Von „weiblichen Vollmenschen“ und Klassenkämpferinnen – Frauengeschichte und Frauenleitbilder in der proletarischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ (1891-1923) Inaugural-Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften (Fachgebiet Geschichte) der Universität Kassel vorgelegt von: Mirjam Sachse Erster Gutachter: Prof. Dr. Jens Flemming Zweiter Gutachter: Prof. Dr. Hans-Joachim Bieber Datum der Disputation: 03.02.2010 Dank An dieser Stelle möchte ich all jenen Menschen herzlich danken, die maßgeblich zur Entstehung dieser Dissertation beigetragen haben. Ich danke Prof. Dr. Jens Flemming und Prof. Dr. Hans-Joachim Bieber für ihre fachkompetenten Ratschläge und ihre „doktorväterliche“ Geduld. Die Rosa Luxemburg Stiftung hat durch das mir bewilligte Stipendium mehr als nur die finanzielle Grundlage für die Durchführung dieser Dissertation geschaffen. Die fachlichen Diskussionen und Vernetzungen, die ich der ideellen Förderung der Stiftung und ihren MitarbeiterInnen und VertrauensdozentInnen verdanke, gaben solidarischen Rückhalt für die Durchführung meines Forschungsvorhabens und lassen hoffen, dass die Auseinandersetzung mit unserer Gesellschaft und unserer Geschichte nie ihre linke Perspektive verlieren wird. Meinen ehemaligen Kolleginnen in der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung danke ich für ihre mehr als kollegiale Unterstützung bei Recherche und Spurensuche nach dem weiblichen Geschichtsbewusstsein, dessen kompetente Sachwalterinnen sie sind. Ich danke besonders meinen lieben Eltern und Geschwistern für ihre ermutigenden Worte und offenen Ohren während der letzten fordernden wie förderlichen Jahre. Meinen langjährigen Freunden und Freundinnen in Kassel und München danke ich für ihre drängende Ungeduld, für ihre piesackenden Fragen, für all das, was Freundschaft ausmacht und noch mehr. Sie sind in meinen Augen die „GeburtshelferInnen“ dieser Dissertation und dürfen nicht ungenannt bleiben: Alexandra Volk, Anett Steinbrecher, Bianka Bux, Joachim Prokscha, Jochen Staufer, Karin Koch-Bolender, Klaus Steinbock, Martin Norwig, Peter Tewes, Sabine Schindler, Thomas Schindler, Torsten Bolender, Wolfram Haupt und Jürgen Lachmann. Danke! 3 Inhaltsverzeichnis Einleitung ..................................................................................................................................9 1 „Nicht auf Sand gebaut“ – Politische Frauenorganisation und -presse in Deutschland 1848 bis 1891 ..........................37 1.1 Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich .................37 1.1.1 Die Revolution von 1848 – Wurzel der deutschen Frauenbewegung ..................37 1.1.1 Der Beginn des „Hüben und Drüben“ von proletarischer und bürgerlicher Frauenbewegung – Die Anfänge des Frauenvereinswesens in den 1860er Jahren ...........................41 1.1.2 Frauenagitation ist sozialistische Agitation – Die proletarische Frauen- bewegung als Teil der Arbeiterbewegung ............................................................52 1.2 Die erste deutsche Frauenzeitschrift: Die „Frauen-Zeitung“ (1849-1852) .................................................................................59 1.3 Die erste proletarische Frauenzeitschrift: „Die Staatsbürgerin“ (3. Januar 1886-13. Juni 1886) ......................................................65 1.4 Die erste sozialdemokratische Frauenzeitschrift: „Die Arbeiterin“ (1890-1891) ..........................................................................................77 2 Die erste sozialistische Frauenzeitschrift Deutschlands: „Die Gleichheit“ (1891-1923) .................................................................................................87 2.1 Zwischen Kontinuität und Neubeginn – Gründung und Zielsetzung der „Gleichheit“ ................................................................87 2.2 Amt oder Meinung? – Die Redaktionen der „Gleichheit“ ................................................................................97 2.2.1 Die „Ära Zetkin“ und der Erste Weltkrieg ...........................................................97 2.2.2 Der Erste Weltkrieg, die Entlassung Zetkins im Mai 1917 und der Zielsetzungswandel der „Gleichheit“.....................................................115 2.2.3 Die Redakteurinnen der „neuen“ „Gleichheit“...................................................130 2.3 „Für die ‘Gleichheit’ mit der Feder tätig“ – Die MitarbeiterInnen der „Gleichheit“ .......................................................................141 2.3.1 Die MitarbeiterInnen Zetkins .............................................................................141 2.3.2 Die MitarbeiterInnen der neuen Redaktion ........................................................159 2.3.3 Die „Gleichheit“ als Organ der Sozialistischen Fraueninternationale und ihre internationalen Korrespondentinnen ....................................................178 5 2.4 In Fraktur und Quartformat – Preis, Umfang, Erscheinungsweise, Erscheinungsbild, Verlag, Struktur und Inhalte der „Gleichheit“ ..........................................................................................191 2.4.1 Erscheinungsweise, Seitenumfang und Preis .....................................................191 2.4.2 Verlag und Finanzierung ....................................................................................196 2.4.3 Erscheinungsbild ................................................................................................200 2.4.4 Werbung .............................................................................................................204 2.4.5 Leitartikel, Artikel und Rubriken .......................................................................206 2.4.6 Feuilleton und Beilagen .....................................................................................217 2.5 Kein Blatt der Massen?! – Zur Frage der Rezeption der „Gleichheit“ ..................................................................233 3 Zwischen Feuilleton und Wissenschaft – Frauengeschichte, Frauenleitbilder und Frauenbiographien in der „Gleichheit“..................................................................................243 3.1 Geschichte in der „Gleichheit“.......................................................................................243 3.2 Frauengeschichte in der „Gleichheit“.............................................................................253 3.3 Frauenleitbilder in der „Gleichheit“...............................................................................289 3.3.1 Was ist ein Leitbild – wie wird es konstruiert und welche Funktion erfüllt es?.................................289 3.3.2 Die sozialistische Frauenemanzipationstheorie, proletarische Frauen- leitbilder und die moderne Kritik daran..............................................................292 3.3.3 Frauenleitbilder in der „Gleichheit“....................................................................299 3.4 Frauenbiographien in der „Gleichheit“...........................................................................307 4 Zusammenstellung der in der „Gleichheit“ enthaltenen Frauenbiographien, Jubiläumsartikel und Nekrologe – Interpretative Analyse ihrer Leitbildfunktionen ............315 4.1 „[…] mit warmem Herzen, klarem Geist und starkem Wollen“ – Der „weibliche Vollmensch“ als elementares Leitbild sozialistischer Frauenbildung ................................................................................................................315 4.1.1 Zum Frauenleitbild des „weiblichen Vollmenschen“..........................................315 4.1.2 Gelehrte und kulturschaffende Frauen ...............................................................324 4.1.3 Frauen der Französischen Revolution ................................................................346 4.1.4 Deutsche Freiheitskämpferinnen und Demokratinnen .......................................362 4.1.5 Frauen „von sozialistischer Gesinnung“ ............................................................387 6 4.2 „[…] wie Mutterdenken, Mutterempfinden, Mutterhandeln […] der ganzen Menschheit […] zum Segen werden kann“ – Die Mutter der sozialistischen Zukunft .....................................................................407 4.2.1 Zum Frauenleitbild der sozialistischen Mutter und der „Mütterlichkeit“...........407 4.2.2 Die erzogene Erzieherin......................................................................................422 4.3 „Genossin seiner Ideale“ – Die Ehefrau als Lebens-, Arbeits- und Kampfgefährtin ............................................437 4.3.1 Zum Leitbild der sozialistischen Ehefrau............................................................437 4.3.2 Die Genossin seiner geistigen Ideale .................................................................448 4.3.3 Die Genossin seines Kampfes – die Ehefrauen der 1848er-Revolutionäre ........455 4.3.4 Die Genossinnen führender Genossen ...............................................................469 4.4 „[…] eine Kühnheit des Geistes, eine Kraft des Willens, eine Reinheit der Gesinnung und Größe der Opferfreudigkeit […]“ – Die Klassenkämpferin ................................................................................................487 4.4.1 Zum Frauenleitbild der „Klassenkämpferin“......................................................487 4.4.2 Revolution oder Terror?! – Die Klassenkämpferinnen Russlands .....................500 4.4.3 Zwei Kämpferinnen der Pariser Kommune .......................................................522 4.4.4 Kämpferinnen der ersten Stunde – Engagierte Proletarierinnen unter dem Sozialistengesetz ................................................................................................533 4.4.4.1 Sympathisantinnen und „Parteikleinarbeit“ leistende Mitglieder .......533 4.4.4.2 Risikoträgerinnen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung und Pionierinnen der frühen proletarischen Frauenbewegung ............539 4.4.5 Organisierte Genossinnen – Die Stützen der proletarischen Frauenbewegung ............................................565 4.4.6 „[J]unge[…] Frauchen“ – Die junge Generation engagierter Proletarierinnen ..576 4.4.7 In erster Reihe – Führerinnen der deutschen proletarischen Frauen- bewegung und Mitarbeiterinnen der „Gleichheit“ .............................................582 4.4.8 Internationale Genossinnen im Klassenkampf ...................................................625 4.4.8.1 Österreich ............................................................................................625 4.4.8.2 Dänemark ............................................................................................627 4.4.8.3 Niederlande .........................................................................................628 4.4.8.4 Belgien ................................................................................................629 4.4.8.5 Schweiz ...............................................................................................631 4.4.8.6 Italien ...................................................................................................633 4.4.8.7 Polen ....................................................................................................644 4.4.8.8 Großbritannien ....................................................................................646 4.4.8.9 USA .....................................................................................................652 4.4.8.10 Südafrika .............................................................................................666 7 4.5 Leitbild ohne historische Vorbilder? – Zum Frauenleitbild der Republikanerin............667 4.6 „[…] reich an Mitgefühl und Hilfsbereitschaft gegenüber fremdem Leid, reich an Bürgersinn und Bürgertugend, stark in der Pflichttreue[…]“ – Die Ausnahmeerscheinungen bürgerlicher Frauenrechtelei ......................................689 5 Zusammenfassung .................................................................................................................705 6 Literatur .................................................................................................................................721 6.1 Fachliteratur ...................................................................................................................721 6.1.1 Aufsätze, Sammelwerke, Quellensammlungen und Monographien...................721 6.1.2 Nachschlagewerke / Bibliographien / Datenbanken...........................................741 6.1.3 Protokolle ...........................................................................................................743 6.1.4 Graue Literatur ...................................................................................................746 6.1.5 Zeitschriften........................................................................................................748 6.2 Biographische Literatur .................................................................................................753 6.2.1 Für die biographische Recherche verwendete Monographien, Nachschlage-, Sammelwerke und Datenbanken.................................................753 6.2.2 Auto-/Biographische Arbeiten und Aufsätze zu den „Gleichheit“- MitarbeiterInnen..................................................................................................758 6.3 Die frauenbiographischen Artikel aus dem Hauptblatt der „Gleichheit“.......................773 6.1 Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der „Gleichheit“...........................787 7 Anhang.....................................................................................................................................III 7.1 Gedichtauswahl..................................................................................................................V 7.2 Tabellen.....................................................................................................................XXVII 7.3 Bildmaterial....................................................................................................................XLI 7.3.1 Titelblätter der „Frauen-Zeitung“, „Staatsbürgerin“, „Arbeiterin“ und „Gleichheit“.................................................................................................XLI 7.3.2 Porträt- und Szenenbilder aus der „Gleichheit“..................................................LVI 7.3.3 Bildnachweis......................................................................................................LXI 8 Einleitung „Ihre Leistungen büßen dadurch nichts von ihrem Werthe ein, daß sie nicht vom Glorienschein des Großartigen und Ungewöhnlichen umstrahlt in die Augen fallen, daß sie nicht von Dichtern besungen, von Geschichtschreibern gepriesen werden.“1 Geschichte wird nicht von Frauen gemacht. Dies ist zumindest der Eindruck, den die etablierte Geschichtswissenschaft gerade durch viele ihrer Grundlagenwerke vermittelt. Die Frauengeschichte, die Geschichte des Frauenalltags und der Frauenbewegung bleibt dort nicht selten ausgespart. Schreibt ein Historiker wie Thomas Nipperdey in seinem Werk „Deutsche Geschichte 1800-1866“, dass die Auswirkungen der Frauenbewegung „in 50, in 100 Jahren Gesellschaft, Welt und Leben mehr als jede andere ‘Be- wegung’ verwandelt“2 hätten, so hat das durchaus Seltenheitswert. Das Gros der einschlägigen Sach- und Schulliteratur scheint dagegen diese Ansicht über die die Welt verändernde Be- deutung der Frauenbewegung nicht zu teilen.3 So verwundert es also nicht, dass sich die Frauen selbst auf die Suche nach ihrer Geschichte begeben mussten und dies bis heute tun. Seit nun fast 40 Jahren versucht die moderne Frauengeschichtsforschung der Vernachlässigung der Frauenperspektive in Wissenschaft und Öffentlichkeit entgegenzuarbeiten. Die Frauen- geschichtsforschung revidiert, korrigiert oder vervollständigt Geschichtsbilder und Wahrneh- mungen. Zudem ist sie es, von der die entscheidenden Impulse ausgehen, eine Geschichtsfor- schung jenseits der Mann-Frau-Dichotomie zu konstituieren, d. h. eine gleichberechtigte Ge- schichtsforschung der Geschlechter. Vorrangiges Ziel der Frauengeschichtsforschung muss es jedoch bleiben, das Leben bekannter und unbekannter Frauen der Vergangenheit zu rekon- struieren. Dies sind die entscheidenden Voraussetzungen, um die Bedeutung von Geschichte für das eigene Erleben zu erkennen, ein Erkenntnisprozess, an dessen Ende schließlich nicht nur ein weibliches Geschichtsbewusstsein stehen könnte, sondern ein konstitutiver Beitrag 1 Die Frauen und das Ausnahmegesetz. In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 164f., S. 165. Zur Zitation von Artikeln der historischen Frauenzeitschriften siehe: Unterpunkt „Quellmaterial und Zitation“. 2 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, S. 124. Zur Zitation: Innerhalb dieser Einleitung wird die noch vorzustellende zentrale Forschungsliteratur vollständig belegt. Im weiteren Verlauf wird wie folgt belegt: Nachname der AutorInnen, Kurztitel, Seitenzahl. Belegwiederholungen werden durch „ebd.“ gekennzeichnet und beziehen sich auf den letztgenannten Beleg. 3 Ob allgemeine Geschichtslexika wie der „dtv-Atlas zur Weltgeschichte“, Golo Manns 1958 verfasste „Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ oder die neueren Werke von Helmut M. Müller „Deutsche Geschichte in Schlaglichtern“ von 2004, Peter Zollings „Deutsche Geschichte 1871 bis zur Gegenwart. Wie Deutschland wurde, was es ist“ von 2005 oder Manfred Mais „Deutsche Geschichte“ von 2003: Zieht man diese Einführungsliteratur heran, um Grundsätzliches zur Geschichte der Frauenbewegung zu erfahren, ist die Enttäuschung groß. 9 EINLEITUNG weiblicher Identitätsbildung. Ruf bringt das Verhältnis von Geschichtsbewusstsein und Identität wie folgt auf den Punkt: „Die Geschichte der Frauen stellt sich uns als ein stetiger Kreislauf von Aufbruch und Verdrängung dar. Im Bewußtsein um die Mechanismen, die ihn bewegen, können sowohl Frauen als auch Männer an der Geschichte lernen und Folgerungen daraus ziehen. Das Sichtbarmachen von Frauen mit Hilfe der historischen Frauenforschung und damit die Aneignung von Geschichte, nicht zuletzt das selbstbewußte Inanspruchnehmen von Definitionsmacht ist ein Weg, Identität zu entwickeln. Identifikationsmöglichkeiten wiederum beheben die dominierende Geschichtslosigkeit der Frauen und schaffen Tradition – eine ‘weibliche Genealogie’ und ‘weibliche Autorität’.“4 Das Sichtbarmachen des weiblichen Anteils an Kultur und Geschichte, an Politik und Gesellschaft ist ein Sichtbarmachen von Macht- und Ohnmachtsverhältnissen aus vielerlei Perspektiven. Außerdem handelt es sich dabei keineswegs um einen Prozess, der erst unter dem feministischen Einfluss der „neuen“ Frauenbewegung und der Ereignisse des Jahres 1968 begann. Seine Wurzeln gründen bereits sowohl in den von Frauen verfassten Schriften des Mittelalters5 als auch be- sonders in der „alten“ Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts. Sind es auch 100 Jahre, die die „neue“ von der „alten“ Frauenbewegung trennen, weisen ihre Entwicklung und ihre Probleme doch erstaunliche und viel sagende Parallelen auf. Jeweils aus autonomen Frauenprojekten hervorgegangen, stehen beide Bewegungen und ihr Kampf um die politische, soziale und rechtliche Gleichberechtigung für ein „Trotz allem“. Dieses Ringen und Widerstehen manifestiert sich sowohl in den Erlebnissen und Erfahrungen einzelner Frauen als auch in der Entwicklungsgeschichte einzelner Frauenorganisationen. Der Schritt in die politische Öffentlichkeit bedeutete für Frauen den Bruch mit den gesellschaftlichen Normen. Diesem folgten wiederum meist negative Sanktionen in Form öffentlicher und rechtlicher Diskriminierung. Die politisch aktiven Frauen des 19. Jahrhunderts versuchten, aus dieser Not eine Tugend zu machen, indem sie sich die von Männern auch heute noch oft belächelten eigenen Räume, eigenen Netzwerke und vor allem eigenen Publikationsmöglichkeiten schufen. Auf diese Weise leisteten sie inneren wie auch öffentlichen Widerstand. Ein wichtiger Teil dieses Widerstandes war die Suche nach der eigenen Geschichte. Heute, wie auch im 19. Jahrhundert, sind es deshalb vor allem Frauenzeitschriften, die – meist als Organe eines Frauenvereins entstanden – in ihren Inhalten und Strukturen das Selbstverständnis, die Probleme und Problemlösungen „bewegter“ Frauen am besten widerspiegeln.6 Die 4 Ruf, Bildung hat (k)ein Geschlecht, S. 25. 5 In ihrer 1405 verfassten Schrift „Das Buch von der Stadt der Frauen“ beschreibt z. B. Christine de Pisan (um 1364-um 1430) nicht nur das Frauenleben und das Frauenbild des Mittelalters, sondern stärkt auch das Selbstbewusstsein der Frauen ihrer Zeit. 6 So ist auch die seit 1977 von Alice Schwarzer herausgegebene „Emma“ (1977-aktuell) eine feste Größe der 10 EINLEITUNG Frauenzeitschriften der „alten“ Frauenbewegung sind zudem Medien in zweifacher Hinsicht. Damals waren sie aktuelle Presseorgane einer zeitgenössischen Öffentlichkeit, heute sind sie wissenschaftliche Quellen und Archivalien. Als aktuelle Presseorgane beschrieben sie nicht nur die politischen Entwicklungen des deutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik und wie diese Zeit zwischen demokratischem Aufbruch und konservativer Repression hin und her pendelte, sondern forschten auch nach dem weiblichen Anteil an Geschichte. Zwar sind die Methoden und Ergebnisse nicht mit denen moderner Frauengeschichtsforschung vergleichbar, doch handelt es sich trotzdem um geschichtliche Aufklärungsarbeit. Diese Aufklärungsarbeit stellte sich in den Dienst der Emanzipation der Frau und war damit eindeutig politisch intendiert. Allein die Gründung einer Frauenzeitschrift war und ist ein politisches Votum, ihre konkrete politische Ausrichtung macht sich jedoch an ihren Inhalten fest. Selbst so genannte „unpolitische“ Frauen- und Familienzeitschriften betrieben Politik. Sie taten dies in mehr oder weniger subtiler Weise und durch Vermittlung eines meist konservativen Frauenbildes. Dagegen bekannten sich politische Frauenzeitschriften meist offen zu einer reformorientierten Strömung oder sogar zu einer politischen Partei. Besonders das vermittelte Geschichtsbild spiegelt den jeweiligen politischen Standort einer Frauenzeitschrift wider. Die Auswahl historischer Themen und historischer Biographien, die Art ihrer Darstellung und Interpretation einer von Frauen und für Frauen gemachten Zeitschrift gibt aufschlussreiche Einblicke in die Theorie und Praxis politischer Frauenbildung. Der gezielten politischen Frauenbildung und Vermittlung eines weiblichen Geschichts- bewusstseins hatte sich während des deutschen Kaiserreichs vor allem eine Frauenzeitschrift verschrieben: „Die Gleichheit“ (1891-1923)7. Mit der „Gleichheit“ wird eine Frauenzeitschrift im Mittelpunkt dieser Dissertation stehen, deren historische Bedeutung immens und sehr viel- schichtig ist: Sie war Presseorgan der organisierten proletarischen8 Frauenbewegung Deutsch- lands, wurde 1901 offiziell parteieigenes Frauenorgan der deutschen Sozialdemokratie und 1907 das Organ der Sozialistischen Fraueninternationale9. Vorrangig wollte sie aber laut ihres Untertitels eines sein: „Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen“. Ihre Themen waren die öffentlichen Meinung, deren Bedeutung nicht unbedingt an einer Auflage von „nur“ 60.000 Exemplaren gemessen werden kann. 7 Die Hervorhebung von Personennamen wird in dem Unterpunkt „Quellmaterial und Zitation“ erläutert. 8 Der Begriff „proletarisch“ oder „Proletariat“ wird hier allgemein für Aspekte und Mitglieder der Arbeiterklasse verwendet. Gleiches gilt für den Begriff „Proletarierin“, der allgemein eine Frau der Arbeiterklasse bezeichnet. Hinsichtlich besonderer Zusammenhänge wird es dagegen geboten sein, zwischen in „Arbeiterin“ und „Arbeiter- frau“, „Sozialdemokratin“ und „Sozialistin“ oder „sozialdemokratisch“ und „sozialistisch“ zu unterscheiden. 9 Die Literatur weist verschiedene Bezeichnungen für die Kongresse dieser internationalen Institution auf („Inter- nationale Konferenz sozialistischer Frauen“, „Internationale sozialistische Frauenkonferenz“). In der vorliegenden Arbeit wird die Bezeichnung „Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale“ verwendet. 11 EINLEITUNG Lebenswelt(en) der deutschen Proletarierinnen, deren Erfahrungen mit Gewalt, Unterdrückung und Ohnmacht – sowohl innerhalb ihrer eigenen Familie als auch innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Nur allzu gerne verschloss die bürgerliche Öffentlichkeit die Augen vor den harten und ungerechten Lebensumständen der Arbeiterfamilien und den Belastungen, die deren weibliche Mitglieder zu tragen und zu ertragen hatten. Der „Gleichheit“ und ihrer Redaktion war der Name Programm. Mit ihm stellte sie die Forderung nach Gleichberechtigung in den Mittelpunkt. Eine Forderung, die sie zwar mit bürgerlichen Frauen, deren Organisationen und Zeitschriften gemeinsam hatte, die sie aber in bestimmter Hinsicht auch von jenen trennte. Sahen manche Frauen des bürgerlichen Lagers genug Möglichkeiten, im Rahmen des bestehenden Gesellschaftssystems ihre Gleichberechtigung zu erlangen, erkannten andere die Ursache der Unterdrückung der Frauen in der kapitalistischen Ordnung selbst begründet. Eine Verbesserung der Lage der Frauen konnte für sie daher folgerichtig nur aus der Überwindung einer Gesellschaftsordnung resultieren, welche prinzipiell auf der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen basiert. Forschungsinteresse Die „Gleichheit“ ist ein Forschungsgegenstand, in dem sich sowohl Frauen-, Organisations-, Parteien- und Theoriengeschichte wie auch Presse- und Alltagsgeschichte in einer sehr intensiven Wechselbeziehung miteinander verbinden, eine Wechselbeziehung, die einerseits die große Bedeutung der „Gleichheit“, andererseits ihre sträfliche Vernachlässigung durch die aktuelle Geschichtswissenschaft erklärt: Von der etablierten Geschichtswissenschaft stiefmütterlich behandelt, weil sie eine Frauenzeitschrift ist, findet sie wiederum als SPD-Zeitschrift wenig Beachtung innerhalb der Frauengeschichtsforschung.10 Selbst in vielen Darstellungen zur SPD- Geschichte wird die „Gleichheit“ nicht einmal namentlich erwähnt.11 In denjenigen 10 Das Spektrum aktueller Veröffentlichungen vermittelt den Eindruck, dass der Erforschung der bürgerlichen Frauenbewegung ein deutlicher Vorrang gegeben wird. Teilweise wird der proletarischen Frauenbewegung, die den Weg des gemeinsam mit den Männern geführten Klassenkampfes wählte, der Charakter einer Frauenbewegung und damit ihre Relevanz für den Forschungsbereich der Frauengeschichte abgesprochen (vgl. Hamm-Brücher, Seit 70 Jahren Abschied vom Männerwahlrecht, S. 35). Diesem Standpunkt widerspricht Gerhard sehr treffend in ihrer Arbeit „Unerhört“: „Die Stimmen, die der proletarischen Frauenbewegung jegliche Zugehörigkeit zur Frauenbewegung absprechen, verkennen, wieviel Frauenbewußtsein und -solidarität, spezifisch Frauenpolitisches durch die besondere Organisierung von Fraueninteressen innerhalb der SPD und auch der Gewerkschaften möglich wurde. Davon zeugen besonders ‘Die Gleichheit’, aber auch die seit 1900 regelmäßig stattfindenden Frauenkonferenzen, nicht zuletzt der 1911 zum erstenmal weltweit veranstaltete Internationale Frauentag.“ (Gerhard, Unerhört, S. 199f.; vgl. auch Borneman, Vorwort des Herausgebers, S. 40f.) Auch Grundlagenwerke wie das „Wörterbuch Geschichte“ ignorieren unter dem Schlagwort „Frauenbewegung, Frauenemanzipation“ die proletarische Frauenbewegung völlig (vgl. Fuchs/Raab: Wörterbuch Geschichte, S. 256f.). Ganz anders dagegen ein von Asendorf verfasster Artikel, in dem trotz der gebotenen Kürze bürgerliche und proletarische Frauenbewegung gewürdigt werden (vgl. Asendorf/Flemming/Müller/Ullrich, Geschichte. Lexikon der wissenschaftlichen Grundbegriffe, S. 187-191). 11 In den Nachschlagewerken ihrer Zeit wie z. B. „Sperlings Zeitschriften-Adressbuch“ wird die „Gleichheit“ nicht 12 EINLEITUNG Forschungsarbeiten, die schließlich den Wert der 33 Jahrgänge der „Gleichheit“ als einzigartiges Quellenmaterial erkannten, wird sie selbst jedoch kaum zum Gegenstand einer umfassenden publizistischen Analyse gemacht. Das vorrangige Forschungsinteresse dieser Dissertation wird es daher sein, die „Gleichheit“ – in erster Linie ihr Hauptblatt –, die an ihr beteiligten Personen, ihre Strukturen und ihr Selbst- verständnis möglichst detailliert und anhand publizistischer Kriterien darzustellen. Ein weiteres Forschungsinteresse besteht in der Untersuchung der „Gleichheit“ als einem Medium weiblichen Geschichtsbewusstseins. Welche frauengeschichtlichen Inhalte, Frauenbiographien und schließlich Frauenleitbilder finden sich in ihren Artikeln? Welche Rolle spielte die sozialis- tische Geschichtsauffassung bei der Vermittlung dieser Frauenleitbilder? Welche Auswirkungen hatte u. a. der Redaktionswechsel 1917 auf die Art der Darstellung und die Auswahl der Beiträge? Im Folgenden werden die grundsätzliche Relevanz dieser beiden Forschungsinteressen und die Definitionen zentraler Begrifflichkeiten in größerem Zusammenhang dargestellt. Die „Gleichheit“ als Gegenstand einer pressegeschichtlichen Darstellung Im 19. Jahrhundert waren Zeitungen und Zeitschriften die Medien mit der höchsten Aktualität und dem größten Wirkungsgrad – Radio und Kino befanden sich dagegen noch in den Anfängen ihrer massenwirksamen Entwicklung. Allerdings beobachteten und kommentierten Presseorgane als Spiegel des so genannten Zeitgeistes nicht nur die herrschenden gesellschaftlichen Strukturen und Strömungen. Sie waren zudem Foren verschiedener avantgardistischer Bewegungen und hatten als solche eine wichtige orientierende Funktion – eine Eigenschaft, die hinsichtlich der zu unter- suchenden Frauenleitbilder noch eine besondere Rolle spielen wird. Kaum eine andere schriftliche Quelle vermochte die öffentliche Meinung so unmittelbar darzustellen wie die Presse – sie ent- steht sprichwörtlich „am Puls der Zeit“. Dieser Umstand macht sie auch jenseits eines rein publizistischen Interesses zu einem ganz besonderen Forschungsobjekt. Der Schriftsteller, Philo- loge und Literaturhistoriker Robert Eduard Prutz unterstreicht den besonderen Wert dieses Mediums mit großer Emphase und den folgenden Worten: „Wir treten, indem wir uns in die vergelbten Jahrgänge alter Zeitungen vertiefen, wie in eine Totenstadt, ein anderes Pompeji, in welchem wir ein längst entschwundenes Geschlecht plötzlich, als ob wir das Rad der Zeit zurückbewegen könnten, in der ganzen Unmittelbarkeit seines täglichen Daseins, im Innersten seiner häuslichen Zustände überraschen. Und wie man aus dem verschütteten als Frauenzeitschrift geführt, sondern in der Rubrik „Rechts- und Staatswissenschaften, Politik, Sozialpolitik, Statistik, Volkswirtschaft und öffentliche Wohlfahrt“ (vgl. Sperlings Zeitschriften-Adressbuch. Adressbuch der hervorragenden politischen Tagesblätter Deutschlands, Oesterreichs und der Schweiz. Hand- und Jahrbuch der deutschen Presse. Stuttgart: H.O. Sperling, 41. Jg. (1902)). 13 EINLEITUNG Pompeji Urnen und Salbgefäße ausgegraben hat, die selbst den Duft ihres Inhalts, das Arom ihrer Kostbarkeiten erhalten hatten: so weht auch aus den aufgedeckten Schachten des Journalismus uns jenes wundersame Lüftchen an, das die eigent- liche Lebenslust jeder historischen That, der lebendige Athem jedes bedeutenden Ereignisses ist – jene Luft, ohne deren reinigenden Hauch der Horizont des Ge- schichtschreibers ewig bewölkt bleibt, und die doch in unserer eigenen Gegenwart von so Vielen so leicht verkannt wird: die öffentliche Meinung vergangener Jahr- hunderte, die hier (und hier allein) ihre wandelbare Erscheinung befestigt hat.“12 Alte Zeitungen und Zeitschriften haben innerhalb der Geschichtsschreibung demnach die Bedeutung wieder entdeckter Schätze. Aus ihnen sprudelt, wie aus keinen anderen Quellen, das Leben vergangener, sich wandelnder Zeiten. Zudem reflektieren sie diesen Zeitenwandel in einem Maße, wie es monographischen Zeugnissen nicht möglich ist, da diese einer weniger steten öffentlichen Kritik ausgesetzt sind. Unweigerlich stellt sich daher die Frage, warum alten Zeitungen und Zeitschriften trotz ihres Forschungswertes so wenig Beachtung innerhalb der Geschichtsschreibung zuteil wird. Pragmatisch betrachtet könnte ein Grund dafür in den umfangreichen Untersuchungen liegen, die für die sorgfältige Erfassung der organisatorischen Hintergründe und Strukturen unabdingbar sind. Allein die Tatsache, dass der Erscheinungszeitraum einer Zeitung durchaus über mehrere Jahrzehnte und die redaktionelle und personelle Organisation entsprechend wechselhaft verlaufen kann, birgt eine kaum überschaubare Quantität an Informationen und damit wiederum eine aufwändige Recherche- und Gliederungsarbeit. Es wäre z. B. eine unzulässige Vereinfachung, wenn der Eindruck vermittelt würde, dass eine Zeitschrift sich quasi selbst schreibt – eine Zeitung wird stets gemacht. Wandlungen ihres Erscheinungsbildes, ihres Umfanges, ihrer editorischen und personellen Strukturen sind nicht nur Ausdruck einer aktuellen Mode, sondern auch entscheidender gesellschaftspolitischer und persönlicher Konflikte. Gerade diese sind es, die einer umfangreichen Erforschung und Interpretation nicht nur würdig sind, sondern dieser auch bedürfen. Schlussendlich sind es wohl derartige Erschwernisse, die Anteil an dem Dilemma haben, wie es bereits für die „Gleichheit“ festgestellt wurde: Pressemedien sind häufig Quellen, aber selten Gegenstand historischer Forschung. Nun war die „Gleichheit“ jedoch keine Zeitung. Sie war auch nicht nur eine Zeitschrift oder poli- tische Zeitschrift. Sie war eine politische Frauenzeitschrift. Die Besonderheiten, die sich hinter diesen publizistischen Kategorien verbergen, machen eine Erörterung des Begriffs der Zeitschrift und des Begriffs der politischen Zeitschrift im Speziellen unverzichtbar, welche deshalb an dieser 12 Prutz, Geschichte des deutschen Journalismus, S. 7f. Prutz verfasste mit diesem Werk die erste, wenn auch unvollendet gebliebene „Geschichte des Journalismus“. Vgl. auch: Lewin-Dorsch: Aus alten Zeitungen. In: GL, 21 (1911)/ „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 20/ 78-79. 14 EINLEITUNG Stelle kurz erfolgen soll. Nach dem von Haacke 1968 verfassten Grundlagenwerk „Die politische Zeitschrift“ sind folgende Kriterien für die Charakterisierung eines Presseorgans entscheidend: Kontinuität, Periodizität, Aktualität, Publizität, Universalität und Soziabilität.13 Eine Zeitschrift ist demnach als eine solche zu definieren, wenn sie – im Gegensatz zur täglich erscheinenden Zeitung – ein wöchentliches oder monatliches Erscheinen aufweist, weniger aktuell als vielmehr umfassend und vertiefend ist und sich auf einen bestimmten Leserkreis begrenzt. Hinsichtlich der hier im Mittelpunkt stehenden Frauenzeitschriften trifft Letzteres in besonderem Maße zu. Wenn sie aber auch durch die Begrenzung ihrer Leserkreise einerseits stark an Publizität und Universalität einbüßen, so stärken Frauenzeitschriften damit andererseits jedoch auch ihre Soziabilität, also ihre „gesell- schaftsfördernde, gruppenbildende, gemeinschaftsformende Kraft“14. Diese laut Haacke jeder Zeitschrift innewohnende Kraft steht nicht nur in direktem Bezug zum politischen Gehalt einer Zeitschrift und damit zur politischen Zeitschrift, sie verweist auch bereits auf den Charakter eines Leitbildes, wie er später noch näher erläutert werden wird. Eine politische Zeitschrift unterscheidet sich von anderen Zeitschriften vor allem darin, nicht nur informieren, sondern auch zu Diskussion und vor allem zu Aktion anregen zu wollen. Sie bemüht sich, ihre Leserschaft zu agitieren, d. h. im Sinne einer politischen Idee zu einem entsprechenden Handeln zu bewegen.15 Im Falle einer politischen Frauenzeitschrift des 19. Jahrhunderts ist diese politisierende Ziel- setzung viel grundsätzlicher gegeben als im Falle heutiger Frauenzeitschriften. Im deutschen Kaiserreich bedeutete bereits die Lektüre einer politischen Frauenzeitschrift eine Anteilnahme am öffentlichen Geschehen und damit einen Bruch mit dem gängigen konservativen Frauen(leit)bild. Dieses enthielt wiederum viele Argumente für das Bestreben, Frauen von Öffentlichkeit und Poli- tik fernzuhalten. Einen besonders noblen und fürsorglichen Eindruck machte man(n), wenn Politik generell als zu „schmutzig“ und unzumutbar für das reine weibliche Wesen deklariert wurde. Dem eigenen Ego konnte man(n) dagegen schmeicheln, erklärte man(n) Politik schlichtweg als zu 13 Vgl. Haacke, Wilmont: Die politische Zeitschrift 1665-1965, Bd. 1. Stuttgart: K.F. Koehler, 1968, S. 37-40. Die einzige von Haacke untersuchte Frauenzeitschrift ist allerdings die von Helene Lange (1848-1930) und Gertrud Bäumer (1873-1954) herausgegebene bürgerliche „Die Frau“ (1893-1944) (vgl. Haacke, Die politische Zeitschrift, Bd. 2, S. 267ff.). 14 Haacke, Die politische Zeitschrift, Bd. 1, S. 40. 15 Kinnebrock verweist hier auf Franz Ronneberger, der die Funktion einer politischen Zeitschrift darin sieht, „eine ‘qualifizierte’ Öffentlichkeit herzustellen, die ‘nicht nur passiv konsumiert, sondern auch diskutiert und agiert’, sodass sich neue (politische) Ideen entwickeln können“ (Ronneberger, Franz: Kommunikationspolitik III. Kommunikationspolitik als Medienpolitik. Mainz: v. Hase & Koehler, 1986, S. 50f. Zit. nach: Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk!?, S. 158). Im Folgenden wird der Begriff der „Agitation“ im selben positiven Wortsinn gebraucht wie es die „Gleichheit“ tat, d. h. im Sinne einer „politischen Aufklärungsarbeit“ und nicht einer „politischen Hetze“ (vgl. Wahrig. Deutsches Wörterbuch, S. 168). 15 EINLEITUNG anspruchsvoll für den weiblichen Intellekt. Es erscheint also, als ob die politische Frauenzeitschrift dem Charakter einer politischen Zeitschrift par excellence entspricht. Dies trifft aber nur bedingt zu, da auf sie die Definition der politischen Zeitschrift nicht gänzlich unmodifiziert angewendet werden kann.16 Denn wie unter- haltende Frauenzeitschriften nie gänzlich als unpolitisch klassifiziert werden können, enthalten umgekehrt politische Frauenzeitschriften stets auch einen Unterhaltungs- und Ratgeberteil.17 Weder ist die „Gleichheit“ eine allgemeine Frauenzeitschrift, ausschließlich ein Mitteilungsblatt ihrer Frauenorganisationen oder nur ein Unterhaltungsblatt für die Frau. Die „Gleichheit“ ist nicht einer dieser einzelnen Kategorien allein zuzuordnen. Vielmehr vereinte sie alle in sich – wenn auch mit verschiedenen Schwerpunkten. Gleiches gilt für ihre Vorgängerinnen. Die „Gleichheit“ als Quelle einer inhaltlich-qualitativen Analyse historischer Frauen- leitbilder Neben einer detaillierten Darstellung der „Gleichheit“ beansprucht diese Dissertation, eine Ana- lyse der in ihren biographischen Artikeln enthaltenen Frauenleitbilder zu leisten. Dies erfordert zunächst einige Erläuterungen zum Begriff des „Frauenleitbildes“. Dabei soll aufgezeigt werden, dass sich hinter ihm etwas anderes verbirgt als vielleicht im Alltagsdenken angenommen oder durch den Begriff suggeriert wird. Bei Frauenleitbildern handelt es sich nicht um eine Be- schreibung adäquater Lebenswege für Frauen – vorurteilslos und zweckdienlich –, sondern vielmehr um weibliche Stereotypen und Rollenklischees. Entweder basieren Frauenleitbilder da- bei auf althergebrachten Traditionen und streben deren Erhalt an, oder aber sie zielen auf eine Bewusstseinsumbildung und einen radikalen Bruch mit den Traditionen – ein Entweder-Oder, das gegensätzlicher nicht sein könnte. Und doch gelingt es so manchem radikalen Frauenleitbild erstaunlicherweise nicht, seine traditionellen Wurzeln vollkommen zu kappen. Eine Fülle von Berührungspunkten und Kompromissen zwischen alten und neuen Frauenleitbildern scheinen die Bewusstseinsumbildung zu überdauern oder deren Unvollständigkeit zu bezeugen. Besonders auffällig zeigt sich dies bei den Mutter-Leitbildern innerhalb der verschiedenen Strömungen der deutschen Frauenbewegung. Die proletarische Frauenbewegung definierte sich als Teil der revolutionär-sozialistischen Arbeiterbewegung und forderte als solcher die Umwälzung der kapitalistischen Gesellschaft. Sie 16 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 17. 17 Ein Sonderfall ist z. B. die kulturpolitische Zeitschrift, weil sie mit ihren kulturellen und literarischen Themen traditionelle Interessengebiete der Frauen anspricht. Doch auch in politischen Zeitschriften der SPD wie den „Sozialistischen Monatsheften“ (1897-1933) ist auffällig, dass kulturelle Themen vornehmlich von weiblichen Mitarbeitern behandelt werden. 16 EINLEITUNG stand für den gemeinsamen revolutionären Klassenkampf gegen die Bourgeoisie und den Kapitalismus. Ein Bruch mit den althergebrachten Traditionen erschien da unumgänglich. Wenn dem aber so war, welche Alternativen wurden geboten? Agitierten Frauenbewegung und Partei für ein alternatives sozialistisches Gesellschaftsideal, so mussten den Proletarierinnen auch ent- sprechende Identifikations- und Orientierungsmöglichkeiten geboten und vermittelt werden. Unabhängig von den jeweiligen Inhalten hatte man zudem eine geeignete Art und Weise zu finden, um die Masse der indifferenten Proletarierinnen zu erreichen. Nur mittels einer geeigneten Ansprache konnte man sie grundlegend politisieren, für die gewerkschaftliche Organisation und die Mitgliedschaft in Vereinen interessieren, sie letztlich für eine aktive Teilnahme am revolu- tionären Klassenkampf gewinnen. Um diesen möglichst umfassenden – d. h. sowohl intensiven als auch extensiven – Wandel des bisher gültigen bürgerlich-kapitalistischen Frauenleitbildes zu erreichen, mussten die Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung die engen Grenzen ihrer bis zu diesem Zeitpunkt in der Hauptsache auf persönlicher Ansprache beruhenden Agitation durchbrechen. Zu diesem Zweck bedurfte es, neben Versammlungen und Vereinstreffen, dringend einer eigenen Presse, denn diese eröffnete gerade für die Steuerung, Reproduktion und Multi- plikation politisch motivierter Leitbilder ganz neue Möglichkeiten. Diese einleitenden thematischen Annäherungen verdeutlichen bereits, dass Presse und Leitbilder sich in ihren Funktionen und Zielsetzungen auffällig gut ergänzten. Moderne Medien bedienen sich zur Informationsübermittlung z. B. der Methoden der Vereinfachung und der Wiederholung – prinzipiell nur zwei Eigenschaften, die in der Natur der Sprache liegen. Jedoch muss man sich stets vergegenwärtigen, wie Sprache auf eine solche verkürzte und standardisierte Weise eben auch eine Art Konformität herstellt bzw. zwangsläufig herstellen muss.18 Und so wird ganz neben- bei deutlich, dass es jenes publizistische „Handwerkszeug“ der Vereinfachung, Wiederholung, Verkürzung und Standardisierung ist, auf dem auch die Wirksamkeit von Frauenleitbildern basiert. Es ist jedoch entscheidend, dass die Vermittlung von Frauenleitbildern insoweit über eine reine In- formationsübermittlung hinausgeht, als sie nicht nur auf eine möglichst homogenisierende Wirkung auf ein ansonsten heterogenes weibliches Publikum abzielt, sondern vor allem auf eine Verinnerlichung politischer Inhalte. Die „Gleichheit“ fasste zu diesem Zweck z. B. komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge nicht nur in eine einfache und vor allem politisch gefärbte Sprache, sondern gab ihnen immer auch einen direkten Bezug zum proletarischen Alltag. Indem dieser Alltag überwiegend als elend und sorgenvoll dargestellt wurde – was er zweifelsohne ja 18 Auf sehr unterhaltsame Weise beschäftigt sich die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch in ihrer 1990 erschienenen Publikation „Alle Menschen werden Schwestern“ mit feministischer Sprachkritik. 17 EINLEITUNG auch war –, bediente man sich zudem einer Emotionalität, welche auch innerhalb einer politischen Frauenzeitschrift ihren festen Platz hatte – vor allem im Feuilleton. Der Begriff der Frauenbewegung musste, um keine leere Worthülse zu sein, sowohl einen Erkenntnisprozess als auch praktisches Handeln umfassen. Die Proletarierinnen sollten verstehen, dass es in ihrem persönlichen Interesse lag, den Umsturz der kapitalistischen Gesellschaft erst einmal zu wollen und dann auch zu betreiben. Auf den ersten Blick scheint dies in logischer Konsequenz jenen Traditionsbruch mit dem „Kinder, Küche, Kirche“-Leitkonzept der bürger- lichen Gesellschaft zu beinhalten. Doch zeigte sich schon bald, dass auch die Proletarierinnen in ihren klassischen Rollen sowohl „als Arbeiterin, als Frau und vor allem auch als Mutter“19 angesprochen werden wollten. Um aber mit dieser Art der Ansprache nicht „bourgeoisen“ Frauenleitbildern Vorschub zu leisten, musste sie nach anderen, nach proletarischen Prinzipien und Inhalten erfolgen. Umso strenger sollte nach Meinung einiger Sozialistinnen die „reinliche Scheidung“20 zur bürgerlichen Frauenbewegung und ihren Zielsetzungen vollzogen werden. Die langjährige Vorkämpferin der proletarischen Frauenbewegung und Redakteurin der „Gleichheit“ Clara Zetkin (1857-1933)21 erklärte auf dem Parteitag in Gotha 1896: 19 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 175. 20 Zu diesem zentralen von Zetkin geprägten Begriff für die Charakterisierung des Verhältnisses von proletarischer und bürgerlicher Frauenbewegung vgl. Reinliche Scheidung. In: GL, 04/ 08/ 18.04.1894/ 63. Noch einmal „reinliche Scheidung“, I. In: GL, 04/ 13/ 27.06.1894/ 102-103. Noch einmal „reinliche Scheidung“, II. In: GL, 04/ 15/ 25.07.1894/ 115-117. 21 Die Hervorhebungsweisen von Personennamen werden in dem Unterpunkt „Quellmaterial und Zitation“ (S. 23ff.) eingehend erläutert. Clara Josephine Zetkin, geb. Eißner, später verh. Zundel, wurde im sächsischen Wiederau als Tochter eines Dorfschullehrers und Kantors geboren. Ihre Mutter hatte persönlichen Kontakt zur bürgerlichen Frauenbewegung. Zetkin besuchte 1874-1878 das Steybersche Institut, ein Lehrerinnenseminar, in Leipzig, dort lernte sie in einem Kreis linksintellektueller EmigrantInnen aus Russland Ossip Zetkin, ihren späteren Lebensgefährten, kennen. 1878 schloss sie sich der SPD an. Zetkin arbeitete als Erzieherin in Deutschland, Österreich und der Schweiz, wo sie im Vertrieb verbotener SPD-Literatur mitwirkte, und wurde schließlich in Paris ansässig. Hier lebte sie seit 1882 in Lebensgemeinschaft mit Ossip Zetkin, verfasste mit ihm gemeinsam Aufsätze für Zeitschriften in Deutschland und brachte zwei Söhne zur Welt, Maxim und Kostja. Auf dem Gründungskongress der Zweiten Internationale im Juli 1889 hielt Zetkin ein viel beachtetes Referat zur „Arbeiterinnen- und Frauenfrage der Gegenwart”. Auf diesem Kongress kam der erste Kontakt zu Emma Ihrer und ihrer späteren engen Freundin Rosa Luxemburg zustande. 1890 kehrte Zetkin nach Deutschland zurück und wurde in Stuttgart ansässig. 1899 heiratete sie den 18 Jahre jüngeren Maler und Dichter Georg Friedrich Zundel. Mit ihm, der bald durch Porträtmalerei hohe Einkünfte erzielen sollte, erwarb Zetkin 1903 ein Haus in Sillenbuch. 1917 trennte sich das Ehepaar, 1927 erfolgte die Scheidung. 1892-1913 wurde Zetkin zu jedem SPD-Parteitag delegiert. 1891-1917 war sie Redakteurin der „Gleichheit”. Seit 1899 wurden ihre Arbeiten durch zunehmende Blindheit (in den Jahren 1899 bis 1906 erfolgten drei Augenoperationen) erschwert. 1907 ernannte die Sozialistische Fraueninternationale Zetkin zur inter- nationalen Sekretärin der sozialistischen Frauen. 1910 stellte Zetkin gemeinsam mit Käte Duncker (1871-1953) auf der zweiten Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale einen Antrag auf jährliche Ausrichtung eines „Internationalen Frauentages”. Zetkin war eine erklärte Kriegsgegnerin und initiierte 1915 die Berner Frauen- friedenskonferenz. In Konsequenz wurde ihr 1917 durch den SPD-Vorstand die Redaktion der „Gleichheit“ entzogen und sie Mitglied der USPD. 1919 trat sie der KPD bei und wurde Redakteurin der „Kommunistin” (1919-1924). 1920-1930 war sie KPD-Abgeordnete des Reichstages. Seit 1918 war Zetkin in verschiedenen Funktionen mit dem Aufbau des sowjetischen Bildungssystems und der Vertretung der Fraueninteressen in der 18 EINLEITUNG „Die Agitation unter den proletarischen Frauen muß daher in erster Linie sozialistische Agitation sein. Ihre Hauptaufgabe ist, die prole-tarischen Frauen zum Klassenbewußtsein zu wecken und für den Klassenkampf zu gewinnen.“22 Damit formulierte Zetkin als Grundvoraussetzung für die Befreiung der Frau die Einheit von proletarischer Frauenbewegung und sozialistischer Arbeiterbewegung und präzisierte somit die so genannte „sozialistische Frauenemanzipationstheorie“23. Die orthodoxen Sozialistinnen, welche in der proletarischen Frauen-bewegung bis 1917 die Mehrheit bildeten, lehnten das Leitbild einer gegen die Männerherrschaft revoltierenden „Frauenrechtlerin“ strikt ab. Dieses Leitbild war in ihren Augen nur ein Irrweg der bürgerlichen Frauenbewegung und letztlich eine Unterminierung der „Klassen- und Geschlechterharmonie“, wie sie innerhalb des Proletariats zugunsten gemeinsamer Kampfeskraft gepflegt werden sollte. Von dieser Strategie brachten sie weder die Schwierigkeiten angesichts der in Deutschland bestehenden politisch-repressiven Verhältnisse noch die innerhalb der SPD zunehmenden antifeministischen Tendenzen ab. Ein Überblick über die in der „Gleichheit“ erschienenen biographischen Artikel lässt allerdings erahnen, dass im Gegensatz zu diesen Strategieprinzipien ein proletarisches Frauenleitbild unter- schiedliche Charaktereigenschaften und Idealtypen hervorhob – dabei aber auch auf bürgerliche Tugenden zurückgriff. Die Biographie der radikalen Kommunardin Louise Michel (1839-1905) steht neben derjenigen von Katharina Elisabeth Goethe (1731-1808), die als Mutter des späteren Weimarer Dichterfürsten dem Bürgertum zugehörte. Beide scheinen Qualitäten im Sinne eines proletarischen Frauenleitbildes zu haben und beide Personen werden in ihren historischen Lebens- zusammenhängen beschrieben. Geschichte und deren Erforschung – aber auch die sich in ihnen widerspiegelnde Tradition und Tradierung – haben eine wesentliche Bedeutung für die Konstruk- tion und Kontinuität von Frauenleitbildern. Heutige frauengeschichtliche Forschung erhebt oft den Anspruch, im Namen weiblicher Gleichberechtigung oder wissenschaftlicher Objektivität be- trieben zu werden. Die „Gleichheit“ verschrieb sich dagegen auch in diesem Bestreben von Beginn an einer konkreten politischen Richtung. Sie betrieb Erforschung und Darstellung histo- KomIntern betraut. 1925 wurde sie Präsidentin der „Internationalen Roten Hilfe”. Sie unternahm zahlreiche Reisen innerhalb der Sowjetunion. Zetkins letzter öffentlicher Auftritt in Deutschland war die Eröffnung des Reichstags 1932 als Alterspräsidentin, bei der sie zur Einheit aller antifaschistischen Kräfte aufrief. Eine Auswahl biographischer Arbeiten zu Clara Zetkin sind im Verzeichnis biographischer Literatur enthalten, Arbeiten, die einen Schwerpunkt auf ihre Tätigkeit für die „Gleichheit“ legen im Verzeichnis der Fachliteratur. Im Weiteren wird vor allem dieser Schwerpunkt hervorgehoben. 22 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 175. Dieses Grundsatzreferat machte Zetkin zur führenden Theoretikerin der proletarischen Frauenbewegung und zu einer herausragenden Persönlichkeit der sozialistischen Arbeiterbewegung. 23 Siehe: Bölke, Die Wandlung der Frauenemanzipationsbewegung; Meulenbelt, Feminismus und Sozialismus. 19 EINLEITUNG rischer Ereignisse und Persönlichkeiten in der Absicht, politisch Stellung zu beziehen und – ganz deutlich gesagt – ihre Leserinnen entsprechend zu beeinflussen. Diese Symbiose von Geschichts- vermittlung und politischer Zielsetzung gilt es in dieser Arbeit vorzustellen und zu interpretieren. Sekundärliteratur und Forschungsstand Die allgemeine Forschung zur proletarischen Frauenbewegung bietet dem gezielt Suchenden durchaus einiges an Informationen zur „Gleichheit“. Die Erscheinungsjahre dieser Werke vermitteln jedoch den unzweifelhaften Eindruck, dass mit den 1980er Jahren auch der For- schungsdrang zur proletarischen Frauenbewegung insgesamt sein Ende gefunden hat. Einen guten Überblick über die vorhandene Literatur geben zwei in den 1970er und 1980er Jahren erstellte Bibliographien: Die „Bibliographie zur Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse für die Befreiung der Frau und zur Rolle der Frau in der deutschen Arbeiterbewegung. Von den Anfängen bis 1970“24 und „Proletarische Frauenbewegung: Literatur- und Forschungs- dokumentation 1982-1986“25. Beide sind entsprechend ihrer zeitlichen Begrenzung bereits sehr ergänzungsbedürftig. Im Folgenden möchte ich die zentrale Forschungsliteratur vorstellen und dabei mit denjenigen Arbeiten beginnen, die einen ähnlichen Erkenntnisanspruch wie die hier vorliegende Dissertation haben. Es sind vor allem zwei Arbeiten zu nennen: Bei der ersten handelt es sich um Elisabeth Vormschlags Dissertation „Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften der SPD, der USPD, der KPD in den Jahren 1890-1933 und der NSDAP in den Jahren 1932-1945“26. Diese 1970 verfasste und – bedauerlicherweise – unveröffentlicht gebliebene Dissertation der Georg-August-Universität in Göttingen ist m. E. ein herausragender Forschungsbeitrag. Neben der publizistischen Kategorisierung der „Gleichheit“ als politische Zeitschrift ist der tiefer gehende 24 Bibliographie zur Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse für die Befreiung der Frau und zur Rolle der Frau in der deutschen Arbeiterbewegung. Von den Anfängen bis 1970. Bearbeitet von Ingrid u. Hans-Jürgen Arendt. Hrsg. von der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig im Auftrage der Arbeitsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse für die Befreiung der Frau“. Leipzig: Selbstverlag, 1974. 25 Proletarische Frauenbewegung: Literatur- und Forschungsdokumentation 1982-1986. Bearbeitet von Marit Borcherding u. Hannelore Schott. Hrsg. vom Informationszentrum Sozialwissenschaften in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung – Bibliothek der sozialen Demokratie. Bonn: Informationszentrum Sozialwissen- schaften, 1988. 26 Vormschlag, Elisabeth: Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften der SPD, der USPD, der KPD in den Jahren 1890-1933 und der NSDAP in den Jahren 1932-1945. Dissertation Georg-August-Universität Göttingen, 1970. Einen ebenfalls informativen, wenn auch wesentlich kürzeren inhaltlichen Vergleich zwischen der „Gleichheit“ und den beiden bürgerlichen Frauenzeitschriften „Die Frauenbewegung“ (1895-1919) und „Centralblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine“ (1899-1912/13) stellte Wischermann an. Sie setzte dabei den Schwerpunkt auf die Themen Sittlichkeit und Stimmrecht (vgl. Wischermann, Ulla: Frauenbewegung und Öffentlichkeiten um 1900. Netzwerke – Gegenöffentlichkeiten – Protestinszenierungen. Königstein/Taunus: Helmer, 2003; besonders S. 199-207). 20 EINLEITUNG Vergleich linker und rechter Frauenzeitschriften eine wertvolle wissenschaftliche Leistung. Als zweite Arbeit ist der sehr prägnante Artikel der dänischen Sprach- und Kommunikationswissen- schaftlerin Kirsten Gomard „Die sozialistische Frauenzeitschrift ‘Die Gleichheit’. Angebot einer alternativen Frauenidentität?“27 von 1988 zu nennen. Die Autorin untersucht hier u. a. 55 bio- graphische „Gleichheit“-Artikel und ordnet diese verschiedenen weiblichen Leitbildern zu. Beide Arbeiten finden Eingang in die vorgelegten Untersuchungen und werden dabei einer ausführlichen Kritik unterzogen. Eine Arbeit, die augenscheinlich die in dieser Arbeit behandelten Fragestellungen zu betreffen scheint, ist der 1976 veröffentlichte Artikel „Der Beitrag der ‘Gleichheit’ zur Entwicklung des Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen“28 von Ruth Götze. Dieser Artikel, der sich inter- essanterweise sogar punktuell auf die Arbeit Vormschlags bezieht, stellt jedoch lediglich partei- und bewegungsgeschichtliche Inhalte der „Gleichheit“ dar. Frauengeschichtliche Inhalte werden nicht erwähnt, und ein spezifisch weibliches Geschichtsbewusstsein wird nicht als ein Auftrag der „Gleichheit“ in Betracht gezogen. Weitere grundlegende Publikationen zur „Gleichheit“ sind ein Heft der Zeitschrift „Ariadne“29 und eine stichwortbezogene Auswertung durch die „Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Frauenfor- schung“ der Gesamthochschule Kassel.30 Erstere ist als Publikation der in Kassel ansässigen Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung die bisher mit Abstand anschaulichste Darstellung zur „Gleichheit“. In ihr zeichnen verschieden akzentuierte Artikel die Entwicklung und Position der „Gleichheit“, der beteiligten Personen und Organisationen nach und bieten darüber hinaus vor 27 Gomard, Kirsten: Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“. Angebot einer alternativen Frauen- identität? In: Augias. Germanistisches Institut der Universität Aarhus, Bd. 28 (1988), S. 25-42. Zwei weitere Artikel Gomards, die jedoch deutlich kürzer und themenspezifischer sind als der bereits genannte sind: Gomard, Kirsten: Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit untersucht anhand der Beiträge zum Thema Aufrüstung, Krieg und Pazifismus, 1892-1917. In: Die Verantwortung der Literatur in ihrer Zeit. Ausgewählte Beiträge vom VI. gemeinsamen Kolloquium von Literaturwissenschaftlern der Universität Aarhus und der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. 31. Mai bis 2. Juni 1983 in Greifswald, Greifswalder Germanistische Forschungen, 6, 1985, S. 65-72. Dies.: Die Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität und Utopie. In: Utopie und Realität im Funktionsverständnis von Literatur (Französische Revolution – Oktoberrevo- lution – Gegenwart). Ausgewählte Beiträge vom VII. gemeinsamen Kolloquium von Literaturwissenschaftlern der Universität Aarhus und der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. 18. und 19. Mai 1987 in Greifswald. Greifswalder Germanistische Forschungen, 10, 1989, S. 40-45. 28 Götze, Ruth: Der Beitrag der „Gleichheit“ zur Entwicklung des Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig, 1976, Nr. 3, S. 60-65. 29 Ariadne. Nr. 22: „Ich habe nicht ein Amt, sondern eine Meinung“ – 100 Jahre „Die Gleichheit“ (1892-1923). Kassel 1992. 30 Auswertung der Zeitschrift „Die Gleichheit“ 1892-1914 nach den Stichworten „Arbeit, Bildung und Beruf“. Bearbeitet von Brigitte Robak u. Jutta Schmidt. Hrsg. von der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Frauenforschung der Gesamthochschule Kassel, Kassel 1989. 21 EINLEITUNG allem wertvolle Bild- und Dokumentationsmaterialien. Die stichwortbezogene Auswertung, angelegt als chronologisches Register ausgewählter Artikeldaten, stellt allerdings weniger eine Grundlage für eine inhaltliche Diskussion, sondern vielmehr ein thematisch sehr begrenztes Forschungshilfsmittel dar. Des Weiteren gibt es einige Publikationen, die sich zwar besonders der „Gleichheit“ widmen, dies jedoch vordergründig anhand einer bestimmten Themenstellung tun – sich ihrer also lediglich als historische Quelle bedienen. Dem entsprechend sind die Beschreibungen zur „Gleichheit“ selbst in ihrer Ergiebigkeit sehr unterschiedlich: Fritz Staude veröffentlichte 1974 in den „Beiträgen zur Geschichte der Arbeiterbewegung“ den Artikel „Die Rolle der ‘Gleichheit’ im Kampf Clara Zetkins für die Emanzipation“31. Er gibt darin zwar einen guten Überblick über die Entwicklung und Struktur der Zeitschrift sowie über ihre Verknüpfung mit der SPD, konzentriert seine Betrachtung aber sehr stark auf die dominante Persönlichkeit Zetkins. Letzteres ist eine Eigenart, die nahezu alle DDR-Veröffentlichungen zur „Gleichheit“ aufweisen und die in der hier vorliegenden Arbeit bewusst thematisiert und teilweise durchbrochen werden soll, um gerade auch den weniger bekannten „Gleichheit“-Mitarbeiterinnen entsprechend Platz und Bedeutung ein- zuräumen. Die „Gleichheit“-Strukturen sehr gut erfasst und in eine kritische Auseinandersetzung mit ihrem Inhalt und Selbstverständnis gesetzt hat Anna-Elisabeth Freier in ihrer 1981 publizierten Arbeit „‘Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären.’ – Der Antifeminismus der proletarischen Frauenbewegung im Spiegel der ‘Gleichheit’, 1891-1917“32. Freier analysiert darin erstmals die bemerkenswerte Verbindung zwischen proletarischer Frauenbewegung und einem in ihr prak- tizierten Antifeminismus. Sie entwickelt dabei einen „sozialisationstheoretisch-psychologische[n] Standpunkt“33, der auch innerhalb meiner Themenstellung eine wichtige Rolle spielen wird. Im „Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte” unternimmt 1999 Susanne Kinnebrock unter dem Titel „Gerechtigkeit erhöht ein Volk?! – Die erste deutsche Frauenbewegung, ihre Sprachrohre und die Stimmrechtsfrage”34 einen gelungenen Vergleich zwischen der „Gleichheit“ und zwei re- präsentativen bürgerlichen Frauenzeitschriften. Trotz der gebotenen Kürze eines Artikels gibt Kinnebrock – bevor sie sich thematisch der Grundsatzdebatte zum Frauenstimmrecht widmet – 31 Staude, Fritz: Die Rolle der „Gleichheit“ im Kampf Clara Zetkins für die Emanzipation der Frau. In: BzG, Jg. 16 (1974), Nr. 3, S. 427-445. 32 Freier, Anna-Elisabeth: „Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären.“ – Der Antifeminismus der proleta- rischen Frauenbewegung im Spiegel der „Gleichheit“, 1891-1917. Frankfurt am Main: Haag und Herchen, 1981. 33 Ebd., S. 17. 34 Kinnebrock, Susanne: „Gerechtigkeit erhöht ein Volk!?“ – Die erste deutsche Frauenbewegung, ihre Sprachrohre und die Stimmrechtsfrage. In: JbKG, Jg. 1 (1999), S. 134-171. 22 EINLEITUNG hier einen guten Überblick über Strukturen und Charakter der „Gleichheit”. Die neueste mir bekannte Publikation zur „Gleichheit“ ist der Artikel von Emmanuelle Wiss „Les débats sur la transformation sociale et le rôle des femmes dans ‘Die Gleichheit’ (1891-1914)“35. Der Aufsatz bietet einen Überblick über die Entwicklung und den Verbreitungsgrad der „Gleich- heit“ als Medium. Schwerpunkt sind die in ihr enthaltenen Diskussionen zum Problem der Dop- pelbelastung und Rollenzuschreibung.36 Einen festen, wenn auch unterschiedlich großen Raum nimmt die „Gleichheit“ in Arbeiten zur allgemeinen Geschichte der proletarischen Frauenbewegung ein. Werner Thönnessen veröffent- lichte 1969 unter dem Titel „Frauenemanzipation – Politik und Literatur der deutschen Sozial- demokratie zur Frauenbewegung 1863-1933“ die erste umfassende Arbeit zur proletarischen Frauenbewegung Deutschlands. Erst zehn Jahre darauf folgte ein grundlegender, von einer AutorInnengruppe der Friedrich-Ebert-Stiftung verfasster Artikel mit dem Titel „Frauenfrage und deutsche Sozialdemokratie vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn der zwanziger Jah- re“37. Ausgedehntere Arbeiten erschienen in den 1980er Jahren: Heinz Niggemann „Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus – Die sozialdemokratische Frauenbewegung im Kaiser- reich“38, Sabine Richebächer „Uns fehlt nur eine Kleinigkeit. Deutsche proletarische Frauenbe- wegung 1890-1914“39, Richard J. Evans „Sozialdemokratie und Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich“40 und Elisabeth Haarmann „Schwestern zur Sonne zur Gleichheit. Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung“41. Diese Werke bilden mittlerweile die Standardliteratur zur 35 Wiss, Emmanuelle: Les débats sur la transformation sociale et le rôle des femmes dans „Die Gleichheit“ (1891- 1914). In: Das linke Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1890-1960). Hrsg. von Michael Grunewald in Zusammenarbeit mit Hans Manfred Bock. Bern, Berlin, Brüssel, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien: Lang, 2002, S. 75-90. 36 Erwähnt seien neben meiner eigenen (Sachse, Mirjam: ”Heraus, ihr Frauen der Arbeit, erwacht“ – Entwürfe politischer Frauenbildung im Spiegel der proletarischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ (1891-1923). Magisterarbeit Universität Gesamthochschule Kassel, 2000) hier noch zwei Abschlussarbeiten, die beide die „Gleichheit“ in den Jahren 1914 bis 1917 untersuchen: Krug, Michaela: „Die Zwillingsschwester des Krieges ist die Not“ – Zum Diskurs über Weiblichkeit und Krieg in der Zeit des Ersten Weltkrieges. Exemplarisch dargestellt am Beispiel der Zeitschriften „Die Frau“ und „Die Gleichheit“. Magisterarbeit Universität Hannover, 2004; Eichhorn, Beate: Die sozialistische Frauenbewegung im Spiegel der „Gleichheit“ (1914-1917). Diplomarbeit Universität Wien, 1992. 37 Albrecht, Willy/ Boll, Friedhelm/ Bouvier, Beatrix W./ Leuschen-Seppel, Rosemarie/ Schneider, Michael: Frauen- frage und deutsche Sozialdemokratie vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn der zwanziger Jahre. In: Archiv für Sozialgeschichte, Jg. 19 (1979), S. 459-510. 38 Niggemann, Heinz: Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus – Die sozialdemokratische Frauenbewe- gung im Kaiserreich. Wuppertal: Hammer, 1981. 39 Richebächer, Sabine: Uns fehlt nur eine Kleinigkeit. Deutsche proletarische Frauenbewegung 1890-1914. Hamburg: Fischer, 1982. 40 Evans, Richard J.: Sozialdemokratie und Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich.Berlin: Dietz, 1984. 41 Haarmann, Elisabeth: Schwestern zur Sonne zur Gleichheit. Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung. 23 EINLEITUNG Geschichte der proletarischen Frauenbewegung – keines davon ist jedoch bisher neu aufgelegt worden. Die meisten der genannten Arbeiten weisen jedoch ein besonderes Desiderat auf: In der Darstellung der „Gleichheit“ und der proletarischen Frauenbewegung gehen sie kaum über das Jahr 1914 (Beginn des Ersten Weltkriegs) oder 1917 (Entlassung Clara Zetkins aus der „Gleich- heit“-Redaktion) hinaus. Diese Einschnitte sind durchaus berechtigt, denn sie stellen bedeutende Wendepunkte in der Geschichte und dem Selbstverständnis der deutschen Sozialdemokratie und so auch der „Gleichheit“ dar. Jedoch lässt die nähere Betrachtung der folgenden Jahre eben jene Wende und die damit verbundenen Wandlungen erst voll zu Tage treten. Es ist deshalb ein zentrales Anliegen dieser Dissertation, die „Gleichheit“ über diese Zäsuren hinaus, nämlich bis zur Einstellung ihres Erscheinens im Jahre 1923 vorzustellen. Trotzdem wird dabei eine Schwer- punktsetzung auf die Zeit vor 1917 unvermeidlich sein – zu bedeutend ist die Rolle Clara Zetkins in der Geschichte der proletarischen Frauenbewegung und ihres Zentralorgans, zu eng verknüpft wiederum der Aufbau und die Entwicklung der „Gleichheit“ mit der Lebensgeschichte dieser Frau. Jede der bisher erschienenen Zetkin-Biographien – wenn auch unterschiedlich in Umfang und Präsentation – beschreibt die Gründung der „Gleichheit“ und ihre durch Zetkin geprägte politische Haltung. Zu nennen sind hier in der Reihenfolge ihrer Veröffentlichung vor allem Gertrud G.L. Alexander (1882-1967)42 „Clara Zetkins Leben und Werk“43, Luise Dornemann „Clara Zetkin. Leben und Wirken“44, Karen Honeycutt „Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany“45, Karin Bauer „Clara Zetkin und die proletarische Frauenbewegung“46, Hamburg: Ergebnisse, 1985. 42 Gertrud Mathilde Bertha Alexander (eine Erklärung für die obigen Initialen G.L. konnte nicht gefunden werden), geb. Gaudin, wurde im thüringischen Ruhla geboren. Sie war Tochter eines Arztes, studierte an der Universität Jena und an der Kunsthochschule Eisenach. 1908 heiratete sie Eduard Alexander, von dem sie 1920 wieder ge - schieden wurde. Alexander wurde Mitglied der SPD, während des Ersten Weltkrieges des Spartakusbundes und schließlich der KPD. Sie betreute den Feuilleton der „Roten Fahne“ (1918-1933) und wurde zu einer bekannten Kunstkritikerin. 1925 siedelte Alexander nach Moskau über, wurde 1925 Frauensekretärin der KomIntern und 1926 Mitglied der KPdSU. 1931-1933 versah sie das Amt der Bevollmächtigten von der Hauptverwaltung für Literatur (Gawlit). Alexander war außerdem, Redakteurin an der Staatlichen Zentralbibliothek und der Lenin- bibliothek. 1907 hatte sie Zetkin kennen gelernt und für die „Gleichheit“ 1909 die Artikelserie „Die Prometheus- sage“ verfasst ([Alexander, Gertrude] G. G.: Die Prometheussage. In: GL, 19/ 07/ 04.01.1909/ 103-104.; GL, 19/ 08/ 18.01.1909/ 119-121; GL, 19/ 09/ 01.02.1909/ 134-136; GL, 19/ 10/ 15.02.1909/ 146-147; GL, 19/ 11/ 01.03.1909/ 166-167.). 43 Alexander, Gertrude G. L.: Aus Clara Zetkins Leben und Werk. Berlin: Vereinigung Internationaler Verlags- Anstalten, 1927. 44 Dornemann, Luise: Clara Zetkin. Leben und Wirken. Berlin: Dietz, 1973. 45 Honeycutt, Karen: Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany. Dissertation Columbia University, 1975. 46 Bauer, Karin: Clara Zetkin und die proletarische Frauenbewegung. Berlin: Oberbaum, 1978. 24 EINLEITUNG Gilbert Badia „Clara Zetkin – Eine Biographie“47 und Tânia Puschnerat „Clara Zetkin – Bürger- lichkeit und Marxismus. Eine Biographie“48. Zwei der neuesten, anlässlich Zetkins 150. Geburts- tag erschienenen Arbeiten sind die Ergebnisse wissenschaftlicher Tagungen: Astrid Franzke und Ilse Nagelschmidt (Hrsg) „‘Ich kann nicht gegen meine Überzeugung handeln‘“ – Clara Zetkin zum 150. Geburtstag“49 und Ulla Plener (Hrsg.) Clara Zetkin in ihrer Zeit. Neue Fakten, Erkennt- nisse, Wertungen.“50 Außerdem erschien zu demselben Anlass eine mit wertvollen Texten Zetkins ergänzte kurze Biographie: Florence Hervé (Hrsg.): „Clara Zetkin oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist“.51 Auch die Biographien anderer Persönlichkeiten, die in das Wirken der „Gleichheit“ auf die eine oder andere Weise involviert waren, können hinsichtlich einer Betrachtung der „Gleichheit“ sehr aufschlussreich sein. Besonders erwähnenswert ist die von Angela Graf verfasste Biographie über Johann Heinrich Wilhelm Dietz (1843-1922)52, welche ebenso wie die von ihm mitgegründete „Gleichheit“ in dem nach ihm benannten Dietz-Verlag erschienen ist.53 Solche Biographien kön- nen wichtige Informationen zur Geschichte der „Gleichheit“ beisteuern, weil in ihnen u. a. auch Auswertungen persönlicher Korrespondenzen vorgenommen wurden. Aufgrund dieser Auswahl des Forschungs- und Literaturstandes – die noch durch einige zeit- genössische Arbeiten zu ergänzen wäre – könnte nun alles in allem der Eindruck entstehen, dass die proletarische Frauenbewegung ein bereits gründlich bearbeitetes Forschungsfeld ist. Die 47 Badia, Gilbert: Clara Zetkin – Eine Biographie. (Originaltitel: Clara Zetkin, féministe sans frontiéres, 1993.) Berlin: Dietz, 1994. 48 Puschnerat, Tânia: Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus. Eine Biographie. Essen: Klartext, 2003. Siehe auch: Sachse, Mirjam: Clara Zetkin – eine von „Ismen“ bestimmte Persönlichkeit?! In: Ariadne, 2004, Nr. 45-46, S. 149-151. 49 Franzke, Astrid / Nagelschmidt, Ilse (Hrsg.): „Ich kann nicht gegen meine Überzeugung handeln“ – Clara Zetkin zum 150. Geburtstag. Leipzig: Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, 2008. 50 Plener, Ulla (Hrsg.): Clara Zetkin in ihrer Zeit. Neue Fakten, Erkenntnisse, Wertungen. Material des Kolloquiums anlässlich ihres 150. Geburtstages am 6. Juli 2007 in Berlin. Berlin: Karl Dietz, 2008. 51 Hervé, Florence (Hrsg.): Clara Zetkin oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist. Berlin: Karl Dietz, 2007. 52 J.H.W. Dietz wurde in Lübeck geboren, besuchte die St. Petri-Knabenschule in Lübeck und absolvierte dann eine Ausbildung im Buchdruckgewerbe. 1884-1866 arbeitete er als Buchdrucker in St. Petersburg. 1866-1874 war er Schriftsetzer und Mitarbeiter verschiedener Publikationsorgane. 1881 aus Hamburg ausgewiesen, zog Dietz nach Stuttgart um. Hier gründete er den Verlag „J.H.W. Dietz” und verlegte später neben der „Gleichheit“ noch weitere SPD-Blätter. 1874 wurde Dietz Mitglied des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ (ADAV) und 1883 wegen Teilnahme am sozialistischen Kongress in Kopenhagen verhaftet. 1886 wurde er im Freiburger Sozialistenprozess zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. 1881-1918 Reichstagsabgeordneter, stimmte er 1914 für die Kriegskredite. Spätere Artikel der „Gleichheit“ sollten Dietz‘ Bedeutung für die proletarische Frauenbewegung und deren Frauenzeitschrift besonders ehren: Zetkin, Clara: Heinrich Dietz zum 70. Geburtstag. In: GL, 24/ 01/ 01.10.1913/ 4-5.; Seinen 75. Geburtstag … In: GL, 29/ 02/ 25.10.1918/ 14; Bohm-Schuch, Clara: Unsere Toten. Heinrich Dietz zum Gedächtnis. In: GL, 32/ 17/ 18/ 01.09.1922/ 163-164. 53 Graf, Angela: J.H.W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie. Bonn: Dietz, 1998. 25 EINLEITUNG Materialfülle kann jedoch gravierende Forschungsmängel nicht kaschieren und stützt sich zudem bei näherem Hinsehen meist auf Wiederholungen. Pressegeschichtliche Details wie Struktur und Erscheinungsweise werden immer wieder unvollständig oder gar fehlerhaft wiedergegeben.54 Die Präsentation der „Gleichheit“-Mitarbeiterschaft bleibt in allen genannten Arbeiten stark verkürzt55 oder auf wenige bekannte Persönlichkeiten und Parteigrößen begrenzt. Quellmaterial und Zitation Die zentralen Quellen meiner Dissertation sind die 33 Jahrgänge der „Gleichheit“ – vorrangig ihr Hauptblatt.56 Die „Gleichheit“-Beilagen „Für unsere Mütter und Hausfrauen“, „Für unsere Kin- der“ oder „Die Frau und ihr Haus“ werden nur in Ausnahmefällen herangezogen.57 Die Jahrgänge der „Gleichheit“ sind leider noch nicht anhand eines Generalregisters erschlossen.58 Jedoch gibt es einige Jahrgangsregister der „Gleichheit“ (19. Jg. (1909/10) bis 29. Jg. (1919))59, mittels derer eine gewisse Übersicht über die Schwerpunkt-setzung in diesem Zeitraum möglich ist. Allerdings werden darin die Artikel nicht nach AutorInnenschaft oder Stichwort aufgeführt, sondern lediglich nach Rubriken und darin nach Chronologie ihrer Veröffentlichung. Diese Register können nicht die für eine Untersuchung der „Gleichheit“ notwendige Totalerhebung er- setzen. Ihre Einrichtung ist aber ein klarer Beleg für das praktische Ansinnen der „Gleichheit“- 54 Beispielsweise gibt Gomard in zwei von ihr verfassten Artikeln jeweils ein anderes Jahr als Ende des Erscheinens an: 1924 (Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 26.) und 1922 (Gomard, Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit, S. 66) – beide sind falsch. Auch Thönnessen macht falsche Angaben hinsichtlich des Einstellungsjahrs der „Gleichheit“ und des Redaktionswechsels (vgl. Thönnessen, Frauenemanzipation, S. 133 u. S. 135). 55 Puschnerat widmet im Hinblick darauf, dass sie die „Gleichheit“ „mit Fug und Recht als Quelle für eine Analyse der Mentalität Zetkins“ heranzieht, ihrer Darstellung erstaunlich wenig Raum. So zeichnet sie z. B. in nur einem einzigen Absatz die Entwicklungslinie von der Einrichtung ihrer beiden Beilagen 1905 – ein Umstand, der den Charakter der „Gleichheit“ entscheidend verändern sollte – über die Zensur während des Ersten Weltkrieges bis zur Entlassung Zetkins 1917 nach (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 86f.). 56 Der Großteil des verwendeten Quellenmaterials – vor allem nahezu alle Nummern und Jahrgänge der „Arbeiterin“ und der „Gleichheit“ – sowie die zentrale Sekundärliteratur konnten in der Stiftung Archiv der deutschen Frauen- bewegung in Kassel eingesehen werden. 57 Für Darstellungen der „Gleichheit“-Beilagen siehe die bisher angeführte Sekundärliteratur und im Besonderen: Schulze, Regina: Die proletarische Mutter als sozialistische Erzieherin – dargestellt auf der Grundlage der Beilage zur „Gleichheit“ „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ von 1905 bis 1917. Dissertation Pädagogische Hochschule Dresden, 1987; Koch, Arthur: Die Verwirklichung sozialistischer Kindererziehung mit Hilfe der ersten deutschen proletarischen Kinderzeitschrift „Für unsere Kinder“ (1905-1917). In: Jahrbuch für Erziehungs- und Schulge- schichte, Jg. 7 (1967), S. 49-131; Drust, Heide: „Eine nie versiegende Quelle der Unterhaltung und der Beleh- rung“ – Die Beilagen der „Gleichheit“. In: Ariadne, 1992, Nr. 22, S. 26-30; dies. (Hrsg.): Für unsere Kinder. Texte aus der Kinderbeilage der „Gleichheit“ 1905-1917. Berlin: Der Kinderbuchverlag, 1986; Krauth, Ulrike: Die Mut- ter als Erzieherin. Kindererziehung in der Zeitschrift „Die Gleichheit“ (1905 bis 1913). In: ergebnisse, 1981, Nr. 15, S. 15-91. 58 Ein solches Generalregister hatte in wissenschaftlicher Voraussicht z. B. Emanuel Wurm als Koredakteur für die „Neue Zeit“ (1883-1923) erstellt. 59 Erstaunlicherweise wird weder in der ZDB noch in der genannten Sekundärliteratur – mit Ausnahme der Dis- sertation von Vormschlag – auf diese Jahrgangsregister verwiesen. Ihre Existenz ist dadurch nahezu unbekannt. 26 EINLEITUNG Redaktion, diese Frauenzeitschrift auch späterhin noch als Bildungsorgan und Nachschlagewerk zugänglich und nutzbar zu machen. Aus diesen Problemen ergibt sich ein weiteres Anliegen dieser Dissertation: Indem die Strukturen und die Belege der „Gleichheit“ detailliert und eindeutig dargestellt werden, soll ein erster Schritt getan werden, den Zugang zu dieser zentralen schriftlichen Quelle zu erleichtern. Belege zu Artikeln der „Gleichheit“ werden in den Fußnoten deshalb wie folgt nachgewiesen: Nachname, Vorname: Aufsatztitel. In: GL, Jahrgang / Nummer / Datum / Seite. Für die wenigen Fälle, in denen die Beilagen zitiert werden, gilt: Nachname, Vorname: Aufsatztitel. In: GL, Jahrgang (Jahr)/ „Beilagentitel“ Nummer/ Seite. Bezüglich „Gleichheit“-Artikeln, die nicht gezeichnet wurden, wird angenommen, dass sie von den entsprechenden RedakteurInnen verfasst wurden. Artikeln, die nur mit Initialen gezeichnet wurden, aber einem/einer mutmaßlichen VerfasserIn zugeordnet werden können, wird in eckigen Klammern jene Mutmaßung vorangestellt; z. B. „[Duncker, Käte?] K. D.“. Ebenso wie die Schreibweise der VerfasserInnennamen (z. B. Zietz, Louise oder Zietz, Luise) werden auch die Initialen in ihrer jeweiligen Schreibweise (z.B. Groß- bzw. Kleinschreibung) wie in der „Gleichheit“ abgedruckt übernommen. Die in den „Gleichheit“-Artikeln verwendete zeitgenössische Orthographie und Schreibweise von Eigennamen werden unverändert übernommen. So wird auch mit den Hervorhebungen im Text (vor allem in Sperrdruck) verfahren. Eigene Hervorhebungen im fremden Text erfolgen kursiv und werden mit dem Nachsatz „[Hervorhebungen von M.S.]“ nochmals kenntlich gemacht. Die Leserschaft der „Gleichheit“ betreffend werde ich vornehmlich von Leserinnen ausgehen, obwohl nachweislich auch Männer zu ihr gehörten. Um diese sprachlich nicht zu diskriminieren, werde ich in gegebenen Fällen die sprachbewusste Form „LeserInnen“ verwenden. Im Falle der Mitarbeiterschaft der „Gleichheit“ wird ähnlich verfahren, jedoch bevorzugt von MitarbeiterInnen gesprochen. Mit dieser Dissertation soll anhand der „Gleichheit“ der weibliche Anteil an Geschichte und die Bedeutung zeitgenössischer Presseorgane sichtbar gemacht werden. Zu diesem Zweck wurden verschiedene Möglichkeiten der typographischen Hervorhebung angewendet: Grundsätzlich werden die Namen historischer Frauen bei ihrer ersten Nennung fett hervorgehoben und in Klammern mit den Lebensdaten ergänzt, sofern diese ermittelbar waren. Sofern keine erheblichen Fehler in der Schreibweise der Namen historischer Persönlichkeiten vorliegen, wird die Schreibweise von der „Gleichheit“ übernommen. Die Namen weiblicher wie auch männlicher 27 EINLEITUNG Mitarbeiter und Autoren der „Gleichheit“ werden außerdem in den Fußnoten durch Kurz- biographien und gegebenenfalls durch eine Auswahl ihrer für die „Gleichheit“ verfassten Artikel ergänzt. Nicht ermittelbare Lebensdaten werden mit „?“ markiert. Die Namen derjenigen „Gleich- heit“-MitarbeiterInnen und historischen Frauen, deren Biographien in der Zusammenstellung enthalten sind, werden bei ihrer erstmaligen Nennung nicht nur fett, sondern zusätzlich auch kursiv hervorgehoben. Bei manchen Frauen, die in den Darstellungen zur Geschichte der Frauen- bewegung in Deutschland eine zentrale Rolle spielen, wird sich die Hervorhebung ihrer Namen an gegebener Stelle wiederholen.60 Ist das Sterbejahr und Alter einer Person bekannt, aber das Geburtsjahr nicht eindeutig ermittelbar, so werden nur die bekannten Angaben in Klammern hin- zugefügt; z. B. Marie Hoppe (?-1900/ 81-jährig). Die für die Untersuchung herangezogenen biographischen „Gleichheit“-Artikel sind dem Litera- turverzeichnis in einem eigens zusammengestellten Verzeichnis angehängt. Dieses ist alphabetisch geordnet und führt für jede Frau nach Erscheinen geordnet alle innerhalb dieser Arbeit herangezogenen Artikel auf. Außerdem ist jeder dieser Frauen, die einem Leitbild zugeordnet wurden, eine entsprechende Sigle beigefügt. Auch die biographische Literatur, die für die Vor- stellung zentraler Personen und „Gleichheit“-MitarbeiterInnen herangezogen wurde, ist als gesondertes Verzeichnis dem Literaturverzeichnis angefügt. Die Titel zeitgenössischer Presseorgane werden bei ihrer ersten Nennung ebenfalls mit ihren „Lebensdaten“ ergänzt.61 Auf diese Weise soll zumindest ein kleiner Eindruck von ihrer Relevanz für die politische Öffentlichkeit und das öffentliche Leben von Frauen gegeben werden. Methode Bereits 1976 äußerte die US-amerikanische Historikerin Molly Nolan vehemente Kritik an der eklatanten Begrenztheit der Methoden und Quellen im Rahmen der Erforschung der proleta- rischen Frauenbewegung. In ihrem Aufsatz „Proletarischer Anti-Feminismus. Dargestellt am Bei- spiel der SPD-Ortsgruppe Düsseldorf, 1890 bis 1914“62 schreibt sie: „Die Historiker gründen ihre Arbeiten auf Parteitagsprotokolle, Parteiprogramme, die wichtigsten Parteizeitungen und Zeitschriften und letztlich auf Briefe, Memoiren und einige allgemeine Statistiken. So wertvoll wie solche Quellen sind, 60 Die Namen entsprechender Frauen, die innerhalb der Fußnoten erstmals auftreten, werden auch mit den Lebensdaten ergänzt, aber i. d R. nicht weiter hervorgehoben. 61 Die Daten wurden dem Verzeichnis der ZDB entnommen. In einigen Fällen konnten jedoch keine eindeutigen Zuweisungen vorgenommen werden bzw. müssen vor allem die Jahre, in denen eine Zeitschrift ihr Erscheinen einstellte, offen bleiben und sind mit [?] markiert. 62 Nolan, Molly: Proletarischer Anti-Feminismus. Dargestellt am Beispiel der SPD-Ortsgruppe Düsseldorf, 1890 bis 1914. In: Frauen und Wissenschaft. Beiträge zur Berliner Sommeruniversität für Frauen Juli 1976, hrsg. von der Gruppe Berliner Dozentinnen, Berlin: Courage, 1977, S. 356-377. 28 EINLEITUNG sie sagen wenig über das Leben und das politische Verhalten der weiblichen oder männlichen Mitglieder aus. Nur die geschultesten und mächtigen Sozialdemo- kraten haben auf den Parteitagen gesprochen.“63 Nolans Feststellung war vor allem als eine Kritik an Thönnessen und allen sich auf ihn stützenden US-amerikanischen Studien formuliert, ihrer damaligen Bestandsaufnahme kann aber durchaus auch hinsichtlich neuerer Arbeiten zugestimmt werden. Tatsächlich wird mit einer Begrenzung der Quellen auch eine Begrenzung der Methoden und Problemstellungen vorgenommen, was wiede- rum dazu führt, dass bestimmte Entwicklungen verkürzt oder gar verfälscht dargestellt werden.64 Nolan greift meiner Meinung nach jedoch deutlich zu kurz, wenn sie außerdem behauptet: „Die meisten SPD-Mitglieder haben die Zeitungen und Zeitschriften, die in diesen Studien benutzt worden sind, offensichtlich nicht gelesen. Die Frauenzeitung ‘Die Gleichheit’ zum Beispiel wude[sic] auf sehr hohem Niveau geschrieben und war hauptsächlich nur den Funktionärinnen zugänglich und verständlich.“65 Die Lektüre und Analyse der „Gleichheit“ widerlegen diese pauschalisierende Behauptung Nolans. Zwar kamen in ihr als einem Organ von Partei- und Frauenorganisation tatsächlich bevorzugt die „Elite der Frauenbewegung […] und einige andere Prominente, die rednerische und schriftstellerische Begabungen entwickelt hatten“66 zu Wort, darüber hinaus wurden aber auf aus- drücklichen Wunsch Zetkins auch Alltagsberichte unbekannter und unerfahrener Autorinnen ab- gedruckt. Solche dürften demnach auch die „Gleichheit“ gelesen haben. Es kann zudem davon ausgegangen werden, dass an den so genannten „Lese- und Diskussionsabenden“, in denen die „Gleichheit“ zur Grundlektüre wurde, nicht nur die Elite der proletarischen Frauenbewegung teil- genommen hat. Unbestritten ist, dass das intellektuelle Niveau der „Gleichheit“ sehr hoch war, ein Sachverhalt, der von Anfang an viele Diskussionen und viel Kritik hervorrief. Anfangs beharrte Zetkin zugegebenermaßen darauf, dass die „Gleichheit“ ein Blatt für Funktionärinnen sei, spätes- tens 1905 lenkte sie mit der Einrichtung zweier Unterhaltungsbeilagen jedoch ein. Wie Kritik und 63 Nolan, Proletarischer Anti-Feminismus, S. 359. 64 Beispiel für eine solche Verfälschung ist nach Nolan die Behauptung, die SPD-Parteispitze sei in ein radikal- feministisches und ein revisionistisch-antifeministisches Lager gespalten gewesen. Tatsächlich wird damit der sozialdemokratische Antifeminismus an einer einzigen politischen Tendenz festgemacht und sehr vereinfacht dar- gestellt. Dass dem nicht so war und ohnehin auch die in der Parteispitze vorherrschenden Verhältnisse nie 1:1 auf die unteren Ebenen übertragen werden konnten, bestätigen auch spätere Forschungsarbeiten (vgl. Nolan, Prole- tarischer Anti-Feminismus, S. 359, die sich hier kritisch auf Honeycutt und Thönnessen bezieht) und Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 150ff.) In Bezug auf das „antifeministische“ und frauenarbeitsfeindliche Verhalten innerhalb der Arbeiterbewegung teile ich die Auffassung von Niggemann, dass „in solchen unmarxistischen Aussagen nicht immer Revisionismus oder Antifeminismus, sondern das Ergebnis eines theorielosen Gefühlssozialismus zu sehen“ (Niggemann, Emanzi- pation zwischen Sozialismus und Feminismus, S. 48) ist. Ich weise aber darauf hin, dass auch engagierte, gut ge- schulte Sozialisten ein antifeministisches Verhalten an den Tag legen konnten, wenn sie eben nicht nach der Theorie, sondern nach ihrem Vorurteil handelten. 65 Nolan, Proletarischer Anti-Feminismus, S. 359. 66 Nolan, Proletarischer Anti-Feminismus, S. 358f. 29 EINLEITUNG Popularisierung tatsächlich die Abonnentinnenzahlen beeinflussten, wird jedoch noch zu klären sein. Nolan schlussfolgert trotz allem nicht zu Unrecht, dass „[w]enn man solche Quellen beutzt[sic], […] man die Geschichte der sozialdemo- kratischen Frauenbewegung nur so darstellen [kann], wie sie von oben aussah.“67 Damit benennt Nolan aber lediglich das altbekannte und nahezu unlösbare Problem, dass der „einfache Arbeiter“ und vor allem die „einfache Arbeiterin“ meist nur im Rahmen statistischer Erhebungen zum Forschungsgegenstand wurde, selbst aber nie zu Wort gekommen ist. Es gibt nur wenige Aussagen und schon gar keine zeitgenössische Studie, die Gewissheit darüber verschaffen könnten, wie die Inhalte der „Gleichheit“ aufgefasst, aufgenommen und umgesetzt wurden. Diese Umstände nötigen auch die hier vorliegende Arbeit dazu, die Methoden und Inhalte der „Gleich- heit“ vornehmlich in ihrer gewünschten Wirkung darzustellen und zu interpretieren. Zwar streben neuere, vor allem sozialgeschichtliche Arbeiten eine Erforschung der Basisresonanz und der Frage, ob die Parteispitze die Situation in der Parteimasse immer zutreffend eingeschätzt hatte, an, aber der „Blick von unten“ bleibt mangels entsprechender Quellen schwierig und oft spekulativ. Deshalb stimme ich besonders Kinnebrock zu, wenn sie anmerkt, dass „die tatsächlichen Inhalte [von Frauenbewegungszeitschriften; M.S.] […], ihre spezifischen Funktionen und ihre Rolle bei der Förderung des sozialen Wandels – der Realisierung weiblicher Bürger- und Beteiligungsrechte – […] von der Histori- ographie kaum aufgearbeitet“68 [Hervorhebung von M.S.] wurden. Denn auch bei Standardquellen wie der „Gleichheit“ oder SPD-Parteitagsprotokollen, die vollkommen ausgeschöpft scheinen, lohnt sich ein genaueres Hinschauen. Dies umso mehr, da sich mit den Methoden und Erkenntnissen u. a. aus der Sozial-, Frauen- und Geschlechterge- schichte auch in der Geschichtswissenschaft selbst ein Perspektivenwandel vollzogen hat. Diese neuen Perspektiven machen auch „altbekannte“ Quellen wieder interessant. Für die Erforschung der proletarischen Frauenbewegung – so die Forderung Nolans und Richebächers – muss dies vor allem bedeuten, Alltagsleben, Sozialisierung, Familien- und Arbeitsverhältnisse und das politische Wirken von Frauen auf lokaler und regionaler Ebene stärker zu berücksichtigen69 – eine Forde- rung, die anfangs tatsächlich eher von den autonomen Einrichtungen der neuen Frauenbewegung berücksichtigt wurde als von der etablierten Geschichtswissenschaft. Bei einigen hier angeführten Forschungsarbeiten steht die kritisierte Begrenzung der Quellen- auswahl und der vernachlässigte Perspektivenwandel in einem auffälligen Zusammenhang mit dem Geschlecht der VerfasserInnen. Zwar bemühen sich die männlichen Autoren, der 67 Nolan, Proletarischer Anti-Feminismus, S. 359. 68 Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk!?, S. 135. 69 Nolan, Proletarischer Anti-Feminismus, S. 359; Richebächer, Lebenszusammenhang und Organisation, S. 205. 30 EINLEITUNG proletarischen Frauenbewegung ihren Platz in der Geschichte der SPD und der Arbeiterbewegung einzuräumen, sie ziehen dafür aber kaum diejenigen Quellen heran, die – wie von Nolan gefordert – in der „großen Politik“ wie im „kleinen Alltag“ einen frauenspezifischen Blickwinkel ein- nehmen. Hingegen sind es die weiblichen Autoren, die – meist zusätzlich zu ihren eigentlichen Schwerpunkten – eine Analyse z. B. der Position zur bürgerlichen Frauenbewegung, des gesell- schaftlichen Frauenbildes und des Frauenalltags leisten. Diese Entwicklung steht m. E. in engem Zusammenhang mit der Institutionalisierung vieler Frauenprojekte und Frauengeschichtswerk- stätten, die – in den 1960er und 1970er Jahren gegründet – seit den 1980er Jahren70 mit der Auf- arbeitung vergessener Geschichte begonnen haben. Hier entwickelten sich die neuen innovativen Zugänge, die sozialen, regionalen und biographischen Schwerpunkte, mit deren Hilfe Frauen in der Geschichte sichtbar gemacht werden sollen. Es verwundert daher auch nicht, wenn die 1975 von Helga Grebing verfasste Publikation „Ge- schichte der deutschen Arbeiterbewegung“71 oder die von Susanne Miller mitherausgegebene „Kleine Geschichte der SPD“72 die proletarische Frauenbewegung und auch die „Gleichheit“ mit keinem einzigen Wort erwähnten – die Zeit war wohl noch nicht gekommen. Ähnlich der Arbeitsweise Kinnebrocks, die für ihre vergleichende Zeitschriftenanalyse die je- weiligen Jahrgänge der Zeitschriften „im Rahmen einer Totalerhebung […] systematisch durch- gesehen“73 hat, wurde auch in der vorliegenden Dissertation verfahren und die „Gleichheit“ einer qualitativ-hermeneutischen Inhaltsanalyse unterzogen. Hinsichtlich der Definition der quantitativ orientierten Forschung als eines Ansatzes, welcher über standardisierte Methoden, Techniken oder Messinstrumente verfügt, und der qualitativ orientierten Forschung, innerhalb derer die Methoden meist für den jeweiligen Forschungsgegenstand entwickelt und differenziert werden, beruft sich die vorliegende Arbeit vornehmlich auf Philipp Mayrings „Einführung in die qualitative Sozial- forschung“74. Sich methodisch an der „Gleichheit“ als ihrem Forschungsgegenstand orientierend, nutzt sie einen ebenfalls von Mayring ausführlich dargelegten Ansatz der qualitativen Forschung: die Interpretation. 70 So entstand z. B. 1984 aus einer privaten Initiative heraus in Kassel das Archiv der deutschen Frauenbewegung und ein Unterstützerinnenverein (seit 2004 in eine Stiftung umgewandelt). 71 Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 1975. 72 Miller/Potthoff, Kleine Geschichte der SPD. Dieses 1974 erstmals erschienene Werk erfuhr 2002 die 8. Auflage, doch wurde der entsprechende historische Teil nicht überarbeitet. 73 Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk!?, S. 136. 74 Vgl. Mayring, Philipp: Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitativem Denken. 5. überarbeitete Aufl. Weinheim, Basel: Beltz, 2002, S. 145. 31 EINLEITUNG Die Qualitätseinschätzung einer Interpretation, so Mayring, sei aus ihrer argumentativen Begründung ersichtlich.75 Qualitatives Denken lasse explizit ein induktives Vorgehen zu und so setzten sich „[a]us einzelnen Beobachtungen […] die ersten Zusammenhangsvermutungen zusam- men, die dann durch systematische weitere Beobachtungen zu erhärten versucht werden“76. Den Grundgedanken hermeneutischer, d. h. interpretativer Ansätze skizziert Mayring schließlich so: „Texte, wie alles vom Menschen Hervorgebachte, sind immer mit subjektiven Be- deutungen, mit Sinn verbunden; eine Analyse der nur äußerlichen Charakteristika führt nicht weiter, wenn man nicht diesen subjektiven Sinn interpretativ heraus- kristallisieren kann.“77 Diesbezüglich erscheint die Analyse einer Zeitschrift potenziell besonders ergiebig, da in ihr äußere Gestaltung und innerer Gehalt zusammenspielen und beides eine ausgesuchte Botschaft vermitteln soll. Interessanterweise stellt Mayring fest, dass als systematische Methode der Publi- zistik für die Analyse von Zeitungsartikeln bisher vor allem die quantitative Inhaltsanalyse heran- gezogen worden sei.78 Mit dem Aufkommen der Massenmedien, dem Zweiten Weltkrieg (Analyse der Feindpropaganda), für Verfassungsschutzzwecke und kommerzielle Auftraggeber habe diese Methode zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Aufschwung und wissenschaftliche Spezifizierung erlebt. Jedoch häuften sich auch die Kritiken, u. a. „‘daß es bisher noch nicht gelungen [sei], mit Hilfe der Inhaltsanalyse ein griffiges Instrument für die Beschreibung und Differenzierung von Zeitschriften zu entwickeln’.“79 Unter diesem Gesichtspunkt ist die Einschätzung des „Zeit- schriftenforschers“ Rollka sehr interessant, der noch 1985 eine „traditionelle Mißachtung der Zeitungen und des Tagesschrifttums als ernstzunehmende Quelle“ feststellte. Es dominiere ledig- lich das „‘illustrierende’ Zitieren“80 aus diesen wertvollen Quellen. Gerade die Unterhaltungs- literatur, zu der teilweise auch die biographischen „Gleichheit“-Artikel zu zählen sind, sei als For- schungsgegenstand viel zu gering geschätzt worden, bis angeregt durch sozialwissenschaftliche und sozialhistorische Ansätze der „mediale[…] Charakter vieler literarischer Produkte“81 wieder- entdeckt werde. Auch die Zeitungswissenschaft stelle verstärkt Fragen sozialer Interaktion in den Mittelpunkt.82 75 Vgl. ebd. 76 Mayring, Einführung in die qualitative Sozialforschung, S. 37. 77 Ebd., S. 13f. 78 Mayring, Philipp: Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 8. Aufl., Weinheim, Basel: Beltz, 2003, S. 24. 79 Koch, V. / Witte, H. / Witte, E. H.: Die Inhaltsanalyse als Meßinstrument. Methodenkritische Aspekte einiger Inhaltsanalysen von Publikumszeitschriften. In: Publizistik, 1974, Nr. 19, S. 177-184, S. 183. Zit. nach: Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, S. 25. 80 Rollka, Die Belletristik in der Berliner Presse des 19. Jahrhunderts, S. 1. 81 Ebd., S. 6. 82 Ebd., S. 6f. 32 EINLEITUNG Diesen Fragen nach der sozialen Interaktion sind anhand der „Gleichheit“ und anderer Zeit- schriften bereits Kinnebrock und Vormschlag nachgegangen. Beide verzichten dabei ebenfalls völlig auf quantitative Methoden und gehen allein von einer Interpretation des vorgegebenen text- lichen Materials aus. Kinnebrock jedoch begrenzt sich in ihrer Analyse auf themenspezifische selbständige Artikel und einzelne Meldungen83, während Vormschlag das Feuilleton in den Mittel- punkt ihres Forschungsansatzes stellte.84 Die vorliegende Arbeit wendet sich dagegen einem Bereich zu, den zwar auch Gomard in ihrem bereits erwähnten Artikel besprochen, aber nicht aus- reichend rekonstruiert hat. Die qualitative Analyse der vorliegenden Arbeit bezieht sich auf die „Gleichheit“ als Publikations- organ und als Quelle eines weiblichen Geschichtsbewusstseins. Sie kann sich zu diesem Zweck nicht nur auf Leitartikel und Redaktionsnotizen beschränken, denn zahlreiche Informationen erschließen sich erst aus der Analyse der Struktur und des Erscheinungsbildes dieser Zeitschrift. Besonders hinsichtlich ihrer Analyse als Quelle frauengeschichtlicher Inhalte sind verschiedenste Publikationsformen einzubeziehen: Leitartikel, Notizen, Nekrologe und Beiträge des Feuilletons. Die Zusammenstellung der untersuchten Frauenbiographien ist dementsprechend keine beispiel- hafte Auswahl, sondern eine Rekonstruktion aller im Hauptblatt veröffentlichten Artikel, die historische bzw. zeitgenössische Frauenbiographien zum Thema haben. Für die Rekonstruktion wurde der Schwerpunkt auf jene Informationen gelegt, die nicht nur Aufschluss über das Leben der Person, sondern über deren Charakter und damit auch über deren Leitbildfunktion geben. Besonders jene Charakterbeschreibungen in Verbindung mit dem besonderen Duktus der „Gleich- heit“ lassen eine systematische Gliederung der Frauenbiographien nach Frauenleitbildern zu. Eine solche Gliederung kann sowohl kollektivbiographische Zusammenhänge als auch Intentionen politischer Frauenbildung aufzeigen. Es werden sich dabei sowohl Klischees sozialistischer Frauenleitbilder bestätigen als auch überraschende Ausnahmen ermitteln lassen. Die Quantität der hier zu den einzelnen Frauen gegebenen Informationen richtet sich nach Umfang und Anzahl der in der „Gleichheit“ jeweils veröffentlichten Artikel und kann entsprechend unterschiedlich aus- fallen. Die in den Artikeln aufgeführten Angaben zu Personen und Ereignissen sollen als solche nicht verifiziert, sondern in ihrer Bedeutung und Wirkung auf die Leserinnen interpretiert werden. Lediglich die ermittelbaren Lebensdaten und Namen der Personen und Erscheinungsjahre ihrer Schriften werden ergänzt. Die Schreibweise von Personennamen wurde aus der „Gleichheit“ übernommen. 83 Vgl. Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 136. 84 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 86 und S. 99f. 33 EINLEITUNG Die Vollständigkeit der frauenbiographischen Artikel und ihre Rekonstruktion wurde auch deshalb angestrebt, um die „entdeckten“ Frauen nun, da sie einmal ins „Auge gefallen sind“, nicht erneut der Vergessenheit anheim fallen zu lassen. Inhaltliche Gliederung der Dissertation Aus dem bisher Dargestellten und dem gewählten Schwerpunkt ergibt sich für die hier vor- liegende Arbeit folgende inhaltliche Gliederung: 1. Eine Überblicksdarstellung der ersten Organisations- und Publikationsmöglichkeiten der proletarischen Frauen des deutschen Kaiserreichs, die als direkte Vorgängerinnen der „Gleichheit“ zu sehen sind. Die vorliegende Arbeit wird zwar hinsichtlich der Organisations- geschichte der proletarischen Frauenbewegung keine neuen Erkenntnisse anbieten und muss auch aus Gründen der Kompaktheit auf ihre ausführliche Beschreibung und Analyse weitest- gehend verzichten.85 Unverzichtbar in Bezug auf ihre Bedeutung für die historischen und biographischen Inhalte der „Gleichheit“ ist jedoch das Aufzeigen der Wurzeln proletarischer Frauenorganisation seit 1848 bis zum Fall des Sozialistengesetzes und die Einordnung der „Gleichheit“ in eine Tradition weiblicher Presseöffentlichkeit. 2. Die Darstellung der „Gleichheit“ als Agitations- und Bildungsmittel, als Zeitschrift von Frauen für Frauen. Bisherige Forschungsarbeiten sind vorrangig zweigeteilte Darstellungen der „Gleichheit“. Sie unterscheiden zwischen einer „Ära Zetkin“ und der Zeit danach oder vernachlässigen die Jahre nach der Entlassung Zetkins 1917 gänzlich. Da in den ersten 25 Jahren für Gestaltung und Redaktion der „Gleichheit“ vornehmlich Clara Zetkin verantwort- lich war, kann ohne Zweifel von einer „Ära Zetkin“ gesprochen werden. Ihre Entlassung stellt eine erhebliche Zäsur dar und rechtfertigt eine auf sie abgestimmte Gliederung. Hier soll aber der – gemäß meiner Recherche – erste Versuch unternommen werden, die „Gleichheit“ und ihre „Bausteine“ über ihren gesamten Erscheinungszeitraum darzustellen. Da zu einigen der an ihr beteiligten Personen bereits ausführliche biographische Studien vorliegen, wird diese Arbeit den Schwerpunkt auf deren Bedeutung für die „Gleichheit“ legen, da gerade dieses Engagement für die Zeitschrift in manchen Biographien stark vernachlässigt wurde. Zu „Gleichheit“-MitarbeiterInnen, deren Biographien weniger gut erschlossen sind, werden, wenn möglich, zusätzliche Informationen gegeben. In dieser Darstellung werden jene Um- stände analysiert, die zur Gründung der „Gleichheit“ geführt haben. Es werden ihr Auftrag, ihre Strukturen, ihr Erscheinungsbild, ihre Finanzen und ihr Selbstverständnis untersucht, 85 Ich verweise hier auf die bereits genannten Grundlagenwerke von Thönnessen, Evans, Niggemann, Albrecht/u a., Haarmann und Richebächer. 34 EINLEITUNG wobei insbesondere die im Verlauf ihres Erscheinens sich ergebenden Veränderungen berück- sichtigt und dargestellt werden sollen. 3. Die Verortung von Frauengeschichte, Frauenleitbildern und Frauenbiographien in der „Gleichheit“. Die „Gleichheit“ hob sowohl als sozialistische Zeitschrift wie auch als Frauen- zeitschrift besondere Geschichtsbereiche hervor, denn die Vermittlung von Geschichte spielte in ihrer politischen Aufklärungsarbeit eine zentrale Rolle. Es wird ein Überblick über ihre frauengeschichtlichen Inhalte gegeben und anhand ihrer Berufung auf ein bestimmtes Ge- schichtsbild die daraus resultierende Problematik von Frauenleitbildern und ihre Vermittlung durch Frauenbiographien erörtert. 4. Eine Zusammenstellung der in der „Gleichheit“ veröffentlichten Frauenbiographien, Jubiläumsartikel und Nekrologe, kategorisiert nach den fünf analysierten Frauenleitbildern „weiblicher Vollmensch“, „sozialistische Mutter“, „sozialistische Ehefrau“ „Klassenkämp- ferin“ und „Republikanerin“.86 Den biographischen Darstellungen ist jeweils eine Einführung in das jeweilige Frauenleitbild vorangestellt. Des Weiteren sind in einem besonderen Kapitel auch die Biographien bürgerlicher Frauen aufgeführt. Innerhalb der Kategorien werden nach chronologischen und thematischen Aspekten Unterkategorien gebildet, in denen wiederum die rekonstruierten Biographien der Frauen nach Lebensdaten gegliedert sind. Außer den ermittelbaren Lebensdaten und Vornamen mancher Personen geben die rekonstruierten Bei- träge nur jene Inhalte, Meinungen, Positionen und Geschichtsbetrachtungen wieder, die in den Artikeln zum Ausdruck kommen. Es werden keine ergänzenden Informationen gegeben, son- dern lediglich die Darstellungen der „Gleichheit“-Autorinnen rekonstruiert und interpretiert.87 5. Die Zusammenfassung und quantitative Auswertung der Ergebnisse. Die Umsetzung der einleitend vorgestellten Forschungsaufgabe wird resümiert, Spezifika des sehr umfassend dargestellten Materials besprochen und durch Untersuchungsergebnisse erläutert. Quantitative und qualitative Ergebnisse sowohl zu den Strukturen der „Gleichheit“ als auch zu ihren In- halten und Intentionen schließen die Arbeit ab. 86 Interessanterweise gibt es eine ältere Forschungsarbeit, die ähnliches mit deutschen Frauenzeitschriften der Nach- kriegszeit unternommen hat: Schwarz, Ingelene: Wesenszüge der modernen deutschen Frauenzeitschrift. Disser- tation der Freien Universität Berlin 1956. In dieser Arbeit wird die publizistische Ansprache der Leserin in die Kategorien „Die Frau als Gefährtin des Mannes“, „Die Frau als Mutter und Hausfrau“, „Die Frau im Beruf“ und „Die Frau als Staatsbürgerin“ unterteilt. Schwarz wollte darstellen, „wieweit die Frauenzeitschrift als jeweiliges Kind ihrer Zeit das Dasein der Frauen charakterisiert und ihrerseits formend zu beeinflussen sucht“ (Schwarz, Ingelene: Wesenszüge der modernen deutschen Frauenzeitschrift, S. 1). 87 Auch Niggemann hat für den umfangreichen biographischen Anhang seines Grundlagenwerks, das die biogra- phischen Skizzen von mehr als 300 Frauen enthält, die meisten der in der vorliegenden Arbeit rekonstruierten Artikel nach den objektivierbaren Daten ausgewertet und durch Informationen aus weiteren Quellen ergänzt (vgl. Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus, S. 295-348). Diese Informationen sind z. T. in die Kurzbiographien der „Gleichheit“-Mitarbeiterinnen eingeflossen. 35 1 „Nicht auf Sand gebaut“ – Politische Frauenorganisation und -presse in Deutschland 1848 bis 1891 1.1 Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich 1.1.1 Die Revolution von 1848 – Wurzel der deutschen Frauenbewegung Um die Bedeutung der „Gleichheit“ als Vernetzungsinstrument der frühen proletarischen Frauenbewegung und als Quelle der Frauengeschichte vollständig ermessen zu können, ist ein Blick auf das Frauenleben und das Frauenvereinswesen im deutschen Kaiserreich unerlässlich. Aufgezeigt werden soll, wie es Frauen trotz schwieriger gesellschaftlicher Umstände gelang, spezifisch weibliche Interessen öffentlich zu formulieren und zu vertreten. Auffällig ist es, dass die Entwicklung der deutschen Frauenbewegung sehr stark regional gebunden war und dass einzelnen Frauen und einzelnen Organisationen eine wichtige Rolle als Initiatorinnen zukam.1 Sie wurden zu Wegbereiterinnen auch der proletarischen Frauenbewegung und damit auch zum Gegenstand der noch zu analysierenden historischen Frauenbiographien der „Gleichheit“. „Frausein in Deutschland“ – dieses Schlagwort erscheint nicht zeitgebunden. Vor 200 Jahren jedoch entbehrte es insbesondere einer Voraussetzung: Deutschland. Das Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts war nicht mehr als ein „Zusammenschluss“ einzelner Fürstentümer. Zwar basierte dieser Zusammenschluss nicht nur auf Verträgen und verwandtschaftlichen Beziehungen einzelner Fürstenhäuser, sondern auch auf einer gemein- samen kulturellen Tradition, der Alltag der Bevölkerung jedoch war gerade davon stark beeinflusst, dass je nach Wohn- und Aufenthaltsort stets unterschiedliche Gesetze Geltung hatten. Regierungsform, Verwaltung, Steuerwesen, Währung, Religion, Gesetzgebung und Ge- setzsprechung waren entweder Ausdruck königlicher, großherzoglicher, herzoglicher oder gräflicher Oberhoheit. Und so lag es auch im Ermessen dieser höher gestellten Minderheit, die Mehrheit der Bevölkerung oder auch nur bestimmte Personengruppen an politischen Entschei- dungen teilhaben zu lassen oder sie bewusst von diesen auszuschließen.2 Deutschland existierte nur als kulturelles und nationales Ideal, nicht als einheitlicher Staat. So 1 Für einen Überblick seien hier besonders empfohlen die Arbeiten: Wischermann, Frauenbewegungen und Öffentlichkeiten um 1900; Huber-Sperl, Organisiert & engagiert. Darüber hinaus sind es die bereits erwähnten regionalen Forschungsarbeiten, die einen detaillierteren Blick auf die Besonderheiten und weniger bekannten Persönlichkeiten proletarischer Frauengeschichte geben können. 2 Neben den hier im Mittelpunkt stehenden Aspekten des Geschlechts und der politischen Gesinnung war auch die Religionszugehörigkeit herausragender Grund für gesellschaftliche Ausgrenzung. Zur Geschichte der Juden in Deutschland siehe: Elbogen/Sterling, Die Geschichte der Juden in Deutschland; Heid/Schoeps, Juden in Deutschland. 37 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 kam es, dass die deutschen Fürstentümer und ihre Bevölkerung Anfang des 19. Jahrhunderts die französische Fremdherrschaft unter Napoleon I. Bonaparte, ihre Beseitigung durch den Sieg der Allianzmächte im Oktober 1813 in der „Völkerschlacht“ bei Leipzig und die nachfolgende Restauration der ehemals bestehenden staatlichen Verhältnisse jeweils ganz unterschiedlich er- lebten. Im Rahmen dieser beträchtlichen Umwälzungen entstand eine nationale Bewegung, ja eine nationale Begeisterung, die teilweise zwar sehr schwärmerisch motiviert war, aber auch ganz offen die nationale Einheit wie auch die Demokratisierung und Liberalisierung staatlicher Ent- scheidungsinstanzen und Entscheidungsprozesse forderte. Getragen wurde diese Bewegung vor allem von dem liberalen Bürgertum – den Gelehrten, Dichtern, Kaufleuten, Handwerkern und vor allem den Studenten.3 Bereits hier und noch bevor sich im März 1848 in nahezu allen deutschen Fürstentümern die politischen Spannungen in Form revolutionärer Kämpfe entladen sollten, muss eine derjenigen Frauen genannt werden, deren persönliches Schicksal eng mit dem Werden der deutschen Frauenbewegung verknüpft ist. Denn sie trat bereits in der Zeit des so genannten „Vor- märzes“, in der sich die liberalen Kräfte konsolidierten, mit Wort und Tat hervor und gilt bis heute als Vorkämpferin für die Rechte der deutschen Frauen, ja sogar als entscheidende Gründungsfigur der deutschen Frauenbewegung schlechthin: Louise Otto-Peters (1819-1895). Als Schriftstellerin sozialkritischer Romane und nationalbegeisterte Dichterin bekannte sie sich schon als junges Mädchen zu ihrer Sehnsucht nach einem geeinten Deutschland und stellte sich in die Reihen der Nationalrevolutionäre. Schon zu Lebzeiten als „Lerche des Völkerfrühlings“ berühmt, wurde Otto-Peters aber vor allem durch ihr wichtigstes „Unternehmen“, durch die Gründung der ersten Frauenzeitung Deutschlands, zu einer herausragenden Persönlichkeit, zu einem weiblichen Vor- bild. Die Gründung der „Frauen-Zeitung“ (1849-1852) ist ein Markstein in der Geschichte der deutschen Frauenbewegung und des deutschen Pressewesens, weshalb sie noch an anderer Stelle näher vorgestellt werden soll. Voller Hoffnung und Tatendrang konstituierte sich 1848 die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche als demokratische Instanz. Ihre auf die Toleranz und persönliche Ko- operation der Monarchen gesetzte Hoffnung wurde jedoch enttäuscht und mit massiver militä- rischer Gewalt vergolten. Die bürgerliche Revolution, die bürgerlichen Revolutionäre scheiterten und ihre Niederlage – in seiner Gänze vor allem festzumachen an der repressiven Gesetzgebung der nachfolgenden 1850er Jahre – hatte seine massivsten Auswirkungen interessanterweise gerade 3 Als Beispiel seien hier nur die sieben Professoren aus Göttingen, die so genannten „Göttinger Sieben“ (W.E. Al- brecht, F.C. Dahlmann, H. von Ewald, G. Gervinus, J. Grimm, W. Grimm und W.E. Weber) genannt, die für ihren Protest gegen die Aufhebung der hannoveranischen Verfassung mit dem Verlust ihrer Lehrstühle und politischer Verfolgung büßen mussten. 38 1.1.1 DIE REVOLUTION VON 1848 – WURZEL DER DEUTSCHEN FRAUENBEWEGUNG auf die rechtliche Situation der Frauen. Paradebeispiel dafür ist das 1850 verabschiedete „Preußische Vereinsgesetz“, welches in § 8 ausdrücklich besagte: „‘Für Vereine, welche bezwecken, politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern, gelten […] nachstehende Beschränkungen: a) sie dürfen keine Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge als Mitglieder auf- nehmen; […] Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge dürfen den Versammlungen und Sitzun- gen solcher politischen Vereine nicht beiwohnen. Werden dieselben auf die Auffor- derung des anwesenden Abge-ordneten der Obrigkeit nicht entfernt, so ist Grund zur Auflösung der Versammlung oder der Sitzung […] vorhanden.’“4 Um die repressive Gewalt dieses Gesetzes in seiner Konsequenz zu erfassen, muss man sich Fol- gendes vergegenwärtigen: Es waren die Vereine und Verbände, die im Deutschland des 19. Jahr- hunderts die entscheidenden Keimzellen politischer Bestrebungen und Veränderungen waren – wo, wenn nicht hier, hätten Frauen am politischen Leben teilnehmen sollen?!5 Dieses Gesetz wog umso schwerer als sich mit ihm die staatliche Diskriminierung der Frau, ihr Ausschluss aus der politischen Öffentlichkeit nicht auf Preußen beschränkte. Preußen war der einflussreichste aller deutschen Staaten, eine konstitutionelle Monarchie, die sowohl innerhalb Europas als auch inner- halb des deutschen Reiches nach einer Vormachtstellung strebte. Durch diese preußische Hege- monie galt der Ausschluss der Frauen und Jugendlichen vom politischen Leben nicht nur in Preußen selbst, sondern auch in preußennahen Staaten wie Bayern, Braunschweig, Anhalt, den beiden Mecklenburgs, Reuß und Lippe. Dagegen genossen „dank“ der Uneinheitlichkeit des deutschen Reiches die Frauen in Baden, Württemberg, Hessen, den Hansestädten, Sachsen- Coburg-Gotha und Sachsen-Meiningen eine etwas liberalere Vereinsgesetzgebung.6 Gesetzestexte wie das Preußische Vereinsgesetz von 1850 unterstellten Frauen per se politische Unreife und manifestierten so ihre untergeordnete Stellung in einer patriarchalischen Gesellschaft.7 Genau wie Jugendliche galten sie als unmündig und nicht geschäftsfähig, weshalb 4 § 8 der „Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechts“ vom 11. März 1850. In: Preußische Gesetz-Sammlung 1850, S. 277ff. Zit. nach: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, S. 519-522, S. 520f. 5 Zweifelsohne stellten die schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Rahel Varnhagen von Ense (d. i. Rahel Levin) (1771-1833) und Henriette Herz (1764-1847) geleiteten Berliner Salons durchaus eine Keimzelle demokratischer Öffentlichkeit dar, allerdings dürfte deren Ausstrahlung sich auf einige urbane und universitäre Kreise beschränkt haben (vgl. Hertz, Die jüdischen Salons im alten Berlin). 6 Vgl. Honeycutt, Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany, S. 98. In Bayern entsprach Artikel 15 der Landesverfassung diesem Standpunkt weiblicher Driskriminierung. Laut Ihrer waren die liberalen Vereinsgesetze „nicht besser“. Nur Baden und seit einem Ministerialerlass 1891 auch Sachsen seien eine Ausnahme gewesen, da hier das Vereinsgesetz keine Geschlechtsunterschiede seiner Untertanen gekannt habe (vgl. Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 5). 7 Es war das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794, das durch die Vormachtstellung Preußens die Rechtsstellung der meisten deutschen Frauen definierte. Erst im Zuge einer gesetzlichen Vereinheitlichung wurde 1896 vom Deutschen Reichstag das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) verabschiedet. Zur rechtlichen Situation der 39 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 sie per Gesetz immer der Vormundschaft eines Mannes – Vater, Onkel, Bruder oder Ehegatte – zu unterstehen hatten, ja diese nach Meinung der Gesetzgeber sogar unbedingt benötigten. Eigene politische Interessen eigenständig zu vertreten, daran war für die Frauen in Deutschland nicht zu denken. Ob bekennende Demokraten oder Monarchisten – die Mehrheit der Männer war ohnehin der Ansicht, dass die Politik ein zu „garstig Lied“ sei und damit dem hohen tugendhaften Wesen einer Frau abträglich. Die Tatsache, dass eine männlich dominierte Gesellschaft Frauen per Gesetz jedes politische Engagement untersagte, wurde so in das hehre Licht gerückt, dass man(n) sie doch lediglich vor einem unerträglichen Ehrverlust schützen wolle. Bemerkenswerterweise gingen die Ordnungshüter bei einem Verstoß gegen dieses Gesetz jedoch sehr rigoros vor und waren dabei wenig auf die weibliche Ehre bedacht. Jeder erfüllungsbeflissene Polizeibeamte hatte es in der eigenen Hand, die Vereinsversammlung aufzulösen, wenn die in Anwesenheit von „Frauenspersonen“ behandelten Gegenstände seiner Meinung nach politisch waren. Oft der genauen Bestimmungen jedoch unkundig, schlossen Polizeibeamte aber auch dann Frauen von Versammlungen aus, wenn diese öffentlich waren und damit Ausnahmen des Gesetzes darstellten. Angesichts dieser obrigkeitsstaatlichen Willkür sahen sich manche listigen Frauen gezwungen, die öffentlichen Versammlungen in Männerkleidung zu besuchen8 oder in möglichst großen, ihrer Rechte durchaus bewussten Gruppen zu erscheinen. Durch diese Taktik wurde den Polizeibeamten ein widerrechtliches Eingreifen erschwert und die erwachende Frauenbewegung sammelte ihre ersten Erfolge gegen den Staat. Derlei Erfolge änderten aber nichts daran, dass der weiblichen Bevölkerung der erwähnten Staa- ten eine Mitgliedschaft in einem politischen Verein verwehrt war. Auch die Vereine selbst dürften dem Mitgliedsantrag einer Frau niemals stattgegeben haben – zumal aus Sorge um ihre eigene Existenz, da jedem Verein, der dem Gesetz zuwiderhandelte und anwesende Frauen nicht sofort des Saales verwies, die Auflösung drohte. Das vor allem von Vertreterinnen der sich später her- ausbildenden proletarischen Frauenbewegung verwendete Bild der Frauen als „Parias“, als „Un- berührbare“, ist daher in diesem Zusammenhang ungemein zutreffend. Für all diejenigen Frauen, die sich von diesem Unerwünschtsein und dem nicht durchschaubaren Staatsapparat nicht ein- schüchtern ließen, war es schließlich an der Zeit, eigene Organisationen ins Leben zu rufen. Orga- nisationen, die sich zum Ziel setzten, aus weiblichen Staatsangehörigen Staatsbürgerinnen zu machen, zu Inhaberinnen gleicher Rechte und gleicher Pflichten. Frauen siehe: Gerhard, Frauen in der Geschichte des Rechts, 1997. 8 Vgl. Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 20. 40 1.1.1 DER BEGINN DES „HÜBEN UND DRÜBEN“ VON PROLETARISCHER UND BÜRGERLICHER FRAUENBEWEGUNG – DIE ANFÄNGE DES FRAUENVEREINSWESENS IN DEN 1860ER JAHREN 1.1.1 Der Beginn des „Hüben und Drüben“ von proletarischer und bürgerlicher Frauen- bewegung – Die Anfänge des Frauenvereinswesens in den 1860er Jahren Das erste Jahrzehnt nach der gescheiterten 1848er-Revolution verstrich in den meisten deutschen Staaten ohne nennenswerte Bestrebungen, die zu einer Politisierung der Gesellschaft oder gar der Frauen geführt hätten. Die wenigen Frauenvereine, die in diesem Zeitraum gegründet wurden, hatten fast ausschließlich karitativen Charakter und waren in ihrer Wirkung regional begrenzt.9 Der erste Frauenverein, der sich damit nicht mehr zufrieden geben wollte, sondern im Gegenteil deutlich politische und auch nationale Intentionen besaß, wurde 1865 von einer Frau ins Leben gerufen, die bereits keine Unbekannte mehr war: Louise Otto-Peters. Damit stellt Otto-Peters, die in ihrem Leben, Denken und Handeln stets auch die größeren Zusammenhänge im Blick behielt, eine auffällige Konstante dar. Zusammen mit der Pädagogin Auguste Schmidt (1833-1902) veranstaltete Otto-Peters vom 16. bis 18. Oktober 1865 in Leipzig den ersten „Deutschen Frauenkongreß“, in dessen Anschluss es zur Gründung des „Allgemeinen Deutschen Frauenvereins“ (ADF)10 kam. Wie der Name bereits anzeigt, waren seine Forderungen grundsätzlicher Art. Er wollte für alle deutschen Frauen sprechen – unabhängig von Klasse, Beruf oder innerdeutscher Staatsangehörigkeit. Ein Blick auf seine Statuten und in sein ebenfalls neu gegründetes Publikationsorgan „Neue Bahnen“ (1866- 1919) zeigt aber, dass von einem allgemeinen Anspruch nicht die Rede sein konnte. Stand im Mittelpunkt seiner Bestrebungen stets das Recht auf Bildung und Erwerb und in direktem Zusammenhang damit auch das Recht auf politische Mitbestimmung, so war dieses Recht auf Er- werb zu der damaligen Zeit vornehmlich ein Anliegen bürgerlicher Frauen. Dagegen scheint weder ein solches Erwerbsrecht noch das eingeforderte Recht auf Bildung im unmittelbaren Interesse proletarischer Frauen gelegen zu haben. Proletarische Frauen – ob sie wollten oder nicht – standen ohnehin meist mitten im Erwerbsleben – und dies unter sehr schwierigen Bedingungen: Die Industrialisierung hatte seit den 1850er Jahren Handwerk und Handel in sehr großem Maße 9 Für eine tabellarische Übersicht über die ersten Frauenvereine im Deutschen Kaiserreich siehe: Tabelle 1 „Aufstellung früher regionaler proletarischer Frauenorganisationen“ und Tabelle 2 „Entstehung und Entwicklung von Frauenorganisationen 1865-1908 in Anzahl der Verbände“. 10 1877 gab Otto-Peters eine Mitgliederzahl des ADF und aller angeschlossenen Vereine von 11.000-12.000 Frauen bekannt (vgl. Twellmann, Die deutsche Frauenbewegung, S. 52). Zu der Entwicklung des Mitgliederstandes bürgerlicher Frauenvereine (vgl. ebd. und Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit, S. 110f.). Kinnebrock bezeichnet die Gründung des ADF als „Geburtsstunde der ersten deut- schen Frauenbewegung“, weil sich hier zum ersten Mal „ein nicht nur lokal, sondern deutschlandweit agierender Frauenverein“ formiert habe. Zu vernachlässigen seien dabei die Vereinsgründungen in der 1848er-Revolution, weil diese ja im Zuge der Reaktion wieder aufgelöst wurden – also keine langfristigen Gründungen waren (vgl. Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 139). 