentiert sie „Mitteldeutschland” als raum- greifende Fotocollage, im folgenden Jahr zeichnet sie als Grafikerin für die Ausstellung „Licht, Luft und Sonne für alle“ verantwortlich. Ursula [Schneider-] Weiß, die bereits 1925 im Büro Gutkind an der Pla- nung von Wohnsiedlungen in Berlin und 1927 im Ate- lier Gropius mitgearbeitet hatte, lebt mit ihrer Familie in Berlin und arbeitet 1928 erneut im Siedlungsbau. Nun ist sie für die AHAG in der Bauleitung einer Sied- lung für die Leuna-Werke in Merseburg tätig. Und auch in Schneidemühl, wo Familie Sommerfeld ein Sägewerk betreibt, soll sie als Bauleiterin tätig ge- worden sein. 1929 nimmt sie am Wettbewerb „Eigen- haus der neuen Zeit, der neuen Welt” teil. Ihr - bisher unbekannter - Entwurf „XYZ” wird mit einem Ankauf prämiert.8 Das erste Projekt, an dem Kattina Both nach ihrem Abgang am Bauhaus sichtbar beteiligt ist, ist die bei 5 BHAB, Hesse-Kube 6 Vgl. Abb. S.261. 7 Ausstellungskatalog, 1931, S.12. Diese Abteilung wurde von ihrem früheren Lehrer Bruno Paul koordiniert. Auf dieser Aus- stellung wird das „Boarding-Haus” von Reich, aber auch das „Anbau-Haus” von Canthal gezeigt. Briggs stellt in der Abteilung „Das Bauwerk unserer Zeit” aus und Zwirn ist mit drei Lauben bei den landwirtschaftlichen Bauten vertreten. Zu den Publi- kationen Geyer-Raacks vgl. Quellen im Anhang der Biografie. 8 Velhagen & Klasings Monatshefte, 44.Jg., Sept. 1929, S.90 Projekte, Bauten, Konzepte 211 Blick in die Musterwohnung Nr.19, „Heim und Technik”, München,1928, Großbild-Collage „Mitteldeutschland”, 1928, Hoffmannlederer, Berlin „Meisterräume”, 1926, Ruth Hildegard Geyer-Raack resp. NachtnutzungMöblierung des Kinderzimmers für Tagesnutzung Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar der Ausstellung „Heim + Technik“ in München 1928 gezeigte Vier-Zimmer-Wohnung. Hier weist insbeson- dere die flexible Tag-/Nachtnutzung des Kinderzim- mers auf die neuen Ideen einer neuen Mitarbeiterin, die offensichtlich ein faible für ebenso leichte wie be- wegliche Stahlrohrmöbel hat. 1929 entwirft Both, nun in Zusammenarbeit mit Fred Forbát, ein Schlafzimmer für René Sommerfeld. Die- ses zeigt deutliche Parallelen zum Zimmer der Dame im Haus am Horn, das bereits 1924 - unter Zuschrei- bung an Marcel Breuer - publiziert wurde. Noch 1929 tritt Both jedoch in das Büro von Otto Haesler in Cel- le ein, wo sie - bis 1932 - für die Innenausbauten der Jugendherberge Müden und dem Aschrotthaus Kas- sel, sowie bei den Wohnsiedlungen Dammerstock (Karlsruhe), Rothenberg (Kassel) und Friedrich-Ebert (Rathenow) zuständig ist.9 Seit 1929 arbeitet auch Eva Fernbach freiberuflich in Berlin. Sie entwirft Möbel und Inneneinrichtungen für den eigenen Bedarf und private AuftraggeberInnen. Auf diese Weise entsteht u.a. die Einrichtung Thost.10 1930 erzielt Friedel Schmidt mit dem Entwurf eines „Wohnzimmers in Kiefernholz” beim Wettbewerb der Bauwelt „Die schöne Wohnung mit Möbeln aus deut- 9 Schumacher, Angela: Otto Haesler und der Wohnungsbau in der Weimarer Republik, Marburg, 1982 (Diss.) S.234. Schumacher führte in diesem Zusammenang am 4.1.1979 ein Gespräch mit Katt Both in Kassel. 10 Vgl. auch Svestka, Jiri (Hg.): Andor Weininger, Düsseldorf, 1990, S.61-63, S.120 und S.123 212 Zum Einfluss der Schulen Schreibtisch und Stuhl, um 1929, Kattina Both Damenzimmer vor 1930, Kattina Both im Büro Luckhardt und Anker Schlafzimmer für Rene Sommerfeld, Berlin/Lichterfelde, 1929Zimmer der Dame, Haus am Horn, Weimar, 1924 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar schem Holz” einen Ankauf.11 Ende 1930 beteiligt sich Gerda Marx-Niegeman - inzwischen im Büro Hopp und Lucas in Königsberg mit den Inneneinrichtungen eines Hotels und einer Schule befasst - gemeinsam mit ihrem Mann an dem Wettbewerb für den Neubau eines Theaters in Charkow. Sie nennen ihren Entwurf „Proletarier aller Länder vereinigt Euch”. Auch die ersten Projekte der ersten Tessenowdiplo- mandinnen - Waltschanowa, Blank, Koch, Karselt, Bonin und Eisenberg - lassen sich nicht immer doku- mentieren. Häufig sind sie nur dann überhaupt nach- weisbar, wenn sie freiberuflich entstanden. 1931 ent- wirft bspw. Helga Karselt das Haus Hampe, das 1932 auf dem Hoogenkamp 15 in Kampen auf Sylt errich- tet wird.12 Ebenfalls um 1931 kann Iwanka Waltscha- nowa im Dienst der Stadt Plowdiw eine städtische Parkanlage realisieren. Als freiberufliche Architektin baut sie ein Jahr später in der Nähe Plowdiws Einfa- milienhäuser und eine landwirtschaftliche Versuchs- station. 1932 ist Anni Pfeiffer bei der Ausführungpla- nung eines Kinos in der Onkel-Tom-Siedlung und der ‘Sommerfeld-Siedlung’ in Klein-Machnow beteiligt. Lore Enders entwirft Ende 1932 ein Ferienhaus mit acht Schlafzimmern, das aber nicht realisiert wird. 11 „25 preisgekrönte Zimmer”, Bauwelt Sonderheft, 10 und 11, 1933, S.17 resp. 20 12 Das Haus wechselt bereits Ende der dreißiger Jahre den Besit- zer. Es wurde 1995 abgerissen. Projekte, Bauten, Konzepte 213 „La Casa Grande”, Lore Enders, 1932. Wohnzimmer in Kiefernholz, 1930, Fridel Schmidt Blick ins Wohnzimmer der Wohnung am Breitenbachplatz, um 1929 Küchenzeile in der Wohnung Düsseldorfer Straße, um 1931 Wettbewerbsentwurf Theater Charkow, Niegemann-Marx, 1930 Schlafzimmer in der Wohnung Thost, Hamburg, 1929, Eva Fernbach „Haus Hampe”, Kampen, Helga Karselt, 1932, Aufnahme 90er JahreBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Demgegenüber kann Lieselotte von Bonin zwischen 1931 und 1936 etliche Projekte realisieren. Zunächst entsteht im Auftrag der Beamtensiedlungsgenossen- schaft Hennigsdorf - und in Zusammenarbeit mit Wil- helm von Gumberz-Rhonthal - eine Reihenhaussied- lung für Reichsbahnbeamte in der Mittelstraße.13 Die zwei Häuserzeilen mit je sieben, jeweils nur knapp 60qm großen Wohnungen entstehen zwischen Janu- ar 1932 und August 1933. Kurze Zeit später können Bonin / Gumberz im Auftrag der ‘Mivremia Heimwohl AG’ für einen Beamtenwohnungsbau etwas großzügi- gere Grundrisse entwerfen. Der bis zu sechsgeschos- sige Wohnblock in der Württembergallee im Berliner Westend wird im Frühjahr 1933 errichtet.14 In den folgenden drei Jahren realisieren sie zumin- dest acht Wohn- resp. Landhäuser für private Auf- traggeberInnen in und um Berlin. Zu den Bauten, an deren Entstehung Lieselotte von Bonin maßgeblich 13 ‘Eisenbahner-Siedlung’ in Berlin-Hennigsdorf, 1933, publiziert in: Die Form, 1933, S.346 - genannt in Haberlandt´s Bauten- nachweis 1932, Januar bis August 1933 (März / April S.23, Mai, S.24, Juni/Juli, S.27, Aug., S.26) 14 Wohnblock in Berlin-Westend, publiziert in: Die Form, 1933, S.346 - Berlin und seine Bauten, Bd.IV A 1970, S.279 - Haber- landt´s Bautennachweis, 1933 - III.Nachtrag April. 15 Beteiligung und Autorschaft wurden bei manch einem der ge- meinsamen Projekte Gegenstand juristischer Auseinanderset- zungen. Vgl. dazu Kap. 9, S.282. „Haus Ganghofer”, Haber- landt´s Bautennachweis, III. Nachtrag Juli 1935, Ibid., August, S.4 und Sept. S.6 - „Haus Schöller”, Ibid., Juli 1936, S.5 - „Haus Rathje” - Ibid., April 1936, II.Nachtrag vom 16.4.1936 - vgl. auch Berlin und seine Bauten IV C 1975, S.191, Nr. 1827. 214 Zum Einfluss der Schulen Aufnahme 1997, die Nrn. 9-10 b-c wurden beim Wiederaufbau verändert Beamtenwohnungsbau, Württembergallee 9-10, Berlin-Westend, 1933, v. Bonin / v. Gumberz, Aufnahme nach Baufertigstellung (oben) „Eisenbahner-Siedlung Hennigsdorf”, Mittelstraße ( heute: 17-31, 18-28), 1932, v. Bonin / v. Gumberz, Aufnahme 1932 (oben links) und 1997 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar beteiligt ist, zählen das Landhaus für ein kinderloses Ehepaar in Kladow, die 1935 fertiggestellten Häuser Ganghofer und Raumer im Westend, und - in Dahlem - das „Haus Rosen”, sowie die im folgenden Jahr realisierten Häuser Schöller und Rathje in der Johan- nesburger resp. in der Stallupöner Allee.16 Bereits 1935 wird das Landhaus in Kladow veröffent- licht.17 1937 lobt Herbert Hoffmann in der Sammlung „Ferienhäuser“ die sorgsame Planung und erläutert: „Bei diesem Ferienhaus in Kladow bei Berlin haben die Architekten W. von Gumberz-Rhonthal und L. von Bonin die vier Schlafräume, die Küche und den Vor- raum von drei Seiten her um den Hauptraum grup- piert“.17 Faktisch handelt es sich bei den ‘Schlafräu- men’ jedoch eher um eine Art Schlafwagenabteile, wie sie Marlene Moeschke-Poelzig bereits 1927 in ih- rem Wochenendhausentwurf verwendet hatte.18 Weit großzügiger ist das - 1942 ausgebombte - Haus in der Taubertstraße konzipiert, das 1935 „in der Nä- he der Straßenbahnendhaltestelle Hundekehle” für die Familie des Reichsinnenministers a.D. Hans von Raumer entstand. Wie eine der Töchter des Hauses erinnert, „war die bebaute Grundfläche 13m x 13m, also klein. Von außen war das Haus so einfach, daß es unattraktiv war, es war kein ’hübsches’ Haus." Dennoch sei der Gesamteindruck des „weit zurück- gelegen[en]” Gebäudes mit der davor gepflanzten Linde „ein sehr idyllischer” gewesen.19 „Für den Be- wohner ist ja am wichtigsten [der] Schnitt des Innen- raumes des Hauses (..) und darin war das Haus un- gemein gut gelungen. Zu ebener Erde waren Entré, Gästetoilette, Treppenaufgang zu den oberen Etagen und Zugang zu den Gesellschaftsräumen: Herrenzim- mer, Salon, Esszimmer (vom Salon durch eine Schie- betür getrennt), und Zugang zur Küche, Telefonzen- trale und Kellertreppe. In der ersten Etage befanden sich das Schlafzimmer meiner Schwester, meiner Mutter, meines Vaters, der Köchin und zwei Bade- zimmer. Im Dachgeschoß befand sich das Zimmer eines Stubenmädchens, ein Gästezimmer, mein Schlafzimmer mit Balkon und ein Badezimmer. Unter der Dachschräge waren Abstellräume. Anschließend 16 Bauwelt, 25.Jg., 1935, Heft 52, S.6 und 7 17 Hoffmann, Herbert: Ferienhäuser, Stuttgart, 1937, S.57. Hier wird von Bonin als Architektin letztmalig namentlich genannt. 18 Dieses häufig (unter der Zuschreibung an Hans Poelzig) publi- zierte Wochenendhaus entwarf und realisierte Moeschke-Poel- zig 1930 für ihre Mutter. Vgl. S.11, FN 81. Zu Zeichnung / Auf- nahmen vgl. bspw. Heuss, 1939, S.150. 19 Dr. Aurikel von Haimberger [geb. v. Raumer] Brief vom 6.2.1996 Projekte, Bauten, Konzepte 215 „Haus Raumer”, Berlin-Westend, Taubertstraße 26, 1935, v. Bonin / v. Gumberz, Gartenseite (oben) und Eingangsseite (unten), Grundriss Obergeschoss (oben) und Erdgeschoss (unten) Ferienhaus in Kladow, 1934, v. Bonin / v. Gumberz, Ansicht (oben), Grundriss und Schnitt (unten) Haus Rathje, Stallupöner Allee 53, 1935, Aufnahme 1997 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar an den Salon hatten wir eine große gedeckte Veran- da, umgeben vom Blumenmeer. Ihr Flachdach war ein großer Balkon vor den Schlafzimmern meiner El- tern. Im Keller, dessen Fenster über dem Erdboden lagen, der also hell war, befand sich noch ein Schlaf- zimmer und Bad für unser zweites Stubenmädchen nebst Räumlichkeiten wie Weinkeller, Waschküche, Raum zum Plätten und Nähen. Geheizt wurde das Haus wie üblich mit Zentralkohleheizung und wasser- gefüllten Radiatoren in den einzelnen Zimmern. Da es mit der Heißwasserheizung gekoppelt war, konnte man das ganze Jahr an kühlen Tagen die Heizung in den Zimmern andrehen (..) Wir mochten alle das Haus sehr gern.” 20 Der 1935 in der Bauwelt publizierte Entwurf des Hau- ses Rosen in Dahlem entstand für eine alleinwohnen- de Geschäftsfrau. In den Grundrissen fast analog zu Drostes „Haus für eine berufstätige Frau” konzipiert zeigt das schlichte, traufständige Häuschen in gestri- chenem Klinker in der Erscheinung jedoch auch An- klänge an Tessenows „Haus für die berufstätige Da- me”.21 Es besteht im Erdgeschoss aus Küche und Gästezimmer sowie - zum Garten orientiert - Wohn- und Esszimmer. Im Obergeschoss befindt sich neben einem großzügigen Schlafzimmer eine größere Diele, in der die Dame „Arbeit an Heimarbeiterinnen ver- teilt.” Im Keller befindet sich die Garage für den Kraftwagen. „Das Haus kostet schlüsselfertig 14 500 Mark.” 22 Seit 1931 arbeitet Gerda Niegeman[-Marx] in Magni- togorsk im Standargorprojekt. In diesem ehrgeizigen Wohnungsbauprojekt zeichnet sie „kilometerlange 20 Ibid., S.4 21 Vgl. Kap. 3, S.38-39. 22 Bauwelt, 25.Jg., Berlin, 1935, H.52, S. 2 23 Buttmann charakterisiert das Ensemble wie folgt: „Lüttenort ist architektonisch eine malerische Unordnung. (..) Beide Häuser, die später über den Wagen [Gepäckwagen der Berliner S-Bahn] gebaut wurden, haben wir entworfen, meine damalige Freundin Fridel Homann, auch Architektin und ich. Sie sind nach unseren Entwürfen gebaut worden, aber kaum waren sie fertig, hat Käptn (Otto Niemeyer-Holstein) immerzu dran herumgemurkst. Vor allem hat er Anbauten gemacht, die das ganze Ensemble zu einem Kuriosum werden ließen.“ Wiedergegeben von Achim Roscher in: Das Bilder-Leben und Bild-Erleben des Malers Otto Niemeyer-Holstein, Berlin, 1989, S.24f. 216 Zum Einfluss der Schulen Haus Rosen, Berlin-Dahlem, 1934, L. v. Bonin / W. v. Gumberz-Rhonthal, Gartenansicht von Südost, Lageplan und Grundrisse (links resp. rechts unten), Ansicht von Nordwest, Aufnahmen nach Fertigstellung Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Werkpläne” von Zeilenbauten, die von den Errungen- schaften industrialisierten Wohnungsbaus künden sollen. Aufgrund fehlender Vorfertigung müssen sie jedoch als konventionelle Mauerwerksbauten errich- tet und den Arbeitern mit Hilfe von Modellen im Maß- stab 1:10 erläutert werden. Ab 1933 macht Fridel Hohmann zusammen mit Karl Buttmann in Berlin Entwürfe für die Einsiedelei des Malers Otto Niemeyer-Holstein auf Usedom. Diese werden zwar realisiert, durch die Eigenwilligkeit des Bauherrn jedoch bald zu einem ‘Kuriosum’.23 1934 kann Anni Gunkel [geb. Pfeiffer] im Kasseler Flüsse- viertel ihren zweiten Entwurf „Haus für Frau Luise Schwerdtfeger”, ihre Patentante, realisieren. Den Bau überwacht sie selbst, obschon sie nun frisch verhei- ratet in Hamburg wohnt. Ebenfalls in Kassel beteiligt sich Katt Both mit - bisher nicht bekannten - Entwür- fen 1933 am Altstadt-Wettbewerb „Freiheiter Durch- bruch” und 1934 am Wettbewerb Paul-von-Hinden- burg-Jugendherberge Hannover.24 Im gleichen Jahr entwirft Ursula Weiß für die eigene Familie ein Haus mit Arztpraxis, das 1935 in der Bis- marckstraße in Berlin-Niederschönhausen realisiert wird.25 Im Kamillenweg in Berlin-Dahlem realisiert Helga Schuster [geb. Karselt] gemeinsam mit ihrem Mann spätestens 1934 ein Haus für die eigene Fami- lie. Nahezu zeitgleich entsteht als Wochenendhaus ein „Buon Retiro”, in dem „eine Dahlemer Familie” die „Ruhe, Schönheiten und Sportmöglichkeiten am Glienicker See” genießt.26 In New York entwerfen Hilde Reiss und Lila Ulrich, die sich seit 1933 ein Apartment teilen und zunächst als Entwerferinnen für Norman Bel Geddes, Gilbert 24 Stadarchiv Kassel, Kasseler Post vom 1.2.1934 25 Bismarckstraße 14, Heute Heinrich-Hesse-Straße, Aufnahme Straßenseite um 1935, NL Weiß 26 Ein „Buon Retiro” am Glienicker See bei Berlin, in: Deutsche Bauzeitung, 1934, H.36, S.709 Projekte, Bauten, Konzepte 217 Haus Schwerdtfeger, Kassel-Wilhelmshöhe, 1934, Anni Gunkel Haus Weiß, Berlin-Niederschönhausen, 1935, Ursula Weiß „Buon Retiro”, 1934, Helga Karselt und Ernst Schuster Gerda Niegeman vor dem Wohnungsmodell in Magnitogorsk, 1932 Einsiedelei für Annemarie und Otto Niemeyer-Holstein, Lüttenort, 1933, Eigenbau nach Vorschlägen von Fridel Hohmann und Karl Buttmann Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Rhode und Joseph Aronson tätig wurden, nun freibe- ruflich den Umbau eines Hauses in Brooklyn.27 Im März 1935 wird dieser - nicht realisierte - Entwurf in „Arts and Decoration“ veröffentlicht.28 Bereits in der Februarnummer dieser Zeitschrift war ein Neueinrich- tungsvorschlag für ein Apartment von Reiss / Ulrich unter dem Titel „Experiment in Change” erschienen.29 Die zeichnerische Präsentation der beiden erinnert stark an die von Bruno Taut zehn Jahre zuvor ge- wählte - auch innerhalb der CIAM populäre - Kontra- stierung von Bestand und Planung.30 Und auch Reiss und Ulrich stellen eine Transformation vor: Durch ei- ne Neuordnung der raumbestimmenden Flächen und Objekte sowie eine äußerst präzise Lichtführung er- zielen sie eine radikale Neuinterpretation der vorhan- denen Räume. Während Taut Altes durch Neues er- setzen möchte - seine Vorschläge des „Fettabschöp- fens” und der Bearbeitung vorhandener Objekte zu „glatten sauberen Möbeln“ ökonomisch kalkulierte Zugeständnisse auf dem Weg zu einem modernen Gesamtkunstwerk sind 31-, begreifen Reiss / Ulrich ihre Vorschläge sichtlich weniger als Bruch mit dem Vorhandenen denn als erlebbaren Unterschied sich 27 Über ihre Tätigkeit als angestellte Entwerferinnen lassen sich die Nachweise bisher kaum führen. Reiss entwarf jedoch bspw. um 1934 im Büro Rhode die Inneneinrichtung des Privatwagens für John Ringling North im Circuszug der Ringling Brothers. 28 „A Century Intervenes”, Arts and Decoration, März 1935, S.42ff. 29 Young, Grace A.: „Experiment in Change“, Arts and Decoration, Feb. 1935, S.4-11 30 Vgl. Kap.3, S.50 31 Taut, 1924, S.64. Um aus vorhandenen Möbeln „glatte, saubere Möbel“ zu machen, rät er zu neuen Anstrichen, nachdem die „Auswüchse“ dieses Mobiliars vom Tischler absägt wurden. 218 Zum Einfluss der Schulen Neueinrichtungsvorschlag Szold, Brooklyn / NYC, 1935, Reiss / Ulrich, Blick von oben auf Wohn- und Eßzimmer (links), Ausschnitte aus dem Artikel in Arts and Decoration, März 1935 Neueinrichtungsvorschlag für ein Apartment, New York City, 1935, Reiss / Ulrich, Axonometrie (links), Blick in den Wohnraum (rechts), Ausschnitte aus „Experiment in Change”, Arts and Decoration, Februar 1935 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar wandelnder Wahrnehmungen und Gebrauchswerte. Ebenso rational wie sensitiv belassen sie ausgewähl- te Stücke oder ganze Möbelgruppen des Bestandes in ihrer historischen Dimension und setzen sie im Kontrast mit neuen Möbeln resp. Räumen in mehr- schichtige Beziehungen. Dieser Mix aus strikter Re- duktion einerseits und komplexen Nutzungs- wie Be- deutungsangeboten andererseits verleiht den Entwür- fen - „der Theorie und Praxis der ModernistInnen” - ihre Überzeugungskraft, wie Grace A. Young anhand des „Experiment in Change“ ausführt: „It´s difficult to resist the theory and practice of the moderns, becau- se there is so much horse sense behind it. The most persuasive of all their tricks is the architectural treat- ment of light.“ 32 Reiss erinnert, in dieser Zeit für Frances M. Pollak die linksseitig unten abgebildete Neueinrichtung entwor- fen zu haben.33 Dabei handelt es sich, einer Referenz- liste aus dem Jahre 1937 zufolge, um ein Apartment in der Park Avenue.34 Um 1937 kann Ulrich den Rena Rosenthal Shop auf der 5th Avenue neu einrichten.35 Reiss betreibt nun zusammen mit William Friedman, einem Kollegen an der Laboratory School, in der Lexington Avenue 415 ein Büro, sie firmieren als „Industrial Designers”. In dieser Konstellation ent- steht 1938 die unten abgebildete Inneneinrichtung ei- ner Drei-Zimmer-Wohnung, die als ‘Junggesellen- wohnung’ unter dem Titel „Departure from the Conventional“ im Februar 1939 veröffentlicht wird.36 Bereits 1937 entwerfen sie das Haus Stein, das - zu- nächst als Wochenendhaus geplant - für Anita und Robert Stein, einen aus den Niederlanden stammen- den New Yorker Geschäftsmann, auf einem großzügi- gen Waldgrundstück in Pleasantville, ca. 30 Kilome- ter nördlich von Manhattan bis Ende 1938 errichtet wird. Anita Stein studierte zeitweilig Innenarchitektur. Ob sie dabei Reiss kennenlernte, die ab dem Früh- jahr 1936 just dieses Fach an der Laboratory School, ab dem Frühjahr 1938 auch an der New School of Social Research unterrichtete, bleibt unklar.37 Als sich während der Planung Nachwuchs ankündigt, wird das Haus, dessen Realisierung sich aufgrund schwie- riger Bodenverhältnisse verzögert, als Hauptwohnsitz der Familie umgeplant. Im März 1939 wird es im „Architectural Record” vorgestellt.38 32 Young, Grace A.: „Experiment in Change“, Arts and Decoration, Feb. 1935, S.4 33 Hilde Reiss im Gespräch am 4.10.1998 34 Laut der von Robert Stein angeforderten Referenzliste aus dem Jahre 1937 handelt es sich um den Umbau eines in der Park Ave. Nr. 1185 gelegenen Apartments. Diese Neueinrichtung lässt sich bisher nicht dokumentieren. Auf derselben Liste wer- den auch zwei Inneneinrichtungen für Arztpraxen aufgeführt, von denen Teile der Praxis Menaker noch existieren. Dennoch enthält diese Liste - lt. Reiss - auch ‘erfundene’ Projekte, so ei- nen nicht-existenten „Candy-Shop in Chicago”. 35 Zum Rosenthal-Shop vgl. Abbildung S.268 - Zeichnungen die- ser Planung haben sich im NL Koppelman nicht erhalten. 36 „Departure from the Conventional“ in: Interior Design and De- coration, Februar 1939, S.30-35 37 Nach Reiss´ Erinnerungen handelte es sich dabei um eine Woh- nung, in der auch gearbeitet wurde. 38 Ob der Auftrag hierdurch zustande kommt, bleibt unklar. Ab 1936 unterrichtet Reiss ‘Interior’ an der Laboratory School of Design, ab Frühjahr 1938 eben dieses Fach auch an der New School of Social Research. Die Laboratory School of Industrial Design war im Rahmen des ‘Works Progress Administration- (WPA)-Program’ 1935 gegründet worden. Vgl. „Two new Schools of Industrial Design open“ in: Architectural Forum, Ok- tober 1937, S.41, „Design Laboratory“ in: Design, Nr.39, No- vember 1937, H.7. Vorlesungsverzeichnisse der New School. 38 „Plywood and Fieldstone Walls are used in same House”, in: Architectural Record, März 1939, S.44-48 Projekte, Bauten, Konzepte 219 Apartment für einen Junggesellen, New York, 1938, Reiss / Friedman, Grundriss (unten) und Blicke in den Wohnraum Haus Stein, 1939, Reiss / Friedman, Ansicht von (Ost-)Südosten Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Das auf einem 12 ha großen Waldgrundstück errich- tete Haus öffnet sich nach drei Seiten. Die 60 cm stark gemauerte Natursteinwand aus örtlich vorhan- denen Bruchsteinen - gegen den vorherrschenden Nordwind der Leichtbaukonstruktion vorgeblendet - steht im Kontrast zu der minimierten Hülle aus indu- striell gefertigten Sandwichplatten und übernimmt auch aussteifende Funktion.39 Die Räume laufen in den Aufenthaltsbereichen durch, die Küche kann ggf. geschlossen werden. Bad und Schlafzimmer sind durch einen Höhensprung als private Rückzugsräume gekennzeichnet. Und die großzügige, von Osten wie von Westen besonnte Veranda bietet ganzjährig die Möglichkeit ‘’fast’ im Freien zu frühstücken. Dieses Haus steht auch heute noch quasi mitten im Wald. Es bot mit dieser Abgeschiedenheit nicht nur alle idealtypischen Voraussetzungen für die großstäd- tische Sehnsucht nach einem Leben inmitten der Na- tur, sondern durch seine Lage knapp unterhalb des höchsten Niveaus auch eine überragende Fernsicht. Bereits während der Studienzeit konnte Szuszanna Bánki in ihrer Heimatstadt Györ für ein befreundetes Arzt-Ehepaar eine Inneneinrichtung realisieren.40 Nachdem sie ebendort 1936 ein eigenes Büro ge- gründet hat, realisiert sie für die örtliche Kaufmann- schaft einen Festpavillon, den ‘Lloydbal’. Bisher lässt sich dieses Projekt - wie alle architektonischen Ent- würfe Bánkis - jedoch nicht dokumentieren.41 39 Eine ganz ähnliche „Kombination von künstlichem und natürli- chem Baumaterial“ setzt Hans Fischli zehn Jahre später beim Bau des oberitalienischen Kinderdorfes La Rasa ein. Vgl. Kin- derdorf Varese, 1949-50 in: Jost, Karl : Hans Fischli, Zürich, 1992, S.121ff. Dieses „besticht” - so Josts Kommentar - „durch die Kontrastierung von Bruchsteinmauern und Betonelementen.“ 40 lnneneinrichtung Böszi Kardos (Ärztin) und Imre, Brief Olga Ar- pasi an Ödön Bánki vom 1.10.1932 - unklar ob Privat- oder Praxiseinrichtung. ich danke Esther Bánki für diesen Hinweis. 41 Vgl. Biografie 220 Zum Einfluss der Schulen „House Stein”, Pleasantville, NY, 1937, Reiss / Friedman, Ansicht Ostseite und gen Osten (oben links), Grundriss Erdgeschoss (unten) sowie Aufnahmen von der Baustelle (links) Blick aus dem Wohnzimmer Richtung Eßzimmer / Veranda Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Seit 1935 lebt Lotte Beese, die 1933 im Standardgor- projekt in Moskau gearbeitet und 1934 im Rahmen des Sotsgorod-Projektes für Balchas Schemen städ- tebaulicher Dichte entworfen hatte, in Amsterdam. Monatelang hatte sie Quartiere - wie das nebenste- hend abgebildete - entworfen: eine Art städtebauli- ches Modulsystem, bei dem mehrgeschossige Woh- nungsbauten im Zeilenbau mit öffentlichen Flächen und Gebäuden immer wieder neu kombiniert werden, beteiligt sie sich nun freiberuflich - und zusammen mit Kollegen aus ‘De 8’ - an Architekturwettbewer- ben, darunter 1936 an dem für einen Rathausneubau in Amsterdam. Gemeinsam mit Stam entwickelt sie 1937 einen Pavillon für die New Yorker Weltausstel- lung, 1939 einen „Pavillon für die Verkehrsausstellung in Köln” und 1941 ein Krematorium für Den Haag.42 1937 kann sie in Zusammenarbeit mit Mart Stam und Willem van Tijen in Amsterdam-Zuid die „Drive-in- Wohnungen” realisieren. Diese werden im Juni 1937 als „5 Herenhuizen - licht, lucht, zon, hygiene, kom- fort“ in „De 8 en opbouw“ präsentiert.43 Im Juli er- scheinen sie dort erneut, nun als „Vijf nieuwe wonin- gen“.44 Huig Aart Maaskant betont in seinem Artikel, dass der Neubau von Wohnungen auch in ökonomi- schen Krisenzeiten gerechtfertigt sei, wenn diese mo- derne, bisher nicht befriedigte Bedürfnisse berück- sichtigten. Hier geht es jedoch nicht um Licht, Luft und Sonne für untere Einkommensschichten - ein Anspruch, dem sich auch ‘de 8’ verpflichtet fühlen - sondern um „Komfort”. Der Clou, dem die Häuser auch den Namen ’drive-in’ verdanken, ist eine ebenerdig eingeschobene Gara- ge, die - wie Maaskant bemerkt - „in unserer Zeit für diese Häuserkategorie tatsächlich etwas Unverzicht- bares ist“, zumal Nicht-Autobesitzer diese als groß- zügigen Fahrradabstell- oder Arbeitsraum nutzen könnten.45 So zweifelhaft dieser Vorschlag bleibt, die 42 Vgl. zu „fini” (eervolle vermelding): de 8 en opbouw, 12.Jg. 1941. H.2, S.16. Für Rümmele steht die alleinige Autorschaft auch oh-ne Nachweis offenbar zweifelsfrei fest: „Der New Yorker Pavillon zählt zu den großartigsten Projekten von Mart Stam.“ Rümmele, Simone: Mart Stam, Zürich, 1991, S.51 43 „5 Herenhuizen - licht, lucht, zon, hygiene, komfort” in: De 8 en opbouw, 8.Jg. Nr.12, 19.6.1937, S.116-121 44 Autor nicht genannt, evt. ebenfalls H.A. Maaskant „Vijf nieuwe woningen door de architecten van Tijen, Stam en Beese“, in: De 8 en opbouw, 8.Jg, Heft 13, 3.7.1937, S.116 ff. 45 Dieser Vorschlag überzeugt nicht unbedingt, ist die Garage doch als unbelichteter Raum vorgesehen. „In Amsterdam stehen hunderte Autos Tag und Nacht auf der Straße, da in den Wohn- gebieten keine Garagen sind und der Eigner seinen Wagen doch unmittelbar zur Hand haben möchte.“ - Dieses Dilemma wird durch eine Collage „in Regen und Wind“ leidender Pkws pla- stisch illustriert. Ibid., S. 117. Projekte, Bauten, Konzepte 221 Wettbewerbsentwurf für einen Rathausneubau Amsterdam, 1936, Beese, Stam, van Tijen, Maaskant, Ansicht und Axonometrie (oben) „fini”, Krematorium, Den Haag, 1941, Wettbewerbsbeitrag, Beese / Stam Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Garage bleibt der hervorstechende funktionale Mehr- wert einer um alle repräsentativen Attributive beraub- ten Reihenhauskonzeption, die 1937 für bürgerliche Kreise in Amsterdam sehr gewöhnungsbedürftig ist. Da die Erdgeschosszone dieser aufgrund des Stra- ßenverlaufs Nord-Süd-orientierte Häuserzeile neben den Garagen nur noch die Eingangshalle, die haus- technischen Versorgungsbereiche und eine Garten- kammer vorsieht, wandert die Wohnebene in das er- ste Obergeschoss und wird beidseitig mit Zugängen ins Freie versehen. Die großzügige Behandlung die- ser Wohnebene in der Fassade erinnert an die ‘belle etáge’, die - mit außerordentlicher Raumhöhe - auch in der Tradition des Amsterdamer Bürgerhauses in der Regel durch eine Außentreppe nur um ein halbes Geschoss erhöht liegt. Eine besondere Raumhöhe ist hier nicht vorgesehen. Durch die Schattenwirkung der über die gesamte Schottenbreite durchlaufenden Balkone erscheinen die Höhen des 1. und 2. Oberge- schosses in der Straßenfassade betont. Die Häuser zeugen im Inneren von einer Begeisterung für größt- mögliche - dem öffentlichen Blick enthobene - Trans- parenz und großzügiger Reduktion in Kombination mit optimierter Handhabung. Die Küche ist als Haus- arbeitsraum konzipiert und mit einem Abfallentsor- gungsschacht ausgestattet. Hier sind Einflüsse der ‘Frankfurter Küche’ sichtbar, bis hin zur Anordnung der Vorratsschütten. Die Lust an der Optimierbarkeit des Alltäglichen gipfelt in einem Waschbecken, das - da wegklappbar - auch hinter Türen installiert wer- den kann und in einem eigenen Artikel gewürdigt wird.46 Pflanzkästen vor und über dem Eingang refer- rieren nurmehr auf einen Vorgarten. Wie aber lässt sich Lotte Beeses Anteil an Konzepti- on und Entwurf dieser Häuser bestimmen? Bei die- sem Projekt fehlt jeder ‘lückenlose Nachweis’, wes- halb die bisherige Rezeption i.d.R. gängigen Mustern folgt, Stam und/oder van Tijen als Entwerfer, Beese - i.S. hierarchisch organisierter Architekturproduktion - bestenfalls an dritter Stelle resp. als Mitarbeiterin nennt. Aus Briefwechseln im Nachlass geht zunächst nur hervor, dass Beese - hinsichtlich der Innenaus- stattung - die Korrespondenz mit etlichen deutschen Firmen führte. Angesichts fehlender architektonischer Studienarbeiten Beeses aus der Zeit am Bauhaus, scheint es Jeroen Schilt und Herman Selier „unwahr- scheinlich, aber nicht ausgeschlossen“, dass sie ei- genen Angaben zufolge die Lehrerwohnungen der ADGB-Bundesschule entworfen haben will.47 Diese zweigeschossigen Reihenhäuser in gestaffelter Hanglage wurden 1930 in Bernau gebaut. Sie sind als winkelförmige Grundrisse um einen - nur indirekt belichteten - mittigen Erschließungskern als klar geo- metrische, annähernd gleichgroße Räume konzipiert. Nur bei den jeweils im Süden gelegenen Wohn- und Essräumen ist eine Koppelung über eine doppelflüge- lige Tür vorgesehen. Erlaubt die Staffelung hier eine Orientierung der Wohnungen nach drei Himmelsrich- tungen, so bleiben in der Häuserzeile an der Antonie- van-Dijkstraat nur Öffnungen in zwei Richtungen von je 5 Metern Breite. Bereits im Rahmen der Werkbundausstellung am Weißenhof in Stuttgart 1927 konnte Mart Stam drei Einfamilienhäuser als Reihenhäuser im Zeilenbau re- alisieren. Zweigeschossig mit rückwärtig nutzbarem Souterraingeschoss konzipierte er Wohnungen für ei- ne Familie mit zwei Kindern und Haushaltshilfe. Die- se auf einer Schottenbreite von 7 Metern entwickel- ten Grundrisse zeigen sich nicht ganz so modern wie die über Häusergrenzen hinweg entwickelten Fassa- den mit ihren ‘durchlaufenden’ Fensterbändern in stehenden Formaten. Simone Rümmele kommt in 222 Zum Einfluss der Schulen Lehrerwohnungen am Hang, ADGB, Bernau, 1930, Grundrisse „Drive-in-Wohnungen”, Amsterdam, Antonie-van-Dijk-Straat, Beese, Stam, v. Tijen, 1937, Grundrisse „Drive-in-Wohnungen”, Eingang mit Windfang Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ihrer Monografie über Stam zu dem Schluss, dass dieser hier das Thema der fließenden Räume zele- briere, obschon die Mädchenkammer „sehr kleinlich“ sei.4 8 Auch der freie Treppenabgang aus dem Wohn- bereich zu dem darunterliegenden Arbeitszimmer resp. dem Gartenausgang ist kaum ausgereift. Und angesichts der entlang der Fassaden geführten Trep- pen ergeben sich im Kernbereich der Wohnungen disponible (Verkehrs-)Flächen, die allerdings qua Raumqualität kaum überzeugen. Auch deren Nut- zung, dies wird angesichts der von Stam vorgeschla- genen Möblierung deutlich sichtbar, scheint ebenso fragwürdig wie die nur indirekt belichtete Mädchen- kammer. Allerdings handelt es sich bei diesem Bau auch um Stams Erstlingswerk. Ebenfalls als dreigeschossigen Zeilenbau realisiert Gerrit Rietveld fünf Jahre später bei der Werkbund- siedlung in Wien-Lainz vier - von ursprünglich fünf geplanten - Einfamilienhäusern. Das Projekt wird in „De 8 en opbouw“ publiziert.49 Beese und Stam kann- ten es jedoch sicherlich auch in realiter. Auch Riet- veld entwickelt, bei deutlich geringerer Breite, seinen Wohnungsgrundriss in die Tiefe.50 Und trotz klarer Grundrissdisposition sieht er „kurze Treppchen“ vor, die „merkwürdige Niveauunterschiede zwischen an- einanderstoßenden Räumen“ ausgleichen, wie Walter Dexel 1932 anmerkt.51 Mit Hilfe eines solchen Trepp- chens hebt Rietveld die Erdgeschosse aus den Vor- gärten. Eine ähnlich spielerische Differenzierung bei strikt geometrischer Fassadengliederung spiegelt die Konzeption nach außen. 46 Ibid., S.121-122 47 Selier / Schilt, 1993, S.13 - Auf der Rückseite eines Fotos in ih- rem Nachlass hat sie dies handschriftlich vermerkt. 48 Rümmele, 1991, S.89 49 De 8 en opbouw, 3.Jg. Heft 15, 21.7.1931 50 Rietvelds Häuser sind auf einer lichten Breite von 5 Metern 8 Meter tief, somit um mehr als ein Drittel kleiner als die von Stam 1927 geplanten Flächen. Vgl. Rodijk, G.H.: De huizen van Rietveld, Zwolle, 1991, S.34 51 Dexel, Walter: Der neue Mensch und das neue Haus, in: Neue Freie Presse, Wien, 15.6.1932 Projekte, Bauten, Konzepte 223 „Drive-in-Wohnungen”, Straßenansicht Ansicht der Gartenseite Reihenhäuser Werkbundausstellung Stuttgart 1927, Stam, Straßenansicht Gartenansicht Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Erd- und Obergeschosse werden auf der Eingangs- seite in einer seriellen Fassade zusammengefasst. Durchlaufende Balkonbänder, auf denen das Dach- geschoss als Atelierebene ruht, lassen Fassade wie Traufkante zurückgesetzt erscheinen und entziehen diesen zusätzlichen, südorientierten Freibereich den Blicken von PassantInnen. Die Drive-in-Wohnungen zeigen allzu deutliche Paral- lelen zu diesen Rietveldschen Reihenhäusern - trotz anderthalbfacher Grundfläche und dem zusätzlichen, quasi untergeschobenen Geschoss. Bei den Fassa- den wie auch in den Grundrissen, ja bis in Details - wie den transparenten Schotten im Dachgeschoss - knüpft dieses Projekt nahezu fließend an Rietvelds Häuser an. Angesichts dieser deutlichen Referenz lassen sich die Häuser an der Antonie-van-Dijk-Straat als Weiterentwicklung eines Rietveldschen Ansatzes interpretieren. Sie lassen sich hingegen weder in eine direkte Linie mit den Lehrerwohnungen in Bernau stellen, noch können sie als eindeutige Handschrift Stams oder van Tijens gelesen werden. Beide verfol- gen diese Ansätze auch nicht erkennbar weiter. 1939 unternimmt Lotte Stam-Beese 1939 zwei Versuche, die Qualitäten dieser Grundrisse auf das minimalisier- te Geschosswohnen zu übertragen. Als der Projektentwickler van Saane 1939 in Amster- dam 1939 ein Gebäude für berufstätige Frauen als privatfinanzierten Wohnungsbau realisieren möchte, entwirft Stam-Beese ein Apartmenthaus.52 Bereits 1937 erhielt Margaret Staal-Kropholler von den Sor- optimists den Auftrag, für berufstätige Frauen mit geringem Einkommen ein Apartmenthaus zu konzi- pieren.53 Lotte Stam-Beese könnte diesen Entwurf gekannt haben, ihre Konzeption zeigt in den Grund- rissen deutliche Parallelen. Auch Beese reiht drei Grundrissvarianten - überwiegend Einzimmer-Apart- ments - entlang der acht übereinanderliegenden Lau- bengänge. Die minimierten Küchen sind zum Lauben- gang orientiert. Die durch Freisitze und Pflanzbecken gegliederte Ostfassade steht parallel zur angrenzen- den Kade. Hier befinden sich die Wohnbereiche. Durch Gemeinschaftsräume im Erdgeschoss wird die Infrastruktur der Wohnungen ergänzt. Ein zweige- schossiger Block vor dem Riegel fasst die Eingangs- zone und nimmt neben einem Geschäft Räume für eine Concierge und eine Direktorin auf. So sichtbar die einzelnen Apartments im Hinblick auf die Höhe der Mieten minimiert wurden, die einhüftige Anlage bleibt qua Wirtschaftlichkeit hinter gängigen Wohn- blocks zurück, gewährleistet für jedes Apartment je- doch Querlüftung und Ausblick auf die Kade. Ebenfalls 1939 lobt die Architektenvereinigung ‘de 8’ einen Wettbewerb für eine ‘Volkswohnung’ aus: eine Etagenwohnung für „eine Familie mit Baby, zwei Jun- gen und einem Mädchen”.54 Angesichts von 30 Ein- sendungen werden von einer Jury ein Preis und drei Ankäufe vergeben. Es gewinnt der Entwurf von Gerda Niegemann-Marx und Johan Niegeman, ein Ankauf geht an den Entwurf von Lotte Stam-Beese.55 Fassa- denentwürfe zu diesen Wettbewerbsbeiträgen sind nicht bekannt. Die Entwürfe von Marx-Niegemann und Stam-Beese sind jeweils als Zweispänner mit vier Zimmern konzi- piert. „Eo“ ist in die Breite (11.20m), Beeses Entwurf - wie bei den Drive-in-Flats - in die Gebäudetiefe (von 11.70m) entwickelt. Letztere unterteilt die auf 9-Me- ter-Achsen gestellten Schottenwände in zwei resp. drei Räume und schiebt an beiden Fassaden jeweils Balkone ein. Auch Marx und Niegeman sehen bei 8 Metern Gebäudetiefe jeweils an beiden Fassaden Freiräume vor: Einen minimierten Küchenbalkon und einen Laubengang, der die Wohnung sowohl über das Wohnzimmer wie über die Küche erschliesst. In beiden Grundrissen ist jeweils eine Arbeitsküche vor- gesehen, die im Entwurf „Eo“ direkt an den Duschbe- reich grenzt. Beese sieht ein innenliegendes Bad mit 224 Zum Einfluss der Schulen Reihenhäuser auf der Werkbundsiedlung Wien-Lainz, 1932, Gerrit Rietveld, Straßenansicht Gartenansicht (oben) und Grundrisse (rechte Seite) Grundrisse Stam, Weissenhofsiedlung, 1927 Grundrisse Rietveld Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Wanne vor und nutzt die Kernbereiche als mehrseitig zugängliche Schrankzone. Ihr Entwurf für die Volks- wohnung zeigt durchaus Parallelen zu den Drive-in- Wohnungen. Im Unterschied zu diesen müssen bei der Volkswohnung allerdings sechs Personen auf ei- ner nur etwa halb so großen Fläche beherbergt wer- den. Angesichts dieser Begrenzungen machen Marx- Niegeman diese Dimensionen in der Wohnung wahr- nehmbar: Ihr Wohnbereich erstreckt sich über die ge- samte Gebäudetiefe. In beiden Fällen ist die Erschlie- ßung soweit ins Gebäude verlegt, dass die Wohnbe- reiche mittig erreicht werden. Begehbare Wand- schränke und optimierte Einbauschrankbereiche ge- hören hier ebenso zum Standard wie eine Badewan- ne und ein eigenständiger Küchenarbeitstisch. Im Marx/Niegemann-Entwurf sind die Anschlüsse strikt flächig konzipiert, die Wandscheiben bis an die durchgängigen Fensterbänder gezogen. Demgegen- über scheint der Entwurf Beeses mit seinen ‘Winkel- ecken’ noch fast ‘in Mauerwerk gedacht’ worden zu sein, vergleichbar den Drive-in-Häusern. 52 NAI,NL Beese 75. Mappe Woongebouw voor werkende vrou- wen. Der Auftrag geht schließlich an das Büro Pot-Keegstra. Der „Oranjehof” wird bis 1942 realisiert. Schilt / Selier (S.22) können die Umstände, unter denen 1939 der „erste selbständige“ Ent- wurf Stam-Beeses entstanden sei nicht genauer rekonstruieren, vermuten aber, dass das Projekt „das Leben Stam-Beeses ver- ändert haben dürfte, wenn es ausgeführt worden wäre.“ Ibid. 53 Vgl. Kessel / Kuperus, 1986, S.77ff. Schlussendlich wird dieser Auftrag erst 1961 - und als das letzte Projekt Staal-Krophollers - als „Louise-Went-Huis” an der Wibautstraße realisiert. 54 Bereits 1936 schrieb die Gemeinde Amsterdam einen Wettbe- werb für „die gute, preiswerte Arbeiterwohnung” aus. Hieran scheinen sich Stam-Beese und Stam nicht beteiligt zu haben. 55 Die Jury besteht aus C.v. Eesteren, J.L. Flipse und Frau A. van Blitz-Bonn - als Vertreterin der Hausfrauenverbände. Weitere Ankäufe gehen an einen Entwurf von Rietveld, sowie einen von van Tijen und Maaskant. Auch diese Entwürfe werden bei der Ausstellung im Stedelijk Museum 1941 ausgestellt - vgl. „In Holland staat een Huis“, in: De 8 en opbouw, 12.Jg. H.2, 1941, S.16 Projekte, Bauten, Konzepte 225 Wettbewerb „Wohnung für eine Familie mit Baby, zwei Jungen und einem Mädchen”, 1939, Grundriss, Lotte Stam-Beese (links) und Grundriss Marx-Niegeman / Niegeman (rechts) „Apartmenthuis für berufstätige Frauen”, Amsterdam, 1939, Stam-Beese, Eingangs- und Normalgeschoss (oben), sowie Schnitt (oben rechts) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Quasi zeitgleich realisiert Annamarie Wilke, seit 1933 angestellt wie auch freiberuflich in Berlin tätig, Aus- stellungen für die Vereinigten Lausitzer Glaswerke in Weiswasser, gegen Ende der dreißiger Jahre auch Einfamilienhäuser für private Auftraggeber. Das 1933 für Herrn Adelberger in Lübeck entworfene Haus bleibt jedoch ebenso unrealisiert wie das 1936 für Trude Schulze entworfene Haus am Mellensee. Un- bekannt ist, ob der aus dem Jahr 1935 datierende Entwurf für ein Haus in Berlin-Zehlendorf umgesetzt wird. Als privates Ferienhaus entsteht 1937 in Vitte auf Hiddensee jedoch das Haus Haertel. Im gleichen Jahr stattet Wilke - erneut für die VLG - den Deut- schen Pavillon auf der Weltausstellung in Paris aus. Seit Frühjahr 1936 entwirft Ewa Freise in der Hoch- baubteilung des Luftwaffenministeriums in Berlin Unterkünfte für Flieger. Hier tritt Ende 1937 auch Kla- ra Brobecker ein. Auch sie plant hier Mannschaftsun- terkünfte. Ähnliche Aufgabenstellungen dürfte auch Sigrid Rauter bearbeitet haben, zumal sie hier bereits längere Zeit arbeitet.56 Gertraude Engels, die 1936 zu- nächst im Dienste der Deutschen Forschungsge- meinschaft Bauaufnahmen historischer Bauten in der Mark Brandenburg durchgeführt hatte, wechselt zu diesem Zeitpunkt in die Preußische Bau- und Finanz- direktion. Hier ist sie als Bauleiterin für mehrere Neu- bauten der Charité verantwortlich, darunter den Bau eines Operationssaales für Ferdinand Sauerbruch. Lieselotte von Mendelssohn [geb. von Bonin] kann in der Herthastraße in Berlin-Grunewald 1937 ein Haus für die eigene Familie bauen. 226 Zum Einfluss der Schulen „Haus Mendelssohn”, Berlin-Grunewald, 1937, Ansicht von Süden und Grundriss (unten) „Haus Haertel”, Vitte, Annemarie Wilke, 1937 1937, Annemarie Wilke, Gartenansicht und Erdgeschossgrundriss Präsentation der VLG im Grassi-Museum Leipzig, 1938 (oben) und bei der Weltausstellung in Paris, 1937, Annemarie Wilke Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Seit Ende 1935 arbeitet Annemarie Wimmer bei den Reichsautobahnen Berlin, 1937 wird hier auch Wera Meyer-Waldeck tätig. Wimmer entwirft - quasi neben- beruflich - 1937 Musterräume für eine Wanderaus- stellung des Reichsmütterdienstes. Meyer-Waldeck wechselt noch vor Kriegsbeginn in die Reichsbahn- baudirektion Berlin, wo sie nach eigenen Angaben „Triebwagenwerke und Bahnhofsbau“ auch „ent- wurfsmäßig” bearbeitet.57 In der Hochbauabteilung der Reichspost entwirft und realisiert Christa Dirxen um 1937 ein Bootshaus für Frau [Postminister] Ohnesorge „an einem See nord- östlich von Berlin”.58 1939 ist sie an einer Siedlung in Malchow beteiligt. Bei der Reichspost ist 1937 auch Gisela Schneider tätig, Angaben zu den von ihr vor 1942 bearbeiteten Projekten lassen sich bisher nicht finden. Johanna Tönnesmann arbeitet ab 1937 im Büro Konstanty Gutschows in Hamburg. Dieser wird 1937 sowohl zur Teilnahme am Wettbewerb für ein neues Botschaftsgebäude in Ankara als auch für den Wettbewerb zum Neubau der deutsche Botschaft in Washington eingeladen.59 Hieran könnte dementspre- chend auch Tönnesmann mitgearbeitet haben. Hanna Blank arbeitet spätestens ab 1938 am Großprojekt ‘Hermann-Göring-Stadt’. Im Planungsstab von Her- bert Rimpl scheint sie bereits bei der Planung der Standortalternativen für die städtebauliche Neugrün- dung beteiligt gewesen zu sein.60 Sicher bearbeitete 56 Information von Ewa Oesterlen am 24.11.1997 57 DAM, NL Meyer II 4(10) 81/2-847 Brief Wera Meyer-Waldeck an Hannes Meyer vom 9.8.1947 58 Christa Kleffner-Dirxen im Telefonat am 19.1.1998 59 Niederwöhrmeier, Hartmut: Die deutschen Botschaftsgebäude 1871-1945, Dissertation, TH Darmstadt, 1977, S.101 ff. 60 Rimpl, Herbert: Die Stadt der Hermann-Göring-Werke, in: Bau- gilde, 21.Jg., 1938, H.24 - Schneider, Christian: Stadtgründung im Dritten Reich, München, 1979) Projekte, Bauten, Konzepte 227 „Herman-Göring-Stadt”, Fassadenabwicklungen in Wohnstraßen unterschiedlicher Ordnung „Hermann-Göring-Stadt”, Vogelperspektive des Stadtmodells, 1938 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar sie hier etliche Wohnungsbauprojekte bis zur Reali- sierung. Hildegard Korte, die 1938 zunächst im Büro von Wilhelm Büning in Berlin die Ausführungsplanung der im Tiergarten neuzuerrichtenden Argentinischen Botschaft bearbeitet hatte, arbeitet seit Kriegsbeginn im Büro von Kurt Krause. Hier ist sie mit der Werk- planung einer Spinnerei und der Heizzentrale der TH Braunschweig, aber auch mit Luftschutzbauten be- fasst. Und sie untersucht nun auch die Ökonomie un- terschiedlicher Bauverfahren im Luftschutz. Als wis- senschaftlich vergleichende Arbeit wird diese Unter- suchung 1941 im Fachbereich Maschinenbau der TH Braunschweig als Promotion angenommen. Kattina Both baut 1938 in Kassel für ihre Mutter und sich ein Haus. Anschließend wird sie wieder in Berlin zunächst bei der DAF, dann bei der Abteilung Haus- wirtschaft des Deutschen Frauenwerkes in beraten- der Funktion tätig. Nach Ausbruch des Krieges ent- wirft sie hier u.a. ein „Frauenheim im Gouvernement”. Ab Frühjahr 1942 arbeitet sie im Büro von Ernst Neu- fert „in der Normierung” sowie an der „neu durchge- sehenen“ 10. Auflage der Bauentwurfslehre.61 Zu Beginn der vierziger Jahre kommt die private Bau- tätigkeit im Deutschen Reich kriegsbedingt zum Erlie- gen. In Berlin plant Luise Seitz-Zauleck freiberuflich Umbauten bestehender Mietshäuser. Annemarie Wil- ke, die sich mit ihrer Übersiedelung nach Wien und einer Familiengründung Anfang 1940 der Familie wid- met, entwirft für ihren Mann ein Arbeitszimmer und eine Jagdhütte. Mit Wandmalereien nach eigenen Entwürfen und Inneneinrichtungen bleibt Ruth Hilde- gard Geyer-Raack freiberuflich tätig - trotz zweier Kleinkinder. Sie arbeitet weiterhin für private Auftrag- geber, daneben erhält sie nun auch öffentliche Auf- träge und malt u.a. die Kantine einer Fliegerschule, die Belgische Botschaft in Berlin und das Schloss in Krakau aus. Auch Gertraude Herde [geb. Engels] ist inzwischen Mutter mehrerer Kinder. 1941 reicht sie gemeinsam mit ihrem Mann beim reichsweiten Architektenwett- bewerb für Luftschutzbunker den Beitrag „Alarm“ ein. Mit diesem gewinnen sie einen Preis der Gruppe I. Dr. Hildegard Korte ist nun als wissenschaftliche As- sistentin stellvertretende Schriftleiterin der „Bau- kunst” - Teil B der „Deutschen Kunst” und beim „Ar- beitsstab zur Wiederaufbauplanung bombenzerstör- ter Städte” des „Reichsministeriums Speer” tätig. Inwieweit und an welchen Projekten sie dort auch als planende Architektin beteiligt ist, bleibt undeutlich. Staatliche und parastaatliche Großprojekte sind vom Kriegsgeschehen - zumal wenn ihnen hierfür Rele- vanz zukommt - weniger beeinträchtigt. So arbeitet bspw. Fridel Hohmann an diversen städtebaulichen und architektonischen Projekten beim Generalbau- inspektor für die Reichshauptstadt. Klara Küster [geb. Brobecker] ist um 1940 nach eigenen Angaben an den Erweiterungsplanungen eines „Regierungsge- bäudes” in Trier und 1942 zeitweilig an den Wieder- aufbauplanungen für die Staatsoper unter den Linden in Berlin beteiligt. Außerdem entwirft sie im Auftrag des Reichsernährungsministeriums „Pläne für Bau- ernhöfe in Polen“. Auch Luise Seitz-Zauleck arbeitet an Aufträgen des Reichskommissars für die Erhaltung deutschen Volkstums in Polen. Sie tut dies 1942 im Büro Otto Rauters. Ab Sommer 1942 ist sie freibe- ruflich mit städtebaulichen Planungen für Potsdam- Rehbrücke beschäftigt. Ludmilla Herzenstein, die bis 1935 für ‘ABA Fiedler’ in Berlin, dann für Hopp und Lucas in Königsberg gearbeitet hatte, wechselt mit Kriegsbeginn in ein privates Planungsbüro im west- preußischen Konitz, wo sie landwirtschaftliche Bau- ten entwirft. Wera Meyer-Waldeck, seit Mitte 1941 in Oberschlesi- en als Leiterin des Planungsbüros der Berg- und Hüt- tenwerksgesellschaft Karwin-Thzynietz tätig, führt mit 14 MitarbeiterInnen bis 1945 sämtliche Neu- und Umbaumaßnahmen der Zechenanlagen und Kokerei- en von acht umliegenden Kohlegruben - von ‘Beam- tenbädern’ über ‘Waschkauen für Kriegsgefangene’ bis zu ‘Schlammeindickern’ - durch.62 Gisela Ehren [geb. Schneider] entwirft im Rahmen ih- rer Planungstätigkeit für die Reichspost spätestens ab 1942 in Berlin eine Sendestation der Interradio in der Nähe von Bukarest. Dabei handelt es sich um ein an der Verbindungsstraße von Budapest nach Oltre- nitza gelegenes Gelände, auf dem in einer repräsen- tativen Parkanlage das eigentliche Rundfunkgebäude als Schlossanlage konzipiert ist. Im Nordwesten ist eine Wohnanlage für Mitarbeiter angeordnet. Im Lau- fe des Jahres 1942 entstehen die Einzelentwürfe und Werkplanungen für das Haus des Sendeleiters und eine Wäscherei.63 In Wiederholung dieser ambivalen- ten Mischung aus natursteinverblendeter Repräsen- tationsarchitektur und sicherheitstechnischer Ge- schlossenheit entwirft Ehren das Gebäude des Sen- deleiters als introvertiertes Landhaus. Dabei geht der erste Entwurf im Mai 1942 offenbar noch von einer sechsköpfigen Familie aus, die das gesamte (einge- schossige) Gebäude bewohnt. In der Entwurfsversion vom September desgleichen Jahres sind in dem aus Haupt- und Nebenflügel bestehenden Gebäude zwei Familien untergebracht. Dabei ist die Wohnung für eine vierköpfige Familie zweiseitig, die für die sechs- köpfige Familie nur zum Innenhof orientiert. Dieser Innenhof wird im Nordwesten von der Wäscherei mit Heizzentrale begrenzt. Die Lage dieses Wohngebäudes am Übergang von Sendeanlage und benachbarter Siedlung bildet nicht nur die Stellung des Sendeleiters ab. Das Bild des 61 Diese Auflage erscheint im Dezember 1942 62 „Barbara-Schacht” , BHAB, Inv.Nr. 11464 lt. Auskunft der Archivarin nicht auffindbar. 63 Die Zeichnungen im NL Ehren sind zwischen März und Oktober 1943 datiert. 228 Zum Einfluss der Schulen Arbeitszimmer in der Wohnung Prinz-Eugen-Straße, Wien, 1940 (vgl. auch Abb. S.408) sowie Hochsitz für den eigenen Bedarf, 1940, Annemarie Mauck Haus im Kaupertweg 3, Kassel, 1938 / Wiederaufbau 1947 Aufnahme 1997 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar nach außen abgeschottteten Landhauses spiegelt fast zynisch die Aufgabe des Bewohners wider. Denn das Paradies auf annektiertem Terrain schafft - bspw. mit den vorgeblendeten Stützen an der dem Garten zugewandten Seite der Heizzentrale - eine bildhafte Illusion, die allzu sehr bemüht ist, über die funktiona- len Prioritäten hinweg zu helfen. Vom Rundfunkge- bäude sind keine Grundrisse im NL Schneider erhal- ten. Die Ansichten und Schnitte lassen jedoch erah- nen, dass das dreigeschossige Hauptgebäude, bei dem auch die Dieselhalle durch eine Vorsatzschale aus massivem Naturstein verblendet wurde, nicht nur baulich-konstruktiv gegen Luftangriffe schützen, son- dern durch eine wehrhafte Erscheinung auch von der ‘Lufthoheit’ der von hier ausgesendeten Ätherwellen künden sollte. Projekte, Bauten, Konzepte 229 Ansichten und Schnitt durch die Sendestation Wäscherei mit Heizzentrale von Nordwest (links) resp. Südost (rechts) und Grundriß (oben) Haus des Sendeleiters, Ansicht von Nordwest resp. Schnitt Interradio Bukarest, Sendestation Oltreniza, 1942, Gisela Ehren, Isometrie der Gesamtanlage Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Völlig different stellen sich die Aufgaben nach Kriegs- beginn auf den anderen Seiten der Front: Eva Lilly Lewin wird als Zeichnerin in einem technischen Büro in London zwangsverpflichtet. Ebendort sucht und findet Rose Mendel Möglichkeiten, um sich in antifa- schistischen KünstlerInneninitiativen zu engagieren. Ähnlich tat dies bspw. Friedl Dicker bis 1938 in Wien und Leonie Behrmann bis zu ihrer Verhaftung 1941 in Berlin. Während manche - wie bspw. Tony Lasnitzki, Matty Beckmann oder Ricarda Schwerin - im Exil resp. auf der Flucht mit dem Überleben vollauf be- schäftigt sind, finden andere im Ausland Möglichkei- ten auch architektonisch zu arbeiten. So arbeitet Etel [Fodor-]Mittag in Südafrika im Architekturbüro ihres Onkels. Ab 1948 wird Rose Mendel in London mehr- fach als Innenarchitektin tätig. Sie realisiert Innenein- richtungen ganzer Häuser in Belsize Grove und Max- well Hill. Bereits 1944 findet Hilde Reiss, die 1942 nach fast zweijähriger Arbeitslosigkeit am ‘Heart Mountain Re- location Center’ in Wyoming Militärbaracken im Rah- men des Internierungsprogramms für die japanische Bevölkerung behelfsmäßig umgeplant hatte, einen neuen beruflichen Einstieg bei der Housing Authority in Vallejo in der Nähe von San Francisco.64 Hier ist sie als technische Beraterin bei der Durchführung eines Wohnungsbauprogramms zuständig, richtet Muster- wohnungen ein und gibt die Mieterzeitung „Your Ho- me“ heraus. Nachdem Friedman 1944 in Minneapolis stellvertretender Direktor des Walker Art Centers wird, ergreift Reiss 1945 die Initiative zur Gründung einer „Eveyday Art Gallery“. Diese Gallery wird im Ja- nuar 1946 am Walker Art Center eröffnet und sie wird deren Kuratorin. Ab Sommer 1946 erscheint unter ih- rer Ägide die Publikation „Everyday Art Quarterly - A Guide to well designed Products“. Bereits 1941 war auf Initiative des Direktors Daniel S. Defenbacher auf dem Gelände des Walker Art Cen- ters das „Idea House I”, ein von Malcolm Lein ent- worfenes Musterhaus realisiert worden. 1946 entwer- fen nun Reiss und Friedmann das „Idea House II” als begehbares Einfamilien-Modellhaus. Lein tritt als Kontaktarchitekt auf, da weder Reiss noch Friedman eine Architektenlizenz besitzen. Das Haus wird im fol- 64 Housing Project As Progressive Community, in: Californian Arts and Architecture, August 1944, S.18-19 65 Vgl. Life-Artikel. Anschließend wurde das Idea House II von der Familie eines Walker-Mitarbeiters fast 25 Jahre lang bewohnt und 1969 im Zusammenhang mit der Erweiterung des Guthrie- Theaters abgerissen. 66 Bruckmann, Alfred (Hg.): Bruckmanns 150 Eigenheime, Mün- chen, 10.Auflage, 1954, S.54 67 Reiss im Gespräch am 10.3.1997 230 Zum Einfluss der Schulen „Idea House II”, Minneapolis, 1946, Reiss / Friedman mit Lein, Ansicht von Süden, Grundriss Wohnniveau (links) sowie Basisgeschoss (rechts) „Modern Housing”, „Victory Appartments” für dieVallejo Housing Authority, Isometrie eines Einrichtungsvorschlages, 1943/44, Reiss „Idea House I”, 1941, Malcolm Lein, Grundriss und ‘im Bau’ (unten) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Projekte, Bauten, Konzepte 231 genden Jahr gebaut und am 28. September für den Besucherverkehr geöffnet. Es war ein Jahr lang für die Öffentlichkeit zugänglich und fand landesweite Resonanz. Anschließend wurde es unter öffentlicher Anteilnahme von einer Musterfamilie bewohnt.65 Anfang der fünfziger Jahre findet es auch Eingang in europäische Beispielsammlungen. So schreibt Alfred Bruckmann 1954: „In diesem Haus ist der Bereich des Kindes liebenvoll entwickelt. Um einen Spiel- und Arbeitsraum liegen zwei Schlafnischen, Flur, Bad, WC, anschließend das Elternschlafzimmer. Quer dazu ist der große Wohnraum mit zweiseitigem offenem Kamin und angrenzender halboffener Küche gelegt. Der Eßtisch könnte kaum näher und praktischer am Herd liegen. Die Sommerdiele erweitert den Wohn- raum um ein Beträchtliches.” 66 Der Grundriss des „Idea House II” überzeugt insbe- sondere durch die Vielfalt der Raumerlebnisse, seine räumliche Großzügigkeit auf begrenzter Fläche. Dies gelingt Reiss / Friedman nicht nur dank der fließen- den Räume, sondern durch die Optimierung nutzba- rer wie bespielbarer Flächen, die konsequente Mini- mierung reiner Erschließungsflächen sowie durch ein- gebaute Schrank- und Stauräume. Im nördlichen Teil sind die Schlafbereiche angeordnet. Wie schon beim Haus Stein finden wir hier großzügige Orientierungen ins Freie und die leichten Niveauunterschiede zwi- schen Schlaf- und Wohnbereich. Außerdem ist auch dieses Haus in Sandwichbauweise konstruiert, be- sitzt ein mit variablen Dachüberständen präzise kal- kuliertes, flach geneigtes Pultdach und ist ebenso präzise wie unprätentiös in die umgebende Land- schaft gesetzt. Ohne konkrete Bauherrschaft konnte der Entwurf räumlich kompromisslos, angesichts fehlender Mittel jedoch nur sparsam konzipiert und mit großer Kom- promissbereitschaft gebaut werden. Reiss erinnert insbesondere den grünen Bodenbelag, der - als Ma- terialspende - unvermeidlich gewesen sei.67 Da dieses Musterhaus ein explizit öffentliches war, sind zahlreiche öffentliche Meinungen dokumentiert. Im Oktober 1948 erscheint der nebenstehende Arti- kel, in dem das Haus als „ultramodern” bezeichnet wird. Die landesweiten Reaktionen sind ganz über- wiegend positiv. Durch seine Andersartigkeit löst die- ses Haus jedoch auch immer wieder Irritationen aus. So wird bspw. kritisiert, dass der seitlich offene Car- port für „Minnesota Winters” nicht geeignet sei und dass ein Teil der Wandfläche zwischen Wohn- und Schlafraum dank eines hölzernen Schieberolladens „surprisingly” geöffnet werden könne. Reiss kann Erste Seite des Artikels im “Life-Magazin” Nr. 20, 1948, vom 18.10.1948, S.105-108 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar über die Prüderie der McCarthy-Ära 1997 nur den Kopf schütteln. Ironisch kommentiert sie: „Nur weil man vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer sehen kann. Manche haben das Haus einfach nicht verstanden.“ 68 Das Idea House II inspirierte nicht nur zahllose Bau- herrInnen, sondern fand auch Nachahmung in ande- ren Museen: Im folgenden Jahr ließ Elizabeth Mock, Kuratorin des Museum of Modern Art in New York City ebenfalls ein Musterhaus im Garten des Muse- ums errichten.69 Für Hilde Reiss erbrachte diese Idee keinen einzigen Folgeauftrag. Sie konzentriert sich er- neut auf die „Gallery of Every Day Art” und das Edi- tieren des das „Quarterly”, 1947 richtet sie bspw. die Ausstellung „useful gifts“ aus. 1948 folgen u.a. die Präsentationen „jewelry under 50 dollars” und „household plastics”. „Mit fast keinen anderen Mitteln als der Farbe“ macht Mila Hoffmann-Lederer 1946 aus der Thüringischen Buchhandlung am Goetheplatz in Weimar, „einem denkbar schlecht proportionierten, schlauchartigen, mit häßlichen Eisenregalen und Eisentheken vollge- stopften Laden einen ganz neuen lichterfüllten Raum von hohem ästhetischem Reiz...” 70 Der Entwurf ist fotografisch nicht dokumentiert, aber - so der Artikel weiter - „dadurch, daß sie die einzelnen Wände in verschiedene kalte und warme Farbtöne vertikal auf- geteilt und in eine neue Beziehung zueinander ge- bracht hat, erzielte sie eine Erweiterung und Erhöh- ung des Raumes (..), die überraschend und überzeu- gend ist.” 71 Einen vegleichbaren Ansatz verfolgt sie im Frühjahr 1951 in Darmstadt, wo sie „den Saal der Christengemeinschaft im Herdweg” mit „farbigem Feingefühl und tektonischem Sinn” umbaut.72 Kurze Zeit später entwickelt sie gemeinsam mit ihrem Mann die „hl-Lampen”, Wandleuchten aus gebogenen Ple- xiglasplatten, die bis 1954 von der Darmstädter Firma Heinz Hecht, anschließend und bis Ende der sechzi- ger Jahre von der Endemann GmbH in Friedrichsha- fen produziert werden. In Berlin arbeitet Klara Küster spätestens ab 1946 im Hochbauamt Steglitz. Hier gilt es unter Einsatz von Trümmermaterial die öffentlichen Bauten des Bezirks wieder nutzbar zu machen. Küster ist in den folgen- den Jahren insbesondere für den Wiederaufbau von Schulen zuständig. Ein Beispiel für ihr Bestreben um „annehmbare Gestaltung (..) trotz beschränkter Mög- lichkeiten” ist das Toilettenhäuschen im Botanischen Garten Dahlem.73 Wera Meyer-Waldeck, die nach seit 1948 im hessi- schen Walldorf ansässig ist, entwirft zunächst - in Kooperation mit Hans Schwippert - Einfachstmöbel für das Entbunkerungsprogramm der Stadt Köln.74 Noch 1949 stellt sie ebendort bei der ersten Werk- bundausstellung nach dem Krieg Möbel aus. Und im selben Jahr kann sie als Innenarchitektin reüssieren: Als Schwippert der Umbau der Pädagogischen Aka- demie in Bonn zum Sitz des ersten Deutschen Bun- destages übertragen wird, entwirft Meyer-Waldeck den Innenausbau. Sie stattet den Plenarsaal und die kaum minder bekannte Kantine aus. In der Folge 68 Ibid. 69 Der Auftrag geht an Marcel Breuer - vgl. bspw. Arts and Archi- tecture, May 1949. 70 BHD, Hoffmann-Lederer, Zeitungsausschnitt einer ungenannten Zeitung o.A. , „Weimar, 21.2.1946” 71 Ibid. 232 Zum Einfluss der Schulen Toilettenhäuschen im Botanischen Garten Berlin-Dahlem, 1947, Klara Küster „hl-Leuchten”, um 1951, Mila und Hanns Hoffmannlederer „Hotel Pfälzer Hof”, Koblenz, Umbau, um 1950, Wera Meyer-Waldeck, Blick in den Speisesaal (links), Blick in den Clubraum und Grundriss Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar kann sie das Arbeitszimmer Adenauers sowie zwei - nicht näher bezeichnete - Ministerien einrichten. In ihren verschiedenen Lebensläufen benennt Meyer- Waldeck zahlreiche Projekte.75 Da diese Angaben je- doch variieren und ihre Bürounterlagen nicht archi- viert sind, lassen sich etliche Bauten bei eher vagen Angaben kaum recherchieren. In einem Lebenslauf aus dem Jahre 1961 führt sie bspw. „12 Musterwoh- nungen für Angestellte und Beamte der Bundesmini- sterien” auf. Nachweisbar ist hingegen ihre Beauftra- gung bei der Innenausstattung des Bundeskanzler- amtes sowie jener des Palais Schaumburg sowie dem Bundesgästehaus auf der Viktorshöhe. Spätestens seit 1950 betreibt sie ihr Büro als freibe- rufliche Architektin nach Bonn. 1950 baut sie hier das Einrichtungshaus „Teppich Schlüter”, Am Neutor 5 um. Ebenfalls 1950 konzipiert sie das „Hotel Pfälzer Hof” in Koblenz - wie auf der linken Seite zu sehen - neu. Hier stammt die Neueinrichtung der Hotelhalle, 72 FN 70 „prd.”: „Farbdynamische Raumgestaltung” in: Darmstäd- ter Echo, 20.3.1951 73 Klara Küster im Schreiben vom 5.12.1997 74 Im Band 23 der Schriftenreihe der Akademie der Architekten- kammer Nordrhein-Westfalen (Köln, 1984, S.62-67) wird für die Flüchtlingsmöbel „im Auftrag des Reichskommissars für die Fe- stigung deutschen Volkstums” lediglich Schwippert genannt. 75 BHA, NL Meyer-Waldeck. Hier sind zumindest vier - zwischen 1945 und 1961 erstellte - Lebensläufe archiviert. Am ausführ- lichsten ist der am 28.1.1961 unterschriebene sechsseitige LL. Projekte, Bauten, Konzepte 233 Innenausbau des ersten Deutschen Bundestages, Bonn, 1949, Wera Meyer-Waldeck - Blick Richtung Rednerpult und in den Plenarsaal Inneneinrichtung der Kantine des Deutschen Bundestages, 1949, Wera Meyer-Waldeck Haus Bockemühl, Bonn, 1956, Wera Meyer-Waldeck Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar die Weinbar sowie der Speisesaal aus ihrem Büro. Diese Projekte kann sie auch publizieren.76 1951 re- alisiert sie - nach eigenen Angaben - in Bonn ein „Ytong-Musterhaus” und in Köln-Blievers einen Sied- lungsbau. Gebaut werden nach ihren Entwürfen au- ßerdem die „katholische Auslandsmission” in Beuel (1952) und, zwischen 1952 und 1954 vier Lauben- ganghäuser für Ostflüchtlinge in der Steubensiedlung in Köln-Deutz. Auch der Kindergarten dieser Siedlung ist nach Meyer-Waldecks Angaben ihr Entwurf. In Bonn und dem weiteren Umfeld kann sie für pri- vate wie öffentliche Auftraggeber etliche Neu- und Umbauten sowie Inneneinrichtungen realisieren. Hier erweisen sich die Nachweise jedoch als nicht minder diffizil. Ihren eigenen Angaben zufolge baut sie in Bonn 1951 das „Doppelwohnhaus Dr. Schmidt”, 1954 das „Haus Dr. Bockemühl” und das „Haus Duwe”, 1955 das „Haus Dr. Batz” und 1957 das „Haus Dr. Jeanicke”. 1958 realisiert sie den Arbeits- raum von Dr. D. Gerstenmeyer und die Inneneinrich- tungen Dr. Cellarius und Dr. Mauritz.77 Gertraude Herde baut 1949 im niedersächsischen Nordstemmen das nebenstehend abgebildete „Haus Warnecke”, sowie in unmittelbarer Nachbarschaft 1950 die Häuser „Weldi” und „Müller”. 1954 entwirft und realisiert sie gemeinsam mit ihrem Mann ein Haus für die eigene Familie in Hildesheim. Im glei- chen Jahr reichen sie beim - zweiten - Wettbewerb 234 Zum Einfluss der Schulen „Haus Weldi”, Nordstemmen, 1950, Gertraude Herde, Aufnahme Eingangsbereich 1997 (oben), Ansichten, Erdgeschoss, Obergeschoss und Kellergeschoss sowie Lageplan (unten) „Haus Müller”, Nordstemmen, 1950, Aufnahme von Süden 1997 Architekturfakultät Hannover, 1955-1957 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar zum Wiederaufbau Hildesheims einen Entwurf ein.78 Ewa und Dieter Oesterlen leben und arbeiten seit Kriegsende freiberuflich in Hannover. Der erste Bau des Büros Oesterlen nach dem Krieg ist das „Café Kröpke”. Ewa Oesterlen arbeitet erst Anfang der fünf- ziger Jahre - als die drei Kinder ‘aus dem Gröbsten’ sind - wieder regelmäßig im Büro mit. Es entsteht das eigene Wohnhaus in Hannover.79 Ein weiteres Projekt, für das Ewa Oesterlen maßgeblich verant- wortlich ist, ist die „Ingenieurschule Hannover”. Fridel Vogel [geb. Hohmann], die seit Kriegsende im Bergischen Land lebt, wirkt in den fünfziger Jahren in der Sozietät Brandt & Vogel bei Wettbewerben mit. Außerdem entstehen - wahrscheinlich für die eigene Nutzung - Umbauten und Einrichtungen wie das oben abgebildete „Damenzimmer”.80 In Lübeck, wo Familie Mauck seit 1946 beheimatet ist, baut Annamarie Mauck ein Stallgebäude als Not- unterkunft für den eigenen Bedarf um. Außerdem ent- wirft sie einen Dachausbau und um 1950 eine Spin- nerei in Arendsburg. Projekte, Bauten, Konzepte 235 „Haus Warnecke”, Nordstemmen, 1949, Gertraude Herde, Grundrisse (Dach-, Erd- und Kellergeschoss), Ost- und Südansicht sowie Querschnitt 76 So erscheint der „Pfälzer Hof” bereits 1951 in Alexander Kochs Sammlung „Hotels / Restaurants / Cafés und Barräume” (Stutt- gart, 1951, S.194-195) 77 FN 75, LL 1961, S.5. Die Adressen dieser Häuser sind bisher weitgehend unbekannt. 78 Vgl. dazu die Abbildungen auf S.260 79 Vgl. dazu S.256-257. 80 Richter, Margarete : Raumschaffen unserer Zeit, Tübingen, 1953, S.77 resp. S.162. Grundschule in Gummersbach, Brandt & Vogel, Realisierung nach Wettbewerbsgewinn Anfang 1950er Jahre, Blick in einen Klassenraum Damenzimmer, um 1950 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Iwanka Hahn, die nach 1945 zunächst den Wieder- aufbau der Frankfurter Glasbaufirma Hahn geplant hatte, wirkt immer wieder an Projekten dieser Firma mit. Ebenfalls für - bisher unbekannte - Projekte der Schwiegereltern soll auch Irina Zuschneid [geb.Kaatz] in den fünfziger Jahren erneut als Architektin tätig ge- worden sein, zuvor landwirtschaftliche Bauten in der Mark entworfen haben.81 Christa Kleffner-Dirxen gründet mit ihrem Mann 1951 in Münster ein freiberufliches Architekturbüro. Zu- nächst mit dem Bau von Einfamilienhäusern - wie dem „Haus Otte” - beauftragt, können sie bald auch gewerbliche Bauten realisieren. Das nebenstehend abgebildete Bürogebäude entsteht 1954 für den Ver- band Westfälisch-Lippischer Wohnungsunternehmen. Klara Küster kann zu Beginn der fünfziger Jahre im Südwesten Berlins die Freibäder „Am Insulaner“ und „Am Teltowkanal” projektieren. 1956 entsteht in der Jeverstraße 10-11 in Berlin-Steglitz eine Kindertages- stätte nach ihrem Entwurf. Ebenfalls in Berlin soll Margit Téry in den fünfziger Jahren für die Eternit- Werke Inneneinrichtungen entworfen und zumindest die werkseigene Kantine ausgestattet haben.82 Wera Meyer-Waldeck wird in den fünfziger Jahren aber nicht nur im Umfeld des neuen Regierungssitzes aktiv. Ihr Interesse gilt insbesondere dem Schulbau und der Wohnberatung.83 Immer wieder erläutert sie Schulbauten und 1955 richtet sie bspw. in Bonn die Ausstellung „So wohnen...” aus.84 236 Zum Einfluss der Schulen Freibad „Am Insulaner”, Berlin-Steglitz, 1950er Jahre, Klara Küster, Blick auf den HauptbauBlick auf einen der Umkleideblöcke und in den Erschließungsgang Kindergarten in der Jeverstraße, Berlin-Steglitz, 1956, Klara Küster, Blick auf die Eingänge von Krippe und Kindergarten sowie Südansicht 81 Grossmann-Hensel, Gert und Zehm, Karl-Hermann: Irina Zu- schneid zum Gedächtnis, 1986, HTG-Rundbrief, S.9 resp. S.10 82 Vgl. Badura-Triska, Eva : Margit Téry in (Kat.): Wechselwirkun- gen, Marburg, 1986, S.292. 83 Vgl. bspw. Meyer-Waldeck, Wera: „Eine neue Volksschule in Bonn-Süd” in: Innendekoration, 61.Jg., 1953, S.192-198 - Ob die hier beschriebenen Innenausbauten von ihr stammen, bleibt unklar. 84 BHAB, NL Meyer-Waldeck, Zeitungsausschnittsammlung. „Heuß in der Ausstellung ‘So...wohnen’ “. Artikel im Bonner General- anzeiger, undat. (1951) Verband der Westfälisch-Lippischen Wohnungsunternehmen, Münster, 1953, Kleffner-Dirxen und Kleffner, Grundriss Normalgeschoss (oben) und Ansicht Straßenseite Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Nach eigenen Angaben übernimmt sie den Innenaus- bau eines nicht näher bezeichneten Ledigenheimes, in Bonn den der „Volksschule Buschfeldstraße” und des „Mädchengymnasiums in der Genovevastraße”. Wahrscheinlich ebenfalls in die späten fünfziger Jahre fällt auch der Innenausbau der „Kinderkrankenstation Dr. Dormagen”. In Siegburg baut sie 1959 eine Werk- statt zu acht Wohnungen um und in Köln richtet sie im gleichen Jahr ein Waisenhaus ein. 1960 realisiert sie den Innenausbau der „Volksschule Flittard” sowie den der „Volksschule Hanschaftstraße”. In Vorberei- tung der 1957 in Berlin stattfindenden „Interbau” ist sie ab 1956 mit der thematischen Schau „Die Stadt von morgen” befasst. Bei dieser Gelegenheit stellt sie die unten abgebildeten Mustereinrichtungen aus. Ihr obliegt die Leitung der Wohnberatung. Als Wera Meyer-Waldeck auf der Weltausstellung in Brüssel 1958 die Ausstellungsabteilung „Der persön- liche Bedarf“ nach ihren Entwürfen ausstatten kann, nutzt sie die transparente Struktur des von Egon Ei- ermann entworfenen deutschen Pavillons, in dem sie nicht minder transparente Vitrinen in freier Form wie in freier Anordnung als Solitäre in den Raum stellt. Auf minimierten, zwischen Boden und Decke einge- spannten Stahlrohrstützen schweben diese Schau- fenster ‘für die Dame’ wie ‘für den Herrn’ im optisch fließenden Raum. Lotte Stam-Beese, die seit 1946 im Stadtplanungs- amt Rotterdam tätig und dort an den Stadterweite- rungsplanungen für Pendrecht, Ommord und Alexan- derpolder maßgeblich beteiligt ist, findet in den fünfziger Jahren auch wieder eine Möglichkeit Archi- Projekte, Bauten, Konzepte 237 „Der persönliche Bedarf”, Ausstellung im Deutschen Pavillon auf der Weltausstellung 1958, Brüssel, Wera Meyer-Waldeck „Das Wohnen in der Stadt von Morgen”, Ausstellung anlässlich der „Interbau”, Berlin, 1957, Wera Meyer-Waldeck Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar tektur zu entwerfen. 1955 entstehen in Nagele Woh- nungsbauten für Landarbeiter nach ihren Entwürfen. Anlässlich der von ihr geplanten städtebaulichen Er- weiterungen von Pendrecht entwirft sie 1955 außer- dem Reihenhäuser. Für die eigene Familie baut Hilde- gard Oswald in Portland/Oregon, wo sie nun als Sta- tikerin angestellt tätig ist, 1959 das oben abgebilde- te Haus. Spätenstens in den sechziger Jahren wird Lou Sche- per als Farbexpertin von Architekten beratend hinzu- gezogen, entwirft und realisiert Farbkonzepte.85 Fridel Vogel, seit 1962 im Siegerland als freiberufli- che Architektin niedergelassen, kann im Auftrag der Fa. Stosch Umbauten dieses Betriebes vornehmen. Sie soll in den frühen sechziger Jahren neben dem Umbau des „Hauses Schaumann”, In der Erzebach 5 in Hilchenbach auch einzelne Wohnhäuser im Allgäu sowie in Dommelstadt am Inn realisiert haben.86 Der erste Neubau, den Fridel Vogel nach eigenem Ent- wurf im Umfeld ihrer Büroneugründung realisieren kann, ist das 1964 in der Hardenbergstraße 47 in Sie- gen gebaute „Haus Plaas”. Etwa zeitgleich entsteht auf der Ilmenkuppe 14 in Dillenburg das „Haus Jüngst”.87 Ebenfalls ab 1964 kann sie den Neu- und Umbau der Volksschule im nahegelegenen Helber- hausen vornehmen, der 1966 fertiggestellt wird. Dabei handelt es sich um einen Zubau mit sechs Klassenräumen, den sie in der nördlichen Verlänge- rung des im dörflichen Zentrum von Helberhausen bestehenden Schulgebäudes, einem verschindelten Fachwerkbau, konzipiert hat. Wesentlich niedriger als der Altbau und hinter dessen Bauflucht gesetzt, ver- schwindet dieser Bau, der in der äußeren Erschei- nung noch Insignien der fünfziger Jahre zeigt. In den sechziger Jahren beteiligt sie sich in Zusam- menarbeit mit Peter Knaack am Wettbewerb zum Neubau des Nordrhein-Westfälischen Landtages in Düsseldorf sowie 1967 am Wettbewerb der Haupt- verwaltung der Provinzial-Versicherung. Für ihren Entwurf zur „Amtsrealschule ‘Eichener Seite’ “ im Büschergrund erhält sie 1967 einen 2. Preis.88 Reali- sieren kann sie im gleichen Jahr jedoch ihren Ent- wurf einer Friedhofshalle für Hadem-Helberhausen. Nach der Schulerweiterung ist dies ihr zweiter öffent- 238 Zum Einfluss der Schulen Ansicht der Nordseite„Haus Oswald”, Portland/OR, 1959, Hildegard Oswald, Ostansicht „Haus Plaas”, Siegen, 1964, Fridel Vogel, Ansicht Straßenseite,sowie „Haus Jüngst”, Dillenburg, um 1964., Ansicht Gartenseite Erweiterung der Volksschule in Hadem-Helberhausen, Fridel Vogel, 1964 - Anbau eines Klassentraktes an die bestehendeSchule (links), vom Schulhof aus gesehen - Ansicht Ostseite 85 So zeichnet sie bspw. ab 1962 für die Farbgestaltung der Neuen Philharmonie Berlin verantwortlich. 86 Dabei handelt es sich um die „Villa Nuber” in Isny, sowie ein Wohnhaus für Frau Simon in Dommelstadt. Bisher sind die Adressen dieser Häuser nicht bekannt. 87 Zu beiden Häusern liegen keine Grundrisse vor. 88 „Architekten-Wettbewerb entschieden“ in: Siegener Zeitung vom 30. 6.1967, Bl.3 / S.1. Ich danke Peter Knaack für diesen Hinweis. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausg licher Auftrag. Und dieses Mal ist keinerlei Rücksicht auf die vorhandene Bebauung vonnöten: Der Fried- hof liegt deutlich unterhalb des Ortes frei am Hang. Vogel nutzt die Gelegenheit, um hier eine ebenso schlichte wie freie Konzeption umzusetzen. Fünf Jah- re nach ihrer beruflichen Selbständigkeit entsteht hier ein Projekt, das trotz des kleinen Raumprogramms ihre Vorliebe für klare Räume wie ihre gestalterischen Ambitionen zeigt. Als ‘Mauer in der Landschaft’ prä- sentiert sich die Südseite. Auf ihr liegt das langgezo- gene Pultdach, das die Steigung des Hanges über- dehnt und - von der Landstraße aus - ein ebenso ruhiges wie deutliches Bild dieser Friedhofskapelle vermittelt. In dieser besonderen Lage gelingt Fridel Vogel mit einer klaren Konzeption, reduzierten The- men und Materialien, ein ebenso schlichter wie schlüssiger Trauerraum. Projekte, Bauten, Konzepte 239 Trauerhalle, Hadem-Helberhausen, 1967, Fridel Vogel, Ansicht der Vorfahrt (links), sowie Grundriss der Halle und des Untergeschosses (unten) Ansichten (unten), Grundrisse (rechts) sowie Aufnahme des Zugangs zum Friedhof Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar gabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Im Engadin realisiert Lieselotte von Mendelssohn für Susi Netter nebenstehend links abgebildeten Entwurf eines kleinen Wohnhauses. Auch der Vorentwurf für ein Altersheim in Metzingen entsteht in diesen Jah- ren, bleibt jedoch ebenso unrealisiert wie der Entwurf für eine Erweiterung des „Hauses Dr.St.”[innes] in As- cona auf ovalem Grundriss.89 Realisieren kann sie den Umbau der Bibliothek für Gerhard Hauptmann. An- fang der siebziger Jahre entsteht außerdem der Ent- wurf des „Hauses Schmidt” in Sindelfingen, das je- doch mit deutlichen Abweichungen realisiert wird. In Berlin-Weissensee wird 1967 das „Milchhäuschen” von Ludmilla Herzenstein fertiggestellt. Sie ist seit 1958 Leitein der Stadtplanungsamtes Friedrichshain- Weissensee und baut in dieser Funktion in den 89 Die Zeichnungen zu diesen Projekten befinden sich im NL Boedeker. 90 Für dieses Haus existieren im NL Boedeker zwei Entwürfe. 91 Haus Müller liegt in der Talsperrenstraße 33. Vgl. auch „Jeder Architekt hat seine ganz eigene Handschrift“ -efa- Siegener Zeitung 11.7.1980 Bl.3, S.1 240 Zum Einfluss der Schulen „Milchhäuschen am Weissen See”, Berlin, 1967, Ludmilla „Haus Netter”, Monti Locarno, 1960er Jahre, L.v. Mendelssohn, Grundriss (oben) und Ansichten (unten), „Haus Barbara”, Thassos, 1971, Lieselotte von Mendelssohn, Grundriss (links) und Ansichten (unten) Vorentwurf Altenheim Metzingen, 1960er, Lieselotte von Mendelssohn, Schnitt, Kupaturen und Grundrisse Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar frühen sechziger Jahren auch zumindest einen Kin- dergarten im Friedrichshain. 1968 baut sich Tony Lasnitzky - bereits 75-jährig - im belgischen St. Ides- bald sur Meer ein Haus nach eigenem Entwurf. Auf Thassos realisiert Lieselotte von Mendelssohn 1971 für die Tochter Hauptmanns das „Haus Barba- ra”.90 In Kreßbach bei Tübingen wird bald darauf der Neubau ihres eigenen Hauses fertiggestellt, in das sie - nach einer erneuten Eheschließung - 1972 einzieht. Auch Dr. Hildegard Oswald baut ein zweites Haus für den eigenen Bedarf: Das auf der folgenden Seite ab- gebildete „House Oswald II” entsteht 1972 an der Seblar Terrace in Portland. 1972 realisisert Fridel Vogel die „Wohnsiedlung an der Talsperrenstraße” in Allenbach, fünf Häuser, da- runter das nebenstehend abgebildete Haus Müller.91 Die Hanglage nutzend exerziert sie das Wohnen auf versetzten Ebenen durch, nicht nur in diesem Haus. Dabei werden die Wohn- und Schlafbereiche gesta- pelt, die zentrale Ebene bildet das um eine halbe Treppe versetzte Zwischengeschoss mit Küche und Projekte, Bauten, Konzepte 241 Ansicht von der Straße aus, Nordosten Häuser am Hang in Allenbach, ab 1972, Fridel Vogel, Geländeschnitt und Zustand 1998, links Haus Müller „Haus Müller”, Allenbach, 1972, Vogel, Grunriss UG / Schlafebene sowie Eingangsniveau / Wohnebene (unten) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Essbereich. Die besondere Verbindung zwischen Wohnen, Essen und Kochen betont sie durch ein im Walm verzogenes Dach. In Hilchenbach selbst baut Fridel Vogel ein Haus für Rita Ahlborn um, erweitert das Haus von Familie Tschaetsch mit einem Anbau. Das „Haus Rödig”, An der Herrenwiese, erweitert sie zwei Mal, 1976 und 1985. Und auch für Familie Gieseler wird sie wieder- holt tätig. Nach einem Erweiterungsbau in Fronhau- sen 1979 errichtet sie 1982 für diese Familie im Sas- senweg in Bürbach-Rünte einen Neubau.92 In Arbeitsgemeinschaft mit einem größeren Büro kann sie 1977 ihren Entwurf des Hilchenbacher Rat- haus-Neubaus realisieren.93 Im Gegenzug erwirbt sie die zwischenzeitlich durch die Rathausverwaltung ge- nutzte „Villa Hüttenhain” in der Bruchstraße 34, die sie 1978 als Wohnung und Büro für den eigenen Be- darf umbaut.94 Auch einen Neubau für die Volksbank und ein neues Feuerwehrgebäude für Hilchenbach soll Vogel ent- worfen haben. Diese werden jedoch nicht realisiert. Auch Skizzen oder Pläne dieser Projekte lassen sich bisher nicht dokumentieren. 1979 wird jedoch in der Unterzeche das „Textihaus Patt”, ein Geschäftshaus mit drei Wohnungen ebenso nach ihrem Entwurf ge- baut wie - unweit davon in der Bruchstraße 24 - die „Ginsburg-Apotheke”.95 242 Zum Einfluss der Schulen „Haus Oswald II”, Portland/OR, 1972m Dr.Hildegard Oswald, Ansicht von der Auffahrt (Süden, oben) und Grundrisse (unten) Innenaussicht „Haus Oswald II”, 1972, Grundrisse Grundriss 1.Obergeschoss, Lageplan mit Erdgeschossgrundriss (rechts) Innenansicht Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 92 Wohnhaus L.+ H.Giesler, Realisierung in Arbeitsgemeinschaft mit Steinmeister. Vgl. Aufnahmen S.244, Zustand 1985 93 Rathaus Hilchenbach, Am Markt 13, Realisierung in Arbeitsge- meinschaft mit Weist, Krämer, Andrick. Vogel legte schon Jahre zuvor einen - bisher nicht dokumentierten - Entwurf für einen Rathaus-Neubau vor. Als dieser durch Landeszuschüsse mög- lich wird, wird sie direkt beauftragt. 94 Vgl. Foto auf S.360 95 Siehe Fotos S.244 Projekte, Bauten, Konzepte 243 Blick in den Ratssaal Blick aus Nord resp. Nordost (unten) Rathaus Hilchenbach, Ansicht von Osten und Schnitt durch den Ratssaal mit Nordansicht des Hauptriegels (rechts) Rathaus Hilchenbach, Neubau 1977, Entwurf Fridel Vogel, Aufnahme der Eingangsseite, 1980er Jahre, Vogel (im Vordergrund links) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Und zwischen 1979 und 1981 kann Friedel Vogel im Rahmen der Altstadtsanierung Dillenburg - nach Be- teiligung am städtebaulichen Wettbewerb gemeinsam mit Peter Knaack - mehrere Häuser realisieren.96 An- fang der achtziger Jahre baut sie „An der jungen Ecke“ in Netphen mehrere Häuser.97 In Hilchenbach saniert sie die „Wilhelmsburg”, die einer neuen Nut- zung als Stadt-Museum und -Bibliothek zugeführt wird und in Isny im Allgäu plant sie das „Berghotel Jägerhof” um. 1983 baut sie in Hadern das Haus Dr. Reschka. Und 1990 plant sie für eine Freundin einen Bauernhof in Kreuztal um. Und Fridel Vogel ist nicht die einzige, die das Entwer- fen mit dem Erreichen der Pensionsgrenze nicht auf- gibt. Auch Christa Kleffner-Dirxen, Ludmilla Herzen- stein, Tony Lasnitzky, Hilde Reiss und Lotte Stam- Beese planen weit über ihren siebzigsten Geburtstag hinaus. Seien es - wie im Fall Beeses - Gärten für Bekannte oder - im Fall Reiss - der Umbau eines ei- genen Häuschens. Angesichts dessen, dass die weit- aus meisten dieser Architektinnen jedoch bereits um die Jahrhundertwende resp. in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts geboren wurden, sind i.d.R. in den achtziger Jahren die letzten größeren Bauvorhaben dieser Architektinnengeneration zu finden. 96 Vgl. dazu „Altstadtsanierung läßt mehrere Möglichkeiten zu“ in: Siegener Zeitung 27.9.1979, Bl.7 und Zeitungsausschnitt S.284. 97 Information mit Dank an Rolf Schmidt. Der - ebenfalls nicht do- kumentierte - Entwurf einer Schule für Netphen entstand wahr- scheinlich noch in den siebziger Jahren. 244 Zum Einfluss der Schulen „Haus Gieseler”, Bürbach-Rünte, 1982, F. Vogel, Ansicht von Süden Blick in den Wohnraum „Wilhelmsburg”, Hilchenbach, Sanierung / Umnutzung, 1980, Vogel„Haus Dr. Reschka”, Hadern, In der Dahl 3, 1983, Fridel Vogel, Straßenansicht (oben) und Gartenansicht, Aufnahmen 1998 „Textilhaus Patt”, Unterzeche, Hilchenbach, 1979, Fridel Vogel, Aufnahmen entlang der Unterzeche, 1997 1998 (Ansichten (unten) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Zeitgeist oder individuelles Statement? Wie planen und bauen ehemalige Architekturstu- dentinnen der Weimarer Republik wann? Was aber lässt sich anhand dieser eher zufälligen Zu- sammenstellung unterschiedlicher Projekte und Bau- ten von Architekturstudentinnen der Weimarer Repu- blik erkennen? Ins Auge fallen bestimmte Themenschwerpunkte und Konzeptionen, die allzu offensichtlich zeitgebunden scheinen. Augenfällig sind darüberhinaus Ausdrucks- formen, die - unmittelbar oder auch mittelbar - mit je- nen Repertoires zu korrespondieren scheinen, die wir anhand des Studiums untersucht haben. Die Frage zeit- oder geschlechtsabhängiger Themen- schwerpunkte korrespondiert allzu deutlich mit dem jeweiligen Berufsstatus. Deshalb wird sie im Rahmen der Berufswege analysiert.98 Hier soll im folgenden diskutiert werden, in wieweit die Zeitumstände vor- der- oder auch untergründig in vergleichbaren Pro- jekten unterschiedlicher ArchitektInnen ihren Nieder- schlag finden. Anhand von Beispielen und Gegenbei- spielen wird die Hypothese verfolgt, dass das - in der Architekturgeschichtsschreibung durchaus populäre - Plausibilisierungsmuster der ‘Zeitströmung’ hier keine inhaltliche Entsprechung hat.99 Bereits anhand der in den zwanziger Jahren tätigen Architektinnen - wie Emilie Winkelmann, Ella Briggs, Marie Frommer, Edith Dinkelmann, Stefanie Zwirn oder Leonie Pilewski - waren unterschiedliche Aus- drucksrepertoires zu beobachten. Hier wurde auf- grund fehlender Quellen zumeist nicht deutlich, in wieweit die jeweiligen Entwürfe mit eigenen Gestal- tungspräferenzen oder denen der AuftraggeberInnen korrespondierten.100 Und ohne eine breitgefächerte Dokumentation bleibt es auch schwierig einzuschät- zen, in wie fern Themen, Orte und Maßstabsniveau die jeweiligen Gestaltungspräferenzen beeinflussten. Insgesamt zeichnete sich jedoch bereits hier weniger eine Einheitlichkeit als eine Vielfalt an Ausdrucksfor- men. Demgegenüber erschienen die - nicht minder zufällig - dokumentierten Entwürfe der nach der Jahr- hundertwende geborenen Architektinnen - wie bspw. Gretel Norkauer, Gusti Hecht oder Paula Marie Can- thal - etwas homogener am ‘Neuen Bauen’ orientiert. Aber auch dieser augenscheinliche Befund trügt.101 In den dreißiger Jahren fanden wir nun sowohl von ehemaligen Bauhaus- wie von ehemaligen Tesse- nowstudentinnen die unterschiedlichsten Bauten und Projekte: Möbel, Inneneinrichtungen, Ausstellungs- präsentationen und -gestaltungen, Land-, Ferien- und Einfamilienhäuser, aber auch gewerbliche, industriel- le, staatliche und parastaatliche Bauten sowie städte- bauliche Projekte und Planungen. Nun also lässt sich - im Vergleich vergleichbarer Aufgabenstellungen - der Einfluss der Ausbildung, aber auch der Zeitgeist in der Architektur punktuell näher beleuchten. Als die Tessenowdiplomandin Helga Karselt um 1931 von ihrer Studienfreundin, der Elekrotechnikerin Asta Hampe gebeten wird, ein Ferienhaus für sie und ihre Schwester in Kampen auf Sylt zu entwerfen, entsteht das linksseitig zu sehende Gebäude. Innerhalb des durch den Verleger Tiedemann aufgekauften und als Ferienkolonie für die bessere Gesellschaft erschlos- senen Geländes Am Hoogenkamp ließen sich zu Be- ginn der dreißiger Jahre u.a. die Kammersängerin Emmy Leisner und der Direktor der Berliner Museen, Wilhelm von Bode Häuser bauen. Die Pläne des „Hauses Hampe” sind nicht erhalten. Die dokumen- tierten Fotografien lassen jedoch große Ähnlichkeiten mit dem nur fünf Jahre später in Vitte auf Rügen rea- lisierten „Haus Haertel” nach Entwurf der Bauhausdi- plomandin Annemarie Wilke erkennen. Auch dieses Haus steht in einer neugegründeten Ferienkolonie. Auch hier existieren lediglich Fotografien. Angesichts der besonderen Lage und der vergleich- baren Aufgabe - beide Ferienhäuser wurden für pri- vate AuftraggeberInnen in den dreißiger Jahren er- richtet - verwundert die Übereinstimmung auf den ersten Blick nicht. Als Klinkerbau reetgedeckt das ei- ne, verputzt und mit ziegelgedecktem Steildach das 98 Vgl. S.274ff. Berufsfelder mit und ohne Dauer. 99 Im Unterschied zum ‘Zeitgeist’, der die unterschiedlichsten Rah- menbedingungen und Diskurse einer bestimmten Zeitspanne subsumierend zu charakterisieren sucht, wird der Begriff ‘Zeit- strömung’ i.d.R. verwendet, um Assimilationen an den gesell- schaftlich opportunen Mainstream als originären Bestandteil die- ses ‘Zeitgeistes’ darzustellen. 100 Scheinen Architektinnen wie bspw. Dinkelmann und Winkel- mann dem Neuen Bauen skeptisch gegenüber zu stehen, so ist bspw. bei Briggs, Frommer, Lihotzky und Pilewski das Interesse am Neuen Bauen unübersehbar. Plakolm-Forsthuber attestiert den Architektinnen der Ersten Republik in Österreich einen „Ra- tionalismus“, der ihre Werke „um mehr nur als eine Nuance fort- schrittlicher als die der liberalen Künstlerinnen und Kunst-hand- werkerinnen“ erscheinen lasse. Die Gründe hierfür sieht sie in im Selbstbewusstsein der Akteurinnen und der sozialpolitischen wie bautechnischen Auseinandersetzung. Plakolm-Forsthuber, 1994, S.238 resp. S.304 101 Dieser Nachweis kann an dieser Stelle nicht in der erforderlichen Breite geführt werden, mag jedoch anhand der Spannweite der publizierten Entwürfe bspw. von Lucy Hillebrand und Anna-Lülja Praun zu denen bspw. von Hanna Löw und Irmgard Déspres zu ermessen sein. Projekte, Bauten, Konzepte 245 „Haus Hampe”, Kampen / Sylt, 1931-32, Helga Karselt „Haus Haertel”, Vitte / Hiddensee, 1937, Annemarie Wilke Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar andere, wählen beide das Krüppelwalmdach, um als kleine, betont ländliche Häuser in Erscheinung zu tre- ten. Beide Häuser ordnen sich in Materialwahl und Ausdruck deutlich in lokale Bautraditionen ein. Beide sehen Ausblicke nach allen Seiten vor. Bei beiden Häusern sind nahezu sämtliche Öffnungen aus den Achsen gerückt. Karselt wählt liegende Glasformate, Wilke stehende. Sie hängt im Erdgeschoss außerdem hölzerne Klappläden daneben. Hier bauen also zwei an unterschiedlichen ‘Schulen’ diplomierte, gleichal- trige Architektinnen nahezu zeitgleich in vergleichba- ren Kontexten Häuser, die sich in ihrer äußeren Er- scheinung als durchaus ähnlich bezeichnen lassen. Dabei bildet sich nichts ab, was als signifikanter Ein- fluss der Ausbildungsrichtung identifiziert werden müsste. Wird der äußere Eindruck dieser Häuser also primär durch eine - zeitlose? - Aufgabenstellung oder den - besonderen? - Ort bestimmt? Oder ist der ent- scheidende Einfluss im Zeitgeist zu finden? Während das Haus Hampe in den Zeiten der Weimarer Repu- blik gebaut wird, entsteht das Haus Haertel erst wäh- rend des Nationalsozialismus. Da sich bei beiden Ferienhäusern die Rahmenbedin- gungen nur bedingt nachzeichnen lassen102, bleibt un- klar, in wieweit es sich bei diesen Häusern um origi- näre resp. durch BauherInnenwünsche modifizierte Entwürfe der jeweiligen Architektin handelt. Und auf- grund der ebenso vergleichbaren wie besonderen Standorte wird hier nicht gänzlich deutlich, ob bzw. welche weiteren Auflagen vielleicht zu berücksichti- gen waren, bspw. aufgrund von Bebauungsplänen.103 Ziehen wir jedoch, gerade unter dem Gesichtspunkt: Handschrift oder Zeitgeist, von beiden Architektinnen weitere Entwürfe hinzu, so treten weitere Irritationen ein. Denn von Wilke ist aus diesem Zeitraum der ne- benstehend rechts abgebildete Entwurf eines Einfa- milienhauses, von Karselt - neben dem zusammen mit Emil Schuster realisierten „Buon Retiro” 104 - die linksseitig zu sehende Zeichnung eines Entwurfes für ein „Studentinnenheim” bekannt. Dieser Entwurf da- tiert um 1932, damit nahezu zeitgleich zum „Haus Hampe”. Wilkes Entwurf datiert aus dem Jahre 1935, also vor ihrem Entwurf des „Hauses Haertel”. Erneut sind die Entstehungsbedingungen beider Ent- würfe unbekannt. In beiden Fällen können sie jedoch zumindest annähernd rekonstruiert werden. Helga Karselt, seit 1930 diplomiert und als Hilfsassistentin tätig, entwickelt dieses Projekt „gemeinsam mit Berli- ner Studentinnen in einer Arbeitsgemeinschaft“ 105 Es dürfte im Zusammenhang mit der um 1931 wiederbe- lebten Diskussion über Wohnheime für Studentinnen entwickelt worden sein.106 Obschon von diesem Ent- wurf nur eine perspektivische Außenansicht publiziert ist, wird die Konzeption dank der textlichen Beschrei- bung deutlich: Mit Fahrradkeller und Gymnastikraum 102 Auf Nachfrage erklärte Annamaria Mauck, dass der Bauherr Buchhändler gewesen sei. Weitere Informationen, Quellen resp. die Planungsunterlagen zu diesem Haus fehlen bisher. 103 Auf dem rechten Bild ist jedoch bspw. ersichtlich, dass ein Krüppelwalm in der Ferienkolonie Vitte nicht obligatorisch war. 104 Siehe Abbildung S. 217 105 Voßnack, Lieselotte : „Ein Berliner Studentinnenwohnheim“, in: Frau und Gegenwart, 28.Jg., H.6, März 1932, S.158. Unklar ist bisher, ob Karselt dieses Projekt innerhalb oder außerhalb ihres Deputats bearbeitete und ob die „Berliner Studentinnen“ poten- tielle Bewohnerinnen oder Architekturstudentinnen an der TH waren. Als Hilfsassistentin Krenckers soll Karselt viel Arbeit aber auch alle Freiheiten gehabt haben, da Krencker seinerzeit auch Rektor war. Prof. Asta Hampe im Telefonat am 17.6.1997 106 Klagen über das unzureichende Wohnungsangebot für Studen- tinnen häufen sich in den zwanziger Jahren in Frauenzeitschrif- ten. Im Frühjahr 1930 führt der Deutsche Akademikerinnenbund zu diesem Thema eine Veranstaltung durch. Agnes v. Zahn-Har- nack, die 1926 zu den Gründerinnen des DAB zählte und seit- dem dessen erste Vorsitzende war, verfasste unter dem Ein- druck einer Amerikareise 1929 eine „Denkschrift über die Schaf- fung eines Studentinnenhauses zu Berlin“, 1930 eine „Gedenk- schrift zur Gründung eines Studentinnenheimes”. Zahn-Har- nack, Agnes von: Die Geschichte des Deutschen Akademikerin- nenbundes 1926-1933, (1950), publiziert in: Diess.: Schriften und Re-den 1914-1950, Tübingen, 1964, S.1ff. - dort erinnert sie: „Die Pläne waren bis ins einzelne vorbereitet.“ Ibid., S.3 246 Zum Einfluss der Schulen „Wohnhaus in Berlin-Zehlendorf”, 1935, Annemarie Wilke, „Haus Hampe”, Kampen / Sylt, 1931-32, Helga Karselt „Entwurf zu einem Studentinnenheim”, um 1931, Helga Karselt „Haus Haertel”, Vitte / Hiddensee, 1937, Annemarie Wilke Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar im Untergeschoss, Gemeinschaftsräumen und zen- traler Küche im Erdgeschoss erfüllt die zweiflügelige Anlage die Forderung nach „zweckmäßiger, wenn auch einfacher Behausung“. Die darüberliegenden, „beliebig aufstockbaren“ Geschosse erschließen ost- bzw. westorientierte Einzelzimmer und verfügen am jeweiligen Flurende über Bade- und Duschräume. Die zweihüftige Grundrisskonzeption trägt der Wirtschaft- lichkeit Rechnung, dennoch ist „in der jetzigen Not- zeit an eine Ausführung wohl nicht zu denken.“ 107 Auf der Fassadenskizze ist ein viergeschossiges Ge- bäude in freier Lage zu erkennen, das im Eingangs- bereich eine markante kubische Staffelung zeigt, ähnlich Briggs´ Ledigenheim.108 Die Zimmer scheinen ebenso einheitlich wie ‘back-to-back’ konzipiert zu sein. Dies legt die Gruppierung der hochformatigen Fenster in der Lochfassade nahe. Hinweise auf Auf- traggeberInnen oder einen konkreten Standort finden sich hier ebenso wenig wie bei Wilkes Entwurf für ein „Wohnhaus in Berlin-Zehlendorf”. Dieses kleine und im Ausdruck sehr reduzierte Haus dürfte hinsichtlich der Aufnahme in die Reichskulturkammer entstanden sein.109 Es ist für eine vierköpfige Familie konzipiert. Lediglich teilunterkellert beherbergt es erdgeschossig einen zum Garten orientierten Wohn-/Essbereich, so- wie Küche und WC. Im Obergeschoss befinden sich ein Doppel- und zwei Einzelschlafzimmer, sowie ein weiteres WC. Erneut erscheint der Entwurf der Tesenowdiploman- din Karselt keinesfalls traditioneller im Ausdruck als der der Bauhausdiplomandin Wilke, der in seiner Re- duktion - wie auch in der Grundrissorganisation - na- hezu als ‘typischer Tessenowgrundriss’ gelten könn- te. In Fensterformaten und Fassadenaufbau unent- schieden, bildet sich hier jedoch vielleicht auch ein Kalkül ab, eine der gesellschaftlichen resp. (fach-) 107 Voßnack, 1932. Sie bezieht sich hier auf Zahn-Harnack´s Initiati- ve. Die Einrichtung des sog. Tagesheimes für Studentinnen in den Räumlichkeiten des Stadtschlosses war Ende der zwanziger Jahre bereits gelungen, die Gründung eines für die Mehrzahl der Studentinnen erschwinglichen Studentinnenwohnheimes gelang nicht. 108 Vgl. Abbildungen Kap. 3, S.41 109 Im Unterschied zu zeitgleichen Entwürfen Wilkes nennt sie hier ausnahmsweise kein/e BauherrIn namentlich. Wilke stellt um 1935 einen Aufnahmeaantrag, wird spätestens 1936 Mitglied. Projekte, Bauten, Konzepte 247 Haus in Babelsberg, 1936, Egon Eiermann, Ansicht Gartenseite „Wohnhaus in Berlin-Zehlendorf”, Ansichten (oben), Grundrisse (unten) „Rats-Apotheke”, Berlin-Staaken, 1936, Carl Bauer Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar politischen Akzeptanz vorauseilende Assimilation. Dieses Haus wird nicht realisiert. Ein vergleichbares Häuschen wird 1936 jedoch bspw. nach Entwurf von Egon Eiermann in Babelsberg gebaut. Im Vergleich zu anderen Entwürfen - wie bspw. der „Rats-Apothe- ke” in Berlin-Staaken von Wilkes Diplom-Kollegen Carl Bauer - wird jedoch unmittelbar deutlich, dass die Suche nach nationalen Bautraditionen zeitgleich noch wesentlich rückwärtsgewandter betrieben wird. Und auch Wilke macht bald darauf offensichtlich wei- tere Zugeständnisse an politische Erwartungen. Als sie 1937 auf der Weltausstellung in Paris für Ausstat- tung und Arrangement von Tischen und Vitrinen im Deutschen Pavillon verantwortlich ist, ergänzen per- fekt mit Porzellan und Gläsern der VLG eingedeckte Tische die nationale Gemütlichkeit vor hakengekreuz- ten Tapeten. Und entlang der großen Enfilade wech- seln sich reduzierte Ganzglasvitrinen mit in - deut- schem - Holz gefassten Vitrinen ab.110 Deutlicher als unter diesen politischen Bedingungen scheinen sich Ideen und Einflüsse aus dem Studium direkt nach Eintritt in die Praxis abzubilden. So zeigt Hildegard Hesses Kleinst-Wochenendhaus aus dem Jahre 1925 deutlich, wie konsequent die Gestalterin die Erkenntnisse reduzierter Materialwahl und For- mensprache in der Grundkonzeption wie der Ausfüh- rung umsetzt.111 Auch in Friedl Dickers Entwürfen, vor allem jenen für Innenräume, war jene Experimentier- freude und Begeisterung für flexible Nutzungskon- zepte wiederzufinden, die wir bereits aus ihren Stu- dienentwürfen kannten. Und Kattina Both´s bei der Ausstellung „Heim + Technik“ in München 1928 ge- zeigte Wohnung für eine vierköpfige Familie - zeigt ließ diese Begeisterung für ebenso flexible wie aus- getüftelte Systeme erkennen. Gertrud Ursula Weiß´ Möbelentwürfe zeigten eben diese Tendenz zur Re- duktion und’Sachlichkeit’ während ihr höchst eigen- williger Entwurf eines Hauses für die eigene Familie in Berlin-Niederschönhausen nahezu keinerlei Anklänge an das ‘Neue Bauen’ erkennen ließ.112 Bei Tessenowdiplomandinnen ließen sich nur wenige Bauten aus dieser frühen Phase dokumentieren. Aber auch hier fanden wir bspw. bei den Entwürfen Liese- lotte von Bonins diese augenfällige ‘Ausbildungsprä- gung’ beim Berufseinstieg.113 Und betrachten wir die Einfamilienhäuser, die Gertraude Herde 1949 und 1950 in einer Randlage des niedersächsischen Nord- stemmen baut114, so erwecken sie den Eindruck, be- reits in der Studienzeit entstanden zu sein. Denn so sehr sich die Lebensrealität dieser BewohnerInnen durch Nationalsozialismus und zweiten Weltkrieg ver- ändert haben mag, diese Wohnhäuser ähneln zwei- felsohne dem kleinen Wohnhaus oder dem kleinen Arzthaus, das Gertraude Engels während der Weima- rer Republik entwarf.115 Nicht nur in der Erscheinung, auch in den Grundrissen zeigt sich diese Welt nahezu unverändert. Auch Wera Meyer-Waldeck knüpft An- fang der fünfziger Jahre mit dem unten abgebildeten Haus Bockemühl deutlich an Vorkriegsbeispiele an. Lediglich in der Zahl der Fensterachsen reduziert scheint hier ein bereits 20 Jahre zuvor von der Kolle- gin Mary Crowley gebautes - und vielfach publizier- tes - Landhaus aufgegriffen worden zu sein.116 Die auf der rechten Seite abgebildeten Beispiele pri- vater Wohnhäuser hingegen sprechen erneut für den dominanten Einfluss der Zeitkomponente. Denn um 1954 entsteht sowohl in Münster das „Haus Otte” nach Entwurf von Christa Kleffner-Dirxen und Eber- hard Kleffner wie in Hannover - ein Entwurf von Ewa und Dieter Oesterlen - ein Haus für den eigenen Be- darf. So deutlich sich das Raumprogramm beider Häuser unterscheidet, in ihren der Sonne zugewand- ten Seiten unterschieden sich beide Häuser nur in Details, erscheint die Südfassade des „Hauses Oe- sterlen” lediglich als eine auf volle Zweigeschossig- keit erweiterte Variante des Hauses Otten. Wenn ‘die Zeit’ einen solch starken Einfluss ausübt, wie stellt sich die - wohl oder nicht erkennbare - ‘Ausbildungsprägung’ im Laufe der Jahrzehnte dar? 110 NL Wilke. In der Fotografischen Dokumentation ihrer Tätigkeit bei der Weltausstellung 1937 sind insbesondere die in Holz ge- fassten Vitrinen zu sehen. Die im Wechsel mit diesen Vitrinen stehenden Ganzglasvitrinen sind als Produkte der Firma Glas- bau Heinrich Hahn Frankfurt ausgewiesen. (Vgl. Hoffmann, Heinrich: Deutschland in Paris, München, 1937, S.45) Bisher ist unklar, ob Iwanka Hahn an dieser Präsentation mitwirkte. 111 Vgl. Abbildung S.210. 112 Vgl. Abbildungen S.273 zu S.217. 113 Vgl. Abbildungen S.215-216. 114 Vgl. Abbildungen S.234-235. 115 Vgl. Kap. 5, Abbildungen S.125-126. 116 Dieser Entwurf Crowleys wurde bspw. publiziert in Gould, Jere- my: Modern Houses in Britain, London, 1936, Pl. 32 - aber auch in Zechlin, Hans Josef: Landhäuser, Neue Ausgabe, Tübingen, 1951, S.51 248 Zum Einfluss der Schulen Blick in den Deutschen Pavillon auf der Weltausstellung 1937 in Pa- ris, BesucherInnenandrang (oben) Blick auf die Vitrinenreihe (unten) - Vgl. auch Abb. auf S.226. „Haus Bockemühl”, Bonn, 1954, Wera Meyer-Waldeck„House Nr. 102”, Orchard Road, Tewin, Hertfordshire, 1935, Mary Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Projekte, Bauten, Konzepte 249 „Haus Oesterlen”, Hannover, Grundrisse Erdgeschoss und Obergeschoss (lins resp. rechts oben), “Wohnhof” bei Nacht und Essdiele mit Blick in den ‘Wohnhof’ (unten) sowie Ansicht Südseite „Haus Otte”, Münster, 1954, Christa Kleffner-Dirxen und Eberhard Kleffner, Grundriss Erdgeschoss (links) und Obergeschoss (rechts) sowie Ansicht von Süden Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Vom Einfluss der ‘Schulen’ in der Architektur: Bauhaus- und Tessenow-’Schülerinnen’? „Der Einfluß war groß, davon hat man sich im Lauf des Lebens irgendwie, durch die Umstände, wieder distanziert oder durch andere Ansprüche“ beschreibt Annamaria Mauck den Verflüchtigungsprozess des Bauhaus-Einflusses auf ihr Leben.117 Erklärend führt sie aus: „Die An-prüche heute sind nicht die gleichen wie damals [..] was man 1930 schön gefunden hat, kann man 1990 nicht mehr unmittelbar schön finden, dafür verändert sich die Welt zu schnell. (..) auf mich wirkt es heute absolut museal.” 118 Hat mensch sich dem ‘großen Einfluss’ bewusst oder ‘irgendwie’ entzogen? Verblassen Ausbildungs-’Prä- gungen’ - ähnlich einem Stoffdruck - im Laufe der Zeit? Liegt dies, um im Bild zu bleiben, an der der Qualität des bedruckten Stoffes oder der der Farbe? Oder - wie sich Maucks Erklärung verstehen lässt - insbesondere an der Sonneneinstrahlung? Oder wan- delt sich die Prägung, ‘reift’ von einer vordergründi- gen Adaption zu einer erkennbaren Haltung? Gelten in der dauerhaften Architektur, die sich als die ‘wah- re’ kurzlebigen Moden entzieht - hinsichtlich ‘Dauer- haftigkeit’ und ‘Vererbbarkeit’ von Haltungen beson- dere - fachspezifische - Gesetze? Oder ist der Grad der Prägung bzw. der Haltung auch in der Architektur ein lediglich retrospektiver Parameter für die Qualität des Studienangebotes, da der faktische Adaptions- grad erst auf der Basis eines weiteren Schaffens erkennbar wird, erkennbar werden kann? Diese Fragen sind innerhalb der Architektur kaum zu beantworten. Die Baugeschichtsschreibung bleibt in diesem Punkt ebenso unentschieden wie unpräzise. In aller Regel wird eine Prägung unterstellt, die - je nach Blickwinkel - explizit oder implizit weiter- oder ‘mitgegeben’ wird, ver- resp. ‘ererbt’ wird, der sich manche AkteurInnen aber auch bewusst entziehen oder widersetzen.119 Als Lieselotte von Bonin - nach einer erneuten Heirat 1936 - auf dem Grundstück ihrer Schwiegereltern 1937 ein Haus für den eigenen Bedarf baut, gestaltet sie auch den nördlichen Bereich des Gartens um. Sie geometrisiert ihn durch orthogonal angelegte Wege, trennt ihn gestalterisch vom landschaftlich-romanti- sierenden Teil des ausgedehnten Grundstückes - mit Pavillon zum Herthasee - ab und schlägt ihn der neu- en Bebauung zu. In Anbetracht des nur einen Stein- wurf entfernten, durch Ernst Eberhard von Ihne kurz vor der Jahrhundertwende im Landhausstil als betont nicht-repräsentativer Bau errichteten Hauptgebäudes, erscheint der Bonin-Bau nahezu bescheiden.120 Nichtsdestotrotz handelt es sich hier um ein großbür- gerliches Landhaus mit ausgebautem Dach. Im Nor- den dieses winkelförmigem Grundrisses liegen Ein- gangsbereich, Küche und Gesellschaftsräume. Im Südflügel ist die Wohnung für die Familie mit Baby untergebracht. In Konzeption und Ausführung ebenso ruhig wie gediegen, zeigt dieses Landhaus für die ei- gene Familie zumindest zweierlei: Trotz schwieriger Zeiten zeigt Lieselotte von Mendelssohn einen klaren 117 Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995 in München. 118 Ibid. 119 Dieser zwischen Seelenverwandtschaft und lex sanguis oszillie- rende Diskurs findet seine Entsprechung in einer personalisier- ten - auffällig häufig am Narrationsmuster des Heldenepos ori- entierten - Baugeschichtsschreibung. Diese antecipierend neigt bereits die Selbstdarstellung - kaum minder als die Darstellung in der Architekturkritik - zur Fokussierung auf einen alleinigen Schöpfer und dessen so alles entscheindende ‘Tat’ resp. Idee. Diesem fragwürdigen - bereits zu Beginn dieser Untersuchung diskutierten - Blickwinkel fällt dann alles zum Opfer, was Zweifel an dieser Idee resp. deren Heldenhaftigkeit sachüren könnte. In diesem Sinne ist eine distanzierte Architekturkritik kaum denk- bar, stehen die KritikerInnen bereits im Lager einer ‘kommen- den Architektur’ oder einer ‘bewahrenden’ Baukunst. 250 Zum Einfluss der Schulen „Haus Mendelssohn”, Berlin-Grunewald, Herthastraße, 1937, Lieselotte von Mendelssohn, Aufnahme von Osten Grundriss Erdgeschoss Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar und zurückhaltenden Gestaltungswillen und keinerlei Scheu vor den großen Namen und Bauten des vor- handenen Ensembles.121 Mit Sensibilität im Umgang mit dem Bestand realisiert sie hier ihr eigenes bauli- ches Statement. Als sie Anfang der siebziger Jahre zum zweiten Mal ein Haus für den eigenen Bedarf baut, entsteht das hier zu sehende Haus in Kreßbach bei Tübingen, das sie 1972 bezieht. Dies ist ein in den Hang geschobe- nes Einfamilienhaus mit straßenseitiger Einliegerwoh- nung, das erneut die Wohnebene mit deutlichem Be- zug zum Garten und dem - hier westseitigen - Blick in die Landschaft nutzt. Um auch aus dem Dachge- schoss diesen Blick zu gewähren, wird hier der Walm zugunsten eines Giebels gekappt. Erneut ist die Aus- führung gediegen, die Konzeption funktional und an einem großbürgerlichen Lebensstil orientiert.122 Auch Hildegard Oswald lässt es sich nicht nehmen, die Häuser für den eigenen Bedarf selbst zu entwer- fen. Das erste Haus Oswald entsteht 1959 am View- mont Drive in Portland/Oregon. Als sich Bedürfnisse und Wünsche ändern, entwirft auch sie ein weiteres Haus für die eigene Familie, das 1972 an der Seblar Terrace, ebenfalls in Portland, realisiert wird.123 120 Diesen hatte Franz von Mendelssohn (1865-1935) kurz vor der Jahrhundertwende errichten lassen. Vgl. BUSB IV C 11 Abb.17 bzw. Zeidler & Wimmel 1776-1926, S.127 121 Von Bonin war anlässlich dieser Heirat aus der RKK ausge- schlossen worden (Vgl. Kap.7, S.201f.), das Bankhaus Mendels- sohn & Co stand vor der Übernahme durch die Deutsche Bank (1938) Vgl. Schoeps, Julius: Wie die Deutsche Bank Mendels- sohn & Co schluckte in: Frankfurter Rundschau, Nr.276, 27.11. 1998, S.10 122 Dies wird bspw. an den verteilten Einzelbädern sichtbar. 123 Vgl. zu Haus Oswald I Abbildungen S.238, zu Haus Oswald II Abbildungen S. 242. Projekte, Bauten, Konzepte 251 „Haus Boedeker”, Tübingen-Kreßbach, 1971, Lieselotte von Bonin resp. Boedeker, Ansicht Gartenseite, Aufnahmen 1997 (rechte Seite) Ansichten von Norden (oben), Osten (unten) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Beide Häuser beider Architektinnen zeigen trotz des langen zeitlichen Abstandes - im Falle Bonins von 35, bei Oswald 13 Jahren - in den Grundrissen deutliche, im gestalterischen Ausdruck aber nur vergleichsweise geringe Veränderungen. Dabei zeigen Bonins Häuser deutliche Anklänge an Tessenowsche Entwürfe, sind im Grundriss wie in den Fassaden jedoch freier kon- zipiert. Hildegard Oswald orientiert sich dagegen weit deutlicher an amerikanischen Einfamilienhäusern der sechziger Jahre. Insbesondere in den Grundrissen sind keinerlei Anklänge an ihr Studium mehr zu fin- den. Sie konzipiert Grundrisse frei, schafft vereinzelt auch fließende Raumübergänge und spielt mit räumli- chen Überschneidungen. Hier wird deutlich, dass das formale Repertoire, das während des Studiums unübersehbarer Bestandteil der jeweiligen Lehrmeinung war - auch wenn es nicht explizit als solches gelehrt wurde - sich als erkennba- re Ausbildungsprägung bei Architekturstudentinnen der Weimarer Republik nur so lange ‘hält’, als es für konkrete Aufgaben am jeweiligen Ort ausreichend Potential wie Passgenauigkeit bietet. In welcher Relation stehen jedoch Ideen, Planungen und Bauten ehemaliger Architekturstudentinnen der Weimarer Republik zu einer ‘modernen’ oder ‘tradi- tionellen’ architektonischen Haltung? Wie sind sie hinsichtlich ihrer ideengeschichtlichen Dimension zu bewerten? 124 Welchem Umstand resp. wessen Intervention das schließlich gebaute Haus im Moselweg sein zweites Vollgeschoss verdankt, ist unklar. Sobald diese Entscheidung gefallen ist, findet Gunkel jedoch schnell zu einem in der Gesamterscheinung stimmigen Entwurf mit größeren Fensteröffnungen und einem entspre- chend flach geneigten Dach. 252 Zum Einfluss der Schulen „Haus S.”, Kassel-Wilhelmshöhe, 1934, Anni Gunkel, Aufnahme nach Fertigstellung (oben) und Zustand 1996 (links) „Haus Schwerdtfeger”, Entwurfsvorschlag, 1934, Anni Gunkel, Ansichten und Grundrisse (nicht realisiert) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar In diesem Sinne bilden die beiden folgenden Beispie- le Realität und Programm deutlich sichtbar ab. 1934 realisiert Anni Gunkel für ihre Tante das links abgebil- dete Haus im Moselweg. Keine drei Jahre später baut Hilde Reiss für private BauherrInnen das dane- ben abgebildete Haus in einem Außenbezirk einer nördlich von Manhattan gelegenen Kleinstadt. Beide Häuser - in annähernd vergleichbarer Lage und mit annähernd demgleichen Raumprogramm - bieten Mitte der dreißiger Jahre völlig differente Wohnfor- men an. Beide sind zweigeschossig und nach allen Seiten orientiert. Während Gunkel jedoch das abge- schlossene, dauerhafte Behausen in eine feste Form fügt, entwirft Reiss Wohnen das offene, eher tem- poräre und auch wieder demontierbare Form. Die bei Gunkel geschaffenen Räume trennen klar zwi- schen der ‘großen weiten Welt’ und dem ‘Heim’. Die von Reiss / Friedmann angebotenen ‘fließenden’ Räume propagieren den Kontakt zur Außenwelt und eine Vorstellung von Privatheit, die in die Verantwor- tung der BewohnerInnen gelegt ist. Hier schützt die Außenhaut vor Wind und Wetter, bildet jedoch nicht mehr die hermetische Mauer zwischen privatem und öffentlichem Raum. Dieser Unterschied in der Auffas- sung menschlichen Wohnens resp. Lebens bildet sich ebenso im Innenraum ab. Und obschon sicher- lich die verschiedenen kulturellen Kontexten dieser beiden Häuser beachtet werden müssen, so wird hier deutlich, dass die zentrale Differenz nicht allein durch diesen Unterschied begründet ist. Denn wie Gunkels - linksseitig unten abgebildeter - erster Entwurf für das Haus im Moselweg zeigt, orientierte sich ihr Vor- schlag für daselbe Raumprogramm zunächst unmit- telbar an Tessenowschen Vorstellungen vom Famili- enwohnen.124 Gerade anhand der Arbeiten Anni Gun- kels wird jedoch auch deutlich, dass ggfs. bereits im Laufe von Studiums verschiedene Gestaltungskodi- zes durchexerziert werden mussten, wie sehr die As- similation an die jeweilige Erwartungshaltung dem Projekte, Bauten, Konzepte 253 „Haus S.”, Pleasantville, 1937, Hilde Reiss mit William Friedman, Aufnahme nach Fertigstellung (oben) und Zustand 1979 (rechts) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Finden und Entwickeln eines eigenen Weges im We- ge stehen konnte.125 Denn eben diese Anni Gunkel [geb. Pfeiffer], die um 1933 jenes steil bedachte Haus für ihre Tante zu bauen beabsichtigt, reichte 1930 den unten abgebildeten, ungemein sachlichen Ent- wurf anlässlich des Kasseler Wettbewerbes zum Aschrott-Wohlfahrtshaus ein. Dieser Entwurf für einen Standort an der Fuldabrücke organisiert das Raumprogramm in einen Veranstal- tungsbereich entlang der Fulda und einen über dem Eingangsbereich auf Stützen freigestellten siebenge- schossigen Verwaltungs-Skelettbau entlang der Neu- en Fuldagasse, die durch eine eingerückte Schatten- fuge miteinander verbunden sind. In der städtebau- lichen Abwicklung wird deutlich, dass es ihr insbe- sondere um eine Torsituation des westlichen Brük- kenkopfes geht, sie schlägt die Spiegelung der Ge- bäudekupatur auch auf der Nordseite vor. So skiz- zenhaft dieser Entwurf angelegt ist, der durchgängig kubische Entwurf überrascht doppelt: Auch wenn Pfeiffer fast überdeutlich an die Traufen der Nachbar- bebauung anschließt, mit einem Stahlskelettbau die- ser Klarheit schließt sie keineswegs an die lokal vor- han-dene Bebauung ihrer Heimatstadt an. Sie ent- wirft an der Stadtgrenze zur Unterneustadt einen markanten Eckpunkt, der in seinem ebenso entschie- denen wie reduzierten Ausdruck weit mehr Parallelen zu den Wettbewerbsbeiträgen von Walter Gropius und Otto Haesler, denn zu Studienentwürfen der ‘Münchner Schule’ oder bei Tessenow zeigt.126 Das Preisgericht, dem u.a. Hugo Häring, Martin Kieß- ling, Bruno Taut und Richard Döcker angehören, lobt den sachlichen Ausdruck: „Eine sparsame Anord- nung schien dem Preisgericht am besten mit der Auf- gabe eines Wohlfahrtsgebäudes übereinzustimmen.“ Ein Hochhaus möchte es aber „nur dann anerkennen, wenn unbedingt zwingende Gründe, die sich aus dem Programm ergeben, zu einem solchen Hoch- haus führen. Sonst aber erscheint dem Preisgericht die Einfügung eines Hochhauses in die vorhandene Umgebung und das Stadtbild Kassels als eine über- flüssige Härte.” 127 Dementsprechend gewinnt der nur viergeschossige Entwurf von Waldemar Sichel und Karl Leers. Preisgekrönt werden dennoch die sieben- resp. achtgeschossigen Entwürfe von Gropius bzw. Haesler. Aber entscheidet sich die Frage, ob traditionell oder modern gebaut wird vielleicht auch daran, ob die Pla- nungen für Frauen emanzipative Raumnutzungen vor- sehen? Ob sich solche Konzeptionen moderner Le- bensformen in der Grundrissorganisation, aber auch im Ausdruck widerspiegeln? Bereits 1930 hatte Grünbaum-Sachs formuliert: „Vom Standpunkt der Hausfrau muß jedenfalls gesagt wer- den, daß das kleine Einfamilienhaus genau so grund- legend reformbedürftig ist wie das aus Kleinwohnun- gen bestehende Hochhaus.” 128 Der Reichsverband der Hausfrauen hatte in den zwanziger Jahren mehr- fach die Mitarbeit von Hausfrauen gefordert und die Auffassung vertreten, dass die Funktionalität der Grundrisse wichtiger sei als die Fassade. Dennoch feierten auch Erwartungen hinsichtlich einer traditio- nell repräsentativen Ausstrahlung von Neubauten fröhliche Urstände. Und Marie-Elisabeth Lüders stell- te 1930 gar die Forderung auf: „Alle diejenigen, die sich berufen fühlen, Häuser für die großen Massen (..) zu bauen, müssen lernen, vom Kochtopf zur Familie (sic) zu bauen und nicht umgekehrt.“ 129 Doch hatte sich unter der Mitwirkung der Hausfrau- enverbände wenig geändert. Und wie bereits gezeigt, waren Themen, die während der Kaiserzeit maßgeb- lich durch frauenbewegte Damen der Gesellschaft iniitiert worden waren, bereits im Laufe der zwanziger Jahre durch Architekten des neuen Bauens im Zu- sammenwirken mit der ‘Hausfrauenbewegung’ erfolg- reich reklamiert worden.130 Dennoch hatten in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre auch Architektin- nen diese Aufgaben bearbeitet.131 1931 stellt Hildegard Geyer-Raack in der von ihr or- ganisierten „Internationalen Raumausstellung“ in Köln eine ‘Junggesellinnenwohnung’ vor. Dieses - auf der rechten Seite zu sehende - Apartment zielt weniger auf eine flexible Raumnutzung denn auf eine beson- dere Rauminszenierung. Ähnlich der von Frommer für ihren Hotelbau gewählten Konzeption schlägt Geyer- 254 Zum Einfluss der Schulen Blick in das Mädchenzimmer im Haus Schwerdtfeger Blick in das Schlafzimmer im Idea House II 125 Ein solcher Wechsel der Entwurfsauffassungen scheint weder durch die Differenz der Aufgabenstellungen noch durch den Besuch des Seminars bei Tessenow erklärlich. 126 Vgl. Abbildung Kap.5, S.145 127 Deines, Emil : Bauwettbewerbe, Heft Nr.50, Mai 1930, S.29. Zu Pfeiffers Entwurf führt die Jury darüberhinaus noch aus: „Der seinen inneren Bedingtheiten entsprechende Bau braucht eben- falls nicht nach Art eines Brückenkopfes aufgefaßt zu werden.“ 128 Handbuch des Wohnungswesens, 1930, S.254. Eine Umfrage hatte ergeben, dass nur 35% der Hausfrauen sich ein Eigen- heim wünschten. - In der sozialistischen Presse waren die Be- denken gegen die Propagierung des Einfamilienhauses noch stärker. 129 Vgl. Kap. 3, S.37ff. 130 Lüders, Marie-Elisabeth: Statement während der Diskussion „Die sozialpolitische Bedeutung der Wohnungswirtschaft in Ge- genwart und Zukunft“, in: Verband für Wohnungswesen (Hg.): Wohnen und Bauen, Frankfurt/M., 1930, VI/VII, S.229 131 Entwürfe von Schütte-Lihotzky für berufstätige Frauen und für Studentinnen über Mietshausgrundrissen, sowie ihr Entwurf für ein eigenständiges Studentinnenwohnheim entstehen bis 1930 in Frankfurt (Allmayer-Beck, et.al., 1993, S.122 resp. Fachblatt für Holzfacharbeiter, 1928, S.247.). Vgl. zum Entwurf Norkauers (1928) Kap.3, S.40. Schütte-Lihotzkys oder Norkauers Vorschlä- ge für - auch für berufstätige Frauen - bezahlbare Mietwohnun- gen - sind jedoch erkennbar weniger an bürgerlichen Bedürfnis- sen als am Bedarf breiter Bevölkerungsschichten orientiert. „Aschrott-Wohlfahrtshaus an der Fuldabrücke” in Kassel, 1930, Wettbewerbsentwurf Anni Pfeiffer Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Raack hier eine räumlich flexible Trennung von Wohn- und Schlafbereich vor, die zur Erweiterung des Raumerlebnisses aufgehoben werden kann. Im Unterschied zu den in Tag- und Nachtnutzung ver- wandelbaren minimierten Ein-Raum-Wohnungen die- ser Jahre bieten solch großzügigere Ledigenwohnun- gen den Komfort einer abgeschlossenen Küche und die Möglichkeit der getrennten Nutzung beider Be- reiche. In der Klarheit der Möblierung entspricht der Grundriss Geyer-Raacks der 1928 von Norkauer vor- gestellten - wesentlich kleineren - Wohnung für eine berufstätige Frau. 1933 spricht Gustav Adolf Platz davon, dass die ge- genwärtige Architektenschaft „mit dem Rüstzeug ei- ner neuen Gesinnung und einer klaren Formenan- schauung (..) entsprechend der soziologischen Situa- tion der Gegenwart diejenigen Wohnungstypen wei- ter (..) bildet, die einer starken Schicht von heutigen Menschen entsprechen“, da „die Verselbständigung der Frau und die Not unserer Zeit einen neuen Men- schentyp“, nämlich die berufstätige Frau geschaffen habe.132 Spätestens seit 1929 gehört Katt Both diesem neuen Menschentyp an. Als Entwerferin findet sie in dem von ihr bewohnten Zimmer in Berlin auch eine räum- liche Lösung: Ein kompromisslos nur mit einem Ses- sel, einem Tisch und einer Schlafcouch ausgestatte- tes Zimmer.133 In diesem bereits eingangs gezeigten, mit großflächigen, orangefarbenen Trolit-Insulite-Plat- ten verkleideten Zimmer lässt die reduzierte Kon- struktion der frei arrangierten Stahlrohrprototypen deren Materialität stark hervortreten. In der von Hans Luckhardt in aufwändigem Tiefdruck herausgegebe- nen Bürodarstellung befindet sich eine Abbildung dieses ‘Damenzimmers’, zu dem - im Unterschied zu den anderen hier präsentierten Projekten - alle wei- tergehenden Angaben fehlen.134 Hier ist eine ebenso eigenwillige wie selbstbewusste Vorstellung eines Zimmers einer berufstätigen Frau zu sehen. Wie definieren Architektinnen dieser Generation nun den ‘room of her own’? Als erkennbar von ihnen in Besitz genommene Orte? Als Räume, die die Verein- barkeit von Berufs- und Familienrolle ermöglichen sollen? Wird die (Berufs-)Tätigkeit der Bewohnerin eher traditionell kaschiert oder modern abgebildet? Als Gertraude Herde 1949 ihre Häuser in Nordstem- men nach Tessenowschem Vorbild entwirft, steht die Geschlechterhierarchie nicht in Frage. Und als Wera Meyer-Waldeck 1962 bei der Planung eines moder- nen Studentinnenwohnheimes die modernen Bedürf- nisse der Bewohnerinnen berücksichtigt, denkt sie auch an die ‘Studentinnen-Autos’.135 Offenbar sind eigenständige Lebens- und Wohnfor- men von Frauen nach 1945 kaum mehr ein Thema. Bildeten sich in dem 1930 von Marlene Poelzig in der Tannenbergallee errichteten, eigenen Haus die pro- fessionellen Prioritäten der Hausherrin offen ab - in 132 Platz, Gustav Adolf: Wohnräume der Gegenwart, Berlin, 1933, S.83 resp. S.66. Im folgenden bildet er Schütte-Lihotzkys Grundrisse für ein Frauenwohnheim und Studentinnenwohnheim ab. Ibid, S. 67 133 Vgl. Abbildung S.212. 134 Damenzimmer, in: Luckhardt, Hans: Zur neuen Wohnform. Ar- chitekten BDA Luckhardt und Anker, Berlin/Dahlem, Berlin, 1930, unpag. Dieses lässt sich keinem Luckhardtschen Entwurf zuordnen. Vermutlich handelt es sich bei ihrer Nichtnennung in diesem Fall um jenen ‘casus knacksus’ ihrer Mitarbeit bei Luck- hardt & Anker, die sie - enttäuscht über das Verleugnen ihrer Autorschaft - unterbrochen resp. beendet haben soll. Vgl. Pet- zinger, 1984, S.47 - Schliephacke führt im Verzeichnis der Stahl- rohrmöbelentwürfe Hans Luckhardts fünf um 1929 entwickelte Prototypen auf und erwähnt die im Damenzimmer abgebildeten Möbel nicht. Schliephacke, Fridtjof F.: Verzeichnis der Modelle und Entwürfe in: Akademie der Künste (Hg.): Brüder Luckhardt und Alfons Anker, Berlin, 1990, S.306. Das ausgeprägte Interes- se an Stahlrohrmöbeln im Büro schreibt er Hans Luckhardts Be- gegnung mit englischen Flugzeugsesseln während einer Eng- landreise 1934 zu, eine Plausibilisierung die schon aufgrund der Datierung kaum nachvollziehbar ist. Ders.: Erinnerungen an Hans Luckhardt, Ibid., S.98-110 135 Artikel im Generalanzeiger Bonn vom 6.11.1962: Erster Spaten- stich für Frühjahr 1963 geplant, Bauherr Studentenwerk Bonn Projekte, Bauten, Konzepte 255 Blick vom Schlaf- in den Wohnbereich und vice versa Ausschnitt aus dem Bonner Generalanzeiger, 6.11.1962 „Apartment für eine berufstätige Frau”, 1930, Geyer-Raack, Grundriss Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar diesem Grundriss lagen Kinderzimmer und Küche vom Atelier der Architektin deutlich entfernt -, so bleibt eine solch klare Umsetzung eigenen Raumbe- darfs die Ausnahme. Es lässt sich kaum beantworten, wie viele Frauen einen ‘room of her own’ gestalte- risch anspruchsvoll realisierten. Taten sie dies (öffent- lich) erkennbar - wie bspw. Tamara de Lempicka oder Eileen Gray -, ereilte sie der Ruf ‘extraordinär’ oder ‘exzentrisch’ zu sein. Was als ‘Arbeits-’ oder ‘Herrenzimmer’ eine lange Tradition besitzt, bleibt offenbar auch in den kommenden Jahren und Jahr- zehnten ein männliches Privileg - zumindest öffent- lich. Und während Ella Briggs um 1930 vergleichbar ‘sachliche’ Vorschläge für Erwerbslosensiedlungen unterbreitet und Stefanie Zwirn ebensolche Wohnlau- ben entwickelt136, zeigen die von Lieselotte von Bonin und Helga Karselt um 1935 entworfenen Wochen- endhäuser Anklänge an romatisierende Landhaus- konzepte. So wenn die Blütenmotive an einem - schlichten - Häuschen in Kladow auch in der kalten Jahreszeit von der Naturverbundenheit der Wochen- endbewohner künden oder die Dahlemer Familie mit dem Auto - gleich einem ‘drive-in’ - in ihr „Buon re- tiro” hineinfährt, um - den sorgsam versteckten Autos entstiegen - „die Naturschönheiten zu genießen.” Keiner dieser Entwürfe konzipiert im Land- oder Wo- chenendhaus jedoch eine so explizite Gegenwelt, wie sie bspw. Lene Michels-Fougner in dem von ihr in Werder gebauten Landhaus Wrede so bewusst in Szene setzt. 1933 führt sie in der ‘Dame’ dazu aus: „Der Idealbegriff des Hauses ist das Landhaus. Hier soll der Alltag zum Ferientag erhoben werden. Alles ist auf Entspannung und Aufbau gerichtet. Das Land- haus ist ein Atemreservoir für das Stadtleben. Da- heim in der Stadt traut man sich nicht ganz, den ei- genen Geschmack walten zu lassen. Rücksichten und Vorurteile hemmen. Wenn ein Generaldirektor sein Arbeitszimmer blaßro- sa streichen ließe und sich ein paar bunt-fröhliche Stiche an die Wand hinge - man würde an seiner restlosen Tüchtigkeit zweifeln. In seinem Landhaus darf er ungestört in einem mullbehangenen Bett schlafen und an einem himmelblauen Blumenfenster unter Umständen den gewichtigsten Kontrakt unter- schreiben. - Und eine Frau, die in ihrem städtischen Heim einen ganz besonderen Stil einhalten muß, weil ‘man’ es von ihr erwartet, darf im Landhaus nach Herzenslust rein sentimentalen und ursprünglichen Geschmacksrichtungen folgen. Das gefürchtete Wörtchen ‘Kitsch’ verliert außerhalb der Stadt seine übertrieben gespenstische Bedeutung.” 137 Weniger zeit- als konjunkturabhängig zeigt sich das Berufssegment Ausstellungsarchitektur, ein Bereich den Slápeta als ‘kleine Architektur’ bezeichnet hat.138 Hier sind im Laufe der Jahrzehnte - und insbeson- dere nach 1945 - immer wieder auch Architektinnen dieser Generation beteiligt und tätig. So 1946 Mila Hoffmannlederer in Weimar und Ursula Schneider- Weiß in Berlin. 1948 sind Luise Seitz und Ludmilla Herzenstein in verantwortlichen Stellungen an der Ausstellung „Berlin plant“ im Weißen Saal des Stadt- schlosses beteiligt. Herzenstein präsentiert hier ihre stadträumlichen und bevölkerungspolitischen Analy- sen. Wera Meyer-Waldeck gehört 1949 zu den Ver- antwortlichen der Werkbund-Ausstellung „Neues Wohnen“ in Köln, wo sie auch eine Kindergarten-Mu- stereinrichtung ausstellt.139 1957 zeichnen Wera Meyer-Waldeck und Hilde We- ström für „Das Wohnen in der Stadt von Morgen“ bei der Interbau Berlin verantwortlich. Im gleichen Jahr - und ebenfalls in Berlin ist Hilda Harte an der Akade- mie-Ausstellung „Für Berlin geplant - und nie gebaut“ maßgeblich beteiligt.140 Noch in den vierziger Jahren wollte Liv Falkenberg - so Andreas Butter - durch die Popularisierung „einer funktionell bestimmten Ästhe- tik (..) in der Messegestaltung und bei der Einrichtung von Musterwohnungen (..) zum Durchbruch verhel- fen.” 141 Mit der Eröffnungsausstellung „Ideas for better living” wird im Januar 1946 bereits das Programm der von Hilde Reiss neugeschaffenen Gallery of Everyday Art genannt. Die Idee, Alltagsgegenstände im Kontext eines Museums zu zeigen war nicht ganz neu.142 Reiss setzt damit jedoch passgenau jenen Anspruch um, den Catherine Bauer schon 1932 anlässlich einer Bestandsaufnahme moderner Möbel für die breite Masse propagiert hatte. Bauer hatte die Frage ge- stellt, welche gesellschaftliche Relevanz moderner Gestaltung zukomme und vor allzu weitreichendem Optimismus gewarnt. „Andererseits ist es durchaus möglich, daß wir etwas Wirkliches Erreichen, nämlich ein besseres Gefühl für die Wirklichkeit der Dinge, die geschaffen werden.“ 143 Die Hoffnung, dass durch vernünftige Gestaltung der Alltag breiter Bevölke- rungsschichten konkret verbessert werden könne, schöpft sie weniger aus den Massenprodukten als dem steigenden Interesse an Fotografie und moder- ner Architektur. Für Bauer wie für Reiss ist Erneue- rung durch Gestaltung kein fach- oder mediengebun- denes Phänomen sondern Programm. Die Hierarchi- sierung von Gestaltungsbereichen ignorierend beob- achtet Bauer 1932 die gesellschaftliche Dimension des gestalterischen Fortschritts anhand von Radio- geräten ebenso wie im Modeschmuck oder bei Räu- men. Und Reiss setzte mit der ‘Gallery’ diesen ‘cros- sover’ zwischen den Gattungen um, präsentiert u.a. Teekannen, Kinderspielzeug und Modeschmuck, nach inhaltlichen Kriterien ggfs. auch nebeneinander. Die Gestaltung der Ausstellungen übernahm sie selbst. 136 Briggs, Ella: Praktische Fragen zur Erwerbslosensiedlung, in: bauwelt, 21.Jg., 1931, H.44, S.1394-1396; dies.: Stockwerks- teilungen, in: bauwelt, 22.Jg., 1932, H.50, S.1273-12747; Zwirn präsentiert 1932 auch den Entwurf eines „Kleinsthauses”. Spannagel, Fritz / Stefanie Zwirn: 25 Sommerlauben und Wohn- auben, Bauwelt Sonderheft, Berlin, 1932, S.26. Dort werden auch ihre Entwürfe „Laube eines Vogelfreundes” (S.18), „Laube mit Hühnerstall” (S.19), „Wohnlaube eines geistigen Arbeiters” (S.21), „Wohnlaube in Plattenbauweise mit flachem Zeltdach” (S.22) und „Wohnlaube für eine Familie mit mehreren Kindern” (S.23) vorgestellt. 137 Landhaus in Werder, in: Die Dame, Jg. 32-33, H.15, zweites Aprilheft 1933, S.12-13 „Der Innenarchitekt Lao-Tse sagt es: von deinem Fenster aus kannst Du die Welt betrachten...” 138 Slapeta, Vladimir: Das Bauhaus und die tschechische Avantgar- de, in: Das Schicksal der Dinge, Leipzig, 1989, S.227. Auf die- sem Gebiet werden bspw. auch die architekturinteressier-ten Bauhausstudenten Zdenek Rossmann, Hans Fischli und Wils Ebert tätig. 139 Werkbund-Ausstellung „Neues Wohnen. Deutsche Architektur seit 1945“, Köln, 1949. (Katalog) Gesamtgestaltung: Johannes Krahn, Karl A. Bieber, Wera Meyer-Waldeck Vgl. Abb. S.267. 140 „Für Berlin geplant - und nie gebaut” Akademie der Künste / Bezirksamt Tiergarten, Amt für Kunst (Hrsg.): Katalog zur Aus- stellung im Haus am Lützowplatz Aug. - Sept. 1957. Berlin, 1957. 256 Zum Einfluss der Schulen Inneneinrichtung des „Landhauses Wrede”, Werder, um 1932, Lene Michels-Fougner, Blick in die Halle (oben) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Elizabeth McCausland hält die Fokussierung auf All- tagsgegenstände zunächst für eine Art Publikums- trick.144 Reiss vertritt jedoch ein breiteres Verständnis von Museum, wenn sie schreibt: „Our gallery has been established to help build a better environment for daily living.” Und obschon die Umschreibung „an information center for consumers" nach Verbraucher- zentrale klingt, so hatte Daniel S. Defenbacher doch bereits anlässlich der Reorganisation des Walker Art Center 1940 die Abkehr von einem ‘Museum für die Kunst’ formuliert und den Wunsch nach einem ‘be- sucherorientierten Museum’ geäußert. So war die ‘Everyday Art Gallery’ eine direkte Entsprechung die- ser Forderung. Reiss´ erklärtes Ziel war die Verbesse- rung der Kritikfähigkeit des Publikums. In der Konsequenz des starken aufklärerischen Impe- tus wurden auch Wanderausstellungen zusammenge- stellt, um den Durchschnittsverbraucher zu erreichen. In der Überzeugung, dass mit der Ästhetisierung des Alltags eine höhere Lebensqualität für alle verbunden sei, wurde hier ein grundlegendes Verständnis der Funktionen und Möglichkeiten von Gestaltung vermit- telt. Bruce Wright spricht in „Visions of a new World?“ von einer Vorreiterrolle des Walker Art Centers für die amerikanische Moderne in den vierziger und fünfziger Jahren, der insbesondere auf den Einfluss der Every Day Art Gallery zurückgehe, wobei die Verbreitung dieser Ideen „mit der enthusiastischen Seele eines Evangelisten“ durch das ‘Every Day Art Quarterly’ be- gründet worden sei.145 Und er vermutet, dass dieser missionarische Eifer im Einfluss des Bauhauses auf Friedman und Reiss zu finden sei. Im Auftrag der Bauakademie wird Luise Seitz in den fünfziger Jahren als Beraterin bei Inneneinrichtungen und Messen hinzugezogen. Und auch Wera Meyer- Waldeck ist immer wieder für das bessere Wohnen aktiv, berät, setzt sich für Wohnberatungsstellen ein und fordert Musterräume in Schulen einzurichten.146 In diesem Segment der Mustereinrichtungen, Muster- häuser und Ausstellungen sind insbesondere Archi- tektinnen anzutreffen, die hierin ein Instrument zur Verbreitung neuer Ideen sehen und diese - die ge- sellschaftliche Dimension des Wohnen fest im Blick - für weite Kreise der Bevölkerung zugänglich machen wollen. 141 Butter, Andreas: Liv Falkenberg in: Fürst, D. / Keim, K.-D. / Mar- tin, V. / Uhlig, G.(Hg.): Vom Baukünstler zum Komplexprojektan- ten. Architekten in der DDR. Dokumentenreihe des IRS, Nr.3, Erkner, 2000, S.73. Butter konstatiert jedoch auch, dass „dieser Ansatz (..) mit der Formalismuskampagne ab 1950 einige Jahre in den Hintergrund treten mußte.” Ibid. 142 Reiss resümiert 1949 in einem rückblickenden Artikel über die Anfänge im Museum, dass in den USA John Cotton Dana 1921 im Newark Museum (New Jersey) erstmals den Mut gehabt ha- be, eine Badewanne in einem Museum auszustellen und dabei öffentlich nach den Entstehungszusammenhängen industrieller Gestaltungsprodukte zu fragen. Schon vor dem ersten Weltkrieg hatte August Bier in Hannover diese Idee verfolgt. Sein der Kestner-Gesellschaft angegliedertes Museum sammelte serien- mässig hergestelltes Gebrauchsgerät. Und auch Karl Ernst Ost- haus hatte mit dem ‘Museum für Kunst in Handel und Industrie’ in Hagen den Gedanken aufgegriffen. Reiss stellt die Everyday Art Gallery im gleichen Artikel auch in die Tradition der Werkbundausstellungen. 