41 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 verändert. Der technische Fortschritt brachte die maschinelle Arbeitskraft, die nicht nur der menschlichen direkt Konkurrenz machte, sie nivellierte auch deren Fähigkeiten. Indem nämlich bei der Bedienung industrieller Maschinen langjährig erworbene handwerkliche Fähigkeiten nur noch bedingt nötig waren, schwanden die Unterschiede zwischen gelernten und ungelernten Ar- beitskräften. Die Folge war die beliebige Ersetzbarkeit von Arbeitskräften – auch die von männlichen durch weibliche – und ein zunehmender Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt. Diese Situation versetzte Unternehmer in die Lage, die Arbeitsbedingungen zu diktieren: Nied- rigere Löhne, längere Arbeitszeiten und extrem gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen. Nicht selten waren deshalb Arbeiterfrauen – wollten sie die Versorgung ihrer Familien gewährleisten – gezwungen, neben ihrer Hausarbeit einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Wenn dies bereits auf verheiratete Proletarierinnen zutraf, so erst recht auf unverheiratete und verwitwete. Manchmal endete die Erwerbstätigkeit einer proletarischen Frau zwar mit ihrer Heirat, doch nicht selten kam zu der Erwerbstätigkeit als Arbeiterin nun auch noch die Verantwortung für den familiären Haus- halt als Arbeiterfrau hinzu – dies bedeutete für viele eine schwere Doppelbelastung. Die bürgerlichen Frauen forderten das Recht auf Erwerb aber nicht, um sich einigermaßen sinnvoll zu beschäftigen, sondern es gab auch unter ihnen aus vielerlei Gründen zunehmend unversorgte Personen, denen, wie den Proletarierinnen, oftmals keine andere Wahl blieb, als ihren eigenen Unterhalt selbst zu verdienen. Jedoch waren die Art der Erwerbstätigkeit und die Art der Tätigkeitsbereiche, deren Öffnung sie einforderten, ganz andere als die der Proletarierinnen. Auch eine längere schulische Ausbildung oder gar ein Hochschulstudium11 waren für die Masse der Arbeiterinnen undenkbar. Ihre ganze Lebenssituation – vor allem die Notwendigkeit, bereits im Kindesalter zum Erwerb der Familie beizutragen – ließ dies einfach nicht zu. Doch auch gesetzt den Fall, dass ihnen die nötige Zeit und die finanziellen Mittel zur Verfügung gestanden hätten, wären ihnen ihre Klassenzugehörigkeit und die damit verbundenen Vorurteile zu einem unüberwindlichen Hindernis geworden. So wurde die Gründung des ADF, indem dieser die Frauenbildungsfrage in den Mittelpunkt rückte, zwar einerseits zum Initial der bürgerlichen Frauenbewegung, andererseits manifestierte sich in dieser Gründung aber sehr deutlich der auch hinsichtlich weiblicher Interessen existierende 11 Das erste deutsche Mädchengymnasium wurde 1893 in Karlsruhe gegründet. Im Gegensatz zu den Universitäten in Süddeutschland (Baden 1900) nahmen preußische Universitäten offiziell erst 1908 Studentinnen auf. Einige deutsche Universitäten – nicht aber unbedingt auch deren Professoren – vergaben bis dahin zumindest den Status einer Gasthörerin. Frauen, denen das nicht genug war und die mittels eines Studiums auch einen Beruf anstrebten, gingen zum Studium z. B. in die Schweiz. Jedoch wurde vielen Heimkehrenden die Anerkennung ihres Abschlus- ses und damit die Ausübung ihres Berufes verwehrt. Zur Geschichte des Frauenstudiums in Deutschland siehe: Schöck-Quinteros/Dickmann, Barrieren und Karrieren. Die Anfänge des Frauenstudiums in Deutschland; Schlüter, Pionierinnen – Feministinnen – Karrierefrauen?. 42 1.1.1 DER BEGINN DES „HÜBEN UND DRÜBEN“ VON PROLETARISCHER UND BÜRGERLICHER FRAUENBEWEGUNG – DIE ANFÄNGE DES FRAUENVEREINSWESENS IN DEN 1860ER JAHREN Klassenunterschied12. Indem bei diesen ersten aufbrechenden Gegensätzen im gemeinsamen Kampf der Frauen um Gleichberechtigung bereits von einer „Abspaltung“13 der proletarischen Frauenbewegung gesprochen werden kann, bestätigt sich im Rückschluss, dass die Wurzeln jeder deutschen Frauenbewegung tatsächlich im Bildungsbürgertum zu suchen sind. Angesichts der dar- gestellten Interessenunterschiede war aber jene Loslösung der proletarischen Frauenbewegung von der bürgerlichen bzw. bürgerlich dominierten Frauenbewegung unabdingbar. So hatte die Gründung des ADF auch eine besondere Signalwirkung für die proletarischen Frauen: Vor allem in denjenigen Staaten, in denen das Preußische Vereinsgesetz nicht wirksam war, gründeten sich erste Arbeiterinnenvereine – teils in Nachahmung, teils in prinzipieller Auseinandersetzung mit dem ADF. Interessanterweise wurde jedoch keine nord- oder süddeutsche Stadt, sondern aus- gerechnet das „urpreußische“ Berlin zum Mittelpunkt der frühen Arbeiterinnenbewegung.14 Es wurde Sitz des „Vereins zur Fortbildung und geistigen Anregung der Arbeiterfrauen“ (1869-1871) und des „Hausfrauenvereins“ (1873) – beides jedoch noch Organisationen, die nur dem Vereins- namen nach die Interessen der Arbeiterinnen vertraten. In Wirklichkeit unterstanden auch sie noch der Leitung bürgerlicher „Damen“ und betrieben Arbeiterinnenbildung, die meist karitativ, ethisch oder religiös intendiert war. Mit politischer Aufklärung oder „dem Ideengange einer Arbeiterfrau mit ihren Alltagssorgen ums tägliche Brod“15 hatte dies noch wenig bis gar nichts zu tun. Für die Sozialdemokratin und Gewerkschafterin Emma Ihrer (1857-1911)16 war es im Rückblick auf die Ereignisse deshalb auch nicht verwunderlich, dass solcherlei Vereine stets wieder eingingen, „theils weil die Bürgerlichen es müde waren, Kraft, Zeit und Geld aufzuwenden, ohne Erfolge dafür zu sehen, theils weil Diejenigen, um deren bessere Ausbildung man sich bemühte, der Sache kein Interesse entgegenbrachten, kurz, weil beide Theile sich einfach nicht verstanden, da sie gleichsam aus verschiedenen Welten kamen, ihre Sprache, ihre Gewohnheiten, ihr Denken und Fühlen so grundver- 12 Der öffentlichkeitswirksame Kampf gegen die Rechtlosigkeit der Frau wurde „zunächst von einem Theil der Frauen der ‘oberen Zehntausend’ […] eingeleitet“ (Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, ihre Entstehung und Entwickelung, S. 3). Auch später zeigte sich, dass viele der Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung zumindest bürgerlicher Herkunft waren – im Falle Zetkins meint Puschnerat sogar von einem durchgängigen Verhaftetsein in der bürgerlichen Mentalität sprechen zu können (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus). 13 Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 140. 14 Frühe Publikationen zur Entstehung der Arbeiterinnenbewegung sind: Berger, A.: Die zwanzigjährige Arbeiterin- nen-Bewegung Berlins und ihr Ergebnis. Berlin 1889; Ihrer, Emma: Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, ihre Entstehung und Entwicklung. Berlin 1893; Ihrer, Emma: Die Arbeiterinnen im Klassenkampf. Hamburg 1898; Lüders, Else: Arbeiterinnenorganisation und Frauenbewegung. 2. Aufl., Leipzig 1904. 15 Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 7. Dies war ein Kommentar Ihrers zum 1869 von Louise Otto-Peters ge- gründeten „Verein zur Fortbildung und geistigen Anregung der Arbeiterfrauen“. 16 Da die in der „Gleichheit“ veröffentlichten Nekrologe auf Ihrer in der vorliegenden Arbeit noch detailliert bespro- chen werden, wird an dieser Stelle auf eine biographische Information verzichtet. 43 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 schieden von einander war, eine natürliche Folge der Klassenunterschiede […].“17 Diese Klassenunterschiede konnten und durften nicht ohne weiteres ignoriert werden. Arbeiter- innenvereine unter bürgerlicher Protektion bzw. Bevormundung waren Ihrers Meinung nach alles andere als hilfreich für die gedeihliche Entwicklung einer Volksbewegung – und eben eine solche zu werden, war das Ziel der proletarischen Frauenbewegung. Das Wesen einer solchen Frauenbe- wegung werde dagegen voll entfaltet mittels „der treibenden inneren Kraft, welche sich gegen äußerliche Hemmnisse stemmt, im Widerstande erstarkt und sich den aufgezwungenen Formen anpaßt, ohne ihren wahren Kern, ihr eigentliches Wesen zu verlieren“18. Dieser Wachstumsprozess – so Ihrer im Rückblick auf die Entwicklung – sei zwar langsam, aber in seiner Selbständigkeit effektiver gewesen als die „künstliche Nachhilfe“19 wie sie zu Beginn der Arbeiterinnenbewegung betrieben worden sei.20 So gründeten sich in den 80er Jahren des 19. Jahr- hunderts schließlich verstärkt „echte“ Arbeiterinnenvereine, die eben nicht wie der ADF ver- meintlich allgemeine Fraueninteressen vertreten oder karitative Aufgaben erfüllen wollten, sondern sich ganz bewusst vorerst einmal branchenspezifisch, d. h. vornehmlich nach Berufs- gruppen organisierten, um gezielt Arbeiterinnenrechte einzufordern. Unter diesen Gesichtspunkten war der 1872 in Berlin gegründete „Arbeiterfrauen- und Mädchen- Verein“ etwas wirklich Außergewöhnliches, denn mit seinen Gründerinnen Bertha Hahn (?-?), Pauline Staegemann (1830-1909), ? Grundemann (?-?) und Johanne Schackow (?-1902) waren es endlich „energische, zielbewußte Arbeiterfrauen“21, die einer Frauenorganisation vor- standen. Ihre rege Agitationstätigkeit ließ den Verein schnell in ganz Deutschland immer mehr Nachahmung finden. Weil er durch diesen Erfolg jedoch drohte, zur Keimzelle einer politischen Bewegung zu werden, wurde er bereits 1877 mit Verweis auf das preußische Vereinsgesetz aufgelöst. Als eine besondere „Tugend“ der proletarischen Frauenbewegung zeichnete sich jedoch bereits damals die Beharrlichkeit ab, sodass es bald zu einem neuen Organisationsversuch kam. Mit Marianne Menzzer (1814-1895) aus Dresden und Johanna Friederike Wecker (?-?) aus Frankfurt am Main waren es 1881 zwei „Demokratinnen vom alten Schlag“22, die die Arbeiterinnen aufriefen, „sich zu vereinigen und gemeinsam zur Wehr zu setzen gegen die krasse 17 Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 7f. 18 Ebd., S. 7. 19 Ebd. 20 Vgl. ebd. 21 Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 8. 22 Ebd., S. 9. Demokratinnen wie Menzzer wurden später von der „Gleichheit“ zwar für ihre Pionierarbeit geehrt, aber eher der bürgerlichen Frauenbewegung zugerechnet – so auch in der biographischen Zusammenstellung dieser Arbeit. 44 1.1.1 DER BEGINN DES „HÜBEN UND DRÜBEN“ VON PROLETARISCHER UND BÜRGERLICHER FRAUENBEWEGUNG – DIE ANFÄNGE DES FRAUENVEREINSWESENS IN DEN 1860ER JAHREN Ausbeutung ihrer Arbeitskraft“23. Daraus resultierte die Gründung des „Frauen-Hilfs-Vereins für Handarbeiterinnen“ (1883). Sein agitatorischer Erfolg und die Anzahl der Mitglieder blieb jedoch sehr gering. Außerdem habe es, so Ihrer kritisch, „den Führenden noch an der nöthigen Einsicht, sowie auch an Gemeinsinn und dem Selbstständigkeitsgefühl“24 gefehlt.25 Dennoch trug auch dieser Verein zum Wachsen der proletarischen Frauenbewegung bei, denn „[v]on diesem Verein war ein Häuflein thatkräftiger Frauen zusammen geblieben, welche durch diese Erfahrungen gelernt hatten, wie man es nicht anfangen dürfe, um etwas für die Arbeiterinnen Ersprießliches zu erreichen.“26 [Hervorhebungen von M.S.] Das „Häuflein thatkräftiger Frauen“ wies zwar keine namhaften Frauen der „Ersten Stunde“, keine Otto-Peters oder Schmidt auf, aber doch Frauen, die noch zu bekannten Führerinnen einer originären proletarischen Frauenbewegung werden sollten. Denn es waren Frauen wie Emma Ihrer, ? Dräger (?-?) und ? Haase (?-?), die zunehmend den Führungsanspruch bürgerlicher Frauen kritisierten, so z. B. wenn diese wie in einer öffentlichen Versammlung in Berlin 1882 ver- suchten, „den Arbeiterinnen nicht etwa die Hand zu bieten zum gemeinsamen Kampfe, sondern […] Protection zu üben über die Frauen und Töchter der Arbeiterklasse, die anerkennen sollten, wie nöthig es sei, für die Hebung der Sittlichkeitdes[sic] Arbeiterstandes zu sorgen“27. Allzu oft glaubten bürgerliche Frauen als Expertinnen im Interesse der Arbeiterinnen zu handeln, wenn sie Debatten über deren Sittlichkeit und über die Abschaffung der Prostitution führten. Tat- sächlich degradierten sie auf diese Weise die Arbeiterinnen aber auch zu Sozialfällen, zu Objekten bürgerlicher Mildtätigkeit und Bevormundung. Wenn sich also im konkreten Fall in Berlin nur einige Monate später 1883 ein Verein für Arbeiterinnen – der „Frauen-Hilfs-Verein für Handarbei- terinnen“ – gründete, dann ist dies durchaus auch als „Trotzreaktion“ zu beurteilen.28 Das Selbstbewusstsein der Proletarierinnen wuchs – und dies in doppelter Hinsicht: Einerseits als zunehmende Courage und andererseits als Bewusstsein der spezifischen Eigenart proletarischer 23 Ebd. 24 Ebd., S. 10. 25 Grund zu dieser Kritik gab z. B. der sonderbare Umstand, dass Fabrikarbeiterinnen als Mitglieder ausgeschlossen waren, aber bürgerliche Frauen und sogar Männer hingegen Ehrenmitglieder werden konnten (vgl. Ihrer, Arbei- terinnen im Klassenkampf, S. 9). Laut Gerhard sei der Vorwurf Ihrers nicht gerechtfertigt, da eine Unterscheidung in Hand- und Fabrikarbeit in der Blütezeit der Hausindustrie noch keinen Sinn gemacht habe (vgl. Gerhard, Uner- hört, S. 129). 26 Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 10. 27 Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 4. 28 Vgl. ebd., S. 5. 45 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 Probleme. So entstand 1885 der „Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen“.29 In ihm engagierte sich erstmalig gemeinsam eine ganze Reihe herausragender Führerinnen wie Gertrud Guillaume-Schack (1845-1903), Marie Hofmann (?-?), ? Kreutz (?-?), Ida Cantius (?-?), ? Leuschner (?-?), erneut auch Staegemann, Haase und Ihrer.30 Dieser Verein weist eine besonders durchdachte Organisation auf, indem er sich in Fachkommissionen und Branchen-Versammlungen gliederte. Er sammelte statistisches Material, legte eine Bibliothek an, formulierte spezifische Interessen und entwickelte Strategien, diese auch durchzusetzen.31 Zunehmend erhöhten sich nicht nur die Zahl seiner Mitglieder, sondern auch die Unstimmigkeiten innerhalb der Gruppe, die schließlich zur Abspaltung und Gründung des „Nord-Vereins“ unter Leitung von ? Pötting (?-?), ? Grothman (?-?) und Cantius führten. Die Unstimmigkeiten waren aber wohl nicht so gravierender Art, dass nicht weiterhin beide Vereine einen gemeinsamen Kreis von ReferentInnen, Rechtsanwälten und Ärzten für ihre Arbeit in Anspruch nehmen konnten.32 Von diesen Berliner Arbeiterinnenvereinen ging eine große agitatorische Wirkung aus. Laut Ihrer waren es gerade die Negativschlagzeilen in der konservativen Presse, die die Arbeiterinnen in ganz Deutschland dazu bewegten, es den Berlinerinnen gleichzutun.33 Schließlich erfolgte im Mai 1886 das absehbare Verbot der drei Berliner Arbeiterinnenvereine „Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen“, „Verein der Mantel-Näherinnen“ und „Nordverein der Arbeiter- innen“. Willkommener Vorwand dafür war den Behörden eine als politisch befundene Petition, in der die Zulassung von Frauen zu Gewerbegerichten gefordert wurde. Den Hausdurchsuchungen und der Beschlagnahme aller schriftlichen Materialien folgten die Anklage der Leiterinnen und viele langwierige Voruntersuchungen.34 Obwohl „alle Kreuz- und Querverhöre […] äußerst ge- ringe Ergebnisse“35 zeitigten, wurden die verantwortlichen Frauen mit Haft- und Geldstrafen be- langt. Es folgte eine grenzüberschreitende Verbotswelle, die auch die jeweiligen Vereine in Halle 29 Für eine nähere Beschreibung des „Vereins zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen“ siehe: Hartwig/ Wischermann, Staatsbürgerin. 30 Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 12. Guillaume-Schack war für diesen Verein die Leitung angetragen worden, da sie aber als schweizerische Staatsangehörige unter dem Sozialistengesetz mit Ausweisung rechnen musste, lehnte sie diese ab. Stattdessen wurde sie zur Ehrenpräsidentin gewählt, „weil man sie in irgend einer Form als betheiligt wünschte. Sie legte aber nach Jahresfrist das Ehrenamt nieder, um nicht in einem Verein, der auf vollkommene Gleichberechtigung gegründet war, eine Ausnahmestellung einzunehmen“ (ebd.). 31 Die von Guillaume-Schack herausgegebene „Staatsbürgerin“ wird noch eigenständig in dieser Arbeit behandelt; siehe: Kapitel 1.3. 32 Vgl. ebd., S. 16 33 Vgl. ebd., S. 12. 34 Die polizeiliche Beschlagnahmung führte dazu, dass Arbeiterinnenorganisationen häufig keinerlei Organisations- unterlagen mehr anlegten, was die Dokumentation und geschichtswissenschaftliche Erforschung dieser frühen Arbeiterinnenvereingungen erheblich erschwert. 35 Ebd., S. 17. 46 1.1.1 DER BEGINN DES „HÜBEN UND DRÜBEN“ VON PROLETARISCHER UND BÜRGERLICHER FRAUENBEWEGUNG – DIE ANFÄNGE DES FRAUENVEREINSWESENS IN DEN 1860ER JAHREN a. d. S., Luckenwalde, Zietz, Gera, Frankfurt a. M. und Düsseldorf wegspülte.36 Die Existenz der Mehrzahl dieser Arbeiterinnenvereine war demnach nur von kurzer Dauer gewesen – oft be- standen sie nur ein paar Monate lang. Der katholische Arbeiterfunktionär Joseph Joos37 be- zeichnete sie deshalb als „Verlegenheitsgründungen“38 und auch Ihrer bekannte selbstkritisch, dass sich mancher Verein auflösen musste, „ohne bleibende Spuren zu hinterlassen“39. Es ist jedoch die erwähnte Beharrlichkeit, die die Historikerin Klausmann besonders hervorhebt, wenn sie ihre Ausführungen zur proletarischen Frauenbewegung Frankfurts der 1880er und 1890er Jahre mit der Überschrift „Der permanente Neuanfang“40 versieht. Diese Kurzlebigkeit der Arbeiterinnenvereine steht in signifikantem Gegensatz zu der Lebens- dauer der bürgerlichen Frauenvereine. Letztere genossen eine relative Sicherheit vor allzu grober Verfolgung und hatten dies nicht nur ihrer scheinbar unpolitischen Haltung zu verdanken, sondern auch der Klassenzugehörigkeit ihrer Mitglieder. Ordnungshüter und Behörden bewiesen ihnen gegenüber deutlich mehr Rücksichtnahme als gegenüber einfachen Arbeiterinnen. Die von (geheim)polizeilichen Beamten ihren Vorgesetzten vorgelegten Mitschriften41 geben Einschät- zungen zum Charakter sowohl der Veranstaltung als auch der Rednerinnen und lieferten letztlich im Falle der Arbeiterinnen den Vorwand für ein Verbot des ganzen Vereins, die Verhaftung seiner leitenden Mitglieder und deren Bestrafung, Ausweisung oder Inhaftierung. Einzelne bürgerliche Vereine erfreuten sich dagegen sogar königlich-hoheitlicher Protektion. Der Lette-Verein (gegr. 36 Vgl. Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 5. In diesem Zusammenhang greift Ihrer den Entwicklungen voraus und erwähnt einen in Breslau gegründeten Verein, der verboten wurde, „weil in einer Sit - zung desselben ein Artikel aus der ‘Gleichheit’, dem Organ der Sozialistinnen, vorgelesen wurde, der die Samm- lung und Veröffentlichung von Fabrik-Arbeitsordnungen befürwortete“ (ebd). 37 Der aus dem Elsass stammende Modelltischler und spätere Redakteur Joseph Joos (1878-1965) engagierte sich sehr stark innerhalb des katholischen Arbeiterflügels. Er stand in engem Kontakt mit dem „Volksverein für das katholische Deutschland“. Dieser war nicht nur Herausgeber der hier herangezogenen Schrift Joos‘ „Die sozial - demokratische Frauenbewegung in Deutschland“ (1912), sondern auch Abonnent der „Gleichheit“ – die von mir eingesehene Sammlung ist eine Kopie aus dem Bibliotheksbestand dieses Vereins. 38 Joos, Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland, S. 12. 39 Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 4. Auch Joos verwendete für alle damals gegründeten Arbeiterinnenvereine eben jene Formulierung – ohne sie jedoch als Zitat kenntlich zu machen (vgl. Joos, Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland, S. 13.) Gerade die schriftstellerische Arbeit Ihrers – vor allem ihre frühen Standardwerke „Die Organisation der Arbeiterinnen Deutschlands, ihre Entstehung und Entwicklung“ (1893) und „Die Arbeiterinnen im Klassenkampf. Anfänge der Arbeiterinnen-Bewegung, ihr Gegensatz zur bürgerlichen Frauenbewegung und ihre nächsten Aufgaben“ (1898) – stehen ganz im Zeichen einer Geschichtstradition und Spurensuche. Eine wichtige Quelle ist die von Ihrer angefertigte und nach Ortschaften alphabetisch geordnete Aufstellung der in Deutschland existierenden regionalen Arbeiterinnenorganisationen. Sie enthält kurze Angaben zum Gründungsjahr, zu jeweiligen Zielsetzungen, zu den Namen und Adressen der Vorsitzenden, zu Mitgliederzahlen und Mitgliedsbeiträgen einschließlich ihrer Verwendung (vgl. Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 8-15, siehe: Tabelle 1 „Aufstellung früher regionaler proleta- rischer Frauenorganisationen“). 40 Klausmann, Politik und Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 107. 41 Zum Kampf der Frauen gegen die Behörden siehe: Dertinger, Weiber und Gendarm. 47 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 1866) zum Beispiel – benannt nach dem Pädagogen Wilhelm Adolf Lette – genoss die Schirm- herrschaft von Kronprinzessin Viktoria von Preußen (1840-1901). Zu Beginn trat er vor allem für die Bildung und adäquate Erwerbsarbeit „Höherer Töchter“ ein und definierte dieses Klientel auch dadurch sehr deutlich, dass er die „‘in Fabriken und beim Landbau beschäftigten Hand- arbeiterinnen, […] Dienstboten, Wäscherinnen und dergleichen’“42 von einer Mitgliedschaft aus- schloss. Aus Sicht bürgerlicher Damen durchaus verständlich, denn die Vorstellung, sich mit dem eigenen Dienstmädchen in dem selben Verein zu engagieren, war den Damen und „Höheren Töchtern“ dann wohl doch zu viel des Guten. 1877 sollten nach einer Satzungsänderung jedoch auch ausdrücklich vermeintliche Ausbildungsbedürfnisse von Arbeiterinnen berücksichtigt wer- den. Die gegründeten „Fortbildungsschulen“ sind jedoch hinsichtlich ihrer politischen Zielset- zung, nämlich die Jugend unbedingt von der Sozialdemokratie fernzuhalten, kritisch zu bewer- ten.43 So verschieden wie die Zielgruppe, so verschieden waren auch die Mittel der proletarischen und der bürgerlichen Frauenvereine. Hier das Petitionieren der bürgerlichen – meist gemäßigten – Frauen, dort die bewusst massenwirksam gestaltete Agitation der Arbeiterinnen. Die bürgerlichen Petitionen – also das politische Engagement in Form von Bittschriften an Parlamente und Ersu- chen um Schirmherrschaften aus monarchischen Herrscherhäusern, das den Gesetzeshütern wohl nicht selten eher lästig als gefährlich erschienen sein dürfte – und die in ihnen aufgestellten Forderungen nach Bildung und freier Berufswahl konnten für die Arbeiterinnen nur beschwich- tigende Wirkung haben. Denn angesichts der sozialistischen Zielsetzung einer Befreiung aller Menschen aus der Unterdrückung durch das kapitalistische System, waren Petitionen ein un- brauchbares Mittel. Es bedurfte vor allem gleicher „Menschenrechte“44, welche zu erlangen – so hatte das Scheitern der 1848er Revolution gezeigt – nicht ohne Kampf möglich sein würde. Zusammenfassend muss demnach hervorgehoben werden, dass die Interessen der deutschen Frauen im damaligen deutschen Reich alles andere als homogen waren – weder was ihre Inhalte, noch was die Wahl der Mittel zu ihrer Durchsetzung betrifft. War für die Proletarierinnen der erste wichtige Schritt, sich aus der Bevormundung bürgerlicher Frauen zu lösen, so musste ihr zweiter sein, sich prinzipiell von ihnen abzugrenzen. Vorläufiger Höhepunkt dieses Abgrenzungsprozesses wurde der internationale „Kongreß für Frauenwerke und Frauenbestrebungen“, der vom 19.- 42 Satzung des Lette-Vereins. Zit. nach: Obschernitzki, Der Frau ihre Arbeit!, S. 55. Siehe auch: Gerhard, Unerhört, S. 87. Kinnebrock sieht in der Gründung des Lettevereins den Anfang und im Ausschluss proletarischer Frauen- vereine bei der Gründung des Dachverbandes der deutschen Frauenbewegung, des „Bundes Deutscher Frauen- vereine“ (BDF) im Jahre 1894 das Ende dieses Ausschlussprozesses (vgl. Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 163, Anm. 37). 43 Vgl. Obschernitzki, Der Frau ihre Arbeit!, S. 55ff. 44 Vgl. Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 4 u. S. 7f. 48 1.1.1 DER BEGINN DES „HÜBEN UND DRÜBEN“ VON PROLETARISCHER UND BÜRGERLICHER FRAUENBEWEGUNG – DIE ANFÄNGE DES FRAUENVEREINSWESENS IN DEN 1860ER JAHREN 26. September 1886 in Berlin stattfand und an dem auch führende Frauen der proletarischen Frauenbewegung teilnahmen.45 Die Anregung zu diesem Kongress kam von Lina Morgenstern (1831-1909), die eine bedeutende Initiatorin sozialer Projekte und Institutionen für Proletarie- rinnen war, aber nicht zur proletarischen Frauenbewegung zu zählen ist. Deren Vertreterinnen waren Clara Zetkin und Lily Braun (1865-1916)46, die jedoch die Absprache getroffen hatten, auf jenem Kongress nicht das Wort zu ergreifen. Stattdessen veranstalteten sie später auf proleta- rischer Seite selbst drei öffentliche Versammlungen.47 Diese Versammlungen gaben verschiedenen Frauen, wie z. B. Marie Greifenberg (?-?)48 und Martha Rohrlack (?-?)49, die bisher nur wenig bekannt waren und über die auch heute nur wenige Informationen vorhanden sind, die Gelegen- heit für ein öffentliches Debüt als Rednerinnen der proletarischen Frauenbewegung. Auch Ottilie 45 Vgl. Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 30ff. Ihrer beschrieb diesen Kongress zu Beginn des zweiten Teils ihres Standardwerkes, der der bürgerlichen Frauenbewegung und ihren Kongressen gewidmet ist. Sie stützte sich hierbei auf die dazu verfassten Artikel der „Gleichheit“ und auf die Veranstaltungsprotokolle. Erwähnenswert ist noch die Teilnahme einer der größten Pädagoginnen der damaligen Zeit: Maria Montessori (1870-1952). 46 Lily Amelia Jenny Emilie Klothilde Johanna Braun, geb. von Kretschman, verwitwete von Gizycki, wurde in Halberstadt geboren und war die Tochter eines preußischen Generals und Urenkelin Jerôme Bonapartes, eines Bruders Napoleons. Sie genoss ausschließlich Privatunterricht. 1893 heiratete sie in Berlin den an den Rollstuhl gefesselten Professor der Nationalökonomie Georg von Gizycki, der sie mit sozialistischem Gedankengut vertraut machte und 1895 verstarb. Neben der Mitarbeit in Gizyckis „Gesellschaft für ethische Kultur” hatte Braun sich seit 1894 gemeinsam mit Minna Cauer im Vorstand des radikal-bürgerlichen Vereins „Frauenwohl” engagiert und wurde Mitherausgeberin der Zeitung „Die Frauenbewegung“. 1895 folgte ihre erste öffentliche Rede, in der sie für das Frauenstimmrecht eintrat. Im selben Jahr wurde sie Mitglied der SPD und heiratete den SPD-Politiker und Herausgeber des „Archivs für soziale Gesetzgebung” (1888-1903) Heinrich Braun. 1887 brachte sie einen Sohn zur Welt. Sie war schriftstellerisch tätig und seit 1897 Mitarbeiterin bei der „Gleichheit”. Besonders engagierte sich Braun für die Themen Wirtschaftsgenossenschaft, Mutterschutz, weibliche Doppelbelastung und Dienstboten- frage. Sie bezog zunehmend Position auf dem revisionistischen Flügel der sozialdemokratischen Frauenbewegung und suchte die Kooperation mit bürgerlichen Frauen. Nach ihrer Entlassung aus der „Gleichheit“-Redaktion 1901 wurde sie auch immer mehr aus der SPD-Frauenorganisation ausgeschlossen. Nach Beginn des Ersten Weltkrieg zählte Braun zu den Kriegsbefürworterinnen (ihr Sohn Otto starb 1917 als Kriegsfreiwilliger). 47 Ebd., S. 43. Die zweite Versammlung wurde von dem überwachenden Polizisten unter dem Vorwand großer Hitze und großen Gedränges zeitlich auf eine Stunde begrenzt, wodurch nur Braun die Möglichkeit bekam, zu referieren. 48 Marie Greifenberg, geb. Fein, war Kartonarbeiterehefrau (GL, 08/ 06/ 16.03.1898/ 43). Vermutlich handelt es sich bei ihrem Ehemann um Hermann Greifenberg, mit dem sie gemeinsam im Juli 1902 in Augsburg beim Monatstreffen des „Bildungsvereins für Frauen und Mädchen“ Vorträge hielt (vgl. GL, 12/ 14/ 02.07.1902/ 110). Bereits 1897 wurde sie von den Berliner Genossinnen zum SPD-Parteitag in Hamburg delegiert (vgl. Wahl von Genossinnen zum Hamburger Parteitag. In: GL, 07/ 20/ 29.09.1897/ 157). 1905 meldete sie sich gemeinsam mit anderen Genossinnen „Zur Frage der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiterinnen“ (GL, 15/ 10/ 17.05.1905/ 56) zu Wort. Seit 1905 war sie Vertrauensperson ins Augsburg und 1908 wurde sie Landesvertrauens- person für Bayern. 49 Martha Rohrlack war 1891 Parteitagsdelegierte. Der „Gleichheit“ ist die Information zu entnehmen, dass Rohrlack schon seit 1892 als Vortragsreisende für die proletarische Frauenbewegung wirkte. Auch Joos ist es aufgefallen, dass „eine Frau Rohrlack ein ganzes Jahr […] mit einem Vortrag über Volksaberglauben“ (ebd.) herumging. In diesem betonte sie, „wie nöthig es sei, daß sich die Frauen eine freie, wissenschaftliche Welterkenntnis aneigneten und der heranwachsenden Generation übermittelten“ (Rohrlack, Frl. [Martha]: Aberglauben. In: GL, 02/ 19/ 21.09.1892/ 155). Zu Beginn des Jahres 1896 hatte man sie wegen einer „Siebdrat-Beleidigung“ (gemeint ist ver- mutlich der sächsische Strafrechtler Theodor Siebdrat) verhaftet und zu einer viermonatigen Haftstrafe verurteilt. Obwohl Rohrlack zum ersten Mal verurteilt worden war, hatte man ihr jede übliche Vergünstigung versagt und sie in der Strafanstalt Voigtsberg inhaftiert (vgl. Der Freiheit wiedergegeben … In: GL, 06/ 11/ 27.05.1896/ 85). 49 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 Baader (1847-1925)50 trat hier erstmals öffentlich auf. Neben Zetkin, Braun und Ihrer sollten sie alle einen festen Platz in der Organisation der proletarischen Frauenbewegung einnehmen und nicht zu Unrecht als Vorkämpferinnen derselben gelten. Mit der Gründung des „Bundes Deutscher Frauenvereine“ (BDF) am 28./29. März 1894 in Berlin wurde die Unvereinbarkeit bürgerlicher und proletarischer Fraueninteressen schließlich offen- sichtlich.51 Dieser Dachverband stellte einen entscheidenden Schritt auf der Organisationsebene deutscher Frauenvereine dar. Umso bedeutsamer ist daher die Tatsache, dass proletarische Frauen- vereine diesem Dachverband nicht beitraten bzw. nicht beitreten durften. Sprechen einige Quellen von ihrem Ausschluss, so lassen andere die Interpretation eines eigenen Verzichts auf Mitgliedschaft zu. Die Gründung des BDF gab Zetkin ohne Frage den willkommenen Anlass, eine auf den Prinzipien des Klassenkampfes basierende „reinliche Scheidung“52 zwischen proleta- rischer und bürgerlicher Frauenbewegung zu fordern. Das zu diesem Zeitpunkt bereits 3 Jahre existierende zentrale Organ der proletarischen Frauenbewegung – die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehende „Gleichheit“ – wurde angesichts zunehmender Ressentiments zu einer „Ruferin […] im 50 Ottilie Baader, verh. Baader-Diederichs, wurde in Rackow bei Frankfurt/Oder geboren und war Tochter eines in einer Fabrik arbeitenden Zuckerschneiders. Dieser war selbst der Sozialdemokratie verbunden und lehrte Baader das Lesen sozialistischer Literatur. Im Alter von sieben Jahren verlor sie ihre als Heimarbeiterin tätige Mutter und musste von da an für ihre jüngeren Geschwister sorgen. Nach dem Besuch der Mittelschule, wurde sie 1860, im Alter von 13 Jahren, Handnäherin in einer Berliner Nähfabrik und später mit einer eigenen Nähmaschine Heim- arbeiterin. 1866 beteiligte sich Baader am Streik der Berliner Mantelnäherinnen und kam in Kontakt mit der Gewerkschaft und der SPD. Mit 32 Jahren hielt Baader ihre erste öffentliche Rede, wurde Mitglied der Berliner Frauenagitationskommission und 1891 Mitglied im Vorstand der Arbeiterbildungsschule in Berlin. 1894 wurde sie zur Vertrauensperson des 4. Berliner Wahlkreises gewählt. Sie war mehrfach Delegierte auf internationalen Kon- ferenzen und SPD-Parteitagen. 1900 übernahm sie das ab 1904 besoldete Amt der „Zentralvertrauensperson der Genossinnen Deutschlands“. 1908 verzichtete Baader zugunsten von Luise Zietz (1865-1922) auf den Sitz im SPD-Parteivorstand, behielt aber eine leitende Position im Zentralen Frauenbüro. 1911 heiratete sie den Gastwirt August Dietrichs aus Oranienburg. Nach der Parteispaltung 1917 blieb Baader Mitglied der SPD. Ihre Autobiogra- phie „Ein steiniger Weg“ (1921) wurde ein in der Arbeiterschaft viel gelesenes Werk. Baader ist nicht zu verwechseln mit Ottilie Gerndt (?-?), die 1895 zur ersten Vertrauensperson Berlins gewählt und deren Amt manchmal als das der „zentralen Vertrauensperson der Genossinnen Berlins“ bezeichnet wurde, was zu Verwirrungen führen kann (vgl. GL, 05/ 08/ 17.04.1895/ 58 und 05/ 24/ 27.11.1895/ 187). In Zusammenarbeit mit Zetkin veröffentlichte Gerndt in der „Gleichheit“ verschiedene Bekanntmachungen und Aufrufe zur Dele- giertenwahl oder für Spenden (vgl. Gerndt, Ottilie: Genossinnen! In: GL, 05/ 16/ 07.08.1895/ 121-122; Gerndt, Ottilie / Zetkin, Clara: An die Genossinnen. In: GL, 06/ 19/ 16.09.1896/ 145-146 und GL, 06/ 01/ 08.01.1896/ 2). Bereits im November 1896 wurde Gerndt von Margarete Wengels abgelöst, die jenes Amt bis 1899 innehatte. Das Amt erübrigte sich mit der Wahl Baaders zur „Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands“. Gerndt wurde im Ersten Weltkrieg USPD-Mitglied und war außerdem 1925-1933 Bezirksverordnete von Berlin-Mitte. 51 Im BDF dominierten laut Schenk anfangs „gemeinnützige und sozialkaritative Vereine […] später immer stärker Frauenberufsorganisationen und Hausfrauenvereine. Der Charakter einer sozialen Bewegung verliert sich mehr und mehr. Zuletzt ist der BDF nur noch eine Organisation verschiedener, keineswegs kämpferischer In teressen- gruppen, die den Ideenstand des gemäßigten Flügels aus der Zeit des ersten Weltkriegs bewahrt“ (Schenk, Die feministische Herausforderung, S. 22). Am 5. Mai 1933 löste er sich schließlich unter Druck der Nationalsozialis- ten selbst auf. 52 Reinliche Scheidung. In: GL, 04/ 08/ 18.04.1894/ 63. Noch einmal „reinliche Scheidung“, I. In: GL, 04/ 13/ 27.06.1894/ 102-103; Noch einmal „reinliche Scheidung“, II. In: GL, 04/ 15/ 25.07.1894/ 115-117. 50 1.1.1 DER BEGINN DES „HÜBEN UND DRÜBEN“ VON PROLETARISCHER UND BÜRGERLICHER FRAUENBEWEGUNG – DIE ANFÄNGE DES FRAUENVEREINSWESENS IN DEN 1860ER JAHREN Streit“53 – einem „Streit, wo ‘ein Hüben und Drüben nur gilt’“54. Bürgerliche, besitzende und nach Besitz strebende Frauen wurden von Zetkin zu Klassenfeindinnen erklärt und eine wie auch immer geartete Kooperation mit ihnen – sowohl mit dem gemäßigten als auch mit dem radikalen Flügel – prinzipiell ausgeschlossen. Eine radikale Position, die nicht von allen Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung vertreten wurde und noch des Öfteren für interne Querelen sorgen sollte. 1898 klärte ganz im Sinne der Zetkin‘schen Position zur bürgerlichen Frauenbewegung – spöttisch als „Frauenrechtelei“ bezeichnet – auch Ihrer die Fronten: „Und darum gilt auch für Alle, einzutreten für eine zielbewußte Arbeiterinnen- bewegung, die gänzlich frei ist von bürgerlicher Beeinflussung, welche sie nur verwässern könnte; aber auch nicht in heimlicher und ängstlicher Stille darf die Ar- beiterinnenbewegung zwecklos vegetiren. Stark und ihrer Kraft bewußt soll sie vortreten, frei und offen soll sie sich am Emanzipationskampf der Arbeiterklasse betheiligen; auch für die Proletarierin gilt die Parole: hie Arbeit, hie Kapital!“55 Die Befreiung aus jeglicher bürgerlichen Bevormundung – waren die Motive dafür auch noch so humanitär – war demnach wichtige Voraussetzung für einen ganz bestimmten nächsten Schritt – denjenigen an die Seite der revolutionären Arbeiterbewegung. Wenn auch, wie beschrieben, viele Arbeiterinnenvereine Opfer „zahlreiche[r] Fanggruben“56 wurden, so sorgte die offensichtliche Benachteiligung dieser Vereine doch zugleich auch dafür, dass „[d]ie Beziehungen zur Arbeiter- bewegung und der sozialistischen Partei, anfangs unsicher und manchmal gespannt“57 zunehmend „geklärt“58 wurden. 53 Die Redaktion und der Verlag: Einladung zum Abonnement. In: GL, 02/ 26/ 28.12.1892/ 209. 54 Die Redaktion und der Verlag: Einladung zum Abonnement. In: GL, 04/ 26/ 24.12.1894/ 201. 55 Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 64. 56 Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 4. 57 Ebd., S. 6. 58 Ebd. 51 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 1.1.2 Frauenagitation ist sozialistische Agitation59 – Die proletarische Frauenbewegung als Teil der Arbeiterbewegung Wie bereits festgestellt wurde, kann man nicht allgemein von der deutschen Frauenbewegung sprechen, da bürgerliche und proletarische Fraueninteressen sehr weit auseinander lagen. Jedoch stellte auch die proletarische Frauenbewegung keine homogene Gruppe dar. Bereits die Frage nach ihren engagierten Mitgliedern oder nach ihrer Zielgruppe wirft Definitionsprobleme auf. War eine Frau lediglich dann „Proletarierin“, wenn sie der Gruppe der Industriearbeiterinnen, der Ver- körperung des Pauperismus schlechthin, angehörte? Waren deshalb die in bürgerlichen Haushalten lebenden Dienstmädchen keine Proletarierinnen? Und war es nur die erwerbstätige Arbeiterin, nicht aber die im eigenen Haushalt tätige Arbeiterfrau? Es sind wiederum branchenspezifische und lebensbedingte Interessen, die hier zum Ausdruck kommen und die unterschiedlicher nicht sein konnten. Dennoch war allen proletarischen Frauen Folgendes gemeinsam: Zum einen unterlagen sie einer diskriminierenden Gesetzgebung, die sie meist zu Mündel ihrer Männer machte und ihnen jegliche politische Urteilsfähigkeit absprach. Zum anderen verkauften sie ihre Arbeitskraft an profitorientierte Unternehmer, in deren Bilanzen und Konzepten sie nur Variablen waren, ihr Wert abhängig von den Gesetzen des kapitalistischen Systems. Als Frauen und als Angehörige der Arbeiterklasse standen sie also in einer doppelten Abhängigkeit. Erstere teilten sie mit nahezu allen Frauen der Welt, Letztere mit allen Männern des Proletariats. Tatsächlich aber gestaltete sich auch die Lohnabhängigkeit für Frauen ganz anders und wesentlich vertrackter als für Männer. Zwar hatten sowohl Frauen als auch Männer unter teilweise menschen- unwürdigen Bedingungen, extrem langen Arbeitszeiten und niedrigen Löhnen meist harte körperliche Arbeit zu leisten, aber im Falle des „schwachen Geschlechts“ waren diese Benachtei- ligungen gesamtgesellschaftlich akzeptiert. In den „Frauenindustrien“ (Textilindustrie, Beklei- dungs- und Reinigungsindustrie, Nahrungs- und Genussmittelindustrie60) waren die Arbeitszeiten in der Regel länger als in anderen Industriezweigen. Männliche Arbeiter erhielten selbst im Falle schlechterer Leistungen höhere Löhne. Auch das Älterwerden wirkte sich bei männlichen Ar- beitern weniger auf den Lohn aus als bei Arbeiterinnen. De facto konnte eine Arbeiterin den Lohn eines Arbeiters nur in denjenigen Bereichen erzielen, in denen aufreibende Akkordarbeit gefordert war. Dies waren allesamt Umstände, von denen nicht nur die Unternehmer profitierten. Männer 59 Vgl. Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 165. 60 Vgl. Albrecht/u. a., Frauenfrage und deutsche Sozialdemokratie, S. 464ff. 52 1.1.2 FRAUENAGITATION IST SOZIALISTISCHE AGITATION59 – DIE PROLETARISCHE FRAUENBEWEGUNG ALS TEIL DER ARBEITERBEWEGUNG erhielten schlicht einen geschlechtsspezifischen Lohnvorteil61 oder mit anderen Worten: Männer bekamen eine „‘Geschlechtszulage’“62 während genau Gegenteiliges für die Frauen galt, die damit wiederum zu „Lohndrückerinnen“ und „Schmutzkonkurrentinnen“ der Männer wurden. Eine Art Teufelskreis kristallisierte sich heraus – aufzubrechen nur mittels radikaler – aus sozialistischer Perspektive nur mittels revolutionärer Umwälzungen. Erste Schritte in diese Richtung waren die von den Arbeiterinnenvereinen gestellten Forderungen nach Arbeitsschutzgesetzen, Arbeitszeitverkürzungen und höheren Löhnen. Arbeiterinnen rebel- lierten damit ganz offenkundig gegen das kapitalistische Unternehmerinteresse. Noch bedroh- licher für das gesamte kapitalistische Gesellschaftssystem wurden sie aber vor allem deshalb, weil sie mit diesen Forderungen in eine Interessengemeinschaft mit den Gewerkschaften eintraten. Die Organisation aller Arbeiter und Arbeiterinnen in entsprechenden Gewerkschaften versprach das entscheidende Mittel zu sein, durch das gemeinsam Druck auf das kapitalistische System ausgeübt werden konnte, um es als moderne Sklaverei zu entlarven und letztlich durch eine Vergesell- schaftung der Produktionsmittel zu beseitigen. Clara Zetkin erklärte in ihrer bedeutsamen Rede zur „Arbeiterinnen- und Frauenfrage der Gegen- wart“ anlässlich des Gründungskongresses der Zweiten Internationale 1889 in Paris: „der Konflikt zwischen Menschen- und Maschinen-, zwischen Frauen- und Män- nerarbeit hör[e] dann mit einem Schlage auf, […][wenn] der Konflikt zwischen Produktionsweise und Aneignungsform ein Ende gefunden ha[be].“63 Ein solidarisches Miteinander war also zugleich Voraussetzung und Ergebnis einer Umwälzung der Produktionsverhältnisse. Im Gegensatz zum Empfinden der meisten männlichen Arbeiter, dass Frauenarbeit zerstörerische Konkurrenz sei, war es das erklärte Ziel der proletarischen Frauen- bewegung und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, proletarische Frauen zur Er- werbstätigkeit zu bringen. In dieser sahen sie gemäß der „Sozialistischen Emanzipationstheorie“64, wie sie u. a. in der erwähnten Rede Zetkins zum Ausdruck kommt, ein ihr Klassenbewusstsein prägendes Moment. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft sollte die lohndrückende Konkur- rentin zu einer solidarischen Klassenkämpferin erziehen – der Kampf um bessere Arbeitsbedin- gungen konnte diesbezüglich erstes Betätigungsfeld sein. Erwerbsarbeit – so die zentrale These – 61 Ein Lohnvorteil, der laut Kuczynski eine Ursache hatte, die rational nicht zu begründen war: „die Tradition des höheren Männerlohnes“ (Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, Anm. **, S. 172). 62 Max Weber zit. nach: Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, S. 174. 63 Zetkin, Clara: Die Arbeiterinnen- und Frauenfrage der Gegenwart, S. 10. 64 Zur Analyse der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie siehe: Bölke, Die Wandlung der Frauenemanzipa- tionstheorie von Marx bis zur Rätebewegung. 53 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 hat Anteil an der Bewusstseinsbildung und der Integration der Frau in die internationale Arbeiter- bewegung. Ähnlich und doch anders als bei den bürgerlichen Frauenrechtlerinnen sollte sie zum Mittel weiblicher Gleichberechtigung in Staat und Gesellschaft werden – einem Staat und einer Gesellschaft, die sich laut Marx auf ein kapitalistisches Wirtschaftssystem stützen und dessen Überwindung unabdingbare Voraussetzung für eine vollständige Emanzipation aller Frauen (und Männer) ist. Wie konnte sich aber die Kooperation zwischen Arbeiterinnenvereinen und Gewerkschaften unter den beschriebenen repressiven Verhältnissen des 19. Jahrhunderts gestalten? Abgesehen von einigen wenigen Kontakten65 ist es vor allem eine „echte[…] proletarische[…] Vereinigung[…]“66, die Vorbildcharakter sowohl im internationalen Anspruch als auch in der gewerkschaftlichen Inte- gration der Frauen hatte: Die „Internationale Gewerksgenossenschaft der Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiter“. Die Gründung der ersten gemischtgeschlechtlichen Gewerkschaft Deutsch- lands fand 1869 nicht in Berlin, sondern in dem kleinen sächsischen Textilindustriestandort Crim- mitschau statt. Zetkin sah in ihr enthusiastisch sogar den eigentlichen Beginn einer originären, d. h. von bürgerlich-liberaler Regie sich emanzipierenden, proletarischen Frauenbewegung.67 Al- lein die Möglichkeit der Frauen, sich in Gewerkschaften zu organisieren und zu integrieren, gewährleistete jedoch weder eine tatsächliche aktive Mitgestaltung der Frauen, noch deren Ak- zeptanz durch die männlichen Genossen.68 Tatsache ist, dass die erste von der Generalkommission der Gewerkschaften 1891 veröffentlichte Statistik noch keine weiblichen Mitglieder auswies und der Anteil 1892 erst bei 1,84% lag.69 Der Beginn einer die Interessen lohnabhängiger Frauen und 65 Die 1950 von Elisabeth Todt verfasste Arbeit „Die gewerkschaftliche Betätigung in Deutschland von 1850 bis 1859“ beweist laut Kuczynski, dass es Arbeiterinnen erstaunlicherweise sogar in den repressiven 1850er Jahren gelang, Kontakt zu den Gewerkschaften herzustellen (vgl. Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbei- terin, S. 160). Die Historikerin und Mitarbeiterin Kuczynskis Ruth Hoppe stieß in ihren Forschungsarbeiten laut Kuczynski auf einen Bericht des Regierungspräsidenten von Magdeburg aus dem Jahre 1851, in welchem ein der „Deutschen Arbeiterverbrüderung“ nahe stehender „Frauen-Unterstützungsverein“ erwähnt wird. Kuczynski er- achtet diesen 150 weibliche Mitglieder umfassenden Verein als „Zwischenglied der Organisation der Jahre 1848/49 und der frühen echten proletarischen Vereinigungen“ (ebd.). 66 Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, S. 160. 67 Zetkin verdeutlichte dies in der Artikelserie „Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland“ (GL, 16/ 20/ 03.10.1906/ 138 bis GL, 16/ 25/ 12.12.1906/ 178). Frevert gibt für das Jahr 1870 6.000 männliche und 1.000 weibliche Gewerkschaftsmitglieder an (vgl. Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbes- serung und Neuer Weiblichkeit, S. 97). 68 In ihrer Bedeutung für die Integration der Frauen in die Arbeiterbewegung wird die Crimmitschauer Gewerkschaft jedoch von Kuczynski relativiert, wenn er allgemein formuliert: „Aber wenn wir auch für die Frauen genau wie für die Männer eine gewisse Kontinuität der Organisation von 1848/49 bis in unsere Zeit sollten feststellen kön- nen, so ist doch ebenso offenbar, daß der Organisation der Frauen bis an den Anfang der neunziger Jahre immer nur wenige und schwache waren, ganz gleich, ob die Frauen allein oder zusammen mit den Männern organisiert waren.“ (Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, S. 160). 69 Von 237.094 Mitgliedern waren nicht mehr als 4.355 weiblich (vgl. Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, S. 160). Zur Organisationsweise dieser Frauen gibt es jedoch kaum Informationen. 54 1.1.2 FRAUENAGITATION IST SOZIALISTISCHE AGITATION59 – DIE PROLETARISCHE FRAUENBEWEGUNG ALS TEIL DER ARBEITERBEWEGUNG Männer integrierenden Gewerkschaftspolitik ist daher weniger mit der Gewerkschaftsgründung in Crimmitschau als mit dem vom 14.-18. März 1892 in Halberstadt abgehaltenen ersten Kongress der deutschen Gewerkschaften gegeben. Dies ist eine These, welche durch die auf diesem Kongress von Helma Steinbach (1847-1918) – einer der ersten Gewerkschaftsfunktionärinnen – eingebrachte und angenommene Resolution, die prinzipiell die Aufnahme von Frauen in alle be- ruflichen Gewerkschaften forderte, gestützt wird.70 Mit Annahme der Resolution wurde es als notwendig angesehen, die Frauen mangels geeigneter Kräfte vorerst gemeinsam mit den Männern zu organisieren – „jedoch“, so Steinbach unmissverständlich, „würden die Frauen sich nicht majo- risieren lassen“71, eine Drohung allerdings, die nicht erkennen lässt, was die Frauen einem solchen Verhalten der Männer tatsächlich hätten entgegensetzen können. Zahlenmäßig in der Minderheit und politisch absolute Anfängerinnen, war es schließlich absehbar, dass Frauen keinen leichten Stand in gemischten Gewerkschaften haben würden. Kuczynski sieht trotz aller Kritik in der An- nahme der Resolution dasjenige Ereignis, mit dem „ernsthaft, wenn auch immer noch zögernd, die gewerkschaftliche Organisation der Frauen“72 begann. Welcher Art war aber der Erfolg dieser ge- werkschaftlichen Organisation der Frau? Fest steht, dass trotz zunehmender Organisation bis 1913 keine nennenswerten Veränderungen zu Gunsten der Frauenlöhne bewirkt wurden.73 Wenn Zetkin also der Gründung der Crimmitschauer Gewerkschaft eine sehr hohe Bedeutung bei- maß, könnte dies eher in dem Bemühen um historische Kontinuität als in der Honorierung der realen Tragweite dieses Ereignisses begründet gewesen sein. Kuczynski allerdings sieht im Gegensatz zu vielen anderen Meinungen die realen Möglichkeiten der Frau, sich am Klassen- kampf zu beteiligen, weniger in der gewerkschaftlichen Organisation als vielmehr im konkreten Arbeitskampf. Eine amtliche Mitteilung des Deutschen Handelstages von 1873 beschreibe sehr präzise verschiedene Streiks und belege eine starke Beteiligung von Frauen. Diese Mitteilung be- zeichnete die Frauen sogar als „Haupttriebfeder“74 der Arbeitsniederlegungen und meinte damit nicht nur die wenigen Gewerkschaftsmitglieder, sondern vor allem die Frauen und Töchter der 70 Siehe: Haake, Helma Steinbach – eine Reformistin in der Hamburger Arbeiterbewegung zur Zeit des Kaiserreichs. Haake wollte mit ihrer Magisterarbeit „die Geschichte von Frauen in der SPD erforschen helfen, die sich nicht notwendigerweise mit jener Geschichte der von Clara Zetkin geführten proletarischen Frauenbewegung deckt“ (vgl. ebd., S. 6). Es ist zu hoffen, dass noch viele weitere solcher Arbeiten verfasst werden, um das historische Bild der proletarischen Frauenbewegung zu vervollständigen. 71 Protokoll der Verhandlungen des ersten Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands. Hamburg 1892, S. 73. Zit. nach: Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, S. 161. Auf diesem Kongress waren ver- schiedene gemischtgeschlechtliche oder weibliche Organisationen mit Anträgen vertreten. 72 Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, S. 161. 73 Vgl. ebd., S. 176. 74 Amtliche Mitteilungen des Deutschen Handelstages. Die Arbeitseinstellungen in Deutschland. Bericht auf Grund des dem Handelstage zugegangenen Materials dem bleibenden Ausschusse erstattet vom General-Secretär. Berlin 1873. Zit. nach: Ebd., S. 162. 55 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 Arbeiter. Taktischer Schluss musste sein, engagierte Frauen wie diese nicht nur über die gewerk- schaftliche Organisation, sondern auch außerhalb der Erwerbsarbeit zu erfassen und zu organi- sieren. Dieser Aufgabe sollten später in höherem Maße als die Gewerkschaften die politischen Vereine nachkommen. Als politische Vertretungen der Arbeiter sind vor allem der „Allgemeine Deutsche Arbeiterverein“ und die „Sozialdemokratische Arbeiterpartei“ zu nennen. In den 1860er Jahre ge- gründet, vereinigten sich 1875 Arbeiterverein und Arbeiterpartei in Gotha zur „Sozialistischen Ar- beiterpartei“, die sich ab 1890 schließlich „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (SPD) nennen sollte.75 Zwar besaß die SPD zum Zeitpunkt ihrer Gründung ein vielfältiges theoretisches, programmatisches und institutionelles Fundament, jedoch weder weibliche Mitglieder noch eine grundsätzliche Position zur Frauenfrage. Und doch hatten sich in ihrem Umkreis viele weibliche Sympathisanten und tatkräftige Helferinnen gesammelt, Frauen, deren Treue und Einsatzbereit- schaft 1878 auf eine harte Probe gestellt werden sollte. Am 21. Oktober 1878 erließ der deutsche Reichstag unter der Reichskanzlerschaft Otto von Bismarcks das so genannte „Sozialistengesetz“. Die Schikanen, mit denen die Behörden die Füh- rerInnen und Mitglieder der SPD daraufhin drangsalierten, die Verfolgungs- und Inhaftierungs- wellen ähnelten sehr den Repressionen nach der 1848er-Revolution. Alle SPD-nahen Arbeiter- und eben auch Arbeiterinnenvereine wie auch ihre Presseorgane wurden auf Grundlage dieses Ge- setzes verboten bzw. in die Illegalität gezwungen. Bestes Beispiel für die vor allem ab 1886 mas- siver werdende Verfolgung ist das Schicksal der Arbeiterinnenvereine Berlins.76 Durch Vereins- recht – polemisch als „Juwel“ bezeichnet – und Sozialistengesetz doppelt verfolgt, wurde es für die proletarischen Frauenorganisationen schließlich überlebensnotwendig, ähnlich den Kranken- kassen oder bürgerlichen Frauenvereinen den Deckmantel unpolitischer Frauenbildungsvereine anzulegen – ihre Bildungsziele waren jedoch alles andere als unpolitisch.77 Einerseits gelang es mittels des Sozialistengesetzes, die deutsche Arbeiterbewegung zu kriminali- sieren und ihr nahezu jede Möglichkeit zu nehmen, öffentlich zu agieren. Andererseits aber för- derte diese repressive Maßnahme dadurch, dass sie Männer wie Frauen in die Illegalität zwang, ungewollt eine besondere Kampfgemeinschaft. Im gemeinsamen Kampf wurden nun die Be- 75 Die im Vorfeld entscheidenden Organisationsgründungen waren: 1863 Gründung des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ in Leipzig unter Führung Ferdinand Lasalles. 1869 Gründung der „Sozialdemokratischen Arbei- terpartei“ in Eisenach unter Führung August Bebels und Wilhelm Liebknechts. 1864 Gründung der Ersten Inter- nationale in London. 76 Zu den Berliner Arbeiterinnenvereinen werden anhand der Darstellungen von Frauenpresse und verschiedener Frauenbiographien noch weitere Informationen gegeben. 77 Zur Arbeit der proletarischen Frauenbildungsvereine siehe: Ciupke/Derichs-Kunstmann, Zwischen Emanzipation und „besonderer Kulturaufgabe der Frau“; Führenberg/Koch/Redzepi/Wurms, Von Frauen für Frauen. 56 1.1.2 FRAUENAGITATION IST SOZIALISTISCHE AGITATION59 – DIE PROLETARISCHE FRAUENBEWEGUNG ALS TEIL DER ARBEITERBEWEGUNG hörden überlistet, immer wieder aufs Neue kreative Untergrundtaktiken entwickelt und in soli- darischem Zusammenhalt anfallende Probleme des alltäglichen Überlebens gelöst. Diese schwere Zeit politischer Verfolgung wurde zu einer einzigartigen Epoche der sozialdemokratischen Partei- geschichte. Anekdoten und Erfahrungsberichte sollten noch Jahrzehnte später von Generation zu Generation weitergegeben werden und so auch Eingang in die Tradierung einer spezifisch weib- lichen Geschichte finden – was noch an anderer Stelle darzustellen sein wird. Die Kampfgemeinschaft zwischen proletarischer Frauenbewegung und sozialistischer Arbeiterbe- wegung wies jedoch schon bald geschlechtsbedingte Probleme auf. Nicht nur die allgemeine poli- tische Lage, sondern – wie sich mit der Zeit herausstellte – vor allem das erziehungsbedingte Selbstbild der proletarischen Frauen erschwerte die Agitation unter ihnen. Der bereits 1896 von Zetkin formulierte Grundsatz, es sei nicht spezielle Frauenagitation, sondern sozialistische Agi- tation, die man betreibe78, konnte nur prinzipieller Art sein. Tatsächlich musste die proletarische Frauenbewegung, um indifferente, also der Politik bisher gleichgültig gegenüberstehende Arbei- terinnen zu agitieren, eigene, eben geschlechtsspezifische Methoden der Agitation entwickeln. Darüber hinaus sollten sich die viel beschworenen klassenkämpferischen Prinzipien, die Schick- salsgemeinschaft mit der Arbeiterbewegung, mit den Gewerkschaften und der SPD mit zunehmenden Organisations- und Integrationsgrad der proletarischen Frauenorganisation sehr verändern. So sehr, dass die Frauenorganisationen schließlich für die Bewahrung einer gewissen Unabhängigkeit gegenüber den Klassengenossen kämpfen mussten.79 Die orthodox-marxistischen Sozialistinnen um Zetkin taten sich jedoch sehr schwer mit der Erkenntnis, dass Genossen auch Männer sind und als solche durchaus auch ein frauenfeindliches Dominanzverhalten aufweisen können. Indem sie auf politische Prinzipien beharrten und sogar jeden gedanklichen Austausch mit bürgerlichen Feministinnen ablehnten, leisteten sie diesem Verhalten einigen Vorschub.80 Der Verein und das Vereinswesen, so das Fazit aus den bisherigen Schilderungen, war im Deutschland des 19. Jahrhunderts die Zelle jedes politischen und öffentlichen Wirkens. Die Demokratiebestrebungen der Männer unterschieden sich darin nicht von denen der Frauen, die der bürgerlichen Damen nicht von denen der proletarischen Arbeiterinnen.81 Das Herzstück jeder 78 Vgl. Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 165. 79 Vgl. Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 7f. 80 So auch die Meinung Freiers (vgl. Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 199). 81 Es ist anzunehmen, dass das Vereinsleben im Einzelnen wie z. B. Sitzungsverlauf und -reglement unabhängig von den beschriebenen verschiedenen Lebenssituationen und organisatorischen Kooperationen bei bürgerlichen und proletarischen Frauenvereinen ähnlich gewesen ist. Selbst zu „Männervereinen“ dürften kaum erhebliche Unter- schiede bestanden haben – auch wenn viele zeitgenössische Karikaturen gerne den Eindruck vermittelten, dass Diskussionen in Frauenvereinen eher einem „Kaffeeklatsch“ glichen und in einem „typisch“ weiblichen Gezänk 57 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 Öffentlichkeitsarbeit und Mitgliederagitation eines Vereins war wiederum sein Presseorgan – zu- mindest wenn die Gesetzeslage ein solches zuließ. Im folgenden Kapitel sollen deshalb die herausragenden Momente der proletarischen Frauenpresse Deutschlands dargestellt und eine Tra- ditionslinie zum zentralen Gegenstand dieser Arbeit – zur „Gleichheit“ – aufgezeigt werden. auszuufern pflegten. 58 1.2 Die erste deutsche Frauenzeitschrift: Die „Frauen-Zeitung“ (1849-1852) Das Presse- und Vereinswesen der deutschen Frauenbewegung kann auf eine lange und doch in Vergessenheit geratene Geschichte zurückblicken.82 Damit gerät auch die Tatsache aus dem Blick, dass sich stets auch Frauen am Kampf um die Ideale der bürgerlichen Emanzipation, für Demokratie und Verfassung mit Wort und Tat beteiligt haben. Da die bereits beschriebenen bürgerlich-revolutionären Ereignisse von 1848 auch die Lebenswelten proletarischer Frauen nicht unberührt ließen, wurde das Andenken der wagemutigen Revolutionärinnen – selbst wenn sie meist dem Bürgertum oder gar dem Adel entstammten – auch innerhalb der proletarischen Frauenbewegung in Ehren gehalten. Es waren Frauen wie Malvida von Meysenbug (1816- 1903), Louise Aston (1815-1871), Mathilde Anneke (1817-1884) und die bereits erwähnte Louise Otto-Peters, die sich gegen die ihnen zugeschriebene Rolle eines unpolitischen Wesens auflehnten und zu den revolutionären Ereignissen eigene Positionen bezogen. Sie taten dies meist aus weiblicher Sicht und in Zeitschriften, die sie selbst gründeten und herausgaben. Ihre enge Beziehung zur bürgerlichen Demokratiebewegung, ihr kühnes Eintreten für eigene politische Interessen und die Einforderung einer öffentlichen Vertretung verweist jedoch auf das vorhersagbare Schicksal dieser ersten Frauenorgane – keines überlebte die nach- revolutionäre Repression. Jedoch ist der beschriebene Umstand, dass das Deutsche Reich zu jener Zeit noch aus zahlreichen Einzelstaaten mit einer jeweils eigenen Rechtssprechung be- stand, insofern ein glücklicher, als sich dadurch politisch verfolgten Personen immerhin die Möglichkeit bot, nach einer Ausweisung aus dem einen Staat in einen anderen zu flüchten, um dort die politische Tätigkeit fortzusetzen. Nicht anders erging es Louise Otto-Peters, nachdem sie vollkommen selbstverantwortlich am 21. April 1849 erstmals die „Frauen-Zeitung“ heraus- gebracht hatte. Die „Frauen-Zeitung“, die jeden Samstag erschien, acht Seiten umfasste und im viertel- jährlichen Abonnement 15 Reichsgroschen kostete, war per Definition der Publizistik zwar keine „Zeitung“, aber sie war die erste überregionale Frauenzeitschrift Deutschlands.83 Verlag, 82 Zumindest die ersten Frauenzeitschriften und die Frauenliteratur vom Beginn des 19. Jahrhunderts sind mittlerweile ein gut erforschter Gegenstand der gegenwärtigen Frauengeschichtsforschung. Ich verweise hier exemplarisch auf die in das Thema einführende Arbeit von Ulla Wischermann „Frauenpublizistik und Jour- nalismus. Vom Vormärz bis zur Revolution von 1848“. 83 Bereits am 1. November 1848 hatte Louise Aston die Zeitung „Der Freischärler. Für Kunst und sociales Le- ben“ herausgegeben. Rollka bezeichnet diese als „Berlins erste ‘Frauenzeitung’“ (Rollka, Die Belletristik in der Berliner Presse des 19. Jahrhunderts, S. 248), doch dieses nach 7 Nummern bereits wieder verbotene Or- gan vertrat keine frauenspezifischen Interessen – ihr Charakter als „Frauenzeitung“ ist also sehr unspezifisch. Auch die „Frauenzeitung“ von Mathilde Franziska Anneke, die erstmals am 27. September 1848 in Köln er - schien, kann trotz ihres Titels nicht als erste deutsche Frauenzeitschrift gelten. Inhaltlich beschäftigte sie sich hauptsächlich mit den allgemeinen demokratischen Forderungen der Revolutionäre. Der Titel „Frauenzeitung“ wurde wohl bewusst provokativ gewählt, weil Anneke mit ihr die Arbeit ihres als Redakteur arbeitenden, aber 59 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 Druck und Vertrieb der Zeitschrift lagen in den Händen Theo Haffners, der inhaltlich Louise Otto- Peters vollkommen freie Hand ließ – sehr privilegierte Bedingungen für ein derartig heikles Pub- likationsexperiment. Die „Frauen-Zeitung“ war eine Kombination unterschiedlicher publizis- tischer Formen wie Briefe, Abhandlungen, Skizzen, Erfahrungsberichte, Milieuschilderungen und Gedichte mit politischer Tendenz. Die Struktur bestand aus dem Leitartikel und einigen wenigen festen Rubriken. In der Rubrik „Blicke in die Runde“, wurden die LeserInnen über „Ereignisse und Aktivitäten von, für oder gegen Frauen“84 informiert. Sie stellt laut Geiger/Weigel den ganz offen politischen Teil der „Frauen-Zeitung“ dar und verband „sociale[…], demokratische[…] und nationale[…] Elemente[…]“85 miteinander. Außerdem gab es die Rubriken „Briefe“, die die „privat-politische“ Korrespondenz führender Persönlichkeiten enthielt, den „Briefkasten“, die „Bücherschau“ und abschließend meist den „Anzeiger“ bzw. später „Allgemeinen Anzeiger“, in welchem die Leserinnen zum Kauf ausgewählter Bücher angehalten wurden. Vermutlich waren darunter auch kostenpflichtige Inserate, die ihren Inserenten 6 Pfennig pro Zeile gekostet hatten. Otto-Peters hatte ihrer Zeitschrift das Motto „Dem Reich der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen“ vor- angestellt und umschrieb damit ihre zentrale Forderung: Die Teilnahme der Frauen am politischen Leben. In Anerkennung der nicht unerheblichen Leistungen, welche die Frauen dem Staat bereits durch ihr tägliches Tun erbrachten, sollten sie als gleichberechtigte, aber auch gleichverpflichtete Bürgerinnen akzeptiert werden. Otto-Peters brachte dies in ihrem programmatischen ersten Leit- artikel auf den Punkt: „Wir wollen unser Theil fordern : das Recht, das Rein-Menschliche in uns in freier Entwickelung aller unserer Kräfte auszubilden, und das Recht der Mündigkeit und Selbständigkeit im Staat. Wir wol len unser Thei l verdienen : […] Freiheit und Humanität (was im Grunde zwei gleichbedeutende Worte sind) auszubreiten suchen in allen Kreisen, welche uns zugänglich sind, in den weiteren des größeren Lebens durch die Presse, in den engeren der Familie durch Beispiel, Belehrung und Erziehung.“86 Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, distanzierte sich Otto-Peters von den Frauen, die nach ihrer Meinung ein „emanzipiertes“ Leben darin sahen, „ihr Streben nach geistiger Frei- heit in der Zügellosigkeit der Leidenschaften zu befriedigen“87. Sie und ihre Mitarbeiterinnen gehörten gewiss nicht zu den „sogenannten ‘Emancipirten’ […], welche das Wort ‘Frauen-Eman- cipation’ in Mißkredit gebracht haben, indem sie das Weib zur Carricatur des Mannes herab- verhafteten Ehemannes weiterführte und es demnach eine von einer Frau herausgegebene Zeitung war. 84 Vgl. Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 41. 85 „Frauen-Zeitung“ zit. nach: Ebd., S. 42. 86 Programm. In: Frauen-Zeitung, 01/ 01 (Probenummer)/ 21.04.1849/ 1. 87 Ebd. 60 1.2 DIE ERSTE DEUTSCHE FRAUENZEITSCHRIFT: DIE „FRAUEN-ZEITUNG“ (1849-1852) würdigten“88. Vielmehr sahen sie sich als „Nachfolgerinnen jener edlen Jungfrau aus Bethanien“89 – der Jungfrau Maria. Letzteres kann den moralischen Aspekt der Forderungen Louise Otto-Peters‘ hier nur andeuten. Entscheidender sind ihre politischen Forderungen, die oft auch bei ihren revolutionären Mitkämp- fern auf wenig Resonanz stießen – eine Geringschätzung in den eigenen Reihen, die sie mit den Frauen der Französischen Revolution gemein hatte. Auch diese hatten erkennen müssen, dass die von den Revolutionären geforderten Menschenrechte im Prinzip nur Männerrechte waren. Otto- Peters nahm auch Bezug auf diese historischen Vorgängerinnen, wenn sie schreibt: „Die Geschichte aller Zeiten, und die heutige ganz besonders, lehrt: daß die- jenigen auch vergessen wurden, welche an sich selbst zu denken vergaßen![…]“90 Sie appellierte hier sowohl an das Geschichtsbewusstsein ihrer Leserinnen, in gewisser Weise auch an ihren Egoismus und konnte sich bereits an ein durch die Ergebnisse der Revolution ent- täuschtes, aber auch gewecktes „Frauen-bewußtsein“91 richten. Gelesen wurde die „Frauen-Zei- tung“ überwiegend von Frauen der Handwerker- und Bürgerschichten. Dies war zwar nur eine verhältnismäßig kleine Gruppe – etwa 10% der weiblichen Gesamtbevölkerung –, doch es war nicht die inhaltliche Konzeption, die die „Frauen-Zeitung“ in ihrer Verbreitung so einschränkte, sondern ihr relativ hoher Preis und die mangelnde Möglichkeit für Frauen, auf andere Weise, z. B. in Leseinstituten, Zugang zu ihr zu erhalten.92 Otto-Peters bemühte sich jedoch von Anfang an auch um Leserinnen und Mitarbeiterinnen aus der Arbeiterschaft: „Ich bitte auch diejenigen meiner Schwestern, die nicht Schriftstellerinnen sind, um Mittheilungen, zunächst die Bedrückten, die armen Arbeiterinnen, auch wenn sie sich nicht geschickt zum stylisierten Schreiben fühlen; ich werde ihre einfachen Äußerungen gern, wenn nöthig verdollmetschen – aber es liegt mir daran, daß gerade ihre Angelegenheiten vor die Oeffentlichkeit kommen, so kann ihnen am ersten geholfen werden.“93 Das Hauptanliegen der Zeitschrift sollte die Bildung der Frauen aller Schichten sein, weshalb sie sich für eine vermehrte Anstellung von Frauen in den Lehr- und Kaufmannsberufen oder für deren Ausbildung als Erzieherinnen in den Fröbel-Seminaren aussprach. Ideologische Abhandlungen zur Rolle und Bestimmung der Frau waren jedoch genauso wichtig wie Schilderungen aus der Re- gion – für Beides gab es gleichgroßen Raum – was auch auf die Vernetzungsfunktion der „Frauen- 88 Ebd. 89 Ebd. 90 Ebd. 91 Vgl. Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 40. 92 Vgl. ebd., S. 41. 93 Programm. In: Frauen-Zeitung, 01/ 01 (Probenummer)/ 21.04.1849/ 2. 61 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 Zeitung“ hindeutet.94 Otto-Peters arbeitete zwar selbständig, aber nicht allein – auch andere couragierte Frauen wirkten mit. Deshalb sei die „Frauen-Zeitung“, so Geiger/Weigel, „als Sprach- rohr der Zeitbestrebungen […] mehr als die berühmte Ausnahme, das mutige Vorbild als Einzel- unternehmen“95. Sie lebte vor allem von der Mitarbeit professioneller Publizisten, die anonym blieben oder nur mit ihren Vornamen zeichneten. Diese offene Konzeption der „Frauen-Zeitung“ veranschauliche, „wie wenig geschlossen der Frauen-Zeitgeist […] in dieser Epoche war“96, denn die von MitarbeiterInnen verfassten Beiträge vermittelten ein „radikaleres Frauen-Bild“ als die Grundsatzartikel. Jene von Louise Otto-Peters verfassten Grundsatzartikel setzten das „Ewig- Weibliche“, „die Wärme, Hingabe und Aufopferung der Frauen gegen den einseitigen ‘Ver- standes-Despotismus’ der Männer“97. Zwar war auch die volle Entfaltung der Frauen- Persönlichkeit gesetztes Ziel, doch nicht im Sinne einer „Subjektivität“, die nach Otto-Peters eher „einer Entfaltungssucht des Individuums“98 entspringe. Geiger/Weigel resümieren für das in der „Frauen-Zeitung“ entwickelte Frauenleitbild: „Wenn Louise Otto auch Selbständigkeit und Mündigkeit für die Frauen forderte, so schränkte sie doch gleichzeitig das Lebensziel und seinen Inhalt für die Frauen mit der Norm der ‘Hingabe, Aufopferung und Liebe’ ein.“99 Dieses sind die den Frauen allerdings mehr abverlangten als zugeschriebenen Charakter- eigenschaften, die auch in der „Gleichheit“ einen wesentlichen Inhalt des Frauenbildes ausmachen werden. Wie bereits beschrieben, scheiterte die deutsche Revolution und viele Landesfürsten – zumal der preußische König Friedrich Wilhelm IV., dem 1849 von den bürgerlichen Revolutionären noch die gesamtdeutsche Kaiserwürde angetragen worden war, die er aber hochmütig zurückgewiesen hatte – wollten ihre Exempel statuieren, indem sie besonders repressiv gegen Institutionen der öffentlichen Meinung vorgingen. Auch in der sächsischen Heimat Otto-Peters verebbte die revolu- tionäre Aufbruchstimmung und das sächsische Pressegesetz, welches Frauen nicht gestattete, selbständig Zeitungen zu redigieren oder herauszugeben100, zwang sie 1850, den Druckort der „Frauen-Zeitung“ in das thüringische Gheda zu verlegen. Aber auch dort konnte die Zeitschrift 94 Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 40. 95 Ebd. 96 Ebd., S. 42. 97 Ebd., S. 41. 98 Ebd. 99 Ebd. 100 Die von Geiger/Weigel herausgegebene Untersuchung „Sind das noch Damen? Vom gelehrten Frauenzimmer- Journal zum feministischen Journalismus“ bietet nicht nur zur „Frauen-Zeitung“ zahlreiche nützliche Hintergrund- informationen, sondern auch zu vielen weiteren politischen Zeitungen, die trotz aller repressiven Gesetze von Frauen ins Leben gerufen wurden. 62 1.2 DIE ERSTE DEUTSCHE FRAUENZEITSCHRIFT: DIE „FRAUEN-ZEITUNG“ (1849-1852) nur noch für zwei Jahre der Zensur entgehen. Die Nummer 51 des Jahres 1852 war die letzte Ausgabe der „Frauen-Zeitung“. In dem Zeitraum der Jahre 1852 bis 1866 existierte tatsächlich kein einziges politisches Frauen- organ.101 Erst mit der bereits beschriebenen Gründung des „Allgemeinen Deutschen Frauen- vereins“ (ADF) 1865 in Leipzig trat eine deutsche Frauenbewegung hervor, die sich nicht mehr auf das Wirken einzelner Personen stützte, sondern auf den Statuten und publizistischen Medien selbständiger Organisationen basierte. Auch der ADF gab bereits einige Monate nach seiner Grün- dung eine neue Frauenzeitschrift mit dem viel sagenden Titel „Neue Bahnen“ heraus. Die „Neue Bahnen“ war organisatorisch, finanziell und personell an den ADF gebunden. Dieses Konzept un- terstützte ein kontinuierliches Erscheinen und wurde später von den meisten Frauenzeitschriften, die von Frauen herausgegeben wurden, übernommen.102 Was trotz aller Professionalität aber für Frauenzeitschriften nicht ausgeschlossen werden konnte, war ein Verbot durch die staatlichen Be- hörden. 101 Aus Tabelle 4 „Die wichtigsten Zeitschriften der deutschen Frauenbewegung“ geht anhand der Erscheinungsdaten der Frauenzeitschriften sehr klar hervor, wie die repressiven Gesetze die politische Stellungnahme der Frauen zwar sehr erschwerten, es aber doch nicht vermochten, sie völlig zu unterdrücken. 102 Ab demjenigen Zeitpunkt, da überhaupt von einer organisierten Frauenbewegung die Rede sein konnte, bot die „Neue Bahnen“ ein deutlich professionelleres Fundament als es die „Frauen-Zeitung“ je vermocht hätte – sie be - saß laut Kinnebrock, die in ihrem Artikel mehrere Frauenzeitschriften miteinander vergleicht, „Modellcharakter“ und wurde vielfach „kopiert“. Bewegungszeitschriften sicherten zunehmend ihre Existenz durch die Anbindung an Frauenvereine. Gemeinsame Interessen wurden zu Forderungen formuliert, über ihre Hintergründe aufgeklärt und Protest koordiniert. „Kurzum, die bereits bei den ‘Neuen Bahnen’ erkennbare Informations- und Organisations- funktion der Frauenbewegungszeitschriften wurde auch – besser: gerade – in der Blütezeit der Frauenbewegung betont, sodass die ‘Neuen Bahnen’ als Ausgangspunkt der deutschen Frauenbewegungspresse überhaupt be- zeichnet werden können.“ (Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 139). Es ist jedoch m. E. anzunehmen bzw. noch zu untersuchen, inwieweit wiederum von Männern herausgegebene Zeitschriften Modellfunktion für die „Neue Bahnen“ gehabt haben. 63 1.3 DIE ERSTE PROLETARISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE STAATSBÜRGERIN“ (3. JANUAR 1886-13. JUNI 1886) 1.3 Die erste proletarische Frauenzeitschrift: „Die Staatsbürgerin“ (3. Januar 1886-13. Juni 1886) Ebenfalls ausgehend von einem einzelnen Verein schuf sich auch die proletarische Frauen- bewegung ihr erstes eigenes Organ: Die „Staatsbürgerin“ (1886). Diese ist trotz des wenig proletarisch anmutenden Titels in der Tat als die erste proletarische Frauenzeitschrift Deutschlands anzusehen.103 Ähnlich dem Motto der „Frauen-Zeitung“ drückte der Titel „Staats- bürgerin“ nicht die Forderung nach bürgerlichen Rechten, sondern vielmehr nach Bürgerrechten aus. Ihr Untertitel „Organ für die Interessen der Arbeiterinnen und der Central-Kranken- und Be- gräbnißkasse für Frauen und Mädchen in Deutschland“104 steht einerseits für einen allgemein proletarischen Anspruch, andererseits aber auch für ihren Charakter als Vereinsorgan.105 Die erste Nummer der „Staatsbürgerin“, deren Redaktion in den Händen von Gertrud Guillaume-Schack106 lag, erschien am 3. Januar 1886 und bereits Nummer 24 vom 13. Juni des gleichen Jahrgangs sollte aufgrund eines Polizeiverbotes die letzte sein. Guillaume-Schack sah in den 4.000–5.000 verschiedenen Zeitungen107, die zu jener Zeit in Deutschland existierten, zwar die Interessen der Männer vertreten und durch einige von ihnen auch den „Damen“ die Möglichkeit gegeben, ihre „müßigen Stunden auszufüllen, aber ein Blatt, das der Arbeiterin bringt, was dieselbe wissen soll und muß, und das nicht zu theuer für die wäre“ 108, das gab es nicht. In dem Artikel „Unser Zweck“ definierte sie deshalb das Selbstver- ständnis und den Auftrag der „Staatsbürgerin“ wie folgt: „Wir wollen eine Zeitung für die Frau des Volkes schaffen, die ihre Interessen voll und ganz vertritt.“109 103 Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack und ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 7. 104 Die „Offenbacher Kranken- und Begräbnißkasse für Frauen und Mädchen“, deren Entwicklung eng mit der „Staatsbürgerin“ verknüpft ist, wurde 1883/84 gegründet und gilt als die erste überregionale proletarische Frauen- organisation Deutschlands (vgl. ebd). 105 Vormschlag charakterisiert die „Staatsbürgerin“ als „erste sozialistische Frauenzeitschrift“ [Hervorhebung von M.S.]. Sie schränkt dann aber diese Charakterisierung hinsichtlich des Umstandes ein, dass sie eher eine spezi- fische Stellungnahme zu den Tagesinteressen der Arbeiterinnen als ein ausgeprägtes Klassenkämpfertum um- schrieben habe (vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 59). 106 Zur Biographie Guillaume-Schacks sind in der Literatur sehr unterschiedliche und verwirrende Angaben zu fin- den. Die wohl profundeste Lebensbeschreibung ist ein von ihrer langjährigen Mitkämpferin Marie Hofmann verfasster, in der „Gleichheit“ veröffentlichter Nachruf, der hier noch an anderer Stelle vorgestellt wird. Vielen neueren Arbeiten – wie z. B. Thönnessen und Eisfeld/Koszyk – sind jedoch erhebliche Defizite hinsichtlich der biographischen Angaben anzulasten (vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack und ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 7f.). Als Redakteurin der ersten proletarischen Frauenzeitschrift rückte Guillaume- Schacks Lebensgeschichte außerdem in den Blickpunkt der DDR-Wissenschaft und wurde von dieser einer deut- lich politischen Färbung unterzogen – eine Eigenart, die noch ausgeprägter bei der Person Clara Zetkins auffällt. 107 Vgl. [Guillaume-Schack, Gertrud:] Unser Zweck. In: Staatsbürgerin, 01 / 01 / 03.01.1886 / Reprint S. 1. 108 Ebd. 109 Ebd. 65 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 Die Bezeichnung „Frau des Volkes“ bezog sich zu Beginn vor allem auf die Mitglieder der Arbei- terinnenvereine und der Kranken- und Begräbniskasse für Frauen und Mädchen. Deren „Mit- theilungen über die Vorfälle und Arbeiten an den verschiedenen Orten“110, ihre Probleme und Fragen wollte die „Staatsbürgerin“ erörtern und beantworten. Deshalb wollte sie für alle Berichte aus der Feder der Arbeiterinnen offen stehen, dem in diesen Berichten zutage tretenden Unrecht eine Plattform geben, es anklagen und „die öffentliche Meinung [als] Schiedsrichteramt“111 an- rufen. Neben dieser politischen Aufgabe wollte die „Staatsbürgerin“ auch hilfreich in Bezug auf „Ge- sundheitspflege, Kinder-Erziehung, Wissenschaft, Statistik, wirthschaftliche Fragen, die Lohnver- hältnisse und die Gesetze, soweit dieselben die Frauen betreffen“112 sein und zudem „ausgewählte belletristische Lektüre“113 bieten. Guillaume-Schack beschreibt daher in bildhaften Worten die Entwicklung der proletarischen Frau: „Wie Dornröschen nach tausendjährigem Schlafe, ist die Arbeiterin heute erwacht. Wie das Morgenroth des jungen Tages, bricht sich das Licht des Gedankens in ihrem Leben Bahn und überfluthet heller und heller ihr Schaffen im Hause, am Herd und in der Familie, ihr Schaffen in den Werkstätten und Fabriken, in Feld und Flur, und wird ihr zum hellen Stern, der ihr den Weg zu Wissenschaft und Kunst und vor allem den Weg zum Wirken und Schaffen für die Allgemeinheit zeigt.“114 Diese geistige Entwicklung sei nicht zuletzt dem in den letzten Jahren schnell gewachsenem „Gefühl der Zusammengehörigkeit“115 der Arbeiterinnen zuzuschreiben, aus dem heraus sich die „einsichtsvollsten“116 der Frauen zusammengeschlossen hätten, „um sich durch eigne Kraft gegen das Elend des Lebens, das beständig vor ihrer Thür lauert, zu schützen“117. Guillaume-Schack sah das Selbstbewusstsein der Arbeiterinnen verändert. Sie, „die den eigentlichsten Kern und Mittel- punkt des Volkes, als Hüterinnen des häuslichen Herdes, und als Mütter und Erzieherinnen des künftigen Geschlechtes bilden“118, hätten „begonnen, ihre staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten in ihrer ganzen Tragweite zu begreifen“119. Nun wäre es an der „Staatsbürgerin“, diesem hohen Anspruch gemäß zwischen den Arbeiterinnen „in der ganzen civilisirten Welt, ein gemeinsames 110 Ebd. 111 Ebd. 112 Ebd. 113 Ebd. 114 Ebd. 115 Ebd. 116 Ebd. 117 Ebd. 118 Ebd. 119 Ebd. 66 1.3 DIE ERSTE PROLETARISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE STAATSBÜRGERIN“ (3. JANUAR 1886-13. JUNI 1886) Band zu schlingen“120. Es ist nicht nur dieser internationale Aspekt, der die „Staatsbürgerin“, ohne dass die Arbeiterbewegung als Bezugsgröße genannt wird, in deren Nähe rückt. Rhetorisch versiert macht die Redakteurin der „Staatsbürgerin“ diese Nähe zudem wie folgt deutlich: „Die Presse hat sich bisher fast einzig und allein darauf beschränkt, den deutschen Frauen mitzutheilen, was überall ‘Mode’ ist, oder ‘gekocht’ wird, wir wollen aber ein Blatt gründen, das in die Tiefe des Lebens hineingreift und sich vorerst einmal damit beschäftigt, was geschehen kann, damit alle Menschen etwas anzuziehen und zu essen haben“121. Die „Staatsbürgerin“ beanspruchte eben nicht nur ein Blatt zu sein, „das für die geistigen und materiellen Interessen der Arbeiterinnen in allen ihren Zweigen einsteht, in das Leben der Arbei- terinnen neue Gedanken, Zerstreuung und Erheiterung bring[t]“122, sondern auch denjenigen außerhalb der Arbeiterwelt helfen, „das Sein des Volkes verstehen“123 zu lernen. All diese Ziele, da war sich Guillaume-Schack sicher, waren jedoch nur mit der aktiven Unterstützung der Arbeite- rinnen erreichbar. Nur mittels ihrer schriftlichen Beiträge konnte die Staatsbürgerin „ein getreues Abbild ihres Daseins“124 werden. Nur die aktive Unterstützung ihrer Sympathisantinnen und Lese- rinnen konnte die Verbreitung und damit den Erfolg der „Staatsbürgerin“ gewährleisten.125 Ein Erfolg, an dem auch dem Offenbacher Verleger Carl Ulrich gelegen war, der sowohl für Druck als auch Verlag verantwortlich zeichnete. Ulrich war bekennender Sozialdemokrat und zudem Ver- leger des parteinahen „Offenbacher Tageblatts“ (1874-1933). Im hessischen Offenbach jedoch bedeutete seine politische Gesinnung nicht zwangsläufig eine Bedrohung seiner wirtschaftlichen Existenz, denn hier fand das Sozialistengesetz eine weniger rigorose Umsetzung als andernorts. In erster Linie versuchte man die finanzielle Existenz der „Staatsbürgerin“ dadurch zu sichern, dass sie zum „Obligatorium“, d. h. zum Pflichtabonnement für die örtlichen Filialen der Offen- bacher Kasse gemacht wurde. Ein Vierteljahresabonnement kostete 75 Pfennig126 und ein Preis- vergleich zeigt, dass die „Staatsbürgerin“ damit – gemäß ihrer eigenen Zielsetzung – deutlich billiger war als eine der unpolitischen Unterhaltungs- und Modezeitschriften für Frauen.127 Unver- 120 Ebd. 121 Ebd. 122 Ebd. 123 Ebd. 124 Ebd. 125 Ebd. 126 Dies war derselbe Preis, den bereits ihr Vorgängerorgan, die „Deutsche Buchbinderzeitung“ (1880-1885), gekostet hatte. Die Zustellung der „Staatsbürgerin“ per Post kostete die AbonnentInnen zusätzliche 15 Pfennig. 127 Solcherlei Zeitschriften wie z. B. „Der Bazar“ (1855-1937) oder die „Illustrierte Frauenzeitung“ (1874-1911) kos- teten im Vierteljahresabonnement bemerkenswerte 2,50 Mark, enthielten allerdings auch u. a. aufwendig und ansprechend gestaltete Illustrationen (vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack und ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 30). Zur Geschichte der „Gartenlaube“ (1853-1937) und der „Illustrirten Zeitung“ (1843- 67 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 zichtbar ist an dieser Stelle eine Vorstellung von den Größenordnungen damaliger Einkünfte und Ausgaben proletarischer Haushalte. Nur anhand der Relation, in der die Ausgaben für eine Zeitschrift zu einem durchschnittlichen proletarischen Familien- und Haushaltsbudget standen, lässt sich ermessen, welche Bedeutung das „Halten“ eines Zeitschriftenabonnements für die Haushaltskasse einer Arbeiterfamilie hatte. Abgesehen von regionalen und berufsspezifischen Eigenarten, die die Lebenshaltungskosten und Einkommensverhältnisse einer proletarischen Familie variieren ließen, betrug das durchschnittliche Einkommen eines Arbeiters damals ca. 20- 30 Mark pro Woche – dasjenige einer Arbeiterin lag aber wie bereits beschrieben um vieles niedriger. 1880 kostete ein Pfund Butter eine Mark und ¼ Pfund Kaffee 30 Pfennig.128 Ein Zei- tungsabonnement war demnach durchaus ein finanzielles Opfer und die Preisgestaltung der „Staatsbürgerin“ nahm Rücksicht auf ein anzunehmendes Durchschnittseinkommen ihrer anvi- sierten Leserschaft. Die wöchentliche Auflage der „Staatsbürgerin“ dürfte nur einige Hundert Exemplare betragen haben.129 Einem Polizeibericht zufolge – allerdings nach dem Verbot der „Staatsbürgerin“ ange- fertigt – ist von 130 PostabonnentInnen auszugehen.130 Da diese Abonnements nicht ausgereicht haben dürften, die Kosten der Herstellung vollständig zu decken, verfügte die „Staatsbürgerin“ über weitere Einnahmen durch Inserate und Annoncen.131 Diese waren allerdings nicht etwa kom- merzieller Art, sondern hauptsächlich Bekanntmachungen der „Offenbacher Kranken- und Begräbnißkasse für Frauen und Mädchen“, ihres Zentralvorstandes oder ihrer Zweigstellen. In- haltlich betrafen sie deshalb vor allem die Ankündigung von Versammlungen oder regelmäßige Berichte zu den Vereinsfinanzen. Eigenwerbung betrieb die „Staatsbürgerin“ vor allem dadurch, 1944) – zwei der erfolgreichsten Unterhaltungs- und Familienblätter Deutschlands siehe: Wischermann, Frauen- frage und Presse. 128 Vgl. Saul/u. a., Arbeiterfamilien im Kaiserreich, S. 92, S. 102 u. S. 106. Eine Untersuchung zu den verschiedenen Typen proletarischer städtischer Haushalte und ihre Hauswirtschaft analysierte die Soziologin Margarete Freuden- thal 1934 (vgl. Freudenthal, Gestaltwandel der städtischen, bürgerlichen und proletarischen Hauswirtschaft zwischen 1760 und 1910, S. 113ff.). 129 Vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack und ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 30. 130 Vgl. ebd. Ob es tatsächlich, wie Gebhardt/Wischermann interpretieren, Zeichen für einen großen Absatz der Zeit- schrift ist, wenn Guilleaume-Schack am 11. April 1886 ihren LeserInnen mitteilte, dass neue AbonnentInnen die Nummern 1 bis 3 nicht nachgeliefert bekommen könnten, kann in Zweifel gezogen werden. Dieser Umstand kann schlicht auch auf eine sehr niedrig gehaltene Auflage zu Beginn des Erscheinens zurückgeführt werden. Was auch erklären würde, warum schließlich auch die gesamten Nummern der ersten drei Monate „vollständig vergriffen“ (Staatsbürgerin, 01/ 15/ 11.04.1886/ Reprint S. 60; vgl. auch Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack und ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 30.) waren. 131 Inserate wurden mit 20 Pfennig, Annoncen von Vereinen und Organisationen mit 5 Pfennig pro Petitzeile be- rechnet. Die Schriftgrößen eines Druckerzeugnisses richten sich nach einem seit 1879 existierenden Punktesys- tems: 1 Punkt = 0,3759 mm. Die „Petit“(„Kleine“)-Zeile entspricht 8 Punkten, die außerdem für Inserate in der „Gleichheit“ verwendete „Nonpareille“ (die „Unvergleichliche“)-Zeile 6 Punkten. Letztere ist die kleinste für Durchschnittsleser noch lesbare Schrift. Interessanterweise wird die sehr raumgreifende, 9 Punkte entsprechende Schriftgröße, in der z. B. Leitartikel gedruckt wurden im Schriftsetzerhandwerk „Bourgeois“ oder „Borgis“ ge- nannt (vgl. Hagemann, Die Zeitung als Organismus, S. 152-154). 68 1.3 DIE ERSTE PROLETARISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE STAATSBÜRGERIN“ (3. JANUAR 1886-13. JUNI 1886) dass sie Gratisexemplare an die Mitglieder von Arbeiterinnenvereinen und BesucherInnen von Ar- beiterversammlungen verteilte. Hinzu kam, dass die „Staatsbürgerin“ nicht nur von anderen Arbeiterorganen als Lektüre empfohlen, sondern ihre Gründung sogar durch die „Neue Bahnen“ begrüßt132 und ein enger Kontakt zu Otto-Peters und Schmidt geknüpft wurde. Trotz des Abon- nentInnenkreises und der Anzeigenkundschaft musste die „Staatsbürgerin“ jedoch vom Verlag be- zuschusst werden – zu Beginn mit der hohen Summe von 600 Mark.133 Die „Staatsbürgerin“ erschien wöchentlich. Eine Nummer umfasste in der Regel vier in einem dreispaltigen Layout gehaltene Seiten. Der Nummer 15 vom 11. April 1886 war erstmals eine ein- seitige Beilage beigefügt, bei der es sich allerdings nicht um ein eigenständiges Journal oder gar ein Schnittmuster handelte, sondern um eine Bekanntmachung des Zentralvorstandes der „Cen- tral-Kranken- & Begräbnißkasse für Frauen & Mädchen Deutschlands“, ein Verzeichnis der Ausschuss- und Vorstandsmitglieder sowie eine eindrucksvolle Adressenliste der Vorstände der örtlichen Verwaltungsstellen enthaltend.134 Wie diese Liste eindeutig belegt, war die Offenbacher Krankenkasse eine in den deutschen Staaten weitverzweigte Organisation. Es wurde deshalb not- wendig, den örtlichen Vorständen konkrete Anweisung zu geben, säumige Kassenmitglieder zu mahnen und gegebenenfalls Beiträge einzuklagen. Auch die Vorstände selbst wurden in dieser Beilage, die nun nahezu jeder Nummer beigefügt wurde, auf die Geschäftsordnung hingewiesen und ermahnt, mindestens ein Exemplar der „Staatsbürgerin“ „bei ihrer Postanstalt zu bestellen, um sich von den Bekanntmachungen des Central-Vorstandes genügend zu unterrichten.“135. Diese Aufforderung stand ganz in Übereinstimmung mit dem Selbstverständnis der Zeitschrift, denn es war nun einmal die zentrale Aufgabe der „Staatsbürgerin“, „genügend zu unterrichten“, denn da- rin bestand ihr Hauptzweck als Informations- und Vernetzungsorgan einer überregionalen Organi- sation. Das strukturelle Grundschema der „Staatsbürgerin“ lässt sich an folgenden Bestandteilen und Rubriken aufzeigen: Leitartikel, „Umschau“, „Korrespondenzen“, Feuilleton, „Allerlei“, Bekannt- machungen, „Briefkasten“ und Annoncen.136 Die namentlich nicht gezeichneten Leitartikel 132 „Kann man so das Blatt als Fachblatt für die Mitglieder der erwähnten Kassen betrachten, worin es die Garantie seines Bestehens findet, so behandelt es doch nicht allein den engen Kreis dieser Special-Interessen, sondern geht über dieselben hinaus und bemüht sich, in den arbeitenden Frauen das Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit zu wecken, sie zur Selbsthilfe anzuregen und zu Staatsbürgerinnen zu erziehen.“ (Neue Bahnen, 21/ 04/ 1886/ 27). 133 Gebhardt/Wischermann erachten diese von Ulrich gemachte Angabe jedoch für unverhältnismäßig hoch, da das Vorgängerorgan bei gleichem Preis, gleicher Erscheinungsweise und einer Auflage von 750 Exemplaren sogar Ge- winn abgeworfen habe (vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack und ihre Zeitschrift „Die Staats- bürgerin“, S. 31, Anm. 161). 134 Vgl. Staatsbürgerin, 01/ 15/ 11.04.1886/ Reprint S. 62. 135 Ebd. 136 Vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack und ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 31. 69 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 wurden von Guillaume-Schack137 verfasst, wobei selbst die wenigen Leitartikel, die offensichtlich nicht aus ihrer Feder stammen, von ihr vorgenommene Korrekturen aufweisen – meist in der Art heutiger „political correctness“, indem sie z. B. den Begriff „Arbeiterinnen“ ergänzte. Die Rubrik „Umschau“ hatte den Charakter einer Zeitungsrevue, für die Guillaume-Schack uner- müdlich verschiedene aktuelle Zeitungen auszuwerten schien. Tatsächlich bediente sie sich aber vor allem des in Arbeiterinnenkreisen sehr beliebten „Berliner Volksblatts“ (1884-1890) – dem Vorgänger des sozialdemokratischen „Vorwärts“ (1891-1958)138 – oder ihr zugesandter Zeitungs- ausschnitte bzw. Originalbeiträge.139 Die Arbeit einer Redakteurin konnte nicht darin bestehen, allein eine ganze Zeitschrift inhaltlich zu füllen. Deshalb hatte Guillaume-Schack bereits in der ersten Nummer der „Staatsbürgerin“ vor allem diejenigen ihrer Leserinnen, die Mitglieder oder Leiterinnen eines Vereins waren, aufgefordert, über die Tätigkeiten ihrer Organisationen zu be- richten. Indem daraufhin in Nummer 8 vom 21. Februar 1886 ein Bericht über eine Versammlung des „Berliner Mantelnäherinnen-Vereins“ erschien, ergab sich für das in Offenbach ansässige Organ eine erste Verbindung nach Berlin. Dies sowohl zum dortigen Verein der Mantelnäherinnen und zu dessen Vorsitzenden Rosa Büge (?-?) als auch zum „Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen“ unter Vorsitz von Marie Hofmann. Wie jedoch bereits beschrieben, wurden beide Vereine und auch andere Berliner Frauenorganisationen bereits im selben Monat verboten. In dem Bericht, den Guillaume-Schack über dieses Verbot in der „Staatsbürgerin“ veröffentlichte – bevor diese dann auch selbst verboten wurde –, vertrat sie die Meinung, dass sich „die Vereine selbst niemals mit irgend einer politischen Thätigkeit befaßt [hätten]. Dieselbe wäre auch schon deshalb unmöglich gewesen, weil die darin vorhandenen Elemente zu verschieden waren. Conservative und Freisinnige, Christlich-Soziale und Sozialdemokraten saßen darin alle auf derselben Bank, überwachten einer den andern, besser als die Polizei es je im Stande gewesen wäre, und sorgten dafür, daß das Gesetz nicht überschritten wurde, welches Frauen von politischem Handeln ausschließt.“140 Demnach hatte laut Guillaume-Schack also niemals, wie von Behördenseite vorgeworfen, eine Verbindung zwischen den einzelnen Vereinen bestanden. Stattdessen hätten sich lediglich unlieb- 137 Vgl. ebd. Die Untersuchung der Leitartikel nach Stilistik und Diktion zur Klärung der Verfasserschaft zeigt, wie gründlich sich Gebhardt und Wischermann mit der „Staatsbürgerin“ und vor allem mit Guillaume-Schack auseinandergesetzt haben. 138 Der „Vorwärts – Berliner Volksblatt“ wurde 1933 wie alle anderen sozialdemokratischen Presseorgane durch die nationalsozialistische Regierung verboten. Im Exil und nach Ende des Zweiten Weltkrieges gründeten sich meh- rere Zeitschriften, die sich namentlich an den „Vorwärts“ anlehnten. 139 Gebhardt/Wischermann stellen an den Schluss ihrer Darstellungen und des „Staatsbürgerin“-Reprints eine be- sonders aufschlussreiche Sammlung von Annotationen. An ihr wird deutlich, wieviele Artikel Guillaume-Schack von anderen Presseorganen übernahm und geben „Einblick in die damalige journalistische Arbeitstechnik […], insbesondere in das Arbeiten mit ‘Schere und Kleister’“ (ebd., S. 39). 140 Das Verbot der Berliner Arbeiterinnen-Vereine. In: Staatsbürgerin, 01/ 23/ 06.06.1886/ Reprint S. 108. 70 1.3 DIE ERSTE PROLETARISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE STAATSBÜRGERIN“ (3. JANUAR 1886-13. JUNI 1886) same „öffentliche[…] und verborgene[…] Zänkereien“141 zwischen den beiden abgespielt. Der Richterspruch, so Guillaume-Schack weiter, habe deshalb nur verwirrend auf die beschuldigten Menschen gewirkt, die sich bis dahin keines Unrechtes bewusst gewesen seien. Dieser Kommentar gibt ein interessantes zeitgenössisches und vielleicht auch exemplarisches Ur- teil über die Zusammensetzung, Arbeit und das Abgrenzungsbedürfnis der ersten Arbeiterinnen- vereine. Gerade das Bedürfnis nach Abgrenzung spiegelt sich dabei immer wieder auch in den Inseraten der verschiedenen Vereine wider. Neben den Berichten aus ihrem Vereinsleben ver- öffentlichte die „Staatsbürgerin“ auch Aufrufe zur Sammlung statistischen Materials. Die Leserin- nen wurden aufgefordert, Angaben zu Lohn- und Arbeitsverhältnissen an „Fr. Rohleder’s Bureau für Arbeiterangelegenheiten und Statistik“ in München schicken.142 Ein anderes Mal veröffent- lichten die Berliner Mantelnäherinnen in der „Staatsbürgerin“ einen eigenen Fragenkatalog und betonten: „Jede Arbeiterin, die es ehrlich mit der Arbeiterinnenbewegung meint und gewillt ist, zur Aufbesserung ihrer traurigen Lage mitzuwirken, hat die Pflicht, diesen Fragebogen auszufüllen und denselben baldmöglichst an die Unterzeichnete [Rosa Büge; M.S.] gelangen zu lassen“143 [Hervorhebung von M.S.]. Arbeiterinnen trugen auf diese Weise mit relativ wenig Aufwand zum wissenschaftlichen Sozialismus und damit zum Klassenkampf bei. Die Sammlung statistischer Belege war spätestens mit Bebels Buch „Die Frau und der Sozialismus“ zu einer wirksamen „Waffe“ der proletarischen Frauenbewegung geworden. Um die Befähigung zur Sammlung von Fakten und Beschreibungen der eigenen Lebenswirklichkeit zu fördern, warb die „Staatsbürgerin“ in einer ihrer seltenen ge- werblichen Annoncen für das neue orthographische Wörterbuch von Dr. Konrad Duden: „Allen Arbeiterinnen und auch Arbeitern die sich mit schriftlichen Arbeiten beschäftigen, kann das Buch auf das Wärmste empfohlen werden […] und ist die beste Anleitung die wir zu dem geringen Preise von 1 Mk. haben.“144 Dies war eine an das proletarische Lesepublikum gerichtete Literaturempfehlung, um aus seinen Reihen potentielle Autoren und Autorinnen für die „Staatsbürgerin“-Rubrik „Korrespondenzen“ zu gewinnen. In dieser Rubrik sorgten sie mit ihren Berichte über ihre Lebens- und Arbeits- 141 Ebd. 142 Dieser Aufruf erschien in der „Staatsbürgerin“ bis einschließlich Nummer 15. Eine Biographie Rohleders konnte nicht ermittelt werden. 143 Staatsbürgerin, 01/ 14/ 04.04.1886/ Reprint S. 56. Auch der „Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterin- nen“ wollte mittels Fragebogen an diese anscheinend sehr begehrten statistischen Angaben gelangen. In Nummer 14 erschienen gleich zwei Inserate – eines davon vom Vorstand, in dem u. a. Agnes Wabnitz (1841-1894) Mitglied war –, die zur Einsendung des begehrten Materials aufforderten. Empfängerinnen der Daten sollten Staegemann, Kreutz oder Ihrer sein (vgl. Staatsbürgerin, 01/ 15/ 11.04.1886/ Reprint S. 60). 144 Staatsbürgerin, 01/ 09/ 28.02.1886/ Reprint S. 36. 71 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 situation145 dafür, „daß die Staatsbürgerin ein getreues Abbild ihres Daseins bildet[e]“146. Die Rubrik „Briefkasten“ enthielt dagegen – anders als es deren Titel vermuten ließe – keine der- artigen Leserbriefe, sondern umgekehrt Mitteilungen der Redaktion an LeserInnen und Korres- pondentInnen.147 Der Feuilleton der „Staatsbürgerin“ weist vornehmlich Fortsetzungserzählungen auf. Über an- sehnliche neun Nummern erstreckte sich z. B. „Aus der Hexenzeit“ von Louise Otto-Peters.148 Hinzu kommen einige wenige Gedichte und die Rubrik „Allerlei“, die tatsächlich ein Sammel- surium praktischer Hinweise, Gerichtsprozessberichten, tragischer Schicksalsbeschreibungen und kleiner Witze bietet. Vor allem die verschiedenen sozialpolitischen Artikel – sowohl aus der Feder politisch engagierter AutorInnen als auch einfacher Arbeiterinnen stammend – sind es, die die „Staatsbürgerin“ aus heutiger geschichtswissenschaftlicher Sicht zu einer „Chronik proletarischen Frauenlebens in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts“149 machten, „zu einer Chronik politischer Unterdrückung und sozialen Elends und des Auf- begehrens und Kämpfens der Arbeiterinnen gegen Verhältnisse, die nicht nur von der Klassenlage bestimmt wurden, sondern auch vom Herrschaftsanspruch der Männer, auch der eigenen Klasse.“150 Die „Staatsbürgerin“ trat zwar für ein gemeinsames Vorgehen mit den Männern der Arbeiter- bewegung z. B. in der Frage des Lohnkampfes ein, ermutigte aber die Frauen auch, sich selbst „ihrer Haut zu wehren“151. Denn es seien die von Frauen zusammengehaltenen Arbeiterfamilien, in denen man „eine Opferfreudigkeit, eine Ergebenheit und einen Heldenmuth [finde], gegen den der vom Augenblick geschaffene, so hoch gepriesene Heldenmuth auf dem Schlachtfelde oder bei irgend einer Gefahr weit zurücksteht“152. 145 Gebhardt/Wischermann haben in den 24 Nummern der „Staatsbürgerin“ über einhundert solcher Artikel aus- gemacht, von denen fast die Hälfte aus Berlin kamen. Vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack und ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 32. 146 Unser Zweck. In: Staatsbürgerin, 01/ 01/ 03.01.1886/ Reprint S. 1 147 Vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack und ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 32; Staats- bürgerin, 01/ 06/ 07.02.1886/ Reprint S. 23 und 01/ 15/ 11.04.1886/ Reprint S. 60. Hier gewinnt man auch Auf- schluss darüber, dass die Initialen „E. J., Berlin“ vermutlich Emma Ihrer zuzuordnen sind. 148 Otto, Louise: Aus der Hexenzeit. In: Staatsbürgerin, 01/ 12/ 21.03.1886/ Reprint S. 46 bis 01/ 20/ 16.05.1886/ Re- print S. 88. Diese Erzählung handelt von dem Mädchen Osanna, deren Mutter im frühneuzeitlichen Thüringen der Hexerei angeklagt und zum Tode verurteilt wurde. Eine weitere Erzählung Otto-Peters – „Die Spitzenklöpplerin. Eine Erzählung aus dem sächsischen Erzgebirge“ – erschien in den letzten drei Nummern der „Staatsbürgerin“ und konnte nicht abgeschlossen werden (vgl. Otto, Louise: Die Spitzenklöpplerin. Eine Erzählung aus dem säch- sischen Erzgebirge. In: Staatsbürgerin, 01/ 22/ 30.05.1886/ Reprint S. 99 bis 01/ 24/ 13.06.1886/ Reprint S. 112). 149 Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack und ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 33. 150 Ebd. 151 Unser Zweck. In: Staatsbürgerin, 01/ 01/ 03.01.1886/ Reprint S. 1. 152 Ebd., S. 2. 72 1.3 DIE ERSTE PROLETARISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE STAATSBÜRGERIN“ (3. JANUAR 1886-13. JUNI 1886) Vielfach mussten sich die proletarischen Frauen ihrer Stärken erst einmal bewusst werden. Und sie mussten sich auch im Klaren darüber sein, dass sie plötzlich nur auf sich und diese Stärken ge- stellt sein konnten. Die besser gestellten Arbeiterinnen, d. h. diejenigen, die gerade ihre Not noch gemeinsam mit einem Ehemann meisterten, konnten schließlich nicht wissen, wann auch sie fremder Hilfe bedurften. Es war daher nahe liegend, mit den schlechter gestellten Arbeiterinnen ein „Schutz- und Trutzbündniß“153 zu schließen. Richten sollte sich dieses „Schutz- und Trutz- bündniß“ jedoch nicht gegen die proletarischen Männer, sondern gegen den Kapitalismus. Dieses spezifische Verhältnis der Frau zum Kapitalismus wurde von Guillaume-Schack jedoch noch nicht theoretisch fundiert. Grundlegende Artikel wie „Utopismus und wissenschaftlicher Sozialismus“, den sie der „Neuen Zeit“ entnommen hatte, erfuhren von ihr keinerlei redaktionelle Überarbeitung in Bezug auf einen frauenspezifischen Ansatz oder auf die sozialistische Frauenemanzipations- theorie Bebels.154 Die „Staatsbürgerin“ war, wie bereits gezeigt wurde, trotz ihres auf den Offenbacher Verein be- zogenen Untertitels mehr als eine regionale Zeitschrift, sie war vielmehr das Organ der aufstrebenden Frauenorganisationen in ganz Deutschland – mit besonderen Schwerpunkten in Berlin und in Hamburg. Doch zu dem Zeitpunkt, als die Hamburger Arbeiterinnenvereine erwogen, die „Staatsbürgerin“ zu ihrer obligatorischen Schulungslektüre zu machen155, waren bereits behördliche Maßnahmen für ihr Verbot getroffen worden. Ab dem 12. Juni 1886 wurden alle verfügbaren Exemplare der letzten Nummer beschlagnahmt. Über die Gründe für dieses Ver- bot gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Emma Ihrer ging davon aus, dass ein provokativer Artikel von Johanna Friederike Wecker zur Gleichberechtigung der Frau den Behörden den willkommenen Anlass für dieses Verbot geboten habe.156 Wecker, die bis dahin zwar nur ver- einzelte, aber dafür auffällig umfangreiche Beiträge und sogar Leitartikel für die „Staats- bürgerin“157 verfasst hatte, behandelte in jenem Artikel den Fakt, dass Behörden – unter Verweis auf die weibliche „Dispositionsunfähigkeit“, d. h. ihre mangelnde Geschäftsfähigkeit – verhei- 153 Ebd., S. 1. 154 Utopismus und wissenschaftlicher Sozialismus. In: Staatsbürgerin, 01/ 19/ 09.05.1886/ Reprint S. 81. 155 Vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack und ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 33, Anm. 170. 156 „Auch dieses [Organ, die „Staatsbürgerin; M.S.] fiel bald der Polizei zum Opfer, nachdem ein energischer Artikel aus der Feder von Frl. Johanna Wecker darin veröffentlicht worden war, der die Gleichstellung aller Frauen forderte, wozu sie für ihre Beispiele auch die Frauen auf den Thronen herangezogen hatte. Man sah darin ‘Aufreizung zum Klassenhaß’.“ (Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 19). Vgl. auch Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack und ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 33. 157 Wecker ist in Nr. 24, in der Beilage von Nr. 23 und in Nr. 17 mit Beiträgen vertreten. Außerdem der Leitartikel: Wecker, Johanna Fr.: Die Frauen im gewerblichen Leben und der Abgeordnete Kalle. (Eine Kritik aus Frauenkreisen). In: Staatsbürgerin, 01/ 15/ 11.04.1886/ Reprint S. 57-58. 73 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 rateten Frauen die Mitgliedschaft im „Verein der Arbeiterinnen Dresdens“ verboten hatten. Sie kam diesbezüglich zu folgender „juristischen Logik“: „Mit der ‘dispositionsunfähigen Arbeiterin’ bedingt sich die Ausschließung der ver- heiratheten Frauen aller öffentlichen Interessen dienenden Verbindungen! Auch Ihre Majestät, die hochverdiente Königin Carola, Ihre Majestät, die Deutsche Kai- serin, fallen unter diese herrliche Bestimmung des deutschen ‘Eherecht‘s’! Es macht auch die ‘Königin’ ‘dispositionsunfähig!’ […] Dann hinaus mit den übrigen ‘Verheiratheten’ aus den Vereinen der ‘reichen’ Frauen, damit sie ihre ‘Dispositi- onsunfähigkeit’ besser würdigen lernen und sodann bietet dem Gesetz eine veränderte Auslegung: Laßt Euch von Euren Ehemännern ‘Erlaubnißscheine’ aus- stellen, Mitglied eines ‘Frauenvereins’ zu sein und hört zu, was die ‘Polizei’ hierzu sagt!“158 Das „Rote Kreuz“ oder „Vaterländische Frauenvereine“ – Organisationen, die im Ersten Weltkrieg noch eine wichtige Rolle spielen sollten – waren Vereine, in denen Mitglied zu sein für Damen der höheren Gesellschaft Ausdruck ihrer privilegierten Stellung und ihres karitativen Engagements war. Weder dieser Umstand noch die von Proletarierinnen geäußerte Kritik an der bevorzugten Behandlung dieser Institutionen war neu. Selbst das dreiste Pochen auf logische Prinzipien – im Fall der Wecker‘schen Argumentation besonders schlagkräftig – dürfte für die Behörden weder ungewöhnlich noch sonderlich beunruhigend gewesen sein. Die „Staatsbürgerin“ aufgrund dieses Artikels zu verbieten, war demnach genauso fadenscheinig wie die angebliche „Dispositions- unfähigkeit“ verheirateter Arbeiterinnen – doch in ihrer Fadenscheinigkeit blieben die Behörden immerhin konsequent.159 Ungewöhnlich und verwunderlich war eher, dass die Offenbacher Be- hörden sich noch die Mühe machten, das Publikationsverbot zu begründen, folgten sie doch zunehmend einer „preußischen“ Handhabung des Sozialistengesetzes. Die Konsequenzen dieser Entwicklung sollten schließlich auch Guillaume-Schack persönlich be- treffen: Am 17. Juli 1886 erklärte man ihr, dass sie das Großherzogtum Hessen zu verlassen habe. Hatten viele Ausgewiesene vor ihr bei Nacht und Nebel fliehen müssen, um einer Verhaftung zu entgehen, so gestaltete sich Guillaume-Schacks Abschied dagegen zu einem regelrechten Demon- strationszug der sozialdemokratischen Partei. Mehr als hundert Männer und Frauen hatten sich zur Abfahrtszeit auf dem Bahnhof eingefunden. Nicht nur, dass sie sozialistische Abzeichen trugen, sie jubelten ihr zu und teilweise soll auch der Ruf: „Es lebe die Sozialdemokratie!“ vernommen worden sein.160 Guillaume-Schack verließ das Reichsgebiet Richtung Zürich. Sie wollte nicht wie 158 Wecker, Joh. F.: Eingesandt. In: Staatsbürgerin, 01/ 24/ 13.06.1886/ Reprint S. 114. 159 Die Beilage der „Vossischen Zeitung“ Nr. 330 vom 19. Juli 1886 sah als wahren Grund des Verbotes der „Staats - bürgerin“ ihre allgemeine Eigenart, „die Lage der weiblichen Arbeit in greller, aufreizender Weise dargestellt“ zu haben (zit. nach: Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack und ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 33, Anm. 175). 160 Vgl. Bericht nach dem „Frankfurter Journal“ (1783-1810, 1814-1903) in der „Vossischen Zeitung“ (1911-1934) Nr. 332/ 20.07.1886. Zit. nach: Ebd., S. 34. 74 1.3 DIE ERSTE PROLETARISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE STAATSBÜRGERIN“ (3. JANUAR 1886-13. JUNI 1886) andere sozialistische EmigrantInnen ihre politische Arbeit in einem benachbarten deutschen Staat wiederaufnehmen. Eine Weiterführung ihrer politischen Agitation innerhalb des Geltungsbe- reiches des Sozialistengesetzes hätte nicht nur bedeutet, sich der Gefahr einer weiteren Aus- weisung auszusetzen, Guillaume-Schack hätte auch riskiert, den Kontakt zu ihrer Familie in Beuthen a. d. Oder (Niederschlesien) zu erschweren. Ihre „Flucht“ endete deshalb im Herbst desselben Jahres in London.161 Hier schloss sie sich den Anarchisten an. Durch diese Positio- nierung und durch persönliche Reibereien kam es schließlich zu einem Zerwürfnis mit führenden Persönlichkeiten der Sozialdemokratie.162 Eine erneute Tätigkeit innerhalb der deutschen Frauen- bewegung ergab sich aber für Guillaume-Schack, die vornehmlich den Kontakt zu Emma Ihrer pflegte, auch nach dem Fall des Sozialistengesetzes nicht mehr und bis zu ihrem Tod 1903 nahm ihr Interesse an der politischen Lage in Deutschland merklich ab.163 Mit ihrer publizistischen und organisatorischen Tätigkeit in Form der „Staatsbürgerin“ hinterließ sie jedoch ein bedeutendes Erbe, das angetreten werden musste und auch angetreten werden sollte. 161 Selbst in London nahm Guillaume-Schack hilfreichen Einfluss auf die Arbeiterinnenorganisationen, indem sie zusammen mit Marie Hofmann die vor Gericht stehenden Führerinnen der Berliner Arbeiterinnenvereine finan- ziell unterstützte, die ja bereits vor der „Staatsbürgerin“ erst vorläufig und dann definitiv verboten worden waren. Hier erwies sich laut Gebhardt/Wischermann der auf ihrer familiären Herkunft basierende finanzielle Wohlstand Guillaume-Schacks als ausgesprochen vorteilhaft (vgl. ebd. S. 35). 162 Zum Beispiel mit Friedrich Engels, der schon lange in England lebte und bis dahin in engem Kontakt mit Guil- laume-Schack gestanden hatte. Engels war empört darüber, dass Guillaume-Schack auch als Anarchistin ver- suchte, weiterhin eine tragende Rolle in der sozialistischen Bewegung zu spielen und deshalb 1889 als Delegierte auf dem Internationalen Arbeiterkongress in Paris erschien. Seine Geringschätzung ihrer Person drückte er 1891 in einem Brief an Bebel sehr anschaulich aus, wenn er schrieb, dass die deutsche Frauenbewegung – wie sie sich nun vornehmlich um Ihrer sammelte – „stark angeschackt“ (Friedrich Engels in einem Brief an August Bebel, 29.09./01.10.1891. Zit. nach: Ebd., S. 37) sei. 163 Vgl. ebd., S. 36f. 75 1.4 Die erste sozialdemokratische Frauenzeitschrift: „Die Arbeiterin“ (1890-1891) Zwei Gründe rechtfertigen es, die Zeitschrift „Die Arbeiterin“ (1890-1891)164 als erste sozialdemokratische Frauenzeitschrift Deutschlands zu bezeichnen: Erstens: Ihr Kontakt zur erstarkenden Sozialdemokratie basierte von Beginn an nicht wie bei der „Staatsbürgerin“ auf persönlichen Beziehungen, sondern auf theoretisch fundierten Prin- zipien. Dies fand – so schlicht ihr Titel wirken mag – deutlichen Ausdruck in ihrem Untertitel „Zeitschrift für die Interessen der Frauen und Mädchen des arbeitenden Volkes. Organ aller auf dem Boden der modernen Arbeiterbewegung stehenden Vereinigungen der Arbeiterinnen.“ Ein entscheidender Unterschied zur „Staatsbürgerin“ bestand darin, dass die „Arbeiterin“ sich demonstrativ als Organ derjenigen Arbeiterinnenvereine verstand, die sich der SPD verbunden und als Teil einer politischen Bewegung sahen. Ganz in der Tradition der „Staatsbürgerin“ stand sie jedoch insofern, als sie sich mit diesem Selbstverständnis unmissverständlich von bisher bürgerlich dominierten Bildungseinrichtungen für Arbeiterinnen distanzierte, die eher einen allgemein emanzipatorischen oder feministischen Ansatz verfolgten und dabei jegliche Kritik am Klassensystem aussparten.165 Zweitens: Mit der Gründung der „Arbeiterin“ bahnte sich nicht nur eine ideelle Verbindung mit der SPD an, sondern auch eine institutionelle. Trotzdem sollte die „Arbeiterin“ stets nur partei- nahes und nicht parteieigenes Organ sein. Auf dem Internationalen Arbeiterkongress in Paris 1889 wurden sieben Frauen mit der Gründung der ersten deutschen „Agitationskommission“166 beauftragt – eine davon war Emma 164 Für die folgenden Darstellungen wurde im Bestand der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel Einsicht in die Ausgaben des ersten und einzigen Jahrgangs der „Arbeiterin“ genommen. Die Kopie eines Titelblattes der Arbeiterin ist im Anhang enthalten. 165 Kinnebrock sieht in dieser Anbindung der proletarischen Frauen an die SPD eher ein Negativum, wenn sie schreibt, dass sich „das große Heer der Proletarierinnen […] fortan in den Dienst v. a. der Sozialdemokratie“ (Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 140) gestellt habe. Sie verweist damit auf das noch aufzuzeigende ungleiche Machtverhältnis, leugnet m. E. aber die logische Konsequenz aus der übergeordneten Zielsetzung der proletarischen Frauenbewegung – die Erringung des Sozialismus –, die unzweifelhaft in dieser Anbindung ihren Ausdruck fand. 166 Seit dem Internationalen Arbeiterkongress in Paris 1889 hatten in Deutschland so genannte „Frauenagitations- kommissionen“ die Aufgabe, die Kontakte zur SPD zu halten, Bildungs–materialien zu verteilen, Aufrufe zu verfassen und öffentliche Versammlungen einzuberufen. Die Bewältigung dieser Aufgaben sollte durch die „Arbeiterin“ eine große organisatorische Hilfestellung erfahren. Eine Agitationskommission war eine recht lockere und damit nicht per Gesetz aufzulösende Organisationsform, die aber dennoch recht durchsetzungs- fähig war (vgl. Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 21f.). Für einen Überblick über die Organisations- strukturen der proletarischen Frauenbewegung siehe: Thönnessen, Frauenemanzipation – Politik und Literatur der deutschen Sozialdemokratie zur Frauenbewegung 1863-1933; Niggemann, Emanzipation zwischen Sozia- lismus und Feminismus; Evans, Sozialdemokratie und Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich und Riche- bächer, Uns fehlt nur eine Kleinigkeit. 77 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 Ihrer. Seit der Veranstaltung in Paris gab es kaum mehr einen Gewerkschaftskongress oder einen politischen Parteitag, auf dem Frauen nicht zumindest anwesend waren. Dies spricht dafür, dass die proletarische Frauenbewegung in ihrer Bedeutung für die SPD zunehmend Beachtung fand und beiden an einer engeren Verknüpfung gelegen war. Auch auf dem Parteitag 1890 in Halle war die proletarische Frauenbewegung durch die weiblichen Mitglieder von vier der gegründeten „Agitationskommissionen“ vertreten – darunter Emma Ihrer. Ähnlich wie Louise Otto-Peters ver- körpert auch Emma Ihrer durch ihre herausragende Rolle in der Berliner Arbeiterinnenorganisa- tion und in der Gewerkschaftsbewegung eine besondere personelle Kontinuität. Sie selbst war es schließlich auch, die auf dem Parteitag in Halle zur Initiatorin einer neuen Frauenzeitschrift werden sollte.167 Ihrer beschrieb in ihrem Redebeitrag die bisherigen Entwicklungen wie folgt: „Die Vorbereitungen zur Herausgabe einer Frauenzeitung sind nahezu abge- schlossen; es bedarf nur noch der Zustimmung meiner Genossinnen. Beilagen in der Form von Unterhaltungsblättern haben gar kein Resultat erzielt, sie dienen nur zur Unterhaltung der Frauen, wie viele andere Klatschblättchen auch. Uns thut eine wirkliche Frauenzeitung noth, und nach den mir gewordenen Mittheilungen bin ich sicher, daß die Frauen diese Zeitung auf der Höhe der Zeit erhalten werden (Bravo), vorausgesetzt, daß die Genossen uns in der Weise unterstützen, daß sie ihre eigenen Frauen dafür anregen. (Heiterkeit und Beifall.) Wenn der Mann seiner Frau sagt, wir halten ja schon eine Zeitung, dann ist alle unsere Mühe vergebens. Auf dem Pariser Congreß sind alle Genossen verpflichtet worden, die Frauenbewegung in jeder Weise, also geistig und materiell, zu unterstützen. Was ist bisher geschehen? Von Seiten der Männer, mit wenigen Ausnahmen, so gut wie nichts. Wir Frauen haben noch keine Fonds, und man hat uns gesagt: Ihr könnt nicht zum Parteitag entsandt werden, weil Ihr keine materiellen Mittel habt. Ja, da hättet Ihr Männer die Pflicht, für uns einzutreten. Wir wollen keine Extrabewe- gung für die Frau, keinen Sport; wir wollen nur die allgemeine Arbeiterbewegung unterstützen, rechnen dann aber auch auf Eure Unterstützung. Also behandeln Sie uns nicht so kühl abweisend, und unterstützen sie uns materiell. Wir haben ein Recht darauf, von Ihnen als vollberechtigte Genossinnen behandelt zu werden. Unterstützen sie uns materiell und geistig, das wird seine Früchte tragen. Es han- delt sich hier nicht um Spielereien, sondern um den vollen Ernst der Zeit! (Lebhaftes Bravo und Händeklatschen.)“168 [Hervorhebungen von M.S.] Ihrers Ausführungen sind sehr bemerkenswert und beschreiben die grundlegenden Probleme und den mangelnden Rückhalt in der Partei. Die enttäuschenden Erfahrungen mit unterhaltenden Beilagen waren demnach ausschlaggebend für die Pläne, eine „wirkliche Frauenzeitung“ ins Leben zu rufen. Ausdrücklich sei hier darauf hingewiesen, dass während des Parteitages keinerlei Antrag auf Gründung einer Frauenzeitschrift gestellt wurde. Das, was Ihrer in Halle präsentierte, war bereits ein Zwischenstand der vermutlich am Rande des Pariser Kongresses gefassten Be- 167 Auf diesem Parteitag in Halle 1890 wurde tatsächlich erstmals die Funktion der Presse als wichtigstes Instrument für die politische Agitation der SPD erfasst und diskutiert (vgl. Ressmann, Strukturprobleme sozialdemokratischer Medienunternehmen, S. 61). 168 Protokoll des SPD-Parteitages Halle a. S. 1890, S. 48f. 78 1.4 DIE ERSTE SOZIALDEMOKRATISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE ARBEITERIN“ (1890-1891) schlüsse169, ein Zwischenstand, der aber hinsichtlich der Unterstützung durch die Parteigenossen negativ ausfiel.170 Ihrer – die dieser Enttäuschung auch dadurch Nachdruck verlieh, dass sie die anwesenden Männer an einer Stelle ihres Redebeitrages direkt anspricht – forderte die volle ver- sprochene Unterstützung der männlichen Genossen ein. Eine proletarische Frauenzeitschrift und die Entwicklung einer proletarischen Frauenbewegung war kein „Sport“, keine „Spielerei“ und wollte ernst genommen werden. Tatsächlich war die „Arbeiterin“, indem sie vor allem die Tätig- keit der so genannten „Frauenagitationskommissionen“ unterstützen sollte, Teil eines groß ange- legten Planes. Die darin enthaltenen vornehmlich kommunikativen Aufgaben machten ein eigenes Presseorgan schlichtweg notwendig. Inhaltliche Zielsetzung dieser allgemeinen Agitation war es vor allem, die erwerbstätigen Frauen verstärkt zum gewerkschaftlichen Zusammenschluss zu motivieren. Dabei vertrat die „Arbeiterin“ im Gegensatz zur „Staatsbürgerin“ nicht die Interessen einzelner Organisationen, sondern sprach ein wesentlich breiteres Publikum an. Trotz dieses Unterschiedes sah sich die „Arbeiterin“ jedoch als direkte Nachfolgerin der „Staatsbürgerin“ und auch deren Zielen verpflichtet. So schrieb Ihrer in der gratis verteilten „Probenummer“ der „Ar- beiterin“, die am 20. Dezember 1890 in einer Auflagenhöhe von stattlichen 12.000 Exemplaren erschien: „Wir haben lange gewartet bevor wir auf den von allen Seiten laut gewordenen Wunsch, eine speziell für die Frauen bestimmte Zeitung herauszugeben, eingingen. Es ist aber nicht das erstemal, daß ein solches Unternehmen versucht wird und guten Erfolg hat. Bereits in der ersten Hälfte der 80er Jahre gab Frau Guillaume- Schack ‘Die Staatsbürgerin’ heraus (Organ für die Frauen und Mädchen des arbeitenden Volkes), und seit dieses nach kaum einjährigem Erscheinen ebenfalls dem Socialistengesetz zum Opfer fiel, verband uns nur der gleiche Gedanke, das gleiche Streben mit einander, das Streben nach der völligen Selbständigkeit, auch der Frauen.“171 169 Aus dem Protokoll des Internationalen Arbeiterkongresses gehen keine Informationen hinsichtlich der „Arbei- terin“ hervor. 170 Aus der dem Protokoll des Parteitages in Halle angefügten Präsenzliste geht hervor, dass Ihrer offiziell als Ver- treterin des Wahlkreises Berlin delegiert war. Zusätzlich wird in dieser Liste ihr Wohnsitz bereits mit Velten ange- geben und es erscheint die Bezeichnung „Arbeiterin“ (vgl. ebd., S. 308). Diese bezog sich allerdings nicht etwa auf ihren Berufsstand, sondern belegt vielmehr, dass sie bereits als Redakteurin der neuen Frauenzeitschrift fun- gierte. Die Präsenzliste muss demnach wesentlich später erstellt worden sein, denn sonst wäre es sehr verwunder- lich, dass während des gesamten Parteitages kein einziges Mal der Name der neuen Frauenzeitschrift erwähnt wurde. Der Auffassung, dass Ihrer mehr oder weniger „auf eigene Faust“ die Gründung einer Frauenzeitschrift umsetzte – die auch die Dietz-Biographin Angela Graf vertritt (vgl. Graf, J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie, S. 204), widerspricht allerdings die von Ihrer selbst getroffene Aussage: „Hier [auf dem Partei- tag in Halle; M.S.] wurde dann auf allseitigen Wunsch die Gründung einer Zeitung für Frauen beschlossen, welche dem erwachenden Verständniß der Frauen angepaßt sein sollte.“ (Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 22). Auch im Großteil der entsprechenden Sekundär–literatur wird von einem Beschluss des Parteitages ausge- gangen, obwohl, wie bereits erwähnt, weder ein Antrag noch ein Beschluss in den entsprechenden Protokollen zu finden ist. 171 Aufruf! In: Arbeiterin, 01/ 01/ 20.12.1890. Genau wie die „Staatsbürgerin“ besitzt die „Arbeiterin“ keine durch- gängige Seitennummerierung, was die Recherchen in ihr erschwert und bedingt, dass in den folgenden Zitat - 79 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 Ihrer bestritt also nicht die anfängliche Skepsis, die dieses Unternehmen durchaus begleitete, wenn diese auch der zwingenden Notwendigkeit und dem Vertrauen auf eine starke Gemeinschaft wich. Letzteres fand seinen Ausdruck in dem im Titelkopf der „Arbeiterin“ erscheinenden Motto „Ein- tracht macht stark – Bildung macht frei!“. In ihm sind die zwei wichtigsten Anliegen der „Arbeiterin“ enthalten: Die Förderung einer intensiven proletarischen Solidarität – sowohl der Proletarierinnen untereinander wie auch gegenüber der internationalen Arbeiterbewegung – und die Vermittlung eines umfassenden Wissens um die gesellschaftspolitischen Bedingungen weib- licher und proletarischer Unfreiheit. Bildung kann jedoch nur dann zu wahrer Freiheit verhelfen, wenn ihr der Schritt des konsequenten Handelns folgt oder, wie es die „Arbeiterin“ für ihre Aufgabenstellung formulierte, der „Kampf[…] für die Gleichberechtigung des weib- lichen Geschlechts auf wirthschaftlichem und politischem Gebiete“172. Politische Tageszeitungen, so Ihrer über den Auftrag der „Arbeiterin“, gäben den Informationen über „den Stand der Arbeiterinnen-Bewegung und die Organisation derselben“173 nicht genügend Raum. Auch wollte die „Arbeiterin“ auf die fehlende „Vorbildung“ vieler Frauen stärker Rück- sicht nehmen, indem sie ihnen in „verständlichster und schlichtester Weise“ die „für das ganze Volk wichtigen Tagesfragen erläutert“174. Ihrer betonte nochmals den projekthaften Charakter der „Arbeiterin“, wenn sie wie folgt zur Mitarbeit aufrief: „Es stehen uns keine anderen Mittel zur Verfügung als unsere Arbeitskraft, zu der jede einzelne Arbeiterin die eigene hinzufügen möge, damit wir nicht Schiffbruch leiden mit unserem Zeitungsunternehmen, sondern bald beweisen können, was der weibliche Theil des Proletariats aus eigener Kraft vermag, wenn es gilt, den ärgsten Feind Aller, den Unverstand zu bekämpfen und mit diesem die moderne Aus- beutung der Frauen auf allen Gebieten.“175 Besonders die Betonung des befreienden Elementes der Bildung und das Fehlen einer konkreten Kapitalismuskritik ist an dieser Stelle auffallend. Ihrer war keine ausgesprochene Agitatorin der sozialistischen Emanzipationstheorie wie sie von Zetkin für die erwerbstätige Proletarierin formu- liert worden war. Dies wird auch daran deutlich, dass sie schrieb: „Wenn wir wollen, daß die Bewegung der Frauen erstarkt, müssen wir darauf bedacht sein, nicht nur die Industriearbeiterin zu gewinnen, sondern auch die belegen an entsprechender Stelle keine Angabe erfolgen kann. 172 Aufruf! In: Arbeiterin, 01/ 01/ 20.12.1890. Diesem Leitartikel wurde ein Gedicht vorangestellt, dessen Verfasserin vermutlich Marie Hofmann war und in poetischer Form den Zweck der „Arbeiterin“ formuliert. Es ist im Anhang enthalten. 173 Ebd. 174 Ebd. 175 Ebd. 80 1.4 DIE ERSTE SOZIALDEMOKRATISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE ARBEITERIN“ (1890-1891) Hausfrau, denn die Letztere ist theilweise ebenso entmündigt wie die Erstere.“176 Ihrer beleuchtete bereits zu diesem Zeitpunkt einen Aspekt, der noch für weitere Diskussionen innerhalb der Führungsriege der proletarischen Frauenbewegung sorgen würde. Wenn ihrer Mei- nung nach „nicht nur die materielle, sondern auch die geistige Hebung der Frauen“177 herbei- geführt werden müsse, so beinhaltete dies jedoch weniger eine Kritik an der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie als an den Bemühungen der bürgerlichen Frauenbewegung, sich selbst und den Frauen ihrer eigenen Klasse adäquate Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen. Entsprechend des Wohnortes der verantwortlichen Redakteurin und Herausgeberin Emma Ihrer hatte die Redaktion der „Arbeiterin“ ihren Sitz im havelländischen Velten (nordwestlich von Berlin). Expedition und Verlag der „Arbeiterin“ erfolgten dagegen durch den Verlag E. Jensen & CO. mit Sitz in der Rosenstraße 35 in Hamburg. Nach dem Tod des Verlegers im April 1891 über- nahm auch dessen Zuständigkeiten die Druckerei von Fr[iedrich] Meyer.178 Die Wahl Hamburgs als Verlags- und Expeditionsstandort lag einerseits in den sehr guten Vertriebsmöglichkeiten und andererseits in der liberalen Vereins- und Pressegesetzgebung des norddeutschen Stadtstaates be- gründet. Die „Arbeiterin“ erschien wöchentlich. Erscheinungstag war der Samstag, welcher ver- mutlich ganz bewusst in Rücksichtnahme auf die Lebens- und Arbeitsgewohnheiten ihrer prole- tarischen Leserinnen gewählt wurde. Eine Einzelnummer der „Arbeiterin“ umfasste vier Seiten und erschien im Quartformat. Sie kos- tete zehn Pfennig, im Vierteljahresabonnement eine Mark bzw. direkt per Kreuzband179 1,40 Mark. Den „KolporteurInnen“, d. h. den AusträgerInnen, und den Vereinen, die die „Arbeiterin“ obliga- torisch einführten, wurde das Abonnement nach dem Verlagswechsel im September 1891 für günstigere 70 Pfennig bzw. 60 Pfennig angeboten.180 Alle EmpfängerInnen der Probenummer wur- den durch die Redaktion aufgerufen, „die erhaltenen Nummern sofort in Umlauf zu setzen!“181. Außerdem sollten alle Fachvereine mit weiblichen Mitgliedern die Anzahl ihrer Mitglieder und 176 Ebd. 177 Ebd. 178 Redaktion und Verlag: An unsere Leser! In: Arbeiterin, 01/ 14/ 04.04.1891. Im September 1891 wurde Hintzpeter Geschäftspartner der Meyerschen Druckerei, die dann spätestens (Nr. 35-37 fehlen im Archivbestand) mit Nr. 38 wieder vom Verlag getrennt geführt wurde (vgl. Arbeiterin, 01/ 38/ 19.09.1891). 179 Das „Kreuzband“ – bestehend aus zwei gekreuzten Papierstreifen – bezeichnet eine im Gegensatz zum verschlos- senen Umschlag offene und damit bequem zu lösende Verpackung für großformatige Drucksachen, deren Porto dann ermäßigt wird. 180 Redaktion und Verlag: An unsere Leser! In: Arbeiterin, 01/ 38/ 19.09.1891. 181 Arbeiterin, 01/ 01/ 20.12.1890. 81 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 die Adresse ihrer Vorstehenden an die Redaktion leiten.182 So versuchte die „Arbeiterin“, mittels einer ersten Vernetzung einen möglichst hohen Grad der eigenen Verbreitung zu erreichen. Ge- nauso wie die „Staatsbürgerin“ betrieb auch die „Arbeiterin“ kein gewerbliches Anzeigengeschäft, mit dem durch Werbung für kommerzielle Unternehmen oder Privatanzeigen von LeserInnen zu- sätzliche Einnahmen hätten erzielt werden können. Wenn Annoncen veröffentlicht wurden, so waren es meist Inserate kooperierender Druckereien, Buchhandlungen und Vereine.183 Die „Arbeiterin“ erschien in einem damals gebräuchlichen dreispaltigen Layout. Besonders auf- fällig im Druckbild war eine Variation der Schrift- und Druckgrößen. Leitartikel und auch der Fortsetzungsroman wurden – dies machte in Bezug auf die Gestaltung einen wesentlichen Unter- schied zur „Staatsbürgerin“ aus – stets in einem größeren Schriftgrad gedruckt als die restlichen Bestandteile einer Nummer. Es waren demnach sowohl die wichtigsten Informationen als auch der in der Gunst der Leserinnen sehr hoch rangierende Unterhaltungsteil, die als Rubriken auf diese Art besonders hervorgehoben wurden. Dem Feuilleton wurde zudem ein fester, leicht zu findender und vom Hauptteil separierter Platz zugewiesen: Er erschien „unter dem Strich“. Bei vielen Zeitschriften war es damals üblich, den Feuilleton stets auf die untere Hälfte der zweiten Seite zu setzen – getrennt durch einen Strich oder ähnliche Markierungen. Bereits diese wenigen Beschreibungen belegen nicht nur das besondere Einfühlungsvermögen der Redaktion in die Lesegewohnheiten proletarischer Leserinnen, sondern auch den geschickten Einsatz von Hervor- hebungen im Druckbild der Zeitschrift. Neben Leitartikel und Feuilleton verliehen mehr oder weniger kontinuierlich geführte Rubriken der „Arbeiterin“ ein strukturelles Grundschema. Diese lassen sich in inhaltliche, organisatorische und redaktionelle unterscheiden: Inhaltlich: – „Wissenschaft“ – „Zur Gesundheitspflege“ – „Literarisches“ – Fortsetzungsromane, -novellen Organisatorisch: – „Vereine und Versammlungen“ – „Aus dem Parlament“ bzw. „Aus dem Reichstage“ – „Dienstbotenfrage“ – „Arbeiterinnen-Bewegung“ 182 Vgl. ebd. 183 Für 20 Pfennig pro Zeile konnten diese ihre Bücher und Schriftenreihen bewerben. Entsprechend der organisa- tionsunterstützenden Zielsetzung der „Arbeiterin“ erhielten Vereine zudem noch Rabatt. 82 1.4 DIE ERSTE SOZIALDEMOKRATISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE ARBEITERIN“ (1890-1891) – „Arbeiterbewegung“ – „Gewerkschaftliches“ Redaktionell: – „Aus aller Welt“ – „Wochenübersicht“ – „Briefkasten der Redaktion“ – „Verschiedenes“ Die inhaltlichen Rubriken hatten mehr allgemeinbildenden und unterhaltenden Charakter. Die organisatorischen gaben Auskunft über Veranstaltungen und ihren Verlauf, über branchenspezi- fische Organisationen und über regionale und überregionale Aktivitäten von SPD und Gewerk- schaften. Im „Briefkasten der Redaktion“ hatten vor allem konspirativ verschlüsselte Nachrichten der Redaktion an einen für die „mitlesenden“ Behörden nicht zu identifizierenden Adressaten ihren Platz.184 Bereits im Briefkasten der Probenummer wendet sich Ihrer hier an „S. in B“ oder „A.W. in B.“ – vielleicht Agnes Wabnitz (1841-1894) in Berlin – um Anfragen zu beantworten bzw. Hinweise auf die Beschaffenheit eingesandter Berichte zu geben.185 Außerdem stellt sie in Aussicht, dass die Erledigung aller Redaktionsarbeiten zügiger erfolgen würde, wenn sie sich ab Neujahr auf mehrere Frauen verteilen würde.186 Wie schon in der „Staatsbürgerin“ wurden auch in der „Arbeiterin“ die Leitartikel meist von der verantwortlichen Redakteurin verfasst. Die von Ihrer verfassten Leitartikel zeichnen sich durch eine große thematische Vielfalt aus und behandelten vornehmlich tagespolitische Themen, ge- schlechtsspezifische Fragestellungen oder Analysen des kapitalistischen Gesellschaftssystems. Indem die „Arbeiterin“ über Streiks, Maifeiern und Parteitage berichtete, agitierte sie gleichzeitig für die aktuellen Kämpfe der Sozialdemokratie. Für die Frauenorganisationen war es von besonderem praktischen Nutzen, dass mittels der „Arbeiterin“ die Proletarierinnen trotz organisa- tionshemmender Vereinsgesetze in den geltenden Arbeiterschutzgesetzen und im Versammlungs- und Vereinigungsrecht geschult werden konnten. Außerdem nahm sich Ihrer der Lösung prole- tarischer Alltagsprobleme an: Lebensmittelteuerung, Hygiene, Hauswirtschaftliches, Kinderarbeit, -erziehung, und -sterblichkeit, Kellnerinnenelend, Prostitution, Sittlichkeit und Volksernährung stehen hier nur als kleine Auswahl von Leitartikelthemen, die sich der Lösung originär 184 Vgl. Arbeiterin, 01/ 04/ 24.01.1891. Auch um Ihrer die Korrespondenzarbeit zu erleichtern, wurden hier kurz und knapp Anfragen beantwortet, die jedoch für Außenstehende völlig unverständlich bleiben mussten (z. B. „A.T., Quedlinburg. Sie erhalten bald Nachricht auf Ihren Wunsch“). Eine solche Transparenz der redaktionellen Arbeit ist in der „Gleichheit“ nicht mehr zu finden. 185 Vgl. Arbeiterin, 01/ 01/ 20.12.1890. 186 Vgl. ebd. 83 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 proletarischer Lebensprobleme widmeten.187 Argumentierte Ihrer auch stets vom Standpunkt der revolutionären Arbeiterbewegung aus, so überwogen in ihren Texten doch praktische und nicht etwa theoretische oder gar dogmatisch-sozialistische Ansätze. Ihrer gab ihren Leserinnen sogar einen regelmäßigen Einblick in die Arbeit der bürgerlichen Frauenbewegung und deren Kampf um gleichberechtigte Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten. Aber gerade diese Offenheit für die Emanzipationsbestrebungen, die von der bürgerlichen Frauenbewegung ausgingen sowie die man- gelnde Bereitschaft, sich von dieser deutlicher abzugrenzen, sollten letztlich Ihrers Ansehen in ra- dikalen Kreisen schmälern.188 Jenseits der gesellschaftspolitischen Themen – so kann man im Überblick zusammenfassend feststellen – befasste sich die „Arbeiterin“ im Interesse ihrer proletarischen Leserinnen auch mit deren kultureller und hauswirtschaftlicher Weiterbildung. Im Unterschied zu den frühen bürgerlich initiierten Arbeiterinnenvereinen, die ebenfalls die Hebung des proletarischen Lebenswandels an- gestrebt hatten, aber die proletarischen Familien lediglich als Objekte einer Erziehung im Sinne bürgerlicher Normen wahrnahmen und so die Entwicklung einer originär proletarischen Kultur vollkommen ignorierten, wollte die „Arbeiterin“ als Sammelbecken proletarischer Kräfte eine solche fördern und umfassend dafür eintreten. Für Arbeiterinnen geschrieben und Sprachrohr ihres sich entwickelnden Klassenbewusstseins wurde die „Arbeiterin“ nach Meinung Joos‘ zum „erste[n] geistige[n] Mittelpunkt der sozialistischen Frauenbestrebungen“189. Die Zeitschrift zu einer solchen Bedeutung zu bringen, vermochte Ihrer jedoch nur durch die Mitarbeit von heraus- ragenden AutorInnen wie Clara Zetkin, Eleanor Marx-Aveling (1855-1898), Minna Kautsky (1837-1912) und Marie Hofmann. Angesichts der beschriebenen Rahmenbedingungen gab es für die „Arbeiterin“ nicht viele Möglichkeiten, kostendeckend zu erscheinen. Immer wieder musste sie in ihren Nummern Wer- bung für sich selbst machen. Der jeder Nummer vorangestellte fett gedruckte Aufruf „Freunde und Freundinnen! Sorgt für die Verbreitung der ‘Arbeiterin’“ belegt zudem die große Bedeutung, die damals einer gezielten „Mundpropaganda“ zukam. Die Arbeiter- und Arbeiterinnenorgani- sationen, deren Interessen sich die „Arbeiterin“ auf die Fahnen geschrieben hatte, spielten somit einerseits eine wichtige Rolle als Multiplikatoren, andererseits waren ihre Mitglieder immer auch 187 Außerdem möchte ich noch auf folgende erwähnenswerte Artikel verweisen: Die Judenfrage. In: Arbeiterin, 01/ 22/ 30.05.1891 und Zetkin, Klara: Die Frau und der Sozialismus von Bebel [I-VI]. In: Arbeiterin, 01/ 13/ 28.03.1891 bis Arbeiterin, 01/ 18/ 02.05.1891. 188 Ein besonderes Beispiel für diese Einstellung ist die folgende, vermutlich von Ottilie Baader verfasste Notiz: „Alle Petitionsbogen für die Zulassung der Frauen zum Studium der Medizin müssen in diesem Monat abgeliefert werden.“ ([Baader, Ottilie?] O. B.[: Ohne Titel.] In: Arbeiterin, 01/ 34/ 22.08.1891). Es bestand hier also noch eine klassen- und taktikübergreifende Solidarität, im Rahmen derer Proletarierinnen sogar Petitionsunterschriften sam- melten. 189 Joos, Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland, S. 14. 84 1.4 DIE ERSTE SOZIALDEMOKRATISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE ARBEITERIN“ (1890-1891) potentielle Abonnentinnen. Bereits in der Probenummer forderte Ihrer deshalb die Redaktionen anderer Arbeiterblätter und die Vorstände der Arbeitervereine auf, die „Arbeiterin“ zu verbreiten, sie den ihnen nahe stehenden Frauenkreisen zur Kenntnis zu bringen und die Bildung von Arbei- terinnenvereinen voranzutreiben. Zudem richtete sie an alle EmpfängerInnen von Probenummern die Aufforderung, die erhaltenen Nummern sofort in Umlauf zu setzen bzw. zur Lektüre weiter- zugeben.190 Wie schon für die Redaktion der „Arbeiterin“ damals, so ist es auch für heutige Histo- rikerInnen kaum möglich, eine exakte Zahl der „Arbeiterin“-LeserInnen festzustellen.191 Wie wichtig es Ihrer trotzdem war, zumindest einen ungefähren Überblick über die Zahl der Lese- rinnen zu erlangen, bezeugt ihre folgende, bereits in der zweiten Nummer der „Arbeiterin“ ver- öffentlichte Bitte: “Auf´s Dringendste ersuchen wir um energische Verbreitung der Probenummer (Mehrbedarf steht gern zu Diensten) und um schleunige Angabe der Abonnenten- zahl, um die Auflage des Blattes feststellen zu können. Es haben von ca. 400 Städten, die mit 12000 Probenummern versorgt wurden, erst 10 sich gemeldet.”192 Allerdings dürfte hinter diesem Aufruf weniger ein statistisches als ein gewerbliches Interesse gestanden haben, denn aus betriebswirtschaftlicher Sicht war es wichtig, die Auflage dem tatsäch- lichen Bedarf anzupassen. Ein solcher Aspekt dürfte Ihrer nicht gleichgültig gewesen sein, stand sie doch persönlich und mit privaten Geldmitteln für dieses Unternehmen ein – wenn auch unter- stützt durch ihren allem Anschein nach vermögenden Ehemann, den Apotheker Emanuel Ihrer, sowie durch eine anonyme Parteigenossin.193 Doch auch wenn ein Misserfolg kaum absehbare Auswirkungen auf das Leben Emma Ihrers gehabt hätte, stand für sie das Eintreten für die Sache der Proletarierinnen und das Moment weiblicher und persönlicher Emanzipation im Vordergrund 190 Arbeiterin, 01/ 01/ 20.12.1890. 191 So aufschlussreich die von Redaktionen oder später vom SPD-Parteivorstand gemachten Angaben zum Abonne- mentstand verschiedener Zeitschriften sind, so wenig identisch sind sie doch mit der Zahl derjenigen Personen, die die Zeitschriften tatsächlich erhielten. Noch problematischer wird eine realistische Einschätzung des Verbreitungs- und Wirkungsgrades der „Arbeiterin“, geht man von der Überlegung aus, dass nicht jede Person, die sie erhalten hat, sie auch intensiv gelesen haben wird. So bleibt der Rezeptionsgrad all der hier vorgestellten Zeitschriften sta - tistisch nicht belegbar. 192 Arbeiterin, 01/ 02/ 10.01.1891. 193 Deshalb ist laut Honeycutt Ihrers Redebeitrag in Halle 1890 eine an den Parteitag gerichtete, jedoch erfolglos ge- bliebene Bitte um finanzielle Unterstützung (vgl. Honeycutt, Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany, S. 112). Honeycutt übersieht dabei allerdings, dass Ihrer in ihrem Redebeitrag sehr enthusiastisch über die Zeitschriftengründung berichtete und es nur die rein ideelle Unterstützung der Partei- genossen war, die von ihr bemängelt wurde. Warum die Parteiführung die „Arbeiterin“ nicht von vornherein finanziell unterstützte, bleibt ungeklärt. Ihrers finanzielles Engagement wird von Kinnebrock m. E. zu gering be- messen, wenn diese lediglich schreibt, dass Ihrer die „Arbeiterin“ „bezuschusste“ (Kinnebrock, Gerechtigkeit er- höht ein Volk?!, S. 141.). Ein „Gleichheit“-Artikel erwähnt zudem eine „stets hervorragend opferbereite[…] wohl- habende[…] Parteigenossin“ ([Hanna, Gertrud?] G. H.: Emma Ihrer. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 61), die Ihrer bei der Finanzierung der „Arbeiterin“ unterstützt, sich dabei aber stets bescheiden im Hintergrund gehalten haben soll. 85 „NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891 und überwog das Streben nach finanziellem Gewinn.194 Hinsichtlich dieses Konfliktes zwischen ideellen und monetären Interessen ist folgende Notiz in der Rubrik „Briefkasten“ sehr aufschlussreich. Ihrer bezog sich darin auf eine Anfrage von Frau B. aus H. und antwortete: „Daß der Ueberschuß unseres Zeitungsunternehmens nicht einzelnen Personen, sondern unserer Sache, speziell der Frauenbewegung zu Gute kommen soll, bedurfte wohl kaum noch der Erwähnung. Vorläufig aber arbeitet[sic] Redaktion und Verlag nur mit Ausgaben und nicht mit Einnahmen. Wenn die ersteren gedeckt sind, kann doch erst die Rede davon sein, Rechnung zu legen und an eine Vertheilung des Ueberschusses zu denken, der auch durchaus nicht nur für einen Ort verwerthet werden soll.“195 Kaum ins Leben gerufen, hatte die „Arbeiterin“ demnach schon enorme finanzielle Probleme. Trotz aller nachdrücklichen Aufrufe, fett gedruckten Appelle an säumige AbonnentInnen und der Mahnung, dass „[d]ie nächste Nummer […] ohne Ausnahme nur an Diejenigen [versandt werde], welche ihr Abonnementsgeld bezahlt haben“196, war die „Arbeiterin“ schon vor Ende ihres ersten Jahres finanziell nicht mehr tragbar. Dieses Ende gestaltete sich im Vergleich zu dem der „Staats- bürgerin“ jedoch recht unspektakulär: Die „Arbeiterin“ wurde nicht verboten, sondern musste aus finanziellen Gründen ihr Erscheinen einstellen.197 So waren trotz ihrer kurzen Lebensdauer die bisher skizzierten Frauenzeitschriften – die „Frauen- Zeitung“, die „Staatsbürgerin“ und die „Arbeiterin“ –, vor allem aber auch die von ihren Redak- teurinnen gesetzten ersten Impulse für Struktur und Selbstverständnis einer politischen Frauen- zeitschrift – alles andere als ein Fundament aus Sand – es war ein Felsen, auf dem noch viel Außergewöhnlicheres errichtet werden sollte. 194 Auch andere engagierte Frauen gingen damals für ihre politische Überzeugung erhebliche finanzielle Risiken ein. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass z. B. auch das Hauptorgan der radikalen bürgerlichen Frauen, „Die Frauenbewegung“, ab 1904 in einem Kommissionsverlag erschien und die Herausgeberin Minna Cauer (1841-1922) damit die volle finanzielle Verantwortung trug. 195 Arbeiterin, 01/ 03/ 17.01.1891. 196 Die Expedition: Zur Beachtung! In: Arbeiterin, 01/ 38/ 19.09.1891. 197 Diese Entwicklung muss bereits einige Monate vor Erscheinen der letzten Nummer am 19. Dezember 1891 abseh- bar gewesen sein, denn laut einiger Studien soll es bereits auf dem SPD-Parteitag in Erfurt im Oktober 1891 Ver - handlungen um ihre Nachfolgerin gegeben haben. Jedoch sind im Protokoll dieses Parteitages ebenso wie damals in Halle zur Gründung der „Arbeiterin“ keinerlei Angaben zu finden. Wahrscheinlich wurden die Verhandlungen zwischen Dietz und dem SPD-Vorstand in einem inoffiziellen Rahmen geführt. 86 2 Die erste sozialistische Frauenzeitschrift Deutschlands: „Die Gleichheit“ (1891-1923) 2.1 Zwischen Kontinuität und Neubeginn – Gründung und Zielsetzung der „Gleichheit“ Der „Gleichheit“ sollte im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen ein sehr langes „Leben“ beschieden sein, in welchem sie zahlreiche Wandlungen vollzog. Diese Umstände gestalten den direkten Vergleich mit ihren Vorgängerinnen schwieriger als bisher. Gründung, Selbstver- ständnis, Redaktion, MitarbeiterInnen, Struktur und Inhalte, Finanzen und Rezeption der „Gleichheit“ werden deshalb in eigenständigen Kapiteln skizziert. Dort wird zu gegebenem Zeitpunkt eingehender auf die Bedeutung des Ersten Weltkrieges, die Entlassung Zetkins aus der Redaktion der „Gleichheit“ und die Einführungen der Beilagen einzugehen sein, da diese Ereignisse besondere Auswirkungen auf den Charakter und das Selbstverständnis der „Gleich- heit“ und damit auch auf die in ihr enthaltenen Frauenleitbilder hatten. Die Gründung einer politischen Frauenzeitschrift – dies sollte aus dem bisher Dargestellten ersichtlich geworden sein – bedurfte auch im 19. Jahrhundert bestimmter gesellschaftlicher und historischer Voraussetzungen. In der Regel handelte es sich um ein von einer einzelnen Organi- sation finanziell getragenes Unternehmen und eine von einzelnen Personen bewusst getroffene Entscheidung. Diese Hintergründe werden in den meisten geschichtswissenschaftlichen Studien kaum dargestellt. Im Falle der „Arbeiterin“ war es vor allem der Wechsel der verantwortlichen Personen, der sich überraschend schnell und umfassend vollzog. Die „Arbeiterin“ selbst veröffentlichte in ihrer letzten Nummer dazu nur eine schlichte und kurze Notiz. In dieser gab Ihrer bekannt, dass die „Arbeiterin“ mit Quartalsschluss in den Verlag von Johann Heinrich Wilhelm Dietz1 übergehen und die Redaktion des Blattes von Clara Zetkin übernommen werde.2 Nichts deutete zu diesem Zeitpunkt aber auf eine Neugründung hin. Einige Tage später, am 20. Dezember 1891, kün- digte das ebenfalls im Dietz-Verlag erscheinende Humorblatt „Der wahre Jacob“ (1879-1933) für den Jahresbeginn 1892 schließlich nicht nur die Übernahme, sondern auch die Titelände- rung der „Arbeiterin“ an.3 1 Dietz habe die „Arbeiterin“ nur „unter der Bedingung einer völligen Umgestaltung“ (Handbuch des Vereins der Arbeiterpresse, 3.1914, S. 125) übernommen. 2 Vgl. Arbeiterin, 01/ 51/ 19.12.1891. 3 Vgl. Graf, J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie, S. 206. Der „Wahre Jacob“ war die erfolgreichste Publikation des Dietz-Verlages und spielte für die „Querfinanzierung“ der „Gleichheit“ eine ent- scheidende Rolle (vgl. ebd., S. 212 und Ressmann, Strukturprobleme sozialdemokratischer Medienunter- nehmen, S. 64 und S. 76f.). Siehe auch: Tabelle 6 „Zuschüsse an zentrale Parteiorgane im Jahre 1921“. Zur 87 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Die Entscheidung, die „Arbeiterin“ durch die „Gleichheit“ und Ihrer durch Zetkin zu ersetzen, dürfte auf dem Erfurter Parteitag gefasst worden sein. Anscheinend geschah dies jedoch ähnlich wie bei der „Arbeiterin“ eher abseits der offiziellen Verhandlungen, denn das entsprechende Pro- tokoll weist keine Verhandlung dieser Frage auf.4 Noch größere Rätsel geben die Umstände auf, unter denen die Wahl für die Stelle der Redakteurin ausgerechnet auf Zetkin fiel. Denn was kann Dietz5 dazu bewogen haben, Zetkin der viel erfahreneren Ihrer vorzuziehen? Die plausibelste Erklärung ist die, dass Ihrer für die Zusammenarbeit mit dem in Stuttgart ansässigen Verlag ihren Wohnsitz in Velten hätte aufgeben müssen. Da sie dies jedoch ablehnte6, war Dietz genötigt, um- zudisponieren.7 In der Art, wie sich die Absage Ihrers gestaltete, erschien es demnach geradezu ideal, dass Zetkin mit ihren zwei Söhnen bereits in Stuttgart ansässig war. Zetkin, durch ihre bis- herigen Tätigkeiten als Lehrerin, Schriftstellerin und Sozialistin für die Arbeit einer Zeitschriften- redakteurin scheinbar ausreichend qualifiziert8, war zudem bereits seit 1890 für den Dietz-Verlag tätig. Sie hatte vor allem die sehr erfolgreiche Übersetzung von Edward Bellamys Zukunftsroman „Looking Backward“ („Ein Rückblick aus dem Jahr 2000“) verfasst.9 Wenn Zetkin daher für Dietz zwar nicht die erste Wahl war, so war sie doch eine „logical choice“10. Auch die Tatsache, Geschichte des „Wahren Jacob“ siehe: Hickethier, Karikatur, Allegorie und Bilderfolge, S. 114ff. 4 Weder die „Arbeiterin“ noch die „Gleichheit“ werden im Parteitagsprotokoll erwähnt. Die Delegiertenliste belegt zwar die Anwesenheit Ihrers als Vertreterin des Wahlkreises Berlin II (Protokoll des SPD-Parteitages Erfurt 1891, S. 363), jedoch ist weder sie noch Zetkin im Sprech-Register genannt. Auch ein Jahr später wurde Zetkin im Protokoll des Parteitags in Berlin immer noch nicht als „Gleichheit“-Redakteurin geführt, sondern lediglich als Vertreterin der organisierten Frauen Württembergs (vgl. Protokoll des SPD-Parteitages Berlin 1892, S. 275). Dieses war demnach ihre offizielle Parteifunktion, durch die sie zum Parteitag delegiert wurde – nicht jedoch ihre Position als Redakteurin der „Gleichheit“. 5 Andere Darstellungen behaupten, dass Dietz zwar ohne Zweifel bei der Besetzung der Redaktion eine große Rolle gespielt habe, es aber Bebel gewesen sei, der Zetkin den Posten als verantwortliche Redakteurin angetragen habe (vgl. Graf, J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie, S. 206 und S. 211; Staude, Die Rolle der „Gleichheit“ im Kampf Clara Zetkins für die Emanzipation der Frau, S. 427). Zusammenfassend ist daher anzu- nehmen, dass zumindest Bebel als Vertreter des Parteivorstandes und Dietz als zukünftiger Verleger in gemein- samer Absprache auf Zetkin zugegangen sind. 6 Vgl. Graf, J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie, S. 206 und [Hanna, Gertrud?] G. H.: Emma Ihrer. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 61. 7 Manche Darstellungen widersprechen dem jedoch und vermitteln den Eindruck, Dietz habe sich schon von Beginn an von Ihrer nicht mehr den nötigen Erfolg für das neue Projekt versprochen und deshalb Zetkins Anstellung sogar zur Bedingung seiner eigenen Mitwirkung gemacht (vgl. Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 2. Zu Dietz als „Entdecker“ und Förderer Zetkins vgl. auch Götze, Clara Zetkin, S. 20f.; Hohendorf, Clara Zetkin, S. 45; Bauer, Clara Zetkin, S. 10). 8 Es wäre äußerst einseitig Zetkins „Ein- und Aufstieg“ in der proletarischen Frauenbewegung lediglich ihren per- sönlichen Kontakten zuzuschreiben. Einseitig ist es auch, Zetkin einen Vorwurf daraus zu machen, dass die Bedin- gungen, unter denen es ihr gelang, ihre Existenz zu sichern und gleichzeitig ihren Interessen nachzugehen, durch- aus günstig waren und sie in ihrer politischen Tätigkeit Erleichterung dadurch erfuhr, dass sie sich eine Haushalts- hilfe leisten konnte (vgl. Nickusch/Schröter, Das programmierte Scheitern proletarischer Frauenemanzipation, S. 669ff.). 9 Bebel hatte damals die finanziell eher schlecht gestellte Zetkin an Dietz „vermittelt“ (Graf, J. H. W. Dietz 1843- 1922 – Verleger der Sozialdemokratie, S. 211). 10 Honeycutt, Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany, S. 120. 88 2.1 ZWISCHEN KONTINUITÄT UND NEUBEGINN – GRÜNDUNG UND ZIELSETZUNG DER „GLEICHHEIT“ dass sie sich schon unter den Sozialistinnen einen Namen gemacht hatte11, unterstützte diese von Dietz nach rationalen Erwägungen getroffene Entscheidung. Das von Dietz in die Fähigkeiten und die Person Zetkins gesetzte und sicher auch begründete Ver- trauen war jedoch kein Grund, auf Ihrers „guten Namen“ zu verzichten. Fünf Jahre lang nannte die „Gleichheit“ in ihrem Titelkopf Emma Ihrer als ihre Herausgeberin und ein weiteres Jahr als ihre Begründerin.12 Ihre Nennung war einerseits ein Tribut an ihre langjährige Tätigkeit und an- dererseits eine sehr geschickte Werbestrategie, denn keine andere Person stand so wie Ihrer für die Tradition proletarischer Frauenpresse.13 Sicherlich hatten Arbeiterinnen, die sich bereits mit sozia- listischen Theorien und vor allem mit der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie auseinandergesetzt hatten, dies auch anhand der Arbeiten Zetkins getan, unter den einfacheren, weniger aufgeklärten oder auch unter den älteren Arbeiterinnen, die noch sehr an den Gewerk- schaften orientiert waren, genoss jedoch Ihrer seit langem großes Ansehen.14 Das Team „Ihrer- Zetkin“ stand demnach nicht nur für eine Publikationstradition, sondern löste auch das Genera- tionenproblem innerhalb der heterogenen Leserschaft der „Gleichheit“. In ihrer Probenummer formulierten Redaktion und Verlag der „Gleichheit“ für sich selbst fol- gende Zielsetzung: „‘D ie G le i chhe i t ’ tritt für die volle gesellschaftliche Befreiung der Frau ein, wie sie einzig und allein in einer im Sinne des Sozialismus umgestalteten Ge- sellschaft möglich ist, wo mit der ökonomischen Abhängigkeit eines Menschen von einem anderen Menschen die Grundursache jeder sozialen Knechtung und Aechtung fällt.“15 Gemäß des marxistischen Primats der Ökonomie würden die Frauen also nur in einer von allen kapitalistischen Mechanismen gelösten sozialistischen Gesellschaft völlig frei sein können. Diese 11 „Not only was Zetkin’s name well-known among socialist women, but Dietz felt on the basis of his acquaintance with Zetkin that she could be relied upon to do a good job.“ (Honeycutt, Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany, S. 121). 12 Bis GL, 05/ 02/ 23.01.1895/ 9 findet sich direkt unter dem Untertitel die Zeile „Herausgegeben von Emma Ihrer in Velten (Mark).“ bzw. dann bis GL, 06/ 26/ 23.12.1896/ 201 „Herausgegeben von Emma Ihrer in Pankow bei Berlin.“. Mit GL, 07/ 01/ 06.01.1897/ 1 wurde der Wortlaut in „Begründet von Emma Ihrer in Pankow bei Berlin” geändert. Ein Jahr später mit GL, 08/ 01/ 05.01.1898/ 1 entfällt jeglicher Zusatz. Es wäre zu untersuchen, ob es einen konkreten entzweienden Anlass für diese Entscheidung gegeben hatte. Ihrer dürfte jedenfalls aufgrund der örtlichen Distanz eher als Autorin denn als Herausgeberin gewirkt haben. Ihr sind Artikel schwer zuzuordnen. Manche zeichnete sie nur mit „i-„. Zu ihren letzten und ohnehin selten gewordenen Artikeln für die „Gleichheit“ gehören: Ihrer, Emma: Das Vereinsrecht der Staatsbürgerinnen in Preußen. In: GL, 14/ 11/ 18.05.1904/ 85-87 und ein Bericht über den 7. skandinavischen Arbeiterkongress in Christiania (GL, 17/ 19/ 16.09.1907/ 167). 13 Oder wie Honeycutt schreibt: „This was done to emphasize a continuity between the Arbeiterin and Gleichheit, and probably also because Emma Ihrer’s name was better known among German working women in the early 1890’s than was Clara Zetkin’s.“ (Honeycutt, Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany, S. 122). 14 Interessanterweise ist dieses Generationenproblem nicht an einem Altersunterschied der beiden Protagonistinnen festzumachen, denn beide waren Jahrgang 1857. 15 Die Redaktion und der Verlag: An die Leser! In: GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891/ 1. 89 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Gesellschaft der Zukunft war aber innerhalb des Deutschen Reiches der Gegenwart nur durch den Klassenkampf erreichbar und zu diesem wollte die „Gleichheit“ die Massen mobilisieren, indem sie als „Ruferin […] im Streit“16 wirkte. Zetkin gab dieser Zielsetzung regelmäßig Ausdruck in ihrer „Einladung zum Abonnement“17, die zu einem obligatorischen Bestandteil eines „Gleich- heit“-Jahrgangs wurde. Die „Gleichheit“ sei eine Interessenvertreterin der Proletarierinnen und mache keinen „Unterschied, ob dieselben dem Proletariat der Kopfarbeit oder dem der Handarbeit angehören“18. Diese so genannten „Kopfproletarierinnen“ seien durch ihre gehobeneren Lebens- verhältnisse geblendete Frauen und täten sich deshalb mit der Bewusstwerdung ihrer tatsächlichen Klassenlage schwerer als die im Elend lebenden „Handproletarierinnen“. Zetkin war sich jedoch sicher, dass auch diese meist bürgerlichen Frauen sich bald nicht mehr der „Erkenntniß der Noth- wendigkeit“19 verschließen und Mitglieder der sozialdemokratischen Bewegung werden würden. Eine spezielle, diesen Prozess vielleicht beschleunigende Agitation unter diesen bürgerlichen Frauen lehnte sie jedoch stets ab, da sie dies als eine Zersplitterung und Vergeudung von Kräften ansah. Nicht den bürgerlichen Frauen die Angst vor der Schädlichkeit des Sozialismus zu nehmen sei Aufgabe der proletarischen Frauenbewegung, so Zetkin 1894 in ihrem programmatischen Arti- kel „Reinliche Scheidung“, sondern „die Masse der proletarischen Frauenwelt zum Bewußtsein ihrer Klassenlage und Klassenleiden zu bringen“20. Es ist vor allem die Auseinandersetzung mit den Zielen der bürgerlichen Frauenbewegung und anderer Reformbewegungen, die für Zetkin in der Probenummer der „Gleichheit“ zum Ausgangs- punkt einer eigenen Ortsbestimmung wird: „Sie [die „Gleichheit“; M.S.] geht von der Uerberzeugung aus, daß der letzte Grund der Jahrtausende alten niedrigen gesellschaftlichen Stellung des weiblichen Geschlechts nicht in der jeweiligen ‘von Männern gemachten’ Gesetzge- bung, sondern in den durch wirthschaft l iche Zustände bedingten Eigen- thumsverhäl tnissen zu suchen ist.“21 Zetkin sah in der gesetzlichen Gleichberechtigung der Frau nur einen Teilerfolg für die Befreiung der Frau. Ein Teilerfolg, der, wie z. B. das Frauenwahlrecht, vor allem der Minderheit der gebil- deten und besitzenden Frauen zugute käme. Die große Masse der Frauen würde jedoch weiterhin 16 Die Redaktion und der Verlag: Einladung zum Abonnement. In: GL, 02/ 26/ 28.12.1892/ 209. 17 Die „Einladung zum Abonnement“ erschien in der ersten und letzten Nummer eines Jahrgangs. Dies geschah sehr regelmäßig von der letzten Nummer des 2. Jahrgangs bis einschließlich derjenigen des 23. Jahrgang (1912/13), später aber nur sehr unregelmäßig (vgl. Einladung zum Abonnement. In: GL, 25/ 26/ 17.09.1915/ 173). 18 Die Redaktion und der Verlag: An die Leser! In: GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891/ 1. 19 Ebd. 20 Reinliche Scheidung. In: GL, 04/ 08/ 18.04.1894/ 63. 21 Die Redaktion und der Verlag: An die Leser! In: GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891/ 1. 90 2.1 ZWISCHEN KONTINUITÄT UND NEUBEGINN – GRÜNDUNG UND ZIELSETZUNG DER „GLEICHHEIT“ in „wirthschaftlicher Abhängigkeit von ihren Ausbeutern“22 verbleiben müssen. So erblicke die „Gleichheit“ im Gegensatz zur bürgerlichen Frauenbewegung „den Feind der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts weder in dem Egoismus, noch in den Vorurtheilen der Männerwelt, sie predig[e] nicht den Krieg von Geschlecht zu Geschlecht, sie glaub[e] nicht an die Messiasrolle einer zu Gunsten der Frauen veränderten Gesetzgebung“23. Zetkin wollte damit jedoch nicht sagen, dass auf diesen Teilerfolg verzichtet werden könne. Auch die „Gleichheit“ fordere die gesetzliche Gleichstellung der Frau mit dem Mann, aber sie solle nicht „letztes Endziel“24, sondern Mittel zum Zweck sein – ein Mittel im Kampf gegen den Kapi- talismus, den die Arbeiterin gemeinsam mit dem Arbeiter führen müsse. Erwerbstätige Arbeiterin war die Proletarierin in den Darstellungen der „Gleichheit“ stets nur aus Zwang. Ein Zwang, von dem sie sich befreien müsse. Die Hausfrauentätigkeit dagegen wird von Zetkin prinzipiell nicht in Frage gestellt – ein von heutigen Feministinnen häufig kritisierter Punkt an der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie25. Neben der Tätigkeit für Haus und Familie sollte die Proletarierin nun „noch andere Pflichten“26 haben. Zetkin konkretisiert diese in ihrem ersten „Gleichheit“-Artikel zwar noch nicht, aber bald wurde deutlich, dass es sich u. a. um die Pflicht handelte, aktiv am Klassenkampf teilzunehmen, sich zu organisieren, sich und die Kinder entsprechend zu bilden. Mit der „Gleichheit“ wollte Zetkin „[z]u der gewissenhaften Erfüllung dieser Pflichten“27 erziehen. Ein schwer zu erreichendes Ziel, da wie sie selbst erkannt hatte, die „Frau bis jetzt mit ihren Interessen und Gefühlen ausschließlich im Hause und nicht im öffentlichen Leben wurzelte, nur der Familie, nicht der Allgemeinheit ihr Interesse entgegenbrachte“28. Zetkin wollte die in ihrem Familienegoismus gefangene proletarische Arbeiterfrau deshalb nicht nur auf einer sachlichen Ebene ansprechen, sondern auch emotional – auch dieses jedoch mit einer erziehenden und bildenden Intention: „Hier gilt es nicht blos den Geist aufzuklären, vielmehr auch das Gemüth zu bilden, im Herzen die rechte Wärme, die flammende Begeisterung für die neuen Ziele zu erwecken.“29 Es ist der so genannte „Gefühlssozialismus“ den Zetkin hier für ihre Zielsetzung nutzen und 22 Ebd. 23 Ebd. 24 Ebd. 25 Siehe u. a.: Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären. 26 Die Redaktion und der Verlag: An die Leser! In: GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891/ 1. 27 Ebd. 28 Ebd. 29 Ebd. 91 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) stärken möchte. Er stellt – dies wird noch anhand der in der „Gleichheit“ veröffentlichten Frauen- biographien zu zeigen sein – bei vielen Frauen ein auslösendes Moment für ein Engagement innerhalb der proletarischen Frauenbewegung dar. Wie alle anderen bisher vorgestellten Redakteurinnen konnte auch Zetkin nicht umhin, ihre Leserinnen zur Mitarbeit aufzurufen, denn „wie ein Blatt wird, das hängt nicht allein von der Redaktion und dem Verlag, sondern auch vom Publikum ab. Möge uns daher die Sympathie und Mitarbeit Aller zu Theil werden, die mit uns die gleichen Ziele verfolgen.“30 Diese Ziele wurden in der „Gleichheit“ ganz anders präzisiert als in ihrer Vorgängerin. Für die „Arbeiterin“ hatte Joseph Joos noch lapidar bemerkt, dass sie zwar von der „‘Ausbeutung der Frau’ und vom ‘weiblichen Teil des Proletariats’“31 gesprochen, aber „[d]as Wort Sozialismus“32 nicht erwähnt habe. Bezüglich der Ausrichtung der „Gleichheit“ musste er konstatieren: „Hier wird nichts mehr verhüllt und vertuscht.“33 Demnach lagen zwar Kontinuität und Neubeginn in der Gründung der „Gleichheit“ dicht beieinander, doch ist es vor allem das prinzipielle und klare Bekenntnis zum Sozialismus, welches den entscheidenden Unterschied zu ihren Vorgängerinnen ausmacht und das sich sowohl in ihrem Inhalt als auch ihrer Struktur widerspiegelt. Geprägt wurde dieses klare Bekenntnis und damit das Selbstverständnis und die Struktur der „Gleichheit“ als die eines Schulungs- und Bildungsorgans für Proletarierinnen von einem wissenschaftlichen Sozialismus, wie ihn Zetkin verstand. Eine Antwort auf die Frage, ob in ihrer Definition des Sozialismus Momente von Dogmatismus, von Orthodoxie oder Rechthaberei enthalten waren oder ob es sich um charakterfeste Kompromisslosigkeit und unbequeme Dickköpfigkeit handelte, ist schwer zu finden und sicherlich abhängig von der politischen Perspektive, die man selbst ein- nimmt. Die Zielsetzung, die Zetkin bereits frühzeitig für die „Gleichheit“ entwickelte, verdeutlicht, dass sie die besondere Situation der Proletarierinnen erkannt hatte. Je nachdem, ob ihre Interessen als Arbeiterinnen oder Arbeiterfrauen, Erwerbstätige oder Hausfrauen überwogen – und dazu kam, dass sie oft mehreres in einem waren – musste ihnen mit der „Gleichheit“ ein spezielles Bildungs- mittel zur Verfügung gestellt werden. Im Verlaufe ihrer Redaktionstätigkeit wich sie jedoch von dieser Zielsetzung immer mehr ab. In der Probenummer war noch zu lesen: „Die große Masse der Proletarierinnen der Handarbeit ist ja auch noch nicht zum 30 Ebd. 31 Joos, Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland, S. 15. 32 Ebd. 33 Ebd. 92 2.1 ZWISCHEN KONTINUITÄT UND NEUBEGINN – GRÜNDUNG UND ZIELSETZUNG DER „GLEICHHEIT“ Bewußtsein ihrer Klassenlage, ihrer Pflichten und Rechte erwacht, und trotzdem – oder vielmehr gerade deswegen – ist sie es, an welche sich ‘Die Gleichhei t ’ in erster Linie wendet.“34 Später leugnete sie diese erste Zielsetzung, die die „Gleichheit“ zu einem Organ der Massen hatte gestalten wollen. Angesichts der Entwicklung, welche die „Gleichheit“ schließlich genommen hatte, und ihrer sich nur langsam steigernden Anzahl an Abonnements35 zog sich Zetkin auf die Position zurück, von Beginn an nur die Schulung einer Elite beabsichtigt zu haben. Auf diese Weise wollte sie auch jene KritikerInnen zum Schweigen bringen, die stets das zu anspruchsvolle intellektuelle Niveau und die mangelnde Popularität der „Gleichheit“ anklagten. Dieses Niveau sah sie außerdem im Mangel an geeigneten Artikeln begründet. Wenn Genossinnen auf den Frauenkonferenzen klagten, die „Gleichheit“ sei nicht populär genug, so forderte sie Zetkin auf, doch selbst die gewünschten Beiträge zu verfassen. Zetkin wollte sie dann „mit Kußhand ent- gegennehmen“36. Zetkin betonte immer wieder, dass es kaum eine SPD-Zeitschrift gab, an der so viele „Laien“ beteiligt seien. Doch wenn diese erfreulicher Weise ihr Können und ihren Stil weiterentwickelten, könne sie als Redakteurin ihre Arbeiten doch schlecht ablehnen. Zetkin war sich ihrer Position sehr sicher, denn den KritikerInnen rief sie 1911 nur zu: „Paßt es Ihnen nicht, – ich klebe nicht am Amt. (Bewegung.)“37. Die Kritik hatte demnach nie nachgelassen, obwohl Zetkin bereits 1904 dadurch eingelenkt hatte, indem sie der Einführung zweier populär gehaltener Beilagen zustimmte. Diese Beilagen sind als eine Ergänzung des bisherigen Schulungs- und Aufklärungskonzeptes zu sehen, denn das Haupt- blatt wurde in seinem Umfang nicht vermindert. Aber auch hinsichtlich ihrer Gestaltung wollte Zetkin keine Kompromisse eingehen und sich etwa mittels einer entsprechenden, den Leserinnen wohlgefälligen Gestaltung den Zutritt in die Arbeiterfamilien „erkaufen“. Sie wollte die Lese- rinnen eben nicht auf dem Niveau ansprechen, auf dem sie infolge einer ungenügenden Schul- bildung standen, sondern sie auf ein höheres heben. Auf den Charakter der sehr erfolgreichen Beilagen38 wird im Rahmen der Darstellung der einzelnen „Gleichheit“-Rubriken noch näher ein- gegangen.39 34 Die Redaktion und der Verlag: An die Leser! In: GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891/ 1. 35 Die ersten Angaben für die Abonnements der „Gleichheit“ gibt es erst ab 1902 (1902: 4.000; 1903: 9.500; 1904: 12.000); siehe: Tabelle 7 „Abonnentinnen der ‘Gleichheit’“. 36 Zetkin im Bericht über die 6. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1911, S. 426. 37 Ebd. 38 Die Zahl der Abonnements hatte sich 1905 durch einen Anstieg auf 23.000 nahezu verdoppelt. 39 Siehe: Kapitel 2.4.5. 93 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Zwar sah Zetkin in „dem Ruf nach Popularität ein sehr tief begründetes und wichtiges Bedürf- nis“ 40, sie verwies aber zugleich auf die großen Qualitätsunterschiede populärer Unterhaltung. Auf dem SPD-Parteitag in Jena 1913 betonte sie nochmals, dass die „Gleichheit“ zu Beginn „ausschließlich das Organ der Genossinnen [sein sollte], die von vornherein eine Elite des weiblichen Proletariats darstellten, die zum Teil schon in der allgemeinen Bewegung eine größere Schulung erhalten hatte. Diese geschulte Elite zusammen- zuhalten und noch weiter zu erziehen, [sei] die vornehmste Aufgabe der ‘Gleich- heit’.“41 Diese Aufgabe habe jene Elite so erfolgreich erfüllt, dass die proletarische Frauenbewegung rasch wuchs. Die Mehrheit der ihr zuströmenden proletarischen Frauen seien jedoch Gefühlssozialis- tinnen und noch nicht mit dem „ABC“42 sozialistischer Auffassungen vertraut. Der Vermittlung dieses ABCs wolle sich die „Gleichheit“ nun verstärkt zuwenden. Sie sollte nun ein grundsätzlich „werbendes Organ“43 werden. Für die so geworbenen „Nachrückenden, die morgen oder über- morgen an unserem eigenen Platz stehen werden“44, war Zetkin sogar bereit, Raum in der „Gleich- heit“ auch auf Kosten anderer Inhalte zu schaffen. Jedoch nur unter der Bedingung, dass „[a]n dem Gehalt und dem Charakter des übrigen Teils […] nichts geändert“45 würde. Der Erste Welt- krieg verhinderte diese konzeptionelle Weiterentwicklung jedoch. Bevor die Parteitagsdelegierten in Jena angesichts dieser bereitwilligen Annäherung hätten an- nehmen können, Zetkin habe mit ihrer Ankündigung irgendeine Form von Fehler eingestanden, rechtfertigte sie ihre bisherigen redaktionellen Ziele wie folgt: „Uebrigens will ich dieses bemerken: Was Sie an der ‘Gleichheit’ meinen tadeln zu müssen, die angeblich unpopuläre Schreibweise, unterscheidet sich im allgemeinen in nichts von der Schreibweise unserer übrigen Parteipresse. Es sind die nämlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die auch dort das Wort führen, und ich kann hinzufügen, daß wir vielleicht kein Organ in unserer Partei haben, daß daneben in so großer Zahl Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus den erwachenden Schichten des Proletariats zählt, wie gerade die ‘Gleichheit’.“46 Es ist demnach auffällig, dass anscheinend von einer Frauenzeitschrift weit größere Erfolge erwartet wurden als von anderen Parteiorganen47 – und dies, obwohl die „Gleichheit“ ein deutlich 40 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 254. 41 Ebd. 42 Ebd. 43 Ebd., S. 255. 44 Ebd. 45 Ebd. 46 Ebd. 47 Laut Protokoll eben jenes Parteitages in Jena 1913 betrug die Zahl der Abonnements der „Gleichheit“ 112.000, die der „Neuen Zeit“ 10.500, des „Vorwärts“ 157.100 und des „Wahren Jacob“ 371.000 (vgl. ebd., S. 30-32) – ange- sichts diesen direkten Vergleichs erscheint die an Zetkin geübte Kritik vollkommen unbegründet. 94 2.1 ZWISCHEN KONTINUITÄT UND NEUBEGINN – GRÜNDUNG UND ZIELSETZUNG DER „GLEICHHEIT“ schwierigeres Aufgabenfeld besaß und oft wenig Unterstützung durch die Parteiorganisation er- fuhr, denn nicht nur die bürgerliche Gesellschaft verstand es, die proletarische Frauenbewegung mit zweierlei Maß zu messen. Auf die Zusammensetzung der „Gleichheit“-Mitarbeiterschaft wird noch an anderer Stelle eingegangen werden.48 Schließlich wehrte sich Zetkin gegen den in jener Kritik enthaltenen Vorwurf, ihre Redaktions- arbeit sei ungenügend: „Meinen Sie, ich würde in ausgesuchter Bosheit und Dummheit gute, populäre Artikel über unsere sozialistischen Ideen nicht annehmen, wenn ich sie bekäme? Nicht mit einer, nein mit zwei Kußhänden würde ich sie veröffentlichen. (Große Heiterkeit.) Aber das Pech ist eben, ich warte und warte, jedoch solche Artikel gehen mir äußerst selten einmal zu.“49 Diese Bemerkung Zetkins zeigt, dass es ihr schließlich nicht anders erging als ihren Vor- gängerinnen Guillaume-Schack und Ihrer, die ebenfalls vergeblich auf Beiträge aus den Reihen der Leserinnen gehofft hatten. Das Ausbleiben einer solchen Beteiligung kann der Redakteurin einer Frauenzeitschrift nicht zum Vorwurf gemacht werden – zumal im Falle der „Gleichheit“ auch ein Redaktionswechsel nichts daran zu ändern vermochte. 48 Siehe: Kapitel 2.3. 49 Ebd., S. 255. 95 2.2 Amt oder Meinung? – Die Redaktionen der „Gleichheit“ 2.2.1 Die „Ära Zetkin“ und der Erste Weltkrieg Im Folgenden werden die Redakteurinnen der „Gleichheit“ vor allem in ihrer Tätigkeit für diese dargestellt. Besonders die unbekannteren unter ihnen werden mit einer Auswahl ihrer Artikel und behandelten Themen sowie mit einigen biographischen Informationen vorgestellt. In den ersten 25 Jahren war es vornehmlich Clara Zetkin, die für die Gestaltung und Redaktion der „Gleichheit“ verantwortlich zeichnete. Bezüglich dieser Tätigkeit von einer „Ära Zetkin“ zu sprechen, ist durchaus gerechtfertigt, denn in den ersten Jahren war sie nicht nur Re- dakteurin der „Gleichheit“, sondern auch Verfasserin nahezu sämtlicher Artikel. Welch großes Arbeitspensum sie dabei zu bewältigen hatte, wird aus folgender Tätigkeitsbeschreibung für den Beruf des Redakteurs deutlich: „Noch spezifischer ist die Aufgabe des Redakteurs, der allein Anspruch darauf erheben kann, als Schriftle i ter bezeichnet zu werden. Er hat vor allem zu redigieren, d. h. das einlaufende Material nach den besonderen Anforderungen des Tages, der Umwelt und der einzelnen Zeitung auszuwählen, zu formen und druckfertig zu machen. Freilich, um formen zu können, muß er selbst zu schreiben verstehen, und manchmal stellt die eigene Formulierung den Hauptteil seiner Arbeit dar. Daher muß er sich auf den verschiedensten Sachgebieten aus- kennen, sich in die verschiedensten Darstellungsformen einfühlen können. Er muß wissen, was die Tradition und Haltung der Zeitung und die Erwartungen der Leser erfordern, er muß ständig Anregungen geben, Ideen haben und an stillen wie an bewegten Tagen immer frisch und unermüdlich sein. Alle die vielfältigen Anforderungen an den Journalisten müssen von ihm als dem eigentlichen Zeitungsgestalter erfüllt werden. Die Vielfalt der journalistischen Anforderungen verlangt schon rein körperlich vom Zeitungsmann ungewöhnliche Belastungen. Man denke an Nachtarbeit, Sonntagsarbeit, Überstunden, an das nervenaufreibende Getriebe der ‘großen’ Tage und der ‘letzten’ Minuten, an die Stöße von Manuskripten, Telegrammen und Zeitungen, die nicht gelesen, sondern überflogen werden müssen, an die sich jagenden Telefonate, Besprechungen, Besuche, Reisen, Kongresse! Um alledem gewachsen zu sein, bedarf es strenger Selbstzucht und Konzentration, weiter der Fähigkeit, unabhängig von Stimmungen und Launen stets arbeits- bereit zu sein, sobald die Sache es verlangt, ohne auf Inspiration zu warten oder Gedanken und Formulierungen sorgfältig abwägen zu können, ohne an Zuverlässigkeit, Frische und Stilsicherheit einzubüßen. Nur eine scharfe Intel- ligenz und ein überdurchschnittliches Gedächtnis für Namen, Zahlen, Tatsachen, setzen den Journalisten in den Stand, ohne langwierige Nachprüfungen und Rückfragen sofort eine sichere Antwort zu wissen, wenn Aktualitäten eine schnelle Entscheidung verlangen. Aber der Journalist wird erst dann über den Durchschnitt hinausragen und im stande sein, die Öffentlichkeit wirksam an- zusprechen, wenn er es nämlich versteht, eine Linie zu halten, Wege zu weisen, neue Ideen wirksam zu vertreten. Dazu aber gehören ein starker Glaube an seine Sache, ja ein Sendungsbewußtsein, eine temperamentvolle Vertretung der 97 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) eigenen Ideen, der Mut, gegen den Strom zu schwimmen und schließlich eine sti- listische Ausdrucksfähigkeit, die jeder Aufgabe gewachsen ist. Der führende Jour- nalist muß also eine Persönl ichkei t sein, ein gefestigter und geläuterter Cha- rakter, der sich nicht durch Lockungen oder Drohungen von seinem Weg abbringen läßt. Für die meisten anderen Berufe – man denke an den Pädagogen, den Ge- lehrten, den Arzt, den Kaufmann –, genügt die eine oder die andere der genannten Eigenschaften. Der Journalist wird es ohne diese Qualitäten nie zu einer führenden Rolle in der Öffentlichkeit bringen.“50 Es erfordert für den Beruf des Redakteurs demnach sowohl Können als auch eine besondere innere Einstellung. Zetkin war sich bereits sehr früh ihrer Stellung und ihrer Verantwortung bewusst, was einer der Gründe gewesen sein dürfte, weshalb sie es als unnötig erachtete, ihre Arti- kel namentlich zu zeichnen. Vielleicht wollte sie zudem die „Gleichheit“ nicht als das erscheinen lassen, was sie anfangs ohne Zweifel war: Eine „One-Woman-Show“51. Offiziell jedoch erklärte Zetkin diese Eigenart – in der für sie sehr typischen selbstbewussten Art – mit folgenden Worten: „Ich zeichne meine Artikel überhaupt nie. Es gehört nicht zu meinen Gepflogen- heiten, wie das Gegacker der Henne, welche ein Ei legt, unter jede meiner Arbeiten meinen Namen zu setzen. Ich glaube der Unterschrift in der Gleichheit umso eher enthoben zu sein, als ich das Blatt als verantwortliche Redakteurin zeichne und damit für jeden Fall die volle Verantwortlichkeit für alles übernehme, was in der Zeitung zur Veröffentlichung gelangt.“52 Zetkin sah ihre Verantwortlichkeit als allumfassend an. So trugen selbst nachdem sie einige AutorInnen für die „Gleichheit“ gewonnen hatte, einige Artikel unverkennbar ihre redigierend- korrigierende Handschrift.53 Sie selbst machte auch gar keinen Hehl aus ihren Bearbeitungen und erklärte ihr „erweitertes“ Redaktionsstatut wie folgt: „Wenn die Ansichten (der Autoren) nur unbedeutend von unseren abweichen, dann beziehe ich nicht einmal Position. Erscheinen sie mir fragwürdiger, dann füge ich eine Fußnote oder ein Postskript bei, in welchem ich den Standpunkt des Autors 50 Hagemann, Die Zeitung als Organismus, S. 217f. Es ist anzunehmen, dass Zetkin auch die Aufgaben eines Umbruchredakteurs wahrgenommen und damit das charakteristische Äußere der „Gleichheit“ gestaltet hat. 51 „In the early years of Gleichheit’s existence Zetkin not only edited the paper but wrote most of the articles which appeared in its pages. Few of these articles were signed, however, since neither editor nor publisher were eager to have Gleichheit appear as what it actually was at this time, namely a one-woman show.” (Honeycutt, Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany, S. 125; vgl. auch Karstedt, Die „Gleichheit“ – eine one-woman-show). Der Begriff „One-Woman-Show“ hat eine deutlich negative Konnotation. Richebächer ver- mag es neutraler auszudrücken: „Clara Zetkin blieb bis zu ihrer Entlassung aus der Redaktion (1917) ihre [der „Gleichheit“; M.S.] strukturierende und inhaltlich gestaltende Kraft, so daß man Die Gleichheit im wesentlichen (und in den ersten Jahren auch wörtlichen) Sinne als ihr Werk bezeichnen kann.“ (Richebächer, Uns fehlt nur ein Kleinigkeit, S. 120). 52 Zetkin, Clara [: Ohne Titel]. In: GL, 02/ 26/ 28.12.1892/ 216. Der DDR-Historiker Fritz Staude verteidigt in seinem Aufsatz diese vermeintliche Arroganz Zetkins. Sie resultiere nicht aus „persönlichem Ehrgeiz“, sondern sei vielmehr Ausdruck ihres „revolutionäre[n] Verantwortungsbewußtsein[s]“. Er schreibt weiter: „Sie wachte mit äußerster Gewissenhaftigkeit darüber, daß der Inhalt aller Beiträge den Erfordernissen der gegebenen Situation entsprach und daß jeder Beitrag das Seine leistete in der Auseinandersetzung mit jeweils anstehenden Fragen und zugleich der Weiterentwicklung der Bewegung diente.“ (Staude, Die Rolle der „Gleichheit“ im Kampf Clara Zetkins für die Emanzipation, S. 434). 53 Vgl. Honeycutt, Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany, S. 126. 98 2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG charakterisiere. Wenn dagegen nach meiner Meinung die Ansichten ernsthaft unseren fundamentalen Auffassungen widersprechen, dann polemisiere ich gegen den Autor.“54 Das „Polemisieren“ war für Zetkin mehr als nur reine Boshaftigkeit, ihr „Letztes-Wort- Fetischismus“ mehr als nur Rechthaberei. Es war ihre Art der Auseinandersetzung mit Beiträgen, die ihrer Meinung nach der sozialistischen Gesinnung der Leserinnen nicht zuträglich waren. Eine Diskussionskultur, die auf manche Autorinnen und Leserinnen sicherlich abschreckend gewirkt haben dürfte.55 Doch auch wenn Zetkins Einfluss groß gewesen sein mag, so war er jedoch nicht unbeschränkt und innerhalb der „Gleichheit“-Redaktion, so Riepl-Schmidt, auch nicht „un- gebrochen akzeptiert“56. Im Gegensatz zu dem, was Zetkins Worte vermuten lassen, konstatiert Riepl-Schmidt am Beispiel Anna Blos‘ (1866-1933)57, dass selbst „Artikel, die nicht ‘linientreu’ waren“58 von der „Gleichheit“-Redakteurin nicht „zensiert oder unterdrückt“59 worden seien. Selbstbewusst formulierte die Redakteurin Zetkin ihre Aufgabe wie folgt: „[I]ch habe nicht ein Amt, sondern eine Meinung, und danach gestalte ich die ‘Gleichheit’.“60 Diese Selbstcharak- terisierung richtet das Augenmerk auf Zetkins Verhältnis zur Parteihierarchie, das von ihren Biographinnen sehr unterschiedlich bewertet wird. Allerdings lässt sie kaum die Interpretation zu, wonach Zetkin sich selbst als einen „Parteisoldaten“61 gesehen hätte. Denn tatsächlich waren es 54 Clara Zetkin in einem Brief an Käte Duncker, 17.11.1906. Zit. nach: Karstedt, Die Gleichheit – eine „one-woman show“, S. 18. 55 Auch hinsichtlich der Rezeption der „Gleichheit“ wird diese abschreckende Wirkung noch Gegenstand dieser Untersuchung sein; siehe: Kapitel 2.5. 56 Riepl-Schmidt, Wider das verkochte und verbügelte Leben, S. 167. 57 Anna Blos, geb. Tomasczewska, wurde im schlesischen Liegnitz geboren und war Tochter eines Oberstabsarzt Sie besuchte erst die Viktoria-Pension und dann das Prinzeß-Wilhelm-Stift in Karlsruhe i.B.. Blos studierte Geschichte, Literatur und Sprachen an der Universität Berlin, wurde Lehrerin und schließlich Oberlehrerin. 1905 heiratete sie Wilhelm Blos (1849-1927), der als Redakteur verschiedener sozialistischer Blätter arbeitete und hier noch an anderer Stelle vorgestellt wird. Blos engagierte sich besonders in der Schulpolitik und wurde Mitglied des Ortsschulrats Stuttgart. Obwohl sie dem rechten Flügel der SPD angehörte und eng mit der bürgerlichen Frauenbewegung im “Deutschen Hausfrauenverein” zusammenarbeitete, war sie seit 1905 Autorin für die „Gleichheit”. Ab 1914 übernahm sie Tätigkeiten in der Kriegsfürsorge, wurde Vorsitzende des Verbandes der Stuttgarter Hausfrauen, Mitglied des Ernährungsbeirats und Mitglied des Landesvorstandes der SPD. 1919 wurde sie Abgeordnete der Nationalversammlung und hatte bis Juni 1920 ein Mandat als Abgeordnete des Reichstags inne. Sie verfasste u. a. Schriften, die einen frauengeschichtlichen Bezug haben: „Die Frauen der deutschen Revolution 1848“ (1928), „Die Frauen in Schwaben. Fünfzehn Lebensbilder“ (1929), „Die Frauenfrage im Lichte des Sozialismus“ (1930). Von besonderer Bedeutung für die vorliegende Arbeit ist ihre von September 1919 bis Juli 1920 erschienene Artikelreihe „Frauengestalten des 19. Jahrhunderts“, in der folgende acht Frauen porträtiert wurden: Bettina von Arnim, Charlotte Stieglitz, Rahel Levin, Charlotte von Stein, Malvida von Meysenbug, Karoline Schlegel-Schelling, Luise Aston und Karoline von Humboldt. 58 Riepl-Schmidt, Wider das verkochte und verbügelte Leben, S. 167. 59 Ebd. 60 Zetkin im Bericht über die 6. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1911, S. 426. 61 Puschnerat spricht dagegen sogar von einer „parteisoldatische[n] Unterwürfigkeit“ (Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 44) Zetkins. 99 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) gleich mehrere Ungeheuerlichkeiten, derer sie sich mit ihrer Erklärung schuldig machte: Wenn die „Gleichheit“-Redaktion ihrer Ansicht nach kein Parteiamt der SPD war, so sah sie sich demnach von Parteiinstanzen und Parteiströmungen vollkommen unabhängig. Obendrein stellte sie die freie Diskussion und das Recht auf eine persönliche Meinung höher als die Interessen der Partei oder eine Parteidisziplin bzw. ging davon aus, dass es ohnehin zwischen ihrer Position und derjenigen der Partei zu keinem wesentlichen Dissens kommen könne. Zetkins Selbstcharakterisierung stand zudem in einer interessanten Kongruenz mit der Idealvorstellung, die der „Neue-Zeit“-Redakteur Karl Kautsky von einem Chefredakteur-Mitarbeiter-Verhältnis zeichnete: „‘Er ist nicht der Herr seiner Mitredakteure, sondern nur der erste unter gleichen; er kann seine Autorität nicht aus seinem Amte ziehen, sondern nur aus der Überlegenheit seines Wissens, seiner Erfahrungen, seiner Fähigkeiten und ihrer freudigen Anerkennung durch seine Kollegen.’“62 Die Bilder, die jedoch von Zetkin als Redakteurin gezeichnet wurden und werden, sind sehr gegensätzlich. Einige BiographInnen und ZeitgenossInnen betonen Zetkins kompromisslose Dominanz, die kein anderes Talent neben dem eigenen und keine andere Meinung außer der ihrigen geduldet habe.63 Andere sprechen dagegen von einer besonderen Fähigkeit, sich als erfahrene und aufgeschlossene Redakteurin stets um neue AutorInnen bemüht, Hilfestellung geleistet und verborgene Talente gefördert zu haben64. So zeichnet z. B. Ilberg folgendes Bild von dem Redaktionsalltag Zetkins: „Noch ein letzten prüfenden Blick wirft Clara Zetkin in die Spalten des Blattes. Dann legt sie es beiseite. Ihre Zeit ist, wie immer, auf die Minute eingeteilt. Ein ganzer Stapel von Briefen aus der Feder von Arbeiterinnen harrt bereits der Lektüre, der sie stets viel Sorgfalt widmet. Gerade der Inhalt dieser Post bildet einen der Grundpfeiler der ‘Gleichheit’, ja noch mehr: So manche Arbeiterin, die Clara in ungelenken Schriftzügen ihre Sorgen anvertraut hat, ist ganz allmählich zur ständigen Korrespondentin der Zeitung geworden. Clara weiß Talente aufzuspüren und zu entwickeln.[…] Voll Mitgefühl legt die Redakteurin das Brieflein beiseite. […] Claras Herz wird niemals abgestumpft.“65 Ilberg versucht mit ihrer sehr literarischen Beschreibung nicht nur ein positives mitfühlendes Bild vom Charakter Zetkins zu zeichnen, sondern auch die „Gleichheit“ als basisnahes Organ dar- zustellen.66 Auch Anna Blos beschrieb die Arbeit mit Clara Zetkin als „sehr angenehm“67 und 62 Karl Kautsky zit. nach: Koszyk, Zwischen Kaiserreich und Diktatur, S. 23. 63 Vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 67 und S. 86 und Karstedt, Die Gleichheit – eine „one-woman show“, S. 16ff. Sehr aussagekräftig für die vielschichtige Persönlichkeit Zetkins sind die von Karstedt gewählten Zwischenüberschriften „Mutter Theresa oder Mutter Courage“; „‘Pfundsweib’ und ‘Bestie’“ (ebd.). 64 Vgl. Dornemann, Clara Zetkin. Leben und Wirken, S. 108. 65 Ilberg, Clara Zetkin, S. 69. 66 Zur Beteiligung von Leserinnen an der „Gleichheit“ siehe: Kapitel 2.5. 67 Blos, Die Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 25. 100 2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG Henriette Fürth (1861-1936)68, die Zetkins Polemik sehr deutlich zu spüren bekam, empfand ihren Führungsstil sogar als sehr mütterlich: „‘[…] wie treulich sie [Zetkin; M.S.] sich jüngerer oder unerfahrener Parteigenossen in mütterlicher Fürsorge oder als geistige Beraterin und Führerin annahm. Ich bin ihr jedenfalls zu grossem Dank verpflichtet für Rat und Förderung, die sie mir über ein Jahrzehnt hindurch zuteil werden ließ.’“69 All dies belegt schließlich vor allem, dass Zetkins Redaktionsarbeit nicht losgelöst von ihrem Charakter und ihrer politischen Einstellung beurteilt70 und weder für die Persönlichkeit Zetkins noch für die „Gleichheit“ ein alleingültiges Urteil getroffen werden kann.71 Neben Zetkin war es vor allem Käte Duncker (1871-1953)72, die 1906-1908 als zweite 68 Henriette Fürth, geb. Katzenstein, wurde in Gießen geboren. Sie war Tochter eines jüdischen Holzfabrikanten, besuchte eine höhere Mädchenschule und heiratete 1880 den Kaufmann Wilhelm Fürth, einen Vetter der Mutter. In der Zeit von 1881-1899 brachte sie sechs Töchter und zwei Söhne zur Welt. 1885 zog die Familie nach Frankfurt am Main um. Hier wurde Fürth zu einer Vorkämpferin der Mutterschutzbewegung und der „Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten”. In der „Frankfurter Zeitung“ (1874-1926[?]) er- schienen 1888 ihre ersten Artikel. Sie publizierte nicht nur in SPD-Blättern (so seit 1894 im „Sozialdemokrat“), sondern auch in bürgerlichen Frauenzeitschriften, z. B. in „Die Frau”. Ihre erste größere Arbeit handelte von der Frauenarbeit in der Herrenschneiderei und erschien 1896. Sie engagierte sich jedoch nicht nur schriftstellerisch (teilweise unter dem Pseudonym G. Stein) für sozial-pädagogische, sozial-hygienische und wirtschaftliche Fragen, sondern auch vereinspolitisch. Fürth war außerdem Mitglied des „Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens”. Während des Ersten Weltkrieges arbeitete sie im „Nationalen Frauendienst” mit. Fürth wurde erstes weibliches Mitglied in der „Deutschen Gesellschaft für Soziologie“. 1919-1924 war sie Stadtverordnete in Frank- furt am Main. Fürth arbeitete während der Weimarer Republik außerdem als Volksschullehrerin und als Bezirks- leiterin der AWO. 69 Fürth, Streifzüge, S. 139. Zit. nach: Klausmann, Politik und Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 138. 70 An der von Puschnerat verfassten Biographie fällt jedoch umgekehrt die starke Vernachlässigung der „Gleichheit“ auf und dies, obwohl sie Puschnerat „mit Fug und Recht als Quelle für eine Analyse der Mentalität Zetkins“ (Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 86) diente. In nur einem einzigen Absatz skizziert Puschnerat die Entwicklungslinie von der Einrichtung der beiden Beilagen 1905 über die Zensur während des Ersten Weltkrieges bis zur Entlassung Zetkins 1917 (vgl. ebd., S. 86f.) und bleibt damit äußerst oberflächlich. 71 Vgl. Blos, Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 24f. 72 Käte – eigentlich Paula Kathinka – Duncker, geb. Döll, wurde in Lörrach geboren und entstammte einer Kaufmannsfamilie. Sie war erst fünf Jahre alt, als ihr Vater starb. Sie besuchte ab 1880 die Höhere Töchterschule in Friedrichsroda, die Hauswirtschaftsschule in Gotha und schließlich 1888-1890 ein Lehrerinnenseminar in Eisenach. Duncker arbeitete als Lehrerin in Friedrichsroda, am Steyberschen Institut in Leipzig und in Hamburg, wo sie in Kontakt mit der Arbeiterbewegung kam. Seit 1894 war sie Mitglied in verschiedenen Bildungsvereinen und ihrer Beteiligung an Arbeiterstreiks folgte 1896 die Entlassung aus dem staatlichen Schuldienst. 1896/97 versah Duncker eine Lehrerinnenstelle an der privaten höheren Mädchenschule in Hamburg – in diese Zeit muss ihre erste Begegnung mit Zetkin fallen. 1898 wurde sie SPD-Mitglied und im selben Jahr heiratete sie den Musikstudenten und späteren SPD-Parteifunktionär Hermann Duncker. Sie brachte drei Kinder zur Welt. Duncker wirkte als Rednerin und Delegierte, bekleidete 1899-1905 das Amt der Leiterin von Frauenabenden und engagierte sich besonderes in Bildungs- und Frauenerwerbsarbeitsfragen. 1899 wurde sie Mitarbeiterin, später Vorsitzende des „Frauen- und Mädchenvereins Leipzig“. Durch ihren Redaktionsposten bei der „Gleichheit“ lebte sie 1906-1908 von ihrem Ehemann getrennt in Süddeutschland. 1908-1912 war sie Mitglied des zentralen SPD- Bildungsausschusses. Duncker stand auf dem radikalen Flügel der SPD, war Kriegsgegnerin und Teilnehmerin auf der Berner Frauenfriedenskonferenz 1915. Es folgten Hausdurchsuchungen und Redeverbot. 1916 war sie Mitgründerin des Spartakusbundes und dann KPD-Mitglied. Eine Welle von Verhaftungen ließ Duncker erst zu ihrem Sohn nach Dänemark, später nach Schweden reisen, aber schließlich wieder nach Deutschland zurück- kehren. 1921-1923 war Duncker KPD-Abgeordnete des thüringischen Landtags in Gotha. 1933-1938 betrieb sie die in Friedrichsroda gelegene Pension ihrer Mutter und verhalf vielen Verfolgten zur Flucht ins Ausland. 1938 emigrierte Duncker in die USA, wo sie als Hausgehilfin und Sprachlehrerin arbeitete. 1947 kehrten die Eheleute 101 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Schriftleiterin der „Gleichheit“ eine besondere Stellung innehatte. Duncker selbst beschrieb ihren Eintritt in die Redaktion der „Gleichheit“ so: „Auf einer der alle zwei Jahre stattfindenden sozialistischen Frauenkonferenzen [Mannheim 1906; M.S.] habe ich der Überlasteten [Clara Zetkin; M.S.] eines Tages aus dem Gefühl, ihr helfen zu müssen, meine Mitarbeit angeboten und erhielt kurze Zeit später die Aufforderung, in die Redaktion der Frauenzeitung ‘Die Gleichheit’ einzutreten. Jahre engster Zusammenarbeit folgten in Stuttgart, dem Sitz der Redaktion. Während ich hauptsächlich die neuen Frauenbeilagen bearbeitete, be- handelte Clara Zetkin mit ihrem überragenden Wissen die politischen Themen.“73 Zetkin muss demnach durch den Auftritt Dunckers in Mannheim und ihr Referat zur Fürsorge für Schwangere und Wöchnerinnen sehr beeindruckt gewesen sein. Doch auch schon vor der Frauenkonferenz und vor diesem Angebot hatte Duncker daran gedacht, für die „Gleichheit“ zu schreiben74, und hatte Zetkin sich von deren schriftstellerischen Qualitäten überzeugen können. Nach den vorliegenden Recherchen75 erschien Dunckers erster größerer Artikel im Hauptblatt der „Gleichheit“ bereits im April 1901. Er trug den Titel „Kulturbild aus Wesungen“76 und beschäf- tigte sich mit den Folgen eines Hamburger Tabakarbeiterstreiks.77 Außerdem berichtete Duncker in ihren Artikeln häufig aus der bürgerlichen Frauenbewegung78, entwickelte Ideen für eine bessere Agitation unter den proletarischen Frauen79 und beteiligte sich an aktuellen Diskussionen der proletarischen Frauenbewegung80. Besonders auffällig ist ihre von November 1911 bis März Duncker gemeinsam nach Berlin zurück. Beide wurden Mitglieder der SED, waren aber nicht mehr parteipolitisch aktiv. 73 Duncker, Käte: Temperamentvoll, witzig und gescheit. Käte Duncker erzählt von Clara Zetkin. In: Clara Zetkin. Leben und Lehren einer Revolutionärin, S. 12-13, S. 13. 74 Bereits in einem Brief an ihren Ehemann am 15.07.1896 kündigte Duncker den Versuch an, „‘etwas für die ‘Gleichheit’ zu schreiben’“ (Käte Duncker in einem Brief an Hermann Duncker am 15.07.1896. Zit. nach: Deutschland, Heinz: Käte Duncker (1871-1953), o. S.). 75 Die Angaben zu den ersten in der „Gleichheit“ erschienenen Artikel einer Autorin oder eines Autors werden mangels eines Gesamtregisters und in Anbetracht der vielen Artikel, die ungezeichnet oder nicht zuordenbar gezeichnet sind, unter Vorbehalt gemacht. 76 [Duncker, Käte?] K. D.: Kulturbild aus Wesungen. In: GL, 11/ 08/ 10.04.1901/ 60-61. 77 Die Tabakfabrikanten waren unter dem Druck dieses Streiks dazu übergegangen, ihre Unternehmen in Gegenden anzusiedeln, in denen es zuvor keine ähnliche Industrie gab und in denen die ArbeiterInnen demnach nicht organisiert waren – so auch in das im Werratal gelegene Wasungen, das Duncker irrtümlicherweise als Wesungen bezeichnete. Dieses „Paradies für Zigarrenfabrikanten“ (ebd., S. 60) wurde jedoch gestört, nachdem 1899 erstmals eine Zahlstelle des Tabakarbeiterverbandes in Wasungen gegründet worden war. Duncker berichtete im Weiteren des Artikels von einer Versammlung, die sie für diese Zahlstelle abhalten wollte, aber laut polizeilichem Verbot nicht durfte. 78 [Duncker, Käte?] K. D.: Die Generalversammlung des katholischen Frauenbundes in München. In: GL, 17/ 01/ 09.01.1907/ 4; Der neue Vereinsgesetzentwurf und die bürgerlichen Frauen. In: GL, 18/ 04/ 17.02.1908/ 35; Liberalismus und Frauenfrage. In: GL, 18/ 10/ 11.05.1908/ 89-90 (dies war ein Bericht von einem Referat der bürgerlichen Frauenrechtlerin Else Lüders (1872-1948), welches diese auf dem dritten Parteitag der Freisinnigen Vereinigung gehalten hatte). 79 [Duncker, Käte?] K. D.: Was lehren uns die Reichstagswahlen? In: GL, 17/ 04/ 20.02.1907/ 26-27. 80 Duncker, Käte: Zur Frauenkonferenz. I. In: GL, 20/ 09/ 31.01.1910/ 129-130 (Leitartikel). 102 2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG 1912 erscheinende Artikelserie „Die Teuerung“81, mit der sie den Leiterinnen von Lese- und Diskussionsabenden geeigenetes Unterrichtsmaterial an die Hand geben wollte. Dunckers Artikel für die Kinderbeilage erschienen häufig unter dem Pseudonym „Neuland“, aber auch unter ihrem richtigen Namen82. Zudem ist sie die Verfasserin zweier Nachrufe, deren Rekonstruktionen in der Zusammenstellung dieser Arbeit zu finden sind.83 Dunckers Mitarbeit an der „Gleichheit“ endete im Dezember 1908. Zu diesem Zeitpunkt war sie hochschwanger und diese veränderten Familien- verhältnisse ließen eine aufwendige Redaktionstätigkeit nicht mehr zu – ihre agitatorischen und schriftstellerischen Tätigkeiten setzte sie jedoch fort.84 Wertvoll sind Dunckers – wenn auch zum jeweiligen Zeitpunkt unterschiedlich reflektierten – Erinnerungen an Zetkin als Redakteurin der „Gleichheit“. In den Briefen an ihren Ehemann beschrieb sie durchaus auch die Probleme, die sie mit dem dominanten Redaktionsstil Zetkins hatte: „‘Die Kindernummer scheint mir diesmal recht nett. Die ist das einzige, was mir Spaß gemacht hat. (…) Frau Zetkin schreibt mir alles, alles vor, sogar die Reihenfolge der Artikel. Ich kann mich einfach nicht rühren und fungiere eigentlich nur als Schreibmaschine (…) Seit sie wußte, daß ich den Leiter [Leitartikel] für die Nummer schreiben sollte, schrieb sie mir viermal höchst aufgeregt, was ich alles nicht schreiben dürfte – meist Dummheiten und Taktlosigkeiten.’“85 Trotz dieser Reibereien war das Verhältnis der beiden Frauen aber ein sehr gutes. Duncker ließ sich nicht endlos von Zetkin gängeln, sondern bewies auch Rückgrat gegenüber der Frau, die für sie Vorbild war: „‘Die gute Zetkin ist sichtlich verschnupft (…), weil ich ihr gesagt habe, daß ich keine Endtermine für meine Arbeit von ihr angegeben wünsche […] Ich habe mir 81 Duncker, Käte: Die Teuerung. Für die Lese- und Diskussionsabende [I-VI]. In: GL, 22/ 04/ 15.11.1911/ 51-54 bis GL, 22/ 13/ 18.03.1912/ 195-199. 82 Es seien hier nur zwei Beispiele mit einem besonders hervorzuhebenden geschichtlichen Bezug genannt: [Duncker, Käte?] K. D.: Die Sklaverei im Altertum. In: GL, 18 (1908)/ „Für unsere Kinder“ 05/ 33-35; Der Sklavenaufstand in Sizilien. In: GL, 18 (1908)/ „Für unsere Kinder“ 08/ 57-59. 83 [Duncker, Käte?] K. D.: Flora Schulze – Leipzig †. In: GL, 14/ 25/ 30.11.1904/ 199; Klara Wehmann †. In: GL, 25/ 24/ 20.08.1915/ 161. Weitere Artikel von Käte Duncker und eine Beschreibung ihrer Inhalte werden in der von Ruth Kirsch verfassten Biographie angegeben (vgl. Kirsch, Käte Duncker, S. 76ff.). Aktuell wird außerdem von Dres. Ruth und Heinz Deutschland die schriftstellerische Tätigkeit Dunckers untersucht und ein umfassendes Verzeichnis ihrer Schriften erstellt. 84 Vgl. Kirsch, Käte Duncker, S. 92. 1910 brachte Duncker gemeinsam mit Zetkin auf der Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale in Kopenhagen den Antrag auf Einrichtung des Internationalen Frauentages ein. Duncker war dem linken Flügel der SPD zuzuordnen und wurde während des Ersten Weltkriegs Mitbegründerin des Spartakusbundes und schließlich Mitglied der KPD. Besonders ihre Briefe an ihren Ehemann Hermann Duncker spiegeln ihre antimilitaristische Haltung wider (vgl. Deutschland, Ich kann nicht durch Morden mein Leben erhalten). 85 Käte Duncker in einem Brief an Hermann Duncker, 15.02.1907. Zit. nach: Deutschland, Käte Duncker (1871- 1953). 103 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) jetzt vorgenommen, ohne viel Worte zu verlieren, alles so zu machen, wie ich es gut finde und ihre ‘Befehle’ einfach zu ignorieren, wenn ich mit ihnen nicht einverstanden bin. Entweder sie läßt es geschehen, oder es kommt zum Krach. Die Kinderbeilage freilich gäbe ich nur sehr ungern auf.’“86 Es scheint eine vorwiegend professionelle Beziehung gewesen sein, denn Duncker bezeichnete Zetkin in diesen Briefen nicht als „Clara“. Die Nachfolge Dunckers als Beilagen-Redakteurin trat Berta Selinger (1880-?)87 an. Diese hatte bis dahin bereits für das Hauptblatt einige Artikel verfasst.88 In den Beilagen lassen sich jedoch kaum Hinweise für eine Autoreninnentätigkeit Selingers finden.89 Es stellt sich sich dadurch die Frage, ob sie ein Pseudonym verwendete oder sich auf eine redaktionelle Tätigkeit beschränkte. Das einschneidendste Ereignis für die Redaktion der „Gleichheit“ unter Zetkin war der Eintritt des Deutschen Reiches in den Ersten Weltkrieg im August 1914. Die Bewilligung der Kriegskredite durch die SPD-Reichstagsfraktion und die damit verbundene Abkehr von den Grundsätzen der Internationale waren für Zetkin verständlicherweise eine große Enttäuschung.90 Während sie daraufhin in der „Gleichheit“ eine Position gegen die nationalistische SPD-Parteilinie vertrat, warben andere Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung für ein Engagement in den neu gegründeten Organisationen des bürgerlich dominierten „Nationalen Frauendienstes“ (NFD).91 So ist es ausgerechnet Luise Zietz (1865-1922)92, die als Vertreterin der weiblichen 86 Käte Duncker in einem Brief an Hermann Duncker, 11.03.1908. Zit nach: Ebd. 87 Berta Selinger wurde im böhmischen Niemes geboren. Ihr Vater war Fabrikarbeiter und sie musste bereits als Kind ihrer heimarbeitenden Mutter beim Flechten von Rohrmöbeln helfen. Später arbeitete sie als Hilfskraft im Kleingewerbe, Haushaltshilfe, Lehrmädchen in einer Bücherei und Druckereiarbeiterin. Sie besuchte die SPD- Parteischule in Berlin und arbeitete dann unter Zietz im SPD-Frauenbüro und unter Zetkin in der „Gleichheit“- Redaktion. 88 Selinger, Berta: Zur Frauenkonferenz. I. In: GL, 20/ 11/ 28.02.1910/ 164-165; Um Wissen und Bildung. In: GL, 21/ 12/ 13.03.1911/ 184. Selinger, B[erta]: Kampf-Weihnacht! In: GL, 22/ 07/ 25.12.1911/ 97-98 (dies war ein die Frauenagitationsarbeit des Jahres 1911 resümierender Leitartikel). 89 Vgl. Schulze, Die proletarische Mutter als sozialistische Erzieherin, S. 43. 90 Eine von Zetkins ersten schriftlichen Reaktionen auf die Kriegskreditbewilligung ging in Form eines Briefes am 5. August 1914 u. a. an den Redakteur und württembergischen Landtagsabgeordneten Johann Westmeyer. Sie mahnte darin zum Zusammenhalt und zur Vernunft. Außerdem schloss sie bereits zu diesem Zeitpunkt nicht aus, nach dem Krieg aus der SPD auszutreten (Clara Zetkin in einem Brief an Johann Westmeyer, 05.08.1914. Zit. nach: Kuczynski, Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und die deutsche Sozialdemokratie, S. 97f.). 91 Zum „Nationalen Frauendienst“ und zur weiblichen Erwerbstätigkeit im Ersten Weltkrieg siehe: Eifert, Wann kommt das „Fressen“, wann die „Moral“?; Planert, Zwischen Partizipation und Restriktion; Scholze, Zur proletarischen Frauenbewegung in den Weltkriegsjahren 1914 bis 1917; Daniel, Arbeiterfrauen in der Kriegsgesellschaft; Guttmann, Weibliche Heimarmee. 92 Luise Zietz, geb. Körner, wurde im holsteinischen Bartgeheide geboren und war die Tochter eines selbständigen Wollwirkers und Webers. Sie besuchte die Volksschule, arbeitete erst im väterlichen Betrieb mit und wurde dann bei Verwandten als Kindermädchen eingestellt. Einige Jahre später begann sie an der Fröbelschule in Hamburg eine Ausbildung zur Kindergärtnerin. Sie heiratete den Hafenarbeiter Karl Zietz, doch die Ehe scheiterte. Durch ihn in Kontakt mit der Arbeiterbewegung Hamburgs gekommen, war Zietz seit 1892 selbst agitatorisch, organi- satorisch und schriftstellerisch für die SPD tätig. 1896 hielt Zietz bei einem Hamburger Hafenarbeiterstreik ihre 104 2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG Parteimitglieder im Parteivorstand am 28. August 1914 in der „Gleichheit“ einen Artikel veröffentlichte, in welchem sie nicht nur zur Hilfe bei Auskunfterteilung, in der kommunalen Arbeit, der Kinderfürsorge und der Kranken- und Wöchnerinnenhilfe aufforderte, sondern auch zur Zusammenarbeit mit eben jenem NFD.93 Verwunderlich ist nicht nur die inkonsequente Position Zietz‘, sondern auch die Tatsache, dass ein solcher Artikel überhaupt hatte in der „Gleichheit“ erscheinen können. War es vielleicht der sich verschlechternde Gesundheitszustand Zetkins gewesen, der eine günstige Gelegenheit dafür gegeben hatte? Des Öfteren zwangen nun gesundheitliche Probleme Zetkin, ihre Redaktionsarbeit zu vernachlässigen. Die Rolle ihrer „Koredakteure“ wurde während des Krieges immer bedeutsamer, aber durch die herrschende Zensur für männliche sozialdemokratische Redakteure auch immer gefährlicher. Am 1. August 1914 sollte Otto Krille (1878-1954)94 – ohnehin ein rühriger Mitarbeiter der „Gleichheit“ und Verfasser zahlreicher Gedichte95 – die zweite Schriftleitung, also vornehmlich die Redaktion der Beilagen, übernehmen. Dazu kam es allerdings nicht, weil er als Soldat einberufen wurde. Auch Clara Zetkins Sohn Konstantin Zetkin (1885-1980), der Krille daraufhin kurzfristig ersetzte und vermutlich mit dem Kürzel kz. zeichnete, wurde im März 1915 erste öffentliche Rede. 1900-1908 hatte sie das Amt der Vertrauensperson Hamburgs inne und war Mitglied im Parteivorstand der Hamburger SPD. 1908 wurde Zietz das erste weibliche Mitglied im Vorstand einer politischen Partei, sie wurde „Reichsfrauensekretärin“ der SPD. Zietz war neben Zetkin die erfolgreichste Agitatorin der SPD und besaß ein besonderes rednerisches Talent, so dass man sie auch als den „weiblichen Bebel” bezeichnete. Zu Beginn des Krieges noch auf SPD-Kurs und Unterstützerin des NFD, änderte sich ihre Position grundlegend. 1917 erfolgte daraufhin ihre Entlassung aus dem Amt der Reichsfrauensekretärin, als welche sie viele Broschüren und Flugschriften verfasst hatte. Sie trat in die USPD ein und wurde in dessen Parteivorstand ebenfalls Frauensekretärin. 1919 wurde Zietz in die Nationalversammlung, 1920 in den Reichstag gewählt. 1922 erlitt sie während einer Rede im Reichstag einen Ohnmachtsanfall und starb am nächsten Morgen. 93 Zietz, Luise: Unsere Aufgaben. In: GL, 24/ 24/ 28.08.1914/ 371. Von dieser Haltung distanzierte Zietz sich im Juni 1915 wieder, indem sie einen von Karl Liebknecht verfassten offenen Brief gegen den Krieg unterschrieb. Sie wurde schließlich ein überzeugtes Mitglied der USPD. Antje Dertinger vermutet jedoch, dass Luise Zietz, hätte sie die Wiedervereinigung von USPD und SPD erlebt, sich wieder der sozialdemokratischen Mehrheit angeschlossen hätte (vgl. Dertinger, Frauen im Reichstag, S. 4). 94 Otto Moritz Krille, der auch unter dem Pseudonym Eugen Tubandt schrieb, wurde im sächsischen Börnersdorf geboren und entstammte sehr ärmlichen Verhältnissen. Von 1891-1893 besuchte er eine Soldatenknaben- Erziehungs-Anstalt, brach dann aber eine Ausbildung zum Unteroffizier ab. Er lebte bis 1900 als Fabrikarbeiter in Dresden und begann für sozialdemokratische Blätter Gedichte zu schreiben. Dank einer Gönnerin konnte er in Berlin verschiedene Universitäten besuchen. Er wurde Redakteur verschiedener sozialdemokratischer Zeit- schriften in Harburg und Stuttgart und Schriftleiter der literarischen Wochenschrift „Die Lese“ (1910-1920). Krille gehörte schließlich dem revisionistischen Flügel der SPD an. Aus dem Ersten Weltkrieg kehrte er mit einem Nervenleiden zurück. Krille war Mitbegründer des überparteilichen Bündnisses zum Schutz der Weimarer Republik „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ und wurde, nun in München lebend, dessen Gausekretär für Oberbayern-Schwaben. 1933 emigrierte er nach Zürich. Besonders in den Jahren 1903 bis 1914 war Krille schriftstellerisch produktiv: „Aus engen Gassen“ (1904), „Aus Welt und Einsamkeit“ (1905), „Neue Fahrt“ (1908) und „Das stille Buch“ (1913). Das autobiographische Werk „Unter dem Joch. Geschichte einer Jugend“ erschien 1941. 95 Eines seiner Gedichte trägt den Titel „Maria Lwowna Berditschewskaja“ und ist, weil es den zu dieser russischen Revolutionärin verfassten biographischen Artikel ergänzte, im Anhang enthalten. 105 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) zum Kriegsdienst verpflichtet.96 Er übergab den Posten an Edwin Hoernle (1883-1952)97. Sehr plötzlich musste dieser dann sogar „[d]ie Last der ganzen Redaktionsarbeit“98 alleine tragen, denn Zetkin hatte ein von der internationalen Frauenfriedenskonferenz in Bern99 verfasstes illegales Flugblatt mit dem Titel „Frauen des arbeitenden Volkes!“ verteilt und war dafür von August bis Oktober 1915 in Untersuchungshaft genommen worden. Auch im September 1916 war es Hoernle und nicht Zetkin, der als „Gleichheit“-Redakteur mit beratender Stimme am Berliner SPD- Parteitag teilnahm.100 Während seiner Zeit als „Gleichheit“-Redakteur wurde Hoernle zweimal wegen antimilitaristischer Aktionen erst in Untersuchungshaft genommen und anschließend zum Kriegsdienst einberufen.101 Die Inhaftierung Zetkins und die Schwierigkeiten, sie zu vetreten, machten es sogar zeitweise erforderlich, dass die Redaktionssekretärin Johanna Buchheim (?-?)102 die Aufgabe der ver- 96 Hier die Titel einiger seiner „Gleichheit“-Artikel: [Zetkin, Konstantin?] Kz.: Der Kaiser und die Frauen. In: GL, 20/ 25/ 12.09.1910/ 386-387; Der Sohn seines Vaters. In: GL, 22/ 05/ 27.11.1911/ 67; Scherben. In: GL, 22/ 18/ 29.05.1912/ 273 (Leitartikel); Süß und ehrenvoll ist es, fürs Vaterland zu sterben. In: GL, 24/ 03/ 29.10.1913/ 41- 42. Die Zusammenarbeit mit seiner Mutter scheint sich schwierig gestaltet zu haben. Zetkin war wenig begeistert von der Tätigkeit für die „Gleichheit“ und wäre lieber seiner Leidenschaft für das Bergsteigen nachgegangen. Dies und seine Neigung zum Müßiggang beschreibt Ettinger in ihrer Biographie zu Rosa Luxemburg, die eine Liebesbeziehung mit Konstantin Zetkin hatte (vgl. Ettinger, Rosa Luxemburg, S. 177). 97 Edwin Hoernle wurde im württembergischen Cannstatt geboren und war Sohn eines Pfarrers und Missionars, weshalb er einige Zeit seiner frühen Kindheit in Indien verbrachte. Nach Privatunterricht, Besuch einer Lateinschule schlug auch er zuerst die Laufbahn eines Theologen ein und studierte 1904-1908 in Tübingen und Berlin. 1909 aber gab Hoernle den theologischen Beruf auf, brach mit seiner Familie und siedelte nach Berlin über. 1910 trat er in die SPD ein und arbeitete seitdem als Redakteur für verschiedene SPD-Blätter. 1912 über - nahm Hoernle die Redaktion der „Schwäbischen Tagwacht“ (1890-1933) in Stuttgart, die er jedoch wegen seines Engagements gegen den Burgfrieden 1914 verlassen musste. 1915 wurde er Leiter des Druckschriftenvertriebes der Gruppe Internationale. Im November 1918 war Hoernle Mitglied im Arbeiter- und Soldatenrat Groß-Stuttgart und schließlich Gründungsmitglied der KPD, in deren Zentralkomitee er 1920 Mitglied wurde. Er engagierte sich besonders in Bildungs- und Jugendfragen, aber auch in Fragen der Agrarwirtschaft und wurde ein führender kom- munistischer Politiker, bekleidete hohe Ämter und wurde zu verschiedenen internationalen Kongressen delegiert. 1933 emigrierte er im Auftrag der KPD erst in die Schweiz und dann in die Sowjetunion, wo er wiederum ver- schiedene Ämter in der Agrarpolitik übernahm. 1938 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. 1942 arbeitete Hoernle als Lehrer in der ersten Schule für deutsche Kriegsgefangene im Lager Oranki. 1945 kehrte Hoernle nach Deutschland zurück und war in der SBZ maßgeblich an den Bodenreformen beteiligt. Ab 1949 bekleidete er einen Lehrstuhl für Agrarpolitik. 98 Die Maßregelung der Redaktion der Gleichheit. In: Frauen-Beilage der „Leipziger Volkszeitung“, 01/ 01/ 29.06.1917/ 2-3. 99 Zur Friedensbewegung der deutschen Frauen siehe: Hering/Wenzel, Frauen riefen, aber man hörte sie nicht. 100 Vgl. Protokoll des SPD-Parteitages Berlin 1916, S. 183. 101 Hoernle und seine Ehefrau Helene (?-?) wurden im August 1916 wegen „Aufruhrs“ verhaftet. Seine Ehefrau wurde wegen Krankheit wieder entlassen, Hoernle aber wurde im September zwar nicht wegen Aufruhrs, aber wegen „Auflaufs“ zu vier Wochen Haft verurteilt (vgl. Im Stuttgarter Aufruhrprozeß … In: GL, 26/ 26/ 15.09.1916/ 191; Verhaftungen in Stuttgart. In: GL, 26/ 23/ 04.08.1916/ 175. 102 Marie Johanna Buchheim war nicht nur eine Mitarbeiterin Clara Zetkins, sie war durch ihre Heirat mit Maxim Zetkin im April 1919 auch deren Schwiegertochter. Sie brachte im Februar 1922 in Stuttgart Sohn Wolfgang zur Welt. Doch die Ehe scheiterte und wurde in den 1920er Jahren wieder geschieden. Briefe von ihr sind im Zetkin- Nachlass des Bundesarchivs enthalten. In Publikationen zum Leben Clara Zetkins fand sie bisher keinerlei Er- wähnung. Vermutlich war sie die Tochter des Postbeamten und späteren Buchhändlers Ewald Buchheim (?-1912), der außerdem mehr als 20 Jahre als Leiter der Buchhandelsabteilung des Dietz Verlages und damit im Versand der „Gleichheit“ tätig gewesen war und in einem Nachruf geehrt wurde (vgl. Ewald Buchheim †. In: GL, 22/ 11/ 106 2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG antwortlichen Redakteurin übernahm. So wurden Nummer 24, 25 und 26 des 25. Jahrgangs, Nummer 1 und 2 des 26. Jahrgangs und auch die Nummer 1 und 2 der Beilage „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ vertretungsweise von Buchheim redigiert.103 Die Leitartikel dieser Nummern behandelten u. a. aktuelle Entwicklungen und Alltagsprobleme der Bevölkerung und ihr Duktus lässt eher auf Buchheim als Verfasserin schließen. Im Falle, dass sie quasi noch der Schublade Zetkins entnommen worden wären, hätten sie entsprechend gezeichnet werden müssen.104 Zetkin bezog zwar in der „Gleichheit“ eine deutliche und prinzipielle Position gegen den Krieg – konsequent antimilitaristisch und dem proletarischen Internationalismus verpflichtet – doch sah auch sie in ähnlicher Weise wie die bürgerlichen und später mehrheitssozialdemokratischen Frauen in ihm einen Prüfstein für die „Pflichterfüllung“ der Frau: „In allen Ländern hat der Krieg helles Licht darauf geworfen, wie wertvoll, wie unentbehrlich die Mitarbeit der Frauen auf wirtschaftlichem Gebiet, wie im öffentlichen Leben ist, wie bedeutungsvoll ihr häusliches Walten. In reichem Maße und mit größter Selbstlosigkeit erfüllen die Frauen in dieser schweren Zeit Bürgerpfl ichten . In der Zukunft hat das nicht nur noch mehr zu geschehen, sondern dem Eifer, der Hingabe muß auch die Einsicht in das gesellschaftliche Getriebe und Geschehen ebenbürtig sein, und die Zielklarhei t des Wol lens und Handelns , die daraus erwächst.“105 Zetkin stellte der nationalistischen Prägung des weiblichen Eifers, seiner patriotischen Verklärung, wie sie der NFD betrieb, die sozialistische Weltanschauung, die Überzeugung von der Not- wendigkeit einer revolutionären Umwälzung der Gesellschaft entgegen. Angesichts des enttäuschenden Scheiterns internationaler sozialistischer Solidarität konstatierte sie für die „Gleichheit“: „Denn weit davon entfernt, eine Abschwächung und Abstumpfung der sozialistischen Auffassung gesellschaftlicher Dinge zu lehren, predigt der Krieg mit gewaltiger Stimme die Notwendigkeit der klarsten Herausarbeitung, der größten Vertiefung der sozialistischen Aufassung, als der unerschütterlichen 19.02.1912/ 170). 103 Vgl. GL, 25/ 24/ 20.08.1915/ 164 bis GL, 26/ 02/ 15.10.1915/ 16. Auf der letzten Seite jeder Nummer ist folgender Vermerk zu finden: „Verantwortlich für die Redaktion: In Vertretung Hanna Buchheim in Stuttgart.“ (ebd., S. 164). 104 [Buchheim, Johanna?:] Die neuen Höchstpreise. In: GL, 25/ 24/ 20.08.1915/ 157-158; Der Reichstag. In: GL, 25/ 25/ 03.09.1915/ 165-166 (hierin entlarvte Buchheim anhand der Reichstagsdebatten den Verteidigungskrieg als Expansionskrieg). In Nummer 26 stand an der Stelle eines Leitartikels lediglich die für die letzte bzw. erste Nummer eines Jahrgangs obligatorische „Einladung zum Abonnement“ (GL, 25/ 26/ 17.09.1915/ 173); Frauenarbeit und Frauenlöhne während des Kriegs. In: GL, 26/ 01/ 01.10.1915/ 1-3; Eine vorübergehende Erscheinung? In: GL, 26/ 02/ 15.10.1915/ 9-10 (dieser Leitartikel kritisierte die Aufhebung der Arbeitsschutz- bestimmungen seit Beginn des Krieges und zeigte die Schattenseiten der Frauenarbeit auf, zumal die meisten neu ins Erwerbsleben gestoßenen Frauen unorganisiert waren. Buchheim nahm nicht an, dass sich an deren Ausbeutung in Friedenszeiten etwas ändern würde). 105 Die Redaktion und der Verlag: Einladung zum Abonnement. In: GL, 25/ 26/ 17.09.1915/ 173. 107 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Grundlage für die künft ige Einheit des Erkennens, Wol lens und Handelns .“106 Kämpfte die „Gleichheit“ im Interesse der Arbeiterinnen auch für Reformen innerhalb der bürger- lichen Gesellschaft, so wollte sie doch auch weiterhin für die „Ablösung dieser Ordnung durch den Sozial ismus kämpfen“107. Sie propagierte damit einen Kampf, der dem Interesse des Burgfriedens zuwiderlief – wie auch so manche andere Position, die Zetkin in der „Gleich- heit“ vertrat. Seit der ersten Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale 1907 in Stuttgart war die „Gleichheit“ deren offizielles Organ, Zetkin ihre Sekretärin. In Erfüllung dieses Amtes versuchte sie während des Krieges und trotz aller Schwierigkeiten, die durch Militärbehörden und durch die Zensur entstanden, den Kontakt zu den internationalen Genossinnen aufrechtzuerhalten. Den massiven Eingriffen der Zensurbehörden schlug Zetkin sozusagen ein Schnippchen, indem sie die zensierten Stellen demonstrativ als weiße Lücken stehen ließ.108 Der Leitartikel der Nr. 12 des Jahres 1915 wurde sogar derart zusammengestrichen, dass nicht mehr festzustellen ist, welches gefährliche Thema er behandelt haben mag.109 Besonders gründlich wurden jene Artikel zensiert, die Zetkin zur Berner Frauenkonferenz oder zu ihrer Verhaftung veröffentlichte.110 Bei manchen Artikeln ist es wiederum verwunderlich, dass sie die Zensur überhaupt unbeanstandet passieren konnten.111 Die Zensur beeinträchtigte aber nicht nur das Erscheinungsbild, sondern zuweilen auch den Erscheinungszeitpunkt einer Nummer.112 In einem Brief an ihre Freundin und niederländische 106 Ebd. 107 Ebd. 108 Erstmals bemerkbar wird diese Besonderheit an dem Leitartikel „Unsere Aufgaben in den Organisationen.“ (In: GL, 25/ 01/ 02.10.1914/ 1-2). Zetkin schreibt darin etwas doppeldeutig: „Wer im voraus im Geiste die Lücken abzuschätzen pflegte, die scharfe soziale Zusammenstöße den gewerkschaftlichen und politischen Organisationen des Proletariats kosten konnten, der wird jetzt traurig kaum wissen, wo mit Feststellen, Zählen und Vergleichen beginnen.“ (ebd.). Vormschlag gibt an, dass diese Möglichkeit des Protestes Zetkin schließlich verboten worden sei. Sie macht jedoch keine Angabe von wem oder wann (vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 99). 109 Vgl. GL, 25/ 12/ 05.03.1915/ 69-70. 110 Vgl. Ausländische Urteile über die Internationale Sozialistische Frauenkonferenz zu Bern. In: GL, 25/ 17/ 14.05.1915/ 103-104 (dieser Beitrag enthielt hauptsächlich Artikel aus englischen Arbeiterzeitungen) und vgl. Zetkin, Klara: Dank. In: GL, 26/ 03/ 29.10.1915/ 20 (Zetkin wollte in diesem Artikel verschiedenen Genossen und Genossinnen danken, die mit Sympathiebezeugungen auf ihre Verhaftung und Freilassung reagiert hatten. Die genannten Namen wurden jedoch zensiert). 111 Z. B. Libertas: Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Serbien. In: GL, 27/ 04/ 24.11.1916/ 27-28 oder Zietz, Luise: Märzforderungen und Maiwünsche der Frauen. In: GL, 25/ 18/ 28.05.1915/ 110-111 (Zietz berichtete darin vom Verlauf des Frauentages und der Maifeiern, die aufgrund der Zensur nicht als Massenagitation, sondern in Form von Mitgliederversammlungen stattfinden mussten. Ein darin enthaltenes „Maigelöbnis der Frauen“ beschwörte den Internationalismus des sozialistischen Gedanken. Es sei ein Gelöbnis, das „nun auch zu halten, […] Ehrenpflicht aller Genossinnen [sei]!“ (ebd., S. 111)). 112 Vgl. Die Redaktion: An unsere Leserinnen! GL, 26/ 13/ 17.03.1916/ 93. 108 2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG Kampfgefährtin Heleen Ankersmit (1869-1944)113 erklärte Zetkin, dass bereits im August 1914 die Nummer 23 der „Gleichheit“, demnach die erste Kriegsnummer, konfisziert worden sei.114 Doch hatte die Ausgabe von den Behörden nach einigen Wochen wieder freigegeben werden müssen. So ist tatsächlich im Erscheinungszeitraum der „Gleichheit“ keine Lücke festzustellen. Die „Gleichheit“ beobachtete während des Krieges außerdem sehr aufmerksam den Umgang der Zensurbehörden mit anderen linken Presseorganen. So auch die Geschehnisse um die von Franz Mehring115 und Rosa Luxemburg (1871-1919)116 herausgegebene Monatsschrift „Die Inter- nationale. Zeitschrift für Theorie und Praxis des Marxismus“ (1915-1939[?]). Über diese war eine „Präventivzensur“ verhängt worden, weil sie den Burgfrieden gestört habe.117 Auch von der zensurähnlichen Einflussnahme der SPD-Parteileitung auf diejenigen SPD-Organe, deren Redak- tionen in den Händen linksoppositioneller Sozialdemokraten lagen, berichtete die „Gleichheit“. 113 Heleen (Gerharda Johanna Helena) Ankersmit wurde im niederländischen Deventer geboren. Sie war Tochter eines Textilfabrikanten. 1908 siedelte sie nach Amsterdam über, wo sie erst Mitglied und 1909 internationale Sekretärin des „Bond van Sociaal-Democratische Vrouwenpropagandaclubs“ (BSDVC) wurde. Ankersmit schrieb außerdem für dessen Vereinsorgan „De Proletarische Vrouw“ (1905-1940) und war Rednerin auf dem ersten in der Niederlande abgehaltenen Internationalen Frauentag am 8. Mai 1912. Sie war Delegierte verschiedener internationaler Kongresse. Seit der zweiten Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale 1910 in Kopenhagen war sie mit Zetkin befreundet. Während des Krieges teilte sie deren antimilitaristische Position und war 1915 maßgeblich an der Verbreitung der Beschlüsse der Zimmerwalder Konferenz beteiligt. Nachdem die niederländische Sozialdemokratie beschlossen hatte, eine Regierungskoalition mit den bürgerlichen Parteien einzugehen, legte Ankersmit 1918 ihr Amt als Sekretärin des BSDVC nieder. Sie trat dem „Revolutionair- Socialistische Vrouwenbond“ (RSVB) bei und nahm 1921 an der zweiten internationalen kommunistischen Frauenkonferenz in Moskau teil. 114 Vgl. Clara Zetkin in einem Brief an Heleen Ankersmit, 03.12.1914. Zit. nach: Clara Zetkin. Ausgewählte Reden und Schriften, S. 639-656, S. 647. Dieser Brief beschrieb weitere Zensurmaßnahmen gegen die „Gleichheit“ und Zetkins Selbsteinschätzung als internationale Sozialistin. Weitere wertvolle und bis dahin unveröffentlichte Briefe von Zetkin an Ankersmit erschienen 1967: Eildermann, Unveröffentlichte Briefe Clara Zetkins an Heleen Anker- smit. 115 Der Redakteur, Historiker und Politiker Franz Mehring kann vermutlich als guter Freund und Kampfgefährte Zetkins charakterisiert werden, nicht jedoch als ein Mitarbeiter der „Gleichheit“. Zumindest diejenigen seiner geschichtswissenschaftlichen Artikel, die von der vorliegenden Auswertung erfasst wurden, waren alle zuvor in der „Neuen Zeit“ erschienen (siehe: „Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der ‘Gleichheit’“). 116 Rosa Luxemburg wurde im polnischen Zamosz geboren. 1880-1888 besuchte sie das Gymnasium in Warschau und engagierte sich bereits während der Schulzeit in der polnischen Revolutionär-sozialistischen Partei. Nach bestandenem Abitur emigrierte Luxemburg 1889 in die Schweiz, wo sie ein Studium der Naturwissenschaften, Mathematik, Staatswissenschaft und Nationalökonomie aufnahm. Dieses schloss sie 1899 mit einer Promotion ab. Sie wurde tätig als Journalistin und Schriftstellerin und Mitglied der Polnischen Sozialistischen Partei, später der Sozialdemokratischen Partei Polens. Zeitweise lebte Luxemburg in Frankreich, ging dann aber eine Scheinehe mit dem Schriftsetzer Gustav Lübeck ein, um auf diese Weise die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Sie wurde Mitarbeiterin der „Sächsischen Arbeiterzeitung“ (1889-1908) in Dresden und schrieb auch für die „Neue Zeit. Ab 1902 wurde Luxemburg für kurze Zeit die Chefredakteurin der „Leipziger Volkszeitung“. Ab 1915 gab sie die „Internationale“ heraus und ab 1916 die „Spartakus-Briefe“. Mehrmals wurde sie während des Ersten Weltkrieges verhaftet, weil sie gegen den Krieg und für die Erhebung der Massen agitierte. 1918/19 war Luxemburg Gründungsmitglied der KPD. Sie wurde am 15.01.1919 von Mitgliedern der Reichswehr brutal ermordet und in den Berliner Landwehrkanal geworfen. 117 Vgl. Die „Internationale“ unter Präventivzensur. In: GL, 25/ 18/ 28.05.1915/ 114. Zetkin rief in diesem Artikel außerdem dazu auf, notfalls den Friedensschluss „über die Köpfe der verfassungsmäßig berufenen Stellen hinweg“ (ebd.) herbeizuführen. 109 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Ihre oppositionellen und den Burgfrieden hinterfragenden Meinungen wurden dem Parteivorstand daher zunehmend unbequem. Tatsächlich waren die Entlassungen verschiedener Redaktionen zentraler Parteiorgane, die die radikale „Parteiminderheit“ vertraten – darunter der „Vorwärts“ und die „Neue Zeit“ –, nur ein Vorgeschmack darauf, was mit der „Gleichheit“ geschehen sollte. Doch noch begnügten sich Parteivorstand und Gewerkschaften damit, Zetkin zwar nicht die Redaktion der „Gleichheit“, dafür aber ihr bzw. ihrem radikalen Einfluss die Leserinnen zu entziehen. Bereits auf einer vom 5.-7. April 1915 in Berlin stattfindenden Konferenz der Vertreter der gewerkschaftlichen Verbandsvorstände hatte man angesichts der vermeintlichen Unzuläng- lichkeiten der „Gleichheit“ die Neugründung einer Frauenzeitschrift beschlossen.118 Die General- kommission der Gewerkschaften Deutschlands gründete die „Gewerkschaftliche Frauenzeitung“, was anlässlich ihres ersten Erscheinens im Januar 1916 von der „Gleichheit“ sehr sachlich kommentiert wurde: „Eine gewerkschaftliche Frauenzeitung erscheint seit dem 1. Januar vierzehntäglich. Ihre Gründung entspricht dem Beschluß der Konferenz von Gewerkschaftsvorständen, den wir seinerzeit mitgeteilt und gewürdigt haben. Das Blatt erscheint im Verlag von Karl Legien, Berlin. Verantwortliche Redakteurin ist Genossin Gertrud Hanna, die erfahrene Gewerkschaftssekretärin, die sich eifrig um die Organisierung der Arbeiterinnen bemüht.“119 Falls Zetkin sich Gedanken über die destruktive Rolle dieses Konkurrenzblattes gemacht haben sollte, so hat sie diese jedenfalls ihren Leserinnen nicht mitgeteilt. Sie würdigte stattdessen die Kompetenz ihrer Redakteurin Gertrud Hanna (1876-1944)120, die zuvor selbst u.a. auch für die „Gleichheit“ geschrieben hatte.121 Wie diese gewerkschaftliche Frauenzeitschrift schließlich gegen die „Gleichheit“ ausgespielt werden sollte, erfuhr Zetkin nicht aus erster Hand, sondern aus einem Artikel der „Leipziger 118 Vgl. Die Gründung eines gewerkschaftlichen Frauenblattes für die organisierten Arbeiterinnen … In: GL, 25 / 23 / 06.08.1915 / 154-155. 119 Eine gewerkschaftliche Frauenzeitung … In: GL, 26/ 10/ 04.02.1916/ 76. 120 Gertrud Hanna wurde in Berlin geboren und im Alter von 14 Jahren Buchdruckereihilfsarbeiterin. Sie trat 1893 der Gewerkschaft bei. 1907 wurde sie Gewerkschaftsangestellte und arbeitete als Sekretärin des gewerkschaftl- ichen Arbeiterinnenkomitees. Sie wurde damit zur Leiterin der gewerkschaftlichen Frauenagitation. 1916 übernahm sie die Redaktion der „Gewerkschaftlichen Frauenzeitung“. Während des Ersten Weltkrieges arbeitete sie eng mit der bürgerlichen Frauenbewegung zusammen. 1919-1933 war Hanna Abgeordnete des preußischen Landtages. 1944 nahm sie sich das Leben. 121 Hanna, Gertrud: Maigedanken. In: GL, 21/ 15/ 24.04.1911/ 226-267; Bürgerliche Reformversuche. In: GL, 21/ 18/ 05.06.1911/ 276-278; Bürgerliche Reformversuche. (Schluß.) In: GL, 21/ 19/ 19.06.1911/ 291-293. Später schrieb Hanna für die „neue“ „Gleichheit“: Hanna, Gertrud: Zur Frage des Frauenwahlrechts zu den Gewerbe- und Kaufmannsgerichten In: GL, 30/ 48/ 27.11.1920/ 389-390; Die Frauen und der 20. Februar. In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 29; Die dritte Internationale Arbeiterkonferenz. In: GL, 31/ 24/ 15.12.1921/ 235-236; Vom internationalen Friedenskongreß im Haag. In: GL, 33/ 01/ 01.01.1923/ 2-3; August Bebel und die Gewerkschaften. In: GL, 33/ 15/ 01.08.1923/ 122-123. 110 2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG Volkszeitung“ (seit 1894), den sie in der „Gleichheit“ zitierte. Ausgerechnet eine württem- bergische Frauenkonferenz hatte beschlossen, dass die von der Wahl-Württembergerin Zetkin geführte „Gleichheit“ durch die „Gewerkschaftliche Frauenzeitung“ zu ersetzen sei, wenn sie ihre Haltung nicht ändern und vor allem der Meinung der Parteimehrheit nicht mehr Raum geben sollte. Die „Leipziger Volkszeitung“ mutmaßte, dass dieser Konferenzbeschluss „‘bestellte Arbeit’“122 gewesen sei. Die „Leipziger Volkszeitung“ sah hinter diesen Vorgängen bereits den Parteivorstand arbeiten, der sowohl die „Neue Zeit“ als auch die „Gleichheit“ im Handstreich übernehmen wolle. Die „Chemnitzer Volksstimme“ (1891-1933) dagegen stützte den Beschluss der württembergischen Genossinnen, indem sie behauptet, Zetkin sei bereits seit zwei Jahren nicht mehr der SPD zugehörig. Zetkins Antwort auf all diese Vorwürfe setzte zuerst an dem letzten Argument und dessen Entkräftigung an: „Die Ablehnung der Gemeinschaft mit der blauen Sonderorganisation in Stuttgart, die unseres Dafürhaltens entgegen der Parteisatzung gegründet wurde, ist nicht gleichbedeutend mit der Nichtzugehörigkeit zur Sozialdemokratie, solange der Parteitag nicht die Frage entschieden hat, welche der beiden Stuttgarter Gruppen zu Recht besteht.“123 Sie sah es also nicht als notwendig erwiesen an, dass eine Nichtzugehörigkeit zu einer mehrheitssozialdemokratischen Gruppe sie automatisch aus der gesamten SPD ausschlösse. Der Vorwurf, Zetkin sei bereits seit längerer Zeit nicht mehr Parteimitglied und zahle auch ihre Partei- beiträge nicht mehr an die SPD, wurde ihr später aber dennoch auch im Parteiausschuss gemacht. 124 Als Rechtfertigung für die Haltung der „Gleichheit“ konstatierte Zetkin: „Nach uns zugegangenen Korrespondenzen sind wir bis jetzt der Meinung, daß die grundsätzliche Haltung der „Gleichheit“ im allgemeinen der grundsätzlichen Auffassung entspricht, die die übergroße Mehrzahl unserer Genossinnen beseelt. Ob diese Meinung richtig oder irrig ist, wird die von den Genossinnen ersehnte Reichskonferenz der sozialdemokratischen Frauen erweisen oder auch der nächste Parteitag. Fällt die Entscheidung gegen die grundsätzliche Haltung der Zeitschrift aus, so weiß Genossin Zetkin, was sie zu tun hat. Die Überzeugung geht vor dem Amte. Die Redaktion der ‘Gleichheit’.“125 122 Leipziger Volkszeitung, Nr. 284 (19.12.1916). Zit. nach: Ein Handstreich gegen die „Gleichheit“? In: GL, 27/ 08/ 19.01.1917/ 54-55, S. 54. Anna Blos war später nicht nur der Meinung, dass Zetkin sich nicht um die Beschwerden gekümmert habe – was m.E. falsch ist –, sie schrieb außerdem ihr jenen Ausspruch von der „be- stellten Arbeit“ zu (vgl. Blos, Die Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 90). Tatsächlich handelte es sich aber wie dargestellt um eine Einschätzung der „Leipziger Volkszeitung“. 123 Ein Handstreich gegen die „Gleichheit“? In: GL, 27/ 08/ 19.01.1917/ 55. 124 Vgl. Protokoll des SPD-Parteiausschusses vom 18. und 19. April 1917, S. 21f. 125 Ein Handstreich gegen die „Gleichheit“? In: GL, 27/ 08/ 19.01.1917/ 55. 111 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Zetkin sah nur die Institutionen der Frauenkonferenz oder den Parteitag als berechtigt an, sie in ihrer Haltung zu bestätigen oder zurechtzuweisen. Da diese jedoch während des Krieges bedingt durch Zensur und Burgfrieden nicht zusammentreten würden, sah sie sich in einem mehr oder weniger rechtlosen Raum und als letztlich entscheidende Instanz anerkannte sie nur ihr Gewissen. Sie betonte damit auch, dass sie nach dem entsprechend formulierten Willen einer entsprechend befugten Institution durchaus bereit sei, Konsequenzen zu ziehen und die „Gleichheit“ zu verlassen. Einen gewissen Rückhalt hatte man Zetkin in einer bereits im September 1916 abgehaltenen Konferenz der Sozialdemokratinnen Großberlins gegeben. Auf dieser waren die radikalen Genossinnen eindeutig in der Mehrheit und sie lobten die vorbildliche Haltung der „Gleichheit“. Zwei Monate später jedoch, am 26. November 1916, hatte in Stuttgart jene bereits erwähnte Versammlung der sozialdemokratischen Frauen Württembergs stattgefunden126, die eindeutig durch die Parteimehrheit dominiert wurde und die mit der Sabotage der „Gleichheit“ drohte. Die sozialdemokratischen Frauen waren demnach genauso gespalten wie der Rest der Partei. Diese Spaltung drückt sich auch in den Briefen an die „Gleichheit“-Redaktion aus. Sie enthalten sowohl weitere Kritik als auch Unterstützung. Meist veröffentlichte Zetkin beides nebeneinander stehend, um bei den Leserinnen keinen unerwünschten Eindruck entstehen zu lassen. Auch folgender Brief mehrheitssozialdemokratischer Frauen aus Darmstadt wurde veröffentlicht und wird hier als ein Beispiel für den Umgang Zetkins mit den von ihrer Position abweichenden Meinungen komplett und auch mit seinen Rechtschreibfehlern wiedergegeben: „‘An die Leitung der Redaktion der ‘Gleichheit’ in Händen Klara Zetkin, Stuttgart! Durch die immer, sich dauernder Steigerung, mit der die soz. Minderhei t in dem Frauenorgan ‘Gleichheit’ Platz nimmt, steigert sich der Unmut der Mehr- hei ts -Frauen, die gerade in Hessen in überwältigender Zahl sind, daß das soz. Organ für die Frauen im Mehrheits-Sinne keinen Raum zusteht, bzw. dauernd die Mehrheits-Fraktion in unnatürlicher Weise verlästert, um etwa vorhandene Frauen, die im Mehrheits-Sinne denken umzubringen und als Streiter für die Minder- heit zu ertz iehen! Diese Handlungsweise verdient bald öffentlich gebrandmarkt zu werden, wenn diese Zuschrift Sie nicht eines besseren belehren sollte. Auch nach dem Kriege werden die soz. Frauen schon bereit sein, um der heutigen, nur zur Hälfte dienenden Redaktion ein klägliches Ende zu bereiten. Eine evt. öffentliche Antwort Ihrerseit in der ‘Gleichheit’ würden wir in der nächsten Num- mer gerne erhoffen. Auch werden wir uns im Falle Ablehnung unserer Forderungen dem Beispiel Würt temberg folgen, und die ‘Gleichheit’ sofort abbestellen! Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang! Dies sollten Sie sich auch beherzigen; denn 126 Vgl. Blos, Die Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 90. 112 2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG nach dem Kriege wird mit allen Minderheits-Phantasten formell aufgeräumt! Also Redefreiheit für die Soz. Mehrhei ts -Frauen! Gleiches Recht für alle! Mehrere Mehrheits-Frauen aus Darmstadt! Sollten ihnen dies wegen evt. fehlender Namensunterschrift nicht glaubhaft sein, so werden wir jederzeit bereit Sie später anzugeben.’“127 Es ist auffällig, dass Zetkin im Falle dieses Briefes nur mäßig ihrer redaktionellen Aufgaben nachgekommen war. Statt Rechtsschreibungs- oder Verständnisfehler zu korrigieren, hob sie sie teilweise sogar noch hervor, um sie lächerlich zu machen. Dadurch, dass die Verfasserinnen vorerst anonym bleiben wollten, liegt jedoch auch der Verdacht nahe, dass es sich um einen von Zetkin absichtlich falsch gelesenen und gesetzten Brief handeln könnte. Zetkins Kommentar zu dieser Einsendung bleibt jedenfalls unerwartet zurückhaltend: „Wir glauben, dem Wunsch der Einsenderinnen nach Öffentlichkeit durch den Abdruck des Briefes im weitesten Maße zu erfüllen. Jeder halbwegs anständige Mensch wird jedoch begreifen, weshalb wir auf eine Beantwortung verzichten. Die Redaktion der ‘Gleichheit’“128 Ihre Antwort gab Zetkin im Prinzip in jeder Nummer der „Gleichheit“, indem sie trotz der immer bedrohlicher werdenden Situation im Bezug auf ihren Posten als verantwortliche Redakteurin an ihrer Meinung festhielt. Auf diese reale Bedrohung verwies M.R. in einem Artikel, der nochmals die Position jener Großberliner Frauenkonferenz wiedergab. Er/sie schreibt dort: „Wir haben ferner zu wachen, daß uns unser Frauenorgan, die ‘Gleichheit’, nicht entrissen wird. Die Anzeichen mehren sich, daß etwas im Werk ist. Anregungen dazu gehen dem Parteivorstand von verschiedenen Seiten zu. […] Die glänzenden Erfolge mit der Strangulierung von Minderheitsblättern eifern zur Nachahmung an.“129 Die Situation war jedoch auch etwas verfahren, denn der Parteivorstand behauptete stets, die Mehrheit der Frauen werde durch Mehrheitssozialdemokratinnen gebildet. Zetkin dagegen sah die Mehrheit der Frauen im Lager der Minderheit stehen, weil sie den Krieg grundsätzlich ab- lehnten.130 Laut einer Auflistung des Frauensekretariats von 1915, beteiligten sich in 29 von 39 Berliner Parteibezirken die sozialdemokratischen Frauen an der Arbeit in der Kriegswohlfahrtspflege, d. h. 127 Gegen die grundsätzliche Haltung der „Gleichheit“. In: GL, 27/ 08/ 19.01.1917/ 55. 128 Ebd. 129 M. R.: Von der Konferenz der Parteifunktionärinnen und der in der Gemeinde tätigen Genossinnen von Groß- Berlin… In: GL, 27/ 10/ 16.02.1917/ 67-69, S. 68. 130 Tatsächlich ist zu betonen, dass die Mitarbeit der Mehrheit von Sozialdemokratinnen im NFD nicht mit Kriegsbegeisterung gleichzusetzen und eine prinzipielle Ablehnung des Krieges nicht auszuschließen ist. Letztere hätte besonders von Sozialdemokratinnen jedoch nicht nur prinzipiell, sondern aktiv erfolgen müssen. 113 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) 10 Bezirke betrieben eine eigenständige soziale Arbeit.131 Zwar stimme ich Eifert zu, wenn sie schreibt, dass die Mitarbeit in der Wohlfahrtsarbeit nicht unbedingt mit Kriegsbegeisterung gleichzusetzen ist.132 Es ging in erster Linie darum, für aus einer Notsituation entstandenen Bedürfnissen praktische Lösungen zu finden und eine Solidarität zu üben, die über Partei- prinzipien hinausgeht. So gaben diese Frauen auch bei einem späteren Wechsel in die 1917 gegründete „Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (USPD) die Mitarbeit in der Kriegswohlfahrt nicht unbedingt auf.133 SPD- und USPD-Frauen führten ihre „traditionellen“ Prinzipien bis auf eine weiter: die Parteidisziplin. Frauen die zum Krieg und der Bewilligung der Kriegskredite die sogenannte „Minderheitenposition“ vertraten – und das dürfte die „Frauen- mehrheit“ gewesen sein – beugten sich nicht der Parteimehrheit und hielten still. Sie organisierten Widerstand, gingen auf die Straße und arbeiteten in der Kriegswohlfahrt – nicht für, sondern gegen den Krieg. Dieses rebellische Verhalten dürfte darauf zurückzuführen zu sein, dass die Frauen erst seit 1908 in der SPD integriert waren, „weder in der Partei noch in der parteieigenen Presse über einen nennenswerte Anzahl besoldeter und einflußreicher Funtionärinnen“134 verfügten und zuvor unter Zetkin, Zietz und anderen radikalen Frauen eine relativ autarke Organisation gebildet hatten. Zur Klärung der Frage, ob die Mehrheit aller sozialdemokratischen Frauen nun wirklich eher radikal oder eher gemäßigt war, kann verschieden verfahren werden. Zieht man die Mitglieder- statistik heran und die verhältnismäßig wenigen Übertritte zur USPD, so war sie wohl gemäßigt. Aber war es Überzeugung oder Behäbigkeit, welche die Mehrheit SPD-Mitglieder bleiben ließ? Die maßgeblichen Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung gingen aus Überzeugung zur USPD. Zieht man die Abonnementzahlen der „Gleichheit“ heran, so war es aus Sicht des Parteivorstandes allein Zetkins Verschulden, dass sie so rapide gesunken waren. Zugleich war für den Parteivorstand damit auch der Beweis für die mehrheitssozialdemokratische Gesinnung der weiblichen Parteimitglieder erbracht. Die Auseinandersetzungen mit dem Parteivorstand hatten aber ohnehin erst ab 1916 begonnen und wurden besonders massiv mit der Entlassung Zietz‘. Zu diesem jedoch Zeitpunkt waren die Zahlen bereits immens gesunken.135 131 Vgl. Eifert, Wann kommt das „Fressen“, wann die „Moral“?, S. 106. 132 Vgl. ebd, S. 108. 133 Vgl. ebd., S. 110. 134 Ebd., S. 111. 135 Anzahl der „Gleichheit“-Abonnements: 1914: 124.000, 1915: 46.500; 1916: 35.500. Siehe: Tabelle 7 „Abonnentinnen der ‘Gleichheit’“. 114 2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“ 2.2.2 Der Erste Weltkrieg, die Entlassung Zetkins im Mai 1917 und der Zielsetzungswandel der „Gleichheit“ Nachdem der SPD-Parteivorstand am 15. Februar 1917 Luise Zietz aus ihrem Amt als Frauensekretärin entlassen hatte, rief Zetkin in der „Gleichheit“ zu Solidaritätsbekundungen auf. In ihrer Artikelreihe „Die Auseinandersetzung in der Sozialdemokratie“136 stellte Zetkin die Ent- lassung Zietz‘ als einen Bruch des SPD-Parteistatuts dar. Deshalb erachtete sie es erstens als eine „Ehrenpflicht“137, dass die Frauen ihr Recht auf eine Vertretung im Parteivorstand einforderten, zweitens als eine „Dankespflicht“138 gegenüber den herausragenden Leistungen Zietz’ und drittens als eine „Treupflicht gegen den internationalen Sozialismus, dessen Grundsätze den nationalistischen Auffassungen der Mehrheitspolitiker nicht geopfert zu haben, Genossin Zietz’ Verbrechen [gewesen sei].“139 Es meldeten sich auch viele Frauenvereine und Einzelpersonen entrüstet und parteikritisch zu Wort. Sie sprachen sich für die Beibehaltung der kriegsgegnerischen Linie der „Gleichheit“ aus und hoben das Engagement und die Stellung der beiden Kämpferinnen Zetkin und Zietz hervor.140 Es gab aber auch hier wieder Gegenmeinungen und auch diese wurden von der „Gleichheit“ veröffentlicht.141 Im April 1917 kündigten die „ihrer Parteirechte beraubten Oppositionellen“142 einen selbständigen organisatorischen Zusammenschluss an, den allein die intolerante Haltung der Mehrheits- sozialisten zu verantworten hätte. Es entstand die „Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (USPD).143 Anlässlich des Gründungskongresses der USPD veröffentlichte 136 Die Auseinandersetzung in der Sozialdemokratie. In: GL, 27/ 11/ 02.03.1917/ 74-75 bis GL, 27/ 14/ 13.04.1917/ 91-92. 137 Die Auseinandersetzung in der Sozialdemokratie, 27/ 12/ 16.03.1917/ 79. 138 Ebd. 139 Ebd. 140 Vgl. Gerlinger, Olga: Für die grundsätzliche Haltung der „Gleichheit“. In: GL, 27/ 10/ 16.02.1917/ 69; GenossInnen in Harzburg, Bündheim und Schleweke: Gegen die Maßregelung der Genossin Zietz. In: GL, 27/ 14/ 13.04.1917/ 92; Stellungnahme der Königsberger Genossinnen zur Maßregelung der Genossin Zietz und zur Haltung der „Gleichheit“. In: „Die Gleichheit“, 27/ 15/ 27.04.1917/ 101; Hennig, Auguste: Eine Frauenbezirkskonferenz zu Leipzig gegen die Maßregelung der Genossin Zietz und für die grundsätzliche Haltung der „Gleichheit“. In: GL, 27/ 17/ 25.05.1917/ 115. 141 Vgl. Jensen, Elise: Für die Mehrheitspolitik. In: GL, 27/ 15/ 27.04.1917/ 99; Siloff, Josephine: Gegen die grundsätzliche Haltung der „Gleichheit“. In: GL, 27/ 14/ 13.04.1917/ 92-93. 142 Die Auseinandersetzung in der Sozialdemokratie. In: GL, 27/ 14/ 13.04.1917/ 91. 143 Als Ursachen für die Parteispaltung können, so Thönnessen, verschiedene zusammenwirkende Faktoren an- gesehen werden: Zu aller erst die Politik des 4. August, dann die zunehmende Bürokratisierung der Parteien, die einhergeht mit der Vorherrschaft der Gewerkschaften. Auf theoretischer Ebene machte die Revision der sozialistischen Theorie und der Zwiespalt zwischen Parteitheorie und reformistischer Praxis eine Spaltung unum- gänglich. Die herrschende Unklarheit über die zu treffenden Nachkriegsmaßnahmen tat ihr Übriges (vgl. 115 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Mathilde Wurm (1874-1935)144 einen Leitartikel „Die Gothaer Tagung“, in welchem auch sie der SPD vorwarf, sie sei „eine Partei, die infolge jahrelanger Erziehung zur Disziplin bis zur Übertreibung in einem Statut das Steuer erblickte, daß sie durch alle Irrungen und Wirrungen zu führen vermöchte, wenn nur der Steuermann sein Amt richtig verstehe“145. Hatte sich Zetkin bisher immer auf das Statut der SPD und ihre auf diesem Statut beruhende Stellung berufen, so gab ihr die Gründung der USPD nun die Möglichkeit, nicht nur zum Widerstand, sondern auch indirekt zum Parteiwechsel aufzurufen.146 Es war die von Zetkin in einem offiziellen SPD-Parteiorgan geübte offene Kritik am SPD- Vorstand und dessen Burgfriedenspolitik, die den Zustand in den Augen des Parteivorstandes unhaltbar machte. Dennoch scheute dieser eine offene Debatte und zog sich vorzugsweise auf das fadenscheinige Argument der sinkenden Abonnementzahlen zurück.147 Zetkin scheint sich über die entsprechenden Verhandlungen im Parteiausschuss vor allem über den „Vorwärts“ informiert zu haben. In ihrem Artikel „Parteivorstand und Parteiausschuß gegen die grundsätzliche Haltung der ‘Gleichheit’“148 zitierte sie entsprechende Passagen des Parteiausschuss-Protokolls nach einem „Vorwärts“-Artikel. So konnte sie besonders auf die Vorwürfe gesunkener AbonnentInnenzahlen eingehen und gab zu bedenken: „Er [der starke Rückgang des Abonnementsstandes; M.S.] steht nicht nur in Zusammenhang mit dem erheblichen Verlust der Partei an weiblichen Mitgliedern; er ist nicht nur zum Teil auch eine Folge der drückenden wirtschaftlichen Not, die zum Sparen mit jedem Pfennig zwingt. Er ist mit darauf zurückzuführen, daß fast Thönnessen, Frauenemanzipation, S. 95). 144 Mathilde Wurm, geb. Adler, wurde in Frankfurt am Main geboren und arbeitete nach Abschluss einer höheren Mädchenschule ab 1896 als Fürsorgerin in Berlin. Sie war Mitgründerin der ersten Lehrstellenvermittlung und Berufsberatung für schulentlassene Mädchen. 1903-1904 leitete sie die weibliche Abteilung des Zentralvereins für Arbeitsnachweis in Berlin. Zuvor Mitglied der SPD, trat sie 1917 der USPD bei. So auch ihr Ehemann, der Journalist und SPD-Politiker Emanuel Wurm, welcher in jenem Jahr Staatssekretär im Reichsernährungsamt wurde und 1919 Mitglied der Nationalversammlung. 1917-1921 war Mathilde Wurm Bürgerdeputierte in Berlin, 1920-1933 Reichstagsabgeordnete, 1919 Mitglied im Frauenausschuss und 1920-1922 Beisitzerin im Zentral- komitee der USPD. Bis 1922 arbeitete sie als Redakteurin des USPD-Frauenorgans „Die Kämpferin”, kehrte dann zur SPD zurück. Ab 1928 gab sie die “Sozialdemokratische Pressekonferenz” heraus und war Mitarbeiterin bei „Der Klassenkampf – Marxistische Blätter” (1927-1932). 1933 emigrierte Wurm nach London, wo sie unter mysteriösen Umständen gemeinsam mit ihrer Freundin und politischen Weggefährtin Dora Fabian (1901-1934) Suizid beging. Die von Scotland Yard angestellten Nachforschungen über einen möglichen Anschlag nationalsozialistischer Agenten blieben ergebnislos. Es verdichtete sich die Annahme, dass Fabian vor allem unter einer unerwiderten Liebe litt und schließlich die Verzweiflung über die politische Situation in Deutschland den Suizid der beiden Frauen motivierte. 145 Wurm, Mathilde: Die Gothaer Tagung. In: GL, 27/ 16/ 11.05.1917/ 105-106, S. 105. 146 Einen offenen Aufruf zum Parteiwechsel konnte ich in der „Gleichheit“ nicht finden. 147 Auch Blos war der Meinung, Zetkin habe „ein vom Parteivorstand bezahltes Amt zu verwalten“ gehabt. Deshalb sei es „nicht angängig [gewesen], ein solches Amt dazu zu benutzen, den Arbeitgeber, in diesem Fall den Partei- vorstand, in aller Öffentlichkeit anzugreifen in dem von ihm geschaffenen und bezahlten Organ“ (Blos, Die Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 88). 148 Parteivorstand und Parteiausschuß gegen die grundsätzliche Haltung der „Gleichheit“. In: GL, 27/ 16/ 11.05.1917/ 110. 116 2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“ unmittelbar nach Kriegsausbruch mehrere große Gewerkschaften sich durch ihre finanziellen Verpflichtungen zu sozialer Fürsorge gezwungen sahen, die Verab- folgung der ‘Gleichheit’ an ihre weiblichen Mitglieder einzustellen.“149 Der Krieg und die durch ihn bedingte schlechte Finanzlage der Arbeiterfamilien spielte von Beginn an eine, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle bei der Abwärtsentwicklung der Abonnementzahlen. Jetzt, anlässlich ihrer Verteidigung gegenüber dem Parteiausschuss, betonte Zetkin aber endlich auch die schädigende Konkurrenz durch die „Gewerkschaftliche Frauen- zeitung“ und schreibt: „Die Einengung des Leserkreises nahm naturnotwendig zu, als das ‘Gewerkschaftliche Frauenblatt’ gegründet wurde.“150 Zum Kernpunkt hinsichtlich der Frage, ob die Mehrheit der Sozialdemokratinnen gemäßigt oder radikal war, kommt Zetkin jedoch erst, als sie Kritik an den örtlichen Parteispitzen übt: „In großem Umfang ist der Rückgang des Abonnementsstandes jedoch bewußt, absichtlich geschaffen worden durch die systematische Hetz- und Wühlarbeit ein- flußreicher Genossen, die ihrer eigenen Auffassung gemäß von der grundsätzlichen Haltung der ‘Gleichheit’ sagten: ‘Die janze Richtung paßt uns nicht.’ […] Das Obligatorium der ‘Gleichheit’ ist in mehr als einem Bezirk von den Vereins- vorständen eigenmächtig aufgehoben worden, ohne daß sie die Genossinnen vorher befragt hätten.