143 Bauer, Catherine K.: Typenware in Amerika in: Die Form, 7.Jg. H.9, 15.9.1932, S.275 ff. Bauer, die 1930 eine Europareise un- ternommen und Projekte des Neuen Bauens besucht hatte, ver- wendet das „wir“ und zeigt große Sympathie für das Anliegen. Zu Bauer (1905-1964) - Ingenieurstochter, Vassar-Absolventin, ein Jahr studierte sie auch Architektur - vgl. bspw. Stephens, Su-zanne: Voices of Consequences in Torre, 1977, S.136ff. - Doumato, 1989, Notable American Women, Cambridge, 1980 144 Elizabeth McCausland: Gallery of Everyday Art, in: Art & Archi- tecture, March 1946, p.38-39,54, vgl. auch: Everyday Art Gal- lery, in: Interior, Industrial Design, H.108, August 1948, S.98; sowie: The years work, S.76-113. 145 „Mit der enthusiastischen Seele eines Evangelisten wurde der Walker Art Center eine führende Stimme und ein hotbed der Moderne im Lande indem er qualitätvolle gestaltete Produkte für den Wohnbedarf propagierte.“ Idem, S.18 146 Vgl. Biografie Meyer-Waldeck Projekte, Bauten, Konzepte 257 „Berlin plant”, Ausstellung im Weissen Saal des Stadtschlosses Berlin, 1946, Blick in den Saal mit den Statistiken Herzensteins Eröffnungsausstellung der Every Day Art Gallery im Walker Art Center, Minneapolis, 1946, Hilde Reiss, Blick in die Ausstellung Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Zu Beginn der fünfziger Jahre plant Wera Meyer-Wal- deck in der Steubensiedlung in Köln im Auftrag der DeWo vier baugleiche Laubenganghäuser für Ost- flüchtlinge. Hierbei dürfte es sich um ihren umfang- reichsten Auftrag im Wohnungsbau handeln. Über dieses Projekt war jedoch nur wenig in Erfahrung zu bringen.147 Die überwiegend aus Zwei-Zimmer-Woh- nungen bestehenden Viergeschosser wurden zwi- schen 1952 und 1954 gebaut und sind in ihrer äuße- ren Erscheinung vergleichsweise konventionell. Denn die entlang der Nordseite zwischen die Giebel ge- spannten Laubengänge sind als reine Erschließungs- flächen konzipiert. Lediglich ein Spiel mit Fensterfor- maten rythmisiert Teile der Lochfassaden. Nur drei Jahre zuvor realisiert Ludmilla Herzenstein auf der Stalinallee in Berlin zwei Laubenganghäuser. Sie zelebriert den Laubengang geradezu, obschon auch er primär der Erschließung dient und ebenfalls auf der Nordseite des Gebäudes verläuft. Indem sie jedoch Stützen und Brüstungen als serielle Lochfas- sade zusammenfasst und die Treppenhäuser, sowie die Giebelblöcke absetzt, entsteht ein - in seiner Er- scheinung eher halböffentlicher - Zwischenraum zur Magistrale. Dahinter liegen überwigend Ein- und An- derthalb-Zimmer-Wohnungen, die sich nach Süden deutlich öffnen. Diese 1949 realisierten Laubenganghäuser wurden ob ihrer Serialität ebenso heftig wie häufig kritisiert. 1959 gibt Lotte Stam-Beese, die seit 1946 im Dienst des Stadtplanungsamtes Rotterdam vergleichbar ra- tionalistische Stadtteile - wie das rechts abgebildete Pendrecht - geplant hatte, hinsichtlich des städte- baulichen Maßstabs zu bedenken: „Die moderne Stadt müßte räumlich so geformt sein, daß sie Raum bietet für das eine oder andere; es spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, wie offen eine Stadt ist, um wieviel breiter die Straßen geworden sind (..) je- doch schon, ob es hinsichtlich der räumlichen Ab- wechslung eine Unterschiedlichkeit gibt, um dem sich darin bewegenden und aufhaltenden Men-schen das Gefühl von Freiheit und Wahlmöglichkei-ten zu geben; der Anblick des Nahen und Fernen, das Ge- schlossene und das Offene, das Ruhige und das Belebte, ein Rhythmus der unserem eigenen ab- wechslungsreichen Leben entspricht.” 148 Städtebauliche Themen - um 1928 durch Mart Stam vertreten - waren ab 1929 waren am Bauhaus insbe- sondere durch den Unterricht von Ludwig Hilbers- eimer präsent. Hier wurde der serielle Siedlungsbau auf der Basis infrastruktureller und stadthygienischer Übelegungen gelehrt. Im Seminar Tessenow wie in 258 Zum Einfluss der Schulen 147 Die Pläne dieser Häuser konnten nicht eingesehen werden, weshalb diese Aussagen unter Vorbehalt stehen. 148 NAI, NL Stam-Beese, Aspecten van een stedelijke samenleving, 12.1.1959, hier zitiert nach Bijhouwer, Ron: Ruitewerking en rit- miek, in Damen / Devolder, 1993, S.92 149 Städtebau war als eigenes Fach durch Prof. Janssen an der TH Charlottenburg vertreten. 150 Thematische Anleihen und applizierte Erscheinungsformen cha- rakterisieren jedoch den Städtebau im Faschismus. So sah bspw. „der beim reichsweiten Wettbewerb mit einem zweiten Preis ausgezeichnete Entwurf der Architekten Karl Gonser und Elisabeth von Rossig (..) das Konzept einer stadtbeherrschen- den Akropolis auf der Uhlandhöhe vor“ - Neuplanung Stuttgart: Gemeinschaftshaus als „Haus der Deutschen Arbeit“ in Verbin- dung mit einem ‘Forum’ und einer ‘Thingstätte’. Weihsmann, Helmut: Bauen unterm Hakenkreuz, Wien, 1998, S.838 Blick von Norden entlang der Theodor-Brauer-Straße, sowie auf das Nördlichste der vier Gebäude aus Südost, Aufnahmen 1995 Laubenganghäuser in Köln-Deutz, Theodor- Brauer-Straße 2-8, 1952-1954, Wera Meyer-Waldeck, Fassadenausschnitte Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar seinen Schriften kamen Probleme des Städtebaus nur am Rande vor.149 Städtebaulichen Aspekte, wie bspw. die Planung öffentlicher Plätze und Straßen- räume, maß Tessenow jedoch auch in seinem Semi- nar große Bedeutung bei. Die wenigsten Architektin- nen beschäftigten sich während des Studiums inten- siv mit Fragen des Städtebaus. Sowohl Bauhaus- als auch Tessenowstudentinnen wurden jedoch im Be- reich Städtebau/Stadtplanung tätig. Betrachten wir konkrete Entwürfe - aufgrund der hier nicht immer gesicherten Zuschreibungen können dies hier nur sehr wenige sein - so zeichnen sich auch hier einerseits Parallelen mit den Vorbildern, anderer- seits deutliche Aweichungen ab. Denn so traut wie vertraut die Häuserzeilen der Wohnstraßen im Projekt Hermann-Göring-Stadt wirken, mit den Tessenows Vorstellungen von (Klein-)Städten haben diese strikt traufständigen Hausreihen an ebenso orthogonal wie zentralistisch ausgerichteten Straßenrastern nicht all- zu viel zu tun. Und dies nicht nur, weil es sich um eine am Reißbrett entstehende städtebauliche Neu- gründung für ein Neues Reich, nicht um eine schnur- gerade in den märkischen Sand gezogene Kleinstadt handelt. Vielmehr entspricht diese nur vordergründig bodenständige Bebauung in ihrer Ortlosigkeit wie ih- rer nur ordnungspolitisch überschaubaren Anschau- lichkeit eben nicht jener authentischen Heimat, um die es Tessenow ging.150 Vergleichen wir jedoch bspw. den Entwurf zum Wie- deraufbau von Hildesheim von Gertraude und Ale- xander Herde (1954) mit dem von Tessenow 1946 für Rostock entworfenen Wiederaufbauplan, so zeigen sich hier tatsächliche Parallelen. So anachronistisch Projekte, Bauten, Konzepte 259 Laubenganghäuser an der Stalinallee, Berlin-Friedrichshain, 1949, Ludmilla Herzenstein, Blick entlang der Straßenfassade gen Osten, Treppenaufgang und Ansicht eines Laubenganghauses aus Nordost, Aufnahme „Pendrecht”, Städtebaulicher Entwurf, Lotte Stam-Beese, 1948-1951, Luftaufnahme 1965 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 260 Zum Einfluss der Schulen diese Entwürfe aus heutiger Sicht auch wirken, hier bildet sich - in beiden Fällen - das Bemühen ab, aus ebenso kleinen wie bescheidenen Bürgerhäusern auf Einzelparzellen eine ebenso überschaubare wie ver- traute Kleinstadt auf altem Grundriss neu wiederauf- zubauen. Wiederaufbau Hildesheim, 1954, Wettbewerbsentwurf Gertraude und Alexander Herde Vogelschau, perspektivische Straßenansicht (rechts) Vorschlag zum Wiederaufbau von Rostock, 1950, Heinrich Tessenow Ommord, Städtebaulicher Entwurf, 1965, Lotte Stam-Beese, Vogelschau Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Ähnliche Parallelen lassen sich zwischen den städte- baulichen Planungen im Sotsgorod-Projekt für Bal- chas und Beeses Entwurf für Pendrecht ausmachen. Aber auch Herzensteins Entwürfe zeigen eben nicht jene Bildhaftigkeit und Beschaulichkeit, die an der TH Charlottenburg - und bei Tessenow - vermittelt wur- de. Wann sich Herzenstein hinsichtlich ihrer städte- baulichen Präferenzen von dieser Lehrmeinung abge- wandt hat, muss jedoch offen bleiben, denn bereits um 1930 könnte sie bei der Bearbeitung der Siedlung Dürrenberg - als studentische Mitarbeiterin im Büro Alexander Kleins - dessen Lehrmeinung kennenge- lernt haben. Und während sich Stam-Beeses Entwürfe - wie das links abgebildete Beispiel Ommord zeigt - im Laufe der Jahre von der Starre früherer Entwürfe lösen, werden in Herzensteins Entwurfsauffassung keine Modifikationen sichtbar. Auch das von ihr knapp zwanzig Jahre nach den Laubenganghäusern entwor- fene Milchhäuschen zeigen in der Entwurfsauffas- sung eine ebenso klare wie eindeutige Kontinuität. Auch die ebenso heftigen wie anhaltenden Anfein- dungen ihrer Laubenganghäuser von höchster politi- scher wie fachpolitischer Seite lassen die Architektin offenbar nicht von ihrer Überzeugung abrücken, dass ebenso reduzierte wie sachliche Ausdrucksformen sowohl im Geschosswohnungsbau wie für ein Aus- flugslokal dem Bedeutungsgehalt der geplanten - in- dividuellen wie kollektiven - Nutzung angemessen seien. Sie beteiligte sich nicht an der kollektiven Su- che nach vermeintlich ‘Nationalen Traditionen’, dem politisch gewollten ‘NatiTradi’, das ebenso ober- flächlich wie häufig im Ausschmücken von Fassaden nach dem Vorbild befreundeter Völker bestand. Städtebau resp. Stadtplanung, wo neben dem räum- lichen Entwurf eine Textfassung verlangt ist, Planung als [Um-]Strukturierung gesellschaftlicher Rahmenbe- dingungen zeitweilig resp. modellhaft in die Wirklich- keit übertragbar schien, interessierte politisch moti- vierte Architekturstudentinnen der Weimarer Republik in besonderem Maße. Lotte Beese und Ludmilla Her- zenstein wurden jahrzehntelang in der Stadtplanung tätig und fanden hier ihren beruflichen Schwerpunkt. Beide vertraten einen funktionalistischen Ansatz, wie er seit den zwanziger Jahren - der Studienzeit der beiden - in der internationalen Diskussion von den sich als progressiv verstehenden PlanerInnen voran- getrieben wurde. Wo auch immer Beese und Herzen- stein tätig wurden, auch sie entwickelten Quartiere, Wohnzellen und Stadteile - ob bei Neugründungen oder im Bestand, ob in den Niederlanden oder der DDR - im Sinne der aufgelockerten und durchgrünten Stadt. Und beide engagierten sich auch mit Artikeln, Vorträgen und Ausstellungen für dieses städtebauli- che Leitbild. Projekte, Bauten, Konzepte 261 „Milchhäuschen am Weissen See”, Berlin, 1967, Ludmilla Herzenstein Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Zum Einfluss der ‘Schulen’ in der Architektur: Bauhaus- und Tessenow-’Schülerinnen’? Auch die vorliegende Arbeit ging zunächst davon aus, dass den als Zuordnung oder Selbstbeschrei- bung verwendeten ‘Schulen’ primär inhaltliche - in Entsprechung aber auch formal referentielle - Be- deutung zukommt. Bereits 1928 merkte Schmitthen- ner hierzu an: „Schule soll Gesinnung sein, und Ge- sinnung zeigt sich nie und nimmer in Äußerlichkei- ten.” 151 Beim Vergleich der Studienarbeiten zeichnete sich die ‘Prägung’ durch die jeweilige Lehrmeinung wie das jeweils präferierte Ausdrucksrepertoire anhand von Themen wie Darstellungen jedoch ziemlich un- mittelbar ab. Und schon im Studium zeigte sich nicht nur bei Themen sondern auch manchen Arbeiten, dass bestimmte Gestaltungspräferenzen nicht unmit- telbar an diese oder jene ‘Schule’ gebunden sind. Sie schienen eher mit dem Zeitgeist zu korrespon-dieren. Andere Themen und Arbeiten wiederum er-schienen als anachronistisch. Und in der rückblickenden Betrachtung werden Stu- dium und - renommierte - Lehrende häufig als Refe- renz genannt. Referentiell genannte Prägungen korre- lieren jedoch nur bedingt mit der faktischen Ausbil- dung. Denn obschon Paula Marie Canthal nie am Bauhaus studierte, stellt Walter Gropius ihr die erbe- tene Referenz aus, nachdem sie beteuert, „stark vom Bauhaus beeinflußt“ worden zu sein.152 Und so nennt Leonie Pilewski, als sie 1978 gefragt wird, welche „Lehrer, Stilrichtungen, ‘akademische Schulen’ “ für ihre Entwicklung prägend gewesen seien Tessenow als einzigen Architekten, obschon sie kaum bei ihm studierte.153 Aber auch ‘authentische’ Studentinnen sprechen von Einfluss und Prägung. So wenn Ewa Oesterlen beteu- ert: „Tessenow hat mich sehr geformt, er hat uns alle sehr geformt.“ 154 Oder Ricarda Schwerin schreibt: „oft fiel uns auf wie vieles was wir taten auf den bau- hauseinfluss zurückzuführen war.“ 155 Und im Nachruf erinnern ehemalige Kommilitonen Irina Zuschneid [geb. Kaatz] als „begeisterte Tessenowschülerin“, de- ren „Denken und Handeln ganz von der Einwirkung der Person Tessenows und seines Seminars geprägt“ gewesen sei.156 So sehr beide ‘Schulen’ entscheidenden Einfluss auf die Studierenden nahmen - so wenig zeigten sich die Haltungen der berühmten Lehrer als isolierte Bedeu- tungssysteme. Lassen sich dennoch unterschiedliche ‘Schulen’ resp. Ausbildungsrichtungen anhand von Projekten ehemaliger ‘Schülerinnen’ verifizieren? Wo werden - im Laufe des Berufslebens - ehemalige Tes- senow-Studentinnen als Tessenowschülerinnen und ehemalige Bauhausstudentinnen als Bauhausschüle- rinnen erkennbar? Sollte die Ausbildungsprägung so prägend sein, dass weder Epigoninnen noch Renegatinnen ihr entgehen können, so galt es manches Mal bereits schon weni- ge Jahre nach Berufseintritt diese - ‘(ver)erbten’ - Ge- sinnungen als Haltungen hinter ‘Äußerlichkeiten’ zu entdecken. Projekte und Bauten von Lieselotte von Bonin oder von Gertraude Herde zeigten über Jahrzehnte hinweg deutliche Parallelen mit ihren Studienarbeiten im Se- minar Tessenow. Sie setzten die bewährten Bauwei- sen, Materialien und Formen ein, variierten sie an-läs- slich der jeweils gegebenen Rahmenbedingungen. Und auch anhand der Projekte von Lotte Beese und Hilde Reiss war allzu sichtbar eine ebenso formale 151 „Schmitthenner´s Schüler” in: Wasmuths Monatshefte für Bau- kunst, 13.Jg., Berlin, 1928, H.9, S.393 152 BHAB, SV Gropius, Anfrage Canthal vom 24.1.1966, Bestäti- gung Gropius vom 2.2.1966 153 JRF-Fragebogen Pilewski, Dezember 1978 - Pilewski nennt kei- nen ihrer Darmstädter Professoren (an der THD diplomierte sie 1922). Da sie Tessenow als „Prof. Akademie Dresden“ bezeich- net, könnte sie ihn evtl. dort persönlich kennengelernt haben. Dieser Verdacht ließ sich bisher jedoch nicht verifizieren. 154 Ewa Oesterlen im Telefongespräch am 14. November 199 155 DAM, NL Hannes Meyer, Brief Ricarda Schwerin vom 4.3.1948 156 Grossmann-Hensel, Gert und Zehm, Karl-Hermann: Irina Zu- schneid zum Gedächtnis, 1986, HTG-Rundbrief, S.9 resp. S.10 262 Zum Einfluss der Schulen Studienarbeit Lydia Kommarova, Moskau, 1922Studienarbeit Thoma Grote, Weimar, 1924 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar wie inhaltliche Übereinstimmung mit den bereits wäh- rend des Studiums sichtbaren Präferenzen vorhan- den. Aber es gibt auch die Gegenbeispiele: So bspw. die Bauten von Ludmilla Herzenstein und Hildegard Os- wald, die kaum oder keinerlei Parallelen mit Studien- arbeiten zeigen. Beide orientierten sich im späteren Berufsleben nicht mehr erkennbar an ‘ihrer’ Schule, suchten und fanden im konkreten Kontext differente Planungsansätze und Ausdrucksformen. Und es gibt Architektinnen - wie Fridel Vogel - in deren Schaffen eine zunehmende Individualisierung deutlich wird. Denn zeigte die Volksschule Helberhausen - direkt nach dem Wiedereinstieg als Freiberuflerin einen eher - an die Umgebung wie herkömmliche Formen - an- gepassten Entwurf, so war bereits bei der nur drei Jahre später entworfenen Friedhofshalle ein ‘Frei- schwimmen’ zu beobachten. In ihren Bauten der siebziger Jahre war schließlich ein eigenes, eigenwilli- ges Repertoire - insbesondere in der Ausbildung markanter Dachformen - zu sehen. Eine vergleichbare Bandbreite an Ausdrucksformen fanden wir auch bei ehemaligen Bauhaus-Studentin- nen. So wurde in jeder Planung, jedem Gebäude von Friedl Dicker, Lotte Beese und Hilde Reiss ein klares Konzept rationalen Gebrauchswertes wie reduzierter Formen sichtbar. Bei Architektinnen wie Wera Meyer- Waldeck oder Annamarie Wilke wurde diese Referenz lediglich zeitweilig oder nur in Anklängen erkennbar. Bereits dieser kurze Vergleich von Arbeiten ehemali- ger Bauhaus- resp. Tessenow-Studentinnen zeigt, dass die ‘unverkennbare Ausbildungsprägung’ ein fragwürdiger Parameter bleibt. Zwar lassen sich im Regelfall Epigoninnen von Renegatinnen scheiden, es ließ sich jedoch keine Gruppe ehemaliger Studentin- nen ausmachen, die dank einer bestimmten architek- tonischen Haltung gegen Instrumentalisierungen an- nähernd gefeit gewesen wäre. Somit scheint bereits die Frage nach Ausbildungs- prägungen eine ebenso bemühte wie müßige, da schlicht jedes Studium - analog jeder Lebenserfah- rung - prägt. Andererseits hebt dieser Diskurs den unbewussten Anteil dieser Prägung erst ins Bewusst- sein, in dem er ihn focussiert. Werden diese ‘unbe- wussten Prägungen’ dann als solche reflektiert, tritt jedoch zwangsläufig ein, was bereits eingangs dieser Untersuchung thematisiert wurde: Eine Reflektion ist nur innerhalb von Wahrnehmungshorizonten möglich, die begrenzen oder auch verschwimmen mögen, das Rätsel um die Ausbildungsprägung lösen sie nicht. Damit lassen sich Prägungen beobachten, und unter- schiedliche Lehrmeinungen in ‘ehrlichere’ und ‘weni- ger ehrliche’ scheiden, je nachdem, inwieweit sie leugnen oder proklamieren, dass sie nur eine, nicht alle Möglichkeiten offen lassen. Als objektiver Para- meter zur Bestimmung des Einflusses von ‘Schulen’ in der Architektur taugt die ‘Ausbildungsprägung’ nicht. Aber - ob abgelehnt oder verstärkt - immer wieder drängt sich als der Weisheit letzter Schluss auf, dass diese oder jene vordergründige Überein- stimmung ohne das Phänomen der ‘Ausbildungsprä- gung’ schlicht als Plagiat bezeichnet werden müsste. Und manch unübersehbare Eigenwilligkeit - auch die- ser oder jener Architekturstudentin der Weimarer Republik - wäre ohne die Norm der ‘Schulen in der Architektur’ doch gar zu irritierend. Bereits bei den während der Weimarer Republik täti- gen Architektinnen wurde deutlich, dass sie sich zu- meist ohne thematische Präferenzen - nicht nur bei Wettbewerben - mit den unterschiedlichsten Frage- stellungen auseinandersetzten. Dank häufig breitge- streuter fachlicher Kompetenzen finden wir Architek- turstudentinnen der Weimarer Republik als Berufs- einsteigerinnen in nahezu allen Bereichen architekto- nischer Tätigkeit. Bereits beim Berufseinstieg erwie- sen sich manche der im Studium erarbeiteten The- men als eher zeitunabhängig, andere unterlagen deutlichen Konjunkturen, so bspw. Siedlungsbauten. Festzuhalten bleibt, dass die Tätigkeitsbereiche ehe- maliger Bauhaus- und Tessenow-Studentinnen, die zunächst mit den ‘zuvor geschulten’ Aufgabenstel- lungen zu korrespondieren schienen, im Laufe der Jahre erheblich variieren. Diese enorme Schwan- kungsbreite steht nicht in Relation zu erkennbar indi- viduellen Interessenschwerpunkten. Auch zeichnen sich keinerlei Signifikanzen zwischen zunehmender Berufserfahrung und der Größe der Aufträge ab. Au- ßerdem lassen sich nur ausnahmsweise eindeutige Bezüge zu kulturellen resp. politischen Zeitumstän- den herstellen, diese jedoch kaum verallgemeinern. Die Relation von individuellen Interessen, erkennba- ren Tätigkeitsscherpunkten, zugewiesenen resp. zu- gestandenen Arbeitsfeldern und Aufgabengebieten erweist sich vielmehr als - ebenso vielfältig wie kom- plex - sowohl mit den konkreten Rahmenbedingun- gen lokaler Architekturproduktion wie mit offenbar geschlechtskodierten Eigenheiten und Strukturen der Profession amalgamiert. Inwieweit strukturelle Eigenheiten der Architekturpro- duktion darüber entscheiden, wer wann was ent-wer- fen resp. realisieren kann, werden wir anhand der Berufswege in Kapitel 9 genauer betrachten. Trotz der Unvollständigkeit der Darstellung wurde anhand der hier vorgestellten Bauten und Projekte deutlich, dass sowohl Bauhaus- wie auch Tessenowstudentin- nen zu unterschiedlichen Zeiten an den unterschied- lichsten Orten wie in den unterschiedlichsten Kontex- ten ungemein vielfältige Ideen einbrachten. Viele Ide- en und Projekte blieben jedoch auch Papier, da allzu Projekte, Bauten, Konzepte 263 oft das Vertrauen in die jeweilige Architektin fehlte. Dabei folgt die Dokumentation resp. Rezeption von Ideen, Projekten und Bauten offenbar ‘eigenen Ge- setzen’: Die publizierten Projekte - ohnehin nur ein Bruchteil der gezeigten - verdanken ihre Publizität nahezu ausnahmslos der erkennbaren Interessenlage eines - nahezu ausnahmslos männlichen - Architek- ten oder Architekturkritiker. Schwierig bleibt oft die Analyse von Zuschreibung und AutorInnenschaft einzelner Gebäude. Als noch schwieriger erweist sich die jeweilige Projektgenese. Sie ist bei den meisten Bauten nicht möglich. Und fast nie geben Projekte Aufschluss über die berufli- chen Praxen. Deutlich wird bei mehreren Projekten, dass mehrere Entwürfe unterbreitet wurden, Konzep- te erst nach längeren Aushandlungsprozessen umge- setzt werden konnten oder - häufiger noch - scheiter- ten. Deutlich wurde aber auch, dass gestalterische Souveränität weniger das Produkt einer bestimmten Schulung ist, sondern auch durch die Quantität der Beauftragungen und die Qualität der Chancen ent- scheidend beflügelt wird. Aber sind es die Lebensumstände, die Arbeitsver- hältnisse, Bauherrenwünsche oder marktorientiertes Kalkül in wechselnden kulturellen resp. politischen Kontexten, die den Einfluss der ‘Schulen’ aufleben lassen oder zum Verschwinden bringen? Aufgrund der Lückenhaftigkeit der dokumentierten Bauten kann hier nicht quantifizierbar entschieden werden, ob unter den hier näher betrachteten Architekturstu- dentinnen der Weimarer Republik im Berufsleben fak- tisch die Epigoninnen oder die Renegatinnen über- wogen. Hier lassen sich jeweils Beispiele wie Gegen- beispiele finden, was zumindest eines belegt: Der Einfluss der Schulen in der Architektur bleibt primär ein Wechselverhältnis zwischen Lehrenden und Ler- nenden. Zwangsläufig wird er nur so lange sichtbar als er eingefordert wird. Und beim Einfordern dieser Bezüge zeigten die hier näher untersuchten ‘Schulen in der Architektur’ allzu deutlich repressive Züge. Hin- sichtlich der Gestaltungsrepertoires galt weder bei Tessenow noch am Bauhaus, was einst der Grund- kurs versprach: „die verschiedenartigkeit der übun- gen lässt alle möglichkeiten (..) offen.“ 157 Über die Jahrzehnte wurde jedoch auch sichtbar, dass beide ‘Schulen’ ein weitreichendes Identifikati- onspotential besaßen: Themen und Haltungen beider Schulen boten jeweils Dutzenden von Studentinnen inhaltliche Anknüpfungspunkte, auch jenseits ihrer normativen Gestaltungsrepertoires. Eine Mehrheit der Studentinnen scheint sich mit diesen Angeboten über das Studium hinaus identifiziert zu haben. Nur eine Minderheit erhielt jedoch die Chancen, an ebenso vielen wie verschiedenartigen Aufgaben den Beweis zu erbringen, als Schülerinnen die „mindestens ver- besserte Auflage” ihrer Lehrer zu sein.158 Und - angesichts de Vielzahl der noch unbekannten Projekte und Bauten - muss hier die Frage unbeant- wortet bleiben, ob eine Mehr- oder eine Minderheit der ehemaligen ‘Schülerinnen’ den propagierten Ansätzen ein Leben lang genügend Substanz und Freiraum abgewinnen konnte. 157 Kap. 4 FN 124 158 FN 151, S.382 264 Zum Einfluss der Schulen 9 Vom Auftauchen und Verschwinden: Berufsverläufe und Lebenswege von Architektinnen Lebenswege nach 1945 (266) - Berufsdauer - Be- rufsstatus (268) - Berufsfelder mit und ohne Dauer (274) - Insiderinnen - Outsiderinnen (277) - Berufs- strategien (281) - Berufswechsel - Berufsausstiege (285) - Berufswege und Familienwege (287) - Self- made-Women in a Man-Made World? (293) - Re- sümee (300) Nach der Diskussion der deutlich unterscheidbaren Voraussetzungen, Studienbedingungen und Chancen von Bauhaus- und Tessenowstudentinnen ergab die Analyse der Berufseinstiege dieser ehemaligen Stu- dentinnen Hinweise auf mögliche Berufswege. Tesse- nowstudentinnen wurden im Anschluss an das Di- plom ganz überwiegend als angestellte Architektin- nen in großen Büros und öffentlichen Ämtern tätig. Nur vereinzelt wagten sie den Schritt in die Selbstän- digkeit oder die Regierungsbaumeisterlaufbahn. Bau- haus-studentinnen wurden häufiger freiberuflich und nur selten als angestellte Architektinnen tätig. Sie fanden mehrheitlich jedoch überhaupt keinen Zugang zum Berufsfeld. Strebten Architektinnen in den dreißiger Jahren die freiberufliche Perspektive an, so taten sie dies fast ausnahmslos mit einem männlichen Partner, der nicht immer, aber zumeist auch im Privatleben der Partner war. Bei näherer Betrachtung der Partizipations- und Professionalisierungsstrategien werden wir sehen, in welchen Konstellationen Architekturstudentinnen der Weimarer Republik in ihrem Beruf tätig blieben. An- hand der Berufswechsel erhalten wir Hinweise, wes- halb Architektinnen aus dem Berufsfeld ausschieden resp. wann und wo sie sich anderen Tätigkeitsfeldern zuwandten. Zunächst bleibt festzustellen, dass von einem Drittel der Tessenow- wie Bauhausstudentinnen - insge- samt mehr als 30 aller ermittelten Studentinnen mit Architekturaffinität - die Berufs- und Lebenswege nach 1945 völlig bzw. nahezu unbekannt sind.1 Zehn der uns näher bekannten Architekturstudentinnen sind 1945 nicht mehr am Leben.2 Damit sind wir bei der Analyse der Berufs- und Lebenswege auf die ver- bleibenden ca. 50 Biografien aus dem Kreis der ehe- maligen Tessenow- resp. Bauhausstudentinnen angewiesen. Manche dieser ehemaligen Architekturstudentinnen hatten während des Nationalsozialismus überwie- gend familiäre Aufgaben übernommen und waren aus diesem Anlass - zumindest vorübergehend - aus dem Berufsfeld ausgeschieden.3 Zum Ende des zweiten Weltkrieges sind nur noch knapp ein Drittel innerhalb des Berufsfeldes nachweisbar. Darunter finden wir deutlich mehr Tessenowdiplomandinnen als ehemali- ge Bauhausstudentinnen, von denen etwa ein Drittel keinen Einstieg ins Berufsfeld gewagt resp. gefunden hatte.4 Nach bisherigem Kenntnisstand sind im Deutschen Reich um 1945 von den ehemaligen Tessenowstu- dentinnen Hanna Blank, Ludmilla Herzenstein, Chri- sta Kleffner-Dirxen, Fridel Hohmann, Hildegard Korte, Friedel Schmidt und Luise Seitz, sowie wahrschein- lich Thea Koch, Elfriede Schaar und Friedel Schmidt im Berufsfeld tätig. Im Ausland arbeitet Gisela Ehren [geb. Schneider], evtl. Zweta Beloweschdowa und 1 Im Rahmen meiner Recherchen gelang es bisher nicht, die Le- benswege der ehemaligen Tessenowstudentinnen Zweta Belo- weschdowa, Irmgard Fischer, Ingrid Heidenreich, Edeltraut Lätzsch, Rina Paschowa, Lisbeth Reimmann, Roswita Rossius, Ilse Sahlmann und Galina Taizale, sowie den ehemaligen Bau- hausstudentinnen Amy Bernoully, Anneliese Brauer, Marie Dole- zalowa [sp. Rossmanova], Alexa Gutzeit [sp. Röhl], Erika Hack- mack [sp. Brönner], Elfriede Knott, Angela Press, Edita Rindler, Grete Schlagenhaufer und Anny Wettengel zu rekonstruieren. Lediglich wenige Informationen konnten ermittelt werden zu den späteren Lebenswegen der Bauhausstudentinnen Hildegard Hesse, Elsa Hill, Hilde Katz [sp. Coccia], Ricarda Meltzer [sp. Schwerin], Maria Müller und Natalie Swan [sp. Rahv], sowie der Gaststudentinnen im Seminar Tessenow Grete Berg [sp. von Carmer], Friedel Hajek [sp. von Beringe], Thea Koch, Friedel Schmidt, Ingeborg Ullrich und Ruth Weckend [sp. Zosel]. 2 Ermordet wurden Friedl Brandejs [geb. Dicker], Eva Busse, Zsu- zsanna Palne [geb. Bánki], Leonie Behrmann, sowie eventuell auch Friedel Letz, Margot Loewe, Edit Rindler und Stefanie Zwirn. Im Kindbett starben Johanna Minsos [geb. Tönnesmann] und Anni Gunkel [geb. Pfeiffer], an einer Grippe Dörte Heise [geb. Helm], an TBC Elfriede Knoblauch. Und bei Bombenan- griffen kamen Lore Hesselbach [geb. Enders] und Alma Siedhoff [geb. Buscher] ums Leben. 3 Tessenowstudentinnen: Anni Gunkel [geb. Pfeiffer], Gertraude Herde [geb. Engels], Iwanka Hahn [geb. Waltschanowa], Klara Küster [geb. Brobecker], Gisela Lucano [geb. Eisenberg], Liese- lotte von Mendelssohn [geb. von Bonin], Ewa Oesterlen [geb. Freise], Helga Schuster [geb. Karselt], Irina Zuschneid [geb. Kaatz], wahrscheinlich auch Grete Buhmann [geb. Berg], Irm- gard Fischer und Ingeborg Ullrich - Bauhausstudentinnen: Mari- anne Brandt, Christa Carras [geb. Schöder], Lotte Collein [geb. Gerson], Lila Koppelmann [geb. Ulrich], Ella Kreher [geb. Rog- ler], Annemarie Mauck [geb. Wilke], Maria Müller, Ricarda Schwerin [geb. Meltzer], Eva Weininger [geb. Fernbach], Ursula Weiß [geb. Schneider], und wahrscheinlich auch Hilde Coccia [geb. Katz]. Bereits vor dem Nationalsozialismus widmeten sich Tony Lasnitzki [geb. Simon-Wolfskehl], Lou Scheper [geb. Ber- kenkamp] und Alma Siedhoff [geb. Buscher] ihren Familien. 4 Vgl. Kap.7, S.185 Berufsverläufe und Lebenswege 265 auch Sigrid Weiß [geb. Rauter]. Von den architektur- interessierten ehemaligen Bauhausstudentinnen sind um 1945 im Deutschen Reich Katt Both, Ruth Hilde- gard Geyer-Raack, Ruth Henschel [geb. Josefek], Mi- la Hoffmann-Lederer, Benita Koch[-Otte], Wera Mey- er-Waldeck, Grete Meyer-Ehlers und Annemarie Lan- ge [geb. Wimmer] erwerbstätig. Lediglich Both, Gey- er-Raack, Meyer-Waldeck und Lange erzielen ihr Ein- kommen im Bereich Architektur. Ebenso viele arbei- ten 1945 im Ausland: Lotte Stam-Beese in Amster- dam, Tony Lasnitzki [geb. Simon-Wolfskehl] in Gent, Eva Lilly Lewin in London, Ricarda Schwerin [geb. Meltzer] in Tel Aviv, Elsa Hill in New York und Hilde Reiss in der Nähe von San Francisco. Und auch von diesen arbeiten zu diesem Zeitpunkt lediglich drei - Stam-Beese, Lewin und Reiss - in der Architektur. Bisher ist nur für knapp die Hälfte der Architekturstu- dentinnen der Weimarer Republik Mitte der vierziger Jahre eine Erwerbstätigkeit nachweisbar. Wo jedoch boten sich nach dem zweiten Weltkrieg berufliche Perspektiven? Architektinnen nach dem zweiten Weltkrieg: Berufswege nach 1945 Bald nach Kriegsende werden in Berlin Ludmilla Her- zenstein und Luise Seitz [geb. Zauleck] im Mai resp. Juni 1945 als Dezernentinnen für Statistik resp. Woh- nungswesen beim Magistrat ernannt. Ab 1947 arbei- tet Seitz beim Institut für Bauwesen der Akademie der Wissenschaften, Herzenstein wechselt in den 50- er Jahren zur Bezirksverwaltung Berlin-Weissensee. Dort wird sie 1958 Leiterin der Stadtplanungsabtei- lung und 1964 zur Stadtbezirksarchitektin ernannt. Hanna Blank arbeitet 1945 in Berlin am Wiederauf- bauplan Zehlendorf, ab den 50er Jahren in der Se- natsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen. 1946 wird Wera Meyer-Waldeck - auf Vermittlung von Will Grohmann - als Dozentin der neu aufzubauenden Klasse für Innenarchitektur an die Hochschule für Werkkunst Dresden berufen.5 Ende der vierziger Jah- re ist sie als Architektin im hessischen Walldorf an- sässig. Um 1950 eröffnet sie ein Architekturbüro in Bonn. 1946 wird Annemarie Lange auf Vermittlung des ehemaligen Kommilitonen Ernst Scholz in Pots- dam zur Regierungsrätin ernannt. Bis September 1945 im Brückenbau bei der Reichsbahn beschäftigt, ist sie nun für den Wiederaufbau kriegszerstörter Brücken in der Mark Brandenburg zuständig.6 Schon ein Jahr später wird sie in Berlin als Lektorin, ab den fünfziger Jahren als Schriftstellerin tätig. Katt Both ar- beitet nach dem Krieg als Schätzerin für Liegenschaf- ten der Stadt Kassel. In dieser Funktion bleibt sie bis in die 1970er Jahre tätig. Hildegard Geyer-Raack wird nach dem Krieg erneut als Innenarchitektin tätig. Zunächst im Auftrag privater BauherrInnen kann sie ab den fünfziger Jahren auch wieder öffentliche Ge- bäude - darunter das Hotel am Zoo und die jugosla- wische Botschaft - ausstatten. Ursula Weiß gestaltet 1948 in Berlin für die amerika- nische Militärbauverwaltung eine Ausstellung. Außer- dem unterrichtet sie technisches Russisch an der In- genieurhochschule. Sie wird 1950 als wissenschaftl- iche Mitarbeiterin beim Institut für planwirtschaftli- ches Bauen in Potsdam tätig, arbeitet ab 1954 bis 1963 bei der Senatsverwaltung für Bau- und Woh- nungswesen in Berlin. Dr. Hildegard Korte verschlägt es 1945 nach Wiesbaden, wo sie für einen Verlag die Drucklegung einer Illustrierten überwacht. Nach Hei- rat und Geburt zweier Kinder editiert sie ein Buch. 1951 wird sie im kanadischen Vancouver als Liftda- me, Sekretärin und Bauzeichnerin tätig. Ab 1956 ar- beitet sie in Portland/Oregon als Statikerin im Hoch- bau, ab 1966 mit Schwerpunkt im Brückenbau. Fridel Hohmann, die es nach dem Krieg ins bergische Land verschlägt, soll zunächst kunstgewerbliche Gegen- stände hergestellt haben. Ab 1949 mit dem Kollegen Eberhard Vogel verheiratet und bald darauf Mutter eines Sohnes wird ihre Mitarbeit im Büro des Gatten nur noch bei Wettbewerben geduldet. 1962 eröffnet sie im Siegerland ein eigenes Büro und kann sich nach wenigen Jahren etablieren. Bis in die 1980er Jahre entwirft und baut sie unter eigenem Namen. Auch Ruth Weckend ist nach 1945 im Berufsfeld tä- tig. Zumindest bis in die sechziger Jahre führt sie in Oberhausen ein Büro als selbständige Architektin. Wann und wie lange Grete Berg [sp. Buhmann resp. von Carmer] berufstätig wird, ist unklar. Sie soll im Rheinland als Gartenarchitektin tätig geworden sein. Iwanka Hahn [geb. Waltschanowa], seit 1933 verhei- ratet, plant nach Kriegsende den Wiederaufbau der Firma ihrer Schwiegereltern in Frankfurt am Main. Ebenfalls für die Schwiegereltern soll Irina Zuschneid [geb. Kaatz] auch nach dem Krieg als Architektin tätig geworden sein. Annamaria Mauck [geb. Wilke] ent- wirft und plant in Lübeck ab 1946 zunächst für die ei- gene Familie, bevor sie als Architektin für die Firma ihres Mannes, dann auch für gewerbliche Auftragge- ber tätig wird. Ab 1961 arbeitet sie als Verkäuferin in einem Münchner Kaufhaus. Mila Hoffmannlederer, die ab 1942 an der Kunstgewerbeschule Posen als Dozentin Gobelin- und Teppichweberei unterrichtet hatte, kann ab Herbst 1945 in Weimar verschiedene Räume und Festdekorationen, u.a. für das Kultusmi- nisterium gestalten. Außerdem arbeitet sie als Pres- sereferentin des thüringischen Landeskulturamtes für Kunst und Architektur. Nach einem Umzug nach Darmstadt 1950 wird sie als Gestaltungsberaterin großer Firmen tätig und widmet sich zunehmend der Lyrik. 5 Meyer-Waldeck kannte Grohmann bereits in ihrer Bauhauszeit. Er war zum 1.12.1945 als Rektor der Hochschule für Werkkunst eingesetzt worden, die vor dem 2.12.1945 als Meisterschule für Deutsches Handwerk bestand. – siehe dazu: Beck, Rainer / Na- talia Kardinar (Hg.): Trotzdem. Neuanfang 1947. Zur Wiederer- öffnung der Akademie der bildenden Künste Dresden, Dresden, 1997 6 Wie das Neue Deutschland am 14.8.1948 vermeldet, konnten von den 440 im Krieg zerstörten Brücken im Land Brandenburg bis 1948 fast 400 Brücken wieder hergerichtet werden, davon 83 in massiver Bauweise. In der Zeitungsausschnittsammlung Annemarie Langes ist der Satz markiert: „Neben den laufenden Reparaturen wurden im folgenden Jahr hauptsächlich die Brük- ken im Oderbruch neu errichtet.“ In wieweit Lange als Regie- rungsrätin an den Planungsarbeiten beteiligt war, ist bisher un- deutlich. 266 Vom Auftauchen und Verschwinden Christa Mory [geb. Schöder] findet 1945 in Beeskow eine Stelle als Lehrerin. So kann sie ihre fünf minder- jährigen Kinder ernähren, für die sie allein die Verant- wortung trägt, nachdem ihr Mann 1943 gefallen ist. In den sechziger Jahren übernimmt sie in Berlin die Lei- tung einer Schwesternschule. Eine ähnlich große Ver- antwortung für ihre Mutter wie für ihre Tochter trägt auch Klara Küster [geb. Brobecker] seitdem ihr Vater verstorben, ihr Mann 1944 gefallen ist. Nach Kriegs- ende arbeitet sie zunächst im Berliner Architekturbü- ro [Heinz] Völker & [Rolf] Grosse, bevor sie um 1946 eine Stelle im Hochbauamt Berlin-Steglitz antritt. An- fang der sechziger Jahre wird sie in Darmstadt als Lehrerin tätig. Nach 1945 bis zu ihrer Pensionierung in den siebziger Jahren arbeitet in der Bauverwaltung Steglitz auch Elfriede Schaar, spätestens ab den seh- cziger Jahren ‘Bauamtmann’ im Stadtplanungsamt. Gertraude Herde findet trotz dreier Kleinkinder Mög- lichkeiten, ihrem Beruf nachzugehen. Sie entwirft und realisiert Möbel für das eigene Umfeld und beteiligt sich an Wettbewerben. Ende der vierziger Jahre ak- quiriert sie erfolgreich Aufträge und kann mehrere Einfamilienhäuser in Nordstemmen realisieren. In den sechziger Jahren entwirft sie mehrfach Bebauungs- pläne für Gemeinden im Ammerland. Für eine ebenso deutliche Berufspriorität steht Christa Kleffner-Dirxen, die nur für die Zeit der Entbindungen ihrer drei Kinder aus dem Beruf aussteigt.7 Sie zieht 1949 mit ihrer Fa- milie nach Münster, gründet dort 1951 gemeinsam mit ihrem Mann ein Büro. Sie bauen zunächst Einfa- milienhäuser, bald aber auch Geschäfts- und Verwal- tungsbauten, Schulen und Kirchen. Ab 1958 führt Kleffner-Dirxen dieses Architekturbüro allein erfolg- reich weiter. Erst anlässlich ihres 75. Geburtstages übergibt sie die Geschäftsführung an ihre Söhne. Auch Lieselotte von Mendelssohn [geb. von Bonin], die ihre Berufstätigkeit 1936 eingestellen musste, er- wägt nach Kriegsende eine Büroneugründung. Seit 1941 auf der Schwäbischen Alb lebend, gelingt es ihr jedoch erst ab den fünfziger Jahren wieder, vereinzel- te Aufträge zu akquirieren. Anfang der fünfziger Jahre kehrt auch Ewa Oesterlen [geb. Freise] in die Archi- tektur zurück, sie arbeitet im Hannoveraner Büro ih- res Mannes an unterschiedlichen Aufträgen mit. Helga Schuster [geb. Karselt], die ab 1945 in Krefeld lebt, soll in den sechziger Jahren für Verwandte und Bekannte Um- und Neubauten realisiert haben. Ob auch Sigrid Weiß nach 1945 erneut als Architektin tätig wird, bleibt unklar. Sie soll aus Südamerika nach Deutschland remigriert sein. Eva Lewin, seit 1941 in einem Londoner Zeichenbüro zwangsverpflichtet, bestreitet ihren Lebensunterhalt Ende der vierzieger Jahre mit Handweberei, ab den fünfziger Jahren als Lehrerin für Schneiderei am Technical College in Twickenham/Middlesex. In Pa- ris und Südfrankreich wird Suzanne Leppien [geb. Ney] als Weberin tätig. In Amsterdam arbeitet Lotte Stam-Beese als freiberufliche Architektin und Mitar- beiterin in Architekturbüros. Nach Erwerb eines nie- derländischen Diploms tritt sie 1946 in die Dienste des Stadtplanungsamtes Rotterdam ein und arbeitet dort bis in die siebziger Jahre als Stadtplanerin. Hilde Reiss, seit 1943 in San Francisco als Dozentin und im Rahmen eines sozialen Wohnungsbauprogramms der ‘Vallejo Housing Authority’ als Architektin tätig, wech- selt 1945 zum ‘Walker Art Center’ nach Minneapolis. Als Kuratorin kann sie die folgenden Jahre zahlreiche Ausstellungen initiieren und gestalten. 1951 wird sie erneut als Architektin in San Francisco tätig, bevor sie die folgenden Jahrzehnte moderne Möbel in Palo Alto vertreibt. Lila Koppelman [geb. Ulrich] arbeitet auch nach mehreren Umzügen in den USA als Künst- lerin, unterrichtet privat und in kommunalen Kursen Malerei für Kinder und Erwachsene bis in die siebzi- ger Jahre. In Belgien ist Tony Lasnitzki [geb. Simon- Wolfskehl] ab 1944 als Vertreterin für Büroartikel un- terwegs. Rose Mendel arbeitet seit 1937 in London als Künstlerin. Sie wird ab 1948 auch als Innenarchi- tektin tätig. Nur in Ansätzen sind bei den folgenden Architektur- studentinnen der Weimarer Republik die Berufswege im Ausland bekannt: Elsa Hill arbeitet um 1934 in Manhattan im Kaufhaus Macy´s. Natalie Rahv [geb. Swan], seit 1947 als Architektin im Staat New York zugelassen, soll sowohl als Architektin wie als Immo- bilienmaklerin tätig geworden sein. Wera Gaebler [geb. Itting] findet um 1948 in New York City eine Stelle als Sekretärin eines international tätigen Unter- nehmens. Ebenfalls in Manhattan unterrichtet Mathy Weiner [geb. Wiener] ab 1953 als Lehrerin. Damit ergibt sich für die Berufstätigkeiten von Archi- tektinnen dieser Generation nach 1945 zwar kein vollständiges Bild, jedoch eine äußerst vielfarbige Collage unterschiedlicher Tätigkeiten auf den ver- schiedensten Gebieten in kaum vergleichbaren kultu- rellen Kontexten. Aber wo auch immer auf der Welt: Es wird deutlich, dass die Architekturstudentinnen der Weimarer Republik bestrebt sind, nach 1945 als Architektinnen tätig zu bleiben resp. erneut tätig zu werden. Anhand der skizzierten Berufswege zeichnet sich jedoch bereits ab, dass sich ihre Berufswege in- sofern von gängigen Berufsbiografien unterscheiden, als sie mit zunehmender Berufserfahrung auffällig häufig in anderen Berufsfeldern tätig werden. Anhand welcher Parameter können solch vielfältige Berufsverläufe von Architektinnen jedoch verglei- chend dargestellt und analysiert werden? Bereits bei der Charakterisierung des Berufsbildes wurde deut- lich, dass das Berufsfeld Architektur weit divergieren- de Tätigkeitsfelder und Tätigkeitsformen einschließt.8 7 Brief Christa Kleffner-Dirxen vom 15.1.1998 8 Vgl. Kap.3, S.35 Berufsverläufe und Lebenswege 267 Lila Koppelmann, Brooklyn Park, Öl, 1943 Komposition, Lasurtechnik, 40er Jahre Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Kontinuität versus Fragilität: Berufsdauer - Berufsstatus Die Berufsdauer von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik ist - insbesondere wenn sie frei- beruflich tätig waren - nur beschränkt ermittelbar und bleibt manches Mal unklar.9 Die Dauer der Erwerbstä- tigkeit wie die der Partizipation am Berufsfeld Archi- tektur variiert extrem stark. Wir finden Architektinnen, die ihr ganzes (Erwerbs-)Leben durchgängig im Be- rufsfeld tätig sind, aber auch welche, die nach kürze- ster Zeit, mehreren Jahren oder nach Jahrzehnten definitiv aus der Architektur ausscheiden. Daneben finden wir Architektinnen, die nach - teilweise jahr- zehntelanger - Unterbrechung erneut in das Berufs- feld zurückkehren und welche, die mehrfach tempo- rär in der Architektur tätig werden. Damit wird deut- lich, dass eine rechnerisch ermittelte Berufsdauer nur sehr bedingt aussagefähig ist. Nur wenige Jahre und damit lediglich kurzzeitig wer- den Jadwiga Jungnik, Tony Simon-Wolfskehl, Anni Gunkel [geb. Pfeiffer] und Gisela Eisenberg im Be- rufsfeld tätig. Jungnik, seit Mai 1923 für Villeroy & Boch tätig, scheidet aus bisher unbekannten Grün- den dort bereits Ende 1924 aus. Simon-Wolfskehl gibt die Berufstätigkeit Mitte der zwanziger Jahre nach drei Jahren Freiberuflichkeit auf. Gunkel kündigt nach zwei Jahren ihre Stellung als angestellte Archi- tektin bei der ‘AHAG’ in Berlin 1933. Bereits im Jahr der Heirat (1934) baut sie jedoch freiberuflich.10 Und Eisenberg, die im Anschluss an das Diplom 1932 in Berlin tätig wurde, soll die Berufstätigkeit Mitte der dreißiger Jahre anlässlich der Übersiedelung nach Rom aufgegeben haben.11 Im Unterschied dazu führt Johanna Minsos [geb. Tönnesmann] die Architektur, die sie zwischen 1933 und 1938 als Angestellte betrieb, auch nach Heirat und Übersiedelung nach Oslo - nun freiberuflich - fort. Friedl Dicker, Lila Ulrich und Rose Mendel zäh- len zu den architekturinteressierten Studentinnen, die Architektur neben ihren freien künstlerischen Interes- sen betrieben. Dicker wird ab 1923 bis Anfang der dreißiger Jahre auch als Architektin tätig, Ulrich ab 1933, Mendel ab 1948. Ab 1941 arbeitet Eva Lilly Le- win im Rahmen einer Dienstverpflichtung in London im Berufsfeld. Die Tätigkeit in einem technischen Zei- chenbüro übt sie bis 1948 aus. Gisela Schneider wur- de unmittelbar nach dem Diplom 1937 als angestellte Architektin tätig. Auch nach der Heirat 1943 blieb sie im Beruf. Sie scheidet nach dem zweiten Weltkrieg anlässlich der Geburt von Kindern nach mehr als sie- ben Jahren aus dem Beruf aus. 1947 verlässt auch Annemarie Lange die Architektur und wird als Lekto- rin tätig. Sie war seit 1934 im Berufsfeld. Circa zwanzig Jahre übt Luise Seitz den Beruf der Planerin und Architektin aus. 1936 diplomiert, hatte sie nach kurzer angestellter Tätigkeit die Freiberuf- lichkeit angestrebt. Nach Kriegsende tritt sie eine angestellte Position als Wohnungsbaudezernentin an, in den fünfziger Jahren wird sie - entwerfend wie be- ratend - für die Bauakademie tätig. Knapp dreissig Jahre lang arbeitet Wera Meyer-Waldeck als Archi- tektin, zunächst angestellt, ab Ende der vierziger Jah- re freiberuflich. Fast vierzig Jahre bleiben Hilda Harte und Dr. Hildegard Oswald [geb. Korte] berufstätig. Sie finden nach mehreren Berufsjahren ein dauerhaf- tes Aufgabenfeld in der Statik, in dem Harte in Berlin freiberuflich, Oswald in Portland/Oregon angestellt tätig bleibt. Noch länger, nämlich mehr als vier Jahr- zehnte arbeiten Ruth Hildegard Geyer-Raack, Ludmil- la Herzenstein, Lotte Stam-Beese, Kattina Both, El- friede Schaar und Hanna Blank nahezu durchgängig im Berufsfeld. Geyer-Raack übt den Beruf durchgän- gig freiberuflich aus, während die anderen genannten ganz überwiegend oder sogar ausschließlich ange- stellt in öffentlichen Ämtern tätig werden und bleiben. Im Unterschied dazu teilt sich das fast fünfzigjährige Berufsleben von Christa Kleffner[-Dirxen] in eine mehr als zehnjährige Phase, in der sie auf wechselnden Ar- beitsfeldern angestellt tätig ist und - nach Bürogrün- dung Anfang der fünfziger Jahre - ein fast vier Jahr- zehnte währendes freiberufliches Schaffen. Ursula Weiß - seit 1923 diplomiert - hatte in den zwanziger Jahren als angestellte Architektin gearbei- tet. Nach einer zweiten Heirat 1928 arbeitet sie frei- beruflich. Nach erneuter Scheidung wird sie kurzzei- tig sowohl als freiberufliche wie als angestellte Archi- tektin, als Dozentin und als wissenschaftliche Mitar- beiterin tätig. 1954 findet sie schließlich eine Stelle bei der Berliner Senatsverwaltung. Eva Fernbach ar-beitete ab 1929 freiberuflich. Sie bearbeitet Innenarchitekturaufträge in Berlin - allein wie gemeinsam mit ihrem Mann, einem Maler. Nach 1933 werden die Aufträge weniger und auch nach der Übersiedelung in die Niederlande 1938 kann sie auf diesem Gebiet keine Aufträge mehr akquirieren. 1941 beteiligt sie sich mit ihrem Mann an einem Wohnungsbauwettbewerb. Helga Schuster hatte unmittelbar nach dem Diplom (1930) zunächst angestellt, daneben und anschlie- ßend auch freiberuflich gearbeitet. Nach der Heirat 1936 bearbeitet sie gemeinsam mit ihrem Mann frei- beruflich Aufträge. In den sechziger Jahren soll sie erneut freiberuflich gebaut haben - unabhängig von ihrem Mann. Auch Gertraude Herde wird immer wieder in der Ar- chitektur tätig, zunächst angestellt in Berlin. Nach- dem sie diese Stellung nach knapp drei Jahren an- lässlich von Heirat resp. Umzug 1938 aufgegeben hatte, beteiligt sie sich 1941 gemeinsam mit ihrem Mann an einem Wettbewerb. Als freiberufliche Archi- tektin kann sie ab Ende der vierziger Jahre 9 So bspw. bei von Bonin, Hahn [geb. Waltschanowa], Lucano [geb. Eisenberg], Oesterlen [geb. Freise], Schuster [geb. Kar- selt], Weckend [sp. Zosel-Weckend], Zuschneid [geb. Kaatz]. 10 Nach der Geburt ihrer Kinder - 1937 ist sie Mutter von drei Kin- dern - ist sie nicht mehr erwerbstätig. 11 Informationen von Angelika Mendelssohn-Siebeck. Bisher konn- te auch nicht falsifiziert werden, dass Gisela Lucano [geb. Eisen- berg] erneut erwerbstätig wurde. 268 Vom Auftauchen und Verschwinden Lila Ulrich (links) in dem von ihr eingerichteten Geschäft für Rena Rosenthal Inc. auf der Madison Avenue, 1937 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Einfamilienhäuser realisieren. In den sechziger Jahren entwirft sie Bebauungspläne. Fast achtzehn Jahre lang sucht Hilde Reiss nach ih- ren Möglichkeiten in der Architektur. Zunächst frei- schaffend wie angestellt, dann freischaffend und er- neut angestellt tätig, kehrt sie dem Berufsfeld Archi- tektur 1951 den Rücken. Klara Küster hatte bis zur Geburt der Tochter etwa fünf Jahre als angestellte Architektin gearbeitet. 1946 kehrt sie nach dreijähriger Unterbrechung erneut als angestellte Architektin in den Beruf zurück. Nach kur- zer Zeit in einem freien Büro wechselt sie ins Hoch- bauamt Steglitz, wo sie bis 1958 Projekte des Bezir- kes plant und betreut. Wiedereinstiege nach mehrjähriger beruflicher Ent- haltsamkeit finden wir bspw. bei Lieselotte von Bo- nin, Iwanka Hahn, Annemarie Mauck, Ewa Oesterlen, Helga Schuster und Fridel Vogel [geb. Hohmann]. Nach mehr als zehnjähriger Unterbrechung nimmt von Bonin, die im Anschluss an das Diplom sechs Jahre lang als selbständige Architektin in Partner- schaft tätig gewesen war, die Berufstätigkeit wieder auf. Sie unternimmt diesen Schritt in den Fünfzigern allein und kann in den folgenden zwanzig Jahren im- mer wieder kleinere Bauvorhaben realisieren. Mauck wird 1946 in Lübeck wieder freiberuflich tätig, nach- dem sie - nach Heirat und Umzug nach Wien - 1940 aus dem Beruf ausgestiegen war. Hahn kehrt nach etwa 12jähriger Abstinenz in die Architektur zurück. Nach dem Wiederaufbau der Frankfurter Firma ‘Glas- bau Hahn’ wird sie auch bei Aufträgen dieser Firma entwerferisch tätig. Oesterlen baute Anfang der vier- ziger Jahre ein Einfamilienhaus, nachdem sie anläss- lich ihrer Heirat 1938 die angestellte Position im öf- fentlichen Dienst gekündigt hatte. Als die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind und im Büro ihres Mannes große Aufträge anstehen, nutzt sie Anfang der fünfzi- ger Jahre die Möglichkeit, um nach mehr als zehn- jähriger Unterbrechung in die Architektur zurückzu- kehren. Vogels freiberuflicher Wiedereinstieg 1962 er- folgt siebzehn Jahre nach dem Ende ihrer zehnjähri- gen Tätigkeit als angestellte Architektin in Berlin. Zumindest für ein Drittel der Tessenowstudentinnen wie der -Diplomandinnen lässt sich bisher eine nahe- zu lebenslange Berufstätigkeit belegen.12 Auch bei ei- nem Viertel der Bauhausstudentinnen, darunter zwei der vier Diplomandinnen, kann eine durchgängige Er- werbstätigkeit nachgewiesen werden.13 Obgleich je- weils knapp zwanzig der mehr als 50 architekturinter- essierten Bauhausstudentinnen wie der 24 bei Tesse- now diplomierten Architektinnen einen Berufsstart in der Architektur unternommen hatten, finden innerhalb des engeren Berufsfeldes nur sieben der Tessenow- und lediglich drei der ehemaligen Bauhausstudentin- nen länger als 20 Jahre ein Betätigungsfeld. Betrachtet mensch die Berufsverläufe der hier näher untersuchten Architekturstudentinnen der Weimarer Republik, so fällt hinsichtlich Dauer und Kontinuität unmittelbar ins Auge, dass die meisten Werkbiogra- fien vor, während und nach der Weimarer Republik sowie auch in der ‘Zeit des Wiederaufbaus’ durch Diskontinuitäten und Brüche gekennzeichnet sind. Die Mehrheit der durchgängig im Berufsfeld tätigen Architektinnen arbeitet hier nicht länger als 15, höch- stens 18 Jahre, während andere nach Jahrzehnten wieder in die Architektur zurückkehren. So ist bspw. Ewa Oesterlen über eine Zeitspanne von mehr als zwanzig, sind Lieselotte von Mendelssohn und Fridel Vogel über eine Zeitspanne von mehr als fünfzig Jah- ren als Architektinnen tätig, auch wenn alle Genann- ten diese Tätigkeit für mehr als zehn Jahre unterbre- chen. Berufsbiografien von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik sind häufig durch unterschiedli- che Tätigkeitsfelder resp. Schwerpunkte und wech- selnde Beschäftigungsverhältnisse gekennzeichnet. Die meisten werden im Laufe ihrer Berufsleben so- wohl angestellt als auch freiberuflich tätig. Daneben fällt auf, dass Architektinnen dieser Generation ent- weder sehr lange, d.h. mehr als vierziger Jahre, häufi- ger jedoch nur kurz resp. weniger als zehn Jahre durchgängig im Beruf tätig bleiben. Dabei sind die langfristig im Berufsfeld Tätigen ganz überwiegend im öffentlichen Dienst zu finden. Bei der Mehrheit der Architektinnen dieser Generation liegt die ‘Lebens- arbeitszeit innerhalb der Architektur’ um die zwanzig Jahre. Ist die vergleichsweise kurze Berufsdauer von Archi- tekturstudentinnen der Weimarer Republik der Famili- enkonstellation resp. einer traditionellen Rollenvertei- lung geschuldet? Oder spiegeln sich hier primär Chancen und Möglichkeiten eines (nicht geschlechts- neutralen) Berufsfeldes wider? Und in welcher Rela- tion steht die Berufsdauer zum Kompetenzerwerb? Alleinstehende Architektinnen bleiben deutlich häufi- ger erwerbstätig als verheiratete. Unter den Bauhaus- wie Tessenowstudentinnen, die länger als fünfzehn Jahre berufstätig bleiben, finden wir jedoch sowohl Alleinstehende wie Verheiratete. Dabei sind unter den langjährig berufstätigen Tessenowdiplomandinnen Alleinstehende zahlenmäßig kaum stärker vertreten als Verheiratete mit Kindern. Sie sind und bleiben - mit einer Ausnahme - als Architektinnen tätig. Im Unterschied dazu sind die dauerhaft Erwerbstätigen unter den ehemaligen Bauhausstudentinnen drei Mal häufiger alleinstehend als verheiratet.14 Und in aller Regel sind sie nicht mehr in der Architektur tätig. Das Ergebnis dieser Analyse bestätigt zwei Hypothe- sen, so sehr die jeweilige Erwerbstätigkeit wie auch 12 Im Sinne einer Normalerwerbsbiografie wurden zumindest neun der 24 Diplomandinnen bei Tessenow, 12 der 38 TH-Studentin- nen tätig. Dies sind Blank, Bonin, Brobecker, Engels, Herzen- stein, Hohmann, Koch, Korte und Schaar sowie Dirxen, Tönnes- mann und Weckend. 13 Lebenslang berufstätig blieben von den Bauhausstudentinnen Bánki, Beese, Both, Dicker, (Itting), Lewin, Meyer-Ehlers, Meyer- Waldeck, Reiss, Schneider (Ulrich), Weiner und Wimmer. Be- kannt sind die Berufswege bei 20 der näher betrachteten 25, nahezu lückenlos bekannt bei 17 von insgesamt 34 der ehema- ligen Bauhausstudentinnen. 14 Von den Tessenowstudentinnen waren zu diesem Zeitpunkt al- leinstehend: Blank, Koch, Küster [geb. Brobecker], Herzenstein, Schaar, Vogel [geb. Hohmann] - resp. verheiratet: Herde [geb. Engels], Kleffner-Dirxen, Oswald [geb. Korte], Seitz-Zauleck, Zo- sel-Weckend. Von den Bauhausstudentinnen waren alleinste- hend: Both, Dicker [sp. Brandejs], Gaebler [geb. Itting], Meyer- Waldeck, Mauck [geb. Wilke], Reiss, Swan [gesch. Rahv], Wei- ner [geb. Wiener], Weiß [geb. Schneider]. Verheiratet waren resp. blieben Koppelmann [geb. Ulrich], Lange [geb. Wimmer], Schwerin [geb. Meltzer]. Berufsverläufe und Lebenswege 269 die Berufsdauer als Architektin von individuellen Kon- stellationen abhängig gewesen sein mag: Neben dem fachlichen Kompetenzerwerb erwies sich die formale Qualifikation bei der Professionalisierung der Archi- tekturstudentinnen der Weimarer Republik als ent- scheidend. Sie wirkte sich deutlicher als der Famili- enstatus auf die berufliche Etablierung und die Be- rufsdauer aus. Und: offensichtlich fanden Architektin- nen in einer - beruflich wie privat - traditionell orien- tierten Umgebung relativ häufiger dauerhafte Arran- gements und akzeptable Rahmenbedingungen als im progressiven Spektrum des Berufsfeldes. Neben die- ser Korrelation zeigt sich noch eine weitere: Die Ver- bleibsdauer von Architektinnen korrespondierte mit ihrem Berufstatus. War durch die gesetzliche Öffnung der Beamtenge- setze im November 1918 die Möglichkeit geschaffen worden, Frauen auch als Baubeamtinnen zu beschäf- tigen, so eröffneten sich hier - wie auch in den Pla- nungsabteilungen der Ministerien - nur ausnahmswei- se Chancen einer beruflichen Laufbahn für Frauen.15 Architektinnen wurden ab den zwanziger Jahren ver- einzelt als Regierungsbauführerinnen - d.h. als Aspi- rantinnen zum Regierungsbaumeister - überwiegend jedoch als angestellte Architektinnen in Bauverwal- tungen tätig.16 Hildegard Dörge, die spätestens 1932 erfolgreich die Regierungsbaumeisterprüfung absolvierte, ist um 1933 als freiberufliche Architektin in Berlin ansässig. Dass Architektinnen auch in den dreißiger Jahren nicht mit der für die Regierungsbauführer obligatori- schen Verbeamtung rechnen konnten, wird am Bei- spiel Grete Schroeder-Zimmermanns deutlich. Sie tritt 1930, im Anschluß an das Diplom, eine Stelle als Regierungsbauführerin im Preußischen Hochbauamt des Kreises Niederbarnim-Teltow an. Schroeder- Zimmermann scheint dort jedoch keine volle Stelle resp. keine volle Vergütung erhalten zu haben. Sie unterrichtet zeitgleich: als außerplanmäßige wissen- schaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Formenlehre und Baukonstruktion der TH Charlottenburg. Ende 1931 quittiert sie den Staatsdienst: „Auf eigenen Wunsch ausgeschieden, weil einer Frau nur der Titel eines Regierungsbaumeisters verliehen werden sollte, also ohne Aufstiegsmöglichkeit zum Regierungsbau- rat.“ 17 1940 kehrt sie jedoch in den öffentlichen Dienst zurück, als sie eine Stelle in der Hochbauab- teilung des Oberfinanzpräsidiums Berlin antritt. Am 16.4.1941 wechselt sie in die Bauabteilung der Preu- ßischen Bau- und Finanzdirektion. Dort scheidet sie im Sommer 1944 aus, um freiberuflich tätig zu wer- den. An diesem Beispiel wird deutlich, dass während der Weimarer Republik bei der RegierungsbaumeisterIn- nenlaufbahn faktisch kein Durchbruch erreicht wurde. In angestellten Positionen konnten Architektinnen auch nach dem Wahlsieg der Nationalsozialisten in nahezu allen öffentlichen Bauabteilungen tätig sein. Annemarie Wimmer und Wera Meyer-Waldeck wer- den Mitte der dreißiger Jahre bei den Reichsautobah- nen „den für die Reichsbahnbeamten Ihres Dienst- zweiges gegebenen besonderen Bestimmungen un- terworfen“, jedoch „außerhalb des Reichsbahnbeam- tenverhältnisses nach Maßgabe des Reichsangestell- tentarifvertrages“ angestellt.18 Denn, wie dies bereits die „Satzung der Gesellschaft Reichsautobahnen“ 15 Architektinnen waren ab den zehner Jahren in öffentlichen Bau- verwaltungen tätig - als Praktikantinnen oder Hilfskräfte. 16 Iwanka Waltschanowa arbeitet 1931 in Plowdiw in städtischen Diensten, Annemarie Wimmer ab April 1934 im Hochbauamt Berlin-Schöneberg, Ludmilla Herzenstein ab Ende 1935 im Stadtplanungsamt Rostock. Im Reichspostministerium in Berlin arbeiten als angestellte Architektinnen um 1937 Christa Dirxen, ab Sommer 1937 bis 1945 Gisela Schneider. Im Reichsluftfahrt- ministerium arbeitet spätestens ab 1935 Sigrid Weiß [geb. Rau- ter], ab Februar 1936 bis 1938 Ewa Freise, ab 1938 bis Kriegs- beginn Klara Brobecker, während des Krieges Irina Kaatz resp. Zuschneid. Bei der Reichsautobahn seit Ende 1935 (bis 1945) Annemarie Wimmer, ab 1937 Wera Meyer-Waldeck, die zum Frühjahr 1939 zur Reichsbahn wechselt. Gertraude Engels ar- beitet zwischen 1937 und 1939 in der Preußischen Bau- und Finanzdirektion, Klara Küster um 1940 im Neubauamt Trier und - vor 1943 - im Reichsernährungsministerium. 17 HdKA, Best.16, Nr.148, handschriftlicher Lebenslauf vom 12.12. 1952 - Lieselotte von Bonin wurde mit Schreiben vom 10.9. 1931 mitgeteilt: „Auf den Antrag vom 28.8 bzw. 7.9.1931 will ich Sie zur Ausbildung als Regierungsbauführer im preußischen Staatsbaudienste in der Richtung des Hochbaufachs behufs Ablegung der Staatsprüfung zulassen, ohne Ihnen aber Aussicht auf Verwendung im preussischen Staatsdienste nach bestande- ner Staatsprüfung machen zu können.” NL Bonin 18 Arbeitsvertrag Annamarie Wimmer vom 14.12.1935, der rückwir- kend zum 2.12. geschlossen wurde. AdKS, PA Lange 270 Vom Auftauchen und Verschwinden Der Arbeitsplatz von Gerda Niegemann-Marx in Magnitogorsk,1932 - und Blick in die gegenüberliegende Ecke der Unterkunft (unten rechts) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar vorsah, wurden deren Geschäftsstellen „im Einver- nehmen mit der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft in erster Linie mit Reichsbahnbeamten besetzt. Außer ihnen werden Fachmänner des Straßenbaus und Hilfskräfte mit fachlicher Vorbildung angestellt.“ 19 Vergleichbare Regelungen muss Gisela Schneider bei der Reichspost unterzeichnen. An ihrem Arbeitsver- trag - wie auch an dem von Annemarie Wimmer - lässt sich belegen, dass Architektinnen schlicht auf- grund ihrer Geschlechtszugehörigkeit im öffentlichen Dienst weder die gleiche Bezahlung wie den Kollegen noch die rechtliche Gleichstellung zuteil wurde und dennoch den gleichen Pflichten unterlagen. Ebenso unabhängig von der Qualifikation wie von der realen Tätigkeit wurde insbesondere in der öffentlichen Dar- stellung auf eine subalterne Stellung von Architektin- nen geachtet. So wird bspw. Hanna Blank, die im Baubüro der ‘Reichswerke Hermann-Göring’ arbeitet, 1939 von Herbert Rimpl unter „Mitarbeitern“ genannt - nicht jedoch unter den „Herren Architekten, die mir zur Seite standen“. Ein öffentliches ‘In-Erscheinung- Treten’ bleibt Einzelnen vorbehalten, wie der 1937 von Hitler zur Professorin ernannten Gerdy Troost, während Architektinnen innerhalb von Partnerschaf- ten noch „die Architektin der Reichsfrauenführung“ namentliche Erwähnung finden.20 In öffentlichen Planungsämtern oder Behörden tätig, scheiden Architekturstudentinnen der Weimarer Re- publik während des Krieges manches Mal aus. Erst nach 1945, ab den späten vierziger Jahren finden ei- nige von ihnen erneut Anstellungen im öffentlichen Dienst.21 Unmittelbar nach Kriegsende finden wir Ar- chitektinnen dieser Generation in Berlin in leitenden Positionen der öffentlichen Bauverwaltung, so Her- zenstein und Seitz als Dezernentinnen, Harte als Lei- terin der Kommission für Prüfstatik, Lange als Regie- rungsrätin. Bereits 1950 ist keine von ihnen mehr in einer dieser Funktionen tätig. In den fünfziger Jahren ist lediglich Wera Meyer-Waldeck zeitweilig in öffent- licher Funktion zu finden: Als erste Vorsitzende des Bau- und Wohnungsausschusses und Leiterin des Referates „Wohnung und Siedlung“ des Landes Nordrhein-Westfalen. Zahlreiche Architektinnen der Weimarer Republik ar- beiteten in den zwanziger und dreißiger Jahren ange- stellt in privaten Büros. So arbeitet Leonie Pilewski 1923 bei Hugo Häring in Berlin und 1935 bei Alexan- der Klein in Haifa. Paula Marie Canthal wird um 1927 Mitarbeiterin bei Alfred Gellhorn, um 1937 bei Ed. J. Siedler. Ursula Warschauer arbeitet 1925 bei Erwin Gutkind. 1929 arbeitet Ella Rogler im Büro Hubacher & Steiger in Zürich, Iwanka Waltschanowa bei Ale- xander Klein in Berlin. Kattina Both arbeitet ab 1928 bei Luckhardt und An- ker in Berlin, Anfang der dreißiger Jahre in Celle zu- nächst bei Otto Haesler, ab 1934 bei Hermann Bun- zel. 1935 kann sie im Büro Otto Vogts in Kassel mit- arbeiten, ab 1942 bei Ernst Neufert in Berlin. Lotte Beese, die ab 1929 in Berlin bei Meyer / Wittwer resp. Häring, ab 1930 in Brünn bei Fuchs gearbeitet hatte, wird ab 1940 Mitarbeiterin von Ben Merkel- bach in Amsterdam. Gerda Niegemann-Marx arbeitet 1930 bei Hopp & Lucas in Königsberg, 1938 im Büro von Paul Bromberg in Amsterdam, Anneliese Brauer in Berlin 1931 bei einem Architekten namens Hess, 1932 bei Otto Hetzer und bis 1935 im Büro der Luck- hardts, wo zwischen 1933 und 1934 auch Wera Itting tätig ist. Ludmilla Herzenstein kann um 1930 für Ale- xander Klein in Berlin, 1938 in Hamburg im Büro von Schoch & zu Puttlitz arbeiten. Ab 1940 findet sie eine möglichst unauffällige Form der Existenz als Mitarbei- terin eines kleinen Architekturbüros in Konitz. Hanna Blank wird ab 1932 im Büro der Brüder [Wal- ter und Johannes] Krüger tätig, Annemarie Wilke ab 1933 bei Lilly Reich und Ludwig Hilberseimer. Hilde Reiss arbeitet ab 1932 in freien Büros in Berlin, ab Sommer 1933 in Manhattan als Entwerferin in den Büros von Norman BelGeddes und Gilbert Rhode. Ebenfalls für Rhode, aber auch für Joseph Aronson wird Lila Ulrich tätig. Für den ehemaligen Tessenow- Assistenten Walter Löffler arbeiten 1934 resp. 1936 kurzzeitig sowohl Fridel Hohmann wie Luise Zauleck. Zauleck findet ab März 1937 im Büro von Günther Wentzel eine Anstellung. Johanna Tönnesmann kann auch nach dem Diplom 1936 ihre Mitarbeit im Büro 19 Satzung der Gesellschaft Reichsautobahnen vom 26.8.1933, hier zitiert nach: Deutsches Reichsadreßbuch der Staatlichen und Kommunalen Baubehörden, 20.Jg., 1936, S.320 20 So beteiligten sich bspw. von Rossig und Gonser 1933 unter Nennung beider Namen erfolgreich am Wettbewerb zur Neuge- staltung Stuttgarts. 1937 erscheint beim Wettbewerb „Hoch- schule für Lehrerbildung in Eßlingen a.N.“ unter den Preisträ- gern nur noch der Name Karl Gonsers - als einer von mehreren 2. Preisen. (Baugilde, 19.Jg., 1937, H.9, S.303-304) Es bleibt unklar, ob sich Elisabeth Gonser [geb. von Rossig] de facto aus dem Büro zurückgezogen hat oder schlicht ungenannt bleibt. 21 So u.a. Blank, Küster, Herzenstein, Schaar und Schneider-Weiß. Berufsverläufe und Lebenswege 271 Gerhardine Troost bei der Eröffnung der Ausstellung „Deutsche Kunst” 1937 in München und bei der Arbeit 1938 (unten) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Paul Bonatz in Stuttgart fortsetzen. 1937 wechselt sie in das Büro Konstanty Gutschows in Hamburg. Im Sommer 1938 werden in Berlin Ursula Weiß für das Büro Werner & Harting und Hildegard Korte im Büro von Prof. Wilhelm Büning tätig. Korte wechselt mit Kriegsbeginn in das Büro von Kurt Krause. Im Londo- ner Exil arbeitet Eva Lilly Lewin ab 1941 in einem technischen Zeichenbüro. Nach 1945 finden wir na- hezu keine Architektin dieser Generation mehr als Angestellte in einem privaten Architekturbüro.22 Auch in Planungsabteilungen von Bauunternehmen oder Industriebetrieben finden Architekturstudentin- nen der Weimarer Republik manches Mal die Mög- lichkeit der Mitarbeit resp. eine Anstellung. Bereits ab 1923 arbeitete Erika Förster bei der Phillip Holzmann AG in Frankfurt am Main.23 Wie bereits erwähnt, fand Jadwiga Jungnik 1924 bei Villeroy & Boch einen Be- rufseinstieg. Pfeiffer kann Ende der zwanziger Jahre als Praktikantin mehrfach in der Planungsabteilung der Kasseler Henschelwerke arbeiten. Bei der Allge- meinen Häuserbau AG von Adolf Sommerfeld in Berlin arbeiten um 1928 Weiß und – noch während ihres Studiums - Waltschanowa und Blank. Lediglich Blank führt diese Tätigkeit nach dem Diplom 1930 dort fort. Sie wird 1932 nach eigenen Angaben „auf- tragsbedingt entlassen“, während Pfeiffer ebendort ab Mai 1932 in einer „Stellung als Architektin“ tätig wird. Als Praktikantin wird Korte um 1935 bei der AHAG in der Bauleitung eingesetzt. Meyer-Waldeck arbeitet ab Herbst 1934 für die Junkerswerke, Her- zenstein Mitte der dteißiger Jahre für die Baufirma Fiedler in Berlin, Blank um 1938 im Baubüro der Hermann-Göring-Werke. Meyer-Waldeck wird ab Mai 1942 die Leitung der Planungsabteilung einer Berg- hütte im oberschlesischen Karwin übertragen. Nach längerer Arbeitslosigkeit findet Reiss 1942 am ‘Heart Mountain Relocation Center’ eine Stelle als angestell- te Planerin. Die Architekturstudentinnen der Weimarer Republik, die als angestellte Architektinnen in freien oder ge- werblichen Büros arbeiteten, fanden dort offenbar nur selten eine längerfristige Perspektive. Manches Mal wurden sie lediglich als Zeichnerinnen beschäftigt, in anderen Büros zu sämtlichen Planungsarbeiten he- rangezogen. Bei Auftragsengpässen scheinen sie i.d. R. als erste entlassen worden zu sein.24 Und als an- gestellte Architektin auf adäquaten Stellen tätig zu werden oder zu bleiben, wird mit zunehmender Be- rufserfahrung offenbar schwieriger. Damit verweist bereits die Kürze der Beschäftigungsverhältnisse auf den ebenso fragilen wie geringen Berufsstatus dieser angestellten Architektinnen. An Kunstgewerbeschulen und auffällig häufig in pre- kären Beschäftigungsverhältnissen - wie Assistentin- nenstellen oder befristeten Dozenturen - finden wir ab den zwanziger Jahren vereinzelt Architektinnen. So übernimmt die Innenarchitektin Ilse Bernheimer 1926 bei Oskar Strnad eine Stelle als Assistentin an der KGS Wien25, und Ernestine Kopriva wird 1928 - im Alter von 33 Jahren - für ein Jahr als ‘Hilfslehrerin’ in der Fachklasse für Architektur bei Josef Hoffmann eingestellt.26 Acht Jahre später wird sie an der KGS „widerrufliche Lehrerin für Architektur“. Im Unter- schied zu Oswald Haerdtl, der ebenfalls 1928 als Assistent bei Hoffmann begann, macht sie jedoch keine akademische Karriere in der Architektur. Nach Zwangspensionierung 1939 wird sie 1944 widerrufli- che Leiterin der Werkstatt Stoffdruck, 1947 deren Leiterin. In dieser Position wird Kopriva kurz vor ihrer Pensionierung 1953 der Professorentitel verliehen.27 Hertha Jeß (geb. 1880) leitete bereits seit 1924 die „Fachklasse für Raumkunst, Möbel, Kunstgewerbe und gegenständliches Zeichnen“ an der Reimann- schule in Berlin.28 Und an der Kunstgewerbeschule München wurde die Malerin und Innenarchitektin Else Brauneis bereits in den zwanziger Jahren zur außer- ordentlichen Professorin ernannt.29 1930 wird Gertrud Ferchland (geb. 1894) als - erste planmäßige - Dozentin an der TH Dresden berufen. Sie unterrichtet in der Allgemeinen Abteilung, nicht an der Architekturfakultät. Hierbei wird deutlich, dass es Ferchland in den zwanziger Jahren als diplomierte Architektin nicht gelang, eine akzeptable Berufsper- spektive innerhalb der Architektur zu finden.30 Helga Karselt wird 1930 am Lehrstuhl für Baugeschichte der Architekturfakultät der TH Berlin als Hilfsassisten- tin angestellt, sie kündigt 1935. Ebenfalls 1930 wird am Lehrstuhl für Formenlehre und Baukonstruktion eben dieser Fakultät Grete Schroeder-Zimmermann als außerplanmäßige Assistentin tätig. Sie ist bereits 42 Jahre als und behält diese Position zehn Jahre lang. Ab 1936 unterrichtet Hilde Reiss in New York an der Laboratory School of Industrial Design31, ab Frühjahr (spring term) 1938 bis Ende 1940 auch an der New School of Social Research vor allem den Kurs „Interior Planning“.32 Erst nach Kriegsbeginn wird Anneliese Eichberg [geb. Thienes] ‘Hilfsassistentin’ von Prof. Adolf Abels an der TH München.33 An eben dieser Fakultät hatte sie in den dreißiger Jahren studiert. Nach der Heirat mit dem Kollegen Werner Eichberg, arbeitete sie - wie schon zu Studienzeiten - im Büro von Prof. Abels.34 Ebenfalls zunächst im Privatbüro arbeitet Herta Maria Witzemann (geb. 1909), bevor sie 1943 auch Assi- stentin Oswald Haerdtls in dessen Fachklasse für Ar- chitektur an der KGS Wien wird. Am Lehrstuhl Bau- kunst 1 der TH Darmstadt wird im Wintersemester 1942/43 mit Dipl.Ing. Ottilie Schneider die erste wis- senschaftliche Assistentin angestellt.35 Direkt nach dem Krieg wird Lilly Reich von Max Taut 22 Lediglich Klara Küster wird 1946 kurzzeitig für Grosse und Völ- ker in Berlin, Hilde Reiss um 1951 im Büro Erich Mendelsohns in San Francisco tätig. Die angestellte Tätigkeit Eva Lilly Lewins endet 1947. 23 Erika [Ilse] Förster, sp. Schulz-Du Bois (1897-1992) hatte im Herbst 1922 an der TH Stuttgart diplomiert. Für Hinweise zu Förster danke ich Dr. Norbert Becker, Mitteilung vom 10.5.1999. 24 So bspw. Marianne Brandt 1930 bei Gropius, Rahel Weisbach 1929 nach zwei Jahren bei Mendelssohn, Hanna Blank 1932 bei der AHAG. 25 Zu Ilse Bernheimer (geb. 20.3.1892 Wien - gest. 1984 Venedig) vgl. Plakolm-Forsthuber, 1994, S.259 - In Dresslers Künstlerlexi- kon wird sie 1930 als Malerin und Griffelkünstlerin geführt. 26 Katalog zum 60.Bestandsjahr der KGS Wien, Sommer 1929, S.63. Ernestine Kopriva (9.11.1894 Wien - 19.7.1984 Wien), als Tochter eines Generalstabsarztes im mährischen Porlitz aufge- wachsen, besuchte nach der Lyzealreifeprüfung zwei Jahre die Kunstschule für Frauen und Mädchen in Wien, bevor sie sich zum Herbst 1913 mit dem Berufsziel Architektin an der KGS Wien immatrikulierte. Dort studierte sie in der Allgemeinen Ab- teilung bei Strnad, ab Herbst 1916 bei Hoffmann in der Fach- klasse für Architektur, wo sie drei Jahre später ihren Abschluss erhielt. Sie wird für die Wiener Werkstätte tätig. Ihr Monogramm ist im „Kachelalmanach“ (1928) zu finden. Vgl. Kallir, Jane: Vien- nese Design and the Wiener Werkstätte, New York, 1986, S.123 27 AAKWien, Personalbogen Kopriva 28 25 Jahre Reimannschule Berlin, Sonderheft Farbe und Form, 12.Jg., 1.4.1927 29 Vgl. Dressler, 1930, Eintrag Brauneis 30 1894 in Zürich geboren, studierte Ferchland zunächst ein Seme- ster an der TH Dresden, bevor sie sich zum 5.4.1913 an der TH Charlottenburg für Architektur immatrikulierte und im April 1917 - nach sieben Semestern - die Diplomhauptprüfung für Architek- tur erfolgreich ablegte. In den zwanziger Jahren studiert sie er- neut, nun in der Allgemeinen Abteilung der TH Dresden, wo sie ein weiteres Diplom erwirbt. In eben dieser Abteilung wird sie 1930 zur Dozentin ernannt. Achim Mehlhorn: Eröffnungsrede, in: Reiche, Katrin (Hg.): 90 Jahre Studierende Frauen in Sachsen, Dresden, 1997, S.6 31 Die ‘Laboratory School of Industrial Design’ wird in den dreißi- ger Jahren im Rahmen des ‘WPA-Programs’ gegründet - einem Arbeitsbeschaffungsprogramm mit kulturpolitischem Reforman- spruch. Gilbert Rohde, in dessen Designbüro Reiss seit 1933 arbeitet, ist der erste Direktor dieser Schule. 32 Beide Schulen beziehen sich dabei u.a. auf das Bauhaus, als sie in den dreißiger Jahren versuchen, kulturpolitische Reformansät- ze mit neuartigen pädagogischen Auffassungen zu verbinden. Reiss ist die Einzige im Kollegium, die am Bauhaus studiert hat. Die ‘New School’ engagierte etliche Immigranten, darunter ab 1937 den Architekten und Bauhistoriker Paul Zucker. 33 Fuchs, 1994, S.156 34 Zu den bekanntesten Gebäuden Adolf Abels zählen die Ausstel- lungshalle, das Kongresshaus und der Turm der „Pressa“ in Köln, 1927/28 - vgl. bspw. Müller-Wulckow, Walter: Bauten der Gemeinschaft, Königstein, 1930, S.71 272 Vom Auftauchen und Verschwinden als Dozentin für ‘Raumgestaltung’ und ‘Gebäudeleh- re’ an die Architekturfakultät der aus den VS hervor- gegangen Hochschule für Bildende Künste in Berlin berufen. Sie scheidet aufgrund einer Erkrankung be- reits 1946 wieder aus.36 Ebenfalls an der HfBK Berlin unterrichtet ab 1945 auch Grete Schroeder-Zimmer- mann. Sie vertritt hier - wie bereits in den dreißiger Jahren - das Fach Darstellende Geometrie, Schatten- konstruktion und Perspektive für weitere zehn Jahre. Schroeder-Zimmermann, Reich und Brauneis gehö- ren damit zu den wenigen Architektinnen, die vor wie nach dem zweiten Weltkrieg unterrichteten. Von den ehemaligen Tessenow- und Bauhausstuden- tinnen werden lediglich Hilde Reiss und Lila Ulrich in den dreißiger Jahren in New York als Dozentinnen tä- tig. Auch nach 1945 finden wir Architekturstudentin- nen der Weimarer Republik nur selten an deutschen Architekturfakultäten. Wera Meyer-Waldeck tritt zum 1. April 1946 an der Werkkunstschule in Dresden eine Stelle als Dozentin für Möbelbau und Raumgestal- tung an, gibt diese Tätigkeit aber nach knapp zwei Jahren wieder auf.37 Herta Maria Witzemann ist die einzige Architektin dieser Generation, der es gelingt, eine akademische Laufbahn mit einer freiberuflichen Etablierung über Jahrzehnte zu verbinden: Sie wird 1953 Professorin für Innenausbau an der Akademie Stuttgart und etabliert sich auch freiberuflich in der Innenarchitektur. An den akademischen Fakultäten bot sich Architek- turstudentinnen der Weimarer Republik keine Mög- lichkeit, einen ihrer Ausbildung entsprechenden Sta- tus innerhalb des Berufsfeldes zu erlangen. Selbst mit der Promotion war für sie als Fachfrauen nahezu keine Perspektive auf eine Lehr- oder Forschungstä- tigkeit verbunden.38 Auch in der Nachkriegszeit finden wir an Architekturfakultäten der Technischen Hoch- schulen Architektinnen lediglich auf Assistentinnen- stellen, wie bspw. 1949 Ilse Bohnsack, Christel Plarre und Gertrud Brandenburg an der TH Berlin.39 Alle drei sind verheiratet und studierten erst Ende der dreißi- ger Jahre, in der Regel bei den Professoren, an deren Lehrstühlen sie nun arbeiten. Wie wir gesehen haben, war es insbesondere jüdi- sche Architekturstudentinnen der Weimarer Republik nur allzu selten vergönnt, eine berufliche Perspektive aufbauen.40 Im Unterschied zu Kolleginnen früherer Generationen und bereits etablierten Lehrern, die ihre berufliche Perspektive dank professioneller Reputati- on ins Ausland verlagern konnten, im günstigsten Fall einen Ruf an eine Hochschule erhielten, barg das Reichskulturkammergesetz für die Generation der SchülerInnen weit existentiellere Risiken: Innerhalb des expandierenden Dritten Reiches führte es zur Vernichtung, zunächst der beruflichen, dann der eige- nen Existenz. Gelang die Emigration, so gelang sie in aller Regel - insbesondere nach 1935 - nicht ohne beruflichen Bruch. Deutlich wurde aber auch, dass Architektinnen dieser Generationen - wo auch immer - nur dann Architek- tur in jenem umfassenden Sinne betreiben konnten, wenn es ihnen gelang, eine freiberufliche Perspektive aufzubauen. Denn ebenso wie den zuvor bereits täti- gen Kolleginnen eröffnete ihnen nur die Freiberuflich- keit die Chance, ihre Kompetenzen auch tatsächlich umfänglich einzubringen. Zur Vergütung von Architektinnen konnten vor 1945 nur wenige, danach nahezu keine Daten recherchiert werden. Etliche Architektinnen scheinen während der ersten Berufsjahre nur unwesentlich mehr verdient zu haben als ihnen während des Studiums in Form des familiären Wechsels zur Verfügung stand.41 Im öffent- lichen Dienst war die Regelvergütung offenbar die Ausnahme. In angestellten Positionen variieren die Einkommen von Architektinnen im Laufe der zwanzi- ger und dreißiger Jahre erheblich.42 Und bei den frei- beruflich Tätigen wird nicht immer deutlich, ob diese Tätigkeit ihr Auskommen sichert, obschon etliche Ar- chitektinnen am Ende der Weimarer Republik durch- aus ökonomisch erfolgreich, wenn auch nicht zu den Spitzenverdienern der Branche zu rechnen sind. Zweifelsohne gelingt der Aufbau einer auch ökono- misch tragfähigen freiberuflichen Existenz bspw. von Bonin, Bánki, Canthal, Kleffner-Dirxen, Weckend und Wilke. Und in welcher Relation steht die Berufsdauer zu den konkreten Arbeitsfeldern? Wie wir gesehen haben, gibt es fast keinen Bereich, in dem Architekturstu- dentinnen der Weimarer Republik im Laufe ihrer Be- rufsleben nicht tätig wurden. Fanden wir sie während der zwanziger Jahre überwiegend in Architektur und Innenarchitektur, aber bspw. auch der Ausstellungs- architektur, so korrespondierten ab dem Ende der dreißiger Jahre die Tätigkeitsfelder unmittelbar mit dem Berufsstatus: Während angestellte Architektin- nen in nahezu allen Bereichen und Sparten tätig wa- ren, reduzierte sich das Geschäftsfeld der freiberuf- lich Tätigen zumeist auf den Einfamilienhausbau so- wie auf Innenausstattungen. Und wurden manche Angestellten im Industriebau, im Brückenbau, jahr- zehntelang im Städtebau tätig, so fanden freiberuflich tätige Architektinnen hier offenbar keinerlei Auftrag- geberInnen.43 In Relation zur Berufsdauer ergibt sich damit für die Berufsfelder ein ebenso eindeutiges wie ernüchterndes Bild: Auch mit zunehmender Berufser- fahrung bleiben freiberuflich tätige Architektinnen die- ser Generation auf ein begrenztes Aufgabengebiet angewiesen, gelingt es ihnen i.d.R. nicht, bei den ih- nen zugestandenen Kompetenzen Zuwächse zu er- langen: Auch im Verlauf der Berufstätigkeit erweist sich das Geschlecht als Stolperstein der Profession. 35 Vgl. Viefhaus, 1988, S.53 36 Günther, 1988, S.11 bzw. S.66 37 Diese Berufung war ihre erste Stelle nach dem Kriege. Meyer- Waldeck engagiert sich stark beim Wiederaufbau der Fakultäts- gebäude, hat aber mit den Studierenden offenbar grundlegende Auseinandersetzungen. Mit einem Protestschreiben wenden sich diese am 30.9.1946 an die Hochschulleitung, der Senat legt ihr die Kündigung nahe, sie scheidet am 29.2.1948 aus. „..die Arbeit mit Will Grohmann hat mir viel Freude gemacht. Weniger Freude macht mir die Arbeit mit der heutigen sogenannten Ju- gend. Die 12 Jahre stecken den Jungens noch so in den Kno- chen, dass man manchmal schier verzweifeln könnte. Ausser- dem ist nicht jeder zum Pädagogen geboren und ich ganz ge- wiss nicht.“ DAM, NL Hannes Meyer II 4(10) 81/2-847 Brief vom 9.8.1947 38 Habilitationen waren und sind in der Architektur auch bei Herren eine Ausnahme. Fuchs weist für die TH München bis heute zwei Habilitationen von Frauen in der Architekturfakultät nach. (vgl. Fuchs, 1994, S.246). Seit 1919 sind Frauen zum Habilitations- verfahren an der TH Charlottenburg zugelassen. Hier habilitier- ten im fraglichen Zeitraum (1926-1939) gerade einmal drei Her- ren, bis einschließlich 1950 zwei weitere Herren. (vgl. Schröder- Werle, 1979, S.16 resp. Krahe, 1979, S.200) 39 Lt. Programm der TU Berlin, Fakultät für Architektur (Februar 1949) ist Dipl.Ing. Ilse Bohnsack Assistentin des Lehrstuhls I für Handwerkskunde und Baugestaltung,(Prof. K. Dübbers), Dipl. Ing. Christel Plarre - gemeinsam mit Hansrudolf Plarre - Assi- stentin des Lehrstuhls für Entwerfen und Perspektive, (Prof. H. Freese) und Dipl.Ing. Gertrud Brandenburg Assistentin am Lehr- stuhl für Baugeschichte und Bauaufnahme, (Prof. E.W. Andrae). 40 Die Gründe dieser - im Vergleich zu Kollegen aber auch Kolle- ginnen der Vorgängergeneration - geringeren Erfolge im Zielland können nur weitere Forschungen aufzeigen, denn bisher sind die Spuren emigrierter Architektinnen zu wenig erforscht, um Chancen und Hintergründe differenziert nachzeichnen zu kön- nen. Denn Hypothesen, wie die geringerer Assimilationsbereit- schaft oder größerer beruflicher Flexibilität resp. Zielstrebigkeit bleiben spekulativ. ArchitektInnen wie Marie Frommer, Elsa Gi- doni, Liane Zimbler und Ella Briggs konnten ihre zuvor realisier- ten Projekte als Referenzobjekte nutzen, was die schwierige (Neu-) Etablierung im Zielland erleichtert haben dürfte . 41 Dies wird u.a. daran erkennbar, dass sie die Untermietverhält- nisse der Studienzeit weiterhin beibehalten, bei der Familie oder Verwandten wohnen. 42 So gibt Paula Marie Canthal beispielsweise an, bei ihrer Tätig- keit als angestellte Architektin bei Alfred Gellhorn (1926 in Ber- lin) 300,- Mark im Monat verdient zu haben. Kattina Both berich- tet, dass ihr Gehalt 1935 „ca. 50% unter der Einnahme von 1931 lag“, während Ewa Freise betont, dass sie 1936 bei der Post „gut bezahlt“ wurde. 43 Selbst Marie Frommer, die im Städtebau promoviert hatte, erhält hier keine Aufträge. Berufsverläufe und Lebenswege 273 Randbereiche - Nischen - neue Perspektiven: Berufsfelder mit und ohne Dauer An den Rändern der Profession - im Bühnenbild44, in der Grafik oder im Design45 - wurden Architektinnen dieser Generation kurz- oder langfristig tätig. Margot Rieß berichtet 1931, dass sich Hertha Jeß „auf das für die Gestaltung des Stadtbildes höchst wesentli- che, im Ausmaß aber doch bescheidene Gebiet der architektonischen Schrift zurückgezogen“ habe.46 In den dreißiger Jahren wendet sich auch Hertha Ram- sauer ausschließlich der Schrift zu.47 Kindermöbel finden wir bspw. von Buscher, Beese, Berling und Meyer-Waldeck, Spielzeug von Schwerin, Hohmann, Buscher und Canthal. Für die gleiche Ziel- gruppe erscheinen Bücher von Architektinnen und ar- chitekturinteressierten Gestalterinnen. Else Wenz-Vie- tor hatte bereits in den zwanziger Jahren sichtbar ins Fach der Kinderbuchautorin und Illustratorin gewech- selt.48 Alma Siedhoff-Buscher erzielt in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre Einkünfte als Illustratorin und Erfinderin von Kinderspiel- und Bastelbüchern, auch wenn sie noch 1931 als „Spezialistin für Kinder- stuben“ genannt wird.49 Die von Architekturstudentinnen der Weimarer Repu- blik geschriebenen Kinderbücher entstehen zumeist in den vierziger und fünfziger Jahren. Herzenstein schreibt und illustriert 1946 „Das neugierige Entlein“. eine „Mut-mach-Geschichte“, die zunächst auf Matri- zen vervielfältigt wurde - als Spende für einen Weih- nachtsbasar.50 Von Scheper-Berkenkamp erscheinen 1948 gleich drei Kinderbücher mit farbenprächtigen Illustrationen.51 Seit 1947 ist Lange verantwortliche Lektorin im Kinderbuchverlag Berlin. Auch sie ent- wickelt Ideen für Kinderbücher, schreibt Anfang der fünfziger Jahre eine Art sozialistischen Struwwelpe- ter.52 Mauck verfasst zwischen 1952 und 1964 Kin- dergeschichten, in späteren Jahren einen Roman. Auch Schuster oder Canthal schreiben Romane oder auch Kurzgeschichten. Wenn Architektinnen als Autorinnen tätig werden, verfassen sie i.d.R. jedoch Fachartikel, Themenhefte oder ganze Bücher. Ab den zwanziger Jahren schrei- ben manche in Fachzeitschriften über aktuelle The- men und Projekte - oder auch in Tageszeitungen, wie bspw. Ella Briggs. Es erscheinen Artikel von Margare- te Lihotzky und Leonie Pilewski im „neuen frankurt“, von Stefanie Zwirn und Marie Frommer in der Bau- welt, von Lotte Beese und Ida Falkenberg ab den dreißiger Jahren in „De 8 en opbouw“. Auch Edith Schulze und Liane Zimbler verfassen aus konkretem Anlass Fachartikel.53 Und auch während des National- sozialismus lassen sich Artikel von Architektinnen fin- den, so bspw. von Irmgard Déspres oder Therese Mogger. Selbst im Exil werden manche Architektin- nen fachjournalistisch tätig. Leonie Pilewski schreibt bspw. bis 1943 in der Stockholmer Gewerkschafts- zeitschrift, Hilde Reiss um 1943 in „Your Home“, ab 1946 für das von ihr herausgegebenen „Everyday Art Quarterly“. Neben Architektinnen, die quasi nebenberuflich mit Hilfe von Publikationen Ideen und Projekte öffentlich darstellen oder die gesellschaftspolitischen Folgen von Städtebau und Architektur ins Blickfeld rücken, finden wir ab den dreißiger Jahren auch Kolleginnen, die ihren Lebensunterhalt nahezu ausschließlich mit Hilfe ihrer journalistischen Fähigkeiten bestreiten. So wird Gusti Hecht bereits um 1930 für die „Illustrierten Blätter” des Mosse-Verlages, Christa Dirxen 1941 in der Redaktion der „Neuen Bauform“ tätig. Dr. Hilde- gard Korte avanciert 1943 zur Vertreterin des Haupt- schriftleiters der „Baukunst“. Sie findet auch nach 1945 eine Erwerbsmöglichkeit im Verlagswesen, als sie die Drucklegung der „Illustrierten Zeitung“ in Wiesbaden überwacht. Daneben gibt sie mit ihrem Mann einen Bildband über die Bretagne heraus. Ebenfalls in der Nachkriegszeit veröffentlicht Lotte Tiedemann gemeinsam mit Walter Kratz „Das kleine Haus“ und „Wie baue ich mein Haus?“ 54 In den fünf- ziger Jahren zeichnet sie für mehrere Bauwelt-Son- derhefte verantwortlich und veröffentlicht „Mensch- lich wohnen“.55 1954 erscheint von Herta-Maria Wit- zemann „Neue deutsche Möbel”, und 1955 publiziert Hildegard Geyer-Raack gemeinsam mit ihrer Tochter 44 Bühnenbilder entwarfen in den zwanziger Jahren u.a. Dicker, Simon-Wolfskehl und Helm. 45 So wurden bspw. Both und Hoffmannlederer in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre, Stam-Beese in den dreißiger Jahren auch als Grafikerinnen tätig. Als Designerinnen arbeiteten Wilke (Glas), Reiss und Ulrich in den dreißiger, Hoffmannlederer (u.a. Porzellan) ab den fünfziger Jahren. 46 Rieß, Margot: „Schaffende Frauen: Die Frau als Architektin“ in: Frau und Gegenwart, 28.Jg. H.2, November 1931, S.37 - ich danke Despina Stratigakos für diesen Hinweis. Hertha Jeß war - bspw. bei der Bugra in Leipzig 1914 - auch öffentlich als Innen- architektin in Erscheinung getreten, als sie die Vitrinen in dem von Elisabeth von Knobelsdorff gestalteten Raum für Kunstge- werbe entwarf. Vgl. Katalog zur Ausstellung. 47 Hertha Larisch-Ramsauer (1897-1972), seit 1913 Studentin an der KGS Wien, hatte ab dem Wintersemester 1916/17 bei Oskar Strnad in der Allgemeinen Abteilung studiert, ab 1917 bei ihm Architektur belegt. Sie heiratet den Schriftlehrer Rudolf von La- risch und unterrichtet nach dessen Tod 1934 daselbst Schrift. 48 1928 stellte sie bei der Ausstellung „Heim und Technik“ eine ge- meinsam mit ihrem Gatten entworfene Wohnung aus. In den dreißiger Jahren erscheinen bei Stalling (Oldenburg) mehr als drei Dutzend Titel. 49 Rieß, 1931, S.37 - vgl. FN 47 50 1951 erscheint „Das neugierige Entlein“ im Kinderbuchverlag Berlin. Auch wenn Herzenstein als Autorin genannt wird, so fällt im Vergleich zur ursprünglichen Textversion auf, dass der Tenor des Buches nun dem belehrenden Duktus des „Peter, der sich nicht waschen wollte“ (vgl. FN 52) gleicht. - Ab der 10. Auflage (1958) erscheint das Buch unter dem Titel „Kua, Kua. Das neu- gierige Entlein“ im Parabelverlag, München, seit 1957 die engli- sche Lizenzausgabe „The adventurous Duckling“. 51 Scheper-Berkenkamp, Lou: Knirps, ein ganz kleines Ding; Pup- pe Lenchen; Tönnchen, Knöpfchen und Andere; Die Geschichte von Jan und Jon und von ihrem Lotsen-Fisch. Leipzig, 1948 52 Vom Peter, der sich nicht waschen wollte, Berlin, 1951 - im glei- chen Jahr erscheint auch Weinert, Kurt: Wir ziehen um. Ein Bilderbuch nach einer Idee von Annnemarie Lange 53 So schreibt Edith Schulze architekturkritische Beiträge über die Siedlung Törten, Liane Zimbler über die Werkbundsiedlung Wien. Liane Zimbler: Rund um die Werkbundsiedlung, in: Neues Wiener Tagblatt, 20.7.1932, S.15 (zit. Nach Plakolm-Forsthuber, S.293 FN 87) Leonie Pilewski verfasst für „Das neue Frankfurt“ eine Serie über den russischen Wohnungsbau. 54 Beide erscheinen 1949 in Lauterbach. 55 Tiedemann, Lotte: Vom Kinderzimmer zum Studio, (Sonderheft 51), Berlin 1962, Küche und Hausarbeitsraum, (Sonderheft 59) FFM/Berlin, 1963; Variationen zum Thema Essplätze, (Sonder- heft 64), Berlin / Frankfurt/M. / Wien, 1965; Wohnen nach eige- nem Maß, (Sonderheft 69), Berlin, um 1968 274 Vom Auftauchen und Verschwinden Titelgraphik „Die Reklame”, Katt Both (mit Daub), 1932 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar „Möbel und Raum“.56 Sehr vereinzelt finden wir Publi- kationen, die architektonische Fragen explizit aus Be- wohnerinnenperspektive diskutieren, so 1951 „Frau- enwünsche im Wohnungsbau“ von Else Osterloh und 1955 „Das Haus der berufstätigen Frau“ von Hedwig Gollob.57 Während die meisten der genannten Autorinnen ihre - zumeist freiberufliche - Architektinnentätigkeit wei- terführen oder zeitweilig unterbrechen, vollziehen ei- nige wenige - wie bspw. Rahel Wischnitzer-Bern- stein, Hedwig Gollob, Annemarie Lange oder Erika Brödner - mit dem Schreiben einen Berufswechsel. So editiert Wischnitzer-Bernstein - seit 1907 im Be- sitz eines Architekturdiploms der Pariser Ècole Spé- ciale d´Architecture und seit 1924 Mitarbeiterin des jüdischen Museums in Berlin - ab 1928 die Sparten Kunst und Architektur der „Encyclopedia Judaica”.58 Gollob - seit 1920 in Kunstgeschichte promoviert - schreibt über zahlreiche kunsthistorische Themen.59 Lange wird Lektorin des Kinderbuchverlages und fin- det im Verlauf der fünfziger Jahre in der (Bau-)Ge- schichte das Feld, in dem sie bis zu ihrem Tod 1976 tätig bleibt. Und Brödner veröffentlicht neben ihren Forschungen zum Badewesen in der Antike ab den fünfziger Jahren mehrere Bücher über Schulbauten und hauswirtschaftliche Themen.60 Die meisten Archi- tektinnen, die nach 1945 auch publizistisch tätig wer- den, tun dies jedoch in Form von Fachartikeln oder Vorträgen, wie bspw. Hilde Reiss und Wera Meyer- Waldeck. Bereits ab 1935 und mehr als drei Jahr- zehnte lang erläutert Lotte Stam-Beese ab 1935 auf diese Weise einem breiten Publikum Konzeptionen und Intentionen städtebaulicher Projekte. Ein weiteres Berufsfeld, in dem Architekturstudentin- nen der Weimarer Republik tätig werden, ist die hi- storische Bauforschung. Marie Frommer hatte 1919 zur bauhistorischen Entwicklung Dresdens, Helen Rosenau 1932 zur Baugeschichte des Kölner Doms promoviert.61 Auch Helga Karselt, Ruth Weckend und Hildegard Oswald verfolgen immer wieder bauhisto- rische Themen. Bezahlte Arbeitsmöglichkeiten finden Architektinnen auf diesem Gebiet fast nur während des Nationalsozialismus. Lediglich Helen Rosenau und Erika Brödner bleiben nach 1945 in der Bauge- schichtsforschung tätig. 1936 führt Gertraude Engels im Auftrag der Deut- schen Forschungsgemeinschaft Bauaufnahmen hi- storischer Gebäude in der Mark Brandenburg und im Osthavelland durch. Im Auftrag des Landeskonserva- tors inventarisiert Hilde Eberle Bau- und Kunstdenk- mäler der Stadt Oppeln, und Lotte Tiedemann doku- mentiert zeitweilig historische Bauten im Auftrag der Deutschen Arbeitsfront.62 Weckend forscht Anfang der vierziger Jahre über einen karolingischen Fronhof. Und Hildegard Korte wird im Frühjahr 1941 Assisten- tin Daniel Krenckers, wird derart u.a. für die wissen- schaftliche Betreuung der bauhistorischen Sammlung des Kupferstichateliers zuständig. Demgegenüber kommt Grete Meyer-Ehlers erst in den fünfziger Jahren über die Forschung mit dem Bauen in Berührung. Aufgrund ihrer Mitarbeit im ‘Bei- rat für Wohnungsgestaltung’ beim Senat wird sie auf Druck des Frauenrates im Vorfeld der Interbau 1957 mit einer Untersuchung über Wohnzufriedenheit be- auftragt. Sie bleibt auch in den folgenden Jahrzehn- ten auf diesem Gebiet tätig, evaluiert und analysiert im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnungs- wesen immer wieder Wohn- und Lebensformen. Auch Wera Meyer-Waldeck soll im Rahmen der „Bundesversuchssiedlung in Wesel” über moderne Wohngestaltung geforscht haben. Hatten manche der Tessenow-Studentinnen im An- schluss an das Studium wissenschaftliche Ambitio- nen gezeigt, so finden wir keine einzige von ihnen nach 1945 in der Lehre oder auf Dozenturen. Demge- genüber wurden manche der architekturinteressierten Bauhausstudentinnen als künstlerisch Lehrende tä- tig. Aber auch keine dieser Dozentinnen wird Profes- sorin, weit seltener als ehemalige Kommilitonen un- terrichten sie innerhalb der Architektur. Eine dauer- hafte akademische Perspektive findet lediglich Grete Meyer-Ehlers. An der Pädagogischen Hochschule Berlin vertritt sie über 20 Jahre das Lehrgebiet Haus- halt und Arbeitslehre.63 Fanden wir - in bisher unbekannter Zahl - immer wie- der Architektinnen, die mit entwerferischen oder wis- senschaftlichen Ambitionen auch akademische Be- rufswege anstrebten, so wurde deutlich, dass Frauen an deutschen Architekturfakultäten noch über Jahr- zehnte nur in untergeordneten Positionen geduldet wurden. Denn während es ab den zwanziger Jahren einigen wenigen Architektinnen gelang, an Kunstge- werbe- und Hochschulen zu unterrichten, so fanden wir sie an Architekturfakultäten Technischer Hoch- schulen bis in die vierziger Jahre ausschließlich als Hilfs- und Vertretungsassistentinnen beschäftigt. Sie erhielten i.d.R. eine geringere Vergütung als ihre männlichen Kollegen und konnten die Tätigkeit zu- meist nur temporär ausüben. Über die Ergebnisse ihrer Lehre, ihre konkreten Tätigkeitsbereiche und die ihnen zugestandenen Aktionsradien sowie die Anläs- se und Gründe ihres Ausscheidens, kann bisher i.d.R. nur spekuliert werden.64 Deutlich wird jedoch, dass hier der Ausschluss von Frauen ebenso breit wie wir- kungsvoll organisiert war. Denn im Unterschied zu anderen Disziplinen, die ab dem Ende des Kaiserrei- ches sukzessive auch Professorinnen beriefen, blieb dies in der Architektur noch fast ein halbes Jahrhun- dert tabu.65 56 Witzemann, Herta-Maria: Deutsche Möbel heute, Stuttgart, 1954. Geyer-Raack, Ruth Hildegard / Sibylle Geyer: Möbel und Raum, Berlin, 1955 57 Osterloh, Else: Frauenwünsche im Wohnungsbau, Berlin, 1951 - Gollob, Hedwig: Das Haus der berufstätigen Frau. Eine sozial- wissenschaftlich-architektonische Studie, Wien, 1955 58 Rahel Bernstein (geb. 14.4.1885 Minsk - gest. 20.11.1989 USA), seit 1912 mit dem Historiker Mark Wischnitzer (1882 Rowno / Wolhynien - 1955 USA) verheiratet, emigrierte 1938 nach Paris. Vgl. Hyman, Paula E. / Deborah Dash More (Hg.): Jewish Wo- men in America, New York, 1998, S.1481-1482 59 Vgl. zu Hedwig Gollob (1895-1983) Georgeacopol-Winischhofer, Ute: „Sich bewähren am Objektiven“: Bildung und Ausbildung der Architektin an der Technischen Hochschule in Wien von 1919/20 bis 1944/45, in: Mikoletzky / Georgeacopol-Winischho- fer / Pohl: „Dem Zuge der Zeit entsprechend...“ - Zur Geschich- te des Frauenstudiums in Österreich am Beispiel der Techni- schen Universität Wien, Wien, 1997, S.233-235 60 Brödner, Erika: Untersuchungen an den Caracallathermen, Ber- lin, 1951 (Dissertation 1939); diess.: Moderne Küchen, München; diess. (zus. mit Immanuel Kröker): Moderne Schulen, München, 1955; diess.: Modernes Wohnen im Einfamilienhaus, im Reihen- haus und im Etagenhaus, München, 1954; diess. (zus. mit Ernst Brödner und Grete Wirsing): Technik in der Wohnung, München, 1955; etc. 61 Rosenau, Helen: Der Kölner Dom, seine Baugeschichte und hi- storische Stellung. Dissertation 1932, Universität Hamburg. He- len Rosenau (1900-1984) studierte ab 1924 Architektur an der TH Charlottenburg. Zu Frommer vgl. Biografie im Anhang 62 Schulte-Frohlinde, Julius: Die landschaftlichen Voraussetzungen des Bauens im Osten, München, 1940 - Das verborgene Muse- um (Hg.): Hilde Weström, 2000, S.118 63 Sie hatte bereits vor dem einjährigen Studium am Bauhaus 1930 als Gewerbelehrerin gearbeitet und kehrt in den fünffziger Jah- ren als Dozentin für textiles Werken in dieses Berufsfeld zurück. 64 Lediglich das Zeugnis Prof. Krenckers für seine Hilfsassistentin Helga Karselt ist bekannt und lässt in seinem paternalistischen Grundtenor vermuten, in welch krassem Missverhältnis die er- brachte Leistung zu der bescheinigten Anerkennung stand. 65 So wurden Professorentitel bspw. 1912 an Anna Schultzen von Asten (1848-1903) als erste Musikerin an der Kgl. Hochschule für Musik, 1913 an Rahel Hirsch (1870-1953) als erste Medizine- rin in Preußen verliehen. Käte Kollwitz wurde 1919, Gertrud Kleinhempel 1921 der Professorentitel verliehen. (Renda, 1998, S.23) - 1953 werden die Architektin Herta Maria Witzemann, 1962 die Landschaftsarchitektin Herta Hammerbacher als or- dentliche Professorinnen ernannt. Witzemann hatte seit 1952 Innenraumgestaltung und Möbelbau an der Staatlichen Akade- mie der Bildenden Künste in Stuttgart unterrichtet, Hammerba- cher war seit 1946 als Lehrbeauftragte, seit 1950 als außeror- dentliche Professorin am Architekturfachbereich der Techni- schen Hochschule Berlin tätig. Sie wird 1964 als erste Frau an der TU Berlin ordiniert. 1969 wird die Architektin Dr. Ing. habil. Anita Bach an der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar auf einen Lehrstuhl für Innenraumgestaltung berufen. Berufsverläufe und Lebenswege 275 „Es ist auch im allgemeinen weniger zu erwarten, daß die Frau einmal im Städtebauwesen, in großräumigen Anlagen, überhaupt da, wo das Schwergewicht der Leistung im Organisatorischen liegt, zu entscheiden- den selbständigen Leistungen kommen wird. Aber wir werden sie erfolgreich immer dort finden, wo es gilt, das Nahe, Greifbare, Dinghafte durchzufühlen und zu gestalten“, hatte Margot Rieß 1931 formuliert und von der „offenbare[n] Neigung, sich auf ein en- ges Gebiet zu spezialisieren“ gesprochen, das „auch für das Schaffen der Architektin häufig kennzeich- nend“ sei.66 Und mehr als sechs Jahrzehnte später konstatiert Mikoletzky für die Architekturstudentinnen der TH Wien, dass ihre berufliche Tätigkeit in „eher auf das Private bezogene[n] Berufssparten wie Gar- ten- oder Innenarchitektur“ zu finden sind: „Ein we- sentliches Abgrenzungskriterium ’weiblicher’ Tätig- keiten scheint darüberhinaus die Berufsausübung in Innenräumen gewesen zu sein.“ 67 Auch die beruflichen Perspektiven, die - falls über- haupt - Architekturstudentinnen der Weimarer Repu- blik eröffnet wurden, lagen auffällig häufig auf tradi- tionell weiblich konnotiertem Terrain.68 Dies kenn- zeichnet eindeutig den instrumentellen Geschlechter- diskurs innerhalb der Branche, denn es gilt nicht für die konkreten Berufstätigkeiten dieser Architektinnen. Sobald sie ihre Kompetenzen innerhalb von Hierar- chien - nicht erkennbar - einbringen, sobald die fach- lichen Kompetenzen abhängig beschäftigter Architek- tinnen von Büroeignern, Ehegatten, gewerblichen Bü- ros, staatlichen und parastaatlichen Planungsabtei- lungen in verwertbaren Zusammenhängen genutzt werden, sind diese - mit dem Geschlecht konnotier- ten - Grenzen hinfällig. Architekturstudentinnen der Weimarer Republik finden wir im Laufe ihrer Berufsle- ben in nahezu allen Segmenten des Berufsfeldes auf angestellten Positionen mit Aufgaben jeder Größen- ordnung befasst. Dabei bewegen sich die meisten der ehemaligen Tessenowstudentinnen innerhalb der engeren architektonischen Tätigkeitsbereiche und üben die jeweilige Tätigkeit i.d.R. ausschließlich aus. Im Unterschied dazu sind ehemalige Bauhausstudie- rende in einem weitaus breiteren Spektrum an Ar- beitsbereichen zu finden.69 Dabei wird nicht immer deutlich, inwieweit diese Arbeitsfelder mit dem beruf- lichen Selbstverständnis korrespondieren und wie stark der Erwerbsdruck war. Auch Tessenowdiplo- mandinnen wechselten zwischen unterschiedlichen Segmenten des Berufsfeldes. War im Verlauf der zwanziger Jahre ein Erweitern der Tätigkeitsfelder von ArchitektInnen, bei Freiberuflerin- nen aber auch die Suche nach neuen Aufgabenge- bieten wie nach institutionellen Auftraggebern zu be- obachten, so zeigt sich bei den Studentinnen dieser Generation ein abweichendes Bild: Als TH-Absolven- tinnen arbeiten sie zum Ende der Weimarer Republik ganz überwiegend als angestellte Architektinnen in den Kernbereichen der Architektur, ohne Hochschul- diplom werden sie häufiger als Freiberuflerinnen am Rande der Profession tätig. Und ohne Abschluss fin- den Architektinnen zunehmend seltener überhaupt einen Zugang zum Berufsfeld. Während des National- sozialismus sind Architektinnen ganz überwiegend angestellt tätig. Manche scheiden zeitweilig, andere ganz aus dem Berufsfeld aus. Am Ende des zweiten Weltkrieges lässt sich bzgl. der Tätigkeitsfelder von Architektinnen von einem Bruch sprechen - und dies weit deutlicher als beim ‘Systembruch’ 1933: Kaum einer Architektin gelingt es, im Berufsfeld dauerhaft tätig zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Längerfristig bleiben Architektinnen, mit oder ohne Verantwortung für Kinder, in mittleren Positionen als Angestellte des öffentlichen Dienstes tätig. Nach Kriegsende nehmen sie hier - kurzzeitig - auch leiten- de Positionen ein. Ledige Architektinnen üben hier auch über Jahrzehnte Tätigkeiten im Städtebau, in der Bauplanung wie der Bauverwaltung aus. Aber auch im öffentlichen Dienst bieten sich Architektinnen nur wenige attraktive Berufsperspektiven: Lediglich jede Dritte bleibt bis zum Ende der Berufstätigkeit im Amt. In freien Büros scheint jede längerfristige Tätig- keit als angestellte Architektin nahezu ausgeschlos- sen: Der - offenbar ebenso ungesicherte wie unat- traktive - Status der Mitarbeit bietet Architektinnen hier überhaupt nur selten länger als zwei Jahre die Möglichkeit einer qualifizierten Berufstätigkeit. Und auch die freiberuflichen Existenzen von Architektin- nen dieser Generation sind in der Regel nicht von Dauer. Am wenigsten gefährdet scheint die Berufstätigkeit am Rande des Berufsfeldes. Im Bühnenbau, Möbel- entwurf, der Ausstellungsgestaltung oder auch im Ingenieurbau werden etliche Architektinnen zumin- dest zeitweilig tätig. Noch häufiger finden wir sie im Laufe ihres Erwerbsle-bens jedoch außerhalb des Berufsfeldes: Als Autorinnen, Illustratorinnen, Male- rinnen, Weberinnen, Lehrerinnen und auch als Fach- verkäuferinnen, Geschäftsfrauen, Handels- oder Ver- sicherungsvertreterin, Lift-lady, Bibliothekarin, Immo- bilienmaklerin, Kuratorin, Journalistin, Sekretärin und Filmschauspielerin. Fallen unter den Bedingungen des Exils Verschiebungen der Tätigkeitsbereiche ins Auge, so sind sie bei näherer Analyse hier nicht unbedingt häufiger zu finden als in Deutschland.70 Dass die Chancen weit deutlicher mit fachspezifi- schen Milieus als nationalen Kulturen korrelieren wird bspw. daran sichtbar, dass den multilingualen wie assimilationsbereiten, jüngeren Architektinnen in den USA eine berufliche Etablierung als Architektinnen deutlich seltener gelingt als denjenigen, die bereits 66 Rieß, 1931, S.36ff. - vgl. FN 47 67 Mikoletzky, Juliane: Ordentliches Technikstudium für Frauen, in: Mikoletzky/Georgeacopol-Winischhofer/Pohl, 1997, S.72 68 So bei der Endellschülerin Anna Silber (geb. um 1898), die im Anschluss an ihr Studium nicht - wie ihr späterer Mann Adolf Rading - eine Karriere im Privatbüro August Endells beginnnt, sondern nach ihrer Eheschließung mit Rading an der Kunstaka- demie Breslau unterrichtet, ausgerechnet Stoffdruck. Vgl. Pe- gels, Otto: Adolf Rading, Aachen, 1992, S.11 ff. 69 Auch Bauhausstudenten sind häufig in Arbeitsfeldern tätig, die sie nicht studiert hatten: So arbeitet bspw. Max Krajewski, der am Bauhaus in der Metallwerkstatt studiert hatte, in den dreißi- ger Jahren in Berlin als Architekturfotograf. 70 So werden Frommer und Gidoni in den vierziger Jahren in New York City erneut insbesondere im Bereich Geschäfts- und In- nenausbau tätig. 276 Vom Auftauchen und Verschwinden während der zwanziger Jahre eine berufliche Etablie- rung in Form eines eigenen Büros bewältigt hatten.71 Und während einige wenige Architektinnen - außer- halb wie innerhalb Deutschlands - im Laufe der fünf- ziger Jahre als Freiberuflerinnen ins Berufsfeld zu- rückkehren, steigt die Zahl der angestellten Architek- tinnen, die den Berufsbereich endgültig verlassen, weiter an. So bleibt für das Berufsfeld Architektur zu konstatie- ren, dass es für Architekturstudentinnen der Weima- rer Republik häufig nur temporär und in Teilbereichen zugänglich war. Anhand der Berufsdauer wurde un- mittelbar deutlich, dass es der Mehrzahl der ehemali- gen Bauhaus- wie Tessenowstudentinnen - wie wohl den meisten Architektinnen dieser Generation - nicht vergönnt war, in der Architektur tragfähige Existenzen aufzubauen oder dauerhafte Arbeitszusammenhänge zu finden. Arbeitsfelder, die längerfristig ein Auskom- men sichern, fanden sie öfter außerhalb als innerhalb [der Kernbereiche] des Berufsfeldes Architektur, ver- einzelt aber auch gerade dort, wo ihnen im fachlichen und öffentlichen Diskurs kaum Kompetenz zuerkannt wurde: In der Statik, im Brückenbau und in der Stadt- planung. Insiderinnen und Outsiderinnen: Zur Partizipation und Repräsentation von Architektinnen Als Ende 1950 „22 Berliner Bauhäusler“ im Kunstamt Berlin-Neukölln ausstellen, liest sich die Teilnehmer- Innenliste unter dem Blickwinkel beruflicher Etablie- rung wie eine Blitzumfrage: Unter den Teilnehmenden finden wir keine Bauhaus-Architektin, jedoch sieben Architekten, von denen fünf auch einen Professoren- titel führen.72 Nach 1945 sind ehemalige Architekturstudentinnen der Weimarer Republik bei öffentlichen Ausstellungen fast nicht zu finden. Bei der ersten Werkbundausstel- lung nach dem Kriege 1949 in Köln tritt - unter mehr als 90 ausstellenden Architekten - lediglich Ursula Schneider-Wernecke namentlich in Erscheinung. Sie stellt 68 Wohnungen aus, die im Auftrag der Gemein- nützigen Wohnungsgenossenschaft in Düsseldorf-Ost errichtet wurden.73 Wera Meyer-Waldeck und Hedi Schellenberg sind auf dieser Ausstellung mit Möbeln vertreten. Offenbar konnten Architekturstudentinnen der Weimarer Republik die Phase des sogenannten Wiederaufbaus nicht zur beruflichen Etablierung nut- zen. Sie erhalten nicht die Aufträge, die hier bereits öffentlichkeitswirksam präsentiert werden. Innerhalb der Architekturfakultäten erreichte keine Ar- chitekturstudentin der Weimarer Republik auf dem fachlich dafür vorgezeichneten Weg eine Hochschul- laufbahn in Kernbereichen der Architektur. Dies weist deutlich auf selbstreferentielle Strukturen, innerhalb derer Berufungspolitik als ‘gleichgeschlechtliche Re- produktion’ funktioniert. Etwas häufiger fanden wir Architektinnen dieser Ge- neration ab Mitte der zwanziger Jahre als Verfasse- rinnen von Wettbewerbsbeiträgen, so Paula Marie Canthal ab 1927, Gretel Norkauer ab 1928, Gusti Hecht, Ursula Weiß und Tilla Strathmann ab 1929. 1930 nimmt Anni Pfeiffer - als Studentin - mit einem eigenen Entwurf am Wettbewerb für das Aschrott- Wohlfahrtshaus in Kassel teil und erzielt einen An- kauf. Im gleichen Jahr reichen Gerda Niegeman-Marx und Johan Niegeman einen Wettbewerbsentwurf für einen Theaterneubau in Charkow ein, beteiligen sich Canthal und Gascard beim Wettbewerb „Licht, Luft und Haus für alle“. Ihr Entwurf gewinnt und wird als „Anbauhaus“ auf der Berliner Bauausstellung 1931 gezeigt. Auf dem Freigelände eben dieser Ausstel- lung ist auch Stefanie Zwirn mit einem „Haus für einen Taubenfreund“ und einer „Laube für einen gei- stigen Arbeiter“ vertreten. In der Ausstellungshalle stellen Marie Frommer, Ella Briggs und Emilie Winkel- mann Fotografien ihrer realisierten Bauten aus. Hanna Loev ist 1933 bei einem Wettbewerb für Ein- familienhaustypen erfolgreich. In der Folge kann sie im Rahmen der ‘Mustersiedlung Ramersdorf’ zwei Häuser realisieren, die 1934 anlässlich der Deutschen Siedlungsausstellung in München vorgestellt und in der Presse abgebildet werden. Weniger Erfolg ist Katt Both mit ihren Wettbewerbsbeiträgen zur „Altstadtsa- nierung Kassel“ 1933 und der „Paul-von-Hindenburg- Jugendherberge“ in Hannover 1934 beschieden.74 1933 beteiligen sich Elisabeth von Rossig und Karl Gonser erfolgreich am Wettbewerb zur Neugestal- tung Stuttgarts.75 1936 gewinnt Herta Hammerbacher beim Landschaftsgestaltungswettbewerb „Feuerba- cher Heide“ einen zweiten Preis.76 Und Ende der drei- ßiger Jahre soll auch Johanna Minsos in Oslo ge- meinsam mit ihrem Mann mehrfach an Wettbewerben teilgenommen haben. 1939 nimmt Lotte Beese an einem Wohnungsbauwettbewerb teil. Bereits seit 1936 hatte sie mehrfach Wettbewerbsentwürfe ge- meinsam mit Kollegen eingereicht.77 1939 wird beim Wettbewerb zur „Volkswohnung“ ihr Entwurf prä- miert.78 Bei eben diesem Wettbewerb gewinnt der Entwurf „Eo“ von Gerda und Johan Niegeman. Alle Entwürfe werden 1940 im Stedelijk Museum Amster- dam in der Ausstellung „In Holland staat een huis“ gezeigt, gelangen jedoch nicht zur Ausführung. 1941 sind Gertraude und Alexander Herde mit ihrem Entwurf „Alarm“ beim Luftschutzbunkerwettbewerb des NSBdT erfolgreich. 1943 beteiligt sich Gisela Eh- ren zusammen mit Martin Elsässer am Wettbewerb für den Neubau des Bahnhofs in Sofia. 1947 nimmt Meyer-Waldeck erfolgreich an einem 71 Hier sind bspw. Marie Frommer in New York, Liane Zimbler in Californien, Elsa Gidoni und Helene Roth in Tel Aviv und Ella Briggs in London zu nennen. 72 Ine Burchard-Breusing, Prof. Wils Ebert, Prof. Gustav Hassen- pflug, Prof. Herbert Hirche, Baurat Hubert Hoffmann, Ott Hoff- mann, Lotte Konert, Prof. Eduard Ludwig, Karl Marx, Prof. Ge- org Neidenberger, William Nillemann, Arch. Fritz Pfeil, Hannes Schmitt, Hans Thiemann, Prof. Wilhelm Wagenfeld, Arch. Ger- hard Weber, Prof. Kurt Kranz, Prof. Friedrich Kuhr, Prof. Otto Lindig, Grete Wagner-Reichart, Lu Scheper-Berkenkamp, „22 Berliner Bauhäusler“, 1950 73 Vgl. Katalog „Neues Wohnen. Deutsche Architektur seit 1945“ Werkbund-Ausstellung Köln, 1949 74 Der Kasseler Wettbewerb wird von Arch. Borkowsky gewonnen, den 2.Preis erhält der Entwurf der Architekten Baecker und Sir- renberg, Kasseler Post vom 1.2.1934. Die fünf Pläne, die Kattina Both zum Wettbewerb einreicht, sind bisher nicht bekannt. Im Hannoverschen Wettbewerb werden ausschließlich Entwürfe von Hannoveraner Architekten prämiert. Kattina Both beteiligt sich nie wieder an einem Wettbewerb. 75 „Der beim reichsweiten Wettbewerb mit einem zweiten Preis ausgezeichnete Entwurf der Architekten Karl Gonser und Elisa- beth von Rossig sah das Konzept einer stadtbeherrschenden Akropolis auf der Uhlandhöhe vor“ - Neuplanung Stuttgart: Ge- meinschaftshaus als „Haus der Deutschen Arbeit“ in Verbindung mit einem Forum und einer Thingstätte, in: Weihsmann, Helmut: Bauen unterm Hakenkreuz, Wien, 1998, S.838 76 Hammerbacher-Kratz-Eggerstedt. DBZ, 1936, 70.Jg., S.307ff. 77 Bekannt sind 1936: Wettbewerbsentwurf Neubau des Amster- damer Rathauses, (mit M.Stam, W.v.Tijen und H.A. Maaskant), 1938: Wettbewerbs-Entwurf für einen Pavillon auf der New Yor- ker Weltausstellung, 1939: Wettbewerbsentwurf für einen Pavil- lon auf der Verkehrsausstellung in Köln, 1941: Wettbewerbsent- wurf für das Krematorium Den Haag, „fini“, ehrvolle Vermeldung 78 NAI NL Beese, lt. Rümmele Stam und Beese, lt. Katalogauszug aber eindeutig nur Beese - Die Entwürfe von Gerrit Rietveld und Willem van Tijen mit Huig Maaskant werden ebenfalls prämiert. vgl. „In Holland staat een Huis“, in: De 8 en opbouw, 12.Jg. H.2, 1941, S.16 Berufsverläufe und Lebenswege 277 Möbelwettbewerb teil. 1949 wird beim Wettbewerb um die Gestaltung des Altstadtgebietes Plauen ein Entwurf von Marlise und Hans Wurster, beim Wettbe- werb Leipzig ein Entwurf der Landschaftsarchitektin Helene Abels ausgezeichnet.79 Im gleichen Jahr ist Lotte Tiedemann mit Walter Kratz und Hanna Hille- brand mit Robert Lupfer beim Wüstenrot-Wettbewerb Ludwigsburg erfolgreich.80 1954 beteiligen sich Ger- traude und Alexander Herde am Wettbewerb zum Wiederaufbau Hildesheims. In den fünfziger Jahren bearbeitet Fridel Vogel Schulwettbewerbe, Ewa Oe- sterlen an Wettbewerben für öffentliche Bauten mit. An dieser Zusammenstellung wird deutlich, dass sich Architektinnen dieser Generation auch nach Studien- ende an Wettbewerben verschiedenster Aufgaben- stellungen und auf unterschiedlichen Maßstabsnive- aus beteiligen, auch wenn die Teilnahmebereitschaft im Laufe der Jahrzehnte rückläufig zu sein scheint.81 Die Mitgliedschaft in berufsständischen Vereinigun- gen gilt als Indikator einer professionellen Etablie- rung. Auch wenn von der ganz überwiegenden Mehr- heit der Architekturstudentinnen nicht bekannt ist, ob resp. welchen Berufs- oder Standesorganisationen sie beitraten, anhand der Mitgliedschaften einzelner Architektinnen in Berufsverbänden wird sichtbar, dass ihre Partizipationsstrategien mit den Segmenten des Berufsfeldes korrelieren.82 Hatten sich Kunstgewerblerinnen ab der Gründung (1907) um Aufnahme in den Deutschen Werkbund bemüht, so waren akademisch ausgebildete Archi- tektinnen dort auch in den zwanziger Jahren nicht zu finden.83 Aufnahme in den Werkbund finden in diesen Jahren bspw. Hildegard Geyer-Raack oder Lucy Hil- lebrand.84 Erst um 1948 tritt Wera Meyer-Waldeck dem Werkbund bei. Sie wird in den fünfziger Jahren im Vorsitz der Bonner Gruppe und im Verband West- nord aktiv.85 Unter den Mitgliedern des DWB sind auch nach dem zweiten Weltkrieg nur wenige Archi- tektinnen zu finden, noch seltener welche mit akade- mischem Diplom. Wie viele angestellte Architektinnen dem Bund deutscher Techniker resp. dem VdT bei- treten, ist unbekannt.86 Freiberuflich ambitionierte Architektinnen mit Ingeni- eurtitel und Absolventinnen der Regierungsbauführer- laufbahn bemühen sich mit Hilfe angesehener Bürgen 278 Vom Auftauchen und Verschwinden 79 Neue Bauwelt, 1949, S.299 resp. Der Bauhelfer, 1949, S.279. Helene Abels (geb. 1916 Münster) studierte an der TH Char-lot- tenburg Architektur und diplomierte 1940. 80 Harbers, Guido: Das eigene Heim, Ravensburg, 1951, S.172 resp. S.150 81 Aus dem engeren Kreis der Bauhaus- und Tessenowstudentin- nen lassen sich lediglich von Fridel Vogel Wettbewerbsteilnah- men auch nach den fünfziger Jahren noch nachweisen. 82 Bisher ist die Partizipation von (Innen-)Architektinnen an berufs- ständischen Organisationen in historischer Perspektive nicht sy- stematisch untersucht worden. Soweit bekannt, wurden Mit- gliedschaften im Rahmen der Werkbiografien erfasst. 83 Auch nicht Marie Frommer oder Ella Briggs, deren Gestaltungs- auffassungen Übereinstimmung mit Positionen des Deutschen Werkbundes zeigen. Unter den zumindest 205 weiblichen Mit- gliedern des Werkbundes im Jahre 1928 findet sich keine einzi- ge Architektin mit akademischem Abschluss. Vgl. Deutscher Werkbund: Mitgliederverzeichnis nach dem Stande Ende April 1928, Berlin, 1928 - Zur Partizipation von Frauen am Werkbund vgl. Kapitel 2, FN 20. 84 Vgl. zu Lucy Hillebrand Schmidt-Thomsen, 1984, S.29. Geyer- Raack dürfte auf Empfehlung ihres ehemaligen Lehrers Bruno Paul Aufnahme gefunden haben. 85 BHAB, maschinenschriftl. LL Wera Meyer-Waldeck 86 Lediglich von Both ist bekannt, dass sie - wahrscheinlich An- fang der dreißiger Jahre - dem BdT beitrat. 87 Neben Elisabeth von Knobelsdorff, Margarete Wettcke und Vik- toria Bentheim, die hier bereits in den späten zehner Jahren Aufnahme finden, treten Janina von Muliewicz und Hildegard Dörge während der zwanziger Jahre bei. Dörge geb. Schröder, die direkt im Anschluss an ihr Architekturstudium in Dresden die Regierungsbauführer-Ausbildung absolvierte, wird 1928 Mitglied im AIV. 88 Um 1926 wird dort Therese Mogger, Briggs und Frommer wer- den 1929 resp. 1931 aufgenommen. Winkelmann wird vor 1930, Martha Andrä 1934, Gertrud Lincke 1935 BDA-Mitglied. Lt. Gaber zählte der BDA 2761 Mitglieder zwischen 1925 und 1927. Gaber, Bernhard: Die Entwicklung des Berufsstandes der frei- schaffenden Architekten, dargestellt an der Geschichte des Bundes Deutscher Architekten, Essen, 1966, S.93 89 Von Bonin wird vor 1933, Wilke, Gunkel und Schmidt werden 1934 in den BDA aufgenommen. Bis Mitte der dreißiger Jahre werden aus dieser Generation bspw. auch Hildegard Dehne, Amalie Gebhardt, Ruth Gerner, Eva Maria Klotz, Ruth Leusch und Marta Schniete BDA-Mitglieder. Hilde Weström wird 1948 aufgenommen. 90 Analyse anhand des Jahrbuches des NSBdT 1937. 91 Nach dem Anschluss des BDA an die Reichskulturkammer ge- lingt von den ehemaligen BauhausstudentInnen nur Ursula Schneider die Aufnahme in die Abteilung Architektur der RKK. Hier werden 1937 bspw. aber auch Hans Volger, Gerhard Balzer und Max Enderlin - alle im Besitz eines Bau-/Ausbau-Diploms - aufgenommen. Die Mitgliedschaft in der DAF, die sich mit einer RKK-Mitgliedschaft ausschloss, wurde hier nicht recherchiert. 92 Reichsadreßbuch der staatlichen und kommunalen Baubehör- den und Baubeamten, 21.Jg., Langenberg, 1937 93 So waren bspw. 1926 zwei der vier Gründungsmitglieder der Union d´Artistes Modernes (UAM) Elise Djo-Bourgeois und Char- lotte Perriand. Drei Jahre später sind außerdem auch Sonia De- launay, Eileen Gray und Hélène Henry als aktive Mitglieder ver- zeichnet. Letztere wird Mitglied im Comité directeur. Und bei der Ausstellung „artistes dissidents!“ im Pariser Musée des Arts Décoratifs - die am 11. Juni 1930 eröffnete - beteiligten sich: Mlle. Claude Lévy und Mme. Blanche-Jeanne Klotz mit Möbel- entwürfen; „Mme Lucie Holt Le Son: le cabinet de toilette; Mme Delanux (sic!) et Mme. Evelyn Wild: une chambre; M. Louis Sog- not et Mme Charlotte Alix: une installation de mieux étudiées, la Salle du Conseil d´administration des Usines Chimique des La- boratoires francais.“ Vgl. Barre-Despond, Arlette: Dictionaire in- terrnational des arts appliques et du design, 1996, S.468-469 und Katalog Perriand, 1985, S.24 - Anfang der dreißiger Jahre war bspw. Camilla Sommer (geb. 1904) Mitglied im „Ring junger Architekten“. Sie hatte ab 1923 an der TH München, ab 1925 bei Poelzig in Berlin studiert. Charlotte Perriand und Helena Syrkus beim CIAM-Kongreß in La Sarraz, 1936Lila Ulrich mit Ernst Mittag auf der Pariser Weltausstellung 1937 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar um die Mitgliedschaft im 1824 gegründeten Architek- ten-Verein zu Berlin.87 Von den TH-Studentinnen der Weimarer Republik werden hier nur wenige aufge- nommen: Hanna Blank tritt vor dem zweiten Welt- krieg, Hilda Harte 1956 dem AIV bei. Der 1903 gegründete Bund Deutscher Architekten (BDA) zählt zu den Standesorganisationen, die insbe- sondere die Interessen freiberuflicher ArchitektInnen vertreten. Innerhalb des BDA, der Ende der zwanzi- ger Jahre weniger als 3.000 Mitglieder hatte, bleiben Architektinnen jedoch auch dann in einer verschwin- denden Minderheit, als Anfang der dreißiger Jahre zahlreiche Neuaufnahmen stattfinden.88 Zu diesem Zeitpunkt finden wir unter den BDA-Mitgliedern bspw. Lieselotte von Bonin, Annemarie Wilke, Friedel Schmidt und Anni Gunkel.89 Ruth Weckend, Christa Kleffner-Dirxen, Wera Meyer-Waldeck und Fridel Vo- gel werden erst in den sechziger Jahren in den BDA aufgenommen. Im NSBdT lässt sich bisher keine Architektin dieser Generation nachweisen, obschon auch hier - wenn auch sehr wenige - Architektinnen organisiert wa- ren.90 Wie viele der ehemaligen Bauhaus- resp. Tes- senowstudentinnen de facto Anträge zur Aufnahme in die Reichskulturkammer stellten, ist bisher unklar. Nachweisbar sind Aufnahmen für sechs der ehemali- gen Tessenowstudentinnen und zumindest sechs der architekturinteressierten Bauhausstudentinnen, da- runter - mit Ausnahme Hilde Reiss´ - alle Bauhaus- Diplomandinnen.91 Unter den im Reichsadressbuch 1937 aufgeführten Mitgliedern der Abteilung Architek- tur der Reichskulturkammer lassen sich unter den mehr als 11 000 Einträgen weniger als drei Dutzend Architektinnen finden.92 Damit liegt ihr Anteil im Pro- millebereich. In freien wie progressiven Architektenvereinigungen verstellt bisher i.d.R. die Rezeption den Blick auf die Architektinnen. Als vermeintlich geschlechtsneutrale Ideengeschichte geschrieben, lässt die Historiografie bspw. den „Congres International d´Architekture Mo- derne“ (CIAM) oder Gruppen wie „De 8 en opbouw“ oder auch die „Union des Artistes Modernes“ (UAM) immer wieder als Erfolgsgeschichte erfolgreicher Männer erschienen, obschon auch hier jeweils immer wieder auch Frauen zu finden sind - nicht nur in der Gründungsphase.93 Welche Beiträge von Architektin- nen, deren Interesse am Neuen Bauen unübersehbar ist - wie bspw. Ella Briggs, Lotte Beese, Grete Lihotz- ky, Leonie Pilewski, Gerda Niegeman-Marx, Ida Fal- ckenberg-Liefrinck oder Auguste Hecht - geleistet wurden, gilt es häufig erst noch zu entdecken.94 So unvollständig Aussagen zur Partizipation von Ar- chitektinnen an freien Gruppen und Vereinigungen bisher bleiben müssen, insgesamt fällt auf, dass die Aufnahme von Architektinnen in Standesorganisatio- nen eher die Ausnahme als die Regel bleibt und sie innerhalb dieser Gruppen und Organisationen i.d.R. in einer marginalen Minderheitenposition sind. Doch auch durch eine persönliche Einbindung in berufliche Netzwerke resp. dank kollegialen Rückhaltes gelingt ihnen das Entwickeln tragfähiger Perspektiven fast nie. Nur vereinzelt lassen sich Hilfestellungen unter KollegInnen finden.95 Auch das Pflegen internationaler Kontakte, die Teilnahme an Weltausstellungen, an Tagungen, Exkursionen und nationalen Austausch- programmen - wie sich dies bspw. für Pilewski, Li- hotzky, Beese und Meyer-Waldeck nachweisen lässt - führt bei Architektinnen nicht zu nennenswerten Zu- wächsen bei Aufträgen oder Reputation. Architektinnen treten bereits vor Beginn der Weimarer Republik berufsständischen Vereinigungen bei. Zu- mindest bis in die dreißiger Jahre gründen sie jedoch keine eigenständigen Berufsvereinigungen.96 Während der Weimarer Republik positionierten Vertreterinnen von Frauenberufsverbänden allerdings zunehmend differenzfeministische Positionen: Sie plädierten für geschlechtsspezifische Berufsfelder, was in der Ar- chitektur weder attraktiv noch aussichtsreich gewe- sen sein dürfte.97 In den dreißiger Jahren wird in Ber- lin der „Zweckverband der Architektinnen“ als eine Art Fachfrauenausschuss innerhalb des Akademiker- innenbundes gegründet. Ob er primär aus der Ein- sicht in die Notwendigkeit einer lobbyistischen Stan- despolitik entstand, bleibt in Ermangelung geeigneter Quellen Spekulation.98 Anhand der zeitlichen Verzögerung zu jenen, späte- stens in den zwanziger Jahren gegründeten Interes- senvertretungen von Juristinnen, Nationalökonomin- nen, Ärztinnen oder Zahnärztinnen wird jedoch deut- lich, dass freiberufliche Architektinnen sehr lange zö- gerten, eigene Verbände zu gründen. Offenbar sahen sie dafür keine Notwendigkeit oder fürchteten sogar noch immer, dass ein eigener, geschlechts-exklusiver Interessenverband ihre Chancen innerhalb der Pro- fession mindern würde. Wie sehr die Assimilation um jeden Preis als Schlüssel beruflichen Erfolges gilt, wird anschaulich illustriert, wenn Margot Rieß die Auftragslage Winkelmanns 1931 als Ergebnis einer gefühlsechten Assimilation beschreibt: „Sie [Winkel- mann] hat sich jedoch gar nicht als Outsiderin ge- fühlt, sich vielmehr sofort mit größter Selbstverständ- lichkeit unter ihre männlichen Kollegen eingereiht. Die Aufträge strömten ihr zu.“ 99 Während des Nationalsozialismus zogen sich man- che Architekturstudentinnen der Weimarer Republik aus dem Berufsfeld zurück, andere blieben oder wur- den in nahezu allen Berufsbereichen tätig: In privaten Büros und (para-)staatlichen Ämtern wie dem Luft- fahrtministerium, der Reichspost, den Reichsauto- 94 Lotte Cohn war Mitglied der „avantgardistischen Architektenver- einigung „Chug Adrichalei Erez Israel“. Vgl. Schirren, Matthias / Sylvia Claus: Julius Posener, ein Leben in Briefen, Basel, 1999, S.247, dort FN 87 - Sie selbst erwähnt dies in ihrem „Bilderbuch ohne Bilder“ nicht. (Cohn, Lotte: Die zwanziger Jahre in Erez Israel. Ein Bilderbuch ohne Bilder, geschrieben für die Freunde, die sie mit mir zusammen erlebt haben, Tel Aviv, 1965). Stam- Beese wird um 1935, Niegeman-Marx 1938 Mitglied im 1920 gegründeten „Opbouw“, dem auch Ida Falckenberg-Liefrinck angehört. Harte nahm 1933 an der legendären Reise zum CIAM- Kongress in Athen an Bord der Patris II teil. Vgl. Biografie Harte. 95 So dürfte Meyer-Waldeck 1935 bei der Reichsautobahn nicht ohne Vermittlung von Wimmer tätig geworden sein. 1947 bietet Lange, die selbst 1946 auf Vermittlung Regierungsrätin in Pots- dam geworden war, ihrem Kommilitonen Konrad Püschel eine Stelle in ihrer Abteilung an. Schneider kann 1950 durch Ver-mitt- lung beim Institut für planwirtschaftliches Bauen in Potsdam mit- arbeiten. - Meyer-Waldeck reist auf Einladung bspw. 1951 nach Schweden, 1953 auf Einladung der Amerikanischen Regie-rung (Exchange) Reise nach den USA (u.a. Besuch bei Mies, Gropius, Wright, Wurster, Bauer, de Mars), 1954 Reise nach Finnland. BHAB, Meyer-Waldeck, LL 1959/61, S.3 96 Neben der Erfahrung, dass Frauen ohne eine eigene Interessen- vertretung innerhalb des jeweiligen Faches bzw. Berufsstandes überhört werden, war Ende der zwanziger Jahre die Berufstätig- keit akademisch ausgebildeter Frauen zunehmend durch ein anti-feministisches ‘roll-back’ bedroht. 1926 fand in Amsterdam die Kon-ferenz der International Federation of University Women (IFUW), dem Internationalen Dachverband statt. Dort wurde - in Abgrenzung zum „Social Charm“ - die selbstbewusstelitäre Formel der „Scientific Significance“ entwickelt, die auch der Deutsche Akademikerinnenbund propagierte. Vgl. Zahn-Har- nack, Agnes: Der Deutsche Akademikerinnenbund, in diess.: Reden und Schriften, Tübingen, 1964, S.4 97 Vgl. Kap. 6, S.172 98 Die Geschichte dieses Zweckverbandes ist bisher unerforscht. 1930 schließen sich manche Berufsverbände, darunter u.a. die frisch gegründete ‘Gesellschaft Deutscher Ingenieurinnen’ (GDI) und der ‘Bund Deutscher Zahnärztinnen’ dem Deutschen Aka- demikerinnenbund an. Ibid., S.6 – Hier endete die Vernetzung nicht auf formaler Ebene oder an Fächergrenzen. So gehörte bspw. die Vorsitzende des GDI, Ilse Knott ter Meer 1930 auch dem einladenden Ausschuss für die unter Federführung des Deutschen Staatsbürgerinnenverbandes initiierte Ausstellung „Die gestaltende Frau“ bei Wertheim an. 99 Rieß, 1931, S.37 (vgl. FN 47) - Und dies, obschon die Auftrags- lage Winkelmanns zu diesem Zeitpunkt eher mager war. Berufsverläufe und Lebenswege 279 bahnen, dem Generalbauinspektor für die Reichs- hauptstadt. In der geschlechtersegmentierten ‘Volks- gemeinschaft’ wird das Nicht-in-Erscheinung-Treten als Fachfrauen offenbar zur konditionalen Vorausset- zung einer Berufstätigkeit angestellter Architektinnen. „Wie saßen da in der Kochstraße, in einem ganz pri- vaten Hause“, erinnert Ewa Oesterlen die konkreten Arbeitsumstände bei der Reichspost.100 Der Grad der Sichtbarkeit bleibt dennoch auch an den Berufssta- tus gekoppelt: Während freiberuflich tätige Architek- tinnen wie u.a. Therese Mogger und Irmgard Des- prés unter eigenem Namen schreiben, unterliegen die bei Fachzeitschriften angestellt tätigen Architektinnen dem Unsichtbarkeitsgebot, so bspw. Hildegard Korte und Christa Dirxen. Die Wechsel zwischen verschiedenen Tätigkeitsge- bieten während des Nationalsozialismus lassen die ideologischen Hürden der verschiedenen Bereiche erahnen. Bis heute haben die Tabuisierung der Zeit zwischen 1933 und 1945 und die herrschende Inter- pretation der Datenschutzbestimmungen das Wissen um Teilhabe - auch von Architektinnen - wirkungs- voll verhindert.101 Dennoch ist keinesfalls auszuschlie- ßen, dass Architektinnen - bspw. durch den Führerer- lass vom 15.2.1940 zur Vorbereitung des deutschen Wohnungsbaus nach dem Kriege - verstärkt mobili- siert wurden und auch bei kriegswichtigen Projekten mitplanten. Die bruchstückhaften Informationen über die Berufswege ‘arischer’ Architektinnen weisen Pa- rallelen zur beruflichen Situationen von Juristinnen im Nationalsozialismus auf, die „angepaßt, subaltern und unsichtbar überwintern“ oder während des Krie- ges neue Karrierechancen nutzen konnten.102 Mit dem Vorrücken des Krieges werden auch Frauen für die Bereiche mobilisiert, aus denen sie seit Ende der zwanziger Jahre massiv verdrängt worden waren, obschon das Bild in der Presse weiterhin von reak- tionären Frauenrollen bestimmt wird - unterlegt mit militärischem und rassistischem Grundtenor.103 Während des Nationalsozialismus wird besonders deutlich, dass die Kategorie Geschlecht mitunter ‘Ge- setzmäßigkeiten’ des Berufsfeldes auf den Kopf stellt: Eher werden Kolleginnen im Verborgenen weit- gehende Kompetenzen zugestanden als dass ihr Sichtbarwerden auch nur geduldet wird. Den Stellenwert der Kontinuität bestehender Netz- werke nach dem Ende des Nationalsozialismus hat Werner Durth anhand biografischer „Verflechtungen“ für „deutsche Architekten 1900-1970“ exemplarisch vorgeführt. Wie viele Architektinnen nach dem Ende des zweiten Weltkrieges ihre Tätigkeit in Deutschland fortsetzen konnten, einen freiberuflichen Neuanfang wagten oder als Mitarbeiterinnen resp. mithelfende Familienangehörige ‘unsichtbar’ blieben oder wurden, wurde bisher nicht untersucht. Die Tagebücher Alfred Arndts vermitteln eine Innen- sicht. Hier bildet sich ab, mit welch hoher Flexibilität die ‘Entwurzelten’ nach dem Ende des Krieges den Wiedereinstieg im Berufsfeld suchen, auf Netzwerke zurückgreifen und sich erneut ‘verflechten’, aber auch zufällig gebotene Chancen nutzen.104 Nicht oh- ne Grund wurde auch innerhalb des Architektenstan- des der Mythos der ‘Stunde Null’ über Jahrzehnte hinweg gepflegt: Angesichts personeller Kontinuitä- ten wie der kollektiven Verdrängung des Nationalso- zialismus als ‘Betriebsunfall’ (Schäche) stellt die poli- tische Vergangenheit kaum ein Hindernis dar. Dies verbessert die Chancen von Architektinnen auf Rück- kehr ins Berufsfeld nach 1945 nicht. Beim Wiederauf- bau werden fachlich ausgewiesene Kräfte bevorzugt, deren Referenzobjekte i.d.R. in den letzten zwölf Jah- ren entstanden, obschon mancher „eigentlich genau dort weitergemacht [hat], wo er (..) im Jahre 1936 aufgehört hat.