“151 Der Umstand, dass viele Gewerkschaftsorganisationen (darunter bereits seit Kriegsbeginn der Fabrikarbeiterverband, dann auch der Holzarbeiterverband und der Tabakarbeiterverband152) die „Gleichheit“ als Obligatorium kündigten bzw. eigene Blätter oder Frauenbeilagen herausgaben oder die „Gewerkschaftliche Frauenzeitung“ bezogen, drückte demnach nicht unbedingt die bewusste Entscheidung der weiblichen Organisationsmitglieder aus. Die Leitungen ihrer Organi- sationen hatten die Entscheidung für sie und vor allem über ihre Köpfe hinweg getroffen. Einige der weiblichen Mitglieder reagierten tatsächlich mit großer Empörung darauf, dass ihnen die „Gleichheit“ genommen wurde und hätten ein Abonnement auch eigenständig finanziert. Doch den weiblichen Mitgliedern des Fabrikarbeiterverbandes in Braunschweig wurde von Seiten des Vorstandes sogar verboten, sich die „Gleichheit“ auf eigene Kosten zu abonnieren.153 Zum Krieg und den Aufkündigungen des Obligatoriums kam hinzu, dass die Beilage „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ ab Mai 1917 eingestellt werden musste.154 Dadurch hat die „Gleichheit“ 149 Ebd. 150 Ebd. 151 Ebd. 152 Vgl. Bieber, Gewerkschaften in Krieg und Revolution, S. 269. 153 Vgl. ebd., S. 910, Fußnote 73. 154 Die ZDB-Datenbank gibt an, dass die Beilage „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ nur bis 1915/16 nachgewiesen werden kann. Im Titelkopf der letzten von Zetkin redigierten „Gleichheit“-Nummer ist sie jedoch noch genannt 117 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) unzweifelhaft an Attraktivität verloren. Einmal auf ein anderes unterhaltsameres Blatt abonniert, konnten ehemalige „Gleichheit“-Abonnentinnen nur schwer zurückgewonnen werden. Insgesamt und allgemein formuliert ist Thönnessen zuzustimmen, wenn er den Auflagenschwund zwischen 1913 und 1920 als ein Symptom für den Niedergang und Verfall der proletarischen Frauen- bewegung sieht.155 Doch enger gefasst war dieser Auflagenschwund vor allem der Beweis für den mangelnden Rückhalt der „Gleichheit“ bei ihren obligatorischen Abonnentinnen. Es waren aber eben nicht nur die gesunkenen Abonnementzahlen, die dem Parteivorstand ausreichend Anlass gaben, Konsequenzen zu ziehen, sondern vor allem der Umstand, dass Zetkin sich mittlerweile offiziell der im April 1917 in Gotha konstituierten USPD156 angeschlossen hatte. Zetkins Engagement für die USPD und vor allem ihr Parteibeitritt ließen eine weitere Schonung durch den Vorstand der Mehrheitssozialdemokratie nicht mehr zu. Am 18. April 1917 sprach der Vorsitzende Friedrich Ebert im dortigen Parteiausschuss aus, was viele schon lange dachten: Er monierte das stetige Abnehmen der „Gleichheit“-Abonnentinnen und die Zunahme der Be- schwerden aus Partei- und Leserinnenkreisen. Bisher hätte man aus „Gründen der Toleranz […] gegen das Blatt und seine Haltung nichts unter- nommen, nun aber stellt sich die ‘Gleichheit’ ganz offen in den Dienst der neuen Partei der Unabhängigen. (Lebhafte Zustimmung und Rufe: Schon immer!) Damit wird natürlich der bisherige Zustand unhaltbar, es muß eine Änderung geschaffen werden.“157 Es war folgendes von Ebert im Auftrag des Parteivorstandes verfasstes Schreiben, das Zetkin im Mai 1917 erreichte und mit welchem ihr ihre sofortige Entlassung aus der sozialdemokratischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“158 mitgeteilt wurde: „Berlin SW. 68, den 16. Mai 1917. Lindenstraße 3. Frau Klara Zetkin-Zundel Wilhelmshöhe bei Degerloch. „Schon vor längerer Zeit ist uns mitgeteilt worden, daß Sie nicht mehr Mitglied unsrer Parteiorganisation sind. Nun sind Sie Mitglied der Partei „Unabhängige Sozia- listen“[d.i. USPD; M.S.] und bekleiden ein hervorragendes Vertrauensamt in dieser Partei. Sie stellen außerdem die Ihnen von der Sozialdemokratischen Partei Deutsch- lands anvertraute Redaktion der Gleichheit in den Dienst der neuen Partei. Das hat mit Recht in weiten Kreisen unsrer Partei Widerspruch hervorgerufen, ist auch un- (vgl. GL, 27/ 17/ 25.05.1917/ 113). Nach Zetkins Entlassung wird dort nur noch „Für unsere Kinder“ als Beilage genannt (vgl. GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117). 155 Vgl. Thönnessen, Frauenemanzipation, S. 133. 156 Zur USPD-Frauenbewegung siehe: Wickert, Unsere Erwählten, Bd. 1, S. 80-87. 157 Protokoll des SPD-Parteiausschusses vom 18. und 19. April 1917, S. 6. In: Protokolle der Sitzungen des Parteiausschusses der SPD 1912 bis 1921, Bd. 1, S. 437. 158 Siehe auch: Sachse, Ich erkläre mich schuldig. 118 2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“ vereinbar mit den Interessen der Sozialdemokratischen Partei, deren Organ die Gleichheit ist. Wir sind deshalb gezwungen, auf Ihre weitere Redaktionstätigkeit für die Gleichheit vom heutigen Tage an zu verzichten, ebenso auf die weitere Tätigkeit Ihres Hilfs- redakteurs und Ihrer Redaktionssekretärin. Das bisher bezogene Gehalt wird Ihnen bis 30. September 1917 von der Firma J.H.W. Dietz Nachf., Stuttgart, monatlich ausgezahlt werden. Ihrem Hilfspersonal wird das Gehalt bis zum Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist weiter bezahlt. Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. I.A. gez.: Fr. Ebert“159 Die „Gleichheit“, so betonte Ebert, war ein Organ der Mehrheitssozialdemokratie. Zetkin, die ganz unverhohlen deren „burgfriedliche“ Zielsetzungen ablehnte und damit das in sie gesetzte Vertrauen missbraucht hatte, musste mitsamt ihrem engeren MitarbeiterInnenstab – Hoernle und Buchheim – gehen. Zetkins vorläufige Antwort war ebenfalls nüchtern und betont knapp gehalten: „Ihr Brief vom 16. d. ist am 18. d. hier eingetroffen. Ich habe seinen Inhalt zur Kennt- nis genommen und verzichte auf eine Auseinandersetzung mit Ihnen, zu der Ihr Schreiben und Vorgehen Anlaß geben könnte. Klara Zetkin.“160 Sie nahm damit ihre Entlassung aus der Redaktion der führenden sozialistischen Frauenzeitung, die ihrer Ausstoßung aus der SPD-Frauenbewegung gleichkam, anscheinend sehr gelassen hin. Sie nahm anscheinend auch gelassen hin, dass Nummer 17 des 27. Jahrgangs, die am 25. Mai 1917 erschien, die letzte von ihr redigierte Ausgabe der „Gleichheit“ war und man ihr noch nicht einmal die Gelegenheit gegeben hatte, sich von ihren Leserinnen zu verabschieden und die Situa- tion zu erklären. Doch es scheint nur so, als hätte Zetkin kampflos das Feld geräumt. Was sie zunächst dringend benötigte, war eine neue Plattform. Sie wurde ständige Mitarbeiterin der von der „Leipziger Volkszeitung“ eigens für sie eingerichteten „Frauen-Beilage“161 und verfasste auf Bitten der Redaktion einen Abschiedsartikel.162 Fünf Wochen nach ihrer Entlassung, am 29. Juni 1917, verschriftlichte Zetkin nicht nur ihre Enttäuschung, sondern wehrte sich auch gegen die Vorwürfe des Parteiausschusses, gegen die vermeintlichen Gründe ihrer Entlassung. Sie zeichnete ein Bild 159 Veröffentlicht in: Frauen-Beilage der Leipziger Volkszeitung, 01/ 01/ 29.06.1917/ 2 160 Ebd. 161 Diese Frauenbeilage erschien von Juni 1917 bis März 1919. 162 Zetkin, Clara: Klara Zetkins Abschied von der „Gleichheit“. In: Frauen-Beilage der Leipziger Volkszeitung, 01/ 01/ 29.06.1917/ 1-2. Bereits am 19. Juni hatte Zetkin im Hauptblatt der „Leipziger Volkszeitung“ einen Artikel mit dem Titel „An die sozialistischen Frauen aller Länder!“ veröffentlicht, in dem sie ihre Entlassung aus der Redaktion der „Gleichheit“ bekannt gab und damit ihren Verlust als Organ der Sozialistischen Fraueninternationale (vgl. Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Reihe II, Bd. 1: Juli 1914 – Oktober 1917, S. 647-649). 119 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) von den Umständen, unter denen sie bis zuletzt versucht hatte, die „Gleichheit“-Leserinnen zu Kriegsgegnerinnen zu erziehen: „Ich erkläre mich schuldig, daß die Gleichheit sich vom ersten Augenblick an, wo die sozialdemokratische Reichstagsfraktion die Grundsätze des Sozialismus als hinderlichen Ballast über Bord warf, in bewußtem Gegensatz zu der entsprechen- den ‘Neuorientierung’ gestellt hat. Ich erkläre mich schuldig, daß die Gleichheit die Mehrheitspolitik mit steigender Schärfe kritisiert und bekämpft hat. … Würde ich anders gehandelt haben, so hätte ich meine Grundsätze als inter- nationale Sozialistin verleugnen, meiner Vergangenheit, meinem Lebenswerk, meinem Wesen ins Gesicht schlagen müssen. Ich wäre mir unwürdig des Namens als Sozialistin erschienen, unwürdig des Vertrauens breiter proletarischer Massen und der führenden Stellung, die ich in der sozialistischen Arbeiterbewegung, namentlich aber in der internationalen sozialistischen Frauenbewegung inne hatte. Sozialismus verpflichtet!“163 Sie zeigte keine Reue für die von ihr betriebene Opposition, sondern war stolz auf die eigene persönliche Konsequenz, welche sie auch so dringend von der Mehrheit der SPD-Frauen erwartet hätte. „Sozialismus verpflichtet!“164, so Zetkin, die sich damit auch stets den proletarischen Frauen an sich verpflichtet sah: „… ich habe die Gleichheit nie als das behagliche Traumstübchen meiner Wünsche betrachtet. Sie war mir ein anvertrautes Pfund, mit dem im Dienste meines Herrn zu wuchern mir Pflicht und Glück war. … Als Hauptaufgabe der Gleichheit dünkte mir jederzeit die Klärung und Vertiefung des sozialistischen Empfindens und Denkens der proletarischen Frauen, eine Klä- rung und Vertiefung, die als Vorstufe eines unbeugsamen, tatbereiten Wollens und eines fruchtbaren, opferfreudigen Handelns unerläßlich ist.“165 Was sie nie bei dieser Erziehung zur „Opferfreudigkeit“ bedacht hatte, war, dass sich so viele der geschulten Proletarierinnen „opferfreudig“ und bescheiden in den Dienst einer immer revisionis- tischer werdenden Partei stellen könnten. Die SPD-Frauen erkannten entweder nicht das Ausmaß des revisionistischen Wandels der Partei oder hießen ihn sogar gut. Für einen großen Teil der Proletarierinnen war der SPD-Parteivorstand als oberste Parteiinstanz weiterhin der Verkünder des einzig wahren Sozialismus. Wie hätten sie mit ihrem Theoriedefizit auch wissen können, dass verschiedene „Spielarten“ des Sozialismus möglich geworden waren. Zetkin hatte sie ja selbst jahrzehntelang auf die Parteilinie eingeschworen. Nun war es ihr unmöglich, sie alle von dieser Linie wieder abzubringen. Im Kreise der radikalen SPD-Minderheit und der USPD galt die Übernahme der „Gleichheit“ als 163 Zetkin, Clara: Klara Zetkins Abschied von der „Gleichheit“. In: Frauen-Beilage der Leipziger Volkszeitung, 01/ 01/ 29.06.1917/ 1. 164 Ebd. 165 Ebd. 120 2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“ „Gewaltakt“ oder „Handstreich“. Käte Duncker sprach in einem Brief an ihren Ehemann Hermann sogar von einem „Gleichheitsmord“166. Im Kreise des Parteiausschusses dagegen war man mit dem Verlauf der Angelegenheit sehr zufrieden: „Die Sache hat natürlich Staub aufgewirbelt, aber die Hauptsache für uns war, daß wir eine brauchbare Redaktion bekamen. Ich glaube, das ist gelungen. Die bisher erschienenen beiden Nummern zeigen wohl jedem, daß die ‘Gleichheit’ jetzt auf dem Wege ist, ihren Aufgaben so gerecht zu werden, wie es hier immer gewünscht worden ist. Natürlich wird nun im Lande auch eine Hetze gegen die ‘Gleichheit’ getrieben werden. Deshalb bitte ich die Mitglieder des Parteiausschusses, sich mit größter Entschiedenheit für die Agitation für die ‘Gleichheit’ einzusetzen. Wenn alle Parteiorganisationen mit Nachdruck für ein Abonnement des Blattes sorgen, so wird es gelingen eine Aufwärtsentwicklung der ‘Gleichheit’ durchzusetzen.“167 Zur neuen verantwortlichen Redakteurin der „Gleichheit“ ernannte der SPD-Parteivorstand Marie Juchacz (1879-1956)168, die bis dahin als Hilfssekretärin für die „Gleichheit“ gearbeitet hatte.169 Indem Juchacz nicht nur die Nachfolge Zetkins als „Gleichheit“-Redakteurin, sondern auch die Nachfolge Zietz‘ als Frauensekretärin im Parteivorstand der SPD antrat, versah sie in Personalunion die beiden bedeutendsten Ämter der sozialdemokratischen Frauenbewegung. Allein 166 Käte Duncker in einem Brief an Hermann Duncker, 23./24.05.1917, SAPMO Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin, NY 4445/138. Diesen Hinweis verdanke ich Dres. Ruth und Heinz Deutschland (Berlin). 167 Protokoll des SPD-Parteiausschusses vom 26. Juni 1917, S. 44. In: Protokolle der Sitzungen des Parteiausschusses der SPD 1912 bis 1921, Bd. 1, S. 552. 168 Marie Juchacz, geb. Gohlke, wurde in Landsberg an der Warthe, dem heute 80 km nordöstlich von Frankfurt/Oder gelegenen polnischen Gorzów Wielkopolski, als älteste Tochter eines teilweise selbständigen Zimmerermeisters geboren. Sie arbeitete nach Besuch der Volksschule erst zwei Jahre als Dienstmädchen, dann ein halbes Jahr als Arbeiterin in einer Netz-Fabrik und zweieinhalb Jahre als Krankenpflegerin in der „Provinzial-Landes-Irrenanstalt zu Landsberg“. Schließlich absolvierte sie eine Ausbildung zur Schneiderin. 1906 erfolgte erst die Trennung von ihrem Ehemann, dem Schneidermeister Bernhard Juchacz, 1911 dann die Scheidung. 1906 zog Juchacz mit ihrer Schwester Elisabeth Röhl und ihren Kindern Charlotte und Paul nach Berlin (in der „Gleichheit“ finden sich anlässlich der Novemberrevolution 1918 zwei Briefe der beiden Kinder (vgl. Zwei Kinderbriefe. In: GL, 29/ 07/ 03.01.1919/ 52)). Hier begann ihre agitatorische Tätigkeit für die SPD begann. Die Schwestern wurden Mitglieder im „Verein der Frauen und Mädchen der arbeitenden Klasse”. 1907 wurde Juchacz Vorsitzende des „Frauen- und Mädchenbildungsvereins” zu Schöneberg und 1908 Mitglied der SPD. Sie war Vorstandsmitglied des sozialdemokratischen Wahlvereins Neukölln und 1910 im Zentralvorstand des sozialdemokratischen Wahlvereins Teltow-Beeskow tätig. 1913-1917 übernahm sie eine Stellung als hauptamtliche und damit besoldete Partei- sekretärin in Köln. Während des Ersten Weltkriegs war Juchacz in der „Nationalen Frauengemeinschaft” und in verschiedenen städtischen Körperschaften und privaten Wohlfahrtsorganisationen aktiv. 1917 folgte sie Zietz als Frauensekretärin im Parteivorstand nach. 1917-1919 übernahm sie zusammen mit Heinrich Schulz die Redaktion der “Gleichheit”. 1919 wurde sie Abgeordnete der Nationalversammlung und hielt dort als erste Frau am 19. Februar 1919 eine Rede an das Parlament. Im Auftrag des Parteivorstandes gründete Juchacz den Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt und wurde dessen Vorsitzende. 1920-1933 saß sie als Abgeordnete im Reichstag. 1933 emigrierte die SPD-Politikerin mit ihrem Schwager Emil Kirschmann ins Saarland, flüchtete dann weiter nach Frankreich und 1941 schließlich in die USA, wo sie als Mitglied des Exekutivkomitees „German-American Council for the Liberation of Germany from Nazism” weiterhin gegen den Nationalsozialismus kämpfte. 1949 kehrte Juchacz nach Deutschland zurück und wurde wieder in AWO und SPD tätig. 169 Die von Juchacz vor ihrer Übernahme der Redaktion verfassten Artikel sind marginal und werden im nächsten Kapitel vorgestellt. 121 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) daraus lässt sich ablesen, dass Juchacz als eine besonders treue Parteianhängerin einzuschätzen ist und die Parteispitze von ihr keinen Missbrauch ihrer Machtfülle befürchtete. Sie machte die „Gleichheit“ und deren Leserinnen – wie es die „Leipziger Volkszeitung“ es formulierte – „zu kritiklosen Mitläuferinnen der nationalsozialen Mehrheitspolitik“170. Juchacz zur Seite stand Heinrich Schulz (1872-1932)171. Schulz war von Beruf Lehrer und ein sehr ehrgeiziger Parteifunktionär. Bis zum Kriegseintritt und seiner Wandlung zum Nationalisten hatte er in engem Kontakt mit Zetkin gestanden.172 Der erste von Schulz für die „Gleichheit“ verfasste Artikel, der hier ermittelt wurde, erschien im September 1905. Es war ein Beitrag zu einer von Zetkin angeregten LeserInnendiskussion173, die sich mit der sozialistischen Jugendagi- tation beschäftigte und sehr ausgedehnt war.174 Einige Monate später kritisierte er einen spöt- tischen Artikel des revisionistischen Sozialdemokraten Heinrich Peus, der darin eine besonders bourgeoise Auffassung vom Geschlechterverhältnis offenbart hatte.175 Den „Gleichheit“-Lese- rinnen war Schulz aber vor allem durch seine seit 1905 erscheinenden Artikel zum Thema Kinder- 170 Die Maßregelung der Redaktion der Gleichheit. In: Frauen-Beilage der „Leipziger Volkszeitung“, 01/ 01/ 29.06.1917/ 3. 171 Heinrich Schulz wurde in Bremen geboren und war Sohn eines Werkmeisters. Er besuchte erst die Volksschule und 1881-1889 die Realschule in Bremen. 1889-1892 folgten eine Ausbildung auf einem Volksschullehrerseminar, ein Universitätsstudium und 1893-1894 der Militärdienst. Anfangs Lehrer in Bremen, wurde er 1894 Lehrer an der Arbeiterbildungsschule in Berlin, 1895 deren Vorsitzender. Ab 1896 wurde Schulz journalistisch tätig. 1896-1897 bekleidete er das Amt des zweiten Vorsitzenden der “Freien Volksbühne” und wirkte 1897-1906 als Redakteur verschiedener sozialdemokratischer Zeitungen in Erfurt, Magdeburg und Bremen. 1906-1919 war Schulz Ge- schäftsführer des „Zentralen Bildungsausschusses” und damit Leiter des sozialdemokratischen Bildungswesens. 1906-1914 war er nicht nur Lehrer, sondern auch Obmann der Parteischule. 1912-1918 hatte er ein Mandat als Reichstagsabgeordneter und saß 1917-1932 im Parteivorstand der SPD. 1919 in die Nationalversammlung gewählt (Februar-Juni 1919 deren Vizepräsident), hatte er 1920-1932 erneut Mandate als Reichstagsabgeordneter inne. 1919-1927 war Schulz Staatssekretär für Schul- und Bildungsfragen im Reichsinnenministerium und 1919- 1932 Vorsitzender im „Reichsausschuß für sozialistische Bildungsarbeit”. Schulz war Begründer und Leiter der „Deutschen Kunstgemeinschaft” und der führende Schul- und Kulturpolitiker der SPD. 172 Gemeinsam und im Auftrag des Parteivorstandes hatten Schulz und Zetkin ein Grundsatzprogramm zur sozialdemokratischen Schulpolitik verfasst, welches auf dem Parteitag in Mannheim 1906 vorgestellt wurde (vgl. Protokoll des SPD-Parteitages Mannheim 1906, S. 323-360). Der Pädagoge und Philosoph Wolfdietrich Schmied- Kowarzik ist der Meinung, dass diese gemeinsam entwickelten Leitsätze „zu den theoretisch überzeugendsten und fortschrittlichsten [gehören], die jemals in der ‘sozialdemokratischen Partei’ zum Erziehungsproblem entwickelt worden“ (Schmied-Kowarzik, Kritische Theorie und revolutionäre Praxis, S. 140) seien, jedoch hätten sie keinen Eingang in die politische Praxis der SPD gefunden (vgl. ebd.). In der „neuen“ „Gleichheit“ bezog Schulz zu Zetkins Erziehungsidealen jedoch nur noch ablehnend Stellung: Schulz, Heinrich: Schulreform oder „Revo- lution“? In: GL, 30/ 41-42/ 09.10.1920/ 332-333. 173 Schulz, Heinrich: Jugend und Sozialismus. VI. In: GL, 15/ 18/ 06.09.1905/ 104. 174 Vgl. Krüger, Franz: Jugend und Sozialismus. In: GL, 15/ 15/ 26.07.1905/ 87; Jugend und Sozialismus I-II. In: GL, 15/ 16/ 09.08.1905/ 92-93; Jugend und Sozialismus III-V. In: GL, 15/ 17/ 23.08.1905/ 97-98; Jugend und Sozialismus VI-VII. In: GL, 15/ 18/ 06.09.1905/ 103-105; Jugend und Sozialismus IX-X. In: GL, 15/ 19/ 20.09.1905/ 110-111; Jugend und Sozialismus XI-XII. In: GL, 15/ 20/ 04.10.1905/ 115-116; Jugend und Sozialis- mus XII-XIV. In: GL, 15/ 22/ 01.11.1905/ 127-128; Jugend und Sozialismus XV-XVI. In: GL, 15/ 24/ 29.11.1905/ 139-140; Jugend und Sozialismus XVII. In: GL, 15/ 26/ 27.12.1905/ 153. 175 Schulz, Heinrich: „Zehn Gebote für die Männer.“. In: GL, 15/ 25/ 13.12.1905/ 146-147; Nochmals die „Zehn Gebote für die Männer“. In: GL, 16/ 01/ 10.01.1906/ 3. 122 2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“ und Jugenderziehung176, seinen Erziehungsratgeber „Die Mutter als Erzieherin“ (1907)177 und unter dem Pseudonym „Ernst Almsloh“178 bekannt. In der Kinderbeilage „Für unsere Kinder“ ver- öffentlichte Schulz in den Jahren 1905 bis 1910 26 Beiträge.179 Juchacz und Schulz waren nun die neuen verantwortlichen RedakteurInnen der „Gleichheit“. Daher waren es vermutlich diese beiden, die sich „[i]n eigener Sache“180 an die Leserinnen rich- teten, um ihnen die neuen inhaltlichen Richtlinien der „Gleichheit“ bekanntzugeben.181 Doch bevor sie sich den neuen Aufgaben zuwandten, schien es Juchacz und Schulz ein dringendes Bedürfnis, die Entlassung Zetkins als unvermeidbare Notwendigkeit zu rechtfertigen. Der Partei- vorstand habe aufgrund Zetkins gegnerischer Position und Mitgliedschaft in einer gegnerischen Partei, vor allem aber angesichts deren Weigerung, selbst die Konsequenzen daraus zu ziehen, nicht anders handeln können. Er habe deshalb notgedrungen „seinerseits die Schlußfolgerungen aus der unerträglich gewordenen Sachlage ziehen“182 müssen. Zwar war die neue Redaktion deut- lich darum bemüht, sich von Zetkins Position abzugrenzen, man wollte aber dennoch nicht deren persönlichen Verdienste gänzlich übergehen. Diese Verdienste seien „groß, außergewöhnlich groß und werden ihr unvergessen bleiben. Wenn Leidenschaftlichkeit der Kampfführung und Hingabe an die Überzeugung, gepaart mit hoher Intelligenz und nimmermüder Arbeitsamkeit, die einzigen Tugenden eines sozialdemokratischen Kämpfers wären, so könnten nicht viele in unserer Millionenpartei den Vergleich mit ihr aushalten.“183 Juchacz und Schulz bestritten nicht, dass Zetkin über viele herausragende Fähigkeiten und Tugenden verfügte. Ihrer Meinung nach waren es jedoch nicht diejenigen, die für eine loyale Sozialdemokratin maßgeblich zu sein hatten. Zetkin hatte es besonders an Gehorsam gegenüber der Partei gemangelt. Dies sollte sich nun zumindest für die „neue“ „Gleichheit“ ändern: „[d]ie ‘Gleichheit’ wird auf dem neuen Wege, den sie fürderhin ohne Klara Zetkin gehen muß, die wertvollen und dauernden Anregungen und Arbeiten ihrer 176 Schulz, Heinrich: Erziehung ohne Prügel. In: GL, 16/ 06/ 21.03.1906/ 33 (eine relativ kritische Rezension zu Julian Borchardts – ebenfalls ein Mitarbeiter der „Gleichheit“ – im Berliner Vorwärts-Verlag erschienener Bro- schüre „Wie sollen wir unsere Kinder ohne Prügel erziehen?“ (1906)) 177 Entstanden aus einer gleichnamigen Artikelreihe, die Schulz regelmäßig in der „Gleichheit“ veröffentlichte. Siehe auch: Krauth, Die Mutter als Erzieherin. 178 Vgl. Drust, Für unsere Kinder, S. 197. Einer der unter diesem Pseudonym verfassten Artikel war: Almsloh, Ernst: Heinrich Heine und die Frau. In: GL, 16/ 05/ 07.03.1906/ 25-26. 179 Vgl. Drust, Für unsere Kinder, S. 197. 180 Vgl. In eigener Sache. In: GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117-118. 181 Auffälligerweise ist der Artikel weder gezeichnet noch wurden in ihm die Namen der neuen RedakteurInnen genannt. 182 Ebd., S. 117. 183 Ebd. 123 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) bisherigen Herausgeberin gern und freudig weiterpflegen. Sie glaubt aber, daß sie diese ernste Pflicht durch ein treues Festhalten an der sozialdemokratischen Partei, durch ihre ehrliche und gewissenhafte Unterstützung ihrer Politik und durch eine Einwirkung auf die sozialdemokratischen Frauen im Sinne der demokratischen Unterordnung unter die Beschlüsse der Mehrheiten besser erfüllt, als es die ‘Gleichheit’ während des Krieges, besonders während des letzten Jahres, durch ihre entgegengesetzte Haltung getan hat. Das Programm der sozialdemo- kratischen Partei bleibt nach wie vor die Marschroute der ‘Gleichheit’.“184 Die Parteilinie wurde jetzt stärker als bisher das Maß aller Dinge. Die „Gleichheit“ vollzog eine 180-Grad-Wende und ordnete sich fortan der männerdominierten Parteispitze und den Mehrheitsbeschlüssen unter. Genau diese Unterordnung verlangte sie auch von ihren Leserinnen. Im Mittelpunkt ihrer Aufklärungsarbeit stand nun eine frauenspezifische Erziehung zu Partei- genossenschaft und Parteigehorsam. Damit wollte sich die „Gleichheit“ von den allgemein gehaltenen Informationen der Tagesblätter absetzen.185 Gleichzeitig aber bedeutete dies auch, dass sich die „Gleichheit“ aus der kritischen Diskussion der „großen“ Politik zurückzog. „[E]inigend, versöhnend[…] [und] ausgleichend“186 wollte die neue Redaktion wirken – auch zwischen den Geschlechtern. Denn auch wenn sie eine Vertreterin weiblicher Interessen sei, strebe die „Gleich- heit“ doch keinesfalls die Gründung einer Art weiblicher „Sonderorganisation innerhalb der Gesamtpartei“187 an. Wie schon unter Zetkin beabsichtigte man mittels der „Gleichheit“, „die arbeitenden Frauen mit der politischen Bewegung vertraut zu machen, ihre politischen und staatsbürgerlichen Pflichten und Rechte zu vertreten und zu vertiefen, sie daneben aber auch in alle kulturellen Angelegenheiten, besonders vom Standpunkt der Frau aus, einzuführen. So wird sie den erziehlichen Aufgaben der Frau, ihren hauswirtschaftlichen Sorgen, der Gesundheitspflege, im weiteren der Pflege von Kunst und Wissenschaft die gebührende Aufmerksamkeit widmen. Politische Schulung, leichtverständliche Belehrung und wertvolle Unterhaltung, das werden wie bisher die drei wichtigsten Richtlinien für die ‘Gleichheit’ sein.“188 Das nun von Juchacz und Schulz neu abgesteckte Aufgabenfeld der „Gleichheit“ schien also auf den ersten Blick nicht auffällig anders zu sein. Die politische Schulung sollte im Mittelpunkt stehen. Sie politische Schulung sollte laut Juchacz und Schulz sogar die „Daseinsberechtigung“189 der „Gleichheit“ „neben den Gewerkschaftsblättern […] und neben der ‘Gewerkschaftlichen Frauenzeitung’“190 ausmachen. Eine Äußerung, die vermuten lässt, dass durchaus bereits Stimmen 184 Ebd. 185 Ebd., S. 118. 186 Ebd. 187 Ebd. 188 Ebd. 189 Ebd. 190 Ebd. 124 2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“ laut geworden waren, die die Einstellung der „Gleichheit“ gefordert hatten. War auch die politische Schulung die offizielle Legitimation für das Weiterbestehen der „Gleichheit“, so wollte sich die „Gleichheit“ nun doch auch vermehrt nach den „praktischen Interessen“, dem vermeintlichen „Standpunkt der Frau“ ausrichten. Ein Standpunkt, der nicht, wie es vielleicht durch den Begriff erscheinen könnte, einen ausgeprochen feministischen Anspruch gehabt hätte. Die „Gleichheit“ sollte schlicht ein „Familienblatt“191 werden – „gern gelesen[…]“192 und „von den Arbeiterfrauen stets mit Ungeduld erwartet[…]“193. Es scheint demnach, als ob der Charakter der unterhaltenden Beilage „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ somit mehr oder weniger auf das Hauptblatt überging, die „Gleichheit“ sozusagen „feuilletonisierte“194. Die Begriffe „Sozialismus“ oder gar „Klassenkampf“ blieben in diesem Konzept ausgespart. Die neue Zielsetzung wurde auch in dem neuen Untertitel der „Gleichheit“ „Zeitschrift für Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen“195 [Hervorhebungen von M.S.] deutlich. Es rückten mit ihm jene Leserinnen stärker in den Fokus, die vermutlich die Mehrheit ausmachten – die Arbeiterfrauen, die als Ehefrauen und Hausfrauen sowohl politischer Aufklärung als auch praktischer Belehrung bedurften. Juchacz wollte auch hinsichtlich der Zielgruppe und deren Ansprache unbedingt klare Verhältnisse und damit einen Neubeginn schaffen.196 Nach Meinung Vormschlags, die die Veränderungen der „Gleichheit“ aus publizistischer Sicht untersuchte, kann durch diesen Neubeginn nicht mehr „von einer kontinuierlichen Ansprache“197 der „Gleichheit“-Leserinnen gesprochen werden. Zu einer solchen gehöre neben einer Kontinuität „der äußeren Form auch die Beibehaltung der geistigen Richtung und des Stils“198. Wie das eine, so änderte sich bei der „Gleichheit“ jedoch auch das andere. 191 Ebd. 192 Ebd. 193 Ebd. 194 Zum Begriff der „Feuilletonisierung“ siehe: Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 20 u. S. 159f. 195 GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117. Auch Vormschlag betont die große Bedeutung dieser unscheinbar anmutenden Untertiteländerungen, die 1917, 1919 und 1922 vorgenommen wurden: „Die verschiedenen Untertitel der Zeit- schrift in jenen Jahren erweisen sich als Produkt der Unsicherheit, ein neues erfolgreiches Konzept zu finden. Bis zur letzten Nummer des Jahres 1923 ändert die ‘Gleichheit’ bezeichnenderweise viermal ihren Untertitel, ohne daß davon die äußere Form und der Inhalt der Zeitschrift entscheidend betroffen war.“ (Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 77). 196 Diesen Neubeginn verdeutlicht auch ein Blick in das Jahrgangsverzeichnis des 27. Jahrgangs (1917/18). Es wird eine vollkommen neue Rubrizierung der „Gleichheit“ deutlich, die laut Vormschlag auch eine „veränderte Einstellung zu einzelnen Problemen dokumentier[e]“ (ebd., S. 99). 197 Ebd. 198 Ebd., S. 100. 125 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Selbstbewusst verkündete Juchacz im August 1917, dass sich die Sozialdemokratinnen wieder mit neuem Vertrauen geschlossen um ihr Presseorgan sammeln würden. Die „Gleichheit“, so Juchacz, sei endlich wieder der „geistige[…] Mittelpunkt der Bewegung“199. Bereits einen Monat später teilte sie mit, dass viele Frauen in den Leserkreis der „Gleichheit“ zurückgekehrt seien.200 Vor allem jene Frauen, „die in der ‘Gleichheit’ mehr suchten als eine regelmäßige gedrängte Übersicht des tief bedauerlichen Parteizerwürfnisses, die von ihr schlichte Belehrung über politische Angelegenheiten, sachliche Aufklärung über die mannigfachen Vorgänge in der Frauenbewegung, aber auch stimmungsvolle Erholung von der Unrast des öffentlichen Lebens durch schöngeistige Unterhaltung“201 erwarteten. Dennoch musste die „Gleichheit“ ihre Leserinnen um Mithilfe bei ihrer Werbung bitten: „Jede unserer Leserinnen hat eine Verwandte, eine Freundin, eine Mitarbeiterin, eine Nachbarin, die eigentlich ihrer wirtschaftlichen Lage und ihrer Denkungs- weise nach schon längst Bezieherin der ‘Gleichheit’ sein müßte. An sie tretet heran, liebe Leserinnen, und überzeugt sie von der Notwendigkeit, unser Blatt regelmäßig lesen zu müssen.“202 Die „Gleichheit“ musste wie zu Beginn ihres Bestehens nun vor allem Mundpropaganda betreiben. Die alten Strukturen hatten sich teilweise aufgelöst. Geblieben war der „neuen“ „Gleichheit“ die alte Konkurrenz durch die „Gewerkschaftliche Frauenzeitung“. Obwohl nun eine gänzlich andere Redaktion in der „Gleichheit“ am Werk war, hatte die Generalkommission keinen Grund gesehen, ihr Konkurrenzunternehmen einzustellen. Stattdessen konnte deren Redaktion laut eines vermutlich von Juchacz verfassten Artikels der „Gleichheit“ freudig erklären, „daß ihre Auflage seit einigen Wochen auf über 100 000 Stück gestiegen sei“203. Zum Gründungszeitpunkt hätten, so Juchacz weiter, „wohl nur wenige auf eine so erfreuliche Entwicklung gehofft. Leider ist während der gleichen Zeit die Auflage der ‘Gleichheit’ aus einer Reihe von Gründen erheblich zurückgegangen. Wir sprechen aber die Hoffnung aus, daß nunmehr, nachdem die Hauptgründe beseitigt worden sind, auch die Leserschar der ‘Gleichheit’ sich wieder in aufsteigender Linie bewegen wird.“204 Juchacz sah die „Gewerkschaftliche Frauenzeitung“ nicht als Konkurrenz, zog keinerlei Ver- bindung zwischen dem Anstieg ihrer Auflage und dem Verfall derjenigen der „Gleichheit“. Nach Ansicht der neuen Redaktion hatte maßgeblich der Krieg den Verlust an Leserinnen verursacht. 199 Auf dem Vormarsch. In: GL, 27/ 23/ 17.08.1917/ 157. 200 Vgl. Juchacz, Marie: Seit vier Monaten. In: GL, 27/ 26/ 28.09.1917/ 181. 201 Ebd. 202 Ebd. 203 Die Frau als Arbeiterin. In: GL, 27/ 19/ 02.06.1917/ 131. 204 Ebd. 126 2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“ Auch der Redaktionswechsel sei eine kriegsbedingte Maßnahme – „schmerzlich und bitter“205, aber auch „notwendig und unerläßlich“206 – gewesen: „Der Krieg [sei] auch in diesem Falle die Ursache für eine Entscheidung, die vor dem Kriege niemand in der deutschen Sozialdemokratie für möglich gehalten hätte.“207 Das Ende einer „mehr als fünfundzwanzigjährige[n] Tätigkeit einer hochbegabten und aufopferungsvollen Frau und Kämpferin für die sozialdemokratische Partei“208 wurde demnach dem Krieg bzw. dem Umstand zugeschrieben, dass er für die einen ein Verbrechen, für die anderen eine Notwendigkeit war. Die dienstbeflissenen StellvertreterInnen der Parteispitze, Juchacz und Schulz, waren der Meinung, „ein starkes und freies Deutschland […][sei] die erste Vorbedingung für eine starke und freie deutsche Arbeiterbewegung sowie für die Fortentwicklung der deutschen Kultur, dieses wertvollen und wichtigen Stückes der allgemeinen Kultur“209. Ganz im Sinne der Partei verteidigten sie damit den Krieg als eine für die Arbeiterbewegung förderliche Notwendigkeit. Sie glaubten, dass „gerade die deutschen Frauen vollstes Verständnis für die Haltung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion haben, da jede andere Haltung die ungeheuerliche Gefahr einer deutschen Niederlage, zunächst des Eindringens feindlicher Heere in deutsches Gebiet, später der Unterbindung und Lähmung des deutschen Wirtschaftslebens herbeiführen würde“210. Durchhalteparolen und Schreckensbilder von einer möglichen Niederlage sollten die Frauen der SPD gewogen halten. Denn ein baldiger Frieden könne nur durch das vertrauensvolle Beschreiten des von der Partei eingeschlagenen Weges erreicht werden. Der Zwiespalt der Partei, verursacht von Oppositionellen wie Zetkin, sei dagegen leider nur dazu geeignet, „sein Kommen zu ver- langsamen“211. Juchacz und Schulz machten demnach die USPD, die in ihr vertretenen Kriegs- gegnerInnen zum Sündenbock für das Andauern des Krieges. Die von der USPD betriebene Quertreiberei schade der deutschen Sozialdemokratie und dem deutschen Volk. Zu diesem Zeitpunkt – so kurz nach ihrer Entlassung – stellten die Mehrheitssozialdemokratinnen ihre ehemaligen Genossinnen Zetkin und Zietz noch nicht direkt als Verräterinnen dar. Sie waren 205 In eigener Sache. In: GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117-118, S. 117. 206 Ebd. 207 Ebd. 208 Ebd. 209 In eigener Sache. In: GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117f. 210 In eigener Sache. In: GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 118. 211 Ebd. 127 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) ihnen eher verdienstvolle aber irrgläubige „Lehrmeisterin[nen]“212, denen man die Gefolgschaft hatte versagen müssen. Je stetiger sich die neue sozialdemokratische Frauenbewegung jedoch konsolidierte, desto mehr suchte sie die Abgrenzung zu ihrer Vergangenheit und beurteilte das Verhalten Zetkins und Zietz’ schließlich wesentlich negativer: „Drei Jahre lang krankte die proletarische Frauenbewegung an innerer Zerrissenheit und Unklarheit des Wollens. Die Masse der Frauen wollte sich ge- fühlsmäßig im gleichen Schritt und Tritt mit ihren Männern halten, also der bewährten Politik der sozialdemokratischen Partei folgen; sie wurde aber irre gemacht durch das Verhalten langjähriger Führerinnen, die offen und im geheimen den Anschluß der proletarischen Frauenbewegung an eine neugegründete sozialistische Partei vorbereiteten.“213 Zetkin habe demnach eine Art Verschwörung im Sinn gehabt und glücklicherweise habe die SPD diesen Schaden begrenzen können. Die gut besuchten Werbeversammlungen und die zunehmenden Mitglieds- und Abonnementszahlen belegten den Erfolg dieser Schadens- begrenzung. Deshalb hatte sich die neue Redaktion vorgenommen, Provokationen Zetkins gänzlich zu ignorieren.214 Grundsatz sollte sein, „die ‘Gleichheit’ nicht zu einem Tummelplatz für Parteistreit, Rechthaberei und Gezänke zu machen“215 und deshalb sollte z.B. im September 1918 nur „ausnahmsweise einmal auf einen Angriff der ‘Frauenbeilage der Leipziger Volkszeitung’“216 eingegangen werden. Auch von dem „dreimal“ revolutionären Diskussionsstil auf den Ver- anstaltungen wollte man sich abgrenzen. Freudig stellte Blos für die erste von Juchacz als Frauen- sekretärin einberufene Frauenkonferenz am 7. Juli 1917 fest, dass dort „weniger schwungvoll und weniger häufig vom Klassenkampf und vom revolutionären Sozialismus gesprochen“217 worden sei. Dadurch habe nun im Mittelpunkt einer solchen Veranstaltung „[k]eine radikale Phraseologie, dafür mehr praktische Arbeit im Dienst des Sozialismus“218 gestanden. Die kritisierte „Phra- seologie“ war jedoch tatsächlich weder aus den Diskussionen der proletarischen Frauenbewegung noch aus der „Gleichheit“ verbannt. Das zeigt bereits dieser von Blos gegen Zetkin und ihre 212 Reitze, Johanna: Was nun? In: GL, 27/ 22/ 154/ 03.08.1917/ 154. 213 Auf dem Vormarsch. In: GL, 27/ 23/ 17.08.1917/ 157. 214 Zetkins polemische Bezeichnungen für die Mitglieder der SPD waren vielfältig: „Pseudosozialisten“, „Rechtssozialisten“, „Reformsozialisten“, „die Ebert-Scheidemänner“ (Zetkin, Rede – gehalten auf dem USP- Parteitag am 04.03.1919, S. 4ff.), „Umlerner“, „Nationalsoziale“ (Die Auseinandersetzung in der Sozialdemokratie. In: GL, 27/ 12/ 16.03.1917/ 79) oder „Sozialimperialisten“ (Die Auseinandersetzung in der Sozialdemokratie. In: GL, 27/ 14/ 13.04.1917/ 91) und deren Maßnahmen gegen oppositionelle Parteimitglieder als “Gewaltakte“ (ebd.), die schließlich den zu erwartenden Klärungsprozess beschleunigt hätten. 215 „Unabhängiger“ Kampf gegen die Gesetzentwürfe. In: GL, 18/ 26/ 27.09.1918/ 201-202, S. 201. 216 Ebd. 217 Blos, Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 91. 218 Ebd. 128 2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“ Gefolgsfrauen gerichtete Seitenhieb. Die Polemik der „neuen“ „Gleichheit“ machte sich ab jetzt nur an einem entsprechend veränderten Feindbild fest und es mangelte ihr zudem an einer besonderen agitatorischen Wirksamkeit. Vormschlag bestätigt in ihrer Untersuchung den von Juchacz und Schulz sogar offen für die sozialdemokratische Frauenbildung angekündigten Rückzug aus der „großen“ Politik. Seit dem Redaktionswechsel seien keine „parteipolitische Auseinandersetzungen“219 mehr dargestellt worden und „der aggressive Ton, der gerade diese Beiträge gekennzeichnet“220 habe, sei „den nüchternen Worten der sozial- und gesundheitspolitischen Berichte“221 gewichen. Laut Vormschlag habe sich die neue Redaktion „[i]n der Angst, die Leserinnen zu verscheuchen, […] von der Tagespolitik ab[gekapselt] und […] ängstlich jede aktuelle Diskussion [vermieden]“222. Die „Gleichheit“ habe so in Bezug auf aktuelle Themen „Enthaltsamkeit“223 und damit auch einen „bewußte[n] Verzicht auf Einflußnahme“224 geleistet. Diese Einschätzung ist m. E. jedoch angesichts des von Juchacz und Schulz entworfenen neuen Redaktionsstatuts und der dargestellten Umgangsweise mit ihren Vorgängerinnen zu spezifizieren. Die „neue“ „Gleichheit“ bewies durchaus noch einen aggressiven Ton und Interesse für die parteipolitischen und tagesaktuellen Themen, jedoch war ihr Blickwinkel ein anderer und besonders einseitiger. Den agressiven Ton bewies sie nun vor allem gegenüber der USPD-Konkurrenz und nach Kriegsende gegenüber den Siegermächten. Die sehr wohl innerhalb der „Gleichheit“ geführten Diskussionen, die Angriffe gegen die USPD und die politischen Artikel verfolgten eine ganz bestimmte Intention: Die „Gleichheit“-Leserinnen zu überzeugten Sozialdemokratinnen und nach 1918 zu überzeugten Republikanerinnen zu erziehen. Diese einseitige parteidisziplinäre Sichtweise war es, die die von Vormschlag festgestellte „Enthaltsamkeit“ ausmachte. Sie war es, die die politische Passivität der SPD-Frauen auf fatale Weise begünstigte. In der Auseinandersetzung mit der Konkurrenz von links versäumte die „Gleichheit“ und auch ihre Nachfolgerinnen die Gefahr von rechts vehementer zu bekämpfen. 219 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 100. 220 Ebd. 221 Ebd. 222 Ebd. 223 Ebd., S. 101. 224 Ebd. 129 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) 2.2.3 Die Redakteurinnen der „neuen“ „Gleichheit“ Die Umstände, unter denen die 38-jährige Juchacz die Redaktion der „Gleichheit“ übernahm, waren ungewöhnlich schwierig. Deutschland stand kurz vor einer verheerenden Kriegsniederlage und die Lebenssituation der meisten Deutschen war miserabel. Die SPD war gespalten und viele ParteigenossInnen standen sich nun als GegnerInnen gegenüber. Nichts davon konnte die „Gleichheit“ unberührt lassen. Der anfangs bejubelte Krieg schien nicht enden zu wollen und die allgemeine Unzufriedenheit nahm zu. Sie fand schließlich ihren Höhepunkt in der Novemberrevolution 1918. Als Träger der Revolution sah die „Gleichheit“, die in ihrer Berichterstattung in diesem Fall jedoch alles andere als aktuell sein konnte225, nicht nur die Arbeiter und Soldaten, sondern auch als die „Dritten im Bunde: die Frauen!“226. Das Ende des Krieges und das Ende der Monarchie, die Grundlegung zu einer demokratischen Republik, das Frauenwahlrecht, die allesamt als Ergebnisse aus dieser Revolution hervorgingen, seien aktiv von den Frauen herbeigeführt worden – auch wenn sie quasi „[ü]ber Nacht“227 gekommen seien. Aus dieser Situation heraus waren es vor allem Themen, die die Neuorientierung der SPD228, die Konstituierung der Republik und das Frauenwahlrecht betrafen, mit denen sich Juchacz kurz nach Übernahme der „Gleichheit“-Redaktion befasste. Dagegen hatte sie sich zuvor als Mitarbeiterin unter Zetkin kaum durch größere Artikel hervorgehoben.229 Juchacz steht für eine Generation jüngerer Sozialdemokratinnen, die die Zeit des Sozialistengesetzes, das gemeinsame Ringen von weiblichen und männlichen Sozialdemokraten um Parteitheorie und politische Beteiligung nicht als politisch Aktive miterlebt hatten. Sie hatten die SPD nicht mehr kennengelernt als eine durch die politische Repression der Sozialistengesetze 225 Die „Gleichheit“-Redaktion gab folgende Erklärung: „Da die Redaktion unserer Zeitschrift der Fertigstellung und Beförderung wegen ungefähr 2 Wochen vor dem Erscheinungstermin jeder einzelnen Nummer abschließen muß, so konnte in der vorigen Nummer die große revolutionäre Umwälzung leider kaum eine Erwähnung finden, obwohl die Nummer das Datum des 22. November trägt. Wir bitten wegen diesen Schwierigkeiten, die besonders jetzt infolge der mangelhaften Beförderungsverhältnisse unvermeidlich sind, um Entschuldigung. Redaktion der Gleichheit.“ (Ohne Titel. In: GL, 29/ 05/ 06.12.1918/ 40). 226 Ohne Titel. In: GL, 29/ 05/ 06.12.1918/ 33. 227 Ebd. Vier Monate zuvor hatte Juchacz noch von einem außerparlamentarischen Gespräch zwischen Führerinnen der proletarischen und bürgerlichen Frauenstimmrechtsbewegung und Mitgliedern des Ausschusses für Bevölkerungspolitik das Frauenwahlrecht betreffend berichtet (vgl. [Juchacz, Marie?] M. J.: Eine wichtige Sitzung. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 170-171). 228 [Juchacz, Marie?] M. J.: Das Aktionsprogramm der deutschen Sozialdemokratie. In: GL, 28/ 19/ 21.06.1918/ 145- 146. 229 Der früheste Artikel, der Juchacz im Rahmen der vorliegenden Arbeit zugeordnet werden konnte, erschien 1911 und war ein Bericht von der sozialdemokratischen Frauenorganisation in Rixdorf (vgl. Juchacz, Marie: Bericht von der Frauenorganisation in Rixdorf. In: GL, 21/ 18/ 05.06.1911/ 280-281). Diesem Artikel folgten noch einige weitere Beiträge über regionale Organisationen: Juchacz, M[arie]: Im siebten sächsischen Reichstagswahlkreis … In: GL, 22/ 20/ 26.06.1912/ 312; Juchacz, Marie: Jahresbericht der Genossinnen des Wahlkreises Teltow- Beeskow, Storkow-Charlottenburg. … In: GL, 23/ 02/ 16.10.1912/ 26. 130 2.2.3 DIE REDAKTEURINNEN DER „NEUEN“ „GLEICHHEIT“ geschulte und in der Illegalität sich konsolidierende revolutionäre Untergrundorganisation, sondern als eine demokratische Repräsentantin in einem bürgerlichen Parteiensystem.230 Eine solche SPD brauchte keine Klassenkämpferinnen mehr, sondern Wählerinnen. Euphorisch be- grüßte die „Gleichheit“ das Frauenwahlrecht und den Sturz der Monarchie: „Gestern noch sperrten die Gewalthaber einer vergangenen Zeit dem Werdenden einer neuen Zeit einsichtslos und herausfordernd den Weg. Heute liegen sie überwunden, entwurzelt, gebrochen, ohnmächtig irgendwo abseits vom Wege und warten des Straßenfegers, der sie auf den Kehrichthaufen der Geschichte wirft. Gestern noch waren die deutschen Frauen unfrei, ein unterdrücktes Geschlecht, das auch der erwachenden Demokratie nur mühsam kleine Zugeständnisse abringen konnte. Heute sind die deutschen Frauen die freiesten der Welt. Sie haben die volle und unbedingte Gleichberechtigung mit dem Manne, sie können zu allen Körper- schaften wählen und gewählt werden.“231 Wenn auch das Erreichte Anlass sowohl zum Jubel als auch zum Spott gegenüber dem geschlagenen System gab, so sah die „Gleichheit“ doch auch Anlass zur Besinnung. Denn „Millionen von Männern haben erst in fürchterlichstem Brudermord fallen müssen, ehe die Bahn für [die Frauen][…] frei“232 geworden sei. Obwohl es nicht das Frauenwahlrecht war, dem dieser Bruderkampf gegolten hatte, sollten sich die deutschen Frauen, so Juchacz, „dieser Opfer würdig und dankbar“233 erweisen. Zudem sollten sie nicht vergessen, „daß es die Demokratie und der Sozialismus waren, die [ihnen][…] die Freiheit und die Gleichheit gebracht“234 hätten. Es beunruhigte Juchacz in besonderer Weise, dass dieses in Vergessenheit geraten und die Frauen sich gegenüber der Opfer, die dies gekostet hatte, undankbar erweisen könnten. Deshalb ließ sie der euphorischen Bekanntgabe einen Artikel folgen, in dem sie nochmals die vielen an die Frauen gestellten Erwartungen formulierte: „Wo Rechte gegeben werden, werden auch Pflichten verlangt. Die Wahlen zur gesetzgebenden Nationalversammlung stehen bevor. Bei diesen Wahlen wird das Verhalten der Frauen von ausschlaggebender Bedeutung für das zukünftige Geschick der jungen deutschen Republik sein.“ Die geschulten sozialdemokratischen Genossinnen waren nun gefordert. Sie mussten auf das 230 Für eine eingehendere Betrachtung der neuen SPD-Frauengeneration siehe: Wickert, Unsere Erwählten, Bd. 1. Wickert analysiert vor allem die politischen Werdegänge derjenigen Frauen, die in der Weimarer Republik als Abgeordnete des Reichstages wirkten. Die Arbeit enthält eine wertvolle Zusammenstellung biographischer Informationen, auf die teilweise im anhängenden Verzeichnis biographischer Literatur detaillierter verwiesen wird. Außerdem sind alle weiblichen Reichstagsabgeordneten auch in der Online-Datenbank BIOSOP, alle weiblichen Landtagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Online-Datenbank BIOWEIL erfasst. 231 [Ohne Titel] In: GL, 29/ 05/ 06.12.1918/ 33. 232 Ebd. 233 Ebd. 234 Ebd. 131 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Wahlverhalten der Frauen einwirken, mussten es zugunsten der SPD zum Ausschlag bringen. Daher war es taktisch erforderlich, dass eben jene Genossinnen regelmäßig auf allgemeinen Versammlungen sprachen und dass wieder sowohl besondere Frauenversammlungen als auch die nach 1908 teilweise aufgelösten Frauenabende stattfanden. Eine massive Agitation unter den Frauen musste wieder aufgebaut und koordiniert werden. Zumindest was die Sozialdemokratinnen betraf, setzte Juchacz darauf, dass sie schließlich „durch jahrelanges Lesen der Parteizeitungen und unserer Literatur soweit vorgebildet [seien], daß nicht allzuviel dazu gehör[e], um sie für die planmäßige Agitation zu verwenden“235. Die aufklärende Agitation unter allen Frauen sei „jetzt die dringendste Aufgabe“236, hinter der „alles andere zurückstehen“237 müsse, denn die Sozialdemokratinnen wollten sich „nicht sagen lassen, daß die Republik in ihrer Weiterentwicklung zum Sozialismus durch die politische Rückständigkeit der Frauen gehemmt worden“238 sei. Deshalb widmete die „Gleichheit“-Redakteurin Juchacz ihre Artikel besonders der staatsbürgerlichen Schulung der Frauen und machte diese mit der Verfassung der neuen Republik vertraut.239 Sie bemühte sich außerdem die sozialistische Idee einer internationalen Solidarität zu reaktivieren240. Ein Anliegen, dem auch die Ausrichtung von Frauentagen und der gesetzlich verankerte 1. Mai-Feiertag zuträglich war.241 Auch die Regierungsbeteiligung der SPD und die schwierige Konkurrenzsituation mit der USPD242 waren Themen der von Juchacz verfassten Artikel.243 Später befasste sie sich auffällig oft mit Besprechungen zu Büchern bürgerlicher 235 Juchacz, Marie: An die Arbeit! In: GL, 29/ 05/ 06.12.1918/ 34. 236 Ebd. 237 Ebd. 238 Ebd. Weitere ihrer Artikel zu den Verdiensten der SPD um das Frauenwahlrecht und die Schulung der Agita- torinnen waren: Juchacz, Marie: Die Sozialdemokratie und die Frauen. In: GL, 29/ 07/ 03.01.1919/ 50-51; [Juchacz, Marie?] M. J.: Ein Rundblick über unsere Frauenbewegung. In: GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 59-60; [Juchacz, Marie?] M. J.: Was nun? In, GL 29/ 09/ 31.01.1919/ 67-68; Juchacz, Marie: Was hat der 9. November den Frauen gebracht? In: GL, 29/ 38/ 08.11.1919/ 298. 239 Juchacz, Marie: Die Verfassung des Deutschen Reiches. In: GL, 29/ 25/ 09.08.1919/ 194-195 bis GL, 29/ 33/ 04.10.1919/ 258-259. 240 Juchacz, Marie: An die sozialistischen Frauen und Mütter aller Länder. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 142. 241 Juchacz, Marie: Der erste gesetzlich eingeführte Maifeiertag im neuen Deutschland. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 122; Juchacz, Marie (i.A. des Parteivorstandes): Maiaufruf zum Frauentag. In: GL, 30/ 18/ 01.05.1920/ 129-130 (dieser Artikel berichtete über den Beschluss des Parteivorstandes, vom 9.-16. Mai 1920 einen Frauentag zu veranstalten). 242 Juchacz, Marie: Leipzig. In: GL, 32/ 03/ 01.02.1922/ 21 (dies war ein Bericht zur zweiten Reichsfrauenkonferenz und den Parteitag der USPD, der vom 8.-12. Januar 1922 in Leipzig stattfand und auf dem noch keine Einigung der beiden Sozialdemokratien abzusehen war). 243 Juchacz, Marie: Der Eintritt der Sozialdemokraten in die Regierung. In: GL, 31/ 11/ 01.06.1921/ 101-102. 132 2.2.3 DIE REDAKTEURINNEN DER „NEUEN“ „GLEICHHEIT“ Frauenrechtlerinnen244 und schließlich mit der von ihr 1919 gegründeten Arbeiterwohlfahrt245. Dieser Bereich der sozialen Arbeit bot den Frauen zwar besondere Möglichkeiten politischer Anteilnahme, war zugleich aber auch eine Art Abstellgleis. Das Verhältnis der beiden neuen „Gleichheit“-RedakteurInnen zueinander scheint nicht unproblematisch gewesen zu sein. Schulz soll Juchacz nachgesagt haben, dass sie „weder Erfahrung noch Begabung für eine Redakteurstätigkeit“246 habe und die „Gleichheit“ lediglich „nominell […] leite“247. Zumindest das Hauptblatt vermittelt jedoch einen genau gegenteiligen Eindruck. Im Februar 1919 beendeten Juchacz und Schulz ihre Tätigkeit in der „Gleichheit“- Redaktion, denn beide waren als Abgeordnete in die Nationalversammlung gewählt worden, Schulz zudem auch in den Parteivorstand. Mit Nummer 15 des 29. Jahrgangs wechselte die Verantwortlichkeit für die Redaktion der „Gleichheit“ in die Hände der bisherigen Mitarbeiterin Clara Bohm-Schuch (1879-1936)248.249 Bereits 1906 wurde ein von Klara Bohm verfasstes Gedicht in der „Gleichheit“ veröffentlicht250 und in einer Notiz ihre Tätigkeit als Referentin erwähnt.251 Doch erst für die „neue“ „Gleichheit“ 244 [Juchacz, Marie?] mj.: Heuss-Knapp, Elly: Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre. In: GL, 27/ 24/ 31.08.1917/ 171; [Juchacz, Marie?] M. J.: Kirchhoff, Auguste: Frauenrechte – Volksrechte. In: GL, 28/ 06/ 21.12.1917/ 47. Für die nun weit positivere Einschätzung bürgerlicher Publikationen spricht auch, dass Juchacz die Zeitschrift „Die Frau“ (1893/94-1943/44) als von Lange und Bäumer „vorzüglich geleitet[…]“ (Ein Urteil bürgerlicher Frauen. In: GL, 28/ 26/ 17.09.1918/ 202-203, S. 202) und „bekannt“ (ebd.) bezeichnete. 245 Juchacz, Marie: Arbeiterwohlfahrt. In: GL, 31/ 17/ 01.09.1921/ 161-162. 246 Wachenheim, Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie, S. 84. 247 Ebd. Schulz‘ Überheblichkeit und auch sein Hang zum Opportunismus wurde nicht nur von vielen USPD- Mitgliedern (z. B. Rühle, Illustrierte Kultur- und Sittengeschichte des Proletariats, S. 250f.) kritisiert, sondern fiel auch seinen ParteigenossInnen auf (vgl. Wachenheim, Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie, S. 84f.) 248 Clara Bohm-Schuch, geb. Bohm, entstammte einem kleinbäuerlichen Elternhaus in Stechow und hatte fünf Geschwister. Nach der Dorfschule, arbeitete sie als Dienstmädchen und Verkäuferin, besuchte dann eine Handels- schule in Berlin-Rixdorf. Neun Jahre lang arbeitete sie als kaufmännische Buchhalterin und Korrespondentin. 1904 besuchte sie eine Versammlung, auf der Rosa Luxemburg (1871-1919) referierte, und trat seitdem selbst als Rednerin und Initiatorin kultureller Veranstaltungen der Arbeiterbewegung und der SPD auf. Sie wurde Mitglied im „Verein für Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse” und schließlich Leiterin der Berlin-Neuköllner Kinderschutzkommission. Bohm-Schuch war Initiatorin des ersten Berliner „Heims für arbeitende Jugendliche” und verschiedener kommunaler Mütterberatungsstellen. 1905 (oder 1906) heiratete sie den Kaufmann Willy Schuch und brachte Tochter Clara Maria zur Welt. Seit 1907 verrichtete sie ehrenamtliche Arbeit in der Gemeindefürsorge. 1916 veröffentlichte sie die Broschüre „Die Kinder im Weltkriege“. 1919 wurde sie Abgeordnete der Nationalversammlung. Als Mitglied im „Ausschuß zur Erforschung der Kriegsschuld” boykottierte sie die Abstimmung über die Annahme des Versailler Vertrages. 1920-1933 war sie Reichstags- abgeordnete. Ihr besonderes Engagement galt Fragen des Kinder- und Jugendschutzes. Sie war langjährige Schriftführerin des Reichstagspräsidiums, Mitarbeiterin in der AWO und in der Kinderfreundebewegung. 1933 wurde sie kurzzeitig von der Gestapo in Haft genommen, weil sie sich bei Hermann Göring wegen der Misshandlung der Berliner Stadtabgeordneten Marie Jankowski durch SA-Schläger beschwert hatte. 1936 starb Bohm-Schuch und ihre große Trauerfeier wurde zu einer politischen Demonstration gegen den National- sozialismus. 249 Vgl. In eigener Sache. In: GL, 29/ 14/ 11.04.1919/ 112. 250 Bohm, Klara: Rosen. In: GL, 16/ 13/ 27.06.1906/ 90. Dieses und weitere Gedichte sind im Anhang enthalten. 251 Vgl. Bohm-Schuch, Klara: Über den sittlichen Wert der sexuellen Aufklärung in der Arbeiterfamilie sprach die 133 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) verfasste Bohm-Schuch vermehrt größere Artikel u. a. zu Themen der Bevölkerungspolitik252 und der Frauenerwerbstätigkeit253. Außerdem übernahm sie die Ausgestaltung der Rubrik „Politische Rundschau“254. Bohm-Schuch setzte sich besonders mit der politischen Konkurrenz der SPD von links und rechts auseinander255 und votierte vor allem für die Ablehnung des Versailler Vertrages. Die in ihm enthaltenen Be- dingungen (Reparationen, Kolonieabtritte und Kriegsschuldzuweisung) belasteten nach Meinung Bohm-Schuchs die junge Republik für lange Zeit mit einem Erbe, das sie nicht zu verantworten habe. „Die junge Republik Deutschland soll büßen für die Sünden des Imperialismus und des Kapitalismus, die die Monarchie Deutschland heraufbeschwor.“256 Der Versailler Vertrag sei ein „Friede der Gewalt“257, „nackt und brutal“258, der die Deutschen nach dem endlich abgeschüttelten Monarchismus nun „in die Fessel des Ententekapitalismus und Imperialismus“259 der Feinde schlage. Unter diesen Bedingungen sah Bohm-Schuch ein Erstarken des zerstörerischen Bolschewismus voraus. Dieser sei „wie eine rasende, zehrende Glut, die unter den Händen des Unterdrückers aufspringt, vernichtet was in ihren Bereich kommt und – zusammenfällt, trostlose ausgebrannte Trümmer zurücklassend. Er ist die Gewalt der Empörung gegen die Gewalt der Unterdrückung.“260 Aber nicht nur, dass der Friedensvertrag die bolschewistischen Tendenzen fördere, er schwäche außerdem gerade den Sozialismus, der laut Bohm-Schuch “Gleichheit, Brüderlichkeit und Unterzeichnete … In: GL, 22/ 16/ 29.04.1912/ 250; In Begesack und Blumenthal fanden gut besuchte Ver- sammlungen mit dem Thema statt: „Die sexuelle Aufklärung in der Arbeiterfamilie“. In: GL, 23/ 14/ 02.04.1913/ 217-218. 252 Bohm-Schuch, Klara: Bevölkerungspolitik. In: GL, 28/ 04/ 23.11.1917/ 25-27. 253 Bohm-Schuch, Klara: Die Frauenarbeit in der Übergangswirtschaft. In: GL, 28/ 21/ 19.07.1918/ 163-165 und GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 171-172 (dieser zweiteilige Artikel berichtete über eine vom 20.-21. Juni 1918 in Berlin stattfindende Tagung, die gemeinsam von BDF und dem ständigen Ausschuss zur Förderung der Arbeiterinneninteressen ausgerichtet wurde. 254 Vgl. Bohm-Schuch, Klara: Aus aller Welt und dem Reichstag. 28/ 18/ 07.06.1918/ 138-139. Darin berichtete Bohm-Schuch relativ unspektakulär über den Sturz des Kaisertums und der immer realistischer werdenden Verfassungsänderung zugunsten eines Frauenwahlrechts (vgl. Bohm-Schuch, Klara: Verfassungsänderung zur Zuständigkeit des Parlaments für Militärangelegenheiten. In: GL, 29/ 04/ 22.11.1918/ 28-29). 255 Vgl. Bohm-Schuch, Klara: Gegen rechts und links! In: GL, 29/ 06/ 20.12.1918/ 43-45; Warum müssen die Frauen sozialdemokratisch wählen? In: GL, 29/ 07/ 03.01.1919/ 49-50 (hierin richtete sich Bohm-Schuch vor allem gegen die bürgerlichen Parteien, die vor der Revolution nichts vom Frauenwahlrecht hatten wissen wollen); Im Wahl- kampf. In: GL, 29/ 10/ 14.02.1919/ 73f (dieser Artikel enthielt den Vorwurf an die Spartakisten und die USPD, durch ihr Verhalten die Alldeutschen gestärkt zu haben). 256 Warum auch für uns „unannehmbar“. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 138. 257 Bohm-Schuch, Klara: Friede! In: GL, 29/ 20/ 05.07.1919/ 153. 258 Ebd. 259 Ebd. 260 Ebd. 134 2.2.3 DIE REDAKTEURINNEN DER „NEUEN“ „GLEICHHEIT“ Menschenliebe“261 symbolisiere. Unter der Redaktion Bohm-Schuchs änderte die „Gleichheit“ ein zweites Mal ihren Untertitel und machte damit noch einmal unmissverständlich deutlich, welchem linkspolitischen Lager sie sich verpflichtet fühlte. Der Untertitel „Zeitschrift für die Frauen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands”262 manifestierte die Verbundenheit der „Gleichheit“ mit der SPD und legte zum ersten Mal den Identifikationschwerpunkt auf die Zugehörigkeit zu einer Partei statt zu einer Klasse. Weitere Ereignisse, mit denen sich Bohm-Schuch als Redakteurin der „Gleichheit“ in den Wirren der ersten Republik und angesichts ihrer politischen Hemmnisse auseinanderzusetzen hatte, waren die Schuldfrage263, das Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen264 und der Kapp- Putsch im März 1920265. Am 31. Januar 1922 trat Bohm-Schuch nach dreijähriger Tätigkeit auf eigenen Wunsch von der Redaktion der „Gleichheit“ zurück. Der Parteivorstand übertrug die Schriftleitung der bisherigen ständigen Mitarbeiterin Elli Radtke-Warmuth (?-?)266.267 Zu ihrer Person ist nur wenig bekannt. Sie scheint aus Köln zu stammen, denn bereits im Juli 1918 erschien ein mit „E.R. (Köln)“ gezeichneter Artikel, mit welchem die Redaktion in der erstmals eingerichteten Rubrik „Freie Aussprache“ Folgendes bekannt gab: „Unter dieser Rubrik veröffentlichen wir Einsendungen, für die die Redaktion der ‘Gleichheit’ den Einsenderinnen die sachliche Verantwortung überläßt, die sie aber als Anregungen zur öffentlichen Erörterung in der ‘Gleichheit’ oder in den Zusammenkünften der Frauen geeignet hält. Wir fordern unsere Leserinnen zur regen Mitarbeit auf, wobei wir den Gegenstand völlig der freien Wahl der Frauen 261 Ebd. Die Verantwortlichen für die Friedensannahme wurden von den deutschen Nationalisten als „Erfüllungs- politiker“ beschimpft. Insgesamt stärkte der Versailler Vertrag die erneute nationalistische Hetze und war Hemmnis für den republikanischen Identifikationsprozess. Die „Gleichheit“ bewies Parteitreue, indem sie die Entscheidung ihrer Partei rechtfertigte, aber auch nach Inkrafttreten des Vertrages am 10. Januar 1920 kritisch blieb (vgl. Bohm-Schuch, Klara: Friede! In: GL, 29/ 20/ 05.07.1919/ 153; Nicht weiter durch Blut! In: GL, 30/ 04/ 24.01.1920/ 25). 262 GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 249. 263 Bohm-Schuch, Clara: Es soll Licht werden. In: GL, 29/ 37/ 01.11.1919/ 289-290 (der Artikel kündigte an, dass die Nationalversammlung einen Ausschuss zur Ermittlung der Kriegsschuld eingesetzt habe); Wer trägt die Schuld? In: GL, 29/ 41/ 29.11.1919/ 321-322. 264 Bohm-Schuch, Clara: Klar sein. In: GL, 29/ 31/ 20.09.1919/ 241-242. (Bohm-Schuch verurteilte darin die Erschwerung des Transports der deutschen Kriegsgefangenen und den französischen Chauvinismus, der sich darin ausdrückte); Weihnachten. In: GL, 29/ 44/ 20.12.1919/ 345-346 (Bohm-Schuch verwies auf das Schicksal deutscher Kriegsgefangener in Frankreich und die schwierigen innerdeutschen Zustände). 265 Bohm-Schuch, Clara: Der monarchistische Putsch. In: GL, 30/ 13-14/ 03.04.1920/ 97-98; Der monarchistische Putsch II. In: GL, 30/ 15/ 10.04.1920/ 105-106; Feinde ringsum. In: GL, 30/ 17/ 24.04.1920/ 121-122. 266 Trotz ihrer besonderen Position als „Gleichheit“-Redakteurin sind weder in den herangezogenen Nachschlage- werken und Datenbanken noch in den offiziellen Parteidokumenten biographischen Informationen zu Elli Radtke- Warmuth enthalten. Im Sommer 1922 scheint Radtke-Warmuth geheiratet zu haben, denn bis dahin zeichnete sie nur als Elli Radtke. 267 An unsere Leserinnen! In: GL, 32/ 03/ 01.02.1922/ 30. 135 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) überlassen.“268 Diese Bekanntmachung stellt eine interessante Neuerung innerhalb der redaktionellen Arbeit der „Gleichheit“ dar. Sie versuchte damit wohl die Leserinnen verstärkt als „gute Freundin“ anzusprechen. Radtke-Warmuth nutzte die Gelegenheit, die Höhe der Parteibeiträge der Frauen zu diskutieren. Des Weiteren verfasste sie eine kleine biographische Skizze des Komponisten Ludwig van Beethoven und einen Nachruf auf den Journalist Franz Diederich.269 Außerdem beschäftigte sie sich mit Themen der Mädchenerziehung und der unehelichen Mutterschaft.270 Später verfasste sie Berichte zur internationalen kommunistischen Frauenkonferenz in Moskau271, zur ersten internationalen Tagung für Sexualreform272 und zum SPD-Parteitag in Augsburg und dem Einigungsparteitag in Nürnberg am 24. September 1922273. Auf jenem Parteitag hatte sich der rechte Flügel der USPD mit der Mehrheitssozialdemokratie vereint, während der linke Flügel zur KPD stieß. Die USPD hatte sich damit aufgelöst, was zu einer erneuten Veränderung in der „Gleichheit“-Redaktion führte. Am 1. November 1922 wurden die Frauenorgane der beiden sozialdemokratischen Parteien vereint – dies auch personell. Mathilde Wurm (1874-1935) – bis dahin Redakteurin der USPD- Frauenzeitschrift „Die Kämpferin“ (1919-1922)274 – wurde Koredakteurin der „Gleichheit“. Noch 1907 bis 1917 hatte Wurm zu den fleißigsten MitarbeiterInnen Zetkins gezählt.275 Sie schrieb damals vor allem Berichte und Kommentare zu den Großveranstaltungen der Partei oder der ver- schiedenen Frauenorganisationen – auch der bürgerlichen.276 Auch zum weiblichen Berufsleben 268 [Radtke-Warmuth, Elli?] E. R.: Die Parteibeiträge der Frauen! In: GL, 28/ 20/ 05.07.1918/ 160. 269 [Radtke-Warmuth, Elli?] E. R.: Beethoven In: GL, 30/ 51-52/ 18.12.1920/ 416; Franz Diederich † In: GL, 31/ 06/ 15.03.1921/ 53. 270 Radtke, Elli: Zur Mädchenerziehung. In: GL, 30/ 35/ 28.08.1920/ 286; Schutz der unehelichen Mutter. In: GL, 31/ 09/ 01.05.1921/ 82-83. 271 [Radtke-Warmuth, Elli?] E. R.: Internationale kommunistische Frauenkonferenz in Moskau. In: GL, 31/ 11/ 01.06.1921/ 106; Die internationale kommunistische Frauenkonferenz in Moskau. In: GL, 31/ 15/ 01.08.1921/ 149. 272 Radtke, Elli: Sexualreform. In: GL, 31/ 21/ 01.11.1921/ 203-204. 273 [Radtke-Warmuth, Elli?] E. Rdt.: Delegiert Frauen zum Parteitag! In: GL, 32/ 13/ 01.07.1922/ 122; Radtke- Warmuth, Elli: Zum Parteitag in Augsburg. In: GL, 32/ 17-18/ 01.09.1922/ 157-158; Die Einigung. In: GL, 32/ 19- 20/ 01.10.1922/ 173-174. 274 Die „Kämpferin“ erschien im Verlag Louise Zietz und war eine „Mischung aus Funtionärinnen- und Schulungszeitschrift für die ‘einfache’ Genossin“ (Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 169). Sie war wenig populär aufgemacht, zeichnete sich durch einen kämpferischen Sprachgebrauch aus und stellte neben Klassenkampfagitation eher traditionelle Frauenbilder in den Mittelpunkt ihrer Darstellungen. Zur „Kämpferin“ und zur von Zetkin redigierten „Kommunistin“ siehe: Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 169ff.; Wilhelms, Frauenzeitschriften in der Weimarer Republik; Wickert, Unsere Erwählten, Bd. 1. 275 Die Recherche ergab als Wurms ersten Artikel für die „Gleichheit“: Wurm, Mathilde: Die Stellenvermittlung. In: GL, 17/ 02/ 23.01.1907/ 12 und GL, 17/ 03/ 06.02.1907/ 19. 276 U. a.: Wurm, Mathilde: Die Gothaer Tagung. In: GL, 27/ 16/ 11.05.1917/ 105-106; Zur Frauenkonferenz. I. In: 136 2.2.3 DIE REDAKTEURINNEN DER „NEUEN“ „GLEICHHEIT“ und zur Jugendarbeit verfasste Wurm zahlreiche Artikel.277 1919 kehrte die ehemalige Redakteurin der USPD-Frauenzeitschrift „Die Kämpferin“ in den MitarbeiterInnenstab der „Gleichheit“ zurück und scheint auch dort weiterhin eine mehr oder weniger radikale Position vertreten zu haben. Diese Vermutung ergibt sich daraus, dass Wurm u. a. für Artikel zu Leben und Werk von Marx und Bebel oder Berichte internationaler Frauenkonferenzen278 verantwortlich zeichnete. Nach Wurms Eintritt in die „neue“ „Gleichheit“-Redaktion wurde abermals ein neuer – seit der Entlassung Zetkins nun bereits der dritte – Untertitel eingeführt. Dieser setzte sich zusammen aus dem bisherigen Untertitel der „Kämpferin“ „Zeitschrift für die Frauen und Mädchen des werktätigen Volkes“ und dem Zusatz „Organ der Vereinigten SPD“.279 Das Titelblatt bekam eine vollkommen neue und auffällige Gestaltung mit größerem Titel und geschwungenem Banner im Titelkopf – was später jedoch wieder abgeändert wurde.280 Elli Radtke-Warmuth und Mathilde Wurm waren die beiden letzten Redakteurinnen des „Gleichheit“-Hauptblattes. Die Beilagen „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ und „Für unsere Kinder“, auf deren Entwicklung an anderer Stelle eingegangen wird, wurden redaktionell unabhängig betreut. Seit 1919 war die Schwester von Marie Juchacz, Elisabeth Röhl (1888- 1930)281, dafür zuständig. Röhl redigierte zusammen mit der ebenfalls in Köln ansässigen Else GL, 20/ 12/ 14.03.1910/ 181-182; GL, 20/ 16/ 09.05.1910/ 247-248; Eine überflüssige Konferenz. In: GL, 20/ 14/ 11.04.1910/ 216-217; Der erste Mai und die Arbeiterinnen. In: GL, 22/ 16/ 29.04.1912/ 243-245. 277 U. a.: Wurm, Mathilde: Das weibliche Dienstjahr. In: GL, 25/ 25/ 03.09.1915/ 168-169; Das weibliche Dienstjahr. (Schluß.). In: GL, 25/ 26/ 17.09.1915/ 176; Die bürgerliche Jugendbewegung. In: GL, 22/ 05/ 27.11.1911/ 67-70; Unsere Jugendarbeit. In: GL, 22/ 26/ 18.09.1912/ 403-406; Die Gewinnung der weiblichen Jugend. In: GL, 24/ 06/ 10.12.1913/ 84-86; Die Gewinnung der weiblichen Jugend. (Schluß.) In: GL, 24/ 07/ 24.12.1913/ 100-102; Die militärische Jugendvorbereitung. In: GL, 26/ 08/ 07.01.1916/ 56 bis GL, 26/ 10/ 04.02.1916/ 72-73; Die proletarische Jugendbewegung in der Kriegszeit. In: GL, 26/ 12/ 03.03.1916/ 86-88. 278 [Wurm, Mathilde?] M. W.: Karl Marx und die Frauen. In: GL, 33/ 05/ 01.03.1923/ 33-34; Bebel, der Klassenkämpfer. In: GL, 33/ 15/ 01.08.1923/ 124; Bebel, der Klassenkämpfer (Schluß). In: GL, 33/ 16/ 15.08.1923/ 125-126; Die internationale Frauenkonferenz. In: GL, 33/ 12/ 15.06.1923/ 93-94. 279 GL, 32/ 21/ 01.11.1922/ 189. 280 Beispiele für die Titelblattgestaltung der „Gleichheit“ sind im Anhang enthalten. 281 Elisabeth Röhl, bzw. Kirschmann-Röhl, geb. Gohlke, wurde in Landsberg an der Warthe, dem heute 80 km nord- östlich von Frankfurt/Oder gelegenen polnischen Gorzów Wielkopolski, als jüngste Tochter eines teilweise selbständigen Zimmerermeisters geboren. Sie besuchte die Volksschule und arbeitete später erst als Dienst- mädchen, dann als Näherin. 1905 zog sie nach Berlin. Seit 1906 waren Röhl und ihre Schwester Marie Juchacz Mitglieder des „Frauen- und Mädchen-Bildungsvereins“ in Berlin-Schöneberg und der Gewerkschaft. 1907 heiratete sie den Bauarbeiter Röhl, die Ehe wurde aber bald wieder aufgelöst. 1908 trat Röhl der SPD bei, wurde für diese schriftstellerisch tätig und war bis zu ihrem Umzug 1913 nach Köln Mitglied im Vorstand der SPD von Berlin-Neukölln. Seit 1912 war sie zu verschiedenen Parteitagen delegiert. Während des Ersten Weltkrieges war Röhl Mitglied mehrerer städtischer Kommissionen und besonders in der Wohlfahrtspflege aktiv. 1919-1924 Stadtverordnete in Köln und Mitglied des Provinziallandtags Rheinprovinz, war sie außerdem 1919-1920 Reichstagsabgeordnete. Weitere Kandidaturen für den Reichstag blieben erfolglos. 1921-1930 saß sie als Abgeordnete im preußischen Landtag. Röhl lebte vor und nach ihrer Scheidung in einer Lebensgemeinschaft mit ihrer Schwester. 1921 heiratete sie den sozialdemokratischen Redakteur, Ministerialrat und Reichstagsabgeordneten Emil Kirschmann. 1922-1930 gab sie die Beilage „Die arbeitende Frau“ (1921-1930) heraus. 1919-1930 war Röhl Mitglied des Hauptausschusses der von ihrer Schwester gegründeten AWO und Leiterin der AWO-Anstaltskommission. Laut Wachenheim hatte Röhl „eine viel freundlichere Natur als die ältere 137 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Wirminghaus (1867-1939)282 das Nachfolgeblatt der 1917 eingestellten Beilage „Für unsere Mütter und Hausfrauen“. Diese neue Beilage trug den bezeichnenden Titel „Die Frau und ihr Haus“, wurde von der „Werbestelle für deutsche Frauenkultur“ – nicht von der SPD – herausgege- ben und der „Gleichheit“ erstmals im Juni 1919 und zuletzt vermutlich im April 1922 beigelegt.283 Wirminghaus engagierte sich stark für die Entwicklung bequemerer Frauenkleidung, des so genannten „Reformkleides“284 und für eine moderne Wahrnehmung des weiblichen Körpers. Es dürfte ihre Tätigkeit während des Ersten Weltkrieges im „Nationalen Frauendienst“ gewesen sein, welche sie der Sozialdemokratie näherbrachte. 1919 legte Wirminghaus ihr Amt im „Verein zur Verbesserung der Frauenkleidung“ nieder und widmete sich mit der Zeitschrift „Die Frau und ihr Haus“ den praktischen Bedürfnissen der Arbeiterinnen. Wie Wirminghaus engagierte sich auch Elisabeth Röhl für die Entwicklung des Reformkleides. Röhl dürfte als gelernte Näherin einen besonderen Blick auf dieses Thema gehabt haben. Im Gegensatz zu Wirminghaus schrieb Röhl jedoch auch für das Hauptblatt der „Gleichheit“. Während des Krieges beschäftigte sie sich darin u. a. mit dem Problem der Kleiderbeschaffung.285 Später thematisierte Röhl die Ehereform und den Katholizismus der „modernen“ Frau.286 1919 wurde sie Abgeordnete.der Nationalversammlung. Dieses Amt gab ihr die Möglichkeit, von Februar bis August 1919 für die „Gleichheit“ eine besonders interessante Artikelserie zu ver- fassen. Im Stil privater Aufzeichnungen schrieb sie die „Tagebuchblätter aus Weimar“287. Röhl beschrieb darin, wie sie als Abgeordnete die turbulenten Ereignisse in der Nationalversammlung erlebte und gab ihren Leserinnen einen Eindruck von den Tätigkeiten einer Berufspolitikerin. Des [Juchacz gehabt; M.S.] und war allgemein sehr beliebt; sie war auch viel wortgewandter als ihre Schwester“ (Wachenheim, Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie, S. 130). Eine erste Erwähnung in der „Gleichheit“ findet Röhl durch eine von ihr in Südbayern unternommene Agitationstour (vgl. GL 23/ 05/ 27.11.1912/ 75). 282 Wirminghaus war Tochter eines Lehrers, in dessen Andenken sie 1905 das Buch „Karl Strackerjahn – Aus dem Leben und Wirken eines deutschen Schulmannes“ verfasste. Sie war examinierte Klavierlehrerin und heiratete 1890 den Syndikus der Kölner Handelskammer und späteren Universitätsprofessor Alexander Wirminghaus. Ab 1904 engagierte sie sich im „Verein zur Verbesserung der Frauenkleidung“. Wirminghaus verfasste die Werke „Die Frau und die Kultur des Körpers“ (1911), „Das Kleid der arbeitenden Frau“ (1917) und gemeinsam mit Luise Neyber (?-?) „Bleibe jung. Tägliche Körperübungen der Frau“ (1921). Es ist bezeichnenderweise eine regionale Arbeit zur Kölner Frauenbewegung, die eine biographische Skizze Wirminghaus‘ enthält (vgl. Roecken, Else Wirminghaus, S. 179-182). 283 Vgl. GL, 29/ 19/ 20.06.1919/ 145 und GL, 32/ 07/ 01.04.1922 (diese Nummer ist im eingesehenen Archivbestand nicht vorhanden, aber bereits die Folgenummer weist „Die Frau und ihr Haus“ nicht mehr im Titelkopf auf). 284 Das Reformkleid galt den fortschrittlichen Frauenvereinen als äußeres Zeichen weiblicher Emanzipation, als Befreiung aus dem beengenden und gesundheitsschädigenden Korsett. Siehe: Ober, Der Frauen neue Kleider. 285 Röhl, Elisabeth: Krieg und Frauenkleider. In: GL, 28/ 19/ 21.06.1918/ 148-150. 286 Röhl, Elisabeth: Ehereform. In: GL, 29/ 14/ 11.04.1919/ 109-111; Die moderne Frau. In: GL 30/ 35/ 28.08.1920/ 285-286. 287 Röhl, Elisabeth: Tagebuchblätter aus Weimar. In: GL, 29/ 11/ 28.02.1919/ 88 bis GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 127; Tagebuchblätter aus Berlin In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 144; Tagebuchblätter aus Berlin und Weimar. In: GL, 29/ 20/ 05.07.1919/ 160; Tagebuchblätter aus Weimar. In: GL, 29/ 21/ 12.07.1919/ 168 bis GL, 29/ 28/ 30.08.1919/ 224. 138 2.2.3 DIE REDAKTEURINNEN DER „NEUEN“ „GLEICHHEIT“ Weiteren beschäftigte sie sich mit der Situation unehelicher Mütter und Kinder und ihrer Berück- sichtigung im Bürgerlichen Gesetzbuch und der Weimarer Verfassung.288 Das Experiment, Frauen politische und unterhaltsame Lektüre in einem einzigen Blatt zu bieten – wenn auch das eine in Form von Beilagen – war gescheitert. Noch 1921 auf der SPD-Frauen- konferenz in Görlitz konnte verkündet werden, dass selbst bürgerliche Frauen die „Gleichheit“ als die „höchstqualifizierte Frauenzeitschrift in ganz Deutschland überhaupt“289 erachten würden. Doch Qualität bewahrte nicht vor dem finanziellen Aus. Vor allem der noch zu schildernde finanzielle Hintergrund wurde ausschlaggebend. Die Überlegung, die „Gleichheit“ wieder zum Obligatorium der weiblichen Parteimitglieder zu machen, wurde auf den Frauenkonferenzen verworfen, weil die damit verbundenen Beitragserhöhungen vermutlich zu mehr Parteiaustritten geführt hätten.290 Das Konzept des Experiments wurde aufgegeben und in den folgenden Jahren zwei Nachfolgerinnen herausgegeben: „Die Genossin – SPD-Informationsblatt für Funk- tionärinnen“ (1924-1933) erschien monatlich und diente der Schulung und Vernetzung der Organisationen. Die „Frauenwelt – eine Halbmonatsschrift“ (1924-1933) war ein Unterhaltungs- blatt, mit dessen Hilfe von den Ortsgruppen auch so genannte „Frauenweltabende“ unterhaltsam gestaltet wurden.291 288 Röhl, Elisabeth: Das Recht der unehelichen Mutter. Zur Reform des bürgerlichen Gesetzbuches. In: GL, 30/ 41- 42/ 09.10.1920/ 335-336; Das uneheliche Kind in der „Weimarer Verfassung“. In: GL, 30/ 19/ 08.05.1920/ 140- 141. 289 Diese Befürchtungen teilten nicht alle Funktionärinnen der SPD, da in ihren Bezirken ein Obligatorium ohne Mitgliederverlust möglich gewesen war (vgl. Arning im Bericht über den Reichsfrauentag. In: Protokoll des SPD- Parteitages in Görlitz 1921, S. 66). 290 Vgl. ebd. 291 Vgl. ebd. Diese „Frauenweltabende“ wurden von Seiten der männlichen Genossen ungerechtfertigter Weise oft abfällig als „Kaffeeklatsch“ abgetan. (Juchacz im Protokoll des SPD-Parteitages Kiel 1927, S. 59). Hinsichtlich einer kritischen Betrachtung des unterhaltenden Schwerpunktes der „Frauenwelt“ siehe Kapitel 3.3.3. 139 2.3 „Für die ‘Gleichheit’ mit der Feder tätig“ – Die MitarbeiterInnen der „Gleichheit“ 2.3.1 Die MitarbeiterInnen Zetkins Nachdem bisher diejenigen Personen charakterisiert wurden, die die „Gleichheit“ ins Leben riefen und als verantwortliche RedakteurInnen am Leben erhielten, werden nun einige ihrer MitarbeiterInnen und eine Auswahl ihrer Themen näher vorgestellt. Im Vordergrund aller Darstellungen sollen der Beginn und Verlauf ihrer Tätigkeit für die „Gleichheit“ und ein kurzer Einblick in ihre Arbeitsfelder stehen.292 Dabei wird keine konkrete Unterscheidung in „ständige“ und andere MitarbeiterInnen der „Gleichheit“ getroffen, sondern diese wird viel- mehr bewusst als ein, wie Lion es ausdrückt, „Gemeinsamkeitswerk“293 betrachtet. Das Fehlen entsprechender Redaktionsunterlagen erschwert zudem die Ermittlung, welche AutorInnen als „ständige“ MitarbeiterInnen zu betrachten sind und welche nicht. Auch an der Anzahl der erschienenen Artikel lässt sich dieser Status nicht festmachen. Zum Mitarbeiterstamm der „Gleichheit“ zählen bekannte FunktionärInnen, Redakteure und Journalisten der SPD, Per- sonen, die in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu diesen standen294, Personen aus den regionalen und lokalen Organisationen und Personen, von denen lediglich ein Name, ein Pseu- donym oder die Initialen ermittelbar sind. Bei Personen, deren Biographien gut erforscht sind oder deren Vorbildfunktion in den nachfolgenden Kapiteln noch näher vorgestellt wird, wird im Weiteren auf eine ausführliche biographische Darstellung verzichtet. Zetkin, die in den ersten Jahren gezwungen war, die meisten Artikel selbst zu verfassen, hob anlässlich ihres 50. Geburtstages stolz die Bedeutung und Zusammensetzung ihres Mit- arbeiterInnenstabes hervor: „Leserinnen und Leser der ‘Gleichheit’ haben mich zu meinem 50. Geburtstag im reichsten Maße mit Beweisen ihrer Sympathie und Anerkennung bedacht. Sie sind mir ganz besonders wertvoll als Ausdruck der engen, ich bin versucht zu sagen persönlichen Fühlung, welche zwischen der ‘Gleichheit’ und ihrem Leserkreis besteht. Aber was die ‘Gleichheit’ im Laufe von 16 arbeits- und 292 Der angegebene Zeitpunkt des Eintritts einer Person in die „Gleichheit“-Mitarbeiterschaft wurde aus der Durchsicht der „Gleichheit“ ermittelt und muss bis zur digitalen Erstellung eines Autorenregisters unbestätigt bleiben. Auch für die Entschlüsselung vieler Initialen und Zeichen ist ein solches Register erforderlich. In einer Auswertung der in der „Gleichheit“ veröffentlichten Kurzmeldungen betreffs der Themen Stimmrecht und Prostitution und ihrer VerfasserInnen weist Wischermann die besonderen Strukturen persönlicher Ver- netzung innerhalb der proletarischen Frauenbewegung auf (vgl. Wischermann, Frauenbewegung und Öffent- lichkeiten um 1900, S. 127ff.). 293 Lion, Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 94. 294 Zu der Bedeutung von Verwandtschaft auf der regionalen Ebene der proletarischen Frauenbewegung in Frankfurt am Main siehe: Klausmann, Politik und Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 346ff. 141 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) erfolgreichen Jahren vielen Zehntausenden geworden ist, das ist nicht allein eine Frucht meines Wirkens. Es ist auch der treuen Unterstützung geschuldet, welche die Zeitschrift seitens ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfahren hat, das Wort in seinem weitesten Sinne genommen, so daß es alle begreift, die für die ‘Gleichheit’ mit der Feder tätig sind, wie alle jene, die durch Ratschläge ihre Aus- gestaltung, durch mühevolle Kleinarbeit ihre Verbreitung fördern. Sie alle haben sich um das Werk der Sammlung und theoretischen Schulung der Proletarierinnen für den Klassenkampf wohlverdient gemacht, das die vornehmste Aufgabe des Blattes ist. Wie sie sich bei Arbeit und Kampf zu mir gesellen, so gehören sie auch bei der Ehrung solidarisch mir zur Seite. Es ist mir daher ein Herzensbedürfnis, den innigen Dank für alle, deren Liebe mich erfreute, und denen ich nicht persönlich die Hand drücken kann, mit der wärmsten Anerkennung für alle Ge- nannten und Ungenannten zu verbinden, deren hingebungsvolle Mitarbeit die ‘Gleichheit’ trägt.“295 Zetkin formulierte diesen Dank an ihre MitarbeiterInnen zu einem Zeitpunkt, da der Erfolg der „Gleichheit“ eine besondere – vor allem quantitativ messbare – Form angenommen hatte. Von 1905 bis 1906 hatte sich die Zahl der Abonnentinnen von 23.000 auf 46.000 verdoppelt. Dies war sowohl ein Verdienst Zetkins und ihrer AutorInnen als auch der wachsenden Parteistrukturen, des Verlags und der ExpediteurInnen. An der Schnittstelle zwischen inhaltlicher und expeditierender Arbeit für die „Gleichheit“ standen die Agitatorinnen. Es sind in den ersten Jahren vor allem deren Berichte über Vortragsreisen, die auf ihren Agitationsreisen die „Gleichheit“ verteilten und Vereinsgründungen anstießen, die neben den Artikeln Zetkins die Seiten der „Gleichheit“ füllen. Sie sind es, die die Rubrik „Aus der Bewegung“ ausmachen und damit beste Rechenschaft über die fortschreitende Vernetzung der proletarischen Frauenbewegung ablegen. Meist referierten die Agitatorinnen denselben Vortrag in mehreren Veranstaltungen. Dies lässt sich daran erkennen, dass sich die Vortragstitel in der nach Ortsnamen geordneten Rubrik „Aus der Bewegung“ wiederholen.296 Sehr häufig griffen die Agitatorinnen dabei Themen auf, die in ihren theoretischen Ausführungen auf Zetkin oder Bebel basierten oder die aktuelle politische Diskussion wider- spiegelten. Als Agitatorinnen waren vor allem Genossinnen tätig, die bereits ein gewisses Maß an Schulung erfahren und innerhalb ihrer regionalen Frauenorganisation eine führende Position inne hatten. Zu diesen gehörten beispielsweise die bereits erwähnten Helma Steinbach, Martha Rohrlack und Marie Wackwitz (1865-?)297. Letztere hatte zu einem ihrer Agitationsauftritte 295 Zetkin, Clara: Ein Wort des Dankes. In: GL, 17/ 15/ 22.07.1907/ 127. 296 Joos belächelte als zeitgenössischer Kritiker der proletarischen Frauenbewegung diese bescheidenen Anfänge sozialistischer Frauenagitationsreisen. Er hatte jedoch auch nicht ganz Unrecht, wenn er feststellte: „Die wenigen Frauen, die zur Verfügung standen, hielten allenthalben gleichlautende Vorträge.“ (Joos, Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland, S. 15). 297 Marie Wackwitz, geb. Zinske, wurde in Dresden geboren und besuchte die Volksschule. 1889 trat sie dem Arbeiterbildungsverein Dresden und Löbtau bei. Seit 1901 wirkte sie als reisende Agitatorin der SPD vor allem in Sachsen und wurde 1905 Vertrauensperson für Dresden. 1917 wurde Wackwitz Mitglied der USPD und Dezember 1920 der VKPD. Aus der KPD trat sie jedoch 1921 wieder aus und blieb parteilos, bis sie sich wieder der USPD und schließlich der SPD anschloss. Nachdem sie 1917 nicht mehr für die „Gleichheit“ arbeitete, wurde sie 1919 142 2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS folgende besondere Begebenheit zu erzählen: „In Wechselburg konnten es einige Frauen gar nicht begreifen, daß eine Frau in einer Versammlung reden sollte. ‘Das ist gar keine richtige Frau,’ hatten sie ge- meint, ‘der hat man bloß eine Perücke aufgesetzt und einen Rock angezogen.’ Aber als sie sahen, daß tatsächlich eine Frau referierte, war ihre Freude groß, und sie baten die Referentin, recht bald wieder zu kommen.“298 Auch Ottilie Baader (1847-1925) war als Agitatorin für die proletarische Frauenbewegung unterwegs. Sie war anfangs vor allem in der Berliner Frauenorganisation engagiert und verfasste für die „Gleichheit“ Berichte aus dem Berliner „Bildungsverein für Frauen und Mädchen“. 1900 wurde sie in Mainz auf der ersten sozialdemokratischen Frauenkonferenz299 mit nur zwei Gegenstimmen in das zentrale und von der Parteikasse seit 1904 besoldete Amt der „Vertrauens- person der Genossinnen Deutschlands“300 gewählt. Als solche verfasste sie bis 1908 einen jährlichen Rechenschaftsbericht. Diese Berichte wurden – wenn auch nicht wortgleich – sowohl in der „Gleichheit“301 als auch in den jeweiligen Parteitagsprotokollen302 veröffentlicht. Sie geben besonders wertvollen Aufschluss über Entwicklung und Finanzen der „Gleichheit“ wie der gesamten proletarischen Frauenbewegung.303 Im Parteitagsprotokoll von 1909 war der Bericht zur Mitarbeiterin der USPD-Frauenzeitschrift „Die Kämpferin“. Wackwitz arbeitete als Schriftstellerin und für die AWO. 1920-1924 war Wackwitz Reichstagsabgeordnete. Nachfolgende Kandidaturen blieben erfolglos – die letzte im September 1930. Neben ihren Agitationsberichten veröffentlichte Wackwitz in der „Gleichheit“ Artikel, die meist organisatorische oder agitationsstrategische Inhalte hatten, z. B.: Wackwitz, Marie: Zur Frage der Agitation. In: GL, 14/ 18/ 24.08.1904/ 138-139; Ein Wort zur Gestaltung unserer Diskussionsabende. In: GL, 20/ 26/ 26.09.1910/ 403-404. 298 Wackwitz, Marie: Ohne Titel. In GL, 18/ 14/ 06.07.1908/ 127. 299 Die Frauenkonferenzen fanden jeweils alle zwei Jahre im Vorfeld eines SPD-Parteitages statt (siehe Literaturverzeichnis). 300 Vgl. Ohne Titel. In: GL, 09/ 25/ 06.12.1899/ 198-199. 301 Baader, Ottilie: Erster Vierteljahresbericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands. In: GL, 11/ 05/ 27.02.1901/ 37; Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands. In: GL, 12/ 21/ 08.10.1902/ 165- 166; GL, 13/ 18/ 26.08.1903/ 141-142; GL, 14/ 19/ 07.09.1904/ 146-147; GL, 14/ 20/ 21.09.1904/ 155-156; GL, 15/ 17/ 23.08.1905/ Beilage; GL, 16/ 18/ 05.09.1906/ Beilage; [der Bericht von 1907 fehlt oder erschien vielleicht nicht]; GL, 18/ 17/ 17.08.1908/ Beilage. Bemerkenswert ist, dass diese Berichte in ihrem Umfang stetig zunahmen, ab 1905 als Beilage der „Gleichheit“ beigefügt wurden und 1908 – im Jahr der Integration der Frauen in die Parteiorganisation – schließlich der letzte und umfangreichste von allen erschien. Der Berichte von 1908 enthält ein Verzeichnis der Namen und Adressen aller Vertrauenspersonen. Diese Angaben sind für die aktuelle regionale Frauengeschichtsforschung sehr aufschlussreich (vgl. weitere Verzeichnisse in: GL, 12/ 16/ 30.07.1902/ 128; GL, 12/ 18/ 27.08.1902/ 144; GL, 13/ 01/ 01.01.1913/ 8 und verschiedene Nachträge. Das umfangreichste Verzeichnis erschien mit der Beilage in Jg. 15). 302 Im Protokoll des SPD-Parteitages in Lübeck 1901 fehlte der Bericht noch und in München 1902 und Dresden 1903 gab Baader keinen Berichtszeitraum an. Doch zunehmend wurde auch die Art und Weise ihrer Berichterstattung professioneller (vgl. Literaturverzeichnis). 303 Die Finanzen der „Gleichheit“ werden noch an anderer Stelle dargelegt. Die Finanzangelegenheiten der proletarischen Frauenbewegung hatten ihren Schlusspunkt darin, dass Baader den Agitationsfonds 1908 an den Parteikassierer übergeben musste: 413,24 Mark und ein Bankguthaben bei der Deutschen Bank über 5.423,10 Mark (vgl. Baader, Ottilie: Zur Beachtung! In: GL, 19/ 09/ 01.02.1909/ 138). 143 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Frauenorganisation der SPD nur noch eine Rubrik des Parteivorstandsberichtes.304 1911 heiratete Baader den Gastwirt August Dietrichs aus Oranienburg und nahm den Doppelnamen Baader-Dietrichs an. Unter diesem Namen – bzw. auch unter der Schreibweise Diederichs-Baader – veröffentlichte sie sogar in der „neuen“ „Gleichheit“ noch einige wenige Artikel305, die zusammenfassend als Rückblenden auf die Anfänge der proletarischen Frauen- bewegung charakterisiert werden können. Während Baader als absolute Gefolgsfrau Zetkins gilt, wird Lily Braun (1865-1916) oft als deren Gegenspielerin charakterisiert.306 Braun wurde erstmals 1895 in der „Gleichheit“ erwähnt. Sie trug damals noch den Namen Lily von Gizycki und hatte auf einer Agitationsversammlung der Arbeiter-Bildungsschule in Berlin einen Vortrag mit dem Titel „Die Frau in der Gegenwart“ gehalten. Zetkin kommentierte diesen Vortrag wie folgt: „Die Referentin, welche der bürgerlichen Frauenbewegung angehört, entwickelte in ihrem Vortrag das Programm bürgerlicher Frauenrechtelei, deren Endziel die Forderung der politischen Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts ist. Trefflich, klar und scharf präzisierte ihren Ausführungen gegenüber Genossin Rohrlack den Charakter und die Ziele der proletarischen Frauenbewegung, deren A und O nicht der Kampf für Frauenrechte sei, sondern der Kampf gegen das Kapital.“307 Braun war damals augenscheinlich noch keine Anhängerin der Sozialdemokratie, sondern eine der führenden Persönlichkeiten der radikalen bürgerlichen Frauenbewegung. Doch dies sollte sich ändern. 1896 trat sie der SPD bei, engagierte sich fortan in der proletarischen Frauenbewegung308 304 Im Parteivorstandsbericht wurden u. a. die Arbeiten des von Zietz geleiteten zentralen Frauenbüros zusammengefasst. Man erfährt, dass von diesem Büro aus „fast allwöchentlich Artikel an die gesamte Parteipresse gegangen [seien], die sich besonders an die Frauen wandten und grundsätzlich sowie in agitatorischer Form Stellung nahmen zu den aktuellen, politischen Tagesfragen“. Inwieweit diese Artikel tatsächlich auch von der Parteipresse veröffentlicht wurden, geht aus dem Bericht nicht hervor. Jedoch sprach der Bericht des nächsten Jahres bereits davon, dass sich diese Artikel „gut eingebürgert“ (Protokoll des SPD-Parteitages Magdeburg 1910, S. 22) hätten. Die Agitation unter den Frauen wurde also von der Parteizentrale fortgesetzt und zur Frauenwahlrechtsagitation 1911 die erstaunliche Anzahl von 2.460.000 Flugblättern ausgegeben (vgl. Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1911, S. 21). 305 Baader-Dietrichs, Ottilie: Vor dreißig Jahren. In: GL, 30/ 18/ 01.05.1920/ 131-132; Dietrichs-Baader, Ottilie: Unsere Toten. In: GL, 32/ 17-18/ 01.09.1922/ 164 (Nachruf auf den SPD-Mitbegründer Alwin Gerisch); Diederichs-Baader, Ottilie: Zu Bebels 83. Geburtstag. In: GL, 33/ 03/ 01.02.1923/ 18-19. 306 Die Auseinandersetzung Braun Zetkin wird sowohl auf politischer als auch auf privater Ebene von vielen Studien behandelt. Meist wird darin eine persönliche Feindseligkeit zwischen den beiden Frauen und vor allem der geradezu totalitäre Anspruch Zetkins konstatiert. Zu der sehr konfliktreichen Beziehung zwischen Braun und Zetkin empfiehlt sich neben dem Studium der im Literaturverzeichnis genannten biographischen Studien die kritische Lektüre der von Braun 1909 und 1911 verfassten „Memoiren einer Sozialistin“ und der davon be- einflussten Studie des Zeitgenossen Josef Joos (Joos, Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland, S. 21ff.). 307 [Braun, Lily] Gizycki, Frau v.: Die Frau in der Gegenwart. In: GL, 05/ 03/ 06.02.1895/ 19. 308 Parallel zum bereits erwähnten internationalen „Kongreß für Frauenwerke und Frauenbestrebungen“, der vom 19.- 26. September 1886 in Berlin stattfand, organisierte die proletarische Frauenbewegung drei große Volksversammlungen. Braun sprach auf einer zum Thema „Frauenfrage und Sozialdemokratie“. Vgl. Die Massenversammlungen der Berliner Genossinnen. In: GL, 06/ 21/ 14.10.1896/ 163. 144 2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS und veröffentlichte in der „Gleichheit“ ihren ersten Artikel. Er trug den Titel „Bürgerliche und proletarische Frauenbewegung“309 und verglich sie das Verhältnis, dass diese beiden Strömungen in Deutschland und in England zueinander hatten. Sie hatte diesen Artikel mit dem Doppelnamen Braun-Gizycki gezeichnet, welcher anzeigt, dass sie mittlerweile den sozialdemokratischen Publi- zisten Heinrich Braun geheiratet hatte. Unter diesem Doppelnamen veröffentlichte sie noch einige weitere Artikel wie z.B. „Karneval“310 in welchem sie sich mit der Pauperisierung auseinander- setzte. Nach einer Reise nach Großbritannien beschäftigte sie sich mit dem Kampf der englischen Frauenbewegung um das Frauenwahlrecht.311 Diese Reise zu den englischen Kampfgenossinnen dürfte auch für den Artikel „Die nächsten Aufgaben der deutschen Arbeiterinnenbewegung“312 Anregung gegeben haben, welcher für viel Aufregung in der „Gleichheit“-Redaktion sorgte und die Gemüter ihrer Mitarbeiterinnen erregte. Die darin geäußerten Ideen und Vorschläge für eine Institutionalisierung und Professionalisierung der proletarischen Frauenbewegung wurden vor allem, aber nicht nur von Zetkin heftig angegriffen. Sie sollen hier etwas eingehender betrachtet werden, da sie teilweise den Aufgabenbereich der „Gleichheit“ berühren. Ausgehend von den Lebensbedingungen der großen Masse der Frauen und den rigiden staatlichen Repressionen sah Braun die nächsten Aufgaben der proletarischen Frauenbewegung so: „Sie [die nächsten Aufgaben, M.S.] theilen sich ein in die Wirksamkeit nach innen und die Wirksamkeit nach außen. Unter der Wirksamkeit nach innen verstehe ich diejenige, welche sich auf den Kreis beschränkt, der schon zu uns gehört. Weil er schon zu uns gehört, wird die Wirksamkeit in seiner Mitte, wie mir scheint, vielfach vernachlässigt, und doch sollte er die Kerntruppe bilden, aus der die Offiziere hervorgehen. Um das zu ermöglichen, um ein Auseinanderlaufen, ein Allerleianfangen und Wenigvollenden nicht aufkommen zu lassen, muß für ihn, trotz der Auflösung der Arbeiterinnenvereine, der Agitationskommissionen u.s.w., eine feste Organisation geschaffen werden, die sich in verschiedene rein praktische Arbeitsgebiete eintheilt.“313 Brauns Hauptaugenmerk lag demnach – gemäß ihrer besonderen organisatorischen Fähigkeiten und zum Zwecke einer effizienteren Bildungs- und Agitationsarbeit – in einer zunehmenden Insti- tutionalisierung. Die Arbeitsgebiete, die einerseits der Ausbildung einer Kerngruppe von geschul- ten Kämpferinnen zuträglich sein sollten, aber andererseits auch eines festen Personalstammes 309 [Braun, Lily] Braun-Gizycki, Lily: Bürgerliche und proletarische Frauenbewegung. In: GL, 06/ 23/ 11.11.1896/ 179-180. 310 [Braun, Lily] Braun-Gizycki, Lily: Karneval. In: GL, 07/ 04/ 17.02.1897/ 26-27. 311 [Braun, Lily] Braun-Gizycki, Lily: Der Sieg der Bewegung für das Frauenwahlrecht im englischen Parlament. In: GL, 07/ 04/ 17.02.1897/ 32. 312 [Braun, Lily] Braun-Gizycki, Lily: Die nächsten Aufgaben der deutschen Arbeiterinnenbewegung. In: GL, 07/ 06/ 17.03.1897/ 41-42. 313 Ebd., S. 41. 145 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) solcher Kämpferinnen bedurften, ordneten sich in vier Arbeitsgruppen: Die erste Gruppe sollte sich um statistische Erhebungen über die Lage der Arbeiterinnen in Deutschland bemühen. Die zweite Gruppe sollte sich mit dem bibliographischen Sammeln, Ordnen und Veröffentlichen aller frauenrelevanten Gesetzestexte und mit der Schaffung einer Informationsstelle beschäftigen. Die dritte Gruppe hätte sich der praktischen juristischen Beratung widmen sollen, indem sie eine Beschwerdestelle für Arbeiterinnen einrichtete. Die vierte und letzte Gruppe wäre für Veröffentlichungen in der Presse und die Herausgabe von Flugblättern zuständig gewesen. Die Einrichtung dieser vier Arbeitsgruppen entspricht im Grunde einer Umgestaltung des bisher von der proletarischen Frauenbewegung genutzten „Systems der Vertrauenspersonen“314. Zetkin hielt diese Arbeitsgruppen zwecks „wissenschaftlich-praktischer Hilfsarbeiten“315, wie sie geringschätzig deren Aufgabengebiete bezeichnete, rundweg für überflüssig und kräfteverschwen- dend. Für sie drängten sich zwei Fragen auf: „[L]iegt – soweit der Plan auf die Schulung unserer Kerntruppen abzweckt – ein solches Erziehungsprogramm im Interesse einer Bewegung, welche einen entschiedenen Parteicharakter trägt? Und die andere, haben wir in den sozialis- tischen Frauenkreisen – ohne daß unsere Hauptaufgabe der Agitation unter den Massen leidet – die nöthigen Personen- und Geldkräfte, um den Vorschlag als Arbeitsprogramm durchzuführen?“316 Zetkin verneinte diese Fragen und sah Brauns Vorschlag entsprechend als Abzug personaler Kräfte und finanzieller Mittel von der eigentlichen Aufgabe der sozialistischen Frauenbewegung, nämlich der, „die Proletarierinnen zum Klassenbewußtsein zu wecken, sie aus einer in- differenten oder hemmenden zu einer treibenden Kraft im wirthschaftlichen und politischen Klassenkampfe des Proletariats zu verwandeln, sie zu bewußten Sozia- listinnen zu erziehen.“317 Zu diesem Zweck hatte nach Meinung Zetkins ein Erziehungsprogramm zuallererst die Bildung auf zwei entscheidenden Gebieten zu fördern: „dem Gebiete der Nationalökonomie und der 314 Der SPD-Parteitag in Berlin 1892 fasste den Entschluss, für die proletarische Frauenorganisation das System der Vertrauensmänner zu übernehmen. Im Fall der proletarischen Frauenorganisationen empfahl sich nämlich kein ortsfestes, starres Organisationskonstrukt, da dieses von den rigiden Polizeimaßnahmen zu schnell zerschlagen worden wäre. Die Frauen, die diese Vernetzungspositionen einnahmen, wurden „Vertrauenspersonen“ genannt. Regelmäßig veröffentlichten sie in der „Gleichheit“ Berichte über die Entwicklung der Frauenbewegung ihres „Bezirks“. Sie waren ab 1905 berechtigt, in den Ländern, in denen Frauen nicht Mitglieder der SPD sein konnten, freiwillige Beiträge entgegenzunehmen. Diese Möglichkeit der Sympathiebezeugung wurde von vielen Frauen wahrgenommen. Zu der zahlenmäßigen Entwicklung der Vertrauenspersonen siehe: Tabelle 9 „Zahl der weiblichen Vertrauenspersonen (bis 1907) und Vorstandsmitglieder (ab 1909) 1901-1912“. Zum Verhältnis der Anzahl weiblicher Parteimitglieder zu den freiwilligen Beiträgerinnen siehe: Tabelle 11 „Mitglieder der sozialdemokratischen Frauenbewegung 1901-1907“. 315 Zetkin, Klara: Kritische Bemerkungen zu Genossin Brauns Vorschlag. In: GL, 07/ 06/ 17.03.1897/ 42. 316 Ebd. 317 Ebd. 146 2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS Geschichte, und zwar der sozialistischen Auffassung entsprechend.“318 Die Erfassung national- ökonomischer und historischer Hintergründe, d. h. die Arbeit an der Theorie, setzte Zetkin hier dem praktischen Vorschlag Brauns entgegen. Die Auseinandersetzung um Brauns Ideen wurde in der „Gleichheit“ in heftigster Form fortgesetzt.319 In einem späteren Artikel relativierte Braun daraufhin ihre Ausführungen: Der Umstand, dass ihre Gegnerinnen sich veranlasst gesehen hätten, „aus der Mücke einen Ele- phanten“320 zu machen, beruhe auf einem leicht zu behebenden Missverständnis: „Ich gestehe gern zu, an dem Mißverständnis selbst mit die Schuld zu tragen, da ich meinem, die Diskussion einleitenden Artikel den Titel: ‘Die nächsten Aufgaben de r deutschen Arbeiterinnenbewegung’, statt ‘Eine Aufgabe fü r die deutsche Arbeiterinnenbewegung’ gab.“321 Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass lediglich Brauns Wortwahl diese massive Kritik hervorrief. Vielmehr hatte sie ihren Vorschlag zu einer Zeit gemacht, als die „Marschrichtung“ von Zetkin bereits irreversibel vorgegeben war. Deshalb charakterisiert Joos Brauns Bedeutung für die proletarische Frauenbewegung sehr zutreffend, wenn er schrieb, sie sei „[e]ine Sozialistin gemäßigter Richtung [gewesen], talentvoll genug, um neue Wege weisen, gewandt genug, um Einfluß auf Freund und Feind gewinnen zu können; eine Überleiterin zu anderer Art proletarischer Frauenbewegung vielleicht“322. Eine „andere Art proletarischer Frauenbewegung“, wie sie aber von Zetkin nicht gewollt war. Dieser Konflikt zwischen Zetkin und Braun war jedoch keineswegs das Ende ihrer Zusammen- arbeit. Im Gegenteil: Er war der Auftakt für ein engagiertes Wirken Brauns in der proletarischen Frauenbewegung und in der „Gleichheit“.323 Zetkin gab am 7. Juli 1897 stolz Brauns „regelmäßige und umfangreiche Mitarbeiterschaft“324 bekannt und hob in der Bekanntmachung hervor, dass diese neue Mitarbeiterin über „treffliche[…], weitreichende[…] Kenntnisse auf dem Gebiete der 318 Ebd. S. 43 319 Zetkins zweiter Artikel zu Brauns Vorschlägen (Zetkin, Klara: Kritische Bemerkungen zu Genossin Brauns Vorschlag, II. In: GL, 07/ 07/ 31.03.1897/ 50-51) lud schließlich viele andere Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung ein, sich ebenfalls in den nächsten fünf Nummern zur Diskussion zu äußern. 320 Braun, Lily: Zur Debatte über meinen Vorschlag. In: GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 107. Die Erwiderung Brauns hatte erst verspätet veröffentlicht werden können. Zetkin nannte als Grund dafür den „leidigen Raummangel[…]“ und kündigte ihn für die nächste Nummer an (vgl. Die Redaktion der „Gleichheit“: Zur Beachtung. In: GL, 07/ 13/ 23.06.1897/ 98). 321 Ebd. 322 Joos, Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland, S. 61. 323 Braun, Lily: Warum kann die Frauenbewegung nicht unabhängig bleiben? In: GL, 07/ 10/ 12.05.1897/ 76-78 (Braun sprach sich darin dafür aus, dass die Frauenorganisationen politisch Position beziehen müssten); Das Frauenstimmrecht in England. In: GL, 07/ 13/ 23.06.1897/ 102-103 (da in ihm der Vermerk „Nach Lily Braun“ gemacht wurde, scheint es sich um eine verkürzte Fassung eines ihrer früher verfassten Artikel zu handeln). 324 Die Redaktion: An die Leserinnen und Leser. In: GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 106. 147 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Frauenbewegung, der socialen Gesetzgebung ec. ec.“325 verfüge. Neben einem großen organisa- torischen Talent und strukturiertem Denken durfte Braun nach Einschätzung Zetkins außerdem eine „lichtvolle Darstellungsweise“326 ihr Eigen nennen. Hohe Erwartungen wurden in sie und in die von ihr initiierte Umgestaltung der Rubrik „Kleine Nachrichten“ in einen gut geordneten „Notizentheil“ gesetzt.327 Unter diesen Umständen und weil sie quasi Mitglied der Redaktion wurde, kann Braun tatsächlich als „ständige“ Mitarbeiterin bezeichnet werden. Braun verfasste nun u. a. Berichte über den Verlauf internationaler Kongresse der bürgerlichen Frauenbewegung328,, doch war ihre Position zu Beginn weniger die einer Mittlerin zwischen beiden Frauenbewegungen, als die einer Insiderin. Auch als Vertreterin der proletarischen Frauen- bewegung fand sie immer noch Einlass in die bürgerliche Frauenbewegung und setzte sich kritisch mit dieser auseinander.329 Auch auf literarischem330 und geschichtswissenschaftlichem331 Gebiet war Braun eine Be- reicherung der „Gleichheit“-Mitarbeiterschaft. 1897 selbst Mutter geworden, machte sie in einem 325 Ebd. 326 Vgl. ebd. 327 Ebd. 328 Braun, Lily: Der Internationale Frauenkongreß in Brüssel. In: GL, 07/ 18/ 01.09.1897/ 139-141; Der internationale Frauenkongreß in London. In: GL, 09/ 15/ 19.07.1899/ 115-117; Der internationale Frauenkongreß in London. (Schluß.) In: GL, 09/ 16/ 02.08.1899/ 122-124. Braun und Zetkin hatten eine Einladung zu dem Kongress abgelehnt (vgl. Zur Theilnahme am Internationalen Frauenkongreß, …. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 48). 329 Braun, Lily: Die Ethik des Kampfes.In: GL, 09/ 20/ 27.09.1899/ 155-156 (Besprechung eines Artikels von Dr. Fr. Wilh. Förster, dem Sekretär des internationalen Ethischen Bundes, der im Zentralblatt des BDF erschien und das Verhältnis zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung zum Thema hatte. Braun hatte sich vor ihrem Eintritt in die SPD im Ethischen Bund engagiert); Foerster, Fr. W.: Zur „Ethik des Kampfes“. Eine Entgegnung. In: GL, 09/ 22/ 25.10.1899/ 173-174; Herrn Foerster zur Erwiderung. In: GL, 09/ 22/ 25.10.1899/ 174; „Wandlungen.“ In: GL, 10/ 25/ 05.12.1900/ 194-195 (in diesem Artikel bezieht sich Braun auf einen in der „Frauenbewegung“ veröffentlichten Artikel der bürgerlichen Frauenrechtlerin Maria Lischnewska (?-?)). Zetkin, Klara: Nachschrift zu Genossin Brauns Artikel. In: GL, 10/ 25/ 05.12.1900/ 195 (Zetkin kritisiert darin Brauns Argumentation, dass die Agitation unter den bürgerlichen Frauen ebenso wichtig sei wie jene unter den Arbeiterinnen). Es war für die „Gleichheit“ aus Agitationszwecken sogar lohnend, von der Untersagung der Vorträge Brauns durch bürgerliche Institutionen zu berichten (vgl. Als Zunftzopf und Möchte-gern-Staatsretter… In: GL, 09/ 23/ 08.11.1899/ 184 (Der Rektor der Berliner Universität untersagte einen Vortrag von Braun mit der Begründung, dass deren literarische Leistungen weniger wissenschaftlicher als agitatorischer Natur seien); Ueber Organisation, Aufgaben und Entwicklung des Bundes deutscher Frauenvereine … In: GL, 10/ 12/ 06.06.1900/ 96 (Während die bürgerliche Frauenrechtlerin Marie Stritt (1855-1928) einen Vortrag im „Sozialwissenschaftlichen Studentenverein“ hatte halten dürfen, war es zuvor Braun untersagt worden)). 330 Braun, Lily: Die Predigt von der Freude. In: GL, 07/ 21/ 13.10.1897/ 161-162 (eine Erzählung, die als Leitartikel erschien); Ein Weihnachtslied. In: GL, 08/ 26/ 21.12.1898/ 204-205. 331 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. [I-VI]. In: GL, 09/ 01/ 04.01.1899/ 3-6 bis GL, 09/ 12/ 07.06.1899/ 92-94 (diese Artikelreihe erschien bereits in der Zeitschrift „Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik“ (1888-1903), Bd. 13, Heft 1 und 2. Augenfällig ist die Verwendung von Fußnoten, die Brauns wissenschaftliches Arbeiten belegen). Braun, Lily: Auch eine Goethe-Feier. Zu Goethes 150jährigem Geburtstag am 28. August 1899. In: GL, 09/ 18/ 30.08.1899/ 140-142 (Braun schilderte hier Kindheitserinnerungen und ihre erste Annäherung an die Werke Goethes. Ihre Großmutter Jenny von Gustedt (1811-1890), die eine enge Freundin Goethes gewesen war, hatte sie zu dieser Lektüre angehalten). 148 2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS Leitartikel anlässlich der Reichstagswahlen im Mai 1898 die Mutterpflichten im Wahlkampf zum Thema.332 In demselben Jahr wurde Braun als Delegierte zum Parteitag in Stuttgart gewählt, sie gab dieses Mandat jedoch zurück.333 Themen aus der Arbeitswelt der Proletarierinnen waren als Gegenstand ihrer Artikel eher die Ausnahme.334 Aber gerade Brauns Überlegungen zum Alltagsleben der Arbeiterinnen, ihr Modell für die Einrichtung von Haushaltungs- bzw. Wirtschaftsgenossenschaften, brachten sie in einen neuerlichen prinzipiellen Konflikt mit Zetkin.335 Zetkin kritisierte in einem mehrteiligen Leitartikel Brauns Buch „Frauenarbeit und Hauswirthschaft“, das 1901 im Vorwärts-Verlag erschienen war. Wie bereits 1897 kam es erneut zum öffentlichen Schlagabtausch in der „Gleichheit“. Braun wies die Vorwürfe strikt zurück336 und dieser Konflikt markiert schließlich den Bruch zwischen ihr und Zetkin. Braun wurde schließlich im selben Jahr als „Gleichheit“- Mitarbeiterin entlassen und ihr Name verschwand aus dem Titelkopf der Rubrik „Notizentheil“337. Sie wurde von Zetkin zunehmend diskriminiert. So dürfte es der „Gleichheit“-Redakteurin sehr gelegen gewesen sein, dass die durch gesundheitliche Probleme beeinträchtigte Agitationstätigkeit Brauns von Frauenorganisationen offen bemängelt wurde.338 Zwar erschienen keine von Braun verfassten Artikel mehr in der „Gleichheit“, doch noch manches Mal wurde sie in Versammlungsberichten erwähnt.339 Schließlich zog sie sich auch aus der SPD-Politik immer mehr zurück. Brauns Werk „Die Frauenfrage, ihre geschichtliche Entwicklung und wirthschaftliche Seite“ (1901) wurde auch von der „Gleichheit“ besprochen. Interessanterweise war der Verfasser der Rezension der SPD-Politiker und Journalist Georg Ledebour (1850-1947)340 und nicht Zetkin, 332 Braun, Lily: Mutterpflichten im Wahlkampf. In: GL, 08/ 11/ 25.05.1898/ 81-83. 333 Vgl. Stellungnahme der Genossinnen zum Stuttgarter Parteitag. In: GL, 08/ 20/ 28.09.1898/ 158-159. 334 Braun, Lily: Die Ziegelei-Verordnung. In: GL, 07/ 26/ 22.12.1897/ 202-204. 335 Zetkin, Klara: Die Wirthschaftsgenossenschaft. I. In: GL, 11/ 13/ 19.06.1901/ 97-99; Die Wirthschaftsgenossenschaft. II. In: GL, 11/ 14/ 03.07.1901/ 105-106; Die Wirthschaftsgenossenschaft. III. In: GL, 11/ 15/ 17.07.1901/ 113-114; Die Wirthschaftsgenossenschaft. IV. In: GL, 11/ 16/ 31.07.1901/ 121-122. 336 Braun, Lily: Die Wirthschaftsgenossenschaft. Eine Entgegnung. In: GL, 11/ 18/ 28.08.1901/ 140-142. 337 Vgl. GL, 11/ 12/ 05.06.1901/ 94. 338 Vgl. Ueber die Frage der Frauenagitation … In: GL 09/ 21/ 11.10.1899/ 167. Braun ließ schließlich über die „Gleichheit“ bekanntgeben, dass sie „durch ihre seit längerer Zeit angegriffene Gesundheit gezwungen [sei], für mehrere Monate zur Erholung nach Südtirol zu gehen, und deshalb in nächster Zeit keine Referate zu übernehmen vermag“ (Zur Beachtung. In: GL, 10/ 03/ 31.01.1900/ 24). 339 Vgl. Die Betheiligung der Frauen an der Maifeier … In: GL, 12/ 11/ 21.05.1902/ 87; Braun, Lily: Die Frau und der Sozialismus. In: GL, 12/ 13/ 18.06.1902/ 102 (Braun hatte in Frankfurt a. M. und Mainz einen Vortrag gehalten, in dem sie auf die geschichtlichen Entwicklungen des Sozialismus und ihre Idee der Haushaltsgenossenschaften einging). 340 Georg Ledebour wurde in Hannover geboren und war Sohn eines Kanzleibeamten. Im Alter von 10 Jahren war er bereits Vollwaise. Er absolvierte eine Ausbildung zum Handlungsgehilfen und war Sanitäter im Deutsch- 149 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) die vielleicht zu sehr darüber pikiert war, dass sie in dem Buch kaum Erwähnung fand.341 Ledebour äußert sich zu dem Werk sehr wohlwollend. Brauns 1903 erschienene Schrift „Die Frauen und die Politik“ wurde von der „Gleichheit“ ebenfalls sehr positiv aufgenommen.342 Es ist umstritten, ob Zetkin in Braun schließlich nur eine unliebsame und undankbare343 Konkurrentin oder tatsächlich eine Gefahr für die Klarheit der Bewegung beseitigt wissen wollte. Stets machte sie Braun jedenfalls zum Vorwurf, dass sie nicht aus proletarischen Verhältnissen stammte und noch zu sehr in der bürgerlichen Frauenbewegung verhaftet sei – ein Vorwurf, der Zetkin in jüngerer Zeit selbst gemacht wird.344 Braun erlag 1916 einem Herzanfall. Ihr vermutlich von Zetkin verfasster Nachruf erschien auffälligerweise nicht im Hauptblatt der „Gleichheit“, sondern in der Beilage „Für unsere Mütter und Hausfrauen“. Es wird Braun darin bescheinigt, ein so genanntes „ewiges Talent“ gewesen zu sein.345 Wertschätzung erfuhren Brauns Arbeiten und besonders ihre „Frauenfrage“ schließlich erst wieder nach dem Redaktionswechsel 1917. Nur drei Monate nach der Entlassung Zetkins verfasste Anna Blos eine Rezension346, die Brauns Arbeit als „große[s] Werk“347 und als wertvolle „Hinterlassenschaft“348 erachtete. Brauns Nachlass war nun, da die sozialdemokratische Frauenbewegung ihren Radikalismus abgelegt hatte und die Annäherung an die bürgerliche Frauenbewegung suchte, sozusagen wieder „‘Gleichheits’-fähig“. Besonders Blos griff die Werke Französischen Krieg. 1871-1878 arbeitete Ledebour vor allem als Sprachlehrer. 1878-1882 war er als Korrespondent verschiedener bürgerlicher Zeitschriften in England tätig. Nachdem er erst Mitglied der Demokratischen Partei war, trat er 1890 der SPD bei. Seit 1891 schrieb Ledebour für den „Vorwärts“, wurde dort fester Mitarbeiter und außerdem ab 1900 Mitarbeiter der „Neuen Zeit“. 1895 heiratete er Minna Stamfuß. Während des Ersten Weltkrieges trat Ledebour der USPD bei, wurde Redakteur des „Klassenkampfes“ (1922- 1928[?]) und 1918 Mitglied im Berliner Arbeiter- und Soldatenrat. 1900-1918 und 1920-1924 war Ledebour Abgeordneter des Reichstages. Nach 1924 blieben seine Kandidaturen erfolglos. 1927 gründete Ledebour die „Weltliga gegen Imperialismus“ mit. Er trat 1931 der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) bei und emigrierte 1933 in die Schweiz. 341 Ledebour, Georg: Die Frauenfrage. I. In: GL, 12/ 15/ 16.07.1902/ 115-118; Die Frauenfrage. II. In: GL, 12/ 16/ 30.07.1902/ 122-124. 342 Die Frauen und die Politik. In: GL, 13/ 10/ 06.05.1903/ 80. 343 1901 veröffentlichte Braun ihre Schrift „Die Frauenfrage, ihre geschichtliche Entwicklung und ihre wirtschaftliche Seite“, in der Zetkin kaum Beachtung fand, was sie durchaus verärgert haben dürfte. 344 Siehe: Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus. 345 Vgl. Lily Braun †. In: GL, 26 (1916)/ „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 25/ 97. Es wirkt angesichts der Bedeutung Brauns für die „Gleichheit“ und die proletarische Frauenbewegung sehr befremdlich, dass ihr Nachruf lediglich in der Beilage „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ erschien und ihm Artikel wie „Vom Würzen der Speisen II.“ von M.Kt. [Marie Kunert?] folgten. 346 Blos, Anna: „Die Frauenfrage“ von Lily Braun. In: GL, 27/ 26/ 28.09.1917/ 185-187; „Die Frauenfrage“ von Lily Braun. (Schluß.) In: GL, 28/ 01/ 12.10.1917/ 5-7. 347 Blos, Anna: „Die Frauenfrage“ von Lily Braun. In: GL, 27/ 26/ 28.09.1917/ 186. 348 Ebd. Entscheidender Kritikpunkt war der hohe Preis der Ausgabe, der das Werk der „Allgemeinheit schwer zugänglich“ (ebd.) machte. Blos votierte für eine Umarbeitung und eine „billige Volksausgabe“ (ebd.). 150 2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS Brauns häufig auf.349 Auf den Vorschlag, deren „Memoiren einer Sozialistin“ in den Frauenlese- abenden zu behandeln, reagierte die bekennende Bewunderin Brauns dann aber doch ablehnend. Sie seien aufgrund ihres Romancharakters für diese Veranstaltungen nicht geeignet. Sie enthielten „manches, was besser ungeschrieben geblieben wäre und was sehr kritisch gelesen werden“350 müsse, ja, sie könnten als Stoff für Frauenleseabende sogar „Unheil anrichten“351. Wie die Karriere Brauns war auch die der Luise Zietz (1865-1922) sehr rasant. So wie Braun sollte auch sie mit Zetkin manchen Konflikt austragen. Zietz gilt als eine besondere Führerin der proletarischen Frauenbewegung, weil sie wie Baader aus proletarischen Verhältnissen stammte. Erwerbstätig als Dienstmädchen, Tabakarbeiterin und Kaffeeverleserin, kam sie schließlich durch ihren Ehemann Karl Zietz in Kontakt mit der Hamburger Arbeiterbewegung.352 Bereits 1897 wurde Zietz erstmals zu einem Parteitag delegiert. Später gründete sie in Hamburg die erste Dienstmädchenorganisation. Ihr erster für die „Gleichheit“ verfasster Artikel erschien im Januar 1898.353 Zetkin blickt in ihrem in der „Kommunistischen Fraueninternationale“ (1921-1925) ver- öffentlichten Nachruf auch auf diese ersten Jahre zurück: „Während eines Streiks Hamburger Arbeiter – dafern meine Erinnerung nicht täuscht, der Bäcker – knüpften sich Beziehungen zu mir, als Redakteurin der ‘Gleichheit’. Luise Zietz schickte einen Bericht ein, der allein eine ganze Nummer der Zeitschrift gefüllt hätte, und indem die Verfasserin in einem ebenso harten Kampf mit der deutschen Sprache stand, als mit der Bourgeoisie. Jedoch der Be- richt zeigte sinnfällig eine überdurchschnittliche Begabung, scharfen proletarischen Instinkt und das ernste Ringen um Klarheit über die sozialen Erscheinungen. Er wurde der Ausgangspunkt einer vieljährigen, fruchtbaren Kampfesgemeinschaft für uns beide und einer persönlichen Freundschaft, die vor dieser Kampfesgemein- schaft zerbrach. Die regelmäßige Mitarbeit Luise Zietz‘ an der ‘Gleichheit’ und die damit verbundene Korrespondenz wurden für die strebsame Genossin zur Schule 349 Blos, Anna: Alt-Weimarer Tage. In: GL, 29/ 14/ 11.04.1919/ 109-111 (darin enthalten waren u. a. Zitate aus der von Braun herausgegebenen Biographie ihrer Großmutter Jenny v. Gustedt). 350 Blos, Anna[: Ohne Titel.] In: GL, 30/ 07/ 14.02.1920/ 55. 351 Ebd. 352 1896/97 hatte Zietz im Rahmen eines Hafenarbeiterstreiks ihren ersten öffentlichen Auftritt als Rednerin, kurze Zeit später erfolgte die Ehescheidung. Evans sieht darin einen Zusammenhang (vgl. Evans, Sozialdemokratie und Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich S. 161), Notz dagegen vermutet, dass die Ehe von Anfang an nicht sehr glücklich gewesen sei (vgl. Notz, Alle, die ihr schafft und euch mühet im Dienste anderer, seid einig!, S. 137). Die Ausbildung als Kindergärtnerin an der Hamburger Fröbelschule markierte, so Notz, neben der Lektüre von Bebels berühmten Buch „Die Frau und der Sozialismus“ „den Beginn ihres Aufstiegs zu einer der be- deutendsten Politikerinnen ihrer Zeit“ (ebd.). 353 Zietz, Lisa: Die Lohn- und Arbeitsbedingungen der Kaffee-Verleserinnen. In: GL, 08/ 02/ 19.01.1898/ 10-11. Der Druckfehler „Lisa“ statt „Luise“ dürfte dazu geführt haben, dass Zeisler in der seiner Dissertation angehängten tabellarischen Zusammenstellung jenen ersten Artikel unerwähnt ließ. Laut dieser Zusammenstellung war Zietz‘ erster „wesentlicher“ Artikel „Stellungnahme der Hamburger Genossinnen zum Streik der Bäcker und zum Brotboykott“ (In: GL, 08/ 16/ 03.08.1898) (vgl. Zeisler, Luise Zietz, Anhang S. 22ff.). Übersehen oder nicht als wesentlich erachtet wurde von Zeisler auch der Artikel: Zietz, Louise: Kaffeeverleserinnen als Heimarbeiterinnen. In: GL, 08/ 13/ 22.06.1898/ 100-101. Erst ab 1904 zeichnete Zietz ihre Artikel einheitlich als Luise Zietz (vgl. Zietz, Luise: Der Hamburger Bierboykott. In: GL, 14/ 13/ 15.06.1904/ 98-99). 151 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) theoretischer Klärung und Vertiefung, wie ihre rege Betätigung in Versammlungen, bei Agitations- und Organisationsarbeit zur Schule vielseitiger Praxis.“354 Zu Beginn ihrer Mitarbeit an der „Gleichheit“ berichtete Zietz vornehmlich aus der aktuellen Hamburger Arbeiterbewegung und schließlich bevorzugt über verschiedene weibliche Lebens- und Arbeitsbedingungen355. Dies tat sie jedoch nicht nur für die „Gleichheit“, sondern auch für andere SPD-Presseorgane.356 Auffällig ist, dass sich nach 1908 die Gesamtzahl ihrer Veröffentlichungen halbierte, was wohl ihrer zeitlichen Beanspruchung durch das in diesem Jahr übernommene Amt im Parteivorstand und als Leiterin des „Frauenbüros“ geschuldet sein dürfte. Ungeklärt ist, wie Zetkin die Wahl Zietz‘ in den Parteivorstand aufgenommen hat. Sah sie sich von Zietz quasi ausgestochen357, oder hatte Zetkin dieses Amt gar nicht gewollt, um nicht der direkten Kontrolle durch den Parteivorstand zu unterstehen? Nach der Art und Weise, wie Zetkin ihre Position als „Gleichheit“-Redakteurin definierte, ist m. E. eher anzunehmen, dass sie dieses Amt grundsätzlich nicht angestrebt hatte.358 Zietz war eine der bekanntesten der durch die verschiedenen Landkreise und Städte reisenden Agitatorinnen, eine hervorragende Rednerin, die große Volksnähe bewies und von den Behörden sicherlich deshalb als sehr gefährlich eingestuft und häufig verhaftet wurde.359 Zietz war aber auch ein theoretisch geschultes Mitglied der Führungsgruppe der proletarischen Frauenbewegung und deren politischer Radikalität verbunden. Innerhalb der „Gleichheit“-Mitarbeiterschaft nahm Zietz keine Position ein, die Zetkins Autorität und Führungskraft untergraben hätte. Daher kann Zietz nicht als Konkurrentin zu Zetkin charakterisiert werden, auch wenn Evans in Bezug auf die 354 Zetkin, Luise Zietz †, Reprint S. 673. Notz führt dagegen Zietz‘ Mitarbeit für die „Gleichheit“ auf einen anlässlich des Parteitags 1897 in Berlin entstandenen Kontakt mit Clara Zetkin und Ottilie Baader zurück (vgl. Notz, Alle, die ihr schafft und euch mühet im Dienste anderer, seid einig!, S. 137). 355 Vgl. Fußnote 58 und Zietz, Louise: Frauen als Speicherarbeiter in Hamburg. In: GL, 11/ 22/ 23.10.1901/ 171-172. 356 Insgesamt veröffentlichte Zietz in der „Gleichheit“ bis 1917 28 Leitartikel, 86 Artikel, 66 Berichte und 210 Kurzberichte/Notizen (vgl. Zeisler, Luise Zietz, Anhang S. 17). Diese veröffentlichte Zietz nicht allein in der „Gleichheit“, sondern auch im „Vorwärts“ in der „Neuen Zeit“, in der „Leipziger Volkszeitung“ und ihrer Frauenbeilage, in „Der Proletarier“ (1892-1933), im „Zentralorgan des Verbandes der Hausangestellten“ (1909- 1923), der „Arbeiter-Jugend“ (1909-1933), diversen lokalen SPD-Blättern und in den USPD-Organen „Freiheit“ (1918-1922) und „Die Kämpferin“ (vgl. ebd., S. 22-27). 357 „Durch die Wahl von Luise Zietz verlor Clara Zetkin, die für die reformistische Parteiführung zu kritisch geworden war, ihre Vormachtstellung in der proletarischen Frauenbewegung. Die wollte sie natürlich nicht kampflos aufgeben.“ (Notz, Alle, die ihr schafft und euch mühet im Dienste anderer, seid einig!, S. 141.; vgl. auch Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 133). 358 Die biographische Literatur gibt zur Reaktion Zetkins keinerlei Aufschluss. 359 Zietz verfasste für die „Gleichheit“ einen Artikel, in welchem sie ihre eigenen Erfahrungen als Arrestierte beschrieb (vgl. Zietz, Louise: Die Untersuchung der weiblichen Gefangenen. In: GL, 10/ 03/ 31.01.1900/ 18-19). 1906 wurde Zietz wegen „Verächtlichmachung irgendwelcher Staatseinrichtungen“ angeklagt und zeichnete sich laut Zetkin „bei ihrer Agitation gerade dadurch aus, daß sie die nötige unerbittliche Schärfe und Leidenschaft in der Kritik der fluchbeladenen kapitalistischen Ordnung und ihres Staates mit einer klugen Beachtung der Gesetzestexte verbindet, an der sich recht viele Hüter des Gesetzes ein Beispiel nehmen könnten“ (GL, 16/ 08/ 18.04.1906/ 52). 152 2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung der Meinung ist, dass sie „erst unter Führung von Luise Zietz aufhörte, eine kleine Sekte zu sein, und für die Frauen der Arbeiterklasse in einem allgemeineren Sinn repräsentativ wurde.“360 Zetkins Rückblick auf das Leben Luise Zietz‘ – gerade was ihre Bedeutung für die proletarische Frauenbewegung betrifft – ist dagegen viel kritischer. Zietz sei „kein schöpferischer Geist [gewesen], der neue, eigene Gedanken gab oder neue Prägung von Gedanken fand, allein ihr eignete eine hervorragende rezeptive und reproduktive Begabung“361. Dieses Urteil dürfte nicht ganz frei von persönlichen Vorbehalten gewesen sein362, doch vor allem war es beeinflusst von Zietz‘ Positionierung innerhalb der Partei, die Zetkin wie folgt beschreibt: „Lange focht sie [Zietz; M.S.] auf dem linken Flügel der Partei und erreichte in diesen Zeiten den Höhepunkt ihres Reifens, ihrer Entwicklung. Ein Wandel, ein Abwärts begann sich zu vollziehen, nachdem sie 1908 als Vertreterin der Frauen in den Parteivorstand gewählt worden war, ein Amt, das ihr jeder Parteitag der Vorkriegszeit anvertraute. […] Allein immer augenscheinlicher ward das Hinübergleiten zu einer ‘vernünftigen, sachlich begründeten’ Opposition, zum ‘Zentrum’363, das opportunistisches Handeln mit grundsatztreuen Phrasen ver- brämte. […] Sie ließ widerstandslos, kampflos den Verrat der Sozialdemokratie, der Zweiten Internationale geschehen.