“ 105 Hanna Blanks Tätigkeit nach 1945 nimmt sich im Vergleich zu den beruflichen Laufbahnen anderer Mit- arbeiter im Projekt „Hermann-Göring-Stadt“ mehr als bescheiden aus. Die meisten dieser ehemaligen Kol- legen sind spätestens Anfang der fünfziger Jahre Stadtbauräte westdeutscher Großstädte, wo sie über die Stadtentwicklungen in Wirtschaftswunderzeiten beschließen.106 Blank plant zunächst am Wiederauf- bau Zehlendorfs mit und findet Anfang der fünfziger Jahre eine Stelle in der Berliner Senatsverwaltung für Wohnungswesen, wo sie als persönliche Referentin von Senator Schwedler für Einbauküchenprogramme zuständig ist. Auch Dr. Hildegard Oswald und Fridel Vogel sind nach 1945 auf individuelle Perspektiven angewiesen. Oswald, die seit Anfang der vierziger Jahre als Mitarbeiterin im Stab „Wiederaufbau bom- benzerstörter Städte“ und als Stellvertreterin von Ru- dolf Wolters bei der Deutschen Baukunst wichtige Netzwerke von innen kannte, findet erst in den fünfzi- ger Jahren im Ausland im Berufsfeld erneut eine trag- fähige Existenz. Und Vogel - nach langjähriger Mitar- beit beim GBI 1945 aus der Architektur ausgeschie- den - gelingt die dauerhafte Rückkehr erst Anfang der sechziger Jahre. Die ohnehin kleine Gruppe berufstätiger Architektin- nen schreckt länger als andere Berufsfrauen vor der Bildung eigenständiger Interessenvertretungen zu- rück. Architekturstudentinnen der Weimarer Republik treten nur zu einem Bruchteil Berufsverbänden bei. Während Architektinnen der Kaiserzeit die Mitglied- schaft in Berufsverbänden anstrebten und in - den mit ihrem akademischen Ausbildungsstatus korres- pondierenden - Vereinigungen aufgenommen wur- den, fanden Architekturstudentinnen der folgenden Generation dort i.d.R. erst nach Jahrzehnten Aufnah- me. Die Berufsverbände ihrerseits scheinen primär 100 Telefongespräch mit Ewa Oesterlen am 24. 11.1997 101 Bisher wurden keinerlei Untersuchungen zur Tätigkeit von Archi- tektinnen im Nationalsozialismus publiziert. Selbst die Werkbio- grafie Gerdy Troosts, die - als Nachlassverwalterin ihres Man- nes Paul Ludwig Troost - Adolf Hitler beriet, muss als uner- forscht gelten. Sie wurde 1937 zur Professorin ernannt und bei Veröffentlichungen genannt. So bspw. „Neue Empfangshalle im erweiterten Prinz-Karl-Palais in München. Entwurf Staatl. Baulei- tung mit Frau Gerdy Troost“, in: Hoffmann, Herbert: Deutsch- land baut, Stuttgart, 1938, S.8. 1940 gibt sie „Bauen im Neuen Reich“ heraus. - Zur Biografie Troosts vgl. Deniffel, Monika: Gerhardine Troost, in: Weiß, Hermann (Hg.): Biographisches Le- xikon zum Dritten Reich, Frankfurt/M., 1989, S.364 102 So beschrieben bspw. in Kohleiss, Annlies: Frauen in und vor der Justiz. In: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 3.Jg., 1988, H.2, S.11-127, zitiert nach Koblitz, Katja: Kuriosum und Konkurrentin - Juristinnen auf dem Vormarsch, in: Bock / Koblitz, 1995, S.147 103 So bspw. Junk, Margarete: Mädelberufe in vorderster Front. Über Hauswirtschaft, Säuglings- und Krankenpflege zur Volks- pflege, Union Dt. Verlagsgesellschaft, Stuttgart, 1940, Literatur- tip in: Frauenkultur, Mai 1940, S.26 104 Tagebücher Alfred Arndt, in: Hahn, Peter / Christian Wolsdorff (Hg.): Der Bauhausmeister Alfred Arndt, 1999. Hier finden sich auch Hinweise auf die Bemühungen von Mila Hoffmann-Lederer und Hanns Hoffmann sowie Wera Meyer-Waldeck 105 „Beim Wiederanfang nach dem Krieg hat Oesterlen eigentlich genau dort weitergemacht, wo er bei seinem Lehrer Poelzig mit seiner Diplomarbeit im Jahre 1936 aufgehört hat.“ Laudatio von Friedrich Spengelin für Dieter Oesterlen am 7.12.1979 anlässlich der Verleihung des Fritz-Schumacher-Preises, in: Dieter Oester- len: Bauten und Texte, 1992, S.244 106 So bspw. Werner Hebebrand, Walter Schwagenscheidt, Hubert Hoffmann, Ernst Hegel und Rudolf Hillebrand. 280 Vom Auftauchen und Verschwinden mit „Bestrebungen, den Berufsschutz zu erhalten“ beschäftigt zu sein und - deshalb ? - an der Aufnah- me von Kolleginnen nicht unbedingt interessiert. En- de der zwanziger Jahre führt der BDA aufgrund stei- gender ArchitektInnenzahlen eine eigene Enquete durch und kommt zu dem Ergebnis, dass nur die Hälfte der „rund 12000 Personen, die in der Öffent- lichkeit als Architekten auftraten“ als selbständige Architekten anerkannt werden könnten.107 Wie die Berufszählung 1933 auswies, arbeiteten zu diesem Zeitpunkt zumindest 85% der Berufsangehö- rigen in angestellter Position. 1939 wird diese Erhe- bung in der Frankfurter Zeitung zitiert: erfasst wurden 36 088 Architekten und 175 Architektinnen, die An- zahl der selbständig Tätigen wird mit 4 542 bei den Herren und 13 bei den Damen wiedergegeben.108 Durch Vertreibung und Ermordung der jüdischen Ar- chitektInnen waren nach 1945 etliche der profilierte- sten Vertreterinnen nicht mehr in Deutschland prä- sent.109 Die so erzwungene Reduktion der Freiberufle- rinnen lässt die sichtbare Partizipation von Berufs- frauen auf ein nahezu unsichtbares Maß schwinden. Die emigrierten ArchitektInnen wurden nach 1945 nicht zur Rückkehr ermutigt. Angesichts personeller und mentaler Kontinuitäten nach 1945 verwundert nicht, dass nur wenige ihrerseits eine Remigration nach Deutschland resp. Europa erwogen.110 Der Parti- zipation von Architektinnen am Berufsfeld standen zahlreiche Hürden im Wege. Die Achillesferse ihrer Repräsentation innerhalb des Berufsstandes wie auch in der Öffentlichkeit ist ‘das Prinzip der Selbst- auslese’ 111: Auch wenn Architektinnen in Berufsver- bänden organisiert sind, waren resp. wurden sie dort - in West wie Ost - nicht einmal ihrem geringen Anteil entsprechend repräsentiert. Berufsstrategien von Architektinnen Architekturstudentinnen der Weimarer Republik ste- hen immer wieder vor der Frage, auf welchem Weg sie berufliche Kompetenzen und Ambitionen umset- zen können, wo und wie sie als Architektinnen tätig werden resp. bleiben können. Auch wenn zu Überle- gungen hinsichtlich beruflicher Etablierungsstrategien fast keine Aussagen vorliegen und manche Aussagen widersprüchlich sind112, so werden doch gerade beim Wechsel von Berufsfeldern und Tätigkeitsformen auch berufsstrategische Entscheidungen erkennbar. So hatte bspw. Schneider bereits Anfang der zwanzi- ger Jahre, noch während ihres Studiums in Darm- stadt erstmalig geheiratet, das Studium unterbrochen und nach einem Jahr fortgesetzt. Unmittelbar im An- schluss an das Diplom wird sie schwanger, im April 1924 bringt sie eine Tochter zur Welt. Ein Jahr später lebt sie getrennt, arbeitet als angestellte Architektin in Berlin und wird erneut schwanger. 1926 kommt der Sohn zur Welt. Ab dem Frühjahr 1927 studiert sie am Bauhaus, ihr Freund kommt für den Unterhalt auf. Anderthalb Jahre später heiratet sie den Vater ihres Sohnes und wird kurz darauf in Berlin wieder als an- gestellte Architektin tätig. Daneben beteiligt sie sich erfolgreich an einem Eigenheimwettbewerb bevor sie Ende 1929 mit ihrer Familie in die USA auswandert. Dort liegt die Ernährerrolle bei ihrem Mann, der als Arzt an verschiedenen Orten tätig ist. Ursula Weiß arbeitet 1931 in Madison/Wisconsin mit einem ameri- kanischen Kollegen an einem Siedlungsprojekt. Nach der Rückkehr ins Deutsche Reich realisiert sie 1935 ein Haus für die eigene Familie. Anlässlich der Tren- nung nimmt sie 1938 eine Stelle als angestellte Archi- tektin an. Als 1939 eine Dienstverpflichtung droht, gibt sie an, „augenblicklich in Vorbereitung zu selbst- ändiger Tätigkeit“ zu sein. Als 1941 erneut eine sol- che droht, besucht sie in Breslau die Handwerker- schule. Nach Kriegsende kehrt Weiß nach Berlin zu- rück und wird als Sprachlehrerin tätig. Ab 1947 bear- beitet sie Ausstellungen der amerikanischen Militär- regierung, ab 1949 unterrichtet sie technisches Rus- sisch an der Ingenieurhochschule in Ostberlin. 1950 wird sie als freie Mitarbeiterin für das Institut für plan- wirtschaftliches Bauen in Potsdam113, ab 1954 bei der Senatsverwaltung in Berlin tätig. Hier scheidet sie 1963, 68jährig aus dem Erwerbsleben aus. Auch Beese, die bereits 1929 im Büro Häring die Er- fahrung gemacht hatte, lediglich als Zeichnerin einge- setzt zu werden114, suchte auf unterschiedlichen We- gen nach einer Möglichkeit, dauerhaft im Berufsfeld tätig zu werden und zu bleiben. Während ihre jeweils deutlich älteren Partner sich auch ohne Studienab- schluss in avantgardistischen Kreisen etabliert hat- ten, scheint sie während ihrer ersten zehn Jahre im Berufsfeld zu erkennen, dass ihr der Weg einer solch informellen Etablierung nicht offen steht. Angesichts der bevorstehenden Trennung von Mart Stam stu- diert sie erneut. Ihr nach insgesamt 13 Semestern im Alter von 41 Jahren erworbenes Architekturdiplom ist ein Hinweis darauf, welche außerordentliche Anstren- gungen zur Absicherung einer eigenständigen Per- spektive in der Architektur notwendig werden konn- ten. Erst anschließend findet sie im Stadtplanungs- amt Rotterdam ein ebenso dauerhaftes wie breites Betätigungsfeld, auf dem sie ihre Ideen einbringen und verfolgen kann. Von Bonin hatte nach dem Diplom die freiberufliche Existenz angestrebt bereits Mitte der dreißiger Jahre den Schritt in die Selbständigkeit erfolgreich umge- setzt. Nachdem ihr durch die Reichskulturkammer 1936 das Mitgliedsbuch entzogen wird, baut sie 1937 zum vorläufig letzten Mal.115 Dass sie mit der Trennung von ihrem Lebens- wie Büropartner im April 107 Gaber, 1996, S.97 108 Zit. nach H.N.: Frauen als Ingenieure, in: Frankfurter Zeitung vom 17.3.1939. Diese Berufszählung erfasste jedoch offenbar nicht treffsicher, denn auf der Basis der im Rahmen dieser For- schung gesammelten Berufsdaten lassen sich 1933 bereits 18 freiberufliche Architektinnen nachweisen. Dies legt die Vermu- tung nahe, dass bspw. in Partnerschaft tätige Freiberuflerinnen nicht als solche gezählt wurden. 109 Lt. Quack lag die Erwerbsquote jüdischer Frauen 1933 mit 27% leicht unter dem Gesamtdurchschnitt von 34%. 10% dieser Frauen sind zu dieser Zeit jedoch in freien Berufen tätig, wäh- rend der Anteil der Freiberuflerinnen insgesamt nur 3,4% betrug. Quack, Sibylle: Jüdische Frauen in den dreißiger Jahren, in: Heinsohn / Vogel / Weckel (Hg.): Zwischen Karriere und Verfol-gung, Frankfurt/M., 1997, S.112 110 Frommer soll in den sechziger Jahren das Angebot einer erneu- ten Aufnahme in den BDA abgelehnt haben, da ihr der dem Na- tionalsozialismus vorauseilende Antisemitismus innerhalb des BDA noch gut in Erinnerung war. 111 „Solange ein staatlicher Schutz für die Berufsbezeichnung ‘Ar- chitekt’ in Deutschland fehlt, will der BDA durch ‘Selbstauslese’ diese Lücke füllen.“ So der neugegründete BDA in: Der Bauhel- fer, 1949, Nr.9, S.249. 112 So suggeriert bspw. die Überschrift des Artikels „Sie möchte Einfamilienhäuser bauen“ (Nachtexpress vom 24.6.1947), dass die interviewte Doktorandin eine freie Laufbahn anstrebt. Käthe Brendel, geb. 1921 in Berlin, studiert seit 1940 an der TH Char- lottenburg und diplomiert im Frühjahr 1944. Am 10.8.1949 pro- moviert sie an der TU Berlin mit der Arbeit: Die Straße ‘Unter den Linden’. Ob sie anschließend Einfamilienhäuser baut, ist bisher unbekannt. Auch eine akademische Karriere oder weitere Publikationen Brendels lassen sich bisher nicht nachweisen. 113 LL Ursula Weiß, 1954. Dieses Institut wurde um 1950 von Ro- bert Lenz (1907-1976) geleitet, der gleichzeitig mit Schneider am Bauhaus studiert hatte. 114 Nach Aussagen Lotte Stam-Beeses gegenüber Cor de Wit be- schränkte sich ihre Tätigkeit dort „auf das Zeichnen von Baum- strukturen“, zit. nach Schilt/Selier, 1993, S.14 115 BArchB, RKK 2400, box 0221, file 06 Berufsverläufe und Lebenswege 281 Lieselotte von Bonin und Wilhelm von Gumberz-Rhonthal, Anfang der19 30er Jahre Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar keinesfalls ihre freiberufliche Existenz aufzugeben ge- dachte, lässt sich anhand der Scheidungsakte nach- vollziehen. Der verlassene Ehemann sieht das auf- strebende Büro durch die Trennung gefährdet, rekla- miert finanzielle Entschädigung für den Verlust der Partnerin und das Büro als sein alleiniges. Gegen die Bedenken ihrer Anwältin, die anlässlich der antisemi- tischen Angriffe gegen den zukünftigen Ehemann zum Verzicht rät, setzt von Bonin in einem langwieri- gen Verfahren die Richtigstellung ihrer beruflichen Leistung durch.116 Sie macht keine Zugeständnisse bei ihrer Autorinnenschaft, büßt dabei aber faktisch ihren Anteil am Büro und auch ihre Zulassung als Ar- chitektin ein - und muss sich geschlagen geben. Erst nach 1945 sucht von Bonin erneut nach Möglichkei- ten, um ins Berufsfeld zurückzukehren, auch ohne dass dies ökonomisch erforderlich gewesen wäre: Als es ihr nicht gelingt, einen in München lebenden Studienfreund von den Vorteilen einer Büropartner- schaft zu überzeugen, akquiriert sie Aufträge im Bekanntenkreis.117 Herzenstein, die bereits 1930 Alexander Kleins wis- senschaftliche Analysen des Kleinwohnungsbaus kennengelernt hatte, wird nach dem Diplom in den klassischen Arbeitsfeldern privater Büros tätig: Werk- planung und Bauleitung. Ihre Mitarbeit beim Stadt- planungsamt Rostock 1935 gibt sie nach wenigen Monaten wieder auf. Unmittelbar nach Kriegsende wird sie erneut im Bereich Stadtplanung tätig - als Dezernentin für Statistik des Magistrats Berlin. Als sich ihr die Möglichkeit bietet, architektonisch zu ent- werfen, entwickelt sie die Laubenganghäuser an der Stalinallee. Diese Bauten werden jedoch bereits bei ihrer Fertigstellung 1949 zur Zielscheibe harscher Kritik und gebrandmarkt als „typisches Beispiel für den `Baukastenstil´, wie er für die Werktätigen nicht mehr in Frage kommen darf“.118 Derart missverstan- den und denunziert wechselt Herzenstein 1958 in die Stadtplanung. Auch wenn bei den hier skizzierten Berufsbiografien nicht immer eine klare Berufsstrategie erkennbar ist, so werden zweifelsohne immer wieder Architekturam- bitionen sichtbar, zumal alle hier genannten immer wieder in den Beruf zurückkehren. Die Vielzahl der Felder, in denen Weiß über vier Jahrzehnte tätig ist, zeigt, dass sich ihr zwischen projektbezogenem En- gagement und Erwerbsnotwendigkeiten kaum Chan- cen bieten, ihre beruflichen Ambitionen selbstbe- stimmt umzusetzen. Auch die Berufswege von Stam- Beese und von Bonin verweisen auf deutliche Ein- schränkungen ihrer beruflichen Interessen durch örtli- che wie private Umstände. Dass Beese und Herzen- stein ihre architektonischen Ambitionen nicht gänz- lich begraben, sondern lediglich zugunsten besserer Arbeitsmöglichkeiten in der Stadtplanung zeitweilig zurückstellen, zeigt sich an ihren Bauten der sechzi- ger Jahre. Und auch bei Hartes und Oswalds Ent- scheidung für die Statik dürfte es sich schlicht um einen bestmöglichen Kompromiss im Hinblick auf eine dauerhafte berufliche Perspektive gehandelt haben. So zeigen die Wechsel der Arbeitsfelder wie die Sta- tuswechsel zwischen Freiberuflichkeit und Anstellung im öffentlichem Dienst wie hartnäckig Architektinnen nach dauerhaft tragfähigen Perspektiven suchten. Mehrfache Statuswechsel - wie sie bspw. Edith Din- kelmann und Grete Schroeder-Zimmermann vornah- men - finden wir in dieser Generation nicht.119 Auf der Suche nach einem Umfeld, das ihren beruflichen Am- bitionen aussichtsreiche Chancen eröffnet, - erwägen Architektinnen zu allen Zeiten - und im Unterschied zu den Migrationen auf der Flucht vor politischer und/oder antisemitischer Verfolgung - immer wieder auch die Emigration. Für zionistisch bewegte Architektinnen bot Erez Israel eine Möglichkeit, ihre beruflichen Kompetenzen im Rahmen eines politischen Projektes einzubringen. Lotte Cohn ging bereits 1921 auf Drängen Richard Kauffmanns nach Palästina und arbeitete zehn Jahre für ihn, bevor sie sich als Architektin selbständig machte. Aber auch die in späteren Jahren immigrie- renden Architektinnen - darunter Elsa Gidoni, Helene Roth, Anna Klapholz und Judith Segal - konnten hier beim Aufbau des Landes ihre beruflichen Kompetenzen einbringen.120 Ella Briggs war bereits 1920 in die USA übergesie- delt, wo sie in New York und Philadelphia baute. Le- onie Pilewski hatte in den zwanziger Jahren in Berlin, Moskau und Tel Aviv Arbeit gesucht und gefunden. Lotte Beese wechselte 1930 von Berlin nach Brünn, als sich ihr die Möglichkeit eröffnete, im Büro von Bohuslav Fuchs als Architektin zu arbeiten. Als sie 1932 ins russische Charkow zieht, ist sie erneut auf der Suche nach einer interessanten Arbeitsmöglich- keit. Dass etliche der Architektinnen bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren, während des Natio- nalsozialismus wie auch nach 1945 emigrierten und remigrierten, macht deutlich, dass die Wanderung zwischen Ländern, Kontinenten und Kulturen auf der Suche nach einem adäquaten Ort unternommen wird: Einer Umgebung, die Architektinnen beruflich attrakti- ve, zumindest akzeptable Rahmenbedingungen bie- tet. Hinsichtlich möglicher Berufsstrategien zeichneten sich bereits bei den Berufseinstiegen ehemaliger Bauhaus- und Tessenowstudentinnen unterschiedli- che Präferenzen ab. Dabei ließen sich schon direkt nach dem Studium quasi zwei Fraktionen ausma- chen: Die entschiedenen Freiberuflerinnen und die 116 Scheidungsakte Bonin/Gumberz, NL Bonin 117 Die Zusammenarbeit kam nach Aussage von Clemens Weber nicht zustande, da - bei aller fachlichen Wertschätzung - die Ge- fahr, der Attraktivität dieser Frau zu erliegen, für ihn zu groß ge- wesen sei. - Gespräch mit Prof. Weber im Oktober 1995 118 Deutsche Bauakademie (Hg.): Für einen fortschrittlichen Städte- bau, für eine neue deutsche Architektur. Leipzig, 1951, S.34 - Liebknecht ist seit 1949 Leiter der Deutschen Bauakademie wie des Institutes für Städtebau und Hochbau beim Ministerium für Aufbau. 119 Nur bedingt sind hier Relationen zur familiären Situation erkenn- bar, zumal beide alleinerziehende Mütter waren. Die Hartnäckig- keit, mit der Dinkelmann immer wieder einen Neueinstieg wagt, zeigt ihre Berufsambition. Schroeder-Zimmermann verfolgt im- mer wieder die Anerkennung ihrer Tätigkeit durch öffentliche In- stitutionen sowie die adäquate Vergütung ihres Schaffens, was eindeutig erkennen lässt, dass sie sich mit der Marginalisierung ihres Tuns, der Zurücksetzung ihrer Person nicht abfand. 120 Zu Helene Roth vgl. Plakolm-Forsthuber, 1994, S.274 und 265, sowie Georgeacopol-Winischhofer, 1997, S.218. Zu Anna Klap- holz vgl. Georgeacopol-Winischhofer, 1997, S.327. Zu Stolzer- Segal vgl. Wahrhaftig, 1996, S.342. Zu Genia Averbouch vgl. Nerdinger, Winfried (Hg.): Neues Bauen in Tel Aviv 1930-1939, Tübingen, 1993, S.237. Hier sind 14 ihrer Bauten aus der Zeit von 1931 bis 1941 aufgeführt. 282 Vom Auftauchen und Verschwinden Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Vorsichtigeren. Beide Gruppen unterscheiden sich je- doch weniger durch ihren Grad der Entschlossenheit als durch ihre persönliche, insbesondere finanzielle Situation, denn der Sprung in die Freiberuflichkeit wurde weit häufiger von den ‘abgesicherten’ als von den alleinerziehenden bzw. alleinlebenden Architek- tinnen unternommen. Unter den kurz- wie langfristig innerhalb des Berufsfeldes angestellt wie freiberuflich Tätigen finden wir jedoch sowohl Architektinnen, die auf eine Erwerbstätigkeit angewiesen waren als auch welche, deren Auskommen familiär - durch die Her- kunftsfamilie oder in Verbindung mit einer Heirat - ge- sichert war. Dabei war zu beobachten, dass manche mit Umtrie- bigkeit und Akquisitionsgeschick ihr kulturelles Kapi- tal und die sich ihnen bietenden Chancen nutzten und innerhalb von drei Jahren nach dem Diplom eine freiberufliche Existenz in Partnerschaft mit jenem Kol- legen begannen, in den sie sich während des Studi- ums verliebt hatten. Die Vorsichtigeren verliebten sich kaum seltener in einen Kollegen. Sie wählten jedoch einen Berufseinstieg über staatliche Laufbahnen, be- gannen bei Hochbauämtern oder in Planungsabtei- lungen von Ministerien. Nur wenige Architekturstu- dentinnen der Weimarer Republik strebten erkennbar eine ebenso unabhängige wie eigenständige Lauf- bahn an oder schlossen sich mit einer Kollegin zu ei- ner Arbeitsgemeinschaft zusammen.121 Unmittelbar nach Studienende wagten bereits in den zwanziger Jahren Simon-Wolfskehl, Geyer-Raack, Dicker, Helm und Siedhoff den Sprung in die Freibe- ruflichkeit.122 1929 machten sich Fernbach, 1930 von Bonin, 1936 Bánki selbständig. Obschon Bánki 1931 die Berufsaussichten als angestellte Architektin höchst skeptisch beurteilt und die Freiberuflichkeit als „eine Unmöglichkeit“ bezeichnet hatte, nahm sie bereits während des Studiums freiberufliche Aufträge an, denn „mir graut auch vor dem Gedanken, immer von jemand abhängig zu sein.“ 123 Auch die - freie oder angestellte - Mitarbeit beim Be- rufseinstieg schloss keineswegs freiberufliche Ambi- tionen aus. Dass sie die angestellte Tätigkeit nur als Vorstufe einer eigenen freiberuflichen Existenz verste- hen, wird zumindest bei den Tessenowstudentinnen Iwanka Waltschanowa, Anni Pfeiffer, Helga Karselt, Fridel Hohmann, Gisela Schneider, Gertraude Engels, Luise Zauleck, Johanna Tönnesmann und Christa Dirxen erkennbar. Auch bei manchen Bauhausstu- dentinnen - so bei Kattina Both, Ursula Weiß, Gerda Marx, Hilde Reiss, Lila Ulrich und Annemarie Wilke lässt sich eine Phase der Mitarbeit im Hinblick auf eine Selbständigkeit beobachten. Neben ihrer Tätigkeit als angestellte Architektinnen nehmen Weiß 1929 und Marx 1930 an Wettbewerben teil.124 Both nutzt Anfang der dreißiger Jahre mehrfach Phasen ohne Büroengagement, um sich an Wettbe- werben zu beteiligen. Reiss und Ulrich sind 1933, ein Jahr nach ihrem Studium als angestellte Entwerferin- nen und Dozentinnen tätig. Daneben arbeiten sie frei- beruflich und bemühen sich um Aufträge. Bereits 1932 macht sich Waltschanowa in Plowdiw selbstän- dig, nach nur einem Jahr im öffentlichen Dienst. Um 1933 tut dies Eisenberg in Berlin und zwei Jahre nach dem Diplom. Pfeiffer, die bereits während des Studiums bei einem Wettbewerb einen Ankauf erzielt hatte, realisiert 1934 und damit ebenfalls zwei Jahre nach dem Diplom, den ersten eigenen Auftrag. Im selben Jahr, und gut drei Jahre nach Studienab- schluss bietet sich eine solche Chance auch Karselt. Ebenfalls drei Jahre nach dem Diplom gelingt Wilke um 1935 der Übergang von der Mitarbeit in eine frei- berufliche Existenz. Spätestens 1936 werden ihre ersten eigenen Entwürfe realisiert. Als sich Schneider im Frühjahr 1938 beim Akademi- schen Austauschdient für ein weiteres Studienjahr in Paris bewirbt, gibt sie - nach einem Jahr bei der Reichspost - als Berufswunsch „selbständige Archi- tektin“ an. Seitz-Zauleck beantragt 1938 die Zulas- sung als freiberufliche Architektin, nach knapp zwei- jähriger Mitarbeit in freien Architekturbüros und weni- ge Monate nach ihrer Heirat. Minsos gründet im An- schluss an ihre knapp dreijährige Mitarbeit in freien Büros 1939 gemeinsam mit ihrem Mann ein eigenes Büro. Herde beteiligt sich 1941, fünf Jahre nach dem Diplom und zwei Jahre nach Ende ihrer Angestellten- tätigkeit gemeinsam mit ihrem Mann an einem Wett- bewerb. Wenige Jahre später wird sie erneut freibe- ruflich tätig. Kleffner-Dirxen gründet 1951, 15 Jahre nach dem Diplom und jahrelanger Tätigkeit als ange- stellte Architektin gemeinsam mit ihrem Mann ein freies Büro. Und Vogel unternimmt den Schritt in die Selbständigkeit 1962, damit fast dreißig Jahre nach ihrem Studium. Somit wird deutlich, dass zumindest ein Viertel aller Tessenow- wie Bauhausstudentinnen eine freiberufli- che Existenz anstreben, wobei Bauhausstudentinnen diesen Schritt häufiger direkt wagen (müssen), Tesse- nowdiplomandinnen sich zumeist schrittweise in eine Freiberuflichkeit begeben. Dabei fällt auf, dass nur wenige ein ‘Ein-Frau-Büro’ gründen, so bspw. Geyer- Raack, Simon-Wolfskehl, Waltschanowa, Eisenberg, Wilke und Bánki resp. nach dem zweiten Weltkrieg Meyer-Waldeck, von Bonin und auch Vogel. Während manche in Unterstützung männlicher Partner zeitwei- lig für das Berufsfeld tätig werden125, suchen andere die berufliche Partnerschaft mit Kollegen in der Hoff- nung, auch selbst in dem - männlich strukturierten - Berufsfeld Fuß zu fassen. So gelingt es Dicker, in Partnerschaft mit Singer ab 121 So arbeiten Reiss und Ulrich um 1934 in New York zusammen. Meyer betreibt etwa zeitgleich in Süddeutschland mit einer Kollegin einen Modesalon. 122 Keine von ihnen bearbeitet ausschließlich Architekturaufträge. 123 Z. Bánki an Ö. Bánki, Dessau, Anfang 1931, in: Bánki, 1990, S.66 - „Als Architekt ist es sehr, sehr schwierig, nein unmöglich, eine Anstellung zu finden. Um nicht davon zu sprechen, daß man selbständig nie, wirklich nie Arbeit finden können wird.“ 124 Gerda Marx - obschon überwiegend an der Malerei interessiert und am Bauhaus insbesondere in der Metallwerkstatt tätig - fin- det durch Freundschaften mit Gustav Hassenpflug und Johan Niegeman zur Architektur. Sie arbeitet nach ihrer Studienzeit auch ohne Abschluss immer wieder in Architekturbüros. 125 Vgl. Biografien Otte und Rogler. Zu Etel Fodor-Mittag vgl. Kap.7, S.271, FN 121 Berufsverläufe und Lebenswege 283 Ursula und Leo Weiß in den USA um 1930 und zurück in Berlin um 1935 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 1926 private und öffentliche Bauaufträge zu überneh- men. Ende der zwanziger Jahre arbeitet Both mit Forbat zusammen. Um 1930 sucht Zwirn, die ihre Entwürfe mit eigenem Namen zeichnet, die Zusam- menarbeit mit dem fünf Jahre älteren Fritz Span- nagel. Genia Averbouch arbeitet in Tel Aviv ab 1931 teilweise mit Shlomo Ginzburg zusammen, betreibt ab 1945 ein gemeinsames Büro mit Salman Baron.126 Helene Roth arbeitet in Wien mit Albert Gerstner, in Tel Aviv ab 1933 mit Alfred Abraham zusammen. Elsa Gidoni, die 1934 den Pavillon auf der Orientmesse in Tel Aviv noch allein realisierte, führt ihr Architekturbü- ro ab 1935 gemeinsam mit Lonek Zeisler, auch wenn sie den Wettbewerb für das Haus der Pionierinnen allein gewinnt.127 Natalie Swan soll Ende der dreißiger Jahre gemeinsam mit den Studienkollegen Rogers und Priestley ein Büro in Chicago betrieben haben. Marie Frommer kooperiert Anfang der vierziger Jahre in New York mit Paul Bry. Und Ehren nimmt 1943 mit Martin Elsässer am Wettbewerb für den Bahnhof in Sofia teil. Ab 1946 kooperiert Meyer-Waldeck freibe- ruflich mit Hans Schwippert, Lotte Tiedemann mit Walter Kratz. Und Lieselotte von Bonin strebt - auf der schwäbischen Alb lebend - eine Büropartner- schaft mit ihrem Studienfreund Mendel Weber an.128 Auch an Wettbewerben beteiligen sich Architektinnen ab den dreißiger Jahren in aller Regel in Arbeitsge- meinschaft mit Gatten, Kollegen oder Freunden - innerhalb wie außerhalb des Deutschen Reiches.129 Den Versuch die freiberufliche Zusammenarbeit mit einer privaten Beziehung zu verknüpfen, unternah- men bspw. ab 1924 Paula Marie Canthal und Dirk Gascard-Diepold, um 1929 Mila Lederer mit Hans Hoffmann, ab 1930 Lieselotte von Bonin mit Wilhelm von Gumberz-Rhonthal sowie Gerda Marx mit Johan Niegemann, um 1932 Maria und Alfred Müller, ab 1934 Lotte Beese mit Mart Stam, um 1935 Hilde Reiss mit William Friedmann, ab 1938 Johanna Tön- nesmann mit Alfred Minsos, ab 1951 Christa Kleffner- Dirxen mit Eberhard Kleffner. Ob Kameradschaftsehe oder Büropartnerschaft mit einem Kollegen, die berufliche Kooperation erweist sich als eine nur bedingt tragfähige Strategie, die ge- mischtgeschlechtlichen Konstellationen i.d.R. nicht als langfristig tragfähig. Dass mit dem Ende der pri- vaten Beziehung der Verlust der beruflichen Rahmen- bedingungen einhergehen konnte, wurde zumindest manchen Architektinnen bewusst. Sie meiden die Verknüpfung von privater und beruflicher Perspektive oder ‘entflechten’ die berufliche Beziehung, arbeiten wie Kleffner-Dirxen und Kleffner resp. Herde und Herde nur zeitweilig zusammen. Und gaben etliche Bauhausstudentinnen wie auch manche Tessenowdiplomandinnen anlässlich der Heirat die angestellte Tätigkeit auf, so wird bei ande- ren - wie bspw. Anni Gunkel, Johanna Minsos, Ger- traude Herde, Ewa Oesterlen oder auch Ursula Weiß - deutlich, dass sie anlässlich einer Heirat den Wech- sel von der angestellten zur freiberuflich tätigen Architektin vollziehen. Es ist bisher nicht untersucht worden, wo und wie- viele Architektinnen während des Nationalsozialismus resp. nach dem Ende des zweiten Weltkrieges in Deutschland tätig wurden. So ist unbekannt, wie viele ihre Freiberuflichkeit fortsetzen konnten oder einen Neuanfang wagten, wie viele in Stellungen als Mitar- beiterinnen oder mithelfende Familienangehörige trotz beruflicher Tätigkeit ‘unsichtbar’ blieben oder wurden. „Bin auf anraten des neuen referenten der reichskul- turkammer (..) dem deutschen lyzeums-klub beigetre- ten (..) denn die lage der geistigen frau wird immer heikler“, schreibt die Künstlerin Gerda Rotermund 1940 an ihre Kollegin Ellen Bernkopf-Katzenstein.130 Angesichts spürbarer Unsicherheit lavieren während des Nationalsozialismus nicht nur Architektinnen auf der Suche nach kalkulierbaren Rahmenbedingungen und finanziellem Auskommen zwischen Zugeständ- nissen und Übererfüllung der an sie gestellten Erwar- tungen. Dabei sprach das - immerhin berufsfremde - Kriterium „politisch zuverlässig“ offenbar nicht nur Ar- chitekten an, die sich im Kampfbund deutscher Tech- niker zusammenschlossen oder SS-Verbänden bei- traten. Gerade Architektinnen, die nur wenige Bauten vorweisen konnten, mag die Aussicht beflügelt ha- ben, durch eine NSDAP-Mitgliedschaft ein - bei der Antragstellung mit architektonischer Praxis scheinbar kompatibles - Kriterium zu erfüllen. Manche, denen die Aufnahme in die Reichskulturkammer aufgrund ihrer Abstammung zunächst verweigert worden war, ersuchen die „persönliche Fürsprache“ hochrangiger Parteimitglieder. Während des Nationalsozialismus erwies sich jedoch selbst die größte Assimilationsbe- reitschaft kaum als beruflich tragfähige Strategie: Architektonische Arbeitsfelder wurden Architektinnen nur um den Preis der Unsichtbarkeit zugestanden. Auch nach dem Ende des zweiten Weltkrieges konn- ten ehemalige Bauhaus- wie Tessenowstudentinnen nur selten berufliche Perspektiven entwickeln. Im Un- terschied zu den Architekturstudentinnen der Kaiser- zeit, die ihre als ‘Feldarchitektinnen’ bewiesene va- terländische Treue in eine Zulassung zum öffentlichen Dienst ummünzen konnten, eröffnen sich Architektin- nen nach dem zweiten Weltkrieg keine neuen berufli- chen Chancen. Selbst jene, die der Reichskulturkam- mer angehört resp. sich weitergehend mit dem Natio- nalsozialismus arrangiert hatten, gehören offenbar nur selten jenen Netzwerken an, die diese personelle Kontinuität absichern resp. herbeiführen, auch wenn einige der ehemaligen Bauhaus- oder Tessenow-stu- 126 Genia Averbouch, 1909 in Russland geboren, bis 1930 Studium an der Académie des Beaux Arts in Brüssel, emigrierte 1930 nach Palästina. Vgl. Nerdinger, 1993, S.237 127 Vgl. Warhaftig, Myra: Sie legten den Grundstein, Berlin, 1996, S.336 128 Aussage von Prof. Clemens Weber im Oktober 1995 in Mün- chen. 129 Nach 1945 finden wir Wettbewerbsteilnahme in unterschiedli- chen Konstellationen. In den zwanziger Jahren und Anfang der dreißiger Jahre ließen sich auch Wettbewerbsteilnahmen von Architektinnenteams wie einzelner Architektinnen finden. Vgl. Kap.3, S.40ff. 130 Leber, Dorothee: Ich war die Marburger Kauernde, in: Münz- berg, Olav (Hg.): Vom alte Westen zum Kulturforum, Berlin, 1988, S.154 131 Lange ab 1946 (bis 1947) in Potsdam, Harte, Herzenstein und Seitz ab 1946 beim Berliner Ma-gistrat, Schaar und Küster ar- beiten nach 1945 im Hochbauamt Steglitz, Beese arbeitet ab 1947 im Stadtplanungsamt in Rotterdam, Weiß 1950 im Institut für planwirtschaftliches Bauen Potsdam, ab 1954 bei der Se- natsverwaltung in Berlin. Dort arbeitet ab den fünfziger Jahren auch Blank, spätestens ab den sechziger Jahren bspw. auch Lotte Werner (geb. 1906). 284 Vom Auftauchen und Verschwinden Fridel Vogel (mitte) und Peter Knaack (links) bei der Preisverleihung des Wettbewerbs Altstadtsanierung Dillenburg, 1979 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar dentinnen nach 1945 eine Stelle im öffentlichen Dienst annehmen.131 Noch seltener waren sie als an- gestellte Architektinnen in freien Büros tätig und nur in Einzelfällen wagten sie die (Neu-)Gründung einer freiberuflichen Existenz. Architekturstudentinnen der Weimarer Republik bauten ihre Beziehungen über- wiegend individuell auf und suchten ihre Chancen und Möglichkeiten im Beruf in privaten Kontakten. Tessenowdiplomandinnen strebten mehrheitlich zu- nächst in angestellten Positionen einen weiteren Schritt der Professionalisierung, in späteren Jahren mindestens zu einem Drittel die Freiberuflichkeit an. Ehemalige Bauhausstudentinnen suchten häufiger bereits beim Einstieg ihre Chance in eigenen Aufträ- gen oder freiberuflicher Mitarbeit. Ihre Qualifikationen bleiben weit fragiler als die der TH-Kolleginnen, auch diplomierte Bauhausarchitektinnen arbeiten ggf. auch unter ihrer Qualifikation. Dabei sind die Berufsfelder, in denen sie tätig werden, breiter gestreut als die ehemaliger Tessenowstudentinnen, die sowohl in den Bereichen der Bauplanung wie der Bauverwaltung, aber auch im Bereich des Städtebaus Arbeitsfelder finden. Allzu häufig finden wir insbesondere bei ehemaligen Bauhausstudentinnen Wechsel zwischen unter- schiedlichen Tätigkeitsfeldern. Um längerfristig in der Architektur tätig werden können, müssen sie i.d.R. mehrere Strategien entwickeln, mehrere Wege ein- schlagen. Nur soweit sie ledig bleiben resp. sich von ihren Partnern trennen, sind sie auch nach mehr als fünf Jahren im Berufsfeld zu finden. Dabei gelingt ih- nen der Aufbau einer dauerhaften freiberuflichen Exi- stenz nur vereinzelt und erst nach dem zweiten Welt- krieg. Etwas häufiger - wenn auch i.d.R. nicht dauer- haft - machen sich ehemalige Tessenowstudentinnen gemeinsam mit einem Architektengatten selbständig. Auch ihnen gelingt die Etablierung einer freiberufli- chen Existenz nur in Einzelfällen und i.d.R. nur, so- weit sie sich unabhängig von einem Partner im Be- rufsfeld bewegen. Aber nicht nur ledige Architektin- nen erwägen häufiger einen Ortswechsel als ein Auf- geben der Tätigkeit. Die hohe Mobilität zahlreicher Architektinnen zeigt - weit über die Einstiegsphase hinaus - deutlich, wie hartnäckig sie ihre beruflichen Ambitionen verfolgen. Das Zweitstudium von Architektinnen - wie bspw. Si- mon-Wolfskehl, Raack und Schneider - erscheint un- ter dem Blickwinkel beruflicher Strategien retrospek- tiv in einem neuen Licht: Alle verfügten über einen qualifizierten Abschluss und erste Erfahrungen im Be- rufsfeld. Sie begaben sich mutmaßlich auch auf der Suche nach erhöhten Chancen in der Profession auf den Weg zum Bauhaus. Ob Bauhaus oder Seminar Tessenow: Architekturstu- dentinnen der Weimarer Republik knüpfen ihre Be- rufsperspektive häufig bereits zum Ende des Studi- ums an einen männlichen Partner. Diese Entschei- dung trägt manches Mal auch berufsstrategische Zü- ge, erweist sich hinsichtlich einer beruflicher Etablie- rung jedoch in aller Regel als kontraproduktiv. Aber auch ledigen Architektinnen mit hoher Mobilität ge- lingt es nur selten, in Kernbereichen des Berufsfeldes annähernd dauerhaft ein Auskommen zu finden. Welche Berufsstrategien Architekturstudentinnen der Weimarer Republik auch verfolgten - ob sie unmittel- bar den Sprung in die Freiberuflichkeit wagten oder eine eigenständige Existenz in Stufen anstrebten, ob sie angestellt in freien Büros oder im öffentlichen Dienst als Architektinnen verantwortlich tätig werden wollten - kaum ein Berufsweg in der Architektur er- weist sich für Architektinnen dieser Generation über- haupt als kontinuierlich gangbar, kaum eine Strategie führt zu erkennbar nachhaltigen Erfolgen. Anhand der Wechsel zwischen den Segmenten des Berufsfeldes und der Häufigkeit dieser Wechsel wur- de die strukturelle Fragilität der Werkbiografien von Architektinnen der Weimarer Republik sichtbar. Aber wann und unter welchen Umständen verlassen Archi- tektinnen das Berufsfeld? Berufswechsel - Berufsausstiege Verlassen Architektinnen das Berufsfeld nur tempo- rär, aber in der Absicht zurückzukehren? Verlassen sie nur bestimmte Berufssegmente, jedoch nicht das Berufsfeld? Finden sie innerhalb des Berufsspek- trums keine Möglichkeit, um als freie, angestellte oder verbeamtete Architektinnen ihre Fähigkeiten auszuüben? Oder treten sie nur nicht mehr öffentlich in Erscheinung? Wenden sie sich einem spannende- ren Feld zu oder bewusst von der Architektur ab? Die Gründe für das ‘Verschwinden der Architektinnen im Berufsfeld’ sind mehrschichtig und disparat. Bei Alma Siedhoff-Buschers Berufstätigkeit stand die Erwerbsnotwendigkeit deutlich im Vordergrund. Der mit einem Schauspieler verheirateten, zweifachen Mutter war nach ihrer Exmatrikulation 1927 der Wechsel in die Erwerbstätigkeit als Illustratorin gelun- gen. Sie stellt Anfang der vierziger Jahre ihre Ent- wurfsarbeit jedoch ein und zieht sich auf ihre Famili- enrolle zurück - frustriert über den Mangel beruflicher Herausforderungen. Erzwungene Berufswechsel und -ausstiege fanden wir insbesondere während des Nationalsozialismus.132 Stefanie Zwirns, aber auch Leni Stahl-Langens und Paula Marie Canthals Biografien sind Beispiele dafür, wie rigoros die Reichskulturkammer die antisemiti- sche Politik umsetzte und die Existenzen jüdischer 132 So bspw. auch bei Asta Berling, die die freiberufliche Tätigkeit als Innenarchitektin in Berlin einstellte und ab 1934 Kindermö- bel und Spielzeug entwarf und produzierte. Bis 1937 ist sie da- mit auf den Ausstellungen im Grassimuseum vertreten. Vgl. Günther, 1989, S.126. 1941, dem Jahr in dem sie letztmalig bei der Leipziger Herbstmesse vertreten ist, erscheint einer ihrer Entwürfe für ein Kinderzimmer in Eckstein, Hans: Die schöne Wohnung, München, 1941, S.111 (3.Aufl. - 1.Auflage 1931) Berufsverläufe und Lebenswege 285 Titel des ersten “Everyday Art Quarterly” 1946 (oben) und der Wanderausstellung für amerikanisches Spielzeug, 60er Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ArchitektInnen vernichtete.133 Daneben zeigten häufi- ge Wechsel der Berufsfelder zwischen 1933 und 1945 - so bspw. bei Herzenstein oder Harte -, dass sie sich propagandistischen und ideologischen Hür- den zu entziehen und dennoch in Kernbereichen des Berufsfeldes tätig zu bleiben suchten.134 Mehrfache Gratwanderungen zwischen Arrangement und Rück- zug unternahm auch Both: Sie ist wiederholt arbeits- los, nennt sich um 1940 „Katharina” und macht die Erfahrung, dass für die von ihr angepeilten Stellen „Arbeitskräfte meiner Berufsausbildung nicht infrage kämen“.135 Auch bei den exilierten Architektinnen fanden wir Wechsel in andere Berufsfelder. Bei den Wenigsten ist das berufliche Schicksal nach der Emigration be- kannt.136 Die aus Wien stammende Lilia Sofer emi- griert 1938 in die USA, wo sie unter dem Namen Lilia Skala als Schauspielerin erfolgreich tätig wird.137 Auch die fast gleichaltrige Alexandra Biriukowa, die bereits 1914 in St.Petersburg, 1925 in Rom ein zweites Mal in der Architektur diplomiert hatte, gab nach wenigen Jahren im Berufsfeld auf und erlernt den Beruf der Kinderkrankenschwester.138 Ebenfalls auf der Suche nach Berufsperspektiven möchten Andor und Eva Weininger in den dreißiger Jahren nach England oder die USA auswandern. 1948 emigrieren Matty und Hannes Beckmann aus Prag in die USA. Sie suchen nach NS- und KZ-Erfahrung einen Neubeginn. Matty Beckmann findet eine Perspektive als Lehrerin. Auch wenn die genauen Umstände der Wahl eines neuen Berufsfeldes bei Architektinnen i.d.R. nicht be- kannt sind: Seit Architektinnen um die Jahrhundert- wende das Berufsfeld betraten, sind sie auf der Su- che nach einem akzeptablen beruflichen Umfeld. Spiegeln die Berufswechsel exilierter Architektinnen eine Flexibilität und Mobilität, die in der Regel überle- bensnotwendig war139, so verweist bereits die Flexibi- lität, mit der Architekturstudentinnen der Weimarer Republik im In- und Ausland ausweichen, auf ebenso begrenzte wie fragile Berufsperspektiven. „Wir zogen es aus politischen und persoenlichen gründen vor, unsere berufe aufzugeben und als handwerker zu ar- beiten“, skizziert Ricarda Schwerin in einem Brief an Hannes Meyer die Entscheidung zum Berufswech- sel.140 So plausibel Brüche in Erwerbsbiografien auf- grund von Kulturdifferenzen bei Emigration scheinen mögen, immigrierte Architektinnen kehren dem Be- rufsfeld auch hier nur dann den Rücken, wenn ihnen qua Professionskultur eine Akkulturation in Form ei- ner eigenständigen Berufsausübung nicht zugestan- den wird. „Zur Verwirklichung der Bauaufgaben, die ich mir als Ziel meines Schaffens gesteckt habe und um derent- willen ich die Schwierigkeiten des Berufes und die mir reichlich entgegengebrachte Herabsetzung aus- hielt, fand ich keine Möglichkeit“, beschreibt Kattina Both 1947 ihre Gründe, das engere Berufsfeld zu ver- lassen.141 Nach fast zwanzig Jahren im Beruf - davon 16 Jahre als angestellte Architektin in Privatbüros - zieht sie sich resigniert zurück und arbeitet als Schät- zerin.142 Zeitgleich und nach knapp sieben Jahren als angestellte Architektin bei der Reichspost scheidet Gisela Ehren aus dem Berufsfeld aus. Sie war im Auslandseinsatz für die Interradio 1944 in rumänische Kriegsgefangenschaft geraten und konnte erst 1946 nach Deutschland zurückkehren. Nach zwölf Jahren im Beruf kündigt Annemarie Lan- ge ihre Stelle als Regierungsrätin zum 31.5.1947. Sie wechselt aus der Verantwortung für den Wiederauf- bau der Verkehrsinfrastruktur des Oderbruchs in die Funktion einer Lektorin im Kinderbuchverlag in Berlin. In den fünfziger Jahren stellt sie diesen Wechsel als freiwillig dar.143 Anfang der fünfziger Jahre verlässt Hilde Reiss nach knapp zwanzig Jahren das engere Berufsfeld und eröffnet in Palo Alto ein Einrichtungs- geschäft. Leonie Pilewski, die als freie wie auch als angestellte Architektin tätig war, macht bereits An- fang der vierziger Jahre - nach knapp 20 Jahren im Berufsfeld und mehreren Jahren als Architektin einer Wohnungsbaukooperative in Stockholm - endgültig ihr Hobby zum Beruf und widmet sich der Malerei. Und Klara Küster, die als angestellte Architektin so- wohl in freien Büros als auch in öffentlichen Ämtern tätig wurde, kehrt dem Berufsfeld nach mehr als zehn Jahren definitiv den Rücken: Sie absolviert Ende der fünfziger Jahre ein Pädagogisches Seminar und ar- beitet ab den sechziger Jahren als Lehrerin. Auch wenn die Anlässe oder gar die Gründe der Be- rufswechsel häufig nicht benannt werden, deutlich wird anhand der Berufswechslerinnen, dass die Ar- chitektur zahlreichen Studentinnen der Weimarer Re- publik keine akzeptablen Berufsmöglichkeiten bietet. So eröffnet bspw. das „House of Today“ Hilde Reiss zwar keine Karriere als Entwerferin, doch es erlaubt ihr, in einer selbstbestimmten Umgebung gute Ge- staltung und moderne Formgebung unter die Leute zu bringen. Reiss hatte sowohl in Partnerschaft wie auch angestellt die Erfahrung gemacht, dass ihre Ambitionen und Überzeugungen innerhalb von Hier- archien zunichte gemacht wurden. Zudem hatte sie Mitte der dreißiger Jahre in New York City erlebt, dass sie nahezu keinen Zuschlag für eine Realisie- rung erhielt, selbst wenn sie publizieren konnte,.144 Als sie Anfang der fünfziger Jahre eine Stelle als angestellte Architektin in San Francisco annimmt, er- lebt sie die Anweisungen und Entscheidungen des Bürochefs als ebenso wenig sachgerecht wie bevor- mundend.So ist das inakzeptable Arbeitsklima im Büro Erich Mendelsohns der Anlass ihrer Kündi- gung.145 Ihre Entscheidung für die Tätigkeit als Kura- 133 So äußert Alfred Gellhorn 1957 über seine frühere Mitarbeiterin: „Frau Paula Maria Canthal (..) war sehr begabt, zielbewusst und vital. Aufgrund ihrer Wettbewerbserfolge kam sie in die Auswahl junger Talente, die (..) von Stadtbaurat Martin Wagner aufgefor- dert wurden, auf der letzten Berliner Bauausstellung 1931 (..) je einen Bau zu übernehmen. Unter diesem qualifizierten Nach- wuchs waren Eiermann, Müller-Rehm, von Steinbüchel und an- dere, die heute prominent sind und die neue Elite bilden. Bei un- gestörtem Fortgang wäre auch sie auf jeden Fall so weit gekom- men.“ NL Canthal, Schreiben Alfred Gellhorn vom 5.8.1957 134 Vgl. Kap 7, S.207 135 „Auf eine Bewerbung bei einer Behörde wurde mir mitgeteilt, dass Arbeitskräfte meiner Berufsausbildung nicht infrage kämen. (..) Es wurde mir bekannt, das(s) für die bescheidene Arbeit, für die ich mich beworben hatte, Schreinergesellen eingestellt wur- den.“ Kattina Both, Schreiben vom 28.5.1947 136 So bspw. Margarete Zak, Pola Hoffmann, Eva Güterbock, Char- lotte Zentner 137 Lilia [Johanna Julia Katharina ] Sofer, 1896 in Wien geboren, studierte ab dem WS 1914/15 an der TH Dresden, wo sie 1920 das Diplom ablegt. Nach Wien zurückgekehrt, besucht sie die Schule von Max Reinhardt. 1923 heiratet sie den Kaufmann Lois Erich Pollak (1891-1980), 1924 und 1935 Geburt von Söhnen. Sie emigriert 1938 über Frankreich in die USA. Unter dem Na- men Lilia Skala vermerken Filmografien zahlreiche Rollen, da- runter in „Lilies of the Field“ (1963) oder „House of Games“ (1987). - Für Hinweise zum Studium Sofers danke ich Despina Stratigakos, für Hinweise zur Emigration Herbert Koch. 138 Der Nachlass der aus Russland stammenden, 1967 nach Toron- to emigrierten Alexandra Biriukowa (1895-1967) befindet sich im IAWA, Blacksburg, VA. 139 Hill, Schwerin, Beckmann, Gaebler, Markos-Ney - und wahr- scheinlich auch Busse - werden nicht mehr in der Architektur tä- tig. 140 DAM, NL Meyer, Brief Ricarda Schwerin an Hannes Meyer vom 4.3.1948 141 Vgl. FN 135 142 Petzinger, 1984, S. 47 143 AdKS, PA Lange, LL 1952 144 Auch gemeinsam mit Ulrich gelang dies nicht. Auch Ulrich er- hielt nahezu keine Chancen, ihre gestalterischen Fähigkeiten auch im Raum umzusetzen. Sie arbeitet in der Malerei, experi- mentiert mit abstrakten Collagen, verschiedenen Techniken und wechselnden Sujets. 145 Everyday Art Quarterly, 1949, Nr.13, S.10 - Diese Haltung bein- haltet eine so vielfältige Mission für „well designed products“, dass das Bauen von Häusern nur eine Facette darstellt. Reiss empfiehlt im Quarterly kommentarlos die Rezeption moderner Häuser bekannter und unbekannter Architekten. „Surprisingly, few institutions have originated exhibitions of architecture or city planning.“ Ibid., S. 4 286 Vom Auftauchen und Verschwinden torin, Kulturvermittlerin und Geschäftsfrau ist keine Abkehr von der Architektur, sondern von den vorherr- schenden Machtverteilungen in der Planungspraxis. Sie sucht einen selbstbestimmten Weg, ihr Anliegen zu realisieren: „to create a broader unstanding of art in our lives“. 146 Zeichnete sich bei sden Studentinnen der Kaiserzeit ab, dass sie sich der freien Kunst zuwandten oder bereits in den zwanziger Jahren an den Rändern des Berufsfeldes nach tragfähigen Existenzen suchten147, so ist die Tendenz, in Nischen ein Auskommen zu fin- den, auch bei Studentinnen der Weimarer Republik zu beobachten. Als Architektinnen finden wir sie im Bereich Innenarchitektur und Statik ebenso wie beim Entwurf von Kindermöbeln und Spielzeug. Insbeson- dere in Krisenzeiten werden sie aber auch auf weiter entfernten Berufsfeldern erwerbstätig, wobei insbe- sondere ehemalige Bauhausstudentinnen manches Mal auf ihre vor der Bauhauszeit erworbenen Qualifi- kationen zurückgreifen. Und gingen Architektinnen in den zwanziger (wie auch in den fünfziger) Jahren manches Mal ins Aus- land, um dort als Architektinnen an einem bestimm- ten Projekt oder in einem bestimmten Umfeld tätig werden zu können, so steht bei Emigrationen wäh- rend des Nationalsozialismus i.d.R. die Existenzsi- cherung im Vordergrund. Etlichen jüdischen Architek- tinnen gelingt auch nach der Emigration zumindest zeitweilig eine Berufstätigkeit im Bereich Architektur. Die freiberufliche Etablierung gelingt jedoch nur aus- nahmsweise.148 Auch wenn während des Nationalso- zialismus wie unter den Bedingungen des Exils eine verstärkte Flexibilität resp. Kompromissbereitschaft zu beobachten war, so sahen wir auch, dass zu allen Zeiten just jene Architektinnen, die mit Ehrgeiz, Lei- denschaft, Mut und Flexibilität - und manchmal jahr- zehntelanger Ausdauer - nach akzeptablen Arbeits- bedingungen in geeigneten Konstellationen gesucht hatten, die Tätigkeitsfelder oder sogar das Berufsfeld wechselten. Sie kehren damit weniger der Architektur als den gängigen Praxen innerhalb des Berufsfeldes den Rücken: Hierarchiestrukturen, die ihnen keine Möglichkeit bieten, sinnhafte Tätigkeit und gesicher- tes Einkommen zu verbinden - soweit es ihnen nicht gelingt, eine eigene freiberufliche Existenz aufzubau- en. Zwei Drittel aller Architekturstudentinnen der Weima- rer Republik konzentrieren nach mehreren Jahren im Berufsfeld ihre Ambitionen auf ein Feld außerhalb der Architektur. Trotz verwertbarer Qualifikationen der TH-Studentinnen, trotz hoher Mobilität, familiärer Kontakte, kulturellen Kapitals und Mehrsprachigkeit bietet ihnen die Architektur offenbar zu wenig Mög- lichkeiten, um unter akzeptablen Rahmenbedingun- gen ein befriedigendes Auskommen zu finden. Einige wenige kehren in zuvor ausgeübte Berufe zurück, an- dere wenden sich neuen Berufsfeldern zu. Während Architektinnen, die der Familie Priorität einräumen, ei- ne eigene Entscheidung zugunsten der Familienarbeit zu treffen scheinen, wird an den beharrlichen wie den beruflich erfolgreichen Aussteigerinnen aus der Archi- tektur deutlich, dass Berufskarrieren von Architektin- nen innerhalb des Berufsfeldes Architektur nicht an individuellen Begabungen und Kompetenzen schei- tern. Dass die Zahl der Berufsaussteigerinnen unter den verheirateten Müttern signifikant hoch liegt, ver- weist einerseits auf die Unvereinbarkeit von traditio- neller Mutterschaft mit dem Selbstverständnis man- cher Architektin. Angesichts der berufstätigen Mütter unter den Architektinnen wird jedoch auch deutlich, dass sich Familienarbeit und Beruf nicht grundsätz- lich ausschließen. Berufswege und Familienwege Bei mehr als der Hälfte der ehemaligen Bauhaus- und Tessenowstudentinnen konnten die Lebenswege nach dem Ende des Studiums soweit rekonstruiert werden, dass sich Tendenzen zum Verhältnis von be- ruflichen Ambitionen und familiärer Orientierung be- nennen lassen. Alle bisher recherchierten Aussagen über das Ver- hältnis von Familie und Beruf von Architekturstuden- tinnen der Weimarer Republik datieren nach 1945 und beziehen sich nicht auf die eigene, sondern Fa- milie im allgemeinen. Indirekt äußert sich Karola Bloch zu diesem Verhältnis, wenn sie in ihrer Auto- biografie auch ihr Studium und Berufsleben Revue passieren lässt.149 Die Dreh- und Angelpunkte der nach dem Tode Ernst Blochs aufgezeichneten Erin- nerungen bilden die Unterstützung des Gatten wie das politische Engagement der ‘Frau an seiner Sei- te’. Dabei bleibt die Berufstätigkeit der politischen Überzeugung wie dem Wohlergehen des zwanzig Jahre älteren Philosophengatten nachgeordnet.150 Während Architekturstudentinnen der Kaiserzeit bei Heirat dank Dienstboten ihre Berufspriorität aufrecht- erhielten, kommt diese Form der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für die nächste Architektinnenge- neration mehrheitlich offenbar nicht mehr in Frage.151 Für ein Leben ohne Familiengründung entscheidet sich etwa jede Fünfte der Bauhaus- und Tessenow- studentinnen. Die ganz überwiegende Mehrheit ent- scheidet sich für eine eigene Familie und damit i.d.R. für eine ebenso bürgerliche wie ‘standesgemäße’ Heirat unter Verzicht des eigenen Namens.152 Sichtbar wird, dass die Entscheidung über Berufs- resp. Fami- lienpriorität in der Generation der Architekturstuden- tinnen der Weimarer Republik nicht eindeutig mit einer Ausbildungsrichtung korreliert.153 146 Auch Rahel Bontjes von Beek, die Ende der zwanziger Jahre im Büro Mendelsohns in Berlin gearbeitet hatte, erinnert „harte und bissige Vorgesetzte.“ „Bei mir war eigentlich alles ein Wunder“ Notizen eines Gespräches mit Rahel Bontjes van Beek, das Do- rothea Schemme 1990 führte, in: Baufachfrau e.V. (Hg.): Frauen in Bau- und Ausbauberufen, Berlin, 1990, S.88. 147 Dies zeigt bspw. die Flexibilität von Briggs, ihr Engagement in Ausstellungsarchitektur und Fachjournalismus, nachdem es ihr nach Fertigstellung des Beamtenwohnungsbaus in Mariendorf (1930) nicht mehr gelingt Wohnungsbauaufträge zu realisieren. 148 Freiberufliche Existenzen wie bspw. die von Briggs in London, Frommer in New York oder Liane Zimbler in Los Angeles lassen sich für Architekturstudentinnen der Weimarer Republik bisher kaum nachweisen. Evtl. gelang dies Helene Roth in Tel Aviv. 149 Bloch, Karola: Aus meinem Leben, Pfullingen, 1981 150 Wenn sie bspw. hochschwanger berufstätig bleibt, Kurierdien- ste zu polnischen Genossen übernimmt oder Beziehungen nutzt, um seinen Wunsch nach einem Gänsebraten zu erfüllen. 151 Durch die Rezessionen in den zwanziger Jahren war die Mög- lichkeit der Delegation für bürgerliche Familien nicht mehr in vergleichbarem Maße gegeben. Neben dem ökonomischen Faktor kommt hierin aber auch eine veränderte Auffassung der Frauenrolle zum Ausdruck. 152 Sechs der Bauhausstudentinnen wie sechs der Tessenowdiplo- mandinnen bleiben ledig: Dies sind Both, Busse, Lewin, Men- del, Meyer, Meyer-Waldeck resp. Behrmann, Blank, Gaiser, Her- zenstein, Koch und Schaar. Während zahlreiche Architektinnen nach der Heirat übergangsweise einen Doppelnamen anneh- men, führen andere über Jahrzehnte konsequent den Doppel- namen, so bspw. Geyer-Raack und Stam-Beese, aber auch Fal- kenberg-Liefrinck und Fingerlos-Lohner. Hoffmann-Lederer ver- wendet nach 1945 häufig das symbiotische „Hoffmannlederer“, ebenso wie ihr Mann. Von Bonin, Canthal und Reiss verwenden auch nach Heirat den eigenen Familiennamen. Berufsverläufe und Lebenswege 287 Wunderhocker, Wera Meyer-Waldeck, um 1950 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Wie alt sind die Architekturstudentinnen der Weima- rer Republik zum Zeitpunkt der Heirat? Bauhausstu- dentinnen heiraten manches Mal erst in ihren dreißi- ger Jahren, während der Jahre in Weimar jedoch auch bereits mit 20.154 Im Unterschied dazu heiraten Tessenowstudentinnen frühestens mit 25, in der Re- gel zwischen dem 27. und dem 32. Lebensjahr.155 Damit heirateten Bauhausstudentinnen nicht nur deutlich früher als Tessenowstudentinnen, sie taten dies vergleichbar oft noch vor Erreichen der Volljäh- rigkeit. Die deutlich höhere Berufspriorität der TH-Studen- tinnen bestätigt sich anhand der Erwerbsdauer vor Eheschließung: Selbst wenn diese Heirat schon wäh- rend des Studiums geplant wurde, so arbeiten Tes- senowstudentinnen i.d.R. dennoch ledig zunächst zwei, häufig auch drei bis fünf Jahre als Architektin- nen.156 Demgegenüber verfügen Bauhausstudentin- nen zwar häufig über Erfahrungen im Erwerbsleben, im Berufsfeld Architektur hat vor der Heirat jedoch nur ein Drittel bereits gearbeitet.157Wenige Bauhaus- und noch weniger Tessenowstudentinnen heiraten di- rekt im Anschluss an das Diplom. Diese Architektin- nen möchten nicht nur zunächst die materielle Basis für eine Familiengründung sichern, sondern ihre Ener- gie zunächst ungeteilt in die Berufstätigkeit einbrin- gen. Dies widerspricht der These Glasers, nach der Studentinnen während der Weimarer Republik die akademische Berufsausbildung resp. qualifizierte Be- rufstätigkeit zunehmend als eine Art ‘Übergangslö- sung’ auf dem Weg zur Ehe bzw. Mutterschaft be- griffen hätten.158 Denn wie die Analyse der Werkbio- grafien zeigt hat eine Heirat ab den dreißiger Jahren i.d.R. nicht mehr das unmittelbare Ausscheiden der Gattin aus der Berufstätigkeit zur Folge.159 Dies bestä- tigt rückwirkend nicht nur die Studienmotivation, son- dern insbesondere die hohe Berufsmotivation dieser Architektinnen, auch wenn die hohe Heiratsbereit- schaft verwundern mag. Da verheiratete Frauen nach Gesetzeslage nicht ohne Zustimmung des Gatten erwerbstätig sein konnten, wird das rationale Selbstverständnis der Architektin- nen dieser Generationder anhand der beruflichen Ambition sehr deutlich sichtbar: Die Akzeptanz der eigenen Berufstätigkeit durch den Partner war hier offensichtlich ein entscheidendes Selektionskriterium der Gattenwahl. Die meisten Tessenowstudentinnen stellen die eigene Berufstätigkeit im Rahmen der Partnerwahl nicht zur Disposition. Im Unterschied dazu räumen die meisten Bauhausstudentinnen der beruflichen Tätigkeit des Partners den Vorrang ein.160 Im Vergleich der beruflichen Ambitionen verheirateter Architekturstudentinnen der Weimarer Republik wird deutlich, dass ehemalige Tessenowstudentinnen sich qua Heiratsverhalten zwar häufiger an bürgerliche Konventionen hielten, jedoch faktisch weit deutlicher aus traditionellen Rollen ausbrachen als ehemalige Bauhausstudentinnen, die i.d.R. keine eigene Berufs- tätigkeit gegenüber einem Partner behaupteten und damit weit deutlicher eine bürgerlich-traditionelle 153 Ute Georgeacopol-Winischhofer konstatiert für die Architektin- nen der TU Wien: „Das Studium der Architektur wurde in jedem Fall als bedeutender, persönlichkeitsbildender Faktor empfun- den. Die erarbeiteten Biographien beweisen, daß Absolventin- nen häufig beide Berufungen - den Beruf der Architektin (..) und die Aufgabe innerhalb der Familie - in sich zu vereinen suchten.“ Georgeacopol- Winischhofer, 1997, S.216 resp. S.215 154 Vor dem 23.Lebensjahr gingen Berkenkamp, Markos-Ney, Marx, Meltzer, Müller, Schöder und Wiener die (erste) Ehe ein. Mit dem 25.Lebensjahr waren Brauer, Katz, Lederer, Rogler und Schnei- der verheiratet, vor Erreichen des 30.Lebensjahres auch Bánki, Buscher, Fernbach, Gerson, Loewe, Reiss, Simon-Wolfskehl und Swan. 30 resp. 31 Jahre waren bei Eheschließung Beese, Enders, Josefek, Ulrich und Wimmer. 33jährig heiratete Wilke, 37jährig Dicker. 155 Engels ist zum Zeitpunkt der Heirat 25 Jahre alt, kaum älter sind Rauter, Brobecker und Zauleck, Mit 27 Jahren heirateten Freise, Pfeiffer, Waltschanowa. Noch vor, resp. im 30.Lebensjahr heira- teten Tönnesmann, Dirxen, Berg, Karselt, von Bonin, Hajek und wahrscheinlich Kaatz. Eisenberg heiratete mit 31, Schneider mit 32 und Korte mit 33 Jahren. Bereits 37jährig gingen Weckend und Hohmann eine Ehe ein. Dementsprechend liegt das durch- schnittliche Heiratsalter bei Tessenowstudentinnen mit über 29 Jahren fast drei Jahre über dem Mittelwert des Heiratsalters ehemaliger Bauhausstudentinnen. 156 Brobecker, Dirxen, Eisenberg, Engels, Korte und Pfeiffer hatten zum Zeitpunkt der Heirat zumindest zwei Jahre lang, Schneider und Karselt fünf Jahre lang gearbeitet. Auch die Gaststudentin- nen Grete Berg und Friedel Hajek heiraten erst mehrere Jahre nach Studienabschluss und dürften zunächst als Architektinnen gearbeitet haben. 157 Dies sind Simon-Wolfskehl, Bánki, Beese, Dicker, Fernbach, Reiss, Ulrich, Swan, Wilke und Wimmer. 158 So die These Edith Glasers, die anhand der kurzen Berufsdauer vieler Architektinnen zunächst verifizierbar schien. Glaser, Edith: Hindernisse, Umwege, Sackgassen, Die Anfänge des Frauenstu- diums in Tübingen (1904-1934), Weinheim, 1992, S.43 159 Ausnahmen von dieser Regel sind unter den Tessenowstuden- tinnen lediglich Freise, Pfeiffer, Engels und Tönnesmann. Sie alle kehren zu einem späteren Zeitpunkt zurück. Von den Bauhaus- studentinnen gaben in den zwanziger Jahren zumindest Simon- Wolfskehl und Gutzeit, in den dreißiger Jahren Schöder und Rogler die Berufstätigkeit anlässlich der Heirat auf. 160 Das Spektrum dieser unbedingten Loyalität in der Professions- frage, der Priorität seiner Leistung reicht dabei vom Rückzug aus konkurrierenden Bereichen über nachhaltige Unterstützung bis zum Mäzenatinnentum gegenüber minderbemittelten Gatten. 288 Vom Auftauchen und Verschwinden Familie Koppelmann, um 1944 Familie Ehren in den 60er Jahren Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Frauenrolle übernahmen. Dass diese Rollenverteilung nur bedingt im Interesse von Bauhausstudentinnen liegt, wird daran deutlich, dass sie häufig nur kurzzeitig verheiratet bleiben. Die Dauer ihrer Ehen liegt - mit einer Ausnahme - zwi- schen einem und zehn Jahren, die von Tessenowstu- dentinnen deutlich höher. Zumindest 11 von 38 ver- heirateten Bauhausstudentinnen und 4 von 18 ver- heirateten Tessenowstudentinnen lösen diese Ehe.161 Angesichts der Vielzahl möglicher Konstellationen scheint eine Einordnung der Lebensentwürfe nach bestimmten Mustern ebenso absurd wie eine Kate- gorisierung nach Familienstatus oder Kinderzahl: Da finden wir zum einen Architektinnen, die mit - und ohne - Eheschließung in eine familiäre Rolle wechseln und nie wieder ins Berufsfeld zurückkehren162, zum anderen Architektinnen, die die Erwerbsarbeit ledig- lich für die Zeit des Wochenbetts unterbrechen, und welche, die nach der Kleinkindphase oder nach Jahr- zehnten in das Berufsfeld zurückkehren.163 Dennoch lässt sich anhand der Kinderzahl eine Tendenz - für oder gegen eine Familienpriorität - erkennen, zumal etliche Architektinnen keine Zweifel daran lassen, dass sie bzgl. der Geburtenregelung aktiv eingriffen. Von den verheirateten Bauhausstudentinnen bleiben Bánki, Josefek, Lederer, Otte, Reiss, Lasnitzki, Swan und Wimmer kinderlos, entscheiden sich Gaebler, Koppelmann und Weininger nach der Geburt des er- sten Kindes gegen weiteren Nachwuchs. Im Unter- schied dazu bleibt von den verheirateten Tessenow- studentinnen nur Seitz kinderlos, bringen lediglich Bonin und Vogel nur ein Kind zur Welt. Drei resp. vier Kinder bekommen von den Tessenowstudentinnen Gisela Ehren, Gertraude Herde, Christa Kleffner-Dir- xen, Ewa Oesterlen, Helga Schuster und Irina Zu- schneid, von den Bauhausstudentinnen Gerda Marx, Maria Müller und Lore Hesselbach. Fünf Kinder brin- gen die Tessenowdiplomandin Anni Gunkel und die ehemaligen Bauhausstudentinnen Christa Mory und Ella Kreher zur Welt.164 Hier zeigt sich, dass Tessenowdiplomandinnen die Ehe i.d.R. im Hinblick auf eine Familiengründung ein- gehen, während Bauhausstudentinnen mehrheitlich mit der Heirat eine Beziehung legalisieren. In wieweit die Entscheidung für resp. gegen Kinder durch die politischen Rahmenbedingungen und die jeweilige berufliche Perspektive beeinflusst wurden, bleibt i.d.R. unbenannt. Nur Ella Kreher beschreibt ihre Ent- scheidung für Kinder quasi als Folge des Wegbre- chens jeglicher Berufsperspektiven anlässlich des Sieges der Nationalsozialisten 1933: „Danach waren Kinder meine Produkte.“ 165 Wer entscheidet sich für, wer gegen eine Ehe? Und entscheiden sich Architektinnen dieser Generation dabei bewusst für eine bürgerlich-traditionelle Frau- enrolle oder gegen das Berufsfeld? Spiegelt sich hier die Repressivität eines nationalsozialistischen Mutter- schaftsideals wider oder ein bereits in den zwanziger Jahren propagiertes Bild der modernen Hausfrau? Oder ist dies nur ein weiteres Indiz dafür, dass der Ausstieg aus der Erwerbsarbeit für Architektinnen dieser Generation nicht unattraktiv war? Vollziehen sie einen schleichenden Rückzug ins Private, bei dem die Übernahme der sozialen Mutterschaft nur die plausibelste Erklärung für eine Abkehr von der Berufspraxis ist? Die realen familiären Belastungen von Architektinnen korrespondieren nur sehr bedingt mit dem Familien- stand. Weit stärker werden hier Lebensstile und -hal- tungen als handlungsleitend erkennbar. Denn wäh- rend einige wenige - wie Simon-Wolfskehl, Pfeiffer, Engels und Freise - sogar bereits in Vorbereitung auf eine Heirat ihre Berufsstellungen verlassen, finden wir das Gros der verheirateten Architektinnen auch drei Jahre nach der Heirat, ein Viertel auch fünf Jahre da- nach in beruflicher Vollzeitbeschäftigung. Fast alle Tessenowdiplomandinnen und immerhin die Hälfte der Bauhausstudentinnen war zunächst berufstätig geworden. Für sie stellt eine Heirat nicht den Anlass oder gar den Grund dar, um die Berufstätigkeit auf- zugeben. Architekturstudentinnen der Weimarer Republik hei- raten mehrheitlich Männer, die einen akademischen Beruf ausüben.166 Auffällig häufig fällt die Wahl auf einen Berufskollegen.167 Und während fast ein Drittel der architekturinteressierten, ehemaligen Bauhaus- studentinnen eine Ehe mit einem Künstler eingehen, heiratet nur eine der ehemaligen Tessenowstudentin- nen - Luise Zauleck - einen Künstler.168 Dabei finden die Familiengründungen ganz überwiegend in die Zeit des Nationalsozialismus statt, mehr als die Hälfte al- ler Eheschließungen von Bauhaus- und Tessenow- studentinnen fallen in diese Jahre.169 Sowohl Töchter aus protestantischen wie katholischen, aus konserva- tiven wie aus progressiven Elternhäusern, Gattinnen von Architekten wie von Kaufleuten und Ärzten neh- men im Lauf der dreißiger Jahre die Mutterrolle als ‘full-time-job’ wahr. Bei Einzelnen wird sichtbar, dass sie sich genau diesen traditionellen Rollenverteilun- gen entziehen resp. immer wieder individuelle Strate- gien zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf finden. Denn zumindest ein Drittel der verheirateten Archi- tektinnen bleibt auch während des Nationalsozialis- mus im Berufsfeld tätig.170 Deutlich wird jedoch auch hier, verheiratete wie alleinstehende Kolleginnen auf ungleichem beruflichem Terrain mit zunehmender Dauer kaum erfolgreich konkurrieren können. Ihnen bleiben in ‘offener’ Konkurrenz manche Arbeitsfelder nahezu verschlossen. 161 Dies sind die Ehen von Beese, Brauer, Marx, Reiss, Schneider, Swan, Wiener und Wilke sowie von Gerson, Itting und Markos- Ney. Auch die Ehen der Tessenowstudentinnen Bonin, Freise und Karselt, sowie die der Gaststudentin Berg werden geschie- den. 162 Nach der Geburt von Kindern kehrten Kreher [geb. Rogler] und Ehren [geb. Schneider] nicht ins Berufsfeld zurück. 163 Durchgängig erwerbstätig blieben von den verheirateten Archi- tektinnen bspw. Kleffner-Dirxen und Stam-Beese, aber auch Bloch, Oswald, Stam-Beese, Heise, Siedhoff-Buscher und Her- de. Nach weniger als fünf Jahren nach der Geburt des jüngsten Kindes kehrten Küster, Niegeman-Marx, Weininger, Weiß, nach mehr als zehn Jahren Bonin, Oesterlen, Schuster und Vogel zu- rück. 164 Bei den Zwillingsgeburten Anni Gunkels (1935 und erneut 1937) trägt dies allerdings auch deutlich schicksalhafte Züge. Christa Mory und Ella Kreher bringen zwischen 1937 und 1942, resp. bis 1944 ebenfalls fünf Kinder zur Welt. 165 Ella Rogler im Interview am 25.3.1998 166 Lediglich Friedl Dicker heiratet einen Buchhalter und Wera Itting soll einen Kellner geheiratet haben. Ärzte heirateten Zsuzsanna Bánki, Ursula Schneider (in 2.Ehe), Lila Ulrich und Irina Kaatz. Lore Enders und Annemarie Wilke heiraten Maschinenbauin- genieure, Christa Schöder einen Pfarrer, Lieselotte von Bonin in zweiter Ehe einen Bankier, Natalie Swan einen Journalisten, Grete Berg einen Landwirt und Ruth Weckend einen Chemiker. Schriftsteller heiraten Annemarie Wimmer und Hildegard Korte. 167 Dies tun die ehemaligen Bauhausstudentinnen Gerda Marx, Lot- te Gerson, Lotte Beese, Ricarda Meltzer und Hilde Reiss sowie die Tessenowstudentinnen Lieselotte von Bonin, Helga Karselt, Gertraude Engels, Eva Freise, Anni Pfeiffer, Fridel Hohmann, Jo- hanna Tönnesmann, Gisela Schneider und Christa Dirxen - Klara Brobecker heiratet einen Bauingenieur. 168 Maler resp. Bildhauser heiraten Toni von Nelissen-Haken, Alexa Gutzeit, Mila Lederer und Lou Berkenkamp, Eva Weininger, Mat- ty Weiner, Ruth Josefek, Hilde Katz, Ella Rogler und Suzanne Ney. Tony Simon-Wolfskehl heiratet einen Grafiker, Alma Bu- scher einen Schauspieler. 169 1933 heiraten Loewe und Waltschanova, 1934 Beese, Bonin, Enders, Pfeiffer, Rogler und Schöder. Mitte der dreißiger Jahre heiraten Beloweschdowa, Dolezalowa, Eisenberg, Josefek, Kaatz und Rauter, 1936 Bonin (2. Ehe), Dicker, Freise, Karselt und Katz, 1937 Zauleck, 1938 Bánki und Tönnesmann, 1939 Dirxen, Engels und Wimmer, 1940 Wilke und Brobecker, 1941 Swan, Ulrich und Ney (2.Ehe), 1942 Berg und 1943 (Gisela) Schneider. 170 Brandeis [geb. Dicker], Ehren [geb. Schneider], Herde [geb. En- gels], Küster [geb. Brobecker], Lange [geb. Wimmer], Minsos [geb. Tönnesmann], Palne [geb. Bánki], Seitz-Zauleck, Stam- Beese, Weiß [geb. Schneider], Zuschneid [geb. Kaatz]. Berufsverläufe und Lebenswege 289 Und so sehr sie bei der Gattenwahl den Konditionen bürgerlicher Ehen und damit dem Verlust der eigenen Berufsperspektive zu entkommen suchten, so wenig scheint die jeweilige Heirat faktisch eine eigenständi- ge Berufsstrategie ermöglicht zu haben. Während für verheiratete Architekten die Nicht-Berufstätigkeit der Gattin nur ausnahmsweise ein Problem darstellt171, scheint deren berufliche Ambition insbesondere beim ‘takeoff’, dem Über-gang von der Gründungs- zur Etablierungsphase eines gemeinsamen Büros lästig zu werden.172 Wie auch immer diese ‘Transsubstantia- tion’ von der kameradschaftlich mehrfach in An- spruch genommenen Partnerin zur ‘Büropartnerin non grata’ im Einzelfall vor sich geht: Wir finden sie so zahlreich, dass von einem Dilemma der Architekt- Innenehe gesprochen werden kann. Kaum eine der beruflichen Partnerschaften in der Ar- chitektur, die anlässlich oder dank einer privaten Ver- bindung begründet wird, ist von nenneswerter Dau- er.173 Zu den wenigen Architektinnen in Partnerschaft, die nicht über kurz oder lang zwischen beruflichen Konkurrenzen und privaten Erwartungen zerrieben wurden, gehören Christa Kleffner-Dirxen und Ger- traude Engels. Sie blieben mit ihren Kollegen verhei- ratet, gingen beruflich jedoch auch getrennte We- ge.174 Die Souveränität einer Aino Marsala-Aalto, die sich mehrfach - gleichzeitig und in Konkurrenz zu ih- rem Gatten - mit eigenen Entwürfen bei Wettbewer- ben beteiligte, ist für keine der ehemaligen Tesse- now- oder Bauhausstudentinnen bisher nachweisbar. Kooperationen mit KollegInnen resp. außerhalb der Ehe scheinen nahezu ausgeschlossen. Und manche Ehe scheint bereits durch ein Weiterstudium oder den Erwerb einer Qualifikation der Architektin gefähr- det. Nicht immer ist dabei so klar, dass - wie in den Fällen Vogel und Schuster - der jeweilige Gatte das Büro als sein Refugium sah und seine Frau dort nicht duldete. Aber auch in den Fällen von Lieselotte von Bonin und Wilhelm von Gumberz-Rhonthal, Paula Marie Canthal und Dirk Gascard oder Ewa und Dieter Oesterlen reklamiert der Architekt im Konfliktfall das Büro als seinen - alleinigen - Besitzstand. Dass sich insbesondere die mit Architekten verheira- teten Architektinnen so häufig völlig aus dem Beruf zurückziehen und dass so viele dieser Ehen geschie- den werden, verweist auf konkurrierende Interessen- lagen. Aussagen von Architektinnen zur Realität die- ser beruflichen Konkurrenzen sind fast nicht zu fin- den. Do-othea Haupt, die selbst erst nach 1945 stu- diert hat, deutete 1987 an, dass nach ihren Erfahrun- gen eheähnliche Architektenpartner nicht unbedingt freiwillig mit einer Architektin zusammenarbeiten: „Der eheähnliche Partner ist eine komplexe Sache und viel komplizierter als etwa der Mitarbeiter, der freiwillig und distanziert mit einer bestimmten Archi- tektin arbeitet.“ 175 Dagegen eröffnen zusätzliche Verpflichtungen des Gatten für manche Architektin neue Freiräume. Hierzu merkt bspw. Annelise Eich- berg an: „Der hatte ja als Hauptaufgabe seinen Lehrstuhl“.176 Bleiben Architektinnen dieser Generation bei unter- schiedlichen Berufen der Partner i.d.R. berufstätig, so gelingt dies den mit einem Architekten oder Künstler verheirateten Kolleginnen i.d.R. nicht. Die Kamerad- schaftsehe, bei der beide auf dem gleichen berufli- chen Terrain tätig sind, erzeugt offenbar weit mehr Spannungen als Synergieeffekte. Auch in der ersten Generation war bei verheirateten Architektinnen be- reits während der Weimarer Republik zum einen die- ses ‘Räumen des Feldes’, zum anderen ein Ansteigen der Scheidungen zu beobachten.177 Wie die fiskalische Bewertung zeigt, führte eine Hei- rat mit einem freiberuflichen Architekten nicht etwa zu der Anerkennung der Zusammenarbeit als Büro- partnerschaft. So antwortet die Baugilde auf die Le- serfrage: „Ist das Gehalt der mittätigen Ehefrau ab- setzbar? (..) und für die Empfängerin bis zu welcher Höhe steuerfrei?“ 1938 wie folgt: „Für seine in sei- nem Atelier mittätige Ehefrau darf der Architekt eben- so wie jeder andere Steuerpflichtige, keinesfalls ein Gehalt als Betriebsausgabe absetzen.“ 178 Dies scheint Büroinhaber jedoch nicht beflügelt zu haben, aus ihren Ehefrauen Büropartnerinnen zu ma- chen: Eine Zunahme namentlich erwähnter Architek- tinnen in Fachzeitschriften oder Mitgliederlisten ist ebenso wenig zu verzeichnen wie die Erörterung ‘mit- tätiger Ehemänner’. Offenbar wiegen die Vorteile des Hierarchiegefälles zwischen den Partnern zu schwer, als dass materielle Vorteile dies wettmachen könnten. Noch weniger konnten Architektinnen auf die Unter- stützung durch ihre Männer zurückgreifen oder auf deren Arbeitskraft im Hinblick auf die eigene berufli- che Etablierung rechnen.179 Das ‘freiwillige’ Zurück- treten zugunsten des eigenen Gatten resp. der Rück- zug in die Familie verspricht in jedem Falle weniger Konflikte. Insbesondere während des Nationalsozia- lismus wählen verheiratete Architektinnen verstärkt die Rolle im Hintergrund.180 Diese korreliert mit der gesellschaftlich akzeptierten Rolle der bürgerlichen Gattin und bietet in diesem Sinne auch Aussicht auf Anerkennung, auch wenn die berufliche Superiorität des Gatten hierbei aktiv hergestellt werden muss. Diese aktive Loyalität gegenüber dem Gatten ist der Rolle der angestellten Architektin nicht unähnlich, zu- mal die damit verbundenen organisatorischen und praktischen Tätigkeiten der architektonischen Profes- sion nicht völlig fremd sind. Wir finden sie auffällig häufig bei Ehen, die länger als 10 Jahre dauern und in denen zunächst beide beruflich resp. künstlerisch tätig waren. 171 Lediglich Konrad Püschel erinnert für die Situation in Moskau 1932: „Das Eingewöhnen fiel Lilo nicht leicht. (..) Hier, wo alle arbeiteten, machte sich eine Beschäftigung für Lilo notwendig.“ Püschel, Konrad: Wege eines Bauhäuslers, Dessau, 1997, S.69 172 Keine Möglichkeit der Zusammenarbeit mit den Architektengat- ten bot sich bspw. Gisela Ehren. Helga Schuster, Ewa Oester- len und Fridel Vogel war nur eine zeitweilige resp. punktuelle Zusammenarbeit mit dem Gatten vergönnt. 173 Dies zeigen die Ehen von Helga Karselt mit Emil Schuster, Eva Fernbach mit Andor Weininger, Gerda Marx mit Johan Niege- man, Hilde Reiss mit William Friedman und Lotte Beese mit Mart Stam, wie auch die zunächst vielversprechenden Büro- gemeinschaften von Friedl Dicker mit Franz Singer, Lieselotte von Bonin mit Wilhelm von Gumberz-Rhonthal und Paula Marie Canthal mit Dirk Gascard-Diepold. 174 So übernahm Kleffner-Dirxen die Leitung des gemeinsamen Bü- ros, als ihr Mann zum Diözesanbaumeister in Essen ernannt wurde. Hierdurch konkurrierten beide Partner nicht unmittelbar. Auch Gertraude Herdes Mann arbeitete im öffentlichen Dienst. Sie arbeitete nach Heirat und Geburt der drei Kinder immer wie- der auch mit ihrem Mann zusammen, zeichnet für architektoni- sche wie stadtplanerische Aufträge aber auch allein verantwort- lich. Gertraude und Alexander Herde erzogen ihre Kinder sehr früh zur Selbständigkeit. 175 Dorothea Haupt in ihrem Zeitzeuginnenbericht in: Architektin- nenhistorie, 1987, S.64ff. hier S.65 – In ihrer an Kolleginnen ge- richteten Rede ordnet jedoch auch sie bezeichnenderweise den Wunsch nach Geschlechteregalität einem fachlichen Credo un- ter: „Versuchen wir daher weiter, uns zu eigenständigen Figuren in der Architektur zu entwickeln - zu ’Architektinnen’ - die dieje- nigen Architekten unterstützten, die in der Lage sind, eine orga- nische Architektur hervorzubringen, und die diejenigen Architek- ten blockieren, die die abstrakte, effiziente und erschlagende Variante produzieren.“ ibid. S.65-66. 176 Fuchs, 1994, S.161 177 So wurden während der zwanziger Jahre bspw. die Ehen von Grete Zimmermann mit Rudolph Schroeder, Margarete Roeser mit Erich Knüppelholz, Anna Silber mit Adolf Rading, Margarete Jaffé mit Erwin Gutkind geschieden, und wahrscheinlich auch die von Hedwig Gmelin mit Eduard Brill . Nur Schroeder-Zim- mermann blieb im Berufsfeld tätig. (Roeser und Zimmermann hatten 1913 resp. 1914 im Alter von 27 Jahren geheiratet. Ihre Ehen wurden nach jeweils 13 Jahren geschieden.) Aus der Ar- chitektur hatten sich bspw. Julia Ponten von Broich nach der Heirat mit dem Architekturkritiker Josef Ponten (1908) und Ilse Hartmann nach der Heirat mit Ernst May (1919) zurückgezogen. 178 Die Baugilde, 20.Jg., 1938, H.3, S.70, Leserfrage 216 179 Von Seiten ihrer Gatten erfahren Architektinnen nur ausnahms- weise Unterstützung ihrer beruflichen Ambitionen. Der einzige Hinweis auf eine solche Unterstützung findet sich im NL Seitz. Im Brief vom 28.1.1939 schreibt Luise Seitz an die Eltern: „Der arme Gustl steht jetzt täglich von 7 - abends 10, 11h im Atelier und schnitzt Baukörperchen.“ 290 Vom Auftauchen und Verschwinden Für Annelise Eichberg ist das Unsichtbarmachen der eigenen Leistung auch rückblickend selbstverständ- lich: „Mir ist in den ganzen Jahren nie in den Sinn ge- kommen, bei unseren Bauaufträgen gleichberechtigt zu unterzeichnen. Mein Mann war der Führende. Ich habe nie mit meinem Namen unterschrieben.“ 181 Und in der Erinnerung ihres Neffen, war Suzanne Leppien „ein Mensch von entschiedener Urteilskraft, von bril- lanter Intellektualität, sehr belesen und musikalisch, eine scharfe Kritikerin ihres Mannes. (..) Einmal sagte sie mir, sie habe die Kunst aufgegeben, weil sie ihr Talent als kleiner ansah als das seine und ihre Auf- gabe darin erblickte, ihn zu unterstützen und ihm das Arbeiten zu ermöglichen.“ 182 Auch „Mila Hoffmann- Lederer (..) liebt es nicht, wenn ihre eigene Verdienst- lichkeit Mittelpunkt (..) wird. Für sie ist die Gefährten- schaft mit dem verstorbenen Gatten in Gefühl und Idee, die Überlegenheit seiner kunstgeschichtlichen Bedeutung unverletzlich.“ 183 Und eine ähnliche Priori- tätensetzung ist auch bei Karola Bloch zu finden. Sie beteuert, dass sie „nicht nur zum Geldverdienen“ ar- beitete. Höchste Priorität genießt jedoch auch bei nicht die eigene, sondern die Arbeit des Gatten: „Ich war glücklich, daß ich gleichsam sein Mäzen sein, ihm den Weg für seine Arbeit ebnen konnte.“ 184 Es scheint zumindest zweifelhaft, dass Architektinnen dieser Generation in der Familie ein adäquates Auf- gabenfeld sahen, zumal der Wechsel von der Er- werbsarbeit zu einem unbezahlten Aufgabenbereich an die Sicherung der materiellen Existenz gekoppelt blieb. Allerdings ist häufig über die konkreten Um- stände dieser Entscheidungen, die Attraktivität der jeweiligen beruflichen Position und die politischen Haltungen zu wenig bekannt, um diese Entscheidun- gen ausschließlich als Hinwendung zur Hausfrauen- rolle interpretieren zu können. Ebenso wie Berufsaffinität und reale Erwerbsmöglich- keiten lediglich mittelbar korrelieren, lässt sich keine eindeutige Relation zwischen beruflicher Kontinuität und politischer Heimat ehemaliger Tessenow- und Bauhausstudentinnen festmachen. Im konservative- ren Lager gelingt es Architektinnen jedoch häufiger, tätig zu werden und zu bleiben. Hier zeigt sich das Berufsfeld manches Mal durchlässig, gelingt es ein- zelnen Architektinnen immer wieder, Zugänge zur Profession zu finden. Im Unterschied dazu finden selbständig agierende Architektinnen im progressiven Spektrum kaum Anknüpfungspunkte oder Freiräume. Hier verlaufen - wie wir bereits während der Ausbil- dung gesehen haben - Gruppenbildungen besonders scharf entlang der Geschlechtergrenze. Und auch im Berufsleben folgen progressive Akteure offenbar die- ser ‘Logik’. Wenn sich Architektinnen nach 1945 über Familien- fragen äußern, vertreten sie häufig traditionelle Hal- tungen. „Die Frau und der Architekt“ überschreibt die Innenarchitektin Else Osterloh die Einleitung einer 1951 im Auftrag des Beirats für Bauforschung beim Bundesministerium für Wohnungsbau herausgegebe- nen Broschüre. In diesem Kapitel lernen wir, dass der Mann einen derberen Knochenbau hat, sein Schwer- punkt tiefer gelagert ist und er selbst beim allerbe- sten Willen niemals die volle Auswirkung der Haus- frauenarbeit an sich selbst kennenlernen kann.185 Die Autorin gibt sich selbst nicht als Fachfrau zu erken- nen. Sie hält an der traditionellen Rollenverteilung fest und fordert, dass „das Fachwissen des Architek- ten ergänzt wird durch die praktische Erfahrung der Hausfrau“.186 Ähnlich hatte Marie Elisabeth Lüders bereits 1930 auf einer wohnungswirtschaftlichen Ta- gung gefordert: „Der Architekt muß wissen, wie die Menschen leben, für die er baut. Er muß wissen, daß es Menschen gibt, die Kinder besitzen (..), daß es Aufgabe der Frau ist, ihre Kinder zu betreuen.“ 187 Im Unterschied dazu schließt Lotte Tiedemann in der Schlussbetrachtung ihres auf Anregung des Frauen- referates im Bauministerium 1956 entstandenen Bu- ches „Menschlich Wohnen“ nicht aus, dass mehrere Mitglieder der Familie, einschließlich der Frau, er- werbstätig sind. Lediglich: „Im Gegensatz dazu wird die Mutter kleinerer Kinder diese, wenn nicht eine Zwangslage vorliegt, selbst betreuen, sie ist damit an Haus und Wohnung gebunden.“ 188 Auch die frauenpolitisch engagierte Wera Meyer-Wal- deck, selbst ledig und kinderlos, hält 1957 an dieser traditionellen Rollenteilung fest.189 Im Amtlichen Kata- log der Interbau erläutert sie, dass ’das Wohnen in der Stadt von morgen’ „aus räumlichen Gründen“ auf die Familienwohnung „als Voraussetzung für ein ge- sundes Familienleben“ beschränkt sei. Neu ist, dass der Mann in der von ihr entwickelten Wohnung, so er „das Kochen liebt, (..) sich in einer Barküche diesem Hobby widmen“ kann.190 Die „Hauptfunktion“ der ei- gentlichen Küche - so Meyer-Waldeck – „sollte sein, die Familie zu verbinden“. Hier hält die Frau den „na- türlichen Kontakt“ zum Kind aufrecht, dessen Ent- wicklung durch die Berufstätigkeit der Frau geschä- digt zu werden droht.191 Auch wenn Meyer-Waldeck den hohen Individualisierungsgrad betont und unkon- ventionelle Vorstellungen - wie das Schlafen „auch im Freien“ im Hochbau - zeigt, die von ihr konzipierte Schau zielt nicht auf eine Neuorientierung traditionel- ler Rollen. „Es war ihr Anliegen den Frauen bewußt zu machen, daß sie mit Kenntnis und einem Gefühl für Qualität und Form einen wesentlichen Beitrag zu verbesserten Wohnverhältnissen leisten könnten“, schreibt Elisabeth Landgraf 1966 im Nachruf.192 Und 1980, damit noch einmal zwei Jahrzehnte spä- ter, beharrt die jahrelang alleinerziehende Fridel Vogel noch weit entschiedener: „Ich bin bemüht, den 180 Vgl. FN 3. „1932 und 1936 werden ihre beiden Söhne geboren (..) Während der Nazizeit, interpretiert sie ihre damalige Situation heute, sei sie als Ingenieurin froh gewesen, sich unbemerkt als Hausfrau und Mutter zurückziehen zu können“, zitiert Fuchs die Elektrotechnikingenieurin Ilse Knott ter Meer (geb. 1899). Fuchs, 1994, S.119. Auch die Metallgestalterin Marianne Brandt „zieht sich in einen familiären Aufgabenkreis in Chemnitz zurück“, als die Ruppelwerke 1932 auf ihre weitere Mitarbeit verzichten. (Neumann, 1985, S.157) 181 „Wissen Sie, ich gehöre eben doch einer sehr viel älteren Gene- ration an.“ Fuchs, 1994, S.160, Interview mit Annelise Eichberg 182 Helmut R.Leppien Brief vom 20.9.1999. „Ihre Weberei sah sie nie als Kunst an (sie hätte jetzt wohl ‘Kunscht’ gesagt), sondern als Handwerk, das sie nicht nur zum Geldverdienen betrieb.“ 183 Kaupert, Werner: Eine ideale Lebens- und Schaffensgemein- schaft, in: Lindauer Zeitung, 7.9.1974 184 Bloch, 1981, S.153 - „Aber ich hatte auch mein Eigenleben, ge- prägt durch Beruf und Politik. Ernst hatte völliges Verständnis für mich.“ 185 Osterloh, Else: Frauenwünsche im Wohnungsbau, Berlin, 1951, S.3 186 Ibid. S.26 187 Lüders, Marie Elisabeth: Statement während der Diskussion zum Thema „Die sozialpolitische Bedeutung der Wohnungswirt- schaft in Gegenwart und Zukunft“, in: Verband für Wohnungs- wesen (Hg.): Wohnen und Bauen, Frankfurt/M.,1930, VI/VII, S.229 188 Tiedemann, Lotte: Menschlich wohnen, Bonn, 1956, S.168 189 Meyer-Waldeck engagiert sich in internationalen Frauenverbän- den und im Deutschen Frauenring, schreibt aber auch bspw. ei- nen enthusiastischen Artikel über ihren Besuch des solarenerge- tischen Versuchsgebäudes von Maria Telkes. 190 Für dieses männliche Hobby offeriert die „Wohnung von mor- gen“ im Wohnbereich eine repräsentative Kochmöglichkeit 191 Meyer-Waldeck, Wera: Das Wohnen in der Stadt von morgen, in: Internationale Bauausstellung Berlin (Hg.): Amtlicher Katalog der Interbau, Berlin, 1957, S.342-345 192 Landgraf, Elisabeth: Wera Meyer-Waldeck verstorben, in: Das Werk, Nov./Dez.1964, S.11 Berufsverläufe und Lebenswege 291 Menschen eine Wohnsituation zu bieten, in der (..) vor allem die Familie tatsächlich noch eine Einheit ist. Ich will nicht, daß die Frau in die Küche abserviert wird (..) Die Küche ist bei mir ein Raum, in dem die Frau der Mittelpunkt ist. Sie muß sich, auch während sie dort arbeitet, mit ihren Kindern beschäftigen können, und für sie da sein. Ich glaube, daß wir nur so aus den Schwierigkeiten mit der Jugend wieder heraus- kommen können.“ 193 Ganz im Zeitgeist einer Refamiliarisierung nach den Schrecken des zweiten Weltkrieges erleben bürger- lich-konventionelle Vorstellungen in Deutschland nach 1945 eine Renaissance. In der öffentlichen De- batte schimmern Frauenthemen lediglich als Aspekte von Familienthemen durch. Frauenpolitische Initiati- ven beschränken sich darauf, Wohnungen resp. Kü- chen - als Refugium der Frau - mit Hilfe hauswirt- schaftlicher Kriterien zu bewerten. Und soweit sich Architektinnen an dieser Debatte beteiligen, reprodu- zieren auch sie konservative Rollenbilder für Frauen. Eine der ganz wenigen, die die Familie als Wohnform auch kritisch beleuchtet ist Grete Meyer-Ehlers. Sie führt ab den fünfziger Jahren im Auftrag des Bundes- ministeriums für Wohnungsbau mehrere Untersu- chungen zu Arbeitsergonomie, Grundrissgestaltung und Wohnungsausstattungen durch. Sie dokumen- tiert und analysiert - u.a. bei den Neubauten der ‘In- terbau’ - die räumlichen Festschreibungen familiärer Rollen und Hierarchien und lenkt den Blick auch auf veränderte wie kollektive Wohnformen.194 1912 hatte Fia Wille, selbst Mutter mehrerer Kinder, die Unabhängigkeit und Freiheit für Frauen durch be- rufliche Tätigkeit betont, Margarete Bernhard gar vom „Glück zielbewußten Strebens“ gesprochen: „Wir Frauen aus der Generation, die sich eine systemati- sche Berufsausbildung noch erkämpfen mußte (..), fühlen es besonders stark, daß nicht nur am Koch- herd Frauenwerte geprägt werden können.“ 195 Knapp zwanzig Jahre später heisst die Forderung an die moderne Frau: „Sie muß weiblich sein und energisch und selbständig (..) Kinder? Natürlich auch Kinder! Zwei zumindest. Gerade als Mutter beweist sich die moderne Frau.“ 196 Führte die Eheschließung zu Beginn der Weimarer Republik noch häufig dazu, dass Frauen ihr Studium abbrachen und blieb der Verzicht auf eine eigenstän- dige Berufsperspektive konditional an den Status- wechsel von der Bauhausstudentin zur Meistergattin gekoppelt, so waren im Laufe der zwanziger Jahre zuneh-mend weniger Architektinnen bereit, mit einer Heirat die Reißschiene an den Nagel zu hängen und den Statuswechsel zur bürgerlich-repräsentativen Gattin zu vollziehen. Insbesondere TH-Studentinnen suchten i.d.R. nicht die klassische Versorgerehe. Sie selektierten potentielle Partner nach deren Akzeptanz eines eigenen beruflichen Engagements. Während etliche Bauhausstudentinnen mit der Heirat den sichtbaren Rückzug in familiäre Rollen vollzogen, gaben Tessenowstudentinnen die beruflichen Ambi- tionen in aller Regel nicht auf. Um die materielle Ba- sis dieser Partnerschaft wie einer geplanten Familie bestmöglich zu sichern, schlagen sie in aller Regel pragmatisch jenen Weg ein, der in einer geschlech- terhierarchischen Gesellschaft vorgezeichnet ist: Die Architektin, die auch Mutter sein möchte, stellt ihre beruflichen Ambitionen – wenn auch nur vorüberge- hend – zurück. Die Crux dieser Frauengeneration be- steht offenbar darin, dass sie sowohl als Töchter wie als Gattinen nicht aus traditionellen Rollenerwartun- gen entlassen wurden.197 Architektinnen, die die Kon- flikte familiärer Trennung scheuen resp. selbst kon- servative Grundhaltungen vertreten, nehmen bei Mut- terschaft jene traditionelle Frauenrolle an, die eine Berufstätigkeit obligatorisch ausschließt und eine Rückkehr in das Berufsfeld nicht fördert. Während manche Architektinnen - sowohl angestellt wie freibe- ruflich tätige - trotz Mutterschaft berufstätig bleiben, kehren Architektinnen, die sich jahrelang auf die För- derung der Kinder konzentriert haben, nur ausnahms- weise in das Berufsfeld zurück. Die ganz überwiegende Mehrzahl der Architekturstu- dentinnen der Weimarer Republik ist in der eigenen Lebensplanung auf eine Balance zwischen Beruf und Familienleben bedacht: Sie favorisiert die Ehe als Le- bensform und eine Familiengründung mit zwei bis drei Kindern. Eine eindeutige Berufspriorität unter Verzicht auf eine Eheschließung resp. eigene Familie ist in dieser Generation ebenso selten zu finden wie der Wechsel zur ausschließlichen Familienpriorität.198 Und manche Biografie zeigt, dass vereinzelt auch ein Leben jenseits von Ehe und Zölibat, außerhalb fami- liärer Erwartungen, gewagt und gelebt wurde. Den- noch ist bei der Mehrzahl der verheirateten Architek- tinnen der deutlichste Bruch der Erwerbsbiografie zum Zeitpunkt der Übernahme der sozialen Mutter- schaft zu verzeichnen, obschon die Familienarbeit nur bei einem Viertel der Architektinnen zum ultima- tiven Ausscheiden aus dem Berufsfeld führt, ehema- lige Bauhausstudentinnen mehrheitlich in eine Be- rufstätigkeit und Tessenowdiplomandinnen mehr- heitlich ins Berufsfeld zurückkehren. Selfmade-Women in a Man-Made World? Offenbar entscheidet innerhalb der Architektur das Geschlecht über den Berufsstatus und damit über 193 Efa: „Jeder Architekt hat seine ganz eigene ‘Handschrift’“, Sie- gener Zeitung vom 11.7.1980 194 Meyer-Ehlers, Grete: Wohnung und Familie, Stuttgart, 1968; aber auch: Kollektive Wohnformen. Erfahrungen, Vorstellungen, Raumbedürfnisse in Wohngemeinschaften, Wohngruppen und Wohnverbänden, unter Mitarbeit von Meinhold Haußknecht und Sigrid Rughöft, Wiesbaden, 1973. 195 Bernhard, Dr. Margarethe: Wie erzielen wir Qualitätsarbeit der Frau im Handwerk?, in: Bäumer, Gertrud (Hg.): Sämtliche Vor- träge Frauenkongreß Berlin 27.2.-2.3.1912, Berlin, 1912, S.107ff., dort S.111 196 Die Dame, 1930, H.21 zitiert nach Bock/Koblitz (Hg.): Neue Frauen zwischen den Zeiten, Berlin, 1995, S.290 197 Die berufliche Laufbahn Maria Gaisers, die nie sichtbar im Be- rufsfeld auftaucht, scheint primär an den Erwartungen ihrer El- tern zu scheitern. Nachdem sie mit ihren Eltern 1943 nach Tett- nang umgesiedelt war, soll Maria Gaiser den elterlichen Haus- halt geführt, die Eltern gepflegt haben. Ehrenamtlich soll sie ihre Kompetenzen nach dem Tod der Eltern im Rahmen der katholi- schen Kirche zur Verfügung gestellt haben. 198 Einen solchen Wechsel zur Familienpriorität beschreibt bspw. die 1912 geborene Irene Henselmann [geb. von Bamberg]. in: Meine große Familie, Berlin, 1995. 292 Vom Auftauchen und Verschwinden “Die Architektin”, Ullsteinbild, 1938 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar mögliche Etablierungen, wobei männliche Attributiva konstitutiv, weibliche Attribuierungen statusmindernd wirken. Und es scheint kaum Schwellen für Statusdi- minuierungen in Form ‘verweiblichender’ Zuschrei- bungen zu geben. Konstituiert sich der Status Archi- tektin in der Selbstwahrnehmung primär über die Affi- nität zum Berufsfeld und nur sekundär über Zuschrei- bungen, die perpetuiert oder abgelehnt werden, so spielt bei der Fremdwahrnehmung - im Wortsinn des Klischees - die sichtbare Übereinstimmung von Per- son und Projektion die entscheidende Rolle. Dement- sprechend sind es weder formale Qualifikationen noch tatsächliche Kompetenzen, sondern zuallererst visuelle Plausibilitäten, anhand derer eine Unterschei- dung zwischen ‘Architekt’ und ‘Architektin’ immer wieder neu getroffen wird. Offensichtlich sperren sich Kollegen, Berufsverbände, Fachpresse und auch Auf- traggeberInnen gegen eine Wahrnehmung von Archi- tektinnen als Professionals. War den ersten Architek- tinnen während der Kaiserzeit öffentliche Aufmerk- samkeit zuteil geworden, so trat mit der Zunahme von Architektinnen während der Weimarer Republik keine ‘Geschlechternormalität’, sondern ein Prozess der Nicht-Wahrnehmung oder Ausblendung in Kraft, auch wenn es für Bürochefs vorübergehend en vo- gue ist, eine Architektin einzustellen.199 Ute Georgeacopol-Winischhofer stellt bei der Ana- lyse der Berufswege freiberuflicher Architektinnen, die ihr Studium zwischen 1917 und 1946 an der TH Wien absolviert haben, fest: „Der Lebensgang dieser (..) Frauen beweist zweifellos ihre Berufung zur frei- schaffenden Architektin. (..) Die Zielstrebigkeit, mit welcher jede von ihnen den eingeschlagenen Weg verfolgte, war Voraussetzung für ihre erfolgreiche Karriere.” 200 Anhand der zur Beschreibung beruflicher Ambitionen höchst trügerischen Parameter ‘Beru- fung’ und ‘Zielstrebigkeit’ gelingt es ihr nur bei einem Bruchteil der ehemaligen Architekturstudentinnen der TH Wien, diesen Beweis einer „Berufung zur frei- schaffenden Architektin’ führen.201 Denn ebenso wie dem Berufsbild sind den Begriffen ‘Zielstrebigkeit’ und ‘Durchsetzungsfähigkeit’ all jene Rahmenbedin- gungen eingeschrieben, die im Selbstverständnis ge- schlechterhierarchischer Sozialisationen, Familien-, Ausbildungs- und Gesellschaftsstrukturen erst regel- mäßig hergestellt werden. Bei der Analyse der Berufswege der Architekturstu- dentinnen der Weimarer Republik wird deutlich, dass die berufliche Etablierung weit deutlicher ein Ergebnis sozialer Prozesse als eine mögliche Folge persönli- cher Kompetenzen ist. Denn auch wenn sie für sich Geschlechtergleichheit reklamierten, zielstrebig und erfolgreich studierten: Die Rahmenbedingungen, die auf der Kehrseite der Geschlechterhierarchie als Pri- vilegien produziert werden, konnten sie für sich nicht in Anspruch nehmen. So zeigt sich die ‘Durchset- zungsfähigkeit’ weniger als persönliche Fähigkeit denn als ‘gendered process’ innerhalb einer Pla- nungshierarchie, in der vergleichbare fachliche Kom- petenzen nicht zu vergleichbaren Erfolgen bei der Durchsetzung führen. Denn welche Strategie die je- weilige Architektin auch wählt, um sich durchzuset- zen, vergleichbare Ergebnisse zu erzielen: Sie ist im Unterschied zu den Kollegen gezwungen, den Status eines weisungsberechtigten Geschlechtswesens mit Hilfe ‘ungleicher’ Strategien erst herzustellen, so bspw. im direkten Umgang mit den Bauausführen- den. Was in gleichgeschlechtlichen Hierarchien - männliche Planer kontrollieren männliche Ausfüh- rende - als der Sache dienlich gilt, stellt im heterose- xuellen Kontext offensichtlich die Hierarchie des Ge- schlechterverhältnisses - „die Beibehaltung der bis- herigen Ordnung und bewährten Sitte“ 202 - in Frage. Auch wenn zahlreiche Architektinnen versuchen, die- se Statusdifferenz in der Außenwahrnehmung durch individuelle Ambitionen oder Eigenschaften zu kom- pensieren203, so erweist sich diese Hoffnung i.d.R. als trügerisch. Irmgard Déspres berichtet 1935 optimi- stisch: „Es gibt jedenfalls genug Architektinnen, die (..) die besten Erfahrungen gemacht haben.“ Aber auch sie räumt ein, dass es für Frauen „vorläufig lei- der noch ganz andere Schwierigkeiten zu überwinden [gelte] als für den Mann, da die Arbeiter nicht daran gewöhnt sind, sich von Frauen etwas sagen zu las- sen.“ 204 Anhand der Berufsstrategien haben wir gesehen, wie eng die Etablierung an ein Zusammenspiel von Fä- higkeiten und Rahmenbedingungen geknüpft ist. Hierzu zählt neben der Fähigkeit auch die Möglich- keit, das Vertrauen potentieller AuftraggeberInnen ge- winnen zu können. Denn i.d.R eröffnen erst Realisie- rungen die Chance einer Etablierung als ‘professio- nal’. In der Architektur werden diese individuellen Rahmenbedingungen sowohl durch kollegiale wie durch familiäre Netzwerke hergestellt. „Ich habe im Städtebau nicht allzu viel Aufgaben gehabt, obwohl ich es gern gemacht hätte, aber da haben wohl mei- ne Aktivitäten und Beziehungen nicht ausgereicht“, resümiert Herta Hammerbacher.205 Sie thematisiert damit, dass in unterschiedlichen Berufssegmenten weniger unterschiedliche Kompetenzen als unter- scheidbare ‘Beziehungen’ - Netzwerke wie Strategien - für die Auftragsvergabe ausschlaggebend sind. Denn dem Netzwerk kommt neben der Funktion einer intellektuellen Plattform die der gegenseitigen ökono- mischen Absicherung zu. Als „existentiell wichtig“ bezeichnet bspw. Hans Scharoun im Rückblick „die Zeit der großen und fördernden Freundschaften - mit Bruno Taut, Hugo Häring, Gropius, Bartning, Mies van der Rohe und vielen anderen“.206 Vergleichbar große resp. fördernde Freundschaften zwischen 199 So erinnert Ida Falkenberg, dass J.J.P.Oud sie Mitte der zwanzi- ger Jahre als Mitarbeiterin anstellte, da er ihre Bewerbung per Telegramm so ‘modern’ fand. (Stichting Vreemde Architecten (Hg.): 2 x 6 NL architectes, Amsterdam, 1999, o.S., Bl.64) Ähn- lich erinnert Rahel Bontjes van Beek ihre Einstellung bei Erich Mendelsohn. (Schemme, 1990, S. 86) 200 Georgeacopol-Winischhofer in: Mikoletzky et.al., 1997, S.190 201 Georgeacopol-Winischhofer stellt Biografien von 17 ehemaligen Architekturstudentinnen vor, wobei die Erste ihr Studium 1917/ 18, die Letzte zum WS 1942/43 ihr Studium begann. Insgesamt weist sie für diesen Zeitraum fast 230 Studentinnen nach. Den Beweis einer erfolgreichen Karriere führt sie anhand von Helene Roth, Brigitte Kundl, Lionore Perin und Helene Buchwieser. 202 Erste Forderung des „Deutschen Bundes zur Bekämpfung der Frauen-Emanzipation”. Vgl. Aufruf zum Beitritt wie bspw. abge- druckt im Reichsboten vom 8.6.1912. 203 „Ich wurde nicht umsonst von meinen Freunden Frau Gründlich genannt.“ - Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995 204 Déspres, Irmgard: Die Architektin, in: NS Frauenwarte, Nr.15, 1934/35, S.471 - LA /LI NS5/VI / 7102, Bl.71. 205 Jachmann, Christine: Herta Hammerbacher, in: Architektinnenhi- storie, 1984, S.50 206 Hoh-Slodczyk, Christine: Neues Bauen, in: Hoh-Slodczyk et.al. (Hg.): Hans Scharoun, München, 1992, S.16 - Hoh-Slodczyk zitiert hier eine Aussage Scharouns aus „Bauen und Leben“ in: Bauwelt, 1967, H.6/7, S.154 Berufsverläufe und Lebenswege 293 Fridel Vogel Anfang der 60er Jahre Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Architektinnen fanden wir nicht.207 Wie ausschlaggebend - wenn nicht entscheidend - Netzwerke und Statusdistribution innerhalb der Ar- chitektur sind, zeigt sich besonders eklatant, wenn mensch die gebotenen Chancen im direkten Ver- gleich betrachtet, so bspw. zwischen Lotte Beese und Mart Stam oder Hilda Harte und Wils Ebert. Denn während Stam nach abgeschlossener Zeichen- lehrerausbildung, temporärer Mitarbeit in bekannten Architekturbüros und zweijähriger Publikationstätig- keit im Alter von 27 Jahren 1926 seinen ersten Archi- tekturauftrag erhält, werden der vier Jahre jüngeren Lotte Beese - ebenfalls nach Mitarbeit in nicht minder bekannten Architekturbüros im Alter von 37 Jahren 1940 nicht einmal bisherige Studiensemester aner- kannt. 208 Mart Stam, der lediglich als Mitarbeiter Ar- chitektur studiert hat, wird in unmittelbarer Folge der ersten Aufträge 1928 Gastdozent am Bauhaus und 1939 Direktor der Amsterdamer Kunstgewerbeschule. Er bleibt auch in Krisenzeiten anerkannter Architekt, während der ebenfalls fachjournalistisch tätigen Lotte Beese eine Rückkehr ins Berufsfeld nur nach Absol- vieren eines erneuten Architekturstudiums gelingt. Noch eklatantere Diskrepanzen beim Realisieren von Statusgewinnen werden im Nachkriegsdeutschland sichtbar. 1945 wird Hilda Harte Leiterin des Prü- fungsamtes für Baustatik beim Magistrat, Wils Ebert Leiter des dortigen Hauptamtes für Planung. Harte macht sich nach wenigen Jahre als Statikerin selb- ständig. Ebert kann ab 1946 kann er freiberuflich Auf- träge realisieren, 1947 wird er sowohl Assistent von Hans Scharoun an der TU als auch außerordentlicher Professor an der HfBK.209 Bereits 1934 hatte Gropius bei seinem Weggang nach England nicht die seit 1930 in seinem Büro mitarbeitende, inzwischen diplo- mierte Harte sondern den drei Jahre jüngeren, seit 1933 bauhausdiplomierten Ebert mit der Wahrneh- mung seiner Interessen beauftragt und ihm damit „ein bescheidenes Einkommen garantiert“.210 Wäh- rend des Nationalsozialismus waren sowohl Harte wie auch Ebert im Rahmen der wertschaffenden Ar- beitslosenhilfe beim Ingenieurdienst der deutschen Gesellschaft für Bauwesen beschäftigt. Im Verlauf der ersten, wie insbesondere der für die Etablierung so wichtigen folgenden Berufsjahre von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik ist zu beobachten, was bei der Mehrheit der Bauhausstu- dentinnen schon während des Studiums sichtbar wurde: Dass ohne Resonanz resp. Bestätigung von Fähigkeiten und Interessen das Selbstbewusstsein der Architektinnen erodiert. Führten manches Mal be- reits Hindernisse beim Kompetenzerwerb und das Verweigern formaler Qualifikationen zu eindeutigen Professionalisierungsnachteilen, so bot auch das Berufsfeld dieser Architektinnengeneration kaum die Aussicht auf eine eigenständige, tragfähige Existenz. Und die anhaltende Erfolglosigkeit im Fach zeigt deutlichen Einfluss auf die Selbstwahrnehmung, was allerdings häufig als individuelles Schicksal darge- stellt wird. „Mich selbst hat das Schicksal einige Jah- re nach dem Ende des Bauhauses in Berlin von mei- nem Beruf getrennt. 1939 vor Beginn des Krieges ha- be ich in Wien geheiratet und mich fast 20 Jahre nicht mehr architektonisch betätigt, geringfügige Auf- träge ausgenommen. (..) Um in ein Architekturbüro zu gehen, fehlt es mir nicht nur an Zeit (..) sondern auch an Können. 20 Jahre Heraussein ist nicht mehr auf- zuholen“, schreibt Annamaria Mauck Ende der sech- ziger Jahre.211 Alma Buscher-Siedhoff zog sich um 1942 deprimiert aus der Entwurfstätigkeit zurück. „Etwas in ihrem Innern scheint ab dieser Zeit ihre schöpferische Kraft endgültig zu blockieren.“ 212 Im Möbelbau, dem Gebiet, das sie sich am Bauhaus mühsam erkämpft hatte, „ist die Zeit noch nicht reif, die Arbeit von Frauen und Männern nicht nach Ge- schlecht, sondern nach Qualität zu beurteilen.“ 213 Und so selbstverständlich die begeisterte Dozentin Lila Ulrich nach der Heirat berufstätig bleibt: Sie ver- zweifelt nahezu daran, dass sie nach der Geburt der Tochter nicht mehr als Dozentin gefragt ist, und ihr Status als ‘ver-orgte’ Ehefrau eine Beauftragung als Entwerferin keinesfalls befördert. Sie beginnt an De- pressionen zu leiden, malt auch weiterhin und gibt in späteren Jahren privaten Malunterricht. War es ein Ziel der Lebensplanung von Architektur- studentinnen der Weimarer Republik, eine akzeptierte Berufsfrau in einem akzeptablen Beruf zu werden, so stand dies bereits während des Studiums allzu häufig in einem Spannungsverhältnis zu Fremdwahrneh- mungen. Dementsprechend erwies sich das Terrain der Selbstdarstellung als Minenfeld, auf dem weder das Streben nach Superiorität noch der Verzicht auf jegliche Selbstdarstellung zu der gewünschten Ak- zeptanz als Fachfrau führt. Auf die Frage, was und wie sie denn gebaut habe, antwortet die ehemalige Tessenow-Studentin Klara Küster mit einer Liste, der von ihr projektierten und betreuten Projekte am Hochbauamt Steglitz und führt zu den Wiederaufbauprojekten aus: „Die Instandset- zung erfolgte mit Hilfe von verwendbarem Trümmer- material. Trotz beschränkter Möglichkeiten wurde sich um annehmbare Gestaltung bemüht.“ 214 Hier tritt eine Architektin nicht als selbstbewusste Gestalterin in Erscheinung, sondern - entsprechend dem Tesse- nowschen Diktum - hinter ihren Bauten zurück. Auch Kattina Both soll ihre Bauten nicht erwähnt haben.215 Sich selbst als Verliererinnen des Geschlechterdis- kurses wahrnehmend unternahmen Architektinnen - unterschiedlicher politischer Couleur - manches Mal 207 Nur in seltenen Fällen sind sie Mitglieder informeller Netzwerke, wie dies bspw. Meyer-Waldeck für die dreißiger Jahre in Berlin erinnert:. „Außerdem hatten wir Bauhäusler in Berlin immer Kon-takt miteinander, sodass wir uns gegenseitig Mut machen konn-ten.“ DAM, NL Meyer II 4(10) 81/2-847 Brief Wera Meyer- Wal-deck an Hannes Meyer vom 9.8.1947 208 Stam hatte zwischen 1922 und 1925 jeweils mehrere Monate bei Granpré-Molière in Paris, Werner von Walthausen und Max Taut in Berlin, Karl Moser in Zürich und Arnold Itten in Thun ge- arbeitet, bevor er 1926 für zwei Jahre Mitarbeiter bei Brinkmann & v.d.Vlught in Rotterdam wurde. Er publizierte seit 1923, gab ab 1924 die Zeitschrift ABC heraus und wurde am 5.11.1926 von Mies van der Rohe eingeladen, sich an der Weissenhofsied-lung in Stuttgart zu beteiligen. 209 Günther, Sonja: Wils Ebert, Berlin, 1993, S.15 210 Wolsdorff, Christian: Die Schönheit des Gebrauchsgeräts, in: Günther, 1993, S.127 211 Brief Mauck an Adler, undatiert, (um 1967), BHAB 1997/26.185. Vgl. Biografie Wilke 212 Will, Cornelia: Alma Siedhoff-Buscher - Entwürfe für Kinder am Bauhaus in Weimar, Ausstellungskatalog, Velbert, 1997, S.65 213 Ibid., S.54 214 Klara Küster im Schreiben vom 5.12.1997 215 Waltraud Windfuhr, die mit ihrer Familie in Kassel 23 Jahre lang bei Both zur Untermiete wohnte, erinnert, dass das Haus innen „nach Bauhausstil ausstaffiert” war. Both habe ihr ein Buch über eigenwillige Möbel Marcel Breuers geliehen, jedoch nie erwähnt, dass das Haus im Kaupertweg 3 von ihr entworfen worden sei. Gespräch mit Waltraud Windfuhr am 24.9.1995 in Kassel 216 So stilisiert sich Emilie Winkelmann zur ersten Architektin welt- weit, auch wenn dafür alle Kolleginnen zu „bestenfalls Zeichne- rinnen“ gemacht werden müssen. Margarete Schütte-Lihotzky sieht sich ggf. als erste Architektin Österreichs, auch wenn die ihr bekannte Elisabeth Nießen drei Jahre früher dieselbe Ausbil- dung absolvierte und die ihr ebenfalls bekannte Ella Briggs vor ihr das Studium aufnahm und früher Bauten realisieren konnte. So legte Lucy Hillebrand Wert darauf, jüngstes Werkbundmit- glied gewesen zu sein. Fridel Vogel betont noch in den siebzi- ger Jahren die Pionierleistung ihres Studiums und Martha Boll- dorf-Reitstätter unterschlägt die jüdischen Kolleginnen, wenn sie behauptet, die erste akademische Architektin Österreichs gewesen zu sein. 294 Vom Auftauchen und Verschwinden auch die Gratwanderung einer Selbstdarstellung zwi- schen ‘extraordinärer’ Frau und ‘extraordinärem’ Ar- chitekt. Dies vergrößert die Distanz zu KollegInnen und führt zuweilen zu grotesken Selbstdarstellun- gen.216 Und angesichts konfligierender Rollenerwar- tungen sucht manche Architektin die Not des Legiti- mationsdrucks zu einer Tugend der Person zu trans- formieren, erhebt ‘weibliche Probleme des Bauens’ zum Programm und hofft, als Expertin für eben diese Probleme ein geschlechtsexklusives Aufgabenfeld zu finden. Hatten einzelne Architektinnen der ersten Generation mit Kolleginnen kooperiert, so finden wir solche Ko- operationen unter den Architekturstudentinnen der Weimarer Republik nur noch ganz selten.217 Weit häu- figer scheint das Verhältnis zwischen den wenigen Architektinnen und Architekturstudentinnen verschie- dener wie gleicher Generationen während der Wei- marer Republik von mangelnder Kollegialität und Konkurrenz geprägt. Stellte Ella Briggs in einem Sachartikel die Frankfurter Küche „der Architektin Lihotzky“ dar218, so zeigt Mar- garete Schütte-Lihotzky in ihrem Artikel „Volkswoh- nungsbau in Wien“ eine Abbildung des „Pestalozzi- Hofes“ von Ella Briggs, würdigt ihn und die Architek- tin jedoch keiner Erwähnung. Sie betont vielmehr: „Ich, als die jüngste, bekam 40 Wohnungen zu bau- en.“ 219 Eine befremdliche Selbstdarstellung wählt bspw. auch Emilie Winkelmann, wenn sie 1950 retro- spektiv nicht die Qualität oder Quantität ihrer Bauten, sondern ihre Einzigartigkeit als Frau betont, und dafür - wider besseres Wissen - alle in- wie ausländischen Kolleginnen als „Kunstgewerblerinnen“ und „Möbel- zeichnerinnen“ eingruppiert.220 Auch sie, deren Lauf- bahn wie Schaffen herausragend waren, die partei- isch für und mit Frauen baute, bemüht bei der Kon- struktion ihrer Bedeutung die Hierarchisierung inner- halb des Geschlechts. Auch Architektinnen, die während der Weimarer Re- publik studiert haben, wählen in Selbstdarstellungen oft den Vergleich mit Kolleginnen oder Frauen. Lucy Hillebrandt betont, „als jüngstes Mitglied“ in den Deutschen Werkbund aufgenommen worden zu sein, und Fridel Vogel reklamiert 1980 rückblickend ihren besonderen Mut, da bereits die Aufnahme eines In- genieurstudiums „vor dem Krieg noch fast eine Pi- oniertat“ gewesen sei.221 „In all den Jahren habe sie so vertieft gearbeitet, daß sie praktisch nicht wahrge- nommen habe, ob es außer ihr noch weitere Archi- tektinnen gebe“, wird Rahel Bontjes van Beek zi- tiert.222 Und Martha Bolldorf-Reitstätter, die gleichzei- tig mit Bánki im Atelier Holzmeisters arbeitete, erin- nert sich erst auf wiederholte Nachfrage, dass diese dort „wie viele andere auch zeitweilig als Volontärin unbezahlt tätig war“ und „bald wieder abfuhr“.223 Auch bei Architektinnen ist - jenseits persönlicher Freundschaften - das Nicht-Wahrnehmen resp. Nicht-Kennen von Kolleginnen ein gängiges Wahr- nehmungsmuster. Und manches Mal zeigen sich hier ebenso elitäre wie konkurrenzierende Züge. 224 Edith Glaser hat anhand der Auronarrationen von Lehrerinnen beobachtet, dass diese „sich nicht als Akteurinnen ihrer Biographien verstehen, (..) keiner retrospektiven Illusion über die Selbstgestaltung ihres Lebens aufsitzen, sondern (..) darstellen, daß andere ihr Leben gestaltet haben.“ 225 Sie stellte die These auf, dass Studentinnen während der zwanziger Jahre - im Unterschied zur Kaiserzeit - ein Studium nicht mehr primär als Zugang zu einem Beruf ergriffen hät- ten.226- Diese Hypothese reduziert die Studienmotiva- tion von Studentinnen der Weimarer Republik auf ei- ne standesgemäße Bildung zur persönlichen Hori- zonterweiterung, lässt sich für die Architekturstuden- tinnen jedoch nicht bestätigen. Ihre Hartnäckigkeit beim Erwerb beruflicher Qualifikationen wie ihre be- ruflichen Ambitionen machten deutlich, dass sie als Architektinnen tätig werden wollten, das Studium kei- neswegs als Übergangslösung bis zu einer Heirat be- trieben. Folgt Glasers These also lediglich jener Logik erfolgsorientierter Autonarrationen, bei der die eigene Berufsleistung an der der Kollegen gemessen, die Differenz zur ‘Normalerwerbsbiografie’ retrospektiv plausibilisiert wird? Anneliese Eichberg erliegt nicht der Illusion, dass ihr als eigenständiger Freiberuflerin - ohne die Zusam- menarbeit mit ihrem Architektengatten - manche Bauaufgaben, insbesondere Großbauten nicht anver- traut worden wären. Sie lässt jedoch keinerlei Zweifel aufkommen, dass sie auch ohne Architektengatten gebaut hätte: „Natürlich, ich hätte niemals ein Klini- kum gebaut. Ich hätte Wohnhäuser, Schulen, Kinder- gärten und solche Dinge gebaut.“ 227 Eichberg unterstellt damit, dass Aufgabenstellungen und Auftragsvergabe geschlechtsspezifisch besetzt sind und nur die Partnerschaft bspw. die Bauaufgabe Klinikum eröffnet, „diese technisch ausgesprochen schwierigen Sachen“. Andererseits erachtet sie rück- blickend eine eigene akademische Karriere als durch- aus möglich.228 Ähnlich selbstbewusst oder ironisch gibt Kleffner-Dirxen an, die Architektur seit ihrem 75. Geburtstag den Kollegen zu „überlassen“.229 Wie stark die Selbstdarstellungen fachspezifischen Mustern folgen, wird deutlich, wenn Karola Bloch le- diglich den selbständig ausgeführten Bau des Hau- ses Slochower in Maine (1939) ausführlich darstellt. Auch für Architektinnen sind „die schönsten Jahre” eindeutig mit „beruflichem Erfolg“ verbunden. So kommt Wera Meyer-Waldeck über ihre Jahre im In- dustriebau zu dem Urteil: „zurückschauend muss ich 217 Zu diesen seltenen Beispielen zählen Dicker, Meyer, Reiss und Ulrich. So betreiben Friedl Dicker und Anni Wottiz in den zwan- ziger Jahren in Wien gemeinsam ein Atelier. In Prag kooperiert Dicker bspw. mit Karola Bloch. - Winkelmann hatte bereits 1908 Praktikantinnen in ihrem Büro beschäftigt. Ob auch Schneider für Winkelmann arbeitete, ist bisher unklar. Liane Zimbler ko- operierte mehrfach mit Kolleginnen. Sie soll daneben bevorzugt Architektinnen angestellt haben, da sie deren Chancen als be- grenzt empfand. Lux Guyer arbeitete nach eigenen Angaben nach dem Diplom zunächst im Büro von Frommer, bevor sie sich selbständig machte. 218 Briggs, Ella: „Küche“, Sachartikel im Handwörterbuch des Woh- nungswesens, Jena 1930, S.449-451. Darin merkt sie an „Wir haben heute nur eine zu sehr ins Einzelne gehende Ausbildung (..) auszusetzen.“ 219 form + zweck, 1981, 2, S.38ff. Reprint in: Das Schicksal der Din- ge, Dresden, 1989, S.96-103, resp. dort S.101. Lihotzky lässt unerwähnt, dass von ihrem Entwurf schließlich nur die Loggien realisiert werden. Vgl. Plakolm-Forsthuber, 1994, S.263 220 „Vor mir hat noch keine Frau, auch keine Ausländerin, Architek- tur studiert. Die beiden französischen Architektinnen und die et- wa 100 in USA gleichzeitig mit mir waren Kunstgewerblerinnen, zeichneten, wie die deutschen Kunstgewerblerinnen, Interieurs, Möbel, Tapeten, Stoffe.“ Winkelmann 14.9.1950, abgedruckt in Schmidt-Thomsen: Frauen in der Architektur, in: UIFA (Hg.): Architektinnenhistorie, S.19 221 Vgl. zu Hillebrand bspw. Schmidt-Thomsen, 1984, S.29. – „Trotzdem war es vor dem Krieg noch fast eine Pioniertat als Mädchen ein Ingenieurstudium zu beginnen“ in (efa), Siegener Zeitung vom 11.7.1980 222 Schemme, 1990, S.88 223 Schreiben Bolldorf-Reitstätter v. 27.9.1995. Sie betont, dass sie als „bezahlte Mitarbeiterin leitend und hauptamtlich arbeitete.“ Deshalb würde es sie auch „wundern, wenn ich schlecht infor- miert wäre, da ich doch die ganze Zeit in der Akademie ein- und ausging.“ Vgl. auch Biografie Bánki. 224 So bleibt bspw. in Lihotzkys „Erinnerungen aus dem Widerstand 1938-1945“ die chilenische Architektin und Kollegin Inez Maier (geb.1907) gänzlich unerwähnt. Wie Lihotzky arbeitete Maier in Istanbul (im Büro Bruno Tauts) als Architektin, wie Lihotzky ar- beitete sie als Kommunistin ab 1940 im Widerstand in Öster- reich. Sie wurde 1943 ermordet. 225 Glaser, 1992, S.261 226 Glaser hat anhand badischer Studentinnen geisteswissenschaft- licher Fächer, sowie Medizinerinnen und Juristinnen Generatio- nenprofile herausgearbeitet und dabei konstatiert, dass sich die Studienmotivationen von Studentinnen der Weimarer Republik fakultätsübergreifend von denen der Studentinnen der Kaiserzeit deutlich unterscheiden lassen, Glaser, 1992, S.43 227 Fuchs, 1994, S.161. Eichberg übergeht die Frage: Machen Frau- en eine andere Architektur als Männer? 228 „Da hätte ich mich habilitieren müssen, natürlich, das wäre ge- gangen.“ Fuchs, 1994, S.157. Sich an der Münchener Architek- turfakultät zu habilitieren, gelang einer Frau erstmalig 1950 - vgl. Baur, Margarete: Bildstöcke in Bayern, ibid., S.246 229 Christa Kleffner-Dirxen im Brief vom 15.1.1998 Berufsverläufe und Lebenswege 295 sagen, dass es die schönsten Jahre meiner ganzen Berufszeit gewesen sind. Ich hatte auch Erfolg und Glück.“ 230 Paula Maria Canthal erinnert nach mehr als einem halben Jahrhundert die späten zwanziger Jah- re: „Diese Zeit war meine erfolgreichste Zeit. (..) Ich war 19 Jahre alt und heiratete einen 20jährigen Archi- tekten, mit dem ich schon auf der Kunstschule be- freundet war. (..) Ganz Berlin redete davon.“ 231 Manches Mal stellen sich Architektinnen dieser Ge- neration jedoch auch dann als Akteurinnen dar, wenn ihre beruflichen Ambitionen längst gescheitert sind. So erläutert Mauck, die ihre Berufstätigkeit mit der Heirat 1940 einstellt, auf die Nachfrage, ob sie sich weiterhin als Architektin hätte betätigen können: „Hätte ich, kam damals aber nicht in Frage, erstens Mal hatte ich die Zeit gar nicht dafür, und dann ha- ben wir damals noch ein Leben führen müssen, was man repräsentativ nannte. Also viel Geselligkeit, (..) Geschäftsbeziehungen.“ 232 Weiner gibt 1982 an: „Ich hatte Architektur studiert, aber habe das nicht fortgesetzt (..) Ich habe nur 3 Se- mester am Bauhaus studiert, da ich Deutschland ver- lassen habe und das Bauhaus geschlossen wur- de.“ 233 Und auch Lange, wählt in den fünfziger Jahr- en die politisch konsensfähige Kaschierung ihrer Nie- derlage: „Mein Studium konnte ich nicht mehr absch- liessen, da das Bauhaus von den Faschisten liquidiert wurde.“ 234 Sie, deren Arbeit von Mies van der Rohe nicht als Diplom anerkannt worden war, möchte die schmerzhafte Niederlage ebenso wenig erinnern wie Weiner, deren Ambitionen der Meisterrat eine nieder- schmetternde Absage erteilt hatte.235 Both, der sich am Bauhaus keinerlei Aussicht auf ei- nen berufsqualifizierendenn Abschluss bot, erläutert ihren Weggang fünf Jahrzehnte später: Dass sie nicht am Bauhaus „kleben bleiben“, sondern in den Beruf wollte.236 Und rückblickend formuliert Reiss auf die Frage, auf welche Errungenschaften ihres Lebens sie am meisten stolz sei: „Das einzige worauf ich stolz bin, ist, dass ich meinen eigenen Weg ohne fremde Hilfe (..) gehen konnte.“ 237 Aber nicht nur ehemalige Architekturstudentinnen folgen den Mustern retro- spektiver Erfolgsbilanzierungen. Auch Gertrud Arndt und Kitty Fischer [geb. v.d.Mijl-Dekker] - die beide ursprünglich mit der Absicht, Architektur zu studie- ren, ans Bauhaus kamen - beteuerten, das Studium der Weberei nicht bereut zu haben.238 Architektinnen schildern ihre Berufsbiografie retro- spektiv anhand eigener Entscheidungen, auch wenn ihr beruflicher Werdegang nicht entlang gängiger Er- folgsmuster verlief, sie in andere Tätigkeitsfelder aus- wichen. In Anbetracht der großen Diskrepanz zwi- schen Ambitionen und realen Möglichkeiten mag ver- wundern, dass die meisten Selbstdarstellungen be- rufsspezifischen Narrationsmustern folgen. Ange- sichts dessen wird jedoch plausibel, dass dabei man- ches Mal die Frage der Berufsrelevanz hinter den Studienerinnerungen verschwimmt, der familiäre Er- folg an die Stelle des beruflichen rückt. Hierdurch er- fährt das Studium eine Neuinterpretation als eine Art engagiert betriebener Horizonterweiterung, avanciert die Geburt von Kindern zum Grund des Berufsaus- stiegs. In wieweit Architektinnen damit einer „retro- spektiven Illusion über die Selbstgestaltung ihres Le- bens aufsitzen“, können nur weitergehende Untersu- chungen beantworten. Selten wird so deutlich ausgesprochen, dass die Bi- lanzierung des Studiums in Relation zur jeweiligen Si- tuation erfolgt, wie dies Hertha von Gumppenberg- List 1953 tut. „Jetzt, nachdem ich viele Jahre in einer für mich künstlerisch öden Welt lebe”, erinnert sie ihr Studium bei Riemerschmid an der Kunstgewerbe- schule München in den zehner Jahren als „besonders fortschrittlich (..) `gegen Hausgreuel-Kunstgewerbe´, wogegen der Werkbund ja Sturm lief.“ 239 Hier kommt der Studienzeit in Relation zur Lebensbilanz offen- sichtlich die Funktion einer ‘Projektionsfläche’ zu. Auch Architektinnen erinnern das Studium i.d.R. als eine zentrale Entscheidung ihres Lebens. So, wenn Tony Lasnitzki ihre Zeit in Weimar als „ausschlagge- bend für mein Leben“ bezeichnet oder Eva Weininger betont: „Ich bin sehr glücklich gewesen am Bau- haus.“ 240 Und Iwanka Hahn beharrt: „Meine Bautätig- keit war recht bescheiden. Mit Blick darauf möge die kritische Bemerkung mancher Leute von damals be- rechtigt erscheinen: ,Wozu ein Studium für ein Mäd- chen? Schnell wirst Du heiraten, und dann sind Geld und Arbeit für das Studium umsonst gewesen.´ Für mich waren sie nicht umsonst.“ 241 Während ehemalige Tessenowstudentinnen ihre Stu- dienzeit, insbesondere ihre Zeit im Seminar Tesse- now häufig positiv, wenn nicht überschwenglich erin- nern, bleibt in der Erinnerung architekturinteressier- ter, ehemaliger Bauhausstudentinnen die Zeit im Be- reich Bau/Ausbau nahezu ausgeblendet. Diese Selek- tion der Erinnerung, bei der i.d.R. lediglich der Vor- kurs Erwähnung findet, ist plausibel: Sie korrespon- diert mit jenen Studienzeiten resp. Studienabschnit- ten, in denen die Erwartungen der Studentinnen ein- gelöst wurden. „Ich glaube, daß das Bauhaus mir sehr viel geholfen hat in meiner Arbeit mit 5-6 Jahre alten Kindern“, schreibt Weiner.242 Und „während Jean [Leppien] gern von früher erzählte (..) war Su- zanne, was ihre Vergangenheit betraf, ganz knapp. (..) Wiederum im Unterschied zu Jean sprach sie über ihre Zeit im Bauhaus wenig.“ 243 Dass das Studium - falls überhaupt erwähnt - in aller Regel positiv dargestellt wird, ist weder ein Tesse- now- noch ein Bauhausphänomen. Die Begeisterung von Studentinnen für die jeweils gewählte Studien- 230 „(..) und wurde die Leiterin der ganzen Planungsabteilung in Karwin und mit dem Baudirektor, der mich ja geholt hatte, hab(e) ich sehr sehr gut arbeiten können.“ DAM, NL Meyer II 4(10) 81/ 2-847 Brief Meyer-Waldeck an Meyer vom 9.8.1947 231 Paula Marie Canthal, Brief an Ulli Canthal vom 12.3.1983, S.2 232 Interview mit Anna-Maria Mauck am 17.11.1995. Sie unterhielt bis zur Heirat mit dem leitenden Ingenieur Paul Mauck 1940 vielfältige geschäftliche Kontakte. 233 BHAB, Fragebogen Matty Weiner, Eingang 28.1.1982, S.1-2 234 Lebenslauf Annemarie Lange vom 3.3.1953; AdKS, PA Lange 235 Ihr nach dem kostufra-Streit umgehend gestellter Wiederauf- nahmeantrag wurde am 5.4. 1932 mit dem Zusatz abgelehnt, „da man sich auch von dem gewünschten studium im ausbau nichts verspricht.“ - Durch die Verdrehung der Kausalitäten wird deutlich, dass ihr das Scheitern ihrer Architekturambition eben- so bewusst ist wie die Gefahr, sich aufgrund gängiger Bewer- tungsmuster erneuten Zweifeln an ihrer Begabung auszusetzen. Die Auslassung in der Erinnerung markiert die Verletzung. 236 Petzinger, 1984, S.47 237 JRF-Fragebogen Reiss vom 23.9.1976, Frage VII: „Of which ar- chievements in your life are you most proud?” - „The only thing I am proud of is that I was always able to make my own way without help from individuals or organisations.“ 238 So bspw. Kitty Fischer im Interview mit Anja Baumhoff am 30.9. 1991, in: Baumhoff, 1994, S.91 239 „Seit 14 Jahren lebe ich in New York und habe eine Stellung als Gebrauchsgraphikerin.” - „Das Thema der Materialgerechtheit, die Betonung des Handwerklichen, all dies, was dann in den kommenden Jahren vom Bauhaus entfaltet wurde - in diesem ersten Jahr hörte ichs, mit unvergeßlicher Begeisterung von Rie- merschmid uns vorgetragen, im Lichthof der Schule. Und dann das damals gänzlich Neue einer demokratischen Selbstverwal- tung der Schüler - eine Neuerung, die großen Eindruck machte.“ Gumppenberg-List, Hertha von in: Wir fingen einfach an, 1953, S.34-35 240 „Bin (..) nur 1 Jahr am Bauhaus gewesen. Aber diese Zeit war ausschlaggebend für mein Leben“ BHAB, Fragebogen Lasnitzki vom 15.8.1980 – Eva Weininger im Interview am 2.12.1995 241 Iwanka Hahn im Brief an den Vorsitzenden der HTG, Walter Jes- sen vom 20.2.1987, HTA 242 BHAB, Fragebogen Wiener, S.8 243 Mitteilung von Helmut R.Leppien, Brief vom 20.9.1999 296 Vom Auftauchen und Verschwinden richtung, die jeweilige architektonische Haltung, spie- gelt sich häufig in überschwenglicher, nahezu gren- zenloser Bewunderung von Lehrern und Meistern. Selbst in sichtbar ‘nicht-passgenauen’ Situationen avancieren die jeweiligen Lehrenden - losgelöst von Geschlechtsspezifika - zu Vorbildern. So wenn Anne- marie Naegelsbach, die 1914 „als berittener Hilfsgeist an die Front“ wollte, erinnert, dass ihr patriotisches Gewissen „völlig beruhigt“ war, als sie Riemerschmid innerhalb der Kunstgewerbeschule in Militäruniform sah. Auch bei den Umgangsformen verwechselt sie Präsenz mit Teilhabe: „Wir trafen bei Riemerschmid zuweilen berühmte, große Künstler und - wir nahmen an deren Gesprächen teil, als ’Gleichgestellte’! In der gleichen Freiheit des Herzens. (..) Da war kein Olymp für Götter, sondern reine Luft für uns alle.” 244 Es ver- wundert kaum, dass der Verzicht auf sichtbare Sta- tusorientierung während der Kaiserzeit als Sensation wie als persönliche Befreiung erfahren werden konn- te. In der erinnernden Bilanzierung wird jedoch eben- so deutlich, dass das Einatmen reiner Luft vermeint- lich Gleichgestellter auf die Studienzeit begrenzt bleibt. Wie bereits ganz zu Beginn dieser Arbeit skizziert, unterliegt die öffentliche Wahrnehmung von Architek- tur Rezeptionsmustern, die im Hinblick auf Bauten von Architektinnen besondere Tücken bergen. Bleibt die öffentlichkeitswirksame Wahrnehmung architekto- nischer Leistungen zumeist auf spektakuläre Realisie- rungen begrenzt, so konzentriert sich die Architektur- rezeption in Fachkreisen auf Entwurf resp. Konzept. Auch wenn der Entwurf innerhalb des Tätigkeitsfel- des nur einen vergleichsweise kleinen Raum ein- nimmt und die Auftragsvergabe i.d.R. nur bei Wettbe- werben unmittelbar an den Entwurf gekoppelt ist, so bildet dieser dennoch den Kern einer fachlichen Re- putation, über die unmittelbar intellektuelle Führungs- ansprüche, mittelbar auch ökonomische Tragfähigkeit der beruflichen Existenz reklamiert werden. Nur weni- ge Immobilien stehen an solch prominenter Stelle, dass sie ohne ‘Mobilität’ ihren Weg in die öffentliche Wahrnehmung finden. Ein Schöpfer wird gebraucht, wenn aus einer Immobilie ein architekturgeschichtlich ‘singuläres’ Bauwerk werden soll. Auf diesem Weg der Verbreitung ortsg-bunden realisierter Ideen bieten sich verschiedene Möglichkeiten der Reduktion wie der Manipulation, wobei die Authentizität des bzw. der AutorIn offenbar kaum eine Rolle spielt. Denn of- fenbar sind es die Spielregeln der Rezeption, die bei- spielsweise Truus Schröder-Schräder zum „dutch ar- chitect“, Charlotte Alix zum „interior decorator“ und Erna Kopriva zur „Keramikerin“ machen, obschon Schröder-Schräder Pharmazie studierte, Alix als Ar- chitektin publizierte und Kopriva die längste Zeit ihres beruflichen Lebens die Stoffdruckwerkstatt der Aka- demie für Angewandte Künste in Wien leitete. Angesichts der Rezeptionsbedingungen wird die Kontrolle über die ‘AutorInnenschaft’ zum entschei- denden Disziplinierungsinstrumentarium innerhalb des Büros. Schon am Bauhaus hatte Both beobach- tet, dass Hannes Meyer studentische Arbeiten unter eigenem Namen laufen ließ.245 Sowohl im Büro Luck- hardt & Anker als auch bei Haesler konnte sie nur mitarbeiten, wenn sie bereit war, auf ihre Autorinnen- schaft zu verzichten. Sie begriff, dass dies der Preis einer Mitarbeit in einem renommierten Büros ist und wollte diesen nicht zahlen.246 So sehr dieses Verwi- schen der Autoschaft im Sinne einer Ideengeschichte als Baugeschichtsfälschung kritisiert werden kann, die Rezeptionsgeschichte folgt i.d.R. den Kräftever- hältnissen realer Machtverteilungen und würdigt intel- lektuelle Leistungen primär statusabhängig, selbst wenn sie statusunabhängig erbracht wurden. Und die Profiteure dieser Praxis greifen zu den unterschied- lichsten Erklärungen, um diese Praxis zu legitimieren resp. zu kaschieren. So kann innerhalb von Büro- hierarchien die intellektuelle Autorschaft i.d.R. nicht durchgesetzt werden, wenn sie aufgrund des Stan- desrechts immer bei der/m BüroeignerIn liegt. Dies, obschon sie bspw. auch lt. Ehrenkodex des BDA nur dann in Anspruch genommen werden sollte, wenn die Leistung auch tatsächlich erbracht wurde - bzw. zumindest „unter seiner Leitung“ (sic!).247 Die Frage der Rechte an einer Idee und deren Ver- marktung wie das Primat der geistigen Leistung in der Baugeschichte lassen die Frage von Bauten als Produkte mehrköpfiger Teams obsolet erscheinen, auch wenn die Notwendigkeit von Arbeitsteilung in der Architekturproduktion kaum bestritten wird. Dem Verhältnis von BürobesitzerIn und angestellter ArchitektIn - bei aller beschworenen Kollegialität in der Regel ein hierarchisches - haftet nicht nur wäh- rend der Phase des Berufseinstieges die Komplexität einer ‘Patronage’ an. Und da - wie wir anhand der Berufseinstiege verfolgen konnten - Statusdistributio- nen auf wundersame Weise den gleichgeschlechtli- chen Mitgliedern der Berufsgruppe zuteil werden, bleibt die Zuerkennung intellektueller Leistungen in- nerhalb von Bürohierarchien i.d.R. den Herren vorbe- halten. Und wieder einmal ist der Klartext von Paul Bonatz besonders aufschlussreich, der rückblickend weniger von der konkreten Architektentätigkeit als von der geschlechtsexklusiven Möglichkeit eines selbständigen Architekturbüros fasziniert scheint. Denn: „Was ist ein Architektenbüro? Es ist etwas Ein- maliges und ich weiß keinen anderen Beruf, in dem es etwas Ähnliches gäbe: eine kleine patriarchalische Gemeinschaft Gleichgesinnter.“ 248 Die Etikettierung real existierender Hierarchien in Ar- chitekturbüros als „Gemeinschaft Gleichgesinnter“, als kollektivistisch verstandene Planungspraxis oder 244 Annemarie Naegelsbach, Wir fingen einfach an, 1953, S.36-37 245 Dies beschreibt sie rückblickend als „menschliches Versagen“. Petzinger, 1984, S.47 246 „Die Aussagen von Frau Both (...) machen deutlich, daß das von Haesler entworfene und geförderte Bild (..) nicht mit der Wirk- lichkeit übereinstimmte, sondern bewußt betriebene Imagepfle- ge war.“ Schumacher, 1982, S.234 247 „Die Urheberschaft an künstlerischen Arbeiten nimmt er nur dann für sich in Anspruch, wenn sie unter seiner persönlichen Leitung geschaffen sind.“ Satz 2 der Grundsätze, denen BDA- Mitglieder verpflichtet sind. Hier zitiert nach Gaber, 1966, S.88 248 Bonatz, Paul: Leben und Bauen, Stuttgart, 1950, S.106-107 Berufsverläufe und Lebenswege 297 Fridel Vogel in den 40er Jahren in ihrem Cabriolet (oben) und 1977 in ihrem Wohnzimmer in der ehemaligen “Villa Hüttenhain” Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar als ‘Prinzip’ der Arbeitsgemeinschaft249 verschleiert Kräfteverhältnisse, die de facto in das Ermessen des Büroeigners bzw. der EignerIn gestellt sind. Angela Schumacher konstatiert für das Büro Haeslers, dass hier auch komplexe Aufgaben unter Vermeidung von Teamarbeit in strikter Arbeitsteilung bearbeitet wur- den.250 Und Heinrich Moldenschardt charakterisierte die Mitarbeitersituation am Beispiel des Büros von Paul Baumgarten in den fünfziger Jahren: „Selbstlose Hingabe wurde (und wird) unverdrossen erwartet; Fleiß und Einfühlsamkeit wurden als Liebesdienst, je- denfalls nicht gegen Geld eingetauscht (..), die nach aktueller Wertschätzung, von Strenge zu Nachsicht dosiert, spürbar war“.251- So umstritten bleiben mag, wie sich in einem arbeitsteiligen Tätigkeitsbereich die Autorschaft begründet, ja, ob sie zur Kennzeichnung architektonischer Leistungen überhaupt geeignet ist, so deutlich wird, dass jede Reduktion der Urheber- schaft der Aufrechterhaltung des Status quo dient und jegliche Mitarbeit zum Verschwinden bringt.252 Nach dem zweiten Weltkrieg tauchen in den Archi- tekturfachblättern Namen von Architektinnen fast ausschließlich in Verbindung mit Architektengatten auf. Helga Schmidt-Thomsen, selbst Partnerin einer langjährigen Lebens- und Büropartnerschaft, be- zeichnete die fünfziger Jahre als „die hohe Zeit der Ehepaare in der Architektur (..) Daneben scheinen fast jene Frauen in den Schatten zu treten, die sich mit Arbeiten und Inhalten alleine zu profilieren hat- ten.“ 253 Offenbar zeigen jedoch auch die Paare in der Architektur nur eine vermeintliche Geschlechternor- malität, denn auch hier funktionieren Selektionen, Re- duktionen und Eliminierungen nach den Regeln eines homosexuellen Referenzsystems. Dies wird bspw. daran deutlich, dass hier - entgegen allen bürgerli- chen Konventionen - der männliche Partner stets zu- erst genannt wird. Und werden bspw. bei Wettbe- werbsgewinnen häufig noch beide Namen eines Ar- chitektenpaares genannt, so fällt die Erkennbarkeit der Architektin zumeist schon bei Realisierung einer ‘Verkürzung’ zum Opfer, nicht nur bei vermeintlicher Subsumption unter einem ‘gemeinsamen’ Nachna- men: Werden solch preisgekrönte Bauten nach Jah- ren publiziert, findet sich der ‘gemeinsame’ Name erstaunlicherweise häufig um ‘seinen’ Vornamen er- gänzt. In Monografien schrumpft ‘ihr’ (Vor-)Name in aller Regel zur Fußnote, bei Trennung ist er besten- falls noch unter ‘Mitarbeitern’ oder ‘Zusammenarbeit’ zu finden.254 Und dies ist offenbar kein der Namens- gleichheit von Paaren geschuldetes Phänomen, fin- det es sich doch auch bei Arbeitsgemeinschaften, so bspw. bei Singer / Dicker, Gorska / de Montaut, Alix / Sognot. Beatriz Colomina hat diese Wahrnehmungsresistenz exemplarisch anhand von Ray und Charles Eames sowie an Allison und Peter Smithson beschrieben und dabei aufgezeigt, wie stark diese Fokussierung auf ‘ihn’ von Fachjournalisten forciert wurde. „Architektur bedeutet immer Zusammenarbeit. Dies ist allgemein bekannt, wird jedoch selten wahrge- nommen. Die Einzelperson erhält bei der Autorschaft den Vorzug. Dies wird am deutlichsten in der Zusam- menarbeit von Paaren und Partnerschaften, unabhän- gig davon, ob es sich um berufliche und/oder per- sönliche Beziehungen handelt. Der phallische Mythos des Solo-Architekten, des isolierten Genies, ist eine der regressivsten und reaktionärsten Grundauffas- sungen von Architektur - doch leider immer noch ei- ne der gängigsten.“ 255 Dementsprechend lässt sich die vermeintliche Be- sonderheit als Fachfrau selbst bei elitärem Habitus i.d.R. nicht in eine Superiorität innerhalb der Profes- sion prolongieren. Die Transformation der außeror- dentlichen - extraordinären - Frau zur außergewöhnli- chen AkteurIn in der Architektur scheitert i.d.R. an der ‘Männlichkeit’ des Genies. Denn angesichts ge- schlechterkonnotierter Images könnte eine Imagestei- gerung nur dann gelingen, wenn der Transformati- onsprozess selbst ‘extraordinär’, d.h. außerhalb der Geschlechterordnung stattfände. Canthal erinnert ihre Wut, als ein Journalist anlässlich ihrer ersten Wettbewerbserfolge in den zwanziger Jahren schrieb: „Sie sieht aus wie ein zwölfjähriges Schulmädchen und er wie ein Konfirmand!“ 256 Auch Lotte Tiedemann macht die Erfahrung, dass sie nicht jene Akzeptanz erhält, die ein Architekt nach ihrer Er- fahrung „einflößt“, sondern behandelt wird wie „ein Mädchen, das die Schule schwänzt“.257 Die berufli- chen, aber auch die familiären Akzeptanzprobleme werden von Architektinnen i.d.R. nur angedeutet, der Verlust zwischen privater und beruflicher Balance wird i.d.R. weder dem Berufsfeld noch der Familie angelastet. „Die Praxis [sieht] eben anders aus“, äus- sert Tiedemann 1935.258 Und Gidoni wird 1948 zitiert: „It´s a fine field for women, but it´s not what you think when you are 18 and in college!“ 259 Wie am Beispiel von „Die Architektin, der Traum vom Beruf und die Wirklichkeit“ gut zu beobachten war, versuchte die Architektin, den gängigen Rollenzu- schreibungen Mitte der dreißiger Jahre als ‘weibli- chen Vorzügen’ etwas abzugewinnen und die eige- nen Frustrationserfahrungen nicht direkt zu benen- nen.260 Die widersprüchlichen Aussagen spiegeln die Zerreissprobe zwischen einem Selbstverständnis als Entwerferin von Häusern und dem zugeschriebenen Berufssegment als ‘Wohnungsberaterin’ wider. Mit Hilfe einer Forschungsthese Edith Glasers lassen sich diese Widersprüche resp. die im persönlichen Ge- spräch mit der Klassenkameradin gesuchten Plau- sibilisierungen als Prozess der ‘Dissonanzreduktion’ 249 Wingler, 1975 (3. Auflage), S.397 250 Schumacher stellt fest, dass „das Büro Haesler stark arbeitstei- lig, jedoch ohne Teamarbeit aufgebaut war. So besprach jeder der auf einen Teilbereich spezialisierten Mitarbeiter seine Arbeit direkt mit Haesler“. Both, die von Ende 1929 bis 1932 im Büro arbeitete, sei für die Inneneinrichtungen ‘zuständig’ gewesen. Schumacher, 1982, S.234, s.a. FN 246 251 Moldenschardt, Heinrich: Begegnungen, in: Lux, Elisabeth / Martin Wiedemann: Paul Baumgarten, Bauten und Projekte 1924-1981, Berlin, 1988, S.27-31, hier S.28 252 So auch in den Büros von Winkelmann und Frommer, die jeweils mehrere MitarbeiterInnen beschäftigten und diese bei Veröffentlichungen nicht namentlich erwähnen. 253 Schmidt-Thomsen, 1984, S.29 254 So bspw. in: Oesterlen, Dieter: Bauten und Texte, Tübingen, 1992, S.264; - Maurer, Hans: Bauten + Projekte 1947 bis heute, Stuttgart, 1989, S.197 255 Colomina, Beatriz: „Couplings“, in: Oase 51, Delft, 1999, S.23: „Architecture is always collaborative. Everybody knows this. But it is rarely acknowledged. A single figure is always priveleged as author of the work. This is most evident in the case of couples, partnerships of two, whether they are professional or personal or both. (..) The phallic myth of the solo architect, the isolated genius, is one of the most regressive an reactionary understan- dings of architecture - but unfortunately still one of the most pervasive.“ 256 NL Canthal, P.M. Canthal an Ulli Canthal vom 12.3.1983, S.3 257 Brüning, Elfriede: Die Architektin, in: Berliner Tageblatt vom 7.7. 1935 - vgl. auch Kap.7, FN 158 258 Ibid. 259 Architectural Record, 1948, Nr.103, S.106 260 Vgl. Kap.7, S.200 ff. 298 Vom Auftauchen und Verschwinden entschlüsseln.261 Lotte Tiedemann deutet in diesem Zusammenhang ebenso Selbstzweifel wie auch Dis- kriminierungserfahrungen an: „Ich habe es wirklich geschafft, den schönsten Entwurf zu machen (..) ich bin durch die Praxis auf meinen eigentlichen Beruf gestossen worden“. Als individuelle Erkenntnis dar- gestellt, versucht sie die Nachteile geschlechtsspezi- fischer Zuschreibungen ins Positive zu wenden: „Ich wollte Häuser bauen (..) die Welt verändern - im Lau- fe meiner selbständigen Praxis bin ich darauf gekom- men (..) Wir Frauen können etwas anderes.“ Diese Neuinterpretation einer ‘äußeren Zwangslage’ lässt sich als ‘verinnerlichte Selbstverleugnung’ bezeich- nen.262 Während die Selbstdarstellung berufstypi- schen Narrationsmustern und damit dem primären Selektionskriterium des Erfolges unterliegt, wird die Differenz zur Selbstwahrnehmung als ‘kognitive Dis- sonanz’ sichtbar. Tabuisiert bleibt die berufliche Kon- kurrenz: „Wir Architekten (..) sind darauf angewiesen, zu machen, was man von uns haben will.“ 263 Solch kognitive Dissonanzen finden wir sowohl bei ehemaligen Bauhaus- als auch bei Tessenowstuden- tinnen, was angesichts der bereits im Studium ange- legten Diskepanzen - so bspw. zwischen Anspruch und Realität, Berufsbild und Rollenerwartung - ver- ständlich ist. Im Unterschied zu Tessenowdiploman- dinnen machten etliche der ehemaligen Bauhausstu- dentinnen bereits beim Berufseinstieg die Erfahrung, dass ihre Erwerbsmöglichkeiten fragil waren. Anne- marie Wimmer wie Wera Meyer-Waldeck gelingt der Berufseinstieg nur, indem sie Tätigkeiten als techni- sche Zeichnerinnen annehmen.264 „Hier [in Berlin] leb- te ich von Wohlfahrtunterstützung und von Gelegen- heitsarbeiten bei Genossen“, erinnert Annemarie Lan- ge ihre Arbeitssuche.265 Auch Camilla Leiteritz ist zwei Jahre nach ihrem Bauhausdiplom in Wandmalerei ar- beitslos, weshalb sie - zunächst sogar unentgeltlich - in ihrem zuvor erlernten Beruf als Bibliothekarin ar- beitet. 1947 schildert Meyer-Waldeck ihre Schwierigkeiten beim Berufseinstieg rückblickend wie folgt: „Als das tausendjährige Reich begann, war ich ja in Zürich und wäre auch liebend gerne dort geblieben, aber ohne Geld und ohne Arbeitserlaubnis musste ich wie- der zurück und habe mich (..) so schlecht und recht durchs Leben geschlagen, teils als Rinder- und Hüh- nermagd, teils als Gesellschafterin bei halbidiotischen alten Damen, bis dann endlich im Herbst 34 sich doch bei Junkers in Dessau eine Möglichkeit bot, we- nigstens als technische Zeichnerin ins Geschick zu kommen.“ 266 Aus dem gleichen Jahr datiert Boths Darstellung: „Nach anfänglich gutem Berufserfolg als Mitarbeiterin in den Büros namhafter Architekten (..) wurde ich durch die Wirtschaftskrise für 4 1/2 Jahre arbeitslos. (..) Erst 1935 konnte ich als Frau in mei- nem Beruf wieder eine Stellung bekommen.“ 267 Ob in Partnerschaft oder allein, ob freiberuflich oder angestellt, im öffentlichen Dienst oder in freien Büros, ob auf der Baustelle, im Büro oder im Gespräch mit potentiellen AuftraggeberInnen: Im Berufsfeld ma- chen diese Architektinnen zunehmend die Erfahrung, nicht an ihrer professionellen Leistungsfähigkeit ge- messen zu werden und der ungleichen Konkurrenz mit Kollegen nahezu machtlos gegenüber zu stehen. Bereits anhand des Studienvergleichs haben wir ge- sehen, dass die für eine Professionalisierung notwen- dige Identität während des Studiums kaum erworben werden konnte: Bauhausstudentinnen bot auch das Wissen, dass sie in den Kreisen des Neuen Bauens nicht erwünscht waren, keinerlei Ansatz zum Umgang mit der Berufsrealität. Noch weniger waren die fach- lich besser ausgestatteten Tessenowstudentinnen auf die Widersprüche und Konkurrenzen innerhalb des Berufsfeldes vorbereitet. Angesichts von Zuschrei- bungen und Fremdwahrnehmung sind Bauhaus- wie Tessenowstudentinnen gezwungen, eigene Strategi- en im Umgang mit den Widersprüchen einer Identität als weibliche Professionals zu entwickeln. Dass sie die Paradoxien einer ‘Professionslogik’ in- nerhalb der Hierarchien des vermeintlich rationalen Berufsfeldes rational nicht ausbalancieren können, treibt etliche Architektinnen dieser Generation aus dem Berufsfeld und manche in die Verzweiflung. So äußerte Nießen 1930 nach 13 Berufsjahren: „Um all die Vorurteile zu bekämpfen gehören vielleicht fünfzig Jahre dazu, um klarzumachen, daß eine Frau beim Bauen mitzureden hat, und daß man sie arbeiten läßt.“ 268 - Und nach fast 20 Jahren im Berufsfeld the- matisiert Both die Erfahrung mangelnder Akzeptanz als einen „langen und noch andauernden Kampf um Behauptung in meinem Beruf als Architektin.“ 269 Wie aber funktionierte dieses Ignorieren fachlicher Kompetenzen aufgrund des Geschlechts, das ‘doing gender’ in der Architektur? Wie wurde das ‘same- less-taboo’ umgesetzt, ein ‘crossing the images’ wir- kungsvoll verhindert? Immer wieder finden wir Beispiele, dass Standesver- treter, Vorgesetzte, Kollegen, Professoren, Politiker und AuftraggeberInnen ggf. auch aktiv werden, wenn es um die Reduktion von Reputation oder beruflichen Chancen von Architektinnen geht. So bescheinigt der Stadtbaurat Martin Wagner in einem Schreiben im Mai 1927, dass „es erwünscht sein muß, wenn Frau Dipl.Ing. Ella Briggs als Architekt auch in Berlin bei Wohnungsbauaufträgen Gelegenheit hat, ihre Erfah- rungen, die vom Standpunkt der Frau ausgehen, auch in praktischen Aufträgen niederzulegen. Auch die künstlerische Begabung von Frau Dipl.Ing. Briggs scheint mir außerordentlich beachtenswert.“ 270 Hier 261 Edith Glaser traf in lebensgeschichtlichen Interviews mit ehema- ligen Studentinnen dieser Generation immer wieder auf das Ne- gieren von Diskriminierungserfahrungen. Sie kommt in Anleh- nung an Lion Festingers Theorie kognitiver Dissonanzen zu der Interpretation, dass biografische Erinnerungs’lücken’ das Ergeb- nis retrospektiver Plausibilisierungen sind. Vgl. Glaser, 1992 262 Wierling versucht anhand einer offen misogynen Dissertation ei- ner Medizinerin aus dem Jahre 1932 zu rekonstruieren, ob es sich dabei aufgrund der durch den Doktorvater gesetzten Rah- enbedingungen um „von außen erzwungene Schizophrenie“ oder „schon verinnerlichte Selbstverleugnung“ handelt. Wierling, Dorothee: Studentinnen in der Weimarer Republik, in: Nietham- mer, Lutz (Hg.): Bürgerliche Gesellschaft in Deutschland, Mün- chen, 1990, S.364-382 263 Vgl. FN 257 264 Meyer-Waldeck kann ab Herbst 1934 für die Junkerswerke in Dessau arbeiten. Wimmer findet im Rahmen des Notstandspro- gramms ab April 1934 beim Hochbauamt Schöneberg eine ta- geweise Beschäftigung als technische Zeichnerin. Zum 15.7. 1935 nimmt sie eine Aushilfsstellung als Zeichnerin in einem Schöneberger Ingenieurbüro an, ihr Berufseinstieg als Planerin gelingt erst Ende 1935 bei den Reichsautobahnen, wo 1937 auch Meyer-Waldeck als Planerin tätig wird. 265 Lebenslauf Annemarie Lange vom 3.3.1953; Akademie der Kün- ste, Schriftstellerarchiv, PA Annemarie Lange 266 DAM, NL Meyer II 4(10) 81/2-847 Brief Wera Meyer-Waldeck an Hannes Meyer vom 9.8.47 267 Vgl. FN 136 268 HTA, Schreiben Elisabeth Nießen vom 7.4.1930 an Heinrich Tessenow 269 Vgl. FN 136 Berufsverläufe und Lebenswege 299 Gertraude Herde in den 1950er Jahren in ihrem Büro Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar rückt Wagner die fachliche Kompetenz an die zweite Stelle. Und auch wenn er ihre künstlerische Bega- bung für „außerordentlich beachtenswert“ hält, so betont er den „Standpunkt der Frau” und empfiehlt sie lediglich für den Wohnungsbau. - „Es läßt hoffen, wenn Studenten aus so einer (kleinen) Aufgabe etwas menschlich Anziehendes zustande bringen“, kom- mentiert Mart Stam 1942 unter dem Stichwort „die jüngere Generation“ zwei Studienprojekte seiner drei- einhalb Jahre jüngeren, ehemaligen Gattin.271 Und Dirk Gascard bescheinigt seiner früheren Frau: „Die vielen Erfolge und Anerkennungen, die wir unter unseren Namen schon in jungen Jahren erzielen konnten, sind zum wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit zu verdanken.“ 272 Just zu dem Zeitpunkt, wo er einen gemeinsamen Entwurf aus dem Jahre 1931 in leicht modifizierter Form auf der ‘Constructa’ in Hannover (1951) erneut bauen und publizieren kann, führt er über die zehnjährige Zusammenarbeit mit Paula Ma- rie Canthal aus: „Einige Jahre vor dem Krieg haben wir eine feste Bürogemeinschaft unterhalten. Ihr Hauptaufgabengebiet war dabei neben dem Ausar- beiten von Wettbewerben die Durchführung von Pla- nungsarbeiten der verschiedensten Art. Meine Kolle- gin war mir durch ihre Fähigkeit, stets schnell das Wesentliche der gestellten Aufgabe zu erfassen und im Entwurf festzulegen, durch ihr ausgeprägtes For- mengefühl und ihren sicheren Sinn für die Farbe lan- ge Jahre eine unersetzliche Mitarbeiterin.“ 273 Und bei ehemaligen Kommilitonen lassen sich solch paternalistische Wahrnehmungsmuster auch am En- de des 20. Jahrhunderts noch beobachten: Sie erin- nern nach Jahrzehnten noch Details über Kollegin- nen, unterstellen jedoch immer wieder, dass die Ar- chitektin nicht gebaut, sich ggf. mit Inneneinrichtun- gen ‘beschäftigt’ habe.274 Der Prozess der Verdrän- gung von Architektinnen aus dem Berufsfeld während des 20. Jahrhunderts konnte hier nur ausschnittswei- se skizziert werden. Methoden, Akteure und Motiva- tionen variierten offensichtlich in Abhängigkeit von kulturellen und politischen Milieus. Offenbar gelang es jedoch in einem öffentlichen Diskurs, geschlech- ter-konnotierte Attributiva des Berufsbildes so zu amalgamieren und plausibilisieren, dass Männlich- Sein zum ebenso konditionalen wie primären Wahr- nehmungsfilter avancierte, die Akzeptanz ‘nicht- männlicher’ Professionals schwand. „Die äußere Not, der Umschwung in den sozialen Verhältnissen, hat die Frau ins Leben hinausgedrängt, aber es war nicht die äußere Not, die die Künstlerin in ihr geweckt hat“, stellte Rosa Schapiro 1927 für die beruflichen Ambitionen von Frauen klar.275 Hatten Studentinnen dieser Generation ihre Studienchancen genutzt, so wurden sie im Berufsleben mit Konflikten konfrontiert, auf die sie in der Regel nicht vorbereitet waren. Hier löste ihre Präsenz Irritationen und Span- nungen aus, die - als Differenz im Habitus - weder fachlich noch mit Hilfe des eigenen kulturellen Kapi- tals entschärft oder kompensiert werden konnten. Nur durch einen strategischen Umgang mit dem ei- genen kulturellen Kapital resp. durch Assimilation er- öffnete sich überhaupt eine Chance auf die Chance, die eigenen Kompetenzen einbringen zu können. Denn im Laufe ihrer Berufstätigkeit machten Architek- turstudentinnen der Weimarer Republik die Erfah- rung, dass innerhalb des Berufsfeldes mit harten Bandagen, ungleichen Mitteln und geschlechtsspezi- fischer Diskreditierung konkurriert wurde. Und nicht zuletzt, dass sie bei der Etablierung im Berufsfeld i.d.R. auf Patronagen und Empfehlungen von Kolle- gen angewiesen blieben - bei der Auftragsvergabe wie bei der Aufnahme in Berufsverbände.276 „Unter all den auch von Frauen ausgeübten Berufen ist der des Architekten am längsten eine Domäne des Mannes geblieben, weil zu dessen Ausübung nicht allein originelle, sondern gleichzeitig und in sehr weit- gehendem Maße auch aggressive Talente, bis zu dik- tatorischer Strenge gegenüber maskuliner Brutalität, zu bewähren sind“, hatte Elisabeth Gotthard bereits 1933 männliches Dominanzverhalten im Berufsfeld Architektur charakterisiert.277 Schienen die Chancen von Architektinnen und Architekten schon während des Kompetenzerwerbs wie zu Beginn der berufli- chen Laufbahnen allzu ungleich und drängten sich angesichts eines Berufsbildes, das den ‘ganzen Mann’ fordert, erneut die Fragen nach den realen Möglichkeiten von Architektinnen im Berufsfeld auf, so wird angesichts der Berufsdauer wie der Berufs- ausstiege von Architekturstudentinnen der Weimar Republik deutlich, dass ihre Chancen beruflicher Eta- blierung sehr gering waren. Resümee Bereits anhand der Berufseinstiege von Architektur- studentinnen der Weimarer Republik wurden die Fol- gen unterschiedlicher Ausbildungswege sichtbar: Während fast alle TH-Diplomandinnen in den unter- schiedlichsten Bereichen des Berufsfeldes tätig wur- den, waren Bauhausstudentinnen mit ihren Architek- turambitionen bereits zu einen Drittel an der Ausbil- dung gescheitert. Auch ihr Berufsstart war häufig langwieriger und schwieriger als der ihrer Kommilito- nen. Demgegenüber gelang Tessenowdiplomandin- nen - verglichen mit Tessenowstudenten - der Be- rufseinstieg ohne auffällige Differenzen. Im Vergleich der Berufsbiografien zeichnete sich jedoch auch für sie eine Vielzahl möglicher ‘Stolpersteine’ auf dem Weg beruflicher Etablierung ab. Hier kam der Ausbil- dung, resp. der Schule zunehmend weniger Bedeu- 270 Schreiben Martin Wagner vom 6.5.1927, NL Briggs 271 Stam, Mart: „De jongere Generatie“ in: De 8 en opbouw, 1942, 13.Jg. Nr.4, S.43 ff. - hier S.46 Stam stellt Entwürfe von „A.C. Nicolai“ und „L. Beese“ vor, darunter den Pavillon für einen Au- tor („schrijverspavillon“) - Er plädiert an die älteren Lehrenden, Veränderungen zuzulassen und hebt hervor, dass die Arbeiten nicht etwa Abgüsse von Dozentenentwürfen seien. „Auch in un- serer Zeit taucht eine Strömung wieder auf, die dazu neigt, die Dinge wieder an sich zu sehen: Jedes Häuschen als ein Ding an sich.“ ibid., S.48 272 NL Canthal, Schreiben an Dirk Gascard vom 29.9.1952 273 Ibid. 274 So bspw. Hubert Hoffman zu Katt Both (im Brief v. 24.8.1995): „eigenwillige Begabung, (..) später kleineres Büro in Kassel (In- neneinrichtungen vorwiegend)“. Und Clemens Weber, der mit Lieselotte von Bonin seit der Studienzeit befreundet ist und bleibt, obschon er nach dem Krieg eine berufliche Zusammenar- beit ablehnte, geht davon aus, dass sie nach ihrer Scheidung von Gumberz-Rhonthal nicht mehr gebaut habe. 275 Schapiro, Rosa: Die Frau in den bildenden Künsten, in: Frau und Gegenwart, 4.Jg., 1927, Nr.40 276 Wie unmittelbar derlei Patronagen an den Chef gekoppelt blei- ben, wird bspw. an Anneliese Eichberg deutlich, die trotz ‘plan- mäßiger’ Assistentinnenstelle 1952 mit der Emeritierung von Prof. Abels an der THM ausscheidet, wo sie seit 1939, zunächst als Hilfsassistentin tätig war. Fuchs, 1994, S.157 277 Gotthard, Elisabeth: „Die Architektin“ in: Profil, H.4, April 1933, S.121 300 Vom Auftauchen und Verschwinden tung zu. Immer deutlicher korrespondierten die ‘Stol- persteine’ nun mit Geschlechterkategorien und im- mer häufiger führten sie - einzeln, aber auch in Kom- bination - zum Ende einer Berufstätigkeit als Archi- tektin. Innerhalb des Berufsfeldes Architektur konnten wir seit Beginn des 20.Jahrhunderts eine zunehmende Spezialisierung und Ausdifferenzierung beobachten. Just im Zuge der Modernisierung des Berufsbildes wurde jedoch auch die Hierarchisierung zwischen Professionals unterschiedlichen Geschlechts betrie- ben, wobei die Aufspaltung in Innen- resp. Außenar- chitektur diese Grenzziehung am deutlichsten abbil- dete und bei den ‘Modernisten’ sowohl früher als auch deutlicher sichtbar wurde als bei den ‘Traditio- nalisten’. Dieser Prozess der Ausdifferenzierung und Hierarchisierung des Berufsfeldes ging mit der Zu- nahme professioneller Ambitionen von Frauen einher. Er produzierte eine Spezialisierung von Tätigkeits- und Aufgabenbereichen und eine Reihe von Parado- xien, obschon zeitgleich der Generalist zum Leitbild des ‘neuen Architekten’ avancierte. Architektinnen wählten häufig eine Art ‘Tausendfüßlerinnenstrate- gie’, um auf Schließungen, Unberechenbarkeiten und strukturelle Chancenlosigkeit im Beruf zu reagieren. Auch wenn Georgeacopol-Winischhofer anhand der „Spannweite der architektonischen Entwurfsarbeit (..) zeigt (..), daß den Frauen grundsätzlich kein Bereich der Architektur und des Hochbaus verschlossen ist“, so ließ sich anhand der Berufswege im Laufe des 20. Jahrhunderts nachweisen, dass Architekturstuden- tinnen der Weimarer Republik aufgrund ihres Ge- schlechtes etliche Bereiche des Berufsfeldes immer wieder kaum zugänglich waren.278 Bei der Betrachtung der Berufsfelder wurde die Dis- krepanz zwischen architektonischen Interessen und realen Arbeitsgebieten sichtbar. Während Tessenow- studentinnen anhand von Idealaufgaben studiert hat- ten, korrespondierte das Repertoire dieser Studien- projekte häufig mit den Aufgabenstellungen in der Berufsrealität. Demgegenüber erwies sich die Erfah- rung ehemaliger Bauhausstudentinnen im Umgang mit realen Bauprojekten als kaum verwertbar, da sie faktisch nicht mit Siedlungsprojekten resp. öffentli- chen Bauten beauftragt wurden. Und während ange- stellte Architektinnen auch mit öffentlichen, gewerbli- chen und konstruktiven Bauaufgaben betraut wur- den, erhielten freiberuflich Tätige nahezu ausschließ- lich Aufträge im Wohnungsbau. Bei der geringen Partizipation von Architektinnen an Berufsverbänden wurde nicht immer deutlich, ob mangelnde Attraktivität oder fehlender Rückhalt einer Mitgliedschaft im Wege standen. Wenig Interesse war für einen Frauenberufsverband zu finden. Anhand der Berufswechsel wurde sichtbar, dass Architektur- studentinnen der Weimarer Republik sich angesichts mangelnder Perspektiven vom Berufsfeld abwandten und den dortigen (Geschlechter-)Hierarchien den Rücken kehrten. So vielfältig die Anlässe für einen Rückzug aus dem Fach waren, die Gründe waren eher einfältig: Anhaltende Chancen- und Perspektiv- losigkeit im Fach. Obschon vereinzelt auch fachfremde Bauhausstu- dentInnen durch die Heirat mit einem Architekten Zu- gang zum Berufsfeld fanden, erwies sich die Ehe mit einem Berufskollegen in der Lebensplanung vieler Architekturstudentinnen der Weimarer Republik als crucialer Stolperstein. Deutlich stärker als reale fami- liäre Belastungen beeinträchtigte die Rücksichtnah- me auf einen Architektengatten die beruflichen Ambi- tionen von Architektinnen. Mit den Realitäten ge- schlechterhierarchischer Architekturproduktion und geschlechtsabhängiger Chancenvergabe konfrontiert, suchten Etliche Nischen am Rande des Berufsfeldes, andere akzeptierten Tätigkeiten unterhalb ihrer Kom- petenzen. Manche verzweifelten an dieser Berufsrea- lität. Die weitaus meisten zogen sich auf andere Be- rufsfelder oder in familiäre Aufgabenkreise zurück: Sie ‘verschwanden’ als Architektinnen aus der Pro- fession, die ihnen lediglich subalterne Tätigkeiten und nahezu keine eigenständigen Gestaltungsräume zu- gestand, oder just in dem Maße berufliche Chancen einräumte, in dem sie auf eine öffentliche Präsenz verzichteten. Hinsichtlich der Berufsstrategien wird unübersehbar, dass Architekturstudentinnen der Weimarer Republik auf den unterschiedlichsten Wegen versuchten, das Berufsfeld zu erreichen und auf den verschiedensten Feldern nach einer dauerhaften Partizipation suchten. Überall dort, wo ‘gender’ sich zu einer konstitutiven Kategorie verfestigt hatte, gelang ihnen ein ‘Abschüt- teln’ des Geschlechtes, ein Durchbrechen der Gren- zen nicht. Nur in Ausnahmefällen konnten sie beim Berufsein- stieg mit der Unterstützung ihrer Herkunftsfamilie rechnen und noch seltener auf die tatkräftige Unter- stützung durch eine/n PartnerIn vertrauen. So sehr die Eltern die finanzielle Unabhängigkeit der Tochter unterstützten, das Studium tolerierten oder sogar for- cierten, so deutlich blieb diese Unterstützung auf die Ausbildungszeit begrenzt. Das Risiko einer berufli- chen Selbständigkeit wurde von den Eltern nur aus- nahmsweise abgesichert. Während die Söhne mit dem erfolgreichen Abschluss des Studiums die elter- lichen Erwartungen in diesem Lebensabschnitt voll erfüllten, bewies der Diplomerwerb der Töchter, dass deren Studium keine Fehlinvestition, deren berufliche Ambition keine Illusion war. Gleichzeitig blieben tradi- tionelle elterliche Erwartungen an die Töchter jedoch uneingelöst. Denn so hilfreich ein traditionelles Um- 278 Georgeacopol-Winischhofer, 1997, S. 190 Berufsverläufe und Lebenswege 301 Gisela Schneider um 1940 am Zeichentisch im Büro der Reichspost und unterwegs mit dem mobilen Rei-brett in der Reichsbahn(unten) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar feld im Professionalisierungsprozess war, es eröffne- te keine Vereinbarkeit von beruflicher und familiärer Perspektive. Als Töchter meist nicht berufstätiger Mütter spielten sie die Möglichkeit des Rollenwech- sels - von der privaten Hausfrau zur öffentlichen Be- rufsfrau - im Studium durch.279 Ihr Ausbrechen aus ebenso traditionellen wie restriktiven Rollenbildern, die im Studium noch deutlich erkennbare Lust am ganzen Leben, wurde in ihrem persönlichen Umfeld nur selten goutiert, manches Mal geduldet, häufiger strikt abgelehnt. Both bezeichnet dies als „innere Entfremdung von der Familie“, die sich erst durch ih- re Berufsleistung „überbrückte“. 280 Canthal erinnert, dass ihre Mutter - „wahrscheinlich, weil sie für Kunst nichts übrig hatte (..), sich gern bei aller Welt über mich beschwerte“ und ihre Schwiegermutter sie wei- nend „`das schreckliche Mädchen´ nannte, das den `armen Jungen´ ganz verrückt“ mache. „Daß die Ju- gend früh das Elternhaus verläßt, war damals eine Ungehörigkeit sondergleichen! Wir wurden bestaunt wie Ungeheuer.“ 281 Das Problem ebenso unterschiedlicher wie wider- sprüchlicher Erwartungen versprach die Ehe mit ei- nem Kollegen zu lösen: Die Kompensation ungleicher Chancen innerhalb des Berufsfeldes, die Option, sich innerhalb einer partnerschaftlichen Arbeitssituation auf den Gegenstand Architektur konzentrieren und berufliche Konkurrenz reduzieren zu können, die fi- nanzielle Absicherung bei Schwangerschaft resp. Fa- miliengründung und nicht zuletzt die Erfüllung väter- licher wie mütterlicher Erwartungen. Aus der Sicht von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik musste diese Option wie der goldene Ausweg erscheinen. Knüpften Bauhausstudentinnen ihre Lebensplanung bereits häufig dann an einen Partner, wenn sie ohne formale Qualifikation das Bauhaus verließen, so sucht das Gros der Architekturstudentinnen der Weimarer Republik nach dem Studium offensichtlich eine Le- bensperspektive, bei der eine Tätigkeit als Architektin oder Gestalterin möglich bleibt oder wird. Neben den wenigen, die sich für eine ausschließliche Berufsprio- rität und bewusst gegen eine Familiengründung ent- scheiden, streben die meisten eine Balance zwischen privater und beruflicher Perspektive an.282 Etlichen Architekturstudentinnen der Weimarer Repu- blik wurde bereits im Studium bewusst, dass die Chancen im Berufsfeld nur vermeintlich aufgrund von Leistungsbereitschaft vergeben werden. Etliche be- obachten, dass die Präsenz männlicher Kollegen das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit und damit die Chancen einer Professionalisierung erhöht und su- chen die Zusammenarbeit mit einem männlichen Partner, auch außerhalb einer privaten Beziehung. Diese gemischtgeschlechtlichen Arbeitsgemeinschaf- ten bestehen jedoch i.d.R. nur kurzzeitig. Langfristige Lebens- und Berufspartnerschaften, wie sie bspw. Karl und Elisabeth Gonser [geb. von Rossig] in Stutt- gart betreiben, bleiben die Ausnahme.283 Kaum eine Bauhaus- oder Tessenowstudentin, die kontinuierlich im Berufsfeld tätig ist, bleibt länger als fünf Jahre mit einem Architekten oder Künstler verheiratet. Oder umgekehrt: Ehemalige Bauhaus- oder Tessenowstu- dentinnen, die mit einem Architekten oder Künstler verheiratet bleiben, scheiden fast ausnahmslos nach spätestens drei Jahren aus dem Berufsfeld aus. Schienen verheiratete Architektinnen ihre beruflichen Ambitionen im Einzelfall bereits im Angesicht eines Gatten, fast ausnahmslos beim Anblick von Spröss- lingen preiszugeben, so relativierte sich angesichts der Berufsrealität die Freiwilligkeit des Rückzuges aus dem Berufsfeld. Die individuellen Schicksale von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik folg- ten strukturellen Mustern, die mit der Geschlechter- hierarchie in der Architektur augenfällig verquickt waren. Insbesondere die Kameradschaftsehe erwies sich als ‘Achillesferse’ bei der beruflichen Etablierung von Ar- chitektinnen und bot in der Regel nur ‘ihm’ eine be- rufliche Perspektive. Denn reziprok zum Klischee die- ses Ehemodells ließen sich die Erwartungen innerhalb dieser Lebens- und Arbeitsgemeinschaften in der Ar- chitektur nicht einlösen: Das hohe Konfliktpotential wurde anhand der Scheidungsrate wie dem berufli- chen Ausscheiden der Gattinen deutlich. Etwa die Hälfte der geschiedenen Architektinnen heiratet er- neut, lehnt die Ehe als Form des Zusammenlebens damit nicht grundsätzlich ab, sondern hält sie mit weitgehend selbstbestimmten Lebensformen für ver- einbar. Anhand der Lebenswege zeigte sich, wie stark fami- liäre Erwartungen und partnerschaftliche Rücksicht- nahmen die beruflichen Ambitionen von Architektur- studentinnen der Weimarer Republik faktisch beein- trächtigten. Vielen wurde erst im Laufe ihrer Ehe resp. mit der Präsenz von Kindern deutlich, wie viele Kon- flikte die vermeintlich konfliktreduzierende Lösung ei- ner Heirat mit einem Kollegen barg. Auch wenn die Übernahme der sozialen Mutterschaft durch die Ar- chitektin i.d.R. zu einem deutlichen Einschnitt ihres Berufsweges führte, wurde sichtbar, dass weniger re- ale Belastungen als konfligierende Rollenerwartungen zum Stolperstein beruflicher Ambitionen von Archi- tektinnen wurden, die Zahl der Kinder hingegen kaum eine Rolle spielte. So ließen sich für die meisten Brü- che in den Berufsbiografien - im Unterschied zu ver- meintlichen Plausibilitäten und manchen Selbst-dar- stellungen - keine familiären oder persönlichen Belastungen, sondern berufliche Gründe finden. 279 Glaser und Herrmann wiesen darauf hin, dass um die Jahrhun- dertwende insbesondere das Bürgertum die Frauenbildungs- frage im Hinblick auf eine standesgemäße Erwerbsmöglichkeit unverheirateter Töchter betrieb. (Glaser, Edith / Ulrich Herr- mann: Konkurrenz und Dankbarkeit, in: Zeitschrift für Pädago- gik, 34.Jg., 1988, Nr.2, S.205-220) - Die unmittelbare Koppelung der Bildungs- mit der Berufsfrage über den Aspekt der Versor- gung macht plausibel, dass im Falle einer Heirat beide Fragen ebenso schnell wieder ‘entkoppelt’ werden können. 280 Vgl. FN 136 281 Paula Marie Canthal an Ulli Canthal vom 12.3.1983, S.1 resp.3 282 So auch die Gestalterinnen, die sich bewusst - wenn auch i.d.R. unsichtbar - für eine gleichgeschlechtliche Form der Partnerin- nenschaft entscheiden 283 Auch im weiteren Kreis der mit einem Architekten verheirateten Bauhaus- oder Tessenowstudentinnen finden wir lediglich Ger- traude (und Alexander) Herde sowie Christa (und Eberhard) Kleffner-Dirxen. 302 Vom Auftauchen und Verschwinden Ursula Weiß mit ihren beiden Kindern um 1933 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Auffällig häufig schieden bspw. Architektinnen, die einen Architekten geheiratet hatten, dann endgültig aus dem Berufsfeld aus, wenn das zunächst gemein- sam begonnene Büro einen sichtbaren Schritt der Etablierung vollzog. So hilfreich die ‘mithelfende Ka- meradin’ des Kameradschaftsehemodells beim Be- stellen des gemeinsamen Arbeitsfeldes war, gerade bei Erfolgen wurde das gemeinsame Arbeitsgebiet zum schwierigen Terrain. Und boten Ortswechsel manches Mal auch die Chance einer Rückkehr ins Berufsfeld, so führten Umzüge der Familien im Zu- sammenhang mit der Erwerbstätigkeit des Mannes i.d.R. zu einem erneuten Bruch in der Tätigkeit der Architektin, so bspw. bei den Umzügen der Familien Koppelman, Seitz und Weiß. Anhand der Berufswechsel wurde sichtbar, dass die Vielzahl der Anlässe und Umstände, die zu Brüchen in der Erwerbsbiografie einzelner Architektinnen füh- ren können, nahezu unbegrenzt sind, jenseits indivi- dueller Rahmenbedingungen eine strukturelle Fragili- tät vorhanden ist. Hinsichtlich der Partizipation von Architektinnen haben wir gesehen, dass über deren Präsenz und Repräsentanz, Erfolg und Verdrängung im Fach häufiger Gatten, Kollegen, Arbeitgeber und AuftraggeberInnen entschieden als die jeweilige be- rufliche Ambition. Ehemalige Architekturstudentinnen der Weimarer Republik stolperten in ihren beruflichen Entwicklungen allzu häufig über mangelnde materielle Ressourcen, fehlenden Rückhalt durch Partner und Familie, ungleiche Konkurrenzen und den chroni- schen Mangel an Vertrauen in ihre fachlichen Fähig- keiten. So wurde ihnen i.d.R. nicht nur jegliche Sta- tusdistribution verweigert, sondern auch der für eine freiberufliche Tätigkeit unerlässliche Vertrauensvor- schuss nur ausnahmsweise gewährt. Konnten Architekten ihre ökonomische Reichweite innerhalb kameradschaftlicher Netzwerke erweitern, ihre Arbeitsfähigkeit in der Regel durch ein familiäres Netzwerk sozialer Reproduktion und Repräsentation absichern, so traten Architekturstudentinnen der Wei- marer Republik i.d.R. lediglich mit eigener Arbeits- kraft und Kompetenz in das Berufsfeld ein. Und hat- ten Architektinnen während der Kaiserzeit immer wie- der innerhalb und jenseits der ihnen zugestandenen Bereiche professionelle wie innovative Beiträge gelei- stet, so verfestigte sich im Laufe der dreißiger Jahre ein Prozess, der seit den zwanziger Jahren zu beob- achten war: Architektonische Leistungen von Archi- tektinnen wurden kaum mehr publiziert, geschweige denn gewürdigt. Stattdessen mehrten sich die Stim- men, die jenseits der beruflichen Realität von Archi- tektinnen Geschlechterdifferenzen rekonstruierten und ‘die Frau als Architektin’ mit vermeintlich ge- schlechtsspezifischen Neigungen, Vorlieben und Begabungen etikettierten. Gelang Architektinnen bis zum Beginn der Weimarer Republik die Aufnahme in berufsständische Organisationen - als eine Art der Duldung innerhalb des Berufsstandes - noch häufig, so wurden sie dort während der Weimarer Republik fast nur noch aufgenommen, wenn sie mit einem Architekten verheiratet waren. Und als während des Nationalsozialismus eine Tabui- sierung beruflicher Leistungen von Frauen individuelle Beiträge von Architektinnen verschwinden ließ, zeig- ten sich bzgl. der realen beruflichen Aufgabengebiete Öffnungen. Unerkannt wie unbekannt konnten Archi- tektinnen aber auch im Nachkriegsdeutschland nur in verschwindendem Maße partizipieren. Wenn sie in die Architektur zurückkehrten, so taten sie dies zu- meist erst in den fünfziger und sechziger Jahren und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem die meisten der kontinuierlich im Berufsfeld tätigen Kolleginnen be- reits definitiv ausgeschieden waren. Auch wenn die Auswirkungen lokaler Mentalitäten auf die Arbeitsbedingungen hier nicht untersucht werden können - ehemalige Bauhaus- und Tessenowstuden- tinnen wurden an über 40 Orten im In- und Ausland tätig -, so wurde deutlich, dass auch regionale Mili- eus und lokale Akteure die realen Berufschancen maßgeblich beeinflussten. So wird bspw. am Exodus von Wiener Architektinnen während der Zwischen- kriegszeit sichtbar, dass sie hier in den zwanziger Jahren offenbar kaum adäquate Arbeitsmöglichkeiten fanden. Manche - wie bspw. Ella Briggs, Lilia Sofer und Leonie Pilewski - waren bereits zum Studium in das Deutsche Reich ausgewichen.284 Frieda Lagus hatte sich nach ihrem 2. Preis beim Werkbundwett- bewerb zum ‘Haus der Frau’ 1914 von Wien nach Berlin abgemeldet.285 Liane Zimbler konnte ab 1918 vereinzelt Neubauten für private Auftraggeber reali- sieren, bei den großen Wohnungsbauaufträgen der Gemeinde Wien bleibt sie jedoch ebenso außen vor wie bei der Werkbundsiedlung. Pilewski findet ihre erste Anstellung 1923 in Berlin. Sie bemüht sich auch in Wien mehrfach um Aufträge, kann nach mehreren Ausstellungsbeteiligungen und zehn Jahren im Beruf aber lediglich Inneneinrichtungen unter eigenem Na- men realisieren und publizieren. Auch Margarete Li- hotzkys berufliche Tätigkeit bleibt in ihrer Heimat- stadt zunächst auf die Mitwirkung an einem Wohnhof begrenzt. Deutlich mehr Chancen bieten sich ihr ab 1926 im Hochbauamt Frankfurt, wo sie als Mitarbei- terin auch eigene Ideen umsetzen kann. Erst als sie bereits in Moskau tätig ist, erhält sie die Gelegenheit, im Rahmen der Wiener Werkbundausstellung 1932 ein kleines Musterhaus zu realisieren. Ella Briggs fin- det bereits 1920 bessere Arbeitsbedingungen in den USA und verlässt Wien 1926 erneut, obschon sie dort - nach ihrer Rückkehr 1925 - einen großen Wohnhof realisieren kann. Die Chancen auf weitere 284 Briggs diplomierte 1920 an der TH München, Sofer im gleichen Jahr an der TH Dresden, Pilewski 1922 an der TH Darmstadt. 285 Vgl. Kap. 2, S.27. Frieda Lagus tritt - nach bisherigem Stand der Recherche - weder in Berlin noch als Architektin erneut in Er- scheinung. In Adress- oder Branchenverzeichnissen der Stadt Berlin ist sie unter diesem Namen nicht nachweisbar. Lt. Ein- wohnermeldekarte in Wien kehrte Frieda Lagus auch nicht nach Wien zurück. Schreiben von Herbert Koch, MA8/Wien vom 4.8. 1998. Berufsverläufe und Lebenswege 303 Pestalozzihof Wien XIX, Ella Briggs, 1925-26, Grundriß (oben) und Ansicht entlang der Philippovichgasse Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Aufträge stehen hier offenbar weit schlechter als in Berlin, wo sie unmittelbar nach Bauübergabe ihr Büro eröffnet. Und auch Käthe Böhm und Auguste Hecht, die seit 1919 resp. 1922 an der TH Wien studiert hat- ten, gehen Ende der zwanziger Jahre nach Berlin.286 Elisabeth Nießen, seit Herbst 1917 als - zumindest zeitweilig sogar verbeamtete - Architektin im Hoch- bauamt Wien tätig, wendet sich 1930 mit der Bitte um Empfehlung an Heinrich Tessenow, da sie die berufliche Situation von Architektinnen in Wien als aussichtslos betrachtet. Und Friedl Dicker, die ab 1923 mehrere Jahre freiberuflich tätig und voller Ver- trauen in ihre Professionalisierungsmöglichkeiten wechselnde Arbeitskonstellationen eingegangen war, bittet die männlichen Repräsentanten der Jahre zu- rückliegenden Ausbildung 1931 um ‘Zeugnisse’.287 Plakolm-Forsthuber konstatiert, dass in Wien auch die „ausgebildeten Architektinnen nicht mehr in das Architekturgeschehen der Zwischenkriegszeit eingrei- fen konnten.“ Es lassen sich jedoch kaum Hinweise finden, dass die Ursachen hierfür - wie Plakolm- Forsthuber vermutet - in „biographischen und exi- stentiellen Umständen“ dieser Architektinnen gefun- den werden könnten.288 Weit vor dem Nationalsozia- lismus nutzen Wiener Architektinnen nahezu jede Möglichkeit, um an anderen Orten tätig werden zu können. Vielmehr wird an dieser sicher unvollständi- gen Zusammenstellung bereits deutlich, dass im ‘ro- ten’ Wien der lokale Widerstand gegen Architektinnen wirkungsvoll organisiert war, dass man sie als Archi- tektinnen nicht mehr arbeiten ‘lässt’. Sichtbar wird hier auf lokaler Ebene, dass die Ausgrenzung von Frauen von der Ausbildung in das Berufsfeld verla- gert wird, sobald mit der Zulassung von Studentinnen an der TH Wien eine formale Öffnung stattfindet.289 Das sich im Laufe des 20. Jahrhunderts verändernde Berufsfeld sowie das immer wieder angepasste Be- rufsbild zeigt sich flexibel mit einem Geschlechterko- dex amalgamiert, der die Zugänglichkeit des Berufs- feldes für Männer durchgängig gewährleistet und be- rufliche Chancen unmittelbar an geschlechtsspezifi- sche Selektionen und Netzwerke knüpft. An dieser Tendenz sich ständig ausdifferenzierender Schlie- ßungsmechanismen innerhalb des Berufsfeldes, in dem Fachfrauen eine Partizipation immer nur auf den unteren Hierarchiestufen zugestanden wird, wird die Flexibilität des Geschlechter-Paradoxon bei der Kon- stitution freier Berufe deutlich: So sachlich der Ge- genstand, so wirkungsvoll kann dieser Gegenstand im Legitimationsdiskurs von politischen Rahmenbe- dingungen abgekoppelt und im Interesse der Mehr- heit zu Lasten der Minderheit instrumentalisiert wer- den. Dabei dient die Rekonstruktion der Geschlech- terdifferenz der Ausgrenzung. Der Diskurs über ver- meintliche Charakteristika der Geschlechter wirkt sich auf die reale Berufssituation von Fachfrauen verhee- rend aus, in dem er strukturell deren individuelle Be- rufschancen reduziert und - durch die Macht des Faktischen -’bestätigt’, was der Diskurs reklamierte: Dass sie leitende Positionen nur selten inne haben und weniger bauen als männliche Kollegen. Und im Zirkelschluss wird aus der Quantität die Qualität: Dass sie weniger bedeutend gebaut, der Baukunst nicht mit kühner Führergebärde die Richtung gewie- sen haben.290 So machen zahlreiche Architekturstudentinnen der Weimarer Republik im Laufe des Berufslebens die schmerzliche Erfahrung, dass die Diskrepanz zwi- schen Anspruch und Wirklichkeit nicht historischen Prozessen oder faktischen Unzulänglichkeiten ge- schuldet ist, sondern der Aufrechterhaltung von Hie- rarchien dient, die ihnen keine akzeptablen Formen der Partizipation zugesteht. Wurden Bauhausstuden- tinnen bereits im Studium damit konfrontiert, dass ih- re inhaltlichen Anliegen keinerlei Beachtung finden, so machen im Berufsleben auch ehemalige Tesse- nowstudentinnen die Erfahrung, dass mensch ihre Kompetenzen lieber entbehrt als schätzt. Architekturstudentinnen der Weimarer Republik ver- schwanden bereits ab Ende der zwanziger Jahre zunehmend aus nahezu allen öffentlich relevanten Bereichen der Architektur. Ein ‘Wahrnehmungs- schwund’, der - wie wir gesehen haben - weder mit ihren beruflichen Ambitionen noch mit ihrem Famili- enstand korrelierte. Auch anhand der Berufsausstiege im Nationalsozialismus wurde deutlich, dass der ver- meintlich wichtigste Grund für das ‘Verschwinden’ der Architektinnen im Berufsfeld - der Rückzug ins Private resp. die Gründung einer Familie unter tradi- tioneller Rollenverteilung - in der Regel der Anlass, nicht jedoch der Grund dieses Ausscheidens war. Zeichnete sich bereits anhand der Berufseinstiege ab, dass mehr als die Hälfte der architekturinteres- sierten Bauhausstudentinnen, jedoch lediglich ein Drittel der TH-Studentinnen der Weimarer Republik der privaten Lebensperspektive Vorrang einräumt, so zeigt die hohe Scheidungsquote - nach wenigen Jah- ren und auch bei noch kleinen Kindern - sowohl den hohen Selbstbestimmungsgrad der Architektinnen wie die trügerische Faszination des Kameradschafts- ehemodells. Die meisten Studentinnen der Weimarer Republik begriffen ihre Eheschließung als Partner- schaftsmodell und waren nicht bereit, die Ehe als ‘Versorgerehe’ oder ‘Schicksalsgemeinschaft’ zu füh- ren.291 Die Mehrzahl dieser Frauen sieht hier ihre Er- wartungen nicht eingelöst und zieht den Status der geschiedenen Frau mit eigenen beruflichen Ambitio- nen dem der untergeordneten Gattin vor. Nach jahr- zehntelanger beruflicher Enthaltsamkeit gelingt die Rückkehr in eine tragfähige (frei-)berufliche Existenz den geschiedenen Architektinnen jedoch deutlich sel- 286 Käthe Böhm hatte Elektrotechnik studiert, 1928 mit Norkauer und Wendelmuth eine Wohnung für die berufstätige Frau ent- wickelt. (vgl. Kap.3, S.40) Um 1930 werden von ihr ausgestatte- te Wohnungen in Wien im Rahmen der Wohnungsführungen ge- zeigt. Zu diesem Zeitpunkt ist sie bereits in Berlin ansässig und Mitglied - und Kassiererin - der Berliner Soroptimists. Zum Stu- dium Böhms vgl. Mikoletzky/Georgeacopol-Winischofer/Pohl, 1997, S.331. Zu Böhm vgl. auch Plakolm-Forsthuber, 1994, S.245 und 252, zu Hecht vgl. Kap. 3, S. 45, sowie Georgeaco- pol-Winischhofer, 1997, S.327. 287 Just als das gemeinsame Atelier mit Franz Singer scheitert, ist diese Bitte vielsagend: Dicker weiß offenbar um die Bedeutung männlicher Patronagen in der Architektur. Zuvor hatte sie mit Singer den Kindergarten Goethehof umgeplant, und offenbar strebte sie vergleichbare Aufträge öffentlicher Auftraggeber an. Aber auch mit Hilfe dieser Zeugnisse gelingt ihr die Akquisition entsprechender Aufträge nicht. 288 Plakolm-Forsthuber, 1994, S.261 - Wie der Ausschluss von Ar- chitektinnen auf dieser lokalen Ebene ‘funktionierte’, müsste auf lokaler Ebene beleuchtet werden. 289 Vor 1919 waren ihnen nur die Architekturklassen der Kunstge- werbeschule zugänglich. 290 Dem Dilemma, aus Zirkelschlüssen nicht entkommen zu kön- nen, dürfte ein - wenn nicht der entscheidende - Grund sein, weshalb manche Architektinnen das Thematisieren ihrer Person als Geschlechtswesen so vehement ablehnten. 291 Nur Bonin, Marx und Ney betreiben die Scheidung im Hinblick auf eine neue Bindung und heiraten umgehend erneut. 304 Vom Auftauchen und Verschwinden Beamten-Wohnungsbau, Berlin-Mariendorf, 1928, Ella Briggs, Fassadenausschnitt, s. a. Abb. S.334 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar tener als den verwitweten.292 Auch wenn Architektinnen vielfach dank Kreativität, Mehrfachbegabungen und Flexibilität durch Tätigkei- ten auch am Rande oder außerhalb der Profession ihr materielles Auskommen sichern können, so scheint sich ihre Marginalität innerhalb des Berufsfeldes hier- durch zu bestätigen. Diese marginale Repräsentation verstärkt und verschleiert die rigide Marginalisierung von Architektinnen. Denn gerade freiberuflich tätige Architektinnen hatten ab den zwanziger Jahren zu- nehmend weniger Chancen, öffentlich als Architektin wahrgenommen zu werden. Und sie ‘riskierten’ die- sen Statusverlust - im Unterschied zu ihren Kollegen - fortwährend. Denn sobald sie keine Aufträge hatten, galten sie als Gattinen, Mütter und/oder unversorgte Töchter, sobald sie mit männlichen Kollegen zusam- menarbeiteten oder in deren Umfeld in Erscheinung traten, wurden sie als Mitarbeiterin oder mithelfende Familienangehörige wahrgenommen. Im Unterschied dazu büßten Architekten bei Auftrags-, Arbeitslosig- keit oder fachfremder Tätigkeit ihren Berufsstatus in aller Regel nicht ein. Sie blieben auch dann Architek- ten, wenn sie bspw. kunstgewerblich tätig wurden, da es ihnen gelang, damit nicht identifiziert zu wer- den - aufgrund „innerlichem Gegensatz zum Kunst- gewerbe überhaupt“.293 Im Unterschied dazu wirkten sich Phasen professioneller ‘Un’-Tätigkeit von Archi- tektinnen im Regelfall statusmindernd aus. Mit einer Zuschreibung - dem Begriff ‘Hausfrau’ - belegt, die sich zum Verständnis der Profession ausschließlich verhält, werden sie nicht mehr als Professionals wahrgenommen. Damit wirkte sich der Geschlechterdiskurs im traditio- nellen wie modernen Lager auf die realen Möglichkei- ten von Architekturstudentinnen der Weimarer Repu- blik im Berufsfeld offenbar erheblich aus. Denn konn- ten Architektinnen in traditionsbewusster Umgebung leichter einen Zugang zum Beruf finden, so gelang es ihnen dort nur tätig zu bleiben, wenn sie sich auf pri- vater Ebene traditionellen Frauenrollen konsequent entzogen. Denn im Fall der Geburt von Kindern wa- ren sie gerade im konservativen Kontext umso schär- fer mit der Ausschließlichkeit traditioneller Rollenver- ständnisse konfrontiert: Architektinnen traditioneller Prägung wurden nicht nur Mütter, sie fügten sich in der Regel in die traditionelle Rolle der Fulltime-Mut- ter, die häufig keine Rückkehr ins Berufsfeld mehr erlaubte. Architekturstudentinnen, die in weniger traditionsbe- wussten Kontexten aufgewachsen waren, wurden durch den Geschlechterdiskurs mit einer anderen, nicht minder schwierigen Problemlage konfrontiert. Ihre fachliche Neugier führt sie in Bereiche, die be- sonders hartnäckig traditionellen Geschlechterdicho- tomien frönten. Sie, die sich weit öfter den traditio- nellen Frauenrollen entziehen und nach selbstbe- stimmten Arbeitsformen suchten, waren nicht bereit, in subalternen Positionen zu arbeiten. Damit blieben sie jedoch i.d.R. auf temporäre Projektbeteiligungen, und Tätigkeiten als ‘Tausendfüßlerinnen’ angewiesen. Nahezu nie bot sich ihnen die Chance beruflicher Verstetigung, sowohl den ‘Traditionalistinnen’ wie den ‘Modernistinnen’ blieb berufliche Anerkennung oder Etablierung in der Regel versagt. Auch hier bestätigte sich, was wir bereits bei der Ausbildung als Struktur der Partizipation analysierten: Dass nämlich in formal ungeregelten Berufsbereichen die Gleichgeschlechtlichkeit das primäre Selektions- kriterium bildet, während unter berechenbaren resp. geregelten Rahmenbedingungen auch Frauen die Partizipation gelingt und zu zumindest vergleichbaren Leistungen führt. Architekturstudentinnen der Weima- rer Republik strebten jedoch häufig in die freien und formal ungeregelten Berufsbereiche, nur die wenig- sten wollten in den wenigen geregelten Tätigkeitsbe- reichen innerhalb der Architektur tätig werden. Während Tessenowstudentinnen im Anschluss an das Studium zumeist als angestellte Architektinnen in öffentlichen Planungsbüros oder privaten Ateliers Einstiege in das engere Berufsfeld fanden und nur selten freiberuflich arbeiteten, waren die Berufsein- stiege der Bauhausstudentinnen häufig durch tem- poräre Beschäftigung und Tätigkeiten am Rande des Berufsfeldes und Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Projektbezogene Arbeitsgemeinschaften oder die freie Mitarbeit in privaten Ateliers deuteten auf prekä- re Beschäftigungsverhältnisse. Während des Natio- nalsozialismus war zunächst eine Verengung der be- ruflichen Perspektive von Architektinnen zu beobach- ten. Bereits Mitte der dreißiger Jahre zeichnete sich jedoch für ‘arische’ Architektinnen eine Zugänglich- keit zu weiten Teilen des Berufsfeldes ab - als Folge antisemitischer Vertreibung wie in Vorbereitung des zweiten Weltkrieges. Nach 1945 war jedoch erneut eine deutliche Reduktion möglicher Berufsbereiche von Architektinnen zu beobachten, die über die ge- samte Zeit des Wiederaufbaus anhielt. Trotz hoher Flexibilität und häufig erkennbarer Kom- promissbereitschaft, war vielen Architekturstudentin- nen dieser Generation nur selten beruflicher Erfolg vergönnt. Selbst Architektinnen mit größten Ambitio- nen fanden innerhalb des engeren Berufsfeldes keine dauerhafte Perspektive. Neben dem Ausweichen in weniger umkämpfte Arbeitsfelder war – mit zuneh- mender Berufserfahrung zunehmend häufiger – ein Ausscheiden aus dem Berufsfeld zu beobachten. Kaum eine wendet sich aus freien Stücken neuen Tä- tigkeiten zu und nur wenige finden eine Möglichkeit, in die Architektur zurückzukehren. An den Berufsaus- stiegen von Architektinnen, die keine Rücksicht auf 292 So finden wir unter den Ehen ehemaliger Bauhaus- und Tesse- nowstudentinnen kein Beispiel, bei dem der Architektengatte nach einer Scheidung den Arbeitsplatz wechselt, wie dies bspw. bei Herta Hammerbacher der Fall war. Sie bleibt nach der Tren- nung von Hermann Mattern 1935 in verantwortlicher Stellung im Büro Foerster tätig (bis 1948). Vgl. Jachmann, 1984, S.49. 293 So soll bspw. Hans Poelzig, der 1919 auf der Werkbundtagung in Stuttgart nach Übernahme des Vorsitzes davor gewarnt hatte, dass ‘Kunstgewerbe’ zu einer gefährlichen „Sinn- und Formver- manschung“ führe (Heuss, 1939, S.42), „natürlich letzten Endes wegen innerlichem Gegensatz zum Kunstgewerbe überhaupt“ 1922 vom Amt des Vorsitzenden des Deutschen Werkbundes zurückgetreten sein (Ibid., S.43). Bei Posener wird aus dem Misserfolg im Fach eine Tugend: Bescheidenheit. „So beschei- den hat er in Berlin angefangen. Da er nichts zu bauen hatte, hat er sich mit keramischen Arbeiten beschäftigt. Porzellanarbeiten, gemeinsam mit Marlene Moeschke“, schreibt er über die Tätig- keit des 1926 bereits 55järigen Poelzig. (Posener, Julius: Hans Poelzig, Sein Leben, sein Werk, Braunschweig/Wiesbaden, 1994, S.146) Und er betont, dass die Skizzen für Bühnenbilder „nicht etwa nur deswegen entstanden, weil Poelzig um diese Zeit keine Bauaufträge hatte“, sondern „im Mittelpunkt seines Schaffens gestanden“ hätten (Ibid.). Berufsverläufe und Lebenswege 305 familiäre Konstellationen nehmen, wurde unüberseh- bar, dass sich die beruflichen Erwartungen dieser Ar- chitektinnengeneration innerhalb des Berufsfeldes nicht einlösen ließen. Während die Frage formaler Qualifikationen mit zu- nehmender Berufserfahrung offensichtlich an Rele- vanz verliert, kommen familiärem Rückhalt, insbeson- dere jedoch beruflichen Netzwerken und den Vertrau- ensvorschüssen potentieller AuftraggeberInnen zu- nehmend mehr Bedeutung zu. Wie wir an den Archi- tekturstudentinnen der Weimarer Republik gesehen haben, bleiben Architektinnen auf dem Terrain der Chancen- und Auftragsvergabe qua Geschlecht Out- siderinnen. Mit wachsender Berufserfahrung nicht in maßgebliche Bereiche innerhalb der Berufshierarchi- en vordringen resp. kaum Auftragszuwächse erzielen zu können, macht die Architektur als Berufsfeld für Architektinnen zunehmend unattraktiv. Angesichts der Vielzahl struktureller Stolpersteine und berufsfeldspezifischer Ausschlussmechanismen wird erklärlich, dass zwanzig Jahre nach Studienende nur noch gut zehn Prozent der Architekturstudentin- nen der Weimarer Republik in der Architektur zu fin- den sind. Die ganz überwiegende Mehrheit dieser einstmals engagierten Architekturstudentinnen kehrt nach Unterbrechung nicht mehr in dieses Berufsfeld zurück oder nach mehreren Jahren dem Berufsfeld den Rücken. Die vielfache Suche nach Erwerbsmög- lichkeiten am Rande oder außerhalb der Architektur ist eine allzu deutliche Reaktion auf die Widersprü- che, Hierarchien und Chancenlosigkeit von Frauen innerhalb des Berufsfeldes. Denn das Architekturin- teresse bleibt wach: Sobald sich die Chance zur Ver- wirklichung ihrer Ideen, ihrer räumlichen Fantasien, ihrer Architekturentwürfe abzeichnet, setzen sich Ar- chitekturstudentinnen der Weimarer Republik - auch im fortgeschrittensten Alter - wieder ans Reißbrett, entwerfen und bauen. 306 Vom Auftauchen und Verschwinden Ausschnitt eines Artikels in der Siegener Zeitung vom 11.7.1980 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 10 Resümee Zusammenfassung (307) - Forschungsbedarf (317) - Schlussbemerkungen (319) Bei den Neuordnungen des Berufsfeldes Architektur anläßlich von Umbrüchen im 20. Jahrhundert spielte Gender eine wichtige, wenn nicht entscheidende Rolle: Ob ‘modern’ oder ‘traditionell’ orientiert, auch in der Architektur beförderte der kleine Unterschied zwischen den Geschlechtern - zum großen Unter- schied im ‘Wesen’ stilisiert - den Ausschluss von Frauen aus dem Berufsfeld. Auch in der deutschen Architekturszene wurden, wie zu zeigen war, Chan- cen und Meriten nicht primär nach Qualität, Kreativi- tät, Qualifikation und Leistungsbereitschaft, sondern nach geschlechterkonnotierten Wahrnehmungsmu- stern vergeben. Bauhaus- und Tessenow-Studentinnen wurden nicht immer Architektinnen. Und sie blieben nur manches Mal als Architektinnen tätig. Während ihre Kommilito- nen ihr Studium mit oder ohne Diplom beendeten, in Büros oder den Staatsdienst eintraten, ledig blieben oder heirateten, sie wurden und blieben i.d.R. Archi- tekten. In ihnen ‘bewahrheitete’ sich damit jene Re- alität, die ihnen prospektiv bereits im Studium - qua Geschlecht - zugesprochen worden war. Dieser Befund spiegeltdie Rahmenbedingungen in einem Berufsfeld wie einer Gesellschaft wider, in der Frauen nur ausnahmsweise - als Ausnahme einer Re- gel - jene Akzeptanz erreichten, die für eine Etablie- rung in freien Berufen unabdingbar erforderlich ist. Anhand der Partizipation von Architektinnen am Be- rufsstand wurde deutlich, dass mit dem Erscheinen der ersten akademisch gebildeten Architektinnen die Grenzen innerhalb des Berufsfeldes neu und entlang geschlechterkodierter Statusgrenzen gezogen wur- den. Insbesondere im Nationalsozialismus wurde sichtbar, wie scharf und hartnäckig Tätigkeitsfelder und Berufsstatus mit der Geschlechtergrenze zur Deckung gebracht wurden. Aber auch diesseits und jenseits der ‘geschlechtergetrennten Volksgemein- schaft’ zeigte sich die Profession Architektur ge- genüber der Partizipation von Fachfrauen weitaus re- sistenter als gegenüber anderen Innovationen. An- lässlich der Ausstellung „Frauenschaffen im XX. Jahr- hundert” konstatierte Rosa Schapiro 1927: „Überra- schend ist, wie sehr sich das Bild des Frauenschaf- fens auch auf künstlerischem Gebiet in den letzten dreissig Jahren verändert hat. Als die Bahn frei war, waren plötzlich auch die Begabungen vorhanden.“ 1 Hatten in Deutschland ab der Jahrhundertwende zu- nächst Entwerferinnen aus dem noch die freie wie die angewandte Kunst umfassenden Bereich, dann auch erste Architektinnen Zugang zum Berufsfeld Architek- tur gefunden, so setzte zeitgleich eine schleichende, unter dem Einfluss des Werkbundes deutlich zuneh- mende Abwertung alles Kunstgewerblichen ein, noch bevor die Gleichheit der Geschlechter in einer deut- schen Verfassung erstmalig verankert wurde. Schon deutlich vor Beginn der Weimarer Republik war im öffentlichen Diskurs die massive Diminuierung und Ausgrenzung alles vermeintlich ‘Weiblichen’ zu be- obachten. Resümee 307 1 Schapiro, Rosa: Die Frau in den bildenden Künsten, in: Frau und Gegenwart, 4.Jg., 1927, Nr.40 Über Kunstgewerbeschulen, die Studentinnen bereits während der Kaiserzeit mit weniger Vorbehalten auf- genommen hatten als Technische Hochschulen oder Akademien, schrieb Fritz Mackensen, seines Zei- chens Direktor der Weimarer Kunsthochschule, be- reits 1915 an Gropius: „Kunstgewerbeschulen sind nach meiner Meinung sehr selten Anstalten zur wirk- lichen Förderung der angewandten Kunst, am wenig- sten der Architektur. Es hat sich mit der Zeit heraus- gestellt, daß die Architektur, das wichtigste Element, zu kurz kam und das Übrige einen etwas femininen Charakter erhielt.“ 2 Ähnlich wie der Werkbund „Wert“ darauf legte, Mit- glieder „in seiner Gemeinschaft zu wissen“, bei de- nen „der Gedanke von der Verpflichtung der deut- schen Arbeit zur höchsten Leistung (..) Verständnis und Förderung“ findet, so wollte auch das Bauhaus eine Gemeinschaft führender Künstler und Handwer- ker sein, eine zeitgemäße Gestaltungsausbildung neu definieren und institutionalisieren.3 Dabei zeigte sich das anachronistische Festhalten an Geschlechterhie- rarchien weniger als Paradoxon denn als Bestandteil des Programms. Denn während die Progressivität von Ansatz und Lehre - und mit ihr die so sichtbar abweichenden Lebensstile während des Studiums - zunächst den Eindruck erweckte, dass traditionelle Geschlechterrollen gerade am Bauhaus in Frage ge- stellt, bei Tessenow unangetastet geblieben seien, so entpuppte sich die Wahrung männlicher Exklusivität als inhärenter Bestandteil des Reformprogramms. Im Vergleich der beiden Ausbildungsrichtungen wurde evident, dass am Staatlichen - aber weitgehend auto- nomen - Bauhaus, dessen Ent- und Bestehen so un- mittelbar an die Weimarer Republik geknüpft scheint, die Rekonstruktion und Reetablierung traditioneller Geschlechterhierarchien in der Architektur besonders effizient betrieben wurde. Und diese Modernisierung eines patriarchalen Gesellschaftsverständnisses (durch informelle Exklusion von Frauen) erwies sich innerhalb des Berufsfeldes als so schnell konsensfä- hig wie kaum ein anderer Teil des Modernisierungs- programms. In diesem Sinne forderten gegen Ende der Weimarer Republik auch Architekturlehrer Tech- nischer Hochschulen bei der Auswahl der Studieren- den Autonomie. Bereits 1912 stellte Agnes Harder fest, dass die „ge- treue[n] Schildträger” der modernen Kunst innerhalb des Publikums Frauen seien, denen jedoch nicht auf- falle, „in welch eigentümlicher Auffassung sie ihr Bild aus all den tausend Rahmen grüßt.” 4 Sie fordert „Korpsgeist” von den Frauen, sowie „die Macht, die man ihnen schon zugestanden hat, praktisch zu ver- wenden. Nicht in Kampf und Gehässigkeit, sondern in ruhiger, bewußter Abwehr alles dessen, was die eigene Person und das Geschlecht entwürdigt.” 5 Im öffentlichen Diskurs war die Geschlechterdifferenz weit vor der Weimarer Republik präsent. Just in die- sem Zeitraum politisch-struktureller Umbrüche, Inter- essenkonflikte und Aushandlungsprozesse blühte dieser Diskurs jedoch neu auf. Während sichtbare Geschlechterdifferenzen zunehmend verschwammen, wuchs die Bedeutung ‘unsichtbarer’, psychologisch konstruierter Differenzen. Gleichzeitig wurden visuelle Attribute ‘neuer’ Frauen für das ‘neue’ Bauen rekla- miert und inszeniert, verkörperte deren Geradlinigkeit, die von allem zuvor Gesehenen so sichtbar abwich, doch so trefflich die Rationalität jenes ‘neuen’, mo- dernen Lebens, das von dem gerade überstandenen Krieg so deutlich abweichen sollte. Die kulturelle Identität tradierter ‘Männlichkeit’ wie das diesem Selbstverständnis zugrundeliegende Wertesystem war durch die Kriegserfahrung ohnehin obsolet. In dieser Zeit zweifelhafter Parameter und ‘volatiler Geschlechteridentitäten’ (Ruethi) stieg das Bedürfnis nach Eindeutigkeit, sichtbaren Differenzen und klarer Abgrenzung. So erlebt die ‘Neubestim- mung’ resp. (Re-)Konstruktion des biologischen Ge- schlechts bei der (Re-)Konstruktion eines ins Wanken geratenen Hierarchiegefälles eine Renaissance. Auf der Suche nach dem ‘neuen (männlichen) Menschen’ wird Frauen nahezu kein Platz gesellschaftlicher Re- levanz in Politik und Erwerbsleben eingeräumt. Propagiert werden ‘neue’ Rollen und ‘neue’ Frauen innerhalb der - alten - Geschlechterhierarchie. Mit der Weimarer Verfassung war auf der legislativen Ebene ein deutlicher Schritt zugunsten einer zumin- dest denkbaren Geschlechteregalität erreicht worden. Rechtlich stellte die Wahl eines Architekturstudiums während der Weimarer Republik keine außerordentli- che Hürde mehr dar. Hoch motivierte Töchter des technikinteressierten Mittelstandes wie des Bildungs- bürgertums absolvierten nun auch in diesem Fach erfolgreich ihre akademische Ausbildung und schlos- sen mit zumindest durchschnittlichen Diplomen ab. Während die Zahl der Architekturstudentinnen an staatlich kontrollierten Hochschulen anstieg, fanden zeitgleich bereits erneute Schließungen statt. Und obschon in der Auseinandersetzung um Tradition und Moderne in der Architektur das Verhältnis der Ge- schlechter weitgehend tabuisiert blieb, so wurde die neue Geschlechteregalität nicht nur, aber doch gera- de von den Vertretern eines ‘neuen Bauens’ unterlau- fen. Im Architekturstudium der Weimarer Republik blieben geschlechtsspezifische Unterschiede und ambivalent besetzte Rollenzuweisungen präsent: Bei Tessenow stand die Differenz der Geschlechter nicht, am Bau- haus nur während der Weimarer Anfangsphase zur Diskussion. Im Seminar selbst wurden Studentinnen nicht ausgegrenzt, jedoch diskursiv auf das modifi- 2 Briefwechsel Mackensen – Gropius (Wingler, 1975, S.28). In der Stuttgarter Programmrede 1922 distanzierte sich Poelzig als Werkbundvorsitzender nachdrücklich vom Kunstgewerbe, da er „die Arbeit des Werkbundes auf die ‘ars magna’, auf den Bau sammeln“ wollte. (Heuss, 1939, S.43) Und rückblickend be- zeichnet Konrad Wachsmann seine Zeit an der Kunstgewerbe- schule Berlin als „Bastelstunden bei Professor Seeck.“ - Grue- ning, 1986, S.35 3 So der Text der Ehrenkarte, mit der die „Einladung zur Mitglied- schaft“ durch den Vorstand des Werkbundes ausgesprochen wurde. Jäckh, 1913, S.97 4 „Ist nun die Frau wenigstens auf den (..) schöngeistigen Gebie- ten eine Macht geworden? Hat sie es verstanden auszunützen, was nicht allein ihre glatte Mehrzahl, sondern auch eine günsti- ge Zeitströmung ihr bot? Hat sie mehr erlangt als einen Kreis von pflichtschuldigen, weil eingeladenen Bewunderern auf ei- nem Diner?(..) Seit der unselige Kampf der Geschlechter aber entbrannt ist, scheint es eins der beliebtesten Mittel zu sein, sie [die Frauen] als Geschlecht herabzusetzen.(..) Und die ganze moderne Kunst, wer sind denn ihre getreuen Schildträger? Die Frauen und immer wieder die Frauen. Fällt es ihnen da nun nie auf, in welch eingentümlicher Auffassung sie ihr Bild aus all den tausend Rahmen grüßt? (..) Aber die Frau als Publikum besucht diese Ausstellungen mit Vergnügen, wenn auch nur um sich dort zu mokieren. Es fällt ihr garnicht ein, daß sie damit indirekt diese Kunst unterstützt. Sie denkt nicht daran, sich mit den Darge- stellten in ihrem Geschlecht zu identifizieren. Sie denkt nicht an ihre Macht, auch hier.” Harder, Agnes: Die Frau als Publikum, in: Die Welt der Frau, 31.Jg., 1912, S.103, (Beilage der Gartenlau- be, Nr.7) 5 Ibid. 308 zierte Rollenbild der - nun akademisch gebildeten - Kameradin (und Mutter) verwiesen. Im Unterschied dazu existierten am Bauhaus zwei Diskurse neben- einander: Offiziell einer zeitgemäßen Geschlechter- egalität verpflichtet, blieben geschlechterhierarchi- sche Überzeugungen intern ebenso dominant wie handlungsleitend. Hier wurden geschlechtergetrennte Sphären etabliert, Studentinnen aus allen professio- nellen Bereichen ausgegrenzt. Architekturstudentinnen der Weimarer Republik wa- ren ganz überwiegend in liberalen, bürgerlichen oder großbürgerlichen Familien aufgewachsen. Häufig gin- gen sie in Großstädten zur Schule, erwarben an Real- gymnasien oder Lyzeen ein Regelabitur. Und die zu- meist musisch-kulturell orientierten Elternhäuser er- möglichten ihren Töchtern, individuelle Interessen zu verfolgen und im Laufe ihrer Sozialisation ein umfas- sendes kulturelles Kapital zu erwerben. In einem häu- fig großstädtischen Umfeld entwickelten die um die Jahrhundertwende Geborenen den für Mädchen im- mer noch ungewöhnlichen Studienwunsch Architek- tur. Die familiäre Situation bot teilweise bereits gün- stige Voraussetzung dafür, dass Tessenow- und Bau- hausstudentinnen diesen Wunsch auch realisieren konnten. Manche Eltern forcierten gar die Entschei- dung für ein Architekturstudium. Die Mehrheit der Studentinnen musste aber zunächst die elterliche Skepsis überwinden. Dabei wurde die Frage der Eig- nung in einer durch familiäre Verpflichtungen und Rücksichtnahmen aufgeladenen wie abgefederten Form quasi privatim erörtert. Aber auch im Studium wurden sowohl Bauhaus- wie TH-Studentinnen im- mer wieder mit der Frage geschlechtsspezifischer Passgenauigkeit konfrontiert. Die Studentinnen der Weimarer Republik, von denen zumindest jede Dritte schon vor Studienbeginn Ein- blick in das Berufsfeld Architektur nehmen konnte, wählten dieses Studium aus den verschiedensten Gründen, immer jedoch auch aus einem Interesse am vielseitigen Fach: Architektur versprach die Verein- barkeit künstlerischer wie mathematisch-technischer Interessen in einem gesellschaftlich relevanten Be- reich. Während Tessenowstudentinnen i.d.R. im Hin- blick auf eine Berufstätigkeit studierten, trafen die meisten Bauhausstudentinnen mit der Studienwahl noch keine konkrete Berufsentscheidung. Alle TH- Studentinnen und knapp die Hälfte der architekturin- teressierten Bauhausstudentinnen verfügten mit dem Abitur über eine Hochschulzugangsberechtigung. Bei Dreiviertel der zumeist noch minderjährigen Tesse- now- und einem Viertel der Bauhausstudentinnen fiel die Entscheidung über den Studienort in Abstimmung mit den Eltern. Mit zunehmendem Alter trafen Stu- dentinnen die Studienorts- wie die Lehrerwahl aber auch selbständig. Bauhausstudentinnen verfügten bei Studienbeginn mehrheitlich bereits über Studienerfahrungen resp. berufliche Vorerfahrungen. Für sie stellte dieses Stu- dium i.d.R. einen Fächerwechsel dar. Sie absolvierten manches Mal eine handwerkliche Lehre, jedoch nur in Ausnahmefällen Praktika im Bauwesen oder der Architektur. Während des Studiums fanden sie - spä- testens nach der Vorlehre - deutlich schlechtere Stu- dienbedingungen vor als ihre Kommilitonen. Ob sie Patronagen suchten oder in Assimilation an die vor- handenen Studienbedingungen die Paradoxien inter- nalisierten, die ihrem Kompetenzerwerb im Wege standen: Architekturinteressierte Studentinnen hatten am Bauhaus nahezu keine Chance gleichberechtigt und erfolgreich zu studieren. Der Erwerb eines Bau- hausdiplomes war für Studentinnen im Bereich Bau- /Ausbau faktisch nicht vorgesehen. Nur Einzelnen gelang dies dank besonderer Konstellationen. Tessenowstudentinnen absolvierten die obligatori- schen Praktika im Baugewerbe und in Architekturbü- ros und durchliefen - ebenso wie ihre Kommilitonen - ein weitgehend kanonisiertes Studienprogramm. Sie erwarben das Diplom fast ausnahmslos während der Regelstudienzeit. Weit häufiger als Bauhausstuden- tinnen waren sie als Töchter von Architekten und In- genieuren aufgewachsen. Während des Studiums be- arbeiteten sie mehrere Entwurfsaufgaben, die mit der beruflichen Praxis korrespondierten. Entscheidender für ihren ebenso zügigen wie erfolgreichen Kompe- tenzerwerb war jedoch, dass sie im Studium unter nahezu vergleichbaren Bedingungen vergleichbare Qualifikationen erwerben konnten. Damit wurde im Vergleich überdeutlich, wie weitge- hend der Kompetenzerwerb während der Weimarer Republik an die Wahl resp. die Rahmenbedingungen der Ausbildungsinstitution gekoppelt war. Auch wenn sich Studentinnen nirgendwo geschlechteregalitäre Studienmöglichkeiten boten, so konnten sie an Archi- tekturfakultäten Technischer Hochschulen doch die notwendigen Kompetenzen und Qualifikationen er- werben, während dies am Bauhaus aufgrund unter- schiedlicher Zugangshürden und Ausgrenzungen nahezu unmöglich war. Beide Ausbildungswege zeigten sich deutlich von der Debatten über Reformen in der Architekturausbildung resp. die Neudefinition des Berufsbildes - die gesell- schaftliche Rolle des Architekten - beeinflusst. Inner- halb der Hochschulhierarchien waren dabei eher Ver- festigungen als Öffnungen zu beobachten, obschon die soziale Durchlässigkeit an Technischen Hochschulen wie auch am Bauhaus im Laufe der Weimarer Republik zunahm. Anhand der beruflichen Ambitionen war zu sehen, dass sich das Architekturstudium der Studentinnen Resümee 309 der Weimarer Republik nicht auf die Frage standes- gemäßer Bildung reduzieren ließ. Nur den Tessenow- Studentinnen gelang es jedoch, ihr kulturelles Kapital in Studienerfolge umzusetzen. Architekturinteressier- ten Studentinnen am Bauhaus, die im Vergleich zu ihren Kommilitonen noch weit deutlicher über einen Vorsprung kulturellen Startkapitals verfügten, gelang dies i.d.R. nicht. Eine vorbehaltlose Förderung ihrer beruflichen Ambitionen erwartete Architekturstuden- tinnen der Weimarer Republik jedoch auch bei Tesse- now nicht, und ebenso wenig bei Poelzig, Taut oder Bonatz. Bei Mies, Meyer oder Gropius konnten sie jedoch nicht einmal mit Duldung rechnen, eine solche bestenfalls unter glücklichen Umständen erlangen. Während Tessenow Frauen weit lieber im Haus als im Erwerbsleben sah, ließ er die architekturinteressierten ‘Mädchen’ in seinem Seminar gewähren, vermittelte ihnen fachliche Kompetenzen und Verständnis für das Bauen. Und während er selbst Distanz zu den Studierenden hielt und nach Ausgleich zwischen den Geschlechtern strebte, herrschte im Seminar ein ka- meradschaftlicher Umgang. Im Unterschied dazu hielten manche Bauhausmeister deutlich weniger Di- stanz zu den Studierenden, ließen i.d.R. jedoch keine Zweifel daran aufkommen, dass Frauen in der Archi- tektur wie in deren Studium unerwünscht waren. Hier konnten Studentinnen als künstlerisch hochbegabt gelten, Förderung erfuhren sie bestenfalls in ver- meintlich geschlechtsadäquaten Tätigkeitsbereichen. Zugang zur Architektur erlangten sie unter Gropius nur ausnahmsweise. Auch unter Meyer durften sie Ideen wie Arbeitsleistungen nur so lange beisteuern, als sie keine individuelle Leistung reklamierten. Unter Mies konnten sie ein überdurchschnittliches Studien- pensum absolvieren oder erfolglos auf der Anerken- nung ihrer Diplomarbeit insistieren: auch nun wurden ihre architektonischen Leistungen nicht gewürdigt. In allen Phasen des Bauhauses blieben alle Signale einer Akzeptanz von Architekturaspirantinnen aus. Im Gegensatz dazu erschienen die Studienbedingungen im Seminar Tessenow als nahezu gleichberechtigt. Aber auch hier, wo Komptenzerwerb und Diplome auch Frauen den Weg in die Praxis bahnten, mussten diese auf alle Signale einer Akzeptanz als Berufskol- leginnen verzichten. Offenbar wurden die Erwartun- gen von Studentinnen hier dennoch weitgehend ein- gelöst, während unter den architekturinteressierten Studentinnen am Bauhaus zahlreiche Abbrecherinnen zu finden sind. Ob Architekturstudentinnen - der Kaiserzeit wie der Weimarer Republik - mit hervorragenden Bewertun- gen promovierten oder Wettbewerbserfolge erzielten, sich der Lehre und Betreuung der Studierenden wid- meten oder in den Büros der Professoren mitarbeite- ten, keine Architekturfakultät einer Technischen Hochschule in Deutschland bot im 20. Jahrhundert auch nur einer dieser Architektinnen eine berufliche Perspektive. Und nicht nur innerhalb der engeren akademischen Kreise wirkte sich dieses Repräsentieren und Tradie- ren eines geschlechtsexklusiven resp. -exkludieren- den Berufsverständnisses verheerend aus. Das Igno- rieren und Negieren der fachlichen Ambitionen von Studentinnen strahlte über Jahrzehnte hinweg weit über die Hochschulen hinaus auf das Berufsfeld und die Berufsverläufe der Architektinnen aus. Denn die verehrten Lehrer und Meister unterschiedlichster Couleur standen den Studierenden in vielerlei Hin- sicht als Vorbilder vor Augen, gaben damit nicht nur fachliche Kompetenzen, architektonische Haltungen und Stile, sondern auch Lebensstile weiter. Und zahl- reiche Studierende machten sich diese Haltungen und Maßstäbe zu eigen. Auch die Assimilation der Studentinnen an die jeweilige Studienrichtung war sowohl qua Haltung wie in gestalterischer Hinsicht hoch. So sehr die Vorbildfunktion aller Meister damit zur Bildung erkennbarer ‘Schulen’ beitrug, so unre- flektiert blieben die bei Adoration ebenfalls kopierten Haltungen und Lebensstile. Studentinnen boten sich hier keine Anknüpfungspunkte, um eine professionel- le Identität als - nicht-männliche - Architekten auszu- bilden. In ihrer Ambivalenz resp. Ablehnung gegenü- ber potentiellen wie realen Kolleginnen prolongierten etliche Lehrende den Status Quo der Geschlechter- hierarchie. Im Anschluss an das Studium wählten Tessenowstu- dentinnen für den beruflichen Einstieg in der Regel eine Stellung als angestellte Architektin, Bauhausstu- dentinnen suchten - auch ohne Diplom - häufig einen (Seiten-)Einstieg ins Berufsfeld. Die überwiegende Zahl der Diplomandinnen suchte und fand Anfangs- stellungen in freien und öffentlichen Planungsbüros. Demgegenüber waren Studentinnen ohne Diplom weitaus häufiger auf persönliche Empfehlungen und unsichere Arbeitsverhältnisse in kleinen Büros ange- wiesen. Sie blieben oft über Monate oder Jahre ar- beitslos, versuchten in unterschiedlichen Arbeitsge- meinschaften und Partnerschaften freiberuflich Aufträge zu akquirieren. Während nur knapp die Hälfte der Bauhausstudentin- nen überhaupt einen Zugang zum Berufsfeld fand, gelang der Berufseinstieg den Tessenowstudentinnen mehrheitlich auch ohne nennenswerte Phasen der Arbeitslosigkeit. Und auch ohne Empfehlungsschrei- ben des Professors - im Unterschied zu manchen Kommilitonen. Damit wurde jedoch auch sichtbar, dass am Ende der Weimarer Republik Empfehlungen, insbesondere jedoch formale Qualifikationen die ent- scheidende Rolle bei der Verwertung fachlicher Kom- petenzen spielten, zumal ab Mitte der zwanziger Jah- 310 re eine Erwerbstätigkeit als angestellte Architektin auch außerhalb des öffentlichen Dienstes ohne Di- plom kaum mehr realistisch war. Während sich zahlreiche Studentinnen anschickten, berufsspezifische Kompetenzen zu erwerben und fachliche Aufgaben inhaltlich wie formal zu bewälti- gen, war während der Weimarer Republik kein Zu- wachs realer Erwerbsperspektiven von Architektinnen zu verzeichnen. Zu beobachten war mit der zuneh- menden Verleihung akademischer Weihen und forma- ler Qualifikationen vielmehr eine Entkoppelung von Ausbildungs- und Berufsfrage . Die Chancen von Architektinnen schienen unmittelbar in jenem Maße zu schwinden, in dem ihre Kompetenzen und Am- bitionen sichtbar wurden. Bereits die Bandbreite der im Studium bearbeiteten Themen ließen den Diskurs über ‘frauenspezifische Neigungen’ obsolet erscheinen. Ähnlich ließen die Wettbewerbsteilnahmen von Architektinnen keine thematischen Präferenzen erkennen. Frappierend war hingegen immer wieder die Diskrepanz zwischen de facto bearbeiteten und de facto beauftragten Themen und Aufgabenstellungen. Konnten Berufseinsteigerin- nen in größeren Büros nahezu die ganze Breite denk- barer Aufträge bearbeiten, so wurden ihnen in kleine- ren Büros - insbesondere namhafter Architekten des Neuen Bauens - lediglich innenarchitektonische Auf- gabenstellungen anvertraut. Aber nicht nur die ‘Grö- ße’ des Büro(chef)s erwies sich als ausschlagge- bend hinsichtlich der zugestandenen Aktionsradien. Als ebenso groß erwies sich diese Diskrepanz bei nä- herer Betrachtung der Außenwahrnehmung. Anhand der Aufträge, die Architektinnen unter eigenem Na- men ausführen konnten, zeigte sich die Absurdität und Hartnäckigkeit des Zirkelschlusses vermeintlich geschlechtsspezifischer Eignung erneut: Denn nahe- zu nie korrespondierten die ‘beauftragten’ Themen mit Interessenschwerpunkten, Berufserfahrungen oder Spezialisierungen, ebenso häufig wie offensicht- lich jedoch mit dem Geschlecht der ‘weiblichen’ Ar- chitektInnen. Bei der Vergabe von Aufträgen erwies sich jedoch das Vertrauen in die Personen als nahezu unauflös- lich mit dem Geschlecht - den Erwartungen an den Fach-Mann - verquickt. Bereits hier entschied sich, ob der Beweis fachlichen Könnens überhaupt ange- treten werden konnte. Und angesichts geschlechter- konnotierter Aufgabenbereiche stand das nicht pass- genaue Geschlecht der Beauftragung von Fach-Frau- en schlicht im Wege. Der Diskurs um die Relevanz des Geschlechtes - von Fachleuten wie Fachgebieten - unterlag jedoch Konjunkturen. Er wurde bereits zu Beginn der zwanziger Jahre, um 1930 und auch nach dem Ende des zweiten Weltkrieges immer dann be- sonders virulent, wenn eine größere Anzahl an Pro- fessionals in einem konjunkturell geschwächten Berufsfeld ein Auskommen suchte. Wie eng die berufliche Etablierung an die verliehene oder verweigerte Statusdistribution geknüpft war, wurde deutlich, als an der Schwelle zum Berufsfeld Referenzen wie konkrete Hilfestellungen - sowohl von Tessenow wie von Bauhausmeistern - nahezu aus- schließlich an Studenten vergeben wurden. Dabei zeigte sich, dass Chancen innerhalb des Berufsfeldes primär genderexklusiv vererbt, der für eine Professio- nalisierung so wichtige prospektive Status in direkter Abhängigkeit zum Geschlecht verliehen wurde. Paradoxale Wechselwirkungen zwischen Berufsreali- täten und Geschlechterdiskursen kennzeichneten auch den weiteren Verlauf der Erwerbsbiografien der Architekturstudentinnen der Weimarer Republik. Denn sanken während des Nationalsozialismus durch Retraditionalisierung und Rollenzuweisungen die Möglichkeiten und Chancen freiberuflich tätiger Frau- en weiter, so eröffneten sich ‘arischen’ Kolleginnen mit der Vertreibung jüdischer ArchitektInnen erwei- terte Tätigkeitsbereiche. Noch weit vor Kriegsbeginn waren Architektinnen - mit und ohne Diplom - unter der Prämisse der Unsichtbarkeit resp. mit Ausnahme leitender Positionen auch dort willkommen, wo sich das Berufsfeld - bspw. durch das Beamtenprivileg - längst als Männerdomäne reetabliert hatte. Eine erneute Renaissance erlebte die Differenz zwi- schen den Geschlechtern in der Architektur nach 1945, als die Grenzziehung zwischen Damen und Herren Architekten insbesondere vom BDA massiv betrieben wurde. Mit Ausnahme der unmittelbaren Nachkriegszeit gelang Architektinnen auf Jahre hin- aus überhaupt nur in Teilbereichen des Berufsfeldes eine Partizipation, während beim Wiederaufbau wie beim Aufbau eines neuen Deutschland nahezu aus- schließlich alte Kräfte am Werk waren. Im Laufe der Jahrzehnte waren die Gründe für die Fragilität beruflicher Etablierung dieser Architektinnen ganz überwiegend im Berufsfeld selbst zu finden. Und auch hier zeigten sich die Chancen von Archi- tektinnen zumindest mittelbar mit Tradition und Mo- derne verknüpft: Denn während im traditionsorientier- ten Kontext immer wieder leichte Öffnungen in Rich- tung einer Geschlechteregalität zu verzeichnen wa- ren, so blieb der ‘Schwund’ an Fachfrauen im ‘mo- dernen Lager’ auch im Laufe der Jahrzehnte hoch. Die Vielzahl struktureller Stolpersteine auf dem Weg der Professionalisierung und beruflichen Etablierung dieser Architektinnen lassen sich retrospektiv fast ausnahmslos als geschlechtsspezifische Exklusionen der Profession - als ein bestimmtes Geschlecht ex- kludierende (Ver-)Hinderungsgründe - erkennen. Und in einem ‘freien’ Berufsfeld, in dem Entscheidungen Resümee 311 und Weichenstellungen aufgrund der Antizipation ‘zugetrauter’ Leistungen gefällt werden, erweist sich die (Re-)Konstruktion von Geschlechterdifferenzen als Legitimationsdiskurs dieser Exklusion. Dabei werden scheinbar geschlechtsneutrale Angebote beruflicher Partizipation hinter objektbezogenen - vermeintlich objektiven - Selektionsprozessen zum Verschwinden gebracht. Ausgeschlossen von männlich exklusiven Bündnissen resp. Netzwerken, erlebten die Exkludier- ten ihre Situation der Ohnmacht manches Mal als in- dividuelles Versagen. Dass die ‘gescheiterten’ Etablierungsstrategien von Architektinnen individuell kompensiert - und innerhalb des Berufsfeldes tabuisiert blieben, deutet einerseits auf den hohen Identifikations- resp. Assimilationsgrad von Architektinnen, andererseits auf weitgehend ge- schlechterhomogene Interessenlagen innerhalb des Berufsfeldes. Bereits anhand von Verschiebungen bei Wettbewerbsverfahren und Modifikationen von Selek- tionsverfahren wurde deutlich, dass das Spektrum aktiv betriebener, zunehmend subtilerer Legitima- tionsdiskurse zum Ausschluss von Architektinnen ei- nem Grundkonsens der Protagonisten im Handlungs- feld entsprach. Auch bei Architekturkritikern war im- mer wieder dieses Bemühen zu beobachten. Durch Verweise auf jeweils außerhalb des gerade geführten Diskurses liegende Plausibilisierungen wurde kontinu- ierlich just jenes ‘Amalgam’ (Schwartz Cowan) pro- duziert, das bei der systematischen Ausgrenzung un- erwünschter Konkurrenz die Gemengelage individuel- ler Interessen und berufständischer Legitimationsritu- ale effizient verschleiert. In einem Klima anhaltender Ignoranz gegenüber ihren fachlichen Beiträgen verließen zahlreiche Architektur- studentinnen der Weimarer Republik - nach wenigen oder auch etlichen Jahren - ein Berufsfeld, das ihnen keinerlei ermutigende Resonanz auf eigene Ideen, Ambitionen und Courage bot. Neben dem Rückzug ins Privatleben fanden wir relativ häufig Berufswech- sel. Dabei griffen Architektinnen auf frühere Qualifika- tionen zurück, übten Erwerbstätigkeiten aus, die un- terhalb ihrer Qualifikation angesiedelt waren oder ab- solvierten weitere Ausbildungen. Dabei kehrten sie dem Berufsfeld immer dann den Rücken, wenn eine sinnhafte Tätigkeit innerhalb des Berufes trotz Orts- und/oder Statuswechsels nicht mehr realisierbar war. Auch dabei wurde das Geschlecht als crucialer Stol- perstein der beruflichen Etablierung sichtbar. Denn angestellte Positionen blieben fragil, angestellten Ar- chitektinnen bot sich i.d.R. keine Chance, innerhalb von Bürohierarchien aus subalternen Positionen auf- zurücken. Als Freiberuflerinnen gelang es ihnen nur ausnahmsweise, Aufträge jenseits privater Bekann- tenkreise zu akquirieren. Auch mit zunehmender Be- rufserfahrung konnten sie nahezu keine Auftragszu- wächse erzielen. Und als Gattinnen ebenfalls in der Architektur tätiger Gatten wurden ihnen ‘Rücksicht- nahmen’ abverlangt, ohne die ihr professioneller wie ihr familiärer Status gefährdet war. So stellt die rückblickend durchgängig positive Be- wertung der Studienzeit ehemaliger Tessenowstu- dentinnen nicht nur eine allgemeine Jugendschwär- merei dar, wenngleich die Erinnerung an die vielseiti- ge Studienzeit - die zahlreichen kulturellen und sport- lichen Aktivitäten, Hobbies und Freiräume - positiv gefärbt ist. Angesichts retrospektiver Erinnerungen von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik an das Studium bestätigt sich Glasers These der Re- lativierung anhand persönlicher Erfolgsbilanzierun- gen. Demnach verwundert wenig, dass Tessenowstu- dentinnen - auch im Wissen um ihre Studienerfolge - dem Studium einen großen Stellenwert in der beruf- lichen Rückschau zumessen, architekturinteressierte Bauhausstudentinnen das Scheitern ihrer beruflichen Ambitionen am Bauhaus i.d.R. unerwähnt lassen. Angesichts der Erfahrungen im Berufsleben wird die Studienzeit im Leben einer Tessenowstudentin rück- blickend zur ‘Erfolgsgeschichte’: Es ist die - häufig einzige - Lebensphase, in der sie intensiv Architektur betreiben kann, ohne permanent an die Grenzen be- ruflicher Schließungen zu stoßen. Retrospektive Ur- teile architekturinteressierter Bauhausstudentinnen über ihr Studium sind demgegenüber kritisch oder ambivalent. „Mit amüsiert-liebevoll-trockener Distanz kommentiert Kattina Both die Verhältnisse, die da- mals am Bauhaus herrschen.“ 6 Architekturstudentinnen der Weimarer Republik nah- men die neuen Studienmöglichkeiten individuell wahr, suchten nach einer Balance ihrer beruflichen Ambitio- nen und den zugestandenen Gestaltungsspielräu- men. Das Studium markierte im Leben der meisten Studentinnen einen Grenzbereich des eigenen Akti- onsradius. So selbstbewusst und engagiert sich die- se Studentinnen auch in den Bereich Architektur be- gaben, am Bauhaus durften sie dieses Aktionsfeld kaum betreten und auch bei Tessenow wurden sie i.d.R. nicht ermutigt, die Grenze bürgerlicher Aktions- radien zu überschreiten. Studentinnen, die während des Studiums die Assimilation an die Fachkultur an- strebten, adaptierten mit den fachspezifischen Kom- petenzen das ‘mind-setting’, Ideen, Lehre und Leh- rende als Maßstab ihrer Werteskala. Das zwischen individualistischem Künstlergenie und rational agie- rendem Ingenieur changierende ‘Leitbild’ des Archi- tekten bot höchst widersprüchliche Facetten, jedoch keinerlei Attributiva traditoneller ‘Weiblichkeit’. Mit der Wiederbelebung des Geschlechterdiskurses wird diese mangelnde Passgenauigkeit zur geschlechts- spezifischen Ausgrenzung. Zeitgleich mit den Neustrukturierungen im Berufsfeld 6 Petzinger, Renate: Katt Both, in: Architektinnenhistorie, Berlin, 1984, S.47 312 und Ausbildungswesen betraten Architektinnen wäh- rend der Weimarer Republik individuell ein Berufsfeld, in dem sie kaum mehr als Einzelne, sondern als qua Geschlecht unterscheidbare Gruppe beruflich ambi- tionierter Konkurrenz wahrgenommen wurden. Hin- sichtlich ihrer Herkunft, Lebenserfahrungen und Moti- vationen waren sie jedoch weder homogen, noch verstanden oder manifestierten sie sich als Gruppe. Vielmehr sahen die meisten weder Grund noch An- lass, sich von den männlichen Kollegen zu unter- scheiden, engagierten sich mehr oder minder nach- drücklich für die eine oder andere Position im Fach. Auch wenn sie die zunehmend subtileren Ausgren- zungsmechanismen während des Studiums, die Schließungen innerhalb des Berufsfeldes manches Mal als Resultat geschlechtsspezifischer Konflikte erlebten, so wurde dieses Dilemma - als Nicht-(Fach- )Mann behandelt resp. primär als Frau wahrgenom- men zu werden - lediglich als historische Resistenz thematisiert. Denn innerhalb eines Berufsfeldes, das primär auf individuelle Erfolge rekurriert, bricht jede strukturelle Kritik mit dem Tabu der genialen Einzel- persönlichkeit. So verwendeten etliche Architektinnen ihre Energien darauf, diesem höchst irrationalen Kon- flikt zwischen individuellem Selbstverständnis und geschlechterkodiertem Berufsverständnis zu entge- hen, und die hierdurch hervorgerufenen Spannungen individuell zu kompensieren. Erschienen im Studium engagierte, künstlerisch wie technisch interessierte Studentinnen, die offensicht- lich den traditionellen Frauenrollen entwachsen waren und allein durch ihre sichtbare Präsenz die herkömm- liche Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern in Frage zu stellen schienen, so stellte das Erscheinen von Nicht-Männern in zuvor exklusiv männlichen Be- rufsbereichen - wie die zunehmende Erwerbstätig- keit von Frauen überhaupt - ebenso eine Irritation gesellschaftlichen Ausmaßes dar wie die zunehmend spürbaren Auswirkungen der Industrialisierung. An dieser Schnittstelle erwies sich die mittelalterliche Bauhütte als Steilvorlage zur Reetablierung männli- cher Exklusivität in der Architekturproduktion. Nahezu zeitgleich versprach das Modell der Kameradschafts- ehe eine Wiederentdeckung der heterosexuellen Paarbeziehung. Beide Metaphern können als Reak- tionen auf Modernisierungsschübe interpretiert wer- den, beide waren jedoch ebenso widersprüchlich wie ambivalent. Sowohl die Bauhütte als auch die Kame- radschaftsehe bezogen ihre Faszination aus der Sug- gestion, bis dato offene Konflikte harmonisieren resp. bewältigen zu können. So versprach das Bild koope- rierender Künstlerhandwerker an einem Gesamt- kunstwerk, dass der Unüberschaubarkeit rationali- sierter Massenproduktion durch Kreativität im menschlichen Kollektiv beizukommen sei. Und das Bild der modernen Partnerschaft suggerierte die mögliche Transformation der Urzelle der Gesellschaft unter Selbstverwirklichung aller Beteiligten in eine harmonische Beziehung. Innerhalb dieser Kameradschaftsehen erweiterten sich die Aktionsradien der Architektin in aller Regel jedoch nicht. Insbesondere wenn der Kamerad auch Architekt war, wurde aus der Architektin mit der Hei- rat häufig eine ‘mithelfende’ Kameradin, deren Tage im Beruf resp. im gemeinsamen Büro zumeist gezählt waren. So groß Verlockungen und Missverständnisse einer kameradschaftlichen Ehe auch gewesen sein mögen, die Egalität dieser Kameradschaft erwies sich innerhalb der berufshomogenen Ehe mit der Singula- rität des Künstlergenies zumeist als unvereinbar: In der Generation der um die Jahrhundertwende gebo- renen Architektinnen und Architekten führte sie mehr- heitlich zur Scheidung. Architektinnen, die mit einem Architekten länger als fünf Jahre verheiratet blieben, gaben die eigenständige Berufsperspektive, manches Mal sogar jegliche künstlerische Tätigkeit auf. Das Gros der Architektinnen dieser Generation zog aus seinen Erfahrungen individuelle Konsequenzen. Diese ähnelten sich jedoch so stark, dass eine Struk- tur sichtbar wurde: Die Architektinnen, die an der Seite eines Architekten mit hoher Fachmotivation eine Kameradschaftsehe eingingen, blieben nach der Geburt von Kindern nur dann im Berufsfeld tätig, wenn sie ihre berufliche Perspektive nicht primär und ausschließlich auf die Kameradschaft mit dem Gatten gründeten. Die meisten der mit Architekten verheira- teten Architektinnen fanden wir - während der Ehe wie nach der Scheidung - nicht mehr im Berufsfeld. Während die Architekturstudentinnen der Kaiserzeit angesichts ihrer Bemühungen um Bildung und Hoch- schulzugang die ihnen qua Geschlecht vorenthalte- nen Möglichkeiten als Schwellen zum Beruf erfahren hatten, waren Konflikte um Bildungs- und Hochschul- zugang für die um die Jahrhundertwende geborenen Bürgertöchter nicht mehr prägend. Für sie war das zeitgleich in Kraft tretende Wahlrecht für Frauen Rea- lität, dessen ‘Vorenthalten’ vermittelte Geschichte. Sie nahmen die Diskrepanz zwischen den eigenen Möglichkeiten und denen der eigenen Mütter zwar wahr, brachten sie i.d.R. aber nicht mehr mit der Ge- schlechterhierarchie in Verbindung.7 Auch der erste Weltkrieg prägte beide Generationen sehr unterschiedlich. Während die Studentinnen der Kaiserzeit ihr Studium in dieser Zeit abschlossen und / oder als Architektinnen im Militärdienst daran parti- zipierten, wurde der nachfolgenden Generation auf den Schulbänken von Lyzeen und Realgymnasien der Patriotismus für diesen Krieg vermittelt. Und gelang es Architekturstudentinnen der Kaiserzeit, den politi- 7 Wie dies bspw. Anna-Maria Mauck beschreibt: „Und kein Baum auf den ich nicht stieg, also alles was Mädchen nicht tun. (..) Meine Mutter hatte vor Wasser, was mehr als ‘ne Badewanne voll war, (..) Angst. Damals waren die jungen Damen nicht sport- lich und so.“ Interview am 17.11.1995 Resümee 313 schen Entwicklungen emanzipative Aspekte abzuge- winnen und mit hoher Assimilationsbereitschaft zu- mindest Einzelerfolge zu erzielen, so hatte die Stu- dentinnengeneration der Weimarer Republik ein deut- lich ambivalenteres Verhältnis gegenüber staatlicher Autorität. Angesichts der militärischen Niederlage wie durch die Erfahrung der Inflation, die insbesondere die Ersparnisse des Bildungsbürgertums und die Fa- milienvermögen des Besitzbürgertums schrumpfen ließ, scheint das Grundvertrauen dieser Studentin- nengeneration deutlicher erschüttert worden zu sein. So kennzeichnet diese Generation von Architektur- studentinnen zum einen eine Art naiver Optimismus gegenüber der beruflichen Konkurrenz wie männli- chen Partnern, zum anderen ein häufig ebenso vor- sichtiges wie hedonistisches Abwägen von Berufs- und Lebensperspektive. Folgten Tessenowstudentinnen in den großen Le- bensentscheidungen überwiegend den elterlichen Er- wartungen - wobei bei immerhin einem Drittel auch das Architekturstudium Bestandteil dieser elterlichen Erwartungen war -, so brachen Bauhausstudentinnen mit der Studienentscheidung manches Mal aus fami- liären Traditionen aus. Aber auch bei ihnen, wie bei denjenigen Tessenowstudentinnen, die trotz elterli- cher Skepsis Architektur studierten, kennzeichnete dieser Versuch einer selbstbestimmten Lebenspla- nung nicht immer die Abkehr von familiären Lebens- formen und milieuspezifischen Lebensstilen. Im Rahmen dieser Untersuchung wurde deutlich, dass das frauenpolitische Engagement der hier be- trachteten Architektinnengeneration geringer war als das der ersten Generation. Knapp 20 Jahre nachdem der Zugang zu diesem Fach für Frauen überhaupt durchgesetzt worden war, waren aber auch die Hoff- nungen, dass die Architektur als akademischer Beruf eine Frau ernähren könne, heftigster Ernüchterung gewichen. Architekturstudentinnen der Kaiserzeit hat- ten ihre beruflichen Perspektiven im Berufsfeld noch optimistisch eingeschätzt. Andererseits hatte diese Generation Beruf und Familie nicht unbedingt für ver- einbar gehalten. Jene Architektinnen blieben häufig kinderlos, zumeist auch ledig und setzten ihre Studi- enmotivation in eine berufliche Priorität um. Für Studentinnen der Weimarer Republik schienen Berufsperspektive und familienorientierte Lebenspla- nung nicht mehr unbedingt in Konkurrenz zu stehen: Tessenowstudentinnen heirateten auffällig häufig Ar- chitekten, jedoch nie bereits während des Studiums. Bauhausstudentinnen heirateten - auch schon wäh- rend des Studiums - relativ häufig einen Künstler. Während fast alle - mehr als 80% - der potentiellen Architektinnen zwei Jahre nach dem Studium noch in ihren Anfangsstellungen arbeiten, fanden wir fünf Jahre nach Studienabschluss nur noch knapp 30% von ihnen im Berufsfeld. Die Verheirateten hatten nach Geburt des ersten Kindes das Berufsfeld - für die Familienphase - verlassen und widmeten sich - ohne oder mit Unterstützung bezahlter Kräfte im Haushalt - fast ausschließlich dem privaten Umfeld. Diese Koinzidenz zwischen Mutterschaft und beruf- licher Enthaltsamkeit relativierte sich in Anbetracht von Sozialstatus, Partnerkonstellation und politischer Haltung. Auch wenn deutlich wurde, dass die wenigsten Ar- chitektinnen in der Geburt und Erziehung von Kindern eine ausschließliche Aufgabe sahen und eine langfri- stige Tätigkeit im Fach anstrebten, so gelang dies i.d.R. nur den ledigen und verwitweten, sowie man- chen der geschiedenen Architektinnen. Während so- zialistisch, aber auch nationalsozialistisch orientierte Architektinnen trotz - und auch getrennt von - Familie und Kindern arbeiteten, blieben Kolleginnen aus ei- nem konservativ geprägten Umfeld bei der Geburt von Kindern der Erwerbstätigkeit fern. Insbesondere Architektinnen aus dem Mittelstand konzentrierten sich bei der Geburt von Kindern ausschließlich auf die Familienrolle. Beim Rückzug in eine Familienphase spielte verein- zelt auch Resignation vor den politischen Rahmenbe- dingungen eine Rolle. Gerade mit der zunehmenden Faschisierung der Gesellschaft wurde dies aber auch als rollenkonforme Ausweichstrategie in kriegerischen Zeiten erkennbar. Ledigen Kolleginnen boten sich jenseits von Mutterkreuz und Reißschiene keine ver- gleichbar konfliktfreien Arrangements, jüdischen Ar- chitektinnen nicht einmal Überlebensperspektiven. Wie wir anhand von Berufs- und Lebenswegen der Architekturstudentinnen der Weimarer Republik ge- sehen haben, entschieden sich zumindest Dreiviertel für eine Heirat und die Gründung einer Familie. Ein Drittel räumte der Familie phasenweise Priorität ein, ein weiteres Drittel kehrte nach der Geburt von Kin- dern nicht mehr in das Berufsfeld zurück. Nur einem Drittel der Mütter unter den Architektinnen dieser Ge- neration gelang es, eine Perspektive in der Architek- tur mit der Familienrolle dauerhaft zu verbinden. Na- hezu alle verheirateten ehemaligen Tessenowstuden- tinnen, aber auch die Mütter unter den ehemaligen Bauhausstudentinnen saßen der Illusion der Verein- barkeit von beruflicher Selbstverwirklichung und tra- ditioneller Mutterschaft auf, die Petra Bock als cha- rakteristisch für das postmaterielle Wertesystem der neuen Frau in der Weimarer Republik bezeichnet hat.8 Aber nicht nur der Versuch, Berufsperspektive und Familienwunsch innerhalb eines Lebens zu ver- wirklichen, stand der beruflichen Etablierung von Architektinnen dieser Generation deutlich im Wege. Denn so sehr die familiäre Tradition den Studien- 314 wunsch wie den Kompetenzerwerb mancher Archi- tektentochter gefördert haben mag, die Erwerbsdau- er von Architektinnen dieser Generation innerhalb des engeren Berufsfeldes steigt offenbar in dem Maße, in dem die ebenfalls im Berufsfeld tätigen männlichen Verwandten schwinden. Offensichtlich konnten Archi- tektentöchter von der sog. Berufsvererbung nicht in dem gleichen Maße profitieren wie Architektensöhne. Ohnehin erwiesen sich Architektengatten, aber auch Architektenväter und Architektenbrüder bei einer Eta- blierung im Berufsfeld als eher hinderlich. Architekturstudentinnen der Weimarer Republik ver- suchten mit Hilfe von Zeugnissen oder Empfehlungs- schreiben Beziehungen herzustellen und zu nutzen. Auch sie referierten mitunter auf ‘Schulen’ und kann- ten manches Mal die maßgeblichen Protagonisten persönlich. Jedoch selbst dann gelang es ihnen nur ausnahmsweise, in den Genuss von Statusdistribu- tionen zu gelangen oder in Netzwerke aufgenommen zu werden. Unterstützung erhielten sie i.d.R. besten- falls aus ihrem persönlichen Umfeld. Die Studiener- folge, die sie im Seminar Tessenow unter geschlech- ter-harmonisierten Rahmenbedingungen erzielt hat- ten, ließen sich nur vorübergehend in eine geschlech- ter-konkurrierende Berufsrealität prolongieren. Auch Bauhausstudentinnen, die derlei Konkurrenzsituatio- nen im Studium bereits erlebt hatten, konnten oft nur zeitweilig berufliche Erfolge erzielen. So unterschiedli- che resp. vielfältige Kompetenzen Architekturstuden- tinnen der Weimarer Republik auch erwarben, die be- rufliche Etablierung dieser Architektinnen scheitert i.d.R. an den geschlechterkonnotierten Chancen in- nerhalb des Berufsfeldes. Kontinuierlich wurden sie mit unterschiedlichen, jedoch immer stereotypen Rol- lenbildern konfrontiert, die ihrer Akzeptanz als sicht- bar tätige und bezahlte Architektin im Wege standen. Patronagen wie Empfehlungen erwiesen sich als kurzlebig, häufig auch als erfolglos. Nur solange Architekturstudentinnen der Weimarer Republik sich nicht durch Zuschreibungen ihrer Leh- rer und Kollegen irritieren ließen, ihre kulturellen und materiellen Kapitale für die Umsetzung ihrer individu- ellen Ziele einsetzten und sich familiären Erwartungs- haltungen bewusst entzogen, gelang ihnen eine pro- fessionelle Existenz über die Phase des Berufsein- stieges hinaus. Entschieden zunächst noch formale Qualifikationen und persönliche Beziehungen über Arbeitsfeld und Berufsstatus, so boten diese im Laufe der Berufstätigkeit kaum eine Aussicht auf Aufstieg oder die Chance egalitärer Rezeption. In freiberufli- cher wie in angestellter Position machten Architektin- nen häufig die Erfahrung, dass ihre Kompetenzen in Zweifel gezogen und selten adäquat vergütet wur- den. Und diese Diskrepanz gegenüber den Kollegen schwand nicht etwa mit zunehmender Berufserfah- rung. Vielmehr wuchs mit der Berufsdauer die struk- turelle - geschlechtsspezifische - Segregation inner- halb der konkreten Berufstätigkeit, die mit einer sach- orientierten Berufsausübung ebenso in deutlichem Widerspruch stand wie zu dem zentralen Kriterium des Gesellschaftsvertrages, der Qualitätssicherung durch berufsständische Selbstkontrolle und fachspe- zifische Selektion versprach. Damit bot das Berufs- feld freiberuflich tätigen Architektinnen kaum eine Aussicht auf eine tragfähige Existenz, angestellten Architektinnen keinen Ausweg aus subalternen Positi- onen. Nur wenige der angestellten Architektinnen verließen - nach zehn, spätestens zwanzig Jahren - das Berufsfeld nicht. Als die zentralen Hürden bei der beruflichen Etablie- rung von Architekturstudentinnen der Weimarer Re- publik erweisen sich die Geschlechterhierarchien in- nerhalb des Berufsfeldes wie innerhalb privater Be- ziehungen. Innerhalb von Planungshierarchien wie im Angesicht von Männern ‘für´s Leben’ stolperten Ar- chitekturstudentinnen der Weimarer Republik über konkurrierende Erwartungen und konfligierende Rol- len. Dabei gaben manche der architekturinteressier- ten Bauhausstudentinnen, jedoch kaum eine der Tes- senowstudentinnen ihre beruflichen Ambitionen be- reits angesichts eines potentiellen Gatten auf. Bei den Bauhausstudentinnen führte zumeist das Weg- brechen einer eigenen Perspektive, bei Tessenow- studentinnen häufiger die Geburt von Kindern zur Unterbrechung oder dem definitiven Bruch der eige- nen Berufspriorität. Brüche waren auch in den beruflichen Karrieren emi- grierter Architektinnen zu verzeichnen. Sie hatten in der Regel Assimilationen an die gesellschaftlichen und beruflichen Bedingungen des Ziellandes zu be- wältigen. Und ging mit der Emigration vor 1933 und in den 1950er Jahren in der Regel ein Schritt der be- ruflichen Etablierung einher, so waren die Exilierten in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre in etlichen Ziel- ländern mit zunehmenden Ressentiments und stei- genden Zugangsschwellen zum Berufsfeld konfron- tiert. Nur Wenigen gelang es, im Berufsfeld dauerhaft Fuß zu fassen, häufiger waren sie darauf angewiesen, ihren Lebensunterhalt anderweitig zu sichern. Trotz dieser Brüche blieben die Gestaltungsambitio- nen der meisten Architektinnen vital. Oft rezipierten sie die Entwicklungen in der Architektur lebenslang. Gegebenenfalls wurden Themen modifiziert, neue Tä- tigkeitsfelder erschlossen, Projekte mit jahrzehntelan- ger Verzögerung umgesetzt. Nicht zuletzt scheint die hohe Lebenserwartung der um die Jahrhundertwende geborenen Generation von Architektinnen die hohen Erwartungen an ihr jeweiliges Leben widerzuspiegeln. Ein Leben, das sie nach Kräften umfassend zu ge- stalten suchten, auch wenn ihnen eine kontinuierliche 8 Bock spricht in diesem Zusammenhang von einem postmate- rielles Wertesystem, bei dem der Wunsch nach Selbstverwirkli- chung, Lebensqualität in Beruf und Privatleben gleichberechtigt neben den traditionellen Orientierungen an Ehe und Mutter- schaft stehe. - Bock, Petra: Neue Frauen und die Weimarer Re- publik, in: Bock, Petra / Koblitz, Katja (Hg.): Neue Frauen zwi- schen den Zeiten, Berlin, 1995, S.25 Resümee 315 Umsetzung ihrer professionellen Fähigkeiten, die Ver- wirklichung ihrer Ideen sowie die Anerkennung im Berufsfeld wie in der Öffentlichkeit fast ausnahmslos versagt blieb. Die Nichtwahrnehmung von Architektinnen, die Igno- ranz gegenüber ihren Fähigkeiten und Ambitionen war die Achillesferse ihrer beruflichen Existenz - von der Vergabe der Aufträge über deren Publikation und Rezeption bis zu ihren Beiträgen zur Baugeschichte. An dem Bruchteil der bisher dokumentierten Bauten und Projekten wurde dennoch deutlich, wie vielfältig Architektinnen dieser Generation ihre jeweiligen Bei- träge zur gebauten Umwelt leisteten. Und obschon etliche Ideen Papier blieben, manche Gebäude zwi- schenzeitlich zerstört oder stark verändert wurden, so lassen die dokumentierten Entwürfe zumindest erahnen, welche Konzepte, Ideen und Wirklichkeiten sie beizutragen beabsichtigten. Denn die Entdek- kung, Diskussion und Einordnung des Wirkens von Architektinnen im 20. Jahrhundert steht noch immer erst am Anfang. Für einen Vergleich innerhalb der Generation der Ar- chitekturstudentinnen der Weimarer Republik bot sich das Studium als erster Verknüpfungspunkt die- ser verschiedenen Lebenslinien an. Gingen wir zu- nächst davon aus, dass die Wahl der Ausbildungsin- stitution ein geeigneter Indikator für unterschiedliche Milieus, unterscheidbare Studieninteressen sei, so zeigten sich die Voraussetzungen der unterschiedli- chen Studentinnen im Vergleich ähnlicher, der Ein- fluss der Ausbildung noch stärker als erwartet.9 Im Laufe der Untersuchung zeigte sich jedoch auch, dass sich ‘Schulen’ in der Architektur substantiell eher vage konstituieren, ihre Funktion deutlicher in der Bildung klar erkennbarer Formationen - Interes- sengruppen und Akteure - liegt und daher eher in Bedeutungsgehalten und Interpretationen als in der Substanz zu finden ist. In der näheren Betrachtung des Umgangs mit den ‘Schülerinnen’ ließ sich erken- nen, dass die handlungsleitenden Kategorien bei der Konstruktion resp. Etablierung dieser Referenzen weit häufiger paradoxal als konsistent sind. Wurde anhand der Studienarbeiten sichtbar, dass - im Sinne von Adaption und Assimilation - in der Ar- chitekturausbildung sowohl von ‘Schulen’ wie von ‘SchülerInnen’ gesprochen werden kann, so wurde doch auch deutlich, dass diese Anlehnung an die Le- renden - sowohl am Bauhaus wie bei Tessenow - keinesfalls nur aus freien Stücken erfolgte. Jenseits der Fragwürdigkeit manch repressiver Didaktik bleibt fraglich, in wieweit den Studentinnen bereits im Stu- dium bewusst wurde, daß sie sich mit ihrer Lehrer- wahl nicht nur in einem Spektrum ideengeschichtli- cher Prämissen bewegten, sondern - im Sinne (selbst-)referentieller Strukturen - bereits positionier- ten. Sichtbar wurde insbesondere bei den vergleichs- weise jungen Tessenowstudentinnen, dass bei der Wahl von Studienorten und Lehrern allzu häufig prag- matische Gründe den Ausschlag gaben. Dennoch kam diese Entscheidung faktisch einer Weichenstel- lung gleich: Denn allzu deutlich überwog im Architek- turstudium der normative Charakter den Kompetenz- erwerb, unübersehbar zielten beide ‘Schulen’ weniger auf ein Studium von Architekturen zur Entwicklung einer eigenständigen Architekturauffassung als auf eine ‘Schulung’ im Sinne der eigenen Position. Anhand von Projekten und Bauten im Berufsverlauf zeigte sich manch deutliche Referenz und manch ein- deutige Haltung. Nicht nur in Abhängigkeit von kultu- rellen Kontexten und Zeitumständen waren jedoch auch Konzepte und Bauten zu finden, die kaum oder sogar keinerlei Einfluss des Studiums erkennen lie- ßen. Ebenso erkennbar wie zweifelsohne prägte die Erfahrung eines Studiums bei Tessenow resp. am Bauhaus die weiteren Lebenswege etlicher Studen- tinnen. Dennoch bleibt es fragwürdig Epigoninnen und Renegatinnen klar zu benennen, lassen sich ein- deutige Tendenzen doch lediglich aus den Analysen einzelner Projekte ableiten. Im Wissen um die Quel- lenproblematik wie die Rezeptionspraxen in der Ar- chitektur im 20. Jahrhundert bleiben die hier getroffe- nen Aussagen vorläufig. Denn solange Analysen in- nerhalb eines Quellenpuzzels durchgeführt werden, bei dem die meisten Puzzleteile zweifelsohne unbe- kannt sind10, verbietet sich jedes verallgemeinernde Resümee. 1988 kam Lynne Walker für die Geschichte der Archi- tektinnen in England zu dem Ergebnis: „Der Aus- schluß von Frauen aus der architektonischen Praxis ist eine Fallstudie patriarchaler Herrschaft und ökono- mischer Hegemonie.“ 11 Auch die Studien- und Be- rufswege von Tessenow- und Bauhausstudentinnen erweisen sich als eine derartige Fallstudie. Und ange- sichts der Massivität und Rigidität, mit der seit den 2zwanziger Jahren auch in Deutschland der Aus- schluss von Architekturstudentinnen resp. Architek- tinnen betrieben wurde, spricht etliches für Walkers These, dass „den Frauen den Zugang zur Gestaltung der Architektur zuzugestehen, (..) die Kontrolle räum- licher Definitionen durch die Männer und damit die Aufrechterhaltung des sozialen, ökonomischen und kulturellen Status quo bedrohen“ würde.12 Forschungsbedarf Wie die vorliegende Untersuchung zeigte, können sich hinter bisher unbekannten Namen von Architek- turstudentinnen der Weimarer Republik vielschichtige Werkbiografien verbergen. Wir sahen, dass nur eine Minderheit dieser Architektinnengeneration ihr Maß an Selbstbestimmung gegen Rahmenbedingungen 9 Nachdem die Wahl des Ausbildungskontextes zunächst als In- dikator unterschiedlicher gesellschaftlicher Haltungen resp. Mi- lieus der Architekturstudentinnen der Weimarer Republik gele- sen wurde, musste die Hypothese einer milieuspezifischen Aus- bildungswahl beim Vergleich der familiären Hintergründe wie der Berufsverläufe revidiert werden. 10 Von keiner der hier vorgestellten Architektinnen lassen sich bis- her alle, von manchen - wie bspw. Hanna Blank und Gisela Eh- ren - selbst bei nachweislich langer Berufstätigkeit - bisher nur einzelne Projekte analysieren. Und von etlichen - wie bspw. Thea Koch, Hilde Coccia, Ingrid Heidenreich und Elfriede Schaar - konnte kein einziges Projekt ausgewertet werden. 11 Walker, Lynne: British Women and Architecture 1671 to 1939, in: Moldenhauer, Heide (Hg.): Versprünge. Beiträge zur Ge- schichte von Architektinnen, zum kreativen Prozeß und zu kul- tureller Identität, Berlin, 1988, S.5-16, 1988, hier S.15 12 Ibid. 316 und Realitäten behaupten konnte und damit - im Sin- ne eines ‘Gendercrossing’ - jenseits von Rollenzuwei- sungen agierte. An der hohen Scheidungsziffer und den zahlreichen beruflichen Neuorientierungen wurde dennoch deutlich, dass die Architektinnen dieser Ge- neration nur bedingt Kompromisse und in der Regel neue Rahmenbedingungen suchten, sobald der pri- vate oder berufliche Rahmen mit den eigenen Lebensvorstellungen nicht mehr korrelierte. Da mit wachsendem Abstand die Zugänglichkeit des Quellenmaterials steigt, das erschlossene Material zunimmt, könnte in den nächsten Jahren eine ganze Reihe monografischer Darstellungen zum Schaffen einzelner Architektinnen erscheinen, zumal das For- schungsinteresse an der Architektinnengeschichte in den letzten Jahren steigt. Blinde Flecken der Archi- tekturgeschichtsschreibung können jedoch erst ge- füllt werden, wenn detaillierte Analysen erstellt und weiterreichende Fragestellungen entwickelt werden. Hier sind absehbar noch etliche Erkenntnisse für die Professionsforschung, die feministische Forschung und nicht zuletzt die Baugeschichtsforschung zu erwarten. Vielversprechend erscheinen bspw. vergleichende Fragestellungen - Zu Teilhabe und Einfluss von Architektinnen in Be- rufsorganisationen. Erst wenn wir bspw. Angaben zu Eintritt und Dauer der Mitgliedschaft sowie zum konkreten Engagement von Architektinnen in den Organisationen der Bran- che analysieren können, lässt sich das Verhältnis von Architektinnen und Lobby näher bestimmen. Zum an- deren wird erst eine größere Anzahl Ego-Documents Auskunft darüber geben können, welchen Stellenwert Architektinnen der Teilhabe an formellen und infor- mellen Netzwerken hinsichtlich der eigenen Profes- sionalisierung beimaßen, durch welche Rahmenbe- dingungen sie beflügelt oder verhindert wurde. - Zum Verhältnis von Genderdiskursen und Ausdiffe- renzierungsprozessen in Ausbildung und Berufspraxis innerhalb der Architektur. Mikoletzky kam hinsichtlich der Abgrenzung von Be- rufsfeldern durch die Ausdifferenzierung von Studien- fächern zu dem Ergebnis, dass [in Österreich] die Technischen Hochschulen zu den maßgeblichen Ak- teuren des ‘doing gender’ zu rechnen seien.13 Auch in der vorliegenden Arbeit wurde deutlich, in welch ho- hem Maß die Professionalisierung von Architektinnen von den Rahmenbedingungen des Kompetenzer- werbs abhängig war. Die zahlreichen Paradoxien in- nerhalb der Geschlechterdiskurse in der Architektur verwiesen auf einen hohen Legitimationsbedarf sowie auf höchst flexible Modifikationen berufsständischer Exklusionen. Diese Verteilungs- und Verdrängungs- prozesse, die sich – dies deutete sich bspw. an der Entwicklung vom offenen zum eingeladenen Wettbe- werbswesen an – einer Transparenz zu entziehen su- chen, werden angesichts ihrer Flexibilität erst greif- bar, wenn Korrelationen von Koinzidenzen geschie- den, Kausalitäten zwischen diskursiven und fakti- schen Verschiebungen im Berufsfeld vergleichend nachgezeichnet werden. Dies lässt es spannend er- scheinen, genderexkludierenden Ausdifferenzierung dieses selbstreferentiellen Bereichs in eigenen Unter- suchungen nachzugehen. - Zum Verhältnis der Studien- und Professionalisie- rungsbedingungen von Architektinnen dieser Genera- tion zu denen anderer Generationen. Anhand der Architekturstudentinnen der Weimarer Republik wurde sichtbar, wie sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen bereits den Kompetenzerwerb erleichterten bzw. erschwerten. Aber auch die Gren- zen und Möglichkeiten beim Berufeinstieg wie bei der beruflichen Etablierung dieser Architektinnengenera- tion werden - dies zeigte der Vergleich der Herkunfts- milieus von Architekturstudentinnen der Kaiserzeit zu Architekturstudentinnen der Weimarer Republik - in Relation erst durch weitere Vergleiche erkennbar. - Zur Relation der Professionalisierungsbedingungen von Architektinnen zu denen von Professionals in an- deren resp. vergleichbaren Berufsfeldern. Zeigten sich im Qualifikations- wie im Berufsverlauf der Architekturstudentinnen der Weimarer Republik immer wieder zahlreiche strukturelle Hindernisse, so erlaubt doch erst der Vergleich mit den Professionali- sierungsbedingungen und Berufsverläufen von Fach- frauen benachbarter Disziplinen die Bestimmung je- ner fachspezifischen Resistenzen, die die Architektur charakterisieren. - Zum Wechselverhältnis zwischen Architektinnen und Frauenbewegungen. In der vorliegenden Arbeit wurde skizziert, dass die- ses Verhältnis spätestens seit den zwanziger Jahren von Konkurrenzen geprägt war. Ein „Zweckverband der Architektinnen“ wurde vergleichsweise spät ge- gründet und bestand nur kurzzeitig. Während man- che Architektinnen immer wieder räumliche Angebote für erweiterte Aktionsradien von Frauen entwickelten, vertraten andere konventionelle, mitunter auch anti- feministische Positionen. Erst eine systematische Analyse könnte die Bedingungen wechselseitiger Emanzipationsschübe vergleichend beleuchten. - Zum Verhältnis von ‘doing gender’ und architekto- nischen resp. gesellschaftlichen Modernisierungspro- zessen. 13 Mikoletzky, 1997, S.71ff. Resümee 317 Im Vergleich der Rahmenbedingungen von Tesse- now- und Bauhausstudentinnen wurde - im Studium wie im Berufsleben - immer wieder deutlich, dass Modernisierungsprozesse in der Architektur zu denen im Geschlechterverhältnis eher reziprok als parallel verliefen, bspw. das Studieren im Seminar Tessenow mit einer gemäßigten Modernisierung des Geschlech- terverhältnisses einherging, während maßgebliche Protagonisten des ‘Neuen Bauens’ maßgeblich auch die Modernisierung der Geschlechterhierarchie be- trieben. Zu untersuchen wäre jedoch darüber hinaus, wie und wo diese unterschiedlichen Reformationsbe- strebungen mit Genderisierungstendenzen verknüpft waren resp. wurden. - Zum Stellenwert von ‘Schulen’ in der architektoni- schen Praxis. Da spätestens seit der klassischen Moderne zu be- obachten ist, dass agile Persönlichkeiten die bau- und ideengeschichtliche Kategorie der ‘Schule’ im Sinne eigener Repräsentation innerhalb des Berufs- feldes zu instrumentalisieren verstanden, wodurch sich das Studium innerhalb dieser ‘Schulen’ verstärkt zu einer repressiven ‘Schulung’ hinsichtlich normati- ver Gestaltungsauffassungen verengte, bieten nur vergleichende Analysen die Chance zu bestimmen, wo - jenseits von Netzwerken und Gestaltungskartel- len - die architektonischen und gesellschaftlichen (Ausbildungs-)Potentiale von ‘Schulen’ liegen. - Zum Spektrum entwurflicher Lösungen von Archi- tektinnen bei vergleichbaren Bauaufgaben bzw. zu Transformation und Kontinuität von Architektinnen- entwürfen in verschiedenen kulturellen Kontexten. Im Rahmen der vorliegenden Forschung konnten er- ste Vergleiche zum Einfamilienhausbau der dreißiger und fünfziger Jahre, zu städtebaulichen Entwürfen Anfang der fünfziger Jahre und zu Laubenganghäu- sern um 1950 angestellt werden. Erst anhand einer Vielzahl vergleichbarer Projekte lassen sich Unter- schiede und Gemeinsamkeiten jedoch umfassend analysieren. Und ergab diese Untersuchung einer- seits Hinweise auf die Kontinuität von Entwurfshal- tungen in ‘fremden Kontexten’, aber auch auf ein Aufgreifen lokaler Besonderheiten, so erscheint eine tiefergehende Forschung zu den Werkbiografien exi- lierter wie emigrierter Architektinnen ebenso notwen- dig wie lohnenswert. Erst hierdurch werden Aussa- gen über den Assimilationsgrad von Architektinnen im jeweiligen Kontext möglich sein. - Zum Verhältnis von Architektinnen und Auftragge- berinnen und den Ergebnissen dieser Kooperations- form. Wie Alice Friedman in `Women and the Making of the modern House´ aufgezeigt hat, spielte bei der Ent- wicklung moderner Raumkonzepte die wechselseitige Beeinflussung von Auftraggeberinnen und Architek- ten eine entscheidende Rolle. Im Rahmen dieser Un- tersuchung konnten lediglich zwei Häuser dokumen- tiert werden, die Ansätze für diese Fragestellung bie- ten und weitere Entdeckungen lohnenswert erschei- nen lassen. 318 Schlussbemerkungen Mit dieser treffenden Beschreibung hat Beatriz Colo- mina auf die Tücken der Reflexion über Selbstver- ständnisse wie Selbstverständlichkeiten aufmerksam gemacht. Im Hinblick auf die Geschlechterforschung in der Architektur liegt die Tücke im Risiko des Ver- lusts der Balance zwischen den vorstellbar unbe- grenzten Möglichkeiten in der Architektur und den denkbar eng gesetzten Handlungsradien von Archi- tektinnen im Berufsfeld. Aber im Unterschied zum Fahrradfahren, wo der Umgang mit Flieh-, Schub- und Schwerkraft eine entsprechende Vorwärtsbewe- gung verspricht, besteht die Schwierigkeit eines Vor- ankommens für Architektinnen - wie wir anhand der Architekturstudentinnen der Weimarer Republik ge- sehen haben - nicht in der Bewältigung von Natur- kräften, sondern im Umgang mit flüchtigen Plausibili- sierungversuchen, hartnäckigen Legitimationsdiskur- sen, verschiedenen Konkurrenten und schwerfälligen Interessengruppen. Ein Ausbalancieren dieser Kräfte erwies sich im Rahmen bereits etablierter Architektur- anschauungen und innerhalb traditioneller Rollenmu- ster als ebenso schwierig wie auf der Suche nach in- novativem Bauen und modernen Lebensstilen. Geschlechternormalität ist in der Architektur noch im- mer nicht erreicht. Auch wenn in der öffentlichen Ar- chitekturdebatte die Thematisierung geschlechter- konnotierter Eigentümlichkeiten quasi tabuisiert wird, so bleibt deren Relevanz durch die Irrationalität der Legitimationsdiskursee wie die sichtbare Diskrepanz zwischen exklusiven Fachzirkeln und exkludiert Qua- lifizierten doch virulent. So räumt Achleitner in seiner Laudatio für Margarete Schütte-Lihotzky bspw. ein, dass Wien „ihre Kenntnisse und Fähigkeiten nicht in Anspruch genommen“ [habe], sie „in der bewährten Wiener Weise nicht einmal ignoriert“ worden sei.15 - Sein sarkastischer Hinweis, „daß Wien mit ihr keine Ausnahme gemacht hat“, spielt auf Lihotzkys nicht- opportune politische Haltung an, ignoriert jedoch ihre Exklusion qua Geschlecht und belässt kollegialerwei- se auch die Kollegen unter den Akteuren unbenannt. Bereits 1984 formulierte Helga Schmidt-Thomsen den frommen Wunsch, „daß die Beiträge der Archi- tektinnen gesehen werden, die in den Hochschulen erkennbaren Begabungen nicht wirkungslos versik- kern, weibliche Arbeitskraft nicht konjunktursteuern- den Ideen geopfert wird.“ 16 Diese Untersuchung zeigt, dass das Berufsfeld Archi- tektur - seine Akteure, Standesvertreter und Auftrag- geberInnen - nahezu unabhängig von konjunkturellen Entwicklungen im 20. Jahrhundert so weitgehend wie generös auf die Ideen ehemaliger Tessenow- und Bauhausstudentinnen verzichtet hat. Sie zeigt aber auch, dass die in den Hochschulen erkennbaren Be- gabungen ehemaliger Tessenow- und Bauhausstu- dentinnen nicht immer wirkungslos blieben. Deutlich wurde, dass die jahrhundertelange Abwesenheit von Frauen in der Architektur nicht innerhalb von Jahr- zehnten kompensiert werden konnte. Und es zeigte sich, dass die Kategorie ‘Gender’ im Berufsfeld Ar- chitektur andere Parameter dominiert, darunter bspw. Begabung, soziale Schicht, kulturelles Kapital. Dabei wurde insbesondere während der Weimarer Republik sichtbar, wie diese Kategorie mit Hilfe des Moderni- tätsdiskurses in der Architektur transformiert, die Mo- dernisierung der Geschlechterhierarchie hier noch vor dem gesellschaftlichen ‘roll-back’ antecipiert wurde. Wie die enormen Widerstände gegen Architektinnen innerhalb des Fachs zeigten, rekrutiert ein in seinen Regeln und Verfahren weitgehend autonomer Berufs- stand seinen Nachwuchs über statusdistribuierende Netzwerke, die intellektuellen Positionen und archi- tektonischen Haltungen, primär jedoch einem ökono- mischen Interessenausgleich unter Kollegen des glei- chen Geschlechts verpflichtet bleiben. Der immer wieder im Wandel befindliche Berufsstand zeigte sich im 20. Jahrhundert auch in seinen Diskursen höchst wandlungsfähig, hinsichtlich der Partizipation von Frauen jedoch weitestgehend resistent. Zu einem Zeitpunkt, zu dem die Großmüttergenera- tion schon soweit in Vergessenheit geraten ist, dass sie rekonstruiert werden muss, Töchter und Enkelin- nen dieser Pionierinnen das Berufsfeld verlassen ha- ben, suchen Architektinnen auch an der Wende zum 21. Jahrhundert häufig ihr Heil in der Flucht aus ei- nem ihnen nur selten wohlgesonnenen Berufsfeld.17 Im Wissen um Berufs- und Lebenswege von Archi- tektinnen früherer Generationen haben sie jedoch auch die Chance, eine Geschlechternormalität in der Architektur - ein ‘doing equal’ anstelle des ‘doing gender’ - einzufordern und voranzutreiben: Indem sie hierarchisierende Muster und Strukturen im Berufs- feld als interessengesteuert wahrnehmen und benen- nen, Einfluss auf die Arten und Weisen der Chancen- und Auftragsvergabe nehmen und eine geschlechte- regalitäre Tradierung des Berufs - in der Ausbildung wie bei der Rezeption von Projekten und Bauten - vorantreiben. Auf dass eine so moderne wie traditio- nelle Erkenntnis auch für Architektinnen endlich Wirk- lichkeit erlangen möge: Das Ziel aller Bemühungen ist der Bau. 14 Colomina, Beatriz: Battle Lines E.1027, in: Hughes, Francesca (Hg.): The architect: reconstructing her practice, Cambridge, 1996, S.2 15 Achleitner, Friedrich: Bauen für eine bessere Welt, in: Allmayer- Beck, R., et.al.: Margarete Schütte-Lihotzky. Soziale Architektur - Zeitzeugin eines Jahrhunderts, Wien, 1993, S.11 16 Schmidt-Thomsen, 1984, S.29 17 Auch aktuelle Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass Architektinnen das Berufsfeld in Reaktion auf erlebte Ausgren- zungen und Ohnmacht verlassen. Christiane Erlemann hat die Berufsausstiege von Ingenieurinnen in den 1990er Jahren unter- sucht und fand die ‘Ausstiegsmotive’ überwiegend im Bereich der beruflichen Hierarchien. Erlemann, Christiane: Umsteigerin- nen - eine qualitative empirische Studie zum Verbleib von Hoch- schulabsolventinnen im Ingenieurberuf, Diss., Dortmund, 2001 Resümee 319 „To do something of what we usually do and at the same time to reflect on that very practice. This is a very difficult thing to do. If you think about how you ride a bicycle, you may fall off.“ 14 Werkbiografien Die folgende Übersicht enthält insbe- sondere Werkbiografien von Tesse- now- und Bauhausstudentinnen. Sie umfasst Tessenowstudentinnen, so- weit sie in der Schülerkartei, die Hein- rich Tessenow während seiner Zeit an der TH Charlottenburg führte, erfasst sind bzw. soweit sie aus weiteren Un- terlagen nachweisbar sind. Die Bio- grafien von Bauhausstudentinnen sind hier aufgenommen, soweit sie - nach Prüfungslisten resp. Aktenlage und / oder eigenen Angaben - im Bereich Bau-/Ausbau studiert resp. an städte- baulichen Kursen teilgenommen ha- ben bzw. soweit architektonische Pro- jekte von ihnen recherchiert werden konnten.1 Zuweilen mussten Einzelfal- lentscheidungen getroffen werden. Dementsprechend bleibt die Zusam- menstellung resp. Auswahl der für diesen Anhang erstellten Biografien lückenhaft, manche Biografie in Er- mangelung aussagefähiger Quellen schemenhaft. Es folgen nun 37 Biografien von Ar- chitekturstudentinnen, die das Semi- nar Tessenow an der TH Charlotten- burg besuchten und 52 Werkbiogra- fien architekturinteressierter Bau- hausstudentinnen. Die Namen dieser ehemaligen Bauhaus- resp.Tessenow- studentinnen sind fett hervorgehoben. Daneben wurden ausgewählte Biogra- fien weiterer Studentinnen derselben Generation aufgenommen, soweit sie in dieser Untersuchung für Verglei- che herangezogen werden. Um po- tentielle Vorbilder für die hier näher betrachtete Studentinnengeneration zu finden, wurden im Rahmen der vorliegenden Forschung auch Archi- tektinnen recherchiert, die bereits in den zwanziger Jahren durch Bauten, Publikationen oder Vorträge öffentlich in Erscheinung traten. Auch von man- chen dieser Architektinnen wurden Werk- oder Kurzbiografien aufgenom- men. Als Quellen der folgenden Darsellun- gen wurden sowohl publizierte Infor- mationen und Archivmaterial, sowie - dank Hinweisen der Befragten, von Familienangehörigen und ehemaligen KommilitonInnen - Unterlagen aus pri- vaten Nachlässen genutzt. Dabei wur- den Quellen unterschiedlichster Her- kunft und Datierung abgeglichen und so weit als möglich überprüft. Den- noch gelang es nicht immer, wider- sprüchliche Angaben zu verifizieren. Zur Verdeutlichung der unterschied- lichen Provenienzen werden die Quel- len zumindest in Auswahl genannt. Die Biografien sind in alphabetischer Reihenfolge nach dem Familiennamen der Studentinnen während der Studi- enzeit geordnet. Heirats- bzw. Ge- burtsnamen werden im Anschluss an die Referenznamen genannt und sind auch als Verweise erneut aufgenom- men. Weitere Vornamen erscheinen - soweit es sich um eingetragene Na- men handelt - in eckiger, Zuschrei- bungen in runder Klammer. Zsuzsanna Bánki Zsuzsanna (Zsuzska) Bánki, spä- tere Pál (ab 1938), Dipl.Ing. geb. 12.3.1912 Györ/Ungarn - ermordet im Sommer 1944 Auschwitz Studium am Bauhaus Dessau 1930 bis 1932, am Städel Frankfurt/M. 1932 bis 1933, an der Akademie Wien 1933 bis 1936, Diplom wurde am 12.3.1912 als Tochter des Gy- näkologen Zoltán Bánki, urspr. Reichenfeld (1873-1934) und seiner Frau Olga geb. Ar- pasi, zuvor Goldschmied (1884-1944) in Györ geboren. Ihre Großeltern waren Guts- besitzer, ihr Vater diente im ersten Welt- krieg als Chefarzt eines Feldlazaretts. Ihr älterer Bruder Ödön (1903-1978) stu- diert ab 1920 Medizin in Würzburg und München, er lebt ab 1928 in den Nieder- landen. Zsuzsanna Bánki besteht ihr Abitur am Realgymnasium in Györ 1930. Biografien 321 1 Zur Eingrenzung der Begriffe Tessenow- resp Bauhausstudentinnen vgl. Kap.3, S.56 resp. die Ausführungen in Kap.1. Zsuzsanna und Ödön Bánki, um 1915 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Eigentlich möchte sie Ärztin werden, kann den Studienwunsch Medizin gegenüber den Eltern aber nicht durchsetzen. Wer auf die Idee kommt, dass die Tochter Archi- tektur studieren solle, ist unklar.2 Im Herbst 1930 schreibt sich Zsuzsanna Bánki am Bauhaus Dessau mit dem Ziel ein, Innenarchitektin zu werden. Die Ent- scheidung in Deutschland zu absolvieren, wird durch finanzielle Erwägungen erleich- tert. Nach dem Vorkurs studiert Bánki ab dem Sommersemester 1931 ‘Bau/Ausbau’ und arbeitet zwei Tage pro Woche in der Tischlereiwerkstatt. Im Sommer 1931 ar- beitet sie außerhalb des Bauhauses, wes- halb sie „mit Rücksicht auf ihre auswärtige Tätigkeit“ im Herbst 1931 zunächst auf Probe in das dritte Semester aufgenom- men wird.3 Ob es sich bei dieser Tätigkeit um ein Praktikum handelt und wo sie tätig wird, ist bisher nicht dokumentiert. Im Win- tersemester 1931/32 arbeitet sie erneut regelmäßig in der Tischlereiwerkstatt und wird vom „unterricht müller, rudelt, sche- per“ befreit.4 Auch wenn keine Studienarbeiten Zsu- zsanna Bánkis erhalten sind, aus Briefen an ihre Familie während der Studienzeit konnte ihre Nichte Esther Bánki etliche De- tails des Studiums rekonstruieren. Bánki ist am Bauhaus mit Jaschek Wein- feld, Munyo Weinraub und Irena Blühova befreundet. Sie sympathisiert mit den Ide- en der ‘kostufra’, dem kommunistischen Studentenbund. Wenige Tage nach der polizeilichen Räumung der Kantine am 19. März 1932 wird u.a. Weinfeld aus dem Bauhaus ausgeschlossen. Bánki gehört zu den StudentInnen, die in Reaktion auf die Räumung der Kantine die Teilnahme an der Jahresausstellung verweigern. Sie wird daraufhin am 20. März durch die Konfe- renz der Meister vom weiteren Studium ausgeschlossen. Bánki kehrt dennoch zu Beginn des Sommersemesters nach Des- sau zurück. Gemeinsam mit der ebenfalls ausgeschlossenen Mathy Wiener stellt sie einen Wiederaufnahmeantrag. Der Beirat fasst jedoch am 12.4. den Beschluss: „es bleibt bei dem ablehnenden entscheid“.5 Zsuzsanna Bánki zieht für eine Fortsetzung des Studiums im Mai 1932 nach Frankfurt am Main, wo sie an der Städelschule bei Franz Schuster in der Abteilung ‘Woh- nungsbau und Innenausstattung’ studiert.6 1932 erhält sie von Bekannten in Györ ei- nen Auftrag für eine Inneneinrichtung.7 Als der Direktor der Städelschule Fritz Wichert im Frühjahr 1933 von den Nationalsoziali- sten entlassen wird, kehrt Zsuzsanna Bán- ki nach zwei Semestern am Städel nach Györ zurück. Sie sucht erfolglos nach einer Möglichkeit zum Weiterstudium in Prag und Budapest, strebt bald ein Studium bei Oskar Strnad an der KGS in Wien an. Aus finanziellen Gründen studiert sie nach bestandener Aufnahmeprüfung ab Herbst 1933 jedoch in der Meisterklasse Clemens Holzmeisters an der Wiener Akademie (Matr.Nr. 1385 A). Als bezahlte Volontärin kann sie bei Holzmeister im Privatatleier arbeiten. „Die architektonischen Arbeiten Holzmeisters erfüllen nicht ganz die Vor- stellung der Richtung, die ich bisher und wahrscheinlich auch in Zukunft verfolgen möchte“, schreibt sie im Herbst 1933 an den Bruder.8 An der TU Wien belegt sie Hochbau bei Prof. Dr. Haas und Statik bei Dr. Baravalle. Als nach dem Tod ihres Va- ters ihr Weiterstudium an der Finanzierung zu scheitern droht, werden im April 1934 ihre Studiengebühren auf die anderthalb- fache Inländergebühr reduziert.9 Im Juli 1936 erhält Zsuzsanna Bánki das Architekturdiplom an der Akademie für Bil- dende Künste Wien, unterzeichnet von Pe- ter Behrens und Clemens Holzmeister. Die Diplomarbeit, für die sie eine „Belobende Anerkennung“ erhält, ist nicht erhalten.10 Zsuzsanna Bánki kehrt direkt nach dem Diplom zurück nach Györ und eröffnet ein eigenes Büro für Innenarchitektur.11 Fami- liäre Kontakte zu den einheimischen Wirt- schaftskreisen dürften ihren Bürostart er- leichtert haben. Noch 1936 realisiert sie nicht nur das Grabmal ihres Vater auf dem jüdischen Friedhof in Györ, sondern stattet im Auftrag der örtlichen Handelskammer anlässlich des Lloydballs auch den „Kiosk“ neu aus. Von dieser Raumgestaltung wird auch in der Presse Notiz genommen. 