“364 Das „Hin und Her ihrer Ueberzeugung“365 zeigte sich in ihrem Wechsel zwischen linkem Flügel der SPD, Reformismus, Burgfrieden und erneutem Kampf gegen den Krieg, den sie schließlich als Mitglied der USPD aufnahm – diese Entwicklung wird noch anhand ihres in der „Gleichheit“ erschienenen Nachrufs näher zu beleuchten sein. Ein Mitglied der Führungsgruppe der proletarischen Frauenbewegung, das nach dem Ersten Weltkrieg im Gegensatz zu Zietz nicht als Abgeordnete der USPD, sondern der SPD im Reichstag wirken sollte, war Marie Kunert (1871-1957)366. Kunert hat für diese Dissertation besondere 360 Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, S. 169. 361 Zetkin, Luise Zietz †, Reprint S. 673 362 Ein weiterer persönlicher Grund der Abneigung zwischen Zietz und Zetkin sieht Notz in einem Ereignis, das mit der Redaktionsarbeit in der „Gleichheit“ zusammenhängt. 1909 habe Zetkin eine Schwägerin Rosa Luxemburgs als Sekretärin in der Redaktion der „Gleichheit“ anstellen wollen. Dafür hätte jedoch Zietz ihren Platz als ständige „Gleichheit“-Mitarbeiterin räumen müssen. Da der Parteivorstand hinter Zietz stand und Zetkins Einspruch bei der Kontrollkommission, der sie selbst angehörte, nicht fruchtete, habe Zetkin daraufhin gedroht, die Heraus- geberschaft der Gleichheit niederzulegen. Dies habe Luxemburg jedoch verhindert. Doch der Streit hatte damit noch nicht sein Ende gefunden. Nun habe Zetkin mit Unterstützung Luxemburgs versucht, die Entlassung Zietz‘ aus dem Frauenbüro zu erreichen, um sie durch die parteilinke Käte Duncker zu ersetzen. Doch auch hier konnte sich Zetkin nicht durchsetzen (vgl. Notz, Alle, die ihr schafft und euch mühet im Dienste anderer, seid einig!, S. 141). 363 Die „Zentristen“ hatten eine zwischen den Flügeln vermittelnde Position einnehmen wollen. Erst ein herausragender Vertreter des linken Flügels, wurde später auch Karl Kautsky ein Zentrist. 364 Zetkin, Luise Zietz †, Reprint S. 674. 365 Ebd., S. 675. 366 Marie Kunert, geb. Bombe, absolvierte eine Lehrerinnenausbildung und heiratete 1890 den SPD-Politiker, 153 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Bedeutung, da sie für drei biographische Artikel verantwortlich zeichnete.367 Die ausgebildete Lehrerin und Schriftstellerin begann ihre journalistische Tätigkeit für verschiedene SPD-Organe 1889. Kunerts Arbeiten für die „Gleichheit“ erschienen sowohl im Hauptblatt als auch in der Beilage „Für unsere Mütter und Hausfrauen“. Aus einem ihrer ersten „Gleichheit“-Artikel mit dem Titel „Moderne Sklaverei“368 erfuhren die Leserinnen z. B., dass in Deutschland ca. 50 verschiedene Gesindeordnungen existierten, 15 davon allein in Bayern. Kunerts Hauptaugenmerk aber lag auf Fragen der Reformkleidung und der Ernährung.369 Auch die gebürtige Österreicherin Luise Kautsky (1864-1944)370 hatte Bedeutung für die ge- schichtsbewusstseinsbildende Arbeit der „Gleichheit“. Die zweite Ehefrau371 des Parteitheoretikers Redakteur des „Vorwärts“ und Reichstagsabgeordneten Fritz Kunert. Ab 1899 war sie journalistisch und redaktionell für die SPD-Presse und als Übersetzerin tätig. 1921-1928 war Kunert Mitglied des Preußischen Landtages (von 1921-1925 für die USPD bzw. ab 27.09.1922 für die Vereinigte SPD und 1925-1928 für die SPD), 1928-1933 Reichstagsabgeordnete und vor allem sozialpolitisch tätig. 1933 emigrierte sie nach Zürich und ließ sich später im Tessin nieder. 367 Kunert, Marie: Minna Kautsky. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 100-101; [Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel. In: GL, 21/ 25/ 11.09.1911/ 391; Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167. 368 Kunert, Marie: Moderne Sklaverei. In: GL, 04/ 11/ 30.05.1894/ 84-86. Außerdem im Hauptblatt erschienen: Die Lehrerinnen und das Frauenwahlrecht. In: GL, 21/ 12/ 13.03.1911/ 183-184; Gegen die Abtreibungsparagraphen. In: GL, 33/ 13/ 01.07.1923/ 107-108 (es handelte sich dabei um eine von ihr im Preußischen Landtag gehaltene Rede). 369 Kunert, Marie: Zur Reform der Frauenkleidung. I. In: GL, 20 (1910) / „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 15/ 58-59; Zur Reform der Frauenkleidung. II. In: GL, 20 (1910) / „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 17/ 66-67; Zitronen und Apfelsinen. In: GL, 21 (1911) / „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 09/ 35; Reform der Ernährung. I. In: GL, 23 (1913)/ „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 24/ 94-95; Reform der Ernährung. II. In: GL, 23 (1913)/ 25/ 98-99; Reform der Ernährung. III. In: GL, 23 (1913)/ „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 26/ 103; Für die Hausfrau – Vegetarische Würstchen … In: GL, 23 (1913)/ „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 26/ 103; Krieg und Geschlechtskrankheiten. In: GL, 26 (1916)/ „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 09/ 33-34. 370 Luise Kautsky, geb. Ronsperger, entstammte einer wohlhabenden jüdischen Konditorenfamilie aus Wien. Sie war eine Freundin Minna Kautskys und heiratete 1890 deren Sohn Karl. 30 Jahre lebte sie mit ihm vor allem in Deutschland, da der Sitz der von Karl redigierten „Neue Zeit“ der Stuttgarter Dietz-Verlag war. Hier kamen ihre drei Söhne Karl, Felix und Benedikt zur Welt. Kautsky übersetzte viele sozialistische Grundlagenwerke und verfasste biographische Skizzen zur Dänin Nina Bang (1866-1928), zur Deutschen Luise Zietz und zur Russin Vera Sassulitsch (1849-1919). Ihre Freundschaft zu Rosa Luxemburg stand über den politischen Differenzen, die diese später mit Karl Kautsky hatte. 1914-1917 arbeitete Kautsky im Bildungsausschuss der SPD und wurde später Stadtverordnete in Berlin-Charlottenburg. 1923 gab Kautsky die von Luxemburg an sie und Karl gerichteten Briefe heraus („Luxemburg, Rosa: Briefe an Karl und Luise Kautsky (1896-1918)“) und 1929 erschien das von Kautsky verfasste Buch „Rosa Luxemburg. Ein Gedenkbuch“. 1924 kehrte das Ehepaar Kautsky nach Wien zurück. 1938 emigrierte das Ehepaar erst nach Prag und schließlich nach Amsterdam, wo Karl im Oktober 1938 starb. Kautsky hatte keine legalen Papiere für den Aufenthalt in Holland. Dennoch lehnte sie ein Visum nach Großbritannien ab, da sie ansonsten den Briefkontakt zu ihrem im Konzentrationslager Buchenwald inhaftierten Sohn Benedikt verloren hätte. Nur wenige Tage nach ihrem 80. Geburtstag wurde Kautsky aufgegriffen, erst in das Lager Oswiecem und schließlich nach Auschwitz-Birkenau verschleppt. Dort gelang es mutigen Mitgefangenen, ihr einen Platz auf der Krankenstation zu verschaffen, wo sie 1944 verstarb. 371 Insoweit es sich um für die „Gleichheit“ verfasste Artikel handelt, ist es eher unwahrscheinlich, dass Kautskys erste Ehefrau Louise (eigentl. Ludowika Josefa) Kautsky (1860-1959), geb. Strasser, als Verfasserin der mit L.K. oder L.Ky. gezeichneten Artikel in Frage kommt. Denn Kautsky, 1888 geschieden und seit 1890 als Sekretärin Friedrich Engels' in London lebend, heiratete bereits 1894 den Arzt Ludwig Freyberger. Tatsächlich hatte ihre schriftstellerische Tätigkeit, u. a. für die „Wiener Arbeiterinnenzeitung“, vor dieser zweiten Heirat für Verwirrung gesorgt. Deshalb hatte Karl Kautsky ihr nahe legen wollen, ihren Mädchennamen voranzustellen. Auch diese Überlegung wiederum sorgte für viele Missverständnisse und trübte das bisher gute Verhältnis sowohl zu seiner geschiedenen Frau wie auch zu Engels. Das Kapitel, in welchem der entsprechende Briefwechsel zwischen 154 2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS Karl Kautsky zeichnete verantwortlich für einige biographische Artikel. Während sie unter Zetkin u. a. eine achtteilige Artikelserie zur „Schulspeisung“372 veröffentlichte, waren es in der „neuen“ „Gleichheit“ nur noch einige ihrer Lebenserinnerungen373. Oft als Autorin der „Gleichheit“ angeführt wird die wohl berühmteste Frau auf der Seite der Linken: Rosa Luxemburg (1871-1919). Luxemburg gilt allerdings, da sie selten frauen- spezifische Aspekte in den Vordergrund ihres politischen Wirkens stellte, nicht als Protagonistin der proletarischen Frauenbewegung. Sie war eine enge Freundin Zetkins und teilte deren radikale Ansichten, bzw. inspirierte diese sogar.374 Luxemburgs erster „Gleichheit“-Beitrag war, so das Ergebnis der Durchsicht der „Gleichheit“, ein 1905 veröffentlichter Leitartikel, der sich mit der Revolution in Russland beschäftigte.375 Luxemburgs allgemeinpolitische Arbeit wie auch ihre Führungsposition innerhalb der Partei erklären, warum nahezu jeder ihrer „Gleichheit“-Beiträge in Form eines Leitartikels veröffentlicht wurde. Während des Ersten Weltkriegs wurde sie selbst aufgrund ihrer prinzipiellen antimilitaristischen und dem Geist des proletarischen Internationalismus verpflichteten Haltung – wie auch Karl Liebknecht – oft zum Gegenstand verschiedener „Gleichheit“-Notizen. Die „Gleichheit“ berichtete über ihre Aktionen, ihre Verhaf- tungen, Gerichtsprozesse, Verurteilungen und Freilassungen.376 Der „neuen“ „Gleichheit“ dagegen ist sogar Luxemburgs Ermordung im Januar 1919 – zumindest im untersuchten Hauptblatt – keine einzige Zeile wert.377 Die „Gleichheit“ war eine politische Frauenzeitschrift von Frauen für Frauen. Das vorhergehende Kapitel zur „Gleichheit“-Redaktion und das große I in dem Begriff „MitarbeiterInnen“ markieren allerdings bereits, dass durchaus auch Männer für die „Gleichheit“ tätig waren. Während des Ersten Weltkrieges war – wie am Lebensweg Edwin Hoernles gezeigt – die Einberufung zum Kriegsdienst den Militärbehörden eine willkommene Strafmaßnahme für prinzipientreue männ- Kautsky und Engels in der Zeit vom 13.05.1892 bis 10.07.1892 veröffentlicht wurde, trägt den treffenden Titel „Der Krieg um den Kriegsnamen“ (vgl. Friedrich Engels' Briefwechsel mit Karl Kautsky, S. 339-357). 372 Kautsky, Luise: Schulspeisung. [I-VIII]. In: GL, 18/ 10/ 11.05.1908/ 86-87 bis GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 182-183. 373 Kautsky, Luise: Mai-Erinnerungen. In: GL, 33/ 09-10/ 01.05.1923/ 71-79. 374 Zetkin habe ihre Verehrung für Luxemburg und Bebel bis hin zum Heiligenkult gesteigert. Vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 92. 375 Luxemburg, Rosa: Die Revolution in Rußland. In: GL, 15/ 03/ 08.02.1905/ 13. 376 Hier eine Auswahl der über Rosa Luxemburg verfassten „Gleichheit“-Artikel, von denen die meisten in der Notizenteil-Rubrik „Burgfrieden“ erschienen: Genossin Luxemburg verurteilt. In: GL, 24/ 12/ 04.03.1914/ 178- 179; Positive Arbeit. In: GL, 24/ 22/ 22.07.1914/ 337-339; Ein Jahr Gefängnis für Genossin Luxemburg, … In: GL, 25/ 04/ 13.11.1914/ 24; Ein Aufschub der Strafvollstreckung gegen Genossin Luxemburg. In: GL, 25/ 10/ 05.02.1915/ 58; Aus dem preußischen Abgeordnetenhaus. In: GL, 25/ 13/ 19.03.1915/ 78; Die Strafvollstreckung gegen Genossin Luxemburg … In: GL, 25/ 13/ 19.03.1915/ 78; Genossin Luxemburg verhaftet. In: GL, 26/ 23/ 04.08.1916/ 175; Genossin Luxemburg in Leipzig verurteilt. In: GL, 27/ 05/ 08.12.1916/ 36; Genossin Rosa Luxemburg wieder in Freiheit. In: GL, 26/ 12/ 03.03.1916/ 89. 377 Vgl. GL, 29/ 09/ 31.01.1919/ 65-72. 155 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) liche Sozialdemokraten. Eine Strafmaßnahme, die nicht selten damit endete, dass die zum Krieg gezwungenen aus diesem nicht mehr zurückkehrten. So erging es auch dem Mitarbeiter der Kinderbeilage Henry Möhring (?-1916)378. Möhring verfasste unter dem Pseudonym „Roland“379 vor allem Buchempfehlungen, kulturhistorische Skizzen, Märchen und kulturkritische Artikel. Er wurde 1915 zum Kriegsdienst eingezogen und durch einen Kopfschuss getötet. Sein letztes in der „Gleichheit“ veröffentlichtes Märchen „Unfried und seine Gesellen“ habe er direkt von der Front geschickt. Laut der „Gleichheit“-Redaktion war dieses Märchen der Beweis dafür, dass Möhring „mitten in der Verrohung und den Schrecken des Krieges seinen Idealen der Menschlichkeit und des Friedens treu geblieben“380 sei. Zwei weitere männliche Mitarbeiter, die vor allem durch ihre Themengebiete – Nationalökonomie und Geschichte – und durch die von der „Gleichheit“-Redaktion gegebenen Informationen zu ihrer Person auffallen, waren Julian Borchardt (1868-1932)381 und Manfred Wittich (1851- 1902)382. 378 Möhring stammte gebürtig aus einer Hamburger Arbeiterfamilie, sein Vater war Zigarrenmacher. Nach dem Besuch der Volksschule und des Hamburger Lehrerseminars arbeitete er seit 1907 als Lehrer an einer Volksschule im Arbeitervorort Rothenburgsort. Er war Mitglied des Hamburger Jugendschriftenausschusses. Möhring hinter- ließ nach seinem Tod eine Frau und eine kleine Tochter (vgl. Henry Möhring gefallen. In: GL, 26/ 21/ 07.07.1916/ 159). 379 Einige Artikel von Möhring als Roland: Von guten und schlechten Büchern für unsere Kinder. II. In: GL, 21 (1911)/ „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 05/ 18; Roland: Sedan! In: GL, 21/ 24/ 28.08.1911/ 376; Roland: Von guten und schlechten Büchern für unsere Kinder. I. In: GL, 21 (1911)/ „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 04/ 15; Roland: Gegen die Frauenverblödung im Kino. In: GL, 23/ 08/ 08.01.1913/ 115-116. Drust dagegen gibt an, dass sich hinter dem Pseudonym „Roland“ der Lehrer Emil Krause (1870-1943) verborgen habe (vgl. Drust, Für unsere Kinder, S. 202). 380 Vgl. ebd. 381 Julian Borchardt wurde im preußischen Bromberg geboren. Er war Sohn eines jüdischen Kaufmanns und nach Abschluss einer Lehre als Handlungsgehilfe selbst einige Jahre in Berlin als Kaufmann tätig. 1896-1900 arbeitete er als Bibliothekar und Lehrer in Brüssel, ein Studium an der Universität Brüssel schloss er nicht ab. Seit den 1890er Jahren warBorchardt als Redakteur für verschiedene SPD-Blätter tätig (u. a. in Königsberg und Harburg). 1906 erschien seine Broschüre „Wie sollen wir unsere Kinder ohne Prügel erziehen?“. 1907-1913 wurde er von dem zentralen Bildungsausschuss der SPD als Wanderlehrer besonders für die Nationalökonomie angestellt. 1911- 1913 war Borchardt Abgeordneter des preußischen Landtags. Nach einem Konflikt mit der SPD-Führung gründete er erst eine eigene oppositionelle Zeitschrift – „Lichtstrahlen“ – und trat dann aus der SPD aus. Borchardt plädierte stark für eine Abspaltung der sozialdemokratischen Kriegsgegner von der SPD. Die „Lichtstrahlen“ wurden Organ der 1914 von Borchardt mitgegründeten Gruppe „Internationale Sozialisten Deutschlands“ (ISD) und später der „Internationalen Kommunisten Deutschlands“ (IKD). Borchardt war Teilnehmer an der Zimmer- walder Konferenz (vgl. Koller, Subversive Ornithologen. Die Internationale Sozialistische Konferenz von Zimmerwald von 1915; Humbert-Droz, Der Krieg und die Internationale. Die Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal). 1916 wurden die „Lichtstrahlen“ verboten, der „Leuchtturm“ (1918) folgte ihnen nach. 1918 wurde Borchardt aus der IKD ausgeschlossen und war nun parteilos. 1919-1921 gab er erneut die „Lichtstrahlen“ heraus. 1920 erschien Borchardts Volksausgabe des „Kapitals“. Er wurde Mitglied im „Schutzverband Deutscher Schriftsteller“ und Mitbegründer des „Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller“, außerdem Lehrer an der Marxistischen Arbeiterschule (MASCH). Einem 1931 erfolgten Ruf an das Marx-Engels-Institut in Moskau konnte er aus Krankheitsgründen nicht nachkommen. 382 Manfred Wittich studierte an der Universität Leipzig Philologie und machte während seines Studiums die Bekanntschaft mit Bebel, Wilhelm Liebknecht und Motteler. Er verfasste u. a. Artikel für den sozial- demokratischen „Volksstaat“ (1869-1879). 1878 ging Wittich nach erfolgreichem Examen für das Lehramt an Gymnasien nach Dresden und unterrichtete an einer Privatschule Latein, Griechisch, Geschichte und Deutsch. 156 2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS Borchardt verfasste für die „Gleichheit“ von 1904 bis 1911 vor allem allgemeinverständliche Erläuterungen zu nationalökonomischen Aspekten der sozialistischen Theorie. Seine Artikel tragen z. B. leicht fassbare Titel wie „Woher kommt der Wert?“ oder „Woher kommt der Profit?“.383 Dieses Bemühen um grundlegende Einblicke in die Nationalökonomie dürften der Tätigkeit Borchardts als Wanderlehrer geschuldet sein. Ab der ersten Nummer des 17. Jahrgangs erschien regelmäßig eine mit „J.B.“ gezeichnete Artikelserie mit dem Titel „Umsturz und Revo- lution“384. Darin äußerte sich vermutlich Borchardt in sehr ausführlicher Darstellung zur sozialen Frage und übte Kritik an den reformerischen Strömungen. Seiner Meinung nach müssten alle Entwicklungen auf einen Umsturz hinaus laufen und der Träger dieser Revolution, denn nichts anderes sei ein negativ konnotierte Umsturz, sei das Proletariat. Borchardt verfasste gemeinsam mit Zetkin und Duncker die Schrift „Die Erziehung der Kinder in der proletarischen Familie“, die allerdings erst 1960 herausgegeben wurden.385 1913 wurde Borchardt Herausgeber der Zeitschrift „Lichtstrahlen – Zeitschrift für Internationalen Kommunismus“ (1913/14-1920). Die Mitarbeit an der „Gleichheit“ scheint er zu diesem Zeitpunkt aufgegeben zu haben. Inwieweit auch sein Austritt aus der SPD mit der Beendigung seiner Mitarbeit zu tun hatte, geht aus der „Gleichheit“ selbst nicht hervor. Diese blieb Borchardt aber verbunden, denn im Februar 1916 berichtete sie, dass er in Berlin ohne Angabe von Gründen verhaftet und erst zwei Monate später wieder ent- lassen worden sei.386 Manfred Wittich war bereits in den ersten Jahrgängen der „Gleichheit“ regelmäßig mit Artikeln und Berichten387 vertreten. Unter diesen auch drei biographische Artikel, die noch eingehender betrachtet werden. 1901 erkrankte Wittich an einem schweren Blasen- und Rückenleiden, das zu Zuvor – 1884 – hatte er den staatlichen Schuldienst aufgegeben, um für die Sozialdemokratie ausschließlich als Schriftsteller und Agitator tätig zu sein. Gemeinsam mit Emanuel Wurm gab er die Dresdner Jugendzeitschrift „Der Volksfreund“ (?-?) heraus. 1887 heiratete Wittich die Kindergärtnerin Anna Rothe (?-?) (Rothe dürfte die Verfasserin des Werkes „Manfred Wittich. Ein Lebens- und Charakterbild. Dem deutschen Proletariat gewidmet von A.R.“ (1902) sein) und das Ehepaar siedelte 1890 nach Leipzig über. 1890-1894 arbeitete Wittich als Redakteur des Leipziger SPD-Organs „Der Wähler“ (1887-1894). Er verfasste u. a. biographische Arbeiten zu Ulrich von Hutten, Hans Sachs und J.W. von Goethe. 383 Borchardt, Julian: Von der sozialen Frage. In: GL,14/ 20/ 21.09.1904/ 156-158; Vom Wert. I./ 15/ 01/ 11.01.1905/ 2; Woher kommt der Profit? In: GL,15/ 19/ 20.09.1905/ 110 und GL, 15/ 20/ 04.10.1905/ 116-117; Woher kommt der Wert? I. In: GL,15/ 06/ 22.03.1905/ 32; Woher kommt der Wert? II. In: GL, 15/ 08/ 19.04.1905/ 44; Der Mehrwert. I. In: GL, 16/ 03/ 07.02.1906/ 14; Der Mehrwert. II. In: GL, 16/ 04/ 21.02.1906/ 20; „Harmonie der Interessen.“ Ein Kapitel praktischer Nationalökonomie. In: GL, 21/ 21/ 17.07.1911/ 324-325. 384 [Borchardt, Julian?] J. B.: Umsturz und Revolution [I-IV]. In: GL, 17/ 09.01.1907/ 3-4 bis GL, 17/ 11/ 27.05.1907/ 91-92. 385 Zetkin/Duncker/Borchardt/Hohendorf: Die Erziehung der Kinder in der proletarischen Familie. 386 Aus der Schutzhaft entlassen … In: GL, 26/ 16/ 28.04.1916/ 120. 387 So erfuhr man aus der Rubrik „Arbeiterinnenbewegung“, dass Wittich z. B. auf einer öffentlichen Volks- versammlung in Altona und Ottensen eine Rede mit dem Titel „Bauern und arme Leute zur Reformationszeit“ gehalten hatte (Vgl. GL, 05/ 13/ 26.06.1895/ 98). 157 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) einem nervlichen Zusammenbruch führte. Seine letzten Lebensjahre waren laut eines vermutlich von Zetkin verfassten Nachrufs vor allem eine durch finanzielle Not erschwerte Zeit.388 Zetkin hob seine besondere Begabung und Bildung hervor, mit denen er leicht in eine „behäbige bürgerliche Existenz“389 hätte gelangen können. Wittich habe diese Fähigkeiten aber stattdessen in den Dienst des Sozialismus, in die „Erhebung und Läuterung des Menschenthums“390 gestellt. Außerdem besaß Wittich laut Zetkin viel Humor und beißenden Witz, aber auch eine besondere berufliche Penibilität – wie man aus einem seiner Briefe an die „Gleichheit“-Redaktion erfährt: „‘Ich schreibe grundsätz l ich nur nach genauer Kenntnißnahme der Werke über einen Dichter, und von der Christen391 kenne ich Mehreres noch nicht , halte mich also nach meinem starren Grundsätzen zur Zei t nicht für befugt , über sie zu schreiben. Ich weiß wohl, daß diese Arbeitsart unprakt isch ist vom Erwerbsstandpunkt aus, aber, selbst Feind und Bekämpfer aller Redensarten- macherei in Kunst und Wissenschaft, kann und darf ich selbst auch nicht anders arbeiten.’“392 Wittich ist einer derjenigen „Gleichheit“-AutorInnen, deren Artikel ein hohes wissenschaftliches Niveau aufweisen, das wiederum den meisten „Gleichheit“-Leserinnen ein besonderes Lese- Engagement abverlangt haben dürfte. 388 Manfred Wittich †. In: GL, 12/ 16/ 30.07.1902/ 125-126, S. 125. 389 Ebd., S. 126. 390 Ebd., S. 125. 391 Wittich sollte für die „Gleichheit“ einen Beitrag über das Werk der Dichterin Ada Christen (1839-1901) verfassen. 392 Manfred Wittich in einem Brief an Clara Zetkin. Zit. nach: Ebd., S. 126. 158 2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION 2.3.2 Die MitarbeiterInnen der neuen Redaktion Eine Zeitschriftenredaktion baut vor allem auf diejenigen MitarbeiterInnen, die ihre eigene Haltung mittragen. Es ist deshalb interessant zu untersuchen, wie sich die Mitarbeiterschaft der „Gleichheit“ nach dem im Mai 1917 erzwungenen Redaktionswechsel zusammensetzte. Erstes auffälliges Ergebnis ist, dass für die „neue“ „Gleichheit“ nun AutorInnen schrieben, die zuvor von Zetkin anscheinend vergrault worden waren oder zu einer jüngeren Generation gehörten. Von besonderer Bedeutung für die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehenden Frauenbiographien ist die „Gleichheit“-Mitarbeiterin Anna Blos (1866-1933). 1905 lud Zetkin Blos zur Mitarbeit an der „Gleichheit“ ein. Blos betonte in einer ihrer späteren Schriften „aus persönlicher Erfahrung […], daß die Arbeit mit Klara Zetkin als Schriftleiterin sehr angenehm“393 gewesen sei. Zwar habe Zetkin ihre ersten eingesandten Artikel noch ohne ihr Einverständnis korrigiert, doch eine schriftliche Beschwerde ihrerseits und ein „sehr freundliche[r] Entschuldigungsbrief“394 Zetkins bereinigten die Angelegenheit. „Von da an“, so Blos, „vollzog sich unsere gemeinschaftliche Arbeit ganz reibungslos.“395 Auch Ehemann Wilhelm Blos (1849-1927)396 schrieb für die „Gleichheit“ – u. a. zwei hier noch vorzustellende biographische Skizzen397. Vor allem das den beiden Eheleuten gemeinsame große geschichtswissenschaftliche Interesse dürfte eine Erklärung für die ausgesprochen harmonische 393 Blos, Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 25. 394 Ebd. 395 Ebd. 396 Wilhelm Josef Blos wurde im badischen Wertheim geboren und war Sohn eines Arztes. 1868-1870 absolvierte er ein Philologiestudium in Freiburg und begann später eine journalistische Tätigkeit in der süddeutschen bürgerlichen Presse. Er trat 1872 der SPD bei und wurde Mitarbeiter u. a. beim sozialdemokratischen „Braunschweiger Volksfreund“ (1871-1906), ab 1873 beim „Volksstaat“. Ab 1875 wirkte Blos als Redakteur beim „Hamburg-Altonaer Volksblatt“ (1875-1878), später bei der „Gerichtszeitung“ (1878-1881). Aus Hamburg ausgewiesen, zog Blos nach Bremen, wo er Betreiber eines Korrespondenzbüros, dann Redakteur des „Norddeutschen Wochenblatts“ (1882-1886[?]) wurde. Schließlich siedelte der sozialdemokratische Historiker 1883 nach Stuttgart über, wo er in die Redaktion der „Neuen Zeit“ und des „Wahren Jacob“ eintrat, in denen er bis 1923 mitwirkte. Er wirkte außerdem noch an weiteren sozialdemokratischen Blättern u. a. dem „Vorwärts“ mit. Mit Unterbrechungen war Blos ab 1877 Reichstagsabgeordneter. 1905 heiratete er die Lehrerin Anna Tomasczewska. 1914 gehörte er zu den Befürwortern der Kriegskredite und übernahm 1918 den Vorsitz der Provisorischen Regierung. 1919/1920 amtierte Blos als bis dahin erster und seitdem einziger sozialdemokratischer Staatspräsident Württembergs. Als solcher ließ er einen württembergischen Generalstreik gewaltsam nieder- schlagen und stellte zur Niederschlagung der bayerischen Räterepublik Truppen zur Verfügung. 1922 erschien eine seiner letzten Veröffentlichung „Von der Monarchie zum Volksstaat“. Für die „Gleichheit“ verfasste Blos mehrere Artikel, u. a.: Aus dem „tollen Jahre“. In: GL, 16/ 08/ 18.04.1906/ 50-51 (beschreibt die Ereignisse des Jahres 1848); Die Frauen im Bauernkrieg. In: GL, 16/ 04/ 21.02.1906/ 19-20; [Blos, Wilhelm?] W. B.: Die Frau im Kriege. In: GL, 19 (1909)/ „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 09/ 36. 397 [Blos, Wilhelm?] W. B.: Aus dem Leben einer Revolutionärin. In: GL, 15/ 11/ 31.05.1905/ 63-64 (Louise Aston); Blos, Wilhelm: Eine deutsche Republikanerin. In: GL, 18/ 02/ 20.01.1908/ 13-14 (Amalie Struve). 159 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Ehe sein, die sie führten. Weniger harmonisch war das Verhältnis zwischen Wilhelm Blos und Zetkin. Während des Ersten Weltkriegs wurde er von Zetkin stark wegen seiner burgfriedlichen Haltung kritisiert – so stark, dass nach eigener Aussage Anna Blos aus diesem Grund ihre Mit- arbeit an der „Gleichheit“ einstellte.398 Die von Anna Blos verfassten historischen Frauenbiographien erschienen sowohl in der „alten“ als auch in der „neuen“ „Gleichheit“. Sie war keine umstrittene Persönlichkeit, die wie Braun durch wagemutige Ideen oder wie Zietz durch eine besonders herausragende Position innerhalb der proletarischen Frauenbewegung auffiel. Blos nahm kaum Stellung zu aktuellen Diskussionen, sondern beschränkte sich bevorzugt auf das Themengebiet der Geschichte.399 Ihre diesbezüglichen Artikel scheinen in den kritischen Augen Zetkins, die in der Geschichte ja doch immerhin ein sehr zentrales Bildungsgebiet sah, unbedenklich gewesen zu sein. Wenn Blos jedoch Stellung zu aktuellen Themen nahm, dann bevorzugt zu Themen der Schulbildung (z. B. Mitwirkung von Frauen in den Schulbehörden, Schulkommissionen und Arbeiterschulen)400, zu den Reichstagswahlen401, zum Versailler Vertrag402 oder der Agitation unter den Ehefrauen der Genossen403. Während 1919 ihr Ehemann Ministerpräsident Baden-Württembergs wurde, wurde sie Abgeordnete des Reichstages. Mit ihrem 1930 erschienenen Werk „Die Frauenfrage im Lichte des Sozialismus“ schuf Blos zudem ein Grundlagenwerk zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung. Die in ihm ent- haltenen Informationen zur „Gleichheit“ sind sehr kritisch zu bewerten, denn Blos flechtete stark ihre subjektiven Erlebnisse und Meinungen ein. Diese sehr persönliche Perspektive ergibt allerdings eine sehr wertvolle Wahrnehmung von Zetkin und der „Gleichheit“.404 Man erfährt außerdem, dass in den ersten Jahren die AutorInnen für ihre Mitarbeit an der „Gleichheit“ kein 398 Vgl. Blos, Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 25. 399 Da eine Vielzahl dieser Artikel in dem gesonderten Verzeichnis biographischer Artikel aufgeführt werden, wird an dieser Stelle auf ihre Auflistung verzichtet. 400 Blos, Anna: Die Tätigkeit der Frau in der Gemeinde [I- XVI]. In: GL, 23/ 18/ 28.05.1913/ 279-280 bis GL, 24/ 17/ 13.05.1914/ 259-260. 401 Blos, Anna: Was wir nicht vergessen dürfen! In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 173 (hierin wandte sich Blos gegen die bürgerlichen Parteien). 402 Blos, Anna: Warum auch für uns „unannehmbar“. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 138-139 (anlässlich der Vorlegung des Versailler Vertrages am 12. Mai 1919 bezeichnete sie diesen als „ein[en] Schrei des Jammers“ (ebd.)) 403 [Blos, Anna?] A. B.: Eine Aufgabe für alle. In: GL, 33/ 01/ 01.01.1923/ 6 (Blos wollte die Ehefrauen der Parteigenossen verstärkt an die Organisation heranführen). 404 So empfand Blos z. B. Zetkins Lebensstil angesichts ihrer betonten Radikalität als sehr heuchlerisch (vgl. ebd., S. 25; zur Kritik an Zetkins „unproletarischem“ Lebensstil siehe vor allem: Puschnerat, Clara Zetkin – Bürger- lichkeit und Marxismus, S. 78ff.). Trotzdem war Blos davon überzeugt, dass sie „eine der allerbedeutendsten Frauen nicht nur der Sozialdemokratie, sondern in der gesamten Frauenwelt überhaupt“ (Blos, Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 24) sei und die „Gleichheit“ „lange Zeit eine der besten, wenn nicht die beste Frauenzeitung in Deutschland überhaupt“ (ebd.). 160 2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION Honorar erhielten.405 Besonders bemerkenswert ist aber, dass Blos die Position Zetkins, mit der „Gleichheit“ ein bewusst unpopulär gehaltenes „Gegengewicht“406 zu den bürgerlichen Unter- haltungsblättern schaffen zu wollen, verteidigte. Solange Zetkin die unbestrittene Führerin und Theoretikerin der proletarischen Frauenbewegung war, nutzte sie die „Gleichheit“ bewusst für die radikale Beeinflussung ihrer LeserInnen – der Funktionärinnen wie auch der Basis. Ihre Autorität konnte aber nicht verhindern, dass viele Funk- tionärinnen immer öfter eigene, sehr pragmatische Ansichten entwickelten und ihre prinzipiellen Vorbehalte gegenüber der bürgerlichen Frauenbewegung nicht teilten. Einige Frauen stellten sich ganz offen auf die Seite der so genannten „Revisionisten“, die eine weniger dogmatische als pragmatische Auslegung der marxistischen Lehren propagierten.407 Diese Sozialdemokratinnen arbeiteten z. B. bevorzugt für die „Sozialistischen Monatshefte“, dem zentralen Organ der Revisionisten. Zu diesen RevisionistInnen ist auch Henriette Fürth (1861-1936) zu zählen, die sogar von 1901 bis 1907 die Rubrik „Frauenbewegung“ der „Sozialistischen Monatshefte“ betreute.408 Bereits im Dezember 1896 trug Fürth mit Zetkin ein Artikelgefecht in der „Gleichheit“ aus, in welchem sie sich für die Kooperation mit bürgerlichen Frauen aussprach. Fürth löste das Gefecht mit einem Artikel aus, in welchem sie das von Zetkin auf dem SPD-Parteitag 1896 in Gotha gehaltene Grundsatzreferat zur Frauenagitation besprach und der zudem ihr erster für die „Gleichheit“ verfasster Artikel gewesen sein dürfte. Zetkin hatte in Gotha betont, dass die Emanzipation der proletarischen Frau nicht ein gemeinsames Werk der Frauen aller Klassen sein könne, sondern nur Ergebnis des von Männern und Frauen des Proletariats geführten Klassenkampfes. Klassen- solidarität ginge über Geschlechtersolidarität. Dieses Referat Zetkins bezeichnete Fürth ironisch als „revolutionär zum ersten – revolutionär zum zweiten – und revolutionär zum dritten Mal!“409 Sie machte Zetkin zum Vorwurf, dass entgegen des revolutionären Ansinnens ihrer Agitations- strategien „auf dem Gebiet der Erziehung, dem der Selbst- wie der Massenerziehung, nichts ge- 405 Vgl. ebd. Auf dem Parteitag 1905 in Jena erklärte Zetkin, „daß der ganze Mitarbeiterstab der ‘Gleichheit’ mit der größten Uneigennützigkeit arbeitet. Es gibt vielleicht kein Partei-Organ, dessen Mitarbeiter sich mit so geringem Honorar begnügen, wie es bei der ‘Gleichheit’ der Fall ist.“ (Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1905, S. 282). 406 Ebd., S. 25. 407 Zum Revisionismus der SPD siehe Grebing, Der Revisionismus. 408 Zudem arbeitete Fürths Bruder Simon Katzenstein als fester Mitarbeiter für die „Sozialistischen Monatshefte“ und auch für die „Gleichheit“. Umso auffälliger ist es, dass die Würdigung, die er zum 70. Geburtstag seiner Schwester verfasste, ihre Arbeit für die „Gleichheit“ und sämtliche MitstreiterInnen vollkommen unerwähnt ließ (vgl. Katzenstein, Henriette Fürth). 409 Fürth, Henriette: Die Frauenbewegung und der sozialdemokratische Parteitag. In: GL, 06 / 25/ 09.12.1896/ 197. 161 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) schehen“410 sei. Durch die kompromisslose Haltung der Sozialistinnen verpasse die proletarische Frauenbewegung Chancen, gemeinsam mit den Bürgerlichen auch endlich Bahnbrechendes auf dem Gebiet der Frauenbildung zu erreichen. Aber selbst diejenigen bürgerlichen Frauen, die eine Tendenz zur Sozialdemokratie hätten und für sie gewonnen werden könnten, würden durch Ra- dikale wie Zetkin, „von dem Terrorismus der Führerinnen […], von der Vergewaltigung, die darin liegt, daß man unweigerlich, sonder Kritik noch Zweifel zum alleinseligmachenden revolutionären Prinzip schwören soll“411, abgeschreckt. Zetkins Bedenken, dass eine Kooperation oder bloße Duldung bürgerlicher Frauen in den eigenen Reihen das sozialistische Prinzip „verwässern“412 könne, empfand Fürth als „thöricht“413. Zetkin musste sich angesichts solcher Vorwürfe nicht nur persönlich, sondern auch als Vertreterin eines wissenschaftlichen Sozialismus herausgefordert sehen. Sie lehnte den Pragmatismus Fürths strikt ab und pointierte, „daß das grundsätzlich und hauptsächlich Trennende über das praktisch und nebensächlich Gemeinsame überwieg[e].“414 Sie verteidigte damit ihre dogmatisch-ablehnende Haltung gegenüber der bürgerlichen „Frauenrechtelei“ und bezeichnete die Kritik Fürths als „[d]as sittlich entrüstete Jammergetön einer zarten Seele über die bösen mißtrauischen proletarischen Frauen, welche in zwanzig Jahren nicht genug lernen, um jede sich Sozialdemokratin nennende Bourgeoisdame mit Cymbeln und Posaunen zu em-pfangen“415. Sozialistinnen wie Fürth, die Zetkin gerne als „Auch-Sozialisten“ betitelte, seien genauso wie die bürgerlichen Frauen der Vorstellung verfallen, dass Petitionen und Bittstellungen wirksamer als der Klassenkampf sein könnten. Letzteres aber, und nicht „das Attentat auf die Thränendrüsen der Besitzenden“416, so Zetkin, sei der einzige gangbare Weg, die Besitzenden zu entmachten und schließlich eine sozialistische Gesellschaft zu gründen. Die Aufgabe der „Auch-Sozialistinnen“ sah Zetkin vornehmlich darin, als unscheinbare „Zersetzungsbazillen […] der kapitalistischen Ge- sellschaft“417 zu wirken.418 410 Ebd., S 198. 411 Ebd. 412 Ebd. 413 Ebd. 414 Zetkin, Klara: Zur Antwort. In: GL, 06 / 25/ 09.12.1896/ 198. 415 Ebd., S. 199. 416 Ebd. 417 Ebd. 418 Auch hier zeigt sich wieder eine gewisse innere Zerrissenheit Zetkins, die einerseits bürgerliche Frauen verachtete und verpönte, aber andererseits einigen von ihnen, den heimlichen Sympathisantinnen des Sozialismus, innerhalb 162 2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION Wen hätte es verwundert, wenn sich Fürth, „bissig“ belehrt von der „Chefideologin“419 der proletarischen Frauenbewegung, jeglicher Meinung von nun an enthalten hätte?! Sie nahm jedoch den Fehdehandschuh auf und gab der „Antwort zur Antwort“, dass sie es für „thö r i ch t und eitel“420 halte, Bundesgenossinnen aus dem Lager der bürgerlichen Frauen zurückzuweisen. Denn ihrer Meinung nach habe die bürgerliche Frauenbewegung gar nicht genug Potential, um der sozialistischen Sache in irgendeiner Weise gefährlich zu werden. Viel eher stünde quasi deren Vereinnahmung durch den Sozialismus kurz bevor. Sobald dies erfolgt sei, könnten alle weiteren Ziele durchaus auch auf demokratischem, d. h. den bürgerlichen Frauen genehmeren Wege um- gesetzt werden. Mit dieser Argumentation wich Fürth vollends vom revolutionären Prinzip ab.421 Zetkin setzte in dieser Debatte den Schlusspunkt, indem sie Fürth die Ziele und den durchtriebenen Charakter der bürgerlichen „Frauenrechtelei“ noch einmal vor Augen führte. Über allem stehe das klassensolidarische Prinzip. Auch die bürgerlichen Feministinnen seien trotz ihrer energischen Männerfeindlichkeit diesem Prinzip verschrieben. Sollte die bürgerliche Frauen- bewegung – ob mit oder ohne Kooperation der Proletarierinnen – ihre Zielsetzungen erreichen, so würde sie bald nichts mehr von einer Geschlechtersolidarität mit den Proletarierinnen wissen wollen. Alle bürgerlichen Frauen würden stattdessen gemeinsam mit ihren Männern, denen sie dann ja gleichgestellt wären, die konsequente Unterdrückung des Proletariats fortführen. Zetkin war davon überzeugt, dass „d i e K la s s en l ag e und n i ch t d i e G es ch l ech t s l age für den Gebrauch der Macht ausschlaggebend ist.“422 Sie warnte vor einer Beeinflussung der ungeschulten Massen durch bürgerliche Propaganda. Wenn aber diese Massen erst einmal voll und ganz für den Sozialismus gewonnen seien, könne Fürth von ihr aus treiben, was sie wolle, und „das Eiapopei des Zusammengehens flöten, soviel ihr beliebt“423. Die Mainzer Frauenkonferenz 1900 fasste in der Frage der Kooperation mit bürgerlichen Frauen schließlich den verbindlichen Beschluss, dass „[d]as gelegentliche Hand in Hand wirken einzelner Genossinnen und Frauenrechtlerinnen […] Privatsache [sei], die dem persönlichen Geschmack und Taktgefühl überlassen“424 sein sollte. So oblag es der persönlichen Verantwortung einer jeden der „Gleichheit“ ein Betätigungsfeld bieten wollte. 419 Gerhard, Unerhört, S. 179. 420 Fürth, Henriette: Der Antwort zur Antwort. In: GL, 06/ 26/ 23.12.1896/ 203. 421 Ebd., S. 204. 422 Zetkin, Klara: Ein letztes Wort zur Erwiderung. In: GL, 6/ 26/ 23.12.1896/ 206. 423 Ebd., S. 207. 424 Proletarische und bürgerliche Frauenbewegung. In: GL, 10/ 24/ 21.11.1900/ 185. 163 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Genossin, ob es vertretbar war, mit Klassenfeindinnen zu kooperieren. Grundlegende und wichtige Angelegenheiten sollten aber von dieser ganz im Sinne Fürths getroffenen Regelung ausgenommen bleiben. Zetkin war sich in ihrem Kommentar zu dieser Entscheidung der Frauen- konferenz sicher, dass keine „Frauenrechtlerin“ bereit sein würde, um der „‘prinzipiellen Verständigung’“425 mit der proletarischen Frauenbewegung willen, den Grundsatz der soziali- stischen Revolution öffentlich mitzutragen. Und wenn es eine solche Bürgerliche je geben sollte, so habe sie es ihrer Meinung nach verdient, „als ein Unikum in Spiritus aufbewahrt zu werden “426. Zetkin blieb also bei ihrer Einschätzung und Geringschätzung der bürgerlichen Frauen und harrte ruhig der weiteren Entwicklung. Auch nach dieser heftigen Kontroverse schrieb Fürth weiterhin für die „Gleichheit“, ja sie hatte sogar stets ein sehr gutes Verhältnis zu Zetkin.427 Sie beschäftigte sich u. a. mit den Propa- gandataktiken der bürgerlich-konservativen Zentrum-Partei428, mit den Gesundheitsverhältnissen von Arbeiterinnen429, mit Prostitution und Hygiene430. 1899 bis 1918 scheint Fürth keine größeren Artikel für die „Gleichheit“ verfasst zu haben. Für die „neue“ „Gleichheit“ wiederum verfasste sie u. a. einen historischen Rückblick auf den Kampf um das Frauenwahlrecht431, Kommentare zum Wilson-Programm432 und zur Eherechtsreform.433 Besonders interessant sind ihre Artikel zur „Akademie der Arbeit“, einer am 1. April 1921 eröffneten Bildungseinrichtung, in der akademisch nicht vorgebildeten Personen Hochschulunterricht erteilt werden sollte. Fürth rief auf, möglichst viele Frauen in diese Einrichtung zu „delegieren“.434 Dies scheint nicht erfolgt zu sein, denn sie musste vier Monate später konstatieren, dass Frauen keinen Anteil an dieser Einrichtung hatten: Weder im Lehrpersonal, noch im Aufsichtsrat waren sie zu finden und selbst bei den „Schülerinnen“ waren nur zwei (eine von einer Postbehörde und eine andere von einer christ- lichen Gewerkschaft) vertreten.435 Außerdem war Fürth die Verfasserin einiger zum Teil erbau- 425 Ebd., S. 186. 426 Ebd. 427 Vgl. Klausmann, Politik und Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 139. 428 [Fürth, Henriette?] H. F.: Dringende Aufgaben. In: GL, 08/ 15/ 20.07.1898/ 115. 429 Fürth, Henriette: Gesundheitsverhältnisse der preußischen Industriearbeiterinnen. In: GL, 08/ 20/ 28.09.1898/ 154-156. 430 Fürth, Henriette: Prostitution und Frauenkrankheiten. In: GL, 08/ 13/ 22.06.1898/ 99. 431 Fürth, Henriette: Zum Wahlrecht der Frauen. In: GL, 29/ 07/ 03.01.1919/ 54-55; GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 63. 432 Fürth, Henriette: Warum wir hoffen dürfen! In: GL, 29/ 06/ 20.12.1918/ 42-43. 433 Fürth, Henriette: Caveant consules! In: GL, 29/ 26/ 16.08.1919/ 202. 434 Fürth, Henr[iette]: Die Akademie der Arbeit und die Frauen. In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 34-35. 435 Vgl. Fürth, Henr[iette]: Akademie der Arbeit. In: GL, 31/ 11/ 01.06.1921/ 102. 164 2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION licher, zum Teil aber auch kämpferischer Gedichte, die in der „Gleichheit“ veröffentlicht wurden.436 Auch Wilhelmine Kähler (1864-1941)437 war eine „Gleichheit“-Mitarbeiterin und Agitatorin der „ersten Stunde“. Bereits im März 1892 erschien in der Rubrik „Kleine Nachrichten“ eine Notiz zu einem von ihr in Flensburg gehaltenen Vortrag, in dem sie sich auch auf geschichtliche Themen bezogen hatte.438 Bevorzugt in Aufrufen439 oder in als persönliche Briefe gestalteten Artikeln wandte sich die Gewerkschafterin Kähler an die „Gleichheit“-Leserinnen und gegen die Indif- ferenz proletarischer Frauen.440 Ihre Verbundenheit zu Führungspersonen der Gewerkschaftsbewe- gung zeigte sich in den von ihr verfassten Nachrufen auf Paula Thiede (1870-1919) und Carl 436 Zwei dieser Gedichte sind im Anhang enthalten. 437 Wilhelmine Kähler, geb. Mohs, verheiratete Reimes-Kähler, wurde im holsteinischen Kellinghusen geboren. Sie war das dritte von sieben Kindern eines Steinmetz und besuchte erst die Volksschule, arbeitete dann 2 ½ Jahre als Dienstmädchen (dies könnten die Jahre sein, in denen sie als Wirtschafterin für den Dichter Detlev von Liliencron arbeitete; vgl. Schroeder, Luise: Unsere Frauen in der deutschen Nationalversammlung. In: GL, n: GL, 29/ 11/ 28.02.1919/ 84-87, S. 84) und schließlich als Arbeiterin einer Buchdruckerei. 1903 verfasste Kähler für die „Gleichheit“ den Artikel „Lebenserinnerungen einer Arbeiterin“ (GL, 13/ 02/ 14.01.1903/ 12-13), in welchem sie in sehr literarischer Weise von ihrem Leben und der Geburt ihres ersten Kindes, das nur wenige Minuten lebte, erzählte. 1882 heiratete sie den Zigarrenarbeiter Carl Kähler. Seit Ende der 1880er Jahren stand sie der SPD nahe. 1890 gründete Kähler den „Zentralverein der Fabrik- und Hausarbeiterinnen Deutschlands“ und wurde Vorsitzende dieses Verbandes. Außerdem wirkte sie als stellvertretende Vorsitzende im „Verband der Haus- angestellten Deutschlands“ und als Redakteurin des Verbandsorgans. 1892-1899 trat sie die Nachfolgerin Ihrers in der Generalkommission der Gewerkschaften an. 1900 wurde sie Vertrauensperson der Genossinnen Schleswig- Holsteins. Im selben Jahr zog sie mit ihrem Ehemann, der sich als Zigarrenfabrikant selbstständig machte, nach Dresden, wo sie erneut zur Vertrauensperson gewählt wurde. 1902 trat sie der SPD bei. Im selben Jahr gab sie jedoch aufgrund der großen Arbeitsbelastung ihr Amt einer Vertrauensperson auf. Als Agitatorin wirkte Kähler vor allem für den „Verband der Fabrik-, Land-Hilfsarbeiter und -Arbeiterinnen“, den „Verband aller in der Textil - industrie beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands“ und den „Deutschen Tabakarbeiter-Verband“. Nach dem Tod ihres Ehemannes zog sie 1906 nach Düsseldorf um. 1907 war sie Delegierte auf der Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale in Stuttgart. 1910 zog sie nach Berlin um. Sie gab 1910-1914 die Korrespondenz „Für unsere Frauen“ (?-?) heraus. Während des Ersten Weltkrieges war Kähler Mitglied im Beirat des Hamburgischen Kriegsversorgungsamtes, des Speisenauschusses der Kriegsküchen, Pflegerin der Kriegshilfe und der Hinterbliebenenfürsorge. 1916 war sie Herausgeberin der „Sozialdemokratischen Artikel-Korrepondenz“ (?-?). 1919 wurde Kähler zur Abgeordneten der Nationalversammlung gewählt, nahm bis 1921 ein Mandat als Reichstagsabgeordnete und anschließend bis 1924 das einer preußischen Landtagsabgeordneten wahr. 1922-1925 war sie Herausgeberin von „Frauenhausschatz. Jahrbuch für Arbeiterfrauen und Töchter“ (1922-1925[?]). 1924 heiratete sie den ehemaligen Sekretär der SPD-Reichstagsfraktion Wilhelm Reimes und kehrte mit diesem nach Kellinghusen in Norddeutschland zurück, wo sie 1927-1932 ein Heim der AWO leitete. Ihren Ruhestand verlebte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann in Bonn. 438 Kähler, Wilhelmine: [Ohne Titel] In: GL, 02/ 06/ 23.03.1892/ 51. Kählers Bezugnahme auf die Geschichte wird auch in zwei weiteren ihrer Vortragstitel deutlich: „Antike und moderne Sklaverei“ (vgl. GL, 13/ 04/ 11.02.1903/ 30, Vortrag anlässlich einer Bäckerversammlung in Plauen) und „Die bürgerliche Revolution von 1848/49 und das preußische Dreiklassenwahlsystem (vgl. GL, 16/ 08/ 18.04.1906/ 52, Vortrag anlässlich einer Volksversammlung in Mühlberg a.d.E.,). Zudem verband sie die Geschichte der Arbeiterbewegung mit der der Frauenagitation (vgl. Kähler, Wilhemine: Einst und jetzt. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 122-123). 439 Kähler, Wilhelmine: Frauenpflicht in den wirthschaftlichen und politischen Kämpfen. In: GL, 11/ 21/ 09.10.1901/ 162-163 (gegen den Indifferentismus); Ein ernstes Wort zu ernster Zeit! In: GL, 15/ 13/ 28.06.1905/ 75. 440 Kähler, Wilhemine: Brief von der Agitation in der Provinz Sachsen. In: GL, 14/ 17/ 10.08.1904/ 135; [Kähler, Wilhelmine] W. K.: Bunte Bilder von der Wahlagitation. In: GL, 13/ 16/ 29.07.1903/ 124-126; Aus Schlesien. In: GL, 13/ 19/ 09.09.1903/ 150-151; Aus Schlesien. In: GL, 13/ 24/ 18.11.1903/ 190-191. 165 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Legien.441 Ihren eigenen Worten nach zu urteilen wurde Hedwig Wachenheim (1891-1969)442 von Zetkin regelrecht vergrault. Wachenheim war Zetkin durch ihre im Presseorgan der bürgerlich- gemäßigten Frauenbewegung „Die Frau“ (1893/94-1943/44) erschienenen Artikel aufgefallen. In ihren Memoiren beschrieb Wachenheim, wie es dann schließlich zu ihrer ersten Veröffentlichung in der „Gleichheit“ kam und welche Verärgerung sie wegen des Redaktionsstils Zetkins empfunden hatte: „Ich schrieb damals auch eine Studie über die Jugenderlasse der Generalkomman- dos, die als oberste Stelle der Armee u. a. das Recht hatten, Polizeiverordnungen zu erlassen, und von diesem Recht – entsprechend ihrer Auffassung von jugendlicher Tugend – reichlich Gebrauch machten. Sie verboten Jugendlichen, sich abends nach einer bestimmten Zeit auf der Straße aufzuhalten, auf der Straße zu rauchen, bestimmte Versammlungen zu besuchen u. a. m., und mischten sich auf allen Gebieten in das Jugendlichen-Leben ein. Klara Zetkin nahm mir den Artikel ab und veröffentlichte ihn in drei aufeinanderfolgenden Nummern der Gleichheit, vergaß aber nie, an verschiedenen Stellen ihre radikalen Schnörkel anzubringen, ohne zu vermerken, daß diese von ihr stammten. Ich war sehr stolz, daß Artikel von mir in einem Zentralblatt der Partei erschienen, doch gab ich dann die Mitarbeit auf. Zur Bloßstellung der Generäle hätten die Artikel viel mehr bewirkt, wenn sie nicht mit linksradikalen Bemerkungen versehen gewesen wären.“443 Fühlte sich Wachenheim einerseits durch die Anerkennung ihres Talents geehrt, wollte sie andererseits doch auch nicht von Zetkin bevormundet werden. Deshalb gab sie schon bald die Mitarbeit an der „Gleichheit“ wieder auf. Zwar bescheinigte sie Zetkin an anderer Stelle, die 441 Kähler, Wilhemine: Paula Thiede †. In: GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 100-101; Carl Legien und die Arbeiterinnen. In: GL, 31/ 02/ 15.01.1921/ 10. 442 Hedwig Wachenheim wurde in Mannheim geboren. Die Tochter einer jüdischen Bankiersfamilie besuchte 1897- 1907 die Höhere Töchterschule in Mannheim und 1912-1914 die Soziale Frauenschule in Berlin. 1914 trat sie der SPD bei und arbeitete 1914-1915 in Mannheim als Fürsorgerin. 1916-1917 wurde Wachenheim in der Kom- mission des NFD in Berlin angestellt und 1917-1919 war sie Angestellte bei der Berliner Milchversorgung. 1919- 1921 wirkte sie als Frauenreferentin bei der Reichszentrale für Heimatdienst, im Anschluss 1922-1933 war sie Abteilungsleiterin bei der Reichsfilmprüfstelle und Regierungsrätin. Ab 1919 war Wachenheim Mitglied des Hauptausschusses der Arbeiterwohlfahrt und ab 1926 Chefredakteurin der Zeitschrift „Arbeiterwohlfahrt” (1926- 1933). Ab 1928 arbeitete sie als Lehrerin und zuletzt als Leiterin der Berliner Wohlfahrtsschule der AWO. 1933 wurde Wachenheim jedoch aus all diesen Ämtern entlassen. 1928-1933 saß sie als Abgeordnete im preussischen Landtag und als Mitglied im Hauptausschuss des „Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge”. 1933 emigrierte Wachenheim nach Frankreich und 1935 in die USA. 1936-1946 engagierte sie sich in verschiedenen deutschen Gruppierungen, die sich mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus und dem Wiederaufbau Deutschlands beschäftigten. 1946 kehrte Wachenheim nach Deutschland zurück und übernahm die Leitung einer Kinderwohlfahrtsabteilung. 1949-1951 versah sie das Amt der stellvertretenden Leiterin der Wohlfahrtsabteilung der US-Hochkommission Frankfurt am Main. 1955 nahm sie einen Forschungsauftrag der University of California Berkley über das Gebiet der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung wahr. Sie starb während eines Aufenthaltes in Deutschland. Ihre Forschungsarbeit erschien 1967 unter dem Titel „Die deutsche Arbeiter- bewegung 1844 bis 1914“ und 1973 ihre Memoiren „Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie. Memoiren einer Reformistin“. 443 Wachenheim, Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie, S. 60. Wachenheims erster „Gleichheit“-Artikel konnte von mir bei der Durchsicht leider nicht ausfindig gemacht werden. 166 2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION „Gleichheit“ mit „viel Eifer und Geschick“444 geleitet zu haben, dies „allerdings auf der radikalen Linie“445 – und diese dürfte Wachenheim letztendlich noch mehr missfallen haben als Zetkins redaktionellen Eigenarten. Als Wachenheim nun für die „neue“ „Gleichheit“-Redaktion wieder zur Verfügung stand, war sie mittlerweile zu einer einflussreichen Parteifunktionärin geworden. Sie hatte sich bewusst auf dem rechten, d. h. dem reformistischen Flügel der SPD positioniert, pflegte aber auch zu Opposi- tionellen wie z. B. zu Mathilde Wurm einen engen Kontakt.446 Nach dem Redaktionswechsel widmete sie sich nach Absprache mit Bohm-Schuch in regelmäßigen Artikeln der Wohlfahrts- und Armenpflege, der Jugendfürsorge447, aber auch der republikanischen und parteipolitischen Schulung der Frauen448. Auch Johanna Reitze (1878-1949)449 hatte bereits ihre ersten Artikel in der „Gleichheit“ veröffentlicht, als diese noch unter der Redaktion Zetkins stand.450 Doch erst nach dem Re- daktionswechsel trat sie als Mitarbeiterin deutlicher hervor. Oft hatten ihre Beiträge einen 444 Wachenheim, Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie, S. 58. 445 Ebd. 446 Ebd., S. 63-64. Wachenheims Memoiren sind jedoch nicht nur hinsichtlich ihrer Einschätzungen einzelner Personen besonders wertvoll, sondern auch hinsichtlich ihrer Beurteilung der Situation, wie sie sich nach der Parteispaltung darstellte. 447 Vgl. ebd., S. 122. Hier eine Auswahl ihrer Artikel: Wachenheim, Hedwig: Die Sozialbeamtin. In: GL, 28/ 14/ 12.04.1918/ 107-108; Soziale Fürsorge und Sozialdemokratie. In: GL, 29/ 09/ 31.01.1919/ 70-72; GL, 29/ 10/ 14.02.1919/ 79-80; GL, 29/ 11/ 28.02.1919/ 85-86; Beibehaltung der Frauenreferate. In: GL, 29/ 40/ 22.11.1919/ 316-318; Der Gesetzentwurf über die Grundschule. In: GL, 30/ 10/ 06.03.1920/ 73-74; Auswärtige Politik der bürgerlichen Frauenbewegung. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 229; GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 234; Vorschläge zur Frauenbildungsarbeit. In: GL, 30/ 32/ 07.08.1920/ 258-259; GL, 30/ 33/ 14.08.1920/ 266-267; Vom Außendienst der Jugendfürsorgerin. In: GL, 31/ 01/ 01.01.1921/ 2-3; 448 Wachenheim, Hedwig: Besprecht das Parteiprogramm! In: GL, 31/ 24/ 15.12.1921/ 236-237; GL, 32/ 01/ 01.01.1922/ 7-8. 449 Johanna Reitze, geb. Leopold entstammte einer kinderreichen Hamburger Arbeiterfamilie und besuchte bis 1892 die Volksschule. Sie arbeitete zunächst als Schneiderin, dann als Dienstmädchen und schließlich als Druckerei- Hilfsarbeiterin, wodurch sie mit organisierten Genossen und der Arbeiterbewegung in Kontakt kam. Ab 1890 war Reitze agitatorisch für die Arbeiterbewegung tätig, wurde Begründerin und von 1890-1893 Zentralvorsitzende des Verbandes der Fabrik- und Handarbeiterinnen. 1892-1898 war sie Mitglied der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands. Sie gab die Korrespondenz „Für unsere Frauen” (?-?) und eine sozial- demokratische Artikel-Korrespondenz heraus und übernahm die Redaktion des Zentralorgans des Verbandes der Hausangestellten. 1900 heiratete sie. Seit 1902 SPD-Mitglied, war sie vor allem von Bebels Buch beeindruckt worden. Nach einem sechsmonatigen Studium an der Parteischule in Berlin 1904 engagierte sie sich aktiv in der Hamburger Frauenbewegung. 1908-1919 war sie Landesvorstandsmitglied der Hamburger SPD. Während des Ersten Weltkrieges organisierte Reitze die „Hamburgische Kriegshilfe“, wurde Mitglied des „Hamburger Versorgungsamtes“ und des „Speiseausschusses für Kriegsküchen“. Sie engagierte sich in der Kriegsfolgenhilfe und der Kriegshinterbliebenenfürsorge. 1919-1921 war sie Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. 1919 wurde Reitze zudem in die Nationalversammlung gewählt, wurde Referentin im Reichswirtschaftsministerium (Notstandsfürsorge für Bergarbeiter) und 1919-1933 Mitglied im Parteiausschuss. 1920-1924 hatte sie ein Mandat als Reichstagsabgeordnete inne. Nach 1933 blieb Reitze in Hamburg und wurde 1944 von der Gestapo in Schutzhaft genommen. 1945 bis zu ihrem Tod engagierte sie sich vor allem in der AWO. 450 U. a.: Reitze, Johanna: Die Stellung der Frau einst und jetzt. In: GL, 18/ 06/ 16.03.1908/ 53. 167 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) regionalen Bezug zu ihrer Wirkungsstätte Hamburg451. Im März 1919 veröffentlichte Reitze in der „Gleichheit“ den richtungweisenden Artikel „Die Presse und die Frauen“452. Darin forderte sie, dass die Proletarierinnen angeleitet werden müssten, ihre häuslichen Pflichten mit mehr Effizienz zu bewältigen, um sich dann in der so erkämpften freien Zeit politisch zu engagieren. Mit diesem hausfrauenspezifischen Auftrag sollte ihrer Meinung nach auch die Beilage „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ wieder erscheinen, die 1917 vermutlich auf Grund von Papierknappheit ein- gestellt worden war. Vor allem müssten nun die Redaktionen aller Parteiblätter den Frauen- interessen verstärkt Rechnung tragen. Sie hätten ausnahmslos alle eine Frauenecke einzurichten, die jedoch mehr zu leisten habe als bisher. Dieser Artikel enthielt außerdem konkrete Ideen für eine Neugestaltung der „Gleichheit“, die tatsächlich wenig später umgesetzt wurden. Reitze war eine Befürworterin der Kooperation mit Teilen der bürgerlichen Frauenbewegung. In einem Artikel zu einer BDF-Generalversammlung, die im September 1919 in Hamburg stattgefunden hatte, äußerte sie die Überzeugung, dass eine partielle Annäherung möglich wäre. Obwohl noch immer verschiedene Standpunkte vertreten würden, müsste dennoch keine Grundanschauung aufgegeben werden.453 In anderen Artikeln kamen Reitzes Tätigkeit als Parla- mentarierin und Anhängerin eines „wieder entdeckten“ Internationalismus der SPD zum Aus- druck. In ihnen präsentierte sie den Leserinnen der „Gleichheit“ die „Maienwünsche der weib- lichen Parlamentarier“454 oder die „Maienhoffnung auf die Internationale“455. Anna Mosegaard (1881-1954)456 war nicht nur eine der wenigen Dienstbotinnen, die sich in der „Gleichheit“ zu Wort meldeten, sie veröffentlichte zudem die einzige private Suchanzeige. Diese lautete wie folgt: „Kann mir eine Genossin für die Sommermonate, in schöner Gegend Deutsch- 451 Reitze, Johanna: Die Tätigkeit der Hamburger Genossinnen während des Krieges. In: GL, 27/ 21/ 20.07.1917/ 146-147; Was Bebel uns Hamburgern war. In: GL, 33/ 15/ 01.08.1923/ 123. 452 Reitze, Johanna: Die Presse und die Frauen. In: GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 98. Zwei Jahre später verfasste Reitze mit dem Artikel „Die Frauen und die Presse“ (In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 63-64) eine heftige Kritik an der Wirkung der Klatschpresse auf den Geist der Frau. Die sozialdemokratische Presse müsse die Macht der bürgerlichen Presse brechen: „Aus einer Wählerin muß eine überzeugte sozialdemokratische Kämpferin werden.“ (ebd.; Hervorhebungen im Original als Sperrdruck). 453 Reitze, Johanna: Der Bund Deutscher Frauenvereine … In: GL, 29/ 36/ 25.10.1919/ 287. 454 Reitze, Johanna: Maienwünsche der weiblichen Parlamentarier. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 123-124; Von Weimar bis Augsburg. In: GL, 32/ 17/ 18/ 01.09.1922/ 158-159. 455 Reitze, Hanna: Maienhoffnung auf die Internationale. In: GL, 33/ 09/ 10/ 01.05.1923/ 66-67. 456 Anna Mosegaard, geb. Sachse, wurde in Nordhausen im Harz geboren und wuchs in einem Waisenhaus auf. Nach dem Besuch der Volksschule arbeitete sie im Alter von 14 Jahren erst als Dienstmädchen und ab 1901 als Tabakarbeiterin. 1901 heiratete sie den Tabakspinner Mosegaard und gebar drei Kinder. 1906-1919 wirkte sie in Hardersleben als Hausfrau, zog 1919 nach Silkeberg um und wurde im selben Jahr Abgeordnete des preußischen Landtages. 1923 kehrte sie nach Hardersleben zurück, wo sie Mitglied des Preisprüfungsausschusses, der Lebens- mittelkommission und der Jugendpflege wurde. Bereits in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war sie schriftstellerisch (Erzählungen, Theaterstücke, Märchenspiele) und für die SPD-Presse tätig gewesen. 168 2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION lands, ein einfach möbliertes Zimmer mit Küchenbenutzung für mich und meinen achtjährigen Sohn gegen Bezahlung überlassen bzw. anweisen? Gefl. Angebote sind zu richten an die Redaktion der ‘Gleichheit’.“457 Es ist eine absolute Seltenheit, dass die „Gleichheit“ für solcherlei private Problemlösungen genutzt wurde. Mosegaard beschäftigte besonders das Problem der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz und die Frage der sexuellen Aufklärung von Kindern. In ihren Beiträgen erzählte sie den „Gleichheit“- Leserinnen aus ihrem Erfahrungsschatz als Proletarierin und Mutter. Sie wollte den „Gleichheit“- Leserinnen eine praktische Ratgeberin sein und beschrieb z. B. ihr eigenes Vorgehen zur sexuellen Aufklärung ihrer Tochter und ihres ältesten Sohnes. Mosegaard war es wichtig, dass Mütter ihren Kindern die Gefahren von Geschlechtskrankheiten vermittelten, damit diese sich nicht aus purer Unwissenheit infizierten.458 Außerdem berichtete sie in ihrem einzigen im Hauptblatt der „alten“ „Gleichheit“ erschienenem Artikel aus ihrem Dienstbotinnenalltag und von der Vielzahl sexueller Belästigungen durch ihre männlichen Arbeitgeber, infolge derer sie schließlich den Entschluss gefasst habe, Fabrikarbeiterin zu werden.459 Ein weiterer Artikel Mosegaards im Hauptblatt erschien nach den Wahlen zur Nationalversammlung 1919460 und in der Form von Tage- bucheintragungen nach der Reichstagswahl 1920.461 Laut Drust veröffentlichte Mosegaard von 1908 bis 1914 vor allem regelmäßig Artikel in der Beilage „Für unsere Kinder“.462 Obwohl sie selbst wahrscheinlich nie als Dienstbotin gearbeitet hatte, befasste sich auch Wally Zepler (1865[?]-?)463 sehr engagiert mit der Dienstbotenfrage. Sie tat dies 1898 mit einem an die „alte“ „Gleichheit“ gerichteten Artikel, der zudem den Charakter eines Leserinnenbriefes hat.464 457 Mosegaard, Anna: [Ohne Titel.] In: GL, 31/ 09/ 01.05.1921/ 90. 458 Mosegaard, Anna: Ein Wort an unsere Mütter. In: GL, 31/ 01/ 01.01.1921/ 3-5. 459 Mosegaard, Anna: Die „unsittlichen“ Dienstboten? In: GL, 22/ 02/ 23.10.1911/ 31. 460 Mosegaard, Anna: Betrachtungen einer Frau vor dem Wahllokal. In: GL, 29/ 12/ 14.03.1919/ 91-92. 461 Mosegaard, Anna: Und dennoch …! In: GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 238. 462 Vgl. Drust, Für unsere Kinder, S. 201. 463 Wally Zepler war verheiratet mit dem Sozialdemokraten, Arzt und Lyriker Georg Zepler (1859-1925). Dieser war Herausgeber der Zeitschrift „Der Demokrat. Zeitschrift für freiheitliche Politik und Literatur“ (1909-1911), später der Zeitschrift „Der Weg“ (vermutlich „politische Zeitschrift für gottfreies Menschtum“; 3.1911-1920), Stadtverordneter Berlins und 1913 Gründer des „Bundes Konfessionsloser jüdischer Abstammung“. Wally Zepler betreute 1908-1916 die Rubrik „Frauenbewegung“ in den „Sozialistischen Monatsheften“, die sie von Henriette Fürth übernahm. Entsprechend groß ist die Anzahl, der von ihr für diese Zeitschrift verfassten Artikel. Außerdem war sie Vorstandsmitglied des Berliner Frauenbildungsvereins. Es erschienen u. a. folgende Schriften: „Welchen Wert hat die Bildung für die Arbeiterin?“ (1899), „Die Frauen und der Krieg“ (1916), „Sozialismus und Frauenfrage“ (1919), „Akademiker und Sozialdemokratie“ (1919). Es ist anzunehmen, dass Wally Zepler ein Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung wurde. Die Datenbank der Gedenkstätte Yad Vashem führt folgende Daten an, die aber nicht eindeutig der Sozialdemokratin Zepler zuzuordnen sind: Wally Zepler, geb. Wygodzinsky, lebte vor dem Zweiten Weltkrieg in Bendorf (Deutschland) und starb dort 1940 (vgl. Central Database of Shoah Victim’s Names: http://www.yadvashem.org). 464 Zepler, Wally: Zur Dienstbotenfrage. Eine Erwiderung. In: GL, 08/ 19/ 14.09.1898/ 147-148. 169 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Jedoch erst für die „neue“ „Gleichheit“ schrieb Zepler regelmäßig. Sie verfasste mehrere Artikel zum Thema Frauenwahlrecht465 und rezensierte Bebels „Die Frau und der Sozialismus“466. Außerdem ehrte sie in jeweiligen Nachrufen den Physiker Leo Arons467 und die bürgerliche Frauenrechtlerin Minna Cauer (1841-1922)468. Zepler war in den „Sozialistischen Monatsheften“ für die Betreuung mehrerer Rubriken, u. a. als Nachfolgerin Fürths für die Rubrik „Frauen- bewegung“, zuständig. Auch aus diesem Grund dürfte sich ihre Mitarbeit in der „Gleichheit“ in Grenzen gehalten haben. Eine derjenigen Mitarbeiterinnen, die keinerlei Artikel in der „alten“ „Gleichheit“ veröffentlicht hatten und zu den neuen wie auch jüngeren Genossinnen der SPD gehörten, war Olga Essig (1884-1965)469. Die erst nach der Novemberrevolution 1918 der SPD beigetretene promovierte Sozialwissenschaftlerin veröffentlichte in der „Gleichheit“ eine Artikelreihe zur Sozialisierung der Hauswirtschaft, in der sich viele Ideen von Lily Braun wiederfinden.470 Essig widmete sich außerdem der politischen Schulung, indem sie u. a. einen Vorschlag für einen Unterrichtsplan in Staatsbürgerkunde zur Diskussion stellte.471 Vor allem aber engagierte sie sich in der Reform des Mädchenberufsschulwesens.472 Betrachtet man eine Auswahl von Erna Büsings (1889-1952)473 Artikeln für die „Gleichheit“, so 465 Zepler, Wally: Für das Frauenwahlrecht. In: GL, 27/ 25/ 14.09.1917/ 173-174; Preußische Wahlreform und Frauenwahlrecht. In: GL, 28/ 07/ 04.01.1918/ 50-52 466 Zepler, Wally: Die Frauen und die Zukunft des Sozialismus. In: GL, 29/ 07/ 03.01.1919/ 51-53. Zepler, Wally: Bebel und die Frauen In: GL, 33/ 15/ 01.08.1923/ 119-121. 467 Zepler, Wally: Leo Arons In: GL, 29/ 39/ 15.09.1919/ 306-307. 468 Zepler, Wally: Unsere Toten. In: GL, 32/ 17-18/ 01.09.1922/ 164-165. 469 Olga Essig war Tochter einer westpreußichen Bauernfamilie. Nach einer Berufstätigkeit als Kontoristin und Buchhalterin und dem Abitur an einer Oberrealschule absolvierte sie 1908-1914 an der staatlichen kauf- männischen Fortbildungsschule in Bromberg eine Ausbildung als Diplomhandelslehrerin. Während des Ersten Weltkrieges studierte sie an den Universitäten Breslau und Frankfurt am Main Wirtschafts- und Sozialwissen- schaften sowie Pädagogik. 1918 in die SPD eingetreten, wurde sie 1919 Mitarbeiterin der Frankfurter Stadtverwaltung für den Aufbau des Berufschulwesens, 1920 Leiterin der städtischen Frauenarbeitsschule in Mainz. 1922-1924 arbeitete sie im thüringischen Ministerium für Volksbildung. 1929 wurde Essig Oberschulrätin für das gesamte Berufsschulwesen Hamburgs und außerdem war sie seit 1930 Mitglied des „Bundes entschiedener Schulreformer“. In der NS-Zeit folgte ihre Zwangspensionierung. 1948 wurde sie in ihr Amt wiedereingesetzt. 1946 gründete sie den „Deutschen Frauenring“ Hamburgs mit und war 1946-1948 und 1950-1952 dessen Vor- sitzende. 1959 wurde Essig mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. 470 Essig, Olga: Die Sozialisierung der Hauswirtschaft. In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 241-242.; Die Sozialisierung der Hauswirtschaft (Schluß). In: GL, 30/ 31/ 31.07.1920/ 250-251. 471 Essig, Olga: Staatsbürgerliche Schulung sozialistischer Frauen. In: GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 249-250. Zur politischen Schulung der Leserinnen ist auch eine Zusammenstellung von Dokumentenausschnitten zu zählen: Essig, Olga: Dokumente des Kampfes der Sozialdemokratie um die Befreiung der Frau. In: GL, 30/ 23/ 05.06.1920/ 186. 472 Vgl. Hagemann, Sie widmete ihre ganze Kraft dem Aufbau des Mädchenberufsschulwesens. 473 Vielleicht handelt es sich um die Jugendbuchautorin Erna Büsing, die – in Bremerhaven und Berlin ansässig – folgende Werke verfasste: „Mit 20 Zirkuselefanten um die Welt“ (1938), „Sturz ins Notnetz“ (1946), „Die Nacht der toten Schiffe“ (1947) und „Über uns das Zirkuszelt“ (o.J.). Diese Titel lassen auf eine Existenz der Verfasserin im Schausteller- und Artistengewerbe vermuten. Ob es sich tatsächlich um die „Gleichheit“-Autorin handelt, muss 170 2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION fällt zuerst die plakative Art ihrer Titel auf. Diese sind jedoch bezüglich des Inhaltes nicht besonders aussagekräftig. Büsing beschrieb anhand ihrer Tagebuchblätter die Ereignisse des Ersten Weltkriegs474, um dann für die Nachkriegssituation die immer noch bestehende Spaltung der deutschen Bevölkerung zu konstatieren und sich gegen die an die Weimarer Republik gestellten Reparationsforderungen auszusprechen475. Büsing sah die SPD als Konkursverwalterin der von der bürgerlichen Gesellschaft verschuldeten Kriegsmisere.476 Sie setzte sich außerdem mit dem Verhalten der Presse während und am Ende des Krieges auseinander, besonders mit der bürgerlichen und monarchistischen.477 Die Mitarbeit Toni Senders (1888-1964)478 begann in der „Gleichheit“ erst 1922 und mündete darin, dass sie 1928 bis 1933 eines der beiden Nachfolgeblätter der „Gleichheit“, die „Frauenwelt“ , redigierte.479 1923 verfasste Sender einen für das Leitbild der „Klassenkämpferin“ sehr interessanten Artikel zum Klassenbewusstein480 – ein Begriff, der in der „Gleichheit“ nach 1917 nur noch selten Verwendung fand. Senders thematischer Schwerpunkt war die Gewerk- schaftsbewegung.481 Dieser Umstand richtete abschließend das Augenmerk auf den Einfluss der gewerkschaftlich engagierten Frauen in der „Gleichheit“. Wie nach dem Redaktionswechsel die verstärkte Mitarbeit von Gewerkschafterinnen auffällt, so an dieser Stelle ungeklärt bleiben. 474 Büsing, Erna: Wie ich als Frau den Krieg sah. In: GL, 30/ 09/ 28.02.1920/ 67-68; Wie ich als Frau den Krieg sah. In: GL, 30/ 11/ 13.03.1920/ 83-85 475 Büsing, Erna: Hat das Volk gesiegt? In: GL, 30/ 16/ 17.04.1920/ 116-117; Konsequenz. In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 243-245 (gegen die zu leistenden Reparationsforderungen). 476 Büsing, Erna: Die Zertretenen. In: GL, 32/ 24/ 15.12.1922/ 218 (SPD). 477 Büsing, Erna: Die Meinungsfabrik. In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 210; Habt Selbstachtung. In: GL, 32/ 14-15/ 15.07.1922/ 131-132. 478 Toni – eigentlich Sidonie Zippora – Sender war Tochter einer Kaufmannsfamilie und besuchte Höhere Töchter- schulen in Biebrich a. Rh. und Frankfurt am Main. Sie arbeitete als Bürogehilfin und bis 1918 als Büroangestellte in Frankfurt am Main und Paris. 1908 trat sie der SPD und Gewerkschaft bei. 1917 wurde sie Mitglied der USPD, 1918 Mitglied der Exekutive des Arbeiter- und Soldatenrates in Frankfurt am Main, 1919 der USPD-Programm- kommission, war 1920-1922 Mitglied des USPD-Beirats. 1919-1921 übernahm sie die Redaktion des USPD- Organs „Volksrecht“ (1919-1922). Als Schriftstellerin lebte sie in Frankfurt am Main, Dresden und Berlin. 1922 wurde Sender wieder Mitglied der SPD, verschiedener ihrer Kommissionen und des zentralen SPD-Partei- ausschusses. Ab 1920 redigierte sie die „Betriebsrätezeitschrift für die Metallindustrie“ (1920-1930; in ZDB nach- gewiesen als „Betriebsräte-Zeitschrift für Funktionäre der Metallindustrie“). 1919-1924 hatte sie das Amt einer Stadtverordneten in Frankfurt am Main inne und 1920-1933 war sie Reichstagsabgeordnete. 1933 emigrierte sie erst in die Tschechoslowakei und dann nach Belgien. Sie arbeitete weiterhin als Korrespondentin für verschiedene Zeitungen. 1935 reiste sie in die USA, wo sie sich weiterhin in der Gewerkschaftsbewegung engagierte. 1940 er- schien ihre Autobiographie „Toni Sender – the Autobiography of a German Rebel“. 479 Verantwortlicher Redakteur der „Frauenwelt“ war bis einschließlich 1927 Richard Lohmann. Erst nach vielen Klagen – auch weil ein Mann keine Frauenzeitschrift leiten könne – wurde Sender zur Redakteurin bestimmt. 480 Sender, Tony: Das Klassenbewußtsein als Quelle unserer Kraft. In: GL, 33/ 06/ 15.03.1923/ 41-42. 481 Sender, Tony: Die Frau in den Gewerkschaften. In: GL, 32/ 21/ 01.11.1922/ 194; Die Frau in den Gewerkschaften (Schluß). In: GL, 32/ 22/ 15.11.1922/ 200-201. 171 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) auch diejenige von Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung. Nur ein Register könnte aber letztlich Aufschluss über die Zusammensetzung der Gruppe von bürgerlichen Frauen geben, die es nun als vertretbar erachteten, für die ehemals so radikale „Gleichheit“ tätig zu sein. Eine dieser bürgerlichen Frauen war Alice Salomon (1872-1948)482, die vorwiegend in der Wohlfahrtspflege und in der Ausbildung zur Wohlfahrtspflege tätig war. Salomon erachtete besonders die Wohlfahrtspflege als berufliche Aufstiegschance für Arbeitermädchen. Diesbezüglich sind einige von ihr verfasste Artikel in der „Gleichheit“ zu finden.483 Auch über die seit Redaktionswechsel verhältnismäßig intensivere Mitarbeit von Männern könnte nur ein vollständiges Register samt Entschlüsselung der Initialen ausreichende Auskunft geben. Eine Veränderung in diese Richtung hatte sich mit Heinrich Schulz als Redakteur bereits angedeutet und setzte sich teilweise unter den MitarbeiterInnen fort. Im Falle Simon Katzensteins (1868-1945)484 treffen mehrere Besonderheiten zusammen: Er war der Bruder Henriette Fürths und arbeitete wie diese nicht nur für die „Gleichheit“ – dies sowohl unter Zetkin als auch nach deren Entlassung –, sondern auch für die „Sozialistischen 482 Alice Salomon wurde in Berlin geboren. Sie war drittes von acht Kindern einer großbürgerlichen jüdischen Fami- lie. 1893 trat sie den „Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit“ und 1900 dem „Bund Deutscher Frauenvereine“ bei, dessen stellvertretende Vorsitzende sie bis 1920 war. 1902-1906 studierte Salomon trotz fehlendem Abitur Nationalökonomie in Berlin und graduierte 1908 zum Dr. phil.. Ihre Dissertation erschien unter dem Titel „Die Ursachen der ungleichen Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit“. 1909 wurde sie Schriftführerin des „Internationalen Frauenbundes“. Salomon konvertierte 1914 zur evangelischen Konfession. 1919 übernahm sie den Vorsitz der von ihr gegründeten „Konferenz sozialer Frauenschulen Deutschlands“. Aus dem Vorstand des BDF war sie 1920 zurückgetreten, weil man sie aus Angst vor antisemitischer Hetze in der Neu- besetzung des Vorsitzes übergangen hatte. 1925 gründete Salomon die „Deutsche Akademie für soziale und päda- gogische Arbeit“, dieser bedeutenden Einrichtung für Weiterbildung und Forschung folgte 1929 die Gründung der „International Association of Schools of Social Work“, deren Vorsitz Salomon lange Jahre innehatte. 1932 erhielt die engagierte Sozialreformerin die silberne Staatsmedaille Preußens und die Ehrendoktorwürde der Universität Berlin, doch 1933 enthob man sie all ihrer Ämter. 1938 emigrierte Salomon in die USA und wurde 1944 US- amerikanische Staatsbürgerin. 483 Salomon, Alice: Zum Eintritt in den sozialen Beruf. In: GL, 29/ 22/ 19.07.1919/ 171-173; Die Ergebnisse der Son- derlehrgänge für Arbeiterinnen zur Ausbildung in der Wohlfahrtspflege. In: GL, 30/ 44/ 30.10.1920/ 362-363; Die Ergebnisse der Sonderlehrgänge für Arbeiterinnen zur Ausbildung in der Wohlfahrtspflege (Schluß). In: GL, 30/ 45/ 06.11.1920/ 370. 484 Simon Katzenstein, Sohn eines Holzfabrikanten und Bruder von Henriette Fürth, studierte 1885-1890 Geschichte, Philosophie, Jura und Volkswirtschaft in Gießen, Leipzig und Zürich. 1889 trat der SPD bei, weshalb er 1893 aus dem hessischen Justizdienst entlassen wurde. 1894-1896 arbeitete Katzenstein als Redakteur in Leipzig, 1897- 1898 in Mainz. 1894-1895 war er als Mitglied der SPD-Agrarkommission tätig. 1903-1906 wirkte er als Heraus- geber und als Arbeitersekretär und Lehrer in der Arbeiter- und Gewerkschaftsschulung. Bis 1913 war Katzenstein Vorstandsmitglied im Arbeiter-Abstinentenbund. 1915-1918 erst Stadtverordneter, ab 1925 schließlich Bezirks- verordneter in Berlin-Charlottenburg, war er außerdem 1917-1919 volkswirtschaftlicher Mitarbeiter der Zentral- einkaufsgesellschaft deutscher Genossenschaften und im Reichswirtschaftsministerium. 1919 wurde Katzenstein Mitglied der Nationalversammlung, seine Kandidaturen für den Reichstag blieben jedoch meist erfolglos, lediglich 1919-1920 nahm er ein Reichstagsmandat wahr. 1928-1933 wirkte er als Herausgeber der Zeitschrift „Arbeiter-Abstinentenbund“ (?-?) und zog 1933 nach Saarbrücken, wo er Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften wurde. Im Januar 1935 emigrierte Katzenstein über Frankreich, Holland und Großbritannien nach Dänemark, im Mai 1935 nach Stockholm, wo er sich in Konsumgenossenschaften engagierte und Arbeiten zum Alkoholimus in Deutschland verfasste. 172 2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION Monatshefte“. Bereits 1894 fand in der „Gleichheit“ ein Vortrag Katzensteins Erwähnung, den er unter dem Titel „Die Bedeutung des 18. März für das Proletariat“ in Homburg auf einer öffent- lichen Volksversammlung für Männer und Frauen gehalten hatte.485 Neben einigen Artikeln zur Geschichte der Rechtswissenschaft und ihre Position in der Klassengesellschaft486 und weiterer rechtswissenschaftlicher Erläuterungen487 verfasste Katzenstein auch den Artikel „Die prole- tarische Frau und der Alkohol“488, in welchem er sich mit den Auswirkungen des Alkoholmiss- brauchs und entsprechendem Zahlenmaterial beschäftigte. Vor allem der Redakteur Kurt Heilbut (1888-1943)489 arbeitete seit 1918 regelmäßig für die „Gleichheit“. Er richtete ein besonderes Augenmerk auf die kulturelle Bildung der Frauen und Mädchen, indem er z. B. gegen den Einfluss des „Schundkinos“ anschrieb.490 Heilbuts Vorstellung von der „eigentlichen Erfüllung der Frau“491 und von der Mutterschaft als Teilhabe am Produktionsprozess wird in der von ihm 1922 angestellten Überlegung deutlich, „ob nicht vielleicht die Teilung zwischen den beiden Geschlechtern so sei, dass der Mann die geniale Arbeit schaffe, und die Frau den genialen Menschen“492. Auf diese Vorstellung wird noch hinsichtlich des in den Frauenbiographien enthaltenen Mutterideals näher einzugehen sein. Heilbut beschäftigte 485 Vgl. GL, 04/ 07/ 04.04.1894/ 52. 486 Siehe: Tabelle „Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der ‘Gleichheit’“. 487 Katzenstein, Simon: Das Privatrecht – Vertragsfreiheit. In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 183-184. 488 Katzenstein, Simon: Die proletarische Frau und der Alkohol. In: GL, 17/ 19/ 16.09.1907/ 158-159. 489 Die Datenbank der Gedenkstätte Yad Vashem enthält unterschiedliche Angaben zur Biographie Kurt Heilbuts. Dort sind unter dem Namen Kurt Heilbut zwei Einträge zu finden. Beide geben diesselben Geburts- und Sterbedaten an, beide als Geburtsort Freiburg im Breisgau und Sterbeort das Konzentrationslager Auschwitz. Der Eintrag durch Heilbuts Sohn Hellfried nennt als Heilbuts Eltern Sigmund und Sophie, der andere Eintrag Samuel und Sara, geb. von der Felde. Dieser zweite Eintrag erwähnt zudem die Ehefrau Heilbuts, Klara (vgl. Central Database of Shoah Victim’s Names). Weitere Informationen enthält ein Artikel aus der Taz, in welchem der älteste Sohn Heilbuts, Peter, die Geschichte seiner Flucht während eines Todesmarsches aus dem KZ Sachsenhausen im Mai 1945 beschreibt (vgl. Haarhoff, Heike: Todesmarsch in die Freiheit). Zu Beginn des nationalsozialistischen Terrors habe Heilbut, der u. a. als politischer Redakteur für die „Dresdner Volkszeitung“ (1854-1933) arbeitete und 1919 Parteisekretär der Berliner SPD wurde, mit seiner Frau Clara und seinen drei Kindern im sächsischen Freital gewohnt. Dort wurden sie auch erstmals Opfer antisemitischer Übergriffe und dort ist heute eine Straße nach Heilbut benannt. Für die „Gleichheit“ verfasste Heilbut mehrere Artikel und er war vermutlich auch regelmäßig an der Gestaltung der Rubrik „Politische Umschau“ beteiligt. 490 Heilbut, Kurt: Im Kampf gegen den Kinoschund. In: GL, 30/ 01/ 03.01.1920/ 4-5. [Heilbut, Kurt?] K. H.: Kinoschund. In: GL, 30/ 06/ 07.02.1920/ 44 (Heilbut konstatiert, dass die Statistik in 250 Filmen 142 Morde und Selbstmorde und 176 Diebstähle zählte und ruft zum Boykott schlechter Filme auf). Eine Auswahl weiterer Artikel Heilbuts: Heilbut, Kurt: Frauenstimmrecht und Gefühlspolitik. In: GL, 28/ 07/ 04.01.1918/ 56; Schweigen und arbeiten? In: GL, 28/ 16/ 10.05.1918/ 122; „Heimatheer deutscher Frauen.“ In: GL, 28/ 24/ 30.08.1918/ 185- 186; Zum ersten Mai. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 128; Zur neuen Ehereform. In: GL, 29/ 17/ 23.05.1919/ 132- 133; Die Urform der Ehe. In: GL, 29/ 45-46/ 27.12.1919/ 357-358; Rußland und wir. In: GL, 30/ 06/ 07.02.1920/ 45-47; Mädchenabende. In: GL, 30/ 08/ 21.02.1920/ 62; Unsere weibliche Jugend. In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 33- 34 491 [Heilbut, Kurt?] K. H.: Ist die Frau weniger begabt als der Mann? In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 115-117, S. 115. 492 Ebd., S. 116 173 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) sich mit Themen, die unter der Redaktion Zetkins wohl nicht einem Mann übertragen worden wären. Dies auch dann nicht, wenn dieser wie Heilbut ganz in der Tradition Bebels stand und seine Empathie sogar soweit ging, dass er in einem Bebel gewidmeten Gedicht aus Frauen- perspektive schrieb: „Wir Frauen – ein minderwertig Geschlecht, / Verhöhnt, verachtet, ohne Recht. / Man sagte uns stets: die Geschichte lehrt, / Daß dem Mann allein die Herrschaft gehört. / Daß die Frau nichts versteht von des Lebens Nöten / Als das Haus zu hüten und höchstens – zu beten.“493 Diese Strophe ist nicht nur beispielhaft für den für Heilbut typischen Pathos, sondern enthält zudem eine bemerkenswerte Kritik an der konventionellen Auffassung von Geschichte und dem weiblichen Anteil daran. Weniger pathetisch befassten sich Wilhelm Soldes (?-?)494 mit Themen des Frauenwahlrechts und der Ehe495 oder Paul Lensch (1873-1926)496 mit Themen der Ge- schichte.497 Lensch erachtete es anscheinend als für eine Frauenzeitschrift besonders angemessen, die Lebensgeschichte von Männern in den Mittelpunkt zu stellen.498 493 Heilbut, Kurt: An Bebel. In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210 (dieses Gedicht ist im Anhang enthalten). Weitere Gedichte Heilbuts: Der Mann von Illinois. In: GL, 28/ 19/ 21.06.1918/ 146 (Gedicht zur Annahme des Frauenwahlrechts im US-amerikanischen Repräsentantenhaus mit einer Stimme Mehrheit); Draußen. In: GL, 28/ 21/ 19.07.1918/ 167; Zwei Mütter. GL, 29/ 17/ 23.05.1919/ 130 (dieses Gedicht ist ebenfalls im Anhang enthalten). Für weitere Artikel siehe: Tabelle „Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der ‘Gleich- heit’“. 494 Die herangezogenen Nachschlagewerke und Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Wilhelm Soldes. 495 Soldes, Wilhem: Frauenwahlrecht und Parteiorgansiation. In: GL, 30/ 20/ 15.05.1920/ 151-153; Die bürgerliche Frauenbewegung und das Wahlrecht. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 178-179; Der Siegeslauf des Frauenwahlrechts in der Welt. In: GL, 30/ 24/ 12.06.1920/ 194-195; Sozialisierung der Frau oder sozialistische Ehe? In: GL, 30/ 41- 42/ 09.10.1920/ 340-341. 496 Paul Lensch wurde in Potsdam geboren. Sein Vater war Oberregierungsrat. Nach einem Studium der Nationa- lökonomie in Berlin und Straßburg arbeitete er seit 1900 als Schriftsteller und Redakteur der „Freien Presse für Elsaß-Lothringen“ (1898-1964[?]). 1901-1902 hielt er sich zu Studienzwecken in Frankreich und England auf. 1902-1913 war Lensch Redakteur der „Leipziger Volkszeitung“. 1912-1918 hatte er ein Mandat als Reichstags- abgeordneter inne. Zunächst einer der Kriegsgegner, wurde Lensch Mitglied einer Gruppe innerhalb der SPD, die den Krieg marxistisch zu legitimieren versuchte und führendes Mitglied der SPD. 1918 war Lensch Vertreter des Rats der Volksbeauftragten bei der Obersten Heeresleitung. 1919-1925 bekleidete er eine außerordentliche Pro- fessur für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Berlin. 1921-1922 erst Mitarbeiter, wurde er 1922 Redakteur und 1925 erneut Mitarbeiter der bürgerlichen „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ (1922-1945). 1922 erfolgte ein Auschluss aus der SPD bzw. Lensch kam durch Austritt dem Ausschluss zuvor. Zu seinen politischen Werken gehört u. a. „Die Sozialdemokratie und der Weltkrieg“ (1915). 497 Paul Lensch fiel bereits 1916 durch eine Einsendung an die noch von Zetkin geleitete „Gleichheit“-Redaktion auf. In dieser monierte er vermeintlich falsche Informationen zu Lebenslauf und Tätigkeit Franz Mehrings wie sie die „Gleichheit“ anlässlich dessen siebzigsten Geburtstag veröffentlicht habe. Lensch, der gemeinsam mit Mehring an der Redaktion der „Leipziger Volkszeitung“ beteiligt gewesen war, sah dessen Verdienst als vollkommen überhöht an und kritisierte die „Gleichheit“ für ihre Darstellungsweise. Die Reaktion Zetkins darauf war sehr ironisch und trotzig: „Wir warten ab, ob die Tätigkeit des Genossen Lensch für die ‘Leipziger Volkszeitung’ die gleiche Würdi- gung finden wird, wenn auch nicht an seinem siebzigsten Geburtstag, so doch vielleicht schon am fünften Jahres - tag seines ‘Umlernens’ oder seiner Mitgliedschaft in der berühmten ‘Gesellschaft von 1914’“. (Redaktion der „Gleichheit“[: Ohne Titel ] In: GL, 26/ 14/ 31.03.1916/ 103). 498 Lensch, Paul: Zum Luthertag. In: GL, 28/ 02/ 26.10.1917/ 9-10. (Lensch betont darin die Bedeutung Luthers für die „Geburt der freien Persönlichkeit“); Karl Marx. In: GL, 28/ 15/ 26.04.1918/ 113-114. 174 2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION Nicht nur angesichts solcher bekannten Autorinnen wie Baader, Zietz und Luxemburg konnte Zetkin 1905 selbstbewusst betonen „daß die ‘Gleichheit’ auch für ihre Beilage wie für ihren übrigen Inhalt nur Parteigenossen und Genossinnen als Mitarbeiter“499 [Hervorhebung von M.S.] habe. Das vermehrt kritisierte hohe theoretische Niveau der „Gleichheit“, das nicht zuletzt von eben dieser Zusammensetzung der AutorInnen herrührte, ließ es Zetkin 1913 aber zweckdienlich erscheinen, „hinzu[zu]fügen, daß wir vielleicht kein Organ in unserer Partei haben, daß daneben in so großer Zahl Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus den erwachenden Schichten des Proletariats zählt, wie gerade die ‘Gleichheit’.“500 Ähnlich sah es Baader in nahezu jedem ihrer Berichte als „Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands“: Die „Zahl der Proletarierinnen, die für die ‘Gleichheit’ schriftstellerisch thätig“501 waren, nahm stetig zu. Dies sei zugleich ein Beweis dafür, dass die Gruppe der agitatorisch tätigen Genossinnen – auf dem Parteitag in Lübeck noch von Baader selbst als „Häuflein“502 bezeichnet – im stetigen Wachsen begriffen war. Die Mitarbeit an der „Gleichheit“ galt ihr als wichtiges Mittel zur Ausbildung „manch tüchtiger Kraft“503 für die Agitation. Einige Jahre später verkündete Baader stolz, dass „[z]u dem bisherigen tüchtigen Stamm bewährter Rednerinnen […] junge Kräfte hinzugekommen [seien], welche sich bereits als recht wirkungsvolle Agitatorinnen erwiesen“504 hätten. Hinzu komme, dass auch die Zahl derjenigen Genossinnen wachse, „welche durch Berichte, Artikel, Notizen an der ‘Gleichheit’ mitarbei ten“505 und was Baader als „begrüßen- des Anzeichen geistigen Lebens im weiblichen Proletariat“506 wertete. Baader machte damit ins- gesamt bedeutsame Aussagen zur Wirksamkeit und Rezeption der „Gleichheit“, der noch in einem eigenen Kapitel nachgegangen wird. So war nicht nur der Anstieg der „Gleichheit“-Abonnentinnenzahl 499 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1905, S. 281. Vormschlag bestätigt dies in ihrer Studie, wenn sie schreibt, dass „[m]eistens […] die Beiträge von führenden und in der Parteiarbeit stehenden Personen verfaßt“ (Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 99) wurden. 500 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 255. 501 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, München 1902, S. 40. 502 Baader im Protokoll des SPD-Parteitages Lübeck 1901, S. 124. 503 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, München 1902, S. 40. 504 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, Mannheim 1906, S. 72. 505 Ebd S. 74. 506 Ebd. 175 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) „der beste Beweis dafür, daß die proletarische Frauenbewegung an äußerer Ausdehnung wie innerer Reife gewinnt. Als ein besonders begrüßenswertes Symptom muß bezeichnet werden, daß die Zahl der Mitarbeiterinnen der ‘Gleichhei t’ stetig wächst, welche sich aus dem weiblichen Proletariat re- krutieren.“507 Auch eine hier nicht konkret genannte Zahl der einfachen Proletarierinnen unter den „Gleichheit“- Mitarbeiterinnen, verliert betreffs der Rezeption der „Gleichheit“ jedoch an Aussagekraft, wenn die Soziologin Hilde Lion (1893-1970)508 allgemein für die Autorenauswahl der „Gleichheit“ feststellt, dass die Einsendung von Manuskripten „mehr reaktiv als spontan“509 erfolgt sei – womit die Reaktion auf eine Aufforderung durch die Schriftleitung gemeint sein dürfte. War es demnach nicht wahrheitsgemäß, wenn Zetkin 1913 hervorhob, dass sich an der Gestaltung der „Gleichheit“ viele „Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus den erwachenden Schichten des Proletariats“510 beteiligten? Tatsächlich lassen sich Namen in der „Gleichheit“ finden, die nicht nur den Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung und auch nicht nur namhaften VertreterInnen des orthodoxen Marxismus zuzuordnen sind. Generell muss die These von Evans und Nolan bestätigt werden, dass es auch hier meist die erwerbstätigen Ehefrauen der führenden Genossen waren, die sich durch ein politisches und schriftstellerisches Engagement hervorhoben.511 Hausangestellte und junge, unverheiratete Frauen beteiligten sich insgesamt weniger aktiv an der Bewegung512 und sind auch als Autorinnen der „Gleichheit“ selten zu finden. Doch muss zur Verteidigung der „Gleichheit“ eingeworfen werden, dass es ihren Vorgängerinnen – und wie gesehen auch ihrer neuen Redaktion – nicht anders ergangen war. Auch sie hatten immer wieder ermutigende Aufrufe veröffentlicht, die Resonanz darauf bleibt jedoch ungewiss. Generell muss auch festgestellt werden, dass den „Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aus den erwachenden Schichten des Proletariats“ biographisch nur sehr schwer nachgespürt werden kann. 507 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deuschlands, Dresden 1903, S. 50. 508 Hilde Lion wurde in Hamburg geboren. Sie begann 1917 am Sozialpädagogischen Institut in Hamburg eine Aus- bildung, die sie als examinierte Sozialarbeiterin und Lehrerin abschloss. Dieser folgte ein Studium der Volks- wirtschaft und Pädagogik in Freiburg, Hamburg, Berlin und Köln und 1924 die Promotion. Ab 1925 bekleidete Lion das Amt der Leiterin des Jugendleiterinnenseminars des Vereins „Jugendheim“ in Berlin. 1929-1933 war sie Direktorin der „Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit“ in Berlin. Außerdem wurde sie Vorsitzende der „Vereinigung der Dozentinnen an sozialpädagogischen Lehranstalten“. 1933 erfolgte ihre Entlas- sung aus ihrem Amt und sie emigrierte nach Großbritannien, wo sie ein Forschungsstipendium wahrnahm. 1934 wurde Lion Gründerin und Leiterin der „Stoatley Rough School“ in Haslemere/Surrey, wo während des Krieges viele Flüchtlingskinder Aufnahme fanden. 509 Lion, Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 90. 510 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 255. 511 Vgl. Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, S. 206 und Nolan, Proletarischer Anti-Feminismus, S. 365. 512 Nolan, Proletarischer Anti-Feminismus, S. 371. 176 2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION Dies vor allem, wenn sie in der „Gleichheit“ nur einen einzigen – vielleicht noch dazu unge- zeichneten – Artikel veröffentlicht haben. Einige weibliche Autoren dürften es sogar in den Jahren vor dem Reichsvereinsgesetz 1908 bewusst vermieden haben, ihre Beiträge namentlich zu zeich- nen. Initialen und Zeichen wie ***, ! oder #, die teilweise auch von den internationalen Korres- pondentinnen verwendet wurden, finden sich sogar noch in den späteren Jahrgängen der „Gleich- heit“ und sind kaum entsprechenden Personen zuzuordnen.513 Soweit nicht die Artikel selbst, z. B. durch die enthaltenen Beschreibungen des persönlichen Alltags Auskunft über ihre Verfasserinnen geben, können es nur die Forschungen in privaten Nachlässen tun. Auch wenn hier nur eine kleine Auswahl der MitarbeiterInnen – ProletarierInnen und Partei- genossInnen – und wenige ihrer Artikel vorgestellt werden konnten, so dürfte doch deutlich geworden sein, dass das Bild der „Gleichheit“ als das einer reinen „One-Woman-Show“ nicht zu- treffend ist. 513 Vgl. von # gezeichnete Artikel in der Politischen und Gewerkschaftlichen Rundschau in Nummer 5 des 23. Jahrgangs der „Gleichheit“ und X.Y.Z.: Aus der holländischen Frauenbewegung. In: GL, 08/ 19/ 14.09.1898/ 148- 149. 177 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) 2.3.3 Die „Gleichheit“ als Organ der Sozialistischen Fraueninternationale und ihre internationalen Korrespondentinnen Der Relativierung des Bildes der „Gleichheit“ als dem einer „One-Woman-Show“ ist auch der Blick auf die große Zahl internationaler Autorinnen zuträglich. Es ist die Gruppe von Autorinnen, die von bisherigen Forschungsarbeiten sehr vernachlässigt wurde. Dies ist umso unerklärlicher, da Zetkins Bemühen um eine internationale Vernetzung von Beginn an eine Priorität der „Gleichheit“ war.514 Ein Bemühen, das sich nach der Ernennung Zetkins zur Sekretärin der Sozialistischen Fraueninternationale und der „Gleichheit“ zum offiziellen Organ dieser Institution im August 1907 deutlich verstärkte.515 Auf der in Stuttgart stattfindenden Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale gab Baader folgenden Bericht für die sozialdemokratische Frauenbewegung Deutschlands ab: „Die Bewegung ist vor allem zur prinzipiellen Klarheit und Festigkeit erzogen worden durch die ‘Gleichheit’, […]. Die ‘Gleichheit’ hat die Frauenfrage nach ihren verschiedenen Seiten hin konsequent vom Standpunkt des historischen Materialismus aus methodisch durchgearbeitet. Sie hat damit die prinzipielle Grundlage der sozialistischen Frauenbewegung geschaffen und ihre taktischen Richtlinien gezogen Jahrelang hatte die ‘Gleichheit’ eine sehr kleine Verbreitung. Oft genug verlacht, als unter dem Ausschluß der Öffentlichkeit erscheinend, verfolgte sie das Ziel, das sie sich gesteckt hatte. Die Redakteurin, Genossin Zetkin, ließ sich von dem Geschrei, die Zeitschrift sei zu hoch, sie müsse auf ein niedrigeres Niveau gestellt werden, nicht beirren. Es war schwer, die Frauen an die ernste Lektüre zu gewöhnen, aber es ist doch gelungen.“516 Baader zeichnete hier ein realistisches Bild von der Entwicklung der „Gleichheit“, von ihren Schwierigkeiten, aber auch ihren Möglichkeiten. Die Schwierigkeit lag vor allem in der Frage der Übersetzung in andere Sprachen. Die „Gleichheit“ wurde schließlich – und laut des in ihr selbst veröffentlichten Berichts517 – vorläufig nur bis zur nächsten Konferenz zum zentralen Organ der Sozialistischen Fraueninternationale ernannt. Dies außerdem nur unter der Bedingung, dass die an sie eingehenden Berichte internationaler Korrespondentinnen gesammelt, in die drei Kongress- sprachen übersetzt und an die entsprechenden Stellen gesendet würden. Zetkin sagte dies zu. Ob 514 Eines von vielen Dokumenten, die den internationalen Kontakt Zetkins hervorheben wurde vor Kurzem ver- öffentlicht. Es handelt sich um einen am 20.11.1911 verfassten Brief Zetkins an Kata Dalström (1858-1923), die Führerin der schwedischen Frauenbewegung. Zetkin bat darin Dalström um einen Artikel für eine Publikation zum ersten Internationalen Frauentag (vgl. Sachse, Clara Zetkins Märzentag). 515 Der Vorschlag, die Redaktion der „Gleichheit“ zur „Zentralstelle“ der „Schaffung regelmäßiger Beziehungen zwischen den organisierten Genossinnen der einzelnen Länder“ zu machen, stammte von Ihrer, die entsprechende einstimmig angenommene Resolution von Zietz (vgl. Victor Adler – Briefwechsel mit August Bebel und Karl Kautsky, S. 62, Fußnote 13a). Diese detaillierten Informationen gehen nicht aus dem Bericht für die Erste Internationale Konferenz sozialistischer Frauen hervor. Jedoch wurde der Verlauf der Diskussionen und die maßgebliche Beteiligung Ihrers und Zietz‘ in dem Artikel „Die erste Internationale Konferenz sozialistischer Frauen“ (In: GL, 17/ 18/ 02.09.1907/ 150-151) beschrieben. 516 Berichte für die Erste Internationale Konferenz sozialistischer Frauen Stuttgart 1907, S. 16. 517 Die erste Internationale Konferenz sozialistischer Frauen. In: GL, 17/ 18/ 02.09.1907/ 150-151, S. 150. 178 2.3.3 DIE „GLEICHHEIT“ ALS ORGAN DER SOZIALISTISCHEN FRAUENINTERNATIONALE UND IHRE INTERNATIONALEN KORRESPONDENTINNEN und wie diese Übersetzungen tatsächlich erfolgten, konnte im Rahmen der Untersuchungen für die vorliegende Arbeit nicht ermittelt werden. Auf dem darauf folgenden Parteitag in Nürnberg verkündete Baader als Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands stolz, dass die Wahl für das Organ der Sozialistischen Frauen- internationale auf die „Gleichheit“ gefallen sei. Die „Gleichheit“-Redaktion unter Zetkin hatte nun einmal „bereits die meiste internationale Fühlung“518. Die „Gleichheit“ sei „die geeignetste Stelle für die Veröffentlichung der internationalen Korres- pondenzen […], weil sie das sozialistische Frauenblatt [sei], das in den meisten Ländern von Genossinnen gelesen“519 [Hervorhebung von M.S.] würde. Ihre Inhalte, vor allem die „aus den verschiedenen Ländern einlaufenden Korres- pondenzen“520, spiegelten „eine mehr oder minder regelmäßige Verbindung mit sozialistischen Frauenorga- nisationen […] in Oesterreich, Böhmen, Schweiz, Holland, Belgien, England, Finnland, Dänemark, Vereinigte Staaten von Nordamerika (Organisationen deutsch und englisch sprechender Genossinnen)“521 wider. Es zeigt sich jedoch auch hier das generelle Problem, festzustellen, inwieweit die „Gleich- heit“ tatsächlich im Ausland rezipiert wurde. Waren es nur Frauenorganisationen, die sie abonniert hatten oder gab es auch EinzelabonnentInnen? Die Tatsache, dass es Zetkin während des Ersten Weltkrieges trotz Zensur gelang, einzelne Exemplare an die internationalen Genossinnen zu ver- senden, geht aus ihrer Korrespondenz hervor. So schrieb sie 1915 an Heleen Ankersmit im neutralen Holland, dass sie ihr drei Nummern der „Gleichheit“ in je zwei Exemplaren zugeschickt habe – jeweils ein Exemplar war für den Versand nach England bestimmt.522 Die „Gleichheit“ erschien komplett in deutscher Sprache und von Übersetzungen oder einem Druck übersetzter Ex- emplare ist nichts bekannt. Es ist demnach nicht feststellbar, ob und wie ausländischen Leserinnen die Inhalte der „Gleichheit“ vermittelt wurden. Auch der Bericht des Vereins Arbeiterpresse kann nur feststellen, dass die „Gleichheit“ in „[g]anz Deutschland und vielfach auch unter den deutschlesenden Genossinnen im Ausland, besonders in Oesterreich, der Schweiz, Holland und den Vereinigten Staaten“523 [Hervorhebung von M.S.] verbreitet war. Auch über die Höhe der ins Ausland expedierten Exemplare geben die heran- 518 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, Nürnberg 1908, S. 100. 519 Ebd. 520 Ebd. S. 101. 521 Ebd. S. 100. 522 Clara Zetkin in einem Brief an Heleen Ankersmit am 16.01.1915. In: Eildermann, Ünveröffentlichte Briefe Clara Zetkins an Heleen Ankersmit, S, 670-671, S. 670. 523 Handbuch des Vereins Arbeiterpresse, Jg. 3 (1914), S. 125. 179 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) gezogenen Quellen keinerlei Auskunft. Nachdem Zetkin das Amt einer internationalen Sekretärin übertragen worden war, wandelte sich ihr Selbstverständnis als Führerin der deutschen proletarischen Frauenbewegung entscheidend. Sie war nun einem internationalen Gremium und dessen Prinzipien verpflichtet und verstand sich nun noch stärker als bisher als Verfechterin unbedingter internationaler Solidarität. Ihre Loyalität gegenüber der Fraueninternationale hatte eine besondere Bedeutung für die Berichterstattung in der „Gleichheit“, für die Einrichtung des internationalen Frauentages und für die Haltung der „Gleichheit“ während des Ersten Weltkrieges, der in seiner internationalen wie zerstörerischen Dimension bisher einzigartig war. Bereits in den Jahren vor Kriegsbeginn wurde die Durchführung des Internationalen Frauentages von Seiten des Parteivorstandes zunehmend hintertrieben. Dies spiegelt die revisionistische Tendenz der SPD wider und erklärt die Ver- änderung in Zetkins Parteiloyalität. Die Befürwortung des deutschen Kriegseintritts bedeutete schließlich das abrupte Ende des Sozialdemokratismus Zetkins. Sie gab nun alles daran, dass die „Gleichheit“ ihrem internationalen Auftrag unbedingt treu blieb und betrieb in ihr eine gegen die Linie der SPD-Führung gerichtete Anti-Kriegs-Propaganda. Es lag in der Art der Umstände, dass jeder Anti-Kriegs-Artikel der „Gleichheit“ zugleich ein Anti-SPD-Artikel sein musste. Zetkin bemühte sich weiterhin und trotz aller durch die Zensur verursachten Schwierigkeiten um eine internationalistische und damit antimilitaristische Gesinnung ihrer Leserinnen. Enttäuscht musste sie aber feststellen, dass deren Loyalität nicht denselben Prinzipien galt wie die ihre. Inwieweit diese unkritische Haltung und Parteidisziplin der „Gleichheit“-Leserinnen als Rezeptionsergebnis der „Gleichheit“ und damit sogar quasi als „Arbeitserfolg“ Zetkins betrachtet werden kann, wird in Kapitel 2.5 besprochen werden. Durch ihre bewegte Biographie besaß Zetkin viele persönliche Kontakte ins Ausland. Ihre Ausbildung als Fachlehrerin für moderne Sprachen und ihre außergewöhnlichen Sprachkenntnisse (u. a. Russisch, Englisch, Italienisch und Französisch) ermöglichten es ihr, sich einen umfassenden Überblick über die internationale sozialistische Presse zu verschaffen. So konnte die „Gleichheit“ einen Blick über die Grenzen der eigenen Nation hinaus werfen. Sie berichtete, wie Ilberg in ihrer Zetkin-Biographie schreibt, über „das Leben und die Mühsal der Frauen in anderen Ländern […] – der Näherinnen in Paris, der Baumwollpflückerinnen im Süden Amerikas und der Bäuerinnen auf Rußlands weiten Steppen. So würden die deutschen Arbeiterinnen Sympathie empfinden für die Proletarierinnen in aller Welt, Gefühle tiefer Verbundenheit.“524 Deutsche Proletarierinnen sollten demnach nicht nur nüchtern über die Entwicklungen anderer Arbeiterinnenbewegungen informiert werden. Es ging um mehr. Sie sollten Empathie für die 524 Ilberg, Clara Zetkin, S. 59-60. 180 2.3.3 DIE „GLEICHHEIT“ ALS ORGAN DER SOZIALISTISCHEN FRAUENINTERNATIONALE UND IHRE INTERNATIONALEN KORRESPONDENTINNEN Probleme ihrer Klassengenossinnen empfinden und mindestens zu ebenbürtigen Opferleistungen wie diese motiviert werden. Die proletarische Frauenbewegung Deutschlands sah sich stets in einem internationalen Vergleich – um nicht zu sagen – einer internationalen Konkurrenz. So teilte Baader bereits 1902 ganz im Zetkin‘schen Sinne – vielleicht sogar mit einiger Formulierungshilfe von ihr – dem Parteitag von München mit: „Die ‘Gleichheit’, der unsere proletarische Frauenbewegung an erster Stelle die grundsätzliche Klarheit und Reife verdankt, die sie von der Bewegung der meisten Länder auszeichnet, ist den thätigen Genossinnen unentbehrlich als geistiges Band, als Mittel des Zusammenhalts, der Belehrung und politischen Schulung.“525 [Her- vorhebungen von M.S.] Die proletarische Frauenbewegung hatte demnach nicht nur auf nationaler Ebene erhebliche Fort- schritte vorzuzeigen, sondern auch im internationalen Vergleich eine Führungsposition inne. Entsprechend berichtete die „Gleichheit“ auch über Neugründungen ausländischer Frauen- zeitschriften. So z. B. über die „Zenský List“ (1892-1900[?])526 in Tschechien, „La Fronde“ (1897- 1903)527 in Frankreich, „The Woman Worker“ (1916-1921[?])528 in England oder Frauen- zeitschriften in Russland529 und Indien.530 Die Berichte über Jubiläen befreundeter Arbeiterinnen- organe feierten die stabile Entwicklung einer internationalen proletarischen Frauenbewegung.531 Die „Gleichheit“ unter neuer Redaktion berichtete dagegen bevorzugt von Neugründungen oder 525 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, München 1902, S. 40. 526 Seit 1. Juli 1892 erschien in Brünn das tschechische Frauenblatt für Arbeiterinnen „ZenskýList“ (vgl. GL, 02/ 14/ 13.07.1892/ 118). Bereits im nächsten Jahr musste die „Gleichheit“ in zwei Nummern darüber berichten, dass zwei Mitarbeiterinnen dieser Zeitschrift wegen „Vagabondage“ verhaftet, aber auch wieder entlassen worden waren (vgl. GL, 03/ 02/ 25.01.1893/ 13 u. GL, 03/ 05/ 08.03.1893/ 37). Die ZDB weist nur den 7. Jahrgang von 1898 nach, die Österreichische Nationalbibliothek jedoch auch den 8. Jahrgang von 1900. 527 Die „La Fronde“ erschien in Paris und war eine Zeitschrift von Frauen für Frauen. Sie wird allerdings von Zetkin für ihre Darstellung der deutschen Frauenbewegung kritisiert (vgl. Eine Tageszeitung von und für Frauen… In: GL, 08/ 01/ 05.01.1898/ 8; Die französische Tageszeitung „La Fronde“… In: GL, 08/ 07/ 30.03.1898/ 55). Die „Gleichheit“ entlieh sich der „La Fronde“ auch einen Feuilleton-Artikel zu einem völkerkundlichen Thema: Jacobi, Eugenie: Howa-Frauen. In: GL, 10/ 25/ 05.12.1900/ 196. Jacobi (?-?) war bereits im selben Jahrgang als Übersetzerin für die „Gleichheit“ tätig gewesen (vgl. Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters [I-IV]. In: GL, 10/ 11/ 23.05.1900/ 84-85 bis GL, 10/ 14/ 04.07.1900/ 108-109). 528 Eine neue Arbeiterinnenzeitung in London… In: GL, 26/ 10/ 04.02.1916/ 75. Herausgeberinnen dieser Zeitschrift, die bereits eine Vorgängerin gleichen Namens hatte, waren Susan Lawrence (1871-1947) und Mary MacArthur (1880-1921), Mitarbeiterinnen u. a. Beatrice Webb (1858-1943). 529 Eine russische Frauenzeitung… In: GL, 08/ 24/ 23.11.1898/ 191. Diese Zeitung besaß einen ähnlichen Aufbau wie die „Gleichheit“ und legte einen Schwerpunkt auf die Geschichte der Entwicklung der Frau und die Biographien hervorragender Frauen. 530 Eine Monatszeitschrift für die indischen Frauen … In: GL, 11/ 20/ 25.09.1901/ 159. Außerdem: Eine Frauenzeit- schrift in böhmischer Sprache… In: GL, 10/ 12/ 06.06.1900/ 96 (diese Zeitschrift erschien jedoch interessanter - weise in Chicago und hatte wie die „La Fronde“ einen weiblichen Mitarbeiterstab). 531 Vgl. Eine bereichernde und erfreuende Lektüre für die Proletarierinnen… In: GL, 22/ 19/ 12.06.1912/ 304 (zum zwanzigjährigen Bestehen der österreichischen, von Adelheid Popp redigierten „Arbeiterinnenzeitung“ erschien das „Gedenkbuch, Zwanzig Jahre österreichische Arbeiterinnenbewegung“ (1912)). 181 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Neuerscheinungen bürgerlicher Frauenzeitschriften – ohne jedoch damit eine klassenkämpferische Zielsetzung zu verfolgen.532 Die deutlichste Kritik daran kam von Mathilde Wurm, die von der USPD wieder zur SPD gestoßen war, aber damit keine Wandlung zur Mehrheitssozialdemokratin durchgemacht hatte. Sie forderte immer wieder die Berichterstattung aus der Frauenbewegung im Ausland ein und wollte diese nach Einstellung der „Gleichheit“ auch in den Redaktionen der „Gleichheit“-Nachfolgerin „Die Genossin“ nicht nur wiedergegeben, sondern auch kommentiert sehen.533 Die „Gleichheit“ verfügte als offizielles Organ der Sozialistischen Fraueninternationale über eine große Zahl internationaler KorrespondentInnen. Diese AutorInnen informierten die deutschen Proletarierinnen über die politischen Entwicklungen, proletarischen Arbeitsbedingungen und Arbeitskämpfe ihres Landes, über deren Niederlagen und Erfolge. Diese internationale Ver- netzung war ein zentrales Element des „Gleichheit“-Selbstverständnisses als Vertreterin eines umfassenden Klassenkampfes, getreu des marxistischen Mottos: Proletarierinnen aller Länder vereinigt Euch! So wurden nicht nur der Militarismus und der Expansionsdrang der deutschen Regierung, das Ausbeutungssystem deutscher Kapitalisten aufgedeckt und angeprangert, sondern vielmehr zum Kapitalismus als einem weltumspannenden Unterdrückungssystem Stellung bezogen. Bevor an dieser Stelle die ausländischen KorrespondentInnen vorgestellt werden, muss vor allem eine deutsche Mitarbeiterin erwähnt werden, die in den ersten Jahrgängen häufig aus Groß- britannien berichtete: Helene Simon (1862-1947)534. Simon unternahm im April 1895 eine 532 Wohlwollend stellte die „neue“ „Gleichheit“ die von den radikalen Frauenrechtlerinnen Lida Gustava Heymann (1868-1943) und Anita Augspurg (1857-1943) herausgegebene „Die Frau im Staat“ (1919-1933) und deren Zielsetzung vor: „Ohne Rücksicht auf herrschende Vorurteile, unabhängig von politischen Parteien oder bestehenden Frauen- und Männervereinen […], das politische Leben vom Standpunkt der Forderungen und der Mitwirkung der Frau und unter dem Gesichtspunkt der Völkerverständigung zu betrachten.“ (Die Frau im Staate … In: GL, 29/ 10/ 14.02.1919/ 79). Auch über ein Verzeichnis aller in Deutschland erscheinenden Frauen- zeitschriften, das der Allgemeine Deutsche Frauenverein 1917 herausgab und in dem auch dem BDF nicht angeschlossene Organisationen und ihre Organe vertreten waren, wurde sehr wohlwollend und keineswegs kritisch berichtet (vgl. Der allgemeine deutsche Frauenverein… In: GL, 27/ 25/ 14.09.1917/ 177). 533 Vgl. Wurm im Bericht über die Reichsfrauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Kiel 1927, S. 317; dies. im Bericht über die Reichsfrauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Heidelberg 1925, S. 352. 534 Helene Simon war Tochter einer jüdischen Bankiersfamilie. 1895-1897 studierte sie Nationalökonomie und Sozialwissenschaften in London (besuchte dort die Slums und Fabriken des East End). Sie beschäftigte sich mit den sozialpolitischen Schriften der linksintellektuellen Fabier, wurde 1896 Mitglied der „Fabian Society“ und stand in Kontakt mit Beatrice und Sidney Webb. Simon beschäftigte sich mit sozialen Fragen, mit dem Frauen- und Kinderschutz. 1897 nahm sie ein Studium an der Universität Berlin bei Professor Gustav Schmoller auf. 1900-1914 erschienen von ihr einige biographische Studien zu Robert Owen, William Godwin und Mary Wollstonecraft (1759-1797). Simon engagierte sich dann für den Arbeitsschutz, die Jugendhilfe und die Schul- speisung und wurde Mitglied überparteilicher Wohlfahrtsausschüsse. 1907 war sie Mitglied im Ständigen Ausschuss zur Förderung der Arbeiterinnen-Interessen. Während des Ersten Weltkrieges war sie im NFD aktiv. Ab 1917 war sie Mitherausgeberin der Zeitschrift „Soziale Kriegshinterbliebenenfürsorge“ (1916-1920) und engagierte sich ab 1919 in der AWO und in der SPD. 1933 zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück, bot in ihrer 182 2.3.3 DIE „GLEICHHEIT“ ALS ORGAN DER SOZIALISTISCHEN FRAUENINTERNATIONALE UND IHRE INTERNATIONALEN KORRESPONDENTINNEN Studienreise nach London und beschrieb in einigen Artikeln die Situation der englischen Arbei- terinnenbewegung.535 1922 schließlich berichtete die „neue“ „Gleichheit“ von einer besonderen Ehre, die Simon zuteil geworden war. Die Universität Heidelberg hatte ihr die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät (Fachgebiet Nationalökonomie) verliehen.536 Simon war die erste Sozialdemokratin, der eine solche Würde zuerkannt wurde und verdankte sie laut der „Gleichheit“ letztendlich ihrer jahrelangen „äußerst tüchtige[n] und erfolgreiche[n] Arbeit in der Wohl- fahrtspflege“537. Während des Krieges leitete Simon den „Arbeitsausschuss der Kriegerwitwen- und -waisenfürsorge“, schrieb als ständige Mitarbeiterin für die Zeitschrift „Soziale Praxis“ (seit 1890) und veröffentlichte die Broschüre „Aufgaben und Ziele der neuzeitlichen Wohlfahrtspflege“ (1922). Ihre Tätigkeit für die „alte“ „Gleichheit“ oder die „Neue Zeit“ blieb in jenem Bericht jedoch gänzlich unerwähnt.538 Aus der Schweiz erreichten die „Gleichheit“-Redaktion vor allem mit d. z. gezeichnete Artikel.539 Hinter diesen Initialen ist Dionys Zinner (?-?)540 aus Winterthur zu vermuten, denn dieser zeichnete später für ähnliche Artikel namentlich verantwortlich. Zinner beschrieb vor allem die Zustände in der Schweiz und ihrer Arbeiterinnenbewegung.541 Hinsichtlich der Zuordnung von Artikeln können auch Fehler der Redaktion oder der Drucksetzung nicht ausgeschlossen werden. Zum Beispiel dürfte der mit D. Z. gezeichnete Artikel „Zur Lage der Fabrikarbeiterinnen in Ham- burg“542, der einen 1898 erschienenen Amtsbericht des Hamburger Fabrikinspektors untersucht, Wohnung Verfolgten Zuflucht und emigrierte schließlich 1939 nach London. Simon hatte seit 1899 in engem Kontakt zu Elisabeth Gnauck-Kühne (1850-1917), einer Vertreterin der bürgerlichen Frauenbewegung und Sozialwissenschaftlerin, gestanden und veröffentlichte 1928/29 deren autobiographische Aufzeichnungen. 535 Die „Gleichheit“ veröffentlichte u. a.: Simon, Helene: Die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterinnen in England. In: GL, 06/ 07/ 01.04.1896/ 55-56; Aus dem Norden Englands. In: GL, 06/ 15/ 22.07.1896/ 119-120. 536 Helene Simons Ernennung zum Ehrendoktor … In: GL, 32/ 17/ 18/ 01.09.1922/ 170. 537 Ebd. 538 Laut Klöhn veröffentlichte Simon in der Zeit zwischen 1896 und 1899 sechs Artikel in der „Gleichheit“ (vgl. Klöhn, Helene Simon (1862-1947), S. 149). 539 So z. B. die Notizen: Fort- und Berufsbildung für das weibliche Geschlecht in der Schweiz; Gleiche Arbeit, gleicher Lohn für Mann und Frau; Die Würde eines Doktors der Staatswissenschaften … (dies war eine Notiz zur Promotion Rosa Luxemburgs an der Universität Zürich); Studentinnen an Schweizer Universitäten (alle in: GL, 08/ 17/ 17.08.1898/ 136). 540 Die herangezogenen Nachschlagewerke und Datenbanken enthalten keine eindeutigen biographischen Informationen zu Dionys Zinner. Unter diesem Namen erschienen u. a. folgende Werke: „Fest-Schrift zur Halbjahrhundert-Feier des Allgemeinen Arbeiterbildungs-Vereins Winterthur. 1850-1900“ (1900) und „Geschichte der deutschen Schuhmacherbewegung“ (1904). Es dürfte sich bei Zinner auch um einen der Herausgeber des „Schuhmacher-Fachblattes“ (1878-1883) handeln. 541 Zinner, D[ionys]: Der gesetzliche Schutz der Fabrikarbeiterinnen in der Schweiz. In: GL, 09/ 05/ 01.03.1899/ 37- 38; Die Durchführung der Arbeiterinnenschutzgesetze in der Schweiz. In: GL, 09/ 13/ 21.06.1899/ 101-103; Volksabstimmung über ein Arbeiterinnenschutzgesetz in der Schweiz. In: GL, 13/ 02/ 13.01.1904/ 14-15; Z[inner, Dionys]: Die Durchführung des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes im Kanton Zürich. In: GL, 18/ 14/ 06.07.1908/ 126-127. 542 D. Z.: Zur Lage der Fabrikarbeiterinnen in Hamburg. In: GL, 10/ 01/ 03.01.1900/ 3-4. 183 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) nicht von Zinner, sondern von Zietz stammen. Aus der sozialistischen Frauenbewegung der USA berichtete für die „Gleichheit“ vor allem Meta Lilienthal Stern (1876-1948)543, die Mitglied des US-amerikanischen Frauenkomitees der „Socialist Party“ war. Sterns regelmäßig seit 1909 erschienenen Artikel beschrieben meist übliche Agitationsarbeit.544 1910 berichtete sie sehr ausführlich über eine Konferenz der sozialistischen Frauen von New York.545 Außerdem verfasste sie Nachrufe auf zwei Vorkämpfer der sozia- listischen Bewegung in den USA546 sowie Berichte von Großdemonstrationen zum Frauen- wahlrecht547. Spätere Artikel besprachen die Einrichtung eines Büros, das die Naturalisation eingewanderter Frauen fördern sollte548 oder kritisierten den Militarismus der US-amerikanischen Regierung, die für ihren Eintritt in den Ersten Weltkrieg aufrüstete549. Aus Österreich kamen Artikel von einer der bekanntesten internationalen Sozialdemokratinnen: Adelheid Popp (1869-1939)550. Popp veröffentlichte erstmals 1892 in der „Gleichheit“-Rubrik 543 Meta Lilienthal Stern, geb. Lilienthal, war älteste Tochter deutscher Immigranten. Ihre Eltern Frederick W. und Augusta Lilienthal emigrierten 1861 in die USA. Ihr Vater ließ sich als Arzt in New York nieder. Er wurde Mitgründer der „New Yorker Volkszeitung“ (1878-1932) und der Freidenker-Gesellschaft sowie Mitglied der Socialist Labour Party und der Sozialistischen Internationale. Er starb 1910 77jährig. Auch die Mutter war führendes Mitglied der Socialist Labour Party und außerdem Redakteurin der Frauenseite der „New Yorker Volkszeitung“. Stern schrieb ebenfalls für die „New Yorker Volkszeitung“ sowie für den „New York Call“ (1908- 1923). Sie wurde 1908 Mitglied des „Woman‘s National Comitee (WNC) und später der „Womens‘s Trade Union League“ (WTUL). Die Journalistin verfasste 1910 eine autorisierte englische Übersetzung von Bebels „Die Frau und der Sozialismus“ und schrieb außerdem unter dem literarischen Pseudonym „Hebe“ (d.i. Die griechische Göttin der Jugend). 1947 erschien ihre Autobiographie „Dear Remembered World: Childhood Memories of an Old New Yorker“. 544 Stern, Meta L[ilienthal]: Von der sozialistischen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. In: GL, 19/ 21/ 19.07.1909/ 335-336; Von der sozialistischen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. In: GL, 19/ 24/ 30.08.1909/ 384; Von der sozialistischen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. In: GL, 19/ 25/ 13.09.1909/ 400; Von der sozialistischen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. In: GL, 20/ 06/ 20.12.1909/ 94-95; Fortschritt der sozialistischen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. In: GL, 22/ 23/ 07.08.1912/ 366-367; Aus der sozialistischen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. … In: GL, 22/ 24/ 21.08.1912/ 383-384. 545 Stern, Meta L[ilienthal]: Konferenz der sozialistischen Frauen von New York. In: GL, 20/ 07/ 03.01.1910/ 111- 112; Konferenz der sozialistischen Frauen von New York, … In: GL, 20/ 08/ 17.01.1910/ 127; Die sozialistische Frauenkonferenz in New York, … In: GL, 20/ 09/ 31.01.1910/ 143. 546 Stern, Meta L[ilienthal]: Ein Pionier. In: GL, 22/ 12/ 04.03.1912/ 183-184 (Nachruf auf Alexander Jonas, einen us-amerikanischen Sozialisten deutscher Abstammung); William Mailly, ein sozialistischer Vorkämpfer. In: GL, 23/ 02/ 16.10.1912/ 23-24. 547 Stern, Meta L[ilienthal]: Eine riesige Demonstration für das Frauenstimmrecht. … In: GL, 23/ 06/ 11.12.1912/ 94- 95 (in New York City hatte am 9. November 1912 ein Fackelzug anlässlich einer von der „Männerliga für Frauenstimmrecht“ organisierten Demonstration stattgefunden); Einführung des Frauenstimmrechts in vier weiteren Staaten der nordamerikanischen Union. In: GL, 23/ 06/ 11.12.1912/ 94-95; Nationaler Kongreß der amerikanischen Frauenrechtlerinnen. In: GL, 23/ 09/ 22.01.1913/ 143-144 (Stern berichtete darin vom 24. Jahres- kongreß der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen vom 20.-25. November in Philadelphia. In einer Nachschrift kritisiert die „Gleichheit“-Redaktion – vermutlich Zetkin – eine Kooperation zwischen amerikanischen Sozialis- tinnen und bürgerlichen Frauenrechtlerinnen auf das Heftigste). 548 Stern, Meta L[ilienthal]: Die Erwerbung des Bürgerrechts der Vereinigten Staaten durch eingewanderte Frauen … In: GL, 23/ 18/ 28.05.1913/ 287. 549 Stern-Lilienthal, Meta: Der amerikanische Militarismus und die Frauen. In: GL, 26/ 16/ 28.04.1916/ 117-118. 550 Adelheid Popp, geb. Dworschak, war Tochter eines Webers. 1876-1879 besuchte sie die Volksschule und arbeitete ab 1893 in einer Fabrik für Bronzeerzeugnisse, anschließend in einer Korkfabrik. Schon damals war Popp 184 2.3.3 DIE „GLEICHHEIT“ ALS ORGAN DER SOZIALISTISCHEN FRAUENINTERNATIONALE UND IHRE INTERNATIONALEN KORRESPONDENTINNEN „Aus der Bewegung“ einen kurzen Kommentar zu einem österreichischen Frauentag.551 Ein erster größerer Artikel trug den Titel „Die Wiener Arbeiterinnen im Wahlkampf“552. Auch später behandelte Popp bevorzugt aktuelle Wahlkämpfe in Wien oder Österreich553 oder berichtete über die bürgerliche Frauenbewegung ihres Landes554. In einer für Zetkin schwierigen Zeit, in der diese gegen die eigene Partei anschreiben musste, bewies Popp solidarisches Mitgefühl und internationales Bewusstsein: „Inmitten der schweren Sorgen und Lasten des Tages haben wir nicht vergessen, was wir der Fraueninternationale 1910 gelobt haben: An einem Tage im Jahre für die politische Gleichberechtigung der Frauen unsere Stimme zu erheben.“555 Popp stand demnach auf der prinzipientreuen Seite Zetkins. Deshalb war auch nach Kriegsende und Redaktionswechsel lange Zeit kein Artikel mehr von ihr zu finden. Erst wieder 1922 erschien von ihr ein Artikel, in welchem sie die Bedeutung der Genfer Konvention für den Wiederaufbau Österreichs thematisierte.556 Eine besondere Bedeutung für die proletarische Frauenbewegung aller deutschsprachigen Länder hatte die Veröffentlichung von Popps Jugenderinnerungen. Sie erschienen 1909 unter dem Titel „Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin“ und wurden mehrfach in der „Gleichheit“ beworben oder rezensiert.557 Nachdem einige Leserinnen an die „Gleichheit“-Redaktion die Anfrage gerichtet hatten, wo das Buch käuflich zu erwerben sei, musste Zetkin mitteilen, dass es aufgrund einer Ab- lehnung durch den Vorwärts-Verlag im bürgerlichen Verlag Ernst Reinhardt in München politisch aktiv. 1889 wurde sie Mitglied des Wiener Arbeiterinnen-Bildungsvereins und ab 1890 redete sie auf öffentlichen Versammlungen. 1893-1934 war Popp verantwortliche Redakteurin der Wiener „Arbeiterinnen- Zeitung“ (1892-1924) und gehörte seit 1893 außerdem zu den Gründerinnen verschiedener Lese- und Bildungsvereine. 1894 heiratete sie den sozialdemokratischen Politiker Julius Popp (siehe: Julius Popp in Wien †. In: GL, 13/ 02/ 14.01.1903/ 16). 1898 wurde Popp Mitglied des sozialdemokratischen Frauenreichskomitees Österreichs, 1903 Mitglied des Parteivorstand der österreichischen Sozialdemokratie. 1918-1923 war sie Mitglied des Wiener Gemeinderates, 1919-1934 Abgeordnete des Nationalrates, in welchem sie besonders engagiert für Dienstbotenrechte wirkte. Nach dem Ersten Weltkrieg trat Popp für die Wiederbelebung der Sozialistischen Fraueninternationale ein. 1926 wurde sie Vertreterin der Frauen in der Exekutive der sozialistischen Arbeiterinternationale. 1933 schied Popp aus gesundheitlichen Gründen aus der aktiven Politik aus. 551 [Popp, Adelheid] Dworschak, Frl.: Ohne Titel. In: GL, 02/ 11/ 01.06.1892/ 94. 552 Popp, Adelheid: Die Wiener Arbeiterinnen im Wahlkampf. In: GL, 07/ 07/ 31.03.1897/ 53-54. 553 Popp, Adelheid: Der Wahlrechtskampf in Wien. In: GL, 09/ 16/ 02.08.1899/ 124-126; Der Wahlrechtskampf in Österreich. In: GL, 16/ 21/ 17.10.1906/ 144-145 (Popp formulierte darin einen Vorwurf an Zetkin, die die Stimmrechtsbewegung in Österreich falsch beurteile; Zetkin gab in einer Nachschrift eine vorläufige Antwort zu diesem Vorwurf (vgl. ebd. S. 145) und ließ eine ausführliche Replik folgen: Zetkin, Klara: Frauenstimmrecht und Wahlrechtskampf in Österreich. In: GL, 16/ 22/ 31.10.1906/ 151-153) 554 Popp-Dworschak, Adelheid: Die christlichsoziale Frauenbewegung in Wien. In: GL, 08/ 05/ 02.03.1898/ 37-38. 555 Popp, Adelheid: Gruß aus Oesterreich. In: GL, 26/ 13/ 17.03.1916/ 93. 556 Popp, Adelheid: Die Bedeutung der Genfer Konvention für die Arbeiterinnen. In: GL, 32/ 24/ 15.12.1922/ 214- 215. 557 Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin. In: GL, 19/ 15/ 26.04.1909/ 228-231. 185 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) erscheinen müsse.558 Zwei Nummern später musste die „Gleichheit“ diese Kritik berichtigen. Der Vorwärts-Verlag hatte eingewandt, dass er durchaus das Buch hätte veröffentlichen wollen. Es sei ihm aber kein Manuskript zur vorhergehenden Prüfung zugegangen. Des Weiteren konnte die „Gleichheit“ aber ergänzen, dass der Reinhardt-Verlag immerhin bereit sei, GenossInnen beim Kauf des Buches einen Rabatt zu gewähren.559 Eine weitere für die „Gleichheit“ arbeitende Sozialistin von internationalem Ruf war die Russin Alexandra Kollontay (1872-1952)560. Erstmals findet sich ihr Name in der „Gleichheit“ anlässlich einer Wahlrechtsdemonstration in London am 26. April 1909.561 Auch Zetkin hatte an dieser zeitgleich mit dem bürgerlichen Internationalen Frauenstimmrechtskongress stattfindenden Veranstaltung teilgenommen. Bereits im folgenden Jahr erschien in der „Gleichheit“ ein mehr- teiliger Artikel Kollontays zur wirtschaftlichen Lage der Arbeiterinnen in Russland.562 Im Weiteren waren es vornehmlich Berichte zu Maifeiern und zum internationalen Frauentag, die die „Gleichheit“ aus Russland erreichten und in denen Kollontay die Unterdrückung der Arbeiter- bewegung im Zarenreich beschrieb.563 Kollontay kritisierte 1912 das gerichtliche Vorgehen gegen sozialdemokratische Duma-Abgeordnete564, berichtete in demselben Jahr über die Frauenstimm- 558 Vgl. Zur Antwort. In: GL, 19/ 17/ 24.05.1909/ 272. 