1938 heiratet sie den Internisten Istvan Pal, der bei den ungarischen Eisenbahnen be- schäftigt ist und vom Judentum zum Ka- tholizismus konvertierte. Auch nach der Heirat - die Ehe bleibt kinderlos - betreibt Zsuzsanna Palne in Györ ihr Büro als selb- ständige Architektin. Bauten und Aufträge aus dieser Zeit lassen sich bisher nicht nachweisen.12 Ende der dreißiger Jahre erwägt sie, mit ihrem Mann in eine holländische Kolonie auszuwandern. Als mit dem Einzug der Deutschen im März 1944 die systemati- sche Internierung und Vernichtung der jü- dischen Bevölkerung Ungarns beginnt, wird auch nördlich von Györ ein Sammel- lager eingerichtet. Als Olga Arpasi am 23.5.1944 abgeholt wird, begleitet sie ihre Tochter Zsuzsanna Pál. Die Spur von bei- den lässt sich in das Lager Györziget ver- folgen. Sie werden am 11. Juni 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Ein Nachlass Zsuzsanna Páls ist bisher nicht bekannt. Bisherige Recherchen zu ih- rem Schaffen in Györ blieben ergebnislos. Auch ihre Mitarbeit an Projekten Holzmei- sters lässt sich bisher kaum dokumentie- ren. Für biografische Informationen, Ge- spräche und briefliche Mitteilungen danke ich Esther Bánki Quellen Bánki, Esther: Die ‘Bauhäuslerin’ Zsuzska Bánki 1912-1942, Diplomarbeit am Institut für neuere Kunstgeschichte der Literaturfakultät der Katholieke Uni- versiteit Nijmegen, 1990 BHD/NL Engemann, Sitzungsprotokolle vom 9.12.1930, 26.10. und 23.11.1931, 12.4.1932, Prüfungsliste SS 31 vom 6.7.1931 Studentenakte der TU Wien, Susanne Banki Einwohnermeldekarte der MA8/Wien, Schreiben von Herbert Koch vom 4.8.1998 Baumfeld, Ella siehe Briggs, Ella Beckmann, Mathy siehe Wiener, Mathy 322 Anhang 2 Olga Arpasi sammelte Antiquitäten und ließ in den zwanziger Jahren das eigene Haus durch einen Innenarchitekten umbauen. 1929 wurden in Györ die Wettbewerbser- gebnisse für den Neubbau des örtlichen Theaters ausgestellt. Hierfür hatte auch das Atelier Gropius einen Entwurf eingereicht. Zsuzsanna Bánki dürfte die Ausstellung besucht haben. 3 BHD, NL Engemann, Beiratssitzung 26.10. 1931, Bl.2 Pkt.3: „s. banki wird mit rück- sicht auf ihre auswärtige arbeit während der ferien auf probe ins 3. semester aufgenom- men mit der verpflichtung zur nachholung des werkstattkurses im nächsten sommer.“ 4 BHD, NL Engemann, Beiratssitzung 23.11. 1931, Bl.1, Pkt.4: „es werden befreit: (..) su- sanne banki vom unterricht müller, rudelt, scheper, um in diesem semester in der werkstatt zu arbeiten. sie hat im nächsten semester das versäumte nachzuholen.“ 5 BHD, NL Engemann, Protokoll der Beirats- sitzung vom 12.4.1932, Bl.1, Pkt.9 6 Dort studiert u.a. auch der ebenfalls am Bauhaus ausgeschlossene Heinz Schwerin. 7 Diese Inneneinrichtung für Kardos und Imre Böszi wird erwähnt in einem Brief von Olga Arpasi an Ödön Bánki vom 1.10.1932; ich danke Esther Bánki für diesen Hinweis. 8 Bánki, 1990, S.71 9 Schreiben an die Architekturmeisterschüle- rin Susanne Bánki vom 12.4.1934, Archiv der Akademie Wien, Akte Bánki, mit Dank an Esther Bánki. 10 Verleihungsdekret 740/36 - lt. Eintragung in der Studentenakte Bánki, demzufolge be- stand sie das Diplom am 28.6.1936. 11 In der Wencsz Jenö Utca 20, (der heutigen Bela Bartok Utca). Lt. Angaben der MA8 er- folgt ihre Abmeldung am 16.7.1936 nach Györ, auch wenn sie zwischen dem 19. und 23.12.1936 nochmals in Wien gemeldet ist. 12 Bisher lässt sich von ihren Entwürfen einzig das Grabmal für den Vater dokumentieren. Grabmal Zoltan Bánki auf dem jüdischen Friedhof in Györ, 1936 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Lotte Beese Charlotte [Anna Ida] Beese, späte- re Stam-Beese (ab 10/1934), Arch. HBO, De 8 en opbouw, CIAM geb. 28.1.1903 Reisicht - gest. 18.11. 1988 Krimpen a.d. Ijssel/Niederlande Studium am Bauhaus 1926 bis 1929, an der Academie voor Bouwkunst Amster- dam 1940 bis 1945, HBO-Diplom wurde 1903 im schlesischen Reisicht als jüngstes Kind des aus Breslau stammen- den Reichsbahnbeamten Albert Beese ge- boren. Über ihre Mutter ist bisher nur be- kannt, dass sie aus einer polnischen Bau- ernfamilie stammte. Lotte Beese wächst in der ländlichen Umgebung des protestanti- schen Nodlau mit zwei Geschwistern auf. Wie lange sie - die eine gute Schülerin und Sportlerin, aber auch ein eigenwilliges Kind gewesen sein soll - die Schule besucht, ist unklar. Ihr einziger Bruder fällt im ersten Kriegsjahr. Beese erlebt die Auswirkungen des ersten Weltkrieges auf die Zivilbevölk- erung und führt auf die Suche nach einer Lebensperspektive in den frühen zwanzi- ger Jahren ein sehr mobiles Leben.13 Ihre vier Jahre ältere Schwester ist bereits ver- heiratet. Den Wunsch studieren zu dürfen, muss Beese bei den Eltern durchsetzen. Sie studiert kurzzeitig an der Kunstakade- mie in Breslau und arbeitet in unterschied- lichen Branchen, darunter einer Weberei in Dresden, bevor sie 1926 ans Bauhaus in Dessau kommt. Dort wohnt sie zunächst zur Untermiete in der Innenstadt, zieht dann ins Prellerhaus.14 Lotte Beese wird Mitglied der kommunistischen Studenten- fraktion Kostufra. Bis 1927 in der Weberei- werkstatt, studiert sie ab 1928 in der Bau- abteilung bei Hannes Meyer, besucht die städtebaulichen Gastkurse bei Mart Stam. In der Bauabteilung ist sie am Wettbewerb „Lungenheilstätte Harzgerode” und der „Bundessschule des ADGB” in Bernau beteiligt. Ende 1928 wird ihre Liaison mit dem inzwi- schen zum Direktor ernannten, verheirate- ten und vierzehn Jahre älteren Meyer zum Politikum. In den Weihnachtsferien erklärt er ihr, dass ihr Weiterstudium in Dessau in Rücksicht auf seine Position nicht möglich sei. Beese wechselt zum 1.1.1929 in das Büro Meyer/ Wittwer in Berlin, wo sie an der Ausführungsplanung der ADGB-Schule mitarbeitet. Nach ihren Angaben stammen die Lehrerwohnungen maßgeblich von ihr. Ende 1929 wechselt sie in das Büro von Hugo Häring, wo sie jedoch lediglich als Zeichnerin beschäftigt wird. Deshalb bittet sie Meyer um die Vermittlung einer Archi- tektinnenstelle und kann daraufhin ab April 1930 bei Bohuslav Fuchs in Brünn mitar- beiten. Hier ist sie an einem Sanatorium in der Tatra und der Planung einer Mädchen- schule bei Brünn beteiligt.15 Im November 1930 folgt sie Meyer auf dessen Drängen nach Moskau. Es kommt zu einer Schwangerschaft und dem Bruch der Beziehung. Bis zur Entbindung im Juli 1931 arbeitet Beese - zurück in Brünn - er- neut bei Fuchs. Als dieser die Finanzierung des dreimonatigen Mutterschutzes verwei- gert, setzt sie die Forderung 1932 in Prag gerichtlich durch. Und da Meyer - nun mit Lena Bergner liiert - keinerlei Alimentezah- lungen leistet, erstreitet sie vor dem Mos- kauer Volksgerichtshof auch diese.16 Arbeitslos und politisch aktiv gerät Beese ins Blickfeld des tschechischen Staats- schutzes. Sie bringt den Sohn bei Bekann- ten in Prag unter, reist Anfang 1932 nach Charkow, wo sie an Entwürfen für Kinder- gärten gearbeitet haben soll. 1933 begeg- net sie dort Mart Stam.17 Mit ihm fährt sie nach Orskaja im Ural. Noch im selben Jahr wird Beese Mitarbeiterin im ‘Standardgor- projekt’ in Moskau.18 Neben einem städte- baulichen Plan entstehen Entwürfe für Kin- dergärten und Schulen. 1934 folgt das ‘Sotsgorod’-Projekt für Balchas. Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Besiedelung dieses Gebietes und zunehmende Spannungen zwischen einheimischen und zugereisten PlanerInnen führen bei Beese und Stam zu der Entscheidung, Russland zu verlassen. Deutschland ist inzwischen nationalsoziali- stisch, Stam ist Niederländer (5.8.1899 Purmerend/NL - 23.2.1986 Gold-bach/CH). Gemeinsam besuchen sie im Frühjahr 1934 für mehrere Wochen Amsterdam. Nach Stams Scheidung von seiner ersten Frau heiraten Lotte Beese und Mart Stam im Oktober 1934 in Moskau. Nach der Übersiedelung nach Amsterdam heiraten sie dort erneut. 1935 kommt die gemein- same Tochter zur Welt. Beese und Stam treten „de 8“ und damit der CIAM bei. Lot- te Stam-Beese schreibt ab Mitte der drei- ßiger Jahre zahlreiche Artikel für „De 8 en opbouw“, in denen sie funktionalistische Thesen vertritt.19 In gemeinsamer Arbeit entstehen mehrere Planungen. Bekannt sind der Wettbewerbsentwurf für den Neubau des Amsterdamer Rathauses 1936 (mit W. van Tijen und H.A. Maas- kant), die ‘Drive-in-Wohnungen’ (1937 mit van Tijen), 1938 der Entwurf für einen Pa- villon auf der Weltausstellung in New York, 1939 der Wettbewerbsentwurf für einen Pavillon auf der Verkehrsausstellung in Köln und 1941 der Wettbewerbsentwurf für ein Krematorium in Den Haag. Auch allein zeichnet Lotte Stam-Beese für Archi- tekturentwürfe - wie auch für grafische Ar- beiten - verantwortlich, so 1939 für den Entwurf eines ‘Hauses für arbeitende Frau- en’ und 1940 für den Wettbewerbsentwurf einer ‘Volkswohnung’.20 Da Stam und Bee- se auch in Kooperation mit Kollegen keine größeren Aufträge realisieren können und Stam 1939 als Direktor der Amsterdamer Kunstgewerbeschule eine eigene berufli- che Perspektive findet, sinken ihre Chan- cen im Fach tätig zu bleiben. Nicht nur das gemeinsame Büro, auch die Ehe kriselt. So bewirbt sich Lotte Stam- Beese zum Herbst 1940 an der Akademie für Baukunst, wo sie das volle Vier-Jahres- Programm absolvieren muss. Es entstehen eigenwillige Studienentwürfe wie bspw. ein Ruderclub, eine Grundschule und ein Kin- dererholungsheim. Die Diplomaufgabe, ein „StudentInnenzentrum” stellt Willem van Tijen 1943, zwei Entwurfsvarianten Stam- Beeses sind erhalten. Neben Studium und Familienpflichten, die Ehe wird 1943 ge- schieden, arbeitet Stam-Beese als Zeich- nerin im Büro Ben Merkelbachs.21 Biografien 323 13 Auch die Biografie von Schilt / Selier lässt bzgl. Kindheit und Jugend Fragen offen. 14 Selier / Schilt, 1993, S. 11 15 Lt. Zeugnis vom 15.11.1930. Damen / De- volder führen ihre Mitarbeit an fünf Projek- ten auf, darunter dem Kurhotel Morava in Tatranská Lomnica. (Damen / Devolder, 1993, S.136) - Lt. Zdenek Rossmann arbei- tete Beese zusammen mit ihm im Büro Fuchs an Gewerbe- und Industrieschulen, die Datierung (1929) dürfte jedoch falsch sein. (Slápeta, Vladimir: Das Bauhaus und die tschechische Avantgarde, in Gaßner (Hg.), 1989, S.224) 16 Vgl. Schilt / Selier, 1993, S.171 17 Mart Stam war mit Frau und Tochter 1930 Ernst May nach Moskau gefolgt. 1933 ar- beitet er am ‘Makejewa’-Projekt. 18 An diesem Projekt für Orsk arbeiten unter Leitung von Hans Schmidt auch Niegeman, Hebebrand, Püschel, Schütte-Lihotzky, Schwagenscheidt, Tolziner, Weiner und Zeeman. 19 Vgl. Bibliografie in Damen/Devolder, 1993, S.139-140. 20 Stam-Beeses Entwurf wird prämiert - wie auch die Entwürfe von Rietveld und van Tijen mit Maaskant. Es gewinnt der Ent- wurf von Gerda und Johan Niegeman. Vgl. „In Holland staat een Huis“, in: De 8 en op- bouw, 12.Jg.,1941, H.2, S.16. 21 Merkelbach gehörte zu den ersten Redak- tionsmitgliedern der 1931 gegründeten Zeitschrift “De 8 en op-bouw“ und war deren langjähriger Chefredakteur. Lotte Stam-Beese in den 1960er Jahren Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Für das Studium bleibt wenig Zeit. Ende 1945 erhält sie für einen zweiten Entwurf des Studentenzentrums im Alter von 42 Jahren ihr Architekturdiplom.22 1946 wird Lotte Stam-Beese Mitarbeiterin des Rotterdamer Stadtplanungsamtes. Ih- ren Arbeits- und Interessenschwerpunkt bilden städtebauliche Konzeptionen und Entwürfe, wobei sie die Modernisierung des Städtebaus nach den Grundsätzen der aufgelockerten und durchgrünten Stadt vorantreibt und offensiv verteidigt. Die Stadterweiterungspolitik Rotterdams bietet dafür in den fünfziger und sechziger Jah- ren ein reichhaltiges Betätigungsfeld. Nach Stam-Beeses Entwürfen entstehen u.a. die Neubausiedlungen Pendrecht, Ommoord und Alexanderpolder. Sie schreibt Dutzende von Artikeln und hält zahlreiche Vorträge. Dabei zieht sich die Frage nach der Humanisierung des Städtebaus wie ein roter Faden durch Lot- te Beeses Leben. Von ihren über 30 Archi- tekturentwürfen kann sie - zumeist in Zu- sammenarbeit mit Kollegen - etwa die Hälfte realisieren. Lotte Stam-Beese wohnt in einem nach eigenen Vorstellungen um- gebauten Haus in einem Dorf südwestlich von Rotterdam. Auch nach ihrer Pensionie- rung 1968, nach zweiundzwanzig Jahren in den Diensten des Rotterdamer Stadtpla- nungsamtes, kehrt sie noch drei Jahre re- gelmäßig an ihren Schreibtisch zurück, um die sog. ROCA-Studien abzuschließen. Im Alter entstehen Gartenentwürfe für Be- kannte, sie schreibt Gedichte. Lotte Stam-Beese starb 1988 in ihrem Haus am Deich in Krimpen an der Ijssel. 1993 erscheint anlässlich einer Ausstellung in Rotterdam eine Monografie, die auch ein Werk- und ein Schriftenverzeichnis um- fasst.23 Der Nachlass Stam-Beeses befin- det sich im Niederländischen Architekturin- stitut in Rotterdam. Quellen: NAI Rotterdam - NL Stam-Beese GET, Teilnachlass Beese, Schriftwech- sel und Fotos DAM, NL Hannes Meyer, Schriftwechsel BHD, 2 - K-1947-04-30, Brief H. Meyer an Grete u. Max Gebhard , BHD 2 - K(1) - 1929-05-30 Brief Püschel an Tralau, BHD 2-K-1930-11-02 Brief Bücking an Püschel, BHD 2 -K(1)-1929-05-25 Brief W. Tralau an K. Püschel Damen, Hélène / Devolder, Anne-Mie (Hg.): Lotte Stam-Beese, Rotterdam, 1993 Schilt, Jeroen / Herman Selier: Van de oevers van de Oder tot Krimpen aan den Ijssel. Het leven van Lotte Stam- Beese 1903-1988, in: Damen/Devolder, 1993, S.10-36 Droste, Magdalena /W. Kersten/ W. Kleinerüschkamp: Hannes Meyer, Archi- tekt - Urbanist - Lehrer, Berlin 1989 Rümmele, Simone: Mart Stam, Zürich, 1991 Crhonek, Ilos: Bohuslav Fuchs - the life- work, Brünn, 1995 Möller, Werner: Mart Stam, Tübingen/ Berlin, 1997 324 Anhang Drive-in-Wohnungen, Amsterdam, 1937 22 Beide Varianten dieser Entwurfsaufgabe sind vollständig erhalten. 23 Damen / Devolder, Rotterdam, 1993, Werkverzeichnis S.136-137 StudentInnenzentrum Amsterdam, Diplomarbeit, Entwurf März 1945, Ansicht von der Amstel StudentInnenzentrum, Diplomarbeit, Entwurf Herbst 1945, Ansicht von der Amstel Ommoord, Städtebaulicher Entwurf, 1965, Lotte Stam-Beese, Vogelperspektive Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Leonie Behrmann Leonie [Charlotte] Behrmann geb. 15.12.1909 Berlin - „verschollen in Riga“ 24, wahrscheinlich Ende 1942 um- gebracht Studium an den Vereinigten Staatsschu- len Berlin 1930 bis 1933 wurde Ende 1909 in Berlin als Tochter des Oberingenieurs Izil Behrmann (1875 Ba- cau, Rumänien - 1943 London) und seiner Frau Gertrud geboren. Ihre Vorbildung ist ebensowenig bekannt wie ihre Erziehung. Ihr Vater gehörte der jüdischen Gemeinde an. 1913 wird eine jüngere Schwester ge- boren. Sie studiert Anfang der dreißiger Jahre Medizin. Leonie Behrmann, deren Studienmotivati- on unbekannt ist, könnte in ihrer Studien- entscheidung durch den Vater beeinflusst worden sein. Dieser lässt sich im Telefon- buch bis 1939 nachweisen. Die Familie wohnt in Berlin-Schöneberg, zuerst in der Akazienstraße 7, dann in der Hauptstraße 135. Dabei variieren die Angaben über den Beruf des Vaters von Dipl. Ing. über Obe- ringenieur bis Direktor. Leonie Behrmann ist zwanzig Jahre alt, als sie 1930 die Aufnahmeprüfung an den Ver- einigten Staatsschulen besteht. Sie meldet sich als Atelierschülerin für Architektur.25 Ab dem Wintersemester 1930/31 studiert sie dort Architektur bei Tessenow. Bisher konnten weder Studienarbeiten noch prak- tische Tätigkeiten von Leonie Behrmann recherchiert werden. In den Aktenbestän- den der VS Berlin lassen sich für densel- ben Zeitraum noch zwei weitere, gleichal- trige Architekturstudentinnen nachweisen: Die aus Lünen stammende Architekten- tochter Sophie Schlichtherle und die in Il- berstadt geborene Ilse Hoerda studieren hier ebenfalls Architektur ab dem Winter- semester 1930/31. Ihre Studienerfolge und weiteren Lebenswege sind bisher unbe- kannt. Nach Aussagen von Fritz Cremer gehörte Leonie Behrmann an den VS - ebenso wie er selbst, Gertrud Classen und Fritz Duda - zu den Gründungsmitgliedern des Revolu- tionären Studentenbundes. Diese Gruppe meldet sich seit 1932 u.a. mit einer Stu- dentenzeitung gegen den auch hier aufkei- menden Faschismus zu Wort. Anlässlich der Rücktrittsaufforderung der Akademie der Künste an Käthe Kollwitz und Heinrich Mann verfassen Behrmann, Cremer und Duda eine Protestnote, der sich kurzzeitig 91 Studierende anschließen.26 Ob Leonie Behrmann Anfang der dreißiger Jahre auch im „Kollektiv für sozialistisches Bauen“ aktiv war, kann bisher nur vermu- tet werden.27 Die Abschrift eines Schrei- bens der Vereinigten Staatsschulen vom 27.7.1933 zur Umsetzung des Erlasses vom 11.7., der die Entfernung der Studie- renden kommunistischer Gesinnung aus der Hochschule bezweckt, führt Behrmann auf der Liste der insgesamt elf StudentIn- nen, die „vom Studium ausgeschlossen bzw. vorher schon abgegangen“ sind.28 So bleibt an ‘trockenen Fakten’, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Suspendierung sechs Semester Architektur studiert hat. Was Behrmann in den folgenden Jahren tut, ob sie ggf. als Architektin arbeitet oder untertaucht, ist bisher nicht bekannt. Die Eltern bereiten nach der ‘Reichskristall- nacht’ die Emigration vor, melden sich und die jüngere Tochter im März 1939 nach London ab. Christine Fischer-Defoy hat anhand der Aktenbestände des Reichssicherheitsam- tes nachgewiesen, dass Behrmann festge- nommen wurde. Dies spricht dafür, dass sie auch nach ihrer Zeit an den VS poli- tisch aktiv war, aufgrund ihrer politischen Gegnerschaft, nicht als ‘Halbjüdin’ verhaf- tet wurde. Ihr Name steht im September 1942 auf einer Liste für einen „Transport nach Osten“. Ihr letzter bekannter Aufent- haltsort ist die berüchtigte Frauenstrafan- stalt Jauer in Schlesien. Dort wird die Akte XXIX / 15859 angelegt, die eine mit „Berlin, den 28.8.1942 Leonie Sara Behrmann“ un- terzeichnete Vermögenserklärung enthält. Als Beruf trägt sie auf dieser Erklärung „Ar- chitektin“ ein. Die Unterhaltsforderungen gegen den Vater dürften der Beschlagnah- mung des Familienbesitzes gegolten haben. Von Leonie Behrmann gibt es kein weite- res Lebenszeichen, wahrscheinlich wurde sie nicht einmal 33 Jahre alt. Ihr Akte wird am 17.4.1945 geschlossen. Quellen: LAB, Adressverzeichnisse der Stadt Berlin Gedenkbuch Berlin: Eintrag Leonie Behrmann Archiv der HdK Berlin, Bestand 8, Nr.115, Aufnahmeentscheidungen WS 1930/31; sowie Best.9, Nr.1064 Fischer-Defoy, Christine: Kunst Hoch- schule Faschismus, Berlin, 1988 Zweta Beloweschdowa Dipl.Ing. geb. um 1910 (Geburtsdatum unbe- kannt), Plowdiw / Bulgarien - Daten nach 1935 unbekannt Studium an der TH Charlottenburg 1930 bis 1935, Diplom wurde wahrscheinlich um 1910 als jüngste Tochter eines Verlegers und Buchhändlers in Plowdiw geboren. Mit zwei ihrer älteren Schwestern besuchte die ebenfalls aus Plowdiw stammende Tessenowstudentin Iwanka Hahn [geb. Waltschanowa] die Schule in Plowdiw. Hier dürfte auch Zweta Beloweschdowa das Abitur erworben haben. Zum Winter- semester 1930/31 schreibt sie sich für Ar- chitektur an der TH Charlottenburg unter der Matr.Nr. 44049 ein. Sie wohnt nicht weit von der TH entfernt am Kaiserdamm zur Untermiete, als sie nach dem Vordi- plom ab 1933 das Seminar Tessenow be- sucht. Bei ihm legt sie im Herbst 1935 das Diplom ab. Bisher sind weder Studienar- beiten noch das Thema ihrer Diplomarbeit bekannt. Zweta Beloweschdowas Studium zeigt die von Juliane Mikoletzky für bulgarische Stu- Biografien 325 24 Lt. Gedenkbuch Berlin, Eintrag Behrmann, Leonie - Vgl. zur Biografie Leonie Behr- manns auch Fischer-Defoy, Christine: Kunst Hochschule Faschismus, Berlin, 1988, S.281 25 HdKA, Best.8, Nr.115, Aufnahmeentschei- dungen Winter 1930/31 26 Fischer-Defoy, 1988, S.178ff. 27 Zum „Kollektiv für sozialistisches Bauen“ vgl. Fischer-Defoy, 1988, S.104. 28 Von den Architekturstudenten an den Ver- einigten Staatsschulen wurden außerdem Gerhard Eichler, Gustav Genz, Georg Geor- ge, Herbert Klatt und Hans Mucke unter demselben Vorwand vom Studium ausge- schlossen. Vgl. Fischer-Defoy, 1988, S.178. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar dentinnen als signifikant konstatierte Ziel- strebigkeit: Neun Semester nach Stu-dien- beginn ist das Studium erfolgreich be- endet. Ihr Studienverlauf weist daneben auffällige Parallelen zu dem der aus Res- sen stammenden Studentin Rina Pascho- wa auf. Beide diplomieren im Herbst 1935. Beloweschdowa kehrt nach dem Diplom nach Bulgarien zurück, wo sie als Archi- tektin - auch nach der Heirat mit einem Architekten und der Geburt einer Tochter - berufstätig geblieben sein soll.29 Quellen: HTA, Studentenkartei: Beloweschdowa Informationen von Iwanka Hahn, 8.8.1997 Grete Berg [Veronika Eugenie] Margarete Berg, spätere Buhmann (1942-49), spätere Gräfin von Carmer (ab 4/ 1953) geb. 11.8.1912 Solingen-Höhscheid - lebt im Rheinland Gaststudium bei Tessenow im Sommer- semester 1935 Gaststudentin im Seminar Tessenow ohne genauere Angaben. Veronika Eugenie Margarete Berg wurde im Sommer 1912 in Solingen als Tochter des Fabrikanten Eugen Berg und seiner Frau Karoline geb. Roeder geboren. Im Sommersemester 1935 studiert sie als Gaststudentin im Seminar Tessenow. Sie wohnt in dieser Zeit in der Herthastraße in Berlin-Grunewald zur Untermiete. Auf der Karteikarte ist nur eine Studienarbeit ver- merkt: Die Bauaufnahme der „Klosterkir- che in Seebach bei Bad Dürkheim”. Wo Grete Berg zuvor und danach studiert, ist bisher ebensowenig recherchiert wie ih- re Berufsbiografie. 1942 heiratet sie den Landwirt Karl-Heinrich Buhmann, die Ehe wird 1949 geschieden. 1953 heiratet sie Carl-Friedrich Graf von Carmer. Margarete Gräfin von Carmer wird als Gar- tengestalterin im Rheinland tätig. Quellen: HTA, Studentenkartei: Berg Stadtarchiv Solingen, Mitteilung vom 18.12.1998 Beringe, Friedel von siehe Hajek, Friedel Lou Berkenkamp Luise Berkenkamp, spätere Sche- per[-Berkenkamp] (ab 1922) geb. 15.5.1901 Wesel - gest. 11.4.1976 Berlin Studium am Bauhaus Weimar 1920 bis 1922 wurde 1901 als Tochter des evangelischen Papiertütenfabrikanten Adalbert Berken- kamp in Wesel geboren. Lou Berkenkamp kommt direkt nach dem Abitur in Essen 1920 ans Bauhaus Wei- mar, wo sie zunächst die Grundlehre, ab dem Herbst 1920 an den Kursen bei Klee teilnimmt und die Wandmalereiwerkstatt bei Johannes Itten besucht. Ende 1920 unterschreibt sie einen Lehrvertrag für Dekorationsmalerei.30 1920 ist sie an der Ausmalung der Kantine in Weimar wie des Hauses Sommerfeld in Berlin beteiligt. Seit 1919 studiert auch Hinnerk Scheper (1897-1957) am Bauhaus in Weimar. Wäh- rend er vor der Handwerkskammer Weimar die Meisterprüfung als Maler ablegt, bricht sie ihre Lehre nach zwei Jahren ab.31 Ge- meinsam mit ihm verlässt sie im Sommer 1922 das Bauhaus, sie heiraten. Als Hinnerk Scheper 1925 als Leiter der Wandmalereiwerkstatt ans Bauhaus beru- fen wird, siedeln sie nach Dessau über. Lou Scheper besucht ab 1926 die Bühnen- kurse bei Oskar Schlemmer. 1928 ist sie in Halle auf der Ausstellung „Junge Maler am Bauhaus“ vertreten. Als Hinnerk Scheper 1929 zum Aufbau ei- nes Entwurfsbüros für Farbe in der Archi- tektur in Moskau am Bauhaus beurlaubt wird, zieht Lou Scheper erneut mit ihrem Mann um. Als Mitarbeiterin der deutsch- sprachigen Wochenschrift „Moskauer Rundschau“ wird sie journalistisch tätig. 1931 folgt die Rückkehr ans Bauhaus, 1933 der Umzug nach Berlin. Dort entste- hen ab 1934 „überwiegend denkmalpfle- gerische Arbeiten und malerische Tätigkeit für die Schublade“.32 Da sie mehrere Kin- der zur Welt bringt, dürften auch diese ei- nen Großteil ihrer Zeit beansprucht haben. Hinnerk Scheper ernährt die Familie zu- nächst als Pressefotograf, dann durch Wandmalereien für öffentliche Gebäude.33 1942 wird er einberufen. Lou Scheper ist nach 1945 überwiegend als Malerin tätig, arbeitet im Berufsverband Bildender Künstler mit. 1948 ist sie bei ei- ner Ausstellung im Schlossmuseum Rudol- stadt vertreten und veröffentlicht mehrere Bildgeschichten für Kinder.34 1949 beteiligt sie sich an der Ausstellung „22 Berliner Bauhäusler“. Sie wird 1951 Mitglied der Künstlergruppe „Der Ring“, ist ab 1952 im Vorstand des BBK tätig. Sie beteiligt sich an Gruppenausstellungen, wie bspw. 1963 an der Ausstellung des Vereins der Berliner Künstlerinnen (als Gästin). Hinnerk Sche- per - seit 1945 als Landesdenkmalpfleger in Berlin tätig - unterrichtet ab 1952 an der TU Berlin. Nach dem Tod ihres Mannes 1957 wird Lou Scheper als Beraterin für Farbgestal- tungsfragen am Bau tätig. Für die TU Ber- lin, die Gemäldegalerie des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg (1959-76), das Ägyptische Museum in Berlin, die Ber- liner Philharmonie (1962/63), den Flugha- fen Berlin-Tegel, eine Schule sowie eine Kindertagesstätte in Berlin-Gropiusstadt entwirft sie Farbkonzepte. Lou Scheper- Berkenkamp starb 1976 in Berlin. Quellen: SBW, Studentinnenakte Louise Berken- kamp, SBW 150, Bl.614 Schreiben Gro- pius an Frl. Berkenkamp Lebenslauf Lou Berkenkamp vom 13.3. 1920, abgedruckt bei Dietzsch, 1990, (2), S.60 326 Anhang 29 Die Werkbiographie Zweta Beloweschdo- was wird - lt. Hinweis von Milka Bliznakov - zur Zeit von Ljuba Stoilova erforscht. 30 SBW Sign.150, Bl.612, Lehrvertrag Dekora- tionsmalerhandwerk Luise Berkenkamp vom 20.12.1920. 31 Berkenkamps Lehrvertrag wurde bis 1.5. 1923 abgeschlossen. Ibid. 32 Neumann, Eckhard (Hg.): Bauhaus und Bauhäusler, Köln, 1985, S.174 33 Zur Tätigkeit Hinnerk Schepers während des Nationalsozialismus siehe Scheper, Re- nate: Hinnerk Scheper: Arbeiten zwischen 1933 und 1945, in: Nerdinger, Winfried (Hg.): Bauhaus-Moderne im Nationalsozia- lismus, München, 1993, S.142ff. 34 1948 erscheinen in einem Leipziger Verlag gleich mehrere ihrer phantasievoll illustrier- ten Geschichten: Knirps, ein ganz kleines Ding; Puppe Lenchen; Tönnchen, Knöpf- chen und Andere; Die Geschichte von Jan und Jon und von ihrem LotsenFisch. Alle Leipzig, 1948 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Hahn, Peter: Junge Maler am Bauhaus, München, 1979 Scheper, Lou: Rückschau, in: Neumann, Eckhard (Hg.) Bauhaus und Bauhäusler, Köln, 1985, S.174-179 Fiedler, Jeannine: Biografie Lou Sche- per in: Fotografie am Bauhaus, (Kata- log), Berlin, 1990, S.353-354 Muysers, Carola (Bearb.): Käthe, Paula und der ganze Rest, Berlin, 1992, S.146 Gertrud Bernays[-Herrlich] geb. 27.4.1887 (Geburtsort unbekannt) - gest. 13.4.1973 Zürich Studium an der Kunstakademie Weimar 1917 bis 1919, am Bauhaus Weimar 1919 bis 1924 Gertrud Bernays-Herrlich gehört zu den frühen Bauhausstudentinnen, über deren Background und Schaffen sehr wenig be- kannt ist. 1887 geboren studiert sie ab 1917 an der Akademie Weimar Malerei und Bildhauerei. Als sie ab Herbst 1920 die Vorlehre bei Johannes Itten besucht, ist sie verheiratet und bereits 33 Jahre alt. Bernays-Herrlich gehört - wie bspw. auch Lily Gräf, Mara Utschkunowa, Elisabeth Abegg, Immeke Schwollmann, und Harriet Rathleff-Keilmann - zu den von der Akade- mie ‘übernommenen’ Studentinnen. Über ihre Vorbildung ist bisher ebensowenig be- kannt wie über ihr Elternhaus.35 Sie dürfte jedoch auch zuvor an einer Akademie Ma- lerei studiert haben, denn bereits ab 1915 ist sie Mitglied des Vereins Berliner Künst- lerinnen, wo sie sich im Februar 1916 an einer Gruppenausstellung in Berlin betei- ligt.36 Gertrud Bernays-Herrlich tritt nach der Grundlehre 1920 in die Tischlerwerkstatt ein und studiert bis zum Frühjahr 1924 am Bauhaus in Weimar. Sie schreibt sich für die in Kooperation mit der Baugewerke- schule angebotenen städtebaulichen Kurse ein, wird jedoch nicht zugelassen. Ihre Studienarbeiten sind nicht dokumentiert. Auch ihre beruflichen Ambitionen lassen sich nicht dokumentieren, da über Gertrud Bernays-Herrlich und ihre familiäre Situati- on zu wenig bekannt ist. Nach dem Studium am Bauhaus lebt und arbeitet sie in Berlin und Kassel.37 Dress- lers Künstlerhandbuch weist sie 1930 als Malerin mit einer Adresse in Berlin-Gru- newald aus.38 Lt. einer Anfrage des Bau- haus-Archivs Berlin bei der Einwohnerkon- trolle Zürich starb Gertrud Bernays im Frühjahr 1974 in Zürich. Quellen: Dresslers Kunsthandbuch, 1930, S.72 BHAB, Schreiben der Einwohnerkon- trolle Zürich vom vom 17.6.1980 Baumhoff, Anja: Zwischen Berufung und Beruf. In: Profession ohne Tradition, 1992, S.117, 441 Muysers, Carola (Bearb.): Käthe, Paula und der ganze Rest, Berlin, 1992 Anny Bernoully Anna Auguste (Amy) Bernoully geb. 8.4.1900 Karlsruhe - Daten nach 1920 unbekannt Studium an der KGS Frankfurt/M. 1918 bis 1919, am Bauhaus Weimar 1919 bis 1920 wurde am 8.4.1900 als ältestes Kind von Christoph Ludwig Bernoully (23.5.1873 Frankfurt/M. - 13.1.1928 ebendort) und Marie Bernoully geb. Ambrosius in Karlsru- he geboren. Anny Bernoully wächst mit ei- ner Schwester und einem Bruder in Frank- furt auf, wo ihr Vater seit 1899 als selb- ständiger Architekt tätig ist. Über ihre Vor- bildung ist bisher nichts bekannt. Sie dürf- te jedoch in Frankfurt/M. zur Schule ge- gangen sein und könnte im Frühjahr 1918 ein Abitur erworben haben. Ludwig Bernoully hatte in den 1890er Jah- ren zunächst am Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt, dann an den Technischen Hochschulen Stuttgart und Karlsruhe Ar- chitektur studiert. Er ist Gründungsmitglied der Frankfurter Ortsgruppe des BDA und wird in den Deutschen Werkbund aufge- nommen. Er entwirft Industriebauten und Siedlungen, baut bspw. 1911 das Verwal- tungsgebäude des Frankfurter Generalan- zeigers und ist am Bau der Waldkolonie Buchschlag (südlich von Frankfurt) maß- geblich beteiligt. Anny Bernoully studiert ab dem Frühjahr 1918 an der Kunstgewerbeschule Frank- furt / Main Innendekoration. Im Sommer wendet sich der Vater an Walter Gropius, da er beabsichtigt, seine Tochter „zu Se- mesteranfang in das Bauhaus zu schik- ken.“ Fürsorglich erkundigt er sich nach Wohnmöglichkeiten und Studienbedingun- gen: „Ist m.[einer] Tochter, die die Innen- dekorationsklasse besuchen soll, auch die Möglichkeit gegeben, sich handwerklich auszubilden?“ 39 Am 15.10.1919 wird Anny Bernoully am Bauhaus aufgenommen. Sie besucht im Wintersemester 1919/20 die Vorlehre. Be- reits 1920 verlässt sie jedoch das Bau- haus. Über die Gründe ihres Ausscheidens in Weimar ist in der Studentinnenakte Ber- noully nichts zu finden. Die Fortsetzung des Studiums scheitert nicht an Aufnah- me- oder Auswahlverfahren, vielmehr wer- den die Erwartungen von Tochter oder Va- ter Bernoully offensichtlich nicht eingelöst. Auch 1920 ist keine [Innen-]Architektur- klasse eingerichtet. Sie unterschreibt am Bauhaus keinen Lehrvertrag, was darauf hindeutet, dass die handwerkliche Ausbil- dung, nach der sich der Vater vorab er- kundigt hatte, nicht das väterliche Placet findet. So dürfte sich Ludwig Bernoully, der an den Kunstgewerbeschulen Offen- bach und Frankfurt unterrichtete, erneut nach einem geeigneten Ausbildungsplatz für seine Tochter umgesehen haben. Der weitere Lebensweg Anny Bernoullys ließ sich bisher nicht verfolgen. Quellen: SBW, Bestand 150, Studentenakte Ber- noully, Bl.660-665 Degener, Hermann: Wer ist´s?, Berlin, 1928, S.109 Müller-Wulckow, Walter: Bauten der Ar- beit und des Verkehrs, Königstein, 1929, S.87 Klötzer, Wolfgang (Hg.): Frankfurter Bio- graphie, Frankfurt/M., 1994, S.60 Bijhouwer, Gerda siehe Marx, Gerda Biografien 327 35 Die verwandtschaftlichen Verhältnisse zu dem Mathematiker Dr. Paul Bernays (1888 London - 1977 Zürich) konnten bisher nicht abschließend geklärt werden., Dieser ge- hörte dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund an und wurde 1933 als ’Nicht- Arier’ an der Universität Göttingen entlas- sen. 36 Baumhoff, 1992, S.441. 37 Nach Angaben im Verzeichnis „Käthe, Pau- la und der ganze Rest“ soll sie in Kassel als Künstlerin in Erscheinung getreten sein. 38 Nach dem Namensverzeichnis der Stadt Berlin ist sie nur 1930 nachweisbar, der entsprechende Eintrag im Straßenverzeich- nis fehlt. 39 SBW 150, Bl. 662, Brief Ludwig Bernoully an Gropius am 27.9.1919. Hanna Blank Johanna Blank, Dipl.Ing., AVB, Soroptimists, HTG geb. 30.3.1906 Berlin-Charlottenburg - gest. 14.6.1998 Berlin-Mariendorf, be- stattet auf dem Heidefriedhof Berlin- Tempelhof Studium an der TH Charlottenburg 1925 bis 1930, Diplom wurde 1906 in Berlin als Tochter eines pro- testantischen Lehrers geboren und wächst in der Nähe des Charlottenburger Schlos- ses auf. Wie sie auf die Idee kommt, Archi- tektur zu studieren, ist bisher unbekannt. Am 18.4.1925 immatrikuliert sich Hanna Blank an der TH Charlottenburg, wo sie nach neun Semestern 1930 bei Tessenow das Diplom ablegt. Sie arbeitet gemeinsam mit Iwanka Waltschanowa schon während des Studiums für den Bauunternehmer A. Sommerfeld, wo beide mit Ausführungs- und Detailzeichnungen für Siedlungsbau- ten in Zehlendorf beschäftigt sind. Im Sommersemester 1929 entwirft Hanna Blank bei Tessenow eine Volksschule. Das Thema ihrer Diplomarbeit ist nicht bekannt. Nach dem Diplom arbeitet Blank erneut für die Fa. Adolf Sommerfeld. Nach auftrags- bedingter Entlassung ab 1932 ist sie im Büro der Brüder Walter und Johannes Krü- ger im Berliner Westend angestellt. Dort werden neben Einfamilienhäusern zu die- ser Zeit vor allem Aufträge des Heeres und der Luftwaffe geplant und gebaut. Hanna Blank wohnt in Falkensee, wird vor 1937 Mitglied der Reichskulturkammer und tritt vor 1938 dem AVB Berlin bei.40 Der Zeitpunkt ihres Eintritts in das Baubüro der „Hermann-Göring-Werke“ lässt sich bisher nicht belegen. Herbert Rimpl, mit dessen Schwester Hanna Blank eng befreundet gewesen sein soll, baut ab November 1937 dieses Büro auf. Blank könnte nicht nur „bis zum Schluss“ 41, sondern nahezu ab Beginn an den Planungen für die Neu- gründung der späteren Stadt Salzgitter- Lebenstedt beteiligt gewesen sein. Rimpl nennt sie 1939 als Mitarbeiterin des Pro- jektes „Großsiedlung“. Werner Hebebrand, der 1930 Ernst May aus dem Frankfurter Hochbauamt nach Moskau gefolgt war, leitete ab 1938 diese Siedlungsplanungen für eine Stadt für 200 000 Einwohner. Er dürfte somit Hanna Blanks unmittelbarer Vorgesetzter gewesen sein. 1945 lebt Hanna Blank erneut in Falken- see. Sie beteiligt sich am „Zehlendorfer Plan“, der zunächst unter Walter Moest und Walter Görgen in Zehlendorf erstellt wird, bevor diese Planung von der Magi- stratsabteilung unter Leitung von Hans Scharoun übernommen wird. Hanna Blank wechselt - wahrscheinlich um 1950 - zur Westberliner Senatsabteilung für Bau- und Wohnungswesen, wo sie mit dem Schwer- punkt Wohnungsbau beschäftigt ist und persönliche Referentin für Küchen von Se- natsbaudirektor Schwedler wird. Sie be- treut Musterwohnungen bei Ausstellungen, ist für das erste Bonner Einbauküchenpro- gramm für Berlin zuständig. Bei der Interbau 1957 soll Blank koordinie- rend tätig gewesen sein. Sie zieht selbst ins Hansaviertel und arbeitet bis in die siebziger Jahre bei der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen. Hanna Blank ist Mitglied der Soroptimists und der Heinrich-Tessenow-Gesellschaft. Sie starb im Frühsommer 1998 in Berlin. Quellen: HTA, Karteikarte Blank Rimpl, Herbert: Die Stadt der Hermann- Göring-Werke, in: Die Baugilde, 21.Jg., H.24, 25.8.1939, S.793ff. Schneider, Christian: Stadtgründung im Dritten Reich, München, 1979 Notizen der Gespräche, die Helga Schmidt-Thomsen 1984 mit Hanna Blank und Elly Lehning führte, mit Dank an Helga Schmidt-Thomsen Schmidt-Thomsen, Helga: Frauen in der Architektur. Neue Berufswege seit der Jahrhundertwende, in: UIFA (Hg.): Architektinnenhistorie, Berlin, 1984, S.15-29, hier S.27 Telefonate mit Hanna Blank 1995 Notizen eines Gespräches, das Theodor Böll am 7.10.1997 mit Hanna Blank führte, mit besonderem Dank an Theodor Böll Boedeker, Lieselotte siehe Bonin, Lieselotte von 328 Anhang 40 Schreiben von Herrn Hoffmann, AIV Berlin vom 8.9.1997. 41 So Hanna Blank während eines Telefonates im Sommer 1995. Hermann-Göring-Stadt, Vogelperspektive der Planung, 1940 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Lieselotte von Bonin [Magdalena] Lieselotte von Bonin, spätere von Gumberz-Rhonthal (1934-36), spätere von Mendels- sohn (1936-71), spätere Boedeker (ab 1971), Dipl.Ing., BDA, HTG geb. 8.7.1904 Mühlheim - gest. 30.4.1997 Tübingen-Kreßbach, beigesetzt in Tü- bingen Studium an der TH Charlottenburg 1924, an der TH München 1924 bis 1927, an der TH Charlottenburg 1928 bis 1931, Diplom wurde als zweite Tochter des Ingenieurs Heinrich-Ulrich von Bonin (geb. 1871 Schroda) und seiner Frau Marie geb. Wei- gel (geb. 1878 Hayange) 1904 in Wilhelms- ruhe bei Mühlheim an der Ruhr geboren und - wie die Mutter - katholisch getauft. Der Vater, Stadtbaumeister a.D, arbeitet zu diesem Zeitpunkt als Bergbauingenieur für die Zeche „Concordia“ in Gelsenkirchen. Lieselotte von Bonin, die mit einer Schwe- ster und einem Zwillingsbruder aufwächst, wird 1910 in die Katholische Volksschule in Gelsenkirchen eingeschult. 1914 wech- selt sie an das städtische Lyzeum, 1921 an das städtische Realgymnasium Gelsenkir- chen. Dort erwirbt sie im Frühjahr 1924 das Abitur. Ihre Schulfreundin Elisabeth Barbrock studiert Jura. Lieselotte von Bonin schreibt sich zu- nächst für ein Semester Architektur an die TH Charlottenburg ein42, wechselt zum Wintersemester 1924/25 an die TH Mün- chen, wo ihr Zwillingsbruder Bauingenieur- wesen studiert. 1925 leistet sie in Gelsen- kirchen ein viermonatiges Tischlereiprakti- kum ab.43 Im Studium lernt sie u.a. Clemens Weber und Wilhelm von Gumberz-Rhonthal ken- nen und freundet sich mit der gleichaltri- gen Gisela Eisenberg an. Lieselotte von Bonin besteht im Juli 1926 ihr Vordiplom in München und zieht mit Gisela Eisenberg nach Düsseldorf, wo sie anderthalb Jahre im Büro von Prof. Emil Fahrenkamp mitar- beitet. Dort wird in dieser Zeit am Parkho- tel Rechen für Bochum gearbeitet.44 1927 besucht von Bonin die Weissenhof-Sied- lung in Stuttgart, von der sie begeistert gewesen sein soll.45 Von Gumberz-Rhonthal wechselt 1927 an die TH Charlottenburg und dort ins Semi- nar Tessenow. Zum Herbst 1928 treten hier auch Lieselotte von Bonin und Gisela Eisenberg ein. Bonin entwirft zunächst ein „kleines Wohnhaus”, im Sommersemester 1929 ein „Rathaus”. Ihre Diplomaufgabe im Wintersemester 1930/31 besteht in ei- nem „Hotel für eine mittlere Stadt”.46 Nach der Diplomhauptprüfung wird die mit Wilhelm von Gumberz-Rhonthal (1905 - 1982) gemeinsam genutzte Wohnung im Westend auch zum Büro. Im Frühjahr 1932 bewirbt sich Lieselotte von Bonin für die staatliche Ausbildung zum Regierungsbau- führer, tritt die Stelle aber nicht an. Von Bonin und von Gumberz gelingt es, im weiteren Bekanntenkreis und bei Woh- nungsbaugesellschaften Aufträge zu ak- quirieren. Ab 1932 werden mehrere Wohn- häuser, darunter das Haus für den ehema- ligen Reichsminister Hans von Raumer re- alisiert. Nach ihren Entwürfen entsteht auch ein Beamtenwohnungsbau im West- end und eine Wohnsiedlung für Reichs- bahner in Hennigsdorf, nordwestlich von Berlin. Sie werden in den BDA aufgenom- men. Ihre Bauten werden - auch nach der Heirat 1934 - weiterhin unter ihrer beider Namen publiziert. Als sich ein Auftragge- ber in Lieselotte von Bonin verliebt, ist die Zusammenarbeit des erfolgreichen Archi- tektenpaares jedoch schnell zu Ende. Unmittelbar nach der Scheidung heiratet Lieselotte von Bonin am 25.5.1936 in Ber- lin den Bankier Robert von Mendelssohn (1902-1996). Sie realisiert im Frühjahr 1937 ein Wohnhaus für die eigene Familie im Biografien 329 Familie von Bonin um 1918, Lieselotte vorn links 42 Lt. Abgangszeugnis vom 8.10.1924. NL Boedeker. 43 Lt. Zeugnis vom 30.1.1926, Lorenz Ricken, Schulstraße 24, Gelsenkirchen. Ibid. 44 Vgl. Fahrenkamp, Emil: Parkhotel Rechen Bochum, Berlin, 1928, Reprint, Berlin, 1999. 45 Information von Prof. Clemens Weber, der bei dieser Exkursion dabei war. 46 Diplomurkunde vom 28.2.1931, NL Boede- ker. Reichsbahnersiedlung Hennigsdorf, 1932 Haus Rathje, 1936 Haus Raumer, 1935 Wohnungsbau Westend, 1933 um 1920 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Grunewald. Eine Tochter wird geboren. Heinrich Tessenow wird Pate und soll im Haus Mendelssohn regelmäßiger Gast ge- wesen sein. Lieselotte von Mendelssohn, die bald nach der zweiten Eheschließung nicht mehr öf- fentlich als Architektin in Erscheinung tritt, stellt die Berufstätigkeit offenbar unfreiwil- lig ein. Als Mitglied des BDA suspendiert, verliert sie auch die Mitgliedschaft in der Reichskulturkammer. Ihr Antrag auf Neu- aufnahme in die RKK wird wegen ihres protestantischen, ‘nicht-arischen’ Mannes abgelehnt, ihre Mitgliedschaft im Sommer 1937 gelöscht. 1941 flüchtet die Familie vor den Luftan- griffen auf Berlin auf die schwäbische Alb. Das Wohnhaus im Grunewald wird 1943 von einer Luftmine getroffen. Lieselotte von Mendelssohn organisiert nun die um- fangreiche Hauswirtschaft, aber auch die kulturellen Aktivitäten der bis Kriegsende anwachsenden Lebensgemeinschaft auf dem Georgenhof. Nach Ende des Krieges möchte sie endlich wieder bauen. Sie versucht vergeblich, ih- ren Münchner Studienfreund Clemens We- ber für gemeinsame Wettbewerbsteilnah- men zu gewinnen. Im privaten Bekannten- und Freundeskreis kann sie jedoch kleine- re Aufträge akquirieren. Anfang der fünfziger Jahre baut sie die Bibliothek von Gerhard Hauptmann in As- cona um. Ebenfalls für Ascona entsteht auf ovalem Grundriss ein origineller Wohnhau- sentwurf, der von Familie Stinnes jedoch nicht realisiert wird. Auch Entwürfe für an- dere Auftraggeber werden in den sechzi- ger und siebziger Jahren nur selten oder mit erheblichen Änderungen gebaut. Als Ausnahmen können das „Haus Netter” in Locarno sowie das „Haus Barbara” auf Thassos gelten, das nach dem zweiten Entwurf vom Oktober 1971 realisiert wird. Anlässlich ihrer dritten Heirat mit Just Boe- deker baut Lieselotte Boedeker 1972 in Kreßbach bei Tübingen zum zweiten Mal in ihrem Leben ein Haus für die eigenen Be- dürfnisse nach eigenem Entwurf. Sie malt, bleibt vielseitig interessiert und bis ins ho- he Alter aktiv. Lieselotte Boedeker starb im Frühjahr 1997 in Tübingen-Kreßbach. Für biografische Angaben und Informa- tionen zu einzelnen Bauten danke ich Angelika von Mendelssohn-Siebeck, Prof. Clemens Weber, Dr. Aurikel Haim- berger, Manuela und Michael Schmidt sowie Anja Hauptmann Quellen: NL Bonin, Privatbesitz HTA, Studentenkartei, Karten v. Bonin, v. Gumberz-Rhonthal Archiv der TH München, Studentenakte Lieselotte von Bonin Bauwelt, 25.Jg., 1935, H.52, S.1ff. Hoffmann, Herbert: Ferienhäuser, Stutt- gart, 1937 Berlin und seine Bauten, Bd. IV A 1970, S.279 Katt Both [Anna] Elisabeth (Else) [Mathilde Kattina] Both, bis 1932 offiziell El- se Both, um 1940 auch Katharina Both, BdT geb. 28.4.1905 Waldkappel - gest. 21.4. 1985 Kassel, begraben in Kassel-Kirch- ditmold Studium an der Akademie Kassel 1922 bis 1923, an der Burg Giebichenstein 1924 bis 1925, am Bauhaus Dessau 1925 bis 1928 wurde 1905 als fünfte Tochter des evange- lischen Pfarrers Adolf Both (1861 - 1936) und seiner Frau Mathilde geb. Hempel (1876 - 1953) in Waldkappel, Kreis Esch- wege geboren.47 Die Familie zieht wegen der besseren Bildungsmöglichkeiten nach Rotenburg, wo alle Kinder die städtische Lateinschule, eine Gymnasialabteilung der Realschule besuchen. Im Unterschied zu ihren Schwestern, die alle standesgemäß das Lehrerinnenseminar absolvieren - der Bruder studiert Jura - möchte Kattina Both zunächst Porträtmalerin werden.48 Sie schreibt sich wahrscheinlich zum Win- tersemester 1922 an der Kunsthochschule in Kassel ein.49 Beim Plakatwettbewerb „Bier“ erhält sie 1923 eine Auszeichnung. Sie wechselt nach drei Semestern in Kas- sel 1924 an die Burg Giebichenstein, wo sie nach eigenen Angaben Töpferei und Skulptur belegt.50 Von Halle aus fährt sie nach Weimar, um sich das Studium am Bauhaus anzusehen.51 Im August 1924 meldet sie sich in Kassel nach Halle ab. Kattina Both studiert an der Burg wahr- scheinlich bis zum Frühsommer 1925.52 Laut Eintrag im Einschreibebuch nimmt sie das Bauhausstudium zum Sommerseme- ster 1924 auf, nach eigenen Angaben be- gann ihre Bauhauszeit am 24.Mai 1925.53 Da bis zur Wiedereröffnung des Bauhau- ses in Dessau im Oktober 1925 kein Vor- kurs stattfand, war Both im Sommer 1925 wahrscheinlich mit Ausbauarbeiten des Bauhausneubaus in Dessau beschäftigt. Im Wintersemester besucht sie die Grund- lehre bei Albers und Moholy-Nagy bevor sie in die nun von Marcel Breuer geleitete Tischlerei eintritt. Es bleibt unklar, ob sie einen Lehrvertrag für die Tischlerei ab- schließt. Ihr zufolge besuchen am Bauhaus zum Beginn ihres Studiums nur vier Frauen die Tischlereiwerkstatt.54 In der Tischlerei wird sie ab dem Sommersemester 1926 als „Geselle“ geführt. Der von ihr entworfene „wandhohe Schrank“ wird im selben Jahr in das Warenmuster- und Lieferprogramm 330 Anhang 47 Ob Kattina Both - wie Waltraud Windfuhr mitteilte - das einzige Kind aus einer zwei- ten Ehe des Vaters ist, ließ sich bisher nicht verifizieren. 48 Vgl. Interview mit Kattina Both, aufgezeich- net von Renate Petzinger in: Architektin- nenhistorie, 1984, S. 47-48. 49 Zum Oktober 1922 meldet sie sich in Kas- sel an. Stadtarchiv Kassel, Einwohnermel- debogen Both 50 Petzinger, 1984, S.47 in den lückenhaften Schülerverzeichnissen der Burg Giebichen- stein läßt sich dies nicht nachweisen. 51 In den Beständen ‘Staatliches Bauhaus Weimar’ im SBW sind keine Unterlagen zu Kattina Both vorhanden. 52 Beim Eintrag vom 24.4.1924 im Einschrei- bebuch (BHD) dürfte es sich um einen Schreibfehler handeln. Kinderschrank, 1926, Katt Both Haus Mendelssohn, Berlin-Grunewald, 1937 Haus Boedeker, Tübingen-Kreßbach, 1972 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar der Tischlerwerkstatt aufgenommen. Kattina Both, am Bauhaus mit Evi Foerster (geb. Hildebrandt) und Immeke Schwoll- mann befreundet, wird dem ‘Harem’ Mar- cel Breuers zugerechnet. Der nur drei Jah- re ältere Marcel Breuer (1902 Pécs - 1981 New York) hatte seit 1920 am Bauhaus in Weimar studiert. Ab dem Sommerseme- ster 1927 taucht hinter Boths Namen der Zusatz „Lehre“ auf. Auf dieses Jahr wer- den mehrere ihrer Entwürfe für plakativ far- bige Möbel, darunter Kinderschränke da- tiert.55 Architektonische Arbeiten aus dieser Zeit sind bisher nicht bekannt. Both dürfte durch Breuer auch im privaten Kontakt zu Fred Forbat und Walter Gropi- us gestanden haben. 1928 lässt sie sich am Bauhaus beurlauben, ab Juni 1928 ist sie offiziell in Berlin-Wilmersdorf gemel- det.56 Sie stellt sich im Atelier Luckhardt und Anker vor und wird offenbar umge- hend mit der Musterwohnung für die im Herbst 1928 stattfindende Ausstellung „Heim und Technik“ in München betraut. Ihr Name wird als Mitarbeiterin im Katalog und in manchen der zahlreichen Publika- tionen genannt. Im diesem Büro entwirft Katt Both auch Grundrisse für Klein- und Geschosswoh- nungen im Auftrag der Reichsforschungs- stelle. Als die Büroinhaber 1929 eine an- spruchsvolle Kupfertiefdruckausgabe ihrer Arbeiten vorbereiten, bleibt ihr Name un- genannt.57 Dies ist einer der Gründe, wes- halb sie das Büro verlässt und bei Fred Forbat (1897 Pécs - 1972 Stockholm) in dessen Lichterfelder Büro mitarbeitet.58 Eine Arbeit, bei der ihre Mitarbeit eindeutig nachweisbar ist, ist hier das „Damen- schlafzimmer S.“ 59 In den folgenden Jahren arbeitet Both im- mer wieder auch als Grafikerin. Erhalten sind die „Kartenlegerin“ (1929), ein Rekla- meentwurf für „Attikah-Cigaretten“ (1931) und Blechschilder, die sie zusammen mit „Daub“ entwirft. Ende 1929 findet sie wie- der eine Anstellung als Architektin. Im Büro von Otto Haesler in Celle ist sie in den fol- genden 2 1/2 Jahren an den Projekten Dammerstock, Rothenbergsiedlung Kas- sel, Friedrich-Ebert-Siedlung Rathenow, Jugendherberge Müden, Direktorenwohn- haus Celle und dem Aschrotthaus Kassel beteiligt. Das Büro ist arbeitsteilig organi- siert, ihr obliegen die Inneneinrichtungen. Ab Februar 1932 wohnt sie wieder in Kas- sel. Sie lässt ihren Rufnamen nun auch offiziell von „Else“ in „Kattina“ ändern. 1933 ist sie arbeitslos, beteiligt sich aber mit einem eigenen Entwurf am Kasseler Wettbewerb zur Altstadtsanierung - dem umstrittenen Freiheiter Durchbruch am Alt- markt.60 1934 arbeitet sie im Büro des ehemaligen Haesler-Mitarbeiters Hermann Bunzel in Celle61, es entsteht u.a. der Wettbewerbs- entwurf „Paul-von-Hindenburg-Jugendher- berge“ für Hannover. Ab August 1935 ar- beitet sie wieder in Kassel, nun als Mitar- beiterin von Otto Vogt. Da auch diese Mit- arbeit offenbar keine Perspektive bietet, sucht sie nach neuen Möglichkeiten. Im Mai 1936 wendet sie sich aus Rom mit einem Schreiben an Gropius, da es ihr ge- lungen sei, „für Mitarbeit an den Bauaufga- ben des Regimes Erlaubnis-Aufforderung und Zusicherung zu erhalten“, sie bei der obersten Leitung des Sindikata faschista aber ein Zeugnis vorlegen müsse. Gropius empfiehlt sie als „zur Durchführung auch schwieriger Bauaufgaben für hervorragend befähigt“, Boths Italieninitiative scheint je- doch zu scheitern.62 Aus Kassel stellt sie im Januar 1938 den Aufnahmeantrag an die RKK. Als Beruf gibt sie „Zeichnen“ an. Als Arbeitsproben reicht sie u.a. ein: „Mein eigenes Haus, selbst entworfen und ge- zeichnet, von der Baupolizei genehmigt, wird zur Zeit gebaut.“ Hierbei handelt es sich um das Haus im Kaupertweg 3 in Kassel. Biografien 331 53 Schreiben Both an Gropius vom 28.5.1936, BHAB 8/59. 54 Dies waren wahrscheinlich Lotte Beese, Eva Fernbach und Wera Meyer-Waldeck. 55 So befinden sich im BHA bspw. Fotogra- fien von einem „Kinderwäscheschrank mit Türen, 1927“, (Inv.Nr. 2525), einem „Kinder- wäscheschrank mit Fächern, 1927“ (Inv.Nr. 2526) und einem „zusammengesetzten Schrank” (Inv.Nr. 7093), die nach Entwürfen Boths gebaut wurden. 56 Ab Juni 1928 wohnt sie offiziell zur Unter- miete in die Spichernstraße 15 in Wilmers- dorf. Inwieweit ihr Umzug nach Berlin mit der Übersiedelung Marcel Breuers in Ver- bindung steht, lässt sich nicht nachweisen - Breuer geht 1928 mit dem Weggang Wal- ter Gropius´ nach Berlin. 57 Luckhardt und Anker: Zur neuen Wohn- form, Berlin, 1930 58 Both kennt den Theodor-Fischer-Schüler und ehemaligen Gropius-Mitarbeiter Forbat, der seit Frühjahr 1929 ein Büro in Berlin be- treibt wahrscheinlich über Breuer. 59 Veröffentlicht 1929 in der Baugilde. Both dürfte aber auch an Forbats Arbeiten für die Reichsforschungsgesellschaft beteiligt gewesen sein: Das Büro bearbeitete zwei Laubenganghäuser für die Siemensstadt. 60 Sieger dieses Wettbewerbs wird Arch. Bor- kowsky, den 2. Preis erhalten die Architek- ten (Alfons) Baecker und (Fritz) Sirrenberg. Kasseler Post vom 1.2.1934. Die 5 Pläne, die Kattina Both zum Wettbewerb einreicht, sind bisher nicht dokumentiert. 61 Hermann Bunzel (1901-1985) studierte zwi- schen 1927 und 1931 am Bauhaus Dessau. 62 BHA Gropius-papers II (204), 8/58. - In ei- nem Schreiben aus den vierziger Jahren er- wähnt Both, dass „die Versuche, im Aus- land arbeiten zu können, scheiterten.“ Was sie in den kommenden anderthalb Jahren macht, ist bisher nicht bekannt. Schlafzimmer für René Sommerfeld, 1929 Musterwohnung Heim und Technik, 1928, Grundriß Blick in das Kinderzimmer mit der variablen Möblierung für Schlafen (links) bzw. Schularbeiten. (rechts) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar In Kassel findet sie jedoch weder Auftrag- geber noch eine Anstellung. Sie zieht er- neut nach Berlin, wo sie zunächst bei der Deutschen Arbeitsfront, dann in der Abt. Hauswirtschaft des Deutschen Frauenwer- kes eine Stelle als Architektin findet. Als Katharina Both entwirft sie u.a. ein „Frau- enwohnheim” sowie den Umbau eines Bauernhofes in eine Frauenschule im ‘Gouvernement’, dem besetzten Polen. Diese Arbeit entspricht nicht ihren Vorstel- lungen. Ab Frühjahr 1942 arbeitet sie im Büro von Ernst Neufert in der Bernburger Straße in der Normierung und an der Bauentwurfs- lehre.63 Das Büro von Neufert ist zu die- sem Zeitpunkt zumindest mittelbar an das Büro des Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt gekoppelt.64 Die Büro- räume werden 1944 ausgebombt, das Bü- ro ausgelagert. Both arbeitet dort bis zum Frühjahr 1945. Nach Kriegsende kehrt sie nach Kassel zu- rück, baut ihr bombengeschädigtes Haus wieder auf und bewirbt sich bei der Bau- verwaltung der Stadt Kassel. Dort arbeitet sie zwanzig Jahre lang als Schätzerin in der Liegenschaftsabteilung. Aus ihrer Bau- hauszeit bleibt ihr Interesse an moderner Architektur, farbiger Kleidung und die Be- geisterung für Mazdaznan. Kattina Both soll ihre Heilpflanzen selbst gezüchtet und sich im Krankheitsfall ho- möopatisch kuriert haben. Auch noch weit nach ihrer Pensionierung unternahm sie regelmäßig mit Freundinnen Reisen in isla- mische Länder. Von dort brachte sie Tep- piche mit Symbolzeichen mit, die in ihrer Wohnung als Wandbehänge aufgehängt waren.65 Kattina Both starb 1985 an ei- nem Gehirntumor in Kassel. Für biografische Hinweise danke ich Waltraud Windfuhr, für den Hinweis auf das Schreiben vom 9.5.1947 Despina Stratigakos Quellen: BHD, Einschreibebuch BHAB, Fotos von Möbeln; Gropius-pa- pers II, Brief Kattina Both an Walter Gropius vom 28.5.1936 Katalog „Heim und Technik“, München 1928 Schumacher, Angela: Otto Haesler und der Wohnungsbau in der Weimarer Re- publik, Dissertation Marburg, 1982 Petzinger, Renate: Katt Both, in: Archi- tektinnenhistorie, Berlin, 1984, S.47-48 Cramer / Gutschow: Bauausstellungen, Stuttgart, 1984, S.58 Gespräch mit Waltraud Windfuhr am 24.9.1995 Stadarchiv Kassel, Mitteilung von Herrn Klaube vom 2.8.1997 Bouvet, Mila siehe Lederer, Mila Brandeis[ova], Bedriska siehe Dicker, Friedl Anneliese Brauer geb. Otto geb. 3.1.1898 Berlin - Daten nach 1970 unbekannt Studium an der landwirtschaftlichen Hochschule Berlin 1920 bis 1921, am Bauhaus Berlin 1932 bis 1933 wurde 1898 als Tochter des Kaufmanns Robert Otto in Berlin geboren. Anneliese Otto geht in Görlitz und Düsseldorf zur Schule, besucht in Berlin bis 1914 ein Ly- zeum. Ob sie anschließend das Abitur er- wirbt, bleibt unklar. Während des ersten Weltkrieges leistet sie Hilfseinsätze auf dem Lande und studiert anschließend zwei Semester an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin. Außerdem studiert sie ein Semester an einer Kaufmännischen Hochschule bevor sie 1923 heiratet. Aus der Ehe gehen ein Sohn und eine Tochter hervor. Über den Gatten ist bisher nichts bekannt, Anneliese Brauer lässt sich 1928 scheiden. Als das Bauhaus in Berlin-Steglitz den Un- terricht aufnimmt, schreibt sie sich für das Wintersemester 1932 unter der Matr.Nr. 631 ein. Sie wohnt mit ihren Kindern in Berlin-Hermsdorf und hat im Alter von 33 Jahren keinen akademischen Abschluss, jedoch im Büro des Berliner Architekten Hess verschiedene Wohnungseinrichtun- gen bearbeitet. Sie besucht zunächst die Vorlehre bei Albers, nimmt an der Ausstel- lung des Grundkurses teil und erhält die Aufnahmebestätigung.66 Der einzige Hin- weis auf Anneliese Brauer in Bauhaus-Ak- ten, das Prüfungsprotokoll vom 29.3.1933, vermerkt, dass sie im 1.Semester Bau / Ausbauwerkstatt studiere und Wohnungs- einrichtungen bearbeite.67 Sie arbeitet nach der Schließung des Bau- hauses zunächst im Büro des Architekten [Otto?] Hetzer, dann - zeitweise gleichzei- tig mit Wera Itting - im Büro der Brüder Luckhardt. 1934 bemüht sie sich um Auf- nahme in die Reichskulturkammer. Sie weist fünf selbständig ausgeführte Einrich- tungen in Berlin nach, darunter eine Jung- gesellenwohnung in der Ehrwalder Straße in Schöneberg. Ihre Aufnahme als Innenar- chitektin in der Fachgruppe Innenraumge- stalter wird zunächst abgelehnt. Sie arbei- tet bis Sommer 1935 erneut im Büro der Gebrüder Luckhardt68 und erhält die Kam- merzulassung. Bis zum Spätjahr 1936 lebt sie dann auf Sylt, wo sie u.a. in dem von Helga Karselt entworfenen Haus Hampe verkehrt. Anschließend wohnt sie wieder in Berlin. Architektonische Arbeiten oder In- neneinrichtungen aus dieser Zeit sind bis- her nicht bekannt. Im Frühjahr 1941 zieht sie nach Wien, kehrt ein Jahr später nach Berlin zurück und wohnt in Charlottenburg. Ob sie aus beruflichen oder privaten Grün- den nach Wien ging, ist bisher unbekannt. 1945 ist sie „unbekannt verzogen“. In den sechziger Jahren wohnt sie in Hamburg. Wann und wie lange sie beruflich tätig ist, ist bisher nicht nachweisbar. Im Fragebo- gen des Bauhaus-Archivs Darmstadt 1965 gibt Anneliese Brauer an: „richtete Woh- nungen ein und male für mich allein“. Nach bisherigen Erkenntnissen scheint An- neliese Brauer mit ihren Arbeiten nicht öf- fentlich in Erscheinung getreten zu sein. Ihr Nachlass ist bisher nicht bekannt. Quellen: BHD, NL Engemann Semesterliste WS 32/33, Konferenz am 29.3.1933 BHAB, Umfrage des Bauhaus-Archivs Darmstadt: Fragebogen Annemarie Brauer 13.3.1965 332 Anhang 63 Deren „neu durchgesehene“ 10. Auflage er- scheint im Dezember 1942. 64 So kommt der Justiziar der Reichsinnen- verwaltung 1944 zu dem Schluss, dass die vertraglich festgeschriebene automatische Vergütung der Mitarbeiter (mal Faktor x) Neuferts mit den Vertragsabschlüssen in freien Berufen nichts mehr gemein habe. BArch R 4606/R120, Brief vom 28.6.1944 „Der Entwurf von Prof. Neufert läuft auf ein mehr oder weniger verschleiertes Angestell- tenverhältnis hinaus, das aber von der GOA bestimmt nicht gewollt ist.“ 65 Waltraud Windfuhr im Gespräch am 24.9. 1995. Sie erinnert, dass Both an Zahlenmy- stik und „ganz komische mystische Zu- sammenhänge” glaubte. Die Reisen in den Nahen Osten unternahm sie mit Frau Fliege und Frau Mitscherlich. Immeke Mitscher- lich (geb. Alexandra Schwollmann, 1899- 1985) studierte zwischen 1925 und 1927 ebenfalls am Bauhaus Dessau. 66 BHA, Fragebogen Anneliese Brauer vom 13.3.1965, S.3 67 BHD/NL Engemann, Semesterliste WS 1932/33 Konferenz 29.3.33, bl.2:, „1.sem., brauer, anneliese, 1898, preusse, bau/aus- bau, lyceum absolv. bearbeitung von woh- nungseinrichtungen.“ 68 Bis 1.9.1935 Haus im Kaupertweg 3, Kassel, 1938, Wiederaufbau 1947 Aufnahme 1997 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Ella Briggs geb. Elsa Baumfeld, Dipl.Ing., ZV, BDA, LRIBA geb. 5.3.1880 Wien - gest. 20.6.1977 London Studium an der Kunstgewerbeschule Wien 1901 bis 1906, an der TH Wien ab 1916 als Gasthörerin, an der TH Mün- chen 1918 bis 1920, Diplom wurde 1880 in Wien als drittes Kind des aus Tarnow/Galizien stammenden Rechts- anwalts Dr. Josef Baumfeld und seiner Frau Caroline geb. Brück geboren und wächst ebendort mit zwei Brüdern auf. Sie besucht zunächst die Kunstschule für Frauen und Mädchen in Wien. 1901 bis 1906 studiert sie an der Kunstgewerbe- schule u.a. in der Fachklasse für Malerei von Koloman Moser. Aus dieser Zeit da- tiert ihr Entwurf für eine Stickerei in Seide und Metall.69 Anschließend volontiert sie in einer Berliner Möbelfabrik und bei einem Lehrer der Ber- liner Tischlerschule. Nach Wien zurückge- kehrt, heiratet Ella Baumfeld um 1912 und nennt sich fortan Briggs, zeitweise auch Brix. Die Ehe wird vor 1915 geschieden und bleibt kinderlos. Zu Beginn des Jahres 1914 beteiligt sie sich mit einem Damen- zimmer aus Palisander an der Ausstellung des Vereins der Bildenden Künstlerinnen Österreichs, nimmt im gleichen Jahr an ei- ner Ausstellung im Österreichischen Frau- enklub in Wien teil.70 Sie arbeitet andert- halb Jahre in einem Wiener Baubüro. Im Herbst 1916 bemüht sie sich - zeitgleich mit Leonie Pilewski - um Zulassung als or- dentliche Hörerin an der Bauschule der TH Wien, wird jedoch zunächst nur als außer- ordentliche Hörerin zugelassen.71 Sie wechselt nach vier Semestern an der TH Wien zum Wintersemester 1918/19 an die TH München. Im Herbst 1918 tritt sie in Wien aus der jüdischen Gemeinde aus. Nachdem sie im Sommer 1919 in Salzburg die Matura erwerben kann, ist die letzte Hürde zur Diplomzulassung überwunden, sie schließt im August 1920 mit dem Di- plom in München ab. Noch im gleichen Jahr siedelt sie nach New York über, wo sie als angestellte Architektin bei Kahn & Gregory arbeitet, ein Haus für den Bankier Hammett in Pelham Manor nördlich von New York realisieren kann. Anfang 1923 meldet sie sich in Wien wieder polizeilich an, kehrt aber offenbar erneut nach New York zurück.72 An der Herbstausstellung im Künstlerhaus Wien beteiligt sie sich mit Fotografien „Wachsender Häuser“ dem „Umbau von bestehenden Einzelhäusern zu einem Wohnhof, Philadelphia“ sowie amerikanischen Kleinwohnhäusern.73 In Wien kann sie Mitte der zwanziger Jahre die Wohnanlage Pestalozzihof im 19. Be- zirk, kurz darauf auf dem gleichen Terrain ein Wohnheim für Studenten, das ‘Ledi- Biografien 333 69 Vgl. Fliedl, Gottfried: Kunst und Lehre am Beginn der Moderne, Die Wiener Kunstge- werbeschule 1867-1918, Salzburg / Wien, 1986, S.406, dort im Werkverzeichnis Nr.284/S.284. 70 Vgl. Plakolm-Forsthuber, 1994, S.68, dort zitiert Artikel von Seligmann, Adalbert F.: Kunstausstellungen in: Neue Freie Presse vom 18.1.1914. 71 Zu den Schwierigkeiten Ella Briggs´, zum Studium zugelassen zu werden, vgl. Miko- letzky, 1997, S.56 - Pilewski hatte bereits 1914 einen solchen Antrag gestellt. 72 Lt. Anmeldeschein zur Herbstausstellung wohnt sie: c/o Civic Club,14 W, 12th Str., N.Y.C. - Ich danke Despina Stratigakos für diesen Hinweis. 73 Ibid. Haus Hammet, Pelham Manor, NY, 1920 Zustand 1997 Gemeindewohnanlage Pestalozzihof Wien XIX., 1926 Ledigenwohnheim Billrothstraße, Aufnahme 1997 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar genwohnheim’ realisieren. Noch 1926 zieht sie nach Berlin um, wo sie sich im Mai 1927 mit ihren Wiener Ar- beiten bei Stadtbaurat Martin Wagner vor- stellt.74 Er empfiehlt sie für Aufträge auf dem Gebiet des Wohnungsbaus. Briggs plant und realisiert einen größeren Wohn- hausblock an der Rathausstraße, zwischen Kaiser- und Königstraße in Berlin-Marien- dorf, der 1929 eingeweiht wird. Im folgen- den Jahr ist sie an der Planung der Fried- rich-Ebert-Siedlung in der Müllerstraße und der Erweiterung der Siedlung Fried- richshagen für die Gemeinnützige Bauge- sellschaft Berlin-Ost beteiligt. Briggs ist Mitglied der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs und wird 1929 in den Bund Deutscher Architekten aufge- nommen. Ab 1928 konzipiert und realisiert sie auch immer wieder Messestände und Ausstellungen. Für die Ausstellung „Ernäh- rung“ entwirft sie 1928 ein Modell zur Ver- anschaulichung der Margarineherstellung, für das Deutsche Kupferinstitut realisiert sie im Frühjahr 1929 einen Ausstellungs- stand auf der Schau „Gas und Wasser“ und für die Internationale Lederschau im Herbst 1930 führt sie u.a. „18 Darstellun- gen für den wissenschaftlichen Teil“ aus.75 Im Januar 1931 beauftragt sie das Messe- amt Berlin mit der Herstellung und Liefe- rung eines ‘Groß-Modells’ für die „6. Grü- ne Woche Berlin 1931“. Die Wohnungsfür- sorge-Gesellschaft Berlin betraut sie kurz darauf mit der Ausgestaltung ihres Aus- stellungsraumes auf der Bauausstellung 1931. Briggs ist bei dieser Schau aber auch mit eigenen Bauten und Projekten vertreten: In Halle 1, „Das Bauwerk unse- rer Zeit“ stellt sie neben Peter Behrens, Erich Mendelsohn sowie Bruno und Max Taut aus.76 Anlässlich einer Wohnungstagung im Lyze- um-Club hält sie einen Vortrag über „Die Wohnung unserer Zeit.“ Der Deutsche Siedlungs- und Verkehrsbund möchte ihr im Sommer 1932 die Projektierung und künstlerische Überwachung seiner geplan- ten Erwerbslosensiedlung übertragen. Bei all diesen Entwürfen bemüht sie sich regel- mäßig um Publikationen. Als Autorin publi- ziert sie eigene und fremde Projekte und Bauten in der Tages- und Fachpresse. Mit dem Sieg der Nationalsozialisten bei den Reichstagswahlen 1933 ist Briggs´ be- rufliche Etablierung in Gefahr. Sie wird aus dem BDA ausgeschlossen. Das letzte, bis- her nachweisbare Projekt aus ihrer Berliner Zeit taucht in Haberlandts Bautennachweis im August 1933 auf: dort wird bis Septem- ber 1933 die Realisierung eines Landhau- ses auf der Heimdallhöhe in Klein-Mach- now für Minna Koch durch Ella Briggs, B.D.A. aufgeführt. Während der späten zwanziger Jahre un- ternimmt Ella Briggs drei ausgedehnte Rei- sen nach Sizilien, wo sie einheimische Ar- chitektur fotografiert. Ähnlich wie Bernhard Rudofsky, der seine Fotografien „sponta- ner Architektur“ bereits 1930 während der Berliner Bauausstellung zeigen kann, ist auch Briggs durch „architecture without architects“ fasziniert. Abzüge dieser Auf- nahmen kann sie 1937 an das Victoria & Albert Museum und die Courtauld Samm- lung in London verkaufen. Hierdurch blei- ben die Arbeiten erhalten, auch wenn die Platten - wie auch das Mobiliar - bei ihrer Emigration nach London im September 1935 in Berlin zurückbleiben. Briggs ge- lingt es jedoch, ihre Bürounterlagen mit- zunehmen. Sie eröffnet erneut ein eigenes Architekturbüro. Die für Immigranten äu- ßerst restriktive Kammerzulassung in Eng- land überwindet sie u.a. mit Hilfe ihres Kol- legen Ernst L. Freud. 1947 wird sie britische Staatsbürgerin. Im selben Jahr wird ein Siedlungsbauprojekt publiziert, das sie in Nottinghamshire reali- sieren kann. Sie wird Mitglied des LRIBA. Wie lange Briggs ihre berufliche Praxis führt, ist bisher unbekannt. Ab den fünfzi- ger Jahren lebt sie nördlich von London in Enfield / Middlesex. Ella Briggs starb im Juni 1977 im Alter von 97 Jahren in Bar- nett. Für die Angaben zum familiären Back- ground Ella Briggs-Baumfelds danke ich Despina Stratigakos. Siehe auch Strati- gakos, 1999 Quellen: Getty/Hildebrandt-Collection Nr.850676 B -I- Haus von Mr. Hammett, Pelham Manor, N.Y., Pestalozzihof, Wien o.A. [Gisela Urban?]: Ella Briggs - eine Wiener Architektin, in: Frau und Gegen- wart, 4.Jg., Nr.40, 4.10.1927, S.12-13 Adler, Leo: Wohnhausblock und Ledi- genheim ‘Pestalozzihof’ in Wien, in: Wasmuth´s Monatshefte für Baukunst, 12.Jg., 1928, Heft 12, S.69-73 Hildebrandt, Hans: Die Frau als Künst- lerin, 1928 Hegemann, Werner: Reihenhausfassa- den, Geschäfts- und Wohnhäuser aus alter und neuer Zeit, Berlin, Wasmuth, 1929, S.94-95 Rieß, Margot: Schaffende Frauen: Die Frau als Architektin, in: Frau und Ge- genwart, 28.Jg., H. 2, November 1931, S.36-37 Forsthuber, Sabine: Vom Kunstgewerbe zur Innenarchitektur. Österreichische Architektinnen der Zwischenkriegszeit, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege, 47.Jg., 1988, Heft 3/4, S.171 ff. Plakolm-Forsthuber, Sabine: Künstle- rinnen in Österreich 1897-1938, Wien, 1994, u.a.S.263 ff., Kurzbiografie Briggs S.268 eigene Schriften: Briggs, Ella: Ledigenheim und Kleinst- wohnungshäuser, in: Bauwelt, 18.Jg., 1928, H.48, S.1132-1133 diess.: Sachartikel „Küche“ und „Lau- benganghaus“, in: Gerhard, Albrecht / Albert Gut (Hg.): Handwörterbuch des Wohnungswesens, Jena, 1930, S.449- 451 und S.500-503 diess.: Jugend-Tagesräume, in: Bauwelt 1931, 21.Jg., Heft 8, S.221-223 diess.: Ausstellungsgestaltungen, ibid., H.19, S.648-650 diess.: Praktische Fragen zur Erwerbs- losensiedlung, ibid., Heft 44, S.1394- 1396 diess.: Stockwerksteilungen, in: Bau- welt, 22.Jg., 1932, Heft 50, S.1273- 12747 diess.: Houses at Bilston, Nottingham- shire, in: The Architect´s Journal, 2.Jg., Heft 104, Januar 1947, S.15-16 334 Anhang 74 Briggs betreibt ihr Büro in Berlin zunächst in der Fasanenstr. 15, dann in der Ravens- berger Str. 4. 75 Briggs, Ella: Ausstellungsgestaltungen, in: Bauwelt, 21.Jg., Heft 19, S.648-650 76 Vgl. dazu Ausstellerverzeichnis, (Halle 1, Stand 119) im Katalog Deutsche Bauaus- stellung, Berlin, 1931. Ella Briggs´ eigener Wohnraum in Berlin, Anfang 1930er Jahre Beamtenwohnungsbau Berlin-Mariendorf, 1928, Ansicht von der Rathausstraße, Aufnahme 1995 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Klara Brobecker spätere Küster (ab 2.1.1940), Dipl.Ing. geb. 11.2.1914 Berlin - gest. 21.4.1998 Grafing, beigesetzt auf dem Friedhof in Grafing-Straußberg Studium an der TH Charlottenburg 1932 bis 1937, Diplom wurde als einziges Kind des Reichsbahnar- chitekten Heinrich Brobecker 1914 in Ber- lin geboren. Die Eltern wohnen in Steglitz, wo Klara Brobecker - zeitgleich mit der drei Jahre älteren Elfriede Schaar - das Goethelyceum besucht. Als sie direkt nach dem Abitur Architektur studieren möchte, sind die Eltern zunächst skeptisch, inner- halb der ersten Semester kann sie jedoch deren Bedenken zerstreuen. Sie schreibt sich 1932 an der TH Charlottenburg unter der Matr.Nr.1129 ein und studiert zügig, legt 1934 das Vordiplom ab und tritt nach einem Büropraktikum zunächst ins Semi- nar von Emil Rüster ein. Nachdem sie Tessenow mehrfach im Un- terricht erlebt, beschließt sie zu wechseln. Prof. Rüster sieht sie - als einzige Studen- tin seines Seminars - ungern gehen. Im Seminar Tessenow studiert Brobecker zu- sammen mit Maria Gaiser und Anselm För- ster. Nach einem ‘kleinen Wohnhaus’ im Wintersemester 1935/36 entwirft sie eine ‘Dorfkirche mit Schule’. Es folgt ein ‘Gast- hof’ , bevor sie sich 1937 zum Diplom mel- det. Studienarbeiten von Klara Brobecker haben sich nicht erhalten. Im November 1937 legt sie das Diplom bei Tessenow ab: Die von ihr entworfene ‘Gutsanlage’ wird als bestes Diplom des Jahrgangs ausge- zeichnet. Anschließend arbeitet sie „bei Göring“ in der Planungsabteilung des Luft- fahrtministeriums, die zunächst in Dahlem, nach Ausbombung am Kurfürstendamm untergebracht ist, besteht ihre Aufgabe in der Projektierung von Offiziers- und Mann- schaftsunterkünften. Nach ihren Aussagen gelangen diese Projekte nicht zur Aus- führung. Am 2.1.1940 heiratet Klara Brobecker den Bauingenieur Hermann Küster. Dieser ar- beitet für das Neubauamt in Trier, wodurch sich für sie die Chance ergibt, an Erweite- rungsplanungen eines Trierer „Regierungs- gebäudes“ mitzuarbeiten. Sie entwirft au- ßerdem im Auftrag des Reichsernährungs- ministeriums „Pläne für Bauernhöfe in Po- len“ und ist zeitweilig an Wiederaufbaupla- nungen für die Staatsoper Berlin beteiligt. Als um 1943 eine Tochter zur Welt kommt, gibt Klara Küster die Erwerbstätigkeit auf. Ihr Mann fällt im letzten Kriegsjahr. Damit ist sie - nachdem auch ihr Vater nicht mehr lebt - für ihre Tochter und ihre Mutter allein verantwortlich. Dies ist nach ihrem Bekun- den der Grund, weshalb sie nach Kriegs- ende eine freiberufliche Tätigkeit nicht ernsthaft in Erwägung zieht. 1945 arbeitet sie im Büro [Heinz] Völker & [Rolf] Grosse an einem Wettbewerb zum Wiederaufbau eines zerstörten Stadtteils im amerikani- schen Sektor. Anschließend tritt sie eine Stelle als Architektin im Hochbauamt Steg- litz an. Ihre erste Aufgabe ist der Wieder- aufbau der Toilettenhäuschen im Botani- schen Garten. „Die Instandsetzung erfolgte mit Hilfe von verwendbarem Trümmermaterial. Trotz be- schränkter Möglichkeiten wurde sich um annehmbare Gestaltung bemüht.“ 77 Als Architektin ist sie jahrelang für die Wieder- aufbauplanungen der öffentlichen Gebäu- de, insbesondere der Schulen des Bezirks zuständig. Sie plant und überwacht den Wiederaufbau des Elisabeth- und des Dü- rerlyzeums in Lichterfelde, der Volksschule Kommandantenstraße, sowie des Gymna- siums in der Heesestraße, dessen nördli- cher Klassentrakt neu aufgebaut wird.78 Aber auch das Stadtbad in der Bergstraße, die Blindenanstalt in der Braillestraße, so- wie die Friedhofskapelle Lankwitz und das Stadion Lichterfelde werden unter ihrer Leitung wiederaufgebaut. In den fünfziger Jahren können für den Be- zirk auch wieder Neubauten errichtet wer- den: So entstehen unter Projektleitung Kü- sters die Freibadeanlagen „Am Teltowka- nal“ und „Am Insulaner“, 1956 folgt nach ihrem Entwurf der Neubau einer Kinderta- gesstätte in der Jeverstraße. Nach mehr als zehn Jahren verlässt Klara Küster 1958 das Hochbauamt in Steglitz, wo sie zahlreiche Projekte verantwortlich durchgeführt, sich mit den häufig differie- renden Ansichten des Baurats Düx arran- giert hatte. Anlass wie Umstände ihres Ausscheidens kann oder möchte sie nicht erinnern. Deutlich wird jedoch, dass Klara Küster damit auch keine Möglichkeit mehr sieht oder findet, in Berlin als Architektin zu arbeiten. Sie übersiedelt mit ihrer Fami- lie zunächst nach Aachen, um 1959 nach Darmstadt. Dort wird sie nach einer Wei- terbildung als Lehrerin tätig. Nach ihrer Pensionierung zieht sie in den siebziger Jahren nach Grafing bei München, wo ihre Tochter lebt. Klara Küster starb im Früh- jahr 1998 in Grafing. Quellen: HTA: Karteikarte Brobecker, Brief an O. Kindt vom 4.5.1956, Gespräch mit Klara Küster am 9.8.1997, „Meine berufliche Tätigkeit“, Schreiben von Klara Küster vom 5.12.1997 Brönner, Erika siehe Hackmack, Erika Buhmann, Margarete siehe Berg, Grete Burckhardt, Lotte siehe Gerson, Lotte Biografien 335 77 Klara Küster im Schreiben vom 5.12.1997. 78 An diesem Neuaufbau mit split-level-Er- schließungen zur Anpassung neuer Raum- höhen an den Bestand war auch der dama- lige Werkstudent Peter Knaack beteiligt. Toilettenhäuschen im Botanischen Garten, 1946 Freibad „Am Insulaner”, Umkleidegebäude, 1951 Kindertagesstätte Jeverstraße, 1956 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Alma Buscher spätere Siedhoff (ab 1926) geb. 4.1.1899 Creuzthal - gest. 25.9.1944 Buchschlag Studium an der Kunstschule Reimann von 1916 bis 1920, am Bauhaus Weimar von 1922 bis 1927 kam 1899 als Tochter eines Reichsbahnin- spektors in Kreuztal bei Siegen zur Welt. Die Familie wohnt ab 1903 in Berlin, wo Al- ma Buscher 1916, erst 17jährig, das Abitur ablegt. Anschließend besucht sie bis 1920 die Kunstschule Reimann. Die umfangrei- chen Skizzenbücher Buschers aus dieser Zeit sollen „konventionelle Aktstudien und kleine Landschaften“ enthalten.79 Ab dem Frühjahr 1922 studiert Alma Buscher unter der Matr.Nr.46 am Bauhaus in Weimar, wo sie zunächst die Grundlehre bei Itten be- sucht. Da 1922 am Bauhaus die Frauen- klasse gegründet wurde, deren Besuch für die Studentinnen in den folgenden Jahren nahezu obligatorisch wird, landet auch Bu- scher zum Wintersemester 1922/23 gegen ihre persönlichen Präferenzen in der Frau- enklasse und damit in der Weberei. Erfolg- los bittet sie Gropius um Versetzung in die Holzbildhauerei, nutzt jede sich bietende Gelegenheit, um räumlich zu arbeiten. Sie entwickelt die Inneneinrichtung des Kinderzimmers für das zur Bauhausaus- stellung 1923 geplante Haus am Horn.80 Ihre Möbelentwürfe für diese erste Ausstel- lung des Bauhauses darf sie in der Tisch- lerei umsetzen. Ab 1923 realisiert sie dort auch ihre Entwürfe für Kinderspielzeug, das sie nach ihrer Beschäftigung mit neue- sten pädagogischen Ansätzen entwickelt. Von Buscher stammen u.a. das „Bauspiel” (1924) und das „Bützelspiel”, die durch den Pestalozzi-Froebel-Verband Fürth ver- trieben werden. Die von ihr 1924 entworfene Wickelkom- mode mit Wäscheschrank - Bauhausmo- dell „ti 23“ - wird unter Musterschutz ge- stellt, ebenso wie die von ihr entworfenen Spielschränke, ein Kleiderschrank, ein Bett und ein Rollstuhl in die Werkliste bzw. Pro- duktion der Tischlereiwerkstatt aufgenom- men werden.81 Sie entwirft Kinderbetten und stattet in Jena eine Kinderfürsorgein- richtung mit Möbeln aus. Alma Buscher zieht mit dem Bauhaus von Weimar nach Dessau um. Sie lernt den schauspielinter- essierten Werner Siedhoff kennen, der sich zum Herbst 1925 unter Matr.Nr. 90 eben- falls am Bauhaus einschreibt und in der Bühnenwerkstatt studiert.82 1926 heiraten Alma Buscher und Werner Siedhoff (3.5.1899 Duisburg - 28.11.1976). Sie bringt im gleichen Jahr einen Sohn, zwei Jahre später eine Tochter zur Welt. Als sie sich 1927 am Bauhaus exmatriku- liert, erhält sie kein Zeugnis. Zuletzt hatte sie hier der Freien Abteilung angehört. Als Illustratorin verdient sie nun Geld für die junge Familie. Ihr Einkommen trägt „we- sentlich zum Familienunterhalt bei“.83 Werner Siedhoff debütiert 1928, gehört der Bauhausbühne bis 1930 an. Dann wech- selt er ans Deutsche Nationaltheater in Os- nabrück, 1937 ans Staatstheater in Plauen und 1940 nach Gera, bevor er 1942 an den Städtischen Bühnen in Frankfurt am Main ein festes Engagement erhält. Margot Rieß nennt Siedhoff-Buscher noch 1931 als „Spezialistin für Kinderstuben“. Nach der Geburt der Kinder wird sie je- doch überwiegend als Autorin und Illustra- torin von Kinder-, Märchen- und Bastel- büchern sowie von Malfibeln tätig. Diese erscheinen im Otto-Maier-Verlag, Ravens- burg. In Frankfurt soll sie die Entwurfsarbeit ganz eingestellt haben. „Etwas in ihrem Innern scheint ab dieser Zeit ihre schöpfe- rische Kraft endgültig zu blockieren“, be- schreibt Cornelia Will die Frustration Sied- hoff-Buschers darüber, dass „die Zeit noch nicht reif ist“, das Schaffen von Frau- en und Männern ohne Ansehen des Ge- schlechts zu beurteilen.84 Im Herbst 1944 kommt Alma Siedhoff-Bu- scher bei einem Bombenangriff in Buch- schlag bei Frankfurt am Main ums Leben. Quellen: Buscher, Alma: Kind, Märchen, Spiel, Spielzeug : in: Junge Menschen (Ham- burg) ; 5.Jg., 1924. H.8, S.189 Neue Arbeiten aus den Bauhauswerk- stätten, Bd.7, Passau 1925 Rieß, Margot: Schaffende Frauen: Die Frau als Architektin, in: Frau und Ge- genwart, 28.Jg., 1931, H.2, S.37 Wichmann, Hans: Kunst, die sich nütz- lich macht, München 1985 Droste, Magdalena: Alma Buscher, in: Oedekoven-Gerischer, A., et al, 1989, S.216 Will, Cornelia: Alma Siedhoff-Buscher - Entwürfe für Kinder am Bauhaus in Wei- mar, Ausstellungskatalog, Velbert, 1997 Stolzenau, Martin: Spielschrank ver- schaffte den Durchbruch als Bauhäusle- rin, in: Mitteldeutsche Zeitung vom 4.3.1999 336 Anhang 79 So Will, 1997, S.14 - Diese Arbeiten befin- den sich im NL Siedhoff-Buscher. 80 Sie entwirft die Kinderzimmereinrichtung. 81 Vgl. Wingler, 1975, S.111. 82 Werner Siedhoff arbeitete zeitweise auch als Gymnastiklehrer am Bauhaus. 83 Will, 1997, S.65. 84 Ibid., S.54. Kinderzimmer im Haus am Horn, 1923 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Eva Busse Eva [Gertrud] Busse geb. 7.6.1909 Berlin-Charlottenburg - ermordet 30.9.1942 Auschwitz Studium am Bauhaus Dessau 1929 bis 1930, an der TH Charlottenburg 1930 wurde im Frühsommer 1909 in Berlin- Charlottenburg geboren, ihr familiär Hinter- grund ist bisher unbekannt. Somit bleibt unklar, ob sie mit der traditionsreichen Berliner Architektendynastie Busse ver- wandt ist.85 Eva Busse dürfte aber in ei- nem liberalen jüdischen Elternhaus aufge- wachsen sein. Aus Prüfungsprotokollen geht hervor, dass sie „2 j. dorfschule, 2 j. privatschule, 1 j. lyceum berlin, 4 j. fürstin- bismarck-schule, 4 j. oberlyzeum pankow, abitur“ absolviert hat, als sie sich zum Frühjahr 1929 am Bauhaus Dessau ein- schreibt. Als Heimatadresse gibt sie zu diesem Zeitpunkt eine Untermietadresse in der Hardenbergstraße in Berlin-Charlotten- burg an. Nach ihrem ersten Semester, das sie lt. Prüfungsprotokoll vom 29.10.1929 in der Grundlehre wie auch in der Reklamewerk- statt verbringt, wird sie probeweise in die Abteilung Wandmalerei aufgenommen. Das Prüfungsprotokoll vom 7.4.1930 weist sie jedoch - neben Lotte Rothschild - als eine der fünf KandidatInnen der Metall- werkstatt aus mit dem Zusatz “probeweise in me(tall)”.86 Diese probeweise Aufnahme scheint wenig erfreulich gewesen zu sein, bereits zehn Tage später schreibt sich Busse an der TH Charlottenburg für Architektur ein.87 Aber auch dieses Studium bricht sie nach einem Semester ab. Bisher ist unbekannt, ob sie sich erneut auf die Suche nach einem ge- eigneten Studienplatz begibt. Ebensowe- nig lassen sich genauere Anhaltspunkte für ihren Weggang vom Bauhaus finden. Die nächste Spur, die sich verfolgen lässt, führt sieben Jahre später nach Amster- dam. Dort ist Eva Busse in keinem Adress- verzeichnis zu finden, jedoch nach wie vor in Kontakt mit der ehemaligen Bauhaus- studentin Lisbeth Oestreicher.88 Diese be- treibt seit Anfang der dreißiger Jahre ein eigenes Atelier für Strickwaren in Amster- dam. Sie erwähnt in einem Brief an Han- nes Meyer 1937, dass Eva Busse sich mit ihrer Arbeit „ordentlich durchschlage“.89 Ob sie dies mit Reklame- oder Fotoaufträ- gen tut oder ihre Architekturinteressen ver- folgen kann, ist bisher ebenso unbekannt wie ihre Lebensumstände in Amsterdam bis 1942. In diesem Jahr werden sowohl Eva Busse als auch Lisbeth Oestreicher im Lager Westerbork interniert. Die letzte Spur von Eva Busse datiert zwei Tage vor ihrer Ermordung: Das Niederlän- dische Gedenkbuch vermerkt Eva Busses Tod am 30.9.1942 in Auschwitz.90 Das „Kalendarium der Ereignisse im Konzentra- tionslager Auschwitz-Birkenau 1939-45“ verzeichnet für diesen Tag die Ankunft ei- nes Transportes von 610 jüdischen Perso- nen, die noch am gleichen Tag selektiert und ermordet wurden.91 Der Transport war am 28.9.1942 aus dem Lager Westerbork gestartet. Mit großer Wahrscheinlichkeit war Eva Busse in diesem Transport. Mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit wurde sie in Auschwitz vergast.92 Quellen: BHD, NL Engemann, Prüfungslisten; DAM, NL Hannes Meyer, Brief von Lis- beth Oestreicher an Hannes Meyer vom 7.1.1937 SDU (Hg.): In Memoriam, Den Haag, 1995 Paula Marie Canthal Paula Marie [Elise] Canthal, zeit- weilige Gascard[-Diepold] (1927- 36), Künstlerinnenname um 1940 Maria Cantal, ab Mitte der 1960er Jahre Marie Francoise Nickel geb. 4.2.1907 Frankfurt/Main - gest. 11.11.1987 Wasserburg am Inn, beige- setzt in Hanau93 Studium vor 1925 am Städel Frankfurt a.M. und der Schule „Kunst und Werk“, Berlin wurde 1907 als zweites Kind des Kauf- manns Marc[us Heinrich] Canthal (1876 - 1946) und seiner Frau Maria geb. Stein- heuer (geb. 1882) in Frankfurt/Main gebo- ren. Ihr Urgroßvater war Bürgermeister von Hanau. Paula Marie Canthal wächst mit ei- nem älteren Bruder (1903 - 1957) in einer weitläufigen assimilierten Familie auf. Sie meint, ihr Maltalent von ihrem Ururgroßva- ter, dem Maler Franz Nickel geerbt zu ha- ben und schätzt ihre „unerhört musikali- sche” Großmutter, die das Frankfurter Konservatorium besucht hatte. Ihr Großva- ter Fritz Canthal betrieb eine seit 1823 in Familienbesitz befindliche Cognacfabrik und ließ seine Kinder 1896 protestantisch taufen. 1904 wurde er zum Commerzienrat ernannt. Die Informationen zum Leben Paula Maria Canthals sind teilweise widersprüchlich, die von ihr gemachten Angaben oft selek- tiv. Aufgrund zumeist kriegsbedingt fehlen- der Aktenunterlagen bleiben Lücken. Den- noch lässt sich ihr Werdegang grob skiz- zieren. Sie besucht ein Lyzeum bis zur Mittleren Reife, belegt anschließend Male- rei und Skulptur am Städel in Frankfurt am Main.94 Dort lernt sie ihren späteren Mann Dirk Gascard-Diepold (geb.1.1.1906) ken- nen. Sie gehen gemeinsam um 1923 nach Berlin, wo sie Architektur studieren möch- ten. Canthal bewirbt sich zum Wintersemester 1924/25 an den Vereinigten Staatsschulen um die Aufnahme als Architekturstudentin. Sie wird jedoch abgewiesen.95 Nach eige- nen Angaben schließt sie bereits 1925 ihre Ausbildung bei Prof. Schneckenberg ab.96 Bisher gelang es nicht nachzuweisen, bei wem sie studierte resp. wo sie sich die entsprechenden Fähigkeiten aneignete. Zweifellos war Paula Marie Canthal bereits in jungen Jahren eine sehr architekturinter- essierte, begabte und eigenwillige Studen- tin. Um 1927 arbeitet sie bei Alfred Gell- horn in Berlin als angestellte Architektin für 300,- Mark im Monat.97 Hier ist sie an der neuen Innenausstattung der Villa Ebstein98 Biografien 337 85 Die drei Söhne des Direktors der Bauaka- demie Carl Ferdinand Busse, Carl, Konrad und August Busse waren ebenfalls als Ar- chitekten in Berlin tätig. 86 BHD, NL Engemann, Prüfungsprotokoll vom 7.4.1930, Wintersemester 1929/30, Bl.2 87 Immatrikulation am 17.4.1930 an der TH Berlin-Charlottenburg. Zur Situation in der Metallwerkstatt vgl. die Ausführungen Mari- anne Brandts in ihrem Brief an die junge Generation, 1966. 88 Lisbeth Oestreicher (1902-1989) studierte am Bauhaus zwischen 1926 und 1930. 89 „Ich höre schon lange von niemanden mehr etwas (..) eva busse, die dich gelegentlich grüssen liess. Sie ist immer noch schwer meschugge, aber schlägt sich mit ihrer ar- beit ordentlich durch.“ DAM, NL Hannes Meyer, Schreiben Lisbeth Oestreicher vom 7.1.1937 90 SDU (Hg.): In memoriam, Den Haag, 1995 91 Vgl. Czech, Danuta: Kalendarium der Ereig- nisse im KZ Auschwitz-Birkenau, Hamburg, 1989, S.311. 92 Ich danke Dr. Elisabeth Brachmann-Teub- ner für diesen Hinweis. Lisbeth Oestreicher war zwischen 1942 und 1945 ebenfalls in Westerbork interniert. 93 Briefliche Mitteilung von Gerlind Fischer- Defoy vom 15.1.1998. 94 Da Canthal bei ihrem Aufnahmegesuch an den Vereinigten Staatsschulen 1924 archi- tektonische Arbeiten vorlegt, hat sie evt. bereits an der Zeichenschule Hanau oder am Städel auch Architektur belegt. 95 „Praxis unzureichend, Prüfungsarbeiten z.T. dergleichen.“ HdKB, Bestand 8, Nr.114. Im gleichen Bestand findet sich auch die Ab- lehnung des späteren Bauhausstudenten Gerhard Balzer („nicht ausreichend“). 96 Prof. Ernst Schneckenberg, Architekt und Direktor der Kunstgewerbeschule Berlin- Charlottenburg, lehrte 1925 auch an der von Hugo Häring geleiteten Schule „Kunst und Werk“ in Berlin. 97 Schreiben Alfred Gellhorn vom 5.8.1957. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar sowie am Neubau der „Tanzschule Trüm- py” beteiligt.99 Anfang 1927 heiratet sie Dirk Gascard-Diepold, führt aber weiterhin den eigenen Namen. 1927 gewinnen sie gemeinsam beim Wo- chenendhauswettbewerb des Messeamtes Berlin, sie reichen zwei Entwürfe ein, den 1. Preis sowie eine lobende Erwähnung.100 Im selben Jahr erreichen sie beim Wettbe- werb für eine Kur- und Trinkanlage in Bad Neuenahr eine lobende Erwähnung.101 Beim Berliner Passagenwettbewerb wird ihr Entwurf „Zweckbestimmung“ mit einem der sechs vergebenen ersten Preise prä- miert.102 In den folgenden vier Jahren er- halten sie bei sechs weiteren Wettbewer- ben Preise und Ankäufe, darunter für das Altersheim der Budgestiftung, die Telefon- und Telegrafenfabrik Fuld & Co. (beide Frankfurt a.M.) und beim Wettbewerb des Berliner Messeamtes „Ein Haus für alle“. Bis auf den letztgenannten Entwurf, der 1931 als „Anbau-Haus” auf der Messe am Funkturm gezeigt wird, bleiben die Wett- bewerbe unrealisiert. Canthal und Gascard können jedoch private Aufträge für Land- und Wochenendhäuser, Umbauten und Einrichtungen akquirieren. Auch in Frank- furt richten sie zumindest Musterwohnun- gen ein. Sie betreiben ein Büro in der Nas- sauischen Straße in Wilmersdorf, kaufen ein eigenes Haus in Zehlendorf und richten es „im Stil des Bauhauses Dessau“ ein.103 Ab 1933 erhalten sie keine Aufträge mehr. Canthal reist nach London, um auf Ver- mittlung einer Engländerin in London die Innenausstattung des Luxuszuges des Ma- haradschah von Indore zu entwerfen. Die- se wird später nach den Entwürfen von Ekkehard Muthesius realisiert. Gascard- Diepold reicht 1936 die Scheidung ein. Canthal reist nach Berlin und bezieht bei Anna von Gierke ein Dachzimmer (in der Carmerstraße). Bei der Scheidung im Ok- tober 1936 verliert sie ihren Anteil am ge- meinsamen Büro. 1937 kann sie freiberuf- lich für Eduard Jobst Siedler arbeiten. Ab 1938 arbeitet sie für die Filmstudios in Babelsberg. Als Filmautorin stellt sie 1939 unter dem Namen Maria Cantal einen Auf- nahmeantrag für die RSK. Auch hierfür wird der ‘Ariernachweis’ über drei Genera- tionen sowie die Befürwortung durch die Gauleitung gefordert. „Da der Verdacht besteht, dass Maria Canthal nicht deutsch- blütig im Sinne des Reichsbürgergesetzes ist“ und „in politischer Hinsicht nicht her- vorgetreten ist“ 104, d.h. keiner Gliederung der NSDAP angehört, besteht seitens der Gauleitung keine Veranlassung, ihre Auf- nahme zu befürworten. Offensichtlich be- steht dennoch Bedarf an ihren Filmskrip- ten. Sie erhält 1940 ‘Befreiungsscheine’ für „Eine mittelalterliche Stadt“, „Weg ohne Wahl“, für „Der Raub der Antikleia“ und „Die Tragödie der Einsamkeit“. 338 Anhang 98 Der Umbau des 1913 von Oskar Kaufmann erbauten Hauses wurde als „Landhaus E. in Zehlendorf“ u.a. in der Pyramide publiziert. Die Pyramide, Baukunst, Raumkunst, Werkkunst, Berlin, 14.Jg., 1928/29, Abb. S.334-338 99 Zu Berthe [Berta Emilie] Trümpy (1895- 1983) vgl. Howe, Diane S.: Individuality and Expression, New York, 1996 100 Lt. Bestätigung des BDA vom 2.9.1957 101 Ibid. 102 NL Canthal / Bestätigung des BDA vom 2.9.1957. Publ. in Hegemann, Werner: Der Städtebau, 1928, Nr. XXIII, S.22-23. - Ein- gereicht wurden 128 Arbeiten. Den Auftrag erhielt Alfred Grenander, der am Wettbe- werb nicht teilgenommen hatte. - Vgl. auch Geist, Johann Friedrich: Die Kaisergalerie, Biographie der Berliner Passage, München, 1997, S.79. Geist zeigt vier der prämierten Arbeiten: „Ein Vorschlag zur Güte“ von Paul Baumgarten, Berlin, „Zweckbestimmung“ von Paul Maria (sic!) Canthal und Gascard Diepold, Berlin, „Farbige Straßen“ von Jo- sef Wentzler, Dortmund und „Leuchtender Schleier“ von Wilhelm Keller und Rudolf Prömmel, Berlin. 103 Wahrscheinlich handelt es sich um das Haus im Eisvogelweg 10. 104 BArchB, Schreiben des Gau-Hauptstellen- leiters Kühn vom 11.12.1939. Anbau-Haus auf der Deutschen Bauausstellung Berlin 1931, Canthal und Gascard-Diepold, Südansicht der Ausbau-Stufe Wettbewerbsentwurf Passage Friedrichstraße/Behrenstraße Wettbewerbsentwurf Fuld & Co., 1929 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Nach den ersten großen Kriegsverlusten wird der Ariernachweis gelockert, Canthal zum 1.1.1942 in die RSK aufgenommen. Im April 1943 stirbt Anna von Gierke. Im Februar 1944 wird die Carmerstr.12 durch Bomben getroffen. Canthal flüchtet in den Schwarzwald, wird mehrfach von der Ge- stapo verhört und kommt schließlich bei Verwandten in der Nähe von Basel unter. Nach Kriegsende arbeitet sie im Büro ei- nes Schweizer Architekten. Als sie an Leu- kämie erkrankt und nicht mehr voll arbeits- fähig ist, malt sie wieder und entwirft Kin- derspiele, darunter „Die goldene Gans“. Im Herbst 1956 erhält sie den ersten frei- beruflichen Auftrag nach dem Krieg105, fin- det als Architektin jedoch kein Auskom- men. Ihr Bruder lebt in New York und un- terstützt sie finanziell bis zu seinem Tod 1956. Im Frühjahr 1957 zieht Paula Marie Canthal nach München. Dort verfasst sie einen Roman über einen Boxer, für den sie jedoch keinen Verlag findet. Eine Möglich- keit in die Architektur zurückzukehren, fin- det sie nicht. Als sie um 1980 ein neuer Ei- gentümer aus der Wohnung klagt, stellt sie Bilder und Hausrat bei einer Spedition un- ter und führt fortan ein unstetes Leben, lebt in Süddeutschland, der Schweiz und Österreich. Sie malt auch weiterhin, über- wiegend Landschaften und Blumen. Paula Marie Canthal starb am 11.11.1987 in Wasserburg am Inn. Für biografische Informationen danke ich Gerlind Fischer-Defoy, Cordula Klov und Alexander Canthal Quellen: HdKA, Best. 8 Nr.114, Aufnahmeent- scheidungen WS 24/25 BHAB, Schriftwechsel Gropius, Anfrage Canthal vom 24.1.1966, Bestätigung Gropius vom 2.2.1966 60 billige zeitgemäße Eigenhäuser, in: Bauwelt, 21.Jg., 1931, H. 9, S.256 ff. Das technische Blatt, Beilage Frankfur- ter Zeitung, 13.Jg., Nr. 24, 11.6.1931 Canthal, P.M.: James Welsh, ein Boxer- roman, 1973, unveröffentlicht Canthal-Lorenzen, Marion (Hg.): Fritz Canthal (1848-1922) Lebenserinnerun- gen und Betrachtungen, Selbstverlag, 1991 Carmer, Margarete von siehe Berg, Grete Carras[-Mory], Christa siehe Schöder, Christa Coccia, Hildegard siehe Katz, Hilde Collein, Lotte siehe Gerson, Lotte Friedl Dicker Friederike Dicker, spätere Bedris- ka Brandeisová (ab 29.4.1936) geb. 30.7.1898 Wien - ermordet 9.10. 1944 Auschwitz-Birkenau Studium an der KGS Wien 1915, an der Ittenschule Wien 1916 bis 1919, am Bau- haus Weimar 1919 bis 1923 Friederike Dicker wurde 1898 in Wien als einziges Kind von Simon und Karoline Di- cker geb. Fanta geboren. Die Mutter stirbt früh. Der Vater, der in einer Papierwaren- handlung als Verkäufer arbeitet, heiratet 1904 erneut. Nach dem Besuch der Bürgermädchen- schule besucht Friedl Dicker in Wien ab 1912 die Grafische Lehr- und Versuchsan- stalt, wo sie Fotografie belegt. Ab 1915 studiert sie für ein Jahr in der Textilklasse an der Kunstgewerbeschule bei Rothansl, bevor sie ab 1916 die Privatschule von Jo- hannes Itten besucht. Ihm folgt sie 1919 ans Bauhaus Weimar, wo sie bis 1923 insbesondere Malerei stu- diert. Am Bauhaus in Weimar entwirft sie jedoch auch - zusammen mit Franz Singer, der ebenfalls zu den Wiener Ittenschülern gehörte - vier Varianten eines architektoni- schen Grundrisses, die sich durch unkon- ventionelle Erschließungen auszeichnen. Friedl Dicker verlässt das Bauhaus 1923 ohne Abschluss. Sie soll zunächst gemein- sam mit Singer ein kunstgewerbliches Ate- lier in Berlin-Friedenau eröffnet haben.106 Andere Quellen gehen davon aus, dass sie ab 1923 in Wien ein gemeinsames Atelier mit der Kommilitonin Anny Wottitz be- treibt.107 Ab Herbst 1924 wohnt sie in der Bleichergasse im 9.Bezirk in Wien. 1925 gründet sie im gleichen Bezirk mit Martha Döberl ein Atelier in der Wasserburggasse, in das 1926 auch Franz Singer (8.2.1896 Wien - 5.1.1954 Berlin) einzieht.108 Aus der Zusammenarbeit mit Singer zwi- schen 1926 und 1931 resultieren etliche Architekturprojekte, darunter Neubauten, häufiger jedoch Umbauten und Innenein- richtungen sehr beengter Wohn- und Ge- schäftsräume. Zu den Mitarbeiterinnen zählen die Architekturstudentinnen Anna Szábo und Leopoldine Schrom.109 1929 soll sich Dicker an der Stuttgarter Ausstel- lung „Moderne Inneneinrichtungen“ betei- ligt haben.110 Ab 1930 richtet sie gemeins- am mit Singer den städtischen Montesso- ri-Kindergarten Goethehof ein. Nachdem Singer aus der Ateliergemein- schaft auszieht, bittet Dicker im Frühjahr 1931 ihre ehemaligen Lehrer Gropius und Itten um Empfehlungsschreiben. Gropius empfiehlt sie „aufs beste den Behörden“. Doch auch damit gelingt es ihr nicht, Bau- aufträge der öffentlichen Hand zu akquirie- ren. Friedl Dicker arbeitet ihr Leben lang äu- ßerst vielseitig und in verschiedenen Ko- operationen im Bereich Malerei, Grafik, Kunstgewerbe, Bühnenbild, Möbelbau und Architektur. Als Mitglied des Kreises um die Buchhandlung ‘Schwarze Rose’ - sie ist 1931 KPÖ-Mitglied -, wird sie während des ‘Starhemberg-Putsches’ 1934 verhaf- Biografien 339 105 NL Canthal, Brief Canthal vom 10.11.1964. Bisher ist dieser Auftrag / Bau unbekannt. 106 Dicker läßt sich namentlich im Adreß- wie im Straßenverzeichnis Berlin nicht nach- weisen. Hier ist lediglich Singer (und nur 1926) mit dem Zusatz „Kunstwerkstätte“ in der Fehlerstr. 1 eingetragen. 107 So Schrom, 1989, S.109 und Plakolm- Forsthuber, 1994, S.269. Offiziell ist Friedl Dicker erst ab Herbst 1924, Anna Wottitz ab Januar 1925 in Wien gemeldet. Schrei- ben Herbert Koch, MA8 vom 10.9.1998. 108 Ab 3.10.1924 ist Dicker in der Bleichergas- se 18/19 im 9.Bezirk gemeldet. Ibid. 109 Leopoldine Schrom und Anna Szábo stu- dieren ab dem WS 1923/24 resp. 1925/26 an der Bauschule der TH Wien. Vgl. Geor- geacopol-Winischhofer, 1997, S.327 110 Plakolm-Forsthuber, 1994, S.269 „Tennisclubhaus [Dr. Hans] Heller”, Wien, Dicker / Singer, 1928 Neueinrichtung Kindergarten Goethehof, Wien, 1930-32 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar tet. Nach der Enthaftung zieht sie nach Prag und eröffnet auch dort ein eigenes Atelier. Im Bekanntenkreis kann sie Aufträ- ge akquirieren. Hier arbeitet sie zeitweilig auch mit der ebenfalls immigrierten Archi- tektin Karola Bloch zusammen. Neben Möbeln und Ausbauten entstehen viele Bil- der aber auch Gobelins und Handtaschen. Friedl Dicker heiratet am 30.4.1936 Pavel Brandeis (geb. 1.9.1905), die Ehe bleibt kinderlos. 1938 siedeln sie nach Hronov (Reichenberg) nordöstlich von Prag um, wo Pavel Brandeis als Buchhalter der Firma Spiegler & Söhne tätig wird. Friedl (Bedriska) Brandeisova entwirft für diese Textilfirma Webmuster und einen Ausstel- lungsstand, der auf der Gewerbemesse in Nachod im gleichen Jahr prämiert wird. In Hronov soll sie das Haus Dr. Neumann, das 1928 von Dicker/Singer umgebaut worden war, neu eingerichtet haben. 1942 wird Friedl Brandeis als Jüdin nach Theresienstadt deportiert. Sie hat mit einer Deportation gerechnet, packt weniger pri- vate Dinge als Malutensilien ein. Da sie Kindern im Ghetto eine Gegenwelt ermög- lichen möchte, bietet sie in den Kinderhei- men von Rosa Engländer u.a. Zeichenkur- se an.111 Am 6. Oktober 1944 wird sie von Theresienstadt nach Auschwitz überstellt, drei Tage später wird Friedl Brandeis ver- gast.112 Für biografische Hinweise danke ich Dr. Hildegard Angelini Quellen: AAKW, Studentenakte Friedl Dicker BHAB, Zeugnis Dicker 28.4.1931 (Itten), Zeugnis Dicker 29.4.1931 (Gropius), Bauhaus Archiv Darmstadt (Hg.): Friedl Dicker/Franz Singer, Katalog zur gleich- namigen Ausstellung im Bauhausarchiv Darmstadt v. 31.1.-24.3.1970 Röder, Werner / Strauss, Herbert A..: Biographisches Handbuch der deutsch- sprachigen Emigration 1933-1945, München, 1980/1983 Bloch, Karola: Aus meinem Leben, Pful- lingen, 1981 Pelinka, Peter: Die Zeichenlehrerin der KZ-Kinder, in: Arbeiter-Zeitung Wien, 22.8.1988 Schromm, Georg / Trauttmansdorff, Stefanie: 2x Bauhaus in Wien, Franz Singer, Friedl Dicker, Wien 1989 Plakolm-Forsthuber, 1994, u.a. Kurzbio- grafie Dicker; S.269 Makarowa, Elena: Friedl Dicker, Basel, 2000 Edith Dinkelmann geb. Edith [Margarethe Emilie] Schulze, Dipl.Ing. geb. 23.8.1896 Königsberg - gest. 10.6. 1984 Karlsbad Studium an der TH Braunschweig 1915 bis 1919, Gastsemester an der TH Mün- chen um 1918, Diplom wurde am 23.8.1896 in Königsberg als Tochter des Oberleutnants Max Schulze und seiner Frau Marianne geb. Weber ge- boren. Die Mutter lässt sich scheiden und zieht mit vier Kindern um 1901 nach Berlin, wo Edith bis 1907 die städtische höhere Mädchenschule in der Grunewaldstraße in Berlin-Schöneberg besucht. Nach einem Umzug nach Dessau besucht sie die dorti- ge Antoinettenschule und das Mädchenre- algymnasium, bevor sie am 12.3.1915 in Bernburg/Saale „vor den Herren des Real- gymnasiums“ die Reifeprüfung ablegt. Zum Sommersemester 1915 schreibt sie sich an der TH Braunschweig für Architek- tur ein. Im April 1917 legt sie hier die Vor- prüfung ab.113 Ihr erstes Praktikum führt sie während der Semesterferien im Som- mer 1915 in die anhaltinische Bauverwal- tung in Dessau. Bis zum Studienende fol- gen drei weitere Praktika, 1916 bei Prof. Georg Lübke in Braunschweig, 1917 in der landwirtschaftlichen Bauberatungsstelle in Wehlau beim Wiederaufbau Ostpreußens und 1918 im Münchner Privatbüro von Prof. Theodor Fischer.114 Im November 1919 legt sie an der TH Braunschweig als erste Architekturstudentin die Diplomprü- fung ab. Sie besteht mit „gut“.115 Ab Februar 1920 wird sie bei der Gemein- nützigen Siedlungsgesellschaft Stadt und Land mbH Dessau angestellt, wo sie „eifri- ge Mitarbeiterin bei allen Planungsarbei- ten“ von Regierungsbaumeister Theodor Overhoff wird. Dieser ist als Geschäftsfüh- rer der 1919 gegründeten Siedlungsgesell- schaft für die Errichtung der Gartenstadt- Siedlung Hohe Lache bei Dessau verant- wortlich, im Hauptamt jedoch auch weiter- hin Leiter der Dessauer Baupolizei. Zum 1.2.1923 wechselt Edith Schulze an das Stadtbauamt der Stadt Dessau, im Som- mer 1925 zur Mitteldeutschen Heimstätte. Sie interessiert sich für das Bauhaus seit seiner Gründung. Nach dem Umzug des Bauhauses von Weimar nach Dessau be- sichtigt sie im November 1926 die Sied- lung Törten. Unter dem Titel „Das Bauhaus in Dessau“ veröffentlicht sie eine kritische Analyse in der Zeitschrift des Verbandes der Wohngenossenschaften. Im Februar- heft des nächsten Jahres erscheint in die- ser Zeitschrift eine „Entgegnung“ durch Walter Gropius. Nach Abschluss der Sied- lung „Hohe Lache“ stellt Edith Schulze die- se Heimstätten-Siedlung im April 1927 ebenfalls in der „Wohnung“ vor. Sie verlässt die Mitteldeutsche Heimstätte Magdeburg im Frühjahr 1932 und heiratet den Apotheker Bernhard Dinkelmann. Mit ihm übersiedelt sie nach Köln. Im Novem- ber 1934 wird eine Tochter geboren. Es folgt ein Umzug nach Stuttgart. Edith Din- kelmann ist in dieser Zeit nicht berufstätig. Ihr Mann fällt als Mitglied einer Sanitäts- staffel im Frühjahr 1940. Edith Dinkelmann zieht mit ihrer Tochter nach Leipzig und er- öffnet nach Kriegsende in Böhlitz-Ehren- berg ein Privatbüro, das sie nach 10 Mo- naten aufgibt, um in Dessau erneut im Stadtbauamt zu arbeiten. In dieser Stel- lung als Baurätin ist sie vier Jahre tätig, bevor sie zum 1.7.1950 als freie Architektin ein Büro in Dessau eröffnet. Sie entwirft und realisiert überwiegend Wohnungsbau- ten. Dieses Büro gibt sie im Sommer 1958 auf. Inzwischen hat ihre Tochter in Berlin ihr Architekturstudium beendet. Angesichts der politischen Entwicklungen in der DDR zieht Edith Dinkelmann nach Stuttgart. Dort wird sie beruflich nicht mehr tätig. Sie starb 1984 im badischen Karlsbad. Für biografische Angaben danke ich Dore Dinkelmann-Möhring Quellen: Archiv der TH Braunschweig, Studen- tenakte Schulze Abschrift eines handschriftlichen Le- benslaufs von Dipl.Ing. Edith Dinkel- mann (1950er Jahre), NL Dinkelmann Overhoff, Thomas: Bebauungsplan und bisherige Bautätigkeit in: Arbeitskreis Siedlungen im Verein industrielles Gar- tenreich e.V. (Hg.): Die Siedlung Hohe Lache bei Dessau, (Reprint der Bro- schüre von 1921), 1994, S.23 Gropius, Walter: Das Bauhaus in Des- sau - eine Entgegnung von Walter Gro- pius, in: Die Wohnung, 1.Jg., H.11, (Fe- bruar), Berlin 1927 Eckhoff, Regina: Das Frauenstudium an der TH Braunschweig vom Kaiserreich bis 1933, Braunschweig, 1993 340 Anhang 111 Die dort entstandenen Kinderzeichnungen sind inzwischen durch Ausstellungen be- kannt geworden. Zum Schaffen Dickers in Theresienstadt siehe „Vom Bauhaus nach Terezin“, Katalog, Frankfurt/M., 1991 112 Lt. Trauttmansdorff wurde Friedl Brandei- sova am 6.10.44 im Transport E0 167 von Theresienstadt nach Auschwitz gebracht. Trauttmansdorff, 1989, S.110. Pavel Bran- deis, der eine Woche zuvor nach Auschwitz deportiert worden war, gelingt die Flucht. 113 Wir wissen bisher nicht, wie sie auf die Idee kam, Architektur zu studieren. 114 Theodor Fischer war 1918 u.a. mit dem er- sten großen Wohnungsbauprojekt in Mün- chen nach dem 1.Weltkrieg, der Kleinwoh- nungsanlage „Alte Heide“ beauftragt - vgl. Nerdinger, W. (Hg.): Theodor Fischer, Mün- chen, 1988, S.286 ff. 115 Zum Studium Edith Schulzes vgl. Eckhoff, 1993, S.62. eigene Schriften: Schulze, Edith: Das Bauhaus in Dessau, in: Die Wohnung, 1.Jg., Heft 9, Dezem- ber, Berlin, 1926, S.237ff. diess.: Die Siedlung Hohe Lache bei Dessau, in: Die Wohnung, 2.Jg., H.1, April, Berlin, 1927,S.2ff. diess.: Das Bauhaus in Dessau. Eine Antwort auf die Entgegnung von Profes- sor Walter Gropius, ibid., S.25ff. Christa Dirxen spätere Kleffner-Dirxen (ab 1939) Dipl.Ing., BDA, DWB, Kath. Aka- demikerverband, SIAC geb. 2.1.1910 Hamm - lebt in Münster Studium an der TH München 1930, TH Stuttgart 1931 bis 1933, TH Charlotten- burg WS 1933/34, TH Stuttgart 1934 bis 1936, Diplom wurde 1910 in Hamm als Tochter des Stu- dienrats Joh. Dirxen und seiner Frau Maria geb. Lammers geboren. Wie und wann sie auf die Idee kommt, Architektur zu studie- ren, wird nicht ganz klar. Bereits im Abitur- zeugnis soll jedoch der Studienwunsch Ar- chitektur vermerkt sein. Ihre ältere Schwe- ster studiert an der Kunstgewerbeschule München Grafik. Christa Dirxen schreibt sich 1930 zuerst an der TH München für Architektur ein, wech- selt bald an die TH Stuttgart, wo sie bei den Professoren Bonatz, Schmitthenner und Gössel studiert. Sie ist eine hoch mo- tivierte und vielseitig interessierte Studen- tin, die das Studium trotz der zu Beginn der dreißiger Jahre besonders schlechten Berufsaussichten zügig betreibt. Neben dem Studium widmet sie sich dem Segel- fliegen. Ihre Studienarbeiten sind bisher nicht bekannt. Direkt nach dem Vordiplom wechselt Dir- xen zum Wintersemester 1933/34 an die TH Charlottenburg. Dort entwirft die Gast- studentin im Seminar Tessenow ein „klei- nes Wohnhaus“. Schon ein Semester spä- ter kehrt sie nach Stuttgart zurück, wo ins- besondere die Möglichkeiten zum Segel- fliegen weitaus günstiger gewesen seien als in Berlin. Nach ihrer Diplomprüfung an der TH Stutt- gart 1936, die sie bei Bonatz mit Auszeich- nung besteht, tritt Christa Dirxen in die Planungsabteilung des Reichspostministe- riums in Berlin ein. Dort arbeitet ab 1937 auch die ehemaligen Kommilitonin Gisela Schneider. Christa Kleffner-Dirxen erinnert zumindest eine Realisierung nach ihrem Entwurf: ein Bootshaus für Frau Postmini- ster Ohnesorge an einem See östlich von Berlin. Um 1938 ist Dirxen evtl. in Köln tä- tig, ab 1939 wirkt sie im mecklenburgi- schen Malchow an einer Siedlung mit. Noch 1939 heiratet sie ihren Stuttgarter Studienkollegen Eberhard Michael Kleffner (1911 - 2000). 1941 wird Kleffner-Dirxen in der Redaktion der in München erscheinen- den „Neuen Bauform“ tätig. Dort schreibt und redigiert sie ohne dass ihr Name ge- nannt wird. Sie bringt drei Kinder zur Welt. 1949 zieht sie nach Münster. Dort gründet sie 1951 mit ihrem Mann das Büro ‘Kleff- ner und Kleffner-Dirxen’. Gemeinsam bau- en sie Einfamilienhäuser aber auch Büro- und Geschäftsbauten, wie 1953 den Ver- waltungsbau für den Verband Westfälisch- Lippischer Wohnungsbauunternehmen.116 Das “Büro für Hoch-, Wohn- und Sied- lungsbau” kann sich innerhalb weniger Jahre etablieren und bald auch Kirchen und Schulen realisieren. So handelt es sich bei den Münsteraner Kirchen St. Bonifatius und St. Margareta um Projekte des Büros Kleffner-Dirxen. Christa Kleffner-Dirxen führt das Architekturbüro in Münster allein weiter, nachdem ihr Mann 1958 als Diöze- sanbaumeister nach Essen berufen wird. Im Auftrag verschiedener Bistümer entste- hen nun auch Internats- und Schulbauten, darunter eine Klosteranlage in Brasilien. Christa Kleffner-Dirxen stellt ihr Wirken nicht in den Vordergrund, lässt aber auch keinerlei Zweifel aufkommen, dass sie an vielen Projekten maßgeblich beteiligt ist. Sie engagiert sich in kulturellen und kirch- lichen Zusammenhängen und steigt erst Mitte der achtziger Jahre - anlässlich ihres 75. Geburtstages - aus dem Büro aus. Christa Kleffner-Dirxen lebt in Münster und wird noch manchmal „zu Rate gezogen, wenn z.B. in einer Kirche, die ich gebaut habe, etwas geändert werden soll.“ 117 Ein Werkverzeichnis ihrer Bauten existiert bisher nicht. Quellen: HTA, Karteikarte Dirxen Brief Christa Kleffner-Dirxen vom 15.1. 1998 mit der Kopie eines nicht näher bezeichneten Artiekls: „Um den Wieder- aufbau verdient gemacht“, Münster, Ja- nuar 1985 Telefonat mit Christa Kleffner-Dirxen am 19.1.1998 Gutschow, Nils / Pick, Gunnar: Bauen in Münster, Münster, 1983 Biografien 341 116 Gutschow/Pick, 1983, S.92, Obj.Nr.89. Zu den Wohnhäusern zählt bspw. das 1954 fertiggestellte Wohnhaus Otten in Münster - vgl. Gutschow/Pick, 1983, S.80, - Objekt Nr.70, Peter-Wust-St.16 resp. Mittag, Mar- tin: Kleine Eigenheime, Gütersloh, 1957, S.224-225 117 Christa Kleffner-Dirxen im Schreiben vom 15.1.1998 Verwaltungsgebäude des Verbandes westfälisch-lippischer Wohnungsbauunternehmen, Münster, 1953 Schnitte, Grundrisse „Haus Otten”, Münster, 1954, Südansicht Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Marie Dolezalova spätere Rossmannova[-Dolezalo- va] (vor 1940) geb. 9.12.1909 Nitkovicz-Kromeriz - gest. 1983 Bratislava Studium am Bauhaus Dessau Herbst 1930 bis Frühsommer 1931 Studierende am Bauhaus ohne genauere Angaben. Die tschechische Studentin Ma- rie Dolezalova kommt im Herbst 1930 mit 20 Jahren aus Brünn an das Bauhaus in Dessau, wo ihr Name als Marie Dolezelo- wa im Einschreibebuch erscheint. Sie ist 1909 in Nitkovicz-Kromeriz geboren, 1930 wohnen ihre Eltern in Polanka. Ob Marie Dolezelowa ein Abitur erwarb, ließ sich bisher nicht verifizieren. Sie könn- te vor ihrem kurzen Studium am Bauhaus ihren späteren Mann Zdenek Rossmann bereits gekannt, wie er im Büro von Bo- huslav Fuchs gearbeitet haben. Für fach- spezifische Vorerfahrungen wie eindeutige Architekturambitionen spricht, dass Marie Dolezalova schon nach wenigen Wochen in der Vorlehre einen Aufnahmeantrag für das 2. Semester Baulehre stellt. Dieser wird jedoch mit der Begründung abge- lehnt, dass dies erst nach drei Semestern Theorie möglich sei.118 Zum Sommersemester 1931 wird sie für Fotografie aufgenommen, verlässt das Bauhaus aber noch vor Ablauf des Seme- sters. Ob sie andernorts ein Architekturstu- dium aufnimmt resp. weiterführt, ist unklar. Einzelne Hinweise auf Marie Dolezalovas Leben lassen sich erst wieder finden als sie um 1943, inzwischen mit Zdenek Ross- mann verheiratet, enteignet wird. Zdenek Rossmann (1905 Mährisch Ostrau - 1984 Bratislava) studierte ab Frühjahr 1930 am Bauhaus und war sofort in die Bauabtei- lung aufgenommen worden. Er ist fünf Jahre älter als Dolezalova und veröffent- licht 1930 die erste Monografie über die Arbeiten von Bohuslav Fuchs, in dessen Büro er Ende der zwanziger Jahre kurzzei- tig gearbeitet hatte.119 Als Rossmann im Frühsommer 1931 aufgrund seines kom- munistischen Engagements das Bauhaus verlassen muss, wird er - aufgrund dieser politischen Parteinahme - vom Direktor der Kunstgewerbeschule in Bratislava als Do- zent für Grafik berufen.120 Auch Marie Do- lezalova verlässt das Bauhaus im Früh- sommer 1931 Richtung Bratislava. Zdenek Rossmann stattet als Grafiker zahlreiche Publikationen mit ebenso unkonventionel- len wie aufwendigen Layouts aus. Marie Dolezalova wird als Fotografin tätig. Rossmann überlebt - zwischen 1943 und 45 - das Konzentrationslager Mauthausen. Wo und wie Marie Rossmanova in dieser Zeit (über)lebt, ist bisher unbekannt. Nach 1945 bringt sie mindestens ein Kind zur Welt.121 Ebenso unklar ist bisher, ob sie nach 1945 erneut erwerbstätig wird resp. bleibt. Zdenek Rossmann wird in den fünf- ziger Jahren als Professor für Architektur an die Technische Hochschule in Bratisla- va berufen. Marie Rossmannova[-Dolezalova] starb 1983 in Bratislava. Quellen: BHD Einschreibebuch S.47, NL Enge- mann Slápeta, Vladimir: Das Bauhaus und die tschechische Avantgarde, in Gaßner et.al.: Das Schicksal der Dinge, Leipzig, 1989, S.214-230, Rossmann/ova S.227 derss.: Das Bauhaus und die Avantgar- de in der Tschechoslowakei um 1933 in: Hahn (Hg.): Bauhaus Berlin, 1985, S.241-25Anna, Susanne (Hg.): Das Bau- haus im Osten, Katalog, Leverkusen, 1997 - insbesondere S.180 The Holocaust Phenomenon - Internet- projekt auf Initiative von Vaclav Havel seit 2000 Dümmler, Elfriede siehe Knoblauch, Elfriede Ebert-Harte, Hilda siehe Harte, Hilde Ehren, Gisela siehe Schneider, Gisela Gisela Eisenberg spätere Lucano (ab ca. 1936), Dipl.Ing., HTG geb. 14.11.1904 Kassel - gest. 1997 Rom Studium an der TH München 1925 bis 1927, an der TH Charlottenburg 1928 bis Sommer 1931, Diplom wurde 1904 als einziges Kind des Arztes Dr. Otto Eisenberg (geb.1872) und Anna geb. Noll (geb.1876) in Kassel geboren. Wahrscheinlich legt Gisela Eisenberg im Frühjahr 1924 an der städtischen Studien- anstalt das Abitur ab. Wie sie auf die Idee kommt, Architektur zu studieren und wo sie ihr Baupraktikum ableistet, ist bisher unklar. Da sie bis 1925 in Kassel gemeldet ist, studiert sie evtl. zunächst an der dorti- gen Akademie. Zum Mai 1925 schreibt sie sich für Archi- tektur an der TH München ein, wo sie im März 1927 das Vordiplom ablegt. Hier freundet sie sich mit der gleichaltrigen Lie- selotte von Bonin an. Wie diese absolviert sie ein einjähriges Volontariat in Düssel- dorf. Während von Bonin bei Emil Fahren- kamp mitarbeitet, volontiert Eisenberg ab Anfang Mai 1927 im Privatbüro von Fritz Becker (1882-1973). Dieser ist Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie und realisert etliche Wohnungsbauten, aber auch den Pavillon der Stadt Düsseldorf auf der „Gesolei“ 1926. 342 Anhang 118 BHD, NL Engemann, Beiratssitzung 11.11. 1930, Bl.2, Pkt.14 119 Rossmann, Zdenek: Architect Bohuslav Fuchs, Basilej, 1930 120 Vgl. Slápeta, Vladimir: Das Bauhaus und die Avantgarde in der Tschechoslowakei um 1933 in: Hahn / Wolsdorff, 1985, S.241- 251, hier S.247 121 Auf einem von Irena Blühova in den 50er Jahren aufgenommenen Foto ist Architekt Rossmann mit seinem Sohn“ zu sehen. Gisela Eisenberg (rechts) mit Lieselotte von Bonin Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Gisela Eisenberg, 1928 Zum Frühjahr 1928 wechseln beide Freun- dinnen an die TH Charlottenburg ins Semi- nar Tessenow. Eisenberg entwirft hier im Sommersemester 1929 eine ‘Volksschule’ und eine ‘Treppe’. Zuvor könnte auch sie eines der obligatorischen Wohnhäuser ent- worfen haben. Ihre Arbeiten aus der Studi- enzeit sind bisher jedoch nicht dokumen- tiert. Aus dem Sommer 1929 datiert das ebenfalls obligatorische Aufmaß, das sie gemeinsam mit der zwei Jahre jüngeren Kasselenerin Anni Pfeiffer in Kassel ange- fertigt haben soll.122 Im Frühjahr 1931 be- steht sie bei Tessenow die Diplomhaupt- prüfung. Thema wie Entwurf sind unbekannt. Anschließend bleibt Eisenberg in Berlin. Sie wohnt in der Kaiserallee (heute Bun- desallee) in Friedenau, wird ab 1934 als Architektin auch im Branchentelefonbuch genannt, mit einem Eintrag in der Waghäu- seler Straße 6. Bisher ist nicht bekannt, ob sie dort ein eigenes Büro betrieb, was und für wen sie plante und realisierte. Um 1936 heiratet Gisela Eisenberg den ita- lienischen Geschäftsmann und Kunstge- werbler Paolo Lucano, der 1937 erst- und letztmalig im Berliner Adressverzeichnis genannt ist. Mit ihm übersiedelt sie in den dreißiger Jahren nach Rom, wo sie mehre- re Kinder zu Welt bringt und nicht mehr berufstätig gewesen sein soll. Aber ihr wei- teres Leben ist bisher nicht erforscht. Gisela Lucano starb 1997 in Rom. Quellen: HTA Karteikarte Eisenberg und Rück- seite Karteikarte Schröder Archiv der TU München, Mitteilung von Herrn Bachmann vom 18.11.1997 Stadtarchiv Kassel, Mitteilung von Herrn Klaube vom 20.8.1997 Lore Enders Eleonore Enders, spätere Hessel- bach (ab 1/1934) geb. 20.1.1904 Mannheim - gest. 16.8. 1944 Dessau, begraben auf dem Nord- friedhof in Dessau Studium am Bauhaus Dessau 1929 bis 1932 wurde 1904 in Mannheim als älteste Toch- ter des Stadtbaurats Georg Enders (17.9. 1875 Metz - 16.11.1924 Mannheim) und seiner Frau Eleonore geb. Kaiser (26.5. 1877 Metz - 16.11.1949 Neckargemünd) geboren. Sie wächst mit einer Schwester und zwei Brüdern in dem vom Vater ge- bauten Elternhaus in der Richard-Wagner- Straße auf. Lore Enders besucht nach der Bürger- schule die Elisabethschule, ein Mädchen- lyzeum, das sie mit der Obersekundarreife abschließt. In dieser Zeit nimmt sie am Zeichenunterricht der Gewerbeschule teil. Die Familie ist katholisch und gutbürger- lich. Alle Kinder betreiben Musikstudien und sind ‘Wandervögel’. Die Schwester und ein Bruder studieren später Musik in Leipzig, der jüngste Bruder wird Jurist. Lore Enders´ Interesse an der Architektur dürfte durch den Vater geweckt, aber nicht unbedingt gefördert worden sein. Am 27.3. 1922 schreibt er sie am Mannheimer Frö- belseminar für die Ausbildung als Erziehe- rin ein. Sie bricht diese Ausbildung ab, geht auf Vermittlung einer Oberin für vier Jahre nach Peru. Dort arbeitet sie als Er- zieherin auf der Zuckerfarm der Familie Gildemeister. In diese Zeit fällt der Tod des Vaters. Nach ihrer Rückkehr nach Mannheim ar- beitet Lore Enders als Zahnarztgehilfin123, widmet sich in privaten Studien aber auch dem Malen und Zeichnen. 1929 gastiert in der Mannheimer Kunstgalerie die Wander- ausstellung „10 Jahre Bauhaus“ . Es ist wahrscheinlich, wenn auch bisher nicht gesichert, dass sich Enders durch diese Ausstellung für das Bauhaus begeisterte, wie dies auch Pius Pahl tat.124 Unmittelbar nach dieser Ausstellung schreibt sich Lore Enders zum Frühjahr 1929 am Bauhaus unter der Matr.Nr.331 ein. Am Bauhaus ist sie u.a. mit Gerhard Ka- dow und dem ebenfalls aus Mannheim stammenden Max Enderlin befreundet. Während beide Kommilitonen u.a. in der Webereiwerkstatt studieren, arbeitet Lore Enders nach der Grundlehre bei Albers ab Herbst 1929 in der Tischlerei. Sie studiert u.a. bei Engemann, wird in dessen Proto- koll des Ausbauseminars - zusammen mit Wimmer - als „Arbeitsgruppe Küche“ ge- nannt. Lt. Möblierungsplan Törten ist Lore Enders für die Kindermöbel zuständig.125 Aus diesen Jahren sind keine Studienar- beiten von ihr überliefert. Ebensowenig ist bisher bekannt, wo sie im Wintersemester 1931/32 ihr Außensemester absolviert.126 Ab dem Frühjahr 1932 studiert Enders im fünften Semester wiederum in der Bau- /Ausbauabteilung. Dem Umzug des Bau- hauses nach Berlin schließt sie sich wahr- scheinlich nicht an.127 Sie erhält nach sechs Semestern kein Diplom, setzt das Studium an keiner anderen Schule fort. Biografien 343 122 Schreiben Jürgen Gunkel vom 17.12.1998 123 Dies vermerkt das Prüfungsprotokoll vom Sommersemester 1929 unter ihrem Namen als Vorbildung. 124 In den „Erfahrungen eines akademischen Architekturstudenten“ berichtet Pius Pahl: „Die modernen Entwürfe verschiedener Kunstakademien hatten mich bis dahin teil- weise sehr beeindruckt, bei der Bauhaus- Ausstellung jedoch hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, daß die gezeigten Gegen- stände und Entwürfe mehr waren als nur neue Formen.“ Pius Pahl in Neumann, 1985, S.332 125 BHD, NL Engemann, Sign.35-D-1930-06-02 126 BHD, NL Engemann, Semesterprüfungs- liste SS 1931 vom 6.7.1931, Bl.10.: „IV. sem. bau/ausbau: enders, lore: beurlaubt.“ 127 Bisher läßt sich nicht nachweisen, daß sie mit nach Berlin umzieht. Da sie auf Aus- flugsfotos des Bauhauses im Frühjahr 1933 zu sehen ist, hielt sie offenbar jedoch wei- terhin Kontakt, auch als das Bauhaus in der Steglitzer Birkbuschstraße untergebracht ist. Lore Enders bei einem Ausflug des Bauhauses, 1933 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Aus dem Dezember 1932 datiert der Ent- wurf „La Casa Grande“ , ein Sommerhaus für Oberin M. Zehentmayer in Neckarge- münd.128 Oberin Zehentmayer, in deren bereits bestehendem Sommerhaus Enders des öfteren zu Gast war, ist mit der Familie seit langem befreundet. Sie ist auch Trau- zeugin, als Lore Enders im Januar 1934 in Neckargemünd den Maschinenbauingeni- eur Peter Leo Hesselbach (1.4. 1903 Leip- zig - 16.8.1944 Dessau) heiratet. Ihn kennt sie bereits aus Mannheim. Nun arbeitet er in Dessau als Testpilot der Junkerswerke. 1936 kommt die erste Tochter zur Welt, 1939 die zweite. Die Familie bezieht ein ei- genes Haus in der Junkerssiedlung. Beim Luftangriff auf Dessau am 16.8.1944 wird dieses Haus im Kirschweg 35 von einer Bombe getroffen. Hierbei kommen Lore und Leo Hesselbach gemeinsam mit dem 1944 geborenen Sohn ums Leben. Zusam- men mit weiteren Bombenopfern werden sie auf dem Nordfriedhof in Dessau beige- setzt. Lore Hesselbach hat das Bauhaus- studium nicht abgeschlossen, nach der Heirat keine Erwerbstätigkeit ausgeübt.129 Von den von ihr entworfenen und getisch- lerten Möbeln sind stabelbare „Kistenkä- sten“ erhalten. Für biografische Angaben danke ich Barbara Linke und Lothar Enders Quellen: Stadtarchiv Mannheim, Einschreibebo- gen Fröbelseminar, mit Dank an Barba- ra Becker, BHD, NL Engemann - Prüfungsproto- kolle Sommersemester 1929, 6.7.1931, MRP 20.10. (wahrsch. 1931), 6 Uhr Projekt „Casa Grande für Oberin Ze- hentmayer“, Dez. 1932, NL Hesselbach Gertraude Engels Gertraude [Agnes Wilhelmine] En- gels, spätere Herde (ab 6.5.1939), Dipl.Ing., HTG geb. 14.6.1913 Berlin-Niederschönewei- de - gest. 29.10.1998 Oldenburg Studium an der TH Charlottenburg 1931 bis 1936, Diplom wurde 1913 als Tochter des Elektroinge- nieurs Heinrich Engels und seiner Frau Ag- nes geb. Lammers in Niederschöneweide geboren. Sie wächst als Einzelkind in einer protestantischen Familie auf, besucht die Dorotheenschule in Köpenick. Schon in der Jugend freundet sich Gertraude Engels mit ihrem späterem Ehemann, dem Archi- tektensohn Alexander Herde an. Als Studi- enwunsch vermerkt bereits das Abitur- zeugnis „Baufach/Innenarchitektur“.130 Mit einem „ausgezeichneten“ Abitur am Oberlyzeum Cöpenick in der Tasche ab- solviert sie ein Praktikum im Bauhauptge- werbe auf einer Großbaustelle der Firma Richter und Schädel in Dahlem.131 Zum Herbst 1931 schreibt sich Gertraude En- gels unter der Matr.Nr.44952 an der TH Charlottenburg für Architektur ein. Sie stu- diert gleichzeitig u.a. mit Irina Kaatz und Luise Zauleck. Nach dem Vordiplom bei Prof. Weiß besucht sie ab dem Winterse- mester 1933/34 das Seminar Tessenow.132 Ihre erste Entwurfsaufgabe dort ist ein klei- nes Arzthaus.133 Als ihr Vater 1935 bei der AEG entlassen wird, absolviert Engels Fleißprüfungen, wodurch ihr die Studien- gebühren erlassen werden. Ohnehin ist Gertraude Engels, die das Grundstudium in vier Semestern absolviert, nicht nur eine begeisterte sondern auch ungemein fleißi- ge Studentin. Wie an ihren detailgenauen Zeichnungen sichtbar wird, hat sie ein be- sonderes Faible für die von Tessenow so geschätzten, sehr arbeitsintensiven Aufma- ße vorhandener Bauten. Gemeinsam mit Alexander Herde misst sie bspw. in Tan- germünde ein 1619 erbautes Ackerbürger- haus, in Alt-Placht bei Templin die 1721 erbaute Kirche und in der Beeskower Kirchgasse ein Siedlerhaus auf. Um 1935 beteiligt sich Gertraude Engels mit einem Entwurf unter dem Motto „Rühr- ei“ an der Monatsaufgabe für eine Garten- laube. Als Diplomaufgabe entwirft sie im Winter 1935/36 ein ‘Kindererholungsheim’. Mit diesem Entwurf besteht sie in ihrem neunten Studiensemester mit „sehr gut“.134 Anlässlich des Diploms im Februar 1936 verlobt sie sich mit Alexander Herde, der nach dem Diplom die Regierungsbaumei- sterlaufbahn einschlägt. Im Anschluss an das Studium ist Gertraude Engels für meh- rere Monate für die Deutsche Forschungs- gemeinschaft tätig. In deren Auftrag führt sie Bauaufnahmen von landwirtschaftli- chen Handwerker- und Siedlerhäusern in der Mark Brandenburg, aber auch des Laubenhauses „Zum großen Kurfürsten“ in Linum im Osthavelland durch. „Aber das wirkliche Bauen lockte zu sehr!“ 135 344 Anhang 128 Bei diesem nicht realisierten Projekt handelt es sich um ein Landhaus mit acht knapp bemessenen Schlafzimmern. 129 Wo sie zwischen 1932 und 1934 arbeitet, ist bisher nicht bekannt. 130 Abiturzeugnis Engels vom 4.3.1931, NL Gertraude Herde 131 Zeugnis der Firma Georg O. Richter & Schädel vom 2.10.1931 132 Angaben Gertraude Herde am 17.9.1995 133 Pläne siehe Kap.5, S.126. 134 Zur Diplomarbeit „Mädchenerholungsheim“ siehe Kap.5, S.135 und Kap.6, S.166. 135 Schreiben Gertraude Herde vom 7.2.1990 Haus Weldi, Nordstemmen, 1950 Diese Fotos von Lore Hesselbach entstanden 1941 bei einer Fotosession im Kirschweg „La Casa Grande”, 1932, Lore Enders, Süd- und Nordansicht Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Engels wechselt zur Preußischen Bau- und Finanzdirektion, wo sie in der Bauleitung der Charité tätig wird. Sie überwacht den Neubau eines Operationssaales für Prof. Ferdinand Sauerbruch und den Bau von vier ‘Absonderungshäusern’ für die Kinder- klinik unter Prof. Georg Bessau.136 Aus dieser Stellung scheidet sie anlässlich der Heirat mit Alexander Herde im Mai 1939 aus. Ihr Mann ist im öffentlichen Dienst tätig, 1941 reicht sie gemeinsam mit ihm einen Entwurf beim reichsweiten Architekten- wettbewerb für Luftschutzbunker ein. Ihr Beitrag „Alarm“ wird mit einen Preis der Gruppe I prämiert. Wenige Monate später wird Alexander Herde mit der Arbeit „Der Luftschutzbunker im Wohngebiet“ an der TH Berlin promoviert. Bis Mitte der vierzi- ger Jahre bringt Gertraude Herde drei Kin- der zur Welt. Nach der Entlassung ihres Mannes aus der Kriegsgefangenschaft Gertraude Herde in den 1950er Jahren zieht die Familie nach Hildesheim. 1950 baut Gertraude Herde in Nordstemmen mehrere Einfamilienhäuser. Für den eige- nen Bedarf und private Auftraggeber ent- stehen immer wieder Möbel nach ihren Entwürfen. Als 1954 zum zweiten Mal ein Wettbewerb zum Wiederaufbau Hildes- heims ausgeschrieben wird, reichen Ger- traude und Alexander Herde den neben- stehenden Entwurf ein. Ihr Vorschlag, die Innenstadt auf Siedlerparzellen überwie- gend zweigeschossig aufzubauen, wird mit dem 2. Preis ausgezeichnet. Auch das ei- gene Haus in Hildesheim entsteht als ge- meinsamer Entwurf. Sie bleibt weiterhin freiberuflich, er im öf- fentlichen Dienst tätig, weshalb die Familie 1955 nach Oldenburg umzieht. Beide wer- den aktive Mitglieder der Tessenow-Ge- sellschaft. Gertraude Herde entwirft in den folgenden nun auch Bebauungspläne, wie bspw. 1962 den für die Gemarkung Raste- de, bleibt vielseitig interessiert und aktiv und setzt sich bspw. für den Erhalt von Alleen ein. Gertraude Herde starb 85jährig 1998 in Oldenburg. Für biografische Angaben danke ich Gertraude und Alexander Herde. Barba- ra Heise danke ich für Recherchen und die Unterstützung bei der Erfassung des zeichnerischen Nachlasses. Quellen: HTA Karteikarte Engels, Gertraude HTG, LL Gertraude Herde v. 20.1.1961 NL Gertraude Herde, Studienarbeiten Brief Getraude Herde vom 7.2.1990, Fragebogen 1995 Gespräch mit Barbara Heise am 2.9. 1995 Eva Fernbach spätere Weininger (ab 1931) geb. 21.7.1903 Bunzlau - lebt in Texas Studium am Bauhaus Dessau 1927 bis 1928 wurde 1903 als älteste Tochter einer weit- verzweigten Verlegerfamilie in Bunzlau ge- boren. Als ihr Vater Otto Fernbach (geb. 1876), der zunächst in der Holzbranche tä- tig war, 1906 die Leitung eines Zeitungs- verlages in Berlin übernehmen kann, zieht die katholische Familie nach Babelsberg. Dort wächst Eva Fernbach mit mehreren Schwestern auf. Sie besucht die Augusta- Schule in Berlin-Schöneberg, auf der sie sich bis zur mittleren Reife ein „bissl lang- weilt“. Eine jüngere Schwester studiert an der Burg Giebichenstein und wird Weberin, die Jüngste absolviert eine Ausbildung zur Heilgymnastikerin. Nachdem Eva Fernbach bei einem Onkel in der Landwirtschaft und mehrere Jahre im Verlag des Vaters mitgearbeitet hat, ab- solviert sie 1923 ein Praktikum in einer Tischlerei in Potsdam. Die Eltern sind von dieser Idee nicht gerade begeistert, dulden jedoch den Wunsch der fast volljährigen Tochter. Zum Frühjahr 1924 tritt Eva Fern- bach gemeinsam mit der vier Jahre jünge- ren Rahel Weisbach in die Berliner Tisch- lerschule in der Straßmannstraße im Prenzlauer Berg ein.137 Dort sind sie die einzigen Schülerinnen, werden beide nach der Lehre aber nicht zur Gesellenprüfung zugelassen.138 Eva Fernbach ärgert sich, weiß jedoch, was sie gelernt hat und misst dem Gesellenbrief keine allzu große Bedeutung bei. Neben der Tischlerlehre besuchte sie drei Jahre lang privaten Malunterricht bei Johann Walter-Kurau und Zeichenunterricht bei der Bildhauerin Marcks, einer Schwägerin von Gerhard Marcks. Beide raten zum Stu- dium am Bauhaus. Fernbach informiert sich vor Ort und zieht nach Dessau. Zum Januar 1927 ist kein Einstieg ins Stu- dium möglich. Als sie in der Tischlerei vor- spricht, wo Marcel Breuer Werkstattleiter ist, wird sie umgehend mit der Produktion von Stühlen beschäftigt. Zum Sommerse- mester schreibt sie sich ein (Matr.Nr. 181) und absolviert zunächst bei Albers die Biografien 345 Eva Fernbach im Prellerhaus 1928 136 Ibid. Mit diesen Aufgaben ist Gertraude En- gels fast drei Jahre betraut - vom 17.8.1936 bis 30.4.1939. 137 Die Berliner Tischlerschule, 1879 als In- nungsschule eröffnet, bezog 1902 den Neubau in der Straßmannstraße 5/6. 138 Rahel Weisbach gelingt es im Anschluss an einen Ferienaufenthalt in der Schweiz, bei einem dortigen Tischler erneut in die Lehre zu gehen um nach wenigen Monaten die Gesellenprüfung erfolgreich abzulegen.Haus Weldi, Nordstemmen, 1950 Klasse der Berliner Tischlerschule 1926. In der 2. Reihe Fernbach und Weisbach (3. v. rechts, resp. Mitte) Wettbewerb Wiederaufbau Hildesheim, 1954 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Grundlehre, besucht Kurse von Köhn und Stam, studiert bei Kandinsky, Schlemmer, Moholy-Nagy und insbesondere bei Klee. Am Bauhaus ist Eva Fernbach mit Wera Meyer-Waldeck, Kattina Both und Lisbesth Oestreicher befreundet. Ausschlaggebend für ihr weiteres Leben wird die Bekannt- schaft mit Andor Weininger. Dieser ungari- sche Kunststudent, der bereits 1921 bis 1923 am Bauhaus Weimar studierte, kehrt im Spätjahr 1925 aufgrund eines Stipen- dienangebotes von Walter Gropius ans Bauhaus - nun in Dessau - zurück. Dort wird er Leiter der Bauhauskapelle und ist in der Bühnenwerkstatt unter Leitung von Oskar Schlemmer an der Entstehung der Bauhaus-Tänze beteiligt. Er entwickelt um 1927 die ‘Mechanische Bühnenrevue’ so- wie das ‘Kugeltheater’. Fernbach ist von den gestalterischen Mög- lichkeiten am Bauhaus begeistert, von den handwerklichen Standards aber entsetzt. In der Tischlereiwerkstatt arbeitet sie selb- ständig, wendet sich mit handwerklichen Fragen weiterhin an ihre ehemaligen Lehrer in der Berliner Tischlerschule. Als sie sich in Dessau zur Gesellenprüfung anmeldet, werden ihr die 2 1/2 Jahre an der Tischler- schule nicht anerkannt. Daraufhin verzich- tet sie auf die Gesellenprüfung. Als Andor Weininger im April 1928 anläss- lich des Weggangs Walter Gropius´ von Dessau nach Berlin wechselt, folgt Eva Fernbach im Herbst. Sie erhält von Hannes Meyer nach weniger als einem Jahr am Haus „eine Art Abschlusszeugnis“.139 In Berlin wohnen sie zunächst in der Nähe des Breitenbachplatzes, Eva Fernbach ent- wirft Möbel für die gemeinsame Wohnung. Diese zeichnen sich durch äußerst redu- zierte Formen unter Einsatz edelster Hölzer und Oberflächen aus. Sie entwirft auch die Einrichtung der nächsten Wohnung in der Düsseldorfer Straße. Bereits 1929 kann sie in Schneidemühl den Innenausbau der Villa Sommerfeld realisieren.140 Dank der Be- kanntschaft mit den Sommerfelds erhält Eva Fernbach zumindest einen weiteren Auftrag für eine Inneneinrichtung.141 1931 heiraten Eva Fernbach und Andor Weininger (12.2.1899 Pécs - 6.3.1986 New York). Gemeinsam realisieren sie im glei- chen Jahr eine komplette Villenausstattung für die Hamburger Reederfamilie Thost. Eva Weininger entwirft die Möbel, zeichnet sie im Maßstab 1:1 auf Packpapier.142 An- dor Weininger zeichnet Perspektiven und entwirft die Lampen. Um 1934 entwirft Eva Weininger einen Schreibtisch für Marli Ehr- mann.143 Anfang der dreißiger Jahre ist die Auftrags- lage für EntwerferInnen moderner Innen- einrichtungen schwierig aber nicht aus- sichtslos. Mit der Änderung des kulturellen Klimas, der Wahl Hitlers zum Reichskanz- ler, wird es für Weiningers schwieriger Auf- träge zu akquirieren: Als Ausländer kann Andor Weininger ab 1934 nicht mehr unter eigenem Namen arbeiten. Unter Deckna- men realisiert er einen Tombolastand auf der Ausstellung „Haus und Handwerk“ und einen Laden für Manolizigarren im alten Teil der Kurfürstenstraße. 1938 kommt die gemeinsame Tochter zur Welt. Angesichts fehlender Zukunftsperspektiven beschließen Eva und Andor Weininger in die USA auszuwandern. Da eine Einreise dort aufgrund verschärfter Bestimmungen nicht möglich ist, siedeln sie Ende 1938 zunächst in die Niederlande über. Ihre Ber- liner Möbel stellen sie bei Martin Elsässer unter. Bis 1942 wohnen sie mit ihrer Tochter in Scheveningen, dann in Amsterdam. Eva Weininger gelingt es nicht, Aufträge für In- nenausbau zu akquirieren. Andor Weinin- ger nimmt Reklameaufträge an. 1941 be- teiligen sie sich gemeinsam am Wettbe- werb „In Holland staat een huis“. Obschon Eva Weininger auf die Unterstützung etli- cher Verwandter in den USA zählen kann, gelingt es jahrelang nicht, ein Einreisevi- sum für die gesamte Familie zu erwirken. Der Aufenthalt in den Niederlanden bleibt - in der Hoffnung auf die Weiterreise - trotz der Länge nur Zwischenstation. Als ihnen um 1950 eine Einreiseerlaubnis für Kanada erteilt wird, siedeln Weiningers dorthin über. Die folgenden neun Jahre in der Nähe von Toronto beschreibt Eva Wei- ninger als die schlechtesten ihres Lebens. Die kulturellen Bedingungen seien noch rückwärtsgewandter gewesen als befürch- tet. Es gibt keine Nachfrage nach moder- ner Gestaltung, Andor Weininger malt. Nach einem privaten Aufenthalt in Europa gelingt 1959 endlich die Übersiedlung nach New York. Eva Weininger bleibt aktiv und vielfältig interessiert, als Entwerferin wird sie aber nicht mehr tätig. Sie und lebt nach dem Tod Andor Weiningers (1986) weiterhin in Manhattan. Nach dem Tod ihrer Tochter zieht sie 2001 zu Verwandten nach Texas. Quellen: Interview mit Eva Weininger am 2.12. 