559 Vgl. „Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin“ … In: GL, 19/ 19/ 21.07.1909/ 304. 560 Alexandra Kollontay (die heute gängigere Schreibweise ist Kollontai), geb. Domontowitsch, entstammte einer adeligen Familie. Der Privatunterricht, den sie erhielt, umfasste vor allem Sprachkenntnisse – diese sollten ihr für ihre diplomatische Karriere sehr hilfreich sein.1893 heiratete sie „unter Stand“ den Ingenieur Wladimir Kollontay und gebar einen Sohn. Nach fünf Jahren verließ sie ihren Ehemann und nahm in Zürich ein Studium auf. Sie arbeitete vor allem zu den Themen der Arbeiterinnen, des Mutterschutzes, der Sexualmoral und Prostitution. Sie trat auf verschiedenen internationalen Konferenzen als Rednerin auf. Den Beginn des Ersten Weltkriegs erlebt sie in Deutschland, und reiste dann nach Norwegen. Zu Beginn eine Gegnerin, wurde sie schließlich eine Anhängerin Lenins und begab sich auf eine Agitationsreise durch die USA. 1917 kehrte Kollontay in ihre Heimatstadt St. Petersburg zurück, wo sie verhaftet, nach einem Putsch der Bolschewisten jedoch wieder frei gelassen wurde. Sie erhielt einen Sitz im Zentralkomitee und wurde Volkskommissarin für Soziales. 1918 ging sie mit dem Marinekommissar Pawel Dybenko eine Zivilehe ein, die sie 1922 wieder lösten. In diesem Jahr ging Kollontay als Leiterin der sowjetischen Handelsvertretung nach Oslo, wo sie schließlich auch als politische Vertreterin der UdSSR eingesetzt wurde. Nach einer kurzen Versetzung nach Mexiko (1926-27), kehrte sie nach Oslo zurück und wurde schließlich Gesandte in Schweden. 1942 erlitt sie einen Schlaganfall, dessen Folgen in Form von Lähmungserscheinungen sie zunehmend beeinträchtigten. 1945 ging Kollontay, mit verschiedenen internationalen Ehrungen gewürdigt, in den Ruhestand nach Moskau. U. a. verfasste sie die Werke „Soziale Grundlagen der Frauenfrage“ (1909) und „Gesellschaft und Mutterschaft“ (1913). 561 Ein Demonstrationsmeeting für das Wahlrecht aller Großjährigen ohne Unterschied des Geschlechts … In: GL, 19/ 17/ 24.05.1909/ 269-270. 562 Kollontay, Alexandra: Die ökonomische Lage der russischen Arbeiterinnen [I-III]. In: GL, 20/ 24/ 29.08.1910/ 371-372 bis GL, 20/ 26/ 26.09.1910/ 402-403. 563 Kollontay, Alexandra: Der erste Mai im Zarenreich. In: GL, 21/ 15/ 24.04.1911/ 228-229; Der sozialdemokratische Frauentag. In Rußland. In: GL, 23/ 14/ 02.04.1913/ 215-216; Auch Rußland wird einen Frauentag haben. In: GL, 24/ 12/ 04.03.1914/ 180-181; Die Bedeutung des sozialdemokratischen Frauentags in Rußland. In: GL, 24/ 16/ 29.04.1914/ 247-248. 564 Für Opfer der Klassenjustiz im Zarenreich … In: GL, 22/ 13/ 18.03.1912/ 194-195. 186 2.3.3 DIE „GLEICHHEIT“ ALS ORGAN DER SOZIALISTISCHEN FRAUENINTERNATIONALE UND IHRE INTERNATIONALEN KORRESPONDENTINNEN rechtsfrage in Schweden565 und gab 1914 einen aktuellen Überblick über die in Russland exis- tierenden Blätter für Arbeiterinnen566. In jenem Jahr wurde Kollontay selbst zum Gegenstand der „Gleichheit“-Berichterstattung. Im Dezember 1914 wurde sie aus Schweden ausgewiesen, weil sie gegen den Krieg agitiert hatte.567 Auch Kollontays Mitarbeit endete mit dem Redaktionswechsel. In ihrem Bericht zur zweiten Konferenz der Kommunistischen Fraueninternationale, die am 15. Juni 1921 in Moskau tagte, erwähnte Radtke-Warmuth jedoch die Wahl Kollontays zur Sekretärin der Kommunistischen Fraueninternationale.568 Die an dieser Stelle hervorgehobenen Frauen sind nicht die einzigen, die von Zetkin motiviert wurden, aus der sozialistischen Frauenbewegung ihres Landes zu berichten, jedoch ist deren Tätigkeit von einer auffälligen Kontinuität. Ihre oft mit dem Kürzel „I.K.“ – vermutlich für „Inter- nationale Korrespondenz“ – versehenen Artikel stehen für den Anspruch der „Gleichheit“, das Organ der Sozialistischen Fraueninternationale zu sein. Es ist eine im Februar 1910 heraus- gegebene sehr spezielle Nummer der „Gleichheit“, die einerseits eben diesen Anspruch und andererseits die große Bedeutung Bebels für die Frauenbewegung der ganzen Welt veran- schaulicht. Diese Nummer erschien anlässlich Bebels 70. Geburtstag und enthält Glückwünsche und Danksagungen, die in ihrem pathetischen Ausdruck die Bedeutung seines Wirkens, besonders die Bedeutung seines Werkes „Die Frau und der Sozialismus“ hervorheben. Es sind darin Beiträge namhafter und bereits vorgestellter „Gleichheit“-Mitarbeiterinnen wie Zetkin569, Luxemburg570, Zietz, Baader, Kähler,571 Wurm572, Popp573 und Kollontay574 enthalten. „Von jenseits des Ozeans“ aus den USA schrieben sowohl das nationale Komitee der „Socialist Party“575 als auch Stern576 565 Kollontay, Alexandra: Die Frauenstimmrechtsfrage in Schweden. In: GL, 22/ 21/ 10.07.1912/ 324-326. 566 Kollontay, Alexandra: Arbeiterinnenblätter in Rußland. In: GL, 24/ 19/ 10.06.1914/ 303-304. 567 Die Ausweisung unserer russischen Genossin Kollontay aus Schweden … In: GL, 25/ 06/ 11.12.1914/ 32. 568 Vgl. [Radtke-Warmuth, Elli?] E. R.: Internationale kommunistische Frauenkonferenz in Moskau. In: GL, 31/ 11/ 01.06.1921/ 106. 569 Zetkin, Klara: August Bebel. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 145-146. 570 Luxemburg, Rosa: Der politische Führer der deutschen Arbeiterklasse. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 146-149. 571 Zietz, Luise/ Baader, Ottilie/ Kähler, Wilhelmine: Was Bebel den Proletarierinnen gab. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 150-151. 572 Wurm, Mathilde: Bebels Einfluß auf die bürgerliche Frau. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 151-152. 573 Popp, Adelheid: Oesterreichs Proletarierinnen zu Bebels Geburtstag. In: GL 20/ 10/ 14.02.1910/ 153-154. 574 Kollontay, Alexandra: Das ist auch unser Festtag. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 155. 575 Nationales Frauenkomitee der „Socialist Party“ USA: Von jenseits des Ozeans. In: GL 20/ 10/ 14.02.1910/ 157. 576 Stern, Meta L[ilienthal]/ u. a.: Von jenseits des Ozeans. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 157. 187 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) einen Beitrag. Bebel wurden außerdem durch Helene Grünberg (1874-1928)577 Glückwünsche der deutschen Gewerkschaften vermittelt578 und Luise Kautsky war es wichtig, den „Gleichheit“- Leserinnen Persönliches aus dem Leben Bebels mitzuteilen579. Aus Italien schrieb Anna Kulischoff (1857-1925)580, im Auftrag des Sozialdemokratischen Frauenvereins Kopenhagen Eli- sabeth Jörgensen (?-?)581 und als schweizerische Arbeiterinnensekretärin Marie Walter (1872- 1949)582. Hilja Pärssinen (1876-1935)583 vertrat mit ihrem Gruß die sozialdemokratischen Frauen Finnlands und Dora Montefiore (1851-1933)584 die sozialistischen Frauen Englands. Auch der 577 Helene Grünberg war Tochter eines Berliner Gastwirts und absolvierte nach der Volksschule eine Ausbildung zur Schneiderin. Im Alter von 22 Jahren trat sie dem „Verband der Schneider und Schneiderinnen“ bei und wurde schließlich sogar Vorstandsmitglied. 1905 wurde sie in Nürnberg die erste hauptamtliche Arbeiterinnensekretärin Deutschlands. 1906 gründete sie den „Verein der Nürnberger Dienstmädchen, Waschfrauen und Putzfrauen“ und war eine wichtige Initiatorin der Dienstbotenbewegung. Außerdem war sie sehr in der Jugendbewegung aktiv. 1907 nahm sie an der Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale und 1908-1922 regelmäßig an den SPD- Parteitagen teil. 1919 wurde Grünberg für die SPD Mitglied der Nationalversammlung und 1920 bekam sie ein Mandat als Reichstagsabgeordnete. Seit 1923/24 litt sie jedoch zunehmend an einem Nervenleiden und an Depressionen. 1928 nahm sie sich das Leben. 578 Grünberg, Helene: Bebel als Mitbegründer und Förderer der freien Gewerkschaften. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 149-150. 579 Kautsky, Luise: Persönliches über Bebel. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 152-153. 580 Kulischoff, Anna: Grüße aus Italien. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 155-156. 581 Jörgensen, Elisabeth: Herzlicher Glückwunsch aus Dänemark. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 156. Die herangezogenen Nachschlagewerke und Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Elisabeth Jörgensen. 582 Walter, Marie: Dem Kampfeshelden der arbeitenden Frauen, unserem Bebel, ein Huldigungsgruß von den Schweizer Genossinnen. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 156. Marie Walter-Hüni hatte 1909-1917 das Amt der Präsidentin des schweizerischen Arbeiterinnenverbandes inne, nachdem sie Margarethe Faas-Hardegger (1882-1963) 1909 als Arbeiterinnensekretärin des Schweizerischen Ge- werkschaftsbundes nachgefolgt war. Ihr folgte Rosa Bloch(-Bollag) (1880-1922). 583 Pärssinen, Hilja: Die sozialdemokratischen Frauen Finnlands dem verehrten Vorkämpfer August Bebel. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 156-157. Hilja Pärssinen, geb. Lindgren, war Tochter eines Pfarrers und wandte sich nach einer Lehrerinnenausbildung der Arbeiterbewegung Finnlands zu. Sie war maßgeblich am Kampf für das 1906 gewährte Frauenwahlrecht beteiligt und engagierte sich außerdem in der Abstinenzbewegung und für alleinerziehende Mütter. 1907 war sie als Delegierte auf der Gründungskonferenz der Sozialistischen Fraueninternationale in Stuttgart anwesend. 1907- 1914, 1917 und 1929-1935 war sie sozialdemokratische Abgeordnete im finnischen Parlament. Nach dem Bürgerkrieg 1918, einer Flucht nach Russland und der Rückkehr nach Finnland, wurden Pärssinen und ihr Ehemann inhaftiert. 1923 wurde sie begnadigt. Pärssinen, die mehrere Gedichtbände verfasste, erlag einer Brustkrebserkrankung und hatte sich ein Jahr vor ihrem Tod von ihrem Ehemann scheiden lassen. Die kurz gefasste Übersetzung aus der leider nur auf finnisch veröffentlichten biographischen Literatur verdanke ich Pirkko Isohanni (Kassel). 584 Montefiore, Dora M.: Der sozialistischen Frauen Englands Gruß an August Bebel. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 154-155. Dora Montefiore, geb. Dorothy Frances Fuller, war Britin und lernte in den 1870er Jahren den australischen Händler George Barrow Montefiore kennen. Sie heiratete ihn und brachte zwei Kinder zur Welt. 1889 verscholl ihr Ehemann auf See und Montefiore musste ihre Rechtlosigkeit als Mutter ihrer Kinder erkennen. Daraufhin engagierte sich Montefiore in der Frauenbewegung New South Wales‘ und wurde Sozialistin. 1911 übernahm sie die Redaktion der „International Socialist Review of Australasia“ (1907-1920). Sie engagierte sich in der Social Democratic Federation, Social Democratic Party, British Socialist Party und in der „Women’s Social and Political Union“. Sie war Delegierte auf verschiedenen internationalen Kongressen. Während des Ersten Weltkrieges wurde Montefiore Mitglied der Kommunistischen Partei Großbritanniens und 1920 in deren Exekutive gewählt. 1923 188 2.3.3 DIE „GLEICHHEIT“ ALS ORGAN DER SOZIALISTISCHEN FRAUENINTERNATIONALE UND IHRE INTERNATIONALEN KORRESPONDENTINNEN Vorstand des Verbandes des sozialdemokratischen Frauenklubs der Niederlande585 ließ es sich nicht nehmen, dem Jubilar zu gratulieren. Mit dieser Nummer schuf Zetkin ein besonderes Abbild sozialistischer Frauensolidarität und als Redakteurin der „Gleichheit“ war sie selbst der Mittel- punkt dieses internationalen Zusammenhalts. Tatsächlich war Zetkin nicht die einzige Sozialistin, die während des Krieges mutig an dem Prinzip der internationalen Solidarität festhielt. Auch die österreichischen Sozialistinnen blieben prinzipientreu und führten sogar im Kriegsjahr 1917 einen Internationalen Frauentag durch. Auch wenn dieser von seinem ursprünglichen Termin am 25. März auf den 15. April verschoben werden musste, schrieb Zetkin doch voll des Lobes für die Standfestigkeit der Österreicherinnen, wobei die Resignation über die Haltung der deutschen Genossinnen zwischen den Zeilen durchaus erkennbar wird: „Bis jetzt ist Österreich das einzige kriegführende Land, dessen Genossinnen sich rühmen dürfen, auch im dritten Jahre des greuelvollen Völkerringens einen Frauen- tag zu begehen, der den gemeinsamen Forderungen der Sozialistinnen aller Länder, der internationalen Solidarität der Proletarierinnen Ausdruck verleiht. Die sozial- demokratischen Frauen Deutschlands gehen in unserer Fraueninternationale nicht mehr führend voran. Möchten sie wenigstens nachfolgen.“586 Auch diese Hoffnung Zetkins wurde zumindest von den Sozialdemokratinnen enttäuscht. Nach Kriegsende begann die „neue“ „Gleichheit“ nur zaghaft damit, sich jener grundsätzlichen inter- nationalen Solidarität wieder zu erinnern. Es fiel ihr umso schwerer, da sie den Versailler Vertrag und die Antwort auf die Schuldfrage als eine schwere Belastung jeder Völkerverständigung inter- pretierte.587 Die Berichte internationaler Korrespondentinnen blieben selten, die Sozialistische Fraueninternationale hatte ihr Organ verloren. kehrte sie nach Australien zurück und war 1924 Repräsentantin der Kommunistischen Partei Australiens auf dem 5. Weltkongress der KomIntern in Moskau. 1927 erschien ihre Autobiographie „From a Victorian to a Modern“. 585 Vorstand des Verbandes des sozialdem. Frauenklubs der Niederlande: Dankbarer Gruß der sozialdemokratischen Frauen der Niederlande zu Bebels 70. Geburtstag. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 156. 586 Der Frauentag der österreichen Genossinnen … In: GL, 27/ 12/ 16.03.1917/ 84. 587 Der neue Geist. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 137-138. 189 2.4 In Fraktur und Quartformat – Preis, Umfang, Erscheinungsweise, Erscheinungsbild, Verlag, Struktur und Inhalte der „Gleichheit“ 2.4.1 Erscheinungsweise, Seitenumfang und Preis Während der 32 Jahre ihres Erscheinens erlebte die „Gleichheit“ zahlreiche Veränderungen.588 Einige davon waren krisenbedingte Notwendigkeiten, andere Ausdruck ihres sich im Wandel befindlichen Selbstverständnisses. Preis, Seitenumfang und Erscheinungsweise änderten sich, Rubriken kamen hinzu oder verschwanden. Kann der folgende Überblick über diese Ver- änderungen und die jeweils neuen Strukturen der „Gleichheit“ auch nicht vollständig sein, so vergegenwärtigt er doch die Probleme und Problemlösungen der jeweiligen verantwortlichen RedakteurInnen und Verleger.589 Da die „Gleichheit“ sich nicht nur im übertragenen Sinne als Nachfolgerin der „Arbeiterin“ verstand, erachtete sie deren ersten und einzigen Jahrgang als ihren eigenen.590 Dieses traditionelle Selbstverständnis hinderte die neue Redaktion jedoch nicht, einige bedeutungs- volle Neuerungen vorzunehmen. Erschien die Probenummer der „Gleichheit“ entsprechend der Tradition der „Arbeiterin“ noch an einem Samstag, so kam ihre erste reguläre Nummer ganz pragmatisch am 1. Januar des Jahres 1893 heraus, an einem Montag.591 Ab Nummer 6 war es bis auf wenige Ausnahmen schließlich stets ein Mittwoch, an dem die „Gleichheit“ druckfrisch in die Hände ihrer Leserinnen gelangte.592 Im Gegensatz zur „Arbeiterin“ war die „Gleichheit“ keine wöchentlich, sondern eine vierzehn- täglich erscheinende Zeitschrift – eine so genannte „Halbmonatsschrift“. Lediglich für den Zeitraum von Juli 1919 bis Ende 1920 versuchte die neue Redaktion durch ein wöchentliches 588 Kinnebrocks kommunikationswissenschaftlicher Artikel kann zwar wegen des geringen Umfangs eines Artikels nicht auf die späteren strukturellen Veränderungen der „Gleichheit“ eingehen, ist aber trotzdem eine der seltenen Arbeiten, die über die Struktur, das Layout und den Preis der „Gleichheit“ informiert (vgl. Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 142). Andere Arbeiten – vor allem jene, die sich auf die Zeit vor 1917 beschränken – machen nur knappe Angaben zur Struktur der „Gleichheit“. 589 Erst ein Gesamtregister bzw. eine digitale Überarbeitung wird die „Gleichheit“ als eine wertvolle historische Quelle der Geschichts- und Kommunikationswissenschaft erschließen. 590 Bauer gibt in ihrer Zetkin-Biographie an, dass der Jahrgang der „Arbeiterin“ nicht mehr erhalten und der erste Jahrgang der „Gleichheit“ ihr in einer Leipziger Bibliothek nicht einsehbar gewesen sei (vgl. Bauer, Clara Zetkin, S. 185 Anm. 2). Ich vermute, dass Bauer nicht bekannt war, dass die „Gleichheit“ die Jahrgangs- zählung der „Arbeiterin“ weiterführte und somit keinen eigenen ersten Jahrgang besitzt. 591 Vgl. GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891; GL, 02/ 01/ 11.01.1892/ 1. 592 Vgl. GL, 02/ 06/ 23.03.1892/ 49. Diese Angabe ist bis zu einer 1905 vorgenommenen Umgestaltung des Layouts dem Titelkopf zu entnehmen, danach fiel die Angabe des Wochentags gänzlich weg (vgl. GL, 15/ 01/ 11.01.1905/ 1). 191 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Erscheinen die Aktualität und damit die Attraktivität der „Gleichheit“ zu steigern.593 Aber aus finanziellen Gründen konnte sie diese Erscheinungsweise nicht beibehalten. Die erste Nummer eines „Gleichheit“-Jahrgangs erschien jeweils im Januar. „Technische Ver- änderungen“594 machten es jedoch 1908 erforderlich, den 18. Jahrgang vorzeitig zu schließen. Welcher Art diese technischen Veränderungen waren, die es erforderlich machten, die erste Nummer des 19. Jahrgangs nun bereits am 12. Oktober 1908 herauszugeben, wurde nicht erläutert.595 Sie wurden von Veränderungen in Spaltenlayout und Seitenumfang begleitet, die es ermöglichen sollten, dem Hauptblatt die beiden 1905 eingeführten Beilagen nun nicht mehr nur im Wechsel, sondern gemeinsam beizulegen. Zwar gedachte die Redaktion, damit „dringenden Wünschen“596 der Leserinnen nachzukommen, aber „[e]s versteht sich von selbst“, so Redaktion und Verlag, „daß die ‘Gleichheit’ in der neuen Gestalt in betreff ihres Charakters, des Zieles, das sie verfolgt, die alte bleibt, daß sie aber danach trachten wird, unter den ge- wandelten äußeren Bedingungen immer Besseres zu leisten“597. Es scheint, dass die „Gleichheit“ offen geäußerten Bedürfnissen ihrer Leserinnen Rechnung tragen wollte, ohne den Eindruck zu erwecken, der Popularität nun doch größere Bedeutung bei- zumessen. Wie die „Arbeiterin“ erschien auch die „Gleichheit“ im Quartformat598. Jedoch betrug ihr Seiten- umfang von Beginn an nicht vier, sondern acht Seiten. Im Zuge der Einführung der beiden Beilagen im Januar 1905 wechselte die „Gleichheit“ jedoch nicht nur zu einem dreispaltigen Lay- out, ihr Hauptblatt fasste nun außerdem meist nur noch sechs Seiten.599 1907 waren es in der Regel wieder acht Seiten, 1908 aber teilweise sogar zehn oder zwölf Seiten und schließlich wurde im Rahmen jener im Oktober 1908 vorgenommenen „technischen“ Umstellung der Umfang auf 16 Seiten verdoppelt. Auch an der Seitenzahl der „Gleichheit“ lassen sich die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf die SPD-Presse aufzeigen. Bereits die dritte „Kriegsnummer“ umfasste nur 593 Vgl. GL, 29/ 20/ 05.07.1919/ 153 und GL, 31/ 01/ 01.01.1921/ 1. 594 Redaktion und Verlag: Zur Beachtung! In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 181. 595 Vgl. GL, 19/ 01/ 12.10.1908/ 1. Ab dem 30. Jahrgang (1920) – unter der neuen Redaktion – erschien die erste Nummer eines „Gleichheit“-Jahrgangs wieder im Januar. Für diese Umstellung musste der 29. Jahrgang früher geschlossen werden und umfasste deshalb nur 46 statt der während ihres wöchentlichen Erscheinens üblichen 52 Nummern. 596 Redaktion und Verlag: Zur Beachtung! In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 181. 597 Ebd. 598 Das Quartformat (°4) steht für ein Format von 4 Blättern bzw. 8 Seiten und eine Buchrückenhöhe von 30-35 cm. Die in der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung vorhandenen Originale der „Gleichheit“ haben die Maße 32 cm Höhe x 23,5 cm Breite. 599 Vgl. GL, 15/ 01/ 11.01.1905/ 1-6. Ausnahme war z. B eine „Märznummer“, die zehn Seiten umfasste (vgl. GL, 16/ 06/ 21.03.1906/ 31-40). 192 2.4.1 ERSCHEINUNGSWEISE, SEITENUMFANG UND PREIS noch vier Seiten600 und im Oktober 1914 erschien erstmals eine erste Nummer der „Gleichheit“ ohne obligatorische „Einladung zum Abonnement“. Was die Leserin auf der letzten Seite dieser Nummer fand, war nur folgende nüchterne Information: „Mit dieser Nummer beginnt der 25. Jahrgang der Gleichheit. Probenummern stehen zur Verfügung. Wir ersuchen um umgehende Bestellung. Expedition der Gleichheit, Stuttgart, Furtbachstraße 12.“601 Die von Zetkin ansonsten eher kämpferisch gehaltene „Einladung zum Abonnement“ dürfte entweder der Zensur oder der Papierknappheit zum Opfer gefallen sein. Beides wiederum war auch verantwortlich dafür, dass der Seitenumfang der „Gleichheit“ in dieser Zeit sehr unregel- mäßig entweder vier, sechs oder acht Seiten betrug. Die Zensur behinderte zudem die „Gleichheit“-Redaktion so stark, dass größere zeitliche Unregelmäßigkeiten auftraten, die es u. a. erforderlich machten, den 25. Jahrgang mit 27 statt 26 Nummern abzuschließen. Auch die Tatsache, dass nach dem Redaktionswechsel betreffs des achtseitigen Umfangs und des Er- scheinungszeitpunktes der „Gleichheit“ wieder eine gewisse Regelmäßigkeit einkehrte, spricht für deren Angepasstheit. Doppelter Seitenumfang, halbierte Erscheinungsweise, selber Preis. Genauso wie ihre Vorgänge- rin kostete die „Gleichheit“ zehn Pfennig.602 Dieser Preis wurde unglaubliche 27 Jahre beibehalten – unbeeinflusst von der Einführung der Beilagen oder der Rohstoffknappheit während des Krieges. Im Abonnement jedoch war die „Gleichheit“ auffällig günstiger als die „Arbeiterin“: Ein Postabonnement betrug vierteljährlich 55 Pfennig (statt einer Mark), im Kreuzband 85 Pfennig (statt 1,40 Mark). Diese günstigen Konditionen trugen dazu bei, die „Gleichheit“ als Obligatorium für Frauenorganisationen interessant zu machen und Leserinnen dauerhaft zu binden.603 600 Vgl. GL, 24/ 24/ 28.08.1914/ 369-372. Auch die nächste Nummer umfasste nur vier Seiten. 601GL, 25/ 01/ 02.10.1914/ 8. 602 Mit 10 Pfennig pro Nummer waren die „Arbeiterin“ und die „Gleichheit“ für damalige Verhältnisse relativ günstig (vgl. auch Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 142). 1903 veröffentlichte die „Gleichheit“ die von einer Berliner Arbeiterfrau verfasste Aufstellung über Einnahmen (1.666,56 Mark/Jahr) und Ausgaben (1575,56 Mark/Jahr) ihrer Familie. Diese weist u. a. jährliche Ausgabeposten wie Zeitungen (darunter die „Modenwelt“ (1865/66-1942[?])) (13,20 Mark) und Bier, Tabak, Versammlungsbesuch (123,84 Mark) auf. Ein Brot kostete laut dieser Aufstellung 50 Pfennig, ½ Pfund Fleisch 35 Pfennig, ½ Pfund Butter 60 Pfennig und 10 Pfund Kartoffeln 19 Pfennig (vgl. Jeetze, M.: Einnahmen und Ausgaben einer Berliner Arbeiterfamilie. In: GL, 13/ 20/ 28.09.1903/ 157-158). 603 Jedoch kam es bereits vor dem Ersten Weltkrieg und den Auseinandersetzungen in der SPD zu Kündigungen des obligatorischen Abonnements durch viele gewerkschaftliche Verbände. So heisst es in einem Bericht des Partei- vorstandes 1909, dass die Propaganda für die „Gleichheit“ sehr erfolgreich gewesen sei, „[t]rotzdem die Schneider die ‘Gleichheit’ für ihre weiblichen Mitglieder abbestellten und dafür das ‘Fachblatt’ ausgestalteten, die Hausan- gestellten sich ein eigenes Organ schufen, und trotz der schweren Krise, die mit bleiernem Druck auf der gesamten Arbeiterschaft lastete“ (Bericht des Parteivorstand im Protokoll des SPD-Parteitages Leipzig 1909, S. 23). 193 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) So stieg die Abonnentinnenzahl bis zum Ersten Weltkrieg stetig an und sogar während der Stag- nationsphase zwischen März und Juli 1914 hatte die „Gleichheit“ 13.000 von insgesamt 23.000 neuen Abonnements auf die Parteipresse vorzuweisen. Doch dann hatte auch die „Gleichheit“, wie jede andere der 91 Tageszeitungen und 65 Parteidruckereien, über die die SPD zu diesem Zeitpunkt verfügte, mit immer größer werdenden Problemen zu kämpfen. Nicht nur, dass die SPD bereits in den ersten Kriegsjahren 63 Prozent ihrer Mitglieder und damit ihre Presse auch eine große Zahl ihrer Leser verloren hatte. Auch gestaltete sich die praktische Pressearbeit immer schwieriger, weil viele der männlichen Pressemitarbeiter zur Front einberufen und Artikel fast so knapp wie Treibstoff und Papier wurden. Benzinsperre, Beschlagnahmung von Lastwagen und Gummireifen, Preisexplosion bei Rohstoffen wie Papier und Druckerschwärze, Kosten für die Gratisexemplare, die für die Agitation in Lazaretten und an der Front verwendet wurden, und sinkende Einnahmen bei der Werbung604 betrafen alle Parteiblätter gleichermaßen. Doch diese Zusammenhänge ignorierte der SPD-Parteivorstand geflissentlich, als er den „Gleichheit“- Abon- nementverlust der letzten Jahre zum Vorwand nahm, um Zetkin zu entlassen. Der günstige Preis der „Gleichheit“ konnte von der neuen Redaktion nicht gehalten werden. Kostete die „Gleichheit“-Einzelnummer im Oktober 1918 15 Pfennig, das Abonnement 95 Pfen- nig, im Kreuzband 1,45 Mark, so markierte knapp ein Jahr später die Nummer des 5. Juli 1919 eine auffällige Wende: Nicht nur, dass sich mit einer Verdopplung der Erscheinungsweise auch der Einzelnummerpreis verdoppelte, bedingt durch die beigefügten Beilagen vervielfachten sich auch die Abonnementpreise.605 Obwohl ab Januar 1921 die „Gleichheit“ wieder nur vierzehntäglich er- schien, wurde die Preiserhöhung dennoch nur im Abonnement wieder etwas zurückgenommen.606 Schließlich war es zudem die allgemeine Inflation, die ab Oktober 1922 den Preis der „Gleich- heit“ rasant ansteigen ließ. Im November 1922 kostete eine Einzelnummer sechs Mark, im Abonnement 24 Mark.607 Von nun an verdoppelte sich der Einzelpreis der „Gleichheit“ fast im monatlichen Rhythmus, bis er am 1. September 1923 mit Nummer 17 des 33. Jahrgangs seinen endgültigen Höhepunkt erreichte: 40.000 Mark. Ein endgültiger Höhepunkt deshalb, weil dies der Preis der letzten nachweisbaren „Gleichheit“-Nummer war. Es ist merkwürdig, dass in dieser letzten vorhandenen Ausgabe keinerlei Hinweis auf das Ende der „Gleichheit“ gegeben wurde. Bezeichnend für das baldige Ende ist es aber, dass alle Postabonnentinnen aufgefordert wurden, 604 Vgl. Koszyk, Zwischen Kaiserreich und Diktatur, S. 32. 605 Vgl. GL, 29/ 20/ 05.07.1919/ 153. Siehe: Tabelle 8 „Preisentwicklung der ‘Gleichheit’“. 606 Vgl. GL, 31/ 01/ 01.01.1921/ 1. 607 Der Abonnementpreis wurde später nicht mehr im Titelblatt der „Gleichheit“ angegeben. Ob damit auch der Verkauf im Abonnement nicht mehr stattfand, konnte nicht geklärt werden. 194 2.4.1 ERSCHEINUNGSWEISE, SEITENUMFANG UND PREIS zusätzlich zu den von ihnen gezahlten Geldern das Doppelte nachzuzahlen.608 Es seien die zu- nehmenden wirtschaftlichen Notstände, „die Teuerung für Papier und Druckkosten, Fahrgelder und ähnliches“609, aber auch die finanzielle Situation in den Arbeiterfamilien, die jede Form der schriftlichen Agitation immens erschwert habe. Deshalb konstatierte Juchacz bereits im Mai 1923, dass „nur das gesprochene Wort […] noch umsonst“610 sei und dass daher „mehr als je […] die Frauen auf die Werbearbeit von Mund zu Mund angewiesen“611 wären. So hatte die „fortdauernde Erhöhung der Herstellungskosten“612 erst den Preis und dann die „Gleichheit“ selbst „unhaltbar“613 gemacht. Wie das Ende der „Arbeiterin“ war auch das Ende der „Gleichheit“ vor allem durch finanzielle Probleme verursacht. 608 An unsere Postabonnenten. In: GL, 33/ 17/ 01.09.1923/ 133. 609 Juchacz, Marie: Die Frauen in der deutschen Partei. In: GL, 33/ 9-10/ 01./15.05.1923/ 68. 610 Ebd. 611 Ebd. 612 An unsere Postabonnenten. In: GL, 33/ 17/ 01.09.1923/ 133. 613 Ebd. 195 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) 2.4.2 Verlag und Finanzierung Zum finanziellen Hintergrund der „Gleichheit“ gehört jedoch nicht nur der Preis, den die Leserinnen und Abonnentinnen für sie zu zahlen hatten, sondern auch der Preis für ihre Herstel- lung als Publikationsorgan des Verlagsunternehmens Dietz. Es muss im Interesse eines Verlegers liegen, mit einer Zeitschrift baldmöglichst schwarze Zahlen zu schreiben.614 Johann Heinrich Wilhelm Dietz scheint jedoch in diesem Fall seine unternehmerischen Interessen hinter die der Partei gestellt zu haben. In einem 1913 von Zetkin zu Dietz‘ 70. Geburtstag veröffentlichten Arti- kel wertete diese es als dessen großen „Verdienst […], daß die ‘Gleichheit’ sich frei entfalten konnte, daß sie ungehindert durch Rücksichten auf die Geschäftslage nur ihre Aufgabe im Auge zu halten vermochte: die Proletarierinnen zum Klassenkampf zu rufen und durch die sozia- listische Erkenntnis für den Klassenkampf zu schulen“615. Weder der Spott über den mäßigen Erfolg der „Gleichheit“, noch die Meinungsverschiedenheiten, die durchaus zwischen Redakteurin und Verleger aufgekommen seien, hätten Dietz jemals dazu verleitet, in die Redaktion, in deren „geistige Bewegungsfreiheit, […] Unabhängigkeit und Selb- ständigkeit“616 eingreifen zu wollen. Seine Tätigkeit als Verleger habe Dietz, so Zetkin, „in erster Linie als einen Beruf und nicht als ein Geschäft aufgefaßt“617. Glücklicherweise verfügte Dietz aber neben allem Idealismus tatsächlich auch über ein gutes Stück Geschäftssinn. Sein größter Erfolg als Verleger und Geschäftsmann war die Herausgabe des „Wahren Jacob“. Mit den Ge- winnen aus dem Verkauf dieses überaus erfolgreichen Humorblattes, war es problemlos möglich, die „Gleichheit“ und andere finanziell weniger abgesicherte Publikationsprojekte querzufinan- zieren. Ohne den „Wahren Jacob“ hätte es die „Gleichheit“ vielleicht nie gegeben. 1904 war es dann soweit: Die „Gleichheit“ schrieb mit bescheidenen 74,70 Mark ihre ersten schwarzen Zahlen.618 Dies aber nicht mehr als Eigentum des Dietz-Verlages, sondern als Zeitschrift in Besitz der SPD. Bereits am 1. April 1901 waren die im Dietz-Verlag erscheinenden Blätter „Neue Zeit“, „Gleichheit“ und der „Wahre Jacob“ in das Eigentum der Sozialdemokra- tischen Partei Deutschlands übergegangen.619 Offiziell war die „Gleichheit“ damit Zeitschrift des 614 „Jahrzehntelang“, so Bohm-Schuch, sei die „Gleichheit“ Dietz‘ „Sorgenkind, aber gerade darum eines seiner liebsten“ (Bohm-Schuch, Clara: Unsere Toten. Heinrich Dietz zum Gedächtnis. In: GL, 32/ 17/ 18/ 01.09.1922/ 163-164, S. 163) und der Umzug von Verlag, Druck und Redaktion 1919 nach Berlin für ihn „ein harter Schlag“ (ebd.) gewesen. 615 Zetkin, Clara: Heinrich Dietz zum 70. Geburtstag. In: GL, 24/ 01/ 01.10.1913/ 4-5, S. 4. 616 Ebd., S. 5. 617 Ebd. 618 Siehe: Tabelle 5 „Geschäftsjahresabrechnungen der ‘Gleichheit’“. 619 Protokoll des SPD-Parteitages Lübeck 1901, S. 32. 196 2.4.2 VERLAG UND FINANZIERUNG „Vorwärts-Verlages“620, wesentliche Veränderungen in ihrer praktischen Arbeit ergaben sich dadurch jedoch nicht. Stuttgart blieb sogar dann noch Sitz von Verlag, Druckerei, Redaktion und auch Expedition621 nachdem der SPD-Parteifunktionär und Publizist Paul Singer (1844-1911)622 Druck und Verlag übernommen hatte623. Der Status als offizielles Parteiorgan brachte es jedoch mit sich, dass nun den entsprechenden Parteiinstanzen die Finanzierung der „Gleichheit“ offen gelegt werden musste. Der Parteivorstand veröffentlichte deshalb auf dem Parteitag 1904 in Bremen einen Vorjahresbericht, in welchem erstmals nicht nur für den „Vorwärts“, sondern auch für die „Gleichheit“, die „Neue Zeit“ und den „Wahren Jacob“ eine detaillierte Kostenaufstellung enthalten war.624 Sowohl aus einer dieser Kostenaufstellungen als auch aus dem entsprechenden „Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands“ geht 1904 jener erwähnte Überschuss der „Gleichheit“ von 74,70 Mark hervor. So mäßig dieses Ergebnis auch erschien, der Parteivorstand sah darin den Vorboten weiterer Erfolge und gab bekannt, dass im folgenden Geschäftsjahr 1905 erneut mit einem Überschuss zu rechnen sei. Diese Prognose brachte nicht nur Optimismus zum Ausdruck, sondern resultierte aus dem Umstand, dass der Überschuss viel größer hätte ausfallen können, wären nicht 15.000 „Gleichheit“-Exemplare zur Agitation ver- wandt, also kostenlos verteilt worden.625 Die Prognose des Parteivorstandes bestätigend, verbuchte die „Gleichheit“ 1905 daher einen stattlichen Gewinn von 3.996,15 Mark und 1906 sogar von 620 Inhaber der Vorwärts-Buchdruckerei und Verlagsanstalt waren Paul Singer, August Bebel und Eugen Ernst (1864- 1954) (vgl. Ressmann, Strukturprobleme sozialdemokratischer Medienunternehmen, S. 64, Anm. 183). 621 Von der Furthbach-Straße 12 in Stuttgart gelangte die „Gleichheit“ in alle Teile des deutschen Reiches und da- rüber hinaus. 622 Paul Singer wurde in Berlin geboren und war Sohn eines jüdischen Kaufmannes. Bis 1869 arbeitete er als Hand- lungsgehilfe. Als Mitinhaber einer Damenmäntelfabrik konnte er sich ab 1887 als wohlhabender Privatier aus dem Erwerbsleben zurückziehen. Er wurde einer der einflussreichsten Geldgeber der SPD. Bereits ab 1868 gründete Singer verschiedene Vereine und Presseorgane mit. Er war von 1885 bis zu seinem Tode 1911 Mitglied des SPD- Parteivorstandes, außerdem seit 1890 nahezu auf jedem Parteitag Mitglied des Präsidiums. 1884-1911 war Singer Reichstagsabgeordneter. 623 Vgl. GL, 15/ 01/ 11.01.1905/ 6. 624 Bis 1914 waren diese Aufstellungen in Form übersichtlicher Tabellen ein fester Bestandteil der Parteitagsprotokolle. Umso auffälliger ist es, dass diese Verfahrensweise seit Beginn der Weimarer Republik weder für den „Vorwärts“ noch für andere Parteiblätter fortgesetzt wurde. 625 Vgl. Protokoll des SPD-Parteitages Bremen 1904, S. 27. Diese erstaunlich hohe Zahl kostenloser Exemplare ist umso verwunderlicher, wenn man Zetkins ablehnende Haltung gegenüber solcher Werbemaßnahmen kennt. Sie nahm an, dass kostenlose Exemplare von den Proletarierinnen weder materiell noch inhaltlich wirklich als wertvoll wahrgenommen werden würden (vgl. Zetkin im Protokoll des Parteitages Gotha 1896, S. 166f.). Interessant ist diesbezüglich die Meinung von Koszyk/Eisenfeld, dass die „Gleichheit“ nur durch diese Gratis- abgaben überhaupt größere Verbreitung finden konnte, da sie sich ansonsten durch ihre Theorielastigkeit und ihr hohes Niveau selbst im Wege gestanden habe (vgl. Koszyk / Eisenfeld, Die Presse der deutschen Sozialdemo- kratie, S. 19). Laut Vormschlag jedoch beruhte die Gewinnung neuer AbonnentInnen „[w]ährend der ersten Jahre des Erscheinens […] allein auf der Hausagitation“ (Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 73). In der Tat ist beides nicht von der Hand zu weisen und widerspricht sich auch nicht, denn die persönliche Ansprache, der Besuch in einem Proletarierhaushalt, politische Gespräche und das Überlassen eines Gratisexemplars der „Gleichheit“ waren die besten Möglichkeiten einer Mitgliederwerbung außerhalb der bestehenden Vereinsstrukturen. 197 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) 12.583,79 Mark626. Innerhalb eines Jahres hatte die „Gleichheit“ ihren Gewinn somit verdreifacht. Dieses sogar im fünfstelligen Bereich liegende Ergebnis blieb jedoch im Bericht des Partei- vorstandes völlig unkommentiert, obwohl nun endlich, 14 Jahre nach ihrem ersten Erscheinen, die „Gleichheit“ auch auf einem finanziellen Erfolgskurs war – einem Erfolgskurs, von dem erst Krieg und Inflation sie wieder abbringen und damit auch ihr Ende vorbereiten sollten. Ab 1. Juli 1919 wurde die „Gleichheit“ dann schließlich doch nicht mehr in Stuttgart, sondern vom Vorwärts-Verlag in Berlin gedruckt und vertrieben. Der Wechsel des Druckortes sollte gewährleisten, „daß Redaktion und Druckerei in engerer Verbindung“627 standen. Die neue Redaktion hatte nämlich schon bald nach der Entlassung Zetkins Quartier in der Lindenstraße 3 genommen und sich damit auch räumlich in die Nähe zum SPD-Parteivorstand begeben. Die engere Verbindung zwischen Redaktion und Druckerei und ein wöchentliches statt vierzehn- tägliches Erscheinen sollten die Aktualität und damit die Attraktivität der „Gleichheit“ steigern. Der Erfolg dieser Strategie war jedoch nur ein sehr kurzfristiger. Im Juni 1920 gemahnte die „Gleichheit“-Redaktion ihre Leserinnen anlässlich des bevorstehenden Quartalswechsel „zur Pflicht, für ihre Zeitschrift „Die Gleichheit“ zu werben“628. Sie eröffnete ihnen zu diesem Zweck eine sehr einfache Rechnung: „Bedenkt, daß sich die Zahl der bisherigen Bezieher mit einem Schlage verdoppelt, wenn jede Leserin, jede Freundin unseres Blattes nur einen Abonnenten zuführt. Wie leicht ist das!“629 Die Qualitäten der „Gleichheit“ sprachen nach Meinung ihrer Redaktion für sich selbst. Sie gebe „nicht nur Anregung, Belehrung nach allen Richtungen hin, sondern sie stärk[e] das notwendige Selbstbewußtsein und Verantwortungsgefühl der Frau“630, sie helfe „ihr bei der Erringung innerlicher Freiheit und äußerer politischer und sozialer Rechte“631. Deutlich formulierte die Re- daktion damit einen ungewohnt individuell-emanzipatorischen Anspruch, welcher den Bruch mit der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie und der mit ihr verbundenen Strategie des Klas- senkampfes vollzog. Dieser Bruch manifestierte sich noch an anderer Stelle desselben Artikels. So wurden die noch lieferbaren „Gleichheit“-Exemplare der Jahrgänge 20 bis 26 – Jahrgänge, die noch unter der Redaktion Zetkins veröffentlicht worden waren – lediglich als „Sammlungen von 626 Vgl. Protokoll des SPD-Parteitages Essen 1907, S. 50. In diesem Berichtsjahr wies auch die „Neue Zeit“ erstmalig einen Gewinn auf. 627 Redaktion und Verlag der „Gleichheit“: An die Leserinnen der „Gleichheit“. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 137. Diese Änderungen gehen zurück auf den erwähnten Artikel von Johanna Reitze „Die Presse und die Frauen“ (In: GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 98). 628 Ebd. 629 Ebd. 630 Ebd. 631 Ebd. 198 2.4.2 VERLAG UND FINANZIERUNG historischem Werte, aus Kämpfen und Siegen “632 feilgeboten. Klassenkampf, so die neue Bot- schaft der neuen „Gleichheit“, war gestern. 632 GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 215. Jeder dieser Jahrgänge konnte – solange der Vorrat reichte – für 3,50 Mark beim Dietz-Verlag in Stuttgart bestellt werden. 199 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) 2.4.3 Erscheinungsbild Auch das Erscheinungs- und Druckbild der „Gleichheit“ war zu Beginn mit dem der „Arbeiterin“ nahezu identisch. Beide verwendeten einen gängigen Titelkopfentwurf und den althergebrachten Schrifttyp „Fraktur“ – auch „deutsche Schrift“ genannt. Es ist in Anbetracht des Bemühens der neuen Redaktion um Veränderung und Abgrenzung sehr verwunderlich, dass sie nicht auch eine Modernisierung des Schriftbildes durchführte. Lediglich die von der neuen „Gleichheit“-Re- daktion vermehrt aufgenommenen kommerziellen Anzeigen waren meistens in dem modernen Schrifttyp „Antiqua“633 – („lateinische Schrift“) – gehalten.634 Einer der auffälligsten Unterschiede zwischen „Arbeiterin“ und „Gleichheit“ war die Gestaltung der Seiten, genauer gesagt, der Spalten. Im Gegensatz zur dreispaltigen „Arbeiterin“ erschien die „Gleichheit“ meist in einem deutlich lesefreundlicheren zweispaltigen Layout. Dieses wurde jedoch im Januar 1905 im Rahmen der Einführung der beiden Beilagen durch ein dreispaltiges Layout ersetzt. Die gleichzeitig vorgenommene Reduzierung des Seitenumfangs hätte eine Redu- zierung des Inhalts bedeutet, was jedoch durch die Wahl einer kleineren Schriftgröße kompensiert wurde.635 Infolge dieser Veränderungen ging die 1897 optimierte Übersichtlichkeit verloren. Wie bereits beschrieben, wurde im Oktober 1908 im Rahmen weiterer Änderungen das zweispaltige Layout wieder eingerichtet.636 Nach dem Redaktionswechsel 1917 folgten die Veränderungen an der „Gleichheit“ einer Tendenz, die sich auch an fast allen anderen Frauenzeitschriften der Weimarer Republik aufzeigen lässt.637 So fand man nun auch in der „Gleichheit“ zunehmend mehr Illustrationen (optische Hervor- hebungen und Rahmen im Jugendstil, Werbung, Schnittmuster, Stiche, idyllische Szenenbilder). Aber das sozialdemokratische Frauenblatt war dennoch weit davon entfernt, eine Illustrierte zu sein. Im Gegensatz zu bürgerlichen Frauenzeitungen wie „Die Welt der Frau“ (1904-1920)638 gab 633 Eine der sozialdemokratischen Zeitschriften, die sich besonders um einen moderneren Anschein bemühten und deshalb in „Antiqua“ gedruckt wurden, waren die „Sozialistischen Monatshefte“. 634 In diesem Zusammenhang ist schließlich auch zu erwähnen, dass zu Beginn des Jahres 1903 die Orthographie der „Gleichheit“ modernisiert wurde (vgl. GL, 13/ 01/ 01.01.1903). Die für die ältere Orthographie markanteste Stelle, nämlich die Überschrift für den „Notizentheil“ bzw. Notizenteil“ wurde anscheinend bei der Umstellung übersehen. Sie wird erst zwei Nummern später angepasst (vgl. GL, 13/ 03/ 28.02.1903/ 23). 635 Vgl. Die Redaktion und der Verlag: Einladung zum Abonnement. In: GL, 14/ 26/ 14.12.1904/ 201. 636 Vgl. Redaktion und Verlag: Zur Beachtung! In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 181. 637 Vgl. Wilhelms, Frauenzeitschriften in der Weimarer Republik, S. 65. Wilhelms analysiert innerhalb eines sehr an- schaulichen Aufsatzes „Die Kämpferin“, „Die Frau im Staat“, „Die schaffende Frau“, „Frauenwelt“ und die „Blätter des Jüdischen Frauenbundes“. Sie konstatiert in ihrer Analyse eine Anpassung „der Publikationsorgane der linken Frauenöffentlichkeit an die Inhalte der traditionellen Frauenpresse“ (ebd., S. 65f.) und zugleich eine Modernisierung (vgl. ebd., S. 66). 638 „Die Welt der Frau“ war zeitweise die Beilage der „Gartenlaube“ (1853-1937), einem sehr populären illustrierten Familienblatt. 200 2.4.3 ERSCHEINUNGSBILD es in der „Gleichheit“ bis zuletzt keine Fotos – wenn es Abbildungen gab, dann meist Zeichnungen und Stiche. Die ersten Illustrationen dieser Art erschienen im März 1893. Es waren Porträts Louise Michels – diese „Gleichheit“-Ausgabe sollte anlässlich des vermeintlichen Todes der bedeutenden französischen Sozialistin als besondere Agitationsnummer verteilt werden.639 Seit dem Redaktionswechsel erschienen anlässlich kirchlicher Feiertage wie Weihnachten640, Ostern oder Pfingsten auf den Titelseiten großformatige Szenenbilder, die besonders kitschig anmuteten. 641 Anlass und Umsetzung der Bilder sprechen für die neue Richtung der „Gleichheit“-Redaktion, ihre Leserinnen über ihr Verhaftetsein in Religion und bürgerlichem Familienideal anzusprechen. Neben diesen althergebrachten Klischees zog aber auch moderne Technik ins Titelblatt der „neuen“ „Gleichheit“ ein: Seit Nr. 19 des 27. Jahrgangs teilte man dort der Leserin mit, dass die Redaktion nun auch per „Fernsprecher: Amt Moritzplatz 14 838“642 zu erreichen war. Im April 1923 änderte sich das Layout der „Gleichheit“ nochmals auf sehr markante Weise. Nicht nur ein kompletter Neuentwurf des Titelblattes war vorgenommen worden, nun wurden die Titel der Artikel über zwei Spalten hinweg ungewöhnlich fett gedruckt und ihnen außerdem die Namen der AutorInnen in demselben fetten Druck direkt vor- oder nachgestellt. Im bisherigen Erschei- nungsbild der „Gleichheit“ war eine derartige Hervorhebung der AutorInnennamen vollkommen unüblich gewesen. Sie könnte durchaus als Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins der „Gleich- heit“-Mitarbeiterinnen als Berufs-Journalistinnen gedeutet werden. Doch alle ausgefeilten Modernisierungs- und Popularisierungsmaßnahmen konnten den Abon- nentinnenverlust der „Gleichheit“ nicht aufhalten. Trotz eines gefälligeren Äußeren blieb der Abonnement-Höchststand aus dem Jahr 1914 mit 124.000 Exemplaren für die neue Redaktion unerreichbar.643 Im Gegensatz zur „Arbeiterin“ verfügte die „Gleichheit“ über eine wesentliche Neuerung: Die Seiten eines jeden Jahrgangs waren durchgängig nummeriert. In Ergänzung mit einem von 1909 bis 1919 jährlich herausgegebenen Inhaltsverzeichnis644, machte diese Seitennummerierung aus 639 Vgl. die Porträtbilder „Louise Michel als Kommune-Kämpferin“ (GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 44) und „Louise Michel 1892“ (GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 45), die außerdem im Anhang enthalten sind. 640 Welch unterschiedliche Beachtung das Weihnachtsfest in der „Gleichheit“ erfuhr, beschrieb auch Lion (vgl. Lion, Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 91-92). 641 Beispiele für diese Illustrationen und die Titelblattgestaltung sind im Anhang enthalten. 642 Vgl. GL, 27/ 19/ 22.06.1917/ 125 (Titelblatt). 643 Zur Entwicklung der „Gleichheit“-Abonnements siehe: Tabelle 7 „Abonnentinnen der ‘Gleichheit’“. 644 Da die ZDB keinerlei Hinweis auf die Verzeichnisse gibt und auch Vormschlag lediglich in einer Fußnote auf sie verweist (vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 86, Fußnote 1), ist die Existenz dieser Jahrgangsverzeichnisse nahezu unbekannt. 201 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) der „Gleichheit“ ein leicht handhabbares und zugängliches Bildungs- und Schulungsorgan – zumindest in struktureller Hinsicht. Die Jahrgangsverzeichnisse wiederum bauten auf einem Inhaltsverzeichnis auf, welches seit Februar 1897 zwischen Titelkopf und Leitartikel einer jeden Nummer zu finden war. All diese vermeintlich unauffälligen Zusätze in Titelblatt und Seiten- gestaltung unterstützten die auf Wissenschaftlichkeit und Schulung angelegte Ausrichtung der „Gleichheit“. Umso erstaunlicher ist es, dass die Einführung jenes Verzeichnisses – von einem richtigen Register kann leider keine Rede sein645 – nicht auf eine Initiative Zetkins zurückgeht. Es war stattdessen Zietz, die auf der Frauenkonferenz 1908 in Nürnberg Zetkin offiziell bat, dies- bezüglich beim Verlag vorzusprechen, weil „[f]ür viele Genossinnen, die sich die ‘Gleichheit’ einbinden lassen, […] ein solches Verzeichnis sehr wertvoll“646 sein würde. Denn „[g]erade der Umstand, daß die ‘Gleichheit’ eine so unendliche Fülle von Material bringt, über Lohn- und Arbeitsbedingungen, über gesetzliche Bestimmungen, das wir als Agitationsmaterial immer verwenden können, macht es sehr wünschens- wert, daß die ‘Gleichheit’ als Nachschlagewerk benutzt werden kann“647. Demnach sollte ein Verzeichnis vor allem den wissenschaftlichen und gesellschaftsanalytischen Charakter der „Gleichheit“ – weniger ihre Tagesaktualität – unterstreichen. Nicht verwunderlich ist es daher, dass auch Zetkin an der Einführung eines solchen Verzeichnisses interessiert war und eine solche zumindest erwogen hatte. Deshalb antwortete sie auf Zietz‘ Bitte: „Niemand vermißt ein solches Inhaltsverzeichnis häufig schmerzlicher, als ich selbst. Die ‘Gleichheit’ ist jetzt 17 Jahre alt und man findet sich manchmal wirklich nur schwer zurecht. Ich wollte auch schon einmal ein General-Nachschlageregister schaffen, aber immer war die Zeit zu knapp. Für die Zukunft gelobe ich jedoch Besserung. (Beifall.)“648 Mit dieser Entscheidung, die Zetkin auch deshalb am Herzen gelegen haben dürfte, weil ihr redaktionelles Vorbild „Die Neue Zeit“ ebenfalls ein General-Register besaß, wurde der praktische Wert der „Gleichheit“ für die proletarische Frauenbewegung enorm gesteigert. Sowohl die durch- schnittliche LeserIn als auch die LeiterIn eines Frauenbildungsvereins, konnte nun auf die Informationen und Artikel in der von ihr möglichst jahrgangsweise gesammelten „Gleichheit“ schnell und zielgerichtet zugreifen.649 Diese Neuerung bedeutete aber auch eine Arbeitser- 645 Die Strukturierung ist sehr einfach und obwohl sogar unter den kleinen Rubriken einzelne Titel aufgeführt werden, gibt es doch im Gegensatz zum Generalregister der „Neuen Zeit“ weder eine Verschlagwortung noch eine alphabetische Namensliste der Autorinnen. 646 Zietz im Bericht über die 5. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Nürnberg 1908, S. 482. 647 Ebd. 648 Zetkin ebd., S. 484. 649 Trotz aller Kritik an der Ausdrucksform der „Gleichheit“ (z. B. Übertreibungen, Zynismen, Schlagwortkultur und Phrasen (vgl. Lion, Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 92)) sah auch Lion eben in jener „unbestreitbaren Bedeutung für die Proletarierin als Lese- und Lehrbuch, als Nachschlagewerk, als Sammlung von Agitationsmaterial, als Chronik ihrer Bewegung“ (ebd., S. 95) „eine Lebensleistung großen Wurfs“ (ebd., S. 96). 202 2.4.3 ERSCHEINUNGSBILD leichterung für die MitarbeiterInnen von Presse, Archivwesen und Wissenschaft – damals wie heute.650 650 Daher ist es umso bedauerlicher, dass nur wenige dieser Verzeichnisse erhalten geblieben und auch diese wenigen Exemplare selbst in wissenschaftlichen Bibliotheken und Archiven kaum aufzufinden und schwer zugänglich sind. Schwer zugänglich deshalb, weil die ohnehin unvollständig vorhandenen Exemplare entgegen des Ansinnens ihrer Herausgeberinnen bisher nirgends als Nachschlagewerk, das diesen Namen verdient, zur Verfügung gestellt werden. 203 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) 2.4.4 Werbung Zusätzlich zu den Revenuen aus den Abonnements erzielte die „Gleichheit“ von Beginn an auch Einnahmen aus Anzeigengeschäften. Prinzipiell nahm Zetkin jedoch trotz der bescheidenen finanziellen Ausgangssituation ausschließlich Inserate parteieigener oder parteinaher Organisa- tionen und Verlage an.651 Dies sollte sich aufgrund der wirtschaftlichen Notlage während und nach dem Ersten Weltkrieg unter der Redaktion Juchacz‘ gänzlich ändern. Die erste rein kommerzielle Werbung erschien in der „Gleichheit“-Nummer des 20. September 1919. Die untere Hälfte der letzten Seite enthielt – durch einen schwarzen Rahmen optisch einer- seits hervorgehoben und andererseits vom übrigen Teil des Blattes getrennt – mehrere Anzeigen. Darin beworben wurden u. a. Pelze, Waschmittel, Faltencreme, Bücher des „Vorwärts“-Verlags, Diabetesmittel, Caramel-Bier und die Dienstleistungen einer chemischen Wäscherei.652 Erstaun- licherweise handelte es sich also zum Großteil um Produkte, die kaum zu den alltäglichen Gebrauchsgütern einer durchschnittlichen Proletarierfamilie gehört haben dürften. Konnten sich die werbenden Unternehmen so in dem Adressatenkreis der „Gleichheit“ geirrt haben? Wahr- scheinlicher ist, dass diese befremdliche Produktpalette bedeutsame Rückschlüsse auf entsprechende Veränderungen innerhalb der Gruppe der „Gleichheit“-Leserinnen zulässt. Die Vermutung liegt nahe, dass es nun noch stärker als zuvor vor allem Arbeiter- und Parteifunktio- närsfrauen oder auch die materiell etwas besser gestellten Vertreterinnen des Typus der „Neuen Frau“653 waren, die ein „Gleichheit“-Abonnement hielten. Eine Vermutung, die jedoch kaum durch statistisches Material oder Erhebungen zur Rezeption gestützt werden kann. Das Bild der eitlen, einen Pelz tragenden Proletarierin wird jedoch dadurch wieder zurechtgerückt, dass der mit Abstand größte und regelmäßigste Inserent das Butter und Schmalz produzierende Unternehmen „Reichelt“ mit seinen allein in Groß-Berlin 145 existierenden Filialen war.654 Allgemein muss berücksichtigt werden, dass bedingt durch die politischen Ereignisse und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen die weibliche Leserschaft vermehrt als eigenverantwortliche Konsumen- 651 Am Inseratspreis der „Arbeiterin“ von 20 Pfennig pro Zeile hielt auch die „Gleichheit“ fest. Vereine erhielten besondere Rabattbedingungen. Zu den Anzeigenpreisen siehe: Tabelle 8 „Preisentwicklung der ‘Gleichheit’“. Die Werbung für Parteiliteratur war eine grundsätzliche Aufgabe der „Gleichheit“ – so die auf dem Parteitag 1913 vertretene Meinung –, die sie nicht hinreichend erfüllt habe. Nicht eine einzige Broschüre aus der seit dem Jahr 1912 im „Vorwärts“-Verlag herausgegebenen Reihe „Sozialdemokratische Frauenbibliothek“ sei in ihr empfohlen oder besprochen worden (vgl. Ryneck im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 262). Zur Gründung dieser Reihe siehe: Protokoll des SPD-Parteitages Chemnitz 1912, S. 17. 652 Vgl. GL, 29/ 31/ 20.09.1919/ 248. 653 Zur „Neuen Frau“ siehe: Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblich- keit; Soden/Schmidt, Neue Frauen: die zwanziger Jahre; Frauenalltag und Frauenbewegung im 20. Jahrhundert. Bd. 2: Frauenbewegung und die „Neue Frau“ 1890-1933. 654 Auch Unternehmen, die heute noch existent sind, warben in der „Gleichheit“. Z. B. warb „Messmer’s Thee“ für sich mit den Worten: „Das beste Frühstück – Billigstes Volksgetränk“ (GL, 31/ 06/ 15.03.1921/ 55). 204 2.4.4 WERBUNG tinnen und Familienernährerinnen in den Fokus werbender Unternehmen gerückt wurden. In den Familien der Weimarer Republik nahmen stärker als zuvor die Frauen den Platz und die Rolle des Familienvorstandes ein. Der relative Anteil kommerzieller Werbung an einer Ausgabe der „Gleichheit“ stieg frappierend schnell an: Bereits zwei Nummern nach Einführung kommerzieller Werbung nahm diese bereits die komplette letzte Seite ein.655 Von Nummer 5 des 31. Jahrgangs hatte man fast 2 ½ der insgesamt 12 Seiten an werbende Unternehmen verkauft.656 Zwar gab es weiterhin einzelne Agi- tationsnummern wie z. B. die Mai-Doppelnummer vom 1. Mai 1923, die grundsätzlich keinerlei Werbung enthielten, doch insgesamt verlief die Entwicklung merkbar auf Kosten des Platzes für „partei- und berufsbezogene[…] Artikel“657. Die neue Redaktion vernachlässigte ihre vorrangige Zielsetzung, politisch zu agitieren, zugunsten der gebotenen Räson, konsumistisch zu animieren. Es ist nicht ersichtlich, ob es dieser inhaltliche Mangel war, der von einigen Leserinnen kritisiert wurde, doch Ende 1920 an die „Gleichheit“-Redaktion „ergangene Anfragen und Beanstan- dungen“ nötigten diese, „die Leserinnen darauf aufmerksam [zu machen], daß die Redaktion mit der Inse- ratenannahme nichts zu tun hat. Inseratenteil und redaktioneller Teil werden völlig getrennt geführt, und letzterer hat auf Annahme und Ablehnung der Inserate keinen Einfluß, ist also für den Inhalt des Inseratenteils unseres Blattes nicht verantwort- lich“658. Doch blieb auch die Werbebranche wie auch die werbenden Unternehmen von den Folgen der Inflation nicht verschont. Neben ihrem eigenen Preis musste die „Gleichheit“ auch die Preise für Inserate stetig erhöhen und verlor zugleich doch immer mehr Leserinnen und Inserenten.659 So hatte man für Nummer 2 des 33. Jahrgangs schließlich nur noch für eine halbe Seite Anzeigen akquirieren können und sechs Nummern später füllte sich bereits nur noch ein Drittel einer „Gleichheit“-Seite mit Werbung.660 655 Vgl. GL, 29/ 33/ 04.10.1919/ 264. Für die weitere Zunahme von Werbung in der „Gleichheit“ vgl. GL, 30/ 07/ 14.02.1920/ 55 (Anzeigenanteil von 1 1/3 Seite); GL, 30/ 11/ 13.03.1910/ 87 (Anzeigenanteil von 1 ½ Seiten); GL, 30/ 12/ 20.03.1920/ 95 (Anzeigenanteil von 1 ¾ Seiten); GL, 30/ 16/ 17.04.1920/ 119-120 (Anzeigenanteil von 2 Seiten). 656 Vgl. GL, 31/ 05/ 01.03.1921/ 46-48 (Anzeigenanteil von 2 ¼ Seiten). 657 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 102. 658 Die Redaktion. In: GL, 30/ 50/ 11.12.1920/ 410. 659 Siehe: Tabelle 7 „Abonnentinnen der ‘Gleichheit’“ und Tabelle 8 „Preisentwicklung der ‘Gleichheit’“. 660 Vgl. GL, 33/ 02/ 15.01.1923/ 16 und GL, 33/ 08/ 15.04.1923/ 64. 205 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) 2.4.5 Leitartikel, Artikel und Rubriken Vormschlag definiert als die drei großen Themenkomplexe der „Gleichheit“: „1. Die historische Entwicklung und die gegenwärtige Arbeit der Frauenbewegung. 2. Die historische Entwicklung und die gegenwärtige Arbeit der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften. 3. Aktuelle soziale Forderungen und Darstellungen von Mißständen.“661 Tatsächlich lassen sich diese drei Themenbereiche in allen Bausteinen der „Gleichheit“-Struktur wiederfinden: Sowohl in den Leitartikeln, Artikeln als auch kleineren Rubriken wurden ent- sprechende Inhalte transportiert. Auch die eher kulturellen Inhalten gewidmeten Beilagen und das Feuilleton wiesen eine Schwerpunktsetzung auf, durch die sie zur politischen Aufklärungsarbeit der „Gleichheit“ beitrugen. Der Leitartikel als das klassische Mittel der Meinungsführung an sich662 hatte auch in der „Gleichheit“ eine fundierende, informierende oder auch agitierende Intention. Die Leitartikel the- matisierten den Kampf der proletarischen Frauenbewegung um die Emanzipation der Frau, indem in ihnen vor allem ihre Haltung zur bürgerlichen Frauenbewegung zum Ausdruck kam und die Diskriminierungen durch Gesetzgebung und Polizei angeprangert wurden. Durch sie wurde der Kampf des Proletariats gegen den Kapitalismus und dessen Stützwerk aus Gesetzgebung und Militarismus dokumentiert. Durch sie wurden aber auch die Leserinnen zur Mithilfe am Wahlkampf aufgerufen, die Berichte der Großveranstaltungen, von Parteitagen, Internationalen Frauentagen und Frauenkonferenzen veröffentlicht. Während des Krieges machte Zetkin in ihren prägnanten Leitartikeln schließlich Front gegen den Krieg und gegen die eigene Partei. Nach dem Redaktionswechsel war es vor allem der „Bruderzwist“ und der Kampf gegen den Versailler Vertrag, die Ton und Inhalt der Leitartikel bestimmten. Diejenigen Leitartikel, die sich schließlich mit der Wiedervereinigung der beiden Sozialdemokratien auf dem Nürnberger Gesamtparteitag befassten, sprachen von den Hoffnungen der zerstrittenen Sozialistinnen, gemeinsam große Er- folge in der politischen Bildung der Frauen zu erzielen. Das nächste beherrschende Leitartikel- Thema waren schließlich die aus den Wiedergutmachungsansprüchen der Besatzungsmächte, insbesondere Frankreichs, resultierenden Zustände im Ruhrgebiet.663 Nachdem sich die Weimarer Republik und ihr demokratisches Parteiensystem konsolidiert hatte, befasste sich die „Gleichheit“ auch in ihren Leitartikeln mit religiösen Fragen. Es galt, das religionsfeindliche Bild vom 661 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 86. 662 Vgl. Hagemann, Die Zeitung als Organismus, S. 57. 663 Vgl. Radtke-Warmuth, Elli: Weihnachten 1922. In: GL, 32/ 24/ 15.12.1922/ 213; Wurm, Mathilde: Neue Gefahren. In: GL, 33/ 03/ 01.02.1923/ 17; Nemitz, Anna: Noch immer Krieg. In: GL, 33/ 9-10/ 01./15.05.1923/ 82. 206 2.4.5 LEITARTIKEL, ARTIKEL UND RUBRIKEN Sozialismus zu entkräften, um den Einfluss des Zentrums auf die weibliche SPD-Wählerschaft zu mindern. Auf den „Gleichheit“-Titelblättern feierte man nun die hohen kirchlichen Feiertage und immer mehr Schöngeistiges fand Platz auf der bisher politischen Fragen vorbehaltenen ersten Seite. Die neue Redaktion ließ fast jedem Leitartikel ein Gedicht folgen664 und im 30. Jahrgang finden sich verstreut zwischen den Artikeln sogenannte „Splitter“ (Zitate, Sprüche Verse). Artikel – vor allem Leitartikel – namentlich zu zeichnen, hatte Zetkin für sich selbst, wie bereits erwähnt, als unnötig angesehen und dies mit ihrer für alle offensichtlichen redaktionellen Ver- antwortung begründet. Auch ihre Nachfolgerinnen blieben meist dabei, insbesondere Leitartikel nicht zu zeichnen, denn der ungezeichnete Leitartikel, so der Kommunikationswissenschaftler Walter Hagemann, deutet eben nicht auf ein „Verdecken der Verantwortlichkeiten“665 hin, sondern verfolgt den Zweck der „Entpersönlichung“666: „[I]n diesem Falle fühlt sich der Verfasser als Glied einer gleichgestimmten Ge- sinnungsgemeinschaft. Indem er von ‘wir’ und ‘uns’ spricht, tritt er als Träger einer Gemeinschaftsidee in Erscheinung, die nicht sein individuelles Geistesgut, sondern eine ihm aufgetragene Aufgabe darstellt.“667 Die Leitartikel der „Gleichheit“ sollten eine Gemeinschaft proletarischer Frauen schaffen. Die Namen der AutorInnen – so machen es auch die Initialen und Symbole der nicht zu identi- fizierenden MitarbeiterInnen deutlich – wurden bewusst entweder eingesetzt oder ausgelassen. Die Artikel der „Gleichheit“ fußten anfangs vor allem auf der von Zetkin und Bebel entwickelten sozialistischen Frauenemanzipationstheorie. Laut dieser war die soziale Frage sowie die Frage der Emanzipation der Frau im Grunde nur von der ökonomischen Verfassung der gegenwärtigen Gesellschaft und deren Kritik her zu beantworten. In den Artikeln und Abhandlungen der „Gleich- heit“ wurde deshalb die Erwerbstätigkeit der Frau sowohl grundsätzlich – vom Standpunkt der Parteipolitik, der Agitation und Organisation – als auch exemplarisch – z. B. in der Beschreibung der Arbeitsbedingungen verschiedener Berufszweige – zum zentralen Thema gemacht. Vorm- schlag bemerkt, dass ab 1905 die Artikel und Abhandlungen deutlich umfangreicher wurden. „Bereits aus Raumgründen mußten längere Abhandlungen bis 1905 ausgespart werden. Während die ‘fortgeschrittenen Proletarierinnen’ der Information und des Datenmaterials über den neuesten Stand der Bewegung bedurften, mußten für ein breiteres Publikum theoretische Abhandlungen über Sozialismus und Frauenbe- wegung eingeführt werden. Die Auseinandersetzungen innerhalb der Sozialdemo- kratie tragen das Ihre dazu bei, daß theoretische Probleme auf breiterem Raum 664 Welche inhaltlichen Bezüge das jeweilige Gedicht zum Leitartikel hatte, müsste an anderer Stelle noch dezidiert untersucht werden. 665 Hagemann, Die Zeitung als Organismus, S. 61. 666 Ebd. 667 Ebd. 207 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) diskutiert werden als in den ersten Jahrgängen.“668 Der größere Umfang einzelner Artikel erklärt sich demnach nicht nur aus der Umgestaltung der „Gleichheit“ und der Reduzierung des Feuilletonanteils im Hauptblatt, sondern auch aus inhaltlich-konzeptionellen Veränderungen. Vormschlag stellt darüber hinaus eine gewisse Weit- schweifigkeit und auch Wiederholung der in den Artikeln der„Gleichheit“ behandelten Themen fest. Es sollte „die bedauernswerte Lage der Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen immer von neuem angeprangert werden, um so die Mängel des kapitalistischen Systems und der monarchistischen Verfassung bloßzulegen“669. Wenig plausibel erscheint es, wenn Vormschlag diese Vorgehensweise nicht als einen „direkten“ Angriff gegen Regierung und Regierungssystem interpretiert670, gingen doch aus den Be- schreibungen proletarischer Arbeitsbedingungen oft sehr konkrete Forderungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen hervor. Zum Beispiel wurde für die Forderung des Achtstundentages auf diese Weise sowohl in den Gewerkschafts- als auch in den Parteiorganisationen erfolgreich agitiert. Nicht nur die Leitartikel, sondern auch Artikel und Abhandlungen wurden von der neuen Re- daktion dem vorrangigen Ziel unterstellt, den Versailler Vertrag als ungerecht und unrechtmäßig anzuprangern. Zu den überragenden Themen gehörten weiterhin die Nationalversammlung , die neue Verfassung, das Wahlverhalten der Frauen und die Wohlfahrtspflege. Man wandte sich vor- nehmlich der Rolle der Frau als einer inner- aber auch außerfamiliären Sozialarbeiterin zu. Die proletarische Frauenbewegung regredierte, so Thönnessen, zur „Schulungsorganisation sozialer Nothelferinnen“671. Die „Gleichheit“ berichtete – wie an den Tätigkeitsfeldern einzelner Mit- arbeiterInnen bereits beschrieben – verstärkt u. a. über die rechtliche Gleichstellung des unehe- lichen Kindes, die Arbeiterwohlfahrt, den Geburtenrückgang, die gesetzliche Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten und den Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen. Entwicklung und Aufgaben einer politischen Zeitschrift spiegeln sich aber nicht nur in Leitartikeln, Artikeln und Abhandlungen wider, sondern auch in der Entwicklung und den Aufgaben einzelner Rubriken und Beilagen. Sie sind wichtige strukturelle Bestandteile einer Zeit- schrift und stehen im besonderen Maße für die erstrebte Vernetzung der Organisationen und für die Vielfalt der Informationen, die die Leserinnen erreichen sollten. Die eingangs von Vormschlag 668 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 97. 669 Ebd., S. 97-98. 670 Vgl. ebd. 671 Thönnessen, Frauenemanzipation, S. 7. 208 2.4.5 LEITARTIKEL, ARTIKEL UND RUBRIKEN definierten Themenbereiche lassen sich auch in diesen Bestandteilen der „Gleichheit“ wiedererkennen. Zudem stehen aber manche der ersten Rubriken auch für den Charakter der „Gleichheit“ als Ratgeber und Kulturzeitschrift, der sich schließlich in der Einführung der Beilagen besonders ausprägte. Für die Hauptblatt-Rubriken gilt die von Vormschlag formulierte Charakterisierung: „Minutiös sind die Einzelheiten des Kampfes der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften um politische und soziale Gleichstellung verzeichnet, sowie die Ereignisse der Frauenbewegung des In- und Auslandes. Ein Durchblättern der einzelnen Jahrgänge verschafft einen Einblick in die Lage der Arbeiterschaft in den verschiedenen Gebieten Deutschlands und in den einzelnen Industriezweigen. Strategische Überlegungen und taktische Kniffe kennzeichnen die Auseinandersetzungen mit dem wirtschaftlichen und politischen Gegner wie auch die Angriffe auf Passivität und Indifferenz gegenüber sozialistischen Zielen in den eigenen Reihen.“672 Die vornehmliche Aufgabe der verschiedenen Rubriken war es, diese vielfältigen Inhalte möglichst übersichtlich zu vermitteln. Bezüglich der dafür notwendigen Strukturierung konnte sich die „Gleichheit“ zwar erneut an ihrer Vorgängerin, der „Arbeiterin“, orientieren, doch wahrte sie nicht nur eine gewisse Kontinuität, sie setzte auch auf eine Optimierung. Wie zuvor in der „Arbeiterin“ folgten den obligatorischen Leitartikeln und Artikeln die Rubriken „Arbeiterinnen-Bewegung“ und „Kleine Nachrichten“. Diese zwei in einem sehr engen und kleinen Druck gehaltenen Rubriken wirken auf den ersten Blick relativ unübersichtlich. Umso mehr stechen jedoch die größer und fett gedruckten Ortsnamen, Schlagworte und „Halbsatz“- Überschriften aus ihnen hervor. Dieses redaktionelle Kalkül gab den Leserinnen nicht nur einen schnelleren Überblick über die gesamte proletarische Frauenbewegung, sondern vor allem gezielte Informationen zu ihrer eigenen jeweiligen lokalen und regionalen Organisation. Es waren vor allem jene beiden Rubriken, die die große Bedeutung der „Gleichheit“ als Vernetzungsinstrument der proletarischen Frauenbewegung ausmachten. Über eine erste Veränderung der Rubrik „Arbeiterinnen-Bewegung“ wurden die „Gleichheit“- Leserinnen bereits im Dezember 1892 in Kenntnis gesetzt. Obwohl der Umfang der Rubrik sich zukünftig verringern sollte, wurden die Leserinnen aufgefordert, besonders für diese Rubrik eigenständig entsprechende Berichte zu verfassen und an die Redaktion zu schicken.673 Die in der Rubrik skizzierten Veranstaltungen wurden in öffentliche Versammlungen und in Vereins- versammlungen unterschieden. Unter den jeweiligen Städtenamen – die zudem größer und in alphabetischer Reihenfolge gedruckt waren – fanden die Leserinnen Angaben zu der aus- 672 Ebd., S. 86 673 Vgl. Zur Kenntnißnahme unserer Leserinnen. In: GL, 02/ 25/ 14.12.1892/ 203. 209 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) richtenden Organisation, zum Vortragsthema und den Namen der/des Vortragenden. In der Rubrik „Kleine Nachrichten“ hob man dagegen jeweils den ersten Satz oder Halbsatz eines Artikels her- vor. Besonders häufig enthielt sie detaillierte Schilderungen proletarischer Arbeitsbedingungen, von Lohnkämpfen und von Misshandlungen der Arbeiterinnen – auch die Namen der jeweiligen Betriebe und Verantwortlichen blieben nicht ungenannt. Im Oktober 1895 wurde die Rubrik „Arbeiterinnen-Bewegung“ in „Aus der Bewegung“ umbenannt.674 Immer noch wurden Ortsnamen, Institutionen, Vortragende, Schlagwörter und/oder Vortragstitel optisch hervorgehoben. Zusätzlich erfolgte aber schließlich eine Unterteilung in die zwei Unterrubriken „Von der Agitation“675 und „Von den Organisationen“676. 1905 wurden unter der Rubrik „Aus der Bewegung“ auch eine „Genossenschaftliche Rundschau“677, eine „Politische Rundschau“678 und eine „Gewerkschaftliche Rundschau“679 eingeführt. Vermutlich geschah dies in Anlehnung an andere sozialdemokratische Presseorgane wie die „Neue Zeit“ und die „Sozialis- tischen Monatshefte“. In der Gewerkschaftlichen Rundschau wurden 1908 die „Gleichheit“- Leserinnen unter anderem zum Boykott der Musik-Schallplatten der Firma „Favorite“ aufgerufen, weil diese ihren Arbeitern das Koalitionsrecht verweigerte.680 1913 berichtete eine Person mit dem Kürzel # , dass es „[i]n der elektronischen Weltfirma von Robert Bosch in Stuttgart“681 zu einer Aussperrung gekommen sei. Obwohl Bosch im „Rufe sozialen Verständnisses“682 stand, weil er u. a. den Achtstundentag eingeführt hatte, und obwohl er in einem freundschaftlichen Verhältnis zu Zetkin stand, vertrat die „Gleichheit“ in Fragen der Arbeiterinnenrechte selbst gegenüber be- 674 Vgl. GL, 05/ 21/ 16.10.1895/ 162. 675 Seit GL, 07/ 07/ 31.03.1897/ 52. 676 Seit GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 45 (diese Rubrik erschien deutlich seltener als die Rubrik „Von der Agitation“). 677 Vgl. GL, 15/ 02/ 25.01.1905/ 11 (hier noch als Rubrik des Notizenteils). Anfangs von Katzenstein betreut, wurde diese Rubrik ab Nummer 24 des 16. Jahrgangs vornehmlich von H. Fl. geschrieben. Im 23. Jahrgang sind es vor allem Artikel von H. F. (vermutlich Henriette Fürth), im 29. Jahrgang von Adolf Rupprecht, die diese Rubrik prägen. 678 Vgl. GL, 15/ 03/ 08.02.1905/ 16. Die politische Rundschau des 15. Jahrgangs wurde vornehmlich von G.L. (even- tuell Georg Ledebour), ab Nummer 2 des 17. Jahrgangs von H.B. und ab Nummer 13 des 24. Jahrgangs vor allem von A.Th. gestaltet – all diese Initialen wie auch die später verwendeten Symbole wie □ konnten nicht zugeordnet werden. Im 16. Jahrgang beschäftigte sich die politische Rundschau hauptsächlich mit der Berichterstattung über die revolutionäre Bewegung in Russland. Der 17. Jahrgang enthielt an dieser Stelle vor allem Berichterstattungen aus dem Reichstag und zu den Wahlen. Schließlich übernahm K. H. – hinter diesem Kürzel verbarg sich vermutlich Kurt Heilbut – die Gestaltung dieser Rubrik, die letztmalig im 29. Jahrgang (vgl. GL, 29/ 17/ 23.05.1919/ 136) erschien und dann durch die ähnliche, nur noch selten erscheinende Rubrik „Umschau“ ersetzt wurde. 679 Vgl. ebd. Diese Rubrik wurde wie bereits erwähnt im 15. Jahrgang vornehmlich von Katzenstein, aber auch von einer Person, die mit # zeichnete gestaltet. (vgl. z. B. Bericht vom Kölner Gewerkschaftskongreß. In: GL, 15/ 12/ 14.06.1905/ 71). 680 Vgl. GL, 19/ 05/ 07.12.1908/ 79. 681 GL, 23/ 20/ 25.06.1913/ 317. 682 Ebd. 210 2.4.5 LEITARTIKEL, ARTIKEL UND RUBRIKEN freundeten Unternehmen eine klare Position. Die „Gewerkschaftliche“ und „Genossenschaftliche Rundschau“ der „Gleichheit“ war aber auch Schauplatz nationaler Ressentiments – dies sogar unter der Redaktion Zetkins. Die Vereinsvertreterinnen betonten in ihren Berichten die Tüchtigkeit ihrer Organisationen und deren gutes Funktionieren im Bestreben, das deutsche Wirtschaftsleben aufrechtzuerhalten. Nicht nur, dass sie sich ihrer tragenden Rolle an der Heimatfront brüsteten und so zur Kriegsunterstützung beitrugen, zudem traten sie bereits vor Kriegsbeginn u. a. in Gestalt der Konsumvereine in eine direkte Konkurrenz mit anderen Nationen. Stolz verkündete die „Gleichheit“ im Januar 1914, dass „das erste und klassische Land der Konsumvereine!“683 – Eng- land – in seiner Leistungsfähigkeit wohl bald eingeholt sei. Die Rubrik „Von der Agitation“ bot überwiegend Berichte über Ort und Verlauf einer Demonstra- tion, den Inhalt eines Vortrages, die Anzahl der Teilnehmenden und die Anzahl neu geworbener Mitglieder. An ihnen wird auffällig, dass die „Gleichheit“ lokale öffentliche Veranstaltungen selten im Vorfeld ankündigte oder bewarb. Solcherlei Werbung erfolgte lediglich für die jährlichen Maidemonstrationen, Parteitage und internationalen Frauentage. Lokal begrenzte Veranstaltungen müssen demnach weiterhin vornehmlich persönlich, per Handzettel oder Plakat angekündigt worden sein. Unverständlicherweise ließ die „Gleichheit“ ein ihr gegebenes agitatorisches und or- ganisatorisches Potential ungenutzt. Waren die Veranstaltungen zu spontan oder zu geheim, um in einem vierzehntäglich erscheinendem Blatt vorab beworben zu werden? Wenn ja, dann hätte dieses Manko mit der zunehmenden Organisation der Frauen und mit dem Reichsvereinsgesetz 1908 behoben werden können, was aber nicht geschah. Die Rubrik „Aus der Bewegung“ und ihre beiden ersten Unterrubriken waren der Beitrag der „Gleichheit“ zur Organisation der proletarischen Frauenbewegung und somit ein wichtiges Element des Selbstverständnisses und der Aufgabenstellung der „Gleichheit“. Als zentrales Organ der proletarischen Frauenbewegung vermittelte sie nicht nur allgemeine Inhalte politischer Bil- dung und Agitation, sondern informierte über Vereinsgründungen, Mitgliederentwicklungen und die Verläufe lokaler Arbeitskämpfe – kurzum: Sie berichtete wirklich „aus der Bewegung“ und vernetzte deren Trägerinnen. Indem Agitatorinnen und Bezirke namentlich genannt wurden, wurde unzweifelhaft auch eine „gegenseitige Verbundenheit“684 gefördert – eine Verbundenheit sowohl unterhalb den Agitatorinnen, den interessierten Leserinnen als auch zwischen diesen bei- 683 GL, 25/ 09/ 22.01.1914/ 50. 684 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 95. 211 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) den Gruppen. Die Agitatorinnen wünschten sich, dadurch nicht nur ein Gruppenbewusstsein, ein „Wir-Gefühl“685 zu fördern, sondern möglichst auch ein Klassenbewusstsein. Die Arbeit für Bewegung und „Gleichheit“ bot aber auch die Möglichkeit, sich persönlich zu profilieren und gab damit Grund für Konkurrenzstreitigkeiten innerhalb der proletarischen Frauenbewegung. Grup- penbewusstsein und persönliche Ebene schufen nach Meinung Vormschlags für die „Gleichheit“ zusätzlich die Möglichkeit, „eine gewisse Kontrolle über die Agitationsarbeit in den einzelnen Bezirken aus[zuüben]“686. Dort konnte das „Wir-Gefühl“ jedoch auch schnell in die Ablehnung „alles Außerhalbstehende[n]“687 umschlagen. Auch dies ist ein Phänomen, welches sich in den Rubriken wiederfindet. Besonders auffälliges Beispiel für einen solchen Ausschluss ist die der Entlassung Zetkins auf dem Fuße folgende Umbenennung der Rubrik „Aus der Bewegung“ in „Aus unserer Bewegung“.688 Die neue Redaktion bestätigte damit bereits in ihrer ersten Nummer – und später umso deutlicher mit den Änderungen der „Gleichheit“-Untertitel – die auch für die Frauenbewegung der SPD geltende These, dass Ausgrenzung eine Form der Identitätsstiftung ist. Zu Erscheinungsbeginn besaß die „Gleichheit“ genau wie die „Arbeiterin“ die Rubrik „Kleine Nachrichten“, die ihrem Namen entsprechend eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Mitteilungen enthielt. Seit Februar 1896 erschien in den „Kleinen Nachrichten“ eine Unterrubrik mit dem Titel „Ausländische Frauenbewegung“, in der vornehmlich Braun über die Fortschritte anderer nationaler Frauenbewegungen und über die steigende Zahl von Frauen in akademischen Berufen berichtete.689 Schließlich war es auch Braun, die gemeinsam mit Zetkin den die „Kleinen Nach- richten“ ersetzenden „Notizentheil“690 einrichtete. Bis zu Brauns Entlassung war dieser sehr gut strukturierte Teil der „Gleichheit“ stets mit der Bemerkung versehen, dass er aus der Feder „von Lily Braun und Klara Zetkin“ stammte. Die Redaktion maß ihm große Bedeutung bei und wollte zu seinen Gunsten sogar den für die Artikel zur Verfügung stehenden Raum kürzen. Im „voll- ständig, reichhaltig und vor Allem so übersichtlich als möglich“691 gestalteten Notizenteil sollte „Thatsachenmaterial […] über die Arbei ts- und Lebensbedin- gungen der prole tar ischen Frauen , über den Stand und die Entwicklung der Arbei ter innenorganisat ionen im In- und Ausland, über den Stand und 685 Vgl. ebd. 686 Ebd. 687 Ebd. 688 Vgl. GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 122. 689 Vgl. Die Redaktion: An die Leserinnen und Leser. In: GL, 06/ 04/ 19.02.1896/ 32. 690 Vgl. GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 111-112. 691 Die Redaktion: An die Leserinnen und Leser. In: GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 106. 212 2.4.5 LEITARTIKEL, ARTIKEL UND RUBRIKEN die Entwicklung der Frauenbewegung allerwärts, über die Fabrikinspekt ion ec. ec.“692 erscheinen, wobei der „sozialen Gesetzgebung “693 besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Der erste erschienene Notizenteil gliederte sich in folgende Unterrubriken: „Ge- werkschaftliche Arbeiterinnen-Organisation“, „Soziale Gesetzgebung“, „Frauenarbeit auf dem Gebiete der Industrie, des Handels und Verkehrswesens“, „Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen“ und „Frauenbewegung“.694 Manche der Unterrubriken des Notizenteils entstanden aus einmaligen konkreten Anlässen, andere erschienen relativ regelmäßig. Ersteren zuzurechnen sind vor allem die Rubriken mit dem Titel „Die Polizei im Kampf gegen die proletarische Frauenbewegung“ oder „Die Staatsanwaltschaft […]“ bzw. „Die Behörden im Kampfe gegen die proletarischen Frauen“695, in denen über die Auflösungen von Versammlungen, Verhaftungen und Gerichts- verhandlungen berichtet wurde. Weitere Rubrikentitel offenbaren die Vielfalt der Thematik: „Weibliche Fabrikinspektoren“, „Sozialistische Frauenbewegung im Auslande“696, „Gesundheits- schädliche Folgen industrieller Frauenarbeit“697, „Publikationen zur Frauenfrage“, „Kinder- arbeit“698, „Schul- und Erziehungswesen“699, „Sittlichkeitsfrage“700, „Frauenstimmrecht“701, „Statistisches zur Frauenfrage“702, „Soziale Fürsorge für Kinder und Mütter“703, „Frauengenossen- schaften“, „Soziale Reformen“704, „Dienstbotenfrage“705. Braun und Zetkin legten mit dem Notizenteil den Grundstein für eine übersichtliche Gliederung der Rubriken. Dass am 5. Juni 1901 der Notizenteil erstmals ohne den erwähnten Hinweis auf die für ihn Verantwortlichen erschien, markierte den Zeitpunkt von Brauns Entlassung aus der „Gleichheit“-Redaktion.706 692 Ebd. 693 Ebd. 694 Vgl. GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 111-112. 695 Vgl. GL, 07/ 08/ 17.04.1907/ 65-66. 696 Vgl. für die Einführung beider Rubriken GL, 07/ 15/ 21.07.1897/ 119-120. 697 Vgl. GL, 07/ 17/ 18.08.1897/ 134. 698 Vgl. für die Einführung beider Rubriken GL, 07/ 21/ 13.10.1897/ 167-168. 699 Vgl. GL, 07/ 25/ 08.12.1897/ 199. 700 Vgl. GL, 07/ 26/ 22.12.1897/ 208. 701 Vgl. GL, 08/ 02/ 19.01.1898/ 15. 702 Vgl. GL, 08/ 03/ 02.02.1898/ 24. 703 Vgl. GL, 08/ 17/ 17.08.1898/ 135. 704 Vgl. für die Einführung beider Rubriken GL, 08/ 21/ 12.10.1898/ 167. 705 Vgl. GL, 08/ 26/ 21.12.1898/ 207. 706 Braun hatte, wie bereits erwähnt, mehrere Vorschläge für die vernetzende und agitierende Aufgabenstellung der proletarischen Frauenbewegung zur Diskussion gestellt. Ihr waren jedoch statt Anerkennung nur Kritik und 213 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Der Notizenteil wurde auch ohne Braun weitergeführt und entwickelte sich fort. Wenn auch auffällig seltener, wurden doch auch weiterhin neue Rubriken wie „Vereinsrecht der Frauen“707, „Frauen in öffentlichen Ämtern“708 und „Bürgerliches Recht der Frau“709 eingerichtet. Angesichts der Fülle von Rubriken ist es nicht verwunderlich, dass der Notizenteil neben der Rubrik „Aus der Bewegung“ einen großen Teil einer „Gleichheit“-Nummer ausmachen konnte.710 Während des Ersten Weltkriegs nutzte Zetkin einzelne Rubriken, um der kriegsbefürwortenden Politik des Parteivorstandes ihr eigenes Verständnis von proletarischem Internationalismus und ihre Sicht der neuen Lage entgegenzusetzen: Am 16. Oktober 1914 erschien zum ersten Mal die Rubrik „Für den Frieden“711. Die „Gleichheit“ berichtete darin u. a. von Friedenskundgebungen in den USA, vom Frauenbund der Deutschen Friedensgesellschaft und Friedenskundgebungen des Internationalen Frauenstimmrechtsverbandes.712 Später waren es vor allem Berichte zu den revolutionären Ereignissen in Russland, die in dieser Rubrik veröffentlicht wurden. Direkte Kritik an der Politik der eigenen Partei aber übte die „Gleichheit“ besonders in der Rubrik „Burgfrieden“ 713. Sie enthielt vor allem Berichte über die Maßnahmen der Behörden gegen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Aus diesem Grund wurde die Rubrik Opfer der Zensur und von der Redaktion mit dem unauffälligeren Namen „Aus dem öffentlichen Leben“ versehen.714 Über die anhaltenden Querelen innerhalb der Partei – so z. B. über die Spaltung der sozialdemokratischen Fraktion des Preußischen Abgeordnetenhauses – informierte Zetkin seit Februar 1916 in der Rub- rik „Aus der Partei“715. Ablehnung entgegengebracht worden. Nach ihrer Entlassung verschwand ihr Name aus der „Gleichheit“. So, wie anlässlich der Einrichtung des Frauenbüros 1908 nichts und niemand daran erinnerte, dass diese Initiative hierfür von Braun ausgegangen war, so wurde auch ihr Verdienst um die Redaktion des Notizenteils nahezu vergessen. 707 Vgl. GL, 11/ 15/ 17.07.1901/ 117. 708 Vgl. GL, 13/ 10/ 06.05.1903/ 80. 709 Vgl. GL, 13/ 13/ 17.06.1903/ 104. 710 Laut Vormschlag füllten beide Rubriken in den ersten Jahren fast 50% des achtseitigen Umfangs einer Nummer (vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 94; Vormschlag verweist hier auf GL, 07/ 14/ 07.07.1897). 711 Vgl. GL, 25/ 02/ 16.10.1914/ 11-12. 712 Vgl. ebd. 713 Vgl. GL, 25/ 09/ 22.01.1915/ 51. 714 Vgl. GL, 26/ 22/ 21.07.1916/ 168. 715 Die Spaltung der sozialdemokratischen Fraktion des Preußischen Abgeordnetenhauses. In: GL, 27/ 10/ 16.02.1917/ 69-70. Interessanterweise sprach Zetkin in ihrem ersten in dieser Rubrik erscheinenden Artikel von einer „reinlichen Scheidung“. Hatte sie mit diesem Begriff bisher vor allem das Verhältnis zur bürgerlichen Frauenbewegung definiert, so warf sie nun den Mehrheitspolitikern vor, eine solche innerhalb der Partei pro- voziert zu haben (vgl. ebd.). 214 2.4.5 LEITARTIKEL, ARTIKEL UND RUBRIKEN Die neue „Gleichheit“-Redaktion hatte für den Notizenteil in seiner bisherigen Gestalt keinerlei Verwendung. Direkt in der ersten Nummer der „neuen“ „Gleichheit“ vom 8. Juni 1917 erschienen viele neue Rubriken, deren Überschriften in einen auffälligen schwarzen Rahmen gesetzt waren. Von diesen ersten neuen Rubriken erschienen in besonderer Regelmäßigkeit: „Politische Um- schau“, „Gewerkschaftliche Monatsschau“, „Vom Fortgang des Frauenrechts“, „Die Frau in der Gemeinde“, „Die Mutter als Erzieherin“ und „Bücherschau“.716 Die Rubrik „Die Frau als Arbeiterin“717 erschien dagegen sehr unregelmäßig. Wenig später kamen weitere Rubriken wie „Aus der bürgerlichen Frauenbewegung“718 und „Volkserziehung“719 hinzu. Es wurde kaum eine der letzten Rubriken der „alten“ „Gleichheit“ von der neuen Redaktion übernommen. So auch nicht die Rubrik „Sozialistische Frauenbewegung im Ausland“. Statt ihrer erschien auffällig spät – am 14. September 1917 – die Rubrik „Aus der Frauenbewegung des Auslandes“720. Der Titel zeigt, wie klassenkämpferische Begrifflichkeiten zunehmend aus der „Gleichheit“ verschwanden und wie sehr der Kontakt zu den ausländischen Frauenorganisationen geschwächt war. Zwar enthielt jene Rubrik stets mehrere kleine Artikel, doch größere Beiträge ausländischer Aktivistinnen wie sie unter der Redaktion Zetkins üblich waren, blieben aus. Ein Grund dafür könnte u. a. gewesen sein, dass die verbindende internationale Forderung nach dem Frauenwahlrecht mittlerweile durch die Einführung desselben in einigen Staaten nicht mehr den gemeinsamen Minimalkonsens darstellte. Ein weiterer Grund war jedoch sicherlich der Umstand, dass durch die Entlassung Zetkins nun die für die internationalen Kontakte und die internationale Berichterstattung entscheidende Person fehlte. Schließlich machten im Verlauf der Jahrgänge noch folgende Rubriken Gesicht und Inhalt der „Gleichheit“ aus: „Die Frau im Beruf“721, „Bevölkerungspolitik“722, „Kriegerfrauen und Krieger- witwen“723 und die Rubrik „Wohlfahrtspflege“, die als Auftakt über die Gründung der Arbeiter- 716 Vgl. GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 119-124. 717 Vgl. ebd. 718 Vgl. GL, 27/ 19/ 22.06.1917/ 132. Diese Rubrik stehe für die, so Vormschlag, „Annäherung, welche das Aufgeben des Postulats des Klassenkampfes ermöglicht“ (Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 100) habe. 719 Vgl. ebd. 720 Vgl. GL, 27/ 25/ 14.09.1917/ 177. Die Rubrik enthielt bei ihrem ersten Erscheinen einen Bericht aus Bulgarien und einen über eine im russischen Kasan abgehaltene Konferenz muslimischer Frauen. 721 Vgl. ebd., S. 179. 722 Vgl. GL, 28/ 12/ 15.03.1918/ 96. 723 Vgl. GL, 28/ 24/ 30.08.1918/ 191. 215 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) wohlfahrt berichtete.724 Die bereits erwähnte Rubrik „Freie Aussprache“725, die die „sachliche Verantwortung“726 und den „Gegenstand der Einsendung“727 völlig frei bei den Einsenderinnen beließ, besaß zwar einen interessanten Projektcharakter, weist jedoch kaum Artikel auf.728 724 Vgl. Juchacz, Marie: Arbeiterwohlfahrt. In: GL, 30/ 25/ 19.06.1920/ 206. Bereits am 13. November des Vorjahres, so erfährt man aus dem Artikel, hatte der Parteiausschuss auf Anregung des Parteivorstandes beschlossen, einen Haupstausschuss für Arbeiterwohlfahrt zu gründen (vgl. ebd.). Juchacz setzte diesen Artikel fort: Juchacz, Marie: Arbeiterwohlfahrt. II. In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 214-215; Arbeiterwohlfahrt. III. In: 30/ 27/ 03.07.1920/ 223. 725 Vgl. GL, 28/ 19/ 21.06.1918/ 152. Wie häufig diese Rubrik erschien konnte nicht zuverlässig recherchiert werden. Ein weiteres Mal erschien sie in GL, 28/ 20/ 05.07.1918/ 160. 726 [Ohne Titel:] In: GL, 28/ 19/ 21.06.1918/ 152. 727 Ebd. 728 Einer der in dieser Rubrik erschienenen Artikel gibt hinsichtlich der Rezeption der „Gleichheit“ einigen Aufschluss und soll an gegebener Stelle noch herangezogen werden. 216 2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN 2.4.6 Feuilleton und Beilagen Das Feuilleton ist derjenige Teil der „Gleichheit“, der sowohl in den damaligen Diskussionen wie auch in den neueren Studien am häufigsten bemängelt wird. Während die „Zeit-GenossInnen“ vor allem die Theorielastigkeit der „Gleichheit“ kritisierten und sich für eine Erweiterung des unter- haltsamen Teils aussprachen729, bemängeln heutige WissenschaftlerInnen dagegen eine „Feuil- letonisierung“ der „Gleichheit“. Das Niveau des „Gleichheit“-Feuilletons in Gestalt der Beilagen „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ und „Für unsere Kinder“ sowie später „Die Frau und ihr Haus“ habe zunehmend einen ungünstigen Einfluss auf den Inhalt des Hauptblattes genommen. Es ist besonders Vormschlag, die sich in ihrer Studie der Analyse dieses Prozesses der Feuille- tonisierung widmet.730 Wirklich setzte dieser Prozess erst mit der Einführung der Beilagen ein, wogegen in den Jahren zuvor „unter dem Strich“ ein besonderes Wechselspiel zwischen Feuilleton und Berichtteil zu beobachten war. Dieses Wechselspiel charakterisiert Vormschlag als eine „Agi- tation in Erzählform“731: „Das Mitgefühl der Leserin mit den Ausgebeuteten und vom Leben Benach- teiligten, welches wiederum ein Klassengefühl weckt, wird durch die Simplizität der Erzählung kaum geschmälert. Die rührend-sentimentale Beschreibung des Schicksals der ausgenutzten, zur Prostitution verführten und zum Selbstmord ge- triebenen Dienstboten, Näherinnen und Fabrikarbeiterinnen besitzt den Vorzug jeder Trivialliteratur, durch Verwendung bekannter Klischees besonders eingäng- lich zu sein.“732 Vormschlag bescheinigt damit der „Gleichheit“-Redaktion eine ausgeklügelte Form der Leserinnenansprache. Ebensolches konstatiert auch Gomard, bezieht diesen besonderen Brücken- schlag jedoch weniger auf den Schreibstil als auf die Struktur der „Gleichheit“: „Die Texte im Feuilleton waren weitgehend Paralleltexte zu den Artikeln.“733 Erschien z. B. ein Artikel über Heimarbeit, so folgte oft in derselben oder in der nächsten 729 Rückblickend schrieb Lion bereits 1926: „Durch die Geschichte der ‘Gleichheit’ zieht sich die Beanstandung ihrer Unpopularität.“ (Lion, Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 93). Die Zetkin‘sche „Gleichheit“ war nicht nur auf den von 1900 bis 1911 ungefähr alle zwei Jahre stattfindenden sozialdemokratischen Frauenkonferenzen, sondern auch auf den Parteitagen Gegenstand längerer Diskussionen (vgl. die Protokolle der SPD-Parteitage Stuttgart 1898 (S. 131f.); Bremen 1904 (S. 373f.); Jena 1905 (S. 279ff.); Magdeburg 1910 (S. 216ff.); Jena 1911 (S. 254ff.); Chemnitz 1912 (S. 257f.); Jena 1913 (S. 254ff.); Würzburg 1917 (S. 284ff., S. 247ff., S. 254, S. 267, S. 307f.)). Auf dem Parteitag 1916 in Berlin war bemerkenswerterweise zwar die Haltung der parteiinternen Opposition, aber nicht die Haltung der„Gleichheit“ Diskussionsthema. 730 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 20. 731 Ebd., S. 107. 732 Ebd., S. 107f. Vormschlag verweist hier auf: Goebeler, Dorothee: Aus Hunger. In: GL, 06/ 08/ 15.04.1896/ 59-62; GL, 06/ 09/ 29.04.1896/ 68-70; Lüders, C.: Eine alltägliche Geschichte. In: GL, 05/ 11/ 29.05.1895/ 84-85; Schulz, Carl Th.: Aristokratische Frauen. In: GL, 05/ 15/ 24.07.1895/ 118 und andere Erzählungen und Gedichte der ersten Jahrgänge, die teilweise anonym veröffentlicht wurden. 733 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 27. 217 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Nummer eine Erzählung oder ein Gedicht734 ähnlichen Inhalts. Die „Gleichheit“ betrieb auf diese Weise, so Gomard, eine geschickte „Agitation für Kopf und Herz“735 – dies sowohl in Artikeln als auch im Feuilleton. Die „Gleichheit“-Leserinnen wurden somit auf einer Ebene angesprochen, auf der ihre Gruppen- und Berufsheterogenität zweitrangig war. Der Appell an ihre Gefühle deckte sich mit ihrem Bedürfnis nach Ablenkung von ihren Alltagsproblemen. Dieses Bedürfnis war allen gemeinsam und schuf Identität. Während sich viele bürgerliche Frauen- und Unterhaltungs- zeitschriften allein diesen oberflächlichen Wünschen ihrer Leserinnen widmeten, war jedoch das Feuilleton der „Gleichheit“ vor allem als Ergänzung ihres politischen Bildungsprogramms konzipiert. Geiger/Weigel sprechen gar von einer „wirkungsästhetischen Doppelstrategie“736 der Beilagen. Friedrich dagegen ist im Sinne des sozialistischen Agitationsprogramms der Meinung, dass „[e]s […] nie eine besondere ‘sozialistische Frauendichtung’ gegeben [habe], und es [werde] sie auch nie geben“.737 In der ersten Nummer der „Gleichheit“ wurde das Feuilleton, wie zu jener Zeit üblich, in größeren Druck und „unter den Strich“ gesetzt. Hervorgehoben durch den größeren Druck und an diese markante Stelle gesetzt, waren die Texte für die Leserinnen besonders leicht zu finden. Sie fanden dort Werke unterschiedlichster literarischer Gattungen wie z. B. Erzählungen, Novellen, Gedichte und auch einige der für die vorliegende Dissertation zentralen biographischen Skizzen. Teilweise als Artikelserien konzipiert, war es nicht nur die Unterhaltsamkeit der Texte, die die Leserinnen auf diese Weise an die „Gleichheit“ band – wer wissen wollte, wie es weiterging, musste in die nächste Nummer schauen. Nur ein kleiner Teil der neueren Forschungsarbeiten zur „Gleichheit“ beschäftigt sich dezidiert mit deren Feuilleton und seinen Inhalten.738 Der von Vormschlag angelegten quantitativen Auswertung des Hauptblattfeuilletons zufolge, stammten die meisten Erzählungen aus den Federn von Guy de Maupassant, Emile Zola, Björnstjerne Björnson, August Strindberg, Alexander Kielland, Henrik Ibsen, Wladimir Korolenko, Iwan Turgenjew und Maxim Gorki. Die humorvollen und volkstümlichen Beiträge entlieh sich die „Gleichheit“-Redaktion, so Vorm- schlag, den Werken Mark Twains, Charles Dickens‘, Ludwig Anzensgrubers und Ludwig Thomas‘. Novellen stammten von Theodor Storm, Wilhelm Raabe und Gottfried Keller, weitere 734 Eine Auswahl verschiedener Gedichte – darunter vor allem solche mit politischer Intention – ist im Anhang enthalten. 735 Ebd. 736 Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 83. 737 Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. XI. Es ist jedoch unleugbar, dass die Leserinnen der „Gleichheit“ mit einer besonderen Literatur angesprochen werden sollten. Der Frage, ob diese die Grundlage eines besonderen Genres war, kann an dieser Stelle nicht nachgegangen werden. 738 Besonders hervorzuheben sind hier die Studien von Vormschlag, Gomard, Reutershan und Puschnerat. 218 2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN populäre Beiträge von Max Eyth und Ernst Zahn. Es erschienen bevorzugt Gedichte von Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Hölderlin, Percy B. Shelley, George Gordon Byron, Eduard Mörike, Ludwig Uhland, Joseph von Eichendorff, C. F. Meyer, Peter Hebel, Detlef von Liliencron, Ferdinand Freiligrath, Cäsar Flaischlen, O. E. Hartleben und Heinrich Heine.739 In einer vergleichenden Analyse der Jahrgänge 1895, 1905 und 1906 stellt Vormschlag des Weiteren fest, dass, während 1895 noch der Großteil der Prosabeiträge und Gedichte aus der Feder sozialistischer – und vermutlich parteinaher – SchriftstellerInnen stammte, deren Anteil 1906 nur noch 15 von 32 bei den Prosabeiträgen und nur noch 23 von 46 bei den Gedichten betrug. Werke sozialistischer SchriftstellerInnen wie Otto Krille, Lu Märten (1879-1970)740 und Ada Christen (1839-1901) und die Gedichte Robert Seidels (1850-1933)741, Klara Müller-Jahnkes (1861- 1905), Ada Negris (1870-1945) oder Emma Döltz‘ (1866-1950)742 machten bald nur noch die Hälfte des „Gleichheit“-Feuilletons aus.743 Mit dieser quantitativen Reduktion ideologisch geprägter Werke sieht Vormschlag sogar einen „Qualitätsanstieg“744 einhergehen. Zwar sei die sozialistische Tendenz als Auswahlkriterium nie vollkommen außer Acht gelassen worden, aber zusätzlich habe die künstlerische Form an Bedeutung gewonnen. Insgesamt attestiert Vormschlag der „Gleichheit“-Redaktion eine sehr „qualitätsorientierte[…] Auswahl“745 der Literatur. Dagegen kommt Richebächer jedoch zu einer ganz anderen Zusammenstellung der von der „Gleichheit“-Redaktion bevorzugten Literatur. Sie stützt sich dabei auf die den Leserinnen dargebotenen Leseempfehlungen. Von den deutschsprachigen AutorInnen seien dort den „Gleichheit“-Leserinnen vor allem Wilhelm Hauff, Emil Ludwig, Adelbert von Chamisso, 739 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 110. 740 Lu – eigentlich Luise Charlotte – Märten wuchs in Armut auf und wurde 1898 SPD-Mitglied. Sie trat später der USPD und schließlich der KPD bei. Ihre Werke wurden in über 80 Presseorganen veröffenlicht. 1933 wurde Märten aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. Ab 1945 arbeitete sie als Lektorin für den DDR-Verlag „Volk und Wissen“. 741 Robert Seidel war habilitierter Pädagoge und Publizist. Er stammte zwar aus Sachsen, emigrierte aber 1870 in die Schweiz. 742 Emma Döltz, geb. Lehmann, verlor im Kindesalter ihren Vater, wuchs im Steglitzer Armenhaus auf und half ihrer heimarbeitenden Mutter beim Nähen von Pantoffeln. Sie arbeitete erst in einer Stahlfederfabrik, dann als Posa- mentiererin, d.h. als Näherin für Applikationen, Borten oder Bänder. Nach ihrer Heirat mit dem Schlosser Döltz im Alter von 20 Jahren arbeitete sie gemeinsam mit ihren drei Kindern selbst als Näherin in Heimarbeit. Ein Vortrag Paul Singers begeisterte sie in den 1890er Jahren für die Sozialdemokratie. Seit 1903 engagierte sie sich in der Kinderschutzkommission von Berlin. Sie wurde Bezirksvorstandsmitglied der Berliner SPD und beteiligte sich an der Leitung der Berliner AWO. Während des Ersten Weltkrieges wurde Döltz Mitglied der USPD und später wieder der SPD. Seit 1894 erschienen ihre Arbeiten in der „Gleichheit“ und anderen SPD-Blättern. Laut Drust hatte Döltz 1908-1914 in der Kinderbeilage der „Gleichheit“ 60 Beiträge veröffentlicht (vgl. Drust, Für unsere Kinder, S. 198). 743 Von einigen dieser Vertreterinnen sozialistischer Literatur sind einzelne Gedichte im Anhang enthalten. 744 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 111. 745 Ebd., S. 110. 219 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Adalbert Stifter, Peter Rosegger, Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916)746 und Heinrich von Kleist empfohlen worden. Als „lesenswerte Ausländer“747 habe die Redaktion z. B. Miguel de Cervantes, Alphonse Daudet, Guy de Maupassant und Daniel Defoe erachtet.748 Angesichts dieser Vielzahl renommierter LiteratInnen bleibt die Behauptung Freiers, in der „Gleichheit“ seien „Erzählungen, Märchen und Gedichte[…] von meist unbekannten deutschen, englischen und russischen Schriftstellern“749 [Hervorhebung von M.S.] erschienen, vollkommen unerklärlich. Ebenso markant wie pikant ist jedoch die unbestreitbare Tatsache, dass im Feuilleton der ersten sozialistischen Frauenzeitschrift überwiegend männliche Schriftsteller vertreten waren. Zetkin hatte unverkennbar ein literarisches Konzept für das Feuilleton der „Gleichheit“. In ihrer 1911 verfassten Schrift „Kunst und Proletariat“ verdeutlichte sie ihre grundsätzlichen Erwar- tungen an eine Kunst, die „Geist vom Geiste des Sozialismus ist“750. Diese musste der Zielsetzung für eine zukünftige Gesellschaft entsprechen, in der „die allseitige, harmonische Entwicklung der proletarischen Männer und Frauen“751 gefördert werden sollte, um mit der „geläuterten, veredelten Genußfähigkeit ihre Kampfesfähigkeit“752 zu erhöhen.753 In dieser Hinsicht waren besonders die Elendsschilderungen – ob in literarischer oder berichtender Form – ein entscheidender, besonders anschaulicher und emotionaler Teil antikapitalistischer Aufklärung. Denn es war der Kapitalismus, in dem jenes Elend der ProletarierInnen, ihre miserablen Lebensbedingungen und ihre Rechtlosigkeit wurzelten. Diese Erkenntnis, dieses Bewusstsein galt es, zu vermitteln. Vormschlag sieht aber gerade dieses Konzept als gescheitert an, denn die „Skizzen aus dem trostlosen Arbei- teralltag [seien] von den Leserinnen nicht als unterhaltend und entspannend empfunden“754 worden. Solche „Empfindungen“ der Leserinnen – so nachvollziehbar sie auch wären – können von Vormschlag jedoch nicht belegt werden, denn eine aussagekräftige Untersuchung der „Gleich- heit“-Rezeption ist unmöglich. Zumindest fand in den Elendsschilderungen jedoch ein entscheidender Hoffnungsschimmer 746 Zu Ebner-Eschenbach in der „Gleichheit“ siehe: Der erste weibliche Ehrendoktor an einer deutschen Universität. In: GL, 10/ 21/ 10.10.1900/ 167. 747 Vgl. Richebächer, Uns fehlt nur eine Kleinigkeit, S. 117. 748 Vgl. ebd. Zum Leseverhalten von ArbeiterInnen siehe: Klucsarits/Kürbisch, Arbeiterinnen kämpfen um ihr Recht; Bertlein, Jugendleben und soziales Bildungsschicksal; Steinberg, Lesegewohnheiten deutscher Arbeiter. 749 Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 25. 750 Zetkin, Kunst und Proletariat, S. 194. 751 Der Parteitag zu Gotha-Siebleben. In: GL, 06/ 22/ 28.10.1896/ 169-170, S. 169. 752 Ebd. 753 Für eine detaillierte Untersuchung der künstlerischen Qualität sozialistischer Literatur, wie sie auch im „Gleich- heit“-Feuilleton veröffentlicht wurde, siehe: Reutershan, Clara Zetkin und Brot und Rosen. Literaturpolitische Konflikte zwischen Partei und Frauenbewegung in der deutschen Vorkriegssozialdemokratie. 754 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 160. 220 2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN Ausdruck: Proletarisches Elend hat nicht nur eine konkrete Ursache, es ist auch weder schicksal- haft noch unveränderlich. Um das Unrechtssystem im notwendigen gemeinsamen Klassenkampf zu überwinden, fehlt es lediglich an einem die proletarischen Kräfte mobilisierenden und weg- weisenden Kampfziel – an einer Utopie.755 War die Intention des „Gleichheit“-Feuilletons einerseits, die Leserinnen von der in Groschenromanen innewohnenden „Wirklichkeitsflucht zu einer Auseinandersetzung mit den eigenen Erfahrungen“756 zu bewegen, so ergab sich jedoch andererseits aus seinem Gehalt an utopischer Literatur ein deutlicher Widerspruch. Tatsächlich bot auch die „Gleichheit“ Möglichkeiten der Wirklichkeitsflucht, denn in ihr wurden auch die drei bekanntesten utopischen Werke sozialistischer Intention besprochen: Nahezu allgegenwärtig das Werk Bebels „Die Frau und der Sozialismus“, Edward Bellamys „Ein Rückblick aus dem Jahr 2000“ – von Zetkin persönlich zu Beginn ihrer Karriere ins Deutsche übersetzt – und schließlich „Kunde von Nirgendwo“ (1890) von William Morris.757 Gerade die Anlehnung der „Gleichheit“ an Bebels sehr abstrakte Beschreibungen der ver- schiedenen Fähigkeiten und Tätigkeiten der Frauen im Sozialismus, so die Kritik Gomards, habe dazu geführt, dass auch die utopischen Anteile der „Gleichheit“ abstrakt geblieben seien. Doch nicht nur dies. Die von der „Gleichheit“ im Feuilleton angebotenen „direkten Utopien“758 seien noch dazu sehr langweilig gewesen.759 Das „Gleichheit“-Feuilleton und die gesamte proletarische Literatur hätten es nicht vermocht, utopische Leitgedanken genauso konkret und vermittelbar zu gestalten wie die im Stile von Naturalismus und Realismus verfassten sozialkritischen Darstellungen der Wirklichkeit. Noch ein weiteres vermeintliches Unvermögen der „Gleichheit“ lässt sich laut Vormschlag anhand ihres Feuilletons feststellen: Die „Gleichheit“ habe versucht, sich mit ihren literarischen Beiträgen „von den bürgerlich traditionellen Regeln“760 abzusetzen. Während Vormschlag diesen Versuch der „Gleichheit“ als gelungen erachtet und der Meinung ist, dass damit die Intention einer sozialistischen und klassenkämpferischen Zeitschrift sinnvoll 755 Vgl. Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität und Utopie, S. 40. 756 Ebd., S. 40. 757 Zu den utopischen Romanen in der „Gleichheit“ siehe: Nirgendwo? In: GL, 25/ 06/ 11.12.1914/ 24-29. Dieser Artikel gab eine inhaltliche Skizze des Romans und bewarb die für den günstigen Preis von 1 Mark von Wilhelm Liebknecht im Verlag J. H. W. Dietz Nachf. herausgegebene Neuausgabe. Außerdem: Bellamy, Eduard: Was die Revolution für die Frauen that. In: GL, 08/ 01/ 05.01.1898/ 4-6. Es handelte sich dabei um ein Kapitel aus Bellamys Roman „Gleichheit“ (1897), der eine Fortsetzung seines ersten Zukunftsromans darstellt. Weiterführend verweise ich auf: Behrend/Neubert-Köpsel/Lieske, Rückblick aus dem Jahr 2000 – Was haben Gesellschaftsutopien uns gebracht?. 758 Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität und Utopie, S. 41. 759 vgl. ebd. 760 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 109. 221 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) ergänzt wurde761, sieht es Puschnerat als erwiesen an, dass die „Gleichheit“ mit der starken Rezeption bürgerlich klassischer Literatur sich selbst im Wege gestanden und lediglich bürger- liche Erziehungsziele und Bildungsinhalte reproduziert habe.762 Wenn jedoch auch die obige Aufstellung literarischer AutorInnen dieses formale und inhaltliche Verhaftetsein in der bürger- lichen Literaturtradition hinreichend belegt, so braucht dies keineswegs als Einschränkung des agitatorischen Anspruchs der „Gleichheit“ interpretiert werden. Dass die „Gleichheit“ in weiten Teilen durchaus an ein bürgerliches Kulturideal anknüpfte, ist nicht zu leugnen, wird aber von kritischen WissenschaftlerInnen m. E. unzureichend reflektiert. Wenn Gomards Kritik zutrifft, dass der Literaturkanon der „Gleichheit“ tatsächlich keinerlei „alternative proletarische Ästhetik“ 763 bot, so stellt sich die Frage, worin die Ursachen dafür zu suchen sind? Eine originär proletarische Bildung – zumal Frauenbildung – war erst im Entstehen. Allemal galt dies auch für eine originär proletarische Kunst und Kultur. Nach Zetkins Meinung war das Proletariat vorerst gezwungen, auf den bürgerlichen Literatur- und Bildungskanon zurückzugreifen.764 Doch auch ohne den Mangel an proletarischer Literatur hätte Zetkin ihre Definition von „Kulturfortschritt“ wahrscheinlich an der Rezeption klassischer Literatur festgemacht. Dies, so stimme ich Puschnerat zu, war nun einmal ihr sicherlich durch ihre Lehrerinnenausbildung „inhaltlich und ästhetisch konventionell“765 geprägtes Kulturverständnis, welches sie auch von der „Gleichheit“- Mitarbeiterschaft vertreten sehen wollte. War sich Zetkin der Wirkung dieses auf bürgerlichen Werten basierenden Kulturverständnisses nicht bewusst? Erkannte sie nicht, dass damit bürgerliche Erziehungsziele und Bildungsinhalte reproduziert wurden, die zu einem mächtigen Stützpfeiler des kapitalistischen Systems wurden? Der Einfluss durch die Verinnerlichung bürgerlicher Wertvorstellungen musste in seiner Wirkung auf die Proletarierinnen doch deutlich gefährlicher sein als eine offene Kooperation mit der bürgerlichen Frauenbewegung wie sie immer von ihr bekämpft wurde.766 Zetkin strebte mit der „Gleichheit“ die kulturelle Hebung des weib- lichen Proletariats an. Darunter verstand sie die Hebung auf ein zumindest bürgerliches Niveau – auch deshalb, weil sie das Proletariat als legitimen Erben und Überwinder der marode 761 Ebd. 762 Vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 190. 763 Gomard, Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit, S. 67. 764 Vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 186 ff. 765 Ebd., S. 193. Wie sich später noch an den in der „Gleichheit“ veröffentlichten Frauenbiographien erweisen wird, blieb Zetkin auch hinsichtlich einer Charakterisierung der kulturschaffenden Massen eher konventionell: Hier der geniale Einzelne – dort die rezipierende Masse. Ein Gedanke wie ihn der Künstler Joseph Beuys in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts formuliert hatte – jeder Mensch ist ein Künstler – wäre Zetkin wohl sehr fremd ge- wesen. 766 Vgl. Richebächer, Uns fehlt nur eine Kleinigkeit, S. 117 und Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 190. 222 2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN gewordenen bürgerlichen Kultur betrachtete. Es musste ihr also auch legitim und förderlich erscheinen, eine originär proletarische Bildung sowohl mittels proletarischer Kunst und Literatur als auch mittels der Bezugnahme auf historische Vorgänger zu initieren. Entscheidend ist, dass die „Gleichheit“-Redakteurin hierbei keineswegs willkürlich oder wahllos vorging. Auch die Werke Schillers und Goethes, so muss selbst Puschnerat eingestehen, wurden einer Auswahl unterzogen. 767 Diese Auswahl belegt, dass auch klassische Literatur durchaus in einem sozialistischen Kontext gesehen werden kann. Viele bürgerliche Literaten, wenn sie auch in ihren Werken nicht explizit sozialistische Ideale vertraten, waren Kritiker ihrer zeitgenössischen Gesellschaft. Es oblag der Redaktion der „Gleichheit“, auch in Texten, die vor jeder Industrialisierung und vor der Entwicklung der sozialistischen Theorie entstanden waren, Inhalte zu entdecken, die ihrem Bildungsauftrag förderlich sein konnten. Gomard verweist hier auf Goethes „Prometheus“ (1789), auf Texte aus den Freiheitskriegen oder aus dem Vormärz, die von der „Gleichheit“ aufgegriffen wurden.768 Viele dieser Texte handelten von Auflehnung und Freiheitsdrang und waren unter ganz anderen materiellen und geistigen Voraussetzungen entstanden als die, welche für die pro- letarische Frauenbewegung bestimmend wurden. Sie hatten aber dennoch Aussagekraft. Mehr Aussagekraft als diejenige bürgerliche Literatur, die trotz aller enthaltener Sozialkritik meist nur „bürgerliche Mitleidsliteratur über kleine Leute“ war. Selbst wenn in der „Gleichheit“ u. a. auch solche Literatur und das „ohne die Perspektive des Klassenkampfes“769 vermittelt worden sei, bleibt es m. E. eine unbestreitbar große Leistung der „Gleichheit“, die für die sozialistische Bewegung relevanten Inhalte klassischer Literatur und deren Bezug zu den Fragen der Gegenwart herausgearbeitet und so eine Verbindung zur Tradition des humanistischen Erbes geschaffen zu haben. In jenem traditionsbezogenen Zusammenhang stehen auch die Biographien einzelner Persönlichkeiten, die ein besonderer Bestandteil des Feuilletons sind. Sie vermitteln historische Rückblicke, die sowohl eine gefühlsmäßige Motivation770 der LeserInnen als auch die Ausbildung eines spezifischen Geschichtsbewusstseins intendierten. Die Analyse der geschichtlichen Ent- wicklungen – so die Botschaft des Bebel‘schen Werkes „Die Frau und der Sozialismus“ und des historischen Materialismus771 – gab die Erklärung für ihre eigene gegenwärtige Lebenssituation. Den Einfluss dieser wiederum recht abstrakten Entwicklungsverläufe auf das alltägliche Leben 767 Vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 188f. 768 Gomard, Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit, S. 67. 769 Ebd. 770 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 108. 771 Als aktuellste einführende Literatur zum historischen Materialismus siehe: Brosius, Strukturen der Geschichte. 223 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) konnten die Lebensläufe einzelner Personen konkret aufzeigen. Die geschickte Art und Weise, wie in diese Biographien scharfe Kritik an Kapitalismus und Monarchie eingeflochten wurde, macht Vormschlag z. B. an einer Artikelserie fest, die die „Gleichheit“ 1895 zum Leben Maria Stuarts veröffentlichte.772 Auch der führende Parteihistoriker und „Neue Zeit“-Mitarbeiter Franz Mehring habe in seinem Artikel zu Friedrich II. von Preußen773 „die Darstellung historischer Ereignisse mit polemischen Seitenhieben gegen das Kaiserhaus“774 verbunden. Der Feuilletonteil der „Gleich- heit“ war damit in seiner Kombination emotionaler und wissenschaftlicher Inhalte ein nicht zu „unterschätzende[r] Faktor der Agitation und der weiblichen sozialistischen Erziehung“775. Wie sehr er damit nicht nur Einfluss auf das politische Verständnis der proletarischen Frauen, sondern auch auf ihr Selbstbewusstsein nahm bzw. nehmen wollte, wird anhand der biographischen Skizzen noch ausführlicher zu behandeln sein. Mit Einführung der Beilagen 1905 hätte ein Feuilleton im Hauptblatt überflüssig erscheinen können. Die „Gleichheit“ führte es jedoch bis September 1908 auf der jeweils letzten Seite einer Nummer fort.776 In diesem Jahr nutzte die Redaktion die Umstellung des Jahrgangsbeginns und die Änderung in ein zweispaltiges Layout, um auch inhaltliche Veränderungen vorzunehmen. Das Hauptblatt enthielt von Oktober 1908 bis Juni 1917 keinerlei Feuilleton – dieses war nun komplett in die Beilagen verbannt worden. Im Juni 1917 machte die neue Redaktion diese Verbannung nicht nur sofort wieder rückgängig, sie gab dem Feuilleton sogar eine eigene Rubrikenüberschrift und setzte es wieder wie althergebracht „unter den Strich“. Wie die entsprechenden Jahrgangsverzeichnisse deutlich machen, nahm nun im Hauptblatt der „Gleichheit“ das Feuilleton einen besonders großen Raum und Stellenwert ein.777 Die „Feuilletonisierung“ des Hauptblattes begann. Zwar ist ein gutes Feuilleton in seiner politisierenden Wirkung nicht zu unterschätzen doch in der „neuen“ „Gleichheit“ war auch diese politisierende Intention von einer besonderen Fragwürdigkeit, zielte sie doch auf eine Festigung des traditionellen Frauenbildes. Seit Juni 1917 erschienen im Feuilleton der „neuen „Gleichheit“ auch die Rubriken „Bücher- schau“, „Gesundheitswesen und „Hauswirtschaftliches“. Vor allem die „Bücherschau“ ist eine 772 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 108 und Wittich, Manfred: Maria Stuart. Eine historische Skizze. In: GL, 05/ 07/ 03.04.1895/ 52-54; GL, 05/ 08/ 17.04.1895/ 60-62; GL, 05/ 09/ 01.05.1895/ 68-70. 773 Mehring, Franz: Ein aufgeklärter Despot? In: GL, 22/ 10/ 05.02.1912/ 150-152. 774 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 108. 775 Ebd., S. 109. 776 Vgl. GL, 15/ 01/ 11.01.1905; GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 188 und GL, 19/ 01/ 12.10.1908/ 16 (in dieser Nummer gab es erstmals keinerlei Feuilleton). 777 Das Jahrgangsverzeichnis von 1919 weist sowohl für den Hauptteil als auch für das Feuilleton eine Rubrik „Gedichte“ bzw. „Gedichte und Sprüche“ auf. Allein die Artikelliste für das Feuilleton macht eine ganze Seite aus (vgl. Jahrgangsverzeichnis der „Gleichheit“, 02/ 1919/ 7). 224 2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN auffällige Neuerung, denn Bücherrezensionen – ob für Unterhaltungs- oder Schulungsliteratur – hatten während des Krieges nur eine geringe Rolle gespielt. Nun aber sah man, dass die neue Redaktion auch in ihrem Bücherangebot auf Unterhaltung und praktische Ratschläge für den Alltag setzte. Begriffe wie „Klassenkampf“ und „Sozialismus“ wurden seltener, verschwanden aber nicht völlig.778 Komplexität und wissenschaftliche Analyse – wie sie durchaus auch in anderen SPD- Presseorganen zu finden waren – prägten das hohe Niveau des Hauptblattes der „Gleichheit“ und gaben damit Anlass zu massiver Kritik an Zetkin und ihrer Redaktion. Es standen sich zwei Interessen gegenüber: Zetkins Interesse, geschulte Funktionärinnen auszubilden, und das Interesse der Partei, möglichst viele Frauen, als „Masse“ zu organisieren. Lange zögerte Zetkin, die „Gleichheit“ nach dem Geschmack der Masse auszurichten. Doch 1904 gab sie auf der in Bremen stattfindenden sozialdemokratischen Frauenkonferenz kurz vor Schluss der Veranstaltung bekannt, der „Gleichheit“ zukünftig zwei populär gestaltete Beilagen beizugeben.779 Ab Januar 1905 wurde der unterhaltende Anteil der „Gleichheit“ durch eine Frauenbeilage und die Beilage „Für unsere Kinder“ vergrößert. Beide Beilagen umfassten zu Beginn vier Seiten.780 Ihre Funktion für die geschlechtsspezifische Bildung der „Gleichheit“-Leserinnen – vor allem der Frauenbeilage – wird in der Forschungsliteratur sehr unterschiedlich beurteilt.781 Zetkin sah in ihnen eine Ergänzung im Sinne der allgemeinen Interessen der Proletarierin. Diese sollte in der „Gleichheit“ nun nicht mehr „bloß die treue Be ra t e r in fü r i h r e Be t e i l i gung a m Bef r e iungs ka mpf i h r e r K la ss e finden, sondern auch für i h r e a l l s e i t i ge S e lb s tb i l dung und bes s e r en Er fü l lung de r P f l i ch t en a l s H aus f r au und M ut - t e r.“782 Es galt das „allgemeine Bildungsniveau der proletarischen Frau und ihre Leistungsfähigkeit im häuslichen Kreise [zu] heben.“783 Zetkin betonte zwar außerdem, dass sich dadurch der Charakter 778 Um dieses veränderte Selbstverständnis einer SPD-Frauenzeitschrift und ihre Auffassung von einem neuen Sozialismus zu ergründen, müsste die „neue“ „Gleichheit“ einer umfangreicheren Inhaltsanalyse unterzogen werden, was in der vorliegenden Dissertation aus Platzgründen nicht der Fall sein kann. 779 Vgl. Zetkin im Bericht über die 3. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Bremen 1904, S. 373. 780 Ab 1907 wurde der Umfang der Beilage „Für unsere Kinder“, ohne dass eine Preissteigerung damit einher ging, verdoppelt. Dies sollte den Genossinnen „ein Ansporn sein, noch reger als bisher für die ‘Gleichheit’ zu agitieren“ (Zur Beachtung. In: GL, 17/ 02/ 23.01.1907/ 9). 781 Beispiele einer positiven Wertung sind vor allem die Arbeiten aus der DDR (Schulze, Die proletarische Mutter als sozialistische Erzieherin; Koch, Die Verwirklichung sozialistischer Kindererziehung mit Hilfe der ersten deutschen proletarischen Kinderzeitschrift „Für unsere Kinder“ (1905-1917)), die, unabhängig ihrer einseitigen Wertung, besonders detaillierte Auswertungen der Beilagen bieten. 782 Was wir wollen. An unsere Leser, an unsere Mitarbeiter. In: GL, 14/ 25/ 30.11.1904/ 194. 783 Ebd. 225 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) der „Gleichheit“ nicht verändern werde, aber die tief gehende Veränderung im Selbstverständnis der „Gleichheit“ war unübersehbar. Zetkin bot mit den Beilagen außerdem heimlichen Sym- pathisantinnen der proletarischen Frauenbewegung eine redaktionelle „Nische“ und forderte öffentlich zur Mitarbeit auf.784 Dies legt die Vermutung nahe, dass Zetkin die Gefahr der „Ver- wässerung“, die von der Mitarbeit theoretisch ungebildeter, d.h. bürgerlicher Personen ausging, für den unterhaltenden Teil als sehr gering erachtete. Die neue Zielsetzung war aber auch ein Zugeständnis an die Furcht der Männer, die Frauen könnten ihren Familien und ihren geschlechts- spezifischen Rollen entfremdet werden. In diesem Sinne begrüßte zumindest Bebel die neue Marschroute der „Gleichheit“: „Indem sie sich der Aufgabe widmet, die proletarische Frau zu unterrichten, wie sie am besten mit ihren schwachen materiellen Mitteln ihre Häuslichkeit sich, dem Manne und ihren Kindern nach Möglichkeit angenehm, behaglich und nützlich gestalten und ein Heim schaffen kann, in dem Mann und Frau gemeinsam arbeiten für das eigene und das allgemeine Wohl, will sie im weiteren der Erziehung der Kinder ihre besondere Aufmerksamkeit zuwenden und hier ebenfalls die Proleta- rierin lehren, wie sie diese am besten zu tüchtigen Menschen, zu tapferen, charakterfesten Kämpfern der Zukunft heranbilden kann.“785 Bebel sah, indem die „Gleichheit“ sich nun auch der Proletarierin als Hausfrau und Mutter annahm, endlich eine Wissenslücke geschlossen. Zwar betonte er den partnerschaftlichen Charak- ter einer Ehe, aber in seiner Äußerung spiegelte sich auch die althergebrachte Meinung wider, dass es immer noch vornehmlich die Frau zu sein habe, die ihr individuelles Wohl mit dem der Familie und der Allgemeinheit identifiziert. Noch im ersten Erscheinungsjahr der Beilagen re- sümierte Baader, dass durch sie die „Gleichheit“ für die Leserinnen „geradezu unentbehrlich geworden“786 sei, da hier die Klassenkämpferin wie auch die Hausfrau und Mutter Beratung und „allseitige Selbstbildung“787 finden könne. Heute geht Puschnerat sogar so weit, ihnen – da sie neben Unterhaltung auch Ratgeberliteratur für Familienleben und Haushaltsführung boten – einen „zivilisatorisch-modernisierenden Anspruch”788 zuzuschreiben. 784 Vgl. Was wir wollen. An unsere Leser, an unsere Mitarbeiter. In: GL, 14/ 25/ 194/ 30.11.1904. Zetkin hatte Verständnis für die Probleme bürgerlicher „‘Überläufer’“. Sie erlitten „ein Verzichten auf liebe Gewohnheiten, eine Hinopferung der teuersten Neigungen, den Bruch alter Freundschaften, vielleicht das Verlassen von Vater und Mutter, die Entzweiung mit Brüdern und Schwestern. Ein Einsamer und Unbegriffener steht der ‘Überläufer’ aus bürgerlicher Welt vielfach inmitten der Kampfesgenossen; fremd und daheim zugleich im Tal der besitzenden Welt, mit der ihn Erziehung und Lebensgewohnheiten verknüpfen; fremd und daheim zugleich auf den Höhen des Proletariats, dem ihn die Überzeugung in fester Gemeinschaft zugesellt.“ (Zetkin, Der Student und das Weib, S. 29). 785 Bebel, August: Das Banner hoch! In: GL, 15/ 01/ 11.01.1905/ 1. 786 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, Jena 1905, S. 68. 787 Ebd. 788 Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 171. Indem Puschnerat die „Gleichheit“-Beilagen betont als „familien- und frauenbezogenen“ charakterisiert, scheint sie das Hauptblatt nicht als „frauenbezogen“ zu sehen. 226 2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN Im Titelkopf der „Gleichheit“ wurden die Beilagen interessanterweise erst im Mai 1906 angeführt. Es hieß dort schlicht: „Mit den Beilagen: Für unsere Kinder und Frauen-Beilage“789. Für Ida Alt- mann (1862-1935)790 war dies ein unzulässiger Zustand. Sie stellte auf dem Parteitag 1906 in Mannheim den Antrag, den „für die Beilage der Arbeiterinnenzeitung der Partei unpassende[n], ja unsinnige[n] Titel ‘Frauenbeilage’“791 abzuändern. Es sollte stattdessen ein Titel gewählt werden, der den „hauswirtschaftliche[n] Inhalt oder die Hausfrauentätigkeit beton[e]“792. Laut Protokoll wurde dieser Antrag zwar nicht unterstützt793, ab 1907 erschien die Beilage aber unter dem neuen Titel „Für unsere Mütter und Hausfrauen“.794 Ab Oktober 1908 wurden die Beilagen nicht mehr im Wechsel, sondern – wie bereits an anderer Stelle beschrieben – beide gemeinsam der „Gleichheit“ beigelegt. Vormschlag unterscheidet unter besonderer Berücksichtigung der „Gleichheit“-Beilagen vier Spielarten ideologisch gebundener Frauenzeitschriften: „I. Politisch-agitatorische Zeitschriften, die sich zwar an die Frau wenden, aber nur eine bestimmte Funktionärsschicht im Auge haben und insofern auf eine spezielle Aufbereitung des Stoffes für die ungeschulte Frau verzichten (Die ‘Gleichheit’ bis 1905 und ‘Kommunistin’). II. Politisch-agitatorische Zeitschriften, welche auch die Schulung eines noch weitgehend unpolitischen Publikums beabsichtigen und in der Hoffnung auf größeren Erfolg spezielle Frauenthemen mit einflechten, meist in Form einer Beilage und eines Unterhaltungsteils (‘Gleichheit’ von 1905 bis 1917). III. Mitteilungsblätter einer Organisation für die weiblichen Mitglieder (‘Gewerk- schaftliche Frauenzeitung’). IV. Frauenzeitschriften, in denen die politische Schulung an Hand des speziellen 789 Vgl. GL, 16/ 10/ 16.05.1906/ 63 (Titelblatt). 790 Ida Altmann wurde im ostpreußischen Obscherninken geboren. Ihre Eltern waren jüdischen Glaubens, sie selbst wurde in den 1890er Jahren Jugendlehrerin in einer freireligiösen Gemeinde in Berlin. Nach Besuch der städtischen Höheren Töchterschule in Elbing bestand sie 1881 in Königsberg das Examen für Lehrerinnen für Volks- und Höhere Mädchenschulen. Sie arbeitete als Hauslehrerin in St. Petersburg, reiste viel, schrieb Gedichte und Erzählungen. 