1995 in New York STAD, Einschreibbuch WS 27/28, SS 28 Wenzel, Georg: Deutscher Wirtschafts- führer, Hamburg, 1929 BHAB, Fragebogen E. Weininger, undat. Kirsch, Karin: Möbel von Andor und Eva Weininger, in: Svestka, Jiri (Hg.): Andor Weininger, Stuttgart 1990, S.58 ff. „Bei mir war eigentlich alles ein Wun- der“ Notizen eines Gespräches mit Ra- hel Bontjes van Beek, das Dorothea Schemme 1990 führte, in: Frauen in Bau- und Ausbauberufen, Berlin 1990, S.85 ff. 346 Anhang 139 Lt. Angabe Eva Weiningers auf dem Frage- bogen für Bauhäusler, S.3 (BHAB). 140 Max Sommerfeld, der Bruder des Berliner Bauunternehmers Adolf Sommerfeld, leitet in Schneidemühl ein Sägewerk. 141 Es handelt sich um einen Entwurfsauftrag für Möbel durch einen Tiefbauingenieur der Dahlemer U-Bahn-Linie in Berlin. Näheres über die dafür entworfenen Möbel konnte bisher nicht recherchiert werden. 142 Interview mit Eva Weininger am 2.12.1995. Bei den erst nachträglich signierten Zeich- nungen handelt es sich überwiegend, wenn nicht ausschließlich um Möbelentwürfe Eva Weiningers. Gerda Bijhouwer erinnert, dass Eva Weininger in der Berliner Zeit mit Mö- belaufträgen beschäftigt gewesen sei, An- dor Weininger vor allem gemalt und ge- zeichnet habe. (Interview mit Gerda Bijhou- wer-Marx am 4.10.1995) 143 Marli Ehrmann geb. Heimann studierte am Bauhaus (1923 - 1927) in der Weberei, nun ist sie als Lehrerin in Berlin tätig. Schlafzimmer im Haus Thost, Hamburg, E. Weininger, 1932 Küchenzeile in der eigenen Wohnung, 1930 Spieltisch für die Wohnung Sommerfeld,1929 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Irmgard Fischer geb. am 9.9.1913 Berlin - Daten nach 1936 unbekannt Studium an der TH Charlottenburg wahrscheinlich ab 1933 bis 1936 Studentin bei Heinrich Tessenow, über de- ren familiären Hintergrund und weiteres Leben bisher nur wenige Informationen re- cherchiert werden konnte. Auf Irmgard Fi- schers Karteikarte ist eine Adresse in Hei- nersdorf bei Berlin eingetragen. Unter die- ser Adresse ist - zumindest in den dreißi- ger Jahren - ein Architekt namens Bern- hard Fischer gemeldet. Dresslers Künstler- handbuch vermeldet den Zusatz Oberbau- rat, was auf eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst verweist. Da Irmgard Fischer im Sommersemester 1935, nach einem in Berlin bestandenen Vorexamen, das Seminar Tessenow be- sucht und ein Semester später, am 29.2. 1936 exmatrikuliert wird, bleibt bisher of- fen, ob sie das Studium abbrach oder an einer anderen Hochschule fortsetzte. Da dieses Sommersemester 1935 im Seminar Tessenow das sechste Studiensemester Irmgard Fischers war, dürfte sie das Archi- tekturstudium unter der Matrikelnummer 46153 zum Wintersemester 1932/33 an der TH Charlottenburg begonnen haben. Irmgard Fischer ist somit wahrscheinlich zu den Studentinnen zu rechnen, die un- mittelbar im Anschluss an das Abitur ziel- strebig ein Studium an einer TH begannen. Studienarbeiten von ihr sind bisher nicht bekannt. Irmgard Fischer soll um 1941 in Krakau - dem nach der Besetzung Polens soge- nannten „Generalgouvernement“ - gelebt haben. Zu diesem Zeitpunkt ist sie nicht diplomiert. Über ihren weiteren Lebensweg ist bisher nichts bekannt. Quellen: HTA Karteikarte Fischer Dresslers Kunsthandbuch, Bd. 2, Berlin 1930, Eintrag Bernhard Fischer Adressverzeichnis Heinersdorf, 1936 Ewa Freise Ewa [Margarete] Freise, spätere Oesterlen (ab 26.8.1938), Dipl.Ing. geb. 12.12.1910 Kattowitz - lebt in Han- nover Studium an der TH Stuttgart 1930 bis 1933, an der TH Charlottenburg 1933 bis 1936, Diplom wurde 1910 als älteste von drei Töchtern des Architekten Wilhelm Freise (geb.1877) und Margarete geb. Ensen (geb.1890) im oberschlesischen Kattowitz geboren. In Halle a.d. Saale, wo der Vater als Hoch- baudezernent der Reichsbahn arbeitet, be- sucht Ewa Freise die Schule bis zum Abi- tur. In dieser Zeit interessiert sie sich vor allem für Mathematik und Zeichnen und beschäftigt sich mit Literatur. Ihre Schwe- ster studiert später an der Burg Giebichen- stein, die jüngste Schwester Sprachen. Da Ewa Freise selbst zunächst keine Be- rufsvorstellungen hat, besucht sie gemein- sam mit der Mutter - auf Vorschlag des Vaters - eine Architektin, deren Bautätig- keit in Halle/Saale um 1930 in der Presse ein großes Echo findet.144 Auch wenn die- se Begegnung bei Ewa Freise nicht unbe- dingt Begeisterung auslöst, so fällt im An- schluss doch die Entscheidung für ein Ar- chitekturstudium. Das für die Zulassung zum Studium notwendige Praktikum leistet sie im Maurer- und Zimmermannshand- werk in Halle ab. Aufgrund ihrer Abneigung gegen das Balancieren über Balken zieht sie die Tätigkeiten zu ebener Erde vor. Wegen des guten Rufs der fundierten Ausbildung bei Professor Schmitthenner fällt die Wahl auf die TH Stuttgart. Der Va- ter begleitet sie für die erste Semesterwo- che im Herbst 1930 und unterstellt sie dort der Obhut eines befreundeten Baurats. Ewa Freise wohnt zunächst zusammen mit acht Mädchen aus verschiedenen Ländern in einer Pension in der Alexanderstraße. Nach einem halben Jahr sucht sie sich ein günstigeres Zimmer. Neben Schmitthenner ist ihr aus der Zeit in Stuttgart insbesonde- re Hugo Keuerleber in Erinnerung geblie- ben, den sie als „ausgezeichneten Mann“ erinnert. 1933 besteht Freise in Stuttgart das Vordiplom. Das vorgeschriebene Bü- ropraktikum leistet sie in Halle ab. Anschließend wechselt sie nach Berlin - wie auch Dieter Oesterlen, den sie seit dem Grundstudium kennt. Dort wohnen sie gemeinsam zur Untermiete bei der Familie des Theaterkritikers und Schriftstellers Ju- lius Bab im Westend. Ab dem WS 1933/34 besuchen beide an der TH Charlottenburg das Seminar Tessenow. Aus dieser Zeit datiert die Freundschaft mit Luise Zauleck. Oesterlen wechselt nach einem Semester zu Poelzig, Freise bevorzugt den ruhigeren Tessenow und schätzt auch dessen Assi- stenten Walter Löffler. Dieser betreut ihre Diplomarbeit, eine „Montessorischule”, mit der sie das Diplom im März 1936 mit „gut“ abschließt. Nach dem Diplom arbeitet Ewa Freise in der Planungsabteilung des Luftfahrtmini- steriums, wo bereits die Kommilitonin Si- grid Rauter arbeitet. Anfang 1938 nimmt auch Klara Brobecker hier die Arbeit auf. Freise entwirft hier - nach eigener Erinne- rung - Fliegerunterkünfte. Nach zwei Jahren gibt Ewa Freise die Mit- arbeit im Ministerium auf und heiratet am 26.8.1938 in Halle ihren Studienfreund und Kollegen Dieter Oesterlen (5.4.1911 Hei- denheim - 1994 Hannover). Dieser hatte nach dem Diplom 1936 zunächst die Re- gierungsbaumeisterlaufbahn eingeschla- gen. Nach dem Gewinn der Schinkelpla- kette und bestandenem Assessorexamen tritt er 1939 in das Architekturbüro von Frank Beyer ein, wo er 1941 Partner wird. Ewa Oesterlen richtet die Familienwoh- nung in der Tannenbergallee ein, bringt drei Kinder zur Welt und widmet sich der Familie. Dennoch entsteht in den vierziger Jahren in gemeinsamer Planung ein Einfa- milienhaus in Brüggen an der Leine.145 Biografien 347 144 Ob es sich bei dieser Architektin in Halle um Lore Anders handelt, konnte bisher nicht eindeutig geklärt werden. Ich danke Frau Ullrich vom Stadtarchiv Halle für ihren Hinweis vom 19.11.1997. 145 Es handelt sich um ein Haus für Familie Lönecker. Gespräch mit Ewa Oesterlen am 24.11.1997 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Dieter Oesterlen verlegt 1944 das ausge- bombte Büro wegen kriegswichtiger Auf- träge in den Harz. Ab 1945 betreibt er ein Büro in Hannover, wo er 1948 nach Wett- bewerbsgewinn das Café Kröpke und den Wiederaufbau der Marktkirche realisieren kann. Dank ebenso zahlreicher wie erfolg- reicher Wettbewerbsteilnahmen für öffent- liche und kirchliche Bauten ist das Büro Oesterlen mit dem Wiederaufbau gut be- schäftigt. 1950 entsteht das gemeinsame Wohnhaus in der Schopenhauerstraße, 1951 der Neubau des Funkhauses Hanno- ver in der Architektengemeinschaft F.W. Kraemer - G. Lichtenhahn - D. Oesterlen. Als die Kinder Anfang der fünfziger Jahre aus dem Gröbsten sind, arbeitet Ewa Oe- sterlen mehrere Jahre im Büro mit. Dort ist sie bspw. an den Planungen zur Ingenieur- schule in Hannover beteiligt. Noch in den fünfziger Jahren wird die Ehe geschieden, damit endet Ewa Oesterlens Berufstätig- keit als Architektin definitiv. Dieter Oester- len lehrt ab 1952, wird 1953 ordentlicher Professor an der TH Braunschweig. Er er- hält zahlreiche Auszeichnungen, wird 1961 Kuratoriumsmitglied im Institut für Kirchen- bau der EKD, 1966 Mitglied der Akademie der Künste. Unter den „Mitarbeitern, die in den Jahren seit 1946 in meinem Büro (..) beim Entwurf, bei der Detaillierung und bei der Bauleit- ung“ halfen, wird Ewa Oesterlen nicht ge- nannt.146 Sie lebt heute in Hannover. Quellen: HTA, Karteikarte Ewa Freise Dresslers Kunsthandbuch, 1930 Kühne, Günther: 25 Einfamilienhäuser, Bauwelt-Sonderheft 5, Berlin, 1955, S.23 Koch, Alexander: Dieter Oesterlen, Bau- ten und Planungen, Stuttgart, 1964 Oesterlen, Dieter: Bauten und Texte, Tübingen, 1992 Telefongespräche mit Ewa Oesterlen im November 1997 Brief von Friedrich Oesterlen vom 23.9. 1997 Friedman, Hilde siehe Reiss, Hilde Marie Frommer Dr.Ing., BDA, R.A., A.I.A., Soropti- mists geb. 17.3.1890 Warschau - gest. 16.11. 1976 New York City, N.Y. Studium an der TH Charlottenburg 1911 bis 1916, Diplom, an der TH Dresden 1917 bis 1919, Promotion wurde 1890 als Tochter des Kürschner- meisters Salomon Nathan Frommer (27.9. 1862 Krakau - 5.1.1930 Leipzig) und seiner Frau Anna geb. Blaufuchs (4.4.1864 War- schau - 21.7.1927 Leipzig) in Warschau geboren.147 Noch 1890 zieht die jüdische Familie nach Leipzig, wo 1894 der Bruder Leopold zur Welt kommt. Marie Frommer besucht hier die Schule und erwirbt 1911 das Abitur. Am 6.11.1911 immatrikuliert sie sich - als eine von drei Architekturstudentinnen - an der TH Charlottenburg.148 Im Januar 1916 legt sie dort in ihrem 9. Semester das Di- plom ab. Anschließend arbeitet sie in Pri- vatbüros und im Stadtbauamt Dresden be- vor sie sich 1917 an der dortigen TH ein- schreibt. 1919 schließt sie ihre Forschung zu „Flußlauf und Stadtentwicklung“ mit dem Dr.Ing. bei Prof. Cornelius Gurlitt ab. Es ist unbekannt, ob Frommer angesichts der kriegsbedingt stark eingeschränkten Bautätigkeit nach Alternativen suchte oder - den Restriktionen gegenüber jüdischen WissenschaftlerInnen zum Trotz - mit der Promotion eine akademische Laufbahn anstrebte. Anschließend arbeitet sie als angestellte Architektin und „im Ausland an eigenen Projekten“, bevor sie sich um 1924 mit ei- genem Büro in Berlin niederlässt.149 Frommers erste Aufträge sind Umbauten. 1926 lobt Margarete Weinberg in einem Artikel einen durch Lichtführung und Mate- rialbehandlung besonders gelungenen La- denumbau. Das erste dokumentierte Pro- jekt Frommers ist das 1926 realisierte Haus Frankl. Es folgen mehrere Geschäfts- umbauten, darunter das stadtbekannte Seidenhaus Leiser am Tauentzien und das Schuhhaus Leiser auf der Ecke von König- straße und Neuer Friedrichstraße. 1929 baut sie das „Schuhhaus Jacoby” in der Fasanenstraße und das „Hotel Majestic” in Wilmersdorf um. In diesem unweit des Kurfürstendamms gelegenen Hotel befin- den sich auch die Räume des Berliner ‘Soroptimist-Clubs’. Frommer ist Mitglied dieses internationalen Clubs berufstätiger Frauen, dem auch die Herausgeberin der Zeitschrift „Die schaffende Frau“, Marga- rete Kaiser, angehört.150 Das „Majestic“ wird in der Aprilnummer dieser Zeitschrift veröffentlicht, anschließend erscheint ihre Projektdarstellung in der Bauwelt. 348 Anhang 146 Vgl. Koch, Alexander: Dieter Oesterlen, Bauten und Planungen 1946-1963 , Stutt- gart, 1964, S.215. Ebensowenig wird ihr Name in „Bauten und Texte“ erwähnt. 147 Für die Lebensdaten der Eltern danke ich Dr. Hermann Simon. 148 Die beiden anderen ordentlich immatriku- lierten Architekturstudentinnen sind Char- lotte Cauer und Margarete Wettcke. 149 LL Frommer 1952. In welchen Büros sie als angestellte Architektin arbeitet, ist bisher unbekannt. - Lt. Huber bildet sich Lux Gu- yer bei Frommer in Berlin weiter, bevor sie 1924 in Zürich ein eigenes Büro eröffnet. Vgl. Huber, Dorothee: Die Architektin Lux Guyer (1894-1955), in: Kritische Berichte, 14.Jg., 1986, H.3, S.25-36, hier S.29. Seidenhaus Leiser, Am Tauentzien, Berlin, 1928 Architekturfakultät Hannover, 1955-1957 Wohnhaus Oesterlen, Hannover, vor 1955 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 1930 gestaltet Frommer für die Rosenhain GmbH die Geschäftsräume am Kurfürsten- damm und einen Messestand. Im Juni des gleichen Jahres hält sie einen Werkvortrag vor der gerade gegründeten Gesellschaft deutscher Ingenieurinnen.151 Im Oktober 1930 beteiligt sie sich an der Ausstellung bei Wertheim „Die gestaltende Frau“, die in der lokalen Presse große Beachtung fin- det.152 Dabei werden Parallelen zu „Die Frau in Haus und Beruf“ gezogen, die Ma- rie Frommer 1912 - im zweiten Semester ihres Architekturstudiums - gesehen haben dürfte. 18 Jahre später, stellt sie nun ne- ben den schon damals vertretenen Archi- tektinnen Winkelmann und Mogger in der Abteilung Architektur Fotos und Modelle ihrer realisierten Bauten aus. Ab 1931 bietet Frommer ‘Wohnberatun- gen’ an. Ob es hierdurch zu Aufträgen kommt, ist bisher nicht nachgewiesen. Zu Beginn der dreißiger Jahre hat sie sich als selbständige Architektin in Berlin etabliert. Sie ist u.a. Vertrauensarchitektin deutscher und schweizerischer Versicherungsunter- nehmen, für die sie Geschäftshäuser um- baut. Sie wird in den BDA aufgenommen. Frommer beschäftigt nach eigenen Anga- ben „im Durchschnitt 2 Sekretärinnen, 6-7 Assistenten und Zeichner, und so viel Bau- führer, als Bauten liefen“. Für Max Becker, dessen Modehaus in der Elsässer Straße liegt, baut sie 1932 eine Villa in Tiergarten zum „Modellhaus“ um. Am 14.11.1934 verhängt die Reichskultur- kammer über Frommer als Jüdin Berufs- verbot. Der BDA hatte ihr im Dezember 1933 noch die weitere Berufsausübung zu- gesichert.153 Marie Frommer tritt in Berlin bis Herbst 1936 als Architektin in Erschei- nung, ist im Branchenfernsprechbuch bis 1937 zu finden. Die Aufträge ausländischer Auftraggeber kann sie noch zu Ende füh- ren, jedoch keine neuen Aufträge mehr an- nehmen. Sie emigriert im Oktober 1936 nach London, wo ihr Bruder mit seiner Fa- milie bereits seit 1934 lebt.154 Da sie dort zu wenig berufliche Möglichkeiten sieht, verlässt sie London im November 1939. In New York angekommen, arbeitet sie zu- nächst mit dem ebenfalls aus Berlin emi- grierten Paul Bry bei Umbauten gewerbli- cher Bauten zusammen. Auch hier gehört sie dem Soroptimist-Club an. Sie wird amerikanische Staatsbürgerin und erhält 1946 nach Examina die Zulassung als Ar- chitektin im Staat New York.155 Nun tritt sie als selbständige, „registrierte“ Architek- tin unter eigenem Namen auf und baut die Manhattan Towers um. Ihr bekanntestes Projekt aus dieser Zeit dürfte der Umbau der Sozietät Mansbach und Paley sein, der im 1948 in „Interiors“ publiziert wird.156 Im Architectural Record erscheint sie 1948 als eine der „A Thousand women in Ameri- can Architecture“. Das von ihr 1952 in der 52nd Street realisierte „Townhouse“ wird nach zwei Jahren wieder abgerissen - an- lässlich des Neubaus des Seagram-Buil- dings. Im Februar 1953 wird Marie From- mer in das American Institute of Architects aufgenommen. Ab der 2. Auflage (1961) ist sie im Who is who of American Women vertreten. Sie realisiert auch in New York überwiegend Umbauten wie bspw. die der Einzelhandelsgeschäfte „Creative Looms” oder „Regina”. Bemerkenswert an ihren Entwürfen ist sicherlich die ruhige Raum- wirkung, die sie auch auf kleinstem Raum durch klare Linienführung erzielt. Trotz Publikationen ihrer Projekte bleibt Frommers freiberufliche Existenz in New York fragil. Hier, wo immigrierte Kollegen mit sachlichen Entwürfen erfolgreich sind, bekommt sie Mitte der füfnziger Jahre kei- ne Aufträge mehr. Marie Frommer ist be- reits Mitte 60, ein Alter, in dem manche Architekten manch großen Auftrag ‘einfah- ren’. Ihre New Yorker Tätigkeit wie ihre Projekte sind bisher jedoch zu wenig er- forscht, um ihr Verschwinden aus einem stark umkämpften Markt zu erklären. Bereits ab Ende der vierziger Jahre reist Frommer mehrfach nach Europa. So kehrt sie 1952 besuchsweise in die Schweiz zu- rück, um u.a. die Kollegin Guyer zu besu- chen. Ob sie jemals wieder ihre Berliner Bauten besichtigt hat, ist unbekannt. Marie Frommer starb im November 1976 in New York. Ihr Nachlass ist nicht archiviert. 1995 wurde mit dem vormaligen ‘Leiser- haus’ am Tauentzien auch der letzte noch erhaltene Geschäftshausumbau Marie Frommers in Berlin erneut umgebaut. Hinweise zu den Eltern Marie Frommers verdanke ich Despina Stratigakos. Für biografische Hinweise danke ich Beate Schnitter, Beatrice Trum Hunter und Rico Jagmetti Quellen: Weinberg, Margarete: Tüchtige Leistung eines weiblichen Baumeisters, in: Frau und Gegenwart, 29.6.1926 Ausstellungskatalog „Die gestaltende Frau“, Berlin, 1930 Rieß, Margot: Schaffende Frauen: Die Frau als Architektin, in: Frau und Ge- genwart, 28.Jg., 1931, 2.Heft, S.37 Who is who of American Women: AAD (70) 301, 2.Aufl. 1961/62 Pepchinski, Mary: Frauen und moderne Architektur. Drei Dresdnerinnen der Weimarer Zeit, in: Gleichstellungsstelle der TU Dresden (Hg.): Frauen an Hoch- schulen, Dresden, 1995, S.121-134; diess.: Frau Dr.Ing. Marie Frommer. Die erste Doktorandin der Architektur an der Sächsischen T.H. Dresden, in: Reiche, K. (Hg.): Frauen aus Lehre, Forschung, Verwaltung, Dresden, 1996, S.21-23 Scheunpflug, Maria und Praus, Irmhild: Sie waren die ersten Frauen: Marie Frommer, in: Reiche, Karin (Hg.): 90 Jahre studierende Frauen in Sachsen, Dresden, 1997, S.54-64 eigene Schriften: Frommer, Marie: Flußlauf und Stadtent- wicklung, Diss., Dresden, o.J. (1919) diess.: Die Bildwirkerei der Pillnitzer Werkstätten, in: Dekorative Kunst, 29.Jg., 1926, S.127-132 diess.: Umbau der Villa Majestic in Ber- lin-Wilmersdorf zum Hotel, in: Bauwelt, 20.Jg., 1930, H.15, S.9-12 Gaebler, Wera siehe Itting, Wera Biografien 349 150 Bei einem unter den Leserinnen ausgelob- ten Titelbildwettbewerb ist der Hauptpreis ein Wochenende im Hotel „Majestic”. I.d.R. wählt Kaiser für die Titelbilder der ab 1930 erscheinenden Zeitschrift Fotos von Lotte Jacobi. 151 Lt. Bericht über diese „Tee-Veranstaltung“ der Gesellschaft weiblicher Ingenieurinnen in: Die schaffende Frau, 1.Jg., 1930, S.450. Das Treffen fand aus Anlass der Weltkraft- konferenz im Haus des Vereins Deutscher Ingenieure in Berlin statt. 152 So bspw. „Wir verfolgen seit Jahren die Tä- tigkeit der tüchtigen und resoluten Dr. Ma- rie Frommer“, M.O.: „Die gestaltende Frau“ in: Das Unterhaltungsblatt, 17.10.1930, Beilage der Vossischen Zeitung, Abendaus- gabe; Donath, Adolph: Kunst der Frau, Ber- liner Tageblatt, 17.10.1930, Abendausgabe. 153 Eine Mitgliedschaft im BDA galt als der in der Reichskulturkammer gleichgestellt. 154 Leopold Frommer (1891-1943) war als Do- zent für physikalische Chemie 1933 an der TH Charlottenburg entlassen worden. 155 Zulassung (Nr. 5588 vom 14.6.1946) 156 Interiors, No.10, May, 1948, S.96-98. Diese Zeitschrift wird zu diesem Zeitpunkt von Bernard Rudofsky herausgegeben. Hotel Majéstic, Berlin-Wilmersdorf, Umbau 1929 Creative Looms, New York, 1949 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Maria Gaiser Maria [Dorothea Elisabeth] Gaiser, Dipl.Ing. geb. 20.7.1912 Berlin - gest. 1960er Jah- re Stuttgart Studium an der TH Charlottenburg 1933 bis 1940, Diplom wurde im Sommer 1912 als ältestes Kind des Ingenieurs Paul Georg Gaiser (8.10. 1881 Oberndorf - 15.4.1953 Tettnang) und seiner Frau Elise geb. Schmid (geb. 8.4. 1887 Ludwigsburg) in Berlin geboren und am 8.8.1912 in der St.Paulus-Kirche ka- tholisch getauft.157 Die Eltern hatten 1910 in Oberndorf geheiratet. Paul Georg Gaiser ist als Ingenieur für ein Berliner Elektroun- ternehmen tätig, die Familie wohnt in Ber- lin-Moabit.158 Knapp ein Jahr nach Maria wird Paul Maria Antonius geboren. Maria Gaiser geht in Moabit zur Schule. Wann sie wo das Abitur ablegt, ist bisher undeut- lich. Da sich Gaiser erst 1933, im Alter von 21 Jahren an der TH Charlottenburg unter der Matr.Nr. 47153 immatrikuliert, könnte sie zunächst auch eine anderweitige Ausbil- dung absolviert haben. Nach Erinnerung ihrer Studienfreundin Klara Brobecker er- fuhr Maria Gaiser erst im Immatrikulations- büro der TH Charlottenburg, dass Frauen zum Maschinenbauingenieurstudium nicht zugelassen würden. Auf ihre Frage, was Frauen hier denn studieren dürften, habe man ihr dort zur Architektur geraten. Gesetzliche Regelungen, die die Zulassung von Frauen zum Maschinenbaustudium verhindert hätten, gab es in den dreißiger Jahren nicht. Für das Klima an der TH Charlottenburg mag ein solcher Umgang mit technischen Fächerwünschen von Stu- dentinnen um 1933 jedoch kennzeichnend gewesen sein. Unzweifelhaft handelt es sich bei Gaiser um eine technisch orien- tierte wie begabte Architekturstudentin.159 Ihr Lieblingsfach soll Statik gewesen sein und Klara Brobecker erinnert sie auch als „unseren Rettungsanker in Statik“. Der jün- gere Bruder studiert Maschinenbau an der TH Charlottenburg. Maria Gaiser besteht im Sommer 1935 an der TH Charlottenburg das Vordiplom. Un- mittelbar danach, ab dem WS 1935/36 studiert sie im Seminar Tessenow. Bis ein- schließlich WS 1937/38 sind die Themen von fünf ihrer Entwürfe nachweisbar - das „kleine Wohnhaus”, ein „Konzerthaus”, ei- ne „Dorfkirche mit Schule”, eine „Jugend- herberge” und eine „Trink- u. Wandelhal- le”.160 Im Frühjahr 1938 unterbricht Gaiser ihr Studium für ein Jahr, in dem sie wahr- scheinlich in einem Architekturbüro volon- tiert . Wo sie dies tut, ist bisher nicht be- kannt. Ab dem Frühjahr 1939 studiert sie erneut bei Tessenow. Ein gutes Jahr spä- ter, im Sommersemester 1940, absolviert sie bei ihm das Diplom und exmatrikuliert sich am 10.7.1940, nach 12 Semestern. Über die Jahre nach dem Diplom Maria Gaisers gibt es bisher nur die Information, dass sie weiterhin unter der Adresse ihrer Eltern gemeldet ist. Offen bleibt, wo sie ei- ne erste Anstellung findet, ob sie als Archi- tektin tätig wird. 1943 wird Familie Gaiser in der Stromstra- ße ausgebombt und meldet sich „nach un- bekannt“ ab. Gaisers ziehen ins schwäbi- sche Tettnang. Dort lebt eine Schwester der Mutter. Während Marias jüngerer Bru- der nach dem Krieg als Maschinenbauin- genieur bei einer Stuttgarter Firma arbeitet, führt sie den elterlichen Haushalt in Tettn- ang, betreut und pflegt die Eltern bis zu deren Tod in den fünfziger Jahren. In Tettnang soll Maria Gaiser nie als Archi- tektin erwerbstätig geworden sein. Ehren- amtlich wird sie in der katholischen Ge- meinde, in Frauenverbänden und auch als Innenarchitektin beratend aktiv. Sie starb in den sechziger Jahren in Stuttgart. Quellen: HTA, Studentenkartei, Maria Gaiser Kirchenbucheintrag der St. Paulus-Ge- meinde, Berlin-Moabit, mit Dank an Frau Möller Archiv Tettnang, für Informationen dan- ke ich Frau Dr. Barth Lotte Gerson spätere Burckhardt (1928-29), spätere Collein (ab 1931) geb. 17.3.1905 Essen - gest. Mai 1995 Berlin Studium am Bauhaus Dessau 1927 bis 1930 wurde 1905 in Essen in geboren. Über ihre Familie, die großbürgerlich gewesen sein soll, ist wenig bekannt. Da Lotte Gerson - nach eigenen Angaben - ihren Weg frei wählen konnte, waren die Eltern offenbar liberal. Gerda Marx erinnert, dass sich Lot- te Gerson das Bauhaus zunächst ansah, bevor sie sich im April 1927 unter der Matr.Nr. 178 in Dessau einschrieb.161 Bei Immatrikulation gibt sie ihre Heimat- adresse mit Hamm in Westfalen an. Sie kommt nun jedoch aus Bremen, wo sie 350 Anhang 157 Mitteilung von Frau Möller / Pfarramt St.Paulus in Berlin-Moabit vom 8.12.1997 158 Paul Gaiser soll als Maschinenbauingenieur für die AEG gearbeitet haben, in den Ber- liner Adreßverzeichnissen wird er um 1930 als „Oberingenieur“ geführt. 159 Inwieweit der lt. Dresslers Künstlerhand- buch (1930) in Schorndorf ansässige Archi- tekt Paul Gaiser, BDA mit der Familie ver- wandt ist, konnte nicht recherchiert wer- den. 160 Maria Gaiser nahm - nach Erinnerung Klara Küsters - auch an der Monatsaufgabe „Kriegerdenkmal“ teil. 161 Interview mit Gerda Marx am 4.10.1995. Aus diesem Anlaß sei Lotte Gerson bei ih- ren Eltern in Dessau zu Besuch gewesen. Ob sich die Familien resp. Mütter Marx und Gerson näher kannten, blieb unklar. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar - nach Lyzeum, Schneiderwerkstatt in München, Handweberei in Dachau und ei- nem Jahr „Bürodienst“ - ein Jahr lang eine Frauenschule besuchte.162 Am Bauhaus absolviert sie die Grundlehre bei Albers und die Formenlehre bei Kan- dinsky. Aus der Grundlehre sind eine „Po- sitiv-Negativ-Faltung“ sowie eine Drahtpla- stik von ihr dokumentiert.163 Lotte Gerson besucht bereits im ersten Semester auch die Tischlereiwerkstatt. Außerdem fotogra- fiert sie, ihre Aufnahmen erscheinen im Frühjahr 1928 erstmals in der Bauhauszeit- schrift. Dort wird unter den „Interviews mit Bauhäuslern“ auch eines mit ihr veröffent- licht. Darin äußert sie nach einem Jahr am Bauhaus, „daß nicht alles so ideal ist, wie es in meiner vorstellung lebte (..) und über- haupt wird im ganzen nicht intensiv genug gearbeitet“. Und noch bevor sie - nach drei Semestern in der Tischlerei - „Baulehreanwärterin“ bei Hannes Meyer wird, zitiert Gerson ihn fast wörtlich: „Wir kommen am bauhaus nicht um die politik herum. (..) Wir können natür- lich keine häuser bauen für verhältnisse, die gar nicht da sind, aber von selber wer- den auch keine vernünftigen sozialen ver- hältnisse kommen. die arbeit und die le- bensgestaltung müssen hand in hand ge- hen.“ Sie schließt einen Lehrvertrag für Tischlerei ab, als angestrebtes Berufsfeld nennt sie „den Bereich der sozialen Arbeit, Kindergärtnerin, Hortnerin, o.ä.” 1928 heiratet Lotte Gerson den Schweizer Andreas Burckhardt (geb. 1899), der am Bauhaus Kunst studiert. Die Ehe wird 1929 geschieden. Im Frühjahr 1929 wird unter „ti 234“ eine nach ihrem Entwurf gefertigte „Kinderschaukel“ in das Produktionssorti- ment der Tischlerei aufgenommen. Zum Sommersemester 1929 besucht sie die ‘Baulehre’, wo u.a. Edmund Collein und Wera Meyer-Waldeck studieren. Collein hatte zwischen 1925 und 1927 bereits an der TH Darmstadt Architektur studiert. Im Herbst 1930 erhält er in seinem sechsten Bauhaussemester ein Bau-Diplom. Gerson arbeitet im Frühjahr 1930 an einem Entwurf einer Volksschule für die Siedlung Törten.164 Nun, da unter Mies van der Ro- he die Studiendauer auf sechs Semester festgesetzt ist, stellt sie im Herbst 1930, in ihrem siebten Semester am Bauhaus, ei- nen Antrag auf Diplomerteilung. Es ist im Bereich Bau-/Ausbau der früheste Antrag einer Bauhausstudentin. Die Lehrenden- konferenz lehnt diesen Antrag am 18.11. jedoch ab, „da trotz der anerkannten fleis- sigen und sauberen arbeiten selbständige schöpferische tätigkeit von ihr nicht erwar- tet werden kann.“ Gerson schätzt die Chancen, als Studentin in diesem Fachbereich ein Diplom erwer- ben zu können, offenbar realistisch ein und verlässt das Bauhaus.165 Noch 1930 zieht sie - lediglich im Besitz eines Zeugnisses - mit Edmund Collein (10.1.1906 Bad Kreuz- nach - 21.1.1992 Berlin) nach Wien. Ihn heiratet sie 1931. Er wird Mitarbeiter im Büro Walter Sobotkas, der nach dem ‘An- schluss’ Österreichs 1938 sein Büro auf- löst und in die USA emigriert. Lotte Collein bringt in Wien eine Tochter zur Welt. Um 1939 kehren sie nach Deutschland zurück, Edmund Collein dient bis 1943 in einem Baubataillon. Beide sind politisch engagiert und ent- scheiden sich nach dem Ende des zweiten Weltkrieges für den Aufbau eines sozialisti- schen Deutschland in der Hauptstadt der DDR. Edmund Collein, zunächst Mitarbei- ter des Berliner Magistrats, dann in leiten- den Stellungen verschiedener Bauämter tätig, kann nach 1945 seine architektoni- sche Laufbahn fortsetzen. Er reist 1950 mit Walter Ulbricht in die SU, ist Mitglied und Vorsitzender des BDA, an den „Sechzehn Grundsätzen des Städtebaus“ beteiligt, lei- tender Mitarbeiter der Bauakademie mit Professorentitel und Vorsitzender des Bei- rats für Bauwesen. Während Edmund Col- lein jahrzehntelang im Parteiauftrag seine beruflichen Ambitionen verfolgt, bieten sich seiner Frau auch im neuen Deutsch- land offenbar überwiegend private Per- spektiven. Lotte Collein soll - nach bishe- rigem Kenntnisstand - beruflich nicht in Er- scheinung getreten sein. 1995 starb Lotte Collein im Alter von 90 Jahren in Berlin. Einzelne ihrer Studienar- beiten befinden sich im Archiv der Bau- haus-Universität Weimar und dem Archiv des Bauhauses Dessau. Quellen: Lang, Lothar: Interviews mit Bauhäus- lern, in: Bauhauszeitschrift, Heft 2/3, 1928, S.26 StAD Einschreibbuch SS 28, WS 28/29, SS29; SB 21 „prüfung ss 1929, 21.10. 29, prüfung ws 29/30: 7.4.1930 BHD NL Engemann - Konferenz vom 18.11.1930, Brief Alder an Hannes Mey- er (2 -K-1947/48) - Briefwechsel Walter Tralau / Konrad Püschel 2 - K(1) - 1929- 03-25 Fragebogen für Bauhäusler der HAB Weimar, undatiert - mit Dank an Ines Hildebrand Geyer-Raack, Ruth H. siehe Raack, Ruth Hildegard Elsa Gidoni geb. Mandelstamm, A.I.A. geb. 1901 Riga - gest. 1978, eventuell in Chicago166 Studium vor 1929, eventuell in Berlin wurde 1901 in Riga als Elsa Mandelstamm geboren. Über ihren familiären Background ist nahezu nichts bekannt. Nach Angaben Gidonis in den vierziger Jahren, verbrachte sie die längste Zeit vor ihrer Immigration in die USA in Berlin.167 Bei wem Elsa Mandelstamm studiert hat, ist bisher unklar. In St. Petersburg soll sie die Kunsthochschule besucht, das Studi- um an der TH Charlottenburg fortgesetzt haben. Dort lässt sich eine Immatrikulation bisher nicht belegen.168 In den zwanziger Jahren ist sie zeitweilig mit dem Dramati- Biografien 351 162 Konrad Püschel erinnert als „Dreierge- spann“, das sich schon aus Dresden ge- kannt habe Gerson, Meyer-Waldeck und Wimmer. Konrad Püschel an Irena Blühova, BHD, 2-K-1983-10-17. Angesichts der ver- schiedenen Aufenthaltsorte Gersons bleibt aber fraglich, ob sie auch längere Zeit in Dresden lebte. Evtl. verwechselt Püschel hier Lotte Gerson mit Lotte Beese. 163 Die „Positiv-Negativ-Faltung“ wird in der Bauhauszeitschrift 1928, Heft 2/3 abgebil- det, ein Foto der Drahtplastik (1928) befin- det sich im BHD (I 1104 g). 164 Ihr Lageplan mit einer Übersicht der „stati- stischen daten für einen volksschule in der siedlung törten“ datiert vom 22.5.1930 - BHD I 1617 G 165 Erst zwei Jahre später wird einer Studentin, Wera Meyer-Waldeck, nach einem vierse- mestrigen Studium in der Bauabteilung das 40. in dieser Abteilung verliehene Diplom zuerkannt. 166 Die Lebensdaten Elsa Gidonis basieren auf Angaben der Library of Congress. 167 Architectural Forum, Okt.1946, H. 85, Nr.4 168 Da Mandelstamm[-Gidoni] seit ihrem 16. Lebensjahr ihren Lebensunterhalt als tech- nische Zeichnerin verdient haben soll, dürf- te sie kaum ein Regelabitur erworben ha- ben. Sie könnte jedoch bspw. an der Kunstgewerbeschule in Charlottenburg stu- diert haben. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ker Aleksandr Gidoni verheiratet und um 1929 eröffnet sie in Berlin ein eigenes Büro als Innenarchitektin.169 Die radikal modernen Entwürfe, mit denen sie in den dreißiger Jahren in Tel Aviv in Erscheinung tritt, deuten nicht auf ein Stu- dium an der TH Charlottenburg. Vermutlich arbeitete Mandelstamm Mitte der zwanzi- ger Jahre längere Zeit in einem Berliner Ar- chitekturbüro, das dem Neuen Bauen auf- geschlossen gegenüber stand. In Berlin wohnt sie in Schöneberg, kennt den Künstler Issai Kulvianski und kann ei- nige wenige Inneneinrichtungen publizie- ren. Anfang der dreißiger Jahre emigriert sie nach Tel Aviv. Dort eröffnet sie ein Bü- ro in der Frishman-Street und kann mit ihren sachlichen Gebäudeentwürfen bald größere Aufträge akquirieren: 1934 baut sie für die Orientmesse in Tel Aviv den Schwedischen Pavillon, 1935 gewinnt sie den beschränkten Wettbewerb für das „Haus der Pionierinnen“. Sie realisiert die- sen Entwurf wie auch ein Wohngebäude und eine Hauswirtschaftsschule (1936) in Zusammenarbeit mit Lonek (Al) Zeisler.170 1938 wandert sie in die USA aus, 1942 ist sie unter eigenem Namen im Adressbuch von Manhattan verzeichnet. Aus der New Yorker Zeit sind eine Gesundheitsbiblio- thek (1946), eine Bibliothek für die Pana- merikanische Gesellschaft (1948) und ein Entwurf für das Haus Lenz in New Rochel- le publiziert. In New York soll sie in das Büro Kahn und Jacobs eingetreten und in späteren Jahren dort als Partnerin tätig geworden sein. G- idoni tritt in den USA nicht als „registered architect“ sondern als „designer“, auf. Sie scheint die staatliche Architektenlizenz nicht erworben zu haben auch wenn sie vor 1948 in das A.I.A., das American Insti- tute of Architects aufgenommen wird. Da- mit bleibt sie bei der Realisierung auf Part- ner angewiesen. Das späteste bisher be- kannte Projekt baut sie 1959 für das Büro Kahn & Jacobs in Virginia: Ein Geschäft der Firma Hecht & Co. mit Parkgaragen. Elsa Gidoni starb 1978. Teile ihres Nach- lasses befinden sich in der Library of Con- gress in Washington DC und werden z.Zt. von Lily Chi erforscht. Für Hinweise zu Projekten Elsa Gidonis danke ich Despina Stratigakos Quellen: Frau und Gegenwart, 1932, 28.Jg., Februar, 5.Heft - mit Dank an Despina Stratigakos Architectural Record, Oktober 1946, H.4, S.126-127- mit Dank an Despina Stratigakos 1000 Women in Architecture, in: Archi- tectural Record, 1948, Nr.103, S.106 Warhaftig, Myra: Sie legten den Grund- stein, 1996, S.336 ff. Gunkel, Anni siehe Pfeiffer, Anni Alexa Gutzeit Alexandra [Luise Emma] Gutzeit, spätere Röhl (ab Ende 1919) geb. 31.8.1899 Friederikenruh - Daten nach 1923 unbekannt Studium an der Akademie in Weimar 1917 bis 1919, am Bauhaus Weimar 1919 wurde als Tochter des Rittergutsbesitzers Kurt Gutzeit 1899 im ostpreussischen Frie- derikenruh, Kreis Sichlen geboren. Nach Privatunterricht und Besuch eines Lyze- ums in Königsberg nimmt sie zum 1.De- zember 1917 - noch minderjährig - das Studium an der Akademie in Weimar auf, tritt zum 8.1.1918 offiziell als Schülerin ein. Im Sommer 1918 erhält sie bei der Schü- lerarbeitenausstellung eine „Belobigung für Zeichnen“.171 Nach Gründung des Bauhauses wird sie dort Studentin, besucht die Grundlehre bei Johannes Itten. Im Juli meldet sie sich mit einem Artikel im „Austausch“ zu Wort. Sie trägt sich in die Liste für die Teilnahme am Städtebaukurs ein, wird aber nicht zuge- lassen. Ende 1919 heiratet sei den Kommi- litonen Karl Peter Röhl (12.9.1890 Kiel - 352 Anhang 169 Es ist unklar, ab wann sie mit dem russi- schen Dramatiker Aleksandr Gidoni (1885 St. Petersburg - 1943) verheiratet ist. Die Ehe wird noch in den zwanziger Jahren geschieden. 170 Vgl. Warhaftig, 1999, S.340 / 341. 171 Am 22.6.1918, SBW 152, S.1504 Schwedischer Pavillon, Orientmesse, Tel Aviv, 1934 Gruppenbild anläßlich des Konstruktivisten- und Dadaisten- Kongresses 1922 in Weimar. Alexandra Röhl zweite von rechts Panamerikanische Bibliothek, New York City, 1948 Grundriss Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 25.11.1975 Kiel). Dieser meldet seine nun volljährige Gattin umgehend vom weiteren Studium ab, „da meine Frau vorläufig kei- ne Kraft zu weiterer Arbeit in künstleri- schen Dingen hat und sich ganz dem Haushalt widmet.“ 172 Alexandra Röhls Spur lässt sich nach ih- rem Studienabbruch bisher nur bis zum Herbst 1922 rekonstruieren: Auf anlässlich des Konstruktivisten- und Dadaistenkon- gresses in Weimar aufgenommenen Fotos ist sie zu sehen.173 Im Unterschied zu Karl Peter Röhl scheint sie jedoch nicht zu den SchülerInnen Theo van Doesburgs in Wei- mar gehört zu haben. Zum weiteren Lebensweg Alexa Röhl-Gut- zeits fehlt bisher jeder Anhaltspunkt. Karl Peter Röhl heiratet 1925 in Weimar erneut, die zweite Gattin heißt Käthe Möbius. Quellen: Studentinnenakte Gutzeit, SBW 152, S.1496-1512 Stadtarchiv Kiel, Schreiben vom 9.11. 1998; ich danke Frau Klüver für Nach- forschungen und Zeitungsausschnitte eigene Schriften: Gutzeit, Alexandra: Von Bürger zu Künstler, in: Der Austausch, Juli 1919, S.2 Erika Hackmack spätere Brönner geb. 6.2.1906 Dresden-Blasewitz - Da- ten nach 1928 unbekannt Studium am Bauhaus Weimar 1921 bis 1924, an der Bauhochschule Weimar 1926 bis 1928 gehört zu den frühen Bauhausstudentin- nen, über die bisher nahezu nichts bekannt ist. 1906 in Dresden geboren besucht Erika Hackmack - gerade 15jährig - ab dem Frühjahr 1921 die Grundlehre bei Itten. An- schließend studiert sie in der Metallwerk- statt. Ausgerechnet zu Beginn der zwanzi- ger Jahre - der Phase, in der Studentinnen am Bauhaus besonders massiv in die We- berei gedrängt wurden. Offenbar genießt Erika Hackmack - ähnlich wie die ebenfalls minderjährige Ruth Vallentin - eine Art ‘Kü- kenprivileg’: die freie Werkstattwahl.174 In Metall schliesst sie zum 1.9.1921 einen Lehrvertrag ab. Mit Ausnahme einer um 1922 datierten Gürtelschnalle sind bisher keine Vorkurs- oder Studienarbeiten von ihr dokumen- tiert.175 Bis 1924 bleibt Hackmack am Bauhaus als Studentin der Metallwerkstatt immatrikuliert. Demnach könnte sie die dreijährige Lehrzeit absolviert haben. Eine Gesellenprüfung lässt sich jedoch nicht nachweisen. Erika Hackmack lässt sich ab 1926 als Studierende in der Bauabteilung der Staat- lichen Bauhochschule Weimar nachwei- sen.176 Offenbar erwirbt sie nach ihrer Zeit am Bauhaus das Abitur. Bei wem sie in Weimar studiert, ist nicht erforscht. Eben- so unbekannt ist bisher, wohin sie 1928 geht, ob und wo sie einen Abschluss er- wirbt und ob resp. wann und wo Hack- mack, die nach ihrer Heirat Brönner heißt, als Architektin gearbeitet hat.177 Lt. einem Vermerk im Bauhaus Schriftenar- chiv Dessau soll Erika Brönner in den sieb- ziger Jahren in Dessau gelebt haben. Quellen: Dietzsch, Folke: Die Studierenden am Bauhaus, Weimar, 1990 Weber, Jutta: Kurzbiografie Erika Hack- mack in Weber, Klaus / BHA Berlin (Hg.): Die Metallwerkstatt am Bauhaus, Berlin, 1992, S.316 Nicolaisen, Dörte / BHA (Hg.): Das an- dere Bauhaus, 1996, S.227 Hahn, Iwanka siehe Waltschanowa, Iwanka Friedel Hajek Fried[e]l Hajek, spätere von Berin- ge (ab 11/45), Dipl.Ing. geb. 30.9.1916 Wien - lebt in Wien Studium an der KGS Wien 1936, an der TH Wien 1936 bis 1940, Diplom, Gast- studentin an der TH Charlottenburg 1938/39 Friedel Hajek wurde 1916 als Tochter des Ingenieurs und Direktors Anton Hajek (geb. 1876) und seiner Frau Irma geb. Grotte (geb.1889) in Wien geboren. Am 19.6.1934 legt sie im 2. Bezirk die Realmatura mit Auszeichnung ab.178 Was sie in den fol- genden anderthalb Jahren macht, ist bis- her unbekannt. Ab dem Mai 1935 ist sie in Wien - noch nicht 19jährig - mit eigener Adresse gemeldet. Zum 1.Oktober 1936 schreibt sich Friedel Hajek als deutsche Studentin an der KGS Wien ein, um bei Eduard Josef Wimmer die Fachklasse für Mode zu belegen. Als Berufswunsch gibt sie „Modezeichnerin” an, als Praxis vor Eintritt „Schneiderei“. Ab dem Wintersemester 1936/37 studiert sie jedoch auch an der Bauschule der TH Wien Architektur. 1937 ist die Entscheidung zugunsten des Architekturstudiums gefallen, Friedel Hajek tritt an der KGS aus.179 Zum 7.November 1938 wird ihr „Abgang nach TH Berlin“ ge- meldet. Am 19.12.1938 legt sie an der TH Wien die 1. Staatsprüfung mit „sehr gut“ ab.180 In Berlin studiert sie im Winter- semester 1938/39 im Seminar Tessenow. Studienarbeiten sind bisher nicht bekannt. Friedel Hajek kehrt nach einem Gastseme- ster nach Wien zurück, wo sie nach nur acht Semestern 1940 die zweite Staats- prüfung absolviert. Wo sie anschließend arbeitet, ist bisher nicht bekannt. Sie hei- ratet am 12.11.1945 den aus Ostpreußen stammenden Harald Robert von Beringe. Das Leben Friedl von Beringes nach dem Biografien 353 172 SBW 152, S.1496 Studentinnenakte Gut- zeit, Schreiben von Karl Peter Röhl. undat. 173 So bspw. in: Neumann, 1985, Abb.6, S.28, Foto vom „Kongreß der Konstruktivisten und Dadaisten“ oder Moorsel, Wies van: Nelly van Doesburg 1899-1975, Nijmegen, 2000, S.60-61 174 Vgl. Fiedler, 1987, S.147 175 BHA, o.Inv.Nr. Foto einer Gürtelschnalle (E. Hackmack), um 1922. Vgl. dazu Weber, 1992, Nr.177, S.212 176 Auch an der Bauhochschule Weimar be- stand eine Metallwerkstatt. 177 Die Angabe von Jutta Weber, dass Hack- mack der Heirats- , Brönner der Geburts- name sei, ließ sich bisher nicht verifizieren. Vgl. Kurzbiographie Hackmack von Jutta Weber in: Weber, Klaus / BHA (Hg.) Die Metallwerkstatt am Bauhaus, Berlin, 1992, S.316 178 Information von Ute Georgeacopol-Wi- nischhofer, Schreiben vom 10.11.1997 179 AAKW, Einschreibebogen Friedel Hajek 180 Information mit Dank an Ute Georgeacopol- Winischhofer Gruppenbild anläßlich des Konstruktivisten- und Dadaisten- Kongresses 1922 in Weimar. Alexandra Röhl zweite von rechts Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar zweiten Weltkrieg ist bisher nicht recher- chiert. Dementsprechend bleibt hier offen, ob und wie lange sie als Architektin tätig wird. Friedl von Beringe lebt in Wien. Quellen: HTA, Karteikarte Friedel Hajek Schreiben von Ute Georgeacopol-Wi- nischhofer am 10.11.97 vgl. auch Geor- geacopol-Winischhofer, Ute: „Sich be- währen am Objektiven“ in: Mikoletzky / Georgeacopol-Winischhofer/Pohl (Hg.): „Dem Zuge der Zeit entsprechend, Wien, 1998, S.185-215 MA8/Wien, Schreiben Herbert Koch v. 4.8.1998 Toni von Haken-Nelissen Toni [Anna] von Haken-Nelissen, spätere Schrammen (ab 3/1920) geb. 11.1.1897 Riga - gest. 11.8.1981 Lübeck Studium an der Akademie Dresden 1913 bis 1916, an der Kunstgewerbeschule Weimar 1918 bis 1919, am Bauhaus Weimar 1919 bis 1920 1897 als Tochter deutschstämmiger Eltern in Riga geboren, wächst Toni von Haken- Nelissen in Dresden als Tochter des Kö- niglich Sächsischen Musikprofessors Max von Haken-Nelissen auf. Sie besucht die Elisabethschule, eine zehnklassige evan- gelische Privatschule, erhält dort am 14.3.1913 ihr Entlassungszeugnis. Im An- schluss studiert sie an der Akademie Dres- den bei Prof. Guido Richter. Anfang 1918 stirbt ihr Vater. Sie wendet sich im Februar 1918 an die Kunstgewerbeschule Weimar mit der Bitte um Aufnahme und Schulgelderlass. Offen- bar studiert sie dort ab dem Frühjahr 1918. Mit der Eröffnung des Bauhauses wird sie dort Studentin und gehört damit zu den ‘übernommenen’ Studentinnen. Als Mitglied der ‘Arbeitsgemeinschaft für Architektur’, deren Entwurf bei der Aus- stellung im Juni 1919 ausgezeichnet wird, wird Toni von Hakens Interesse an der Ar- chitektur kurzzeitig erkennbar. Nach bishe- rigen Recherchen scheint sie dieses Inter- esse jedoch nicht weiter verfolgt zu haben. Im Februar 1920 meldet sie sich mit einem Schreiben aus Dresden bei der Leitung des Staatlichen Bauhauses ab.181 Im März 1920 heiratet sie den Maler Eberhard Schrammen (11.11.1886 Köln - 1.12.1947 Lübeck). Dieser hatte während seines Stu- diums an der Akademie in Düsseldorf an der „Bugra” in Leipzig teilgenommen, die KGS Weimar besucht und sich im Sommer 1919 für den Kurs an der Baugewerke- schule angemeldet. Am Bauhaus, wo er „Der Aufbau - Zeitschrift der Studieren- den“ herausgibt, studiert er bis zum Früh- jahr 1922 in der Druck- und der Bühnen- werkstatt. Toni Schrammen, die ihr Studium anläss- lich der Heirat abbricht, scheint keine wei- teren Affinitäten zur Architektur entwickelt zu haben. Ob sie in späteren Jahren erneut eine Ausbildung absolviert, bleibt unklar. Ab Ende der zwanziger Jahre betreiben Toni und Eberhard Schrammen - inzwi- schen Eltern mehrerer Kinder - verstärkt die Fotografie. Sie leben nun in Lübeck, in den dreißiger Jahren in Bad Schwartau. Zumindest Eberhard Schrammen arbeitet regelmäßig als Pressefotograf. Auch wäh- rend des Nationalsozialismus leben beide von der Fotografie. Zahlreiche Fotos und Bildreportagen erscheinen unter dem ge- meinsam verwendeten „Schrammen“ in Zeitungen und Zeitschriften. Eberhard Schrammen stirbt bereits Ende 1947. Toni Schrammens weiteres Leben ist bisher nicht recherchiert. Sie starb 1981 in Lübeck. Quellen: SBW 152, Studentenakte von Haken- Nelissen Dressler 1930: Schrammen, Eberhard Sabine Hartmann/Karsten Hinz: Toni Schrammen (Biografie) in Fiedler, Jean- nine (Hg.): Fotografie am Bauhaus, 1990, S.347 Sachsse, Rolf: Kontinuitäten, Brüche und Mißverständnisse, in: Nerdinger, Winfried (Hg.): Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus, München, 1993 S.64ff. Hilda Harte Hildegard Harte, spätere Ebert- Harte (ab 1956), Dipl.Ing., AIV geb. 26.4.1906 Berlin - gest. 29.5.1976 Berlin, begraben in Berlin-Wilmersdorf Studium an der TH Charlottenburg 1926 bis 1933, Diplom wurde 1906 als Tochter des Kaufmanns Carl Harte in Berlin geboren. Nach Besuch des Lyzeums am Mariannenplatz und der I. Städtischen Studienanstalt Berlin legt sie Ostern 1926 das Abitur ab. Zur Vorbereitung des Architekturstudiums absolviert Hilda Harte ein halbjähriges Praktikum, zum Herbst 1926 schreibt sie sich an der TH Charlottenburg ein. Es ist bisher nicht bekannt, wann sie das Vordi- plom bestand und bei wem Hilda Harte nach dem Vordiplom studierte. Sie unter- bricht ihr Studium mehrfach, um in Archi- tekturbüros zu arbeiten, darunter die Berli- ner Bauverein GmbH und im Büro Leo Nachtlicht.182 Während ihres Studiums ge- hört Hilda Harte der KDAJ an. Wahrschein- lich fällt auch ihr Austritt aus der evangeli- schen Kirche in diesen Zeitraum. Außer- dem soll sie seit ihrer Zeit an der TH mit Ludmilla Herzenstein befreundet gewesen sein.183 Nach sieben Semestern unterbricht Harte ihr Studium zum Frühjahr 1930, um im Atelier Gropius zu arbeiten. Hier ist sie an der Karrosseriegestaltung für die Adlerwer- ke beteiligt. Sie besteht die Diplom-Haupt- prüfung im Februar 1933. Anschließend ar- beitet sie wiederum im Büro Gropius, wo 354 Anhang 181 SBW 152, Bl.1517, Schreiben von Haken- Nelissen vom 27.2.1920 182 Leo Nachtlicht hatte 1929 das Haus Gour- menia in der Hardenbergstraße in Charlot- tenburg fertiggestellt. Zwischen 1928 und 1930 arbeitet auch Hermann Henselmann im Büro Nachtlicht. Vgl. Borngräber, Chri- stian: Hermann Henselmann, in: Ribbe / Schäche: Baumeister, Architekten, Stadt- planer, Berlin, 1987, S.559. 183 Lt. Emira Selmanagic (im Gespräch am 16.8.1995) hat Hilda Harte gemeinsam mit Ludmilla Herzenstein studiert. Im Aterlier Gropius scharen sich Mitarbeiter um ein Modell der Adler-Karosserie Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar sie u.a. an der „Analyse Berlin“ für den CIAM Kongress in Athen beteiligt ist. 1933 nimmt sie an der Schiffsreise mit der Pat- ris II teil.184 In Athen wird die städtebauli- che Studie des Büro Gropius von dem drei Jahre jüngeren Wils Ebert vorgestellt. Ab Ende 1933 arbeitet Hilda Harte als Bü- roangestellte für den „Ingenieurdienst“ des VDI bis sie im Februar 1935 Arbeit als Ar- chitektin beim „LKK III Flugplatz Brandis“ findet.185 Ende 1935 wechselt sie zur Ver- suchsanstalt für Luftfahrt nach Adlershof, wo sie zum 15.3.1937 freiwillig ausschei- det. Zum Dezember 1937 findet sie eine Anstellung als Architektin bei der Reichs- umsiedlungsgesellschaft, für die sie zu- nächst bei der Gutsverwaltung Neuenberg bei Fulda, ab Januar 1938 bei der Bezirks- stelle Brückenau/Unterfranken tätig ist. Ab Januar 1940 arbeitet sie wieder in Berlin, nun als Statikerin im Büro von Herbert Kretschmann. Ab Sommer 1945 leitet sie das Prüfungs- amt für Baustatik beim Magistrat von Ber- lin. In den fünfziger Jahren macht sie sich als Statikerin und Architektin in Berlin selb- ständig. Anfang 1956 wird sie in den AIV aufgenommen.186 Im selben Jahr heiratet Harte den Architekten Wils Ebert (17.4. 1909 Obercunnersdorf - 24.6.1979 Berlin), den sie seit ihrer Zeit im Büro Gropius kennt. Hilda Ebert-Harte betreibt ihr freiberufli- ches Statikbüro zu diesem Zeitpunkt in der Zähringer Str. 24 in Wilmersdorf. Bei zahl- reichen Projekten arbeitet sie mit Ebert zu- sammen. Dieser war 1934 von Gropius - anlässlich seines Weggangs aus Berlin - zu seinem Vertreter bestimmt worden, was ihm laut Günther jedoch nur ein beschei- denes Auskommen garantiert hatte. Auch er wird beim ‘Ingenieurdienst’ und bis Kriegsende auf wechselnden Positionen tätig, bevor er 1945 Leiter des Hauptamtes für Planung unter Hans Scharoun wird. 1947 wird er sowohl Assistent von Scharo- un an der TU als auch außerordentlicher Professor an der HfBK. Als Statikerin ist Hilda Ebert-Harte in den fünfziger und sechziger Jahren bei zahlrei- chen öffentlichen Gebäuden beteiligt, dar- unter der Gropiusschule in Britz-Buckow- Rudow, der Erweiterung der Dahlemer Mu- seen aber auch bei Wohnungsbauten .187 So zeichnet sie auch für Konstruktion und Statik des auf Scheiben stehenden Gebäu- des des Büro TAC für die Interbau 1957 verantwortlich, bei dem Wils Ebert die Rol- le des Kontaktarchitekten übernimmt. Als Architektin scheint Hilda Harte nicht mehr zum Zuge gekommen zu sein. Sie starb am 29.5.1976 in Berlin. Quellen: gk (Günther Kühne): Hilda Ebert-Harte gestorben, in: Tagesspiegel, Berlin, 9.6.1976 Günther, Sonja : Wils Ebert, Berlin, 1993 Lancelle, Annemarie: Wils Ebert, in: Günther, 1993, Aufnahmeantrag Harte in den AIV vom 10.1.1956, ich danke Herrn Hoffmann für diesen Hinweis Amtlicher Katalog der Interbau 1957, Berlin, 1957, S.82 Schreiben Herbert Ebert vom 4.9.1998 Ingrid Heidenreich, Dipl.Ing. geb. 29.3.1916 Berlin - Daten nach 1939 unbekannt Studium an der TH Charlottenburg wahrscheinlich ab 1934 bis 1939, Di- plom wurde 1916 in Berlin als Tochter des Ar- chitekten Conrad Heidenreich (geb. 1883) geboren. Der Vater betreibt mit dem etwas älteren Kollegen Paul Michel ein bekanntes Architekturbüro am Kaiserdamm. Das Büro Heidenreich und Michel realisiert in Berlin zahlreiche Projekte, darunter Wohnungs- bauten im Westend aber auch Geschäfts- häuser, wie bspw. 1912 das Weinhaus Huth in der Nähe des Potsdamer Platzes. Trotz des bekannten Vaters ist über den Werdegang resp. Berufsweg der Tochter bisher ungemein wenig bekannt. Ingrid Heidenreich wächst mit zumindest einem Bruder - und wahrscheinlich in Berlin- Westend - auf. Sie dürfte sich unmittelbar nach dem Abitur, d.h. spätestens 1934 für das Architekturstudium eingeschrieben ha- ben (Matrikelnummer 10/3450), denn be- reits im Sommersemester 1936 legt sie an der TH Charlottenburg das Vordiplom ab. Nach dem Vordiplom - notwendige Prakti- ka hat sie bereits absolviert - tritt sie zum Zwischensemester 1937 in das Seminar Tessenow ein, in dem bereits ihr älterer Bruder Konrad studiert. Dort entwirft sie zunächst ein Malerhaus, dann ein Theater und im Sommersemester 1938 ein Ge- meinschaftshaus. Ihren Diplomentwurf, ein Rathaus, reicht sie im Sommer 1939 ein. Biografien 355 184 Dabei auch Wils Ebert, Wilhelm Hess, Hu- bert Hoffmann und Laszlo Moholy-Nagy, dazu Wolfgang Bangert und Hilda Harte - vgl. Günther, 1993, S.60 - Auf diesem Schiff reist auch die polnische Architektin Helena Syrkus (1900-1980), die 1928 die polnische CIAM-Sektion „Präsens“ mit- begründet und die Siedlung Racowiec auf dem CIAM-Kongreß 1929 in Frankfurt a.M. vorgestellt hatte. Vgl. dazu auch: Klain, Bar- bara: Warschau im Herzen Europas, in: Gröning, Gert (Hg.): Planung in Polen im Nationalsozialismus, Berlin, 1995. 185 Im RKK-Antrag vom 20.12.1933 wird dies als „augenblickliche Beschäftigung in der wertschaffenden Arbeitslosenfürsorge“ auf- geführt. 186 Sie wird mit Schreiben vom 28.2.1956 als „Architektin und Statikerin, Spezialgebiet: Ingenieurbauten“ aufgenommen.(Befürwor- ter sind Karl Hillenblink (Rbmstr. a.D., Prüf- statiker), Franz Schroeder (Statiker) und Prof. Wils Ebert. Mit Schreiben vom 20.1. 1956 bescheinigt Ebert, daß er sie seit 1933 aus der Arbeit an der städtebaulichen Untersuchung für den CIAM-Kongreß in Athen im Atelier Gropius kenne. „Sie war dort bereits früher bei der Bearbeitung der Karosseriegestaltung für die Adlerwerke tätig.“ AIV, Akte Harte 187 Als Statikerin in Zusammenarbeit mit Wils Ebert und Fritz Bornemann. Notiz im Ta- gesspiegel vom 9.6.1976 Wohnblock Mommsenstraße, Berlin, 1970er Jahre, Hilda Harte und Wils Ebert Hilda Ebert-Harte und Wils Ebert, 1970er Jahre Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Er wird lt. handschriftlichem Vermerk auf ihrer Karteikarte mit „1,0“ bewertet. Im Un- terschied zu den meisten Kommilitoninnen wohnt sie bereits während des Studiums in einer eigenen Wohnung in der Hessen- allee, in einem vom Büro Heidenreich und Michel entworfenen und finanzierten Woh- nungsblock. Ingrid Heidenreich verlässt im September 1939 nach einem ebenso zielstrebigen wie erfolgreichen Studium im Alter von 23 Jah- ren die TH Charlottenburg. Über ihren wei- teren Berufs- und Lebensweg blieben Re- cherchen bisher erfolglos. Quellen: HTA, Karteikarte Heidenreich, Ingrid Bauten von Heidenreich und Michel in: Berlin und seine Bauten, Teil IV B Heise, Dörte siehe Helm, Dörte Dörte Helm Dorothea Helm, spätere [Helm-] Heise (ab 1/1930) geb. 3.12.1898 Berlin-Wilmersdorf - gest. Februar 1941 Hamburg, beigesetzt auf dem Ohlsdorfer Friedhof Studium an der Kunstgewerbeschule Rostock 1913 bis 1915, an der Kunst- akademie Kassel 1915 bis 1918, an der Kunstakademie Weimar 1918 bis 1919 und am Bauhaus Weimar 1919 bis 1922 wurde 1898 als zweite Tochter des Philo- logen Rudolf Wilhelm Oskar Helm (1872- 1966) und seiner Frau Alice geb. Bauer in Berlin-Wilmersdorf geboren, wo sie mit zwei Schwestern aufwächst. Dörte Helm besucht die städtische Mädchenschule in Berlin-Steglitz und nimmt privat am Zei- chenunterricht bei Ernst Odefey teil. 1909 wird der Vater, seit 1899 Privatdo- zent für klassische Philologie, an die Uni- versität in Rostock berufen. Dort besucht Dörte Helm neben dem Lyzeum ab 1913 auch die Kunstgewerbeschule. Gerade 16- jährig wechselt sie 1915 an die Kunstaka- demie in Kassel, wo sie erneut bei Odefey malt, bei Carl Hans Bernewitz modelliert. 1918 wechselt Helm nach Weimar an die Kunstakademie zu Prof. Walther Klemm. Mit Eröffnung des Bauhauses besucht sie auch dieses. Dörte Helm analysiert alte Meister bei It- ten, studiert bei Klee, belegt Form- und Farblehre bei Kandinsky aber auch Werk- zeichnen bei Walter Gropius und Adolf Meyer. Sie tritt 1919 in die Werkstatt für Wandmalerei ein und schließt einen Lehr- vertrag ab. Bei der in der Studentenzeitschrift „Der Austausch“ geführten Debatte über Gleich- berechtigung versus ‘Bestimmung’ der Frau am Bauhaus setzt sie sich vehement gegen biologistische Zuschreibungen ein. 1920 beteiligt sie sich bei einer Jubiläums- ausstellung der „Vereinigung Rostocker Künstler“. 1921 ist sie am Entwurf und der Realisierung der Innendekoration des Hau- ses Sommerfeld beteiligt, ihr obliegt die Auswahl von Stoffen und Lampen. Am 6.Mai 1922 legt sie vor der Innung in Weimar die Gesellenprüfung im Maler- und Lackiererhandwerk ab. An dem im glei- chen Jahr vom Atelier Gropius realisierten Haus Otte ist sie an der Ausmalung mit ei- genen Entwürfen beteiligt. Im Herbst 1922 tritt sie in die Webereiwerkstatt des Bau- hauses ein. Die Weberei interessiert sie of- fenbar jedoch nicht, sie illustriert Kinderbü- cher und Märchen. 1923 ist sie Mitglied der Ausstellungskommission für die Bau- haus-Ausstellung in Weimar. 1924 verlässt sie das Bauhaus und zieht nach Rostock, wo ihre Eltern wohnen. Dort wird ihr „Kö- nig Drosselbart“ - ein Theaterstück für Kin- der - aufgeführt. Sie malt und erhält den Auftrag, einen Fries im Neubau des Kur- hauses in Warnemünde auszuführen. Da- neben betätigt sie sich als Innenarchitek- tin. Im Januar 1930 heiratet sie den Schriftlei- ter der „Funkwacht“ Heinrich Heise. Mit ihm zieht sie 1932 nach Hamburg. Dörte Heise bleibt nach der Heirat als Malerin tä- tig. Sie bringt 1938 eine Tochter zur Welt. Ende Februar 1941 starb Dörte Heise in Hamburg an den Folgen einer Grippe. Für biografische Informationen danke ich Dr. Ursula Makovski Quellen: BHAB, Abschrift des LL Dörte Helm, 1924 „Haus und Wohnung“ in: Mecklenburgi- sche Monatshefte, 3.Jg. 1927, Novem- ber Dittmer, Joachim H.: Die Malerin Dörte Helm, in: Mecklenburgische Monatshef- te, 6.Jg., 1930 Fiedler, Jeannine: Kurzbiografien, 1987, S.151-152 Gespräch mit Dr. Ursula Makovski am 30.8.1994 Degeners: Wer ist´s?, Berlin, 1935 Hempl, Elsa siehe Hill, Elsa Henschel, Ruth siehe Josefek, Ruth Herde, Gertraude siehe Engels, Gertraude Herrlich, Gertrud siehe Bernays, Gertrud Ludmilla Herzenstein Dipl.Ing., BDA geb. 24.3.1906 St. Petersburg - gest. 4.8.1994 Berlin, begraben in Berlin Studium an der TH Charlottenburg 1926 bis 1933, Diplom wurde 1906 als zweites Kind der Linguistin Tatjana Herzenstein in St.Petersburg ge- boren. Der Vater ist Ingenieur.188 Die Fami- lie siedelt wahrscheinlich bereits vor 1910 nach Berlin über, der Vater kehrt nach St. Petersburg zurück. Die Mutter ist als Leh- rerin für Sprachen in Berlin-Schöneberg tätig. Dort wächst Ludmilla Herzenstein mit einem zwei Jahre älteren und einem meh- rere Jahre jüngeren Bruder auf. Wie sie auf die Idee kommt Architektur zu studieren, ist bisher nicht bekannt. Ludmilla Herzenstein schreibt sich am 21.10.1926 an der TH Charlottenburg für Architektur ein und legt nach sechs Seme- stern das Vordiplom ab. Sie soll seit dem gemeinsamen Studium mit Hilda Harte be- freundet gewesen sein und auch die neun Jahre ältere, ebenfalls aus St.Petersburg stammende Ursula Schneider gekannt ha- ben.189 Bei Heinrich Tessenow studiert Herzen- stein vermutlich ab 1930. Arbeiten aus ih- rer Studienzeit sind bisher ebenso wenig bekannt wie das Thema ihrer Diplomarbeit. Da sie als ‘Werkstudentin’ ihr Studium mehrfach unterbricht, absolviert sie die Di- plomhauptprüfung erst um 1933.190 1929 arbeitet sie nachweislich für die Allgemeine 356 Anhang 188 Ob es sich dabei um Alexander Herzenstein (geb. 1868) handelt, der 1890 am Polytech- nikum Riga studierte, konnte bisher nicht verifiziert werden. 189 Es bleibt unklar, ob sie privat oder beruflich die Bekanntschaft mit Schneider macht. 190 Ludmilla Herzenstein nennt in den Erfas- sungsbögen für den BDA (1953 und 1972) als Diplomjahr 1933. Die Eintragung Tesse- nows auf der Karteikarte Herzenstein lautet „Diplom 1932“. Da die Karteikarteneinträge bis ca. 1934 oft marginal sind, erfolgten sie wahrscheinlich rückwirkend. 191 Alexander Klein war ebenfalls um 1910 aus St.Petersburg nach Berlin emigriert. Er soll um 1930 als Gastdozent an der TH Charlot- tenburg unterrichtet haben. Die Entwürfe von Typengrundrissen im mehrgeschossi- gen Wohnungsbau werden immer wieder von Leo Adler in Wasmuth´s Monatsheften vorgestellt. So bspw. „Flurlose Wohnun- gen“, ( 1928, 12.Jg., S.454-461) und 1931 „Wirtschaftliche Grundrißbildung u. Raum- gestaltung“, 15.Jg, H.11/12, S.538ff Dörte Helm um 1925 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Häuserbau AG von Adolf Sommerfeld, wie dies zuvor Hanna Blank und Iwanka Walt- schanowa taten. Bei der Gehag-Siedlung in Zehlendorf ist sie in der Bauleitung tätig. 1930 ist sie im Büro Alexander Kleins an einer Siedlungsplanung und dem Entwurf von Typenbauten für den Wohnungsbau beteiligt.191 Klein, der sich seit 1927 mit „Kleinstwohnungsbauten“ beschäftigt, ent- wickelt im Auftrag der Reichsforschungs- gesellschaft 1930 Grundrisstypen für mehrgeschossige Wohnungsbauten und ist mit der Planung einer Siedlung in Dür- renberg bei Merseburg beauftragt.192 Als Klein als jüdischer Architekt 1933 Be- rufsverbot erhält, konzipiert er eine Publi- kationsreihe zu Wohnungsbautypen.193 Es erscheint bis zu seiner Emigration nach Palästina 1935 nur der erste Band.194 Ob Herzenstein nach ihrem Diplom an dieser Publikation mitarbeitet, ist bisher unklar.195 Ihre Angaben zu ihrer Berufstätigkeit zwi- schen 1933 und 1940 variieren auf offiziel- len Fragebögen. Ab 1935 arbeitet sie für die Firma Fiedler in Berlin, wechselt im Oktober 1935 ins Stadtplanungsamt nach Rostock. Wie lan- ge sie dort arbeitet, ist unbekannt. Herzen- stein ist staatenlos, sie wird in die Reichs- kulturkammer aufgenommen und wieder- holt überprüft. 1937 besucht sie die Welt- ausstellung in Paris und eine dort lebende Cousine. 1938 betreut sie für das Hambur- ger Architekturbüro von Schoch & zu Put- litz einen Villenbau in Wiesbaden. Ab Janu- ar 1939 arbeitet sie im Büro Hopp und Lu- cas in Königsberg. 1940 zieht sie ins west- preußische Kleinstädtchen Konitz, wo sie im Büro des Architekten E. Loos landwirt- schaftliche Bauten bearbeitet. Ludmilla Herzenstein soll gegen Ende des Krieges - im Bemühen nicht bemerkt zu werden - an wechselnden Orten rund um Berlin ge- lebt haben. Direkt nach Neugründung der Magistrats- abteilungen tritt sie am 11.6.45 in den Ar- beitsstab unter Leitung von Hans Scha- roun ein, dem u.a. auch Luise Seitz-Zau- leck angehört. In Vorbereitung auf die Aus- stellung „Berlin plant“ im Weißen Saal des Stadtschlosses 1946 analysiert Herzen- stein die Bevölkerungsentwicklung Berlins und entwickelt entsprechende Diagramme. Als Referentin für Statistik im Hauptamt für Stadtplanung veröffentlicht sie Ende der vierziger Jahre Studien zum Verhältnis von Bevölkerungsentwicklung und Stadtpla- nung in verschiedenen Fachzeitschriften. Sie entwirft ‘Wohnzellen’, funktionalistische Wohngebietseinheiten für 5000 Einwohner. Ludmilla Herzenstein wird jedoch auch er- neut als entwerfende Architektin tätig: Zu- mindest die Idee, sowie die Vorstudien zu den - zumeist Scharoun zugeschriebenen - Laubenganghäusern, die 1949 an der Sta- linallee errichtet werden, stammen von ihr. Umittelbar nach ihrer Fertigstellung gera- ten diese Gebäude in die Schusslinie einer Baupolitik, die nach repräsentativen Insig- nien für die Arbeiterklasse sucht. Von einer Exkursion in die SU zurückgekehrt, tritt Walter Ulbricht persönlich für die den Ab- riss ein, da dieser „‘Baukastenstil´ für die Werktätigen nicht mehr in Frage kommen darf”. Schlussendlich bleiben die Lauben- ganghäuser stehen und werden durch ‘Großgrün’ zum Straßenraum kaschiert. Auch Ludmilla Herzenstein soll diese Bau- ten kritisch kommentiert haben: Der Bau von Einraumwohnungen habe zwar der Nachfrage, nicht aber der Bevölkerungs- struktur entsprochen. Vor allem jedoch: Durch die politisch geforderte Betonung des Straßenraums seien die Gebäude un- sinnigerweise nicht in Ost-West-Orientie- rung errichtet worden.196 Für einen Weihnachtsbasar verfasst und il- lustriert sie 1945 „Das neugierige Entlein“. Zunächst auf Matrize vervielfältigt, wird es 1950 in modifizierter Form vom Kinder- buchverlag aufgelegt.197 Auch nach 1945 bleibt Herzenstein staa- tenlos. Sie wird 1953 in den BDA aufge- nommen und 1958 in Berlin-Weissensee Leiterin der Stadtplanung. 1964 wird sie dort zur Stadtbezirksarchitektin ernannt. Nun ist sie für die bauliche Entwicklung des Bezirkes, Genehmigungen und als Ar- chitektin auch für bezirkliche Bauten zu- ständig. Ab den fünfziger Jahren wird sie mehrfach ausgezeichnet, darunter 1962 mit der Schinkel-Plakette des BDA. Ihr räumlich reizvollstes architektonisches Projekt, und das letzte bisher bekannte ist das „Milchhäuschen am Weissen See“, das 1967 fertiggestellt wird. Ludmilla Her- zenstein tritt Anfang der siebziger Jahre in den Ruhestand. Sie starb 1994 in Berlin. Für biografische Hinweise danke ich Hanne Fischer, Ingrid Basler und Inge- borg Meyer-Rey Quellen: HTA, Karteikarte Ludmilla Herzenstein BDA Ost, Mitgliedsakte L. Herzenstein, Aufnahmeantrag vom 14.7.1953, mit Dank an Dr. Simone Hain eigene Schriften: Herzenstein, Ludmilla: Bevölkerungsent- wicklung als Faktor der Stadtplanung, in: Bauplanung und Bautechnik, H.7, 1948, in gekürzter Fassung in: Bauwelt, 38.Jg., H.19, 1948 diess.: Zur Diskussion um den Berliner Aufbauplan, in: Neues Deutschland, 20.7.1949 Biografien 357 192 Abb. siehe Adler, Leo: Neuzeitliche Miet- häuser und Siedlungen, Berlin, 1931, S.90f. 193 Zu Klein vgl. auch Röder / Strauss, 1983, S.627 und Warhaftig, 1996, S.191. 194 Klein, Alexander: Einfamilienhäuser - Süd- typ, Stuttgart, 1934. 195 Herzenstein gibt auf den Fragebögen des BDA für die Zeit zwischen 1930 und 1935 keine berufliche Tätigkeit an. Sie soll nach dem Diplom mehrfach versucht haben, als Architektin in St.Petersburg zu arbeiten. Klein nennt in seinem Buch keine Mitarbei- terInnen. Dies trifft allerdings auch auf Das kleine Wohnhaus (1935) von Löffler zu. Vgl. S.359, FN 204. 196 Herzenstein am 2.5.1992 im Gespräch mit Dirk Schwiedergoll, dem ich für die Kopie seiner Notizen danke. Die Präferenz der Straßen- vor der Himmelsrichtung bei der Gebäudestellung war im 11. Grundsatz des Aufbaugesetzes vom 6.9.1950 festgelegt. 197 In veränderter Fassung (1951) und mit Illu- strationen von Ingeborg Meyer-Rey bleibt es bis in die 80er Jahre ein Absatzrenner. Milchhäuschen am Weissen See, Berlin-Weissensee, 1967 Laubenganghaus, Berlin-Friedrichshain, 1947, Aufnahme 1999 Berlin plant, 1946, Blick in die Ausstellung (links die Bevölkerungsstatistiken Herzensteins) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Hildegard Hesse spätere Kube[-Hesse] (um 1925 bis 1930er Jahre) geb. 29.10.1899 Berlin - gest.1989 Berlin Studium am Bauhaus Weimar von 1921 bis 1923, evtl. an der Ittenschule Berlin 1928 bis 1930 wurde 1899 in Berlin geboren. Über ihre Herkunftsfamilie ist bisher nichts bekannt. Nach Abschluss eines Lyzeums besucht Hildegard Hesse um 1920 eine Kunstge- werbeschule, bevor sie ab 1921 am Bau- haus in Weimar studiert. Nach der Grundlehre bei Johannes Itten besucht sie die Frauenklasse, studiert da- neben bei Gertrud Grunow und Paul Klee. Sie soll am Bauhaus überwiegend Sticke- reien ausgeführt haben. Hildegard Hesse verlässt das Bauhaus 1923 und kehrt nach Berlin zurück, wo sie mit dem Bauhausstu- denten Felix Kube freiberuflich im Bereich Gebrauchsgrafik und Textilentwurf tätig ist. Ihn heiratet sie in den zwanziger Jahren. Im Bauhaus-Archiv befindet sich der Ent- wurf eines ‘Kleinst-Wochenendhauses’, der verso handschriftlich mit „1925, Hilde- gard Hesse (prämiert)“ bezeichnet ist. Der informelle Charakter des Fotos deutet dar- auf hin, dass es sich um eine private Auf- nahme handelt. Bisher ist unbekannt, wo dieser Entwurf realisiert wurde. Ebensowe- nig sind Pläne dokumentiert. Hildegard Kube-Hesse soll zwischen 1928 und 1930 an der Ittenschule in Berlin stu- diert haben. Was sie dort studierte und ob sie einen Abschluss erwarb, bleibt offen. Felix Kube ist als Kunstgewerbler um 1930 in der Joachimsthaler Straße gemeldet. Die Ehe, aus der ein Sohn hervorgeht, wird in den dreißiger Jahren geschieden. Nach der Scheidung soll Hildegard Hesse überwiegend als Restauratorin von Textili- en gearbeitet haben. Nach 1945 wird sie insbesondere als Gebrauchsgrafikerin für Berliner Museen sowie den Berliner Zoo tätig. Hildegard Hesse starb 1989 in Berlin. Quelle: Fiedler, Jeannine, 1987, S.152 Hesselbach, Lore siehe Enders, Lore Elsa Hill geb. Hempl geb. 5.10.1892 Ann Arbour/Michigan – gest. August 1973, Sterbeort unbekannt Studium am Bauhaus Dessau Herbst 1931 bis Sommer 1932 Elsa Hill gehört zu den amerikanischen Studentinnen, die Anfang der dreißiger Jahre für kurze Zeit am Bauhaus studieren. Zu ihr lassen sich jedoch kaum Angaben oder Hinweise finden. So ist über ihre Vor- bildung bisher nichts bekannt. Sie wurde 1892 in Ann Arbour als Tochter von Georg(e) Hempl und Annabelle, geb. Purmort geboren.198 Als sie sich am Bau- haus Dessau zum Herbst 1931 unter der Matr.Nr. 551 einschreibt, gibt sie als letz- ten Aufenthaltsort „Schweiz“ und eine Hei- matadresse in New City, New York an.199 Elsa Hill ist zu diesem Zeitpunkt verheira- tet.200 Nach Besuch der Grundlehre im Winter 1931/32 studiert sie im Sommerse- mester 1932 in der Bau-/Ausbauabteilung. Bisher lässt sich kein Eintrag in Protokollen oder Semesterlisten finden. Somit fehlt bisher jeder Anhaltspunkt zu ihrem Studi- um. Elsa Hill kehrt in den dreißiger Jahren in die USA zurück. 1936 arbeitet sie im Kaufhaus Macy´s am Broadway und wohnt auf der Upper West Side Manhattans. In den USA soll sie im Briefkontakt mit Walter Gropius und Lud- wig Mies van der Rohe gestanden ha- ben.201 Ob sie als Architektin tätig wird, ist unbekannt. Der weitere Lebensweg Elsa Hills ist bisher nicht erforscht. Sie starb im Sommer 1973 in den USA. Quellen: BHD, Einschreibebuch Anmeldebogen der Social Security vom 24.11.1936 Hoffmann(lederer), Mila siehe Lederer, Mila Fridel Hohmann Frieda [Natalie] Hohmann, spätere Vogel (ab 9/1946), Dipl.Ing., BDA, HTG geb. 1.6.1909 Elbing - gest. 1.3.1997 Hil- chenbach, begraben in Hilchenbach- Dalbruch Studium an den THn Stuttgart und Graz ab ca. 1928 bis 1934, an der TH Charlot- tenburg 1931 bis 1934, Diplom wurde 1909 als Tochter des Kaufmanns Gustav Rudolf Hohmann (8.12.1881 Elbing - 1945 Elbing) und seiner Frau Hedwig geb. Hirschberg (13.9.1878 Elbing - 19.6. 1947 Berlin) in Ostpreußen geboren. Frieda Natalie Hohmann, die sich ab der Studien- zeit ‘Fridel’ schreibt, ‘erbt’ ihren zweiten Vornamen von ihrer jüdischen Großmutter 358 Anhang 198 Angabe auf dem Anmeldebogen der Social Security vom 24.11.1936. Ob es sich bei dem Vater um den Philologieprofessor Ge- orge Hempl (1859-1921) handelt, läßt sich bisher nicht verifizieren. 199 BHD Einschreibbuch S.58 200 Ob sie mit Leila Hill oder Samuel Theodore Hill verwandt ist, die beide ebenfalls kurz- zeitig am Bauhaus studieren, ist bisher un- bekannt. Bei Dietzsch (1990, II, S.290) ist Leila Hill unter den Studierenden ohne ge- naue Quellen aufgeführt. (Allerdings könnte es sich hier evtl. auch um eine in der Erin- nerung vermischte Form aus Elsa Hill und Lila Ulrich handeln). Samuel Theodore Hill, der zeitgleich mit Elsa Hill am Bauhaus stu- diert, ist am 31.5.1912 in Cananox geboren und Brite. Nach dem Vorkurs im Sommer- semester 1931 belegt er Reklame und Foto. 201 Lt. Grawe taucht sowohl im Schriftwechsel Mies van der Rohes als auch auf der sog. Gropius-Liste 1964 ihr Name auf. Wochenendhaus, Ort unbekannt, 1925 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar mütterlicherseits. Sie wird protestantisch getauft und wächst mit einem Bruder in ei- ner wohlsituierten bürgerlichen Familie in Elbing auf. Der Vater verdient bereits in der zweiten Generation sein Geld in der Holz- branche und soll in Elbing mehrere Miets- häuser besessen haben. Die Mutter stu- dierte vor der Heirat Bildhauerei an der Akademie in Königsberg. Über Fridel Hohmanns Vorbildung ist we- nig bekannt, sie dürfte ihr Abitur jedoch am Realgymnasium in Elbing abgelegt ha- ben, bevor sie um 1928 das Architektur- studium an der TH Stuttgart aufnimmt. Die Unterlagen haben sich nicht erhalten und somit ist nicht ganz klar, wann sie an die TH Graz, wann an die in Berlin-Charlotten- burg wechselt. Gesichert ist, dass Fridel Hohmann im Sommer 1929 und von Feb- ruar bis Ende Oktober 1931 im Hochbau- amt Elbing Büropraktika ableistet und im Sommer 1932 für zehn Wochen im Büro von Bruno Ahrens in Berlin arbeitet.202 Hohmann studiert offensichtlich nach In- teressenlage und Angebot, weniger nach Studienordnungen. So legt sie das Vordi- plom an der TH Stuttgart erst ein halbes Jahr vor der Diplomhauptprüfung an der TH Charlottenburg ab.203 Unter der Matri- kelnummer 45987 studiert sie im Seminar Tessenow zumindest vier, evtl. sechs Se- mester. Wahrscheinlich tritt sie zum Win- tersemester 1931/32 dort ein. Sie entwirft ein Bauernhaus, ein Sanatorium und ein Hotel. Ihre Studienentwürfe sind bisher nicht dokumentiert. Ebenfalls unbekannt ist das Einfamilienhaus, das sie 1933 in El- bing realisiert haben soll. Der Entwurf, mit dem Fridel Hohmann im Sommer 1934 bei Tessenow diplomiert, ist ein Schwimmbad. Nach dem Diplom wohnt Fridel Hohmann weiterhin mit ihrem Studienfreund, dem Tessenowstudenten Karl Buttmann zusam- men. Für Walter Löffler, einen Assistenten Tessenows, zeichnet sie alle Illustrationen des 1935 erscheinenden Buches „Das klei- ne Wohnhaus“.204 Als sich der Maler Otto Niemeyer-Holstein mit seiner Frau 1935 aus dem nationalso- zialistischen Berlin nach Lüttenort auf der Insel Usedom zurückzieht, entwerfen Hoh- mann und Buttmann für das Grundstück der Niemeyers zwei kleinere Häuser. Dafür wird der dort seit 1934 als Ferienatelier ge- nutzte Berliner S-Bahn-Wagen in Selbst- hilfe überbaut und mit dem „Tabu“ - einem Atelier - und dem „Dönshaus“ (1939) zu einem unkonventionellen Ensemble er- gänzt.205 An diesem abgelegenen Ort sind Hohmann und Buttmann, aber auch Luise und Gustav Seitz des öfteren zu Gast. Anschließend wechselt Buttmann durch Vermittlung Tessenows zunächst zu Prof. Kurt Frick nach Königsberg, um 1935 als Assistent an die Handwerkerschule in Stre- litz-Alt. Ob Fridel Hohmann den für eine freiberufliche Tätigkeit nun notwendigen Antrag an die Reichskulturkammer stellt, bleibt angesichts des ‘Abstammungsnach- weises’ unklar.206 Mitte der dreißiger Jahre tritt sie in das Büro des Generalbauinspek- tors für die Reichshauptstadt ein, wo sie u.a. in der Modellbauwerkstatt tätig gewe- sen sein soll.207 Unter den Fittichen Speers entgeht sie ökonomischen Krisen. Da Hoh- mann nach eigenen Angaben auch mit größeren Planungen direkt am Fehrbelliner Platz beschäftigt war, könnte sie zeitweilig auch für die DAF tätig geworden sein.208 Die konkreten beruflichen Tätigkeiten Fri- del Hohmanns lassen sich für diesen Zeit- raum bisher nicht dokumentieren. Seit 1938 wohnt Hohmann mit dem frisch diplomierten Poelzig-Schüler Eberhard Vo- gel in der Gustorffstraße in Berlin-Charlot- tenburg zusammen.209 Er arbeitet bis Kriegsbeginn in Berliner Architekturbüros. Fridel Hohmann bleibt zumindest bis Ende 1944 in Berlin als Architektin tätig. 1945 flüchtet sie zu ihren Eltern nach Elbing. Gustav Hohmann wird bei Kriegsende er- schossen. Fridel Hohmann flieht mit ihrer Schulfreundin Eva Schieder zu Fuß nach Marienheide im Bergischen Land. Dort hat die Familie eines Stahlhelm-Kameraden von Vogel ihren Familiensitz. In der ersten Nachkriegszeit soll Hohmann mit großem Einfallsreichtum kunstgewerb- liche Gegenstände hergestellt und verkauft haben. Als Eberhard Vogel (20.5.1910 Ber- lin - 2.2.1965 Siegen) im August 1949 aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt, hei- raten sie umgehend. Anfang der fünfziger Jahre kommt ein Sohn zur Welt. In Marienheide eröffnet Eberhard Vogel mit seinem Kriegskameraden Hans Brandt ein Architekturbüro. Auch Fridel Vogel hat gro- ßes Interesse an einem Neubeginn als frei- berufliche Architektin. Ihre Versuche, in die Sozietät einzutreten, scheitern. Anlässlich von Wettbewerbsteilnahmen wird sie aber temporär bei Brandt & Vogel geduldet. Das Büro baut in den fünfziger Jahren etliche Schulen im Bergischen Land, die als gewonnene Wettbewerbe begannen. Biografien 359 202 Hochbauamt Elbing 26.8.-22.10.1929: „Hil- fe bei der inneren Einrichtung der Jahn- schule” (Bescheinigung vom 21.10.1929) und nochmals vom 2.2.-31.10.1931: „Ent- wurfszeichnungen, Detailzeichnungen, Mö- bel etc.” (Bescheinigung vom 29.10.1931). 15.8.-31.10.1932 bei Bruno Ahrens in Ber- lin: ländlicher Siedlungsbau, Vollbauernstel- len u.a.; Kleinhausbau: Einfamilienhäuser „von 5-12.000Mk.“ Bescheinigung Ahrens vom 16.12.1932, NL Vogel 203 Das Zeugnis des Stuttgarter Vordiploms Fridel Hohmanns datiert vom 20.2.1934. 204 Hinweis von Karl Buttmann am 14.11.1997. Hohmann wird in diesem Buch als Mitarbei- terin nicht erwähnt. 205 Die Überbauung des nach Lüttenort ver- brachten S-Bahn-Wagens beschreiben Karl Buttmann und Annelise Niemeyer-Holstein in: Roscher, 1989, S.25ff. 206 Hohmann soll von der Nachricht, daß ihre Großmutter ‘Nicht-Arierin’ war, überrascht worden sein. Ein Antrag an die RKK lässt sich nicht nachweisen. 207 Über ihre Tätigkeit beim GBI am Pariser Platz sind bisher keine schriftlichen Quellen zu finden. Von ihrer Tätigkeit im Modellsaal erzählte sie Hella Giesler. 208 Auch hierüber hat sich Vogel gegenüber Giesler geäußert. Zu den Planungen am Fehrbelliner Platz vgl. Schäche, Wolfgang: Architektur und Städtebau in Berlin zwis- chen 1933 und 1945, Berlin, 1992 (2.Aufl.), S.246 ff., zum Verwaltungsgebäude der DAF (1941-43) - dem heutigen Rathaus Wil- mersdorf - S.274 ff. Außerdem Weihsmann, Helmut: Bauen unterm Hakenkreuz, Wien, 1998, S.287. Weihsmann datiert das von Firle und Richter entworfene Gebäude auf 1935/36. 209 Vogel hatte sein Architekturstudi-um bereits zum Wintersemester 1929/30 an der TH Charlottenburg begonnen und nach Unter- brechungen 1937 bei Poelzig diplomiert. Seit dem Erlass der Nürnberger Rassege- setze 1935 war ein Zusammenleben Hoh- manns mit dem Stahlhelmmitglied Vo-gel sicherlich nicht opportun, eine Heirat aus- geschlossen. „Dönshaus”, Lüttenort, 1934, Fridel Hohmann und Karl Buttmann Schule in Gummersbach, vor 1953 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bei zunehmenden gesundheitlichen Pro- blemen von Eberhard Vogel wird die So- zietät 1961 aufgelöst. Albrecht von Stosch - ebenfalls Kriegskamerad von Vogel - bie- tet Fridel Vogel eine neue Perspektive im Siegerland. Sie zieht 1962 mit ihrer Familie nach Hil- chenbach und beginnt unter ihrem Namen ein eigenes Büro als freiberufliche Archi- tektin. Zunächst nimmt sie für die von Stosch´schen Betriebe mehrere Um- und Erweiterungsbauten vor, realisiert in Dom- melstadt am Inn das Haus Simon und in Isny die Villa Nuber. Es folgt der Erweite- rungsbau der Volksschule Helberhausen und der Umbau mehrerer privater Wohn- häuser. Als Eberhard Vogel 1965 stirbt, hat Fridel Vogel als selbständige Architektin beruflich Fuß gefasst. Noch in den sechziger Jahren baut sie u.a. das „Haus Plaas” in Siegen und das „Haus Jüngst” in Dillenburg. Zu- sammen mit dem Kollegen Peter Knaack beteiligt sie sich den Wettbewerben wie für den nordrhein-westfälischen Landtag in Düsseldorf und den Hauptsitz der Provinzi- al-Versicherung. Beim Wettbewerb „Amts- realschule Eichener Seite“ gewinnt sie 1967 den 2. Preis. Im selben Jahr realisiert sie als Direktauftrag die Friedhofshalle Ha- dem-Helberhausen. Anfang der siebziger Jahre entstehen weitere Einfamilienhäuser und eine kleine Siedlung am Hang in Allen- bach. Daneben beteiligt sie sich weiterhin an Wettbewerben. Sie wird Mitglied der Heinrich-Tessenow-Gesellschaft, des BDA und der CDU. Fridel Vogels Interesse richtet sich auf alle Gestaltungsaufgaben vom Städtebau bis zur Inneneinrichtung und sie ergreift häufig die Initiative, entwirft auch ohne Auftrag bspw. ein Rathaus und eine Feuerwehr für Hilchenbach. 1977 kann sie das Rathaus realisieren.210 Im Gegenzug erwirbt sie die zuvor als Rathaus genutzte „Villa Hütten- hain”, die sie 1978 für Wohn- und Büro- zwecke umbaut.211 In Hilchenbach entste- hen nach ihren Entwürfen Ende der Sieb- ziger außerdem zwei Geschäfts- und Wohnhäuser.212 Als neuen Sitz von Stadt- bibliothek und Stadtmuseum baut sie die denkmalgeschützte „Wilhelmsburg” um. Anfang der achtziger Jahre entstehen die beiden letzten Einfamilienhausneubauten in Hadem und Burbach-Rünte. Für eine Freundin plant Fridel Vogel noch in den neunziger Jahren den Umbau eines Bauernhofes. Sie ist Zeit ihres Lebens von sportlichen Autos fasziniert und kulturell vielseitig interessiert. Fridel Vogel starb im Frühjahr 1997 in Hilchenbach. Für biografische Informationen und Hin- weise zu Bauten und Projekten danke ich Hella Gieseler, Peter Knaack, Friederike Profeld, Matthias Vogel, Sabine Schmidt, Albrecht von Stosch, Rolf Schmidt, Karl Buttmann und Her- bert Osenberg Quellen: HTA/Karteikarte Hohmann, Friedel Löffler, Walter: Das kleine Wohnhaus, Stuttgart, 1935, Illustrationen und tech- nische Zeichnungen von Fridel Hoh- mann HTA / Briefe Vogel 1958, 1967 - Karl Buttmann: Nachruf auf Otto Niemeyer- Holstein, 1984 LL für Eberhard Vogel, aufgestellt von Fridel Vogel am 30.5.1973, NL Vogel efa: „Jeder Architekt hat seine ganz ei- gene Handschrift“, Siegener Zeitung 11.7.1980, Bl.3, S.1 Roscher, Achim (Hg.): Lüttenort. Das Bilder-Leben und Bild-Erleben des Ma- lers Otto Niemeyer-Holstein, Berlin, 1989 360 Anhang 210 In Arbeitsgemeinschaft mit dem Büro Weist, Krämer, Andrick 211 Die Villa Hüttenhain wurde 1895 für den Hilchenbacher Lederfabrikanten Richard Hüttenhain erbaut. Information von Stadt- archivar Gämlich am 20.4.1998. 212 Es handelt sich dabei um das Textilhaus Patt in der Unterzeche und die Ginsburg- Apotheke in der Bruchstraße. Fridel Vogel 1976 in ihrem Wohnzimmer (ehem. Villa Hüttenhain) Rathaus Hilchenbach, 1977, im Vordergrund Fridel Vogel Haus Müller, Allenbach, 1972 Haus Jüngst, Dillenburg, 1962 Textilhaus Patt, Unterzeche, Hilchenbach, 1973 Friedhofshalle Hadem-Helberhausen, 1967 Schulerweiterung Helberhausen, 1963 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Wera Itting spätere Gaebler (vor 1948) geb. 16.12.1909 Saalfeld - gest. Novem- ber 1965 New York City, N.Y., begraben in Saalfeld Studium am Bauhaus Dessau und Berlin 1930 bis 1933, an der Ittenschule Berlin 1933 wurde 1909 als zweites Kind des Ingeni- eurs und Unternehmers Franz Itting (geb. 1875) und seiner Frau Selma geb. Wiesner geboren. 213 Im thüringischen Probstzella betreibt der Vater die „Itting-Werke“. Wera Itting besucht dort zunächst die Volks- u. Mittelschule, danach die freie Schulge- meinde Wickersdorf. Hier unterrichtet ab 1926 u.a. Ludwig Hirschfeld-Mack. Trotz der künstlerischen Förderung scheint für Wera Itting die klassische Ausbildung hei- ratsfähiger Tochter vorprogrammiert: “1 jahr schottland u. england zur vervollstän- digung der Sprachkenntnisse, koch- u und haushaltungsschule“ ist unter „Vorbildung“ im Prüfungsprotokoll in Dessau vermerkt. Offensichtlich will Wera Itting jedoch mehr als heiraten. Ihr zwei Jahre älterer Bruder Gotthard (18.11.1907 Saalfeld - 17.9. 1983 Ludwigstadt) studierte zwischen 1926 und 1928 am Bauhaus, wechselte dann an die Ittenschule nach Berlin. Seine Bekannt- schaft mit Alfred Arndt hatte dazu geführt, dass dieser für Franz Itting verschiedene Bauaufträge realisieren konnte und sich 1927 in Probstzella niederließ. Wera Itting kannte also zumindest Hirschfeld-Mack und die Arndts. Sie dürfte sich bereits vor ihrem Weggang nach England für die Bau- aktivitäten ihres Vaters interessiert haben. Im Herbst 1927 wird der von ihrem Vater beauftragte Hotelbau, das „Haus des Vol- kes“ eingeweiht.214 Aus England zurückgekehrt schreibt sich Wera Itting unter der Matr.Nr.463 am 12.4. 1930 am Bauhaus Dessau ein, wo Alfred Arndt inzwischen die Ausbau-Werkstatt lei- tet. Nach der Grundlehre hospitiert sie zu- nächst in der Weberei, besucht kurzzeitig die Metallwerkstatt, dann die Bau/Ausbau- abteilung. Laut Semesterprüfungsliste vom Juli 1931 muss sie das 2.Semester wieder- holen. Im September 1931 wird sie jedoch - gleichzeitig mit Anny Wettengel und Mat- ty Wiener - in ihrem dritten Semester in das 3.Semester Bau/Ausbau aufgenom- men, „der seinerzeitige beschluss auf ab- solvierung eines werkstattsemesters wird aufgehoben“.215 Am Ende des folgenden Wintersemesters hat sie ihre Studienarbeit noch nicht abge- schlossen. Die von ihr beantragte „Ver- schiebung der Ausstellung“ wird im März 1932 nicht genehmigt. Wera Itting stellt aus und studiert weiterhin Bau/Ausbau. Auf der Konferenz am 11.1.1933 berichtet Hilberseimer von einer Unterredung mit Wera Itting. Die Konferenz kommt zu dem Schluss „Wenn ihre arbeiten sich nicht än- dern, soll sie nicht am bauhaus behalten werden. man soll sie dies aber rechtzeitig wissen (..) lassen“. Auf der Semesterliste vom 29.3.1933 ist Itting als Studierende der Bau-/Ausbauabteilung im 4.Semester gelistet. Sie studiert also offenbar bis zur Schließung des Bauhauses in Berlin, geht dann an die Ittenschule. Über ihr Studium dort ist bisher nichts be- kannt. Ernst Neufert ist seit 1930 Leiter der dortigen Bauabteilung. Die Studierenden arbeiten im Bauatelier auch an praktischen Bauaufgaben mit. Wera Itting studiert dort de facto nicht länger als ein Semester und dürfte damit in dieser Zeit keine formale Qualifikation als Architektin erworben ha- ben. Zum 1.September 1933 tritt sie in das Büro Luckhardt ein, wo sie 13 Monate ar- beitet. Nach fünf Semestern Architekturstudium und einem Jahr Mitarbeit bei den Luck- hardts gibt Wera Itting die Architektur an- scheinend auf. Was sie in den folgenden Jahren tut, ist bisher unklar, ein Aufnahme- antrag für die Reichskulturkammer nicht nachweisbar. Um 1945 lebt sie in Berlin. 1948 zieht sie - inzwischen verheiratet - mit Mann und Sohn nach New York, wo sie für ein Schweizer Unternehmen als Chefsekretärin arbeitet. Sie starb 1965 im Alter von 55 Jahren in New York. Für biografische Hinweise danke ich Sigrid Itting Quellen: BHD, NL Engemann, Protokolle der Bei- ratssitzungen 9.12.30, 3.2.31, 30.9.31, 16.3.32, 11.1.33, Semesterprüfungsliste SS 31 v.6.7.31, Semesterliste WS 32/33 v.29.3.33 Tagebücher Alfred Arndt, in: Hahn, Pet- er / Christian Wolsdorff (Hg.): Der Bau- hausmeister Alfred Arndt, 1999 Ruth Josefek spätere Henschel (ab ca.1935) geb. 9.6.1904 Gleiwitz/Oberschlesien - gest. 3.2.1982 Hirrweiler/Löwenstein, begraben in Hirrweiler Studium am Bauhaus Dessau und Berlin 1930 bis 33, an der Textilfachschule Langenbielau 1933 bis 1934, Abschluss wurde 1904 als Tochter eines Architekten im oberschlesischen Gleiwitz geboren. Dort wächst sie zusammen mit einem jün- geren Bruder auf und besucht nach der Mittelschule ein Mädchenlyzeum, wo sie um 1922 das Abitur ablegt. Sie besucht anschließend eine Frauenschule, arbeitet dann vier Jahre im väterlichen Architektur- büro mit. Nach einer Ausbildung als Gym- nastikerin arbeitet sie Ende der zwanziger Jahre in Coburg zwei Jahre lang als „Gym- nastikerin“. Als sie sich zum Wintersemester 1930/31 unter der Matr.Nr. 452 am Bauhaus in Dessau einschreibt, ist sie bereits 26 Jahre alt. Sie besucht neben der Grundlehre die Webereiwerkstatt, wo sie bei Gunta Stölzl studiert. Zum Sommersemester 1931 wechselt sie in die Bau/Ausbauwerkstatt, belegt daneben Kurse bei Kandinsky und Klee. Sie wird offiziell auch als Schülerin der Freien Malklasse genannt. Ihr späterer Mann Erich Henschel (22.4.1907 Görlitz - Oktober 1984 Hirrweiler) studiert zeitgleich am Bauhaus, besucht nach der Grundlehre die Reklamewerkstatt. Auch für Ruth Josefek ist zum Winterse- mester 1931/32 ein Wechsel in die Rekla- mewerkstatt vermerkt, sie besucht aber weiterhin auch die Freien Malklasse. Und sie studiert auch weiterhin in der Baulehre, denn im November 1931 stellt sie als An- gehörige der Baulehre einen Antrag auf Befreiung vom Unterricht Rudelt.216 Josefeks Ausflug in die Architektur scheint - trotz der Vorbildung im väterlichen Büro - nicht ermutigend gewesen zu sein. Ihr Rückzug aus der Bau/Ausbauwerkstatt könnte allerdings auch dem Wegfall der familiären Unterstützung geschuldet sein, denn ihr Interesse an der Architektur lässt just zu dem Zeitpunkt nach, als ihr jünge- rer Bruder an der TH Stuttgart sein Archi- tekturstudium aufnimmt. Nach seinen Aus- Biografien 361 213 Lt. Mitteilung der Social Security vom 5.5.1998 214 Vgl. hierzu auch Wolsdorff, Christian: Der Bauhausmeister Alfred Arndt, Berlin, 1999, S.9 215 BHD, NL Engemann, Beiratssitzung 30.9. 1931, Bl.2, Pkt 6 216 BHD, NL Engemann, Beiratssitzung 4.11. 1931 Bl.2, Pkt.11: „stundenplan josefek. grundsätzlich sollen angehörige der bauleh- re nicht vom unterricht rudelt befreit wer- den. mit rücksicht auf ihr bisheriges studi- um und ihre bestimmten ziele wird auf vor- schlag von engemann im falle josefek eine ausnahme gemacht.“ - Der Antrag ist nicht erhalten, die ‘bestimmten Ziele’ bleiben da- mit unbekannt. sagen sei damit klar geworden, dass das väterliche Büro in Gleiwitz einmal von ihm übernommen werde.217 Ruth Josefek kehrt nach zwei Semestern in die Webereiwerkstatt zurück, studiert noch ein Semester bei Lilly Reich. Im Win- tersemester 1932/33 hat sie Schwierigkei- ten, das Schulgeld zu bezahlen.218 Im Un- terschied zu Henschel, der nach dreijähri- gem Studium an der Kunstakademie Kö- nigsberg zeitgleich sein Studium am Bau- haus begann und es im Frühjahr 1933 mit einem Bauhaus-Diplom in Reklame ver- lässt219, erhält Josefek nach fünfsemestri- gem Studium bei Schließung des Bau-hau- ses keinerlei Zeugnis. Sie besucht an- schließend die Textilfachschule in Langen- bielau, absolviert dort 1934 die Gesellen- prüfung. Sie wird nicht in der Architektur tätig. Erich Henschel arbeitet bis 1935 als freier Werbegrafiker in Würzburg. Ab 1935 bis Kriegsende leben Ruth und Erich Hen- schel in Königsberg. 1945 gehen die dorti- ge Werkstatt und alle Arbeiten verloren. 1946 kehrt Erich Henschel aus der Kriegs- gefangenschaft zurück. 1947 finden sie in Hirrweiler - zwischen Schwäbisch Hall und Heilbronn - eine neue Bleibe. Dort leben beide als freie Künstler. Ruth Henschel er- hält Aufträge für Bildteppiche und kann ih- re Arbeiten verschiedentlich an Sammlun- gen und Museen verkaufen. In den siebzi- ger Jahren wendet sie sich verstärkt der freien Grafik zu. 1970 stellt sie ihre Arbei- ten im Kunstverein Heilbronn, 1980 in der Stadtbücherei Heilbronn aus. Ruth Henschel starb 1982 in Hirrweiler. Für biografische Informationen danke ich Johannes Josefek Quellen: BHD, NL Engemann, Semester-Prü- fungsliste SS 31 v. 6.7.1931: Bl.6; Bei- ratssitzung 4.11.1931, Bl.2, Semester- prüfungsliste SS 1931 v. 6.7.1931, II.se- mester, Bl.6; Aktennotiz an Engemann v. 19.11.1931; Beiratssitzung 11.1.1933, Bl.2; Protokoll Beiratssitzung v. 25.1. 1933, Bl.1 „js“: Das „private Bauhaus“ in Löwen- stein. Zum Tode der Künstlerin Ruth Henschel, undat., Februar 1982 BHD / Nossek, Petra: Ruth und Erich Henschel in Heilbronn, undat. (ca. 12/1980), Besprechung der Ausstellung in der Stadtbücherei Heilbronn Fiedler, Jeannine, Kurzbiografien, 1987, S.152 Telefonat mit Johannes Josefek am 25.11.199 Irina Kaatz spätere Zuschneid, Dipl.Ing., HTG geb. 18.6.1911 Jaroslawl, Wolga - gest. 22.9.1986 Lenggries, begraben auf dem russ.orthodoxen Friedhof in Berlin-Tegel Studium an der TH Charlottenburg ab ca. 1930 bis 1936, Diplom wurde als Tochter deutschrussischer El- tern im Sommer 1911 in Jaroslawl an der Wolga geboren. Über ihr protestantisches Elternhaus und ihre Schulbildung ist bisher wenig bekannt. Die Familie verlässt Ruß- land um 1919, Irina Kaatz wächst am Eich- werder in Eberswalde auf. Wahrscheinlich schreibt sie sich zum Win- tersemester 1930/31 unter der Matrikel- nummer 43344 an der TH Charlottenburg ein220. Dort absolviert sie das Vordiplom wahrscheinlich nach vier Semestern im Sommer 1932. Zum Wintersemester 1932 tritt sie ins Seminar Tessenow ein, entwirft das „kleine Wohnhaus“ und wird „begei- sterte Tessenowschülerin“. Wahrscheinlich um 1934 bearbeitet sie die Aufgabe „Havelrestaurant“. Gert Gross- mann-Hensel beschreibt die Kommilitonin rückblickend: „Ich glaube, sie war begabt für den von ihr gewählten Beruf des Archi- tekten. Kreativ, intelligent, fleißig und ziels- trebig bewältigte sie Studium und Exami- na selbstverständlich und glänzend.“ 221 Über das Studium von Irina Kaatz sind kaum Informationen dokumentiert. Weder Studienarbeiten, noch Monatsaufgaben oder Thema und Bewertung der Diplom- hauptprüfung, die sie im Februar 1936 bei Tessenow absolviert, sind bisher bekannt. Während ihres Studiums wohnt Irina Kaatz zunächst in Tempelhof, dann in der Schlü- terstraße in Charlottenburg. Um 1934 soll das schöne Atelier in TH-Nähe, das Kaatz mit Hohmann teilt, ein beliebter Treffpunkt von Kommilitonen und Assistenten gewe- sen sein. Insgesamt scheint Irina Kaatz elf Semester immatrikuliert gewesen zu sein. Wo und wie lange sie als Praktikantin vo- lontiert, bleibt unklar. Auch über ihren Berufseinstieg ist kaum etwas bekannt. Karl-Hermann Zehm erin- nert sich: „Ihren Beruf hat sie nur in jungen Jahren und (..) späterhin nur sporadisch ausgeübt: so war sie im Kriege in der Bau- abteilung des Luftfahrtministeriums und später (..) in der Mark Brandenburg an der Planung von landwirtschaftlichen Bauten beteiligt.“ 222 Irina Kaatz heiratet, wann ist bisher unklar, den Arzt Wilhelm Zuschneid. Sie bringt fünf Kinder zur Welt und widmet sich anschließend ihrer Familie, zu der auch ihre Mutter gehört. Die Wohnung im Westend - von Irina Zuschneid eingerichtet - soll deutlich Einflüsse Tessenows gezeigt haben. Auch das Familiengrab auf dem russisch-orthodoxen Friedhof in Berlin-Te- gel entstand nach ihrem Entwurf. Irina Zuschneid interessiert sich sehr für alte russische Kultur, pflegt die Sprache, ist Mitglied der russisch-orthodoxen Kir- che. 1970 wird sie Mitglied der Heinrich- Tessenow-Gesellschaft, wo sie auch im Vorstand aktiv ist. Sie unternimmt zahlrei- che Reisen und starb bei einem Unfall 1986 im oberbayrischen Lenggries. Quellen: HTA, Karteikarte Irina Kaatz HTG/Gert Grossmann-Hensel und Karl- Hermann Zehm: Irina Zuschneid zum Gedächtnis, HTG-Rundbrief, 1986 Karlsson, Leonie siehe Pilewski, Leonie 362 Anhang Ruth Henschel, 1980 217 Information von Johannes Josefek 218 Protokoll Beiratssitzung vom 25.1.33 Bl.1 Pkt. 3: „schulgeld josefek ist trotz wieder- holter mahnungen und stellung einer letzten frist nicht eingegangen. es wird ihr teilnah- me am unterricht untersagt und klage an- gedroht.“ 219 Lt. Liste BHAB Diplom Erich Henschel am 1.4.1933. Er hatte neben der Grundlehre in der Tischlerei studiert, war ebenfalls zum Wintersemester 1931/32 in die Bau/Aus- bauwerkstatt eingetreten, hatte jedoch,- nach Zeichen- und Graphikstudium in Kö- nigsberg - in seinem dritten Semester am Bauhaus, in der Reklamewerkstatt gleich- zeitig zwei Semester absolviert. 220 Lt. Eintrag in Tessenows StudentInnen-kar- tei ist das Sommersemester 1933 ihr 6. Studiensemester. 221 Grossmann-Hensel, Gert: Irina Zuschneid zum Gedächtnis, 1986, HTG-Rundbrief, S.9 222 Zehm, Karl-Hermann: Irina Zuschneid zum Gedächtnis, 1986, HTG-Rundbrief, S.10 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Helga Karselt Helga [Marie Elisabeth] Karselt, spätere Schuster (ab 1936), Dipl.Ing. geb. 28.2.1906 Berlin - gest. 9.1.1981 Krefeld Studium an der TH Charlottenburg 1925 bis 1930, Diplom wurde 1906 in Berlin geboren und wächst mit zwei Geschwistern in der Schönhauser Allee auf. Die Mutter ist Hausfrau, der Va- ter Rektor der 174.Gemeindeschule.223 Helga Karselt besucht die staatliche Elisa- bethschule in Berlin, wo sie 1925 das Rei- fezeugnis erwirbt. In der protestantischen Familie Karselt wird die Mathematik hoch geschätzt, die Schwester promoviert als Mathematikerin, der Bruder studiert Jura und Philosophie, er fällt im letzten Kriegs- jahr. Bereits in der Schulzeit lernt Helga Karselt ihren späteren Mann kennen. Emil Schu- ster stammt aus einer Architektenfamilie und nimmt zeitgleich sein Studium an der TH Charlottenburg auf. Helga Karselt soll sich sehr für Archäologie interssiert haben. Direkt im Anschluss an das Abitur immatri- kuliert sie sich jedoch an der TH Charlot- tenburg am 16.4.1925 für Architektur. In den ersten Semesterferien leistet sie das geforderte dreimonatige Baupraktikum auf einer Baustelle der Philipp Holzmann AG in Britz ab, im Sommer 1927 folgt das erste Büropraktikum bei Ed.Jobst Siedler.224 Am 12.Mai 1928 besteht Helga Karselt nach sechs Semestern das Vordiplom. Sie ar- beitet im Sommer desselben Jahres im Büro von Arthur Schragenheim. Er bestä- tigt ihr guten künstlerischen Geschmack und Zuverlässigkeit bei den ihr übertrage- nen Entwürfen für Ladenumbauten und der Entwurfsgestaltung kleinerer Bauten.225 Karselt dürfte ab Herbst 1928 - zeitgleich mit Hanna Blank, Iwanka Waltschanowa und Lieselotte von Bonin - das Seminar Tessenow besucht haben. Entwürfe aus der Studienzeit sind nicht mehr vorhanden. Im Juli 1930 besteht Helga Karselt nach insgesamt elf Semestern das Diplom bei Tessenow. Zehn Tage später tritt sie eine Stelle als Hilfsassistentin am Lehrstuhl für Bauge- schichte bei Professor Daniel Krencker an. In dieser Zeit wohnt sie zur Untermiete in der Meineckestraße in Charlottenburg. Während dieser Assistentenzeit entwirft sie für ihre Freundin Asta Hampe und deren Schwester ein Ferienhaus in Kampen auf Sylt sowie ein Studentinnenwohnheim.226 1934 veröffentlicht die Deutsche Bauzei- tung zwei Projekte unter dem Namen „Emil Schuster, Baugestalter, BDA, Berlin-Dah- lem“, die thematisch wie formal deutlich Tessenowsche Einflüsse zeigen. Inwieweit diese Entwürfe in Teamarbeit entstanden, ist bisher nicht nachgewiesen. Im Unter- schied zu seiner späteren Frau ist der Bau- gestalter Emil Schuster zu diesem Zeit- punkt noch Student bei Poelzig. Karselt kündigt zum 1.April 1935 die Stelle als Hilfsassistentin, um - so der Professor im Zeugnis - „als Architektin einen sie be- friedigerenden Beruf zu finden“. Krencker sieht seine Hilfsassistentin ungern schei- den, war sie ihm doch beim „In-Ordnung- Halten der Lehrstuhlsammlungen zur Hand (..), leitete auch die umfangreiche Lichtbild- sammlung, bediente während der Vorle- sungen in der ganzen Zeit den Lichtbild- apparat, half gelegentlich auch bei der Verwaltung der Bibliothek, sie erledigte schriftliche und zeichnerische Arbeiten, widmete sich der Buch- und Kassenfüh- rung, half mit bei der Vorbereitung von Ausstellungen und Studienreisen und gab vor allem den Studenten Auskunft über alle das Fach und Studium angehenden Ange- legenheiten. Sie beherrscht die Stenogra- phie und die Schreibmaschine.“ 227 Helga Karselts Ambitionen am Lehrstuhl beschränken sich jedoch keineswegs auf die aufgeführten Tätigkeiten: Sie betreut Entwurfsprojekte und strebte wahrschein- lich eine akademische Laufbahn an.228 Da Krencker ihr offensichtlich lieber „stets in dankbarer Anerkennung gedenken“ als ei- ne ordentliche Assistenz anbieten möch- te, gibt sie ihre akademischen Ambitionen nach fast fünf Jahren auf. 1936 heiratet Helga Karselt den zwischen- zeitlich bei Poelzig diplomierten Jugend- freund Emil Schuster und bezieht mit ihm ein Haus in Dahlem.229 Die in dieser Zeit gemeinsam entwickelten Projekte sind bis- her nicht recherchiert. 1937 kommt das er- ste Kind zur Welt, zwei Jahre später Zwil- linge und 1940 die jüngste Tochter. Wegen der Bombenangriffe auf Berlin zieht Helga Schuster mit den Kindern mehrfach auf’s Land, der Familiensitz bleibt bis Kriegsen- de in Berlin. Nach dem Krieg zieht Helga Schuster mit ihren Kindern nach Krefeld, Emil Schuster gründet ein Büro in Düsseldorf. Aus dieser Zeit lässt sich keine gemeinsame Planung mehr nachweisen. Emil Schuster soll seine Frau ohnehin lieber im Haus als im Büro gesehen haben. Helga Schuster sucht sich Gestaltungsbereiche am Rande des Gel- tungsbereichs ihres Mannes. Sie entwirft Möbel und soll im weiteren Familienkreis selbständig Umbauten und Einfamilienhäu- ser realisiert haben, darunter ein Haus in Neckargemünd. Sie arbeitet an einem Le- xikon der Baugeschichte und schreibt Kurzgeschichten. In den sechziger Jahren wird die Ehe geschieden, Helga Schuster zieht in die Nähe ihrer Kinder nach Karlsru- he um. Sie starb 1981 im Alter von 75 Jah- ren in Krefeld. Für biografische Informationen danke ich Dorette Martin, Klaus Karselt und Prof. Asta Hampe Quellen: HTA, Karteikarte Helga Karselt; HTG, Briefe Zeugnisse und Praktikumsbescheini- gungen im NL Schuster Deutsche Bauzeitung, 1934. H.4, vom 24.1.1934, S.72-77; sowie 1934, H.36 vom 5.9.1934, S.709-710 Sylter Archiv, Abrissprotokoll Hooge- kamp 15, Kampen Biografien 363 Haus Hampe, Kampen, 1932 223 LAB, Einwohnerverzeichnisse Berlin 1906 resp. 1931 224 Lt. Zeugnis vom 30.10.1926: August bis Oktober 1926 als Praktikantin bei der Phi- lipp Holzmann AG, u.a. Hochbaustelle in Britz - Zeugnis vom 1.10.1927 Ed. Jobst Siedler: 1.8.-1.10.1927 „Ausarbeitung von Wohnungsprojekten (..) Bearbeitung von Ausführungszeichnungen.“ NL Schuster 225 Arthur Schragenheim bescheinigt Karselt mit Zeugnis vom 16.10.1928 (für den Zeit- raum 2.9.-31.10.1928), daß sie „Entwürfe für Ladenausbauten, Umbauten in Land- häusern und Entwurfgestaltung kleinerer Bauten (..) mit gutem künstlerischem Ge- schmack und Verständnis sicher und zuver- lässig zu meiner Zufriedenheit erledigt“ ha- be. NL Schuster - Zur Biographie Schra- genheims vgl. Warhaftig, 1996, S.288f. 226 Das Haus wurde unter der Bauleitung eines Kontaktarchitekten realisiert und 1996 ab- gerissen. Ich danke Prof. Asta Hampe für den Hinweis auf dieses Haus, sowie Frau Hegenberger für die Recherchen im Syltar- chiv sowie die Abrißdokumentation. 227 Zeugnis Daniel Krencker für Helga Karselt vom 31.3.1935, NL Schuster 228 Wie sich bspw. anhand des 1932 in der Zeitschrift Frau und Gegenwart publizierten Entwurfes für ein Studentinnenwohnheim belegen lässt (Frau und Gegenwart, 1931 / 32, H.6, März 1932, S.159) - Dieser Entwurf wurde von ihr gemeinsam mit Studentinnen entwickelt. Nach Erinnerung ihrer Tochter hatte Helga Karselt seit dem Studium auch baugeschichtlich forschende Ambitionen. 229 Bastianstr. 6, heute Kamillenstraße Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Hilde Katz Hildegard Katz, spätere Coccia (ab 1936) geb. 12.2.1909 Berlin - Daten nach 1969 unbekannt Musikstudium bis 1930, Studium an der Ittenschule Berlin 1930 bis 1932, am Bauhaus Berlin 1932 bis 1933 wurde am 12.2.1909 in Berlin als Tochter des Justizrats Leo Katz (26.11.1870 Zabr- ze/Hindenburg - 4.11.1944 Montevideo) und seiner Frau Magda Katz geb. Fried- man (geb. 17.3.1882 Wien) geboren. Hilde- gard Katz hat eine ältere sowie eine Zwil- lingsschwester. Die jüdische Familie wohnt im großbürgerlichen Tiergartenviertel, in dem sich um die Jahrhundertwende auch viele Intellektuelle niederlassen. Das Haus Katz in der Tiergartenstraße 2 liegt direkt neben dem Haus der Familie Goldschmidt- Rothschild, in das 1931 der Verein der Berliner Künstler einzieht.230 Der Vater hat als Anwalt und Notar seinen Geschäftssitz in der Leipziger Straße. Er ist auch als Gesellschafter der „Tiergarten- viertel Bau-Aktiengesellschaft“ aktiv. Mag- da Katz besitzt gemeinsam mit der Mutter von Walter Gropius ein Grundstück. Ob es nähere Beziehungen zwischen den Famili- en gibt, ist bisher unbekannt. Hilde Katz besucht zehn Jahre ein Lyzeum, schließt mit dem Reifezeugnis ab und studiert zu- nächst Musik, bevor sie um 1930 an der It- tenschule in Berlin das Architekturstudium aufnimmt. Die dortige Bauabteilung wird von Ernst Neufert geleitet, bis 1932 unter- richtet Fred Forbat „Wohnungsbau und Städtewesen“. Zum Wintersemester 1932/33 wechselt sie an die Bauabteilung des Bauhauses (Matr. Nr.612), das ihr auch persönlich schon län- ger bekannt ist: Im Februar 1929 nahm sie am metallischen Fest teil. Angesichts der vier Semester an der Ittenschule wird sie ins vierte Semester Architektur aufge-nom- men.231 Von Hilde Katz sind bisher weder Studienarbeiten noch Themen und Aufga- benstellungen aus ihrer Zeit an der Itten- schule oder während ihrer kurzen Zeit am Bauhaus bekannt. Katz dürfte dort bei Mies van der Rohe und Reich studiert ha- ben. Bisher ist unklar, wielange sie am Bauhaus bleibt und ob sie ihr Studium an einer anderen Hochschule abschließen kann. 1933 soll sie nach Paris übergesie- delt sein, um bei Le Corbusier zu arbei- ten.232 Ihre Eltern ziehen 1933 aus der Tiergarten- straße in die Taubertstraße in Grunewald. Leo Katz ist seit 18.3. 1933 vom Berufs- verbot für Justiziare betroffen. 1937 ziehen Magda und Leo Katz nach Garmisch. Dort werden sie nach der Reichsprogromnacht ausgewiesen. Zurück in Berlin werden sie genötigt, das prominent gelegene Haus in der Tiergartenstraße zu verkaufen. Im De- zember 1938 wird das Oberkommando des Heeres neuer Eigentümer. Die Eltern sind 1939 als Untermieter bei Dr. phil. Os- car Friedeberg Unter den Linden gemeldet. Als letzte Station in Berlin lässt sich eine Untermietadresse in Wilmersdorf nachwei- sen, bevor Magda und Leo Katz mit ihrer ältesten Tochter im Sommer 1941 nach Uruguay emigrieren.233 Hilde Katz überlebt den Holocaust in Itali- en. Seit 1936 mit dem Bildhauer Frances- co Coccia (24.1.1902 Palestrina - 1981 Schweiz) verheiratet, lebt sie nun - wie auch ihre Zwillingsschwester - in Rom. Als Bauplastiker stattet Francesco Coccia bei der Weltausstellung in New York den italie- nischen Pavillon aus. Anfang der vierziger Jahre wird er Professor für Architekturpla- stik an der Universität in Rom, ab 1945 zum Direktor der „Quadriennale“ ernannt. Zahlreiche Plastiken im öffentlichen Raum, darunter die „Märtyrer“ an der Fosse Adre- atine in Rom und die Statuen vor der Kir- che St. Peter und Paul in Rom EUR ent- stehen unter dem Namen Coccias. Ob Hilde Coccia als Architektin beruflich tätig wird, ist bisher nicht bekannt. Ende der sechziger Jahre zieht sie mit ihrem Mann aus Rom in die Schweiz. Quellen: BHD - NL Engemann, Einschreibebuch, Semesterliste WS 32/33 v. 29.3.1933 Who is who in Italy, Rom, 1958 Keßler, Hans: Brief an seine Mutter vom 20.1.1933 über einen Besuch im Hause Katz, in: Hahn / Wolsdorff, 1985, S.171 Schreiben Marcello Melmeluzzi vom 24.9.1998 Kleffner-Dirxen, Christa siehe Dirxen, Christa Elfriede Knoblauch geb. Dümmler geb. 16.3.1902 Rheydt - gest. 8.11.1937 St. Blasien Studium an der Hochschule für Musik Berlin ca. 1922 bis 1924, Hospitantin am Bauhaus Berlin 1932 Elfriede Knoblauch zählt zu den Hospitan- tinnen am Bauhaus, über deren Elternhaus bisher nichts bekannt ist. In Rheydt gebo- ren, wächst sie zumindest zeitweilig dort auch auf. Als sie sich, bereits 30jährig, im Herbst 1932 unter der Matrikelnummer 632 am Bauhaus Berlin einschreibt, hat sie ein Ly- zeum und ein Jahr lang eine Frauenschule besucht, Musik studiert und Anfang 1928 den drei Jahre älteren Hans Georg Knob- lauch (1899 Berlin - 1982 Hinterzarten) geheiratet. Dieser ist ein Spross der Berli- ner Architektenfamilie Knoblauch.234 Und auch er trägt sich mit dem Gedanken Ar- chitekt zu werden. In den zwanziger Jah- ren studierte er jedoch elf Semester Bauin- genieurwesen an der TH Charlottenburg. Elfriede Dümmler hat seit ihrer Jugend im- mer wieder gesundheitliche Probleme. Sie studiert Anfang der zwanziger Jahre Kla- vier in Berlin. Sie wohnt unweit der Musik- hochschule im Studentinnenwohnheim „Ottilie-von-Hansemann-Haus”. In dieser Zeit lernt sie ihren späteren Mann kennen. Im Sommer 1924 muss sie das Studium aus gesundheitlichen Gründen abbrechen. 364 Anhang 230 Zum Haus der Familie von Goldschmidt- Rothschild siehe Bauhaus-Archiv Berlin / Landesbildstelle Berlin (Hg.): Berliner Le- benswelten der zwanziger Jahre, Bilder einer untergegangenen Kultur, photogra- phiert von Marta Huth, Frankfurt, 1996, S.62-67. - In einem Brief an seine Mutter beschreibt der Kommilitone Hans Keßler einen Besuch im Hause Katz am 18.1.1933. Auszüge aus Briefen Hans Keßlers in Hahn (Hg.): Bauhaus Berlin, 1985, S.171 ff. 231 Semesterliste WS 32/33 vom 29.3.1933 „bau/ausbau 4. semester: katz, hilde, 1909, deutsch: 10j. lyceum, reifezeugnis, musik- studien. 4 sem. arch.studium bei prof. Itten, 1.-3. sem. erlassen, 1 sem. bau/ausbau.“ 232 Lt. Angaben Hans Bellmann 1965 - BHA 233 Das Emigrationsdatum ist der 25.9.1941. In Montevideo soll Leo Katz - bereits über 70- jährig - an der Universität gearbeitet haben. Magda Katz kehrt in den 50er Jahren nach Deutschland zurück. 234 Sein Arnold Knoblauch (1879-1963) wird 1924 Vorstandsvorsitzender der Gagfah. Seine Cousine Gertrud Droste (geb. 1898), hatte bis Sommer 1922 am Bauhaus Wei- mar studiert. Vgl. Kap.4, S.61, FN 37. Zur Architektenfamilie Knoblauch vgl. Boss- mann, Annette / Teltow, Andreas: Drei Ar- chitekten in Berlin, Berlin, 1993, zu Arnold Knoblauch S.38ff. Hilde Katz beim metallischen Fest, 1929 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Anlässlich eines Kuraufenthaltes in Davos besichtigt sie im Januar 1927 die Ausstel- lung „Kirchner 10 Jahre in Davos“ und be- richtet darüber begeistert ihrem Verlobten nach Freiburg. Sie besucht Erna und Ernst Ludwig Kirchner in Frauenkirch und freun- det sich mit ihnen an. Nach der Heirat 1928 ziehen Elfriede und Hans-Georg Knoblauch nach Altglashüt- ten, wo er sich um Bauaufträge bemüht. Ernst Ludwig Kirchner, der zum Kreis der Freunde des Bauhauses gehört, versucht ihn im Januar 1929 für das Bauhaus zu ge- winnen. Er schickt die aktuelle Ausgabe der Bauhauszeitschrift und ermuntert ihn im Juli 1929 erneut: „Es wäre herrlich, wenn Du und Elfriede ans Bauhaus ginget. Du als Architekt, Elfriede als Weberin.“ 235 Hans-Georg Knoblauch möchte jedoch weder seine Eltern um die Finanzierung eines Zweitstudiums bitten noch „die Füh- lung mit all den Baulustigen“ verlieren. Im Januar 1930 verbindet er eine Fahrt nach Berlin mit einem Abstecher nach Dessau, „wo er sich im Bauhaus umschauen und einmal Rat holen will.“ 236 Elfriede Knob- lauch kämpft mit einer TBC, im Sommer 1930 wird sie in Todtmoos operiert. Ihm gelingt es, Wohnhäuser für private Bauherren zu realisieren. Bereits 1931 kön- nen Elfriede und Hans-Georg Knoblauch das erste eigene Haus in Hinterzarten be- ziehen. Im Frühjahr 1932 schreibt er sich am Bauhaus Dessau ein. Zum Herbst 1932 immatrikuliert sich hier auch Elfriede Knob- lauch (Matr.Nr. 616), die „zweimal zwei monate am wintersemester teilnehmen“ möchte.237 Sie wird in der Bauabteilung als Hospitantin zugelassen, belegt auch die Freie Malklasse, gegenständliches Zeich- nen und ‘Farbe’ bei Hinnerk Scheper. Stu- dienarbeiten Elfriede Knoblauchs aus ihrer Zeit am Bauhaus Berlin sind bisher unbe- kannt. Knoblauchs wohnen nun auch in der Flensburger Str. 5 in Berlin-Moabit. Im Frühjahr 1933 halten sie sich wieder in Hinterzarten auf. Von der Schließung des Bauhauses erfahren sie im April 1933 per Brief des Kommilitonen Fritz Schreiber. Elfriede Knoblauch wird im Frühsommer 1933 in Freiburg erneut operiert. Wieder bei Kräften möchte sie die berufliche Eta- blierung ihres Mannes im Schwarzwald un- terstützen. Sie fotografiert die Bauten und Projekte, um sie zu publizieren. Und ihre Experimente in der Dunkelkammer gelin- gen: 1938 meldet die Baugilde, dass „Ar- chitekt Hansgeorg und Elfriede Knoblauch, Berlin und Hinterzarten“ beim Wettbewerb der Zeitschrift „die neue linie“ mit „Lichtbil- dern und Plänen von Eigenheimen“ den 2. Preis gewonnen haben.238 Elfriede Knoblauch erlebt diesen Erfolg je- doch nicht mehr. Sie stirbt Anfang Novem- ber 1937 in St.Blasien. Hans-Georg Knob- lauch wird mit Kriegsbeginn im Industrie- bau tätig.239 Quellen: Dietzsch, Folke: Die Studierenden am Bauhaus, Weimar, 1990 Knoblauch, Gertrud / Kornfeld, Eugen W. (Hg.): Ernst Ludwig Kirchner. Brief- wechsel mit einem jungen Ehepaar 1927-1937, Bern, 1989 BHD -NL Engemann Beiratssitzung 13.1.33, Bl.1 Pkt.10, semesterliste ws 32/33, konferenz 29.3.33, Getty, 870570-5, Briefe von Fritz Schreiber an Hansgeorg und Elfriede Knoblauch vom 14.4.1933, 8.6.1933, 30.7.1933, 30.9.1933 Elfriede Knott geb. 20.11.1900 Koeslin - Daten nach 1921 unbekannt Studium am Bauhaus Weimar 1919 bis 1921 Elfriede Knott gehört zu den Studierenden am Bauhaus ohne genaue Angaben. 1900 in Koeslin geboren, besucht sie ab Grün- dung das Bauhaus in Weimar, wo sie sich offenbar auch für Architektur interessiert. Sie gehört zu den Studierenden, deren Ge- meinschaftsarbeit bei der Ausstellung von Schülerarbeiten im Juni 1919 ausgezeich- net wird.240 Am 14.7.1919 meldet sie sich wie 20 andere Studierende - darunter Mar- garete Bittkow, Alexandra Gutzeit und To- ny Simon-Wolfskehl - für den an der Bau- gewerkeschule von Paul Klopfer angebote- nen Architekturkurs an.241 Ab dem Winter- semester 1920 besucht sie die Werkstatt für Wandmalerei. Nach einem Jahr in der Wandmalerei und bei Lyonel Feininger tritt auch Knott mit Gründung der Frauenklasse in die Webereiwerkstatt ein. Es ist bisher nicht bekannt, unter welchen Umständen sie diesen Wechsel vornahm.242 Offenbar entspricht das Studium der We- berei nicht ihren Erwartungen. Nach nur einem Semester in der Werkstatt verlässt Elfriede Knott die Weberei und das Bau- haus. Ob sie anschließend eine Möglich- keit findet, Architektur zu studieren ist ebenso unbekannt wie ihr weiterer Lebensweg. Quellen: Dietzsch, Folke: Die Studierenden am Bauhaus, Weimar, 1990 Winkler, Klaus: Die Architektur am Bau- haus Weimar, Berlin, 1992, S. 25 FN 48 Margarete Knüppelholz-Roe- ser geb. Roeser243, spätere Repsold (ab 1931), DWB geb. 7.11.1886 Magdeburg - gest. 28.2. 1949 Dießen am Ammersee Studium an Kunst- und Kunstgewerbe- schulen in Magdeburg, Stuttgart und Breslau wurde 1886 als Tochter des Gymnasialleh- rers Friedrich Carl Roeser and Fanny Marie Emma Antonie Roeser in Magdeburg ge- boren. Nach Besuch der Kunstgewerbe- schule Magdeburg, der kunstgewerblichen Lehr- u. Versuchswerkstätte Stuttgart und der Kunstschule Breslau heiratet sie im Frühjahr 1913 in Magdeburg den ehemali- gen Kommilitonen Erich Knüppelholz (1886 Magdeburg - 1959 Berlin). Als der Wettbewerb zum „Haus der Frau“ in Vorbereitung der Werkbundausstellung in Köln ausgeschrieben wird, reicht Marga- rete Knüppelholz einen Entwurf ein. Dieser wird mit dem 1.Preis ausgezeichnet und 1914 unter örtlicher Bauleitung realisiert. Sie tritt im Zusammenhang mit dem Ent- wurf wie mit der Werkbundausstellung als Architektin nicht öffentlich in Erscheinung. Das Ehepaar Knüppelholz wohnt in Berlin- Friedenau, wo unter seinem Namen ein Ar- chitekturbüro eingetragen ist. Erich Knüp- pelholz, von dem bisher keine weiteren Ar- beiten bekannt sind, unterrichtet an der Reimannschule. 1918 kommt ein Sohn, in den zwanziger Jahren eine Tochter zur Welt. Die Ehe wird 1927 geschieden, Mar- garete Knüppelholz nimmt ihren Mädchen- namen Roeser wieder an. Im Mitgliederver- Biografien 365 235 Brief vom 14.7.1929, Knoblauch, 1989, S.87 236 Brief Elfriede Knoblauch an E.L. Kirchner, Januar 1930, Knoblauch, 1989, S.99 237 BHD, NL Engemann, Beiratssitzung 13.1. 33, Bl.1 Pkt.10 238 Baugilde, 20.Jg., 1938, H.26, S.905 239 Vgl. Nerdinger, Winfried: Bauhaus-Architek- ten im Dritten Reich, 1993, S.170 240 Arbeitsgemeinschaft Determann, Rasch, Toni von Haken-Nelissen und L. Schreiber. Winkler, 1992, S.27 241 Ibid, S. 25, FN 48 242 Im Bestand Bauhaus des Thüringischen Hauptstaatsarchivs existiert für sie keine Schülerinnenakte. 243 Zu Margarete Knüppelholz-Roeser siehe insbesondere Stratigakos, 1999 Haus der Frau, Köln, 1914, Margarete Knüppelholz-Roeser Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar zeichnis des Deutschen Werkbundes wird sie noch 1928 als Architektin geführt. Zeit- gleich taucht ihr Name im Berliner Telefon- buch mit dem Zusatz „Heilgymnastin” auf. 1931 heiratet Margarete Roeser den Ra- dierer Wilhelm Karl Adolf Repsold (1888- 1951).244 Mit ihm zieht sie noch in den dreißiger Jahren an den Ammersee. Als Architektin wird Margarete Repsold nach bisherigem Stand der Recherche nicht mehr tätig. Sie starb 62jährig 1949 in Dießen am Ammersee. Für Angaben zum familiären Back- ground sowie zum Studium Margarete Knüppelholz-Roesers danke ich Despi- na Stratigakos. Quellen: Werkbundausstellung Cöln, Katalog, 1914 Stadtarchiv Köln, Best.34 Nr.1722/ A 12 Abt. IV, Unterabt.19 Nr.23 Schümann, C.W.: Das Haus der Frau, in: Kölnischer Kunstverein und Wulf Herzogenrath, Dirk Teuber und Angelika Thiekötter (Hg.): Der westdeutsche Im- puls, Kunst und Umweltgestaltung im Industriegebiet, Die deutsche Werk- bundausstellung Köln, Köln, 1984, S.233-241 Thea Koch Theodora Koch, Dipl.Ing., Regie- rungsbaumeisterin geb.16.9.1903 Schneidemühl - gest. 30.9.1990 Lüneburg245, begraben in Lü- neburg Studium an der TH München 1924 bis 1926, an der TH Charlottenburg 1926 bis 1930, Diplom wurde als Tochter des Architekten Franz Koch 1903 in Schneidemühl geboren. Der Name ihrer Mutter und die familiären Ver- hältnisse sind bisher weitgehend unbe- kannt. Theodora Koch wächst in einer ka- tholischen Familie und eventuell in Frank- furt/Oder auf.246 Sie dürfte das Abitur im Frühjahr 1924 erworben haben. Am 7.5.1924 immatrikuliert sich Thea Koch an der TH München für Architektur, zwei Jahre später legt sie dort die Diplomvor- prüfung ab.247 Zum November 1926 wechselt sie an die TH Charlottenburg. Ab dem Sommerseme- ster 1929 studiert sie im Seminar Tesse- now - zeitgleich mit Lieselotte von Bonin, Gisela Eisenberg und Hanna Blank. Thea Koch entwirft ein Kurhaus’ und absolviert das Diplom bei Tessenow im Sommer 1930. Ob es sich bei diesem Entwurf um ihre Diplomarbeit handelt, bleibt unklar. Ih- re Studienarbeiten sind unbekannt. Thea Koch bewirbt sich anschließend für die Regierungsbaumeisterlaufbahn. Sie ist die einzige Tessenowstudentin, die diese Ausbildung absolviert. Wo sie die Jahre dieser Ausbildungszeit verbringt, ist bisher unbekannt. 1934 wendet sich das Ober- prüfungsamt Berlin an die TH München mit der Bitte um Bestätigung der Studienzeiten Kochs.248 Dies ist ein deutliches Indiz da- für, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt zur abschließenden Regierungsbaumeister- prüfung anmeldet. Ob Thea Koch, die ledig bleibt, anschließend eine Stelle im öffentli- chen Dienst antreten kann, bleibt unklar. Bei Ende des Krieges flieht sie aus dem Dorf Rüthnick, nordwestlich von Oranien- burg nach Lüneburg. Sie hat ihre Diplom- unterlagen verloren und wendet sich als ‘Regierungsbaumeisterin a.D.’ erneut an Ämter und Kollegen. In Lüneburg tritt sie nicht als freie Architektin in Erscheinung. Auch im öffentlichen Dienst ist sie in Lüne- burg weder beim örtlichen Bauamt noch beim Staatshochbauamt tätig.249 Da sie in den fünfziger Jahren eine Zweitwohnung in Bonn, ab 1966 eine ebensolche in Berlin anmeldet, liegt die Vermutung nahe, dass Thea Koch nach dem Krieg für ein über- regionales Unternehmen tätig wurde. Thea Koch starb 1990 in Lüneburg. Quellen: HTA, Karteikarte Thea Koch HTG, Briefe Archiv der TU München, Immatrikula- tionsunterlagen Theodora Koch, ich danke Herrn Bachmann Mitteilungen des Stadtarchivs sowie des Einwohnermeldeamtes Lüneburg O.W. Dresslers Handbuch der lebenden deutschen Künstler, Berlin, 1930 Koch-Otte, Benita siehe Otte, Benita Koppelman, Lila siehe Ulrich, Lila Hildegard Korte Hildegard [Berta Maria] Korte, spätere Oswald (ab 1946), Dr.Ing. geb. 13.2.1913 Berlin - lebt in Portland, Oregon Studium an der Universität Berlin 1932, an der TH Charlottenburg 1932 bis 1938, Diplom, an der TH Braunschweig 1940 bis 1942, Dr.Ing. wurde 1913 als einziges Kind von Hedwig Emilie Emma Korte geb. Dorenburg und Franz Hermann Korte in Berlin-Wilmersdorf geboren. Der Vater ist Baumeister und be- treibt mit einem Kollegen ein Büro in Wil- mersdorf. Hildegard Korte besteht Ostern 1932 das Abitur an der Viktoria-Luisen- Schule, einem Oberlyzeum mit realgymna- sialem Zweig. Da die Eltern ein Architekturstudium nicht befürworten, studiert sie zunächst an der Berliner Universität ein Semester Mathe- matik und Kunstgeschichte, aber auch Französisch, Altfranzösisch, Spanisch so- wie romanische Literaturgeschichte. Zum Wintersemester 1932/33 schreibt sie sich unter der Matr.Nr. 46183 an der TH Charlottenburg für Architektur ein. Ihr Lieb- lingsfach wird und bleibt die Baugeschich- te. Im Kreis um Prof. Daniel Krencker fin- det sie die meisten ihrer Studienfreundin- nen und -freunde, darunter auch die Rü- ster-Schülerin Erika von Beerfelde. Ostern 1935 besteht Hildegard Korte das Vordi- plom, zum Sommersemester tritt sie ins Seminar Tessenow ein. Ihre Praktika leistet sie bei der Allgemeinen Häuserbau AG ab, 366 Anhang 244 Steglitz Nr. 688/1931, lt. Schreiben von Frau Lobrecht vom 30.9.1998 245 Mitteilung des Einwohnermeldeamtes Lü- neburg vom 12.8.1997 246 In Dresslers Künstlerhandbuch findet sich 1930 ein Oberbaurat Franz Koch in Frank- furt/Oder. 247 Diplomvorprüfung am 4.8.1926, Archiv der TU München, Schreiben vom 18.11.1997 mit Dank an Herrn Bachmann. 248 Anfrage des Technischen Oberprüfungsam- tes Berlin an die TH München, 1934. Im Ar- chiv der TU München befindet sich außer- dem die Anfrage Koch’s aus dem Jahre 1952 „wg. kriegsbedingt verlorener Unter- lagen“. 249 So die abschlägigen Antworten auf ent- sprechende Anfragen. Schreiben der Stadt Lüneburg vom 12.8. 1997, Schreiben der Bezirksregierung Lüneburg vom 25.8.1997, sowie Mitteilung von Dr. Reinhardt, Stadtar- chiv Lüneburg vom 2.12.1997. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar wo sie - insgesamt länger als ein Jahr - hauptsächlich beim Bau der Bürgerhaus- Siedlung Klein-Machnow, aber auch in der Finanzabteilung tätig ist. In den ersten beiden Semestern bei Tesse- now entwirft sie ein ‘kleines Wohnhaus’ und einen ‘Bauernhof’, es folgt im Frühjahr 1936 der Entwurf eines ‘Postamtes’, im Winter eine „Dorfkirche mit Schule“. Im Sommersemester 1937 entsteht nochmals eine Dorfschule bevor Korte im Herbst 1937 mit einer „Landwirtschaftlichen Frau- enschule“ bei Tessenow ihr Diplomthema bearbeitet. Sie schließt ihr Studium im Fe- bruar 1938 mit „gut“ ab. Hildegard Korte möchte Südamerika berei- sen, vielleicht dorthin auswandern. Da ihre Mutter wünscht, dass die Tochter promo- viert, bleibt sie zunächst immatrikuliert und führt Voruntersuchungen für eine bauge- schichtliche Promotion durch. Ab August 1938 kann sie als Architektin im Büro von Prof. Büning in der Hardenbergstraße ar- beiten. Wilhelm Büning ist mit einem Neu- bau für die Argentinische Botschaft beauf- tragt. Für eben diese Auslandsvertretung jobbte Korte schon zu Studienzeiten als Übersetzerin. Sie nutzt nun die Möglich- keit, ihre verschiedenen Fähigkeiten zu kombinieren. Als sich 1939 die ersehnte Chance bietet, nach Argentinien zu reisen, besucht sie die Auftraggeber, wird bei der Architekten- kammer empfangen und unternimmt eine ausgedehnte Reise durch das Land. Da ihr Vater schwer erkrankt, kehrt sie vorzeitig nach Berlin zurück. Der Vater stirbt am Tag des Überfalls auf Polen, Hildegard Korte erhält den „Gestellungsbefehl für den er- sten Mobilmachungstag“. Sie will aber un- bedingt in Berlin bleiben und sucht eine kriegswichtige Anstellung. Der Neubau der argentinischen Botschaft wird nicht reali- siert. Im Romanischen Café macht ihr der Architekt Kurt Krause ein Angebot zur Mit- arbeit, das Korte nicht unbedingt seriös er- scheint. Deshalb ‘schleust’ sie zunächst ihren Studienfreund Anselm Förster dort als Mitarbeiter ein. Sie selbst nimmt noch 1939 im Büro Krause die Arbeit an Indu- strie- und Luftschutzbauten auf.250 Auch wenn dies ist nicht unbedingt ein von ihr favorisierter Planungsbereich ist, durch den kriegsbedingten Forschungsbedarf er- öffnet sich ihr hier auch eine Gelegenheit zur Promotion. Am 7. Februar 1942 pro- moviert Hildegard Korte an der TH Braun- schweig zum Dr.Ing. mit der Arbeit „Ge- staltung bombensicherer Luftschutzräume nach Gesichtspunkten der Wirtschaftlich- keit“ bei den Professoren Herzig und Ger- stenberg. Die Arbeit unterliegt der Geheim- haltung.251 Bereits ein Jahr vor Abschluss der Disser- tation nimmt Korte das Angebot Professor Krenckers an, als dessen Assistentin zu arbeiten. Dieser verfasst im Direktauftrag Speers baugeschichtlich ‘fundamentale’ Arbeiten und lässt die nun relevanten Re- ferenzobjekte in Kupfer stechen.252 Korte wird in ihrer neuen Funktion im August 1941 zur Schriftleiterin im Arbeitsstab „Wiederaufbauplanung zerstörter Städte“ im „Reichsministerium Speer“ ernannt. Als Daniel Krencker 1942 verstirbt, wird ihr auch die Aufsicht über das Kupferstichate- lier übertragen. 1943 wird Dr. Hildegard Korte ständige Vertreterin des Haupt- schriftleiters der Baukunst Dr. Rudolf Wol- ters. In der „Deutschen Kunst, Teil B Bau- kunst“ erscheinen zwei Artikel unter ihrem Namen.253 1943 vertritt sie in Barcelona den Ausstellungskommissar, führt durch die Ausstellung „Neue deutsche Bau- kunst“.254 Daneben arbeitet sie als Archi- tektin im Stab zur Wiederaufbauplanung mit. Wolters unterschreibt im März 1945 ihr Arbeitszeugnis. Bei Kriegsende wird Hildegard Korte in Berlin ausgebombt. Sie läuft zu Fuß nach Wiesbaden und heiratet dort 1946 den Schriftsteller und Fotografen Dr. Josef Os- wald (1901-1977). Mit ihm gemeinsam gibt sie den Band „Bretagne“ heraus, über- wacht die Drucklegung der „Illustrierten Zeitung“. Sie bringt zwei Kinder zur Welt und erwägt erneut nach Südamerika auszuwandern - aus „Angst vor einem neuen Weltkrieg”. Die Wahl fällt schließlich auf die USA. Da zu Beginn der fünfziger Jahre eine Einreise dort jedoch kaum möglich ist, siedelt Fa- milie Owald 1951 ins kanadische Vancou- ver über. Aber auch dort herrscht kein Ar- chitektenmangel. Dr. Hildegard Oswald arbeitet als „elevator operator“ und als Sekretärin in einem Exportbüro. Nach der Teilnahme an einem Stahlbeton-Kurs fin- det sie eine Anstellung als Bauzeichnerin. 1956 gelingt die Immigration in die USA, Oswalds ziehen nach Portland in Oregon. Hildegard Oswald bewirbt sich bei Archi- tektur- und Ingenieurbüros, entscheidet sich für die Mitarbeit im Ingenieurbüro Cooper & Rose. Dort arbeitet sie in den folgenden zehn Jahren an der Statik für zahlreiche wichtige Hochbauten Portlands. 1959 kann sie ihr erstes Haus nach eige- nem Entwurf für die eigene Familie in Port- land bauen. 1966 wechselt sie in die Brückenbauabtei- lung des staatlichen „Forest Service“. Dort entwirft und berechnet sie für die Forst- wirtschaft Brücken in Stahlbeton, Stahl und Holz. Außerdem ist sie für die Inspek- tion und Lastenbewertung bestehender Brücken zuständig. In den siebziger Jahren entwickelt sie Computerprogramme zur Unterstützung dieser Berechnungen. Diese Arbeit liegt ihr, auch wenn sie es sich nicht nehmen lässt, 1976 das zweite Haus für den eigenen Bedarf wieder selbst zu pla- nen. In diesem Haus lebt Dr. Hildegard Os- wald heute. Quellen: HTA, Karteikarte Hildegard Korte Interview mit Dr. Hildegard Oswald am 14.10.1997 Pläne und Urkunden aus Privatbesitz, mit besonderem Dank an Dr. Hildegard Oswald Kreher, Ella siehe Rogler, Ella Kube, Hildegard siehe Hesse, Hildegard Küster, Klara siehe Brobecker, Klara Biografien 367 250 Lt. Zeugnis vom 25.10.1941 bearbeitete Korte bei Karl Krause neben den „bomben- sicheren Luftschutzbauwerken“ insbeson- dere „sämtliche Detailpläne“ eines Braun- schweiger Hochschulinstituts sowie Trafo- stationen der Mitteldeutschen Spinnhütte GmbH. 251 Eckhoff vermutet, daß Hildegard Korte ab dem Wintertrimester 1940 für Bauingenieur- wesen an der TH Braunschweig immatriku- liert war. Vgl. Eckhoff, 1993, S.67 252 Prof. Daniel Krencker war 1939 an der TH entlassen worden, da er sich dort gegen das Tragen von Uniformen eingesetzt hatte. Sein ehemaliger Schüler Albert Speer berief ihn anschließend - quasi als Kustos deut- scher Baugeschichte - in seine Dienste. 253 Darunter „Spanische Burgen“, in: Die Kunst im Deutschen Reich, Ausgabe B, Baukunst, 7.Jg., Folge 6, Juni 1943, S.113-120 254 Lt. Zeugnis vom 15.3.1945 „Haus OswaldI I. Portland, 1959 „Haus Oswald II”, Portland, 1976 Dr. Hildegard Oswald, 1997 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Edeltraut Lätzsch geb. 5.10.1915 (Geburtsort unbekannt) - Daten nach 1937 unbekannt Studium an der TH Charlottenburg 1937 Studierende bei Heinrich Tessenow ohne genaue Angaben. Edeltraut Lätzsch stammt aus dem Vogt- land und studiert im Sommersemester 1937 wahrscheinlich als Gaststudentin im Seminar Tessenow. Zu diesem Zeitpunkt hat sie noch kein Vordiplom, jedoch be- reits zweieinhalb Jahre in einem Architek- turbüro gearbeitet. Als Entwurfsaufgabe bearbeitet auch sie das Thema Siedler- haus. Sie tritt noch 1937 aus dem Seminar aus. Ob sie nur den Professor oder die Hochschule wechselte, ist ebenso unbe- kannt wie ihr weiteres Schaffen. Quelle: HTA, Karteikarte Edeltraut Lätzsch Lange, Annemarie siehe Wimmer, Annemarie Langen, Helene siehe Stahl-Langen, Leni Lasnitzki, Tony siehe Simon-Wolfskehl, Tony Mila Lederer spätere Hoffmann-Lederer (ab 1926), Künstlerinnenname ab Mit- te der 1950er Jahre Mila Bouvet geb. 23.7.1902 Trier - gest. 19.3.1993 Murrhardt bei Stuttgart Studium an der KGS Trier 1919 bis 1922, am Bauhaus Weimar 1923 bis 1924, am Bauhaus Dessau 1926 wurde 1902 in Trier als Tochter eines In- nenarchitekten geboren. Nach Abschluss des Lyzeums besucht sie sechs Semester die Kunstgewerbeschule Trier, um Raum- gestalterin zu werden. Nach verschiedenen Studienreisen durch Deutschland wird sie zum Sommerseme- ster 1923 in Weimar am Bauhaus aufge- nommen, wo sie bei Itten, Klee, Kandins- ky, Moholy und Muche studiert. Sie absol- viert eine Ausbildung in Gobelin- und Tep- pichweberei und lernt den Maler Hanns Hoffmann kennen. Dieser studiert bereits seit 1919 an der ‘Naturschule’ von Wal- ther Klemm. Als Mila Lederer nach drei Semestern am Bauhaus Ende 1924 von Johannes Itten als Leiterin seiner Handweberei nach Zü- rich-Herrliberg berufen wird, folgt Hanns Hoffmann und weilt zu Studienzwecken in dieser Handweberei. Arbeiten dieser Werk- statt werden 1925 auf der Internationalen Weltausstellung in Paris ausgestellt und mit einer goldenen Medaille prämiert. 1926 heiraten Mila Lederer und Hanns Hoffmann (3.2.1899 Jena - 17.4.1970 Es- seratsweiler). Sie kehren kurzzeitig ans Bauhaus - nun in Dessau - zurück, wech- seln noch im selben Jahr durch Vermitt- lung von Oskar Schlemmer an das Hoch- bau- und Messeamt der Stadt Magdeburg. Dort wird Mila Hoffmann künstlerische Mit- arbeiterin, ihr Mann leitender künstlerischer Mitarbeiter. In Magdeburg war unter Bruno Taut das „farbige Bauen” forciert wor- den.255 Nach Taut´s Rücktritt ist seit 1924 Johannes Göderitz Leiter des Hochbauam- tes. Hoffmann(lederer)s entwerfen Farbge- staltungen für die in diesen Jahren entste- henden Repräsentationsbauten der Stadt, darunter die Stadthalle. 1929 siedeln sie nach Berlin über, wo Hanns Hoffmann künstlerischer Mitarbeiter des Messe- und Ausstellungsamtes der Stadt Berlin wird. Sie gründen ein gemein- sames Atelier und übernehmen verschie- dene Werbegestaltungsaufträge. Im Herbst 1930 beteiligt sich Mila Hoffmann-Lederer als Mitglied im Verband freier Werbege- stalter mit Werbedrucksachen an der Aus- stellung „Die gestaltende Frau“ bei Wert- heim.256 Hoffmann(lederer)s leben ab 1931 zeitwei- lig in Berlin und in Kip(p)sdorf im Erzgebir- ge, wo sie einen Bergwerksstollen erwer- ben. Er unternimmt dort auch geologische Forschungen, sie widmet sich der freien künstlerischen und schriftstellerischen Tä- tigkeit. Hanns Hoffmann ist Bildhauer und Maler, erhält jedoch überwiegend Aufträge als Grafiker, die teilweise gemeinsam be- arbeitet werden. Darunter befinden sich die Plakatgestaltungen für die „Berliner Funkausstellung” 1930, die Ausstellung „Licht, Luft und Sonne für alle” sowie die Bauausstellung 1932. Daneben unterrich- tet er an der Ittenschule in Berlin. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten bearbeiten sie überwiegend naturwissen- schaftliche Darstellungen. Hoffmann wird 1939 Soldat. Mila Hoffmann-Lederer zieht 1942 nach Posen, da sie an der Kunstge- werbeschule einen Lehrauftrag für Gobe- lin- und Teppichweberei erhält. Er unter- richtet ab 1943 in der dortigen Grafikab- teilung. Im Januar 1945 fliehen sie nach Jena, wo ihre Eltern leben. Im Herbst 1945 wird er an die Staatliche Hochschule für Baukunst und bildende Künste in Weimar berufen, wo sich beide für eine Kunsthochschule „aus dem Geiste unserer neuen Zeit“ in der Tradition des Bauhauses einsetzen. Er wird Leiter der Vorlehre, sie beteiligt sich mit eigenen Arbeiten an Ausstellungen. Für öffentliche Anlässe gestaltet sie Innende- korationen, zeichnet für die Ausmalung verschiedener Räume des Kultusministeri- ums verantwortlich, ist Pressereferentin des thüringischen Landeskulturamtes für Kunst und Architektur. Neben der Ausstel- lung „Ein Jahr demokratische Schule“ ge- staltet sie die Thüringische Buchhandlung am Goetheplatz durch ein eigenwilliges Farbkonzept um und betätigt sich mehr- fach schriftstellerisch. Dabei unterschreibt sie mit „Hoffmannlederer“. Als Hanns Hoffmann 1950 einen Ruf an die TH Darmstadt erhält, ziehen sie nach 368 Anhang 255 1921 war Bruno Taut zum Stadtbaurat ge- wählt worden, Anfang 1924 jedoch zurück- getreten. Der „Aufruf zum farbigen Bauen“ wurde 1919 publiziert. 256 Lt. Katalog der Ausstellung „Die gestalten- de Frau“ 1930 bei Wertheim stellt sie unter Nr.246 nicht näher bezeichnete „Werbe- drucksachen“ aus. Die Kritik von „H.K.“ in der Abendausgabe der Deutschen Tages- zeitung Berlin vom 17.10.1930 vermerkt da- zu: „In Werbedrucksachen zeigen Marga Garnich und Mila Hoffmann-Lederer guten Geschmack.“ Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Darmstadt um. Erneut arbeitet Mila Hoff- mann-Lederer als Raumgestalterin und Schriftstellerin. 1951 „baut“ sie den Saal der Christengemeinschaft im Herdweg durch ein Farbkonzept um. Sie schreibt ein lyrisches Spiel und gibt einen Lyrikband heraus. Als aktives Mitglied der Akademie für Sprache und Dichtung hält sie Vorträ- ge, privat erteilt sie Kunstunterricht. Sie wird freie künstlerische Mitarbeiterin der Wella AG sowie der Porzellanfabriken Thomas und Rosenthal, für die sie 1954 auf den Messen in Mailand und Leipzig vertreten ist. Sie beteiligt sich aber auch weiterhin an den Aufträgen ihres Mannes, darunter der Entwicklung der HL-Lampen, mit denen sie auf der Triennale in Mailand 1954 eine goldene Medaille gewinnen. Die- se aus frei verformtem Plexiglas bestehen- de Serie von Lampenschirmen entspricht eher freien Skulpturen als beleuchtungs- technisch konstruierten Reflektoren und besticht dennoch gerade durch die erzielte Lichtwirkung. HL-Lampen, Hoffmann-Lederer, 1954 Ende der fünfziger Jahre konzipieren beide den Neubau eines eigenen Hauses als eine Art Begegnungsstätte. Die „Begegnungs- stätte Akron“ wird ab 1959 nach harmoni- kalen Grundsätzen in Esseratsweiler in der Nähe von Lindau am Bodensee gebaut. Ab Beginn der sechziger Jahre organisiert Mila Lederer nun Seminare, erteilt privat neben künstlerischem auch schriftstelleri- schen Unterricht. Ihr Mann scheidet aus gesundheitlichen Gründen 1963 an der TH Darmstadt aus. Beide siedeln nach Esse- ratsweiler über. Er stirbt 1970. Mila Hoff- mann-Lederer führt das Haus Akron bis 1989 weiter, dann zieht sie in die Nähe von Stuttgart, wo sie im März 1993 verstarb. Quellen: BHD, Dokumente Hoffmann, Hoffmann- Lederer, darunter Artikel von Mila Hoff- mannlederer, vgl. unten BHAB, Dokumente Hoffmann, Hoff- mann-Lederer Darmstädter Echo, 20.3.1951 Kaupert, Werner: „Eine ideale Lebens- und Schaffensgemeinschaft“ in: Lindau- er Zeitung 7.9.1974 Tagebücher Alfred Arndt, in: Bauhaus- archiv Berlin (Hg.) Der Bauhausmeister Alfred Arndt, 1999 eigene Schriften: Hoffmann-Lederer, Mila: „Wettbewerb für das Kunsthandwerk“, undat., zwi- schen 1945-50, BHAB diess.: „Kunst dem Volke?“, undat., diess.: „Bauhaus und neue Kunsthoch- schule“, undat., um 1946, bHAB diess.: Die neue Erde, Darmstadt, 1954 diess.(unter Pseudonym) Mila Bouvet: Der Entstellte. Ein lyrisches Spiel in 14 Bildern und einem Vorspiel, Zürich, 1957 diess.: Aus dem Fioretti des Franz von Assisi, St.Gallen, 1958 Margaret Leiteritz [Camilla] Margaret[e] (Mark) Leite- ritz geb. 19.4.1907 Dresden - gest. 1976 Karlsruhe Studium am Bauhaus Dessau 1928 bis 1931, Diplom wurde 1907 in Dresden als Tochter des Kunstmalers P. Woldemar Leiteritz gebo- ren. Der Vater stirbt 1915, Margarete Lei- teritz absolviert nach der Schule eine bib- liothekarische Ausbildung in Dresden. Als sie sich im Frühjahr 1928 am Bauhaus Dessau unter Matr.Nr. 254 einschreibt, hat sie bereits als Bibliothekarin gearbeitet. Zum 12.4.1928 wird sie vorläufig, nach der Grundlehre zum Wintersemester 1928/29 in die Wandmalerei aufgenommen. Dane- ben belegt sie Ausbau. Studienarbeiten aus dieser Zeit sind nicht bekannt. Bereits am Ende des 2.Semesters Ausbau wird sie - ab Juli 1929 - beurlaubt. Offiziell in Freier Malerei am Bauhaus eingeschrieben leistet Leiteritz im Wintersemester 1929/30 am Staatstheater Kassel ein Außensemester ab. Sie bleibt bis Juni 1930 beurlaubt. Auf offiziellen Listen wird sie in diesem Som- mersemester 1930 als Studentin im Aus- bau und der Weberei geführt. Im Winterse- mester 1930/31 studiert sie offiziell Freie Malerei. Am 30.5.1931 erhält sie das Bau- haus-Diplom Nr.43 in Weberei und Freier Malerei. Nach einem Studienaufenthalt in Paris und Arbeitslosigkeit arbeitet sie ab 1933 - zunächst unentgeltlich - in Dresden an der Kunstgewerbebibliothek. Bis 1945 arbeitet sie dort als angestellte Bibliothe- karin. Zwischen 1946 und 1949 gelingt es ihr, als Entwerferin in Gebhardshagen/Harz zu ar- beiten. 1950 wechselt sie zur Firma Her- berts nach Wuppertal, wo sie beide Pro- fessionen einsetzen kann: Sie wird Leiterin der Abteilung „Malstoffkunde“ und betreut die Bibliothek und Sammlung der Firma. Schließlich arbeitet sie ab 1952 zwanzig Jahre lang als Bibliothekarin an einem In- stitut der TH Karlsruhe.257 Margarete Leiteritz starb 1976 in Karlsru- he. Quellen: BHD, Einschreibebuch, S.25 Lindemann, Klaus E.R.: Die Bauhaus- künstlerin Margaret Leiteritz. Gemalte Diagramme, Karlsruhe, 1987 Dietzsch, Folke: Die Studierenden am Bauhaus, Weimar, 1990 Leppien, Suzanne siehe Markos-Ney, Suzanne Friedel Letz keine biografischen Daten bekannt Studium Anfang der dreißiger Jahre an der TH Charlottenburg Studierende bei Heinrich Tessenow ohne genaue Angaben. Friedel Letz, mit der Luise Zauleck eng be- freundet war, soll zwischen 1932 und 1935 im Seminar Tessenow Architektur studiert haben. Als Jüdin soll sie in die Niederlande emigriert sein, den Holocaust - ebenso wie ihr Mann und ihre beiden Kinder - nicht überlebt haben. Bisher konnte keinerlei Spur von Friedel Letz recherchiert werden. Quelle: Gespräch mit Gertrud Zauleck am 15.10.1995 in Wetter/Ruhr Biografien 369 257 Zur Biographie Margarete Leiteritz´ vgl.: Lindemann, Klaus E.R.: Die Bauhauskün- stlerin Margaret Leiteritz. Gemalte Dia- gramme, Karlsruhe, 198.7 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Eva Lilly Lewin geb. 14.10.1913 Posen - lebt in England Studium am Bauhaus Berlin 1932 bis 1933, an der Ittenschule Berlin 1933 bis 1934, am Hornsey College of Art and Craft in London 1949-1951, Abschluss wurde 1913 als jüngste von drei Töchtern des Geschäftsmannes Georg Heinrich Le- win (12.4.1869 Wollstein bei Posen - Mai 1943 Theresienstadt) und Else Lewin geb. Lesser (16.5.1881 in Posen - verschollen in Auschwitz) in Posen geboren.258 Die Töch- ter erhalten zunächst Privatunterricht. 1919 optiert der Vater für Preußen. 1921 siedelt die Familie nach Berlin-Lich- terfelde über. Hier führt der Vater eine Fir- ma und Eva besucht die Goetheschule. 1925 folgt ein Umzug nach Berlin-Wilmers- dorf, Eva Lewin geht nun in die Chamisso- schule. Der Vater firmiert als Inhaber der Firma S. Friedländer, einer Stein- und Kalkhandlung in der Joachimsthaler Straße 35. Ab 1927 besucht Eva das Landerzie- hungsheim Else Hoeniger in Agnetendorf im Riesengebirge, ab 1929 belegt sie in Berlin kaufmännische und fremdsprachli- che Kurse an der Brewitzschule sowie Haushaltungslehre und Schneiderei an der Hausfrauenschule. Danach arbeitet sie kurzzeitig als Büroan- gestellte, bevor sie sich zum 1.12.1932 un- ter der Matrikelnummer 623 am Bauhaus Berlin einschreibt. Ob sie mit dem Studium hier ein eindeutiges Berufsziel anstrebt, ist bisher unklar. Nach der Grundlehre belegt Eva Lilly Le- win sowohl Fotografie als auch Bau-/Aus- bau. Sie stellt im Februar 1933 einen An- trag auf Befreiung von Fachzeichnen und Baumechanik. Laut Beschluss der Konfe- renz vom 29.3. wird sie in das zweite Se- mester und für ‘Foto’ aufgenommen.259 Durch die Schließung des Bauhauses im April 1933 endet ihr Studium hier bereits nach wenigen Monaten. Im Sommer 1933 erhält sie von Mies van der Rohe eine Be- scheinigung über die im Winter 1932/33 absolvierten Kurse.260 Demnach hat sie das volle Grundlehreprogramm absolviert, zu dem zu diesem Zeitpunkt neben Materi- al- und Werklehre sowie dem Schriftkurs bei Joost Schmidt, Farbenlehre bei Sche- per, Aktzeichnen und die freie Malklasse bei Kandinsky, Darstellende Geometrie und Normenlehre bei Walther, Mathematik bei Rudelt und Fachzeichnen bei Enge- mann gehören. Ab September 1933 studiert Eva Lewin an der Ittenschule in Berlin. Als Johannes It- ten nach Krefeld berufen, die Schule im Sommer 1934 geschlossen wird, erhält sie wiederum ein Zeugnis.261 Da sie als Jüdin 1934 keine Zulassung an einer staatlichen Schule mehr erhält, lässt sie sich ab Ende 1934 in einer Handwebe- rei praktisch ausbilden. Sie wohnt weiter- hin bei den Eltern in der Aschaffenburger Straße 6a in Berlin-Wilmersdorf. Die älteste Schwester Annie emigriert mit ihrer Familie nach Columbus/Ohio, die zweite Schwester Elisabeth übersiedelt mit ihrem Mann nach London. Eva Lilly Lewin bleibt bei den Eltern in Berlin, die 1936 für sie einen Handwebstuhl erwerben. Sie ver- sucht mit der Handweberei zum Leben- sunterhalt beizutragen. Im Sommer 1939 emigriert auch sie nach London. Dort ar- beitet bis 1941 als Hausangestellte. Die Eltern werden in Berlin zwangsgeräumt und enteignet. Sie müssen am 20.8.1942 in der Kleinen Hamburger Str. 26 den Em- pfang ihrer Enteignungspapiere schriftlich bestätigen, bevor sie mit dem Alterstrans- port vom 21.8.1942 aus Berlin deportiert werden. Der Vater wird in Theresienstadt, die Mutter in Auschwitz ermordet.262 Eva Lewin wird in London 1941 dienstver- pflichtet. Sie arbeitet bis 1947 in einem technischen Zeichenbüro. Anschließend unternimmt sie erneut den Versuch, den Lebensunterhalt durch Handweberei zu verdienen. 1949 nimmt sie die britische Staatsbürgerschaft an. Sie absolviert eine zweijährige Ausbildung am Hornsey Colle- ge of Art and Craft in London und legt im Sommer 1951 das Examen als Lehrerin für Schneiderei ab. Sie unterrichtet anschlie- ßend Schneiderei am Technical College in Twickenham / Middlesex. Aus gesundheit- lichen Gründen kann sie ihren Beruf bald jedoch nur noch zeitweise ausüben. Eva Lilly Lewin lebt in London. Quellen: BHD - Einschreibebuch, NL Engemann Protokolle der Beiratssitzungen vom 7.2.1933 und 29.3.1933 LAB - A-Rep.092 Lewin, Heinrich Margot Loewe Heiratsname unbekannt, verheira- tet ab ca. 1933 geb. 20.2.1905 Berlin-Charlottenburg - Daten nach 1939 unbekannt Studium am Bauhaus Dessau 1929 bis 1932 wurde 1905 als zweites Kind des Architek- ten und Regierungsbaumeisters a.D. Mi- chael[is] Loewe (geb. 28.10.1871 Berlin) und seiner Frau Selma geb. Salomon (geb. 5.7.1877 Potsdam) geboren. Der Vater ist zum Zeitpunkt ihrer Geburt Partner im Ar- chitekturatelier Loewe und Appelbaum, Pestalozzistraße 99. Spätestens ab 1909 betreibt er - zeitweise in Partnerschaft - ein Architekturatelier am Olivaer Platz 8. Zu den von ihm entworfenen Bauten zählt u.a. das Anfang der zwanziger Jahre mehr- fach publizierte Einfamilienhaus in der Ku- no-Fischer-Straße 4. Familie Loewe wohnt am Olivaer Platz 8, später am Kurfürstendamm 234 und ist gut situiert.263 Margot wächst mit zwei Brüdern im Zentrum Charlottenburgs auf und be- sucht das Hohenzollernlyzeum bis zur Pri- ma, bevor sie eine einjährige Apotheker- schule absolviert. Anschließend arbeitet sie zwei Jahre, evtl. als Apothekenhelferin. In den Angaben zu ihrer Vorbildung in Prü- fungslisten ist auch „1/2 j. praxis in kunst- gewerblicher tätigkeit“ aufgeführt. Als sie sich im Frühjahr 1929 unter der Matr.Nr. 334 am Bauhaus in Dessau ein- schreibt, gibt sie als letzten Aufenthaltsort Frankfurt/M. an.264 In Dessau wohnt sie 370 Anhang 258 Lt. Volkszählungsbogen 1939 - ich danke Frau Dr. Brachmann-Teubner für diesen Hinweis 259 Lt. Mitteilung Mies v.d. Rohe an Eva Lewin am 30.3.1933 260 Lt. Bescheinigung vom 26.8.1933 261 Bescheinigung Johannes Itten, Krefeld 7.Juli 1934 - Kunstschule Johannes Itten Berlin-Wilmersdorf Konstanzerstr.14 - Zeugnis. „Fräulein Eva Lewin war vom 6.September 1933 bis 30.Juni 1934 Schü- lerin der Itten-Schule in Berlin. Sie hat wäh- rend dieser Zeit mit sehr großem Ernst, Ei- fer und Fleiß gearbeitet und auch entspre- chende Fortschritte erzielt. Durch Schlies- sung der Schule ist es leider nicht mehr möglich, sie weiter am Unterricht teilneh- men zu lassen.“ 262 Lt. Gedenkbuch BRD, S.869 263 Zum Besitz von Michael und Selma Loewe gehören mehrere Häuser in Charlottenburg Ob die im gleichen Haus ansässige Baufir- ma Loewe und Pander GmbH - Bauausfüh- rungen -, zum familiären Umfeld zu rechnen ist, ist bisher unbekannt. Loewe und Pan- der realisierten bspw. 1927 den Neubau der Tanzschule Trümpy - vgl. Biografie Canthal. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar - wie auch Hannes Beckmann und Kurt Leppien - in der Siedlung Fichtenbreite. Nach der Grundlehre tritt sie zum Winter- semester 1929/30 in die Abteilung Wand- malerei ein. Zum Sommersemester 1930 wird sie, wie das Prüfungsprotokoll vom 7.4.1930 vermerkt, probeweise ins zweite Semester Wandmalerei aufgenommen. Zum folgenden Wintersemester lässt sie sich gemeinsam mit dem Kommilitonen Emil Hartwig beurlauben.265 Hartwig erin- nert sich an einen Antrittsbesuch bei einer großbürgerlichen Familie in Berlin und ei- nen schönen gemeinsamen Winter im Schweizer Schnee.266 Nach dem Winter in der Schweiz studiert Loewe ab dem Frühjahr 1931 in der Abtei- lung Freie Malerei und in der Bau-/Aus- bauabteilung. Ob sie Architektin oder Ma- lerin werden wollte, ist bisher nicht be- kannt. Margot Loewe dürfte die Arbeit im Atelier des Vaters gekannt haben. Eventu- ell kannte sie auch eine Architektin: Marie Frommer baute 1930 direkt nebenan für die stadtbekannte Rosenhain GmbH die Geschäftsräume aus.267 Die Angaben zum Werdegang Margot Loe- wes vermerken bis zum Frühjahr 1932 drei Außensemester. Wo sie diese ableistet, ist bisher unbekannt. Ebensowenig lässt sich belegen, ob Loewe mit dem Bauhaus nach Berlin wechselt. Zu ihrem weiteren Leben gibt es nur wenige Anhaltspunkte. 1933 oder noch 1932 zieht sie nach Paris. Ob sie - wie beabsichtigt - im Büro Le Corbu- siers arbeitet, ist bisher nicht nachgewie- sen. Die Suche nach Spuren Margot Loewes bleibt schwierig, da sie um 1933 heiratet und ihr Heiratsname bisher unbekannt ist. Bis Ende 1933 lebt Margot Loewe mit ih- rem Mann nachweislich in Paris. Nach An- gaben von Eugen Batz, Hans Bellmann und Kurt Leppien lebt sie bis 1939 in Paris, wird deportiert und während des Holo- caust umgebracht. Bisher gelang es nicht, eine Spur Margot Loewes zu dokumentieren. Auch das wei- tere Schicksal ihrer Familie ist ungewiss, ihre Eltern und die beiden Brüder werden 1939 offiziell ausgebürgert.268 Quellen: BHA - Mitteilungen von Jean Leppien, Eugen Batz, Hans Bellmann mit Dank an Magdalena Droste Adressverzeichnisse der Stadt Berlin Fries, Heinrich de: Junge Baukunst in Deutschland, Berlin, 1926 Brief José Tokayer an Walter Kaminski vom 22.11.1933 in: Hahn / Wolsdorff (Hg.), 1985, S.222 Reichsanzeiger Nr.272 vom 20.11.1939 Gespräch mit Emil Hartwig am 27.8. 1995 Lucano, Gisela siehe Eisenberg, Gisela Suzanne Markos-Ney Szuszanne Markos-Ney (1926- 1941), geb. Ney, spätere Leppien (ab 16.8.1941) geb. 21.12.1907 Budapest - gest. 28.9. 1982 Roquebrune, begraben ebendort Studium am Bauhaus Dessau 1931 bis 1932 Szuszanne Ney wurde 1907 in Budapest als Tochter von Désiré Ney und Eveline Pickler geboren. Der Vater soll in der Tex- tilbranche tätig und sehr musikliebend ge- wesen sein. Sie wächst in großbürgerli- chen Verhältnissen auf, besucht ein Gym- nasium in Budapest und heiratet kurz nach dem Abitur György Markos. Bereits 1927 kommt eine Tochter zur Welt. Besuchsweise weilt Suzanne Markos-Ney im Herbst 1929 in Dessau. Ihren Eltern be- richtet sie in einem Brief, dass sie dauernd mit [Hannes] Beckmann, Neuner und Mar- got Loewe zusammen sei.269 Erst nach der Trennung von Mann und Tochter schreibt sich Suzanne Markos-Ney im Frühjahr 1931 am Bauhaus Dessau unter der Matri- kelnummer 513 ein. Sie besucht den Vorkurs bei Albers und Kandinsky, wird lt. Protokollen in der Foto- grafie bei Peterhans als Hospitantin zuge- lassen.270 Ende September vermerkt das Protokoll der Beiratssitzung, dass Herr Pe- terhans mit ihrer als Hospitantin einver- standen sei. Keinen Monat später, am 26.10.1931 kommt im Beirat ihr Antrag auf Aufnahme in die Baulehre zur Verhand- lung. Die Entscheidung wird vertagt: „zu- nächst [soll] bei herrn peterhans festge- stellt werden, warum frau markos-ney nicht in der abteilung bleiben will. herr hil- berseimer hält eine aufnahme ohne vorbil- dung nicht für möglich.“ 271 Suzanne Markos-Ney studiert weiterhin in der Baulehre, ebenso bei Kandinsky. Hu- bert Hoffmann erinnert sich an sie als Stu- dentin in der Baulehre, die sehr attraktiv, aber immer etwas „unheimlich”, da „kom- munistisch verstrickt“ gewesen sei.272 Wie politisch aktiv Markos-Ney war, bleibt bis- her ebenso unbekannt wie die Themen ih- rer Studienarbeiten. Sie beteiligt sich an Wettbewerben - evtl. mit Fotografien.273 Am Bauhaus ist sie u.a. mit Otti Berger be- freundet und soll auch in der Weberei stu- diert haben.274 Anfang November beschäf- tigt sich der Beirat erneut mit der Frage, ob ihre eigenwillige Entscheidung in der Baulehre zu arbeiten, zu tolerieren sei: „sie ist von der direktion aufgefordert, den schriftlichen nachweis der dozenten dar- über beizubringen, daß sie von den kursen des II.semesters befreit werden kann.“ 275 Wie es ihr gelingt, diesen Nachweis beizu- bringen, ist bisher unklar. Suzanne Mar- kos-Ney studiert jedoch auch im Sommer- semester 1932 in der Baulehre. Über ihre Studienerfolge ist bisher nichts bekannt. Zum Herbst 1932 siedelt sie nach Berlin über. Sie exmatrikuliert sich am Bauhaus, da sie hier - angesichts der Veränderungen des politischen Klimas - keine Perspektive sieht ihr Studium fortzusetzen. Im Herbst 1932 lernt sie in Berlin den ehe- maligen Bauhausstudenten Kurt Leppien (8.4.1910 Lüneburg - 19.10. 1991 Courbe- voie) kennen. Der hatte bereits ab 1929 am Bauhaus insbesondere bei Kandinsky und in der Reklamewerkstatt studiert, arbeitet nun im Atelier Moholy-Nagys an der Aus- gestaltung der von Gropius, Bayer und Moholy gestalteten Hallen für die Berliner Bauausstellung mit. Kurt Leppien studiert in dieser Zeit bei Lucia Moholy Fotografie an der Itten-Schule und hat sich im Keller der Buchhandlung seines Bruders eine Dunkelkammer eingerichtet. In dieser Dun- kelkammer entwickelt nun auch Suzanne Markos-Ney ihre Filme. Ob auch sie bei Lucia Moholy studiert, bleibt unklar.276 Nach den Reichstagswahlen resp. dem Sieg der NSDAP flüchtet Leppien in die Schweiz, Markos-Ney kehrt nach Buda- pest zurück. Als Leppien im Herbst 1933 nach Paris zieht, folgt sie ihm. Sie leben von Gelegen- heitsarbeiten, 1937 arbeitet sie in einem Biografien 371 264 Bisher ist unbekannt, ob sie die kunstge- werbliche Tätigkeit in Frankfurt/M. ausübte, ob sie dort ggf. studierte. 265 BHD/NL Engemann, Beiratssitzung 11.11. 1930, Bl.2, Pkt.13 “loewe, hartwig. dem an- trag auf beurlaubung für das winterseme- ster wird stattgegeben.“ 266 Gespräch mit Emil Bert Hartwig am 27.8. 1995 in Freinsheim. Er studierte zunächst in der Textilwerkstatt des Bauhauses und ar- beitet später als freier Maler. 267 Im Erdgeschoss des Kurfürstendamms 232 (heute Wertheim). Vgl. Biografie Frommer 268 In den Deportationslisten lässt sich bisher kein Mitglied der Familie Loewe nachwei- sen - vgl. Klarsfeld, Serge: Memorial to the Jews deported from France, New York, 1983. lt. Reichsanzeiger Nr.272 vom 20.11. 1939 werden neben den Eltern auch die Brüder Ernst Martin (geb. 5.5.1903 Berlin) und Gerhard (geb. 28.5.1909 Berlin) offiziell ausgebürgert. (Alle Angaben und Daten nach Hepp, 1985: Die Ausbürgerung deut- scher Staatsbürger 1933-45) 269 Lt. Brief von Dr.Helmut R. Leppien vom 20.9.1999. Wodurch der Kontakt zustande kommt, ist bisher unklar. Briefe an die El- tern aus der Studienzeit befinden sich im NL Leppien. 270 BHD, Beiratssitzung 30.9.31, Bl.2, Pkt.7 271 BHD, Beiratssitzung 26.10.31, Bl.1, Pkt.1 272 Hubert Hoffmann, Brief vom 24.8.1995 273 Nach eigenen Angaben war sie am Wettbe- werb der Österreichischen Tabakregie und dem Wettbewerb Günther Wagner beteiligt. BHAB, Fragebogen Markos-Ney, April 1965, S.4 274 Vgl. Vitt, 1986, S.15. Dass sie - wie Vitt an- gibt - bei Gunta Stölzl studiert, scheint un- wahrscheinlich, da diese zum 30.9.1931 endgültig aus der Webereiwerkstatt des Bauhauses ausscheidet. Markos-Ney könn- te somit nur während des Vorkurses über- haupt bei Stölzl studiert haben. 275 BHD, Beiratssitzung 4.11.1931, Bl.1, Pkt.2 276 Suzanne und Jean Leppien bleiben mit Lucia Moholy lebenslang befreundet. Reise- und Touristenbüro. Nach dem Ein- marsch der Deutschen flüchten sie am 13.6.1940 nach Sorgues in Südfrankreich, wo sie am 16.8.1941 heiraten. Auch hier leben sie von Gelegenheits- und Saisonar- beiten in der Landwirtschaft, bis sie im März 1944 von der Gestapo verhaftet wer- den. Jean Leppien wird nach Deutschland deportiert, zum Tode verurteilt und ins Zuchthaus nach Bruchsal verbracht. Als ‘Halbjüdin’ wird Suzanne Leppien im Lager Drancy interniert, am 29. April 1944 nach Auschwitz277, dann nach Brezcinsky de- portiert. Ab dem 18.12.1944 leistet sie Zwangsarbeit im DKW-Werk in Tschopau. Am 14. April 1945 gelingt es ihr, von einem fahrenden Transportzug zu springen und sich tagelang zu verstecken. Im Mai 1945 trifft sie ihren ebenfalls nach Frankreich zurückgekehrten Mann wieder, sie siedeln nach Nizza über. Im Frühjahr 1950 besuchen Suzanne und Jean Lep- pien die in Deutschland lebenden Angehö- rigen. Im Herbst wird Roquebrune ihr neu- es Zuhause. Seit 1948 ist Suzanne Leppi- en als Weberin tätig, in den fünfziger Jah- ren betreibt sie in Roquebrune eine Bouti- que für Weberei und Keramik. 1953 nimmt sie die französische Staatsbürgerschaft an. Leppiens leben ab 1960 wieder in Paris, verbringen die Sommermonate weiterhin in Roquebrune. Suzanne Leppien kehrt we- der zur Architektur noch zur Fotografie zu- rück. In den sechziger Jahren betreibt sie in Paris ein eigenes Webatelier, ihre Arbei- ten werden in Boutiquen verkauft. Wie sich ihr Neffe erinnert, sieht sie ihre Aufgabe insbesondere darin, ihrem Mann die freie künstlerische Arbeit zu ermöglichen. Suzanne Leppien starb im Sommer 1982 in Roquebrune. Für biografische Angaben danke ich Dr. Helmut R. Leppien Quellen: BHD, NL Engemann semesterprüfungs- liste ss 31 vom 6.7.1931; Protokolle der Beiratssitzungen am 26.10.1931, Bl.1 und 4.11. 1931, Bl.1 BHAB, Fragebogen Suzanne Leppien, Frühjahr 1965, Fragebogen Jean Lep- pien, 1964 Vitt, Walter: Jean Leppien, Hannover, 1986 Leppien, Jean: Ein Blick hinaus, Bre- men, 1987, (Autobiografie) Gerda Marx spätere Niegeman (12/30-1945), spätere Bijhouwer (ab 1947) geb. 23.7.1909 Dessau - gest. 27.8.2000 Amsterdam/NL Studium am Bauhaus Dessau 1927 bis 1930, Anfang der 1940er Jahre Hospi- tantin in der Tischlerei der Kunstnijver- heidsschool Amsterdam wurde 1909 als einziges Kind der Kunstge- werblerin Lizzie Marx-Diestelmann (geb. 30.4.1880 Hamburg) und des Chemikers Dr. Karl Marx in Dessau geboren. Gerda Marx wächst zeitweilig in Berlin-Dahlem auf, da der Vater in Berlin tätig ist. Dort be- sucht sie ein Lyzeum, schließt die Schul- ausbildung jedoch nicht ab. Bereits 1926 geht sie in Dessau regelmäßig ins Bau- haus, wo ihre Mutter Kurse bei Klee und Kandinsky belegt.278 Gerda Marx empfin- det die Präsenz ihrer Mutter am Bauhaus als störend und kann sie dazu bewegen, ab 1927 keine Kurse mehr zu belegen. Marx wird am 20.4.1927 - damit erst 17- jährig - unter der Matrikelnummer 148 offi- ziell am Bauhaus aufgenommen. Sie be- sucht die Grundlehre bei Albers und Mo- holy-Nagy, belegt Kurse bei Kandinsky, Schlemmer, Klee. Aus dem Vorkurs bei Al- bers haben sich Fotos dreier Arbeiten er- halten. Moholy-Nagy illustriert 1929 seine Ausführungen „Vom Material zur Architek- tur“ mit ihrer „papier-faktur“ und einer Gleichgewichtsstudie aus Glas und Metall von Gerda Marx.279 Sie studiert begeistert, jedoch nicht sonderlich zielstrebig. Beeindruckt von den Fähigkeiten Kandins- kys und Klees stellt sie Malerei und Frei- handzeichnen gänzlich ein. Gerda Marx studiert ab 1928 auch in der Tischlerei, sie entwirft Möbel und bewohnt ein Apparte- ment im Prellerhaus. Am Bauhaus ist sie mit Gustav Hassenpflug befreundet und kennt fast alle KommilitonInnen, da sie sich als „Festnase“ - so ihr eigenes Urteil - keine Fete entgehen lässt. Ab 1928 arbeitet sie hauptsächlich in der Metallwerkstatt, wo sie in der Produktion von Aschenbechern eingesetzt wird. In den Sommerferien realisiert sie an der Blech- biegemaschine die „Bach-Fuge in e-moll“, Marx bei der Realisierung der “Bach-Fuge”, 1928 einen Entwurf von Heinrich Neugeboren. Ende 1928 kommt der niederländische Ar- chitekt Johan Niegeman (11.8.1902 Wijk aan Zee - 14.1.1977 Formentera) zurück nach Dessau, um als Assistent des neuen Direktors Hannes Meyer zu dozieren. Marx interessiert sich bald für diesen Assisten- ten.280 Als dieser aufgrund persönlicher Differenzen mit Meyer im Sommer 1929 das Bauhaus verlässt, folgt sie ihm nach Berlin. In der Metallfirma Goldschmidt und Schwabe absolviert sie ein Außenseme- ster, arbeitet zunächst in der Produktion, dann - unter Otto Rittweger - im Entwurfs- büro. Daneben entwirft und realisiert sie Möbel für den eigenen Gebrauch und pri- vate Auftraggeber. Für die Wohnung Pis- cator entwirft sie eine Lampe. 1930 geht sie mit Niegeman - jedoch ohne Abschluss - nach Königsberg, wo beide im Architekturbüro Hopp und Lucas arbeiten. Niegeman wird Büroleiter, Marx dokumen- tiert den Neubau einer Königsberger Mäd- chengewerbeschule. Sie entwirft Möbel und Innenausbauten für den Neubau des 372 Anhang 277 Klarsfeld, Serge: Memorial to the Jews deported from France, New York, 1983, S.544ff. - Convoy 72: von den 1004 mit diesem Transport Deportierten überleben 50 den Holocaust. 278 Lizzie [Diestelmann-]Marx , die aus einer Hamburger Kaufmannsfamilie stammte, war als Kunstgewerblerin bekannt und zeitweilig Mitglied des DWB. Als wissenschaftliche Zeichenlehrerin war sie vor ihrer Heirat in München am Lehr- und Versuchsatelier von Wilhelm Debschitz tätig. Ihre Arbeiten wur- den publiziert, sie beteiligte sich insbeson- dere mit Stickereien an Kunstgewerbeaus- stellungen. Nach dem Weggang der Toch- ter belegt Lizzie Marx ab 1930 (bis 1932) erneut Kurse als Hospitantin (Matr.Nr. 481). Ausweis Suzanne Leppien, 1945 Visitenkarte aus der 1960er Jahren Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Parkhotels Königsberg sowie eine Ausstel- lung. Gerda Marx ist weiterhin am Bauhaus Des- sau immatrikuliert und beurlaubt.281 Im De- zember 1930 heiraten beide in Königsberg, Niegeman bringt eine Tochter mit in die Ehe. In ihrer Freizeit entwickeln Marx-Niegeman Ende 1930 den Wettbewerbsentwurf „Pro- letarier aller Länder vereinigt Euch!“ für ei- nen Theaterneubau in Charkow. Dieser zeigt deutliche Anleihen an das ‘Totalthea- ter’ Piscators. Gemeinsam gehen sie im Spätjahr 1931 nach Magnitogorsk. Theater in Charkow, Wettbewerbsentwurf, 1930 Gerda Niegemann-Marx um 1932 Niegemans Tochter wird bei einer Familie in Königsberg untergebracht. Er hat in Ber- lin bereits einen Vertrag als Mitarbeiter im Team unter Leitung von Mart Stam zur Entwicklung standardisierten Wohnungs- baus unterzeichnet. Auch Gerda Niege- man-Marx findet Arbeit als Planerin in die- sem Projekt „Stadt für 200 000 Arbeiter“, sie zeichnet „endlos (..) kilometerlange“ Werkpläne und stellt Schablonen und Mo- delle für das politisch forcierte Wohnungs- bauprogramm her. Ab 1933 arbeitet sie im Industriebau, wo sie u.a. eine Turbinenhalle bearbeitet. 1934 kommt eine gemeinsame Tochter zur Welt, Niegeman-Marx gibt die Berufstätigkeit vo- rübergehend auf. Nach einem Abstecher nach Kislowsk im Kaukasus, wo Niegeman für lokale Autoritäten städtebauliche Pro- jekte entwirft, kehrt Gerda Niegeman zu ihren Eltern nach Dessau zurück. Dort ent- wirft sie Möbel für den eigenen Bedarf, die noch in den neunziger Jahren zu ihrem Mobiliar zählen. Ein halbes Jahr später kehrt auch Niegeman aus der SU zurück. Sie ziehen 1937 gemeinsam in die Nieder- lande, wo Niegeman zunächst bei H.Th. Wijdeveld Arbeit findet. 1938 folgt ein Um- zug nach Amsterdam, wo sie sich der Ar- chitektengruppe „De 8 en opbouw“ an- schließen. Gerda Niegeman arbeitet im Büro von Paul Bromberg. Mit Johan Nie- geman beteiligt sie sich 1939 am Wettbe- werb für eine ”Volkswohnung”. Ihr Entwurf „Eo“ gewinnt im Frühjahr 1940 und soll im Rahmen der Ausstellung „In Holland staat een huis“ im Stedelijk Museum in Amster- dam ausgestellt werden. Niegeman erhält den Auftrag für die Ausstellungsarchitek- tur, Niegeman-Marx zeichnet die Pläne und baut das entsprechende Modell. Auf- grund des Einmarsches der Deutschen wird die Ausstellung verschoben, die Pläne werden in “De 8 en opbouw” gezeigt.282 Der Entwurf “Eo” wird nie reali- siert.283 Als Mart Stam 1939 die Leitung der Kunst- gewerbeschule in Amsterdam übertragen wird, ernennt er Johan Niegeman zum Hauptdozenten für Innenarchitektur. Gerda Niegeman hospitiert in der Tischlerei der Kunstgewerbeschule, wo sie Möbel ent- wirft. Sie nimmt am privaten Architektur- kurs bei Jan Piet Kloos teil, bricht diesen auf Wunsch von Niegeman aber nach we- nigen Monaten ab, um ihm als Zeichnerin auszuhelfen. Die Ehe ist nicht unproblematisch, erst mit dem Kriegsende betreibt Gerda Niegeman die Scheidung. Mit dem verwitweten Land- schaftsarchitekten Johannes P.T. Bijhou- wer (1893-1974), ebenfalls Mitglied in De 8 en opbouw, geht sie 1947 eine zweite Ehe ein. Marx bringt ihre Tochter, Bijhouwer zwei Söhne mit in die Ehe. Seit Kriegsende baut er die Abteilung für Landschaftsarchi- tektur an der Universität Wageningen auf. 1948 kommt die gemeinsame Tochter, 1951 und 1953 Söhne zur Welt. Nach der Heirat entwirft Gerda Bijhouwer vereinzelt noch Möbel. Ihre Hauptaufgabe besteht in den fünfziger Jahren jedoch im Management einer Familie, zu der inzwi- schen sechs Kinder gehören. Sie nimmt an Exkursionen teil und organisiert den Um- zug in die USA, als Bijhouwer an der Uni- versity of Pennsylvania unterrichtet. Im Al- ter entdeckt sie mit Begeisterung Fotogra- fie und Video. Gerda Bijhouwer starb im Sommer 2000 in Amsterdam. Quellen: Interview mit Gerda Bijhouwer am 4.10. 1995 NAI, NL Niegeman, NL Stam-Beese „In Holland staat een Huis“ in: De 8 en opbouw, 12.Jg., H.2, 1941, S.15-17 de Wit, Cor: Johan Niegeman 1902- 1977, Amsterdam, 1979 Abrahams, Anna: Sotsgorod, Videopro- duktion, Amsterdam, 1995 Mauck, Annamaria siehe Wilke, Annemarie Biografien 373 279 Moholy-Nagy, Laszlo: Vom Material zur Ar- chitektur (1929), Neue Bauhausbücher, Mainz, 1968, S.57, Abb.41 S.145, Abb.131 280 Niegeman war seit Ende 1926 im Privatate- lier Gropius tätig, 1928 arbeitete er unter Forbat für die AHAG in Berlin. 281 BHD, NL Engemann, Semesterprüfungsliste SS 31 vom 6.7.1931, bl.13, „IV.sem. bau/ ausbau: marx, gerda, beurlaubt“. 282 Vgl. dazu „de 8 en opbouw“, 1941, 12.Jg., H. 2, S.15-21. 283 Auch wenn de Wit dies im Lebenslauf von Johan Niegeman ohne Nachweis anführt. (de Wit, 1979, S.145). Niegeman kann erst in den 1950er Jahren wieder realisieren. Wettbewerbsentwurf “Eo”, 1939 Gerda Niegemann-Marx, Magnitogorsk, um 1932 Modell des Cafés für “In Holland staat een Huis”, 1940 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Ricarda Meltzer spätere Schwerin (um 1933) geb. 30.1.1912 Göttingen - lebt in Tel Aviv/Israel Studium am Bauhaus Dessau 1930 bis 1932 wurde Anfang 1912 in Göttingen als Toch- ter des Mathematikers Hans Meltzer (14.5. 1889 Straßburg - 30.8.1967 Mannheim) und seiner Frau Marta geb. Hahn (14.7. 1889 Leipzig - 28.10.1915) geboren und evangelisch getauft. Der Vater hatte Volks- wirtschaft studiert. Er wird 1913 Lehrbe- auftragter an der Mannheimer Handels- hochschule. Nach dem frühen Tod der Mutter 1915 wächst Ricarda Meltzer zu- sammen mit ihrem Bruder in Karlsruhe und Zittau - wahrscheinlich bei Verwandten - auf. Ab 1924 wohnt sie wieder beim Vater und dessen zweiter Frau Hedwig geb. Es- kuche284, sie geht in Mannheim zur Schule. Fünfzehnjährig besucht sie ab 1927 das Internat der Herrnhuter Mission in Königs- feld, zwei Jahre später ein Internat in Nek- kargemünd. Sie „kämpft (..) um die väterli- che Erlaubnis, (nach Dessau) zum Bau- haus wechseln zu dürfen.“ 285 Dort schreibt sie sich zum Frühjahr 1930 unter der Matrikelnummer 428 ein und be- sucht die Vorlehre bei Albers. Meltzer möchte Fotografie studieren, interessiert sich für den Unterricht bei Peterhans, aber auch den bei Meyer. Außerdem besucht sie die Druckwerkstatt. Offiziell wird sie unter ‘Bau/Ausbau’ und ‘Fotografie’ ge- führt, das Protokoll der Konferenz am 18.11.1930 vermerkt, dass festgestellt werden solle, zu welchen Kursen sie sich verpflichtet habe. Ricarda Meltzer ist am Bauhaus u.a. mit Irena Blühova und Judith Kárász befreun- det. Wie diese gehört sie der ‘Kostufra’ an. Im Frühjahr 1931, nach einem Jahr Studi- um und dem Direktorenwechsel kommt es zum Konflikt: Das Protokoll vom 24.3.1931 vermerkt die Feststellung von Werkmeister Hauswaldt, dass die von Meltzer vorgeleg- ten Arbeiten mit Schriftmaterialien gefertigt wurden, die das Haus nicht besitzt. Die Schlussfolgerung, dass die Arbeiten nicht von ihr selbst gefertigt sein könnten, wird mit einer seltsamen Konsequenz versehen: „es bleibt bei der aufnahme auf scharfe probe in die fotoabteilung.“ Ricarda Meltzer scheint am Bauhaus kein allzu angenehmes Studium absolviert zu haben. Sie gilt anscheinend als unzuver- lässige Studentin, wird krank und soll ein Semester wiederholen. Im Wintersemester 1931/32 wird sie beurlaubt. In dieser Zeit fertigt sie wahrscheinlich ein fotografisches Porträt der Stadt Potsdam.286 Zum Sommersemester 1932 wird sie - wie alle dreizehn NichtteilnehmerInnen an der Jahresausstellung - nach dem ‘Kostufra- Streit’ vom Weiterstudium ausgeschlos- sen. Zum 14.4.1932 erhält sie sogar Haus- verbot, wogegen sie Beschwerde einlegt. Lt. Protokoll der Beiratssitzung vom 19.4. geht ihre Beschwerde „unbeantwortet zu den Akten.“ Ricarda Meltzer ist 20 Jahre alt und somit noch minderjährig. Ihr Vater richtet im April eine schriftliche Anfrage an die Leitung des Hauses.287 Dr. Meltzer möchte für seine Tochter insbesondere die spätere Zulas- sung zum Diplom gesichert wissen. Der Beirat fühlt sich verpflichtet ihm mitzutei- len, seit wann seine Tochter nicht mehr am Bauhaus studiert und „er soll ausführliche Aufklärung erhalten“. - Die institutionelle Lesart der Kantinenräumung scheint den Vater jedoch nicht zufriedenzustellen, er fragt erneut an. Darauf beschließt die Kon- ferenz im Juni 1932: „Es erscheint nicht zweckmässig auf Einzelheiten der Anfrage einzugehen.“ Seit Frühjahr 1931 studiert am Bauhaus auch Heinz Schwerin (4.2.1910 Kattowitz - 1948 Israel), der nach der Vorlehre ab dem Winter 1931/32 die Bauabteilung besucht. Er ist Studierendenvertreter und aktives Kostufra-Mitglied. Auch er wird im Frühjahr 1932 vom Studium ausgeschlossen und ebenfalls mit Hausverbot belegt. Meltzer und Schwerin sind befreundet, und haben beide nach nur wenigen Semestern keinen offiziellen Abschluss. Gemeinsam gehen sie 1932 nach Frankfurt.288 Ab 1933 kön- nen sie sich aufgrund ihrer kommunisti- schen Überzeugung ihres Lebens nicht mehr sicher sein, zumal Heinz Schwerin ‘Nicht-Arier’ ist. Sie flüchten in die Tsche- choslowakei, nach Ungarn und in die Schweiz. 1935 emigrieren sie - inzwischen verheiratet - nach Palästina. Dort kommen zwei Kinder zur Welt, Ricarda und Heinz Schwerin betreiben in Tel Aviv eine Werk- statt. Diese Zeit skizziert Ricarda Schwerin in einem Brief an Hannes Meyer 1948 wie folgt: „wir zogen es aus politischen und persönlichen gründen vor, unsere berufe aufzugeben und als handwerker zu arbei- ten. wir bauten aus ganz kleinen anfängen eine werkstatt auf für holzspielsachen und kunstgewerbe. In krisenzeiten, und deren gab es manche, fabrizierten wir wirt- schaftsartikel. Wir hatten grosse freude an unserer arbeit, und oft fiel uns auf, wie vie- les, was wir taten, auf den bauhauseinfluss zurückzuführen war. ausserdem verschaff- te uns diese arbeit eine grosse unabhän- gigkeit, die wir brauchten um hier leben zu können, da wir nicht als zionisten nach palästina kamen, sondern aus mangel an anderen möglichkeiten.“ 289 Weder Heinz noch Ricarda Schwerin fin- den eine Möglichkeit, Architektur zu betrei- ben. Nach dem Tod ihres Mannes - Heinz Schwerin stirbt bereits 1948 bei militäri- schen Auseinandersetzungen - ist Ricarda Schwerin allein für die beiden Kinder ver- antwortlich und betreibt die Werkstatt wei- terhin. Erst nach der Bekanntschaft mit dem Fotografen Alfred Bernheim (11.7. 1885 Tingen -16.3.1974 Jerusalem) im Jahre 1956 fotografiert sie wieder. Sie be- teiligt sich an Ausstellungen und führt nach Bernheims Tod sein Studio weiter. Ricarda Schwerin lebt in Tel Aviv. Quellen: BHD, NL Engemann Beiratsprotokolle der Sitzungen am 18.11.1930, 24.3. 1931, 30.11.1931, 19.4.1932, 12.5.1932 und 7.6.1932 Dr. Meltzer, Mannheim in: Lexikon der deutschen Gesellschaft 1931, S.1124 DAM, NL Meyer, Brief Ricarda Schwerin vom 4.3.1948 374 Anhang 284 Briefliche Mitteilung von Barbara Becker, Stadtarchiv Mannheim vom 4.8.1998 285 Honnef / Weyers, 1997, S. 441 286 Ibid. - Hier wird dieses Foto-Porträt als „Abschlußarbeit“ bezeichnet. 287 Auch wenn die originalen Schriftwechsel aus dem Besitz des Bauhauses seit dem Umzug nach Berlin als verschollen gelten 288 Dort studiert zumindest Heinz Schwerin am Städel bei Franz Schuster. 289 DAM, NL Meyer, Brief von Ricarda Schwe- rin an Hannes Meyer vom 4.3.1948 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Stadtarchiv Mannheim, Se.: Prof. Dr. Hans Meltzer, Rhein-Neckar-Zeitung vom 31.8.1967, mit Dank an Barbara Becker Klaus Honnef / Frank Weyers: Und sie haben Deutschland verlassen ...müs- sen, Köln 1997, S. 441 (Bernheim S.66) Rose Mendel Rosa (Rose, Rosi) [Minna] Mendel, Künstlerinnenname ab 1934 Re- née Mendel geb. 22.9.1908 Elmshorn - lebt in Eng- land Studium an den Universitäten Hamburg, Grenoble und Paris, am Bauhaus Des- sau 1932 bis 1933, und an der Chelsea School of Commercial Art zwischen 1941 und 1948 wurde 1908 als einziges Kind des Leder- warenkaufmanns Oscar Samuel Mendel (3.11.1864 Elmshorn - 9.11. 1940 London) und seiner Frau Sophie geb. Mendel (2.1. 1876 Elmshorn - 6.11.1946 London) in Elmshorn geboren. Die Mutter hatte eine Höhere Mädchenschule besucht, evt. stu- diert. Nach Privatunterricht besucht Rose Mendel ab ihrem 9.Lebensjahr das Mäd- chenlyzeum in Husum, bevor sie 1925 im Alter von 17 Jahren für drei Jahre an die Lichtwarkschule in Hamburg wechselt. An der Universität Hamburg belegt sie So- ziologie und Kunstgeschichte, ihr Hauptin- teresse gilt aber der freien Kunst. Sie soll in Frankfurt und Berlin Kunstgeschichte gehört haben, studiert um 1930 auch in Grenoble und an der Sorbonne in Paris. Zum Wintersemester 1932/33 schreibt sie sich als Hospitantin am Bauhaus ein. Das Prüfungsprotokoll vom 29.3.1933 ordnet sie dem 2. Semester in der Bau-/Ausbau- werkstatt zu. Rose Mendel belegt „aus- baukonstruktion, perspektive, gegenständ- liches zeichnen, bau- u. möbelkonstruk- tion“. Auch nach Schließung des Bauhau- ses bleibt sie in Berlin, belegt bei Ernesto de Fiori Malerei. Anschließend studiert sie Bildhauerei bei Pablo Gargallo in Paris. Als „Rosi” Mendel auf der Pariser Herbst- ausstellung 1934 erstmalig ausstellt, wer- den ihre Arbeiten in „les artistes aujourd ´hui“ besprochen.290. Noch 1934 nimmt sie den Künstlerinnennamen Renée Mendel an. Eine Rückkehr nach Deutschland bietet keinerlei Aussicht auf freie künstlerische Betätigung, da sie als Jüdin keine Chance hat, die inzwischen vorgeschriebene Mit- gliedschaft in der Reichskulturkammer zu erlangen. Rose Mendel lässt sich ihre Am- bitionen durch den Nationalsozialismus je- doch nicht nehmen. Sie malt und unter- nimmt Studienreisen nach Frankreich und Italien. Als sie auf einer Studienreise während des spanischen Bürgerkrieges vorübergehend festgenommen wird, beschließt sie zu emi- grieren. Sie erwägt eine Emigration nach Frankreich, verlässt Deutschland 1937 le- gal mit einer Unbedenklichkeitsbescheini- gung für Auswanderer und einem Besu- chervisum. Im Mai 1937 lässt sie sich in London nieder. Hier lebt bereits ihr Onkel Ceasar Mendel. Als ihre in Hamburg leben- den El-tern enteignet werden, betreibt sie auch deren Emigration. Die Eltern fliehen im Fe-bruar 1939 in die Schweiz, von wo aus im August die Einreise nach England gelingt. Ihr Vater stirbt 1940 in London. Die Zeiten sind für den Aufbau einer freien künstlerischen Existenz denkbar schlecht, Rose Mendel studiert ab 1941 erneut, nun Innendekoration an der Chelsea School of Commercial Art. Sie bleibt jedoch auch künstlerisch tätig, schafft insbesondere ke- ramische Plastiken und engagiert sich ge- gen den Nationalsozialismus. 1942 stellt sie in der Royal Academy aus. Im selben Jahr beteiligt sie sich mit „Rode stranger for Hitler“ an der Ausstellung „Sabotage“ in der Regentstreet, 1943 an der antifa- schistischen Ausstellung in der Charles Street sowie an der Verkaufsausstellung „Artists Aid Jewry Exhibition“ in der White- chapel Art Gallery in Aldgate East.291 Im selben Jahr findet ihre erste Studioausstel- lung im Hertford House statt. Es folgt eine Einzelausstellung bei Royal Copenhagen Porcellain & Co. in der Bondstreet, sowie 1945 eine Ausstellung bei Heal & Son. 1946 stirbt ihre Mutter. 1948 schließt Men- del das Studium der Innendekoration ab. Sie nimmt die britische Staatsbürgerschaft an und richtet Häuser und Wohnungen in Belsize Grove und Maxwell Hill ein. Bisher sind diese Einrichtungen nicht bekannt. Auch das freie künstlerische Schaffen Re- née Mendels kann nicht als entdeckt gel- ten, auch wenn Arbeiten von ihr mehrfach - so bspw. 1934 in Paris und 1944 in Lon- don - publiziert wurden. Das Who´s who in Art führt sie unter „sculptor and potter“. Ihre Skulptur „James Joyce“ befindet sich im Besitz der National Gallery London, die Skulptur „Beatles“ wird 1980 bei Sother- bys versteigert. Rose Mendel lebte zumin- dest bis Anfang der neunziger Jahre in London. Quellen: BHD, NL Engemann, semesterliste ws 32/33, konferenz 29.3.33, o.Nr. Salon dáutomne, Paris 1934, les artistes aujourd´hui, Artikel vom 1.12.1934 Artists Aid Jewry Exhibition - Verkaufs- liste, London, 1943 Who´s who in Art, Haunts, 16. Auflage, London, 1972 JRF, Fragebogen Rose Mendel, Ein- gang 9.3.1980 Mendelssohn, Lieselotte v. siehe Bonin, Lieselotte v. Grete Meyer Grete [Annemarie] Meyer, spätere Meyer-Ehlers (ab 1936), Prof. geb. 17.1.1904 Schleswig - lebt in Berlin Studium an der Städtischen Handels- und Gewerbeschule Kassel 1923 bis 1926, am Bauhaus Dessau 1930 bis 1931 wurde am Anfang 1904 in einer protestan- tischen Familie in Schleswig geboren. Auf dem dortigen Stadtweg führt der Vater Ernst Wilhelm Adolf Meyer (geb. 1873) ein Geschäft für Landmaschinen. Mathilde Ca- tharina Margaretha geb. von Ehlers (geb. Biografien 375 290 „Les artistes aujourd´hui“ vom 1.12.1934 291 Mendel stellt bei dieser Ausstellung, die lt. Verkaufsliste vom 2.-18.Februar 1943 statt- fand und an der sich u.a. auch Theo Bal- den beteiligte, drei Terrakotta-Plastiken zum Verkauf: „Man eading“, „Lord Beaver- brook“ und „The Worker“. Veranstalter wa- ren der Jüdische Kulturclub, das Free Au- strian Movement und die Free German League. Die Erlöse gingen zur Hälfte an den Mrs. Churchill Fund. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 1877) ist Hausfrau. Der um ein Jahr ältere Bruder besucht das Gymnasium und darf auch gleich studieren. Grete Meyer be- sucht das 10-klassige Lyzeum in Husum und das technische Seminar in Bremen, wo sie „praktische Werkstattarbeit“ erler- nen kann. Sie fügt sich ungern dem Wunsch der El- tern, eine hauswirtschaftliche Ausbildung anzustreben und schließt mit ihnen einen Vertrag: Wenn sie zwölf Monate in einem Haushalt lernt, stimmen die Eltern einem Studium der Tochter zu. 1922 zieht sie nach Heidelberg, wo sie als Au-pair im Haushalt des Philosophieprofessors Hein- rich Rickert die zwölf Monate ableistet. Im Herbst 1923 zieht sie nach Kassel, um am Gewerbelehrerinnenseminar zu studie- ren. Nach nur einem Semester ist die Prü- fung als Handarbeitslehrerin bestanden. Das Weiterstudium kann sie durch ein Sti- pendium aus Berlin finanzieren. Meyer ab- solviert gleich anschließend das Fachstudi- um zur Gewerbelehrerin und arbeitet ab 1927 für drei Jahre als Gewerbelehrerin an der Städtischen Handels- und Gewerbe- schule in Kassel.292 Während dieser Zeit verfolgt sie aufmerksam das Geschehen am Bauhaus, abonniert die Bauhauszeit- schrift. Sie unternimmt mit ihrer Klasse ei- ne Exkursion nach Dessau und kauft sich den ‘Wassily-Stuhl’. Als sich Grete Meyer im Herbst 1930 am Bauhaus Dessau unter der Matr.Nr. 455 einschreibt, hat sie erneut aus Berlin ein Stipendium erhalten. Sie besucht im Win- tersemester 1930/31 die Grundlehre zeit- gleich mit Matty Wiener, Anny Wettengel, Wera Itting, Ruth Josefek. Alle Genannten besuchen ab dem Frühjahr 1931 die Bau- /Ausbauabteilung. Auch Grete Meyers Na- me steht im Sommersemester 1931 auf der Semesterliste ‘Bau/Ausbau’. Nach ih- rer Erinnerung hat sie jedoch nie ‘Bau/Aus- bau’ belegt, das Bauhaus nur wegen der Vorlehre besucht.293 Sie verlässt Dessau nach zwei Semestern und gründet in Süddeutschland mit einer ehemaligen Kollegin einen kunstgewerbli- chen Salon. Außerdem gehört sie einer Arbeitsgemeinschaft junger Gewerbelehre- rinnen in Potsdam an. Ab 1934 be- treibt sie gemeinsam mit Luise Martin ein „Textil- und Modestudio“ in Berlin-Charlottenburg. Rückblickend betont Meyer-Ehlers die künstlerische Begabung dieser Kollegin, während sie ihre eigenen Stärken eher in Konzeption und Organisation sieht. Um 1936 nimmt sie den Mädchennamen ihrer Mutter in ihren Namen auf, nun heisst sie Meyer-Ehlers. 1940 wird sie als „Gestalterin von modi- schen Kleinigkeiten“ in die Reichskultur- kammer aufgenommen. Während des Krie- ges geht es aber bald nicht mehr um Gür- tel oder Krägen, Grete Meyer-Ehlers orga- nisiert für das Heereskommando Spandau die Produktion von Kartusch-Säckchen durch Heimarbeiterinnen. Aus der „Über- produktion“ werden nach dem Krieg dann wieder Krägen und Weißwaren produziert. Ihr „Schlager“ wird in Wirtschaftwunderzei- ten eine mit strapazierfähigem Stoff abge- fütterte Tasche aus Webstoff. Ab den fünfziger Jahren unterrichtet Mey- er-Ehlers als Dozentin für textiles Werken an der Pädagogischen Hochschule Berlin. 1955 wird sie dort zur Oberstudienrätin er- nannt. 1965 veröffentlicht sie für den Ein- satz in Schulen das Standardwerk „Textil- werken“, in dessen Methodik sie nahtlos an Josef Albers´ Grundlehre anknüpft.294 Über ihre Mitgliedschaft im Berliner Frau- enverband kommt sie in den fünfziger Jah- ren mit dem Bauen in Berührung. Meyer- Ehlers wird Vorsitzende des Beirats für Wohnungsgestaltung beim Senat und führt im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnungswesen und Städtebau (später Wohnungswesen, Städtebau und Raum- ordnung) Untersuchungen zu Wohnzufrie- denheit, Wohnerfahrungen, zu Akzeptanz und Voraussetzungen unterschiedlicher Planungsmodelle durch. Die Ergebnisse werden im Zusammenhang mit der Inter- bau öffentlich diskutiert. Sie möchte mit den Forschungen insbesondere NutzerIn- nen erreichen. Sie verfasst Unterrichtsseri- en zu Wohnformen und Einrichtungspro- blemen. Ihre Gebrauchswertanalysen von Wohnungsgrundrissen werden dank zahl- reicher Publikationen auch überregional bekannt. Grete Meyer-Ehlers wird 1963 zur außeror- dentlichen Professorin und 1970, kurz vor ihrer Emeritierung an der PH Berlin zur or- dentlichen Professorin ernannt. Hier ver- trat sie mehr als 20 Jahre lang das Gebiet Haushalt und Arbeitslehre. Prof. Grete Meyer-Ehlers lebt in Berlin. Quellen: BHD, NL Engemann - Prüfungsproto- kolle Interview mit Prof. Meyer-Ehlers am 7.7.1998 in Berlin Kürschners Gelehrtenkalender, 1976, 1980 eigene Schriften: Meyer-Ehlers, Grete: Raumprogramme, Schriftenreihe des Bundesministeriums für Wohnungsbau: Neues Bauen, neues Wohnen, H.7, Stuttgart, 1957 diess. (Bearb.): Die Küche als Arbeits- platz; Die Küche in der Wohnung, Bild- reihen BR 188 und 189, hrsg. Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Un- terricht, Berlin, 1959 diess.: Wohnen im Hansaviertel, (unter Mitarbeit von Christa Reichert und Meinhold Haußknecht), Bd.1 Berlin, o.J. um 1960 diess. (Bearb.): Es geht um ihre Woh- nung, hrsg. vom Bundesminister für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung in Zusammenarbeit mit dem Institut für Film und Bild in Wissen- schaft und Unterricht, Texte Arianna Giachi, Berlin, 1963 diess. (Bearb.): Es geht um ihre Küche, hrsg. Vom Bundesminister für Woh- nungswesen, Städtebau und Raumord- nung, Bad Godesberg, 2.Aufl., 1963 diess.: Wohnerfahrungen. Ergebnisse einer Wohnungsuntersuchung (unter Mitarbeit von Christa Reichert, Meinhold Haußknecht), Wiesbaden/Berlin, 1963 376 Anhang Grete Meyer-Ehlers um 1957 292 Sie wohnt in Kassel auf jährlich wechseln- den Adressen zur Untermiete bis sie sich ab April 1927 gemeinsam mit der Gewerbe- oberlehrerin Fränzi Noster eine Wohnung in der Bremelbachstraße 16 teilt. 293 Grete Meyer-Ehlers weist im Gespräch da- rauf hin, dass sie sich aufgrund ihres höhe- ren Alters wie des Stipendiums auf das Studium konzentriert und zielstrebig stu- diert habe. „Rumhampeln gab´s bei mir nicht.“ Gespräch am 7.7.1998 294 In der Einleitung - „Aufgaben und Wege“ - bezieht sie sich explizit auf Josef Albers’ Artikel „Werklicher Formunterricht“ (1928). Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar diess.(Bearb.): Wohnfunktionen I-V, hrsg. v. Institut für Film und Bild in Wis- senschaft und Unterricht, Berlin, 1963 (Beiblatt zu den Bildreihen, die für „Es geht um ihre Wohnung“ entwickelt wur- den) diess.: Forderungen und Wünsche der hauswirtschaftlichen Forschung, o.J. diess.: Textilwerken. Arbeiten mit Faden und Gewebe, Berlin, 1965 diess.(Bearb.): Einbauschränke im Woh- nungsbau. Ergebnisse einer Erhebung, i. A. des Bundesministers für Woh- nungswesen und Städtebau, Bonn, um 1967 (Mitarbeit von M. Haußknecht) diess.: Wohnung und Familie, Stuttgart, 1968 (unter Mitarbeit von S.Rughöft) diess. (Bearb.): Wohnen in städtischen und bäuerlichen Familienwohnungen. Ein Vergleich auf der Grundlage von zwei empirischen Untersuchungen, (un- ter Mitarbeit von Sigrid Rughöft), hrsg. TU Hannover, Lehrstuhl für das ländli- che Bau- und Siedlungswesen, Hanno- ver 1968 (Beiträge zum ländlichen Bau- und Siedlungswesen Bd.8; Berichte zur Arbeit der AVA, Arbeitsgemeinschaft zur Verbesserung der Agrarstruktur in Hes- sen, Bd.13) diess.: Das Wohninterview als Unterlage der Bauplanung. Ein Fragebogen mit ei- ner Anleitung für den praktischen Ge- brauch, hrsg. i.A. des Bundesministers für Wohnungswesen und Städtebau, Stuttgart, 1968 (Auszug aus „Wohnung und Familie“) diess.: Textilwerken, in: Kloeckner, Karl: Werken und plastisches Gestalten, Ber- lin, 3. Aufl. 1969 diess.: Flexible Wohnsysteme: Denkmo- delle von Architekten und Meinungen von Bewohnern zum Problem der Flexi- bilität, hrsg. Im Auftrag des Bundesmi- nisteriums für Wohnungswesen und Städtebau unter Mitarbeit von Meinhold Haußknecht und Sigrid Rughöft, Co- burg, 1970 diess.: Raumprogramme und Bewoh- nererfahrungen, Stuttgart/Berlin, 1971 diess.: Kollektive Wohnformen, Erfah- rungen, Vorstellungen, Raumbedürfnis- se in Wohngemeinschaften, Wohngrup- pen und Wohnverbänden, unter Mitar- beit von Meinhold Haußknecht und Sig- rid Rughöft, Wiesbaden, 1973 (Auszüge unter gleichem Titel auch in Bauwelt, 63.Jg., H.17, 17.5.1973, S.744-748) Wera Meyer-Waldeck Wera [Hanna Alice] Meyer-Wal- deck, Dipl.Arch., DWB, BDA geb. 6.5.1906 Dresden - gest. 25.4.1964 Bonn, beigesetzt auf dem Johannis- friedhof in Dresden Studium an der Akademie Dresden 1924 bis 1927, am Bauhaus Dessau von 1927 bis 1932, Diplom wurde 1906 in Dresden als viertes Kind des königlich geheimen Hofrats Dr.phil. Wolfgang Alexander Clemens Meyer-Wal- deck (31.5.1862 St.Petersburg - 16.5.1930) und seiner Frau Alexandra Magdalena Ma- ria geb. Riecken (gest. 8.4.1936) geboren. Die Mutter war als Österreicherin in Ale- xandrien geboren. Alexander Meyer-Wal- deck, dessen Vater als Professor in Dorpat lehrte, war Russe.295 Er hatte Philosophie, Literatur- und Kunstwissenschaft studiert. Bevor er 1896 an das Hoftheater in Dres- den berufen wurde hatte er u.a. als Drama- turg in Mannheim und Berlin gearbeitet. 1909 verlässt er das Hoftheater, um sich im Baumwollhandel selbständig zu machen. Die Familie siedelt nach Alexandrien über. Die vier Töchter und der Sohn genießen deutsch-französischen Privatunterricht. Nach dem Scheitern der väterlichen Han- delsgeschäfts siedelt die Familie um 1915 nach Graubünden über, die Töchter wer- den weiterhin privat unterrichtet.296 Die Älteste heiratet nach Frankreich, die Jüng- ste wird Schauspielerin. Die zweitälteste schließt ihr Chemiestudium in Dresden 1935 mit der Promotion ab.297 Auch Wera Meyer-Waldeck studiert. Nachdem sie in Dresden ab 1921 die Frauenschule be- sucht - und 1924 die Prüfung als Kinder- gärtnerin und Hortnerin bestanden298 - hat, belegt sie an der Akademie für Kunstge- werbe Grafik bei Prof. Erler.299 Zum 20.4.1927 schreibt sich Wera Meyer- Waldeck am Bauhaus Dessau unter der Matr.Nr.167 ein und besucht den Vorkurs bei Moholy-Nagy. Dort entsteht u.a. eine Fakturstudie.300 Anschließend wechselt sie in die Tischlerei, wo sie ihre Entwürfe für einen Kinderhocker, einen Liegestuhl, ei- nen Tee- sowie einen Klapptisch realisiert. Im Sommer 1928 belegt sie den „gastkurs städtebau“ bei Mart Stam. Ab dem Win- tersemester 1928/29 studiert sie Malerei bei Klee, aber auch bei Schlemmer. Mey- er-Waldeck wird ab diesem Semester je- doch auch begeisterte Studentin im Bau/ Ausbau bei Hannes Meyer. Nach zwei Jahren am Bauhaus unterzeich- net sie im Frühjahr 1929 bei Karl Böken- heide einen Lehrvertrag für die Tischlerei. Kurz darauf wird ihr „zum Erwerb berufli- cher Praxis eine Mitarbeit im Büro Meyer“ angeraten. Im Wintersemester 1929/30 ar- beitet sie in Berlin an den Planungen zur Schule des ADGB in Bernau mit. Wie Mey- er in seinem Zeugnis bestätigt, bearbeitet sie den größten Teil der Möblierung und des Innenausbaus dieser Schule.301 Bekannt ist der von ihr für die ADGB ent- worfene Schreibtisch, der auch ihr Gesel- lenstück in der Tischlerei wird, als sie An- fang 1932 - als erste Frau in Thüringen - vor der Handelskammer Dessau die Gesel- lenprüfung ablegen darf. Sie tut dies mit dem Prädikat „sehr gut“.302 Biografien 377 Wera Meyer-Waldeck in den 1950er Jahren 295 O.A.: „Meyer-Waldeck, Dramaturg. Ab- schiedsfeier beim Ausscheiden aus dem Kgl. Hoftheater“, in: Tagebuch des König- lich Sächsischen Hoftheaters, 93.Jg., 1909, Dresden, 1910, S.100-101. - Neben seiner Tätigkeit als Dramaturg führte Meyer-Wal- deck auch die finanziellen und technischen Geschäfte. Außerdem verfaßte er Lustspiele und Novellen, aber auch - anläßlich von Ju- biläen des Hochadels - sog. Prologe. Zum Wirken Wolfgang Meyer-Waldecks vgl. Wildberg, Bodo: Das Dresdner Hoftheater in der Gegenwart, Dresden, 1902, S.8-9. 296 Der einzige Bruder stirbt 12-jährig 1913. 297 Benita Meyer-Waldeck (16.10.1904 Dres- den - 27.6.1986 Dresden): Beiträge zur Kenntnis der Geschmacksstoffe im Rog- genbrot, Dissertation, Dresden, 15.3.1935 298 BHA, NL Meyer-Waldeck, Abschlußzeugnis 299 Den „Brotberuf“ Kindergärtnerin übt sie demnach wahrscheinlich nicht aus. BHA, NL Meyer-Waldeck, LL 1959/1961 300 Moholy-Nagy, Laszlo: Vom Material zur Ar- chitektur, München, 1929, S.61, Abb.44 301 BHA, NL Meyer-Waldeck, Zeugnis von Hannes Meyer vom 14.7.1930, betreffend die Zeit vom 15.9.1929 - 15.4.1930. 302 Anhalter Anzeiger 21.Januar 1932 Schreibtisch, Gesellenstück, 1931/32 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Während ihres Studiums ist Wera Meyer- Waldeck - lt. Diplom-Zeugnis - auch an den Projekten „Wohnung Piscator, Berlin“ (Entwurf und Ausführung), Arbeitsamt Des- sau (Innenausstattung), sowie der Möblie- rung des Hauses Hahn in Dessau beteiligt. Als im Mai 1930 ihr Vater stirbt, reist sie in die Schweiz. Sie wird krank und setzt das Studium erst ein Jahr später - Mitte Mai 1931 - fort. Nun studiert sie bei Hilbersei- mer und Mies. Beide unterzeichnen im Juli 1932 ihr Bauhaus-Diplom (Nr.77).303 Der dort aufgeführte Entwurf eines „Familien- hauses“ ist bisher nur namentlich bekannt. Ihre Diplomarbeit ist eine „Achtklassige Volksschule und Kindergarten”.304 Über die folgende Zeit variieren die Anga- ben Meyer-Waldecks. Nach einem Aufent- halt bei der Familie in der Schweiz findet sie zunächst keinen Berufseinstieg, auch wenn sie in den fünfziger Jahren angibt, in dieser Zeit als Volontärin in Zürich gearbei- tet zu haben.305 Ab Herbst 1934 arbeitet sie bei den Junkerswerken Dessau als technische Zeichnerin im Flugzeugbau. 1936 stirbt die Mutter. Ab 1937 arbeitet Wera Meyer-Waldeck - wahrscheinlich auf Vermittlung Annemarie Wimmers - im ‘Pla- nungsbüro der Reichsautobahnen’ in Ber- lin. Dort ist sie für die „Aufstellung von Ver- satzplänen zur Verblendung der Brücken- bauwerke mit Klinker und Werkstein“ zu- ständig.306 Im Frühjahr 1939 findet sie eine Stelle als Architektin bei der Reichsbahn- baudirektion Berlin. Nach eigenen Anga- ben ist sie hier am Triebwagenwerk Fal- kensee (Kesselhaus und Lehrwerkstätte) und den Ortsgüterbahnhöfen Berlin-Süd, Hoppegarten und Neukölln „entwurfsmä- ßig“ beteiligt.307 Zum 1.5.1942 tritt sie eine Stelle bei der Berg- und Hüttenwerksgesellschaft Kar- win-Thzynietz an. Sie wird Leiterin des 14- köpfigen Planungsbüros, das sämtliche Baumaßnahmen der acht umliegenden Kohlegruben - von „Beamtenbädern” über Waschkauen für Kriegsgefangene bis zu Schlammeindickern - durchführt. Doch „mit Rücksicht auf die eingetretenen Ver- hältnisse mußte Fräulein Meyer-Waldeck Karwin am 1. April 1945 verlassen“, bestä- tigt die Bescheinigung der Berghütte vom 19.11.1945. Sie flüchtet nach Dresden. Dort wird sie zum Frühjahr 1946 auf Vermittlung von Will Grohmann an der Staatlichen Hochschule für Werkkunst Dozentin für Innenausbau. Meyer-Waldeck beteiligt sich auch am Wiederaufbau der Schule, äußert sich aber enttäuscht über „die Jungens”, denen „die 12 Jahre noch so in den Knochen [stek- ken], daß man manchmal schier verzwei- feln könnte.“ 308 Sie findet keine Akzeptanz bei den Studenten, ihr Vertrag wird 1948 gelöst. Meyer-Waldeck lässt sich freiberuflich im hessischen Walldorf nieder und entwirft Flüchtlingsmöbel. Beim Möbelbauwettbe- werb Stuttgart 1949 erzielt sie einen An- kauf.309 Sie tritt dem Deutschen Werkbund bei und zeichnet bei dessen erster Nach- kriegsausstellung - in Köln 1949 - für die Gesamtgestaltung mitverantwortlich. Hier stellt sie auch eigene Möbelentwürfe sowie einen “Musterkindergarten” aus. Hier im Rheinland gelingt ihr in den folgen- den Jahren die berufliche Etablierung, zu- nächst als Innenarchitektin. Als freie Mitar- beiterin von Hans Schwippert mit dem In- nenausbau des Bundestages beauftragt (1949) zeichnet sie in Bonn außerdem für die Innenausstattung zweier Ministerien und der zum Gästehaus der Bundesrepu- blik avancierten “Victorshöhe” verantwort- lich. Für Konrad Adenauer kann sie das Bundeskanzleramt einrichten. In Koblenz baut sie ein Hotel, in Bonn ein Teppichge- schäft um. In Köln richtet sie ein Ledigen- heim und verschiedene Mädchengymnasi- en ein. Hier werden nach ihren Entwürfen auch vier Laubenganghäuser für Ostflücht- linge und mehrere Einfamilienhäuser er- richtet. In Bonn entsteht die katholische Auslandsmission unf das erste Musterhaus in Ytong. Meyer-Waldeck beteiligt sich 1951 an der Ausstellung „So wohnen”, 1957 stellt sie zwei Einrichtungen für „Das Wohnen in der Stadt von morgen” aus.310 Auf der Weltausstellung in Brüssel 1958 realisiert sie die Ausstellungsarchitektur der Abteilung „Der persönliche Bedarf” im Deutschen Pavillon. Wera Meyer-Waldeck schreibt in den fünf- ziger Jahren etliche Fachartikel. Sie nimmt 378 Anhang Hotel „Pfälzer Hof”, Koblenz, um 1950, Restaurant „Haus Bockemühl” Bonn, 1956 303 BHA, NL Meyer-Waldeck, Diplom-Zeugnis Wera Meyer-Waldeck vom 12.7.1932. Vgl. auch S.80 304 Vgl. Kap.4, S.75. 305 BHA, NL Meyer-Waldeck, maschinen- schriftlicher LL Wera Meyer-Waldeck, der in den 1950er Jahren erstellt wurde. 306 Ibid., Zeugnis vom 27.5.1939. Wimmer ist dort bereits seit Ende 1935 als technische Angestellte tätig. Vgl. Biografie Wimmer. 307 Ibid., LL Meyer-Waldeck, außerdem Zeug- nis der Reichsbahnbaudirektion für Meyer- Waldeck vom 2.3.1942. 308 DAM, NL Meyer II 4(10) 81/2-847, Brief Meyer-Waldeck vom 9.8.1947 309 Der Bauhelfer, 1949, Nr.11, S.308 310 Die Ausstellung „So wohnen” fand 1951 in Bonn statt. „Das Wohnen in der Stadt von morgen” wurde 1957 in Berlin im Rahmen der Interbau gezeigt. Bundestag Bonn, Innenausbau, 1949, Blick in den Plenarsaal Der persönliche Bedarf, Weltausstellung Brüssel, 1958 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 1952 am dritten ‘Darmstädter Gespräch’ teil und unternimmt zahlreiche Bildungs- und Vortragsreisen. Sie ist im Deutschen Frauenbund und im Werkbund aktiv. Ihr letztes Projekt ist 1962 ein Studentinnen- wohnheim in Bonn. Wera Meyer-Waldeck, die an Diabetes er- krankt ist, starb im Frühjahr 1964 in Bonn. Ihre Urne wird in das Dresdner Familien- grab überführt. Ein Teil ihres Nachlasses befindet sich im Bauhaus Archiv Berlin. Für biografische Hinweise danke ich Dagmar Frowein und Despina Stratiga- kos Quellen: BHA, Teilnachlass Wera Meyer-Wal- deck, Diplomzeugnis vom 12.Juli 1932 STADresden - Personenkartei Alexander Meyer-Waldeck BHD, ich danke Ines Hildebrand insbe- sondere für die Hinweise zur Lehrtätig- keit Wera Meyer-Waldecks in Dresden. Informationen des Friedhofsamtes des Johannisfriedhofs Dresden, mit Dank an Frau Lindner Lang, Lothar: interviews mit bauhäus- lern, in: bauhauszeitschrift, H.4, 1928 S.18-19 Anhalter Anzeiger, 21.1.1932 DAM, NL Hannes Meyer, Briefwechsel Meyer-Waldeck Schwippert, Hans (Hg.): 3. Darmstädter Gespräch. Mensch und Technik, Darm- stadt, 1952 Landgraf, Elisabeth: Nachruf auf Wera Meyer-Waldeck, in: Das Werk, Nov./ Dez. 1964, S.11 Bauhaus Archiv Berlin (Hg.): Bauhaus in Berlin, Katalog, Berlin, 1995 eigene Artikel Meyer-Waldeck, Wera: Das Bundespar- lament in Bonn, in: Innendekoration / Architektur und Wohnform, 58.Jg.,1949/ 50, S.99-109, m. Abb. diess.: Eine neue Volksschule in Bonn- Süd, in: Innendekoration / Architektur und Wohnform, 61.Jg., 1952/53, S.192- 198 diess.: Das Wohnen in der Stadt von morgen, in: Interbau Berlin, Amtlicher Katalog, Berlin, 1957 diess.: Der Streit um die Wohnbera- tungsstellen, in: Werk und Zeit, 6, Düs- seldorf, 1957, Nr.1 Minsos, Johanna siehe Tönnesmann, Johanna Mory, Christa siehe Schöder, Christa Maria Müller [Ottilie Hertha] Maria (Marie) Mül- ler, geb. Scholz, Dipl.Arch. geb. 20.3.1900 Dresden - Daten nach 1937 unbekannt Studium am Bauhaus Dessau 1928 bis 1932, Diplom wurde am 20.3.1900 in Dresden als erste Tochter des evangelischen Kaufmanns Franz Leberecht Michael Scholz (geb. 8.7. 1862) und seiner katholischen Frau Maria Emma (oder Erna) geb. Klar (geb.14.10. 1875) geboren. Die Eltern wohnen in der Christianstr. 9 am Rande der Dresdner Alt- stadt.311 Der Vater betreibt einen Zigarren- handel, dessen Vater war der in Freiberg ansässige Cigarrenfabrikant Franz Scholz. Aus Prüfungsprotokollen geht die Vorbil- dung von Maria Scholz hervor: bis zum 16. Lebensjahr besuchte sie eine Höhere Mäd- chenschule in Dresden, dann eine Frauen- schule. Anschließend nahm sie Malunter- richt bei Richard Hofmann und Hugo Lan- ge. 1922 heiratet sie den Architekten Al- fred Müller und zieht nach Dessau. Hier wohnen sie in der Wilhelm-Müller-Straße, wo sie im Büro ihres Mannes mitarbeitet. Es ist nicht ganz klar, wann Maria Müller ihre erste Tochter zur Welt bringt. Als sie sich zum Wintersemester 1928/29 unter der Matr.Nr. 290 am Bauhaus einschreibt, gehört sie zu den wenigen verheirateten Studentinnen mit Kind.312 Ebenfalls un- deutlich bleibt, ob sie zuvor bereits Ger- son, Meyer-Waldeck und Wimmer kannte - alle drei studierten zeitweilig in Dresden, und am Bauhaus ab dem Frühjahr 1928. Müller besucht zunächst die Grundlehre bei Albers. Die Reproduktion einer mit „müller“ gezeichneten Zeitungscollage aus dem Vorkurs Albers 1928 befindet sich im Bauhausarchiv. Anschließend belegt Maria Müller zwei Semester in der Abteilung für Wandmalerei. Im Oktober 1929 muss sie erneut ausstellen, um ins 3. Semester auf- genommen zu werden.313 Im Frühjahr 1930 zählt sie mit Loewe zu den sieben Mitglie- dern dieser Werkstatt. Im Juni 1930 bringt sie ihre zweite Tochter zur Welt. Diese wird protestantisch getauft, obschon Maria und Alfred Müller aus der Kirche ausgetreten sind. Zum Herbst 1930 wird Maria Müller am Bauhaus in die Baulehre aufgenommen.314 Außerdem arbeitet sie ein Semester in der Tischlerei. Ihre Studienprojekte aus dieser Zeit sind bisher ebensowenig bekannt wie das Thema ihrer Diplomarbeit. Das von Mies van der Rohe unterschriebene Di- plom Nr.81 im Bau/Ausbau erhält sie nach insgesamt acht Semestern am Bauhaus im August 1932 zeitgleich mit Reiss, Wilke, Wimmer und 16 Herren der Bau-/Ausbau- abteilung. Maria Müller ist 1933 im Adressbuch Des- sau als Architektin unter eigenem Namen in der Wilhelm-Müller-Str. 9 verzeichnet. Sie verlässt Dessau und wohnt ab April 1934 mit nun drei Kindern in der Orber- straße in Berlin-Grunewald.315 Als sie 1935 als „Schülerin von Prof. Mies v.d. Rohe“ einen RKK-Aufnahmeantrag stellt, führt sie ihre Entwürfe nur summarisch auf. Warum sich Müller dort nicht als Architektin, son- dern als Innenraumgestalterin bewirbt, ist aus den vorhandenen Unterlagen nicht er- sichtlich. Bereits zwei Monate nach ihrer Aufnahme in die Fachgruppe Innenraum- gestalter richtet sie erneut ein Gesuch an die Kammer, in dem sie die Geringfügig- keit ihrer Berufstätigkeit betont.316 Im Adressverzeichnis Berlin taucht Müller mit eigenem Namen und dem Zusatz „In- nenarchitektin” bis 1936 auf. Anschließend ist unter dieser Adresse Alfred Müller - al- lerdings nur 1937 - eingetragen. Müllers weiterer Lebensweg ist bisher unbekannt. Als sie 1940 anlässlich der Auflösung der ‘Fachgruppe Innenraumgestalter’ zur Rückgabe ihres Kammerausweises aufge- fordert wird, wird dieses Schreiben mit dem Vermerk „unbekannt” retourniert. Quellen: BHD, NL Engemann Prüfung Winterse- mester 1929/30 am 7.4.1930, Seme- sterprüfungsliste Sommer 1931 am 6.7.1931 Stadtarchiv Dresden, Geburtseintrag beim Standesamt I, Dresden Altstadt Kirchenbuchauszüge der Kreuzkirche zu Dresden, lt. Mitteilung des Kirchbuch- amtes Dresden vom 16.9.1998 Adressverzeichnisse der Stadt Dessau, mit Dank an Christa Fredenhagen LAB, Adressverzeichnisse Berlin Kirchenbücher der Kreuzkirchengemein- de Berlin-Schmargendorf Niegeman, Gerda siehe Marx, Gerda Biografien 379 311 Die Christianstraße lag im Bereich der heu- tigen St. Petersburger Straße. Die Eltern wohnen 1911 in der Heubnerstr.15, in den 30er Jahren in der Elisanestr.7. 312 Ob bzw. wie weit sie dem Bauhaus schon zuvor verbunden war, kann bisher nur ver- mutet werden. Bspw. taucht auf der von Tut Schlemmer aufgestellten „Liste von Bauhäuslern” der Name „Micke Müller“ auf. Angesichts des Weggangs der Schlemmers nach Breslau 1929 könnte dies ein Hinweis auf persönliche Kontakte sein. 313 Stadtarchiv Dessau, SB 21, Bl. 1 „prüfung sommersemester 1929: 21.10.29 „studie- rende des II.semesters, die nochmals aus- stellen müssen (..): müller, maria”. 314 Ob Maria Müller familiäre Unterstützung er- hielt, ist bisher unbekannt. Evtl. wohnte im gleichen Haus ihre Schwiegermutter. 315 Die Orberstraße kreuzt die Warmbrunner Straße, Maria Müller wohnte damit nur ei- nen Steinwurf von Marie Frommers Büro entfernt. Ob sich die Architektinnen persön- lich kannten, ist bisher unbekannt. Alfred Müller unterhielt bis 1934 in der Albrecht- straße 13 in Dessau das Ingenieurbüro Mül- ler & Herrmann. Er soll mit diesem Kollegen u.a. in Halle gebaut haben. 316 Schreiben „Anders“ an den Präsidenten der RKK vom 7.4.1936, Betr.: Das Schreiben vom 14.1.1936, IV R.104/7089: Gesuch vom 18.12.1935 der Innenraumgestalterin Maria Müller. „Die Genannte hat glaubhaft nachgewiesen, dass sie den Beruf als In- nenraumgestalterin nur gelegentlich und geringfügig ausübt, da sie durch ihre Pflich- ten als Hausfrau und Mutter zweier minder- jähriger Kinder voll beansprucht ist.“ - Bei „Geringfügigkeit“ war ein Erlaß der Beiträge möglich. Eventuell sank auch die Kontrolle durch die RKK. Elisabeth (Else) Nießen geb. 14.6.1884 Bielitz - Daten nach 1933 unbekannt Studium an der Kunstgewerbeschule Wien von 1912 bis 1918, Abschlusszeug- nis wurde 1884 als zweite Tochter reichsdeut- scher Eltern im schlesischen Bielitz gebo- ren und protestantisch getauft. Ihr Vater ist der Kaufmann Paul Nießen. Die Eltern sind gegen ein Studium der Tochter. Ihr Interesse an Kunst - bei Besuchen in Dresden geweckt - kann Elisabeth Nießen erst im Alter von 27 Jahren und dank ihrer in Wien lebenden, älteren Schwester um- setzen. Beim Eintritt in die Kunstgewerbe- schule Wien am 15.4.1912 gibt sie als Vor- bildung „Private Studien“ an. Sie studiert zwei Semester Textil bei Rothansl, zwei Semester Schrift bei Larisch und belegt bis 1914 Aktzeichnen. Regelmäßig verbringt sie die Semesterferien bei den Eltern in Bielitz. Inzwischen studiert ihr neun Jahre jüngerer Bruder an der Technischen Hoch- schule in Wien. Ab 1914 besucht sie die Allgemeine Abtei- lung bei Strnad, außerdem die Fachklasse Tessenow. Spätestens mit Eintritt in diese Klasse gibt sie als „Lebensberuf: Architek- tur“ an. Architektonische Entwürfe Nießens aus der Studienzeit sind bisher nicht be- kannt. Ihr Entwurf eines Kriegerdenkmals wird von Tessenow in einem Jahresbe- richt lobend erwähnt und 1915 in einer Veröffentlichung des Gewerbeförderungs- amtes publiziert.317 Im folgenden Jahr wer- den in der Mappe „Einfacher Hausrat“ zwei ihrer Möbelentwürfe publiziert. Im Frühjahr 1918 schließt sie - als erste Archi- tekturstudentin der KGS Wien - bei Tesse- now ihr Studium im Alter von 34 Jahren ab. Weshalb als letztes Zeugnis in ihrer Akte das Jahreszeugnis 1916 abgelegt ist, bleibt unklar. Im Anschluss an ihr Studium tritt Elisabeth Nießen als „einzig technisch arbeitende Frau im Stadtbauamt” in die Dienste der Plan- und Schriftenkammer Wien ein, ab September 1918 ist sie dort „als Beamtin" tätig. Ihr obliegen die Planungen für die Kriegerheimstätten in Aspern und die Krie- gerwohnsiedlung „Auf der Schmelz”.318 Unklar bleibt, wie lange sie hier tätig bleibt. Bereits seit 1919 sind im Einwohnermelde- register keine Besuche in Bielitz mehr ver- zeichnet. Elisabeth Nießen heiratet nicht. Am kommunalen Wohnungsbauprogramm der Gemeinde Wien, in dem zwischen 1919 und 1934 über 190 freischaffende Privatarchitekten mit der Planung von 384 Wohnprojekten beauftragt werden, kann sie nicht partizipieren. 1929 beteiligt sie sich mit dem Entwurf eines Musikzimmers an der Ausstellung „Das Bild im Raum“.319 Aus dem Sommer 1930 datiert ein Brief an Tessenow, in dem sie um Unterstützung nachsucht. Sie fragt ihn, ob in Berlin Ar- beitsmöglichkeiten für Architektinnen exi- stierten und resümiert ihre Erfahrungen in Wien: „Um all die Vorurteile zu bekämpfen gehören vielleicht fünfzig Jahre dazu, um klarzumachen, daß eine Frau beim Bauen mitzureden hat, und daß man sie arbeiten läßt.“ Tessenow scheint Nießen nicht unbedingt eine Möglichkeit eröffnet zu haben „beim Bauen mitzureden“. In seinen Briefwech- seln lässt sich weder der Durchschlag ei- nes Antwortschreibens noch ein weiteres Lebenszeichen von ihr finden. Über Nie- ßens weiteres Leben ließ sich bisher nur recherchieren, dass sie sich im Juni 1930 aus Wien ab-, im Sommer 1931 dort er- neut anmeldet. Ein Vermerk auf ihrer Mel- dekarte verweist auf einen Beschluss des Bezirksgerichts VIII vom 16.1.1932, wo- nach sie wegen „Geisteskrankheit (Trunk- sucht)” voll entmündigt und der Vormund- schaft ihres Bruders in Hannover unter- stellt wird. 1933 meldet sich dieser nach Kiel ab. Dort lassen sich bisher weder Ernst noch Elisabeth Nießen nachweisen. Quellen: AAKW, Inskriptionsbogen Nießen, Stu- dentenakte Nießen K.k. Gewerbeförderungsamt (Hg.): Sol- datengräber und Kriegsdenkmale, Wien 1915 K.k. Österreichisches Museum für Kunst und Industrie (Hg.): Einfacher Hausrat, Wien, 1916 E.T.: Wiens erste Architektin, in: Neues Wiener Journal, 25.Jg., No. 8826, 31.5. 1918, S.3-4, Abendausgabe HTA, Briefe Elisabeth Nießen an Hein- rich Tessenow vom 4.7. und 18.7.1930 W.O. Dresslers Kunstjahrbuch 1930: Eintrag Nießen Michelis, Marco de: Heinrich Tessenow, Stuttgart, 1991, S.257 Plakolm-Forsthuber, 1994, S.76, S.260 Wien MA8 - Schreiben vom 4.8.1998, mit Dank an Herrn Koch Stadtarchiv Hannover, Schreiben vom 15.8.1998, mit Dank an Herrn Heine Einwohnermeldeamt Kiel, Schreiben vom 19.10.1998 Oesterlen, Ewa siehe Freise, Ewa Oswald, Hildegard siehe Korte, Hildegard Benita Otte spätere Koch-Otte (ab 1929) geb. 23.5.1892 Stuttgart - gest. 26.4. 1976 Bethel Studium am Zeichenlehrerseminar in Düsseldorf 1911 bis 1913, am Bauhaus Weimar 1920 bis 1925 Benita Otte ist zu recht als Weberin be- kannt geworden. Hier erscheint dennoch eine Skizze ihrer Werkbiografie, da auch sie sich sowohl am Bauhaus wie auch da- nach zeitweise auch in der Architektur be- tätigt hat. 1892 in Stuttgart geboren absol- vierte sie in Krefeld ein Lyzeum, in Düssel- dorf die Ausbildung zur Zeichenlehrerin sowie die Prüfung zur Turnlehrerin. Als sich Otte 1920 im Alter von 27 Jahren unter der Matrikelnummer 42 am Bauhaus Weimar einschreibt, hat sie bereits mehre- re Jahre an einer Mädchenschule in Uer- dingen unterrichtet. In Weimar besucht sie zeitgleich mit Gertrud Bernays den Grund- kurs bei Itten und Klee bevor sie in die neugegründete ‘Frauenklasse’ resp. die Weberei eintritt. Dort entstehen nach ihren Entwürfen zahlreiche Teppiche und Wand- behänge in den unterschiedlichsten Tech- niken. Offensichtlich weiß der künstleri- sche Leiter der Weberei, Georg Muche jedoch auch ihre Fähigkeiten als Zeichne- rin zu schätzen. Als er 1923 den Entwurf eines Stahlhauses zur Realisierung auf dem Grundstück am Horn in Weimar durchsetzen kann, zeichnet Benita Otte die Isometrie dieses Entwurfes. Die lasiert eingesetzten Farben verdeutli- chen die baukastengleich addierten Raum- volumen als Konzept, auch wenn sie zur gewählten Stahlkonstruktion in einem un- wirklichen Kontrast stehen. 380 Anhang 317 Vgl. de Michelis, Marco: Heinrich Tessenow 1876-1950, Stuttgart, 1991, S.257. Außer Nießen findet hier nur die Arbeit Guido Uxas Erwähnung. 318 E.T. [Else Taterka?]: Wiens erste Architek- tin, in: Neues Wiener Journal, 25.Jg., No. 8826, 31.5.1918, S.3-4, Abendausgabe 319 Die Ausstellung fand im Februar-März 1929 im Museum für Kunst und Industrie Wien statt. Vgl. Plakolm-Forsthuber, 1994, S.76. Schrankentwurf, ‘Kasten mit Glastürflügel’, 1916 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Otte ist an diesem Versuchshaus aber nicht nur als Zeichnerin beteiligt. Gemein- sam mit Ernst Gebhardt zeichnet sie für die Kücheneinrichtung dieses Hauses ver- antwortlich. Wer die in den Bauhauswerk- stätten hergestellten Möbel gebaut hat, lässt sich bisher nicht recherchieren. Ob sie an weiteren Architekturprojekten betei- ligt war, ist bisher unbekannt. Benita Otte verlässt 1925 das Bauhaus oh- ne formalen Abschluss, um an der Burg Giebichenstein die Weberei zu leiten. 1929 heiratet sie den vier Jahe jüngeren Hein- rich (Jindrich) Koch (1896 Ung. Hradisch - 1.4.1934 Prag), der seit 1922 ebenfalls am Bauhaus studierte. Er legte im Sommer 1928 in Dessau die Gesellenprüfung als Wandmaler ab. 1929 wird er an der Burg Giebichenstein Leiter der Fotografieabtei- lung. 1933 wird Benita Koch von der Stadt Halle entlassen. Mit ihrem Mann zieht sie nach Prag, wo beide gemeinsam auch an archi- tektonischen Aufträgen gearbeitet haben sollen. Im Frühjahr 1934 verunglückt Hein- rich Koch bei einem Autounfall tödlich. Koch-Otte verlässt Prag und wird noch im selben Jahr Leiterin der Weberei der von- Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel. Diese Tätigkeit übt sie bis 1957 aus, bleibt bis 1969 als Entwerferin und Weberin tätig. Benita Koch-Otte starb im Frühjahr 1976 in Bethel. Quellen: Fiedler, 1987, Kurzbiografie Koch-Otte, S.155-156 Dolgner, Angela, et.al.: Burg Giebichen- stein, Halle, 1993 Otto, Anneliese siehe Brauer, Anneliese Pal, Zsuzsanna siehe Bánki, Zsuzsanna Rina Paschowa, Dipl.Ing. geb. 19.3.1910 (Geburtsort unbekannt) - Daten nach 1935 unbekannt Studium an der TH Charlottenburg 1930 bis 1935, Diplom wurde am 19.3.1910 in Bulgarien geboren. Über ihre Vorbildung ist ebenso wenig be- kannt wie über ihr Elternhaus. Als sie sich 1930 unter der Matr.Nr. 43972 an der TH Charlottenburg für das Architek- turstudium einschreibt, gibt sie eine Hei- matadresse in Ressen an. Um 1932 wohnt Rina Paschowa in der Kaiserallee (heute Bundesallee) in Wilmersdorf, später in der Königsallee in Berlin-Zehlendorf. Ab dem Wintersemester 1932/33 besucht sie das Seminar Tessenow und legt 1933 in ihrem sechsten Studiensemester die Diplom-Vor- prüfung ab. Nach weiteren vier Semestern erhält sie im Herbst 1935 das Diplom. Praktika und Studienarbeiten von ihr sind ebenso wenig bekannt wie das Thema ih- rer Diplomarbeit bei Tessenow. Rina Paschowas weiterer Lebensweg konnte bisher nicht recherchiert werden. (s.a. Beloweschdowa) Quellen: HTA, Studentenkartei Paschowa Biografien 381 Küche im Haus am Horn, 1923 Haus am Horn, 1923, Isometrie Benita Otte Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Anni Pfeiffer Anni(e) [Amalie Julie Minni] Pfeif- fer, spätere Gunkel (ab 3.2.1934), Dipl.Ing., AVB, BDA geb. 4.6.1906 Kassel - gest. 1.7.1941 Nürnberg, begraben auf dem Westfried- hof Nürnberg Studium an der Universität Frankfurt/M. 1925, an der Universität München 1926, an der TH München 1926 bis 1928, an der TH Charlottenburg 1929 bis 1932, Diplom wurde 1906 als älteste Tochter des Ban- kiers Karl Ludwig Pfeiffer (5.9.1874 Kassel - 14.6.1952 Kassel) und seiner Frau Elisa- beth Charlotte Antonia geb. Paech in Kas- sel geboren. Der Vater ist als Wirtschafts- mensch wie als Kunstsammler hoch an- gesehen. Er be treibt neben seinem Beruf wissenschaftliche Studien in der Paläonto- logie, für die er einen Ehrendoktortitel der Universität Marburg erhält. Die protestan- tische Familie wohnt am Rammelsberg in einer von Rudolph Kasteleiner erbauten Villa. Die Mutter führt das große Haus. Der Bruder studiert später Naturwissenschaf- ten, die Schwester heiratet. Annie Pfeiffer legt im Februar 1925 an der städtischen Studienanstalt der realgymna- sialen Richtung in Kassel das Abitur ab. Im Abiturzeugnis wird auch die Teilnahme an einem dreijährigen Griechischkurs „mit gu- tem Erfolg“ bestätigt. Zum Studium geht sie zunächst nach Frankfurt am Main, wo sie ein Semester Chemie belegt. Dann wechselt sie zum Sommersemester 1926 an die Ludwig-Maximilians-Universität in München. Neben dem Chemiestudium ist sie sportlich sehr aktiv. Sie tritt in München der akademischen Reitschule bei. Anni Pfeiffer kannte die etwas ältere und ebenfalls aus Kassel stammende Gisela Eisenberg, die bereits ab dem Frühjahr 1925 Architektur an der TH München stu- diert.320. Sie könnte jedoch auch durch ei- nen Wettbewerb auf die Idee gekommen sein Architektur zu studieren: 1926 wird in Kassel die Wettbewerbsausschreibung für den Neubau der Mädchenschule an der Wilhelmshöher Allee vorbereitet, den Hein- rich Tessenow 1927 gewinnt und bis 1930 realisiert.321 Tessenow soll in dieser Zeit im Hause Pfeiffer verkehrt haben.322 Bereits im Sommer 1926 arbeitet Anni Pfeiffer sechs Wochen in der Schreiner- werkstatt der Staatlichen Kunstakademie Kassel, dann drei Monate als Praktikantin in der Bauschreinerei des Baugeschäfts Wilhelm Zimmermann & Co.323 Zum Wintersemester 1926/27 nimmt sie an der TH München das Architekturstudium auf. Im Sommer 1927 unternimmt sie eine längere Studienreise nach Griechenland. Auf dieser Reise entstandene Zeichnungen sind erhalten. Vor Beginn des Winterseme- sters ist sie während eines sechswöchigen Praktikums in der Bauabteilung der Loko- motivfabrik Henschel und Sohn in Kassel mit der „Ausarbeitung eines Einfamilien- hauses“ beschäftigt.324 Im Frühjahr 1928 arbeitet sie erneut vier Wochen in dieser Abteilung. Sie schließt im Sommer 1928 das Grundstudium an der TH München mit dem Vordiplom ab. Ab November 1928 ar- beitet sie zehn Monate im Büro des Archi- tekten Robert Wollmann in Frankfurt am Main.325 Aus dem Sommer 1929 datiert ein Aufmaß, das sie gemeinsam mit Eisenberg zeichnet. 1929 werden in Kassel zwei Wettbewerbe durch die Aschrott-Stiftung ausgeschrie- ben: Für ein Wohlfahrtshaus an der Fulda- brücke und für ein Altersheim in Kassel- Wilhelmshöhe.326 Der Kasseler Industrielle Aschrott ist Anni Pfeiffers Patenonkel. Beim Wettbewerb um das Wohlfahrtshaus, zu dem verschiedene bekannte Architek- ten aufgefordert werden, beteiligt sich Pfeiffer mit einem eigenen Entwurf.327 Der Wettbewerb wird von den Kasseler Archi- tekten Karl Hermann Sichel und Waldemar Leers gewonnen, jedoch nicht realisiert. Anni Pfeiffer erzielt mit ihrem sehr moder- nen Entwurf einen Ankauf. Sie bestellt auch die Ausschreibung für den Wettbewerb zur Pädagogischen Aka- demie in Kassel, führt diesen aber nicht zu Ende. Erste Skizzen hierzu lassen sich in ihrem Nachlass finden. Seit dem Winterse- mester 1929/30 wohnt Pfeiffer in Berlin- Tiergarten, studiert - offiziell eingeschrie- ben - nun im Seminar Tessenow. Im Feb- ruar 1932 schließt sie ihr Architekturstudi- um nach fünf Semestern an der TH Char- lottenburg mit einer Diplomarbeit bei Tes- senow ab. Das Thema dieser Arbeit ist un- bekannt. Erhalten sind jedoch undatierte Modellfotos einer zweigeschossigen Ju- gendherberge resp. einem Ferienheim auf einem Bergrücken und die Reproduktion einer Grundrisszeichnung für ein „Gast- haus am See“. Wahrscheinlich handelt es sich bei der Jugendherberge um den im Winter 1931/32 entstandenen Diploment- wurf Pfeiffers. 382 Anhang 320 Vgl. Biografie Eisenberg. Wie Pfeiffer auf die Idee kommt, Architektur zu studieren, ist bisher nicht dokumentiert. Die Entschei- dung fällt offenbar im Frühjahr 1926. 321 Zur Malwida-von-Meysenbug-Schule, der späteren Heinrich-Schütz-Schule, vgl. de Michelis, 1991, S.280-281. Ab Juni 1927 realisiert Tessenow in Kassel den Umbau des Schlosshotels Wilhelmshöhe, das nur einen Steinwurf von der Villa Pfeiffer ent- fernt liegt. (Ibid., S.292) 322 Dass ihm die Familie ein Begriff war, zeigt auch der Eintrag auf der zwei Jahre später von ihm angelegten Karteikarte für Pfeiffer: Als Heimatadresse vermerkt er den lokal üblichen Begriff „Rammelsberg“. 323 Lt. Arbeitsbescheinigung vom 23.10.1926, NL Gunkel 324 Lt. Zeugnis vom 16.10.1927, NL Gunkel 325 Lt. Zeugnis vom 15.9.1929, NL Gunkel 326 Beim Wettbewerb um das Marie von Bo- schan-Aschrott-Altersheim gewinnt Otto Haesler vor Gropius. Tessenows Entwurf, der bisher nicht dokumentiert ist, wird der 3. Preis zuerkannt. - de Michelis, 1991, S.298 327 Darunter Gropius, Berstelmeyer, Poelzig und Tessenow, in die Jury wurden u.a. Hä- ring und Taut berufen. Wettbewerbsentwurf für das Aschrott-Wolfahrtshaus, Kassel, 1929, Ankauf Gipsmodell NL Gunkel Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Anni Pfeiffer beabsichtigt, den zwei Jahre jüngeren Studienkollegen Karl Heinrich Gunkel zu heiraten. Dieser hat sein Studi- um noch nicht beendet. Sie tritt sie nach dem Diplom im Mai 1932 in Berlin in das Büro der Allgemeinen Häuserbau AG von Adolf Sommerfeld ein. Dort arbeitet sie u.a. an der Einfamilienhaussiedlung Klein- Machnow und dem Kino in der Onkel- Tom-Siedlung mit.328 Sie verlässt diese Stellung Ende März 1933, um einen halb- jährigen Koch- und Haushaltungskurs zu absolvieren und ihre Aussteuer vorzuberei- ten. Weihnachten 1933 findet die Verlo- bung statt und am 3.2.1934 heiraten Anni Pfeiffer und Karl Gunkel (28.8.1908 - 13.6. 1986) in Kassel.329 Sie ziehen nach Hamburg, wo er eine Stel- le als Regierungsbauratsanwärter antritt. In der ‘Junggesellen-Komfortwohnung’ an den Großen Bleichen schlägt Anni Gunkel ihr Büro auf. Von ihrer Patentante kommt der erste Auftrag. Sie liefert zwei Entwürfe für das Grundstück im Moselweg in Kas- sel-Wilhelmshöhe, auf dem von August bis Ende 1934 das Haus Schwerdtfeger ent- steht. Anni Gunkel übernimmt auch die Bauleitung und erstellt eine foto grafische Dokumentation des Baufortgangs. Während des Jahres in Hamburg soll sie sich erneut an Wettbewerben beteiligt ha- ben. Und zweifelsohne strebt sie eine frei- berufliche Perspektive an: Sie stellt Auf- nahmeanträge bei AVB und BDA und wird aufgenommen. Weitere Bauten von ihr las- sen sich bisher aber nicht nachweisen.330 Zur Vorbereitung der Regierungsbaumei- sterprüfung Karl Gunkels in Berlin ziehen beide im Frühjahr 1935 nach Neubabels- berg. Im Sommer werden Zwillinge gebo- ren. 1937 erfolgt erneut ein berufsbeding- ter Umzug der Familie nach Münster, wo Anni Gunkel im gleichen Jahr zum zweiten Mal Zwillinge zur Welt bringt. Damit wird, nur fünf Jahre nach dem Diplom, aus der engagierten Architektin eine vollauf be- schäftigte Mutter von vier Kindern. Ende 1938 zieht die Familie nach Nürnberg. Hier kommt im Sommer 1941 das fünfte Kind zur Welt. Anni Gunkel überlebt diese Ge- burt nur um wenige Tage. Für biografische Informationen danke ich Jochen und Jürgen Gunkel Quellen: HTA, Karteikarte Anni Pfeiffer NL Gunkel, LL Anni Gunkel, erstellt von Karl H. Gunkel in den 1940er Jahren, Deines, Emil (Hg.): Bauwettbewerbe, H.50, Mai 1930 Todesanzeige Anni Gunkel, Kasseler Post vom 3.7.1941 Stadtarchiv Kassel - Unterlagen zu Karl Pfeiffer und Anni Pfeiffer, Schreiben von Herrn Klaube vom 2.8.1997 Leonie Pilewski spätere Karlsson (ab 1940), Dipl. Ing., ZV, SPÖ, Künstlerinnenname ab den 1940er Jahren: Pikarlsson geb. 22.2.1897 Weinbergen/Galizien - lebt in Schweden Studium an der TH Wien 1915 bis 1917, an der TH Darmstadt 1917 bis 1922, Di- plom wurde 1897 als ältestes Kind des Arztes Dr. Oscar Pilewski (geb. 1868 in Lemberg) und der Künstlerin Sofie Lubinger (1869 Lemberg - 1940 Lemberg) in Galizien ge- boren. Leonie wächst mit einer sechs Jah- re jüngeren Schwester in Wien auf.331 Eine Schwester der Mutter lebt als Ärztin eben- falls in Wien. Leonie Pilewski erwirbt im Mai 1915 die Matura auf dem Mädchengymnasium in der Rahlgasse in Wien und bewirbt sich anschließend an der Technischen Hoch- schule für ein Maschinenbaustudium.332 Sie wird nur schrittweise und zögerlich als Hospitantin für einzelne Fächer zugelas- sen, auch ein Antrag bei der Deutschen Technischen Hochschule in Brünn schei- tert.333 So wechselt sie zum Winterseme- ster 1917/18 an die TH Darmstadt und be- legt zunächst ein Semester Maschinenbau, bevor sie Architektur studiert. In Darmstadt gehört sie 1918 zu den Grün- dungsmitgliedern der ‘mosaisch sozialisti- schen Gemeinschaft’. Als sie sich am 11.3. 1919 nach nur drei Semestern Architektur- studium zur Diplomvorprüfung anmeldet, Biografien 383 328 Lt. Zeugnis vom 31.3.1933 und LL Gunkel 329 Todesanzeige Karl Heinrich Gunkel, Hessi- sche Allgemeine vom 20.6.1986 330 Im Nachlass befindet sich ein Foto einer sachlich gestalteten Glastür, die offensicht- lich als Zwischentür (evtl. in Hamburg) rea- lisiert worden sein könnte. 331 Wanda Pilewski (1903 -1997) studiert in den zwanziger Jahren in Wien Medizin und promoviert nach der Emigration in New York City in den dreißiger Jahren. Ab 1938 arbeitet sie dort als Psychotherapeutin. 332 Vgl. Mikoletzky, 1997, S.53 333 Die verschiedenen Gesuche auf Zulassung sowie die Bewerbungsstrategien Pilewskis wurden von Juliane Mikoletzky dokumen- tiert. Vgl. Mikoletzky, 1997, S.53f. Haus Schwerdtfeger, Moselweg, Kassel, 1934, direkt nach Fertigstellung (oben) und im folgenden Frühjahr Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar werden ihr Teile ihres Wiener Maschinen- baustudiums anerkannt, Praktika kriegsbe- dingt erlassen. Am 9.5.1919 besteht sie die Diplom-Vorprüfung.334 Zum folgenden Wintersemester 1919/20 inskribiert sie als außerordentliche Hörerin an der TH Wien für „Freihandzeichnen“.335 Nach weiteren drei Semestern an der TH Darmstadt mel- det sie sich am 13.7.1921 zur Diplomprü- fung an.336 Als Diplomarbeit entwirft sie bei Prof. Karl Hofmann eine „Achtklassige Mädchenschule mit Direktorenwohnhaus und Schuldienerwohnung“.337 Zeugnis und Diplomurkunde tragen das Datum 8.12. 1922.338 Von Leonie Pilewski sind bisher keine Studienarbeiten bekannt. Auf die jahrzehnte später gestellte Frage, welche „Lehrer, Stilrichtungen, ‘akademische Schulen’“ für ihre Entwicklung prägend waren, nennt sie keinen ihrer ehemaligen Professoren, sondern Tessenow.339 Nach dem Diplom arbeitet sie als ange- stellte Architektin in Berlin. 1923 richtet sie das von Hugo Häring entworfene Haus auf der Wiener Werkbundausstellung ein und bearbeitet freiberuflich private Innenaus- bauten.340 In Wien betreibt sie ein eigenes Büro, 1922 bis 1928 in der Skodagasse, danach in der Mariahilferstraße. Einrichtun- gen von Leonie Pilewski werden bei Woh- nungsführungen des Bundes österreichi- scher Frauenvereine gezeigt.341 Von 1926 bis 1928 arbeitet sie als Archi- tektin in Moskau. In dieser Zeit publiziert sie dort einen Artikel über die Bauten des „neuen Frankfurt“ und im „neuen frankfurt“ einen Artikel über „Moderne Bauten in Russland“. Sie kehrt wiederum nach Wien zurück und absolviert nach eigenen Anga- ben Zusatzprüfungen.342 Aus den Jahren 1928 bis 1930 datieren ihre Artikel über Themen des russischen Wohnungsbaus in deutschsprachigen Fachzeitschriften wie „stein, holz, eisen“, „die neue stadt“ und „Die Wohnungsreform“. Um 1930 arbeitet sie für ein Jahr in Arosa. Pilewski wird 1933 Mitglied der sozialde- mokratischen Partei Österreichs und ist 1933, 1934 und 1936 auf den Ausstellun- gen des Vereins der Wiener Künstlerinnen u.a. mit Möbeln vertreten. 1934 stellt sie - auf Vermittlung von Bruno Kreisky - erst- malig Malerei in Stockholm aus. 1935 ar- beitet Leonie Pilewski in Haifa im Atelier des gerade immigrierten Alexander Klein, anschließend wieder in Wien. Als Hitler am 12.3.1938 nach Wien kommt, reist sie noch am selben Tag nach Zürich, um in die USA zu emigrieren. Sie kommt jedoch am 1.April in Schweden an, wo sie achtzehn Monate lang in einer Wohnungs- baukooperative als Architektin arbeitet. Sie wohnt in Stockholm in unmittelbarer Nach- barschaft zu dem seit 1937 hier ansässi- gen Wiener Architekten Josef Frank und seiner Frau Anna. 1940 heiratet sie Olof (Moritz) Karlsson, die Ehe wird 1941 geschieden und scheint für die Lebensplanung nicht von Bedeutung gewesen zu sein.343 Pilewski trägt ab 1940 jedoch auch den Namen Karlsson, nimmt die schwedische Staatsbürgerschaft an und signiert ihre Bilder - vielfach Land- schafts- und Pflanzendarstellungen - mit „Pikarlsson“. Zu ihrem Freundeskreis zählt die gleichaltrige, ebenfalls immigrierte Ma- lerin Lotte Laserstein. Pilewski-Karlsson widmet sich zunehmend mehr der Malerei, unternimmt zahlreiche Studienreisen nach Italien und Frankreich. 1944 bis 1958 be- teiligt sie sich an den jährlichen Ausstellun- gen einer Künstlervereinigung in Stock- holm. 1947 stellt sie im März auf Capri, im Juni/Juli in der Galerie Feigl in New York aus. In den fünfziger Jahren hält sich Leonie Pi- lewski besuchsweise auch wieder in Wien auf. Sie wohnte zumindest bis Ende der 1980er Jahre in Stockholm. Quellen: W.O. Dresslers Kunstjahrbuch 1930 Svenskt Konstärs Lexikon, Malmö, 1961, S.425 JRF Fragebogen Leonie Pilewski 12/78 Archiv der TH Darmstadt, Briefliche Mit- teilungen von Marianne Viefhaus Viefhaus, Marianne: Frauen an der Technischen Hochschule Darmstadt, in: Emig, Brigitte (Hg.): Frauen in der Wis- senschaft, Ringvorlesung Winterseme- ster 1985/86, Schriftenreihe Wissen- schaft und Technik, Darmstadt, 1988 Plakolm-Forsthuber, Sabine: Künstlerin- nen in Österreich, 1994 Einwohnermeldekarte der MA8/Wien, Schreiben von Herrn Koch vom 4.8. 1998 Mikoletzky, Juliane: Vergebliche Mühen: Zulassungsgesuche von Frauen zum Studium technischer Disziplinen in Österreich (1914-1918) in: Mikoletzky / Georgeacopol-Winischhofer / Pohl, 1998, S.52f. Angela Press geb. 3.9.1912 Berlin - Daten nach 1932 unbekannt Studium an der Akademie Königsberg um 1931, am Bauhaus Berlin 1932/33 Studierende am Bauhaus ohne nähere An- gaben. Angela Press kam 1912 in Berlin- Schöneberg zur Welt und ist wahrschein- lich eine Tochter des Geigers und Dirigen- ten Michael Press (1872 Vilnius -1938 Lan- sing/MI).344 Der seinerseits wuchs als mu- sikalisch hochbegabter Sohn einer jüdi- schen Familie in Vilnius auf und soll schon während seiner Jugend Opern und Balette dirigiert haben. In den 1890er Jahren stu- dierte er am Moskauer Konservatorium Violine, ab 1901 (bis 1918) unterrichtete er dort selbst. Während der Vater zahlreiche Tourneen unternimmt - zwischen 1920 und 1922 lei- tet er das Symphonieorchester im schwe- dischen Gotenburg, ab 1922 konzertiert er auch in den USA345 -, dürfte Angela Press in Berlin-Wilmersdorf aufgewachsen sein. Aus Prüfungsunterlagen des Bauhauses geht ihre Vorbildung hervor: Nach dem Er- werb der Reifeprüfung an einem Lyzeum besucht sie eine Oberrealschule bis zur Unterprima, studiert dann an der Kunst- akademie Königsberg zwei Semester Ge- brauchsgrafik bei Prof. Franz Marten. Als sich Angela Press im Herbst 1932 un- ter der Matrikelnummer 620 am Bauhaus in Berlin einschreibt, ist sie staatenlos. Am Bauhaus ist sie in der Bau-/Ausbauabtei- lung eingeschrieben, wird von Mathematik und Mechanik befreit und besucht auch die ‘Reklame’. Nach der Schließung des Bauhauses scheint Press Deutschland verlassen zu haben. Ab 1934 sind weder Vater noch Tochter in Berliner Adressbüchern mehr nachweisbar. Der weitere Lebensweg von Angela Press ist bisher nicht bekannt. Mi- chael Press ist in den dreißiger Jahren als Professor am Michigan State College tätig. In Adressverzeichnissen von New York City ist Mitte der dreißiger Jahre ein Ein- trag „A. Press“ zu finden. Ob es sich dabei um die ehemalige Bauhausstudentin Ange- la Press handelt, konnte bisher nicht geklärt werden. 384 Anhang 334 Für Informationen zum Studienverlauf Pi- lewskis in Darmstadt danke ich Dr. Marian- ne Viefhaus, Schreiben vom 15.6.1998 335 Vgl. Mikoletzky, 1997, S.56 336 Vgl. FN 334 337 Viefhaus, 1988, S.49 338 Sie gibt als Diplomjahr 1923 an. 339 Außerdem „van Gogh” und „Matisse”. JRF- Fragebogen Pilewski, Dezember 1978. Ob sie Tessenow persönlich kannte, ist unbe- kannt. 340 An der Wiener Werkbundausstellung waren auch Grete Schütte-Lihotzky sowie Rosa Weiser (Inneneinrichtung) beteiligt. Bei wem Pilewski in Berlin angestellt war, ist bisher unbekannt. Es könnte dies jedoch das Büro von Hugo Häring gewesen sein, in dem 1929 auch Lotte Beese eine Stelle fand. 341 Plakolm-Forsthuber, 1994, S.252 342 Evtl. strebt sie um 1931 die Ziviltechniker- prüfung an. Ob sie diese absolvieren kann, ist bisher unbekannt. Lt. Plakolm-Forsthu- ber (1994, S.349) erwirbt Liane Zimbler als erste Architektin in Österreich 1938 die Li- zenz als Ziviltechnikerin. 343 Angesichts der Umstände könnte es sich um eine formelle Heirat zur Erlangung der Aufenthaltsgenehmigung gehandelt haben. 344 Auf der 1932 von ihr als Heimatadresse an- gegeben Anschrift ist der Musikprofessor Michael Press gemeldet. 345 Wo er 1922 als Solist mit den Philharmoni- schen Orchestern Philadelphia und Detroit auftritt, Mitglied des Curtis Instituts in Phila- delphia wird. 1926 tritt er als Dirigent mit den Philharmonischen Orchestern Philadel- phia und Boston auf. Werkbundausstellung Wien, 1932, Inneneinrichtung Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Quellen: BHD, Einschreibebuch, S.66 LAB, Adressverzeichnisse der Stadt Berlin Adressverzeichnisse der Stadt New York Wininger, Salomon: Große Jüdische Na- tionalbiographie, Nachtragsband, 1936 Who´s who in American Jewry, New York, 1926; 1928; 1938 Ruth Hildegard Raack spätere Geyer-Raack (ab 1922), DWB geb. 16.6.1894 Nordhausen - gest. 19.3. 1975 Berlin Studium an den Vereinigten Staatsschu- len Berlin 1914 bis 1919, am Bauhaus Weimar 1920 bis 1922 wurde 1894 im Harz als Tochter des Pfar- rers Richard Raack und seiner Frau There- se geb. Panzer geboren. Sie besucht in Nordhausen das Königin-Luise-Lyzeum und verbringt ein Austauschjahr im engli- schen Bowiemonter. Als der Vater 1913 zum Superintendenten in Berlin-Schöne- berg ernannt wird, besucht Ruth Hildegard die Abiturientenkurse des Dr. Voigt. Sie wechselt 1914 an die Unterrichtsanstalt am Kunstgewerbemuseum, wo sie als Stu- dentin von Emil Rudolf Weiss, später von Bruno Paul insbesondere Schrift, Malerei und Möbelentwurf studiert. Im Winterse- mester 1914/15 werden Entwürfe von ihr ausgezeichnet, sie erhält den Jahrespreis der Fachklassen und die Medaille der Kai- serin.346 Studienarbeiten von Hildegard Raack sind bisher nicht dokumentiert. Schon in den zehner Jahren, so gibt sie in ihrer Bauhausbewerbung an, entwarf sie beispielsweise für Burrhardt & Söhne, Ber- lin Tapeten. Nach zehn Semestern schließt sie in Berlin ihr Studium ab. 1920 bewirbt sie sich am Bauhaus. Neben der Grund- lehre bei Itten arbeitet sie in Weimar in der Wandmalereiwerkstatt. Im Winter 1921/22 belegt sie auch Werkzeichnen.347 1922 kehrt sie nach Berlin zurück und hei- ratet den Fliegeroffizier Hugo Geyer. Ruth Hildegard Geyer-Raack bleibt auch nach der Geburt eines Sohnes und einer Toch- ter selbständig tätig. Die Ausmalung priva- ter Wohnräume ist das Gebiet, mit dem sie ab 1924 erfolgreich und bekannt wird. Ne- ben Wandmalereien entwirft sie Stoff- und Tapetenmuster, sie richtet Zimmer, zuneh- mend ganze Wohnungen ein. Geyer-Raack ist Mitglied im Deutschen Werkbund, für die Deutschen Werkstätten und die Firma Schürmann tätig. 1928 veröffentlicht sie „Betrachtungen über den farbigen Raum“. Gemeinsam mit Elsa Fleischmann gestaltet sie 1930 die Ausstellung „Die gestaltende Frau“ bei Wertheim in Berlin. 1931 ist sie mit Wandmalereien und Möbelentwürfen in der von Bruno Paul koordinierten Abteilung der Deutschen Bauausstellung vertreten. Als künstlerische Leiterin zeichnet sie im gleichen Jahr für die Internationale Raum- ausstellung in Köln verantwortlich, wobei sie selbst dort - neben bekannten Namen der Avantgarde - eine Wohnung für eine Junggesellin ausstellt.348 Zum Beginn der dreißiger Jahre ist Ruth Hildegard Geyer-Raack in Berlin als Innen- architektin und Künstlerin etabliert. Sie entwirft Muster für Stoffe, Weberei und Tapeten und wird Mitglied in der Reichs- kulturkammer. Neben Privataufträgen erhält sie nun auch öffentliche Aufträge wie Ausmalungen von Hotels, einer Flie- gerschule und des Krakauer Schlosses. Auch die Innenausstattung der Belgischen Botschaft in Berlin obliegt ihr. Nach dem Krieg entwirft Ruth Hildegard Geyer-Raack Stoffe und Inneneinrichtun- gen für Möbelhäuser und PrivatkundInnen. Zu den größeren Aufträgen zählen die In- neneinrichtungen für die jugoslawische Botschaft und das von Paul Baumgarten umgebaute Hotel am Zoo. Als ihre Tochter ihr Studium an den Verei- nigten Staatsschulen absolviert hat, arbei- tet sie im Atelier der Mutter mit. Gemein- sam recherchieren sie vorbildhafte Innen- einrichtungen und geben 1955 das Buch „Möbel und Raum“ heraus, das 1962 in 2. Auflage und unter dem Titel „goed wonen“ als niederländische Ausgabe erscheint. Durch ein Augenleiden ist Ruth Hildegard Geyer-Raack ab Mitte der fünfziger Jahre in ihrer Berufstätigkeit stark eingeschränkt, gibt ihre beruflichen Ambitionen aber auch bei Erblindung eines Auges nicht gänzlich auf. Ruth Hildegard Geyer-Raack starb im Frühjahr 1975 in Berlin. Entwürfe von ihr befinden sich u.a. im Besitz der Neuen Sammlung in München. Für biografische Informationen danke ich Sibylle Lehmann Quellen: Gespräch mit Sibylle Lehmann am 23.9. 1995 Nachlass R.H. Geyer-Raack HdKA: Jahresbericht der Unterrichtsan- stalt des Kunstgewerbemuseums zu Berlin Winterhalbjahr 1915/16 Deutsche Kunst und Dekoration, 60.Jg., 1926, S.367-371 Architektur und Schaufenster, 24.Jg., 1927, September, S.11-12 Innendekoration, 38.Jg., 1927, S.110, 117, 118; 39.Jg., 1928, S.71-72, 47.Jg., 1936, S.212 ff., S.401-407 Deutsche Kunst, 1933, S.4-7; 1936, S.174-178 „Das Haus einer Malerin“, in: Haus Hof Garten. Beilage zum Berliner Tageblatt, 14.3.1935, Nr.11 „Räume im Haus der Meisterräume“, in: Das schöne Heim, Nr.8, 1936/37, S.69- 72 Koch, Alexander: Wohnzimmer, Sitzek- Biografien 385 346 Im Jahresbericht 1915/16 der Unterrichts- anstalt sind die Preise und Anerkennungen der beiden „Wettarbeiten der Fachklassen“ aufgeführt, dabei hat Frl. Hildegard Raack eine lobende Anerkennung erhalten. Hierfür mußten die StudentInnen eine „Tür und Umrahmung im M 1:1” und im 2.Vierteljahr „Portal mit Gitter für die Umfassungsmauer eines Kriegerfriedhofes“ entwerfen. Raack könnte sich jedoch auch in der Sparte „Be- malung der Türfüllung eines Privathauses“ beteiligt haben. HdKA, Jahresberichte 347 Immatrikulationsangaben nach Dietzsch. Verschiedene Autoren nennen lediglich die Teilnahme an Sommerkursen am Bauhaus. 348 Bei dieser Ausstellung sind Inneneinrich- tungen u.a. von Marcel Breuer, Le Corbu- sier / Jeanneret / Perriand, Adolf Loos, An- dré Szivessy und Bruno Paul zu sehen. Katalog. „IRA“, Köln, 1931 Wohnung für eine Junggesellin, IRA, 1930, Wohnraum Blick vom Wohn- in den SchlafraumKatalogcover der Internationalen Raumausstellung Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ken und Kamine, Stuttgart 1937 Eckstein, Hans: Die schöne Wohnung, München, 4.Aufl., 1941 Koch, Alexander: Hotels, Restaurants, Café- und Barräume, Stuttgart, 1951 Arnold, 1994, S.414 eigene Publikationen: Geyer-Raack, R.H.: Betrachtungen über den farbigen Raum, in: Neue Frauen- kleidung und Frauenkultur, H.4, Novem- ber 1928, S.104 ff. Deutsche Kunst und Dekoration, 61.Jg., 1927/ 28, S.317; 62. Jg.,1928, S.253- 266 Internationale Raumausstellung Köln, Katalog, Köln, 1931 Geyer[-Raack], Hildegard und Sibylle: Möbel und Raum, Berlin, 1955 Rahv, Natalie siehe Swan, Natalie Sigrid Rauter spätere Weiß (ab ca. 1935), Dipl.Ing. Daten unbekannt Studium an der TH Stuttgart ca. 1929 bis 1932, an der TH Charlottenburg wahrscheinlich ab Herbst 1932 bis Juli 1934, Diplom Sigrid Rauter ist eine Studentin im Seminar Tessenow, über die vor und nach dem Ar- chitekturstudium fast nichts bekannt ist.349 Sie dürfte um 1909 geboren sein und wuchs - nach Erinnerungen Ewa Oester- lens - in einer wohlhabenden Kölner Fami- lie auf.350 Das Architekturstudium dürfte sie um 1929 an der TH Stuttgart aufge- nommen haben. Im Frühjahr 1932 absolviert Sigrid Rauter in Stuttgart das Vordiplom, bevor sie sich unter der Matr.Nr. 45485 an der TH Char- lottenburg einschreibt. 351 Sie tritt zum Wintersemester 1932/33 in das Seminar Tessenow ein. Als Studienarbeiten Rauters lassen sich dort anhand der Karteikarte ein „kleines Wohnhaus”, ein „kleines Sanatori- um”, eine „Dorfschule” - im Sommerseme- ster 1933 - und ein „Hotel mit Geschäfts- haus” nachweisen. Sigrid Rauter besucht auf Einladung des Bauhausstudenten Hans Keßler im Februar 1933 das Bauhausfest und nimmt die Ein- ladung Mies von der Rohes an, den Unter- richt einmal zu besuchen. Ihr eigenes Urteil über diesen Besuch ist bisher nicht doku- mentiert. Keßler berichtet seiner Mutter mehrfach brieflich über Dialoge mit der „Stuttgarter TH-Studentin“.352 Im Juli 1934 besteht Rauter die Diplom- hauptprüfung an der TH Charlottenburg mit einem Diplomentwurf bei Tessenow. Dabei dürfte es sich um das „Hotel mit Geschäftshaus” gehandelt haben. Die Ar- beit wird mit „3“ bewertet. Als Ewa Freise im Februar 1936 in die Pla- nungsabteilung des Luftfahrtministeriums eintritt, arbeitet dort bereits Sigrid Rauter. Diese hat - ebenfalls nach Hinweisen Ewa Oesterlens - inzwischen einen Postbaurat namens Weiß oder Weist geheiratet. Mit ihm soll sie aus politischen Gründen Ende der dreißiger Jahre nach Südamerika aus- gewandert, nach 1945 nach Deutschland zurückgekehrt sein. Außerdem soll sie Mutter eines Kindes geworden sein.353 Wo und wie lange Sigrid Weiß nach dem Krieg als Architektin beruflich tätig wurde, ist bisher nicht bekannt. Quellen: HTA Karteikarte Rauter Keßler, Hans: Briefe, in: Hahn / Wols- dorff, 1985, S.169 ff. Telefonat mit Ewa Oesterlen am 24.11. 1997 Lisbeth Reimmann Elisabeth Reimmann geb. 23.1.1913 Berlin - Daten nach 1936 unbekannt Gaststudium an der TH Charlottenburg 1935 bis 1936 Studierende bei Tessenow ohne nähere Angaben. Lisbeth Reimmann wurde An- fang 1913 in Berlin geboren. Über ihr El- ternhaus und ihre Vorbildung ist nichts be- kannt. Bei der Anmeldung zum Seminar Tessenow gibt sie 1935 eine Heimatadres- se in Küsnacht bei Zürich an. Nach einem Vordiplom an der ETH Zürich volontierte sie im Zürcher Architekturbüro Steger, das auch im Heimatort Reimmanns baute.354 Im Wintersemester 1935/36 studiert Lis- beth Reimmann im Seminar Tessenow an der TH Charlottenburg, wo sie eine Schule entwirft. Diese Studienarbeit ist bisher un- bekannt. Nach diesem Gastsemester ver- lässt Lisbeth Reimmann die TH Charlotten- burg zum 22.2.1936. Wann und wo Lisbeth Reimmann das Architekturstudium fortge- setzt hat ist bisher ebenso unbekannt wie ihr weiterer Lebensweg. Quellen: HTA, Karteikarte Reimmann 386 Anhang 349 Im Archiv der TH Stuttgart lassen sich zum Studium Sigrid Rauters keine Unterlagen finden. Die entsprechenden Akten zählen zu den Kriegsverlusten. Ich danke Norbert Becker für diese Information. 350 Ewa Oesterlen geb. Freise kannte Sigrid Rauter aus dem Studium an der TH Stutt- gart, der TH Charlottenburg und der an- schließenden Berufstätigkeit. Nach 1945 unterhielten beide jedoch nur sporadisch Kontakt. 351 Rauter studierte ein Jahr vor Freise an der TH Stuttgart, ein Jahr vor ihr in Berlin; d.h. 1929-32 in Stuttgart, 1932-34 in Berlin. 352 Auszüge aus Briefen Hans Keßlers in: Bau- haus Berlin, Weingarten, 1985, S.169 ff. 353 Telefonat mit E. Oesterlen am 24.11.1997 354 Das Büro (Adolf) Steger und (Karl) Egender realisierte in Küsnacht das sachlich-moder- ne „alkoholfreie Restaurant“ des Strandba- des. Vgl. Hoffmann, Herbert: Gaststätten, 1939, S.26 Private Fete im Januar 1933, Sigrid Rauter vorn mit Pfeife Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Hilde Reiss [Hildegard Maria] Reiss, Dipl.Arch. geb. 16.9.1909 Berlin - gest. 14.9.2002 Capitola, CA / USA Studium an der TH Charlottenburg 1928, an der Staatlichen Hochschule Weimar 1929 bis 1930, am Bauhaus Dessau 1930 bis 1932, Diplom wurde 1909 als Tochter der Journalistin Charlotte Dorothea geb. Ruhemann (geb. 1886) und des Journalisten und Theater- gründers Dr. Walter Arend Reiss (1882- 1950) in Berlin-Charlottenburg geboren. Hilde Reiss wächst überwiegend bei ihrer Großmutter Selma Ruhemann in der Car- merstraße auf. Ihr Onkel Fritz Ruhemann ist Architekt, dessen Brüder sind Maler.355 Ihr Onkel Erich Reiss, gründete 1908 in Berlin den gleichnamigen Verlag. Hilde Reiss besucht die Fürstin-Bismarck- Schule in Charlottenburg, wo sie 1928 das Abitur ablegt um - wie das Abiturzeugnis ausweist - „Architektur zu studieren“. Sie immatrikuliert sich zunächst als Gast- hörerin an der TH Charlottenburg und ab- solviert ihr Baustellenpraktikum im Frühjahr 1929 bei der Fa. Ernst Kuhl in Lichterfel- de.356 Ab dem Sommersemester 1929 stu- diert sie für ein Jahr an der Bauabteilung der Staatlichen Hochschule für Handwerk und Baukunst in Weimar. Diese wurde mit dem Weggang des Bauhauses 1924 unter Leitung von Otto Bartning eingerichtet und bietet ein praxisnahes Studium, in dem die Studierenden an Aufträgen der Lehrenden mitarbeiten. Ernst Neufert leitet die Bauab- teilung, Cornelis van Eesteren bietet in mo- natlichen Kursen Städtebau an. Hilde Reiss wechselt nach zwei Semestern ans Bauhaus Dessau. Hier wird sie zum Wintersemester 1930/31 direkt ins 3.Se- mester aufgenommen. Sie freundet sich im Studium u.a. mit Ernst Mittag und Walde- mar Alder an, studiert zeitgleich u.a. mit Wilke und Müller.357 Bei Engemann entwirft sie ein „Kinderheim” und ein „Wochenend- haus”, bei Alfred Arndt entstehen Möbel- entwürfe und Möblierungsvorschläge. Bei einem Wettbewerb für eine Garderoben- garnitur wird ihr Entwurf ausgezeichnet. In den Semesterferien volontiert sie bei Fritz Ruhemann, im Sommersemester 1931 ent- stehen nach Aufgabenstellung bei Hilbers- eimer Entwürfe für Kleinwohnungstypen und eine Volksschule. In den Semesterferi- en volontiert sie erneut, dieses Mal bei Al- fred Gellhorn, der ihr hinsichtlich ihrer Mit- arbeit an Möbel- und Fassadendetails, so- wie an Schnitten und Ansichten der Sied- lung Haselhorst attestiert, dass sie „flott und mit handwerklichem Verständnis (..) ebenso selbständig wie fertig ausgebildete Kräfte“ arbeite.358 Reiss entwirft im Wintersemester 1931/32 neben den Kursen der Bau-/Ausbauabtei- lung bei Hilberseimer Siedlungsschemen verschiedener Wohndichte, eine Citybe- bauung mit Bürohäusern, eine „Kinder- stadt für die Junkers-Arbeitersiedlung mit zugehörigen Schulen und Wohnhäusern”, sowie bei Mies van der Rohe ein Wohn- haus. Es folgen im Sommersemester ein weiterer Entwurf für ein Einfamilienhaus sowie eine „Riesengebirgsbaude”. Mit dem Diplomentwurf „Großstadt-Hotel“ schließt sie im August 1932 nach vier Semestern am Bauhaus ihr Studium mit dem Diplom Nr. 89 ab. Arbeiten aus ihrem Weimarer wie Dessauer Studium sind bisher unbe- kannt. Waldemar Alder erwirbt im Oktober 1932 ebenfalls ein Diplom im Bereich Bau. Beide gehen nach Berlin, wo Reiss am Ha- fenplatz eine Wohnung bezieht. Sie arbei- tet erneut im Büro ihres Onkels sowie bei einem, bisher noch nicht identifizierten Ar- chitekten, der nach ihren Aussagen „merk- würdige Vorstellungen von sparsamem Wohnungsbau“ hatte. Hilde Reiss ist poli- tisch interessiert und aktiv, „Waldi“ Alder seit 1929 Mitglied der KPD. Als sie sich anlässlich der Reichstagswahlen 1933 an Flugblattaktionen gegen die NSDAP be- teiligen, drängen die besorgten Eltern auf Emigration.359 Reiss verlässt Berlin im Mai 1933, um an Bord der „Deutschland“ nach New York zu gelangen.360 In Manhattan arbeitet sie als Entwerferin in den Büros von Norman Bel- Geddes und Gilbert Rhode. Mit der remi- grierten Bauhaus-Kollegin Lila Ulrich teilt sie sich ein Apartment. Gemeinsam ent- werfen sie Umbauvorschläge und Innen- einrichtungen, die publiziert aber nicht rea- lisiert werden. Neben der Bürotätigkeit un- terrichtet Hilde Reiss ab 1936 an der ‘La- boratory School of Industrial Design’, ab 1938 bis Ende 1940 „Interior Planning” an der ‘New School of Social Research.361 Hilde Reiss um 1936 Sie lernt den amerikanischen Kollegen Wil- liam Friedman kennen und kann mit ihm einige wenige Projekte realisieren, wie das Appartment Pollak (1938) oder das Haus Stein in Pleasantville (1939).362 Biografien 387 355 Fritz Ruhemann (1891-1982) studierte an den THs Charlottenburg und München, wo er 1913 bei Theodor Fischer diplomierte. Anschließend arbeitete er für verschiedene Architekten in Berlin, darunter Peter Beh- rens, Bruno Paul und Alfred Breslauer. In den 20er Jahren betreibt er ein eigenes Bü- ro in Charlottenburg. Um 1930 erscheinen Bauten und Entwürfe in dem Buch „Fritz Ruhemann, Architekt“. Er emigriert 1935 nach England. 356 Lt. Zeugnis vom 9.3.1929 357 Matr.Nr. 458, Immatrikulation am 21.10. 1930. Die beiden Semester aus Weimar werden anerkannt. Zu diesem Zeitpunkt gibt es 18 Studierende im „bau/ausbau“. 358 Lt. Zeugnis Alfred Gellhorn vom 26.9.1931 - Gellhorn publiziert 1932 in der Bauwelt „Kleinwohnungen“, dort werden als Mitar- beiter Israel und Friedmann genannt, vgl. Bauwelt, 22.Jg., 1932, H.41, S.1-3 359 Die Einreise in die USA gelingt mit Hilfe ei- nes durch den Vater ausgestellten Affida- vits. Walter Reiss lebt seit 1928 in New York. Charlotte Ruhemann ist inzwischen mit dem Maler Martin Bloch verheiratet. 360 Alder wird kurze Zeit später inhafiert und wg. Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt. 361 Die New School of Social Research orien- tierte sich im Lehrkonzept an europäischen Reformansätzen wie dem Bauhaus. 362 Zu Publikationen und Projekten vgl. S.218f. „House Stein”, Pleasantville, 1938, Blick von Südosten Appartment Pollak, New York, 1938 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Die Arbeiten werden publiziert und hoch gelobt, reichen für eine freiberufliche Exi- stenz jedoch nicht aus. Ende 1940 verlässt Reiss zusammen mit Friedman New York. Er wird Leiter der De- signabteilung des „WPA Art Projects“ Io- wa. Sie wohnen in Des Moines (Iowa) und ziehen noch 1941 nach Denver in Colora- do um, wo Friedman Arbeit als technischer Zeichner für die Armee annimmt. Reiss fin- det keine Gelegenheit, an ihre vielseitige New Yorker Zeit anzuknüpfen. Die Rezes- sion bietet Architekten nur wenige Jobs. Als sich 1942 für beide die Chance bietet, am „Heart Mountain Relocation Center“ in Wyoming mitzuarbeiten, planen sie Militär- baracken für die Internierung der japani- schen Bevölkerung behelfsmäßig um. Die- se Mitarbeit an einem der dunkelsten Kapi- tel amerikanischer Geschichte beschäftigt Reiss noch lange. Sie wechselt baldmög- lichst in eine - von ihr nicht sonderlich ge- liebte - Lehrtätigkeit und unterrichtet ab 1943 an der San Francisco Labor School. Bei der Housing Authority in Vallejo in der Nähe San Franciscos kann sie als techni- sche Beraterin bei der Durchführung eines sozialen Wohnungsbauprogramms tätig werden. Sie richtet Musterwohnungen ein, gibt die Beratungszeitung „Your Home“ heraus. Nun ist Friedman arbeitslos. Er geht 1944 nach Minneapolis, wo er Leiter der Ausstellungsabteilung und stellvertre- tender Direktor des Walker Art Centers wird. Sie schlägt dem Direktor des Walker Art Center, Daniel S. Defenbacher die Gründung einer Galerie für Alltagsdesign vor. Nach Entwürfen von Hilde Reiss wird diese „Everyday Art Gallery“ eingerichtet und im Januar 1946 eröffnet. Als Kuratorin dieser Galerie initiiert Reiss ab 1946 zahlreiche Ausstellungen zu ver- schiedensten Themen. Sie konzipiert die Ausstellungen, entwirft die Präsentationen und entwickelt manche auch als Wander- ausstellungen. Reiss´ Verständnis von „De- sign“ als Bestandteil des Lebens ist weit gefasst, sie beurteilt und propagiert „good designed products“ nach dem optimalen Zusammenspiel von Gebrauchswert, Ma- terialgerechtigkeit und Ästhetik.363 Ab Sommer 1946 erscheint regelmäßig das „Everyday Art Quarterly - A Guide to well designed Products“. Daneben entsteht in dieser Zeit in Zusam- menarbeit mit William Friedman der Ent- wurf eines „Idea House“. 1947 wird mit Hilfe von Spenden auf dem Gelände des Art Centers ein Musterhaus realisiert, das trotz sehr begrenzter Mittel als begehbares Ausstellungsobjekt modellhaft moderne Raumerlebnisse demonstriert. 1948 eröff- net bleibt das „Idea House II” ein Jahr für die Öffentlichkeit zugänglich und findet große Resonanz. Unter dem Titel „where to see everyday art“ meldet die Zeitschrift Ende 1949, dass inzwischen an 37 Stätten in den USA zu- mindest temporär angewandte Kunst aus- gestellt wird. Im Sommer 1950 erscheint mit der 15. Nummer nach vier Jahren das letzte „Quarterly“ unter einem „editor on leave: Hilde Reiss“.364 Sie zieht nach San Francisco, konzipiert und entwirft im Auftrag der American Fe- deration of Arts eine Wanderausstellung für Deutschland über erzieherisch wertvol- les, amerikanisches Spielzeug. Anschlie- ßend ist sie als Mitarbeiterin im Büro Erich Mendelsohns mit dem „Haus Russell” be- fasst. Die Arbeitsathmosphäre entspricht 388 Anhang 363 So finden sich in den „Quarterly“ auch Hin- weise auf einzelne Artikel in Architekturzeit- schriften wie zu Fragen der Stadtplanung. 364 Nach ihrem Weggang, Reiss verlässt den Walker Art Center (und William Friedman) wahrscheinlich bereits Ende 1949, wird die Zeitschrift von Friedman herausgegeben, das „Quarterly“ in den 1950er Jahren in „Design“ umbenannt. Ausstellung „Jewelry under 50 Dollars”, 1948 „Idea house II”, Minneapolis, 1947, Hilde Reiss und William Friedman mit Malcolm Lein, Südostansicht Blick in die „Everyday Art Gallery”, Walker Art Center, Minneapolis, 1946, Titel des Quarterly „Children´s Fair” im Walker Art Center, 1948 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Hilde Reiss, 1997 jedoch nicht ihren Vorstellungen. 1952 er- öffnet sie ein Geschäft für moderne Möbel und Hausrat, sinnvolles wie sinnenfreudi- ges Spielzeug. Das „House of Today“ in der High Street in Palo Alto wird auch ein finanzieller Erfolg. Hilde Reiss schließt das inzwischen entlang der Westküste bekann- te Geschäft 1976 und eröffnet im südliche- ren Capitola ein kleineres, den „Pelican“. 1985 schließt sie auch dieses Geschäft, gründet und betreibt aber noch weitere zehn Jahre ehrenamtlich den „shop of the friends of the library“ der Stadtbibliothek in Santa Cruz. Zugunsten der Bibliothek ver- treibt sie sinnvolle und selbstverständlich gut gestaltete, zumeist bibliophile Kleinig- keiten. Mehrfach kehrt sie - zuletzt 1979 - besuchsweise nach Berlin zurück. Hilde Reiss starb im Herbst 2002 in Californien. Quellen: BHD, NL Engemann Semester- und Prüfungslisten, Gespräche mit Hilde Reiss am 10.3. 1997 und 4.10.1998, sowie schriftliche Mitteilungen „Experiment in Change“, in: Arts and Decoration, Februar 1935, S.4-11 (Lila Ulrich / Hilde Reiss) „A Century Intervenes“, in: Arts and De- coration, März 1935, S.42ff. (Lila Ulrich / Hilde Reiss) „Gilbert Rhode heads Design Labora- tory“ in: Design, March 1936, S.40 „American Bauhaus“ in: Architectural Forum, 64:638, October 1936, S.43 „Two new Schools of Industrial Design open“ in: Architectural Forum, October 1937, S.41 „Design Laboratory at FAECT“, in: Ar- chitectural Record, 82, Oct. 1937, S.41 „Design Laboratory“ in: Design, 39, No- vember 1937, suppl.7 Interior Design and Decoration, Februar 1939, S.30-35 + 90 publ. by the Deco- rators Digest, Stamford, CT. Rockefeller Plaza New York (ed. Harry V. Anderson) Weaver, Polly: Design for a modern ca- reer, in: Mademoiselle, (Design for Li- ving Number) February 1946, S.310 McCausland, Elizabeth: Gallery of Ever- yday Art, in: Art & Architecture, March 1946, S.38-39,54 „House Minneapolis“, in: Progressive Architecture, February 1948, S.39-47 „Everyday Art Gallery“, in: Interior, In- dustrial Design, Vol.108, August 1948, S.98 (article: o.A.: The years work, S.76-113) „How livable is a Modern House?“ in: LIFE, October 18, 1948, S.105-108 Gillies, Mary Davis: „Planned by a Mu- seum“ in: Mc Call´s Book of Modern Hou-ses, (Simon and Schuster) New York, 1951, S.64-73 Wright, Bruce N.: Visions of a New World? - The Walker Art Center: Idea House II, in: Hennepin History, Summer 1993, S.16-31 Sentetos, Lorraine: Hilde Reiss - Foun- der and Manager of the Friends´ Library Store, Santa Cruz, 1994 eigene Schriften: Hilde Reiss, et.al.: Design Students Guide to the N.Y. World´s Fair, in: P/M Magazine, 1939 diess./William Friedman: Plywood and Fieldstone Walls are used in same Hou- se, in: Architectural Record, März 1939, S.44-48 diess.: An Explanatory Guide to the Idea House, Walker Pamphlet, undat. - The Northwest Architectural Archives diess.: Housing Project As Progressive Community, in: Californian Arts and Architecture, August, 1944, S.18-19 Repsold, Margarete siehe Knüppelholz, Margarete Edit Rindler geb. 8.3.1913 Budapest - Daten nach 1933 unbekannt Studium am Bauhaus Dessau 1931 bis 1932 wurde am 8.3.1913 in Budapest-Sedlaca- ny als Tochter des jüdischen Kaufmanns Alois Rindler geboren. Nach dem Besuch des Realgymnasiums, das sie mit sech- zehn Jahren verlässt, absolviert sie eine Tischlerlehre bei Josef Lippertz in Prag. Dort betreibt ihr Vater einen Getreide- und Futtermittelhandel. Nach Abschluss der Lehre begibt sich Edit Rindler im Sommer 1931 auf die Suche nach einem Studienplatz. Zum Winterse- mester 1931/32 bewirbt sie sich an den Vereinigten Staatsschulen für freie und an- gewandte Kunst in Berlin als „Schülerin für Innenarchitektur“. Hier wird ihr Antrag we- gen nicht ausreichender Vorbildung abge- lehnt, sie an die Fachschule für Tischler verwiesen. Rindler möchte Innenarchitektin werden, Tischlerin ist sie bereits. Sie be- wirbt sich umgehend am Bauhaus Dessau. Dort scheint sich auch ihr Vater für ihren Studienwunsch eingesetzt zu haben, denn wie das Beiratsprotokoll vom 11.11.1931 vermerkt, erfolgt die probeweise Aufnahme „nach rücksprache des vaters mit der di- rektion“. Wie im Einschreibebuch hand- schriftlich vermerkt ist, wird sie bereits drei Tage später endgültig aufgenommen. Offenbar entspricht das Unterrichtspro- gramm nicht gänzlich ihren Erwartungen, denn das Protokoll der Beiratssitzung vom 15.12.1931 vermerkt unter den Anträgen: „edit rindler 1.sem. möchte in der metall- werkstatt praktisch arbeiten. es ist ihr mit- zuteilen, dass die absicht besteht, lehrpla- nungsänderungen vorzunehmen, wodurch sich die frage erledigen wird.“ Ob das weitere Studium nach ihren Wün- schen verläuft ist ebenso unbekannt wie ihre Studienerfolge. Das Protokoll vom 2.3. 1932 vermerkt: „Egeler und Rindler erhal- ten Diplome.“ 365 Doch nur Ernst Egeler erhält am 8.3. ein Bauhaus-Diplom für sei- ne Arbeiten in der Bau-/Ausbauabteilung. Edit Rindler führt ihr Studium am Bauhaus nach dem Umzug von Dessau nach Berlin nicht mehr fort. Welche Pläne sie anschlie- ßend verfolgt, wie lange sie in Berlin bleibt, ist bisher ebenso unbekannt wie ihr weite- res Schicksal. Es ist nicht auszuschließen, dass sie während des Holocaust in Ungarn ermordet wurde.366 Quellen: HDKA Best.8, Nr.116 Aufnahmeent- scheidungen WS 1931/32, Brief Edith Rindler an die Prüfungskommission vom 24.9.1931 BHD, NL Engemann, Beirats- und Prü- fungsprotokolle, insbes. v. 15.12.1931 Staatl. Kunsthandel der DDR (hrsg.), Galerie am Sachsenplatz, Nr.26, Leipzig 1983, S.24 „Edith Rindler (Architektin), Dessau 1931“ Roeser, Margarete siehe Knüppelholz, Margarete Biografien 389 365 Lt. Tagebuch des Bauhauses WS 1931/32, abgedruckt in Hahn/Wolsdorff, 1985, S.37. Dies dürfte jedoch eine Verwechslung mit Paul Reindl sein. Dessen Diplom im Ausbau datiert vom 12.4.1932. Ernst Egeler erhält am 8.3.1932 ein (Bau/ Ausbau-)Diplom. 366 Bisher konnte Edit Rindler weder auf De- portations- noch Emigrationslisten nachge- wiesen werden. Nach Auskunft von Prof. Wolfgang Rindler, der 1938 mit einem Kin- dertransport Prag verlassen konnte, wurden die Mitglieder der weitläufigen Familie Rind- ler in Prag nahezu ausnahmslos ermordet. Schreiben von W. Rindler vom 12.5.1998 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Ella Rogler spätere Kreher (ab 5/1934) geb. 4.1.1909 Neusatz b. Odessa - lebt in Wydenes/Niederlande Studium am Bauhaus Dessau 1928 bis 1929, an der Kunstgewerbeschule Frankfurt/M. 1933 bis 1934 wurde 1909 als mit Abstand jüngstes von sieben Kindern des Johann Rogler (1873 Petersthal -1960 Zeilsheim) auf dem elter- lichen Gut in der Nähe von Odessa gebo- ren. Sie wächst als Nesthäkchen mit je- weils drei Schwestern und Brüdern auf. Ri- chard Rogler, der zweitälteste, studiert bei Theodor Fischer Architektur in Stuttgart. Dorthin siedelt die ganze Familie 1917 auf der Flucht vor der russischen Revolution über. Ella Rogler erwirbt am Olga-Gymna- sium - wahrscheinlich 1927 - das Abitur. Sie absolviert anschließend ein Tischlerei- praktikum bei der Kunsttischlerei Schmidt in Stuttgart, kommt dort in Kontakt mit Mazdaznan. In Stuttgart arbeitet sie auch in der Kunstgewerbewerkstätte Merz. Der Vater lässt sich in den zwanziger Jah- ren erneut mit einem landwirtschaftlichen Betrieb in Eschen/Grenz-Mark nieder. Die Schwestern haben erwartungsgemäß ge- heiratet. Ella Rogler möchte jedoch Archi- tektur studieren, wobei sie Unterstützung bei einem Schwager und ihrem bereits be- rufstätigen Bruder findet. Zum Frühjahr 1928 schreibt sie sich am Bauhaus Dessau ein. Sie wird am 28.April offiziell aufgenommen und wohnt zur Un- termiete in der Siedlung Törten. Rogler be- sucht nach der Grundlehre bei Albers die Tischlereiwerkstatt und freundet sich mit den aus Zürich stammenden Kommilitonen Hans Fischli und Max Bill an. Auf der Se- mester-Prüfungsausstellung im September 1928 ist Ella Rogler mit einem Entwurf zu einem „Einfamilienhaus” vertreten. Sie stu- diert auch bei Kandinsky und interessiert sich sehr für Schrift bei Joost Schmidt. Sie entwirft u.a. Tapeten. Als Fischli und Bill sich 1929 beurlauben lassen, um im Zür- cher Büro Hubacher/Steiger an der Sied- lung Neubühl mitzuarbeiten, ergreift auch Rogler die Chance zu einer dortigen Mitar- beit. Sie kehrt anschließend nicht ans Bauhaus zurück, der von ihr verehrte Gropius ist nicht mehr dort, sondern arbeitet wieder in der Kunsttischlerei Schmidt in Stuttgart. Dort kann sie mehrere Ladenausbauten re- alisieren. Mit ihrem Bruder Richard arbeitet sie anlässlich von Wettbewerben zusam- men. So gehört Ella Rogler zu den Bauhausstu- dentinnen, die sich für Gestaltung im allge- meinen und Architektur- und Möbelbau- projekte im besonderen interessieren. Da- bei stehen die Projekte im Vordergrund, die formale Qualifikation eines Bauhaus- zeugnisses oder Diploms erscheint über- flüssig. Sie wechselt direkt vom Studium in die Praxis. Manche der Anfang der dreißi- ger Jahre in Stuttgart entstandenen Möbel nach Entwürfen Roglers werden bis heute im Familienbesitz genutzt. 1933 studiert sie erneut, nun an der Kunst- gewerbeschule in Frankfurt am Main. Dort lernt sie den Kunstmaler Ernst Kreher (geb. 1907) kennen. Ihn heiratet Ella Rogler im Mai 1934, nachdem sie - nach eigener Aussage - nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler keine Möglichkeit mehr sieht, als Frau eine berufliche Perspektive aufzubauen. Mit ihrem Mann zieht sie nach Magdeburg, wo er den väterlichen Malerei- betrieb übernimmt. Ella Kreher erlernt am Handwebstuhl autodidaktisch die Weberei und bringt in den folgenden Jahren vier Kinder zur Welt. Sie zeichnet, malt und webt weiterhin. Der älteste Sohn wird auf- grund gesundheitlicher Probleme von ihr sehr intensiv betreut. 1942 flieht sie mit den Kindern vor den Bombardements in Magdeburg zu ihren Eltern nach Eschen. Dort kommt 1944 das fünfte Kind zur Welt. Bei Kriegsende flieht Ella Kreher mit Kin- dern und Eltern nach Frankfurt am Main. Hier beginnt ihr Vater als Getreidezucht- spezialist zum vierten Mal in seinem Leben neu. Auch Ernst Kreher baut hier eine neue Existenz für seine siebenköpfige Familie auf. Ella Kreher widmet sich den Kindern und fördert bei deren Erziehung besonders die künstlerischem Talente. 1950 kommt die einzige Tochter bei einem Verkehrsun- fall ums Leben, 1963 stirbt der älteste Sohn. Bis zum Tod ihres Mannes in den achtzi- ger Jahren wohnt Ella Kreher in Frankfurt. Dann siedelt sie in das nordholländische Wydenes über, wo einer ihrer Söhne mit seiner Familie als freier Maler lebt und arbeitet. Ella Krehers Interesse für Kunst und Architektur ist auch heute noch wach. Neben ihrer Familienarbeit hat sie ein bis- her kaum beachtetes Werk geschaffen: Auch wenn sie am Bauhaus nie in der We- bereiwerkstatt studierte, so suchte und fand sie gerade in der Weberei zahlreiche Ausdrucksmöglichkeiten. Ella Kreher lebt in Nordholland. Quellen: BHB, Umfrage des Bauhausarchivs Darmstadt, Fragebogen Ella Kreher geb. Rogler, 1970er Jahre Gespräch mit Ella Kreher am 25.3.1998, Gespräch mit Axel Kreher am 7.2.1998 Röhl, Alexa siehe Gutzeit, Alexandra 390 Anhang Ella Rogler um 1912 Ella Kreher in den 1970er Jahren Stuhl, um 1930 Sekretär, um 1932 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Roswita Rossius, Dipl.Ing. geb. 19.1.1908 Neubabelsberg - Daten nach 1932 nicht bekannt Studium an der TH Charlottenburg 1927 bis 1932, Diplom Studierende bei Tessenow ohne genaue Angaben. 1908 als Tochter des Architek- ten Ernst Rossius-van Rhyn (12.5.1874 Rhein, Ostpreußen - 7.9.1939 Berlin-Zeh- lendorf) in Neubabelsberg bei Berlin gebo- ren, dürfte Roswita Rossius mit zumindest einem Bruder in Berlin-Zehlendorf aufge- wachsen sein. In der dortigen Teichstr. 4, der heutigen Leo-Baeck-Straße, führt der Vater, seines Zeichens auch Professor ein Büro, das auch „Baustube“ heisst. In den zehner Jahren betrieb er mit Paul Reuter ein Architekturbüro in der Bellevuestraße. Roswita Rossius schreibt sich am 4.Mai 1927 an der TH Charlottenburg für Archi- tektur ein, verlässt die Hochschule jedoch 1928 schon wieder, um offenbar an einer anderen Hochschule weiter zu studieren. Im Mai 1930 immatrikuliert sie sich erneut und besucht ab diesem Zeitpunkt das Se- minar Tessenow. Bei ihm besteht sie 1932 die Diplomhauptprüfung. Zu diesem Zeit- punkt studiert nun auch ihr jüngerer Bruder Rosswyn, der zunächst das Seminar Poel- zig besuchte, bei Tessenow. Von Roswita Rossius lassen sich bisher weder Studien- arbeiten noch das Thema ihrer Diplomar- beit nachweisen. Ebenso unbekannt ist ihr weiterer Lebensweg und damit auch, ob und wo sie nach Abschluss des Studiums eine Anfangsstellung fand. Dressler führt 1930 mehrere Herrenhäuser in den Ostprovinzen und Landhäuser in Vororten Berlins von Ernst Rossius auf. In Fachblättern der zwanziger und dreißiger Jahre sind Wohnsiedlungen von ihm zu finden. Klaus Müller-Rehm und Julius Po- sener sollen von außergewöhnlich kuriosen Festen im Hause Rossius erzählt haben.367 Quellen: HTA, Karteikarte Rossius LAB, Adressverzeichnisse Berlin O.W. Dresslers Kunsthandbuch, Bd. 2, Berlin, 1930, S.835 Rossmannova, Marie siehe Dolezalowa, Marie Ruehlberg, Inge siehe Stipanitz, Inge Ilse Sahlmann geb. 15.3.1913 (Geburtsort unbekannt) - Daten nach 1935 nicht bekannt Studium wahrscheinlich ab 1932 an der TH Stuttgart, 1935 an der TH Charlot- tenburg Gaststudentin bei Tessenow ohne genaue Angaben. Als sich Ilse Sahlmann unter der Matr.Nr. 48073 im Frühjahr 1935 an der TH Charlottenburg immatrikuliert, gibt sie eine Heimatadresse in Fürth an. In diesem Sommersemester studiert sie im Seminar Tessenow und entwirft ein „Arzthaus”. Die Karteikarte vermerkt ein Vorexamen in Stuttgart, welches sich jedoch aufgrund unvollständiger Unterlagen im Archiv der TH Stuttgart dort nicht belegen lässt. Demnach dürfte Ilse Sahlmann ihr Studium zum Wintersemester 1932/33 - und damit unmittelbar nach dem Abitur - an der TH Stuttgart aufgenommen haben. Im Oktober 1934 besteht sie dort das Vordiplom. Während ihres anschließenden, wahr- scheinlich nur einsemestrigen Gaststudi- ums im Seminar Tessenow wohnt sie in der Bundesallee. Wo Ilse Sahlmann ihr Ar- chitekturstudium zu Ende führt, ist bisher unbekannt. Ebensowenig lassen sich bis- her Spuren ihres Lebens nach dem Studi- um oder aus einer eventuellen Berufstätig- keit dokumentieren. Quellen: HTA, Karteikarte Ilse Sahlmann Elfriede Schaar Elfriede [Meta] Schaar, Dipl.Ing., Bauamtmann/frau, HTG geb. 12.3.1911 Berlin-Lichterfelde - gest. 4.12.1984 Berlin, begraben auf dem Friedhof Alt-Mariendorf II Studium an der TH Charlottenburg 1932 bis 1937, Diplom Elfriede Schaar wurde 1911 als Tochter ei- nes protestantischen Kaufmanns in Lich- terfelde geboren. Während der Kindheit er- krankt sie an Kinderlähmung, weshalb sie erst im Alter von acht Jahren eingeschult wird. Zeitgleich mit der drei Jahre jüngeren Klara Brobecker besucht sie das Goethe- Lyzeum in Steglitz, wo sie 1932 das Abitur besteht. Wie Schaar auf die Idee kommt, Architektur zu studieren, ist nicht bekannt. Sie schreibt sich im Anschluss an das Abi- tur an der TH Charlottenburg ein und be- steht dort im Wintersemester 1935/36 die Diplomvorprüfung. Seit dem Studium ist sie mit Hilde Eberle befreundet, die zeit- gleich hier das Architekturstudium auf- nahm. Nachdem Elfriede Schaar zum Sommerse- mester 1936 ins Seminar Tessenow ein- tritt, entwirft sie dort zunächst ein „Hand- werkerhaus”, dann eine „Dorfkirche mit Schule”. Im Frühjahr 1937 bearbeitet sie einen „Gasthof” und im Zwischensemester 1937 eine „Trink- und Wandelhalle”. Ob es sich bei der letztgenannten Aufgabenstel- lung um ihre Diplomarbeit handelt, ist nicht eindeutig: 1937 besteht sie jedoch mit ei- nem bei Tessenow entstandenen Entwurf Biografien 391 367 Für diesen Hinweis danke ich Frau Müller- Rehm. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar die Diplom-Hauptprüfung. Da sie anschlie- ßend immatrikuliert bleibt, besteht der Ver- dacht, dass auch sie eventuell promovie- ren wollte. Bisher lässt sich dies nicht be- legen. Ob bzw. wo sie den Berufseinstieg findet, ist ebenfalls unbekannt. Freiberufli- che Tätigkeit und Regierungsbaumeister- laufbahn schieden aufgrund der gesund- heitlichen Einschränkungen mutmaßlich aus. Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges arbeitet Schaar bei der Bauverwaltung in Berlin-Steglitz, wo sie zum „Bauamtmann“ ernannt und spätestens in den sechziger Jahren im Stadtplanungsamt tätig wird. Sie wohnt weiterhin in Lichterfelde, bleibt ledig und pflegt ihren Vater. Sie wird Mitglied der Heinrich-Tessenow-Gesellschaft. Elfriede Schaar wurde in den siebziger Jahren pensioniert. Sie starb Ende 1984 in Berlin. Für biografische Hinweise danke ich Klara Küster Quellen: HTA, Karteikarte Schaar; HTG, Briefe sowie Todesanzeige Elfrie- de Schaar 1984 Scheper[-Berkenkamp], Lou siehe Berkenkamp, Louise Grete Schlagenhaufer geb. 22.1.1890 München - Daten nach 1933 unbekannt Studium an der Akademie München (?), am Bauhaus Berlin 1932 bis 1933 Studierende am Bauhaus Berlin ohne nä- here Angaben. Grete Schlagenhaufer ist bereits 42 Jahre alt, als sie sich zum Herbst 1932 unter der Matrikelnummer 618 am Bauhaus ein- schreibt. Sie hat zuvor eine Handelsschule und eine Gewerbeschule absolviert, sowie - dies vermerkt eine Semesterliste zu ihrer Vorbildung - eine Akademie besucht. Es ist bisher jedoch unklar, wo, was und wie lan- ge Grete Schlagenhaufer studiert hat, als sie am Bauhaus 1932 in die Bau-/Ausbau- abteilung aufgenommen wird. Dort absol- viert sie zugleich das erste und zweite Se- mester, scheint eine vorangegangene Ausbildung ergänzen zu wollen. Neben Bau-/Ausbau und Möbelkonstruktion be- legt sie Mechanik, Mathematik, Geometrie, Fachzeichnen, Farbe. Im Protokoll der Konferenz vom 29.3.1933 wird ihr Name letztmalig erwähnt. Grete Schlagenhaufer dürfte bis zur Auflö- sung des Bauhauses in Berlin studiert ha- ben. Ob sie danach zurück nach München geht - als Heimatadresse ist eine Münch- ner Adresse angegeben - oder in Berlin ih- re Studien fortsetzt, ist bisher unbekannt. Quellen: BHD, NL Engemann, Semesterliste 1932/33 2.Semester und Protokoll der Konferenz vom 29.3.1933, Bl.4 Fridel [Friedel] Schmidt, BDA keine biografischen Daten bekannt Studium an den Vereinigten Staats- schulen Berlin, an der TH Charlotten- burg 1932 bis 1933 Studierende bei Tessenow ohne genaue Angaben. Sie dürfte um 1910 geboren und in Frankfurt an der Oder aufgewachsen sein. Da Friedel Schmidt nach Informatio- nen auf ihrer Karte in der StudentInnenkar- tei Gasthörerinnenstatus besaß, ist bisher kaum ein Ansatzpunkt für eine Recherche ihres Werdegangs vorhanden. Ebendort findet sich jedoch der Vermerk „2 Seme- ster in der Vereinigten Staatsschule für freie und angewandte Kunst“. Unklar bleibt, ob Schmidt zu diesem Zeitpunkt oder zuvor an den VS studierte. Vor ihrem Studium bei Tessenow könnte sie ein Vor- diplom an einer Technischen Hochschule erworben haben, denn in der von Tesse- now geführten StudentInnenkartei sind i.d.R. keine StudentInnen an den VS auf- genommen. Auf der Karte Schmidts ist das Wintersemester 1932/33 sowie das Som- mersemester 1933 vermerkt. Als Arbeiten sind ein ‘Arzthaus’ und ein ‘Berghotel’, als Monatsaufgaben ein ‘Handwerkerhaus’ und eine ‘Brücke’ aufgeführt. Zwei Projekte und die Teilnahme an zwei Monatsaufgaben waren innerhalb eines Gastjahres im Hauptstudium ein durchaus denkbares Pensum. Die Recherche nach dem Studium Friedel Schmidts ist schwie- rig, da entsprechende Immatrikulationsun- terlagen sowohl an der TH Charlottenburg wie an den VS fehlen. Bekannt ist jedoch, dass Friedel Schmidt in der Wollenweber- straße in Frankfurt/Oder beheimatet war und während ihres Gaststudiums in Berlin- Friedrichshain wohnte. 1933 gewinnt „Fridel” Schmidt beim Wett- bewerb „Die schöne Wohnung mit Möbeln aus deutschem Holz” mit einem Wohnzim- mer-Entwurf eine lobende Erwähnung. 1934 wird sie in den BDA aufgenommen. Auch in späteren Jahren soll sie als Archi- tektin in Frankfurt/Oder tätig gewesen sein. Quellen: HTA, Studentenkarte Friedel Schmidt 25 preisgekrönte Zimmer, Bauwelt-Son- derhefte 10 und 11, Berlin, 1933, S.17 resp.20 Frl. Schmidt, Dipl.Ing. keine biografischen Daten bekannt Studium an der TH Charlottenburg bis 1933, Diplom Eine weitere Studentin namens Schmidt zählt Anfang der dreißiger Jahre zu den Studierenden bei Heinrich Tessenow an der TH. Zu dieser Studentin lassen sich bisher keinerlei Angaben eruieren. Die Kar- teikarte von „Schmidt, Frl.“ enthält neben dem Familiennamen nur eine Heimatadres- se in Zerbst und den Vermerk „Dipl.Ing. 1932“. Hierdurch steht lediglich fest, dass die bereits 1932 diplomierte Studentin mit 392 Anhang „Wohnzimmer aus Kiefernholz”, Wettbewerb 1933, Isometrie Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar der vorstehend genannten Fridel Schmidt nicht identisch sein kann. Quellen: HTA, Studentenkarte Frl. Schmidt Anmerkung zu Architektinnen namens Schmidt: Der Nachrichtendienst der Reichsfrauen- führung vermeldet im Dezember 1938 un- ter dem Titel „Die Architektin der Reichs- frauenführung hilft einrichten“, dass als Ar- chitektin ein Fräulein Schmidt, „die eine Tischlerlehre durchgemacht hat und auch praktisch im Baufach tätig war“ nun bera- tend zur Seite stehe, wenn Einrichtungen, Häuser und Heime der NS-Frauschaft ein- gerichtet werden. Denn schließlich soll „je- de unserer Arbeit vielleicht noch fernste- hende Frau (..) über die fachliche Beratung und Betreuung hinaus noch einen anderen Eindruck mitnehmen, nämlich den, in ei- nem schönen, harmonischen und zweck- entsprechend eingerichteten Raum oder Haus gewesen zu sein.“ 368 Im N.S.K. hatte U. Pfahl bereits Ende Sep- tember über eine „Architektin im Deut- schen Frauenwerk“ berichtet. Dort ist ein kurzes Interview mit dieser Architektin zu finden, deren Name nicht erwähnt wird (vgl. hierzu Kap.7). Da diese Architektin ih- ren Werdegang anhand einer Tischlereileh- re schildert und ihre Bauleitungstätigkeit besonders betont, besteht der Verdacht, dass es sich in beiden Berichten um ein und dieselbe Architektin handeln könnte. Weiterführende Informationen zum Schaf- fen der für die Reichsfrauenführung tätigen Architektin Schmidt konnten bisher nicht recherchiert werden. Die Personalakten der Reichsfrauenführung sind nicht archi- viert. Damit bleibt auch offen, ob evtl. eine der zuvor genannten Tessenowstudentin- nen namens Schmidt als Architektin bei der Reichsfrauenführung tätig wurde. Quellen: BArchB, R 3903, XXVII/112/71 Bl. 256 - Pfahl, U.: „Architektin im Deutschen Frauenwerk“, in: Nationalsozialistischer Kurier Nr.226 vom 27.9.1938 - „Die Architektin der Reichsfrauenfüh- rung hilft einrichten....“ in: Nachrichten- dienst der Reichsfrauenführung, Nr.12, Dez.1938, Schneider, Gertrud siehe Schneider, Ursula Gisela Schneider Gisela [Maria Karoline] Schneider, spätere Ehren (ab 22.1.1943), Dipl.Ing. geb. 18.6.1911 Remscheid - gest. 7.1. 1971 Krefeld Studium an der KGS Stuttgart 1931, an der TH Stuttgart 1931 bis 1933 und an der TH Charlottenburg 1934 bis 1937, Diplom wurde 1911 als älteste Tochter des Ernst Schneider und seiner Frau Auguste Johan- ne geb. Schmidt in Remscheid geboren. Die Eltern sind evangelisch und beide als Volksschullehrer tätig. Gisela wächst ge- meinsam mit einer jüngeren Schwester in Remscheid auf. Der Vater fällt im ersten Weltkrieg, die Mutter heiratet erneut einen Volksschullehrer. Gisela Schneiders Lieb- lingsfach in der Schule ist neben Musik und Französisch eindeutig Zeichnen. Nach dem Abitur am Oberlyzeum Remscheid im Februar 1931 - im Abiturzeugnis ist ihr Be- rufswunsch mit „Volksschullehrerin“ ange- geben - bewirbt sie sich an der Pädagogi- schen Akademie in Frankfurt.369 Da ihre Bewerbung abgelehnt wird, belegt sie im Sommersemester 1931 an der Würt- tembergischen Staatlichen Kunstgewerbe- schule Stuttgart künstlerisches Malen und Zeichnen sowie Werkstattarbeit.370 Nach nur einem Semester bricht sie dieses Stu- dium ab und absolviert ab August in Rem- scheid ein dreimonatiges Tischlereiprakti- kum.371 Zum folgenden Wintersemester schreibt sie sich an der TH Stuttgart für Architektur ein und studiert u.a. bei den Herren Keuerleber, Wetzel und Schmitt- henner. Sie hört Kunstgeschichte bei Hil- debrandt sowie Literatur bei Pongs. In die- ser Zeit freundet sie sich mit Martin Elsäs- ser an. Auch Brigitte und Walter Ruf ist sie seit dieser Zeit verbunden. Nach dem Vor- diplom im Sommer 1933 bleibt Schneider immatrikuliert. Sie volontiert in Architektur- büros, u.a. zwölf Monate bei dem Stuttgar- ter Architekten Hans Anton Geiger. Zum Wintersemester 1934/35 schreibt sie sich an der TH Charlottenburg ein und be- sucht das Seminar Tessenow. Dort beginnt auch sie mit der Entwurfsaufgabe „kleines Wohnhaus“. Parallel zu ihrem Architektur- studium an der TH Charlottenburg besucht Gisela Schneider ebenso begeistert wie re- gelmäßig die Klasse für Malerei von Eugen Schmoll an den Vereinigten Staatsschulen. Im Wintersemester 1935/36 nimmt sie bei Tessenow an einem der seminarinternen Stegreifwettbewerbe teil. Im Februar 1936 wird ihr ‘Aussichtsturm’ mit dem 2. Preis prämiert. Bei diesem Stegreif belegt der Entwurf ihres Kommilitonen Josef Ehren, der ebenfalls zum Wintersemester 1934/35 nach einem Vorexamen in Aachen zu Tes- senow an die TH Charlottenburg gewech- selt hat, den 3. Platz. 1936 entwirft Schneider ein ‘Postamt’ und ein ‘Hotel’.372 Bisher sind diese Arbeiten ebenso wenig bekannt wie ihre Diplomar- beit, die sie im Frühjahr 1937 bei Tesse- now bearbeitet.373 Im März 1937 erhält sie ihr Diplom dem Prädikat „gut“. Gisela Schneider beginnt im Anschluss an das Studium als angestellte Architektin in der Planungsabteilung des Reichspostmi- nisteriums in Berlin zu arbeiten. Offenbar hat sie jedoch weitergehende Pläne oder sucht nach Alternativen. Als sie sich im Herbst 1937 beim DAAD bewirbt, um ihr Architekturstudium im Studienjahr 1938/ 39 in Paris zu vertiefen, gibt sie als Berufs- ziel „selbständige Architektin“ an. Der An- trag wird abgelehnt, Schneider arbeitet weiterhin bei der Reichspost. Im Laufe des Jahres 1942 entwirft sie dort die Interra- diostation für das unweit von Bukarest lie- gende Oltrenitza, eine autarke Sendesta- tion mit kompletter Wohnsiedlung. Gisela Schneider und Josef Ehren (25.11. 1912 - 1.1.1996) heiraten am 22. Januar 1943 in Berlin-Charlottenburg.374 Biografien 393 368 Nachrichtendienst der Reichsfrauenführung Nr.12, Dezember 1938, o.S. 369 NL Ehren, Reifezeugnis vom 25.2.1931 370 Lt. Zeugnis der Kunstgewerbeschule Stutt- gart vom 15.7.1931, unterschrieben von Otto Pankok. NL Ehren 371 Tischlereipraktikum bei Peter & Carl Hein- möller, Remscheid, lt. Zeugnis 1.8. - 31.10. 1931. NL Ehren 372 Lt. Eintrag auf der SchülerInnenkarteikarte Schneider 373 Josef Ehren entwarf als Diplomaufgabe 1937 eine Kunstfachschule. 374 Standesamt Berlin-Charlottenburg Nr.122/ 1943. Martin Elsässer hält die Hochzeitsre- de und wird 1947 Patenonkel der Tochter. Auguste Schneider mit ihren Töchtern um 1915 Gisela Schneider mit ihrem Reißbrett im Zug, um 1940 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Sie beteiligt sich im selben Jahr gemein- sam mit Martin Elsässer am Wettbewerb für den Neubau des Bahnhofs in Sofia. An- schließend bittet sie um Versetzung in die Bauleitung der Sendestation nach Buka- rest. Nach nur wenigen Monaten gerät sie 1944 gemeinsam mit dem Kollegen Rasche in der Nähe von Oltrenitza in russische Ge- fangenschaft. Erst 1946 kehrt Gisela Ehren nach Deutschland zurück. Josef Ehren be- wohnt inzwischen einen Bauernhof im nie- derrheinischen Nieuwkerk und betreibt ge- meinsam mit Robert Hermanns ein Archi- tekturbüro in Geldern. 1947 kommt eine Tochter, 1950 und 1955 Söhne zur Welt. Die abgelegene Mühle in Nieuwkerk erfor- dert eine aufwendige Hauswirtschaft, lang- wierige Krankheiten der Kinder nehmen Gi- sela Ehren zeitweise völlig in Beschlag. Sie kehrt nach der Geburt der Kinder nicht in den Beruf zurück. 1951 wird Josef Ehren als Professor an der Werkkunstschule Kre- feld tätig. Gisela Ehren erlernt autodidak- tisch die Handweberei, interessiert sich für Eurythmie und malt ab den sechziger Jah- ren wieder verstärkt. Es entstehen zahlrei- che Bilder und Webarbeiten. Gisela Ehren starb 1971 im Alter von 60 Jahren in Krefeld. Für biografische Informationen danke ich Dr. Gabriel Ehren Quellen: HTA, Studentenkartei, Gisela Schneider und Josef Ehren NL Gisela Ehren Briefliche Mitteilung von Dr. Otto Kindt vom 29.8.1997 Ursula Schneider Gertrud [Emilie Hedwig] (Ursula) Schneider, zeitweilige Warschauer (1920/21-1926), spätere Weiß, (ab 1928), Dipl.Ing. geb. 19.1.1895 St. Petersburg - gest. 8.6. 1984 Berlin, begraben in Berlin Studium an der TH Charlottenburg 1916 bis 1919, an der TH Darmstadt 1919 bis 1923, Diplom, am Bauhaus Dessau 1927 bis 1928, an der Handwerkerschule Breslau 1941 bis 1942 wurde 1895 als Tochter des Ingenieurs Max Paul Hugo Schneider (geb. 18.4.1863) und der Pianistin Bertha Marianne geb. Korn (19.6.1874 - 1966) in St. Petersburg geboren, wo sie bis 1908 mit zwei Schwe- stern und einem Bruder aufwächst. Dann zieht die protestantische Familie nach Ber- lin-Friedenau. Der Vater arbeitet zunächst für Siemens & Halske, betreibt in späteren Jahren eine Drogerie. Gertrud Schneider besucht die Cecilienschule, ein Realgym- nasium. Dort wird ihr der Vorname Ursula zugeschrieben, der fortan informeller Be- standteil ihres Namens wird. Schneider ist Mitglied im Wandervogel, um 1910 leitet sie die Ortsgruppe Berlin-Wilmersdorf. 1915 legt sie das Abitur ab. Wie sie auf die Idee kommt Architektur zu studieren, ist bisher unbekannt.375 Die Schwestern Hertha und Ilse werden Lehre- rin und Diakonisse, der Bruder Max Apo- theker. Ursula Schneider schreibt sich zum Wintersemester 1916/17 an der TH Char- lottenburg für Architektur ein und studiert 394 Anhang 375 Im Gespräch mit Helga Schmidt-Thomsen erzählte Ursula Weiß, dass sie zeitweise ei- nen Zeichentisch im Büro von Winkelmann gehabt habe. Sie könnte diese bereits als Schülerin kennengelernt haben, da Winkel- mann ihr Büro um 1909 in der Hohenstau- fen-, in den zehner Jahren in der Kurfür- stenstraße betrieb, nicht allzu weit von Schneiders Elternhaus entfernt. Zum Zeit- punkt der Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf” war Schneider 17, bei der Grundsteinlegung zum Viktoria-Studienhaus 19 Jahre alt. Es wurde 1916 im Jahr ihres Studienbeginns unweit der TH eingeweiht. Familie Ehren in den 1960er JahrenSendestation der Interradio in Oltreniza, 1943, Gisela Ehren, Lageplan und Nordwestansicht des Sendegebäudes Ursula Schneider 1918 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar zielstrebig. Bereits im Oktober 1918 legt sie an der TH Charlottenburg die Vorprü- fung mit „ziemlich gut“ ab und bleibt bis 1919 immatrikuliert. Im gleichen Semester studieren acht wei- tere Studentinnen als ordentliche Hörerin- nen, darunter drei Bulgarinnen. Mit Maria Berowa scheint Ursula Schneider näher bekannt gewesen zu sein, ein Semester später als diese wechselt sie zum Winter- semester 1919/20 an die TH Darmstadt, wo sie ihr Architekturstudium zunächst ein Jahr lang weiterführt. Dann heiratet sie den jüdischen Philologen Martin Warschauer, der in Heidelberg als Lehrer arbeitet. Zum Wintersemester 1921/ 22 schreibt sie sich erneut an der TH Darmstadt ein. Als sie sich im Mai 1922 zur Diplomprüfung an- meldet, weist sie als Praktikum sechs Wo- chen Mitarbeit im Büro von Prof. Otto Zol- ler, Berlin-Charlottenburg nach.376 Sie be- arbeitet im Wintersemester 1922/23 ein von Prof. Paul Meißner gestelltes Thema des Wohnungsbaus als Diplomaufgabe in Heidelberg und besteht das Diplom 1923 mit „gut“.377 Ob Ursula Warschauer anschließend als Architektin arbeitet, ist bisher unbekannt. Im April 1924 kommt eine Tochter zur Welt. Um 1925 zieht sie nach Berlin und arbeitet im Büro von Erwin Gutkind.378 1926 kommt ein Sohn zur Welt, die erste Ehe wird geschieden. Im Frühjahr 1927 schreibt sich Ursula Schneider unter der Matrikelnummer 173 am Bauhaus Dessau ein und besucht die Grundlehre bei Josef Albers.379 Sie ist mit Johan Niegeman befreundet und arbeitet in den Semesterferien 1927 im Baubüro Gropius. Ab Herbst 1927 studiert sie in der nun von Hannes Meyer geleiteten Bauab- teilung. 1928 verlässt sie das Bauhaus und heiratet den Vater ihres Sohnes, den Arzt Leo Heinrich Weiß (geb. 12.9.1897 Eutin) in dessen Geburtsstadt. Familie Weiß wohnt nun in Berlin-Zehlen- dorf. Ursula Weiß arbeitet für Adolf Som- merfeld, zunächst an einem Siedlungsbau für das Leunawerk in Merseburg dann in Schneidemühl in der Bauleitung.380 1929 beteiligt sie sich am Wettbewerb „Das Ei- genhaus der neuen Zeit, der neuen Welt“, der vom Verlag Velhagen und Klasing aus- gelobt wird und gewinnt mit dem Entwurf „XYZ“ einen Ankauf.381 Das Projekt ist nicht erhalten. Ursula Weiß wandert noch 1929 mit Mann und Sohn in die USA aus. Die Tochter bleibt beim Vater, beide emi- grieren in den dreißiger Jahren nach Eng- land. In den USA hofft Leo Weiß bessere berufli- che Möglichkeiten als Arzt vorzufinden. Die Familie zieht auf der Suche nach Arbeits- möglichkeiten öfter um.382 In Madison/Wis- consin arbeitet Ursula Weiß 1931 zusam- men mit dem Corbusierschüler Hamilton Beatty an einem Siedlungsprojekt. Dort er- reicht sie ein Brief von Josef Albers.383 Familie Weiß kehrt 1933 nach Berlin zu- rück. Ursula Weiß entwirft die Pläne zu ei- nem Haus für die eigene Familie. Das Arzt- haus wird 1935 in Niederschönhausen re- alisiert und zeigt auffällig wenig Einflüsse der Bauhauszeit.384 Haus Weiß, Bismarckstraße 14, 1935 Keine zwei Jahre später trennen sich Leo und Ursula Weiß, die Ehe wird 1940 ge- schieden. Im Sommer 1938 arbeitet sie im Baubüro der Architekten Werner Harting. Als 1939 eine Dienstverpflichtung droht, gibt sie an, als Wohnungsberaterin „au- genblicklich in Vorbereitung zu selbständi- ger Tätigkeit“ zu sein. 1941 besucht sie die Handwerkerschule in Breslau. 1944 wird ihre Wohnung in Berlin ausgebombt, sie kommt zunächst im Allgäu, anschließend in Westpreußen und Mecklenburg bei Ver- wandten unter. Nach Kriegsende kehrt sie über Neustrelitz nach Berlin zurück, wo sie als Sprachen- lehrerin, dann an der Volkshochschule Spandau als Dozentin für Russisch und Englisch arbeitet. Ab 1947 bearbeitet sie Ausstellungen der amerikanischen Militär- regierung, ab 1949 unterrichtet sie techni- sches Russisch an der Ingenieurhochschu- le in Ostberlin. 1950 wird sie als freie Mit- arbeiterin am Institut für planwirtschaftli- ches Bauen in Potsdam tätig.385 Ab 1954 ist sie bei der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen Berlin in der Baulen- kung mit technischen Gutachten und Miet- preiskontrollen befasst. Als sie 1963 aus- scheidet, engagiert sie sich in der Nach- barschaftshilfe. In den siebziger Jahren lei- tet Ursula Weiß baugeschichtliche Stadt- führungen. Sie starb 1984 in Berlin. Für biografische Informationen danke ich Dr. Peter Weiß Quellen: NL Gertrud Ursula Weiß, BHAB, Umfragebogen Ursula Schnei- der-Weiß, 1960er Jahre NAI, NL Johann Niegeman THD Archiv, Anmeldebögen Schneider, Schreiben M. Viefhaus vom 15.6.1998 Stadtarchiv Darmstadt, Melderegister- bestand StA 12/18 Schmidt-Thomsen, Helga: Interview mit Ursula Weiß am 10.2.1984 – ich danke Frau Schmidt-Thomsen für die Überlas- sung ihrer handschriftlichen Notizen – vgl. auch Schmidt-Thomsen, Helga: Frauen in der Architektur. Neue Berufs- wege seit der Jahrhundertwende, in: UIFA (Hg.): Architektinnenhistorie, Ber- lin, 1984, S. 23, 26 Gespräche mit Dr. Peter Weiß am 25.7. und 7.9.1997 Biografien 395 376 Zulassungsantrag an die Diplomprüfungs- kommission der TH Darmstadt vom 8.5. 1922: Sie wünscht die Prüfung nach der neuen Prüfungsordnung abzulegen und im ersten Abschnitt die Fächer Baukonstruk- tion, Formenlehre und Baugeschichte zu absolvieren, „der Eintritt in den staatlichen Vorbereitungsdienst ist nicht beabsichtigt.“ Hochschularchiv TH Darmstadt 12/263-1 377 Dies ist ihr 10.Studiensemester, das Di- plomthema ist unbekannt, die Arbeit nicht erhalten. Diplomzeugnis vom 10.1.1923: Baukonstruktion „sehr gut“, Studienzeich- nungen und Studienarbeiten „sehr gut“, 378 Erwin Gutkind (1886-1968) plant in dieser Zeit im Auftrag der Gesellschaft „Stadt und Land“ die Wohnanlage “Sonnenhof”, die 1926 in Berlin-Lichtenberg realisiert wird 379 Albers verwendet ihre 1927 entstandene „materie- und schwerpunktstudie“ zur Illu- stration eines Artikels über die Vorlehre. Bauhauszeitschrift, 2.Jg., 1928, H.2/3, S.6 380 Zwischen Februar und Oktober 1928 arbei- tet auch Niegeman für die AHAG, auch er ist an einem Projekt in Merseburg für den Bau von 800 Wohnungen beteiligt. (vgl. de Wit, 1979, S.144) - Bei dem Schneidemühl- Projekt handelt es sich wahrscheinlich um den Neubau der Villa Max Sommerfeld. Vgl. hierzu Biographie Fernbach. 381 Wettbewerb „Eigenhaus der neuen Zeit der neuen Welt“, Velhagen & Klasings Monats- hefte, 44.Jg., September 1929, S.90 382 Familie Weiß wohnt zunächst in New York, dann in New Jersey, dann in Madison/Wis- consin und in Le Center/Minnesota. Weiß, die ihren Mann bei seiner Dissertation un- terstützt hatte, beteiligt sich nun an den praktischen Vorarbeiten und der Auswer- tung einer medizinischen Untersuchung. (LL G. Ursula Weiß, 1954) 383 GET, SV Albers, Brief von Josef Albers an Ursula Weiss vom 13.3.1932: „und schik- ken Sie uns einige begabte Amerikaner. Jetzt haben wir ca. 1 Dutzend hier.“ Es ist unklar, ob Weiß diesem Wunsch entspricht. 384 1935 Bau des eigenen Hauses mit Arztpra- xis in Niederschönhausen, Bismarckstr.14, heute Hermann-Hesse-Straße. 385 LL 1954. - Das Institut wurde um 1950 von Robert Lenz (1907-1976) geleitet, der am Bauhaus im Frühjahr 1925 und im Frühjahr 1926 in der Grundlehre, im Wintersemester 1927 in der Metallwerkstatt studiert hatte. Ursula und Leo Weiß, um 1935 Ursula Schneider-Weiß um 1940 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Christa Schöder spätere Mory (ab 1934) resp. Carras-Mory (ab 1979) geb. 19.3.1913 Beeskow - gest. 20.4. 2000 in Berlin386 Studium am Bauhaus Dessau 1932, an der Kunstgewerbeschule Wien 1932 bis 1933, am Bauhaus Berlin 1933 wurde 1913 als einziges Kind des Maschi- nenbauingenieurs und gelernten Kupfer- schmieds Georg Schöder und seiner Frau Charlotte geboren. Charlotte Schöders Mutter arbeitet als Hebamme in Beeskow und ist dabei, als ihre Enkelin zur Welt kommt. Christa Schöder wächst in Berlin-Tegel auf. In der Grundschule erkennt und för- dert Zeichenlehrer Zadow ihr Talent. An- schließend besucht sie das Dorotheen- Oberlyzeum in Berlin-Moabit. Hier fördert Frl. Schröder ihre kreativen Neigungen. Im Frühjahr 1932 legt Schöder das Abitur ab. Eigentlich möchte sie Malerin werden, die Eltern raten zu einem „bürgerlichen Studi- enfach”. An der Staatlichen Hochschule Berlin wird ihr Aufnahmeantrag abgelehnt. Hier hört Christa Schöder jedoch zum er- sten Mal vom Bauhaus. Sie fährt umge- hend nach Dessau, schreibt sich unter der Matr.Nr. 596 am Bauhaus ein.387 In Dessau wohnt sie bei Frl. Salzgeber zur Untermiete, das Zimmer kostet 30,-Mark im Monat. Vormittags arbeitet sie vier Stunden bei Josef Albers, nachmittags be- sucht sie Vorlesungen bei Kandinsky. Sie belegt im ersten Semester bereits die Bau- abteilung, hospitiert auch in der Weberei. Von Mathematik wird sie befreit.388. Am Bauhaus freundet sie sich mit Pius Pahl, Egon Rakette und Jan van der Linden an. Zum Herbst wechselt sie - zusammen mit den Kommilitonen Rakette, Widmer, Kol- tun und Mestetchkin - an die Kunstgewer- beschule nach Wien.389 Eigentlich beab- sichtigt sie dort bei Ramsauer Malerei und bei Larisch Schrift zu studieren. Sie belegt jedoch Baukonstruktion und Statik, stu- diert in der Architekturklasse bei Josef Hoffmann. Christa Carras-Mory berichtet, dass ihr Entwurf im Wintersemester 1932/33 inso- fern ‘durchfiel’ als sie als Protestantin eine Kir-che entworfen habe, die keine Mess- diener- und Ankleidekammern vorsah. Am 24.1. 1933 tritt sie an der Kunstgewerbe- schule aus390, kehrt nach Berlin zurück und schreibt sich erneut am Bauhaus ein.391 Im Januar 1933 wird ihr Antrag vom Beirat genehmigt, freitags vormittags auch die Weberei zu besuchen.392 Wieder stu- diert sie auch bei Kandinsky, verbringt aber die meiste Zeit in der Bauabteilung. Für das Bauhausfest im Februar malt sie - gemein-sam mit Kurt Robra - ein hinter- leuchtetes Wandbild.393 Als 1933 Georg Schöder vorzeitig pensio- niert wird, ziehen die Eltern nach Beeskow. Nach der Schließung des Bauhauses zieht auch Christa Schöder dorthin. Da sie sich während ihrer Schulzeit auch als Pflegerin ausbilden ließ, arbeitet sie nun als Pflege- rin. In der Kirchengemeinde Beeskow lei- stet zu diesem Zeitpunkt Vikar Mory ein halbes Pflichtjahr ab. Noch 1933 verlobt sich Christa Schöder mit dem Vikar. Mit ihm zieht sie 1934 - inzwischen verheiratet - nach Billendorf, Kreis Sorau. Er tritt eine Pfarrstelle an, Christa Mory unterrichtet als Katechetin. Für Architektur interessiert sie sich weiterhin. Als berufliche Perspektive kommt Architektur - nach nur drei Seme- stern Studium - jedoch nicht mehr in Fra- ge. 1937 wird eine Tochter geboren. Bis 1942 bringt Christa Mory vier Söhne zur Welt. Ihr Mann steht der Bekennenden Kir- che nahe und wird 1941 eingezogen. Er fällt 1943. Bei einem Bombenangriff auf Billendorf gehen kurz vor Kriegsende alle Zeichnun- gen Morys, aber auch Schriftwechsel und Bauhauspapiere verloren. Sie läuft mit den fünf Kindern von Billendorf nach Beeskow, wo sie bei ihren Eltern Aufnahme findet. Christa Mory ist nun alleinerziehende Mut- ter und nimmt eine Stelle als Lehrerin an der Beekower Schule an. Insbesondere der Zeichenunterricht ist ihre Sache, sie unterrichtet fast alle Zeichenklassen. 1954 zieht Mory mit vier Kindern nach Kossen- blatt, ein Sohn wohnt inzwischen bei der Großmutter in Stuttgart - um ein Gymnasi- um besuchen zu können. 1957 zieht Fami- lie Mory nach Eggersdorf bei Straußberg. Als die Kinder in den sechziger Jahren aus dem Haus sind, wird Christa Mory Leiterin der Schwesternschule des Königin-Elisa- beth-Hospitals in Berlin-Friedrichshain. In den späten siebziger Jahren heiratet sie erneut. Auf dem Gelände des evangeli- schen Hospitals wohnt Christa Carras-Mo- ry auch nach ihrer Pensionierung bis zu ihrem Tod im Frühjahr 2000. Quellen: Einschreibebogen KGS Wien vom 6.10. 1932 und Studienbuch, Schreiben Silvia Herkt vom 17.2.1998, BHD, NL Engemann, semesterliste ws 32/33, Beiratssitzung 12.5.32, Bl.2, Pkt.10, konferenz 29.3.1933 bl., o.Nr., 2 II, Beiratssitzung 11.1.1933, Bl.1, Pkt.8 Rakette, Egon: Bauhausfest mit Truxa, München, 1973 Hahn / Wolsdorff, 1985 Interview mit Christa Carras-Mory am 29.1.1998, Brief von Christa Carras-Mo- ry vom 16.1.1998 Scholz, Maria siehe Müller, Maria Schrammen, Toni siehe Haken-Nelissen, Toni von Grete Schroeder-Zimmermann geb. Zimmermann394, Dipl.Ing. geb. 12.12.1887 Ribnitz - gest. 15.9.1955 Berlin Studium an der KGS Breslau 1906 bis 1909, an der TH Charlottenburg 1925 bis 1930, Diplom wurde 1887 in Ribnitz als Tochter des Felix Zimmermann und seiner Frau Olga geb. Torkuhl geboren. Der Vater betreibt in Stei- nau an der Oder ein Baugeschäft. 396 Anhang 386 Angabe lt. Mitteilung von Ines Hildebrandt am 4.5.2000. 387 Einschreibbuch S.63 388 BHD, Beiratssitzung 12.5.1932, Bl.2, Pkt.10 389 Dort wohnt sie zur Untermiete bei Frl. Lina Prauß in der Waaggasse 9 im V.Bezirk. 390 AAKW, Einschreibebogen Schöder, Schrei- ben Silvia Herkt vom 17.2.1998 391 Einschreibeliste, S.291. 392 BHD, Beiratssitzung 11.1.1933, Bl.1, Pkt.8 393 Vgl. Hahn/Wolsdorf, 1985, S.120 394 Zu Grete Schroeder-Zimmermann siehe insbesondere Stratigakos, 1999. 395 Vgl. Kat. „Poelzig und seine Schule“, Ber- lin, 1931, S.5 396 Ab dem 1.1.1917. HdKA, Akte Schroeder- Zimmermann, LL vom 12.12.1952 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Grete Zimmermann besucht hier die Höhe- re Töchterschule, bevor sie - ohne Abitur - ab 1906 bei Hans Poelzig an der Kunstge- werbeschule Breslau Architektur studiert. Ab 1909 arbeitet sie in Poelzigs Büro. So- wohl für die Chemische Fabrik in Luban (1911) wie auch für die Römergrube bei Rybnik und die Annagrube bei Pschow wird sie als Mitarbeiterin genannt.395 1914 heiratet sie den Architekten und Zei- chenlehrer Reinhold Rudolf Schroeder (geb. 10.9.1889 Breslau). Während des er- sten Weltkrieges arbeitet sie im Hochbau- amt des Magistrats Breslau. Aufgrund ei- ner Demobilisierungsverfügung wird sie dort - nachdem ihr Mann aus dem Krieg zurückkehrt - zum 31.12.1916 entlassen. Unmittelbar nach der Entlassung in Bres- lau tritt Grete Schroeder-Zimmermann in die Dienste des Hochbauamtes des Rats zu Dresden „unter Stadtbaurat Poelzig“ ein.396 Hier ist sie mit der architektoni- schen Ausarbeitung von Schulhausbauten und Feuerwachen befasst. 1919 kommt ihre Tochter zur Welt. Wenige Jahre später, um 1923 lässt sich Schroe- der-Zimmermann scheiden und betätigt sich in Breslau als freiberufliche Architek- tin. Dies scheint wenig erfolgversprechend, Schroeder-Zimmermann sucht nach der Möglichkeit eines akademischen Abschlus- ses. Im Alter von 37 Jahren und 15 Jahre nach ihrem Studium an der KGS Breslau erwirbt sie in Berlin das Abitur, um mit Hil- fe eines Preußischen Staatsstipendiums an der TH Charlottenburg erneut bei Poelzig Architektur zu studieren. Sie besteht im Frühjahr 1930 die Diplomhauptprüfung mit „sehr gut“ und tritt zum 19.5. eine Stelle als Regierungsbauführerin im Hochbauamt des Kreises Niederbarnim-Teltow an. Hier besteht jedoch keinerlei Aussicht für sie , als Frau eine entsprechende Stellung - als verbeamtete oder gar leitende Regierungs- baumeisterin - zu erreichen.397 Vor und während dieser Regierungsbau- führerinnenstelle unterrichtet Schroeder- Zimmermann als außerplanmäßige wissen- schaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Formenlehre und Baukonstruktion der TH Charlottenburg (Prof. Mäkelt). Nach fast neunjähriger Lehrtätigkeit, während der sie auch ein Jahr lang das Fachgebiet Darstel- lende Geometrie, Schattenlehre und Per- spektive des erkrankten Prof. Fader ver- tritt, erhält sie eine planmäßige Assisten- tinnenstelle an der TH Charlottenburg. Sie verlässt die Hochschule jedoch nach wei- teren drei Semestern und tritt eine Stelle in der Hochbauabteilung des Oberfinanzprä- sidiums Berlin an. Zum 16.4.1941 wechselt sie in die Bauabteilung der Preußischen Bau- und Finanzdirektion. Nach drei Jah- ren löst sie auch diesen Arbeitsvertrag im gegenseitigen Einvernehmen, um in ihrem Heimatort Steinau Dachgeschosse und Notwohnungen auszubauen. Nach der Flucht im Januar 1945 landet sie wieder in Berlin und wieder in der Hoch- schule. An der nach dem Kriege neu ge- gründeten Hochschule für Bildende Künste unterrichtet sie weitere zehn Jahre das Fach Darstellende Geometrie, Schatten- konstruktion und Perspektive. Bauten resp. Projekte aus dieser Zeit sind bisher nicht bekannt. Grete Schroeder-Zimmermann starb 1955 nach einer Operation in Berlin. Ihr Nach- lass befindet sich in der Berlinischen Gale- rie. Quellen: HdKA, Personalakte Grete Schroeder- Zimmermann Poelzig und seine Schule, Katalog, Berl- in, 1931 Schulze, Edith siehe Dinkelmann, Edith Schuster, Helga siehe Karselt, Helga Schwerin, Ricarda siehe Meltzer, Ricarda Seitz, Luise siehe Zauleck, Luise Siedhoff, Alma siehe Buscher, Alma Tony Simon-Wolfskehl spätere Lasnitzki (ab 1924) geb. 12.4.1893 Mainz - gest. 24.1.1991 St. Idesbald sur Meer, Belgien Studium an der TH Darmstadt 1912 bis 1917, Fachexamen, am Bauhaus Weimar 1919 bis 1920 wurde am 12.4.1893 in Mainz als älteste Tochter des Weingroßhändlers Eduard Si- mon-Wolfskehl (geb. 9.12.1862 Mainz) und seiner Frau Anna (geb. 28.5.1873 Frankfurt a.M.) geboren. Julius Wolfskehl, ihr Groß- vater mütterlicherseits, hatte die Frankfur- ter Bank mitbegründet.398 Tony wächst mit einer vier Jahre jüngeren Schwester in einem vermögenden Eltern- haus auf. 1900 kauft der Vater als Famili- ensitz ein Haus in der Frankfurter Beetho- venstraße. Tony Simon-Wolfskehl besucht private Mädchenschulen, zunächst das In- stitut Steimer, dann das Institut Schmidt. Um 1911 legt sie am Mädchengymnasium Frankfurt das Abitur ab. Zum Sommersemester 1912 schreibt sie sich als ordentliche Studentin der Architek- tur an der TH Darmstadt ein. Wie sie auf die Idee kommt, Architektur zu studieren, ist bisher nicht bekannt.399 In Darmstadt dürfte sie bei Verwandten - evtl. in der Wolfskehlschen Villa in der Karlsstraße - gewohnt haben.400 An der Hochschule stu- diert sie zunächst sieben Semester, absol- viert dann wahrscheinlich ein Büroprakti- kum und setzt das Architekturstudium 1916 in Darmstadt zum Sommersemester fort.401 Nach acht Semestern schließt sie im Frühjahr 1917 mit einem Fachexamen ab.402 Durch einen Freund der Familie, Walter Müller-Wulckow, erfährt sie von dem ge- rade in Weimar gegründeten Bauhaus.403 Begeistert bewirbt sich Simon-Wolfskehl per Telegramm im Mai 1919 um die Auf- nahme.404 Gropius schlägt ihr vor, bis zum Herbst zu warten, sie reist jedoch enthu- siastisch noch im Sommer an und wohnt zur Untermiete „am Horn“.405 Ab Mitte Juli nimmt sie am Architekturkurs bei Paul Klopfer an der Baugewerkeschule teil - als einzige Studentin.406 Ab dem Sommerse- mester 1920 arbeitet sie im Atelier Gropi- us. Es ist nicht dokumentiert, an welchen Biografien 397 397 In einem handschriftlichen Lebenslauf vom 12.12.1952 schreibt sie dazu: „Auf eigenen Wunsch ausgeschieden, weil einer Frau nur der Titel eines Regierungsbaumeisters ver- liehen werden sollte, also ohne Aufstiegs- möglichkeit zum Regierungsbaurat.“ HdKA, Best.16, Nr.148 398 Vgl. Eckhardt G.Franz: Juden als Darm- städter Bürger, Darmstadt, 1984, S.377 399 Evtl. war bereits hier die Bekanntschaft mit Walter Müller-Wulckow hilfreich. Ein Groß- onkel Simon-Wolfskehls arbeitete um 1898 als Regierungsbauführer in Mainz. Dessen Vater, der Bankier und Politiker Otto Wolfs- kehl (1841-1907), hatte sich 1877 für die Erweiterung des Polytechnikums resp. die Gründung der TH Darmstadt eingesetzt. Vgl. Eckhardt, 1984, S. 242 400 Im Darmstädter Melderegister lässt sich für sie keine Studienadresse nachweisen. 401 Zum Sommersemester 1916 setzt auch die Frankfurter Architekturstudentin Susanne Cohn hier ihr Studium fort. 402 Angabe Lasnitzkis in verschiedenen Le- bensläufen, u.a. BHA, Fragebogen Las-nitz- ki. Das Fachexamen erlaubte eine etwas freiere Fächerwahl als das Diplom. Anmel- dungen zum Fachexamen wurden nicht aktenkundig, wodurch im Archiv der THD kein Nachweis möglich ist. Ebendort ist kein Antrag Simon-Wolfskehls auf Diplom- zulassung vorhanden. - Ich danke Marianne Viefhaus für die detaillierten Informationen. - Das Diplom war an der THD als Studien- abschluss für Studentinnen bis in die zwan- ziger Jahre umstritten. Die Zulassung ge- lang einer Studentin hier erstmalig 1921. Vgl. Biografie Pilewski. 403 Walter Müller-Wulckow unterstützte als Kunsthistoriker das Neue Bauen. Er publi- zierte u.a.” Wohnbauten und Siedlungen”, Königstein, 1929. Bei ihrer telegraphischen Anmeldung am 28.5. 1919 beruft sie sich auf seine Empfehlung. SBW 155, Bl. 1091 404 SBW 155, S.1093 405 Fragebogen im BHA vom 15.8.1980 „direkt neben Keyserlingks“ bei Frl. von Burda; lt. SBW 155 Bl.1088 wohnt sie bei Frau Borg- hild, Haus in der Sonne, Am Horn 47. 406 Jaeggi, 1995, S.118 - Simon-Wolfskehls Urteil über diesen Kurs ist unbekannt. Projekten sie in dieser Zeit mitarbeitet.407 Auch Studienprojekte von ihr sind bisher nicht bekannt. Nach ihren Angaben finan- ziert ihre Mutter dies eine Jahr, da sie in Darmstadt ein gutes Examen abgelegt hatte. In dieser Zeit ist Tony Simon-Wolfs- kehl mit Carl Einstein quasi verlobt, sie löst jedoch nach einem Jahr die Verbindung.408 Auf dem Bauhaus-Fragebogen aus dem Jahre 1980 beschreibt sie die Zeit in Wei- mar folgendermaßen: „Bin nach der Hoch- schulzeit nur 1 Jahr am Bauhaus gewesen. Aber diese Zeit war ausschlaggebend für mein Leben“.409 Warum Simon-Wolfskehl lediglich ein Jahr in Weimar studiert, bleibt unbenannt. Ihre Mitarbeit im Büro Gropius bietet jedoch offenbar weder die Aussicht auf finanzielle noch ideelle Honorierung, mit Besserung der Auftragslage stellt Gro- pius jüngere Herren ein. In Frankfurt wird Simon-Wolfskehl als In- nenarchitektin tätig und kann als Bühnen- architektin am Neuen Theater arbeiten. An diesem privaten Frankfurter Boulevardthe- ater im Westend kann sie ab Herbst 1921 bis Januar 1924 zumindest sechs Bühnen- stücke mit eigenen Entwürfen ausstatten, darunter das Bühnenbild zu Wedekinds „Frühlingserwachen“.410 Sie heiratet 1924 den Berliner Grafiker Ro- derich Lasnitzki (17.6.1896 Berlin - 8.8. 1943 Auschwitz), der als Reklamechef der Zenia Gstetner in Saarbrücken arbeitet. Mit ihm zieht sie zunächst nach Saarbrücken, bevor er nach Berlin versetzt wird, wo sie ab 1927 in der Reichsstraße in Charlotten- burg wohnen. Als Roderich Lasnitzki 1933 aus rassi- schen Gründen entlassen wird, siedeln sie nach Gent in Belgien über. Dort wird er im Mai 1940 von der Gestapo verhaftet und nach St.Cyprien deportiert. Tony Lasnitzki flüchtet nach Frankreich, wo sie ebenfalls verhaftet und in Tournai interniert wird. Nach Bombardements flüchtet sie über Calais zurück nach Gent, wo sie bei einem katholischen Geistlichen Aufnahme findet und ihren Lebensunterhalt als Sprachen- lehrerin verdient. 1942 muss sie untertau- chen. Dank Iréne Demanet, die ihr Dach- kämmerchen als Versteck zur Verfügung stellt, gelingt es Lasnitzki länger als zwei Jahre unentdeckt in Gent zu überleben. In dieser Zeit verfasst sie ein Kinderbuch für ein befreundetes Kind. Mit der Befreiung Belgiens am 13.9.1944 kann Tony Lasnitzki zumindest wieder le- gal leben. Die Firma ihres Mannes - Rode- rich Lasnitzki wird 1943 in Auschwitz er- mordet - bietet ihr eine Arbeitsmöglichkeit als Vertreterin. Die vormalige Architektin Lasnitzki nimmt das Angebot an. Nach zwei Jahren macht sie sich selbständig und verdient ihren Lebensunterhalt in den fünfziger und sechziger Jahren mit dem Handel von Büroartikeln. 1968 wird nach ihrem Entwurf die „Villa Le Sablier“ in der Elzenlaan in St. Idesbald sur Meer gebaut. Dort unterhält Tony Lasnitzki einen großen Freundeskreis. Sie schreibt und malt bis zu ihrem Tod im Jahre 1991. Bilder aus ihrem Besitz vermacht sie dem Museum voor de Schone Kunsten in Gent. Ihr schriftlicher Nachlass befindet sich - zumindest teilweise - im Besitz der Biblio- thek der Katholieke Universiteit in Brüssel. Quellen: SBW, 155, Schülerinnenakte Simon- Wolfskehl BHAB, Fragebogen Lasnitzki vom 15.8. 1980 Franz, Eckhardt G.: Juden als Darm- städter Bürger, Darmstadt, 1984 Siedhoff, Thomas: Das neue Theater in Frankfurt am Main 1911-1935, Frank- furt/M., 1985 Archiv der THD - mit Dank an Marianne Viefhaus, Schreiben vom 15.6.1998 Leni Stahl-Langen geb. Helena [Hermine Bertha] Langen geb. 9.9.1888 Mönchengladbach - Daten nach 1945 unbekannt wurde 1888 als Tochter des Bronzegießers Hermann Langen (geb. 1842) und seiner Frau Maria geb. Hackspiel (geb. 1851) in Mönchengladbach geboren. Ihre Vorfahren mütterlicherseits waren Gartengestalter in kurköllnischen Diensten. Nach dem Be- such eines Lyzeums besucht sie die Han- delsschule in Limburg a.d. Lahn und wird zunächst in Bonn als Angestellte im Groß- handel tätig. Danach ist sie u.a. als Ent- werferin für Raumkunst bei der Möbelfirma Kaaf in Köln sowie als Ausstellungsgestal- terin der Rheinischen Spitzenkunst GmbH in Düsseldorf tätig. 1914 heiratet sie in Berlin den Architekten Adolf Joachim Stahl, der seit 1912 ein ins Handelsregister eingetragenes Architektur- büro als Firma betreibt. Er konvertiert 1915 zum katholischen Glauben. 1916 kommt eine Tochter zur Welt. Während ihr Mann im ersten Weltkrieg als Soldat dient, führt Leni Stahl-Langen das auf Laden-, Fassa- den- und Schaufensterbauten spezialisier- te Architekturbüro in der Dahlemer Köni- gin-Luise-Straße allein weiter. Joachim Stahl kehrt verwundet aus dem Krieg zurück. 1919 wird ein Sohn geboren. Als die Kinder älter werden und ihr Mann aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht mehr voll arbeitsfähig ist, tritt Leni Stahl- Langen ab 1930 als Geschäftsführerin auf. Sie führt im Büro Stahl und Langen nicht 398 Anhang 407 Im Januar 1920 wurde das Atelier Gropius von Adolf Sommerfeld mit dem Bau des ei- genen Hauses, dann für die Häuser in der Kamillenstraße beauftragt. Für den benach- barten Asternplatz wurde ein ‘Bauhof’ als Holzkonstruktion projektiert. (Vgl. Jaeggi, 1995, S.133.) An diesem Projekt soll Ernst Neufert beteiligt gewesen sein. 1920 wur- den im Büro noch zwei weitere, ebenfalls nicht realisierte Projekte bearbeitet: „Beam- tenhäuser am Schwansee” sowie ein „Be- bauungsvorschlag des Belvederer Berges”. (Vgl. Probst/Schädlich, 1985, S.89.) 408 Carl Einstein (1885-1940) hielt sich um 1919 ebenfalls zeitweilig in Weimar auf. 1925 gab er mit Paul Westheim den „Euro- pa-Almanach” heraus. 409 BHA, Fragebogen Lasnitzki vom 15.8.1980 410 Vgl. die rekonstruierten Spielpläne in: Sied- hoff, Thomas: Das neue Theater in Frank- furt am Main 1911-1935, Frankfurt/M., 1985 Entwürfe Tony Simon-Wolfskehls finden in Theaterkritiken mehrfach Erwähnung, ha- ben sich nach bisherigen Recherchen je- doch nicht erhalten. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar nur die Bücher, sondern übernimmt auch planerische Arbeiten.411 In den dreißiger Jahren führt das Büro Stahl und Langen Inneneinrichtungen, Landhausbauten und Gartengestaltungen aus. Mit der Einführung des Reichskulturkam- mergesetzes 1933 beginnen für das Büro allerdings noch weit größere Probleme als die kriegsbedingten gesundheitlichen Pro- bleme Stahls: Nachdem seine Aufnahme in die Kammer aufgrund seiner jüdischen Ab- stammung abgelehnt wird, bemüht sich Stahl-Langen um Aufnahme in die RKK. Auch ihr Antrag wird abgelehnt, da sie mit einem Juden verheiratet sei.412 Mit der Scheidung erreicht sie 1938 ihre Aufnahme. Von Kollegen denunziert, da sie mit dem Gatten weiterhin im selben Haus wohne, wird ihr erneut Berufsverbot erteilt, dessen Einhaltung fortan von der Gestapo überwacht. Wie es Leni Stahl-Langen schafft, ihre Fa- milie in den nächsten Jahren zu ernähren, ist bisher unklar. Als das Haus in Dahlem von Bomben getroffen wird und der Sohn bei Stalingrad fällt, zieht sie sich aus der Architektur ganz zurück. Das Beispiel des Büros Stahl und Langen macht deutlich, wie systematisch die Reichskulturkammer- gesetze im Interesse arischer Kollegen be- reits etablierte, freiberufliche Existenzen vernichteten. Darüber hinaus wird klar, wie verletzbar die autodidaktisch erworbenen Qualifikationen von Leni Stahl-Langen im Berufsfeld Architektur waren. Quellen: LAB, Adressbücher der Stadt Berlin, Rep.10-02 Nr.16642 Stam[-Beese], Lotte siehe Beese, Lotte Inge Stipanitz spätere Ruehlberg geb. 29.5.1912 Mährisch Ostrau Studium am Bauhaus Dessau und Berlin 1931 bis 1933 wurde 1912 in der Tschechoslowakei ge- boren. Über ihre Familie ist bisher nur be- kannt, dass sie die tschechische Staats- bürgerschaft besitzt. Da Inge Stipanitz 1931 als Heimatadresse „Ignaz Schacht“, Mährisch Ostrau angibt, könnte ihr Vater als Bergbauingenieur im ostpreußischen Kohlenrevier tätig gewesen sein. Stipanitz besucht zunächst eine Volksschule, dann ein Reformgymnasium und erwirbt das Abitur. Als sie sich im Herbst 1931 unter der Matr. Nr. 564 am Bauhaus Dessau einschreibt, ist sie im Besitz eines Abiturs. Da sie im Winter 1931/32 nicht nur die Grundlehre bei Albers besucht, sondern bereits als „Geselle“ der Tischlerei geführt wird, bringt Inge Stipanitz wahrscheinlich auch hand- werklich technische Vorerfahrungen mit. Für diese Annahme spricht auch, dass sie schon im Januar 1932 zur Baustofflehre für das zweite Semester zugelassen wird.413 Im Sommersemester studiert sie in der Bau-/Ausbauwerkstatt. Nach Erinnerungen Carl Bauers wohnt Inge Stipanitz in Des- sau in einem Schlösschen im Park und nimmt das Mittagessen regelmäßig ge- meinsam mit Annemarie Wilke und Walter Peterhans ein. Im Wintersemester 1932/33 studiert sie - gleichzeitig mit Lila Ulrich - im dritten Se- mester in der Baulehre und zieht mit dem Bauhaus nach Berlin um. Ihre Studienar- beiten sind nicht bekannt. Inge Stipanitz spätere Rühlberg soll das Architekturstu- dium nach der Schließung des Bauhauses nicht weitergeführt haben. Ihr weiterer Le- bensweg wurde nicht recherchiert. Quellen: BHD, NL Engemann, Protokoll der Bei- ratssitzung vom 5.1.1932, Semesterliste WS 32/33 v. 29.3.1933 Briefe Hans Keßler an Inge Stipanitz vom 8.8.1932 und 24.9.1932, abge- druckt in Hahn/Wolsdorff, 1985, S.166f. Rakette, Egon: Bauhausfest mit Truxa, München, 1973 Gespräch mit Carl Bauer am 8.11.1997 in Hannover Natalie Swan Nat[h]alie Swan, zeitweilige Swan Rahv (1940er Jahre), B.A., R.A. geb. 14.9.1912 New York City, N.Y. - gest. 25.6.1983 Boston, Massachusetts, begraben in Farmington, Connecticut Studium am Bauhaus Dessau und Berlin 1932-1933, an der Columbia University New York 1933 bis 1937, B.A. wurde 1912 in New York als älteste Toch- ter von Joseph Rockwell Swan (1878 - 1948) und seiner Frau Nathalie geb. Hen- derson geboren.414 Nathalie Henderson hatte am Barnard College in New York stu- diert und einen Bachelor erworben. Der Vater leitet u.a. eine Privatbank. Nathalie Swan, die sich in späteren Jahren auch „Natalie” schreibt, wächst in New York ge- meinsam mit zwei Schwestern in großbür- gerlichen Verhältnissen auf. Eine ihrer Schwestern studiert in den dreißiger Jah- ren ebenfalls am Barnard College. Als sich Swan im Herbst 1932 in Dessau unter der Matrikelnummer 626 am Bau- haus einschreibt, hat sie das Vassar Col- lege in Poughkeepsie drei Jahre lang be- sucht.415 Durch wen sie nach Studien in Botanik, Philosophie, Psychologie, sowie Bau- und Kunstgeschichte nach Deutsch- land kommt und sich augenscheinlich ziel- gerichtet am Bauhaus in der Bau-/Ausbau- werkstatt einschreibt, ist bisher nicht be- kannt. Natalie Swan hatte bereits prakti- sche Erfahrungen in Tischlern, Töpfern, Malen und Geometrie gesammelt. Evtl. hatte sie am Vassar auch Vorlesungen über Architektur gehört. Vielleicht kannte sie William T.Priestley oder Bertrand Gold- berg, die es sich ebenfalls leisten konnten, wegen des Studiums am Bauhaus nach Deutschland zu kommen. Sie zieht mit dem Bauhaus von Dessau nach Berlin um, kehrt jedoch bald in die USA zurück.416 Ab Herbst 1933 immatrikuliert sie sich an der ‘School for Architecture’ der Columbia Universität in New York. Ihre Zeit am Bau- haus wird offenbar nicht anerkannt, sie ab- solviert das volle Vier-Jahres-Programm und erhält im Juni 1938 ihr Diplom. Im Ma- sters-Jahr ist sie nicht mehr immatrikuliert. Da sich ihre Studentinnenakte an der Co- lumbia nicht erhalten hat, sind weder ihr Biografien 399 411 „Meine Berufswahl und Ausbildung verdan- ke ich keinerlei Fachschulunterricht, son- dern meine Kenntnisse und Erfolge beruhen ausschließlich auf der Erfahrung einer lang- jährigen, beruflichen Tätigkeit in der Pra- xis!“ - Stahl-Langen, Schreiben vom 17.6. 1939 412 „Bei der Prüfung der in ihren persönlichen Verhältnissen begründeten Tatsachen ...“ lautete die Umschreibung für die vermeint- lich nicht vorhandene „erforderliche Zuver- lässigkeit“. Ibid., Schreiben vom 26.11. 1937 413 BHD, NL Engemann, Protokoll der Beirats- sitzung 5.1.1932, Bl.1, Pkt. 5: „baustoffleh- re II.semester. mit zustimmung von herrn studienrat müller wird den studierenden des I.semesters: hilgers, stipanitz und ulrich teilnahme am II.semester baustofflehre ge- stattet.“ 414 Swans sind eine sog. Mayflower-Familie. 415 Natalie Swan war am Vassar College Mit- glied einer Clique, deren Mitglieder Mary McCarthy - ebenfalls am Vassar - als Vor- lage für ihren Bestseller „The Group“ dien- ten (deutsche Übersetzung „Die Clique“, München, 1964). Allerdings variiert McCar- thy die biographischen Angaben erheblich. „The Group“ wurde in Teilen auch im Parti- san Review abgedruckt. McCarthy war zwi- schen 1937 und 1947 Mitarbeiterin der Re- view. Wenig aufschlussreich ist auch die von McCarthy 1949 verfaßte Erzählung „Oasis“ (New York, dt. Übersetzung: Sie und die anderen, München, 1965), in der sie den Typus der Ehebrecherin karikiert. 416 Ob sie in Berlin bis zur Auflösung studiert, ist unklar. Studienprogramm noch das Thema ihrer Diplomarbeit bekannt. Während ihres Stu- diums unterrichten an der School of Archi- tecture u.a. Jan Ruthenberg und Werner Hegemann.417 Unter den Lehrenden ist auch Carol Aronovici, der Vorlesungen zu „Housing development“ und „Architecture and Urbanism“ hält.418 Während des Stu- diums ist Swan unter der Adresse ihrer Eltern gemeldet. Sie zieht nach dem Diplom nach Chicago um, wo sie nach Aussagen von Saul Bel- low mit ihrem späteren Mann zu dem Kreis um Moholy-Nagy gehört. Die „New York Times” meldet am 8. März 1941 ihre Hoch- zeit mit dem Journalisten und Philip Rahv (1908-1973). Rahv hatte 1934 gemeinsam mit William Phillips die „Partisan Review“ gegründet und gibt diese 35 Jahre lang heraus.419 Die Ehe wird nach wenigen Jah- ren geschieden und bleibt kinderlos. Laut Pressemeldung ist Natalie Swan zum Zeit- punkt der Hochzeit Partnerin im Chicagoer Architekturbüro von John B. Rodgers und Bill Priestley. Beide haben ebenfalls so- wohl kurzzeitig am Bauhaus Berlin studiert als auch an der Columbia University diplo- miert.420 Ein derartiges Büro lässt sich in Chicago bisher nicht nachweisen.421 Andeutungen im Briefwechsel von Hannah Arendt und Mary McCarthy - beide publi- zieren in der „Partisan Review“ - erwecken den Eindruck, dass Swan Rahv während der Ehe ihre beruflichen Ambitionen nicht umsetzen kann, mit gesellschaftlichen Ver- pflichtungen beschäftigt ist. Ihre Zulassung als „registered architect“ 1947 im Staat New York zeigt jedoch, dass sie ihre Ambi- tionen als Architektin nicht aufgibt. Was und wie Natalie Swan gebaut hat, ließ sich nicht ermitteln, über ihre Berufstätigkeit ist bisher nahezu nichts bekannt. Sie soll in Chicago, New York und Boston als Archi- tektin für größere Büros und zeitweise als Immobilienmaklerin gearbeitet haben. Um 1960 lebt Natalie Swan wieder in New York, geht - lt. Arendt - „in ihrer Arbeit auf und ist ziemlich glücklich mit dem Job.“ 422 In den achtziger Jahren lebt Natalie Swan in Danvers, Massachusetts. Sie starb im Juni 1983 in einer Bostoner Klinik. Für biografische Informationen danke ich Betty Rahv, Saul Bellow und dem Vassar College, Poughkeepsie Quellen: „Nathalie Swan a bride“, New York Times 8.3.1941, orbituary Natalie Swan Rahv, New York Times vom 28.6.1983 Archiv der Columbiana Library, Colum- bia University, New York, Alumniver- zeichnis und Veranstaltungsverzeichnis- se der School of Architecture JP Morgan, New York, Schreiben Ber- nadette Traub vom 5.10.1998 State Education Department, Division of Professional Licensing Services, Schrei- ben Ellen Sagar vom 2.11.1998 Galina Taizale geb. 2.8.1910 (Geburtsort unbekannt) - Daten nach 1936 unbekannt Studium an der TH Charlottenburg zu- mindest zwischen 1934 und 1936 Zu den ausländischen Gaststudentinnen bei Heinrich Tessenow, deren Hintergrund und weiteres Leben bisher unbekannt ist, zählt die aus Helsingfors stammende Gali- na Taizale. Von ihr wissen wir nur, dass sie ab dem Wintersemester 1935/36 für zwei Semester das Seminar Tessenow besucht, nachdem sie im Sommersemester 1935 an der TH Charlottenburg das Vordiplom abgelegt hatte. Im WS 1935/36 bearbeitet sie ein „Wohnhaus”, im Sommersemester die Ent- wurfsaufgabe „Hotel“. Während dieser Zeit wohnt sie in der Friedenauer Albestraße und hat ein fünfmonatiges Büropraktikum absolviert, befindet sich also in der zweiten Hälfte ihres Architekturstudiums. Nach dem Sommersemester 1936 verlässt sie das Seminar Tessenow. Bisher lassen sich keinerlei Hinweise fin- den, wo Galina Taizale ihr Architekturstu- dium fortsetzte, ob und wann sie ggf. nach Finnland zurückkehrte: Auch ihr weiterer Lebensweg ist bisher unbekannt. Quellen: HTA, Karteikarte Taizale - A 292 Elisabeth von Tippelskirch [-Knobelsdorff]423 geb. Elisabeth [Mathilde Marie Ol- ga] von Knobelsdorff, Dipl.Ing., Regierungsbaumeisterin a.D., AVB geb. 17.6.1877 Potsdam - gest. 29.4. 1959 Bassum Studium an der TH Charlottenburg 1907 bis 1911, Diplom wurde als einzige Tochter des Generalma- jors Kurt von Knobelsdorff (1850 Mainz - 1935 Newtoncenter) und seiner Frau Elisa- beth geb. Dyhrenfurth (1856 Jakobsdorf - 1928 Berlin) geboren. Sie stammt aus der Familie des bekannten Baumeisters Georg Wenceslaus von Knobelsdorff (1699-1753), der als Hofbaurat Friedrichs des Großen durch zahlreiche höfische Bauten in Berlin und Potsdam Mitte des 18.Jahrhunderts seine Bedeutung erlangte. Nach Abitur in München 1906 hört sie zu- nächst Philosophie und Kunstgeschichte an der Berliner Universität. 1907 kann sie 400 Anhang 417 Hegemann bietet im Studienjahr 1935/36 einen Entwurfskurs und das Seminar „The Plan of New York City“ an. 418 Announcements der School of Architecture 1932/33-1942/43. „Contemporary Architec- ture“ wird ab 1936/37 - also Natalie Swans drittem Studienjahr - von Talbot Faulkner Hanlin vertreten. In ihrem Diplomjahr unter- richten außerdem Raymond Unwin und Fre- derick Kiesler (Laboratory of design corre- lation). 419 Zur Rolle der „Partisan Review”, vgl. Orton/ Pollock, 1996, S.144ff. und Gilbert, J.B.: Writers and Partisans: A History of Literary Radicalism in America; New York, 1968 420 Priestley 1935, Rodgers 1942 421 Lt. Erinnerung von George Danforth hatten Rogers und Priestley ihr Büro um 1941 in der Nähe des Büros von Mies van der Ro- he, als dessen Assistent John Rodgers in diesen Jahren arbeitete. Ich danke George E. Danforth für diesen Hinweis. 422 Der Brief enthält keinerlei Angaben zu die- sem ‘Job’ Swans. Brief von Hannah Arendt an Mary McCarthy vom 20.6. 1960, in: Brightman, Carol (Hg.): Hannah Arendt, Mary McCarthy, Im Vertrauen, Briefwechsel 1949-1975, München, 1995, S.150 423 Zu Elisabeth von Tippelskirch siehe insbe- sondere Stratigakos, 1999 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar beim Vater ihren Studienwunsch Architek- tur durchsetzen. Mit dessen persönlicher Präsenz erreicht sie noch vor Öffnung der Technischen Universitäten die Immatrikula- tion als Gasthörerin für Architektur an der TH Charlottenburg. 1909 folgt nach per- sönlicher Fürsprache des Vaters im Unter- richtsministerium die Zulassung als ordent- liche Studierende. Damit gilt Elisabeth von Knobelsdorff als die erste ordentlich immatrikulierte Archi- tekturstudentin Deutschlands. 1911 diplo- miert sie mit einem Entwurf für ein Miets- haus. 1912 gehört sie zu den Komiteemit- gliedern der Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“. Aus diesem Anlass stellt sie ih- re Diplomarbeit und einen Entwurf zu ei- nem Gemeindehause für ein schlesisches Gut aus. 1913 beteiligt sie sich mit einem Entwurf zu einem Gemeindehaus an den Monatskonkurrenzen des Architekten- und Ingenieurvereins, sie erhält den 2.Preis. 1914 wird sie Mitglied des Architekten und Ingenieurvereins zu Berlin. Im Auftrag ihrer Tante kann sie 1915 ein solches Gemein- dehaus in Jakobsdorf realisieren. Während des ersten Weltkrieges arbeitet Elisabeth von Knobelsdorff als „Feldarchi- tekt“ im Leutnantsrang in Döberitz, aber auch in Frankreich. Bekannt wird vor allem ihre „Knobelsdorff-Baracke“ auf dreiecki- gem Grundriss, die sie patentieren lässt. Nach Kriegsende bewirbt sie sich für die Regierungsbaumeisterlaufbahn. Die drei- jährige Ausbildungszeit als Regierungsbau- meister wird ihr in Anbetracht der Militär- dienstzeit erlassen, 1919 wird sie gegen den Widerstand des zuständigen Ministeri- aldirektors zur Prüfung zugelassen. Die Prüfung besteht sie „mit Auszeichnung“. Die Aufgabe besteht in der Planung eines Sommersitzes für einen begüterten Kunst- mäzen. Anschließend arbeitet von Knobelsdorff in der Preußischen Bauverwaltung in Pots- dam. In dieser Zeit entsteht das Ehrenmal für die Gefallenen des ersten Weltkrieges im Potsdamer Landgericht, das realisiert, heute dort nicht mehr vorhanden ist. Elisa- beth von Knobelsdorff heiratet zehn Tage vor ihrem 45. Geburtstag, am 7.Juni 1922 den Diplomaten Kurt Wilhelm Viktor von Tippelskirch (12.5. 1880 Neu-Ruppin - 1947 Sibirien). Unmittelbar zuvor - und drei Jahre nach bestandener Prüfung - war sie zur Regierungsbaumeisterin ernannt wor- den. Mit der Heirat wird sie als „Doppel- verdienerin“ aus dem Staatsdienst entlas- sen. In den folgenden fünf Jahren soll Elisabeth von Tippelskirch als freischaffende Archi- tektin ein Büro in der Bismarckstraße in Charlottenburg betrieben und Wohnhäuser in den westlichen Vororten Berlins gebaut haben. Diese sind bisher nicht bekannt. 1927 folgt sie ihrem Mann nach Boston, wo er als Generalkonsul tätig ist. Sie ver- sorgt ihren verwitweten Vater, kehrt nicht in ihren Beruf zurück. 1938 wird der Gene- ralkonsul zurückbeordert. Tippelskirchs ziehen auf ihr schlesisches Gut. Dort wird er bei Kriegsende verhaftet und kommt 1947 in Sibirien ums Leben. Sie flüchtet in das südwestlich von Bre- men gelegene Bassum, wo sie bis zu ih- rem Tod im Frühjahr 1959 in einem Da- menstift wohnt. Ihr zeichnerischer Nach- lass hat sich nicht erhalten. Quellen: Marelle, Luise: Architektinnen im Militär- dienst, in: Vossische Zeitung, 5.3.1916 o.A.: Frauen als Baumeisterinnen, in: Frau und Gegenwart, 1926 Degener, Hermann A.L.: Wer ist´s? Un- sere Zeitgenossen, 10. Ausgabe, 1935, Kurt Wilhelm von Tippelskirch Goebel, Helmut: Elisabeth wollte lieber selber bauen, in: Weser-Kurier 6.2.1957, derss.: „Knobbi“ wollte selber bauen, Hamburger Abendblatt vom 7.9.1957 Vollmer, Hans: Allgemeines Lexikon der Künstler des XX.Jahrhunderts, 1958, S.449 UIFA (Hg.): Architektinnenhistorie, 1984, S.24ff. Peters, Dietlinde: Frauen an der Techni- schen Universität Berlin, in: Schwarz, Karl (Hg.): 1799-1999 - Von der Bau- akademie zur Technischen Universität Berlin, Berlin, 2000, S.518-529, zu Tip- pelskirch-Knobelsdorff S.520-521 Biografien 401 Elisabeth von Tippelskirch-Knobelsdorff um 1950 Wettbewerbsbeitrag Entwurf zu einem Gemeindehause, 1913 Gemeindehaus Jakobsdorf, 1915 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Johanna Tönnesmann Johanna (Hansi) Tönnesmann, spätere Minsos (ab 25.10.1938), Dipl.Ing. geb. 14.3.1910 Essen - gest. 24.12.1939 Oslo, Norwegen Studium an der TH Stuttgart 1929-1936, Diplom, an der TH Charlottenburg 1933 wurde 1910 als Tochter des Papierfabri- kanten Julius Tönnesmann und seiner Frau Alice geb. Hermann in Essen geboren.424 Die Mutter soll Kunst studiert haben. Jo- hanna wächst mit zwei Brüdern und einer Schwester in Essen auf, wo sie an der Vik- toriaschule 1929 das humanistische Abitur erwirbt. Sie ist musisch sehr begabt, ent- wirft in ihrer Jugend u.a. verschiedene Pa- pierdrucke, die in der väterlichen Fabrik umgesetzt werden. Ihre Schwester studiert Medizin, einer der Brüder übernimmt die Fabrik, der andere studiert ebenfalls Archi- tektur. Johanna Tönnesmann - für die ein Studi- um außer Frage steht - scheint keine prak- tizierenden ArchitektInnen gekannt zu ha- ben. Ihre Studienfachwahl könnte jedoch im Zusammenhang mit dem ab 1929 reali- sierten Neubau der Auferstehungskirche in Essen nach Entwurf von Otto Bartning ste- hen.425 Johanna Tönnesmann entscheidet um 1929, nach dem Abitur Architektur zu studieren. Sie absolviert ein Baustellenpraktikum in Essen-Bredeney und beginnt das Studium zum Wintersemester 1929/30 an der TH Stuttgart bei Karl Schmitthenner.426 Sie fa- vorisiert als Lehrer jedoch bald Paul Bo- natz, freundet sich mit dessen Tochter an und arbeitet bereits während des Studiums in dessen Büro mit. Anfang der dreißiger Jahre soll Johanna Tönnesmann mit dem Entwurf eines Park- hauses für die Stuttgarter Innenstadt einen Studentenwettbewerb gewonnen haben.427 Im Sommersemester 1933 studiert sie an der TH Charlottenburg (Matr.Nr. 47037) und wohnt in der Sophienstraße, in unmit- telbarer Nähe zur Hochschule.428 Als Mit- glied des Seminars Tessenow entwirft sie eine „Dorfschule”. Im Anschluss an dieses Gastsemester soll sie für ein Jahr im Büro der Architekten Mebes und Emmerich mit- gearbeitet haben.429 Ihre Schwester erin- nert, dass sie in der Berliner Zeit auch an den Planungen des Olympiastadions betei- ligt war. Ihre Mitarbeit im Büro von Werner March lässt sich bisher jedoch nicht nach- weisen. Johanna Tönnesmann wechselte sicher nicht in Abkehr von der Stuttgarter Schule an die TH Charlottenburg. Sie kehrt 1935 nach Stuttgart zurück und erwirbt dort im Juli 1936 bei Bonatz das Diplom.430 Als Di- plomarbeit soll sie ein „Sportstadion” ent- worfen haben. Die Arbeit wird mit „ausge- zeichnet“ bewertet, das Diplom insgesamt mit „sehr gut”. Studienarbeiten von Johan- na Tönnesmann sind bisher nicht bekannt. Anschließend arbeitet Tönnesmann wahr- scheinlich erneut im Büro von Paul Bonatz. Im Sommer 1937 wechselt sie nach Ham- burg, wo sie im Büro von Konstanty Gut- schow arbeiten kann. Vermutlich ist sie hier am Wettbewerb für den Neubau der Deutschen Botschaft in Stockholm betei- ligt. Am 25.10.1938 heiratet sie in Stuttgart ih- ren norwegischen Studienkollegen Alfred Minsos (1910-1990). Mit ihm siedelt sie noch im November desselben Jahres nach Oslo über. Dort gründen sie ein gemeinsa- mes Büro und nehmen an Wettbewerben teil. Im November des folgenden Jahres bringt Johanna Minsos eine Tochter zur Welt. Vier Wochen später stirbt sie im Kindbett. Für biografische Informationen danke ich Dr. Barbara Büttner, Karl Tönnes- mann, Ove Minsos und Juliane Emme- rich Quellen: HTA, Studentenkartei, Karte Tönnes- mann Reichshandbuch der deutschen Gesell- schaft, Magdeburg, 1930 Universitätsarchiv Stuttgart , Informa- tionen mit Dank an Dr. Norbert Becker Stadtarchiv Essen, Mitteilung von Frau Vonrüden-Ferner 13.1.1998 402 Anhang 424 Stadtarchiv Essen/ Mitteilung von Frau Vonrüden-Ferner vom 13.1.1998. Vgl. auch Reichshandbuch der Deutschen Gesell- schaft, Magdeburg, 1930, Bd.2, S.1917 425 Nach Aussagen ihrer Schwester interessier- te sich Johanna Tönnesmann sehr für das Geschehen auf dieser, nur 100 Meter von der Viktoriaschule entfernten Baustelle. 426 WS 1929/1930 an die TH Stuttgart (Univer- sitätsarchiv Stuttgart 10/50 - 10/52), außer- dem WS 1930/31 und SS 1931(ibid. 10/53 resp. 10/54) 427 Schreiben Dr. Barbara Büttner vom 22.2. 1998. - Ob es sich dabei um die Großgara- ge in der Jägerstraße handelte, konnte bis- her nicht geklärt werden. Vgl. dazu auch Graubner, Gerhard: Paul Bonatz und seine Schüler, Stuttgart 1931 428 Diese Straße verlief auf dem heutigen Nord- gelände der TU Berlin. 429 Mit Jürgen Emmerich ist sie durch das Stu- dium an der TH befreundet. Mebes und Emmerich waren zu dieser Zeit u.a. mit der Kriegsbeschädigtensiedlung an der Drewit- zer Straße in Potsdam, aber auch mit der Planung umfangreicher Siedlungen in Ho- henschönhausen (Große Leege-Straße) und Tempelhof (Gässnerweg) beschäftigt. Vgl. hierzu Meyer, Edina: Paul Mebes. Miets- hausbau in Berlin, Berlin, 1972, S.216. 223 430 Diplomurkunde vom 10.7.1936 /NL Minsos Johanna Minsaas um 1938 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Ingeborg Ullrich (Heiratsname unbekannt), Dipl.Ing. geb. 11.6.1911 Blumenthal - gest. um 1975 Studium an der TH Stuttgart ab ca. 1933 bis ca. 1938, an der TH Charlottenburg im Wintersemester 1936/37, Diplom Stuttgart Gaststudentin im Seminar Tessenow im Wintersemester 1936/37. Über Ingeborg Ullrich ist bisher nahezu nichts bekannt. Ihre Immatrikulationsunterlagen fehlen im Archiv der TH Stuttgart. 1911 in Blumenthal geboren studiert Inge- borg Ullrich wahrscheinlich ab 1933 an der TH Stuttgart Architektur. Als sie zum Win- tersemester 1936/37 an die TH Charlotten- burg wechselt und im Seminar Tessenow ein „Altersheim” entwirft, hat sie das Vordi- plom in Stuttgart absolviert und ein Jahr lang in einem Architekturbüro gearbeitet. Zum Sommersemester 1937 kehrt sie nach Stuttgart zurück, wo sie vor Kriegsbeginn diplomiert haben soll. Über den weiteren Berufsweg Ingeborg Ullrichs ist nichts be- kannt. Sie hat - nach Erinnerung Christa Kleffner-Dirxens - geheiratet und soll Mitte der siebziger Jahre verstorben sein. Quelle: HTA, Karteikarte Ullrich Telefonat mit Christa Kleffner-Dirxen am 19.1.1998 Lila Ulrich Lila Fairbairn Ulrich, spätere Kop- pelman (ab 1941) geb. 2.4.1910 Chicago, Illinois. - gest. 7.5.1984 Yellow Springs, Ohio Studium am Chicago Art Institute 1928 bis 1931, am Bauhaus Dessau und Ber- lin 1931 bis 1933, am Immaculate Heart College L.A. in den 1950er Jahren wurde am 2.April 1910 als Tochter des Im- mobilienhändlers Perry Ulrich und seiner Frau Anna Hamilton Fairbairn in Chicago/ Illinois geboren. Sie wächst in einem herr- schaftlichen Elternhaus mit zwei Schwe- stern auf. Die jüngste Schwester ist stark behindert und stirbt noch im Kindesalter. Die Mutter ist nicht berufstätig, eine Tante Opernsängerin. Ulrich besucht die New Trier High School in Evanston, einem Vor- ort von Chicago. Im Alter von 17 verliert sie den Vater und wird zusammen mit ihrer Schwester bei ei- ner Tante untergebracht. Die Entscheidung nach der High School am Chicago Art In- stitute zu studieren, scheint von ihren Zei- chenlehrern unterstützt worden zu sein. Dort studiert sie ab 1928 Industrial Design u.a. bei Margaret Artingstall und Emil Zett- ler. Das Studium umfasst Fächer wie ‘de- sign’ und ‘composition’, aber auch ‘interior decoration’, ‘modelling’ und ‘architectural drawing’. Anhand der Jahresberichte des Art Institute lässt sich nachvollziehen, dass sich dieses Studium in einer Umbruchpha- se befand. Ab 1931 wird ein eigenständi- ger Studiengang ‘interior architecture’ ein- gerichtet, wobei Werkstätten aus-, die Lehrenden aufgegliedert werden. Der Stu- diengang industrial design erhält eine stär- kere architektonische Ausrichtung. 1928 wird die Regelstudiendauer von drei auf vier Jahre erhöht. Ulrichs Abschluss nach drei Jahren datiert vom 12. Juni 1931. Nach Überfahrt und einem Aufenthalt in Hamburg schreibt sich Lila Ulrich zum Wintersemester 1931/32 am Bauhaus in Dessau unter Matr.Nr. 561 ein. Sie wird in die Grundlehre aufgenommen und im Bei- ratsprotokoll vom 21.10.1931 erstmalig erwähnt.431 Wie aus einer Prüfungsliste aus dem Jahre 1933 hervorgeht, wird das Industrial-Design-Studium in der Vorbil- dung als Architekturstudium eingestuft. Nach eigenen Angaben studiert Lila Ulrich am Bauhaus „Interior“ bei Mies van der Rohe, Möbeldesign bei Lilly Reich, Archi- tektur bei Josef Albers und Fotografie bei Walter Peterhans.432 Wahrscheinlich wohnt sie während ihres Studiums in der von Leopold Fischer erbauten Siedlung „Am Knarrberg” in Dessau-Ziebigk.433 Lila Ulrich freundet sich am Bauhaus mit Kurt Kranz (1910 - 1997) an. Der studiert bereits seit dem Frühjahr 1930 in Dessau, nach einer Lithografenausbildung in Biele- feld. Zu Ulrichs Freundeskreis zählen auch Ernst Mittag, Hilde Reiss und Bill Priestley. Sie zieht mit dem Bauhaus nach Berlin um. Kranz arbeitet im Studio Dorland, der seit 1928 von Herbert Bayer geleiteten Werbe- agentur. Lila Ulrich erhält - trotz des dreijährigen Studiums zuvor - nach nur drei Semestern am Bauhaus kein Diplom. Auf Anraten von Freunden kehrt sie noch 1933 in die USA zurück. Mit der im Frühjahr 1933 emigrier- ten Bauhausstudentin Hilde Reiss teilt sie sich in Manhattan ein Apartment in der Le- xington Avenue. Biografien 403 431 Hier wird dem Antrag von „lilo ullrich“ auf Befreiung von den technischen Fächern wegen fehlender Sprachkenntnisse unter der Maßgabe stattgegeben, daß sie diese später nachholt. 432 Lt. Personalbogen Koppelman am Sarah Lawrence College aus dem Jahre 1943. 433 Im Nachlaß Lila Koppelmans befinden sich etliche Fotographien dieser Siedlung. Ulrich und Reiss bei der Arbeit um 1934 in einem ihrer New Yorker Appartements Auf dem Dach des Bauhauses, 1932, Lila Ulrich (vorn) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bis 1934 studiert sie bei Hans Hoffmann Malerei. Ulrich und Reiss arbeiten zusam- men, entwerfen freiberuflich Neueinrich- tungsvorschläge und Umbauten für private Auftraggeber, die teilweise publiziert aber nicht realisiert werden. Beide finden Arbeit als Entwerferinnen bei Joseph Aronson und Gilbert Rohde. Und beide unterrichten als Dozentinnen, u.a. am ‘Design Laboratory’, der neugegründe- ten Gestaltungsschule, zu deren Gründern Rohde gehört. Wie die Verbindungen, Auf- träge und Lehrtätigkeiten verflochten wa- ren, lässt sich oft nicht eindeutig rekon- struieren. In New York zählen die Fotogra- fin Berenice Abbott und die Journalistin Barbara Ellwood zu Ulrichs Freundeskreis. Hilde Reiss erinnert, dass aus Kostengrün- den das Appartment öfter gewechselt wer- den musste. Dass ein Auskommen sehr schwierig war, wird auch daran deutlich, dass beide jeweils mindestens zwei Tätig- keiten nebeneinander ausübten. Lila Ulrich scheint gerne unterrichtet zu ha- ben. Nach eigenen Angaben gehört sie als volle Lehrkraft für Kunst dem „Art Depart- ment“ des Bennington College von 1935 bis 1937 an.434 Zwischen 1936 und 1939 unterrichtet Ulrich am Design Laboratory. 1938 beteiligt sie sich mit drei Entwürfen an der Ausstellung des dortigen Kollegi- ums. 1939 ist sie - wie u.a. Reiss - Mitglied des herausgebenden Beirats des „Design Student´s Guide“ für die New Yorker Welt- ausstellung. 1937 hatte sie die Weltaus- stellung in Paris besucht. Zwischen 1937 und 1942 ist Lila Ulrich auch als Dozentin für „Plastik“ - zumindest in den Tageskur- sen - an der Cooper Union Art School tä- tig. In diese Zeit fällt auch die einzige bis- her bekannte Realisierung, für die sie allein verantwortlich zeichnet: Der Umbau und die Neueinrichtung des Rena Rosenthal Shops.435 Im Sommer 1941 heiratet Lila Ulrich den aus einer jüdischen Familie stammenden Chirurgen Dr. Harold Koppelman (1906 New York City - 1973 Los Angeles) und zieht mit ihm nach Brooklyn, bleibt berufs- tätig. Sie wird Assistentin von Herbert Bay- er bei dessen Werbedesign-Kursen und unterrichtet drei Tage pro Woche „Kompo- sitionslehre und Design” am Sarah Law- rence College in Bronxville, N.Y.436 Ende 1942 kommt ihre Tochter zur Welt. Als ihr Mann zum Militärdienst einberufen wird, verbringt Lila Koppelmann die meiste Zeit mit der Tochter und malt. Die Umstel- lung von der Dozentin und Künstlerin zur Hausfrau und Mutter mit künstlerischen Ambitionen fällt ihr nicht leicht, sie beginnt an Depressionen zu leiden. Als Harald Koppelman Assistenzarzt am Queen of An- gels Hospital in Los Angeles wird, zieht die Familie nach Sierra Madre in Californien. 1945 folgt ein Umzug nach Los Angeles, wo sich die Familie in der First Unitarian Church engagiert. Lila Koppelman widmet sich nun überwiegend der Malerei, sie stu- diert bei dem kalifornischen Maler Arnold Mesches. Ihr Mann arbeitet als Chirurg an verschiedenen Krankenhäusern, führt ab den fünfziger Jahren auch eine Privatpraxis am Wilshire Boulevard in Santa Monica. Lila Koppelman unterhält keinen Kontakt mehr mit früheren KollegInnen, die schul- medizinische Therapie ihrer Depressionen verhindert nicht deren Wiederkehr. 1952 beteiligt sie sich mit eigenen Arbeiten an der Jahresausstellung der „Artists of Los Angeles and Vicinity“ im L.A. County Mu- seum, 1953 stellt sie bei der „California State Fair“ in Sacramento aus. Um einen akademischen Abschluss zu er- langen, schreibt sie sich Mitte der fünfziger Jahre in einem katholischen Frauencollege in Los Angeles ein, dem Immaculate Heart College. Sie führt das Studium nicht zu Ende, studiert bei dem aus Deutschland emigrierten Fritz Faiss als Privatschülerin. Neben farbenfrohen Landschaften und ab- strakten Collagen entstehen in ihrem Ate- lier zahllose Zeichnungen und Drucke, da- neben kleinformatige politische Plakate. Sie richtet Arztpraxen ein und unterrichtet selbst Malerei, bietet Kurse für Erwachse- ne und Kinder auf kommunaler Ebene an, unterrichtet Privatschüler. Nach dem Tod ihres Mannes 1973 unter- richtet Lila Koppelman weiterhin Privat- schüler. Anfang der achtziger Jahre zieht sie nach Yellow Springs / Ohio, wo ihre Tochter mit ihrer Familie lebt. Dort starb sie im Mai 1984. Für biografische Angaben danke ich Ann S. Koppelman und Hilde Reiss Quellen: NL Lila Koppelmann Students Registration Office des Art In- stitute Chicago „Experiment in Change“, in: Arts and Decoration, Februar 1935, S.4-11 „A Century Intervenes“, in: Arts and De- coration, März 1935, S.42ff. „Gilbert Rhode heads Design Laborato- ry“ in: Design, März 1936, S.40 „American Bauhaus“ in: Architectural Forum, 64:638, Oktober 1936, S.43f. „Two new Schools of Industrial Design open“ in: Architectural Forum, Oktober, 1937, S.41 „Design Laboratory at FAECT“, in: Ar- chitectural Record, 82.Jg., Oktober 1937, S.41 „Design Laboratory“ in: Design, 39.Jg., November 1937, suppl.7 eigene Schriften: Lila Ulrich als Mitautorin: Design Stu- dents guide to the N.Y. World´s Fair, in: P/M Magazine, 1939 Vogel, Fridel siehe Hohmann, Fridel 404 Anhang Lila Koppelman in den 1970er Jahren 434 Lt. Vorlesungsverzeichnis des Winterseme- sters 1936-37 435 In diesem Geschäft arbeitet die inzwischen ebenfalls in Manhattan lebende Schwester Jean. Zumindest zwischen 1935 und 1940 befindet sich der Rena Rosenthal Shop in der Madison Avenue (485) in Manhattan. 436 Lila Koppelman unterrichtet „Design Tech- niques”. Sie wird 1942 Dozentin. „Design und Kompositionslehre” wurde zuvor von Theodore Roszak, dem Leiter des Art De- partment, unterrichtet. Umbauvorschlag für Mr. and Mrs Szold, New York, Reiss und Ulrich, 1934, Blick in den Wohnraum Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Iwanka Waltschanowa spätere Hahn (ab 1933), Dipl.Ing. geb. 17.9.1905 Pasardijk - lebt in Weß- ling Studium an der TH Charlottenburg 1925 bis 1929, Diplom wurde 1905 im Süden Bulgariens geboren. Sie wächst mit zwei älteren Schwestern und einem Bruder in Plowdiw auf. Dort ist Iwanka Waltschanowas Vater als Baurat bei der Stadt angestellt, er arbeitet in spä- teren Jahren für die bulgarische Botschaft in Berlin. Die Familie ist kulturell vielseitig interessiert und weltläufig, die älteste Tochter geht zum Volkswirtschaftsstudium nach Berlin. Da auch die Mutter von länge- ren Aufenthalten in Berlin immer wieder begeistert berichtet, beschließt Iwanka Waltschanowa, nach dem Abitur in Plow- diw ebenfalls in Berlin zu studieren. Am 2.5.1925 immatrikuliert sie sich für das Architekturstudium an der TH Charlotten- burg. Obwohl sie rückblickend ihren Studi- enwunsch als eher unentschlossen ein- schätzt, studiert sie offensichtlich äußerst zielstrebig. Nach vier Semestern legt sie das Vordiplom, nach acht Semestern im Sommer 1929 - als erste Studentin bei Tessenow - das Diplom mit „gut“ ab. Das Seminar besuchte sie zwei Jahre lang. Ihre Studienarbeiten sind nicht dokumentiert. Während des Studiums ist sie mit Helga Karselt und Hanna Blank befreundet. Mit Blank arbeitet sie während des Studiums für die Adolf Sommerfeld Bau AG als Bau- zeichnerin. Nach dem Diplom arbeitet sie im Büro Alexander Kleins an der Ausfüh- rungsplanung für Bad Dürrenberg. Um 1931 kehrt sie nach Plowdiw zurück, wo sie - nach einem Jahr in städtischen Dien- sten - als selbständige Architektin arbeitet, eine landwirtschaftliche Versuchsstation, einen Stadtpark und Einfamilienhäuser re- alisieren kann. Im Sommer 1933 heiratet Iwanka Walt- schanowa in Frankfurt a.M. ihren Studien- kollegen Heinrich Hahn (geb. 1902), der 1930 bei Poelzig diplomierte. Sie bringt mehrere Kinder zur Welt und widmet sich zunächst ausschließlich der Familie. Ihr Mann arbeitet als angestellter Architekt in Frankfurt, mit Kriegsbeginn in Berlin. Spä- testens als nach dem Krieg der Wiederauf- bau des Familienbetriebs „Glasbau Hahn“ in Frankfurt ansteht, setzt sich Iwanka Hahn wieder vor das Reißbrett und plant die Errichtung des Werkstattgebäudes. Sie entwirft und realisiert Ausstellungsstände der Firma Hahn bei Messen in Hannover, Frankfurt und Paris. Auch bei der Gestal- tung von Ausstellungsständen anderer Fir- men, die von Glasbau Hahn realisiert wer- den, wirkt sie jahrelang maßgeblich mit. Iwanka Hahn lebte bis Ende der neunziger Jahre in Frankfurt am Main und macht we- nig Aufhebens von ihrer Berufstätigkeit: „Meine Bautätigkeit war recht beschei- den.“ Bis heute existiert kein Werkver- zeichnis ihrer Projekte und Bauten. Quellen: HTA, Karteikarte Waltschanowa - HTG, Briefe Iwanka Hahn sowie kurzer Le- benslauf vom 20.2.1957 Telefonat mit Iwanka Hahn am 8.8.1998 Briefe vom 15.7. und 2.8.1997 Warschauer, Gertrud Ursula siehe Schneider, Ursula Ruth Weckend Ruth [Hedwig Emma] Weckend, spätere Zosel-Weckend (ab 1950), Dr.Ing., BDA geb. 14.10.1913 Essen - lebt in der Eifel Studium an der TH Aachen 1935 bis 1939, Diplom, an der TH Charlottenburg im Sommersemester 1937 und an der TH Aachen 1940 bis 1944, Dr.Ing. Ruth Weckend wurde 1913 in Essen als Tochter des Architekten Franz Weckend (geb. 5.10.1879 Königswald) und seiner Frau Hedwig geb. Grothaus geboren. Der Vater betreibt sein Büro als freiberuflicher Architekt in Oberhausen. Weckend, über deren schulischen Werdegang nichts be- kannt ist, nimmt ihr Architekturstudium zum Sommersemester 1935 im Alter von 21 Jahren an der TH Aachen auf. Als sie zum Sommersemester 1937 ins Se- minar eintritt, wohnt sie in der Wilmersdor- fer Straße in Charlottenburg. Während die- ses Gastsemesters im Seminar Tessenow entwirft sie ein „Siedlerhaus“. Ruth Weck- end exmatrikuliert sich Ende Juni 1937 an der TH Charlottenburg, kehrt kurz zu ihren Eltern nach Oberhausen zurück und legt im Wintersemester 1937 an der TH Aachen das Vordiplom, Anfang 1939 nach nur acht Semestern die Diplomhauptprüfung ab. Anschließend ist Ruth Weckend auf der el- terlichen Adresse und zeitweise in Rostock gemeldet. Dort dürfte sie den Einstieg ins Berufsleben als angestellte Architektin ge- funden haben. Zwischen Mai 1940 und November 1942 ist sie erneut in Aachen zu finden. Wahrscheinlich arbeitet sie in die- ser Zeit an ihrer Dissertation. 1944 erwirbt sie den Dr.Ing. mit einer Arbeit über einen karolingischen Fronhof: Seffent bei Aachen und Laurensberg. Ob sie im Anschluss ins väterliche Büro eintritt, ist bisher nicht be- kannt. Bis in die sechziger Jahre ist sie je- doch als freischaffende Architektin, BDA, unter jener Adresse in Oberhausen zu fin- den, die bereits während des Berliner Stu- diums als Heimatadresse angegeben war. Ihr Schaffen ist bisher nicht dokumentiert resp. publiziert. Dr. Ruth Weckend, die 1950 einen Chemiker namens Zosel heira- tet, lebt heute in der Eifel. Quellen: HTA, Karteikarte Weckend Stadtarchiv Essen, Brief von Frau Von- rüden-Ferner vom 21.1.1998 Stadtarchiv Oberhausen, Schreiben Dr. O. Dickau vom 5.2.1999 Weiner, Matty siehe Wiener, Matty Weininger, Eva siehe Fernbach, Eva Weiß, [Gertrud] Ursula siehe Schneider, Ursula Weiß (oder Weist), Sigrid siehe Rauter, Sigrid Biografien 405 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Anny Wettengel geb. 11.10.1900 Eger - Daten nach 1932 unbekannt Studium am Bauhaus Dessau 1930 bis 1932 Studierende am Bauhaus ohne weiterge- hende Angaben. Anny Wettengel wurde 1900 in Eger geboren. Dort geht sie zu- nächst in eine Klosterschule bevor sie um 1910 in Chemnitz fünf Jahre die Volks- schule, dann drei Jahre eine Web- und Werkschule besucht. Als sie sich zum Wintersemester 1930 un- ter der Matrikelnummer 461 am Bauhaus einschreibt, hat sie bereits mehrere Jahre als Kontoristin, Verkäuferin und Expedien- tin gearbeitet.437 Sie ist Sächsin und gibt bei Immatrikulation als letzten Aufenthalts- ort Berlin-Spandau, sowie eine Heimat- adresse in Chemnitz an. Wettengel wird gleichzeitig mit Itting und Wiener nach der Grundlehre und praktischer Tätigkeit in der Tischlereiwerkstatt zum Sommersemester 1931 ins 3. Semester der Baulehre aufge- nommen. Während ihres Studiums wohnt sie in Törten in unmittelbarer Nachbar- schaft zum Stahlhaus.438 Neben der Bau- lehre arbeitet Anny Wettengel hauptsäch- lich in der Tischlerei. In Meisterratsprotokollen erscheint ihr Na- me im Wintersemester 1931/32 aufgrund von Unterrichtsversäumnissen mehrfach: Bis November 1931 fehlt sie drei Mal im Unterricht von Hinnerk Scheper, im März 1932 gibt Alfred Arndt ihr Fehlen in seinem Unterricht zu Protokoll. Die Ursachen des Fehlens scheinen hinlänglich bekannt. Die folgenden Protokolle spiegeln einen Konflikt in der Tischlerei, der sich - trotz Auslassungen - erahnen lässt. Wettengel wird im März 1932 nach drei Semestern vom Weiterstudium ausgeschlossen und erhält am 26.3.1932 eine Bescheinigung über ihr Studium am Bauhaus.439 Ende März wendet sie sich mit zwei - bisher nicht bekannten - Schreiben an den Mei- sterrat, diese werden in der Sitzung vom 5.4.1932 „zur kenntnis genommen, die konferenz hält ihren beschluß aufrecht.“ Anny Wettengel soll ein Abgangszeugnis erhalten, das entgegen ihrer Forderung keine Bewertungen enthalten soll. Sie wendet sich erneut mit Schreiben vom 9.4. an den Meisterrat. Dieses enthält eides- stattliche Erklärungen, die lt. Protokoll „nach stellungnahme der infragekommen- den Herren zu den akten genommen wer- den“ sollen. „herr engemann wird gebeten, den tischlermeister klever noch einmal be- sonders auf die notwendigkeit hinzuwei- sen, den studierenden gegenüber distanz zu halten.“ 440 Anny Wettengel sieht selbst offenbar kaum Chancen auf eine Fortsetzung ihres Studi- ums. Sie bezweifelt, dass eine unbenotete ‘Bescheinigung’ von der Handwerkskam- mer resp. an anderen Schulen anerkannt wird und fordert ein benotetes Zeugnis. Der Meisterrat berät die Angelegenheit in diesen Wochen mehrfach - vom 12.4. bis 3.5. zumindest fünf Mal - und bietet ihr unter Vermeidung jeglichen Aufsehens ein unbewertetes Zeugnis an. Wettengel wen- det sich an höhere Stellen. Das Protokoll vom 3.5.1932 vermerkt hierzu: „beschwer- de wettengel ist bei der regierung einge- gangen und unterwegs an uns zur äusse- rung. in der antwort ist klarzustellen, dass ein lehrvertrag nicht abgeschlossen ist, dass ein entlassungsgrund im zeugnis nicht angegeben ist, und ob ein amtliches zeugnis über die handwerkliche ausbildung gegenüber der handwerkskammer abge- geben werden kann.“ 441 Wie der Eklat zu Ende geht, ist bisher nicht bekannt. Wettengel verlässt das Bauhaus. Ob sie ihr Studium nach nur drei Seme- stern hier an einem anderen Ort fortsetzen kann, bleibt unklar: Der weitere Lebens- weg Anny Wettengels ist bisher unbe- kannt. Quellen: BHD, NL Engemann, Semesterprü- fungsliste vom 6.7.1931; Beiratssit- zungsprotokolle 30.9.1931, 4.11.1931, 5.4.1932, 12.4.1932, 14.4.1932, 19.4. 1932, 20.4.1932, 3.5.1932 Mathy Wiener Mathilde Wiener, spätere Beck- mann442 (1932 bis ca. 1952), spä- tere Matty Weiner, B.S., M.S. geb. 20.8.1909 Prag - lebt in New York City, N.Y. Studium an der Universität Prag 1928 bis 1930, am Bauhaus Dessau 1930 bis 1932, an der Grafischen Lehr- und Ver- suchsanstalt Wien 1932 bis 1934, am Hunter College New York 1954 bis 1956, B.S., sowie am City College New York bis 1962, M.S. Matty Wiener wurde 1909 als ‘Reichsdeut- sche’ in Prag geboren und soll in bürgerli- chem Milieu aufgewachsen sein. Über ihr Elternhaus ist bisher jedoch nichts be- kannt. Aus Prüfungsprotokollen des Bau- hauses geht hervor, dass sie fünf Jahre lang eine Volksschule und acht Jahre ein Realgymnasium in Prag besuchte bevor sie das Reifezeugnis erwarb. Nach einem viersemestrigen Studium an der deutschen Universität Prag erhält sie die Lehrbefähi- gung in englischer und französischer Spra- che. Mathy Wiener kommt im Oktober 1930 ans Bauhaus (Matr.Nr. 460). Sie besucht die Grundlehre und hospitiert in der Weberei. Vom Mathematikunterricht zunächst be- freit wird sie zum Sommersemester 1931 in die Bau-/Ausbauabteilung aufgenom- men. Im Sommer 1931 absolviert sie einen sechswöchigen „werkkurs“ bei Engemann und belegt auch die „Einführung in die Schweißtechniken“. Im Anschluss wird sie zusammen mit Itting und Wettengel direkt ins 3. Semester Bau-/Ausbau aufgenom- men, „der seinerzeitige beschluss auf ab- solvierung eines werkstattsemesters wird aufgehoben.“ 443 Daneben besucht sie re- gelmäßig die freie Malklasse Kandinskys. Am Bauhaus lernt Wiener den gleichaltri- gen Hannes Beckmann kennen (8.10. 1909 Stuttgart - 19.7.1977 Hannover, NH), der dort bereits seit dem Frühjahr 1929 unter- schiedliche Fächer belegt. Am 7.11.1931 erhält er das Bauhausdiplom Nr.61 für sei- ne bühnenbildnerischen Arbeiten. Die an- gestrebte Anstellung als Bühnenbildner an den städtischen Bühnen Dessau scheitert. Mathy Wiener gehört zu den Studierenden, 406 Anhang 437 Lt. Einträgen auf der Semesterprüfungsliste vom 6.7.1931 438 Das ‘Stahlhaus’ war 1926 nach Entwurf von Georg Muche und Richard Paulick am Ran- de der Törtener Siedlung gebaut worden. 439 Es bleibt unklar, ob auch Anny Wettengel im Anschluss an den kostrufa-Streit die Teilnahme an der Jahresausstellung verwei- gert hatte. 440 BHD/NL Engemann, Beiratssitzung 14.4. 1932, Bl.2, Pkt.5 441 BHD/NL Engemann, Beiratssitzung 3.5. 1932, Bl.1, Pkt.2 - Am 1.5. hatte die anhal- tinische Regierung über die Beschwerde Wettengel berichtet. Vgl. Tagebuch des Bauhauses (Abschrift Wingler) in: Hahn/- Wolsdorf, 1985, S.56. 442 Das Heiratsdatum Mathy Wieners ist bisher nicht bekannt. Bei Anmeldung in Wien 1932 sind Matilde und Hannes Beckmann verhei- ratet. Zsuszanna Bánki erwähnt in einem Brief aus dem Jahre 1931, dass ihre tsche- chische Freundin „in diesen Ferien geheira- tet hat“. (Bánki, 1991, S.66) 443 Beiratssitzung 30.9.31, Bl.2, Pkt.6: „itting, wettengel, wiener“ (..) der seinerzeitige be- schluss auf absolvierung eines werkstattse- mesters wird aufgehoben. die 3 studieren- den werden in das 3.semester bau/ausbau aufgenommen. herr rudelt ist mit der auf- nahme einverstanden, kann jedoch nicht die verantwortung übernehmen, dass sie das verlangte pensum wirklich schaffen. er muss sich bei aufbau seines unterrichtes nach den übrigen studierenden richten.“ die nach dem ‘Kostufra-Streit’ die Teilnah- me an der Jahresausstellung verweigern. Ebenso wie Zsuzsanna Bánki wird sie vom weiteren Studium ausgeschlossen. Ihr um- gehend gestellter Wiederaufnahmeantrag wird am 5.4.1932 abgelehnt, „da man sich auch von dem gewünschten studium im ausbau nichts verspricht.“ 444 Ein kurz da- rauf gemeinsam mit Bánki gestellter Wie- deraufnahmeantrag wird eine Woche spä- ter erneut abgewiesen.445 Mathy Wiener erhält ein von Mies van der Rohe um Wochen zurückdatiertes Zeugnis. Sie verlässt Dessau gemeinsam mit Han- nes Beckmann und studiert ab Herbst 1932 zwei Jahre Fotografie an der Grafi- schen Lehr- und Versuchsanstalt Wien. Inzwischen verheiratet wohnen sie in der Webgasse im IV. Bezirk.446 Ab Ende 1934 leben beide in Prag.447 Zwi- schen 1938 und 1944 leitet Hannes Beck- mann ein Fotostudio. Bei einem Bomben- angriff kommt ihr erstes Kind ums Leben. 1944 werden beide interniert. Mathy Beck- mann überlebt Auschwitz, ihr Mann Jano- vice. Sie kehren 1945 nach Prag zurück. 1947 erhält Hannes Beckmann die tsche- chische Staatsbürgerschaft, er findet den- noch keine berufliche Perspektive. 1948 emigrieren Beckmanns mit zwei Kin- dern nach New York, wo Hannes Beck- mann in der Fotoabteilung des Salomon Guggenheim Museums arbeiten kann. Ab 1953 unterrichtet er an der Cooper Union Farbtheorie und zweidimensionale Gestal- tung. Nach der Scheidung schreibt sie sich ang- lisiert „Matty Weiner”, und nach erneutem Studium erwirbt sie 1956 am Hunter Colle- ge New York den Bachelor sowie die staatliche Zulassung als Lehrerin für Kinder im Alter von 3-8 Jahren. Weiner wird Leite- rin eines städtischen Kindergartens. 1962 absolviert sie den ‘Masters’ am City Colle- ge New York und unterrichtet bis zu ihrer Pensionierung in den siebziger Jahren als Lehrerin. Matty Weiner beginnt in den sechziger Jahren mit der Bildhauerei und lebte zumindest bis in die neunziger Jahre in New York City. Quellen: BHD, NL Engemann, Protokolle der Bei- ratssitzungen am 9.12.1930, 30.9.1931, 5.4.1932, 12.4.1932 Semesterprüfungsliste sommersemester 1931 vom 6.7.1931 BHAB, Zeugnis Mathy Wiener vom 22.3.1932, Fragebogen Matty Weiner, Eingang 28.1.1982 DAM, NL Hannes Meyer, Schriftwechsel Beckmann und Bloch Wien/MA8, Schreiben Herbert Koch vom 10.9.1998 Annemarie Wilke Annemarie [Dora Elise Helene] Wilke, spätere (Annamaria) Mauck (ab 3.2.1940-1958), Dipl.Arch., BDA, Pseudonym in den 1950er Jahren: Barbara Kainz geb. 15.6.1906 Lübeck - gest. 5.7.1996 München, begraben in Ratekau/Paus- dorf Studium am Bauhaus Dessau 1928 bis 1932, Diplom wurde am 15.6.1906 in Lübeck als einzi- ges Kind des Kaufmanns Ferdinand Bern- hard Heinrich Wilke (22.9. 1871 Lübeck - 24.7.1934) und der musisch sehr interes- sierten Anna Georgine geb. Bartels (geb. 11.10. 1873 Pausdorf) geboren. Der Vater betreibt die Wassermühle auf der Travein- sel in Lübeck, der Großvater war Schrei- nermeister. Über ihre Kindheit stellt sie 1995 rückblickend fest: „Ich wurde wie ein Bub erzogen, hatte keine Freundinnen.“ Nach Abschluss der 10. Klasse des Ober- lyzeums am Falkenplatz absolviert Anne- marie Wilke eine kaufmännische Ausbil- dung in der Lübecker Handelsschule, dann eine zweijährige Banklehre. Eigentlich will sie Schauspielerin werden. Sie ist musikalisch begabt, studiert zwei Jahre Gesang in Lübeck. Als Walter Gro- pius um 1925 einen Vortrag in Lübeck hält und eigene Arbeiten zeigt, ist vor allem ih- re Mutter, die selbst ein Faible für Gestal- tung hat, fasziniert. Die Tochter lässt sich von der Begeisterung anstecken. Der Vater finanziert ab 1928 erst die Hospitation, ab 1929 das Studium am Bauhaus Dessau. Annemarie Wilke wohnt privat zur Unter- miete, besucht die Grundlehre bei Albers. Da alles andere nicht in Frage kommt stu- diert sie anschließend ‘Bau/Ausbau’ und wird begeisterte Schülerin von Lilly Reich und Ludwig Hilberseimer. Bei ihm entwirft sie Einfamilien- und „Siedlungshäuser”. Zu ihren Studienfreunden zählen Hermann Klumpp und Carl Bauer. Nach Erinnerung Bauers wohnt Wilke im gleichen Haus wie Walter Peterhans und erscheint häufig mit Klumpp zum Unterricht. Im August 1932 gehört sie zu den 20 BauhausstudentIn- nen, die ein Diplom erhalten (Nr. 94). Auch danach bleibt sie dem Bauhaus verbun- den. Ab Herbst 1932 unterstützt sie Carl Bauer bei der Ortsplanung von Bad Grund. Die im Auftrag der Gemeinde vor Ort im Harz entstandene Arbeit wird Bauer 1933 am Bauhaus als Diplom anerkannt.448 Annemarie Wilke zieht nach Berlin. Als frei- berufliche Mitarbeiterin Lilly Reichs bear- beitet sie Innenausbauten. Mit Reich ver- bindet sie seit dem Studium ein freund- schaftliches Vertrauensverhältnis. Als sich die Auftragslage verschlechtert, kann sie im Büro Ludwig Hilberseimers mitarbei- ten. Dort ist sie u.a. mit der Werkplanung für das „Haus Am Rupenhorn” betraut. 1934 wird sie auch als selbständige Archi- tektin tätig und entwirft für einen, mit ihren Eltern bekannten Herrn Adelberger ein Haus für das Eckgrundstück Hohenstau- fen-/Danzigerstraße in Lübeck, das nicht realisiert wird. Realisiert werden Mitte der dreißiger Jahre jedoch Um-, An- und Neu- bauten verschiedener Ferienhäuser nach ihren Entwürfen auf Hiddensee, darunter 1936 der Bau des „Hauses Karl Haertel” in Vitte. Ebenfalls aus diesem Jahr datiert ein Entwurf für ein Einfamilienhaus in Zehlen- dorf. 1938 entwirft sie ein Wochenendhaus für Trude Schulze am Mellensee in Klaus- dorf.449 Die Realisierung dieser beiden Ent- würfe kann bisher nicht nachgewiesen werden. Biografien 407 444 BHD, Beiratssitzung 5.4.1932, Bl.1, Pkt.5 445 BHD, Beiratssitzung 12.4.1932, Bl.1, Pkt.9 446 Schreiben von Herbert Koch, MA8 Wien vom 10.9.1998. Lt. Einwohnermeldekartei Wien ist das Ehepaar Beckmann „confes- sionslos“. 447 Wie aus dem Schriftwechsel zwischen Ka- rola Bloch und Hannes Meyer hervorgeht, kennen sich Mathy Beckmann und Karola Bloch aus Prag. DAM / NL Hannes Meyer 448 Carl Bauer kann seine Diplomarbeit in We- stermanns Monatsheften für Baukunst und Städtebau (Braunschweig) im Februar 1933 publizieren. 449 BHA, Inv.-Nr.1997/26.54-61x „Haus Haertel”, Vitte, 1936 Wilke und Bauer 1932 bei der Arbeit in Bad Grund Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Annemarie Wilke wohnt weiterhin in Berlin Steglitz.450 Sie ist Mitglied im BDA.451 Auf Vermittlung von Wilhelm Wagenfeld, der seit 1931 an der Kunsthochschule Ber- lin unterrichtet, kommt sie in Kontakt mit den Vereinigten Lausitzer Werkstätten in Weiswasser. Für den größten deutschen Glasindustriebetrieb entwirft Wilke mehrere Gläser. Ab 1936 wird ihr die Verantwortung für Messeauftritte übertragen. So präsen- tiert sie 1937 die Glaserzeugnisse der VLG auf der Leipziger Messe und der Düssel- dorfer Ausstellung „Schaffendes Volk“, 1939 auf der Herbstmesse in Leipzig. Für die Weltausstellung in Paris 1939 bestückt sie im Deutschen Pavillon u.a. die Vitrinen. Wilke scheint durch Flexibilität und vielfäl- tige Kontakte einen Weg in die Freiberuf- lichkeit zu finden. Ende 1939 zieht sie nach Wien um. Dort leitet der Maschinenbauingenieur, Baurat Paul Friedrich Martin Mauck (geb. 23.9. 1900 Lübeck) im Auftrag der Lokomotivfa- brik Henschel das nach dem Anschluss Österreichs übernommene Eisenbahnwerk in Wien-Floridsdorf. Ihn heiratet sie am 3.2.1940 in Wien und richtet die 6-Zimmer- Wohnung am Schwarzenbergpalais nach eigenen Entwürfen ein.452 1941 kommt ein Sohn, 1943 eine Tochter zur Welt. Entwür- fe - wie bspw. ein Jagdhochsitz - entste- hen nur noch für den eigenen Bedarf. Als ihre Mutter in Hamburg ausgebombt wird, findet sie bei ihrer Tochter Aufnahme. Vor den Bombenangriffen auf Wien flüchtet Annemarie Mauck im Sommer 1944 mit den Kindern aufs Land, die Wiener Woh- nung wird ausgebombt.453 Sie erleben das Kriegsende im Inntal. Von dort flüchten sie als „Henschelianer“ nach Kassel, wo sie in einer Schule behelfsmäßig untergebracht werden. Dort werden ihr Bauhaus-Diplom, ihre Leica und zwei Kandinsky-Zeichnun- gen gestohlen.454 1947 zieht Familie Mauck nach Lübeck. Annemarie Mauck baut ein Nebengebäude als Bleibe für die eigene Familie aus. Auch für die neugegründete Firma ihres Mannes führt sie verschiedene Umbauten durch. Diese Firma kann sich in Lübeck jedoch nicht halten. Mauck entwirft Innenausbau- ten für Wohnungen, absolviert einen Kurs über Lehmbauweisen. Unter dem Pseudo- nym Barbara Kainz veröffentlicht sie Ge- schichten für Kinder.455 Die Ehe kriselt. In den fünfziger Jahren zieht Annemarie Mauck mit den Kindern nach Wolfenbüttel. Für einen Betrieb in Arendsburg macht sie Um- und Wiederaufbauvorschläge. 1961 zieht sie mit den inzwischen erwachsenen Kindern nach München und beginnt in der Inneneinrichtungsabteilung eines Kaufhau- ses zu arbeiten. Auch wenn dieser Beruf nicht ihren Ambitionen entspricht, so übt sie ihn doch fünfzehn Jahre lang aus. Diese Angestelltentätigkeit bietet ihr ein fi- nanzielles Auskommen, auf das sie nach Ortswechseln, den abgebrochenen berufli- chen Perspektiven - als Architektin und als Industriedesignerin -, dem Verlust des el- terlichen Vermögens sowie der Scheidung 1958 angewiesen ist. Sie konvertiert zum Katholizismus, nennt sich Annamaria, lernt ambitioniert Italie- nisch und lebt zurückgezogen im engen Kontakt zu ihren Kindern. Als sich in den sechziger Jahren die Gelegenheit bietet, plant Mauck im Auftrag eines italienischen Geschäftsmannes südlich von Mailand in einer „entworfenen Wildnis“ ein Wochen- endhaus um. Für ihre Enkelin schreibt sie ihre Jugenderinnerungen auf und zusam- men mit ihrer Tochter einen Roman. Anna- maria Mauck starb im Juli 1996 - am To- destag ihrer Tochter - in München und wurde in Holstein beigesetzt. Für biografische und zahlreiche weitere Hinweise danke ich Ferdinand Mauck Quellen: Gespräch mit Annamaria Mauck am 17.11.1995 NL Mauck, inzwischen teilweise im BHAB BHAB, NL Wingler, Brief Annemarie Wil- ke an Julia Feininger vom 21.2.1933 Rakette, Egon: Bauhausfest mit Truxa, München, 1973 408 Anhang Annamaria Mauck in den 1970er Jahren 450 Die Wohnung ‘Am Eichgarten 2’ bewohnte sie schon zu Studienzeiten. Hier wurde bspw. auch ein Geburtstag Mies van der Rohes gefeiert. Interview am 17.11.1995. 451 Aufgrund der BDA-Mitgliedschaft entfiel die Notwendigkeit einer RKK-Mitgliedschaft. 452 Heiratsurkunde 118/1940 Wien - Innere Stadt. Maucks beziehen eine Wohnung in der Prinz-Eugen-Straße. 453 Annemarie Mauck ist mit den Kindern „seit 1.8.1944 vorübergehend in St. Aegyd am Neuenwalde“ gemeldet. Mitteilung von Herrn Koch/MA8 vom 10. 9.1998 454 Telefonische Mitteilung von Ferdinand Mauck am 11.9.1997 455 Weshalb die Wahl ihres Pseudonyms aus- gerechnet auf den Namen „Kainz“ fällt, ob Mauck evt. den Wiener Philosophieprofes- sor Friedrich Kainz kannte, konnte bisher nicht geklärt werden. Kainz, Barbara: „Vom Riesen, der am Wörther See einfror“, in: Scholz Monatsbilderbuch, H.5, Mainz, Febr. 1952 (Illustrationen Magda Heller), diess.: „Krippenspiel“ in: Scholz Monatsbilder- buch, H.3, Mainz, Dezember 1952 (Illustr. von Magda Heller), diess.: „Der Anderl lügt nicht“, in: Scholz Monatsbilderbuch, H.8, Mainz, Mai 1953 (Illustr. Hilde Burchgart- Kießling), diess.: „Jeden Tag Blaubeeren“, in: Der Sommergarten, Nr.3/4, Stuttgart, Juli/August 1954, S.46-47 (Illustr. Susanne Mair-Weigel), diess.: „Der Feriengast“ , in: Scholz Monatsbilderbuch, H.12, S.2-4, Mainz, September1954 (Illustr. Magda Hel- ler), diess.: „Das Zuckerdirndl“, Der Som- mergarten, Stuttgart, Dez. 1954, S.114-115 Präsentation der VLG Weiswasser in Düsseldorf, 1937 Blick auf die Vitrinen im Deutschen Pavillon auf der Weltausstellung, Paris, 1939 Arbeitszimmer in der Wiener Wohnung, 1940 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbarBildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Annemarie Wimmer spätere Lange (ab 1939) geb. 7.6.1907 Dresden - gest. 4.4.1976 Berlin, begraben auf dem Dorotheen- städtischen Friedhof Berlin Studium an der Kunstgewerbeakademie Dresden 1926 bis 1928, am Bauhaus Dessau 1928 bis 1932 wurde 1907 in der Lockwitzer Straße 7 in Dresden als Tochter des Kaufmanns Franz Wimmer (gest. 1945 Dresden) 456 und der Musiklehrerin Maria Johanna Wimmer geb. Schwartze (13.11. 1881 - 19.10.1981 Dres- den) geboren. Der Vater betreibt bis 1930 eine Strohhutfabrikation, Annemarie Wim- mer wächst mit zumindest zwei Geschwi- stern „in bürgerlichen Verhältnissen“ auf und besucht nach der 10klassigen Mäd- chenschule die Städtische Studienanstalt Dresden-Neustadt, wo sie am 6.3.1926 das Reifezeugnis erwirbt.457 Direkt im Anschluss besucht sie vier Se- mester die Staatliche Akademie für Kunst- gewerbe Dresden, wo sie in der grafischen Zeichenklasse von Prof. Paul Hermann studiert. Spätestens in dieser Zeit dürfte sie Wera Meyer-Waldeck kennengelernt haben. Prof. Hermann bestätigt 1928 nach drei Semestern, dass das Berufsziel noch nicht feststehe. Frühjahr bis Herbst 1928 besucht Annemarie Wimmer die Weberei von Martha Vogeler in Worpswede.458 Zum Wintersemester 1928/29 schreibt sie sich am Bauhaus Dessau ein. Nach der Grundlehre bei Albers besucht sie die Tischlerei. Ab April 1929 absolviert sie bei Karl Bökenheide eine Tischlerlehre, der entsprechende Lehrvertrag wird erst im September abgeschlossen. Annemarie Wimmer studiert am Bauhaus in der Bau-/Ausbauwerkstatt, in den Prü- fungslisten finden sich immer wieder Hin- weise auf konkrete Mitarbeit. So ist sie bspw. an Möbelentwürfen für die Siedlung Törten beteiligt. Im Spätsommer 1930 tritt sie in Dessau aus der protestantischen Kir- che aus. Zu diesem Zeitpunkt unterbricht Annemarie Wimmer ihr Studium, um für ein Jahr ihre praktische Ausbildung bei der gemeinnützigen Arbeitsgenossenschaft Lübeck fortzusetzen. Nach einem halben Jahr in der Möbel- und Innenausbauwerk- statt arbeitet sie dort auch in der Polsterei und der Malerabteilung. Sie kehrt nach einem Jahr in Lübeck ans Bauhaus Dessau zurück und studiert ab dem Herbst 1931 wieder in der Bau/Aus- bauabteilung. Im Seminar für Siedlungsbau bei Ludwig Hilberseimer entwirft Annema- rie Wimmer „Siedlungshäuser”. Es folgt im Sommersemester 1932 - offenbar in Ei- geninitiative - ein „Entwurf für ein Studen- tinnen-Heim“. Das Protokoll der Beiratssitzung vom 12.4. 1932 vermerkt trocken: “wimmer (..) ist im neuen semester nicht mehr studierende, da das studium beendet ist. sie hat gele- genheit in der tischlerei ihr gesellenstück fertigzustellen.“ 459 Mit einem „Kleider- und Wäscheschrank in Esche” legt sie am 13.5.1932 die Gesellenprüfung ab und tritt zwei Tage später offiziell aus dem Bau- haus aus.460 Im Juli taucht der Name Wim- mer nochmals auf: „gesellenstück wim- mer. der verkaufspreis wird auf rm 100,- festgesetzt.“ 461 Auch wenn das Bauhaus-Diplom Nr.101 vom 15.8.1932 in Verzeichnissen als Di- plom für Annemarie Wimmer aufgeführt wird, nach eigenen Angaben erhält sie kein Bauhaus-Diplom. Das im Nachlass befind- liche Dokument ist ein von Mies v.d. Rohe unterzeichnetes und auf den 11.10.1932 datiertes „zeugnis“. Hier sind „entwürfe für siedlungshäuser unter leitung von herrn arch. hilberseimer“ und als „freie arbeit“ ein „entwurf für ein studentinnenheim“ auf- geführt. Nach Erinnerungen Gerd Balzers und Kon- rad Püschels ist Annemarie Lange mit der Benotung ihrer Diplomarbeit nicht einver- standen und sucht Mies van der Rohe in Berlin auf. Da das Bauhaus-Diplom jedoch nicht benotet ist, handelt es sich wahr- scheinlich um Diskussionen über die Art des Diploms. Offensichtlich wird der - bis- her nicht dokumentierte - Entwurf des Stu- dentinnenheims Wimmers von Mies van der Rohe nicht anerkannt. Die Auseinan- dersetzung um den Stellenwert dieses Ent- wurfes scheint Annemarie Wimmer das Diplom gekostet zu haben.462 Ab 1933 finden sich teils widersprüchliche Informationen, die bisher nicht abschlie- ßend geklärt werden konnten.463 Nach An- gaben aus den fünfziger Jahren ist Anne- marie Wimmer seit Frühjahr 1932 Mitglied der KPD und arbeitet bis 1939 illegal als Kurierin wie bei der Kurierbeschaffung.464 Sie lebt in der Rönnebergstraße in Berlin- Friedenau. Im Rahmen des Notstandspro- gramms arbeitet sie ab April 1934 tagewei- se als technische Zeichnerin beim Hoch- bauamt Schöneberg, wo sie Bestands- zeichnungen ergänzt. Diese Tätigkeit ist befristet. Zum 15.7.1935 nimmt sie eine Aushilfsstel- lung als Zeichnerin in einem Schöneberger Ingenieurbüro an, wo sie Schutzraumbau- ten und Patentarbeiten zeichnet. Zum Jah- resende bietet sich dann die Gelegenheit, als technische Angestellte bei der Reichs- autobahn zu arbeiten. Für die oberste Bau- leitung Berlin der Reichsautobahnen in der Potsdamer Straße, wird sie zehn Jahre planen und u.a. mit Natursteinverkleidun- gen von Brückenbauten beschäftigt sein. 1937 entwirft sie im Auftrag des Reichs- mütterdienstes Berlin Musterräume für eine Wanderausstellung. In Berlin lernt sie 1933 den deutlich älteren Dr. Karl Friedrich Lange (1891-1972) ken- nen.465 Ab 1936 lebt sie mit ihm zusam- men. Sie heiraten 1939, die Ehe bleibt kin- derlos. Die Stelle bei der Reichsautobahn hat Annemarie Lange bis zur Auflösung des Amtes im September 1945 inne. 1946 wird Lange auf Vermittlung des spä- teren Bauministers und früheren Bauhaus- studenten Ernst Scholz zur Regierungsrä- tin unter Heinrich Rau in Potsdam ernannt. In dieser Funktion ist sie für den Wieder- aufbau kriegszerstörter Brückenbauten in der Mark Brandenburg verantwortlich.466 1947 wird sie in die Geschäftsführung für den Wiederaufbau des Oderbruch berufen, Biografien 409 456 Auskunft von Frau Hoppe Stadtarchiv Dres- den vom 23.2.1998. Das Haus Richard- Wagner-Str.5 befand sich 1927/28 im Be- sitz von Franz Wimmer, Kaufmann. 457 Lebenslauf aus dem Jahre 1953, AdKS, PA Lange 458 Lt. Zeugnis, ausgestellt von Martha Voge- ler im Januar 1929. Ibid. 459 BHD, Beiratssitzung 12.4.1932, Bl.2, Pkt.15 460 Ob sie zwischenzeitlich erneut eintritt bleibt unklar. 461 BHD, Beiratssitzung 14.7.1932, Bl.2, Pkt.13 462 Unterlagen zu diesem Vorgang sind bisher nicht zu finden. Ob das Entwurfsthema oder der eigentliche Entwurf von Mies v.d. Rohe abgelehnt wurde, bleibt damit offen. 463 So lebt Annemarie Wimmer 1932 bis 1934 in Berlin von Wohlfahrtsunterstützung. Dem widerspricht das Zeugnis, das der Architekt Paul Ostermann ausstellt, nach dem sie ab Oktober 1932 bis April 1934 in seinem Büro als Architektin arbeitet: „selbständig mit al- len Bereichen der Architektentätigkeit be- traut“. 464 FN 457 465 Karl Friedrich Lange, der nach 1945 als Schriftsteller tätig ist, hatte bis 1911 an der Dresdner Bauschule studiert, war gewerk- schaftlich und parteipolitisch aktiv. Er hatte 1929 als Mitarbeiter Hermann Dunckers auch am Bauhaus Dessau einen Vortrag gehalten. Zu diesem Zeitpunkt volontierte Annemarie Wimmer jedoch in Lübeck. 466 Wie das Neue Deutschland am 14.8.1948 vermeldet, konnten von den 440 im Land Brandenburg im Krieg zerstörten Brücken fast 400 wieder hergerichtet werden, davon 83 in massiver Bauweise. In der Zeitungs- ausschnittsammlung Annemarie Langes ist der Satz markiert: „Neben den laufenden Reparaturen wurden im folgenden Jahr hauptsächlich die Brücken im Oderbruch neu errichtet.“ . In wieweit Lange als Regie- rungsrätin dabei auch selbst plante, ist bis- her undeutlich. Stadtbibliothek Berlin-Mitte, Zeitungsausschnittsammlung Lange. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar bereits zum 31.5.1947 kündigt sie die ver- antwortliche Position. Annemarie Lange zieht nach Berlin, wo ihr Mann als Lektor arbeitet. Durch dessen Vermittlung wird sie Lektorin beim Kinderbuchverlag, schreibt zunächst Beiträge für Kinderbücher, dann Kinderbücher. Sie wird Mitglied im Schrift- stellerverband und legt ein umfangreiches Zeitungsartikelarchiv an. Es entstehen umfangreiche Arbeiten zur Berliner (Bau-)Geschichte wie 1959 „Berlin zur Zeit Bebels und Bismarcks“. Dafür er- hält sie 1969 den Goethepreis. In den sechziger Jahren verfasst sie ein Buch über „Das Wilhelminische Berlin” und meh- rere Stadtführer. In den Siebzigern entsteht „Berlin in der Weimarer Republik”. Mit großem Interesse verfolgt sie die Vor- bereitungen für das in Dessau geplante Bauhauscolloquium, an dem sie jedoch nicht mehr teilnehmen kann. Annemarie Lange starb am 4.4.1976 in Berlin. Ihren Nachlass vermachte sie dem Archiv des Schriftstellerverbandes, Teile befinden sich jedoch auch im Landesarchiv Berlin, der Staatsbibliothek sowie der Stadtbibiliothek Mitte. Ihre Studienarbeiten sind bisher nicht archiviert. Quellen: AdKS, Schriftstellerarchiv, PA Annema- rie Lange BHD, NL Engemann Prüfungsprotokolle und Semester-Prüfungslisten sowie Briefwechsel Wimmer, Püschel, Balzer und Rossig STABI, Handschriftenabteilung, Anne- marie Lange BHAB, Paul Thyret: „Lange ist´s her“, Artikelserie in der Berliner Zeitung am Abend, 1976 eigene Schriften: Lange, Annemarie: Vom Peter, der sich nicht waschen wollte, Berlin, 1951, Illu- strationen der ersten beiden Auflagen von Ingeborg Meyer-Rey diess. zusammen mit Reiner Dänhardt: Das Volk steht auf, der Sturm bricht los, Berlin, 1953 diess. (Red.): Almanach für die Freunde des Kinderbuches, Zum 5-jährigen Be- stehen des Kinderbuchverlages, Berlin, 1954, 2.Auflage, 1957 diess.: Berlin zur Zeit Bebels und Bis- marcks, Berlin, 1959, vier weitere Aufla- gen bis 1984 diess.: Führer durch Berlin, Reisehand- buch für die Hauptstadt der DDR, Ber- lin, 1963 diess.: Berlin, Hauptstadt der DDR, 2. durchgesehene Auflage, Leipzig, 1966, zwei weitere Auflagen bis 1969 diess.: Das Wilhelminische Berlin. Zwi- schen Jahrhundertwende und Novem- berrevolution, Berlin, 1967, vier weitere Auflagen bis 1988 diess.: Berliner Müggelsee - Köpenick, Schmöckwitz, Erkner, Leipzig, 1968, 2.Aufl. 1970 diess.: Berlin in der Weimarer Republik, Berlin, 1987 Artikel von Annemarie Lange: Führt unsere Schüler an das richtige Buch heran! In: Deutschunterricht, 1955, H.2, S.74-76 diess.: Haben Schriftsteller Probleme?, in: Sonntag, 12.2.1961, Nr.7, S.1 u.12 diess.: und I.M. Lange: Lehren deut- scher Geschichte. Eine Beitragsfolge, in: Berliner Zeitung, 24.2. bis 16.4.1967 diess.: „Die herrlichen Zeiten...“. Litera- tur und Kunst im neuen Kaiserreich, in: Neue Deutsche Literatur, 1971, H.1, S.130-152 diess.: Ein Leben mit Büchern. Über die Bibliothek von I.M. Lange, in: Margina- lien, 1973, H.52, S.36-44 410 Anhang Ausschnitt Berliner Zeitung am Abend, 1976 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Emilie Winkelmann [Louise] Emilie Winkelmann467, DLC, BDA geb. 8.5.1875 Aken/Elbe - gest. 4.8.1951 Hovedissen, beigesetzt in Aken/Elbe Studium an der TH Hannover 1901 bis 1905 wurde 1875 im anhaltinischen Aken als fünftes Kind des Lehrers Christoph August Winkelmann und seiner Frau Louise Emilie geb. Voigt geboren. Der Großvater Christi- an Voigt war Zimmermeister, er soll Emilie schon früh auf seine Baustellen mitgenom- men haben. Wie ihr Bruder Ernst absolviert sie bei ihm eine Lehre. Ob sie zur Gesel- lenprüfung zugelassen wird, ist bisher un- bekannt. Nach ihrer Schulzeit arbeitet sie jedoch als Zeichnerin im Büro ihres Großvaters, das Anfang der 1890er Jahre von ihrem Bruder Ernst übernommen wird. Emilies älteste Schwester heiratet einen Agrarier, eine Schwester wird Lehrerin in Aken, ein Bru- der wird dort Postsekretär. Als Ernst Win- kelmann das großväterliche Büro um die Jahrhundertwende verkaufen muss und sich selbst als Baubeamter bei der Stadt Aken verdingt, sieht Emilie nur in der aka- demischen Ausbildung eine Chance, sich als Architektin später selbständig machen zu können. Ihre erste Immatrikulation an der TH Han- nover scheitert. Als Gasthörerin ohne Abi- tur studiert - „E.” Winkelmann - ab 1901 an eben dieser Hochschule. Zum Diplom wird sie als Frau 1905 nicht zugelassen. Emilie Winkelmann arbeitet anschließend als Bauführerin und eröffnet um 1907 in Berlin-Schöneberg ein eigenes Architektur- büro. Sie akquiriert und baut zunächst Landhäuser in den westlichen Bezirken Berlins. Nach Gewinn eines Wettbewerbes kann sie 1910 ein Theater in der Blumen- straße in Berlin-Mitte realisieren. Ihre Bau- ten werden zunächst in Wochenblättern publiziert. Winkelmann knüpft Kontakte zur Frauen- bewegung, wird Mitglied im Deutschen Ly- zeumclub. Ihre Teilnahme an der Berliner Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“ 1912 verschafft ihr große Publizität. Mit ih- ren zahlreichen Projekten und Bauten be- streitet sie die Abteilung „Die Frau in der Architektur“ fast alleine. In der Folge kann sie eine ganze Reihe neuer Aufträge akquirieren: Als der veran- staltende Lyzeum-Club mit dem Erlös die- ser Ausstellung ein Haus am Lützowplatz erwirbt, wird Emilie Winkelmann ebenso mit dem Umbau beauftragt wie bei zwei Mädchenpensionaten. Nach ihren Entwür- fen entsteht 1914 das Haus der Frau auf der Ausstellung für Buchgewerbe und Gra- fik in Leipzig und in Berlin-Charlottenburg der Bau des Victoria-Studienhauses als Studentinnenwohnheim. Winkelmann realisiert aber auch einen gro- ßen Mietwohnungsbau im Berliner West- end und in ihrer Heimatstadt Aken die Er- weiterung des Mädchengymnasiums. Emilie Winkelmann soll in den späten zeh- ner Jahren fünfzehn MitarbeiterInnen be- schäftigt haben. 1917 verlegt sie ihr Büro in die Fraunhofer Straße. Hier richtet sie ein „Appartement“ als ständige Ausstel- lung ein. 1926 entsteht im Westend das „Haus Bennaton”. Seit Mitte der zwanziger Jahre hat Emilie Winkelmann mit gesund- heitlichen Problemen zu kämpfen. Sie voll- zieht die Wendung zum ‘Neuen Bauen’ nicht mit, beteiligt sich weiterhin an Wett- bewerben und regelmäßig an Ausstellun- gen. So ist sie 1926 mit dem „Haus eines geistigen Arbeiters” auf der „Gesolei” in Düsseldorf vertreten. Sie stellt ihre Projek- te 1927 in Hamburg beim „Frauenschaffen des XX. Jahrhunderts” aus, ist 1930 bei „Die gestaltende Frau” und 1931 auf der Deutschen Bauausstellung in Berlin in der Abteilung „Das Bauwerk unserer Zeit“ prä- sent. 1931 verlegt sie ihr Büro in die Nürnberger Straße. Sie bearbeitet nun ausschließlich Privataufträge - darunter Neu- und Um- bauten von Gutshöfen ostelbischer Agra- rier. Im Nationalsozialismus wird sie Mit- glied der Reichskulturkammer, zieht sich nach eigenen Angaben aus der Bautätig- keit weitgehend zurück. Für Bekannte rea- lisiert sie auch weiterhin Um- und Ausbau- ten, vereinzelt Neubauten. So 1935 den Gutshof Meden und 1937 den Umbau des Gutshauses im märkischen Grünthal. Gegen Ende des Krieges werden ihre Bü- rounterlagen bei einem Bombenangriff in der Nürnberger Straße vernichtet. Emilie Winkelmann zieht zu der befreundeten Fa- milie von der Schulenburg nach Hovedis- sen. Sie realisiert im Umfeld weiterhin Um- und Ausbauten. Emilie Winkelmann starb 1951 in Hovedis- sen. Ihre Urne wurde im Familiengrab auf dem neuen Friedhof in Aken beigesetzt. Für biografische Informationen danke ich Despina Stratigakos, sowie Doro- thea Siebert, Graf Hardnak von der Schulenburg und Albert Trübe Quellen: Rieß, Margot: Schaffende Frauen, in: Frau und Gegenwart, 28.Jg., H.2, No- vember 1931, S.36-37 Landesarchiv Berlin, Bauakten Fraunho- fer Str.25-27 Stadtverwaltung Aken, Archiv der Bau- akten, mit Dank an Frau Lehmann Kirchenbuchamt Aken, mit Dank an Edith Ulrich Friedhofsamt Aken, mit Dank an Herrn Semmler Stratigakos, Despina: Eine Akener Ar- chitektin: Emilie Winkelmann, in: Mittei- lungsblatt für den Landkreis Köthen/An- halt, 7.Jg., Nr.7, 9.4.1998, S.2 Biografien 411 Haus Gumpel, Berlin-Zehlendorf, 1908 467 Zu Emilie Winkelmann siehe insbesondere Stratigakos, 1999 Gutshaus Meden, Umbau 1935 Haus Bennaton, Berlin-Westend, 1926 Gutshaus in Grünthal vor dem Umbau 1937 Gutshaus Grünthal nach dem Umbau, Aufnahme 1998 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Luise Zauleck [Charlotte] Luise Zauleck, spätere Seitz[-Zauleck] (ab 4.11.1937), Dipl.Ing., HTG geb. 14.8.1910 Weidenau - gest. 11.10. 1988 Hamburg, beigesetzt in Hamburg- Blankenese Studium an der TH Charlottenburg 1931 bis 1936, Diplom 1910 in Weidenau im Siegerland als älteste Tochter des Pfarrers Johannes Zauleck (1877-1942) und seiner Frau Elisabeth geb. Spennemann geboren, wächst Luise Zau- leck mit drei Geschwistern in Bochum und Wetter a.d.Ruhr auf. Dort bezieht die Fami- lie 1925 ein neuerbautes Pfarrhaus, das von einem Bruder des Vaters entworfen worden war.468 Luise Zauleck soll sich sehr für diese Baustelle, aber auch für Li- teratur und Astronomie interessiert haben. Aus gesundheitlichen Gründen muss sie in ihrer Jugend des öfteren die Umgebung und damit die Schulen wechseln. Ostern 1930 erwirbt sie das Abitur am Oberlyze- um in Hagen. Den Sommer verbringt sie als Haustochter in der Nähe von London. Ihre Berufswünsche schwanken zwischen Architektur und Pädagogik. Im Herbst be- wirbt sie sich für die Aufnahme in die pä- dagogische Akademie.469 Als sie abgelehnt wird, sucht sie eine Praktikantinnenstelle. Sie mauert und tischlert neun Monate in Dortmund und Wetter, bevor sie sich zum Wintersemester 1931/32 unter der Matr.Nr. 45059 an der TH Charlottenburg für Archi- tektur immatrikuliert. Im Dezember 1933 besteht Zauleck hier die Diplom-Vorprüfung, ab dem Winterse- mester 33/34 besucht sie das Seminar bei Tessenow. Dort folgt nach dem „kleinen Wohnhaus“ im Sommer 1934 der Entwurf eines Krankenhauses. Im Wintersemester 1934/35 entwirft sie „Ladenbauten”, an- schließend ein „Arzthaus”. Sie besteht im Juli 1936 mit dem von Walter Löffler be- treuten Entwurf einer „Kunsthochschule” bei Tessenow die Diplomhauptprüfung. Entwürfe aus der Studienzeit sind - mit Ausnahme einer Schnittzeichnung der Di- plomarbeit - nicht erhalten. Sie lernt Gustav Seitz kennen, der an den Vereinigten Staatsschulen bei Wilhelm Gerstel Bildhauerei studiert und 1933 ein Meisterschüleratelier an der Akademie der Künste bezogen hatte. 1936 arbeitet er mit Tessenow beim Wettbewerb für ein KdF- Seebad auf Rügen zusammen. Seit Sep- tember 1936 arbeitet Luise Zauleck für Walter Löffler, ab März 1937 im Büro von Günther Wentzel. Am 4.11.1937 heiraten Luise Zauleck und Gustav Seitz (11.6.1906 Mannheim - 26. 10.1969 Hamburg) in Ber- lin-Charlottenburg. Sie bleibt berufstätig. Luise und Gustav Seitz, die dem Kreis um die Rote Kapelle angehört haben sollen, pflegen einen großen Freundeskreis, zu dem u.a. die Architekten Egon Eiermann, Hans Fehling und Alfons Leitl zählen. 1938 wird Luise Seitz-Zauleck in die Abt. Bau- kunst der Reichskulturkammer aufgenom- men. Sie soll mehrere Häuser in Berlin re- alisiert haben. In Briefen an die Eltern ist ab dem Jahr 1938 des öfteren von priva- ten Bauaufträgen sowie Schwierigkeiten mit verschiedenen Bauherren die Rede. Bisher lassen sich diese Aufträge nicht do- kumentieren. 1940 wird Gustav Seitz Sol- dat. Um 1941 fragt Seitz-Zauleck erneut bei der RKK eine Genehmigung an. Ab Ap- ril 1942 arbeitet sie für Otto Rauter im Auf- trag des Reichskommissars für die Erhal- tung deutschen Volkstums im Osten an landwirtschaftlichen Bauten.471 Freiberuf- lich ist sie ab Juli 1942 mit der Planung des Ortsteils Rehbrücke bei Potsdam be- schäftigt. Im Juni 1945 wird Luise Seitz Dezernentin für Wohnungsplanung im „Hauptamt für Planung II” beim Magistrat Berlin. In dieser Funktion ist sie an der 1946 im Weißen Saal des Berliner Stadtschlosses stattfin- denden Ausstellung „Berlin plant“ beteiligt. Ab 1947 arbeitet Luise Seitz am „Institut für Bauwesen der Akademie der Wissen- schaften”. Wie lange sie dort tätig bleibt, ist unklar. Gustav Seitz kehrt 1946 aus der Gefangenschaft zurück und wird als Pro- fessor an die TH Berlin, 1947 an die Hoch- schule für Bildende Künste berufen. Als er 1951 in die Deutsche Akademie der Kün- ste in Berlin-Ost aufgenommen wird - es ist die Zeit des Kalten Krieges - wird er an der HfBK im Westteil Berlins entlassen. An der Akademie leitet er ein Meisteratelier. Als Gustav Seitz 1958 an die Hochschule für Bildende Kunst in Hamburg berufen wird, siedelt das Ehepaar nach Hamburg um. Von Luise Seitz sind nach dem Weg- gang aus Berlin noch einzelne künstleri- sche Arbeiten zu finden, darunter ein Re- liefportrait ihres Vaters.472 Ohne konkreten Anlass oder Auftrag entstehen jedoch kei- ne architektonischen Arbeiten mehr. Sie engagiert sich vielfältig sozial wie kulturell und ist u.a. jahrelang im Vorstand der Heinrich-Tessenow-Gesellschaft aktiv. 1965 erwerben Luise und Gustav Seitz in der Mörickestraße in Hamburg-Blankenese ein Grundstück, auf dem sie ein „kleines und bescheidenes Wohnhaus“ errichten, das auch Tessenowsche Einflüsse zeigt. Nach dem Tod ihres Mannes 1969 ordnet Luise Seitz dessen umfangreichen Nach- lass und überführt ihn in eine Stiftung. Sie starb 1988 in Hamburg. Für biografische Informationen danke ich Gertrud Zauleck Quellen: HTA, Karteikarte Luise Zauleck, HTG, Schriftwechsel, NL Seitz-Zauleck, Briefe, Bewerbung zur Aufnahme in eine Pädagogische Akademie, 1930 Jessen, Peter: Luise Seitz zum Geden- ken, undat., um 10/1988 Gespräch mit Gertrud Zauleck am 15.10.1995 in Wetter/Ruhr 412 Anhang 468 Der Architekt Christian Zauleck ist in Ham- burg ansässig, aber auch anderorts tätig, 1922 beteiligt er sich bspw. mit dem Kolle- gen Hormann am Wettbewerb für ein Hoch- haus am Bahnhof Friedrichstraße. Vgl. Bau- warte, 1.Jg., 1925, S.231. 469 NL Zauleck 470 Bisher ist keines dieser Projekte bekannt. 471 Ob sie in dieser Zeit an „Das Bauernhaus im Gau Tirol und Vorarlberg” mitarbeitet, bleibt unklar. Diese Publikation Otto Rau- ters erscheint 1943 in Berlin in der von Konrad Meyer herausgegebenen Reihe Schriften für neues Bauerntum. Arbeitsgruppe „Berlin plant“, 1946, Luise Seitz dritte von rechts Luise Seitz-Zauleck und Gustav Seitz um 1937 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Geist, J.F. / Kürvers, K.: Das Berliner Mietshaus, Bd.3, München, 1989, S.219 Friedemann, Peter: Johannes Zauleck - Ein deutsches Pfarrerleben zwischen Kaiserreich und Diktatur, Bielefeld, 1990 Zosel-Weckend, Ruth siehe Weckend, Ruth Zuschneid, Irina siehe Kaatz, Irina Stefanie Zwirn, Dipl.Ing. geb. 5.6.1896 Berlin-Wilmersdorf - Da- ten nach 1943 unbekannt Studium an der TH Charlottenburg 1917 bis 1919, an der TH Karlsruhe 1920 bis 1922, Diplom wurde 1896 in Berlin-Wilmersdorf als zwei- te Tochter des Kaufmanns Naumann Zwirn (29.12.1855 Rogasen - 3.8.1925 Berlin) und seiner Frau Selma geb. Itzig (8.5.1859 Frankfurt/O.- 15.9.1942 Berlin) geboren.472 Der Vater betreibt ein Spirituosengeschäft in der Eislebener Straße in Charlottenburg, die jüdische Familie wohnt in der Lefèvre- straße in Friedenau. Stefanie Zwirn erwirbt das Reifezeugnis an der Auguste-Viktoria-Studienanstalt Char- lottenburg bevor sie sich im Alter von fast 21 Jahren an der TH Charlottenburg für Architektur immatrikuliert. Wie sie auf die Idee kam, Architektur zu studieren ist bis- her unbekannt. Sie studiert zügig und be- steht zwei Jahre später - Ostern 1919 - die Vorprüfung mit „befriedigend“. Nach einem weiteren Semester unterbricht sie das Stu- dium für Praktika, u.a. in der Siedlerschule Worpswede (Leberecht Migge).473 Zum Herbst 1920 schreibt sie sich an der TH Karlsruhe ein. Nach drei weiteren Seme- stern legt sie dort am 18.5.1922 die Di- plomhauptprüfung ab. Ihr Entwurf einer Volksschule wird mit „genügend“ bewertet. Wo sie in den folgenden Jahren arbeitet, wissen wir bisher nicht. 1931 erscheint in der Bauwelt ein Artikel unter dem Namen „Zwirn“ über die nach Wettbewerbsgewinn 1927 ausgeführte Mädchen- und Knaben- schule des Büros Mebes und Emmerich in Apolda. Möglicherweise war Zwirn an die- sem Bauvorhaben beteiligt.474 1932 wer- den mehrere Lauben nach ihren Entwürfen auf der „Berliner Sommerschau” gezeigt und verschiedentlich publiziert. Ab 1932 stellt Zwirn gemeinsam mit Fritz Spannagel Bauwelt Sonderhefte zusam- men.475 Bereits die erste dieser Publikatio- nen wird ein Erfolg: „25 Sommerlauben und Wohnlauben“ erscheint ein Jahr spä- ter schon in der 4. Auflage. Darin stellt sie u.a. die „Laube eines geistigen Arbeiters“ und ein „Kleinsthaus in Plattenbauweise” vor. Stefanie Zwirn betreibt ihr Büro in der Steglitzer Markelstraße. Ab 1933 erscheint sie mit eigenem Eintrag im Branchenbuch: In dieser Zeit realisiert sie in Fichtenau, südöstlich von Berlin ein Kleinhaus für eine fünfköpfige Familie und in Berlin-Zehlen- dorf ein „Haus mit acht Zimmern” für eine dreiköpfige, bildungsbürgerliche Familie. Auch diese Bauten kann sie in Bauwelt- Sonderheften publizieren. Das Berufsverbot für nicht-arische Archi- tektInnen wird im Dezember 1934 über Stefanie Zwirn verhängt. Sie ist gezwun- gen ihr Büro in Steglitz zu schließen. Ihr Name erscheint 1937 im Telefonbuch mit dem Zusatz „Dipl. Ing. Architekt“ unter der Adresse ihrer Mutter in der Sächsischen Straße 9 in Wilmersdorf.476 Im Gartenhaus desselben Grundstücks wohnt nun auch die vier Jahre ältere Schwester Erna, die in den zwanziger Jahren als Kauffrau arbeitet und zwischenzeitlich in Kassel lebte. Im September 1942 nimmt sich Selma Zwirn - wahrscheinlich angesichts der be- vorstehenden Deportation - im Alter von 83 Jahren das Leben.477 Stefanie und Erna Zwirn tauchen unter und werden im Preu- ßischen Staatsanzeiger als „flüchtig - ille- gal“ gesucht. Wie aus der entsprechenden Akte des Oberfinanzpräsidiums hervor- geht, wird Stefanie Zwirn bald verhaftet und zur Arbeit bei den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken, Werk Borsigwalde gezwungen. Ihr dortiger Lohn taucht als „Vermögensbeschlagnahmesache“ auf. Er wird am 7.5.1943 letztmalig konfisziert. Stefanie Zwirns Spur lässt sich nach die- sem Datum bisher nicht verfolgen. Somit bleibt offen, ob sie erneut untertauchen konnte oder um ihr Leben gebracht wurde. Für biografische Informationen sowie Hinweise zum Studium Stefanie Zwirns danke ich Despina Stratigakos Quellen: LAB, Adressverzeichnisse Berlin, A- Rep. 092, OFP 05205-Sm 32 / 18028 Das schöne Heim, 4.Jg., München, 1932/33, S.32 Deutsche Kunst und Dekoration, 1933, S.32 Maison, Hans: 25 Kleinhäuser im Preis von 5000 bis 10 000 Mark, Bauwelt Sonderheft, H.4, Berlin, 1934 25 schöne Landhäuser über 20 000 Mark, Bauwelt Sonderheft, H.9, Berlin, 1934 erneut publiziert in Kühne, Günter: 25 Kleinhäuser, Bauwelt Sonderheft (Neue Reihe), Berlin, 1952, S.17 eigene Schriften: Zwirn: Bergschule in Apolda in Thürin- gen, Bauwelt, 21.Jg., 1931, S.197-201 diess. (zusammen mit Fritz Spannagel) 25 Sommerlauben und Wohnlauben im Preis von 100 Mark bis 3000 Mark, Bauwelt Sonderheft, H.1, Berlin, 1932 25 heizbare Wohnlauben, Bauwelt Son- derheft, H.2, Berlin, 1932 Biografien 413 472 Für die Lebensdaten der Eltern danke ich Hermann Simon, Centrum Judaicum Berlin. 473 In Berlin war sie ab 18.4.1917 bis 29.8. 1919 immatrikuliert. 474 Bisher läßt sich diese Vermutung nicht be- legen. Dafür spricht jedoch einerseits die detaillierte Projektdarstellung (bspw. wer- den die Sportmöglichkeiten für Mädchen besonders aufgeführt), zum anderen die Tatsache, daß Zwirn kurze Zeit später unter vollem Namen für die Bauwelt schreibt. Wahrscheinlich markiert dieser Artikel den Übergang von der mehrjährigen Angestell- tentätigkeit zur Freiberuflichkeit. 475 Fritz Spannagel (1891-1958) war 1932 Di- rektor der Höheren Fachschule der Stadt Berlin für Möbelbau und Innenarchitektur. 476 Der Eintrag im Branchenfernsprechbuch er- scheint letztmalig 1936. Der Eintrag im Fernsprechbuch mit dem Zusatz „Architek- tin" läßt sich 1939 letztmalig nachweisen. 477 Gedenkbuch Berlin: Selma Zwirn, Freitod, Sächsische Str.9, Wilmersdorf Wohnlaube für eine Familie mit mehreren Kindern, gezeigt auf der „Berliner Sommerschau”, 1932 Luise Seitz 1977 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Abkürzungen AAKW Archiv der Akademie für Angewandte Kunst Wien Abb. Abbildung(en) ADGB Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund AdKB Akademie der Künste Berlin AdKBK Archiv der Akademie der Künste Berlin Abteilung Baukunst AdKS Archiv der Akademie er Künste, Schriftstellerarchiv A.I.A. American Institute of Architects AIV Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin, Nachfolger des AVB ASSO Assoziation revolutionärer bildender Künstler AVB Architektenverein zu Berlin B.A. Bachelor of Arts BArchB Bundesarchiv Koblenz/ Außenstelle Berlin-Lichterfelde BBK Bund Berliner Künstler BDA Bund Deutscher Architekten BDF Bund deutscher Frauenvereine BdT Bund Deutscher Techniker BGB Bürgerliches Gesetzbuch BHAB Bauhaus Archiv e.V. Berlin BHD Bauhaus Schriftenarchiv Dessau B.S. Bachelor of Science BUGRA Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Grafik, Leipzig 1914 BUSB Berlin und seine Bauten CDU Christlich Demokratische Union CIAM Congres International d´Architecture Moderne DAAD Deutscher Akademischer Austauschdienst dab Deutscher Akademikerinnenbund DAF Deutsche Arbeitsfront DAM Deutsches Architekturmuseum Frankfurt/Main DBA Deutsche Bauausstellung DBZ Deutsche Bauzeitung DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft DLC Deutscher Lyzeumclub DWB Deutscher Werkbund EKD Evangelische Kirche in Deutschland EMK Einwohnermeldekartei Berlin FGS Frauengewerbeschule FN Fußnote Gagfah Gemeinnützige Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten GBI (Büro des) Generalbauinspektor(s) der Reichshauptstadt GDI Gesellschaft Deutscher Ingenieurinnen GET Getty-Center for the Arts and the Humanities, Santa Monica GSP Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz HBO Hogere Beroepsopleidig HdKA Archiv der Hochschule der Künste Berlin HfBK Hochschule für Bildende Künste HGS Handels- und Gewerbeschule HTA Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Kunstbibliothek Berlin, Heinrich- Tessenow-Archiv HTG Heinrich-Tessenow-Gesellschaft e.V. HWS Handwerkerschule IAH Internationale Arbeiter-Hilfe IAWA International Archive of Women in Architecture, Blacksburg/Virginia IRA Internationale Raumausstellung, Köln 1931 JRF Jewish Research Foundation, New York KDAJ Kommunistische deutsche Arbeiterjugend KGS Kunstgewerbeschule KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPÖ Kommunistische Partei Österreichs LAB Landesarchiv Berlin LKK Luftkreiskommando LL Lebenslauf LRIBA Royal Institute of British Architects MA8 Einwohnermeldeamt der Stadt Wien, Magistratsabteilung 8 MRP Meisterratsprotokoll M.S. Master of Science NAI Nederlands Architectur Institut, Rotterdam NL Nachlass NSBdT Nationalsozialistischer Bund deutscher Techniker NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSDStB Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund (gegr. 1926) NSF Nationalsozialistischer Frauenverband N.S.K. Nationalsozialistischer Kurier NSV Nationalsozialistische Volkswohlfahrt PA Personalakte Pg./Pgn. Parteigenosse/Parteigenossin der NSDAP RFG Reichsforschungsgesellschaft für die Wirtschaftlichkeit im Wohnungswesen RDH Reichsverband Deutscher Hausfrauenvereine RFF Reichsfrauenführung RKK Reichskulturkammer, resp. RKK-Aktenbestände im Bundesarchiv RSK Reichsschrifttumskammer RvBK Reichsvereinigung Bildender Künstler SBW Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Staatliches Bauhaus Weimar, Sign. Bl. SIAC Societé Internationale des Artistes Catholiques SPÖ Sozialdemokratische Partei Österreichs STABI Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin TH Technische Hochschule TU Technische Universität UAM Union d´Architectes Modernes UIFA Union Internationale des Femmes Architectes VBK Verein der Berliner Künstlerinnen VDAI Verein deutscher Architekten und Ingenieure VDI Verein deutscher Ingenieure VdT Verein deutscher Technik(er) VLG Vereinigte Lausitzer Glaswerke (mit Sitz in Weiswasser) VHS Volkshochschule VS Vereinigte Staatsschulen Berlin WKS Werkkunstschule WPA Work Progress Art Program ZV Zentralvereinigung der Architekten Österreichs Verzeichnis der Gespräche und Interviews Interview mit Gerda Bijhouwer am 4.10.1995 in Wageningen-Hoog Gespräch mit Dipl.Ing. Lieselotte Boedeker am 16.10.1995 in Tübingen Gespräch mit Christa Carras-Mory am 29.1.1998 in Berlin Telefonat mit Dipl.Ing. Iwanka Hahn am 8.8.1998 Gespräch mit Emil Bert Hartwig am 27.8.1995 in Freinsheim Gespräch mit Prof. Hubert Hoffmann am 28.10.1995 in Berlin Telefonat mit Dipl.Ing. Christa Kleffner-Dirxen am 19.1.1998 Gespräch mit Ella Kreher am 25.3.1998 in Hoorn Telefonat mit Dipl.Ing. Klara Küster am 9.8.1997 Interview mit Sibylle Lehmann am 23.9.1995 in Berlin Interview mit Dipl.Arch. Annamaria Mauck am 17.11.1995 in München Interview mit Prof. Grete Meyer-Ehler am 1.7.1998 in Berlin Telefonate mit Dipl.Ing. Ewa Oesterlen im November 1997 Interview mit Dr.Ing. Hildegard Oswald am 14.10.1997 in Berlin Interview mit Dipl.Arch. Hilde Reiss, Oktober 1995, Gespräche am 10.3.1997 und 10.9.1998 Gespräch mit Prof. Clemens Weber, Oktober 1995 in München Interview mit Eva Weininger am 2.12.1995 in New York 414 Abkürzungen Literaturauswahl Adler, Leo Vom Wesen der Baukunst, Leipzig, 1926 ders. Neuzeitliche Miethäuser und Siedlungen, Berlin, 1931 Albisetti, James Schooling German Girls and Women: Secondary and Higher Education in the Nineteenth Century, Princeton, 1988; Allmayer-Beck, Renate / Susanne Baumgartner-Haindl / Marion Lindner-Gross / Christine Zwingl Margarete Schütte-Lihotzky, Soziale Architektur - Zeitzeugin eines Jahrhunderts, Wien, 1993 Arndt, Konstanze Weiß, Rein, Klar, Hygienevorstellungen des Neuen Bauens und ihre soziale Vermittlung durch die Frau, Arbeitsberichte des FB 13, GHKassel, Heft 114, Kassel, 1994 Arnold, Peter Vom Sofakissen zum Städtebau, Die Geschichte der Deut- schen Werkstätten und der Gartenstadt Hellerau, Dresden, 1994 Bäumer, Gertrud Krisis des Frauenstudiums, Leipzig, 1932 Bánki, Esther Die “Bauhäuslerin” Zsuzska Bánki 1912-1942, Diplomarbeit am Institut für neuere Kunstgeschichte der Literaturfakultät der Katholieke Universiteit Nijmegen, 1990 Barron, Stephanie / Sabine Eckmann (Hg.) Exil. 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