1890 siedelte Altmann nach Berlin um und engagierte sich in der SPD, womit ihr eine staatliche Anstellung als Lehrerin verwehrt war. 1895 wurde sie, weil sie ein Vortragsverbot ignoriert hatte, zu einer Haftstrafe verurteilt. Sie wurde die erste besoldetet Sekretärin des Gewerkschaftlichen Arbeiterinnensekretariats und eine bekannte SPD-Agitatorin. 1900-1912 arbeitete Altmann als Sekretärin für Deutschland im Internationalen Freidenkerbund und gleichzeitig als Schriftführerin im Vorstand der Freireligiösen Gemeinde Berlin. Ihre Heirat 1912 mit dem russischen Ingenieur-Chemiker Iegor Bronn und ihr Umzug ins Elsass beendeten ihre politische, aber nicht ihre schriftstellerische Tätigkeit. Auch ihre Rückkehr 1919 nach Berlin führte zu keinem neuerlichen politischen Engagement. Unter dem Doppelnamen Altmann-Bronn veröffentlichte sie in der „Gleichheit“ u. a. die Artikelserie „Erlöser Sozialismus“ (GL, 30/ 19/ 08.05.1920/ 146-148 bis GL, 30/ 30/ 24.07.1920/246-247) und mehrere Agitationsberichte (vgl. GL, 11/ 08/ 10.04.1901 und GL, 12/ 04/ 12.02.1902/ 29 – letzterer mit ††† gezeichnet). 791 Antrag Nr. 44 im Protokoll des SPD-Parteitages Mannheim 1906, S. 113. 792 Ebd. 793 Protokoll des SPD-Parteitages Mannheim 1906, S. 381. 794 Vgl. GL, 17/ 01/ 09.01.1907/ 1 (Titelblatt). 227 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Katalogs von Frauenthemen entwickelt werden soll (die ‘Schaffende Frau’ und die ‘Frauenwelt’).“795 Die ersten drei Typen sind nach Vormschlag keine Frauenzeitschriften im eigentlichen traditio- nellen Sinne, weil sie als quasi „Politische Blätter für die Frau“ versuchen, deren Interesse für den außerhäuslichen Bereich zu wecken. Der vierte Typ sei „vom Inhalt her als Frauenzeitschrift zu bezeichnen, während die anderen Organe nur im Hinblick auf den intendierten Leserkreis dazu rechnen“796. Auffällig sei, dass für die Finanzierung der ersten drei Typen in der Regel weniger Aufwand be- trieben wurde: „Sobald die Tradition einer Frauenzeitschrift übernommen wird, verbessert sich die Ausstattung des Organs. An die Stelle der Zeitungsform tritt das gebundene Heft mit festem Einband und wechselndem Titelbild, Umfang und Bildanteil wach- sen.“ 797 Inwieweit dies auch für die frühen wie die späteren Beilagen der „Gleichheit“ gilt, konnte für diese Dissertation nicht untersucht werden. Zumindest spricht die Entscheidung, ab Oktober 1908 die beiden Beilagen „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ und „Für unsere Kinder“ der „Gleichheit“ nicht mehr im Wechsel, sondern gemeinsam beizufügen, für einen nicht unerheblichen finanziellen Aufwand – und damit für Vormschlags These. Im Juni 1917 stellte die neue Redaktion das Erscheinen der Beilage „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ ein.798 Die Beilage „Für unsere Kinder“ erschien zwar weiter, wurde jedoch im Februar 1922 durch die Beilage „Kinderland“ ersetzt.799 Ab Juni 1919 erhielten die „Gleichheit“- Leserinnen vierzehntäglich die neue Frauenzeitschrift „Die Frau und ihr Haus“.800 Juchacz bezeichnete diese Beilage als „Frauenkulturzeitschrift“801. Sie sollte den Frauen „in ihrer Häus- lichkeit praktisch zur Hand“802 gehen. Dies beinhaltete Ratschläge zur „Anfertigung praktisch- künstlerischer Frauenkleidung“ und die Beschäftigung „mit allen Fragen des Haushaltes und der Kinderpflege“803. Die von Elisabeth Röhl und Else Wirminghaus redigierte „Die Frau und ihr 795 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 167. 796 Ebd. 797 Ebd., S. 168. 798 Vgl. GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117. Im Titelkopf wird die Beilage „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ nicht mehr aufgeführt. 799 Vgl. GL, 32/ 03/ 01.02.1922/ 21. 800 Vgl. GL, 29/ 19/ 20.06.1919/ 145 (Titelkopf). 801 Juchacz im Protokoll des SPD-Parteitages Weimar 1919, S. 309. 802 An die Leserinnen der „Gleichheit“. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 137. 803 Ebd. 228 2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN Haus“ trug den bezeichnenden Untertitel „Zeitschrift für Kleidung, Gesundheit, Körperpflege und Wohnungsfragen“ und war angefüllt mit idyllischen Skizzen eines proletarischen Familienalltags, Gesundheitstipps, Liedern mit Notenbild, Gedichten, kurzen politischen Statements bekannter Frauen wie Selma Lagerlöf oder Ricarda Huch, Bücherschauen, Werbung, Kinderspielen, Tipps zur Wohnungseinrichtung und Beschreibungen ländlicher Traditionen und Trachten. Auffällig ist die Vielzahl von Schnittmustern für Arbeits- und Freizeitkleidung, Aussteuer und Umstandsmode. Der Unterschied zur Beilage „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ lag demnach in der noch stärkeren Hervorhebung des weiblichen Stereotyps. Damit verbunden war die unwillkürliche Zuordnung von Haushalt und Erziehung zum Tätigkeitsbereich der Frau. Bereits im April 1922 wurde „Die Frau und ihr Haus“ der „Gleichheit“ nicht mehr beigelegt.804 Sie war allerdings nicht eingestellt worden, sondern konnte unabhängig von einem „Gleichheit“- Abonnement auch weiterhin „zu dem Vorzugspreis von 6 Mk. vierteljährlich di rekt“805 vom Verlag G. Braun in Karlsruhe oder für 7,50 Mark per Post und Buchhandlung bezogen werden. Hinter der von Helene Grünberg auf der 6. sozialdemokratischen Frauenkonferenz 1911 in Jena aufgestellten These, dass nur die Kinderbeilage die „Gleichheit“ beliebt gemacht habe806, verbarg sich eine Kritik an dem hohen theoretischen Niveau des Hauptblattes unter der Redaktion Zetkins. Unabhängig von dem quantitativen Erfolg, den die „Gleichheit“ unbestreitbar dadurch hatte, dass sie mittels populär gestalteter Beilagen Einlass in die proletarischen Haushalte fand, war ihr Konzept insgesamt ein sehr erfolgreiches. Alles in allem sind die Beilagen als eine gelungene Lösung für jenes Problem zu betrachten, sowohl anspruchsvolle politische Bildung als auch massenwirksame Agitation und Aufklärung betreiben zu können. Vormschlags Meinung nach setzte die „Gleichheit“ neue Prioritäten, indem sie „mittels guter Lektüre“807 nicht mehr nur eine große Verbreitung unter den Arbeiterinnen erreichen wollte, sondern auch deren schöngeistige Bildung.808 Dieser Charakter einer Konzeptergänzung erlaubt es, die „Gleichheit“-Beilagen durchaus differenzierter zu betrachten als es so manche wissenschaftliche Analyse bisher tat. Hinzu kommt, dass ihr unterhaltender Inhalt nicht ohne weiteres als unpolitisch abgetan werden sollte. Auch hier galt wie für das Feuilleton, dass die Redaktion der Beilagen – Zetkin, Duncker 804 Vgl. GL, 32/ 08/ 15.04.1922. Nr. 7 des 32. Jahrgangs ist im eingesehenen Archivbestand nicht vorhanden, so das nur festgestellt werden konnte, dass die Beilage in Nr. 8 nicht mehr beigefügt war. 805 Röhl, Elisabeth: Den Leserinnen der „Gleichheit“. In: GL, 32/ 11/ 01.06.1922/ 107. Die „Frau und ihr Haus“ erschien zumindest bis 1936 (vgl. Roecken, Else Wirminghaus, S. 181). Die ZDB gibt als Erscheinungszeitraum 1918/19-1938[?] an. 806 Vgl. die gesamte Debatte in verkürzter Form in Handbuch der sozialdemokratischen Parteitage von 1910 bis 1913, S. 181-183. 807 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 109. 808 Vgl. ebd. 229 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) und Selinger – großen Wert auf das Niveau legten und Unterhaltung nie der Unterhaltung willen geboten wurde. Genauso wie die Erzählungen, Rätsel und Gedichte vermittelten auch die Ratschläge für Haushalt und Familie eine Orientierung an sozialistischen Idealen. Selbst die Kin- derbeilage „Für unsere Kinder“ kann durchaus unter dem Aspekt politischer Bewusstseinsbildung gesehen werden, denn die Erziehung proletarischer Kinder entschied über die Klassen- kämpfergenerationen der Zukunft. Deshalb ist m. E. Freier in zweierlei Hinsicht zu widersprechen: Die Beilagen stellten keine Verlagerung des Schwerpunktes von politischen Fragen zur Unterhaltung dar809 und auch der Bruch zwischen Hauptblatt und Beilage erscheint mir nicht so „eklatant“810 wie von ihr beschrie- ben. Die Beilagen waren ein Kompromiss. Sie waren keine reinen „Unterhaltungsbeilagen“811 und auch nur bedingt eine Annäherung an die Konzepte bürgerlicher Frauenzeitschriften. Sie bemühten sich vielmehr immer noch um die Vertretung originär proletarischer Interessen – in theoretischer und praktischer Form. Anders ist das von Vormschlag nach dem Redaktionswechsel 1917 diagnostizierte „verhängnis- voll“812 überhöhte Bild des Mütterlichen und Fraulichen zu beurteilen. Dieses bestimmte nun statt politischer Bildung den Inhalt des Feuilletons in Hauptteil und Beilagen. Die damit einhergehende „Entpolitisierung“ habe der SPD-Parteivorstand Bohm-Schuch sogar offen zum Vorwurf gemacht. 813 Ausschlaggebend für einen solchen Vorwurf dürften die schlechten Ergebnisse der Reichstags- wahl gewesen sein.814 Der Medienhistoriker Wilmont Haacke konstatiert in seinem Grundlagenwerk zur politischen Zeitschrift, dass, je feuilletonistischer eine Frauenzeitschrift redigiert würde, desto höher steige ihre Auflage, desto unpolitischer jedoch seien auch die in ihr enthaltenen Botschaften. Ersteres traf im Falle der neuen „Gleichheit“ absolut nicht zu. Die Zahlen sanken fast unaufhörlich, weil auch das Parteiblatt „Die Gleichheit“ nicht von der allgemein schlechten Wirtschaftslage ver- schont blieb. Letzteres erläutert Haacke etwas näher: Durch das Übergewicht an kulturellen Inhalten impliziere „die Feuilletonisierung eines Blattes gleichzeitig den Mangel an direkter politischer und wirtschaftlicher Unterrichtung der Frau“815. Mit dem Begriff „Feuilletonisierung“ 809 Vgl. Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 26. 810 Ebd., S. 22. 811 Graf, J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie, S. 212. 812 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 112. 813 Vgl., ebd., S. 77. 814 Zum Wahlverhalten weiblicher Wählerinnen bzw. zum Leitbild der Republikanerin siehe: Kapitel 4.5. 815 Haacke, Die politische Zeitschrift, Bd. 1, S. 19f. 230 2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN wird also die „Gefahr“ umschrieben, dass die Form den Inhalt dominiert. Im Falle der meisten Frauenzeitschriften war dies das Sentimentale oder Triviale. „Feuilletonisierung“ nach Haacke beschreibt demnach genau das Gegenteil von dem, was dem Feuilleton des „Gleichheit“- Hauptblattes vorgeworfen wurde. Hier habe der tendenziöse Inhalt immer die Form bestimmt und damit auch das Niveau einer ästhetischen Bildung beeinträchtigt. Es ist dagegen die bereits erwähnte These Vormschlags zu unterstützen, dass durchaus politische Bildung in einem Feuilleton gegeben ist – dass sie jedoch in einer anderen, sublimeren Form geboten wird. Es ist sogar anzunehmen, dass dieses Format auf Dauer erfolgreicher ist, da die politische Meinungs- bildung, die an die unmittelbaren Alltagsfragen und Lebenserfahrungen der Frauen anknüpft, mit weniger Vorbehalten wird rechnen müssen als eine bloße Agitation über Fragen der Theorie. Gab Zetkin noch „ein Beispiel dafür, wie Unterhaltung und Schulung in einem sozialistischen Frauenorgan verbunden werden können“816, so nahm diese besondere Qualität unter den Nach- folgeredaktionen merklich ab. 816 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 111. 231 2.5 Kein Blatt der Massen?! – Zur Frage der Rezeption der „Gleichheit“ Es sind vor allem konkrete Meinungsäußerungen von Leserinnen oder aber die Zahl der Abonnements, die für eine Rezeptionsanalyse einer Zeitschrift herangezogen werden können. Beide sind in ihrer Aussagekraft aber sehr fragwürdig. Können Leserinnenbriefe als konkrete Meinungsäußerungen zur Klärung der Rezeptionsfrage beitragen? Im Falle der „Gleichheit“ stellt sich als erstes Problem, dass nur wenige solcher Briefe veröffentlicht wurden. Eine eigene Rubrik, ein „Briefkasten“ oder „Eingesandtes“ wie in anderen Zeitschriften gab es nicht. Kritikerinnen sind der Meinung, dass das Fehlen solcher Briefe grundsätzlich auf Zetkins Redaktionsstil – autoritär und arrogant – zurückzuführen sei. Er habe den Leserinnen die Lust genommen, die „Gleichheit“ als Forum für ihre Diskussionen zu nutzen.817 Ganz „gewöhnliche“818 Leserinnen, so Gomard, seien „nur vereinzelt zu Wort“819 gekommen. Anders dagegen die Information, die die Arbeitsgemeinschaft „Geschichte des Klassenkampfes der deutschen Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“ am Pädagogischen Institut Leipzig gibt und durch die Berichte Baaders Bestätigung findet: „Die Arbeiterinnen billigten nicht nur die Schreibweise der ‘Gleichheit’, sie arbeiteten selbst mit, die ‘Gleichheit’ zu einem kollektiven revolutionären Frauenorgan zu entwickeln.“820 Zudem habe Zetkin „in einer einfachen, ansprechenden Sprache“821 geschrieben. Dass sie „dabei wie selbstverständlich ein gewisses Maß an Wissen und Bildung voraus[setzte]“822, so die Einschätzung der Arbeitsgemeinschaft, habe ihre Leserinnen sogar angespornt, sich selbst fortzubilden. So habe sich die Wirksamkeit der „Gleichheit“ ständig erweitert.823 Grundsätzlich ist aber in Frage zu stellen, ob sich an Leserinnenbriefen tatsächlich auch Leserinnenmeinungen, -reaktionen und -emotionen festmachen lassen – gingen doch auch sie erst durch die Hände der Redaktion. Reagierte die Redaktion wirklich auf reale Wünsche der Leserinnen – wie es z. B. in der „Gleichheit“ und auf dem Parteitag 1904 in Bremen für die Einrichtung der Beilagen behauptet wurde? Oder waren auch solche geschickt als 817 Vgl. Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 42. Diese Einschätzung ist zu über- prüfen. Diejenige Puschnerats, dass Zetkins sehr autoritärer Redaktionsstil dafür verantwortlich zu machen sei, dass die „Gleichheit“ verhältnismäßig wenige Leserinnen gehabt habe, ist jedoch angesichts des Zahlen- materials vollkommen haltlos (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 86.). 818 Gomard, Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit, S. 71. 819 Ebd. 820 Um eine ganze Epoche voraus, S. 33. 821 Ebd. 822 Ebd. 823 Ebd. 233 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Leserinnenmeinungen formulierte Veränderungen lediglich Ausdruck einer von offizieller Seite produzierten „Idealdefinition proletarischer Frauenöffentlichkeit“824? Ohne authentische Belege ist zwar die Intention sozialistischer Frauenagitation analysierbar, jedoch nicht ihre Wirkung. Auch Gomard schreibt den Mangel an Zeugnissen zur Leserinnenmeinung der „Gleichheit“ selbst zu: „Ob die Leserinnen […] vielleicht […] einige Vorbehalte gegen ‘Die Gleichheit’ entwickelten oder ob sie mit der Art und Weise, wie ‘Die Gleichheit’ ihre Interessen vertrat, zufrieden waren, das können wir nicht wissen, denn eins fehlte in den sehr inhaltsreichen Spalten der ‘Gleichheit’: die freie, offene Debatte.“825 In ähnlicher Weise wie die meisten Forschungsarbeiten die „Artikelduelle“ mit Fürth und Braun hervorheben, um Zetkins Streitsucht zu belegen, kritisiert Gomard, dass durch dieses Verhalten Zetkins innerhalb der „Gleichheit“ keine ordentliche Diskussion über ihre eigenen Ziele und Me- thoden möglich gewesen sei.826 Stattdessen sei die „Gleichheit“ insgesamt als „proletarische Frauenöffentlichkeit ‘von oben’“827 anzusehen. Kinnebrock ist ganz anderer Meinung, denn sie schreibt, dass in der „Gleichheit“ lebhaft über die Ziele und Vorgehensweisen der Frauenbewe- gung gestritten wurde und auch die inhaltlichen Differenzen ihren Teil dazu beitrugen. Allerdings bemerkt auch sie, dass die „Gleichheit“ „in der Freiheit, Diskussionen zuzulassen und dabei tatsächlich neue Ideen zu entwickeln, insofern eingeschränkt [war], als ihre Herausgeberin penibel darauf achtete, jegliches Zeitgeschehen im Rahmen des orthodoxen Marxismus zu inter- pretieren“.828 Damit sieht Kinnebrock noch keine Einschränkung der thematischen Vielfalt gegeben, jedoch sei „der Rahmen für divergierende Deutungen und Meinungen […] eng gesteckt“829 gewesen. Tatsächlich war Zetkin in diesem Punkt gewiss keineswegs demokratisch im heutigen Sinne. Je- doch hatte sie gute Gründe, so zu verfahren. Sie hielt die indifferenten Leserinnen für leicht beeinflussbar und wollte deshalb schon aus Prinzip den Meinungen anderer nicht zu viel Raum geben. Dieses Redaktionsgebaren erscheint allen demokratisch gesinnten Menschen als ungeheu- erliche Bevormundung – anscheinend jedoch nur im Falle Zetkins. Tatsache aber ist, dass jede Redaktion – damals wie heute – sich das Recht herausnimmt, Artikel, Zuschriften und LeserIn- nenbriefe abzulehnen oder zu redigieren. Welches Statut verfügt darüber, dass Zetkin jeden 824 Vgl. Gomard, Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit, S. 65. 825 Gomard, Die Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität und Utopie, S. 45. 826 Vgl. Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 42. 827 Gomard, Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit, S. 71 (vgl. auch: Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 42). 828 Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 158. 829 Ebd. 234 2.5 KEIN BLATT DER MASSEN?! – ZUR FRAGE DER REZEPTION DER „GLEICHHEIT“ kontroversen Artikel hätte veröffentlichen müssen? Keines. Unleugbar ist jedoch, dass sie viele Artikel, deren Meinung sie nicht vertrat, trotzdem publizierte, um sie im Kreise der Leserinnen diskutieren zu lassen. Unleugbar ist auch, das Zetkin in diesen Diskussionen kein Blatt vor den Mund nahm und ihren Vorteil nutzte, in jedem Falle das letzte Wort zu haben. Gerade hinsichtlich der heftigen Auseinandersetzung mit den Vorschlägen Brauns wird jedoch selten erwähnt, dass es nicht allein Zetkin war, die Kritik übte. Mehrere Frauen waren an der Diskussion beteiligt und äußerten sich zu den Vorschlägen ähnlich kritisch wie Zetkin. Auch jene Briefe anders denkender SPD-Frauenvereine, die Zetkins grundsätzliche Haltung gegen den Krieg und gegen den kriegs- befürwortenden Parteivorstand kritisierten, sind Zeugnis dafür, dass Zetkin die „Gleichheit“ nicht so einseitig redigierte, wie von ihren KritikerInnen stets behauptet. Die Kritik an Zetkins Umgang mit anderen Meinungen macht sich m. E. vornehmlich an ihrer Po- lemik fest. Über diese wird vergessen, dass auch die nachfolgenden „Gleichheit“-Redakteurinnen eine Redaktionspolitik betrieben, die auf ihre Leserinnen vor allem eine einigende Wirkung haben sollte. Daher war es nicht zu erwarten, dass die „neue“ „Gleichheit“ aus einer demokratischen Gesinnung heraus Artikel von USPD-Anhängerinnen veröffentlichte. Ihre innere Demokratie jedoch wollte die Redaktion der „Gleichheit“ unter Juchacz bewusst fördern, indem eine neue Rubrik „Freie Aussprache“ eingeführt wurde. Da jedoch kaum entsprechende Artikel eingesandt wurden, lief dieser Versuch ins Leere. Ein in dieser Rubrik veröffentlichter Artikel gibt eine hinsichtlich der Rezeption und der Bedeutung der „Gleichheit“ für ihre Leserinnen sehr interessante Einschätzung wider. Berta Marckwald (?-?)830 machte darin angesichts der finan- ziellen Misere der „neuen“ „Gleichheit“ den Vorschlag, dass diese „künftig nicht mehr gratis an die Genossinnen abgegeben werden soll[e]“831. Ihrer Meinung nach könnte dieses Opfer den Genossinnen durchaus zugemutet werden: „Wer die ‘Gleichheit’ liest, ist gern bereit, sein Scherflein dafür zu entrichten. […] Auf Grund meiner langjährigen praktischen Erfahrung in der Kleinarbeit im Osten weiß ich, daß dort alle Genossinnen auch stets Abonnentinnen der ‘Gleichheit’ waren. Manche Frauen, die sich noch nicht gleich entschließen konnten, Mitglied der Partei zu werden, abonnierten jedoch die ‘Gleichheit’ und wurden durch das 830 Die herangezogenen Nachschlagewerke und Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Berta Marckwald. Vermutlich stand sie in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu dem sozialdemokratischen Redakteur und preußischen Landtagsabgeordneten Hans Marckwald (1874-1933). Für die „Gleichheit“ verfasste sie die Artikelserie „Über die Freundschaft“ (GL, 28/ 20/ 05.07.1918/ 158-159 und GL, 28/ 21/ 19.07.1918/ 165- 166), in der sie sich mit den durch die Parteispaltung zerbrochenen Freundschaften und der Frage beschäftigte, warum es so wenige Freundschaften unter Frauen gebe. Des Öfteren erschienen von Marckwald Beiträge in der Rubrik „Hauswirtschaftliches“, in denen sie Ratschläge für Kochen und Haushaltsführung während der Mangelwirtschaft gibt (vgl. Marckwald, Berta: Rote-Rüben-Suppe. In: GL, 29/ 12/ 14.03.1919/ 92; Pferdefleisch. In: GL, 29/ 12/ 14.03.1919/ 92-93; [Marckwald, Berta?] B. M.: Dampfnudeln. In: GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 102). 831 Marckwald, Berta: Die Gratisverteilung der „Gleichheit“. In: GL, 28/ 19/ 21.06.1918/ 152. 235 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Lesen derselben später gewöhnlich auch überzeugte Parteigenossinnen.“832 Diese positive Beurteilung der Werbewirksamkeit der „Gleichheit“, dürfte Marckwald aufgrund ihrer erwähnten langjährigen Erfahrung nicht nur für die „neue“, sondern auch für die „alte „Gleichheit“ getroffen haben. Die offiziellen Quellen – die „Gleichheit“ selbst, die Parteitagsprotokolle und Fragebogenaktionen der „Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands“833– sagen nur wenig darüber aus, wie und von wem die „Gleichheit“ wirklich gelesen wurde.834 Zwar werden in den vielen sich am hohen Niveau der „Gleichheit“ entzündenden Parteitagsdiskussionen835 Leserinnenmeinungen angeführt, letztlich handelt es sich dabei aber nur um Informationen aus zweiter Hand. Die Delegierte Klara Heinrich (?-1908/ 33-jährig)836 erklärte auf einem Parteitag, sie habe zehn Abonnentinnen für die „Gleichheit“ gewonnen, welche aber bei näherer Ansicht einiger Nummern ausgerufen hätten: „‘Ach, gehen Sie mit Ihrer ‘Gleichheit’; ich verstehe nichts davon!’ (Heiterkeit.)“837 Solche Reaktionen dürfte es öfter gegeben haben, waren aber für die „Gleichheit“ kein Grund von ihrem hohen Niveau abzulassen – sie wollte die Proletarierinnen in ihrem Nachdenken fordern, nicht unterhalten. Ein Selbstverständnis, mit dem sie ihren Leserinnen manchmal sehr viel abverlangte, abverlangen musste.838 832 Ebd. 833 Baader führte diese Befragungen per Fragebogen unter den Vertrauenspersonen durch. Diese Form der Eigen- evaluation ist für die Geschichtsforschung unschätzbar wertvoll. Aus diesen Fragebögen resultieren die Angaben zu allen nicht die offizielle Parteiorganisation berührenden zahlenmäßigen Entwicklungen. So die Mitglieder- zahlen der unpolitischen Frauenbildungsvereine und der Lese- und Diskussionabende. Die „nur“ 183 an Baader zurückgesandten Fragebögen ergaben, dass die Mitgliederzahl der unpolitischen Frauenbildungsvereine von 3000 (1905) auf 8890 (1906) gestiegen waren. Monatliche Lese- und Diskussionsabende wurden in 45 Orten, vierzehn- tägliche in 32 Orten durchgeführt. Selbst die dort behandelten Inhalte wurden per Fragebogen ermittelt (vgl. Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, Mannheim 1906, S. 72f.). Eine Verzögerung der 1908 durchgeführten Fragebogenauswertung erklärte sich Baader mit der Übergangsphase der Reorganisation der proletarischen Frauenbewegung im Rahmen der Integration in die Partei (vgl. Baader, Bericht der Vertrauens- person der Genossinnen Deutschlands, Nürnberg 1908, S. 113). 834 Aussagen wie die Bojarskajas, dass die „Gleichheit“ „selbst in weite Kreise der Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen [drang] […], aber nicht weniger eifrig auch von den Genossen gelesen“ (Bojarskaja, Clara Zetkin, S. 20) worden sei, bleiben nicht ohne Grund unbelegt. 835 Das Niveau der „Gleichheit“ war häufig Thema der Frauenkonferenzen, Parteitage und Sitzungen des Partei- ausschusses. Diese Diskussionen haben stets denselben Tenor, nehmen aber während des Ersten Weltkriegs und angesichts der Haltung der „Gleichheit“ und der rapide sinkenden Abonnementzahlen einen schärferen Ton an. Leider ist im Rahmen dieser Dissertation nicht die Möglichkeit gegeben, näher auf die durchaus interessanten Argumentationen einzugehen. 836 Diese Altersangabe erklärt sich durch die in ihrem Nachruf enthaltene Information, dass Heinrich 21 Jahre alt gewesen sei, als sie an diesem Parteitag teilnahm (vgl. Genossin Klara Heinrich †. In: GL, 13/ 22/ 21.10.1903/ 175). 837 Heinrich im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 171. 838 Sogar die subjektiven Meinungen der HistorikerInnen sind sehr unterschiedlich – manche finden sie wie z. B. Gomard aus ästhetischer Sicht „ziemlich ungenießbar“ (Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleich- heit“, S. 30) für andere ist sie schlicht die „beste[…] politische[…] Zeitschrift für Frauen“ (Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, S. 164) gewesen. 236 2.5 KEIN BLATT DER MASSEN?! – ZUR FRAGE DER REZEPTION DER „GLEICHHEIT“ Negative wie positive Urteile, die Parteitagsdelegierte oder „Gleichheit“-Mitarbeiterinnen zum Charakter und zur Rezeption der „Gleichheit“ abgaben, spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Leserinnen wider. Die positiven Urteile waren oft agitatorisch, aus dem Engagement für die proletarische Sache heraus getroffen und bezogen bereits die Erkenntnisse des historischen Mate- rialismus und der sozialistischen Emanzipationstheorie mit ein. Viele Beurteilungen zielten auf die Intention – das Bildungsziel – der „Gleichheit“ ab. Als proletarisches Frauenbildungsorgan sollte sie „[d]ie Arbeiterinnen […] in die Lage versetz[en][…], Einsicht in die historischen, politischen und wirtschaftlichen Bedingungen zu gewinnen, die ihre spezifische gesellschaftliche Lage, ihre besondere Unterprivilegiertheit bestimmten, und gleichzeitig im Prozeß des Begreifens selbständige Wege finden, die gemeinsam mit den männlichen Arbeitern aus der Situation herausführten“839. Da die „Gleichheit“ ein solches Ziel nicht auf dem Niveau eines Unterhaltungsblattes hätte er- reichen können, wurde das hohe Niveau von vielen als unverzichtbar erachtet. In ihrer 1926 erschienen Studie „Zur Soziologie der Frauenbewegung“, in welcher sie einen Vergleich zwischen sozialistischer und katholischer Frauenbewegung anstellt, gibt Lion folgende Charakterisierung der „Gleichheit“-Leserinnen: „Anfangs waren: die Volksschullehrerin, die nach Verständnis rang und nach Be- wältigung gegensätzlicher sozialer Lebensverhältnisse, die Buchhalterin, die sich heraufgearbeitet hatte, und die nun keine Aufstiegsmöglichkeit weiter sah, die Schriftstellerin, der geistige Kraft nichts einbrachte, die junge Agitatorin aus dem Volk, die Ehefrau des überzeugten Parteigenossen Hauptvertreterinnen des Publi- kums, das Clara Zetkin im Auge hatte. Hinzu kommt die gewerkschaftlich organi- sierte Plätterin, die Botenfrau auf dem Lande, das durch eine Agitationsrede gepackte Mädchen aus dem Jungfrauenverein, das aufgeklärte Dienstmädchen, die Tochter des Subalternbeamten im Zeitalter des Frauenüberschusses, schließlich das Heer der Munitionsarbeiterinnen und Kriegerwitwen.“840 Jedoch: Lion macht keinerlei Angaben über die Art ihrer herangezogenen Quellen oder gar eine von ihr selbst durchgeführte Umfrage, auf denen ihre Charakterisierung des „Gleichheit“-Publi- kums basieren könnte.841 Noch weniger verständlich, aber ein deutlicher Hinweis auf Lions revisionistische Position, ist ihre Einschätzung zur Situation der „Gleichheit“ zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Erst im Jahre 1915 sei der von Zetkin anvisierte Leserinnenkreis „in Wirk- lichkeit da“842 gewesen: 839 Gieschler, Konzeptionelle Ansätze proletarischer Frauenbildung als besondere Form der Arbeiterbildung, S. 287. 840 Lion, Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 94-95. 841 Interessanterweise tragen die in der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung in Mikrofilm und Fotokopie vorhandenen Exemplare der „Gleichheit“ den Stempel der „Zentralstelle des Volksvereins für das kath. Deutsch- land M. Gladbach“. Die „Gleichheit“ hatte demnach auch Leserinnen im katholischen Milieu. 842 Ebd., S. 95. 237 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) „Geführt von bewußten Gewerkschaftlerinnen, Konsumgenossenschaftlerinnen und von Frauen, die in der ‘Gleichheit’ ihre ersten Schreibversuche haben machen dürfen, kontrolliert sie [die Leserinnenschaft; M.S.] ihr Blatt, und lehnt sich schließlich auf wie eine empörte Gemeinde gegen ihren fanatisierten Hirten.“843 Lions Einschätzung einer Kontrolle der „Gleichheit“ durch ihre Leserinnen ist nur erklärlich, wenn sie damit die stetig wachsende Zahl der Mitarbeiterinnen verbindet – Mitarbeiterinnen, die vermutlich zuerst zu den Leserinnen der „Gleichheit“ gehört haben dürften. Tatsächlich konnte zu Beginn des Ersten Weltkriegs die proletarische Frauenbewegung insgesamt – nicht zuletzt dank der Agitations- und Aufklärungsarbeit der „Gleichheit“ und des Vereinsgesetzes von 1908 – auf eine erfolgreiche Entwicklung zurückblicken. Die Spaltung der SPD bleibt von Lion nur ungenügend reflektiert. Sie verortet die Spaltung vornehmlich zwischen Zetkin und den „Gleichheit“-Leserinnen und geht nicht darauf ein, dass ein großer Teil der Leserinnen hinter Zetkin stand. Das „Gemeinsamkeitswerk“844 „Gleichheit“, das laut Lion von Anfang an von einer „proletarisch-aristokratisch“845 Beziehung zwischen Schriftleitung und Leserinnen geprägt gewesen sei, sei bruchstückhaft geblieben. Zetkin, die von Lion als Person im Gegensatz zu ihrem Schreib- und Redaktionsstil eher positiv beurteilt wird846, sei Opfer der von ihr selbst voran- getriebenen Emanzipation ihrer Leserinnen geworden. Nach ihrer Einschätzung muss Zetkin aber diese „Revolte weniger als schmerzendes Versagen dem Führer gegenüber empfunden haben, denn als begrenzten Arbeitserfolg“847. Lion scheint die immense Tragik, die für Zetkin in der nationalistischen Orientierung ihrer Leserinnen und Genossinnen lag, nicht im Mindesten erkannt zu haben. Sie sieht das Tragische vielmehr darin, „daß die erste verwirklichte Mobilisation des Leserinnenkreises gleichzeitig eine Zerstörung der sozialen Beziehung zwischen ihm und der Schriftleitung bedeutete“848. Diese von Lion konstatierte Mobilisation und die bewusste Auseinandersetzung der Sozial- demokratinnen mit der Linie der „Gleichheit“ sprechen insgesamt für eine rege Rezeption der „Gleichheit“. Sie sprechen, folgt man der Argumentation Lions, sogar für die aktive Umsetzung der von der „Gleichheit“ vermittelten politischen Bildungsintentionen. Die Antwort auf die Frage, wie die „Gleichheit“ rezipiert wurde, wird von Lion folglich aus den Ereignissen hergeleitet. Die 843 Ebd. 844 Ebd., S. 94. 845 Ebd. 846 Vgl. ebd., S. 92f. 847 Ebd., S. 95. 848 Ebd. 238 2.5 KEIN BLATT DER MASSEN?! – ZUR FRAGE DER REZEPTION DER „GLEICHHEIT“ Wirkung der Frauenvereine und der Parteiorganisationen, die dazu beigetragen haben dürfte, dass der Einfluss Zetkins schwächer wurde, bleibt unreflektiert. Mangels konkreter Meinungs- äußerungen bleiben auch die Rückschlüsse Lions fragwürdig. Einige der für diese Arbeit herangezogenen Studien machen den Erfolg der „Gleichheit“ an ihrer Massenwirksamkeit fest.849 Diese ist zusammengesetzt aus zwei Aspekten: Aus den Impulsen, die – wie bei Lion gesehen – scheinbar direkt von der „Gleichheit“ ausgingen und in bewusstem Handeln resultierten, und aus der Größe des erreichten Lesepublikums. Beides ist schwerlich exakt auszumachen. Weder ist mit Sicherheit zu sagen, dass die am Internationalen Frauentag oder an einem Streik teilnehmenden Frauen ausgerechnet durch die „Gleichheit“ dazu agitiert worden waren, noch sind die Abonnentinnenzahlen mit denen der Leserinnen identisch.850 Der direkte Einfluss und die Rezeption der „Gleichheit“ ist nicht quantifizierbar, denn selbst wenn eine Arbeiterfamilie sich finanziell in der Lage sah, eine Zeitschrift zu abonnieren und Versammlungen zu besuchen, so konnten Analphabetentum, Zeitmangel und Arbeitsbelastung jegliche Lektüre un- möglich machen – besonders jene, die nicht der Entspannung diente. Zetkin selbst hatte anfangs nicht den Ehrgeiz gehabt, ein Massenblatt oder gar ein die Massen mobiliserendes Blatt herauszugeben: „Der Ansicht bin ich niemals gewesen, daß die ‘Gleichheit’ eine große Arbeiterin- nenbewegung hervorrufen könne, denn das ist Sache der Agitation und der Organi- sation. Eine Zeitung wie die ‘Gleichheit’ kann keine Bewegung ins Leben rufen, sie kann nur eins thun, sie kann innerhalb der Bewegung schulend und fördernd wirken, und das hat die ‘Gleichheit’ gethan. Die ‘Gleichheit’ hat als Hauptziel ver- folgt, die Genossinnen, die im Vordertreffen des Kampfes stehen prinzipiell klar auf den Boden der Sozialdemokratie zu stellen und sie nicht von der bürgerlichen Frauenrechtlerei durchseuchen zu lassen und diese Aufgabe hat die ‘Gleichheit’ er- füllt.851 Auch drei Jahre später musste Zetkin – mit Unterstützung Zietz‘852 – gegenüber dem Antrag von 849 Kuczynski ist eine Ausnahme, da er die Bedeutung der „Gleichheit“ nicht von ihrer Massenwirksamkeit abhängig macht, sondern von ihrem theoretischen Gehalt und einer konsequent marxistischen Haltung. Den Blickwinkel der überforderten Leserinnen nimmt Kuczynski nicht ein (vgl. Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, S. 164). 850 Es ist davon auszugehen, dass ein Exemplar der „Gleichheit“ durch viele Hände ging. Es gibt Schätzungen, die besagen, dass hinter der offiziellen Zahl von 85.000 Abonnentinnen (1908) tatsächlich 170.000 Leserinnen standen (vgl. Albrecht/u. a., Frauenfrage und deutsche Sozialdemokratie, S. 488.) 851 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Stuttgart 1898, S. 131. Mit der Argumentation, dass die „Gleichheit“ keinen Massenerfolg hätte, wollten ihr bereits Parteigenossen die Kritik an anderen Parteiblättern verbieten. Doch Zetkin sagte nur: „Außerdem: wenn die ‘Gleichheit’ das allermiserabelste Blatt der Partei wäre, so könnte man mir in der Folge doch weder die Fähigkeit noch das Recht absprechen, Kritik zu üben an der Beschaffenheit des ‘Vorwärts’.“ (ebd. S. 131-132). 852 Zietz schrieb zum Auftrag und zur durchdachten Gestaltung der „Gleichheit“: „Die ‘Gleichheit’ soll ein führendes Organ für die fortgeschritteneren Genossinnen sein. (Sehr richtig!) In ihrem ersten Theil muß sie zu allen 239 DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923) Görlitzer Genossinnen auf eine verständlichere Schreibweise in der „Gleichheit“ betonen, dass „[d]ie ‘Gleichheit’ in erster Linie ein Organ zur Schulung der im Kampfe stehender Genossinnen [sei]; sie soll sie theoretisch schulen, ihnen eine Richtschnur für die Praxis der Theorie geben. Aber in jeder Nummer ist ein einfacher, schlichter Arti- kel enthalten, der zur Agitation unter den Arbeiterinnen bestimmt ist. Gewiß könnte in dieser Hinsicht noch mehr geschehen. Aber dies ist in erster Linie eine Frage Ihrer Mitarbeit. Arbeiten Sie Alle, so viel wie nur möglich, an der ‘Gleich- heit’ mit, die Genossinnen werden arbeitend lernen.“853 Der Antrag wurde gegen nur zwei Gegenstimmen mehrheitlich abgelehnt. Später wich Zetkin – besonders mit der Einführung der Beilagen - von diesem Konzept ab. Deshalb wird der Erfolg der „Gleichheit“ und ihres Konzeptes in den meisten Studien scheinbar berechtigt an ihren Finanzen und ihrer AbonnentInnenzahl gemessen. Und da sich hier vor allem in den ersten Jahren eine schleppende Entwicklung zeigte, wird dies mit einem Misserfolg gleichgesetzt und die Ursache für diesen Misserfolg in der theoretischen Ausrichtung der „Gleichheit“ gesehen. So stellt Kinnebrock fest, die „Gleichheit“ sei unter „engagierten Frauen recht gefragt“854 gewesen, doch wegen ihren „dezidiert politischen Inhalten kein Massenblatt“855. Ersteres kann mangels Abon- nentInnenlisten nur eine Mutmaßung sein, die sich u. a. aus der Funktion der „Gleichheit“ als Schulungsorgan fortgeschrittener Sozialdemokratinnen ergibt. Für Letzteres zieht Kinnebrock jene quantifizierbaren Aspekte heran, verweist auf die Schwierigkeiten, die die „Gleichheit“ bis 1900 in Absatz und Finanzierung hatte und unter denen sie ihrem Verleger nur Verluste beschert habe.856 Notgedrungen habe Zetkin die „Gleichheit“ popularisieren müssen, indem sie sie feuilletonisierte und zwei Beilagen einführte. Ist jedoch die „drastische Steigerung der Auflage“857 auf 46.000 (1906) und auf 124.000 (1914), wie Kinnebrock meint, ein direkter Erfolg dieser Bei- lagen.858 Weder verweist Kinnebrock hier auf den Einfluss organisatorischer Änderungen innerhalb der Partei – wie z. B. das obligatorische Abonnement – noch scheinen die schwarzen Zahlen und die drastische Auflagensteigerung der „Gleichheit“ sie in ihren Augen nun doch noch zum Massenblatt gemacht zu haben. Um zu beurteilen, ob die „Gleichheit“ ein Massenblatt war oder nicht, bedarf es entweder Kriterien dafür, was ein Massenblatt ausmacht, oder eines Tagesfragen Stellung nehmen. Im zweiten Theil ist die Sprache so populär, so verständlich, daß sie auch von den einfachsten Frauen verstanden werden kann. Zu einem Familienblatt aber kann die ‘Gleichheit’ nicht ausgestaltet werden. (Bravo!)“ (Zietz im Bericht über die 2. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Par- teitages München 1902, S. 307). 853 Zetkin ebd., S. 307. 854 Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 142. 855 Ebd. 856 Ebd. 857 Ebd. 858 Ebd., S. 143. 240 2.5 KEIN BLATT DER MASSEN?! – ZUR FRAGE DER REZEPTION DER „GLEICHHEIT“ Vergleichsobjekts. Selbst wenn der Erfolg bei den Massen – zumal dieser anfangs noch nicht einmal von Zetkin ge- wollt war – über den Abonnentenstand ermittelbar wäre, kann dieser doch nur für die Verbreitung und ihren finanziellen Erfolg stehen. Er sagt dagegen nichts über die Rezeption bei Leserinnen und Vereinsorganisationen oder gar über die Verinnerlichung der „Gleichheit“ aus, diese bleiben methodisch nicht messbar.859 859 Ebd., S. 136. 241 3 Zwischen Feuilleton und Wissenschaft – Frauengeschichte, Frauenleitbilder und Frauenbiographien in der „Gleichheit“ 3.1 Geschichte in der „Gleichheit“ Das von der sozialdemokratischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ definierte Ziel ihrer politischen Frauenbildung war es, „die Proletarierinnen zum Klassenbewußtsein zu wecken, sie aus einer indiffe- renten oder hemmenden zu einer treibenden Kraft im wirthschaftlichen und politischen Klassenkampfe des Proletariats zu verwandeln, sie zu bewußten Sozialistinnen zu erziehen“1. Um dieses Ziel zu erreichen, war auch in der „Gleichheit“ die Wissensvermittlung auf zwei Gebieten elementar: „dem Gebiete der Nationalökonomie und der Geschichte, und zwar“ – wie Zetkin nicht vergaß zu betonen – „der sozialistischen Auffassung entsprechend“2. Geschichte um der Geschichte willen, quasi als allgemeines Bildungsgut zu vermitteln, machte für Zetkin wenig Sinn. Die zentralen Erkenntnisgewinne aus Geschichte und Nationalökonomie sollten dagegen – so die sozialistische Perspektive – der Entlarvung des kapitalistischen Unterdrückungssystems dienen. Aus Erkenntnis, Aufklärung und Agitation wiederum resultiere bewusstes Handeln und damit die revolutionäre Umwälzung der kapitalis- tischen Gesellschaft. Das herrschende Unterdrückungssystem bediente sich jedoch selbst auch der Geschichte. Es verfügte über eine etablierte und institutionalisierte Geschichtswissenschaft, mittels derer eine einseitige Erinnerungskultur und Darstellungsweise von historischen Ereignissen im öffent- lichen Bewusstsein verankert werden konnte. Götze hebt deshalb hervor, dass die „Gleichheit“ in Artikeln anlässlich sozialistischer Gedenktage und Jubiläen stets auch die Gelegenheit wahr- genommen habe, „historische Zwecklügen“3 zu entlarven. Auf eine ihrer Sicht nach ver- fälschende oder einseitige Darstellung historischer Fakten und Persönlichkeiten reagierte Zetkin stets mit Empörung. So kritisierte sie z. B., dass die von ihr verehrten russischen Frei- heitskämpferInnen in dem Blatt „Die Zukunft“ (1892-1922)4 in einer geradezu „bubenhafte[n] 1 Zetkin, Clara: Kritische Bemerkungen zu Genossin Brauns Vorschlag. In: GL, 07/ 06/ 17.03.1897/ 42. Auch die die Inhalte der „Gleichheit“ kritisch beurteilende Soziologin Hilde Lion beschrieb die Geschichte als „Wissensgrundlage“ für die „charakteristische[…] Stählung und Erziehung der Leserinnen, um sie aus Abon- nentinnen zu klassenbewußten Anhängerinnen der sozialistischen Idee zu machen“ (Lion, Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 90). 2 Zetkin, Clara: Kritische Bemerkungen zu Genossin Brauns Vorschlag. In: GL, 07/ 06/ 17.03.1897/ 43. 3 Götze, Der Beitrag der „Gleichheit“ zur Entwicklung des Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen, S. 60 u. S. 62. Der Aufsatz Götzes setzt sich in diesem Punkt sehr kritisch mit der Dissertation Vormschlags auseinander. 4 Die kulturpolitische Wochenschrift „Die Zukunft“ wurde dem Publizisten, Journalisten und Schauspieler Maximilian Harden herausgegeben. Es gab viele SozialdemokratInnen, die für „Die Zukunft“ schrieben, ob- wohl sie nicht nur gegen die preußische Obrigkeit, sondern auch gegen die SPD polemisierte. Auf dem Partei 243 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ Weise“5 charakterisiert worden seien, was in den Augen Zetkins ein unentschuldbarer Frevel war, denn „[w]enn es je in der Geschichte der Befreiungskämpfe aller Länder Männer und Frauen gegeben hat, die es verstanden haben, die Größe des antiken Helden mit der Selbstlosigkeit des christlichen Märtyrers zu vereinigen, dann s[eien] es die russischen Revolutionäre gewesen“6. Zetkin verwies mit diesem Kommentar bereits auf die zentralen Charaktereigenschaften, die eine Persönlichkeit aufzeigen musste, um von der „Gleichheit“ besonders gewürdigt zu werden: Opfer- bereitschaft und Selbstlosigkeit.7 Zehn Jahre später legte Zetkin auf dem Parteitag in Jena sehr konkret dar, wie sie als „Gleichheit“-Redakteurin gedachte, mit geschichtlichen Themen umzugehen. Wie eingangs be- schrieben, war Geschichte für Zetkin keine zweckfreie Ansammlung pseudoobjektiver Tatsachen. Ihr Zweck lag vor allem darin, die Inhalte der Parteitheorie zu veranschaulichen: „Wenn wir den Genossinnen, die erst anfangen, sich für unsere Theorien zu begeistern und zu interessieren, unsere Ideen nahebringen wollen, so darf das meines Erachtens zunächst gar nicht in Artikeln über die sozialistischen Theorien selbst geschehen. Nach langer Ueberlegung scheint es mir weit zweckmäßiger, mit einer Artikelserie über die Geschichte der Sozialdemokratie zu beginnen. Ich habe mich nämlich überzeugt – und gerade das 40jährige Jubiläum der Partei vor einigen Monaten hat es mir bestätigt –, daß breitesten Schichten der jüngeren Ge- nossen unsere Parteigeschichte noch ziemlich fremd ist und den Genossinnen erst recht. Ich habe mir gesagt, wenn ich in einzelnen Artikeln die Parteigeschichte behandele – selbstverständlich in einfacher Weise –, so gibt das Gelegenheit, in konkreter, leicht faßlicher Art gerade die lernbedürftigen Anfänger auch in wich- tige Grundfragen unserer Ideenwelt einzuführen. Ich meine, durch eine Einführung in die Geschichte der Sozialdemokratie wird auch das Interesse an dem geistigen Leben, an dem Handeln unserer Partei gerade in den Kreisen von neuen Beken- nerinnen erweckt werden. Das, was letzten Endes jenen einfachen proletarischen Frauen fremd ist, ist viel weniger die Schreibweise unserer Presse als die Dinge, um die es geht. Und ich glaube, daß sie durch eine geschichtliche Darstellung in in Dresden 1903 übte neben Zetkin auch Bebel heftige Kritik an diesen GenossInnen, an Harden und an der „Zukunft“ (vgl. Bebel im Protokoll des Parteitags Dresden 1903, S. 213ff.). 5 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Dresden 1903, S. 179. 6 Ebd. 7 Zetkin sah sich durch das ihrer Meinung nach niedrige und parteiliche Niveau der „Zukunft“-Artikel erneut berechtigt, alle wahrhaft sozialistischen AutorInnen zu mahnen, solcherlei Blätter nicht auch noch durch ihre Mit- arbeit zu unterstützen: „In einem Organ, das diese Männer und Frauen, die zu den Edelsten und Besten aller Länder und Zeiten gehören, deren Wirken gegenüber wir alle das Gefühl haben müssen: Zieh‘ deine Schuhe aus, der Boden, wo du stehst, ist heilig – in einem Organ, wo diese Leute so beschimpft werden, muß es nicht nur für einen Sozialisten, sondern für jeden anständigen Menschen unmöglich sein, zu schreiben.“ (ebd.). Angesichts ihrer immer wieder ergangenen und oft vergeblichen Aufrufe an die GenossInnen, geeignete Artikel für die „Gleichheit“ zu verfassen, dürfte Zetkin die Mitarbeit sozialdemokratischer AutorInnen an anderen als sozial - demokratischen, vielleicht sogar ausgesprochen bürgerlichen Organen, ein besonderer Dorn im Auge gewesen sein. Inwieweit diesem Verhalten mancher sozialdemokratischer AutorInnen jedoch schlicht finanzielle Zwänge zu Grunde lagen, müsste noch besonders untersucht werden. 244 3.1 GESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ konkreter Form ihnen zuerst nahegebracht werden können.“8 Es zeigt sich hier die ausgeklügelte Bildungsstrategie Zetkins, gerade neu gewonnenen Genos- sinnen die abstrakte Parteitheorie mittels der etwas konkreteren Parteigeschichte zu vermitteln.9 Geschichtliche Themen schienen ihr sogar für die Werbung neuer Mitglieder so erfolg- versprechend, dass sie es als vertretbar sowie notwendig erachtete, zugunsten von Artikeln zur Parteigeschichte den Raum für „landläufige[…] Agitationsberichte“10 zu verringern.11 Diese von Zetkin dargelegte Bildungsstrategie war wie die zuvor eingeführten Beilagen ein Zugeständnis an die Lesegewohnheiten der „Gleichheit“-Leserinnen, zugleich aber auch eine Konsequenz ihrer Kritik am revisionistischen Lager der Partei, welches die Masse der Proletarier nicht theoretisch schulen wolle, sondern einige „Brocken allgemeiner ‘Bildung’: Geschichte, namentlich Lebensgeschichte ‘großer Männer’ und dergleichen, und möglichst viel ‘Stoff’ aus dem täglichen Leben“12 als ausreichend erachtete. Gerade hinsichtlich der politischen Bildung proletarischer Frauen, die Zetkin anvertraut worden war, konnte und durfte dies jedoch nicht der Wahrheit letzter Schluss sein. Nur die Konfrontation und Auseinandersetzung mit wissenschaftlich fundierten Erkennt- nissen konnten die Grundlagen schaffen, den Proletarierinnen die Möglichkeiten ihrer Selbstbe- freiung zu eröffnen. Deshalb bedurften sie der „volle[n] Einsicht in die historischen Bedingungen der eigenen Klassenbefreiung“13, und dies auf dem Niveau eines wissenschaftlichen Sozialismus. Diese kompromisslose Haltung Zetkins hinsichtlich geschichtlicher Bildungsinhalte warf jedoch zwei gravierende Probleme auf: Das hohe Niveau, auf dem diese den „Gleichheit“-Leserinnen vermittelt werden sollten und mussten und die Auswahl geeigneter geschichtlicher Themen. Zetkin musste hinsichtlich des auf vielen Parteitagen und Frauenkongressen kritisierten Niveaus der „Gleichheit“ ihre Argumentation den Organisationserfolgen der proletarischen Frauenbe- wegung anpassen. Sah sie die „Gleichheit“ anfangs in erster Linie als Fortbildungsorgan bereits 8 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 255. 9 An anderer Stelle hat Zetkin jedoch genau gegensätzlich argumentiert: „‘Wir sollten nicht mit der Vergangenheit beginnen, die weitab von der Gedankenwelt der meisten Proletarierinnen liegt und auch oft von den Lehrenden nur recht unvollkommen beherrscht wird, wir müßten zunächst auf dem Boden der Gegenwart bleiben. Damit werden wir aber auch die ungeschulten Proletarierinnen fesseln …’“ (Clara Zetkin zit. nach: Um eine ganze Epoche voraus, S. 35). Mangels eines entsprechenden Beleges konnte diese Aussage weder verifiziert noch zeitlich eingeordnet werden. Die Linie der „Gleichheit“ war demnach hinsichtlich ihres Bildungskonzeptes und ihrer Inhalte nicht immer stringent und somit offen für andere Ansätze. 10 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 256. 11 Von dieser Kürzung unberührt sollten laut Zetkin die Berichte der Genossinnen aus den Kinderschutz- kommissionen und Gemeindeinstitutionen bleiben, denn sie gäben wertvolle Einblicke in die „ganze[…] große[…] praktische[…] Betätigung unserer Genossinnen“ (ebd.). 12 Der Parteitag in Nürnberg. In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 181. 13 Ebd. 245 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ geschulter Genossinnen, so hielt sie schließlich für manche Belange dieser Zielgruppe die Tages- presse für ausreichend.14 Dies bedeutete jedoch nicht, dass Artikel im Hauptblatt weniger anspruchsvoll wurden. Für eine leichter zu erfassende Literatur standen noch die Beilagen zur Verfügung. Sie waren die beste Lösung für den Interessenkonflikt, sowohl politische Bildung als auch Mitgliederwerbung zu betreiben. Sie unterstützten auch die Intention Zetkins, geschicht- liches Wissen zu vermitteln, indem sie der Geschichte und vor allem der Kulturgeschichte viel Raum gaben. Als Brücke und Ergänzung des Hauptblattes waren auch sie Teil der politischen Bil- dungsstrategie der „Gleichheit“. Mit dem zweiten Problem, eine geeignete Auswahl historischer Stoffe zu treffen, stellt sich nun die Frage nach den konkreten Inhalten der „Gleichheit“. Die zu geschichtlichen Themen er- schienenen Artikel lassen sich in die drei Bereiche Kulturgeschichte, Revolutionsgeschichte und die Geschichte der SPD gliedern. Da in der vorliegenden Arbeit der Schwerpunkt auf frauen- geschichtliche Inhalte gelegt wird, werden die entsprechenden Artikel aus Platzgründen nicht näher dargelegt. Ihre Themenbereiche finden sich aber, mit Schwerpunkt auf die weibliche Per- spektive, im folgenden Kapitel wieder.15 Aus dem Bereich der Kulturgeschichte wurden nur wenige Artikel im Hauptblatt veröffentlicht, sie machten – abhängig von den beteiligten Personen16 – teilweise einen Schwerpunkt der Bei- lagen aus. Die Artikel, die im Hauptblatt veröffentlicht wurden, griffen meist Themen aus dem Erfahrungsbereich der Frauen auf17 und hatten seltener einen allgemeinen kulturhistorischen In- halt18. Die Inhalte revolutionsgeschichtlicher Artikel basieren auf der sozialistischen Geschichts- auffassung und der von Marx und Engels entwickelten Theorie des historischen Materialismus. 14 Im Rahmen dieser Strategie und ihrer redaktionellen Umsetzung erklärte Zetkin auf dem Parteitag in Jena 1913, dass es zudem notwendig werden würde, „gelegentlich den einen oder anderen Artikel ausfallen“ (Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 256) zu lassen. Sie ging davon aus, dass gerade sozialpolitische Artikel in einer für die Agitatorinnen ausreichenden Art und Weise in der Tagespresse erscheinen würden und so die Agitation nicht zu leiden hätte (vgl. ebd.). Ungewohnt bescheiden hoffte Zetkin, dass die Delegierten des Jenaer Parteitages „mit dieser Art und Weise, dem Bedürfnis entgegenzukommen, wohl einverstanden sein werden“ (ebd.). 15 Siehe auch: „Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der ‘Gleichheit’“. 16 An dieser Stelle ist besonders die Mitarbeit Hanna Lewin-Dorschs (?-1911) hervorzuheben, die ein Studium der Naturwissenschaften, Gesellschaftswissenschaften und Geschichte absolviert hatte und in den Beilagen regel- mäßig kulturhistorische Artikel (Mutterrecht, Entdeckung der Metalle, Entwicklung von Haushaltsgegenständen, Ehe und Erwerbsarbeit) veröffentlichte. Lewin-Dorsch wird anhand eines in der „Gleichheit“ veröffentlichten Nachrufes noch näher vorgestellt werden. 17 Siehe: Jäckel, H[ermann?]: Vom Spinnen und Weben in alter Zeit [I-IV]. In: GL, 20/ 19/ 20.06.1910/ 295-296. bis GL, 20/ 24/ 29.08.1910/ 375-376. 18 Siehe: Dorsch, Hanna: Weihnachten – Sonnenwendfest! In: GL, 16/ 26/ 26.12.1906/ 186; Weh, O.: Die Gleichstellung von Mensch und Thier in der Gesetzgebung des Mittelalters. In: GL, 08/ 16/ 03.08.1898/ 124-126; GL, 08/ 17/ 17.08.1898/ 132-133; GL, 08/ 18/ 31.08.1898/ 140-141. 246 3.1 GESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ Nach dieser ist die Geschichte eine wesentlich durch ökonomische Prozesse bestimmte Ent- wicklung. Erst die Veränderung in den Austausch- und Produktionsprozessen, die die Entstehung verschiedener, sich bekämpfender Klassen beeinflussen, führen zu einer Weiterentwicklung der Gesellschaft. Geschichte ist demnach eine Geschichte der Klassenkämpfe auf dem Weg zum Kommunismus.19 Es ist daher vor allem die Geschichte revolutionärer Volksbewegungen, die von der „Gleichheit“ wie von der gesamten deutschen Arbeiterpresse rezipiert wurde.20 Aus dieser Geschichte wollte man Kraft und Gewissheit für die Zukunft schöpfen, eigene Werte und Ziel- vorstellungen stabilisieren, um diese dem kollektiven Gedächtnis der Arbeiterklasse zu vermitteln und einzuprägen.21 Revolutionen bieten dafür erstaunlich zweckgemäß, so der Historiker Peter Friedemann, ein „einfache[s], einprägsame[s], dichotomische[s] Bild“22. Ein Umstand, der sie zum idealen Themenstoff für Zeitschriften macht, da diese sich in ihrer Wirksamkeit ebenfalls auf Vereinfachung und Verinnerlichung stützen. Die von Friedemann untersuchten Zeitschriften be- ließen es daher jedoch oft bei einer oberflächlichen Betrachtungsweise ihrer historischen Themen. So stellt Friedemann hinsichtlich der Rezeption der Französischen Revolution für verschiedene sozialdemokratische Blätter fest, dass diese ihren LeserInnen weniger eine historische Analyse dieser Revolution als vielmehr nur eine eingeschränkte Auswahl spezifischer Schlagwörter, Bilder und Topoi boten.23 Auf diese Weise war sie weniger historisches Forschungsobjekt als vielmehr besonders bildhaftes Aufklärungsmittel. Die Bastille symbolisierte die kapitalistische Gesellschaft und die Ereignisse des Jahres 1789 standen für die Prophezeiung, dass der „14. Juli des Proleta- riats“, die sozialistische Gesellschaft, bereits zum Greifen nahe sei. Ein besonders hervorzuhebender Rückgriff auf die Revolutionsgeschichte ist die Artikelserie „Ein 19 Folgende Werke wurden den „Gleichheit“-Leserinnen zur tiefergehenden Beschäftigung mit der sozialistischen Geschichtstheorie empfohlen: Ferdinand Lassalle „Arbeiterprogramm“(1862), „Kapital und Arbeit“ (1864) und „Ziele und Wege“ (?); Karl Kautsky „ Das Erfurter Programm“ (1892); Marx und Engels „Das Kommunistische Manifest“ (1848); Peter Kropotkin „Die französische Revolution“ (1909); Wilhelm Blos „Die deutsche Revolution von 1848“ (1893); Prosper Lissagaray „Geschichte der Kommune“ (1876); Arnold Dodel „Moses oder Darwin“ (1889); M. Wilhelm Meyer „Weltschöpfung“ (1904) und „Weltuntergang“ (1887); Konrad Günther „Der Darwinismus und die Probleme des Lebens“ (1904) (vgl. Pritschkow, Fr.: Der Drang nach Wissen. In: GL, 19/ 26/ 27.09.1909/ 406 und Literarisches. In: GL, 21/ 06/ 19.12.1910/ 96). 20 Zu diesen Volksbewegungen gehören die Bauernkriege, die englische Glorious Revolution, die Französische Re- volution, der Vormärz, die 1848er-Revolution, der Tiroler Aufstand im Jahre 1809 und die russische Revolution. 21 Vgl. Friedemann, Französische Revolution und deutsche sozialistische Arbeiterpresse, S. 235. 22 Ebd., S. 236. 23 Vgl. ebd., S. 238. Laut Puschnerat zeigte Zetkin eine ablehnende Haltung gegenüber der revolutionären Tradition Frankreichs (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 60). Die „Gleichheit“ veröffent- lichte tatsächlich weit weniger Artikel zur Französischen Revolution als zur 1848er-Revolution. Dies ist einerseits auf die Zetkin‘sche Geschichtsinterpretation (siehe die Biographie Jeanne-Marie Rolands) zurückzuführen als auch auf den Umstand, dass es im Laufe der Jahre andere „Gleichheit“-MitarbeiterInnen waren, die sich der his- torischen Themen annahmen. 247 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ Blatt Geschichte“24, in welcher Zetkin während des Krieges die Ereignisse im England des 17. Jahrhunderts, einen Machtkampf zwischen Parlament und König erläuterte.25 Bereits ihre Äußerung, dass die „politische Freiheit Englands“ – die politische Freiheit des Kriegsgegners – „so groß […]wie kaum in einem Lande“26 sei, musste provozieren. Diese Freiheit sei Resultat der englischen Revolution im 17. Jahrhundert, die mit der Thronbesteigung Karls I. im Jahre 1623 ihren Anfang nahm. Mehrmals hatte der englische König seit seiner Thronbesteigung das Parlament aufgelöst, weil es nicht seiner Forderung nach „Bewilligung von Kriegskrediten“ nachkam – die Parallele zum Juli 1914 ist unverkennbar. Das englische Parlament weigerte sich jedoch, die Mittel freizugeben bevor „das ganze reaktionäre System“27 reformiert, die Minister „in Anklagezustand versetzt“28 und dem Volk politische Freiheiten zuerkannt worden seien. Indem Karl I. das Parlament stets auflöste, wenn es seinem Willen nicht nachkam, war er elf Jahre lang ein nahezu absolutistischer Herrscher. Doch im Volk gärte es. Es verweigerte nicht nur die Steuerzahlungen, sondern verbreitete sogar „massenhaft revolutionäre Flugschriften“29 und es gab „Straßenaufläufe und Demonstrationen“30. Die Regierung wusste keine andere Lösung als das Parlament 1640 wieder einzuberufen. Dieses jedoch wich kein Jota von seiner Forderung ab: „[E]he nicht die politische Freiheit gesichert ist, keinen Pfennig zur Kriegsführung.“31 Genau dies war auch einmal die Haltung der Vorkriegs-SPD gewesen. Karl I. reagierte kurzentschlossen und wollte „[f]ünf der angesehensten Führer der Opposition“32 unter Verletzung ihrer Immunität als Parlamentsabgeordnete in Haft setzen und unter die Anklage des Hochverrats stellen. Hier nun endete Zetkins fulminante Einleitung und der Artikel setzte mit aus François Guizots 1828 erschienenen Werk „Geschichte der englischen Revolution“ entnommenen Darstellungen fort. In ihrer Einleitung hatte Zetkin geschickt Analogien gezogen und einen Ausblick auf die kom- menden Ereignisse gegeben. Dieser Übergriff auf die Abgeordneten des Parlaments sollte den König „den Kopf kosten“33. Denn nun würde sich, so Zetkin, auch das „englische Bürgertum auf[raffen], um die Macht des Königtums einzuschränken und das Parlament zum eigentlichen 24 Ein Blatt Geschichte [I-III]. In: GL, 26/ 22/ 21.07.1916/ 165-166 bis GL, 26/ 25/ 18.08.1916/ 177-178. 25 Ein Blatt Geschichte I. In: GL, 26/ 22/ 21.07.1916/ 165. 26 Ebd. 27 Ebd. 28 Ebd. 29 Ebd. 30 Ebd. 31 Ebd. 32 Ebd. 33 Ebd. 248 3.1 GESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ Machtfaktor des politischen Lebens zu erheben“34. Nun würden Bürgerliche „[ge]stützt[…] auf die revolutionären Schichten des arbeitenden Volkes“35, nicht mehr nur „Petitionieren“, sondern sich an die Spitze einer „offenen großen Volksrevolution“ stellen. Guizot beschrieb den Kampf des Parlamentes, aber vor allem des Volkes um seine Vertreter. „‘Immunität! Immunität!’“36 hätten die Massen dem König drohend auf der Straße zugerufen und die fünf Abgeordneten nie ohne Schutz gelassen. Der Gewaltstreich des Königs war abgewehrt und er verließ London. Sein späterer Tod 1649 auf dem Schafott markierte den Beginn einer elf Jahre währenden englischen Republik. Zetkins Artikel war ein offener Aufruf zur Revoltution und es verwundert sehr, dass er die Zensur unbeschadet umgehen konnte. Nach der Entlassung Zetkins und nach der russischen Revolution änderte sich der Blick der „Gleichheit“ auf den historischen Materialismus, wenn sie sich auch weiterhin auf ihn berief. So schrieb Kurt Heilbut in seinem Artikel „Kommunismus oder Sozialismus“37, mit welchem er vor allem gegen die linksradikale Konkurrenz und ihre Vorstellung vom Kommunismus angehen wollte: „Eine scharfe Trennung [von Sozialismus und Kommunismus; M.S.] besteht nur in dem Wege. Und hier verleugnet der Kommunismus auf einmal alle die wissen- schaftlichen Grundsätze, die die marxistische-materialistische Geschichtsforschung aufgestellt hat. Mit einem kühnen Saltomortale verläßt er hier den Boden der Wirklichkeit und fliegt und schwebt in einen gewiß sehr schönen und wünschens- werten Traumzustand hinein.“38 Heilbut lehnte den Kommunismus nicht ab, weil er ihn nicht wollte, sondern weil er überzeugt war, „ihn unter den heutigen Wirtschaftsverhältnissen und mit dem gegenwärtigen Menschen- material“39 [sic!, M.S.] nicht verwirklichen zu können. Die Gesellschaft sei noch nicht reif für den Kommunismus. Dieser müsse sich organisch entwickeln und könne nicht mit „D-Zuggeschwin- digkeit“40 erzwungen werden. Lenin und die russischen Kommunisten hätten mit ihrer Politik bewiesen, „daß die sofortige Durchführung des Kommunismus ein Unding, eine Unmöglich- keit ist. Wir müssen ihnen ferner dankbar sein, daß sie die Fehler, die sie gemacht haben, offen und freimütig eingestanden, ja sogar selbst aufgedeckt haben und so 34 Ebd. 35 Ebd. 36 Ein Blatt Geschichte III. In: GL, 26/ 25/ 18.08.1916/ 178. 37 Heilbut, Kurt: Kommunismus oder Sozialismus. In: GL, 29/ 24/ 02.08.1919/ 187-190. 38 Ebd., S. 188. 39 Ebd. 40 Ebd., S. 189. 249 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ den Arbeitern ihres Landes, und darüber hinaus den Proletariern der ganzen Welt gezeigt haben, wie man es n i c h t machen soll.“41 Trotz dieser Kritik blieb auch für Heilbut entscheidend, dass während die konservative Gesell- schaft aus Geschichte und Tradition Argumente schöpft, die den Status quo legitimieren, die sozialistische Kritik an der bestehenden Gesellschaft – ob nun sozialdemokratisch oder kommu- nistisch – vor allem auf dem Geschichtsverlauf fußt. In diesem Sinne hatte wiederum Zetkin bereits 1915 anlässlich des Internationalen Frauentages geschrieben: “Hat es da nicht den Anschein, als ob der Weltkrieg einer Erdbebenkatastrophe gleich mit anderen Menschheitsidealen auch die gärende Sehnsucht der Frauen nach Recht, nach Freiheit, das eigene Maß des Wachsens und Werdens zu erreichen unter Trümmerhaufen begraben habe? So mögen die Kleinmütigen und Kurz- sichtigen wähnen, die das Wirken und Weben der geschichtlichen Kräfte nur an der Oberfläche erfassen und für deren Sinn daher das ewig Gestrige auch das ewig Heutige ist. Anders sieht die Dinge, wer aus der Geschichte gelernt hat, daß wohl für kürzere oder längere Zeit verschüttet, aber nicht getötet werden kann, was gesellschaftliche Notwendigkeit vom Menschengeist geboren werden läßt und menschlichem Wollen als Ziel gesetzt. Es kann nicht sterben, bis es nicht vollendet worden und in seiner Vollendung höherem gesellschaftlichen Sein den Weg ge- ebnet hat.“42 Diese von Zetkin wortgewandt ausgedrückte Hoffnung auf die Erfüllung eines menschheits- geschichtlichen Ziels barg eine besondere Emotionalität. Allen sozialdemokratischen Organen – einschließlich der „Gleichheit“ – waren Revolutionen als „Sonn- und Festtage der Weltge- schichte“43 – nicht nur markante Wendepunkte, sondern immer auch „‘emotional-romantische[…] Symbol[e]’“44. Auch Toni Sender bediente sich für ihren Artikel „Das Klassenbewusstsein als Quelle unserer Kraft“45 dieser Emotionalität. Senders Artikel erschien im März 1923. Auch dieses Mal ging es der „neuen“ „Gleichheit“ nicht nur um ein schlichtes Erinnern an die Märzgefallenen der 1848er- Revolution, sondern um eine Beziehung zum Jetzt – umso mehr, da das Berliner Bezirksparlament den Antrag der Sozialdemokratie, den Friedhof der Märzgefallenen vor dem Verfall zu bewahren, nur mit Unverständnis begegnet war. Dieses Verhalten nahm Sender zum Anlass, „[j]ener Zeit“ zu erinnern, „da ihr [der deutschen Bourgeoisie; M.S.] die Hilfe des in ihrem Schoße entstehenden vierten Standes sehr willkommen war, um sich von ihm im Kampfe gegen den Feudalismus die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen“46. 41 Ebd. 42 Der internationale sozialistische Frauentag. In: GL, 25/ 13/ 19.03.1915/ 73-74, S. 73. 43 Kossok, In Tyrannos: Revolutionen der Weltgeschichte, S. 15. 44 Friedemann, Französische Revolution und deutsche sozialistische Arbeiterpresse, S. 236. 45 Sender, Toni: Das Klassenbewusstsein als Quelle unserer Kraft. In: GL, 33/ 06/ 15.03.1923/ 41-42. 46 Ebd., S. 41. 250 3.1 GESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ Während die Bourgeoisie des Jahres 1923 jede revolutionäre Entwicklung moralisch entrüstet ablehne,47 lebe das Proletariat – Sender verwendete nicht den Begriff der Sozialdemokratie – in eben dieser revolutionären Tradition. Sender schlug einen darstellenden Bogen von der Französischen Revolution über die Weberaufstände bis zur Entwicklung eines „nackt[en] und unverschleiert[en], Menschenwürde und Persönlichkeitsbewusstsein zerstörend[en] […] jungen deutschen Kapitalismus“48 in der Zeit des Vormärz. Das Proletariat habe den „aktivsten Teil“49 der 1848er-Revolution gebildet, aber sei dann doch von der Bourgeoisie, die im Gegensatz zu ihm bereits über ein klares Klassenbewusstsein verfügt habe, „überrumpel[t]“50 worden. Ohne dieses Klassenbewusstsein und von der Bourgeoisie, die ein mächtiges Proletariat verhindern wollte, auf dem Kampfplatz im Stich gelassen, habe auch das Proletariat letztlich der Soldateska erliegen müssen. Sender, die hier kaum die weibliche Perspektive betonte, ließ ihren Leserinnen trotzdem die 1848er-Revolution als Markstein des Aufstiegs der proletarischen Klasse erscheinen: „Aber dennoch bleibt die 1848er-Revolution auch für das deutsche Proletariat wertvoll. Denn je mehr sie versandete, desto revolutionärer wurde das Proletariat. Je feiger das Bürgertum, aus Angst vor dem Proletariat, die eigene Fahne sinken ließ, um so radikaler räumte dieser Erfahrung im Proletariat mit den alten Illusionen auf. So wurde die Märzrevolution zum mächtigsten Kraftquell für das deutsche Proletariat – zur Quelle der Erkenntnis in seine eigene starke Kraft als Klasse.“51 Es ist zum Schluss vor allem ein Aufruf zu Einigkeit des Proletariats, denn in der Stärke seiner Einigkeit und Selbständigkeit liege seine Kraft.52 Mit dieser wolle es nun seine historische Mission erfüllen und „die Menschheit auf eine höhere Stufe der Wirtschaft und Kultur empor- […]führen“.53 Der Burgfrieden war 1923 vorbei, die SPD wiedervereinigt und scheinbar bereit für den politischen Kampf um eine neue Gesellschaft. Der politische Kampf war der SPD vor gar nicht langer Zeit noch sehr erschwert worden. Ihre eigene Geschichte barg wie die der Revolutionen eine besondere Emotionalität, denn sie berührte viele der „Gleichheit“-Leserinnen, die zu den „Frauen der ersten Stunde“ gehörten. Es konnte daher nicht ausreichend sein, ihnen die Parteigeschichte nur aus einer allgemeinen Perspektive 47 Ebd. 48 Ebd., S. 42. 49 Ebd. 50 Ebd. 51 Ebd. 52 Ebd. 53 Ebd. 251 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ oder in Form von männerbiographischen Artikeln näher zu bringen.54 Auch sie hatten der durch Sozialisten- und Vereinsgesetz drohenden gesellschaftlichen Diskriminierung und Haftstrafen getrotzt, eine von bürgerlicher Mildtätigkeit unabhängige Organisation begründet und sich offen zur sozialistischen Arbeiterbewegung bekannt. Die „Gleichheit“ wurde nie müde, die besonderen Verdienste der Frauen um das Überleben und den Aufstieg der männerdominierten SPD zu benennen. Deshalb werden im folgenden Kapitel die frauengeschichtlichen Akzente von Kultur-, Revolutions- und SPD-Geschichte näher vorgestellt. 54 Die umfassendste Darstellung der SPD-Geschichte erschien mit einer Artikelserie von Franz Klühs (1877-1923) 1922: Klühs, Franz: Vom Werden der Partei [I-VIII]. In: GL, 32/ 07/ 01.04.1922/ ? bis GL, 32/ 19-20/ 01.10.1922/ 178-179; siehe: „Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der ‘Gleichheit’“. Klühs hatte bereits 23jährig seine erste Position als Redakteur einer Zeitschrift inne. Zweimal wurde er wegen Verstoßes gegen das preußische Pressegesetz zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Er engagierte sich in der Magdeburger SPD. 1921-1933 war Klühs stellvertretender Chefredakteur des „Vorwärts“. 1921 erschien außerdem sein Werk „Der Aufstieg. Führer durch die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ (vgl. Radtke, Elli: [Rezension zu: Klühs, Franz: Der Aufstieg]. In: GL, 31/ 02/ 15.01.1921/ 13). 1934 wurde er wegen seiner Kontakte zum Exil-Parteivorstand vom Reichsgericht in Leipzig zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. In Verhören immer wieder misshandelt, war Klühs‘ Gesundheitszustand so schlecht, dass er kurz nach der Entlassung an den Folgen der Haft verstarb. 252 3.2 Frauengeschichte in der „Gleichheit“ Die Behandlung historischer Inhalte in der „Gleichheit“ ist geprägt durch das Geschichtsbild August Bebels. Sowohl sein 1875 abgefasster, aber erst 1878 erschienener Aufsatz „Über die gegenwärtige und künftige Stellung der Frau“ als auch sein 1879 veröffentlichtes Hauptwerk „Die Frau und der Sozialismus“55 – das von deutschen ProletarierInnen meistgelesene Buch56 – basieren auf Marx‘ Theorie des historischen Materialismus. Bebel analysierte ausgehend von den kulturkritischen Studien utopischer Frühsozialisten wie Charles Fourier und naturwissenschaftlich-ethnologischen Studien von Charles Darwin, Lewis Henry Morgan und Johann Jakob Bachofen die vielfältigen historischen Ursachen für die gesellschaftliche Unter- drückung der Frau. Er stellte anhand dieser Studien die kulturgeschichtliche Entwicklung menschlicher Gesellschaften seit der Urzeit bis zur kapitalistischen Gegenwart dar und ver- wertete sowohl geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse als auch große Mengen statistischen Materials.57 Für besondere Aufregung in konservativen Kreisen sorgten seine Darstellungen der Frauen als Geschlechtswesen, die einen natürlichen Geschlechtstrieb ausleben wollen, sowie seine an die bürgerliche Doppelmoral gerichteten Anklagen hinsichtlich Prostitution, Ge- schlechtskrankheiten und der historischen Entwicklung der vermeintlich göttlichen Institution der Ehe. Bebel analysierte die geschlechtsspezifischen Momente weiblicher Arbeit, weiblicher Bildung und damit weiblicher Rechtlosigkeit. Er pointierte schließlich: „Frau und Arbeiter haben gemein, Unterdrückte zu sein.“58 und stellte die zentrale These auf, dass die Frauenfrage grundsätzlich Teil der sozialen Frage sei und beide nur durch die Etablierung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung gelöst werden könnten. Der Kampf um die Gleich- berechtigung der Frau war Kampf um den sozialistischen Zukunftsstaat und damit Teil des Kampfes der Arbeiterbewegung. Mit einem Ausblick auf eben diese zukünftige sozialistische 55 Bebel veröffentlichte die Ergebnisse seiner Studien 1879 vorerst unter dem Titel „Die Frau und der Sozia - lismus“. Der unter den oppressiven Gegebenheiten des „Sozialistengesetzes“ äußerst brisante Inhalt erschwerte den Vertrieb des Werkes jedoch in solchem Maße, dass der Titel „Die Frau in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ über den wahren Charakter des Buches hinwegtäuschen sollte. Erst die überarbeitete neunte Auflage von 1891 konnte wieder unter dem ursprünglichen Titel erscheinen. Die Leserschaft hatte das Werk Bebels unter einer anderen Bezeichnung populär gemacht: Schlicht wie auch herzlich bezeichnete sie das Werk als Bebels „Frau“. 56 Für die Popularität von Bebels „Frau“ stehen die hohe Zahl der Auflagen (1910 erschien bereits die 50. Auf- lage), die Übersetzung in mehr als 20 Sprachen und die Nutzungsstatistiken der Arbeiterbibliotheken (vgl. Steinberg, Lesegewohnheiten deutscher Arbeiter). 57 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, S. 43. Es muss aus Platzgründen und um Wiederholungen zu vermeiden, darauf verzichtet werden, spezifischer auf Bebels Werk „Die Frau und der Sozialismus“ einzugehen. Die frauengeschichtlichen Artikel der „Gleichheit“ spiegeln seine Inhalte teilweise präzise wider, teilweise gehen sie aber auch über Bebels Darstellungen hinaus. 58 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, S. 45. 253 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ Gesellschaft schließt „Die Frau und der Sozialismus“. Bebel musste seinen Kritikern59 gegenüber später jedoch einräumen, dass dieser Ausblick sehr subjektiv ausfallen musste und keine absolute Geltung beanspruche.60 Dennoch entwarf sein Werk allen Frauen – nicht nur den proletarischen – ein Ziel, das sich anzustreben lohnt. Bebel beschrieb einen historischen Kulturauftrag der Frau : „Mit dem den Frauen innewohnenden feinen Gefühl, welches sie als selbst Unterdrückte für die Unterdrückten stets empfanden und das ihnen instinktiv die Hoffnung gab, durch die Befreiung eines Unterdrückten ihre eigene Unterdrückung zu beendigen oder zu erleichtern, haben sie noch in jeder großen Bewegung ihre Rolle gespielt und sich mit Eifer der Verwirklichung ihrer Ziele hingegeben. Es zeigte sich dies bei der Gründung und Ausbreitung des Christentums, bei allen reli- giös-sozialen Bewegungen des Mittelalters, im Bauernkrieg, in der französischen Revolution, in der Junischlacht, in der Communebewegung.“61 Mit diesen Ausführungen umriss Bebel quasi das frauengeschichtliche Inhaltstableau der „Gleichheit“. Wie nun aber war es möglich gewesen, dass Frauen diesen Einfluss hatten verlieren können? Wieso fand man sie zur Enttäuschung Bebels weniger in der sozialistischen Bewegung als ausgerechnet im „ultramontanen Lager“62 d. h. im Lager der Katholizisten und Antiliberalen, die in der Zentrumspartei ihre politische Vertretung hatten. Bebel sah den Grund dafür in der Taktik der Herrschenden, „bei den Frauen in noch höherem Grade wie bei den Proletariern die Aus- bildung des Verstandes absicht l ich [zu] vernachlässig[en]“63. Wo aber, so Bebel, „der Vers tand wegen Mangel an Entwickelung und Uebung schwach ist, ist das Gefühl s tark . Dieses starke Ueberwuchern des Gefühls auf Kosten des Verstandes hat insbesondere die Kirche, die nur auf das Gefühl berechnet ist, aus- zubeuten gewußt.“64 Die von Bebel zuvor also noch hoch geschätzte, vermeintlich weibliche Eigenart des Mitfühlens und Hingebens kam nicht nur der sozialistischen Bewegung zu Gute, sondern auch ihren Gegnern. Wollte die SPD das Mitgefühl der Frauen für die Unterdrückten dieser Welt wachrufen, durfte sie 59 Für kritische zeitgenössische Rezensionen zu Bebels Werk siehe: Schöler, Die Irrthümer der Sozialdemokratie (1895); Ley, A. Bebel und sein Evangelium (1885); Jardon, Die Frau und Bebels Utopien (1892); Katzenstein, Kritische Bemerkungen zu Bebels Buch: „Die Frau und der Sozialismus“ (1896/97); Ziegler, Die Natur- wissenschaft und die sozialdemokratische Theorie (1894) (siehe als Rezension dazu: G.L.: Die Gleichstellung der Frau mit dem Manne. In: GL, 04/ 07/ 04.04.1894/ 94). Für moderne – positive wie negative – Beurteilungen siehe: Literaturverzeichnis; Luckhardt, Die Frau als Fremde; Schwendter, Zur Geschichte der Zukunft: Zukunfts- forschung und Sozialismus, Bd. 1, S. 248-255. 60 Vgl. Bebel, Die Frau und der Sozialismus, S. 43. 61 Bebel, Über die gegenwärtige und künftige Stellung der Frau, S. 701-702. 62 Ebd., S. 702 63 Ebd. Hervorhebungen aus dem Original wurden im Neudruck kursiv übernommen. Da angenommen werden kann, dass sie im Original in der damals üblicheren Form des Sperrdrucks erschienen, wird diesem hier der Vor- zug gegeben. 64 Ebd. 254 3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ es nicht durch eine übermäßige Verstandesausbildung der Frau gefährden. Zudem war das „gelehrte Frauenzimmer“ ein oft karikiertes Frauenbild, dem bestimmt keine Proletarierin nach- streben sollte und wollte. Bebel sah quasi einen diametralen Zusammenhang zwischen Verstand und Gefühl – je stärker das eine ausgebildet ist, desto schwächer das andere. Grundlegend für einen gesellschaftlichen Wandel war damit die rational-wissenschaftliche Schulung der Frau. In welcher Weise aber letztendlich das richtige Verhältnis zwischen Verstand und Emotion her- zustellen sein könnte, beschrieb Bebel allerdings nicht. Er forderte die sozialistische Bewegung zum konkreten Handeln, zur verstärkten Agitation auf, um den Frauen die entscheidende Alternative zur Kirche sein. Die wahre Emanzipation der Frau –eine Notwendigkeit, die er auch für die bürgerlichen und adeligen Frauen sah – sei nicht allein in der Gleichberechtigung mit dem Ehemann gegeben, sondern auch in ihrer „Stellung als Staatsbürgerin und Arbeiterin, als Gesellschaftswesen überhaupt“65. Schnell wurde Bebels „Frau“ von den verschiedenen proletarischen Frauenorganisationen für ihre Agitations- und Bildungsarbeit aufgegriffen. Schon 1891 fasste Zetkin für die „Arbeiterin“ seine wesentlichen Punkte in der Artikelserie „Die Frau und der Sozialismus von Bebel“66zusammen. Zwar äußert sie Kritik daran, dass es „vielfach skizzenhaft gehalten war, hier und da Vollständig- keit und leichte Uebersichtlichkeit des Gedankenganges vermissen ließ“67, aber letztendlich sei es in Anbetracht seines Anliegens „eine That“68 gewesen. Diese Tat sei umso bewundernswerter, wenn man neben den schwierigen Umständen der Niederschrift, der Veröffentlichung und Verbrei- tung außerdem bedenke, dass Bebels These „ein Schwimmen gegen den Strom nicht nur der bürgerlichen Welt – das war selbstverständlich – sondern auch der überwiegenden Mehrheit der sozialistischen Arbeiterwelt bedeutete“69. Auf Parteiebene sei man nämlich immer noch der Meinung gewesen, dass sich die Frauenfrage als Teil der sozialen Frage mit der Umgestaltung der Gesellschaft von selbst erledigend würde. Sie war damit in ihren Augen eine „quantité negligeable“70, eine zu vernachlässigende Größe. Dazu kam, dass immer noch viele Männer auf privater Ebene dem Bild, welches Bebel von der Frau als gleichwertiger Genossin im Kampf gegen gesellschaftlichen Verhältnisse entwarf, skeptisch, ja 65 Ebd. 66 Zetkin, Klara: Die Frau und der Sozialismus von Bebel. In: Arbeiterin, 01/ 13/ 28.03.1891- Arbeiterin, 01/ 18/ 02.05.1891). In der „Gleichheit“ wurde eine Besprechung des Bebel‘schen Werkes in dieser Art nicht wiederholt. 67 Zetkin, Klara: Die Frau und der Sozialismus von Bebel. In: Arbeiterin, 01/ 13/ 28.03.1891. 68 Ebd. 69 Ebd. 70 Ebd. 255 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ ablehnend gegenüber standen. Zetkin schreibt es drei Dingen zu, dass sich in dieser Auffassung ein „kolossaler Umschwung“ vollzogen habe: 1. der „Logik der Thatsachen“, dass es nämlich im eigenen Interesse des Arbeiters lag, wenn er die Frau als Kampfgenossin werbe und erziehe, 2. der aufklärenden sozialistischen Agitation und eben 3. der „geradezu epochemachende[n] Bedeu- tung“71 des Bebel‘schen Werkes. Noch viel stärker als Bebel betonte Zetkin den Zusammenhang zwischen Erwerbstätigkeit und Emanzipation der Frau. Wo es diese gleichberechtigte Erwerbstätigkeit noch nicht gab – z. B. in der Zeit der Renaissance –, dort konnte es individuelle Emanzipation, dort konnte es sogar „Frauen als Mittelpunkt des gesellschaftlichen, des künstlerischen, des politischen Lebens“ geben „[u]nd trotzdem nicht die Spur einer Frauenbewegung“72. Da die Stellung der Frau gemäß der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie Ergebnis eines historischen, auf der Entwicklung der Produktivkräfte basierenden Prozesses war, musste die Emanzipation der Frau in erster Linie eine ökonomische Emanzipation sein. Diese war nur durch die Frau selbst und durch ihre Integration in die Arbeiterbewegung möglich. Die Frauenemanzipation und die sozialistische Arbeiter- bewegung bedingten sich damit nicht nur gegenseitig im Fortgang ihrer Entwicklung, sie waren damit auch in ihren aktuellen Kämpfen, ihren Traditionen und Utopien – ihrer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – miteinander verknüpft. Bebels Vermächtnis wurde zwar auch in der „neuen“ „Gleichheit“ geehrt, dies jedoch weit weniger ehrfürchtig als unter Zetkin.73 So schrieb Zepler, dass in Bebels Tun „nicht Zufall und nicht einmal Ausdruck eines bloßen persönlichen Weitblicks, sondern innere Notwendigkeit“74 71 Ebd. 72 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 160. Dieser letzten Behauptung Zetkins, dass es zwar eine Frauengeschichte, aber keine Frauenbewegung in der Zeit in und vor der Renaissance gegeben habe, widersprach Johanna Löwenherz (1857-1937) jedoch. Die Werke von Platon und Aristophanes würden bereits für die Zeit der Antike das Gegenteil beweisen und auch im Mittelalter und Ende des 18. Jahrhunderts habe es eine Frauenbewegung gegeben (vgl. Löwenherz im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 168). Johanna Löwenherz wurde in Rheinbrol geboren. Sie war Tochter einer wohlhabenden jüdischen Familie und siedelte 1887 nach Neuwied um. Dort engagierte sie sich politisch und publizistisch für die proletarische Frauen- bewegung, war Mitgründerin eines sozialdemokratischen Volksbildungsvereins und 1894-1897 Delegierte auf mehreren Parteitagen. 1895 erschien ihre Schrift „Wird die Sozialdemokratie den Frauen Wort halten?“. Seit 1986 vergibt eine nach Löwenherz benannte und aus ihrem nachgelassenen Vermögen finanzierte Stiftung einen Preis für engagierte Frauen aus Wissenschaft und Kunst. 73 Es wurden in der „Gleichheit“ viele Artikel zu Ehren Bebels als auch zu seinen Werken veröffentlicht (u. a. erschien anlässlich seines 70. Geburtstages und seines 10. Todestages jeweils eine ihm gewidmete „Gleichheit“- Nummer (GL, 20/10/14.02.1910/ 145-158 und GL, 33/ 15/ 01.08.1923/ 120-124; außerdem: Dies Buch gehört den Massen. In: GL, 20/ 06/ 20.12.1909/ 81-83). Die Berichte von öffentlichen Vorträgen belegen wie stark Bebel rezipiert wurde. In der „Gleichheit“ wurden 1911 seine Memoiren „Aus meinem Leben“ besprochen und in die Beilagen wurden Bebel-Zitate gleich Goethe-Zitaten eingestreut. Ein besonderes Zeugnis der Bewunderung ist ein Glückwunschschreiben von Zetkin, Zietz und Baader vom 22. Februar 1910 (In: Schmidt/Richter: „Dir als dem Vorkämpfer für die volle menschliche Emanzipation des weiblichen Geschlechts“ – Brief Clara Zetkins an August Bebel). 74 Zepler, Wally: Bebel und die Frauen. In: Die Gleichheit, 33/ 15/ 10.08.1923/ S. 119-121, S. 120. 256 3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ gelegen habe. Sie betonte, dass es auch Frauen wie „Auguste Schmidt, Louise Otto-Peters und etwas später die geist- und seelenvolle Hedwig Dohm“75 gab, die die zwingenden Zusammen- hänge zwischen sozialer Frage – als deren Teil die Frauenfrage erachtet wurde –, und geistiger und wirtschaftlicher Emanzipation erkannt und diese Erkenntnis ihr Leben lang vertreten hätten.76 Bebel kommt jedoch unstreitig das Verdienst zu, die Theorie des historischen Materialismus durch eine weibliche Perspektive ergänzt und für diese Perspektive – in Konsequenz für das Frauen- wahlrecht – in allen Parteiinstanzen gekämpft zu haben. Für Juchacz war es daher unbegreiflich, dass dieses Werk trotz seiner Popularität und wissenschaftlichen Fundierung „doch nicht so gewirkt [habe], dass der Augenblick des Frauenwahlrechts ein anderes Frauengeschlecht vorge- funden hat (Sehr richtig!)“.77 Mit seinen Ausführungen zur historischen Entwicklung der gesellschaftlichen Stellung der Frau schuf Bebel nicht nur die Grundlage für die später von Zetkin präzisierte sozialistische Frauen- emanzipationstheorie, er schuf überhaupt eine der ersten frauengeschichtlichen Studien. Obwohl Bebel kein Historiker war, findet sich der inspirierende und wissenschaftliche Wert seines Werkes in vielen historischen Artikeln der „Gleichheit“ wieder. Auf dieser Grundlage entwickelte Zetkin ein auf die Lebensverhältnisse und das weibliche Selbstverständnis ausgerichtetes Agitations- programm. Dessen Inhalte ergaben sich sowohl aus aktuellen Tagesforderungen der proletarischen Frauenbewegung wie auch aus dem Bemühen um ein weibliches Geschichtsbewusstsein – ein weibliches Geschichtsbewusstsein, das jedoch nicht ein feministisches, sondern ein sozialistisches sein musste. Zetkin sah die Aufgabe einer „Geschichte der proletarischen Frauenbewegung“ darin, sowohl die vielgestaltigen Verbindungen zwischen proletarischer Frauenbewegung und sozialis- tischer Arbeiterbewegung als auch ihre vielfältigen Gegensätze zur bürgerlichen Frauenbewegung aufzuzeigen. Diese bedurfte einer anderen inhaltlichen Gewichtung als die, die dem 1901 von Lily Braun veröffentlichten Werk „Die Frauenfrage. Ihre geschichtliche Entwicklung und ihre wirt- schaftliche Seite“78 zugrunde lag und sie musste sich gegenüber der von Emma Ihrer erarbeiteten Dokumentationen „Die Organisation der Arbeiterinnen Deutschlands“ und „Die Arbeiterinnen im Klassenkampf“ hinsichtlich wertender Bezüge zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, zur Arbeiterbewegung und zur allgemeinen historischen Entwicklung deutlich abheben. 75 Ebd. 76 Vgl. ebd. 77 Juchacz im Bericht über den Reichsfrauentag. In: Protokoll des SPD-Parteitages Berlin 1924, S. 225. 78 Auch Frederiksen ist der Meinung, dass Brauns Darstellungen der Geschichte der proletarischen Frauenbewegung im Vergleich zu derjenigen der bürgerlichen Frauenbewegung spärlich sind, und schreibt dies dem Umstand zu, dass Braun kaum eigenen Anteil an dieser Geschichte gehabt habe (vgl. Frederiksen, Women Writers, S. 34). 257 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ Den Auftakt zu einer solchen „Geschichte der proletarischen Frauenbewegung“ markierte Zetkin in ihrer 1906 veröffentlichten Artikelserie „Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland“79. Sie leitete diese mit den Worten ein: „Wir haben noch keine Geschichte der proletarischen Frauenbewegung unseres Landes. Insbesondere dürftig und unvollständig ist, was wir über die ersten An- sätze der Bestrebungen wissen, den Klasseninstinkt der Proletarierin zum klaren Klassenbewußtsein zu läutern und sie als gleichverpflichtete und gleichberechtigte Mitstreiterin dem allgemeinen proletarischen Emanzipationskampf zuzuführen.“80 Zetkins Interpretation des Bildungsauftrags der „Gleichheit“ umfasste das Schließen geschichts- wissenschaftlicher Lücken, die Bilanzierung des Erreichten und, nicht zuletzt, auch die Ausarbeitung effektiven Agitationsmaterials. Sie suchte die eigene Geschichte und zugleich eine erfolgreiche Strategie, den Arbeiterinnen die sozialistische Idee näher zu bringen. Doch das Fehlen einer eigenen Geschichtsschreibung und die schwierigen Bedingungen, unter denen die proletarische Frauenbewegung ihren Anfang genommen hatte, gestalteten diese Aufgabe alles andere als günstig: „Von manchen der Frauen, die vor langen Jahren die mühselige und opferreiche Arbeit der ersten Aufklärungs- und Organisationsarbeit unter dem weiblichen Proletariat geleistet haben, gelten die Worte: ‘gestorben, verdorben, zerstreut’. Die wichtigen Aufschlüsse, die sie über die Kindheitsgeschichte der proletarischen Frauenbewegung geben könnten, haben sie mit ins Grab oder in die Weite genommen.“81 In dieser prekären Situation erkannte Zetkin den unschätzbaren Wert der Zeitzeuginnen und die Notwendigkeit gezielter wissenschaftlicher Forschung, denn „[a]ndere frühere Trägerinnen unserer Bewegung stehen noch heute mitten im Kampfe und ermangeln der Ruhe, die Schätze von Material zu sammeln und zu sichten, die ihre Kästen und ihre Erinnerungen bergen“82. Sicherlich hätte gerade hier die von Braun 1897 angeregte und von Zetkin so vehement abgelehnte zentrale Forschungsstelle viel Wertvolles leisten können.83 Dies sicherlich nicht nur 79 Zetkin veröffentlichte diese grundlegende Artikelserie 1906 zuerst im „Ilustrirten Neue-Welt-Kalender“ (1883- 1952), weil ihr dadurch seine Massenverbreitung eher gesichert schien als durch andere Parteiliteratur und -presse (vgl. Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 8). Anschließend veröffent- lichte sie sie auch in der „Gleichheit“: Zetkin , Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland [I-VI]. In: GL, 16/ 20/ 03.10.1906/ 138 bis GL, 16/ 25/ 12.12.1906/ 178. Schließlich wurde sie ein eigenständiges Kapitel in Zetkins 1928 in Moskau veröffentlichten „Zur Geschichte der proletarischen Frauen- bewegung Deutschlands“ (Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 119-148). Bedingt durch die Ereignisse des Ersten Weltkrieges, das Auseinanderfallen der Internationale und die Parteispaltung musste Zetkin besonders im Schlussteil einige Ergänzungen und Veränderungen einfügen (vgl. Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 145ff.). 80 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 20/ 03.10.1906/ 138. 81 Ebd. 82 Ebd. 83 Vgl. [Braun, Lily] Braun-Gizycki, Lily: Die nächsten Aufgaben der deutschen Arbeiterinnenbewegung. In: GL, 07/ 06/ 17.03.1897/ 42. 258 3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ hinsichtlich des Sammelns von Quellen, sondern auch hinsichtlich eines wissenschaftlichen Um- gangs mit diesen. Ohne eine solche Einrichtung blieb Zetkin jedoch nur zu monieren, dass bisher „[a]lle […], die einen zusammenfassenden geschichtlichen Überblick über die Ent- wicklung der proletarischen Frauenbewegung geben wollten, […] darauf verzichtet [hätten], ihren ersten Anfängen auf Grund eines selbständigen weitfassenden Quellenstudiums nachzugehen“84. Man habe sich, so Zetkin, ohne allerdings konkrete Namen oder Werke zu nennen, damit begnügt, „bereits aufbereitetes Material zu verarbeiten oder auch wohl es einfach zu übernehmen“85. Ein Vorwurf, dessen sich jedoch auch die „Gleichheit“-Redaktion nicht entziehen konnte. Denn wie für ihre Vorgängerinnen war es auch für die „Gleichheit“ selbstverständlich und notwendig gewesen, Artikel anderer – meist sozialistischer Zeitschriften – aufzunehmen. Die dadurch un- weigerlich übernommenen Fehler wurden demnach auch von der „Gleichheit“ entsprechend multipliziert.86 Zetkin wandte sich schließlich in den Worten Julius Mottelers mit einem Auftrag der Bewahrung von Geschichte und Erinnerung an alle engagierten Frauen der proletarischen Frauenbewegung: „‘Sammelt die Bausteine zu einer proletarischen Frauenbewegung, solange die Do- kumente nicht zerfallen und verweht sind, die von ihren ersten Ansätzen erzählen, solange die Persönlichkeiten noch leben, die ihre ersten Pioniere gewesen.’“87 Ihre eigene Motivation für den Kampf gegen den weiblichen Geschichtsverlust formulierte Zetkin im Vorwort ihrer 1928 erschienenen Aufsatzsammlung „Geschichte der proletarischen Frauenbe- wegung“, in welche auch jene Artikelserie einfloss, wie folgt: „Nach meinem Dafürhalten konnten gerade die in ihrer Einstellung zu den sozialen Dingen Unsicheren und Ängstlichen, die Ungeschulten, Scheuen und Schüch- ternen, die ‘Kleinen’ der Bewegung – und unter ihnen besonders die Frauen – aus dem Bilde hingebungsvollen, ausdauernden Ringens und Aufbauens in der Ver- gangenheit Belehrung gewinnen, ebenso auch Ansporn, Ermutigung, Begeisterung und Beispiel. Ich hoffte des weiteren, die Arbeit werde die Veröffentlichung von Erinnerungen und Schriftstücken aus jener Zeit anregen, denn damals lebten noch Genossinnen und Genossen, die die erste organisierte Zusammenfassung von pro- letarischen Frauen und Männern zum Klassenkampf mitgeschaffen und getragen hatten.“88 84 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 20/ 03.10.1906/ 138. Zetkin bemängelte, dass bisher solche Quellenmaterialien nur für die Berliner Arbeiterinnenorganisationen erstellt worden seien. 85 Ebd. Zetkin selbst schloss ihre Artikelserie mit einer Liste der von ihr verwendeten Quellen (vgl. Zetkin , Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 25/ 12.12.1906/ 178). 86 Zwar wurden die noch folgenden biographischen Darstellungen der „Gleichheit“ nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft, doch wurden bei ihrer Rekonstruktion einige Fehler offenbar. Z. B. zog die „Gleichheit“ für zwei Artikel zum Leben Helen Kellers und Tode Louise Michels offensichtlich Falschmeldungen anderer Blätter heran (siehe: Kapitel 4.1 und 4.4). 87 Zetkin, Clara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 170. 259 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ Viele Frauen sind ihrem Aufruf gefolgt, ihre Autobiographien sind heute wichtige Zeugnisse jener Zeit und des gesellschaftlichen Wandels. Doch sind es immer noch vorwiegend die Biographien und Perspektiven hochgestellter männlicher Persönlichkeiten, die Eingang in das öffentliche Be- wusstsein finden. Doch Frauengeschichte ist nicht gleich Frauengeschichte. Wie sich an ihr prinzipielle Klassen- gegensätze festmachen lassen, so auch Gegensätze zwischen den beiden Frauenbewegungen, welche natürlich auch als Ausdruck von Klassengegensätzen gedeutet werden können. Bemerkbar werden diese z. B. an der Bewertung der für die historische Frauenforschung äußerst relevanten Frage des Frauenstudiums. In ihrer Rubrik „Frauenbewegung“ hatte sich die „Gleichheit“ anfangs noch stark für die Zulassung von Frauen zu höheren Schulen und Universitäten eingesetzt. Sie veröffentlichte dort die aktuellsten Zahlen der Hörerinnen an deutschen und der Studentinnen an ausländischen Universitäten, um damit die gezeitigten Erfolge höherer Frauenbildung hervor- zuheben. So erschien unter anderem im August 1899 folgende Notiz: „Für die Gründung einer Frauenuniversität mit Lehrstühlen für Mathematik, Naturwissenschaften und Medizin hat der Moskauer Bürger Ostrakow eine Million Rubel testamentarisch vermacht. Ob wohl je ein deutscher Bürger das Beispiel des ‘Halbasiaten‘ nachahmen wird?“89 Zetkin genoss es augenscheinlich, sowohl von einer solchen Einrichtung zu berichten als auch bei dieser Gelegenheit den Antifeminismus und Rassismus der bürgerlichen Gesellschaft bloßzustel- len. Ab 1901 nahm eine solche Parteinahme für das Frauenstudium auffällig ab. In diesem Jahr hatten sich viele deutsche Universitäten weiblichen Studentinnen geöffnet und die Organisation bürgerlicher Frauen war hinsichtlich dieser Forderung zunehmend erfolgreich. Die „Gleichheit“ erachtete ihr Engagement aber auch aus einem anderen Grund als überflüssig: Trotz ihres Eintre- tens für das Frauenstudium hatte Zetkin in ihm nie mehr als „eine Damenfrage“90 gesehen. Denn „für die Frauen des arbeitenden Volkes“ sei „der Ausgang des Kampfes um die Möglichkeit der Universitätsbildung ohne prak- tische Bedeutung, ohne thatsächlichen Nutzen“91. Wenn auch diese Aussage nicht ganz zutreffend war – denn gerade viele der geschichtlichen Artikel der „Gleichheit“ wurden von studierten Historikerinnen verfasst92 –, so war die Forderung nach höherer Bildung doch wirklich eine sehr klassenspezifische. Dem proletarischen Kampf um 88 Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 8-9. 89 Für die Gründung einer Frauenuniversität … In: GL, 09/ 18/ 30.08.1899/ 144. 90 Zur „Frauenfrage”. In: GL, 02/ 05/ 07.03.1892/ 41. 91 Ebd. 92 Zu nennen sind hier vor allem Hanna Lewin-Dorsch und Anna Blos. 260 3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ den Achtstundentag, so Zetkin weiter, „wohn[e] eine weit höhere kulturelle Tragweite inne, als der gesammten Bewegung der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen“93. Sich auf die sozialistische Gesellschaftstheorie stützend ging Zetkin davon aus, dass auch die gebildeten bürgerlichen Kräfte in absehbarer Zeit unausweichlich in den Dienst des Kapitals gepresst werden und sich die bürgerlichen Akademikerinnen dann als sogenannte „Kopf- proletarierInnen“ der Arbeiterbewegung anschließen würden.94 Zu den sozialistischen Prinzipien, deren Überlegenheit die „Gleichheit“ stets betonte und die einen wesentlichen Gegensatz dieser beiden Frauenbewegungen ausmachte, zählte auch die harmonische Einheit von männlichen und weiblichen Mitgliedern der Arbeiterklasse. Die prole- tarische Frauenbewegung hatte sich nicht den Kampf gegen die Männer auf die Fahnen geschrieben, denn „[d]em klassenbewußten Proletarier ist die auf irgend einem Gebiet mit ihm konkurrirende Frau nicht die Gegnerin, vielmehr eine willkommene Mitstreiterin in dem Kampfe für jenes Ideal, in dessen Verwirklichung allein das Heil der Zukunft liegt“95. Dieser Harmonie kam nicht nur bezüglich des Entwurfs eines sozialistischen Eheideals und des Leitbildes der idealen sozialistischen Ehefrau große Bedeutung zu, sondern auch im Hinblick auf die Geschichtsauffassung der „Gleichheit“. Feministische Aspekte und so auch eine bewusst feministische Geschichtsauffassung lehnte Zetkin strikt ab. Die proletarische Frauenbewegung und die „Gleichheit“ „predigt[en] nicht den Krieg von Geschlecht zu Geschlecht, sie glaubt[en] nicht an die Messiasrolle einer zu Gunsten der Frauen veränderten Gesetzgebung“96. Nicht einer Begründung der rechtlichen Gleichstellung der Frau oder einer Widerlegung gängiger Minder- wertigkeits-Klischees wegen betrieb die „Gleichheit“ Frauengeschichtsforschung.97 Sie wollte ihren Leserinnen das Bewusstsein vermitteln, sowohl als Frau als auch als Arbeiterin und Mitglied der revolutionären Arbeiterklasse Teil der Geschichte zu sein. So wie es auch keine Frauen- agitation, sondern sozialistische Agitation war, die Zetkin betreiben wollte, so sah sie auch die Förderung eines weiblichen Geschichtsbewusstseins stets als einen Teil sozialistischer Bewusst- seinsbildung.98 93 Ebd. S. 42. 94 Vgl. ebd. 95 Löwenhaut und Eselsohr. In: GL, 02/ 12/ 15.06.1892/ 99. Diese proletarische Geschlechterharmonie muss jedoch nach Betrachtung der antifeministischen Tendenzen innerhalb der SPD als Übertreibung erachtet werden. 96 Die Redaktion und der Verlag: An die Leser! In: GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891/ 1. 97 Zu der Vielzahl gängiger Klischees und vermeintlicher Beweisführungen zur geistigen Minderwertigkeit der Frau siehe: Ob die Weiber Menschen sind. Geschlechterdebatten um 1800. 98 Mahaim ist sogar der Meinung, dass „das Klassenbewußtsein, so wie es sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts 261 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ Mangels eigener Institute und WissenschaftlerInnen waren es die Mitglieder der proletarischen Frauenbewegung selbst – oft unterstützt von studierten Genossen –, die die unleugbar vorhandene Geschichte von Frauen sichtbar machen und bewahren mussten. Diese Geschichte findet sich in allen Seiten, Nummern und Jahrgängen der „Gleichheit“. Eine Allgegenwart, die erklärt, warum die „Gleichheit“ keine eigenständige Rubrik „Geschichte“ einrichtete. Lediglich einmal erschien eine Rubrik „Geschichtliches zur Frauenfrage“99. Der in ihr enthaltene Artikel „Große Königinnen in Aegypten“ berichtete von der Entdeckung des britischen Ägyptologen Flinders Patrin100, dass „während der glänzendsten Periode des Landes, ungefähr zwischen 1600 und 1050 vor Christi Geburt“101, es Frauen waren, die in Ägypten herrschten. Damit gab Patrin allen Frauen einen schlagenden Beweis für die herausragenden Leistungen ihres Geschlechts. Eben diese Zielsetzung verfolgte auch die Gründung eines Frauenmuseums 1900 in St. Petersburg, die die „Gleichheit“ in einer kleinen Notiz bekannt gab. Die örtlichen – vermutlich bürgerlichen – Frauenvereine St. Petersburgs wollten mit dem Museum, so die „Gleichheit“, „zeigen, welchen Einfluß die Frau auf die Entwicklung der Industrie, Kunst und Wissenschaft ausgeübt und was sie auf diesen Gebieten geschaffen hat“102. In diese Reihe der von der „Gleichheit“ hervorgehobenen weiblichen Kulturleistungen gehört auch die Notiz, dass die in Honolulu verstorbene Journalistin Kate Field (1838-1896) mit der „Washington“ (1890-1895) die „älteste[…] und lange Zeit einzige[…] von einer Frau ge- leitete[…] Zeitschrift“103 herausgegeben habe. 104 Unzweifelhaft waren all diese Informationen geeignet, das weibliche Selbst- und zugleich das weibliche Geschichtsbewusstsein zu heben, doch lassen sie in ihrer Kürze die sozialistische Geschichtsauffassung völlig unberücksichtigt. Während solcherlei Artikel über parteipolitisch unabhängige Fraueninitiativen dementsprechend selten im Hauptblatt der „Gleichheit“ zu finden sind, kann davon ausgegangen werden, dass bürgerliche Frauenzeitschriften häufiger darüber be- richtet haben. bildete, nicht automatisch ein feministisches Bewußtsein beinhaltete, ebensowenig wie ein politisch sozialistisches Bewußtsein“ (Mahaim, Die Frauen und die deutsche Sozialdemokratie, S. 82). Eine Unterscheidung von Klassenbewusstsein und politisch sozialistischen Bewusstsein konnte ich jedoch an der politischen Bildungsarbeit der „Gleichheit“ nicht festmachen. 99 Vgl. GL, 08/ 04/ 16.02.1898/ 32. 100 Es handelte sich hier um einen Fehler in der Schreibweise des Namens – gemeint war William Matthew Flinders Petrie. 101 Ebd. Ägyptische Herrscherinnen dieser Zeit seien u. a. die Nubierin Nefertari (ca. 1290 v. u. Z.-ca. 1255 v. u. Z.) und Aahhotep (ca. 1590 v. u. Z.-1530 v. u. Z.) gewesen. 102 Die Gründung eines Frauenmuseums in Petersburg… In: GL, 10/ 15/ 18.07.1900/ 120. 103 Eine der ersten weiblichen Journalisten … In: GL, 06/ 16/ 05.08.1896/ 128. 104 Zum Erscheinungszeitraum dieses Presseorgans waren nur sehr unzureichende und zum Teil widersprüchliche Angaben zu finden. Sollte das Erscheinungsjahr der „Washington“ zutreffen, so überging die „Gleichheit“ mit ihrer Aussage ihre eigenen Vorgängerinnen, die sich bereits deutlich vor 1890 gegründet hatten. 262 3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ Wie für die Geschichte im Allgemeinen, so bildet auch für die frauengeschichtlichen Inhalte der „Gleichheit“ die Dreiteilung in Kultur-, Revolutions- und SPD-Geschichte ein Grundmuster. Für die frühe Menschheitsgeschichte und vor allem für die ersten kulturellen Errungenschaften trifft die Feststellung zu, die der österreichische Journalist Gustav Eckstein (1875-1916)105 in seinem Artikel „Das Weib als Kulturträgerin“ aus dem Jahre 1910 äußerte: „Wir kennen nicht die Namen einzelner Frauen, denen wir diese großen Fort- schritte und Errungenschaften zuschreiben könnten. Wir wissen nur, daß zu den größten und bedeutungsvollsten Pionieren der Menschheit Frauen gehört haben, und unsere Dankbarkeit muß sich daher nicht an einzelne Personen richten, sondern an das Geschlecht.“106 Die Erkenntnis, Teil dieses weiblichen Geschlechts zu sein, sollte das Selbstbewusstsein der Leserinnen stärken. Dem war auch zuträglich, dass laut Eckstein die Frau angesichts der frühen Arbeitsteilung als Erfinderin des Ackerbaus zu gelten habe. Diese Errungenschaft sei dazu noch viel höher zu bewerten als die vom Mann entwickelte Viehzucht, denn „[a]uf dem Ackerbau […] ruh[e] jede höhere Kultur“107. Die Einrichtung einer festen Wohnung, die Korbflechterei, die Weberei und die Töpferei seien allesamt als Erfindungen der Frau anzusehen. Auch das Feuer – in Mythen als eine Entdeckung des Mannes gepriesen – sei dem Aufgabenbereich der Frau zu- zuordnen. Sie habe es am besten zu hüten und zu nutzen gewusst. Dieser große Anteil der Frau an der frühen Geschichte der Menschheit kann jedoch nur mühsam sichtbar gemacht werden und findet entsprechend schwer Eingang in das weibliche Selbst- und Geschichtsbewusstsein. Ebenfalls mit der Frühgeschichte und darüber hinaus mit der Geschichte der Antike aus weiblicher Perspektive beschäftigte sich eine Artikelreihe von Lily Braun. Unter dem Titel „Die Frauenfrage im Alterthum“108 schlug Braun ganz ähnlich dem Werke Bebels einen großen historischen Bogen und monierte: „Die Entwicklungsgeschichte der Frau nimmt in der allgemeinen Menschheits- geschichte, wie sie uns von Kindheit an überliefert wird, einen verschwindend kleinen Raum ein. Es ist vor Allem eine Geschichte der Kriege und daher eine der Männer, die wir unserem Gedächtniß haben einprägen müssen. Erst in neuester 105 Gustav Eckstein wurde in Wien geboren. Er promovierte in Rechtswissenschaften und war bereits als Student bekennender Sozialdemokrat. Ab 1902 war Eckstein u. a. für den „Vorwärts“ und die „Neue Zeit“ journalistisch tätig. 1903 wurde er Dozent an der SPD-Parteischule in Berlin und 1912 an der SPÖ-Parteischule in Klagenfurt. Er veröffentlichte u. a. die Werke „Die Deutsche Sozialdemokratie während des ersten Weltkrieges“ (1917) und „Der Marxismus in der Praxis“ (1918). Eckstein gehörte zu den geistigen Wegbereitern des Austromarxismus und war der Bruder der Frauenrechtsaktivistin Emma Eckstein (1865-1924). 106 Eckstein, Gustav: Das Weib als Kulturträgerin. In: GL, 21/ 01/ 10.10.1910/ 3-4, S. 3. 107 Eckstein, Gustav: Das Weib als Kulturträgerin. In: GL, 21/ 02/ 24.10.1910/ 19-21, S. 19. 108 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum [I-VI]. In: GL, 09/ 01/ 04.01.1899/ 3-6 bis GL, 09/ 12/ 07.06.1899/ 92-94 [Vorab erschienen in: „Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik“, Bd. 13, Heft 1 und 2]. 263 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ Zeit scheint sich fast unmerklich ein Umschwung vorzubereiten.“109 Braun beklagte einen „Klassencharakter“ der bisherigen Geschichtsschreibung, sah aber mit dem Umschwung vermehrt die Kulturgeschichte und eine Geschichte des Volkes Beachtung finden. Dieses hatte auch Auswirkungen auf die Betrachtung der „Entwicklungsgeschichte des weiblichen Geschlechts“, die sich bisher „als eine lange, im Dunkeln sich abspielende Leidensgeschichte“110 dargestellt habe. Während die frühe Mythologie in Form von Göttinnen „das weibliche Prinzip in der Natur“111 verehrte und das Mutterrecht galt, entstand mit den neuen Ehe- und Familienformen auch ein neuer Blick auf die Frau. Zwar sei die Einzelehe, die die Polygamie ablöste, ein „für die Entwicklung der Menschheit […] bedeutungsvolle[r] Fortschritt“112 gewesen, für die Frau be- deutete sie aber: „[E]he noch der erste Sklave sich unter der Knute des Herrn beugen mußte, war das Weib, die Mutter seiner Kinder, zur ersten Sklavin geworden.“113 Braun führte die „Gleichheit“-Leserinnen weiter in die Hochkulturen des Orient und in das antike Griechenland. Dort hätten lediglich Hetären Möglichkeiten freier Bildung gehabt: „Und diejenigen Frauen, deren reger Geist sich durch das abgeschlossene Leben nicht ertöten ließ, in deren Gemach ein Schimmer vom Glanz griechischer Bildung verlockend eindrang, betraten häufig genug den einzigen Weg, der ihnen offen stand, denn nur die Buhlerin war in Griechenland eine freie Frau, die ihrer Liebe folgen, die an der hohen Geisteskultur ihres Vaterlandes persönlichen Antheil nehmen konnte.“114 Braun erzählte von den Schicksalen einzelner dieser sogar namentlich bekannten Hetären. Im Folgenden hob sie die Bedeutung der Philosophie Platos für die Stellung der Mutter hervor, konstatierte aber für ihn und Aristoteles, dass doch auch die „bedeutendsten Denker der Hellenen sich nicht von dem Einfluß ihrer Zeit und ihres Volkes befreien [konnten]. Auch für sie war die Frau ein minderwerthiger Mensch“115. In der Kulturgeschichte der Römer betonte Braun besonders den Verfall ihrer Sitten. Während die römische Bürgerin durch Reichtum und Langeweile der Sittenlosigkeit verfallen sei, wurde die Sklavin durch ihr untragbares Elend zur Prostituierten.116 Zwar gab es römische Bürgerinnen mit Einfluss und Anteil am öffentlichen Leben, doch dies habe keinerlei Ähnlichkeit mit den Emanzi- 109 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. In: GL, 09/ 01/ 04.01.1899/ 3. 110 Ebd., S. 4 111 Ebd. 112 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. II. In: GL, 09/ 02/ 18.01.1899/ 12. 113 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. In: GL, 09/ 01/ 04.01.1899/ 6. 114 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. III. In: GL, 09/ 04/ 15.02.1899/ 30. 115 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. IV. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 45. 116 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. V. In: GL, 09/ 09/ 26.04.1899/ 68. 264 3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ pationsbestrebungen des 18. und 19. Jahrhunderts gehabt: „Sie entsprangen weder der Noth, noch dem Bildungsdrang, noch dem Pflicht- gefühl gegenüber Staat und Gesellschaft; sie beschränkten sich auf den kleinen Kreis der herrschenden, bürgerlichen Klasse, die niemals Trägerin großer Re- formen und einschneidender Umwälzungen gewesen ist und sein kann. Eine Frauenbewegung im modernen Sinne konnte es nicht geben. Dazu waren die römischen Bürgerinnen moralisch zu schwach und zu verweichlicht, und die Schaaren der Sklavinnen durch die furchtbare Noth und harte Arbeit zu stumpf und verthiert geworden. Wir finden in der römischen Geschichte nirgends eine Spur von dem Kampfe der Frauen um höhere Bildung oder politische Rechte, sie verlangten nur über ihr Vermögen frei verfügen zu können, um in ihrem Genuß- leben unbeschränkt zu sein.“117 Braun proklamierte hier den Anspruch der Massenbewegung des Proletariats, einzig wahre Ver- treterin einer Emanzipationsbewegung der Frau sein zu können und führte damit – und mit der bildlichen Beschreibung weiblicher Dekadenz – einen Seitenhieb gegen die bürgerliche Frauen- bewegung. Der in seinen hehren Darstellungen des germanischen Volksstammes viel zitierte Tacitus machte auf Braun scheinbar wenig Eindruck. Nach Lektüre seiner Berichte sah Braun auch in der ger- manischen Frau „nur des Mannes willenloses Eigenthum“118. So habe „alle Arbeit, auch die des Feldes, […] allein in ihren Händen [gelegen], während der Mann im Frieden auf der Bärenhaut lag“119. Braun schlussfolgerte aus ihren Studien, dass „[i]n der ganzen heidnischen Welt […] in Bezug auf die Stellung der Frau nur Gradunterschiede“120 zu finden seien. Sie schrieb dies – ganz in Be- bel‘scher Manier – dem Umstand zu, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse noch nicht in der Art entwickelt waren, dass die Frau zur Konkurrentin des Mannes geworden war. Die Frauenfrage hatte sich noch nicht gestellt: „[S]elbst die Sklavin war nicht die Konkurrentin, sondern die Leidensgenossin des Sklaven, und es gab daher wohl Sklavenkriege, aber keine Frauenbewegungen. Erst mußte die Frauenfrage in ihrer ganzen Schärfe formulirt werden, ehe eine Bewegung sich ihre Lösung zum Ziel setzen konnte. Nur leise Spuren von ihr haben wir in Griechenland und Rom verfolgen können.“121 Die Kulturgeschichte der Antike bot demnach der „Gleichheit“ nur frauengeschichtliche Inhalte, um die Frau als Objekt der gesellschaftlichen Entwicklungen darzustellen. Ein sozialistisches weibliches Geschichtsbewusstsein war daraus nur schwerlich zu gewinnen. Die Anregungen, die 117 Ebd., S. 69. 118 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. VI. In: GL, 09/ 12/ 07.06.1899/ 94. 119 Ebd. 120 Ebd. 121 Ebd. 265 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ von Platos prinzipieller Gleichstellung der Frauen in der Politeia ausgingen, fanden m. E. nur eine ungenügende Berücksichtigung. Anders steht es bei der wissenschaftlichen Erforschung vermeintlich bürgerlicher Frauenberufe wie z. B. der Medizinerin122 und Frauenärztin123. Diese konnte auch den Proletarierinnen aufzeigen, dass eine lange Phase des Mittelalters hindurch die Frauen weit gebildeter waren als die Männer. Ein Umstand, der auf die damalige Befürchtung zurückgeführt wurde, ein allgemein- bildender Unterricht könne sich verweichlichend auf Krieger auswirken.124 Dem weiblichen Selbstwertgefühl – ob nun proletarisch oder bürgerlich – konnten solche Erkenntnisse nur förder- lich sein. Eng mit den medizinischen Fähigkeiten und dem Wissen der Frauen um Fortpflanzung und Verhinderung derselbigen sind die Hexenverfolgungen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit verbunden. So erklärte Blos den „Gleichheit“-Leserinnen in ihrer Artikelreihe „Hexenglauben und Hexenprozesse“125: „Bekanntlich wurden in den frühen Zeiten gerade die Frauen häufig der Verbindung mit überirdischen Gewalten, mit dem Teufel und der Kenntnis besonderer Zauberkünste beschuldigt. Es erklärt sich das aus mancherlei Ursachen, denen die Stellung der Frau als Priesterin, Weissagerin und Ärztin bei manchen Völkern, denen die Unkenntnis des natürlichen, geheimnisvoll erscheinenden Ent- wicklungsprozesses der Leibesfrucht, die Macht des erotischen Gefühls und anderes noch zugrunde liegt. Das Wort Hexe stammt von Hag gleich Hain, Wald und bedeutet ursprünglich die weise, das heißt die weissagende Frau, die im heiligen Hain wohnte.“126 Blos beschrieb das System der Inquisition, die gezielt Denunziantentum belohnte, mehrere Hexenprozesse und nannte auch namentlich bekannte, weil akribisch verwaltete Opfer.127 Eben diese Akribie belege auch die merkwürdige „Übereinstimmung der Aussagen, welche die der Hexerei und Zauberei Ange- klagten in allen Ländern machten. Man ersieht daraus, daß die Inqisitoren und Richter bei ihren Fragen und Beschuldigungen nach einem bestimmten System verfuhren.“128 Dieses System, einmal ins Rollen gebracht, verließ demnach die Ebene reinen Aberglaubens und 122 Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters [I-IV]. In: GL, 10/ 11/ 23.05.1900/ 84-85 bis GL, 10/ 14/ 04.07.1900/ 108-109 (aus dem Französischen übersetzt von Eugenie Jacobi). Die Artikelreihe wies eine beeindruckende Zahl von Namen mittelalterlicher Medizinerinnen in Frankreich und Deutschland auf. 123 Vgl. Frauenärzte im Alterthum. In: GL, 08/ 22/ 26.10.1898/ 176. 124 Vgl. Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters. In: GL, 10/ 12/ 06.06.1900/ 93. 125 Blos, Anna: Hexenglauben und Hexenprozesse [I-V]. In: GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 24-25 bis GL, 19/ 06/ 21.12.1908/ 86-88. 126 Blos, Anna: Hexenglauben und Hexenprozesse. In: GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 25. 127 Blos, Anna: Hexenglauben und Hexenprozesse (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 03/ 09.11.1908/ 42. 128 Blos, Anna: Hexenglauben und Hexenprozesse (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 04/ 23.11.1908/ 56. 266 3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ seine NutznießerInnen suchten nur noch größtmöglichen Gewinn aus der Verleumdung zu ziehen. „Kinder von acht und Greise von achtzig Jahren, Arme und Reiche, Bürgermeister und Rechtsgelehrte, Ärzte und Naturforscher, Domherren und Minister, vor allem aber Frauen und Mädchen aller Stände und jeden Alters haben als Hexenmeister und Hexen den Scheiterhaufen bestiegen.“129 Doch auch wenn Blos darauf hinwies, dass es vor allem die Frauen und Mädchen traf, ist es kein feministischer Ansatz, den sie im Weiteren verfolgte. Ein Schwerpunkt war es vielmehr, den Hexenglauben, entstanden aus Ängsten, Unwissenheit und wirtschaftlicher Notlage, zu erklären und „Aufklärung [als] Erziehung zur geistigen Freiheit“130 einzufordern. Denn die Gegenwart zeige: „Und doch liegt jene Zeit nicht gar so weit hinter uns, und so ganz befreit von Furcht vor überirdischen Mächten und Zauberglauben, wie wir gern annehmen möchten, sind leider auch viele Menschen im zwanzigsten Jahrhundert noch nicht.“ 131 Unter dem wissenschaftlichen Begriff des Spiritismus finde der Aberglaube immer noch „Eingang in die höchsten und mächtigsten Kreise“132. Ein weiterer Schwerpunkt war es, die Rolle der Kirche bei der Verfolgung der Opfer zu ver- deutlichen. Aberglauben und den Glauben an Hexen und Zauberei habe es laut Blos „zu allen Zeiten und bei allen Völkern“133 gegeben. Die Ohnmacht der christlichen Kirche, die sich darin spiegelnden Kulte zu überwinden, sei umgeschlagen in die Zielsetzung, den Hexenglauben „ihren eigensüchtigsten Zwecken als einer geistig-weltlichen Herrschaftsinstitution dienstbar zu machen“134. Die Hexenprozesse stünden in direktem Zusammenhang mit den Prozessen gegen Ketzer und Häretiker.135 Mit dem Thema der Hexenverfolgung und der Beteiligung der christlichen Kirche daran, säte die „Gleichheit“ demnach unter ihren Anhängerinnen zugleich den Zweifel an der Heilsbotschaft des Christentums. Diesen Zweifel schürte Blos dann nochmals in einer eigenen Artikelreihe unter dem Titel „Die Stellung der Frauen im Zeitalter der Reformation“136. Angesichts der grausamen, durch die christliche Lehre legitimierten Verfolgung der Frauen als sogenannte „Hexen“ müssten die 129 Ebd., S. 57. 130 Blos, Anna: Hexenglauben und Hexenprozesse. In: GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 24-25, S. 24. 131 Ebd. 132 Vgl. ebd., S. 24. 133 Ebd., S. 25. 134 Blos, Anna: Hexenglauben und Hexenprozesse (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 03/ 09.11.1908/ 40. 135 Vgl. ebd., S. 40. 136 Blos, Anna: Die Stellung der Frauen im Zeitalter der Reformation. In: GL, 28/ 03/ 09.11.1917/ 21-22; GL, 28/ 04/ 23.11.1917/ 29-30. 267 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ „Gleichheit“-Leserinnen doch in Frage stellen, ob „durch das Christentum die Stellung der Frau innerhalb der menschlichen Gesellschaft gehoben worden sei“137. Das Christentum sei anfangs zwar eine vor allem von Frauen getragene religiöse Bewegung, “eine[…] heimliche[…], verfolgte[…] Religion der Armen und Unterdrückten“ gewesen, doch sobald es zur Staatsreligion erhoben worden war, sei die Frau „auch vor Gott […] nicht mehr dem Manne gleich“138 gewesen und der christliche Madonnenkult lediglich eine Konzession an das mütterliche Prinzip der germanischen Kultur. Auch Martin Luther und die von ihm angeführte Reformation als eine religiöse Bewegung habe nichts für die Hebung der Stellung der Frau getan. 139 Wenn es einen Umschwung seit jener Zeit gegeben habe, so sei dieser nicht der Reformation, sondern, so Blos in sozialistisch aufgeklärter Manier, den veränderten Produktionsbedingungen geschuldet. Nur diesem Umschwung sei „die veränderte Stellung und die sich umbildende Wertung der Frau zu danken. Hier liegt die große Reformation für die Frauenwelt, die ihr ein Ansporn sein muß, nicht nachzulassen im Kampfe gegen alles, was ihr entgegentritt, aufzuräumen mit allen Vorurteilen und frei zu werden, innerlich und äußerlich.“140 Die Reformation war keine Revolution und Luther, selbst noch tief im Hexenglauben gefangen, kein Anwalt der unterdrückten Frau. Noch erschütternder und aufrüttelnder als die Einsicht in die Beschränktheit des großen Reformators musste jedoch Blos‘ Behauptung wirken, dass die Welt von keiner einzigen Frau wisse, die „es gewagt hat, [sich] gegen das ihrem Geschlecht zugefügte furchtbare Unrecht [die Hexenverfolgung; M.S.] […] aufzulehnen“141. Dieser schwerwiegende Beleg weiblicher Unterordnung wurde von Blos jedoch sogleich relativiert. Frauen, besonders „Frauen aus dem Volke“142 seien nicht stets so duldsam gewesen. Davon zeuge ihre Teilnahme an den Freiheitskämpfen und Bauernkriegen, in welchen auch sie revolutionären Geist und Tatendrang bewiesen. Die sozialistische Geschichtsinterpretation und sozialistische Geschichtswissenschaft – wenn auch als solche zu jener Zeit noch nicht institutionalisiert – stellten die Geschichte revolutionärer Bewegungen in ihren Forschungsmittelpunkt, und diese wurden daher auch, wie im voran- gegangenen Kapitel beschrieben, ein inhaltlicher Schwerpunkt der „Gleichheit“. Wenn sie nun 137 Blos, Anna: Die Stellung der Frauen im Zeitalter der Reformation. In: GL, 28/ 03/ 09.11.1917/ 21. 138 Ebd. 139 Ebd., S. 22. 140 Blos, Anna: Die Stellung der Frauen im Zeitalter der Reformation (Schluß.). In: GL, 28/ 04/ 23.11.1917/ 30. 141 Ebd. 142 Ebd. 268 3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ den Anteil der Frauen an diesen Revolutionen aufzeigte, dann um ihre Leserinnen zu gleichem mutigen Tun zu agitieren. Revolution war und ist nie nur eine „reine Männerangelegenheit“143 und so weisen die AutorInnen der „Gleichheit“ in ihren Artikeln nach, dass die Bauernkriege, die Französische Revolution, die 1848er Revolution und die revolutionären Umtriebe im Zarenreich immer auch weibliche Protagonistinnen hatten. Der Bauernkrieg war das besondere Forschungsgebiet Wilhelm Blos‘, der mit seinem Artikel „Die Frauen im Bauernkrieg“ den Mangel beheben wollte, dass „[d]ie Beteiligung des weiblichen Elementes im großen deutschen Bauernkrieg von 1525 […] bisher nur wenig hervorgehoben worden“144 sei. Sowohl Bäuerinnen als auch Patrizierinnen kämpften in den Bauernkriegen für „die Befreiung des Volkes vom Feudaljoch“145. Jedoch seien außer der in Schwaben führend beteiligten „Schwarzen Hofmännin“ (d.i. Margarete Renner (um 1475-1535))146, die „bei dem Volke […] als Wahrsagerin und Zauberin [galt und] einen furchtbaren Haß gegen den Adel und die vor- nehmen Städter in sich“147 trug, kaum weitere Frauen aus dieser Zeit namentlich bekannt. Doch diejenigen die bekannt sind, waren Blos Beweis genug, „daß der Freiheitsdrang jener bewegten Zeit auch die Frauen ergriffen hatte“148. Die nächste durch Artikel der „Gleichheit“ dargestellte Epoche ist das 18. Jahrhundert – vor allem hinsichtlich des Entwicklungsweges des besonderen revolutionären Ereignisses in Frank- reich. Hermann Wendel (1884-1936)149 beschrieb daher in seiner Artikelreihe „Die Frau im 18. Jahrhundert“150 wie es das einzige Interesse großbourgeoiser Damen war „[i]n der äußeren 143 Schaser, Frauenbewegung in Deutschland 1848-1933, S. 21. 144 Blos, Wilhelm: Die Frauen im Bauernkrieg. In: GL, 16/ 04/ 21.02.1906/ 19-20, S. 19. 145 Ebd., S. 20. 146 Als ‚schwarze Anna‘ setzte Käthe Kollwitz ihr in ihrem Bauernkriegszyklus ein künstlerisches Denkmal. 147 Ebd., S. 19. 148 Ebd., S. 20. 149 Hermann Wendel stammte aus dem lothringischen Metz und wirkte als Politiker, Historiker, Balkanforscher, Jour- nalist, Redakteur und Schriftsteller (Pseudonym: Leo Parth). 1905 war Wendel Mitarbeiter der „Sächsischen Arbeiterzeitung“ in Dresden, 1906 der „Chemnitzer Volksstimme“ und 1906-1908 Redakteur der „Leipziger Volkszeitung“. Er war 1910 Stadtverordneter und 1908-1913 Redakteur der „Volksstimme“ (1908-1933; 1946- 1956) in Frankfurt am Main. 1912-1918 saß er als Abgeordneter im Reichstag. Während des Balkankrieges hielt sich Wendel als Korrespondent in Serbien auf. 1918 wurde er Chef des Frankfurter Presse-, Nachrichten- und Zensurwesens und im Januar 1919 Polizeipräsident in Frankfurt am Main. 1933 emigrierte Wendel nach Frank- reich und arbeitete am sozialdemokratischen Exilorgan „Neuer Vorwärts“ (1933-1940) mit. Seine Forschungen beschäftigten sich mit Südosteuropa und den Südslawen, wofür er 1929 den Ehrendoktor der Universität Belgrad erhielt. Außerdem beschäftigte er sich mit der Biographie und dem Werk Heinrich Heines und der französischen Marseillaise. Für die „Gleichheit“ verfasste u.a.: Wendel, Hermann: Militza Stojadinowitsch. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 173-175; Das gefährliche Alter. In: GL, 21 (1911)/ „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 09/ 33-35 (eine kritische Besprechung zu „Das gefährliche Alter“ (1910) der dänischen Schriftstellerin Karin Michaëlis (1872-1950). 150 Wendel, Hermann: Die Frau im 18. Jahrhundert. I-II. In: GL, 19/ 01/ 12.10.1908/ 5-6; GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 18- 269 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ Haltung […] sklavisch die Dame der feudalen Gesellschaft nach[zuahmen]“151, während „[a]bseits und unterhalb von den sauberen und molligen Frauen des honetten Bürgertums […] noch eine ganze Welt von Frauen in Stumpfheit und einem Dun- kel dahin[vegetierten], daß sie von der Zeit kaum bemerkt werden und auch das für die Menschenrechte schwärmende Schrifttum leicht über sie hinwegsieht“152. Es war Wendels Anliegen, das Leben und Schicksal gerade dieser Frauen zu beleuchten, denn sie sollten später die Trägerinnen derjenigen Revolution werden, die sich die Menschenrechte auf ihre Fahnen schrieb. Es waren dies weniger die „Frauen der bis aufs Blut ausgesaugten bäuerlichen Bevölkerung“153 als vielmehr die „Frauen jener gesellschaftlichen Schicht, die zwischen Klein- bürgertum und Proletariat“154 stand. Die „soziale Not […] [habe] diese weibliche Schicht zum Sammelbecken der Prostitution“155 gemacht, so dass vor Ausbruch der Revolution die Zahl der Prostituierten in Paris 60 000 bis 70 000 betragen habe.156 Als es dann vor dem Hintergrund auch dieser Verhältnisse zur Revolution kam, sprang ihr Funke insbesondere in diese unterste Schicht der Pariser Frauen. „Diese Schicht, die immer im Dunkel geblieben, tritt mit einem Schlage an jenem 6. Oktober 1789 an das blendende Licht des öffentlichen Lebens, als, von eines jungen Mädchens Händen gerührt, eine Trommel durch die Straßen geht und sich Tausende von kleinbürgerlichen Frauen, Weibern der Markthallen und Arbeiterin- nen der Vorstädte, von Verzweiflung und Hunger gespornt, unter dem Schrei nach Brot nach Versailles wälzen, um den König wie einen Gefangenen in die Haupt- stadt, unter die Augen der Massen, zu führen. So setzt gerade die verachtetste Schicht der weiblichen Bevölkerung Frankreichs der Geschichte der Frau im 18. Jahrhundert ihren heldenhaftesten Akzent auf.“157 Ein ähnliches Bild zeichnete Zetkin, die seit ihrer Pariser Exilzeit die Französische Revolution zu einem ihrer Forschungsschwerpunkte gewählt hatte. Auch sie hob aus den vielen Darstellungen der Ereignisse des Jahres 1789 eben jenen Zug der Pariserinnen nach Versailles hervor. Hunger und Elend hätten diese „Aktion der nach Versailles gezogenen Pariserinnen“158 bestimmt. Selbst Frauen aber, die diese Not nicht empfunden hätten, hätten die Aktion unterstützt, weil „[d]as Mitleid […] zu allen Zeiten Frauen zu edlen und kühnen Thaten angespornt“159 habe. So sei es 20. 151 Wendel, Hermann: Die Frau im 18. Jahrhundert. II. In: GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 18. 152 Ebd., S. 19. 153 Ebd. 154 Ebd. 155 Ebd. 156 Vgl. ebd. 157 Ebd., S. 20. 158 Die Pariser Frauen des 5. und 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 20/ 05.10.1892/ 167. 159 Die Pariser Frauen des 5. und 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 19/ 21.09.1892/ 160. 270 3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ eine durchaus „wohlhabende, wohlangesehene Bürgersfrau“160 gewesen, die am 4. Oktober 1789 im Palais Royal die Devise ausgab „‘Auf, Pariserinnen nach Versailles, den König und die Königin holen!’“161 Daraufhin bildeten Tausende Frauen aus dem Volke, Kleinkrämerinnen, wohl- habende, hoch angesehene Bürgerfrauen neben Prostituierten eine Einheit. Und sogar die Marktfrauen, die als erklärte Anhängerinnen des Königs galten, konnten nicht umhin, sich ihr anzuschließen. Nachdem die Nationalgarden erfolgreich davon abgehalten werden konnten, auf das Volk zu schießen, sei der große Zug schließlich in Versailles angekommen. Eine Deputation von zwölf Frauen, die zum Teil sogar namentlich bekannt sind, wurde zum König vorgelassen, um Brot für die Massen zu fordern. Um sich aber nicht nur mit Versprechungen zufrieden geben zu müssen, wurde die Königsfamilie schließlich gezwungen, sich von den Frauen nach Paris geleiten zu lassen. Das enthusiastische Urteil Zetkins lautete deshalb: „Der Zug des Königs nach Paris bedeutete, daß Volkswille stärker war als Königswille.“162 Dem entgegen wertete Zetkin die Wirkung der Französischen Revolution jedoch insgesamt negativ.163 Es habe nicht „die Aus- beutung des Volkes ein Ende“164 gehabt, sondern es sei „nur in den Personen der Herrschenden und Ausbeutenden […] ein Wechsel ein[getreten]“165. Zetkin war deshalb der Meinung, dass „[d]ie in materieller und geistiger Noth Darbenden unserer Zeit […] sehr wohl [wüssten], daß keine Kopie des Zuges nach Versailles, keine gute Absicht, kein starker Wille eines Mächtigen ihr Elend zu wenden vermag. Nur eine Umgestaltung der Gesellschaft aus einer kapitalistischen in eine sozialistische kann ihnen die Erlösung aus Elend und Knechtschaft bringen, nur das klassenbewußte, organisirte, kämpfende Proletariat kann die Umgestaltung vollziehen. Auf Ihr pro- letarischen Frauen!“166 [Hervorhebungen von M.S.] Die Frauen der Französischen Revolution – auch die, wie anhand einiger Biographien noch zu sehen sein wird, gemäßigten Revolutionärinnen – waren Zetkin dennoch Vorbild. Sie waren es aufgrund ihres aktiven politischen Handelns, ein Handeln, dem jedoch „nur“ ein politisches Be- wusstsein zugrunde lag, wie es die damalige Zeit und die damalige soziale Not hervorgebracht hatte. Auch die 1848er-Revolution hielt nicht, was sie versprach, besonders nicht den Frauen gegenüber. 160 Ebd. 161 Ebd. 162 Die Pariser Frauen des 5. und 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 20/ 05.10.1892/ 168. 163 Zu Zetkins Beurteilung der Französischen Revolution vgl. auch Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 60. 164 Die Pariser Frauen des 5. und 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 20/ 05.10.1892/ 168. 165 Ebd. 166 Ebd. 271 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ Gerade diesen hatte die bürgerliche Demokratie nichts zu bieten, obwohl sie sie doch mit erstritten hatten: „Die Toten reiten schnell! Die bürgerliche Demokratie Deutschlands, die ihrer spottend, sie weiß nicht wie, darauf verzichtet hat, eine Vorkämpferin für die volle Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts zu sein: deren Führer die Sozial- demokratie wegen ihrer Forderung des Frauenwahlrechtes mit billigen Bierbank- witzen bekämpfen: deren Presse politische Kämpferinnen gelegentlich mit faulen Papieräpfeln bewirft und feige schweigt, wenn ein reaktionärer und roher Patron unter dem Schutze seines Amtes die russischen Revolutionärinnen beschimpft: diese bürgerliche Demokratie hat einst selbst politisch, revolutionär kämpfende Frauen in ihren Reihen gezählt. Nicht lange ist es her, wenig mehr als ein halbes Jahrhundert, als das deutsche Bürgertum seinen schnell verwehten Maientraum träumte.“167 So sehr Zetkin jene „politisch, revolutionär kämpfenden Frauen“ auch bewunderte, war es ihrer Meinung nach trotzdem „eine Legende, daß die klassenbewußte proletarische Frauenbewegung organisatorisch aus der bürgerlichen Frauenbewegung hervorgewachsen sei“168. [Hervorhebung von M.S.]. Diesbezüglich hätten sie nicht mehr getan, als der proletarischen Frauenbewegung den Boden zu lockern. Endgültig erwachsen sei die proletarische Frauenbewegung aber „als Teil der allgemeinen klassenbewußten Arbeiterbewegung Deutschlands, gemäß der geschichtlichen Wahrheit, daß die Befreiung der Arbeiterklasse und all ihrer Teile das Werk der Arbeiterklasse und all ihrer Teile selbst sein muß“169. Andere, weniger theoretisch fundierte und wesentlich feministischere Töne schlug dagegen Anna Blos an, die vorwiegend biographische Arbeiten zur 1848er Revolution veröffentlichte.170 Ihrer Meinung nach war das 19. Jahrhundert „das Jahrhundert der Frau“171. Diese Bezeichnung sei ihm zu verleihen, weil eine Reihe von Frauen damals nicht nur „direkt oder indirekt […] an dem Kämpfen und Ringen der Freiheitskämpfer teil- nahmen, sondern mit eigenen neuen Gedanken bahnbrechend wirkten“172. Diese Frauen waren für Blos „Pfadfinderinnen auf dem Weg zur Befreiung der Frauen. Sie haben sich die Füße wund getreten an all den Steinen, die sie uns mühevoll aus dem Weg räumen mußten. Sie haben sich blutig geritzt an all den Dornen, die ihnen den Weg ver- 167 Eine Freiheitskämpferin. In: GL, 14/ 09/ 20.04.1904/ 71. Zetkin nannte als Beispiele für die revolutionären Frauen des 19. Jahrhunderts Louise Otto-Peters, Malvida von Meysenbug, Bettina von Arnim, Amalie Struve, Emma Herwegh, Marie Heindermann (?-?), Emilie Wüstenfeld (1817-1874), Lucilie Lenz (?-?) und Mathilde Hitzfeldt (1826-1905) (die ohne Lebensdaten versehenen Frauen werden noch in Kapitel 4 anhand der in der „Gleichheit“ erschienenen biographischen Artikel vorgestellt). 168 Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 57. 169 Ebd., S. 58. 170 Siehe Kapitel 4. 171 Blos, Anna: Der Einfluß der Frauen auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit, S. 125. 172 Ebd. 272 3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ sperrten“173. Im 19. Jahrhundert waren es viele und große Steine, die einer Frau in den Weg gelegt wurden, „die durch sich selbst etwas war oder sein wollte“174. Als „Persönlichkeit […] nicht anerkannt“175, musste sie für diese Anerkennung kämpfen, musste sie sich „emanzipier[…]en“176 – ein Begriff, der wahrscheinlich wegen seiner Nähe zur bürgerlichen Frauenbewegung unter der Redaktion Zetkins kaum gebraucht wurde. Blos war davon überzeugt, dass, wenn die Frau ihrer eigenen Generation, „als Persönlichkeit etwas gilt, wenn sie als Mensch, nicht nur als Weib bewertet wird“ 177, sie dies auch jenen Frauen zu verdanken habe, „die als Kinder ihrer Zeit vielfach mißverstanden wurden, und deren Sturm- und Drangperiode doch so notwendig war im Morgenrot des Jahrhunderts der Frauen“ 178. Abgesehen von dieser letzten Entlehnung aus dem Vokabular sozialistischer Agitation hatte diese Sichtweise Blos‘ mit derjenigen Zetkins nichts gemein. Die von Blos vor 1917 veröffentlichten biographischen Artikel beschränkten sich eher auf die Skizzierung persönlicher Eigenschaften der von ihr dargestellten Frauen und gaben keine direkte Wertung des geschichtlichen Rahmens ab. Nun – 1919 – bezog sie jedoch Stellung zu der historischen Einordnung der Frauenbewegung. Dies weist darauf hin, dass entweder die von Zetkin beanspruchte Oberhoheit über die geschichts- theoretische Deutung auch bei Blos Früchte getragen hatte oder dass Zetkins Abwesenheit sie in ihren Aussagen entschiedener werden ließ. Blos betonte in ihrer Artikelserie schließlich doch den lediglich vorbereitenden Charakter der demokratischen Frauenbewegung und erklärte vollkom- men klassenbewusst: „Als die Frauen des Bürgertums wie das Bürgertum selbst nicht imstande waren, die Freiheitsideale zu erkämpfen, da waren es die Frauen der Arbeiterklasse, die diese Kämpfe aufnahmen und fortführten.“179 Einerseits war es für Blos eine „Pflicht der Dankbarkeit, derer zu gedenken, die alles Neue, was unsere Zeit uns bringt, mit vorbereitet haben“180 – dazu gehörten die 1848er-Frauen –, andererseits aber war es ihr wichtig, Persönlichkeiten zu skizzieren, „die für die Entwicklung der heutigen 173 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts I: Bettina von Arnim. In: GL, 29/ 31/ 20.09.1919/ 243. 174 Ebd. 175 Ebd. 176 Ebd. 177 Ebd. 178 Ebd. 179 Ebd., S. 244. 180 Blos, Anna: Die Frauen des Jahres 1848. In: „Die Gleichheit“, 33/ 06/ 15.03.1923/ 45. 273 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ Frauenbewegung im sozialistischen Sinne von Bedeutung sind“181. Hinsichtlich der Geschichte der 1848er-Revolution ist besonders bemerkenswert, wie sie mit aktuellen Ereignissen der Arbeiterbewegung und der proletarischen Frauenbewegung verknüpft wurden. Stets ein guter Anlass, an die Verdienste der frühen Demokratinnen zu erinnern, war der 18. März – der Tag der Berliner Märzgefallenen von 1848. Zetkin verfasste 1898 – einem besonderen Jubiläumsjahr – einen harschen Leitartikel „Zum 18. März“182, in welchem sie erklärte, dass die proletarischen Frauen nicht nur als Proletarierinnen „der eigensüchtigen Bourgeoisie zu Haß und Verachtung verpflichtet“ seien, sondern auch als Frauen. Denn in die Bourgeoisie habe in ihrer nun fünfzig Jahre währenden „Klassenherrschaft […] so gut wie nichts für die soziale Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts gethan. Und doch haben für ihren Sieg 1848 auch Frauen gelitten und gestritten.“183 Die Revolution von 1848 war demnach für die Emanzipationsbestrebungen der Frauen wenig ergiebig. Zwar hatte auch die Französische Revolution hinsichtlich der Rechte der Frau wenig bewegt, doch verehrte Zetkin deren Protagonistinnen in besonderer Weise und sah Frauen dieses Formats in der deutschen Revolution nicht vertreten. Die Bewegung von 1848 „hatte nicht ihre glänzenden Heroinen, nicht ihre Roland, Théroigne de Méricourt, Olympes Gonges x. Aber das Ideal der zu erringenden bürgerlichen Freiheit entflammte im ‘tollen Jahr’ gar manches edle Frauenherz, gar mancher kühne Frauengeist hing leidenschaftlich der Sache der Revolution an“184. Und doch war Zetkin sich bewusst, dass die Geschichte der Frauen selten die Geschichte großer Namen ist. So beschrieb sie den „Gleichheit“-Leserinnen, auf welche schlichte und doch mutige Weise Frauen ihren Anteil an der Revolution hatten: „Es mangelte nicht an Müttern, Gattinnen, Bräuten, Schwestern und Töchtern, welche überzeugungstreu die theuersten Angehörigen zum Kampfe rüsteten, für den Kampf begeisterten. Frauen halfen beim Kugelgießen, versahen die Freiheits- kämpen mit Munition und Nahrung und trugen ihnen Nachrichten zu. Nach der Niederkatätschung der revolutionären Erhebungen waren vielfach Frauen den von Standrecht und Kerkerhaft bedrohten Rebellen zum Entkommen behilflich. Ohne Murren und opferstark trugen etliche der Besten unseres Geschlechts mit dem Gatten das Elend des Flüchtlingslebens, die Bitterniß des Exils.“185 Zetkin sah für diese Opfer jedoch von der bürgerlichen Gesellschaft keine Gegenleistung erbracht, den bürgerlichen Frauen nicht und den proletarischen Frauen – in dieser Gesellschaft als Frauen und Arbeiterinnen benachteiligt – gleich doppelt nicht. Als 181 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts I: Bettina von Arnim. In: GL, 29/ 31/ 20.09.1919/ 244. 182 Zum 18. März. In: GL, 08/ 06/ 16.03.1898/ 41-43. 183 Ebd., S. 42. 184 Ebd. 185 Ebd. 274 3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ „[e]ine von der Bourgeoisie zweifach Verrathene und Entrechtete grüßt die deutsche Proletarierin das fünfzigjährige Jubiläum der revolutionären Märztage. Aber ohne weichliches Klagen und feiges Verzagen, vielmehr in muthvoller Kampfesstimmung und stolzer Siegeszuversicht.“186 Die Kampfesstimmung zu heben und den Frauen vor Augen zu führen, wie lange sie als Staatsbürgerinnen bereits vertröstet wurden, beabsichtigte Zetkin auch mit der Berichterstattung zum ersten Internationalen Frauentag.187 Er fand in ganz Deutschland, Österreich, in der Schweiz und den USA am 19. März 1911 statt – ein Datum, das ihn in Zetkins Augen in idealer Weise mit den Ereignissen desselben Tages im Jahre 1848 verknüpfte. An diesem Tag, so Zetkin in ihrem Artikel „Unser Märzentag“188, habe der preußische Absolutismus in Person Friedrich Wilhelm IV. vor der Macht des Volkes kapitulieren müssen. Im Gegensatz zu vielen anderen in der „Gleichheit“ regelmäßig zum 18. März erschienenen historischen Artikel189 fand der Anteil der Frauen hier eine entsprechende Erwähnung. Anlässlich der ersten internationalen Massen- demonstration für das Frauenwahlrecht schlug Zetkin einen geschichtlichen Bogen von der Französischen Revolution über den utopischen Sozialismus bis zu den ersten demokratischen Strömungen des Vormärzes. Die bürgerlichen Frauen, die sich damals für die Gleichstellung der Frau zu Wort meldeten, taten dies meist „nur im stillen Kämmerlein“190. Doch der Vormärz brachte Frauen hervor, die für ihre Rechte nicht nur mit Worten oder literarisch fochten. Frauen, so Zetkin, „fehlen auch dort nicht, wo es zu revolutionärem Kampfe zwischen den absolu- tistischen Staatsgewalten und den politisch entrechteten Volksmassen kommt, und wie zu Heldinnen, so werden sie zu Märtyrerinnen ihrer demokratischen Über- zeugung. Die bürgerliche Revolutionszeit ruft die erste politische Frauenzeitung Deutschlands ins Leben, […] die 1852 als ein Opfer der Reaktion fällt, die dem Verrat des Bürgertums an der Revolution auf dem Fuße folgte.“191 186 Ebd. 187 Anlässlich des ersten sozialdemokratischen Frauentages erschien, so die Ankündigung in der „Gleichheit“, „An- fang März eine Agitationszeitung für das Frauenwahlrecht herausgegeben von Klara Zetkin, 16 Seiten im Format der Gleichheit. Die Zeitung bringt die Porträts der verstorbenen sozialdemokratischen Vorkämpferinnen für das Frauenwahlrecht in Deutschland, sie wird einen reichhaltigen Inhalt haben und schön ausgestattet sein. Das Blatt soll der Agitation für das Frauenwahlrecht unter den breitesten Massen dienen. Preis der Nummer: Für Organisationen und Wiederverkäufer 5 Pf., die Einzelnummer 10 Pf. […]“ (GL, 21/ 11/ 27.02.1911/ 176). 188 Unser Märzentag. In: GL, 21/ 12/ 13.03.1911/ 177-179. 189 Ebenso wie jährlich zum 18. März ein besonders agitatorischer Artikel in der „Gleichheit“ erschien, so auch zum 1. Mai (vgl. „Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der ‘Gleichheit’“). 190 Unser Märzentag. In: GL, 21/ 12/ 13.03.1911/ 178. 191 Ebd. Hinsichtlich dieses Verrats, dieser unerfüllten Hoffnungen hob Zetkin nach der blutigen Niederschlagung des Aufstandes im Januar 1905 in St. Petersburg die historische Rolle der russischen revolutionären Volksmassen hervor: „Das Proletariat Rußlands hat die geschichtliche Mission übernommen, vor deren Erfüllung die Bour- geoisie Westeuropas sogar in den Tagen revolutionären Jugenddranges kurzsichtig und feige zurückgeschreckt ist, und die sie später bewußt verraten hat. Es vollstreckt an dem zarischen Despotismus das Todesurteil.“ (Für Preis- fechter des revolutionären Proletariats. In: GL, 15/ 15/ 26.07.1905/ 85). 275 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ In der Weimarer Zeit warf Zetkin einen deutlich kritischeren Blick auf die deutschen Vorkämp- ferinnen und sah ihre Bedeutung für die proletarische Frau von der Sozialdemokratie absichtlich überhöht, um den Burgfrieden zu rechtfertigen: „Jedoch alles in allem scheint es, daß das revolutionäre Auftreten der genannten Frauen [Struve, Anneke, Herwegh] mehr die Zielscheibe sittlicher Entrüstung und billiger Witzeleien des wohlanständigen deutschen Philistertums gewesen ist als ein Gegenstand ernster Beachtung oder gar von Befürchtungen der Gegenrevo- lutionäre. Im Gegensatz zu den Kämpferinnen der Französischen Revolution sind ihre deutschen Nachfolgerinnen bei wichtigen Episoden des Ringens für das neue, freiheitliche Deutschland nicht als selbständig Handelnde, ja Entscheidende her- vorgetreten, haben sie sich nicht als Bewegerinnen und Führerinnen Recht und Freiheit heischender Frauenmassen, Volksmassen betätigt, die ein gemeinsamer po- litischer Zielwille im Sturmschritt vorwärts trieb. Nebenbei: Sozialdemokratische Geschichtsklitterung versucht es, die Regierungskoalition der Reformisten mit der Bourgeoisie zu rechtfertigen und insbesondere die Proletarierinnen für sie zu be- geistern, indem sie in sentimentaler Seichtbeutelei die Schatten der Frauengestalten aus der achtundvierziger Revolution heraufbeschwört, denen als besonderes Ver- dienst angerechnet wird, daß sie zu den Besitzenden und Gebildeten gehörten und nur durch ihr Mitgefühl für die Leiden des Volkes, nicht aber durch Klassen- solidarität mit diesem verbunden waren.“192 Dieser Geschichtsklitterung stellte Zetkin die Beispiele der französischen und russischen Revolutionärinnen als viel wertvoller gegenüber. Dies seien jedoch Frauen, denen die Geschichts- schreibung der bürgerlichen Frauenbewegung verständlicherweise „keine Lorbeerkränze ge- wunden“193 habe. Und bezeichnenderweise waren es doch die 1848er-Revolutionärinnen bzw. auch einige ihrer weniger revolutionären, dafür aber gebildeten Zeitgenossinnen, die zu Beginn der Weimarer Republik Vorbildfunktion haben sollten.194 Der gescheiterten Revolution von 1848 folgten, so Zetkin, „Jahre der schwärzesten Reaktion“195 – Jahre, in denen der deutsche Kapitalismus – „[s]ich an billigem Frauen- und Kinderfleisch mästend[…] [und] ungestört durch ‘Meutereien unbescheidener Arbeiter’“196 – einen großen Aufschwung nahm. Förderer und Profiteure dieses Aufschwungs waren jedoch nicht nur die herrschende Klasse des Adels, sondern auch die in der Revolution gescheiterte Bourgeoisie. Sie nutzte die Gunst der Stunde eines leistungs- und besitzbezogenen Wertewandels und büßte, so Zetkin polemisch, „die kurze Maienblüte ihrer politischen Sünde“197 mit „betriebsamer und 192 Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 19. 193 Ebd. S. 20. 194 Siehe Kapitel 4.5. 195 Ebd., S. 63. 196 Ebd. 197 Ebd. 276 3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ erfolgreicher Geschäftstüchtigkeit“198. Verlierer dieser wirtschaftlichen Blüte, der so genannten „Gründerzeit“, waren die unteren Klassen der Bauern und Handwerker, die billigen Arbeitskräfte, die nun der sich entwickelnden Industrie zuströmten und verelendeten – ihr „Fordern und Ringen schien erstorben“199. Umso mehr bewunderte Zetkin die „Begeisterung und Opferfreudigkeit“200, mit der die proletarischen Frauen gegen die Tatenlosigkeit der Reaktionszeit und die bürgerliche Gängelung angingen.201 Die Bedeutung der Gründung der gemischtgeschlechtlichen „Internationalen Gewerksgenossen- schaft der Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiter“ 1869 im sächsischen Textilindustriestandort Crimmitschau wurde an vorhergehender Stelle bereits geschildert. Zetkin sah in ihr nicht nur den Beginn der gewerkschaftlichen Integration der Frauen, sondern den Beginn der proletarischen Frauenbewegung überhaupt: „Die gesamte proletarische Frauenbewegung Deutschlands ist die Erbin und Testa- mentsvollstreckerin der Internationalen Genossenschaft.“202 Der Umgang mit diesem Erbe zeigte sich im Engagement der proletarischen Frauen innerhalb von SPD und Gewerkschaften und wird anhand der rekonstruierten Biographien der Klassenkämp- ferinnen noch deutlich werden. Es ist wieder ein besonderes Forschungsfeld Zetkins, das sich nun chronologisch anschließt: Am 21. Jahrestag der Pariser Kommune von 1871 wollte Zetkin vor allem der Kommunardinnen ge- denken.203 Sie konstatierte, dass „[w]ie an allen großen Tagen der Geschichte des französischen Volks“204, so auch in den Tagen der Pariser Kommune die Frauen „eine hervorragende, glänzende Rolle“205 gespielt hätten. Aus der Kenntnis der französischen Mentalität heraus schrieb Zetkin, dass „[d]ie Französinnen […] von jeher viel Instinkt für den engen Zusammenhang zwischen dem öffentlichen Leben und dem Leben des Einzelnen besessen“206 198 Ebd. 199 Ebd. 200 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 166. Besonders der „Opferfreudigkeit“ wird als weib- lichster Tugend – als einer Tugend derjenigen, die ohnehin wenig verlieren können – noch eine große Bedeutung in den Darstellungen weiblicher Leitbilder zukommen. 201 Auf Zetkins Darstellungen bezüglich der Gründung der ersten großen Arbeitervereine und des Wirkens von Marx, Engels, Lassalle und Bebel kann hier nicht eingegangen werden. Hinsichtlich der Gründung der ersten Arbeiterin- nenvereine siehe Kapitel 1. 202 Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 25/ 12.12.1906/ 178. 203 Die Frauen der Kommune. Zum 21. Jahrestag der Kommune von Paris. In: GL, 02/ 06/ 23.03.1892/ 53-54. 204 Ebd., S. 53. 205 Ebd. 206 Ebd. 277 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ hätten, dass sie aber auch – so Zetkin unerwartet kritisch – „von jeher mehr aus Temperament als aus klarer Ueberzeugung Schulter an Schul- ter mit den Männern für gesellschaftliche Neuerungen in den Kampf gegangen“207 seien. Diesen Mangel erklärte Zetkin allerdings nicht weiter. Ihr war es vor allem wichtig, das Bild, das die Gegner von den Kommunardinnen zu verfestigen suchten, als bewusste Lügen zu entlarven. Man hätte die „Gestalten der heldenkühnen, todesmuthigen Kommunarden in die der megären- haften ‘Petroleusen’ umgelogen, sie mit unsäglichem Schmutz beworfen, für den Abschaum, die Hefe der Pariser Frauenwelt erklärt“208. Die bürgerliche Meinung könne nicht damit umgehen, dass es Frauen gewesen waren, die am Morgen des 18. März 1871 auf dem Montmartre den Abtransport der Kanonen durch die National- garde verhindert hatten, indem sie die hierfür abkommandierten Soldaten zum Fraternisieren bewegten. Es habe Frauen gegeben, die nicht aktiv an diesem und späteren Einsätzen beteiligt waren und doch die Sache unterstützten, indem sie die Männer nicht zurückhielten, sondern anfeuerten und derweil den Haushalt weiterführten. Zetkin fand auch für diese unscheinbare Form des Kampfes beeindruckende Worte: „Ueberall, wo für die Kommune gearbeitet und gekämpft ward, wo es eines an- feuernden Wortes, einer kühnen That, aufopfernder Selbstverleugnung bedurfte, waren die Frauen zu finden.“209 Und es gab die Frauen, die konkret an den Kämpfen beteiligt waren: Sie „nähten Tag und Nacht Säcke, die mit Erde gefüllt wurden und zum Verstopfen der Breschen dienen sollten. Frauen und junge, zarte Mädchen schleppten schwere Karren voll Steine und Erde zum Aufbau der Barrikaden herbei; auf dem Place Blanche erhob sich eine Barrikade, welche nur von Frauen aufgethürmt und ebenso heldenmüthig als klug vertheidigt wurde; Frauen schulterten das Gewehr, standen Wache auf den gefährlichsten Posten, vertheidigten bis zuletzt unhaltbar gewor- dene Punkte.“210 Und wenn nicht als Kämpferinnen, so waren sie als Krankenpflegerinnen im Einsatz, was sie ebenfalls zu Strafverfolgten der Regierung machte. Hunderte wurden gefangen genommen und verschleppt, waren tagelang „ohne Nahrung, ohne Trinkwasser, ohne die Möglichkeit, sich reinigen zu können. Wie Schlachtvieh wurden sie zusammengepfercht in dumpfigen Kellerhöhlen auf faulendem Stroh, in offenen Höfen, wo sie dem glühenden Sonnenbrande preisge- geben waren.“211 207 Ebd. 208 Ebd. 209 Ebd. 210 Ebd., S. 54. 211 Ebd. 278 3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ Der erschreckenden Schilderung nicht genug, teilte Zetkin ihren Leserinnen mit, dass manche dieser Kämpferinnen zusammen mit Männern eingesperrt und gezwungen wurden, sich in deren und in Gegenwart der Wächter umzuziehen. Wie Tiere habe man sie schließlich auch in einem Gerichtsprozess zur Schau gestellt. Dieser „‘Prozeß der Petroleusen’“212 endete mit den Urteilen, dass von 157 Frauen acht sterben mussten und 86 für den Rest ihres Lebens in eine Strafkolonie deportiert wurden.213 Alle diese als Furien verschrieenen Frauen hätten ihr Urteil, so Zetkin, ruhig, ja mit „antike[r] Heldengröße“214 entgegengenommen. Obwohl sich Zetkin mit ihren Darstel- lungen gegen das Bild von der französischen Petroleuse richtete, zitierte sie genüsslich einen entsetzten englischen Journalisten mit den Worten: „‘Wenn das französische Volk nur aus Frauen bestände, welch‘ ein furchtbares Volk wäre das.’“215 Zwei dieser besonderen Frauen Frankreichs wurden von Zetkin ausführlicher für die „Gleichheit“- Leserinnen porträtiert. Indem die „Gleichheit“ sowohl Herkunft, Beweggründe und Handlung- sbereich der Gruppe revolutionärer Frauen als auch ihre einzelnen Mitglieder beschrieb, bot sie ihren Leserinnen in besonders gelungener Weise Identifikationsmöglichkeiten an. Einen in dieser Hinsicht herausragenden Stellenwert hatten auch die russischen Revolutionärinnen bzw. Terroristinnen, die meist aus dem Bildungsbürgertum stammten. Indem sie ihr Leben in Sicherheit und Wohlstand aufgaben, um „für Volkswohl und Volksfreiheit“216 zu kämpfen, be- wiesen sie eine „Opferfreudigkeit ohne Gleichen“217. „Hunderte[…] und Hunderte[…] von jungen Mädchen und Frauen“218 setzten laut Zetkin ihr Leben aufs Spiel für ein Ideal, für „eine bessere, schönere Zukunft für Alle“219. Ebenso viele waren es, die „mit vorzeitig aufgeriebenen Kräften ins Grab sanken, nach Sibiriens Eiswüsten verschickt wurden, hinter Kerkermauern im Wahnsinn oder durch Selbstmord endeten, am Galgen ihr Leben aushauchten oder als Flüchtlinge, fern von der Heimath ein freudloses, entbehrungsreiches Leben führen“220 mussten. Für Zetkin waren diese Frauen jedoch nicht nur Vorbilder für die deutschen Prole- 212 Ebd. 213 Vgl. ebd. 214 Ebd. 215 Ebd. 216 Die russischen Revolutionärinnen. In: GL, 02/ 01/ 11.01.1892/ 14-15, S. 14. 217 Ebd. 218 Ebd. 219 Ebd. 220 Ebd. 279 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ tarierinnen, sondern auch für die deutschen „Frauenrechtlerinnen“, denn die ersten russischen Revolutionärinnen „hatten meist schon einen Kampf geführt, den Kampf für die Emanzipation der Frau, den Kampf zumal für die gleiche Ausbildung, die gleiche Berufsthätigkeit des weiblichen und männlichen Geschlechts“221. Die Erkenntnisse aus diesem Kampf hatten sie jedoch weitergeführt und einen bedingungslosen Kampf gegen den Zarismus aufnehmen lassen. Statt ihrer naturwissenschaftlichen und medizini- schen Bücher studierten sie nun – meist im „sozialistische[n] Mekka“222 Zürich – die einschlägige sozialistische Literatur und wurden Agitatorinnen. Durch diese Konsequenz, so Zetkin, „standen sie schon damals hoch über dem Durchschnitt unserer bürgerlichen Frauenrechtlerinnen West- europas“223. Die deutschen Proletarierinnen würden es dagegen wohl nie erleben, dass Hunderte und Tausende von Frauen der Oberen Zehntausend „freudig auf alle Vortheile ihrer Geburt und Stellung“224 verzichten und einer revolutionären Bewegung beitreten.225 Doch die Entscheidung für die Sache des Volkes brachte den Revolutionärinnen nicht nur dessen Anerkennung: „Die Propagandistinnen lernten die Bitterniß vergeblichen Mühens und Ringens, des Verkanntwerdens der edelsten Absichten kennen, sie wurden von denen, die sie retten wollten, oft mit Feindschaft, mit Denunziation gelohnt.“226 Auf diese Weise in die Fänge der brutalen Handlanger des despotischen Zarenreiches geraten und immer von seinen Spitzeln bedroht, wurden die RevolutionärInnen, so die Begründung Zetkins für den Terrorismus, „von ihrem übermächtigen Gegener gezwungen, auf den Druck durch Gegen- druck zu antworten“227. Die revolutionären Gruppierungen planten und begingen Attentate auf die Stellvertreter des Zaren in Behörden und Gefängnissen und schließlich auf Zar Alexander II. selbst. „Auf den weißen Schrecken seitens der Regierung“, so Zetkin scheinbar unkritisch, „folgte der rothe Schrecken seitens der Revolutionäre“228 und „trat unter dem Gebot der Nothwehr der Terrorismus an Stelle der Propaganda“229. Auch die weiblichen Revolutionärinnen trugen die Radikalisierung mit und bewiesen dabei be- sondere Charaktereigenschaften: 221 Ebd. 222 Ebd. 223 Ebd. 224 Ebd. 225 Ebd., S. 15. 226 Ebd. 227 Ebd. 228 Ebd. 229 Ebd. 280 3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ „Was sie auch thaten, sie thaten es einfach und schlicht, ohne Aufhebens, ohne Rühmens, wie etwas Alltägliches und Selbstverständliches, wie eine Pflicht, deren Erfüllung Herzenssache ist.“230 Auf diese besonders heroische Weise hätten sie auch ihre Todesurteile entgegengenommen und starben als „Märtyrerinnen“ für die „Volksfreiheit in Rußland“231.232 Zetkin bezog sich auf den russischen Schriftsteller und Publizisten Stepnjak233, der als „guter Kenner der russischen revolu- tionären Bewegung“234 treffend bemerkt habe, „daß diese ihren fast religiösen Charakter den Frauen verdankt, die an ihr Antheil nahmen, die heilige, läuternde Flamme der Begeisterung in sie hineintrugen“235. Die Darstellungsweise all dieser Artikel wirkt sehr gefühlsbetont und mystifizierend. Diese Emo- tionalität wird auch auffällig, wenn die „Gleichheit“ die Geschichte der Arbeiterbewegung aus dem Blickwinkel ihrer weiblichen Mitglieder betrachtete. Das Sozialistengesetz, so Zetkin 1896 auf dem Parteitag in Gotha belustigt, habe „eine Arbeit geleistet, die hunderte von Agitatorinnen nicht zu leisten im Stande gewesen wären, und wir sind dem Vater des Sozialistengesetzes sowie allen Staats- organen, die an seiner Durchführung betheiligt waren, vom Minister bis zum Schutzmann herab, aufrichtig dankbar für ihre unfreiwillige agitatorische Thätig- keit. Und da wirft man uns Sozialdemokraten Undankbarkeit vor! (Heiterkeit.)“236 Auch das diskriminierende Vereinsrecht hatte seinen Zweck nicht erfüllen können. Die Arbeiterin- nen sind die wahren Sieger geblieben. Alle Verbote konnten die Organisationen der proletarischen Frauen nicht zerschlagen, sondern hätten „nur darauf hingewirkt, ihr Klassenbewußtsein immer mehr zu wecken“237. Besonders das Sozialistengesetz bot sowohl in geschlechter- als auch partei- geschichtlicher Hinsicht Aspekte, die Gemeinsamkeit stiften konnten. Seine Geschichte sprach die Leserinnen sowohl als Frauen als auch als Parteimitglieder an. Ein emotionaler Aspekt war zudem unweigerlich gegeben, weil viele Frauen – darunter z. B. Zetkin und Ihrer – noch aktiven Anteil 230 Ebd. Zetkin nannte in diesem Artikel Sophie Perowskaja, Jessa Helfmann, Vera Figner, Sophie Bardina, Vera Sassulitsch, Jewgenia Subotina (1853- nach 1930) bzw. Maria Subotina (1854-1878) (die kursiv hervorgehobenen Frauen werden noch in Kapitel 4 vorgestellt). 231 Die russischen Revolutionärinnen. In: GL, 02/ 01/ 11.01.1892/ 15. 232 Märtyrerinnentum ist ein wichtiges Moment des Frauenleitbildes der „Klassenkämpferin“, wie es sich in den „Gleichheit“-Biographien widerspiegelt. Mit ihm einher geht die pseudoreligiöse Definition des revolutionären Kampfes. 233 Gemeint war hier das Pseudonym Sergei Stepniak, hinter dem sich der Schriftsteller Sergei Michajlovic Krav- cinskij verbarg, der sich in den 1870er Jahren als Narodnik an den revolutionären Kämpfen beteiligte und später nach England emigrierte. 234 Ebd. 235 Ebd. 236 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 164. 237 Ebd., S. 166. 281 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ an der damaligen Bewegungsarbeit in Untergrund und Exil gehabt hatten und sehr lebendig davon zu erzählen verstanden. Sie verknüpften mit dieser Epoche unermüdlichen Kampfes nicht nur ihre eigene Persönlichkeitsentwicklung238, sondern auch den weiblichen Anteil am Werdegang der gesamten Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie. Bereits 1892 verfasste Zetkin den Artikel „Ungenannte Heldinnen“,239 den sie, leicht abgeändert, nochmals 1894 unter dem Titel „Die Frauen und das Ausnahmegesetz“240 und schließlich 1903 unter dem Titel „Die Frauen unter dem Ausnahmegesetz“241 in der „Gleichheit“ veröffentlichte. Anlass für das letztmalige Erscheinen war der 25. Jahrestag des am 21. Oktober 1878 erlassenen Sozialistengesetzes, das in der SPD auch „Ausnahmegesetz“ oder „Schmachgesetz“ genannt wurde. In diesem Artikel sprach Zetkin gezielt die Vernachlässigung an, die die Frauen auch in der SPD-Geschichte bisher erfahren mussten – und immer noch erfahren: „Aber eins haben wir in all den Artikeln vermißt, welche des Unsterblichen gedachten, das deutsche Proletarier in den Jahren des Ausnahmegesetzes geleistet haben. Auch nicht ein einziger hat gerecht rühmend den Anteil erwähnt, den die proletarischen Frauen an dem Kampfe zur Unschädlichmachung und Zerschmet- terung des Sozialistengesetzes genommen haben, an den Arbeiten und Mühsalen zum Aufbau einer klassenbewußten proletarischen Bewegung, […]. Und doch wäre ohne die Mitarbeit, den Mitkampf der Proletarierinnen die Überwindung des Schmachgesetzes unmöglich gewesen […].“242 Erstaunlicherweise war es ausgerechnet die das Sozialistengesetz betreffende Erinnerungskultur der Parteipresse, die Zetkin gezwungenermaßen kritisieren musste. Trotz dieser den Anteil der Frauen am Kampf gegen das Sozialistengesetz nicht ausreichend würdigenden Darstellungsweise blieb Zetkin in ihrem Ton ungewohnt zaghaft – vermutlich wollte sie nicht auch nur den Hauch eines Verdachtes auf sich ziehen, feministische oder frauenrechtlerische Positionen einzunehmen. Und so schrieb sie weiter: Wir entrüsten uns keineswegs darüber, daß Dutzende von Gedenkartikeln schwei- gend an den Leistungen der Frauen vorübergegangen sind; wir vermerken es nur. Es ist der unbewußte, ungewollte, aber sehr bezeichnende Ausdruck einer Tatsache. Die Herrenstellung des männlichen Geschlechts in der Familie, in Gesellschaft und Staat hat beim Manne das Gefühl für die Wertung des stillen Heroismus der Frau abgestumpft, hat letzterem selbst den Charakter des Selbstverständlichen auf- geprägt, das im Dunkel der Anonymität bleibt. Was Jahrhundert nach Jahrhundert in dieser Hinsicht geschaffen, das kann unmöglich von heute auf morgen ver- schwinden. Kein Wunder deshalb, wenn auch beim Sozialisten der Frau gegenüber hier und da die theoretische, die geschichtliche Einsicht von der Macht des un- 238 Siehe besonders die im Verzeichnis biographischer Literatur genannten autobiographischen Artikel und Werke. 239 Ungenannte Heldinnen. In: GL, 02/ 10/ 18.05.1892/ 87-88. 240 Die Frauen und das Ausnahmegesetz. In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 164-165. 241 Die Frauen unter dem Ausnahmegesetz. In: GL, 13/ 23/ 04.11.1903/ 178-180. 242 Ebd., S. 178-179. 282 3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ bewußten Empfindens zurückgedrängt wird: Kurz nachzuholen, was in der aufgezeigten Beziehung verabsäumt worden ist, dünkt uns eine Pflicht der Gerech- tigkeit.“243 Auch hier zeigt sich die oft an Zetkin und an der gesamten proletarischen Frauenbewegung kriti- sierte „Selbstbescheidung“244 bzw. „Selbstzensur“245, die eine die „Klassenharmonie“ gefährdende Kritik an den männlichen Genossen nicht zulassen wollte. Doch zurück zum frauengeschichtlichen Inhalt des Artikels. Die Proletarierinnen, deren Männer sich in der Zeit des Sozialistengesetzes zum Sozialismus bekannten, konnten nach Ansicht Zetkins in zwei Gruppen eingeteilt werden. Es gab diejenigen Frauen, die aus Sorge um die Existenz ihrer Familie „im schleichenden Kleinkrieg mit Bitten und Tränen, mit Verwünschungen und Vorwürfen, mit Liebkosung und Lächeln manche trotzige Männerkraft zer- mürbt[en] und aufr[ieben]“246. Und es gab die anderen – die, „die tapfer ihre Tränen hinunterschluckten“247 und die Versorgung der Familie selbst in die Hand nahmen, während ihre Ehemänner verhaftet oder ausgewiesen waren, und die, die sogar in einer „Fülle von täglicher geheimer Kleinarbeit“248 unentbehrlich für die Bewegung wurden.249 Sie waren es, die die Verbindung zwischen den Gesinnungsgenossen aufrechterhielten, Unterstützungsgelder sammelten, die Polizei in die Irre führten, geheime Zusammenkünfte vorbereiteten, die verbotene sozialistische Literatur z. B. im Kinderwagen trans- portierten und verteilten. Einige von ihnen (Gertrud Guilleaume-Schack, Emma Ihrer, Pauline Stägemann, Bertha Hahn, Agnes Wabnitz, Johanne Schackow, Marie Hofmann), die schließlich zu bedeutenden Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung werden sollten, leisteten erste Organisationsarbeit unter den Proletarierinnen, vor allem in Form von Vereinen, die jedoch bald Opfer eines anderen Gesetzes, des Preußischen Vereinsgesetzes, wurden. Auf die vielen „Ungenannten und Unbekannten“250, träfe, so Zetkin weiter, das Wort der altskandinavischen Edda zu: „‘Viele sind kühn, deren Schwert nicht rot vom Blut aus Feindesbrust.’“251 Zetkin war es ein wichtiges Anliegen, ihren Leserinnen zu zeigen, dass Mut und Kühnheit nicht 243 Ebd., S. 179. 244 Freier, Dimensionen weiblichen Erlebens und Handelns, S. 210. 245 Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. IX. 246 Die Frauen unter dem Ausnahmegesetz. In: GL, 13/ 23/ 04.11.1903, S. 179. 247 Ebd. 248 Ebd. 249 Siehe zum Frauenleitbild der sozialistischen Ehefrau Kapitel 4.3. 250 Die Frauen unter dem Ausnahmegesetz. In: GL, 13/ 23/ 04.11.1903, S. 180. 251 Ebd. 283 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ nur auf einem Schlachtfeld oder einer Barrikade bewiesen werden konnten, dass Frauen immer schon „instinktiv oder bewußt um der Erlösung ihrer Klasse, ihres Geschlechtes willen duldeten und handelten, den Kampf mit Sorge und Entbehrung, mit den Rücken und Tücken der feindseligen Gewalten aufnahmen, im Dienste der Idee der Menschheitsbefreiung einfach Alltagsarbeit verrichteten“252. Das, was diese vielen Frauen geleistet haben, hatte seinen Wert für die sozialdemokratische Bewegung, auch wenn diese Leistungen „nicht vom Glorienschein des Großartigen und Ungewöhnlichen umstrahlt in die Augen fallen, […] nicht von Dichtern besungen, von Geschichtschreibern ge- priesen werden“253. So versuchte Zetkin, die wahrlich keine „unbekannte Heldin“ geblieben ist, den „Gleichheit“- Leserinnen sowohl historisches Wissen zu vermitteln, historische Vorbilder für ein bewusstes poli- tisches Handeln näher zu bringen als auch gegen den weiblichen Geschichtsverlust anzugehen. Außerdem nutzte sie die Gelegenheit, an die „reinliche Scheidung“ zwischen proletarischer und bürgerlicher Frauenbewegung zu erinnern. Ihrer Meinung nach stünden gerade die Frauen Deutschlands in dem „sehr zweifelhaften Ruhm, in dem Haus ihre Welt zu finden, in kleinlichen Koch- topfinteressen, im plattesten Alltagsleben, in den Tücken des freundnachbarlichen Klatsches aufzugehen, den Pulsschlag der Zeit nicht zu vernehmen“254. Ein Vorurteil, das sich mittlerweile jedoch nicht mehr auf die durch „ihre Klassenlage […] zum Interesse an der Allgemeinheit und an den großen die Zeit bewegenden Fragen“255 erzogene Masse der werktätigen Frauen beziehen könne. Während die Bildung der höheren Töchter des Bürger- tums ohnehin oft nur „Talmibildung“256 sei, nehme die proletarische Frau immer mehr immer stärkeren und aktiven Anteil an ihrer Umwelt: „Allein was ihr Verständniß für die großen, Freiheit und Kultur für Alle in ihrem Schooße bergenden Fragen und Kämpfe anbelangt, was ihr unbezähmbares Bil- dungsbedürfniß anbetrifft, ihre Fähigkeit, zu Gunsten einer Idee Opfer zu bringen, den persönlichen Vortheil dem Wohl der Allgemeinheit unterzuordnen, so sind die ‘liederlichen Fabriklerinnen’ und die ‘rohen Arbeiterweiber’ ihren Schwestern aus der Bourgeoisie bedeutend überlegen.“257 Zetkin konnte jedoch – wie in ihren obigen Ausführungen zu sehen – nicht leugnen, dass diese Überlegenheit gegenüber den bürgerlichen Frauen durchaus noch nicht allen Proletarierinnen zu- 252 Ebd. 253 Die Frauen und das Ausnahmegesetz. In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 164-165, S. 165. 254 Ungenannte Heldinnen. In: GL, 02/ 10/ 18.05.1892/ 87. 255 Ebd. 256 Ebd. 257 Ebd. 284 3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ geschrieben werden konnte. Das, was zumindest „viele deutsche Proletarierinnen durch ihr Thun, aber auch durch Dulden und Entsagen für die Sache der Arbeiterklasse geleistet haben, mu[sste] Das verzeihen machen, was leider viele ihrer Schwestern durch Unverstand und Engherzigkeit, durch Gleichgültigkeit oder Feindseligkeit der Arbeiterbewegung gegenüber gesündigt“258. Angesichts dieser Frauen, die noch immer nicht für die Sache gewonnen waren, durfte die Agita- tionsarbeit der proletarischen Frauenbewegung nicht nachlassen. Auch weiterhin musste sie „die revolutionierenden Ideen bis in den Schoß der Familie“259 bringen und es mussten „[w]eibliche Vertrauenspersonen und Agitatoren […] mit wahrhaft apostolischer Begeisterung, den Verfolgungen der Behörden, der Verachtung von seiten der bür- gerlichen Gesellschaft trotzend, die Gedanken des Sozialismus in die fernsten und kleinsten Winkel des Reiches“260 tragen. Die „Gleichheit“ veröffentlichte neben den Artikeln, die einen größeren Überblick gaben auch Artikel, die autobiographisch angelegt, einen detaillierteren Einblick in z. B. regionale Par- teigeschichte und Frauenorganisationsgeschichte gewährten. Der von Louise Müller (?-?)261 verfasste Artikel „Vor 25 Jahren. Erinnerungen einer Genossin“262 ist eine autobiographisch unter- malte Beschreibung der frühen Frauenorganisationsarbeit in Nürnberg, der Gründung eines Frauenvereins, seines Arbeitsalltags, seiner Überwachung, der Überlisten der Polizei, der mutigen Beteiligten, der Gerichtsverfahren und der Strafen. Darüber hinaus gab es eine sehr große Zahl von Artikeln, die die gegenwärtige Situation der Arbeiterinnen unter politischen und rechtlichen Gesichtspunkten kritisierten und sich dafür historischer Bilder und Vergleiche bedienten. Es wurden die Missstände der Gegenwart mit sol- chen der Vergangenheit verglichen. So wies Zetkin zum Beispiel in ihrem 1895 veröffentlichten Artikel „Jus primae noctis im letzten Viertel des XIX. Jahrhunderts in Preußen“, auf das Schicksal vieler Dienstmädchen hin, die von ihren Arbeitgebern vergewaltigt worden waren. Zetkin verglich 258 Ebd. 259 Blos, Anna: Der Einfluß der Frauen auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 124-125, S. 125. 260 Ebd. 261 Louise Müller, geb. Fischer, wurde in Nürnberg geboren. Ihr Vater war bekennender Sozialdemokrat und brachte ihr die politischen Ideen näher. Sie arbeitete in einer Steindruckerei und engagierte sich in der Gewerkschaft, auch als Rednerin. 1892 gründete Müller den Frauen- und Mädchenbildungsverein mit. Dieser wurde 1895 verboten und Müller gemeinsam mit den anderen Vorstandsmitgliedern zu Geld- und Haftstrafen verurteilt, die jedoch durch eine Amnestie aufgehoben wurden. 1893 siedelte sie nach Stuttgart über. Dort war sie oft neben Zetkin die einzige weibliche Teilnehmerin in den Mitgliederversammlungen der Partei, obwohl das württembergische Vereinsrecht die Teilnahme von Frauen nicht verbot (diese detaillierten biographischen Informationen gehen aus keinem der herangezogenen Nachschlagewerke und Datenbanken hervor, sondern vgl. Müller, Louise: Vor 25 Jahren. Erinnerungen einer Genossin. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 176-178). 262 Müller, Louise: Vor 25 Jahren. Erinnerungen einer Genossin. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 176-178. 285 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ die Gesindeordnung, die solche Verbrechen möglich machte, mit dem mittelalterlichen Recht, welches dem Feudalherren das „ius primae noctis“ – „das Recht der ersten Nacht“ – einräumte.263 Der Unterschied zur Situation der weiblichen Leibeigenen im Mittelalter bestand aber vor allem darin, dass die aus den Vergewaltigungen der Dienstmädchen entstandenen Kinder unehelich waren, was in der Regel ihre schlechte Versorgung und häufig sogar ihren frühen Tod bedeutete. Für die Zeit des Ersten Weltkrieges lässt sich ein deutlicher Rückgang der in der „Gleichheit“ abgedruckten Artikel geschichtlichen und frauengeschichtlichen Inhalts feststellen. Die „Gleich- heit“-Redaktion kritisierte den Krieg auf mehreren Ebenen und musste stets Vorsicht walten lassen, damit die jeweilige Nummer nicht beschlagnahmt wurde. Sie ging der Frage nach „[w]ie es zu Kriegen kommt“264 und befasste sich mit der „Soziologie des Krieges“265. Artikel, die in Anlehnung an revolutionäre Geschichte die Leserinnen zum Handeln aufforderten, konnten selten erscheinen. Nach dem Krieg gestaltete sich ein Bezug auf die Geschichte der eigenen Bewegung und dem weiblichen Anteil daran in der Form, wie er oben von Zetkin dargestellt wurde, deutlich unkritischer. Den Leserinnen wurden außerdem deutlich mehr kulturgeschichtliche Inhalte – sich zum Teil deutlich am Werke Bebels orientierend – geboten.266 Jetzt war es vor allem die Arbeit der Frauen an der Heimatfront, die von ihnen geleistete „Friedensarbeit“, die von den AutorInnen der „Gleichheit“ hervorgehoben wurde. Und es war vor allem das aktive und passive Wahlrecht, dem man sogar in zweierlei Hinsicht historische Bedeutung zumaß: „In dem Augenblick ist nun auch der Einfluß der Frauen auf die Geschichte gesichert. Sie sitzen in den Parlamenten und helfen Gesetze schaffen, die dem Wohle der ganzen Menschheit dienen sollen. […] Daß uns Frauen die Möglichkeit eines solchen Wirkens gegeben ist, das danken wir dem Einfluß der vielen unbe- kannten Geschlechtsgenossinnen, die seit Jahrhunderten all die Fäden gesponnen und geschürzt haben zu dem Gewebe, das wir die Entwicklungsgeschichte der Menschheit nennen.“267 Blos gehörte zur Mehrheitssozialdemokratie. Ihre Schlussfolgerung verdeutlicht diese politische Position und spiegelt eine gewisse Naivität wieder, in der sie die Bedeutung des Frauenwahlrechts stark überhöhte. Frauen hatten Historisches geleistet – aus Sicht der Mehrheitssozialdemokratie 263 Jus primae noctis im letzten Viertel des XIX. Jahrhunderts in Preußen. In: GL 05/ 11/ 29.05.1895/ 87-88. 264 l. ch.: Wie es zu Kriegen kommt. In: GL, 25/ 07/ 21.12.1914/ 33-35. 265 Röttcher, Fritz: Zur Soziologie des Krieges. In GL, 25/ 23/ 06.08.1915/ 150-152; GL, 25/ 24/ 20.08.1915/ 160- 161; GL, 25/ 25/ 03.09.1915/ 167. 266 Sommer, Br.: Die Anfänge der Töpferei. In: GL, 29/ 03/ 08.11.1918/ 21-23; Blos, Anna: Alt-Weimarer Tage. In: GL, 29/ 14/ 11.04.1919/ 109-111; Heilbut, Kurt: Die Urform der Ehe. In: GL, 29/ 45/ 46/ 27.12.1919/ 357-358; ders.: Mutterrecht. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 342-343. 267 Blos, Anna: Der Einfluß der Frauen auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 125. 286 3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“ vor allem als Stützen der „Burgfriedenpolitik“ – und die gesetzliche Gleichberechtigung stand ihnen zu. Als Wählerinnen und Politikerinnen der Weimarer Republik passten sie sich einem System an, dasjenige nicht das war, wofür die sozialistische Frauenbewegung bisher gekämpft hatte. Die Entwicklung, die die Frage der Emanzipation der Frauen damit genommen hatte, wurde aber von ihren klassenbewussteren Verfechterinnen durchaus skeptisch beurteilt. Rückblickend klagte Zetkin 1928 verbittert: „Die deutsche proletarische Frauenbewegung hat ihr gerüttelt Maß Anteil an dem Verfall, dem Niedergang der Sozialdemokratischen Partei. Sie ist von einer tapferen, zielklaren Kämpferin für den revolutionären Marxismus in der II. Inter- nationale zu einer gehorsam dienstbaren, fleißigen Magd des Reformismus geworden, die auf selbständiges Prüfen, Urteilen und Handeln verzichtet.“268 Zwar bot die „Gleichheit“ ihren Leserinnen nun nicht mehr in der früheren Art die Geschichte revolutionärer Kämpfe als vorbildlich dar, aber die SPD-Frauenbewegung behandelte sie weiter- hin in ihren Veranstaltungen und Organisationen. Die Vielfalt der Vortragsthemen – jedoch nicht die genaue Relation ihrer Häufigkeit – ergibt sich aus einer Zusammenstellung, die Juchacz 1922 aus Berichten der Ortsgruppen anfertigte und in der „Gleichheit“ veröffentlichte. Sie gab ihrem Artikel den Titel „Das geistige Leben unserer Frauenbewegung 1921/22“269 und die darin im weitesten Sinne historischen Themen waren: Das Kommunistische Manifest; Die Frauen der französischen Revolution; Ihr sollt nicht ver- gessen; Die Frau in der Urgesellschaft; Die Frau in früheren Zeiten; Geschichtlicher Ueberblick über die Stellung der Frau in der menschlichen Gesellschaft; Die Frau und der Sozialismus; Das Frauenrecht im Wandel der Zeiten; Die Götterwelt der Griechen und Römer; Urchristentum Frauenschicksale.270 Biographisch hatten sich die Ortsgruppen mit folgenden „Vorkämpfern des Sozialismus“271 beschäftigt: Ignaz Auer, August Bebel, Wilhelm Liebknecht, Ferdinand Lassalle, Rosa Luxemburg, Ottilie Baader, Mary Wollstonecraft und Luise Otto-Peters. Diese Zusammensetzung wirkt erstaunlich ausgeglichen – sowohl hinsichtlich des Geschlechts als auch der politischen Position der Personen. Der größere Teil der Zusammenstellung, der hier nicht dargestellt werden kann, betraf, so Juchacz, diejenigen Interessen der Frauen, die ihnen aus ihren gegenwärtigen Nöten erwuchsen. Aus der gegenwärtigen Situation komme „das Bestreben, einzudringen in die Zusammenhänge des Wirtschaftslebens und der sozialen Gemeinschaft der Menschen im Staat“. 268 Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 13. 269 Juchacz, Marie: Das geistige Leben in unserer Frauenbewegung 1921/22. In: GL, 32/ 17-18/ 01.09.1922/ 159-160. 270 Entnommen: Ebd. 271 Ebd., S. 160. 287 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ Und Juchacz betonte, dass wiederum „[z]um Verstehen der Gegenwart […] man die Kenntnis der Vergangenheit“272 brauche. Was demnach die „Gleichheit“ vernachlässigte, wurde in den örtlichen Veranstaltungen, im „Willen der Selbstbildung zum Sozialismus“273, stärker betrieben: Der Rückgriff auf revolutionäre und biographische Frauengeschichte – der Themenzusammenstellung nach sogar ohne direkten Rückgriff auf die 1848er-Revolution. Vorrangig blieb die staatsbürgerliche Schulung der Frau. Das Wahlrecht sollte es Arbeitern und Arbeiterinnen nun ermöglichen, den Geschichtsverlauf auch ohne weitere Revolutionen zu be- stimmen. Dass sich die Frauen zugleich mit ihrem Wahlrecht den Einfluss auf die Geschichte oder gar auf die Geschichtsschreibung gesichert hätten, wie oben von Blos prophezeit, muss an dieser Stelle jedoch bezweifelt werden. 272 Ebd., S. 159. 273 Ebd., S. 160. 288 3.3 Frauenleitbilder in der „Gleichheit“ 3.3.1 Was ist ein Leitbild – wie wird es konstruiert und welche Funktion erfüllt es? Wie der im Oktober 2000 öffentlich und vehement diskutierte Begriff der „Leitkultur“ ist auch der Begriff des „Leitbildes“ und seine Bedeutung für Bildung und Erziehung sehr umstritten. BefürworterInnen sprechen von ihm im Sinne einer Orientierungshilfe und heben seinen Beitrag für die Harmonisierung der Gesellschaft hervor. Seine KritikerInnen warnen vor Anpassungszwang, Indoktrination und einer Bedrohung der Menschenwürde. Bereits 1967 stellte Theodor W. Adorno den doktrinären Charakter eines Leitbildes in den Mittelpunkt eines bezeichnender Weise den Titel „Ohne Leitbild“ tragenden Werkes. Er ist der Meinung, dass allein dem Wort „Leitbild“ ein „leise[r] militärische[r] Klang“274 innewohne und bezeichnet die Suche nach Leitbildern polemisch als „Leitbildnerei“275. Adorno, dessen Aus- führungen sich auf die bildenden Künste beziehen, urteilt über das, „was es mit dem Ruf nach Leitbildern auf sich hat“276, wie folgt: „Schreit man nach ihnen, so sind sie bereits nicht mehr möglich; verkündigt man sie aus dem verzweifelten Wunsch, so werden sie zu blinden und hetero- nomen Mächten verhext, welche die Ohnmacht nur noch verstärken und insofern mit der totalitären Sinnesart übereinstimmen. In den Normen und Leit- bildern, die fix und unverrückbar den Menschen zur Orientierung einer geistigen Produktion, deren innerstes Prinzip doch Freiheit ist, verhelfen sollen, spiegelt sich bloß die Schwäche ihres Ichs gegenüber Verhältnissen, über die sie nichts zu vermögen meinen, und die blinde Macht des nun einmal so Seien- den.“277 [Hervorhebungen von M.S.] Indem sie ihnen geeignete Leitbilder und die Theorie des historischen Materialismus näher brachte, wollte die „Gleichheit“ ihren Anhängerinnen jedoch gerade die Wandelbarkeit der Verhältnisse aufzeigen. Vormschlag zeigt in ihrer publizistischen Studie „Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften der SPD, der USPD, der KPD in den Jahren 1890-1933 und der NSDAP in den Jahren 1932-1945“ diejenigen Mechanismen auf, die der Konstruktion eines Leitbildes zu Grunde liegen. Der Begriff „Leitbild“ sei in seiner Bedeutung prinzipiell mit „Stereotyp“, „Vorurteil“ und „Image“ identisch und sie alle, so Vormschlag, „umschreiben letztlich denselben Prozeß, ein Überschaubarmachen der Umwelt und ein Verschließen von Informationslücken, dadurch daß einzelne Strukturen 274 Adorno, Ohne Leitbild, S. 7. 275 Ebd., S. 15. 276 Ebd., S. 13. 277 Ebd., S. 13-14. 289 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ der Realität hervorgehoben, andere verkürzt und vernachlässigt werden“278. Im Grunde genommen, so die Konsequenz aus jener Definition, ist sogar „jegliches menschliche Tun leitbildhaft gesteuert“279. Damit die für die Konstruktion eines Leitbildes notwendigen Informationen nicht ins Leere laufen, sondern als Orientierung funktionieren können, bedarf es eines „hohen Grad[es] von Verständlichkeit“280. Laut Vormschlag tragen die Simplifizierungen und Generalisierungen, die z. B. in Form von Vorurteilen, Leitbildern, Stereotypen und Images auftreten, im Rahmen jeder Erziehung281 – vor allem aber wenn es sich um propagandistische Erziehung handele – zur Uniformität der Individuen in einer Kultur bei.282 In diesem Zusammenhang sind Sprache und Kommunikation von zentraler Bedeutung. So birgt die Nutzung moderner Medien für die Konstruktion, Popularisierung und Verankerung eines Leitbildes enorme Möglichkeiten. Medien, bereits existierende und neu zu konstruierende Leit- bilder und die Erwartungshaltung des Publikums greifen ineinander und verstärken sich gegen- seitig.283 Gerade für die Zeitschriften der Frauenbewegung – der bürgerlichen wie auch der sozialistischen – stellt Vormschlag jedoch fest, dass sie „neue Verhaltensmuster lediglich in dem Ausmaß durchsetzen können, als sie mit den in einer Zeit bestehenden Maßstäben nicht in Konflikt geraten. Als Initiator wird eine Zeitschrift fungieren können, wenn bereits Erwartungsmaßstäbe existieren, die eine Neuerung begünstigen.“284 Besonders hinsichtlich der Formulierung von Leitbildern stehen das Neue und das Bestehende in einem markantem Wechselverhältnis. Nipperdey stellt z. B. einen für das 19. Jahrhundert ty- pischen Prozess der „Feminisierung der Frau“285 fest und im Zuge dieser Überfeinerung verstärkten sich gegenseitig die vermeintlich geschlechtsspezifischen Eigenschaften und das dazu- gehörige Frauenleitbild: „[D]ie Frauen sind zart, schwach, delikat, nervös, leicht kränklich, leiden zumal an Kopfschmerzen – und weil sie so gesehen werden, werden manche oder viele auch wirklich so.“286 Das Bild der ohnmächtig dahinsinkenden Frau ist demnach zu einem großen Teil Auswirkung 278 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 24. 279 Ebd. 280 Ebd., S. 23. 281 Vormschlag hebt zur Verdeutlichung ihrer Thesen den Unterschied zwischen „Erziehung“ als einer Form der Einwirkung, Übung und Gewöhnung und „Bildung“ als durch theoretische Einsicht geleitetes Lernen hervor (vgl. ebd, S. 84). 282 Ebd. 283 Vgl. ebd., S. 27f. 284 Ebd., S. 250. 285 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, S. 120. 286 Ebd. 290 3.3.1 WAS IST EIN LEITBILD – WIE WIRD ES KONSTRUIERT UND WELCHE FUNKTION ERFÜLLT ES? eines Frauenleitbildes. Zudem entwickelte sich aus dieser Überfeinerung die Vorstellung, dass für Frauen nicht alles gut und damit auch nicht alles erlaubt sei. Die Konsequenz daraus war, dass der Mann darüber befinden konnte, mit welchen Dingen sich die Frau beschäftigen durfte und mit welchen nicht – und dies alles im sicheren Gefühl, die Frau lediglich zu beschützen. So wie die Sprache und ihre Medien – wie z. B. eine Zeitschrift – bedient sich auch die Konstruktion eines Leitbildes der Vereinfachung, der Wiederholung, verschiedener Standardi- sierungen und damit auch einer gewissen Konformität.287 Während Sprache verschiedenartige Informationen impliziert, impliziert ein Leitbild jedoch weit mehr. Es zielt darauf ab, heterogene Gruppen zu homogenisieren. Zu diesem Zweck muss es „individueller Projektion und gruppen- spezifischer Identifikation“288 [Hervorhebung von M.S.] Raum bieten. Ein Leitbild ist „‘ein komplexes, auf Mit- und Umwelt wirkendes dynamisches System, das aus der wechselseitigen Integration von individuellen und gruppenspezifischen Er- wartungen, Normen, Einstellungen, Vorstellungen, bewußten und unbewußten Motivationslagen und den diesen adäquaten objektiven und psychologischen An- geboten entspringt‘“289. Jedoch bot allein die Tatsache, dass alle Frauen des deutschen Kaiserreichs aufgrund ihres Geschlechtes unterdrückt wurden, keine gemeinsame Motivationslage und keine Homogenität. Auch wenn Frauen grundsätzliche gemeinsame Interessen und Bedürfnisse hatten, musste die proletarische Frauenbewegung als Voraussetzung für ein Gelingen des Loslösungsprozesses von den bürgerlichen Frauen- und Wohltätigkeitsorganisationen ein prägnantes Leitbild konstruieren. Ein Leitbild, das nicht nur kommuniziert, sondern auch verinnerlicht werden sollte. Mit Kritik an den bürgerlichen Frauenidealen allein war der Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung nicht gedient.290 Die proletarische Frauenbewegung musste Alternativen bzw. Weiterentwick- lungen aufzeigen. Methodisch bediente sie sich dabei genauso wie die bürgerliche Gesellschaft der Strategie der Idealisierung, die sowohl „eine Strategie der Ausgrenzung“291 wie auch eine Stra- tegie der Identitätsstiftung ist. 287 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 22. 288 Ebd., S. 24. 289 Bergler, Reinhold: Psychologie stereotyper Systeme. Ein Beitrag zur Sozial- und Entwicklungspsychologie. Bern, Stuttgart: Huber, 1966, S. 57. Zit. nach: Ebd., S. 25-26. 290 Beispiel für das geltende bürgerlich-konservative Frauenideal ist eine 1899 von einer Berliner Illustrierten durchgeführte Umfrage, welches die wichtigste Frau des 19. Jahrhunderts sei. Die Mehrheit der Stimmen fiel auf Königin Luise von Preußen (1776-1810) (vgl. Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 103). Eine zwölf Jahre später von Wilhelm II. gehaltene Rede, in welcher dieser ebenfalls hervorhob, dass seine Urgroßmutter Luise Vorbild für jede Frau sein müsse, gab der „Gleichheit“ Gelegenheit für starke Kritik an dessen Frauenleitbild (vgl. Von der stillen Arbeit der Frau im Hause. … In: GL, 21/ 24/ 28.08.1911/ 314). 291 Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 99. 291 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ 3.3.2 Die sozialistische Frauenemanzipationstheorie, proletarische Frauenleitbilder und die moderne Kritik daran Es waren vorwiegend bürgerliche Frauenleitbilder und bürgerliche Werte, die die überwiegende Zahl der Frauen des 19. Jahrhunderts verinnerlicht hatte. Ob heimarbeitende Kleinbürgerin oder erwerbstätige Arbeiterfrau – die meisten Frauen strebten, ohne es zu hinterfragen, solchen Ideal- bildern wie z. B. dem der gut wirtschaftenden Hausfrau nach. Sparsamkeit, Ordnung und Fleiß wurden als Tugenden verinnerlicht und wo dies noch nicht oder nur ungenügend der Fall war, richteten VertreterInnen der bürgerlichen Gesellschaft Haushaltungskurse ein, die sich an die Frauen des Proletariats richteten. Vordergründig taten sie dies, um das Lebensniveau ärmerer Bevölkerungsteile zu heben, aber damit einhergehend wurden bürgerliche Leitbilder auf die proletarische Lebenshaltung übertragen.292 Diese individualisierende Sichtweise des Bürgertums auf die Versorgungsprobleme einzelner proletarischer Familien reflektierte jedoch weder die stereotype Rolle der Frau als „Hüterin von Heim und Herd“ noch die Ursachen der kaum noch zu ignorierenden Unterversorgung und Verelendung weiter Teile der Bevölkerung. Eine wirkliche Erkenntnis der Ursachen der zunehmenden Verelendung war vom Bürgertum allerdings auch kaum zu erwarten, lagen diese letztlich doch in dem von ihm gestützten kapitalistischen System und konnten daher auch nur durch eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft behoben werden. Auch die Frauen, die – egal welcher Klasse oder Schicht sie angehörten – in „eingeübten und tradierten Beziehungssystemen zu Eltern, Ehemann, Familie und Kindern“293 lebten, hinterfragten diese Systeme kaum. Weber-Kellermann konstatiert in ihren Darstellungen zum Frauenleben im 19. Jahrhundert sogar, dass es viele Frauen gab, „die in ihrer Lebensbegrenzung durchaus glücklich waren und Abhängigkeit und Unterwerfung liebten“294. Sie waren nach geltenden Wert- und Moralvorstellungen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft sozialisiert, hatten geltende Ideale verinnerlicht und „kannten“ es demnach nicht anders. Jedoch taten sich in allen Epochen neue Perspektiven auf, waren die Strukturen nicht fest gefügt, sondern im Wandel. Der „Rhyth- mus“295 dieses Wandels, so Weber-Kellermann, wurde neben den wirtschaftlichen Bedingungen auch von der „Kraft der Vorbilder“296 bestimmt. 292 Vgl. Tornieporth, Proletarische Frauenleben und bürgerlicher Weiblichkeitsmythos, S. 324ff. 293 Weber-Kellermann, Frauenleben im 19. Jahrhundert, S. 230. 294 Ebd. 295 Ebd. 296 Ebd. 292 3.3.2 DIE SOZIALISTISCHE FRAUENEMANZIPATIONSTHEORIE, PROLETARISCHE FRAUENLEITBILDER UND DIE MODERNE KRITIK DARAN Ein solches die Gesellschaft verwandelndes Vorbild entwarf die sozialistische Frauenemanzi- pationstheorie – vor allem in Form alternativer Leitbilder. Für die gegenwärtige Lebenssituation der Proletarierinnen konnte von Bebel und Zetkin in verschiedener Hinsicht keine positive Bilanz gezogen werden. Proletarische Frauen waren nicht nur deshalb „ideale“ Opfer kapitalistischer Unterdrückung, weil sie über eine geringe Bildung verfügten, sie besaßen laut Bebel und Zetkin zudem auch besonders hemmende Charaktereigenschaften – da sie zu sehr sie im Familien- egoismus verhaftet seien und „im Allgemeinen kein Solidaritätsgefühl“297 besäßen. Laut Luckardt setzten Bebel und Zetkin damit aber Stereotypen, „naturgegebene[…], wesensimmanente[…] Konstanten des Weiblichen“298, voraus. Während Puschnerat der Meinung ist, es sei Zetkins Über- zeugung gewesen, dass die proletarische Frau gegenüber dem proletarischen Mann von Natur aus immer ein Mängelwesen ist299, betont Luckardt im Gegensatz zu Puschnerat, aber auch zu ihrer obigen eigenen Feststellung, dass „die sozialistische Theorie nicht von einem naturgegebenen und damit unveränderbaren Wesen der Frau ausgeht, sondern von einem durch Kultur sozialisier- ten“300. Von diesem Standpunkt aus, so Luckhardt weiter, sei die Frau in der proletarischen Frauenbewegung vorwiegend als „ein Objekt der Aufklärung und Erziehung“301 gesehen worden. Widersprüche zeigen sich demnach auch innerhalb der neueren Interpretationen der sozialis- tischen Emanzipationstheorie. Beide Einstellungen erklären außerdem nicht, warum die Frau ihrer eigenen Ausbeutung und der ihrer Geschlechtsgenossinnen keinen aktiven Widerstand entgegen- setzte, sondern „gehorsam und fügsam“302 in einem passiven Zustand der Erduldung verharrte. Luckhardts Feststellung der sozialisationsbedingten Eigenschaften der Frau, verweist m. E. jedoch weniger auf eine Reduzierung der Frau als Belehrungsobjekt als vielmehr auf deren Möglich- keiten, durch individuelle Weiterentwicklung vorgegebene Grenzen zu durchbrechen. Ein aus- schließlich naturgegebenes Wesen würde dagegen jede Möglichkeit der Weiterentwicklung obsolet machen. Das sozialistische Bildungsideal ging davon aus, dass es die Proletarierin bei ausreichender Zeit und entsprechenden Lebensbedingungen selbst in der Hand hatte, sich, ihrer Familie und letztlich ihrer Klasse den Weg zum Sozialismus zu ebnen. Sie musste sich dafür „nur“ der politischen Aufklärung öffnen. Politische Aufklärung war der proletarischen Frauenbewegung Bildungsmittel sowie Bildungsziel. Einerseits mussten Proletarierinnen erst ihrer eigenen 297 Zetkin, Klara: Die Frau und der Sozialismus von Bebel. In: Arbeiterin, 01/ 16/ 18.04.1891. 298 Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 110. 299 Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 139. 300 Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 110. 301 Ebd. 302 Zetkin, Klara: Die Frau und der Sozialismus von Bebel. In: Arbeiterin, 01/ 16/ 18.04.1891. 293 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ Lebenslage bewusst geworden sein, um ein erstes Interesse für Politik zu entwickeln. Andererseits mussten sie ein gewisses Interesse für Politik entwickelt haben, um über den eigenen „Tellerrand“ hinaus schauen zu können. Im Mittelpunkt proletarischer Frauenbildung stand immer eine poli- tische Zielsetzung. Nicht die Lebensqualität einzelner galt es zu heben, sondern die Lebensqualität aller. Die für eine politische Aufklärung nicht unwesentliche Eigenschaft der Gelehrigkeit und Auf- merksamkeit sah Zetkin durch die Erwerbstätigkeit gefördert.303 Bebel, Zetkin und die SPD sahen in der weiblichen Erwerbstätigkeit und der daraus resultierenden Organisation ihrer Interessen und ihrer politischen Bildung die geeignetsten Mittel zur Emanzipation der Frau. Doch durfte keines- falls der Eindruck entstehen, es sei „Aufgabe der sozialistischen Frauenagitation […], die proletarische Frau ihren Pflichten als Mutter und Gattin zu entfremden; im Gegenteil, sie muß darauf wir- ken, daß sie diese Aufgabe besser erfüllt als bisher“304 [Hervorhebung von M.S.]. So weist auch hier der Begriff der „Entfremdung“ wieder auf die grundsätzliche Annahme hin, dass die Pflichten als Mutter und Gattin naturgegeben seien.305 Zudem vermochten es die Ver- treterinnen der proletarischen Frauenbewegung, den männlichen Genossen hinsichtlich ihres gewohnten Frauen- und Familienbildes ihre Bedenken zu nehmen. Ihrem Ehemann sollte die Proletarierin „Genossin seiner Ideale“306 sein und ihren Kindern „Erzieherin und Bildnerin“307. Die proletarische Frau musste damit vielen an sie gestellten Erwartungen gerecht werden. Nach Meinung Puschnerats habe Zetkin damit lediglich „herkömmliche Rollenzuschreibungen unter sozialistischer Etikettierung“308 präsentiert. Tatsächlich war die sozialistische Frauenemanzipa- tionstheorie nicht Grundlage für die Loslösung der Frau von all ihren bisherigen Aufgaben. Sie sollte Grundlage sein für eine sozialistische Gesellschaft, in der „die Frau als gleichberechtigte, gleich schaffende und gleich strebende, mit dem Manne vorwärtsschreitende Gefährtin ihre Individualität als Mensch zusammen ausleben, gleichzeitig aber auch ihre Aufgabe als Gattin und Mutter im höchsten Maße erfüllen“309 könne. Zetkin zog zur Verdeutlichung dieser zukünftigen Form der Vergesellschaftung durchaus 303 Vgl. ebd. 304 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 166. 305 Siehe: Nicolaides, Der Entfremdungsbegriff in der Marxschen Theorie auf kleinbürgerliche und proletarische Frauenbewegungen um 1900. 306 Julie Bebel †. In: GL, 21/ 05/ 21.11.1910/ 68. 307 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 166. 308 Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 146. 309 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 167. 294 3.3.2 DIE SOZIALISTISCHE FRAUENEMANZIPATIONSTHEORIE, PROLETARISCHE FRAUENLEITBILDER UND DIE MODERNE KRITIK DARAN Parallelen zur Antike und deren Menschenideal.310 Auch darin unterschied sich ihre Vorstellung nicht von den bürgerlich-humanistischen Vorstellungen ihrer Zeit, für die die Antike stets das Gegenbild zur Zerrissenheit und Entfremdung in der modernen bürgerlichen Gesellschaft darstellte, in dem Kunst und Leben wieder zusammen fanden, in der die Gestaltung des Lebens selbst zur höchsten Kunst wurde. Entsprechend dem sozialistischen Ideal sollte dies aber weder Privileg einer bestimmten Klasse, eines bestimmten Geschlechts noch einer bestimmten Nation sein, sondern auf der Grundlage der entfalteten Produktivkräfte zum Menschenrecht schlechthin werden. An die Stelle der Ausbeutung menschlicher Arbeitskräfte sollte „die Sklaverei von Stahl und Eisen, die Leistungen der von der menschlichen Erkenntniß gebändigten Naturkraft“311 treten. Auch für die Proletarierinnen galt daher, dass das „Reich der Freiheit“ nur auf dem „Reich der Notwendigkeit“312 aufgebaut sein konnte, und von der von Marx vorgeschlagenen rationalen Ge- staltung dieses „Reichs der Notwendigkeit“ sollten auch die Frauen nicht ausgeschlossen sein. Im Gegenteil: „Und die Sozialdemokraten schreiten vorwärts; aber erst, wenn die Masse der Frauen zu Ihnen hält, können Sie sagen: Mit uns das Volk, mit uns der Sieg! (Stür- mischer Beifall und Händeklatschen.)“313 Diese von Zetkin entworfene prospektive Aussicht auf eine Befreiung der Frauen im Rahmen der allgemein-menschlichen Emanzipation war allerdings angesichts der Alltagserfahrungen der meis- ten Frauen schwer zu vermitteln. Widersprüche taten sich nicht nur hinsichtlich der Beurteilung des weiblichen Wesens auf, sondern auch hinsichtlich der Übertragbarkeit der Frauenleitbilder auf den proletarischen Frauen- alltag. Während die ökonomischen Veränderungen des 19. Jahrhunderts die Frauen in die Er- werbstätigkeit trieben, trieben sie die bürgerlichen Vorstellungen von der Rolle einer Frau in den familiären Haushalt. Auch viele Arbeiterinnen hätten sich nach einer Heirat gerne „nur“ ihren hausfraulichen Pflichten gewidmet, doch für die Arbeiterinnen war, weil sie gezwungen waren, weiterhin zum Familieneinkommen beizutragen, die Konsequenz aus einer Familiengründung meistens eine drückende Doppelbelastung. Tornieporth sieht hier daher auch zu Recht einen der blinden Flecken der proletarischen Frauenbewegung: „Das stärkste Hindernis für die Realisierung eines proletarischen Familienlebens im Stile des bürgerlichen Sozialmodells war und blieb aber bis heute die Ehe- 310 Vgl. ebd. 311 Ebd. 312 Marx, Das Kapital, Bd. 3, S. 828. 313 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 167-168. 295 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ frauenerwerbstätigkeit. Der Widerspruch zwischen Wunschbild und Realität wurde durch eine einfache Addition scheinbar aufgehoben. Man vereinte das Rollenbild der lohnarbeitenden Proletarierin mit demjenigen der bürgerlichen ‘Hausfrau, Gattin und Mutter’ – auf diese Weise entstand das bis heute gültige Geschlechts- stereotyp der ‘weiblichen Doppelrolle’.“314 Innerhalb der bestehenden kapitalistischen Gesellschaft war demnach die Tatsache, dass die proletarischen Frauen sich neben den klassischen Reproduktionsaufgaben jetzt auch an der „Lohnsklaverei“ beteiligen durften, keinesfalls schon an sich ein Schritt zu ihrer Befreiung. Zwar sah die proletarische Frauenbewegung diese aus dem bürgerlichen Stereotyp der Hausfrau resul- tierenden Probleme aus nächster Nähe, setzte ihm auch z. B in Form der Idee von Gemeinschafts- küchen etwas entgegen, reflektierte das Problem aber vorrangig nur hinsichtlich seiner ökono- mischen Aspekte und einer ungenügenden politischen Aufklärung der Frau. Der der sozialistischen Emanzipationstheorie innewohnende Emanzipationsgedanke war viel weit greifender als der der bürgerlichen Frauenbewegung, weil in der Erwerbstätigkeit der Frau nicht nur die Chance für eine individuelle finanzielle Unabhängigkeit oder Persönlichkeitsentwicklung gesehen wurde, sondern eine Chance der Politisierung der Frau und damit der Umwälzung der Gesellschaft. Die sozialistische Frauenemanzipationstheorie setzte dem Emanzipationsprozess der prole- tarischen Frauen mit dem Primat der Ökonomie allerdings ungewollt zu enge Grenzen. Sie hätte stärker berücksichtigen müssen, dass die Einbindung der Proletarierinnen in den Produktions- prozess und damit ihre Rolle als politischer Faktor stark von ihrer Rolle in Bildung und Ausbildung, Beruf, Recht, Politik und Kultur“315 und ihrer rollenspezifischen Sozialisation abhing. Und so kann Freier der proletarischen Frauenbewegung zu Recht vorwerfen, dass sie den „soziali- sationstheoretisch-psychologischen Standpunkt“316, welcher sich besonders in den Rollen als Frau, Ehegattin und Mutter festmachte, sehr vernachlässigt habe. Ist es auch das große Verdienst der sozialistischen Emanzipationstheorie, dass sie – basierend auf dem historischen Materialismus – die ökonomischen Abhängigkeiten und Unterdrückungszusammenhänge, wie sie sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelten und das Leben der Frauen auf allen Ebenen beeinflussten aufgezeigt zu haben, so reichte für die Erfassung der Komplexität des geschlechtsspezifischen weiblichen Unterdrückungszusammenhangs die „Entstehung des Privateigentums als einziges Erklärungsmuster“317 jedoch nicht aus. Die Unterdrückung der Frau ließ sich eben nicht nur aus den ökonomischen Verhältnissen und bürgerlichen Rollenklischees erklären, sondern hatte auch 314 Tornieporth, Proletarische Frauenleben und bürgerlicher Weiblichkeitsmythos, S. 329. 315 Albrecht/u. a., Frauenfrage und deutsche Sozialdemokratie, S. 459. 316 Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 17. 317 Beavan/Faber, Wir wollen unser Teil fordern, S. 201. 296 3.3.2 DIE SOZIALISTISCHE FRAUENEMANZIPATIONSTHEORIE, PROLETARISCHE FRAUENLEITBILDER UND DIE MODERNE KRITIK DARAN ihre Ursachen im Verhältnis der Geschlechter – auch innerhalb der proletarischen Klasse. Die tendenziell frauendiskriminierende Haltung der meisten Genossen wurde jedoch von den Frauen der proletarischen Frauenbewegung toleriert und als ein Symptom des Kapitalismus entschuldigt. Feministische Tendenzen lehnte die proletarische Frauenbewegung vehement ab, da für sie nur aus dem gemeinsamen Kampf mit den Männern ihrer Klasse die gesellschaftliche Umwälzung und damit die Befreiung der Frau resultieren konnte. Die Schlussfolgerung, dass im Sozialismus, die Frauenfrage als Teil der sozialen Frage – als sogenannter „Nebenwiderspruch“ – gelöst sein werde, ruft jedoch stets die größte Kritik an der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie hervor. Feministische Studien sehen damit alle sozialisationsbedingten Geschlechtsspezifika vernachlässigt bzw. nur solche berücksichtigt und der Theorie nutzbar gemacht, die den konservativen Stereotypen von Weiblichkeit entsprechen. Luckhardt kritisiert, dass die Frau sich selbst und ihre Belange „unter das zu erreichende Ziel einer sozialistischen Gesellschaft, in der sich das ‘Frauenproblem’ von selbst löse“318, habe unterordnen müssen. Aber ist es nicht diese Unterordnung, diese „Opferbereitschaft“, die dem Prinzip der „Solidarität“ innewohnt? Daher ist anzufügen, dass die sozialistische Frauen- emanzipationstheorie – so unzulänglich sie sich im Laufe sozialdemokratischer Politikpraxis auch herausstellte – die einzige Theorie war, die proletarischen Frauen überhaupt den Weg zur politischen und sozialen Gleichberechtigung aufzeigte. Ohne Frage hätte jedoch die Aus- einandersetzung darüber, ob die Geschlechterdifferenz ein im Sozialismus sich von selbst lösender Nebenwiderspruch oder doch viel eher „natürlich, damit unhintergehbar und insofern auch in einer sozialistischen Gesellschaft nicht aufzuheben“319 ist, unter deutlicher psychologischen und sozialisationstheoretischen Aspekten geführt werden müssen.320 Das Postulat der Geschlechterharmonie, d. h. der „Interessenidentität proletarischer Männer und Frauen“321, das Primat der Ökonomie und der Verweis auf den sozialistischen Zukunftsstaat322 machten die proletarische Frauenbewegung zwar nicht blind für die spezifisch weiblichen Probleme, beließen aber ihre Lösungsansätze relativ abstrakt und konnten in der der Lebenswirk- lichkeit der Proletarierinnen keine Umsetzung finden. 318 Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 102. 319 Ebd., S. 112. 320 Siehe: Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären; dies., Dimensionen weiblichen Erlebens und Han- delns. 321 Beavan/Faber, Wir wollen unser Teil fordern, S. 241. 322 Nach Puschnerats Meinung reichten Zetkins Zukunftsvision von einer quasi radikal-bürgerliche Gesellschaft mit sozialistischem Etikett bis zur totalen, aus gesunden, kultivierten und schönen „(Über)menschen en masse“ (Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 100) gebildeten Gemeinschaft. 297 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ Vormschlags Gesamturteil zur Beschaffenheit politischer Frauenleitbilder insgesamt ist daher vernichtend: „Es ist weder der sozialistischen und noch weniger der bürgerlichen Frauen- bewegung gelungen, Leitbilder zu entwickeln, die den Zwiespalt öffentlich-privat überbrücken konnten. Sie versagten vor der Aufgabe, dem Bildungsideal des 18. Jahrhunderts ein populäres Leitbild der berufstätigen, politisch aktiven Frau gegenüberzustellen.“323 Mit diesem Urteil gesteht Vormschlag den Frauenbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts jedoch zu, das Aufzeigen von Alternativen zum traditionellen Frauenbild zumindest bewusst be- trieben zu haben. Diese Alternativen waren nicht frei von Widersprüchen und teils sehr utopisch, so dass sich die Frauen zwischen den „Erwartungen,[…] hin und her gerissen“324 sahen. Das Mit- und Nebeneinander von alten, an bürgerlichen Wert- und Moralvorstellungen orientierten Frauen- leitbildern und neuen Entwürfen weiblicher Identität dürfte sich oft in ein und derselben Person recht unvermittelt gegenüber gestanden haben. Das Dilemma scheint unlösbar: Während einerseits die Vermischung der beiden Leitbilder – das eine die Häuslichkeit und das andere die Öffentlichkeit betreffend – teilweise konkurrierende An- forderungen an die Frau stellt und das einzelne Leitbild dadurch seine orientierunggebende Eindeutigkeit verlor, wirkt die Eindeutigkeit eines Leitbildes wiederum einengend, wenn nicht sogar hemmend.325 Noch fataler wirkt es sich aus, wenn die Einengung auf den häuslichen Bereich fixiert wird und „die Passivität der Frau im politischen Bereich und in anderen Bereichen be- gründet“326. Selbst der unaufhaltsame gesellschaftliche Wandel könne dieses Dilemma nicht lösen, denn er würde, so Vormschlag, „in seinen Auswirkungen durch Leitbilder kompensiert, indem neue Formen der Diskriminierung, z. B. von sich den Frauen öffnenden Berufen und politischen Bereichen als typisch weiblich diskreditiert werden und so erneut Brücken zum traditionellen Frauenleitbild geschlagen werden“327. In diesem Fall ist es umso wichtiger, dass an einer Bewusstwerdung dieser vor allem bürgerlich- kapitalistischen Diskriminierungsmechanismen und einer Bewusstseinsumbildung gearbeitet wird – dieser Aufgabe hatten sich die Sozialistinnen und Kommunistinnen verschrieben. 323 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 245. 324 Ebd., S. 246. 325 Vormschlag sieht hier einen Kreislauf gegeben, da das Leitbild das Verhalten in der Öffentlichkeit bestimme und eingrenze und dieser Umstand sich wiederum festigend auf das Leitbild auswirke (vgl. ebd., S. 246f.). 326 Ebd., S. 248 327 Vgl. ebd., S. 249. 298 3.3.3 FRAUENLEITBILDER IN DER „GLEICHHEIT“ 3.3.3 Frauenleitbilder in der „Gleichheit“ Sowohl Bebel, Zetkin, der proletarischen Frauenbewegung und der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie wird der Vorwurf gemacht, sie hätten in ihren Frauenleitbildern lediglich weibliche Rollenklischees reproduziert. Ein Vorwurf, der zwar nicht immer von der Hand zu weisen ist, der aber gegebene Bedingungen und Zielsetzungen nicht hinreichend berücksichtigt. Die „Gleichheit“ war das Organ der proletarischen Frauenbewegung. Sie galt zumindest bis zum Ersten Weltkrieg und nach dem Redaktionswechsel 1917 als das Sprachrohr der SPD-Führung und vertrat deren Auffassung der Frauenfrage. Die „Gleichheit“ war aber auch ein Gemeinschaftswerk verschiedener Autorinnen. Auch wenn die Redaktion geflissentlich auf die Deckungsgleichheit mit ihren jeweiligen Prinzipien achtete, kamen in ihren Artikeln sowohl fundierte wie auch recht eigenwillige Interpretationen der sozialistischen Frauenemanzipations- theorie zum Tragen. Die in ihr aufgezeigten Identifikationsmöglichkeiten und Frauenleitbilder weisen sowohl eine bloße Reproduktion weiblicher Stereotype auf als auch über sie hinaus. So finden sich auf ihren Seiten Identifikationsangebote zu eher typisch weiblichen Eigenschaften wie Güte, Mitleid, Selbstverleugnung und Opferfreudigkeit, daneben aber auch solche männlichen Tugenden wie Unerschrockenheit, Ausdauer, Charakterstärke, Mut und „wahrhaft antike Heldengröße“328. Daher ist der Schlussfolgerung Gomards zuzustimmen, dass sich in der „Gleichheit“ eine Synthese aus männlichen und weiblichen Idealen widerspiegelte.329 Allein durch den Umstand, dass die proletarische Frau mittels ihrer Erwerbstätigkeit ein gewisses Maß an individueller und wirtschaftlicher Autonomie wahrnahm, „durchbr[a]ch[…] [sie] die Weiblichkeitsvorstellungen der bürgerlichen Gesellschaft“330. Sie ihrer Stärken bewusst zu machen und sie in ihrer Autonomie zu bestärken, war Ziel sozialistischer Frauenbildung und sozialistischer Frauenleitbilder. Die „Gleichheit“ strebte einen Prozess der Bewusstseinsumbildung an331, indem sie die proletarischen Frauen für das öffentliche Leben interessierte und auf eine tragende Rolle darin vorbereitete. Gomard resümiert jedoch: „‘Die Gleichheit’ konnte zwar helfen, Vorstellungen über eine alternative Frauen- identität zu entwickeln, aber in Hinsicht auf die Lebensstrategien, die eine Brücke zwischen den Alltagserfahrungen der Leserinnen und den utopischen Vorstellungen hätten bilden sollen, wurden die Leserinnen teilweise im Stich gelassen.“332 328 Die Frauen der Kommune. Zum 21. Jahrestag der Kommune von Paris. In: GL, 02/ 06/ 23.03.1892/ 54. 329 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 33. 330 Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität und Utopie, S. 41. 331 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 81. 332 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 42. 299 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ Diese Kritik bürdet jedoch der „Gleichheit“ auf, was doch nur die „revolutionäre Praxis“ selbst erreichen konnte: die Überwindung dieser Kluft. Diese revolutionäre Praxis, jenseits aller Mystifikationen, zielt auf nichts anderes als die „Neugestaltung des menschlichen Lebenszusam- menhangs, der zugleich eine Neuformierung der Individuen in ihren menschlichen Beziehungen impliziert“333. Allenfalls wäre, wie im obigen Kapitel, zu fragen, ob die „Gleichheit“ nicht ent- schieden genug auf den Bruch mit der bestehenden Gesellschaft hingewirkt habe, ob sie nicht selbst noch zu sehr bürgerlichen Wert- und Moralvorstellungen verhaftet war, denn es schien in der Tat eine Unmöglichkeit zu sein, die bürgerliche Gesellschaft mit bürgerlichem Wissen, Verhaltensstandards und Wertorientierungen bekämpfen zu wollen.334 In Form von alternativen Leitbildern versuchte die proletarische Frauenbewegung, der Proletarierin ihre Klassenlage be- wusst zu machen und sie erkennen zulassen, dass ihr als individuell wahrgenommenes Schicksal in Wirklichkeit das Schicksal vieler Frauen ihrer Klasse war. Indem die proletarische Frau darüber aufgeklärt wurde, welche Bedeutung sie als „Proletarierin […] in ihrem Kampf für den Sozialismus, Gattin für den Proletarier, Mutter für die Kinder“335 innerhalb der sozialistischen Bewegung haben konnte, war dies zwar noch keine Antwort auf die Frage „Doch was ist sie selbst?“336, aber es war doch auch weit mehr als die kapitalistische Gesellschaft ihr bisher über- haupt zugestehen wollte. Wohl boten sich den Frauen nach 1914 aus den Notwendigkeiten, die sich aus dem hoch industrialisierten Ersten Weltkrieg ergaben, neue Erfahrungsbereiche und neue Berufsfelder, doch bereits direkt nach Kriegsende begann ihre staatlich gesteuerte Verdrängung bzw. Rückdrängung ins Haus. Im Rahmen dieser Entwicklung rückten auch die linken Frauenzeitschriften, allen voran die „neue „Gleichheit“ „die bekannten fraulichen Probleme“337 in den Vordergrund. Sie machten Zugeständnisse an ein kleinbürgerliches Frauenleitbild, welches ihrem ursprünglichen politischen Anliegen, dem Werben für den Sozialismus, nicht mehr entsprach, nicht entsprechen konnte, eine 333 Schmied-Kowarzik, Die Dialektik der gesellschaftlichen Praxis, S. 174. 334 Vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 193. 335 Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 109. 336 Ebd. Einen ähnlichen Mangel an Selbstfindungsmöglichkeiten für Frauen in der Arbeiterbewegung kritisiert Mahaim: „Aufgrund der Tatsache, daß die besonderen Aspekte der Frauenunterdrückung wenig herausgestellt wurden, wurden die Frauen von den Sozialisten nie als Frauen gesehen, die eine handelnde soziale Kraft, die historische Subjekte darstellten. Sie wurden gemäß der marxistischen Theorie vor allem als Angehörige der revolutionären Klasse, des Proletariats, betrachtet. Es war gut, daß sie sich für die Sache des Proletariats aufopferten, unter anderem, indem sie viele zukünftige Sozialisten auf die Welt brachten und erzogen…, aber eher negativ war es, daß sie versuchten, ihre eigene soziale Identität und ihre eigenen Kampfformen in Gestalt eines gewissen ‘Separatismus’, ob permanent oder nur sporadisch, zu finden (Mahaim, Die Frauen und die deutsche Sozialdemokratie, S. 82). 337 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 166. 300 3.3.3 FRAUENLEITBILDER IN DER „GLEICHHEIT“ Entwicklung, deren „Konsequenzen für das parteiliche Engagement der Frau“338 die jeweiligen Zeitschriftredaktionen fatal unterschätzten. Das Umschwenken von einem klassenkämpferischen Frauenleitbild zum traditionellen, un- politischen Frauenbild drückte sich besonders deutlich in Inhalt und Umfang des Feuilletons aus. Die Redaktionen nahmen stärker Rücksicht auf ein vermeintliches Verhaftetsein der Frau in der Religion und ihren Wunsch nach unbeschwerter Unterhaltung. Auch die „Gleichheit“-Redaktion gab unter Juchacz die bisherige polemische Haltung gegen die Kirche als einer Stütze der bürgerlichen Gesellschaft auf. Einerseits dürfte sie das in Hinblick auf eine größere Popularität339 getan haben, andererseits hatten die Schrecken des Ersten Weltkrieges ein wirkliches Bedürfnis nach Besinnung und Besinnlichkeit erzeugt. Die Wandlung der „Gleichheit“ war außerdem Ausdruck und Ergebnis der Wandlung der Sozialdemokratie zu einer „‘reformistischen Emanzipa- tionspartei’“340 und deren Abwendung von der revolutionären Klassenkampftheorie. Auf die Methoden der Konstruktion von Leitbildern und den Umstand, dass die Konstruktion von Leitbildern an und für sich Methode ist, wurde bereits eingegangen. Die „Gleichheit“ bediente sich der Frauenleitbilder – z. T. auch ohne ihre bürgerliche Tendenz zu reflektieren –, um Leserin- nen leichter anzusprechen.341 Es kann daher auch von einer „Funktionalisierung“ weiblicher Eigenschaften, von einer Funktion weiblicher Leitbilder gesprochen, aber wohl schwerlich zu- gleich eine widerspruchsfreie Alternative aufgezeigt werden. Bürgerliche und proletarische Frauenbewegung hatten in ihren klassischen Frauenleitbildern Elemente, die unter diesem Gesichtspunkt zwar nicht in der Zielsetzung, wohl aber in der Methode und in der Form der Ansprache als ähnlich betrachtet werden können. Diese Möglichkeiten der Ansprache konnten schließlich auch in der Propaganda der Nationalsozialisten Verwendung finden. Es folgt ein Beispiel für einen propagandistischen Artikel wie er – mit einigen Veränderungen – auch in der 338 Ebd. 339 Vgl. ebd., S. 102. Ein gewisser Mutterkult und die Anlehnung an ein kirchliches Vokabular, wie sie Vormschlag für die „neue“ „Gleichheit“ feststellt, waren jedoch auch unter der Redaktion Zetkins bereits vorhanden. 340 Ebd., S. 168. 341 Nicht nur um politisch zu bilden, sondern auch um ihre Popularität zu steigern, griff die „Gleichheit“ gezielt auf entsprechende Frauenleitbilder zurück. Vormschlag ist sogar der Meinung, dass neben „Mitleid und Haß“ (Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 176) auch „das sexuelle Element“ (ebd.). auf eine popularitätsfördernde Wirkung abgezielt habe. Im Gegensatz zu Vormschlag, die hinter dem regelmäßigen Anprangern der Sittenlosigkeit des Bürgertums, der Vergewaltigungen junger Arbeiterinnen durch ihre Dienstherren sowie der Auseinandersetzung mit den Problemen der Prostitution den Grundsatz „Sex sells“ vermutet (ebd.), handelte es sich m. E. um kaum zu leugnende Missstände des proletarischen Alltags. Diese Missstände anzuklagen und zu beseitigen war das Mandat der „Gleichheit“. Aber bereits Bebel wurde für seine freimütigen Schilderungen derselben in „Die Frau und der Sozialismus“ mit dem Vorwurf der Effekthascherei konfrontiert. 301 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ „NS-Frauenwarte“ (1932-1945) hätte erscheinen können. Tatsächlich aber erschien er 1913 in der „Gleichheit“. Emil Unger (1867-?)342, dessen Person im Rückblick sehr kritisch beurteilt werden muss, verband in seinem Artikel „Sie war eine Kämpferin!“ sozialistische Frauenleitbilder und rührselige Emo- tionalität zu einem Bravourstück anspruchsloser Leitbild-Propaganda. Der hier in ganzer Länge wiedergegebene Artikel enthielt jedoch einige zentrale Elemente sozialistischer Frauenleitbilder wie sie durchaus auch im Weiteren anhand der veröffentlichen Frauenbiographien aufgezeigt und kritisch hinterfragt werden müssen. Zudem darf Ungers Artikel als eine seltene, wenn auch nur beschreibende Aussage zur Frage der Rezeption der „Gleichheit“ durch ihre Leserinnen nicht un- berücksichtigt bleiben: „An einem Frühlingstage war es, als wir sie durch das rasselnde, brausende, ewig flutende Weltstadtgetriebe hinaus nach dem Friedhof geleiteten. Es war ihr letzter Weg. Ein langer Zug von Freunden und Bekannten – alles Gesinnungsgenossen – folgte dem schlichten Sarge, auf den die milden Strahlen der Lenzsonne fielen. Der Tod war mit tückischem Griff in unsere Reihen gefahren und hatte gerade sie gepackt, die kaum auf der Mittagshöhe des Lebens stand. So treu und warm hatte ihr Herz für ihre Nächsten geschlagen, im heiligen Feuer der Menschheitsliebe hatte es geglüht. Nun lag sie kalt und starr im Bretterschrein, frühe geknickt. Schwer hatte sie zu Lebzeiten ums kärgliche Brot ringen müssen. Sie war eine Proletarierin! Vom Morgengrauen bis in die sinkende Nacht hinein hatten ihre müden Füße die Maschine getreten. Die Schwindsucht hatte ihr den Mann schon vor Jahren hin- weggemäht, so war sie auf sich selbst gestellt gewesen im Kampf ums Dasein. Mit stählerner Kraft hatte sie ihr Tagewerk getan und tapfer und stolz gesorgt und geschafft. Ja, stolz! ‘Nie habe ich mich vor jemanden geduckt, nie jemanden um Unterstützung angegangen,’ sagte sie oft. Dabei leuchteten ihre hellen, guten Au- gen so freudig und zufrieden. Und sie hatte nicht nur für sich zu sorgen. O nein! Sie war eine Mutter! Ihrem Sarge folgten mit rotgeweinten Augen vier Kinder, zwei Jungen von sechs und fünfzehn und zwei Mädchen von acht und sechzehn Jahren. Liebe blond- 342 Emil Unger bzw. Unger-Winkelried wurde im elsässischen Weißenburg geboren und absolvierte eine hand- werkliche Ausbildung. Er wanderte durch die Schweiz, Österreich und Deutschland. Nach dem Besuch der Arbeiterbildungsschule (u. a. Kontakt zu Rudolf Steiner und Max Maurenbrecher) in Berlin arbeitete er ab 1902 für die sozialdemokratische und freigewerkschaftliche Presse. Er wurde ständiger Mitarbeiter des „Vorwärts“. Bis 1914 gab er eine Feuilletonkorrespondenz heraus, die von über 100 Blättern bezogen wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Unger Herausgeber der Zeitschriften „Der Scheinwerfer“ (1918-?) und „Der Bundschuh“ (1918- 1920[?]) und 1920 Chefredakteur der „Westlichen Volkszeitung“ (1918-1920). Er trat im selben Jahr aus der SPD aus und rief zur Gründung der „Reformsozialistischen Partei“ auf. 1921-24 war er Redakteur der „Bremer Zeitung“ (1921-1929), 1924 zudem Gründer der „Vereinigung nationalgesinnter Arbeiter“ und des Blattes „Der deutsche Vorwärts“ (1924-1934). Schließlich gab Unger ab 1930 das Wochenblatt „Das neue Dritte Reich“ heraus, wurde NSDAP-Mitglied und ab 1932 Archivar der preußischen NSDAP-Landtagsfraktion. 1920 hatte er die Biographiensammlung „Politische Köpfe des sozialistischen Deutschlands“ veröffentlicht. 1934 erschien sein Werk „Von Bebel zu Hitler. Vom Zukunftsstaat zum Dritten Reich“, das 1936 den neuen Titel „Ich bekenne. Lebenserinnerungen eines Sozialdemokraten“ erhielt. In der „Gleichheit“ beteiligte er sich u. a. an einer LeserIn - nendiskussion zum Thema „Jugend und Sozialismus“ (Unger, Emil: Jugend und Sozialismus V. In: GL, 15/ 17/ 23.08.1905/ 98). 302 3.3.3 FRAUENLEITBILDER IN DER „GLEICHHEIT“ köpfige Kinder, denen man es ansah, daß eine treusorgende Mutter sie bis dahin gepflegt hatte. Nie sah ich die Kleinen zerrissen oder schmutzig, sauber und nett, so, wie sie jetzt hinter dem Sarge einherschritten, traf ich sie stets in der Behausung oder auf der Straße. Die beiden Ältesten gehörten bereits seit ihrer Entlassung aus der Schule der freien Jugendbewegung an. Denn nicht nur für das körperliche Wohlergehen ihrer Kinder hatte diese tatkräftige Frau gesorgt. Nein, soweit es ihre mangelhafte Schulbildung und ihre ärmlichen Verhältnisse zuließen, hatte sie an den jungen Menschen geformt und gebildet, hatte sie im Sinne ihrer eigenen Welt- anschauung erzogen. Sie war eine Sozialistin! Mit rührender Liebe und heißem Bemühen hatte sie versucht, sich in ihrer wenigen freien Zeit in die sozialistische Literatur zu versenken, sich mit den Gedanken unserer Besten vertraut zu machen. Oft klagte sie, daß ihr das nicht restlos gelinge und daß sie zuweilen wie vor einer hohen Mauer stehe, über die sie nicht hinweg- komme. Die ‘Gleichheit’ las sie von Anfang bis zu Ende. An den Tagen, wo eine neue Nummer eintraf, stand sie schon eine Stunde früher auf, um nachzusehen, was ‘unser Blatt’ brachte. Zehn Jahrgänge standen lückenlos gesammelt auf dem Kleiderspind. ‘Es ist meine Bibel’, meinte sie einmal gelegentlich und lächelte, wie um sich zu entschuldigen, daß sie so viel Zeitungen anhäufe. Selbstverständlich las sie das Parteiorgan unserer Stadt mit demselben Eifer. Aus beiden Blättern holte sie sich das Rüstzeug, um aufklärend unter ihren Klassen- und Leidensgenossinnen zu wirken. Sie war eine Kämpferin! Nach schwerem Tagewerk trug sie Flugblätter aus, opferte sie Nachtstunden der Werbearbeit. In vielen Versammlungen tauchte ihr blasses, energisches Gesicht mit dem blonden Scheitel auf, und im Leseabend fehlte sie nie. ‘Wenn wir auch nicht mehr viel haben werden von den Errungenschaften des Kampfes, so kommt es dermaleinst doch unseren Kindern zugute,’ pflegte sie zu sagen. – So haben wir sie gekannt und so wird sie in unserer Erinnerung weiterleben, als leuchtendes Beispiel von Hingebung und Opferwilligkeit – eine stolze, starke, prächtige Prole- tarierin! Wie sie hieß? Fragt mich nicht nach ihrem Namen. Sie wollte ungenannt und un- gekannt bleiben, wollte nicht mehr sein als eine von den vielen, die ihr Herzblut hingeben für das große Werk der Befreiung ihrer Klasse, der Menschheitserlösung! Das Bewußtsein treuer Pflichterfüllung war ihr Lohn und Befriedigung. Sie hat ge- litten und gestritten als Proletarierin und Mutter, als Sozialistin und Kämpferin!“343 Betrachtet man den Artikel als den eines bekennenden Sozialisten – und das war Unger im Jahr der Veröffentlichung noch –, so muss man ihn als gelungenes Beispiel sozialistischer Frauen- agitation werten. Unger gab mit seinem Porträt einer Unbekannten ein Beispiel dafür, wie die Agitation der proletarischen Frauenbewegung die Frauen idealerweise erreichen und zum tatsäch- lichen Handeln bewegen sollte. Die Verstorbene hatte sich die Möglichkeiten, die ihr angesichts ihres Alltags zur Selbstbildung und zum politischen Engagement zur Verfügung standen, selbst geschaffen und ausgeschöpft: Von der regelmäßigen Lektüre der „Gleichheit“ über die ent- 343 Unger, Emil: Sie war eine Kämpferin! In: GL, 23/ 18/ 28.05.1913/ 280. 303 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ sprechende Erziehung ihrer – wohlgemerkt „blondköpfigen“ – Kinder bis zum Austragen von Flugblättern und der Teilnahme an Versammlungen. Respektive politischer Inhalte blieb Unger jedoch auffällig vage. Das Elend, das er als Alltag seiner Protagonistin beschrieb, wurde von ihr anscheinend nicht hinterfragt, und damit nicht als Auswuchs des Kapitalismus verurteilt. Vielmehr zeichnete Unger übertrieben und widersprüchlich das Bild einer „Kämpferin“, wie sie sich mit den gegebenen Verhältnissen arrangierte, angesichts ihres Elends weiterhin schlicht und pflichtbewusst blieb, sich aber gleichzeitig für den Sozialismus engagierte. Auch hinsichtlich des „Rüstzeugs“, das sich die Proletarierin aus der „Gleichheit“ erwarb, wurde Unger nicht konkret. Hätte er die Werke „unserer Besten“ spezifiziert, wäre sicherlich das internationalistische Prinzip des Sozialismus deutlich geworden. Ein Prinzip von vielen, von denen Unger sich später abkehren sollte. Die Person Ungers steht für das Phänomen, dass sich bekennende SozialistInnen später scheinbar ohne Gewissenskonflikt dem Nationalsozialismus zuwenden konnten. Der „Fall Unger“ und sein Artikel bestätigen scheinbar in besonderer Weise Vormschlags These, dass ein Vergleich zwischen sozialistischen, kommunistischen und nationalsozialistischen Frauenzeitschriften gezogen werden kann und eine Kongruenz zwischen den in ihnen enthaltenen Frauenleitbildern gegeben war.344 Noch stärker als für die „Gleichheit“ trifft dies für eine ihrer Nachfolgerinnen, die „Frauenwelt“345 zu. Die in ihr zu Tage tretende feuilletonistische Tendenz richtete sich nach „einem neuen Pressekonzept des Parteivorstandes“346, welches auf Unterhaltung setzte und die Wunsch- vorstellungen der Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen bediente, indem sie sich vollkommen am kleinbürgerlichen Familienideal orientierte. Sie war nur Mittel zum Zweck, um in die indifferenten proletarischen Haushalte zu gelangen und durfte deshalb nicht einmal den äußeren Anschein einer sozialistischen Zeitschrift haben.347 Ein Viertel bis ein Drittel eines Heftes der „Frauenwelt“ bestand aus einem Mode- und Haushaltsteil348, was vollständig auf Kosten des 344 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 177. Während der DDR- Historiker Jürgen Arendt den von Vormschlag angestellten Vergleich kommunistischer mit nationalsozialistischen Frauenleitbildern vollkommen ablehnt (vgl. Arendt, Frauenpolitik und Frauenbewegung in Deutschland, S. 50) und darin den „enge[n] Zusammenhang von Neofeminismus und Antikommunismus […] auch auf historischem Gebiet unverkennbar“ (Arendt, Frauenpolitik und Frauenbewegung in Deutschland, S. 49) gegeben sieht, ist m. E. die Argumentation Vormschlags, soweit es die Funktionalisierung der klassischen Frauenleitbilder betrifft, schlüs- sig. 345 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 154-165; Sachse, Ent- wicklung und Wandel linker Frauenleitbilder, S. 200ff. 346 Wilhelms, Frauenzeitschriften in der Weimarer Republik S. 65. 347 Vgl. Juchacz im Bericht über den Reichsfrauentag. In: Protokoll des SPD-Parteitages Heidelberg 1925, S. 334- 335. 348 Die Redaktion der „Frauenwelt“ lag bis 1928 in der Verantwortung eines Mannes, Richard Lohmann. Wurde die „Frauenwelt“ als zu unpolitisch kritisiert, so rechtfertigte er deren Linie als den Bedürfnissen der Leserinnen an- gepasst und sah es z. B. als bedauerlich an, dass man eben „Strümpfe nicht sozialistisch stopfen“ (Lohmann im 304 3.3.3 FRAUENLEITBILDER IN DER „GLEICHHEIT“ politischen Inhalts ging.349 Dies wurde auf verschiedenen Parteitagen moniert und eine Wieder- einführung der für die unentbehrliche politische Aufklärung viel geeigneteren „Gleichheit“ gefordert.350 Anträge dieser Art wurden aber abgelehnt oder zurückgezogen, weil die Mehrheit schließlich doch glaubte, den bürgerlichen Zeitschriften in ihrer Popularität nicht nachstehen und die Leserinnen mit einem zu hohen Niveau nicht verschrecken zu dürfen.351 Juchacz konnte die Forderungen nach einer Wiedereinrichtung der „Gleichheit“ ohnehin nicht verstehen. Sie fürchtete einen erneuten „Dualismus“352 zwischen wissenschaftlichem Anspruch und Popularität. Deshalb wunderte sie sich, dass manche Genossinnen die „Gleichheit“ unbedingt zurück wollten: „Einigermaßen erstaunt bin ich darüber, daß hier so viele ein Loblied auf die ‘Gleichheit’ gesungen haben. (Sehr richtig!) Ich habe niemals etwas gegen die ‘Gleichheit’ gesagt, aber ich kann mich an Frauenkonferenzen früherer Jahre erinnern, in denen die ‘Gleichheit’ stundenlang der Kritik unterzogen wurde, ganz besonders unter der Redaktion der Genossin Zetkin. (Lebhafte Zustimmung) Damals hat man scharfe Kritik an einem Blatt geübt, das man jetzt über das Bohnenlied lobt. (Sehr richtig!) Wir sollen uns doch vor Uebertreibungen nach jeder Richtung hin hüten.“353 Für diese Übertreibung in die unpolitische Richtung, für eine ungenügend politisierende Ausrichtung steht jedoch die „Frauenwelt“. Am treffendsten formulierte das Problem Mathilde Wurm mit ihrer Kritik, dass die „Frauenwelt“ durch ihre praktischen Tipps in der Rubrik „Schmalhans mit Geschmack“ die Bevölkerung irreführe. Diese Tipps zeigten den proletarischen Familien, wie man aus dem Notdürftigsten das Beste machen konnte – für Wurm war dies jedoch „der Triumph der Täuschung des proletarischen Magens, wenn statt ausreichender und beköm- mlicher Ernährung nur Sättigung empfohlen wird“354. So notwendig solche Hilfestellungen für den Alltag auch sein mochten, als politische und politisierende Strategie taugten sie wenig. Auch hatte sich die SPD bisher doch nie mit solchen Aufforderungen zur Askese zufrieden gegeben und stets ein Mehr an Rechten und Lebensqualität eingefordert. Bericht über den Reichsfrauentag. In: Protokoll des SPD-Parteitages Berlin 1924, S. 238) könne. Sogar der Mode- teil blieb von Kritik nicht verschont, denn er orientiere sich, so der Vorwurf, zu sehr nach der herrschenden aktuellen Mode. Lohmann verteidigte sich, indem er Toni Sender als „Beispiel dafür“ (ebd.) heranzog, „daß man Klassenkämpferin sein kann und sich doch geschmackvoll der herrschenden Mode entsprechend kleiden“ (ebd.) könne. 1928 trat eben jene geschmackvoll gekleidete Klassenkämpferin in der Redaktion der „Frauenwelt“ an seine Stelle. 349 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 162. 350 Vgl. Bericht über den Reichsfrauentag. In: Protokoll des SPD-Parteitages Berlin 1924, S. 230, S. 232 u. S. 243. Protokoll des SPD-Parteitages Heidelberg 1925, S. 109-110; Antrag 22 Abs. 1 im Protokoll des SPD-Parteitages Kiel 1927, S. 47 u. S. 305f. 351 Vgl. Lohmann im Bericht über die Reichsfrauenkonferenz. In Protokoll des SPD-Parteitages Kiel 1927, S. 319. 352 Juchacz im Bericht über den Reichsfrauentag. In: Protokoll des SPD-Parteitages Berlin 1924, S. 244. 353 Ebd. S. 244-245. 354 Wurm im Bericht über die Reichsfrauenkonferenz. In Protokoll des SPD-Parteitages Kiel 1927, S. 317. 305 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ Diese unpolitische Selbstbescheidung hatte zumal angesichts der politischen Entwicklungen und der nationalsozialistischen Bedrohung verheerende Auswirkungen. Die endlich 1932 in den Seiten der „Frauenwelt“ erfolgenden scharfen Angriffe gegen die Nationalsozialisten konnten die bei ihren Leserinnen „versäumte Erziehung eines politischen Bewußtseins“355 nicht mehr nachholen. Zudem wies das in der „Frauenwelt“ vertretene und für die Ansprache genutzte Frauen- und Fami- lienideal mit dem der Nationalsozialisten sogar viele Berührungspunkte auf. Tatsächlich muss davon ausgegangen werden, dass sozialistische und nationalsozialistische Frauenleitbilder, weil sie zum Teil auf denselben bürgerlich-konservativen Frauenleitbildern basierten, dadurch in ihren Grundzügen auch austauschbar waren. Frauen wurden von ihnen als Mütter, Haus- und Ehefrauen angesprochen. Selbst dann, wenn sie in ihrer Rolle als Arbeiterinnen für den Kampf gegen das bestehende für ein zukünftiges, neues System motiviert wurden, gab es Gemeinsamkeiten. Diese Gemeinsamkeiten relativieren sich nur, wenn man ihre Zielsetzungen kritisch hinterfragt. Die „Gleichheit“ stand für Klassensolidarität, internationale Solidarität und Menschenrechte; sie stand nicht für „Rassenwahn“, „Deutschtum“ und Völkermord. Aussagekräftig ist in diesem Zusammenhang auch die Feststellung Vormschlags, dass in den von ihr untersuchten linken Frauenzeitschriften der Begriff „Agitation“, in der nationalsozialistischen „NS-Frauenwarte“ jedoch der Begriff „Propaganda“ gebräuchlich war. Letzterer weist deutlich auf die unreflektierte Übernahme von Meinungen und Inhalten hin, während Agitation eine erklärende und aufklärende Bedeutung und Funktion hat. Agitation war im Sprachgebrauch der „Gleichheit“ Befähigung zur Kritik. In einem weiteren Gegensatz zu Ungers obiger unbekannter Proletarierin, steht es, dass sich die „Gleichheit“ meist bemühte, ihren Vorbildern Namen und Gesicht – unabhängig von ihrer Haarfarbe – zu geben. Die von ihr vorgestellten Frauen waren Teil der Geschichte bzw. sollten Teil des Geschichtsbewusstseins werden. Es galt anhand dieser Schicksale, den weiblichen Anteil an Geschichte ins Licht zu rücken, greifbar und identifizierbar zu machen. Die in der „Gleichheit“ veröffentlichten biographischen Skizzen zielten darauf ab, das Selbstbewusstsein der Leserinnen zu stärken und ihre Aufmerksamkeit auf ihr eigenes Potential zu lenken. Es wurde versucht, Möglichkeiten der politischen Teilhabe aufzuzeigen, die die einfache proletarische Frau als „weiblicher Vollmensch“, Ehefrau, Mutter, Klassenkämpferin und republikanische Staatsbürgerin bereits hatte und nutzen konnte. Diesen Frauenleitbildern wurden im Rahmen der vorliegenden Arbeit die in der „Gleichheit“ veröffentlichten Frauenbiographien – je nach Schwerpunkt innerhalb der Darstellung und je nach Duktus – zugeordnet. 355 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 164. 306 3.4 Frauenbiographien in der „Gleichheit“ Sämtliche Medien sozialistischer Agitation – Zeitschriften, Bücher und Vorträge – widmen sich auch den Biographien einzelner historischer Persönlichkeiten,356 und dies, obwohl die ent- scheidende Kampfkraft vom proletarischen Klassenkollektiv ausgehen sollte und der Heraus- stellung individueller Einzelner eher eine schwächende Wirkung beigemessen wurde. Bebels „Frau“ jedoch präsentierte nur wenige Namen einzelner historischer Frauen. Oft handelte es sich dann auch nicht um Vorbilder, denen seine Leserinnen nachstreben sollten, sondern um Exempel weiblicher Sittenlosigkeit.357 Die proletarische Frauenbewegung suchte dagegen schon sehr früh in bestimmten Frauen bewunderungswürdige ZeugInnen, Vorbilder und Vermittler revolutionärer Geschichte.358 So sind es besonders Frauenbiographien, die neben der von den Leserinnen zum Teil noch selbst erlebten Geschichte der sozialdemokratischen Bewegung der „Gleichheit“ die Möglichkeit boten, ihren Leserinnen Geschichte in Form leicht verständlicher Geschichten zu vermitteln und sie damit auch emotional zu berühren.359 Diese Kombination von Geschichtsvermittlung und Emotionalität besaß in der „Gleichheit“ im Hinblick auf die sonstigen Lesegewohnheiten proletarischer Frauen einen ganz besonderen Stellenwert. Ohne sie hätte sich die „Gleichheit“ angesichts des vornehmlich bei Frauen verbreiteten „Gefühlssozialismus“ – also einer politischen Positionierung auf der Grundlage von Sympathie und Gerechtigkeitsgefühl – zwecks Vermittlung sozialistischer Theorie weiter- hin auf Elendsschilderungen und anrührende Gedichte konzentrieren müssen.360 Waren diese jedoch vor allem im Feuilleton abgedruckt, so ist es eine weitere Besonderheit der historisch- biographischen Artikel, dass sie sowohl im Feuilleton der Beilagen und des Hauptblattes als 356 Gerne hätten die Parteigenossen des 19. Sächsischen Wahlkreises durch ihren auf dem Parteitag gestellten Antrag noch mehr wegweisende Biographien in den Parteizeitschriften gesehen: „Es möge in Zukunft die Parteipresse in ihrem Feuilleton nicht mehr, wie bisher, mit Kriminal- und Liebesromanen den Leserkreis zu unterhalten suchen, sondern sich mehr damit zu befassen, durch Biographien berühmter, edler Menschen, welche sich um die Wohlfahrt des Volkes verdient gemacht haben, auf den Charakter des Volkes einzuwirken und die Gefühle für alles Gute und Erhabene zu wecken und zu pflegen.“ (Antrag Nr. 60 im Protokoll des SPD-Parteitages Berlin 1893, S. 381). Der Antrag wurde jedoch abgelehnt (vgl. ebd., S. 151). 357 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, S. 108. 358 Diese Bedeutung historischer Vorbilder kann man auch negativ ausdrücken: Geschichte, so Lion, stelle sich in der „Gleichheit“ meist dar „in der Schilderung vom Leben, Tun und Leiden der proletarischen Vorkämpferinnen […][,] Nachrufe in Form von Biographien[…] schaffen bewußt an der Legendenbildung und der Martyriologie des vierten Standes“ (Lion, Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 90). 359 Auch autobiographische Zeugnisse erfüllten diese Funktionen und geben Aufschluss über Alltag und Politi- sierung der Arbeiterinnen. Besonders hervorzuheben sind hier die Lebenserinnerungen von Ottilie Baader und Adelheid Popp, auf die bereits verwiesen wurde. Sie werden in der vorliegenden Arbeit nicht näher vorgestellt, weil ihre Perspektive eine andere ist als die der biographischen „Gleichheit“- Artikel. 360 Zetkin habe in allen von ihr „redigierten Frauenorganen das gefühlsmäßige Element, das Emotionale im Dienste der Agitation“ (Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 176) gepflegt. Vormschlag sieht in dem Umstand, dass „die ganze Tonleiter von Haß und Mitleid […] durch- gespielt“ (ebd.) wurde, eine Parallele zu den Publikationen der Nationalsozialisten, besonders der „NS- Frauenwarte“. 307 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ auch oberhalb „des Strichs“ zu finden waren. Es zeigt sich daran noch deutlicher als an den Erzählungen und Gedichten, dass der Feuilleton eine Brücke zum Hauptteil war. Die Nekrologe und Jubiläumsartikel fanden meistens ihren Platz in den Rubriken „Aus der Bewegung“ bzw. „Aus unserer Bewegung“ oder „Sozialistische Frauenbewegung im Ausland“. Auffällig ist, dass es während des Ersten Weltkrieges ausschließlich Nekrologe und einige Jubiläumsartikel sind, die den frauenbiographischen Inhalt der „Gleichheit“ ausmachen. In Zeiten der Zensur und Papier- knappheit mussten die Würdigungen der weiblichen Mitglieder der sozialistischen Bewegung und die Darstellungen ihres Lebens und Werdeganges für eine geschichtliche Aufklärung ausreichen. Frauenbiographien sind wie geschaffen für eine Vermittlung von Frauengeschichte und Frauenleitbildern. Sie geben beiden einen Namen, ein Gesicht oder einen Charakter. Umgekehrt kann ein gelebtes Leben Orientierung für nachfolgende Generationen geben. Durch Frauen- biographien werden konkrete Brücken von der Erfahrung zur Utopie angeboten.361 Ihre Ver- öffentlichung in Frauenzeitschriften erfolgt demnach aber auch nie ganz zweckfrei.362 Auch die Zeitschriften der bürgerlichen Frauenbewegung veröffentlichten biographische Artikel. Ihre Beweggründe beschrieb Hilde Lion jedoch wie folgt: „Persönlichkeiten, die man zu irgend einem Anlaß ehren will, schildert man aus langem Verkehr – aus dem Gedächtnis. Da, wo die Idee im Werden ist, braucht sie überall die persönliche Gestalt; man scheut sich oft auch nicht, Vorbilder zu zeigen unter den Lebenden, solche Menschen, die unmittelbar zu den noch Unerweckten oder Schwankenden sprechen sollen; von deren Bild und Wesen man allerhand Wunderkräfte erhofft.“363 Lion scheint den Kult um Personen, vor allem um solche, die noch leben, abgelehnt zu haben. Sie sah den mittels biographischer Skizzen erzeugten emotionalen Effekt von den bürgerlichen Frauenzeitschriften insbesondere für die Werbung neuer Abonnentinnen strategisch eingesetzt: „Solchen Frauen, die allmählich vom Familienblatt und von der Modezeitschrift als einziger Lektüre weggewöhnt werden müssen, gibt man durch Jahre hindurch noch Gedichte ethischen Inhalts und Geschichte braver Frauen, die ihren Berufsweg unter schweren Kämpfen schließlich doch noch sicher gefunden 361 Vgl. Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität und Utopie, S. 44. 362 Als eine der „Gleichheit“ ähnliche linke Frauenöffentlichkeit sei hier die von spanischen Anarchistinnen begründete Frauenzeitschrift „Mujeres Libres“ (1936-1938) erwähnt. Auch sie veröffentlichte historische Frauen- porträts, um „den Spanierinnen […] das Wissen um eine Frauengeschichte“ (Kröger, Nachwort, S. 94) zu vermitteln und „mögliche Orientierungsvorbilder“ (ebd.) anzubieten. Dabei verfolgte die Redaktion kein kon- kretes Frauenleitbild, denn „[o]b die Frauen von adliger oder von proletarischer Herkunft waren, ob sie in wohlsituierten Verhältnissen oder in Armut lebten, welchem politischen Lager sie auch angehörten, dies spielt alles eine eher unbedeutende Rolle: Der Geist der Rebellion und der gesellschaftlichen Innovation, ein um- fassendes sozialrevolutionäres Denken im weitesten Sinne sowie genügend persönliche Stärke und Mut, um den Gegnern zu trotzen, zeichneten sie alle aus.“ (ebd.) 363 Lion, Die allgemeinen Frauenzeitschriften in Deutschland, S. 109. 308 3.4 FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ haben.“364 Gerade „jungen Anfängerinnen der Bewegung“365 floss laut Lion aus der biographischen Literatur, aus dem „heißen“366 oder „sachlichen“367 Leben der Vorbilder eine „lebendige Kraft“368 zu. Darüber hinaus bot gerade diese Literaturgattung ein Sammelbecken für „gutes weibliches Schriftstellertum“369. Wenn auch bisher die von Lion zum Teil sehr kritisch beurteilten Motivationen der bürgerlichen Frauenzeitschriften denjenigen von Zetkin in der „Gleichheit“ wie auch in ihrer „Geschichte der proletarischen Frauenbewegung“ sehr ähnlich zu sein schienen, so wird nun jedoch ein wesent- licher Unterschied bemerkbar: Es waren weniger „brave“ als vielmehr revolutionäre Frauen, die die „Gleichheit“ ihren Leserinnen vorstellte. Bürgerliche Frauenzeitschriften, so die Meinung der DDR-Historikerin Ruth Götze in ihrem Aufsatz „Der Beitrag der „Gleichheit“ zur Entwicklung des Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen“, hätten eine übermäßige Schönfärberei betrieben – gemäß des Leitsatzes „‘de mortuis nihil nisi bene’“370. Im Gegensatz zur „Gleichheit“ hätten bür- gerliche Publikationen nicht „die konkreten historischen Verhältnisse, die den Menschen prägen und sein Verhalten mitbestimmen“371, dargestellt. Die „Gleichheit“ dagegen, so Götze weiter, habe sich lediglich „falscher Bescheidenheit“372 enthalten, wenn sie „hervorragende[…] Kämpferinnen und Kämpfer für den gesellschaftlichen Fortschritt“373 ehrte. Doch auch in den in der „Gleichheit“ veröffentlichten Nachrufen ging es darum, „Rückschau zu halten auf kampferfüllte Jahre, Impulse zu geben, im Sinne der verstorbenen oder ermordeten Kämpfer weiter für die Emanzipation des Proleta- riats alle Kraft einzusetzen“374. Nachrufe auf die Frauen der proletarischen Frauenbewegung, in denen Kritik an ihrem Lebens- werk geäußert wurde, waren zwar selten, aber es gab sie. Wenn auch für die „Gleichheit“ vorrangig galt, dass „über Tote nicht anders als gut gesprochen“ werde, so finden sich doch auch Ausnahmen. Dazu gehören nicht nur die „Ausnahmeerscheinungen der bürgerlichen Frauen- 364 Ebd., S. 109f. 365 Ebd., S. 115. 366 Ebd. 367 Ebd. 368 Ebd. 369 Ebd. 370 Götze, Der Beitrag der „Gleichheit“ zur Entwicklung des Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen, S. 63. 371 Ebd. 372 Ebd. 373 Ebd. 374 Ebd. 309 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ rechtelei“ wie sie hier in einem eigenen Kapitel vorgestellt werden, sondern auch diejenigen Klassenkämpferinnen, die sich nicht den wissenschaftlichen Sozialismus aneignen konnten und dadurch in den Augen Zetkins von der Bahn abkamen. Ihre Nachrufe ehrten ihre Verdienste und waren zugleich dafür prädestiniert, ihre Leserinnen auf die Fehler einer schwankenden sozialis- tischen Gesinnung aufmerksam zu machen. Die für ihre Dogmatik oft gescholtene Redakteurin der „Gleichheit“ gedachte demnach auch Personen, so ist Götze zuzustimmen, „die in ihrem Leben nicht mit aller Konsequenz, nicht immer von marxistischen Positionen oder nur zeitweilig an der Seite des revolutionären Proletariats kämp- ften“375. Sie ließ aber auch diese Nachrufe nicht ungenutzt, um „die Einsicht [zu] förder[n] und die Tatkraft des Proletariats [zu] stärk[en]“376. Dies sieht Götze für „alle[…] Beiträge[…] der ‘Gleichheit’, die auf die Entwicklung des proletarischen Geschichtsbewußtseins gerichtet sind“377 als gegeben an.378 Auch die dänische Sprachwissenschaftlerin Gomard versuchte, die Inhalte der von ihr unter- suchten 67 Biographien auf gemeinsame Nenner zu bringen und fragt nach den Motiven der Zetkin‘schen „Gleichheit“ für ihre Auswahl biographisch dargestellter Frauen. Der Feststellung Gomards, dass frauenbiographische Artikel in den ersten Jahrgängen der Gleichheit am zahl- reichsten, in späteren jedoch nur noch sporadisch eingestreut sind379, lässt sich nur teilweise und vornehmlich in Hinblick auf die von Zetkin selbst verfassten historischen Biographien der franzö- sischen und russischen Revolutionärinnen zustimmen.380 Ab 1907 sind es dann wieder besonders die Artikel von Anna Blos, die auffällig viele Biographien zu Frauen des 19. Jahrhunderts 375 Ebd. 376 Ebd., S. 64. Auch aus diesem Grund wurde Zetkin selbst später als „Leitbild für […] pädagogisches Handeln“ (Hohendorf, Clara Zetkin, S. 6) idealisiert. 377 Götze, Der Beitrag der „Gleichheit“ zur Entwicklung des Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen, S. 64. 378 Dieses die Wirkung der „Gleichheit“ betreffende Urteil muss jedoch reine Mutmaßung bleiben, die, wie in dem Kapitel zur Rezeption der „Gleichheit“ gezeigt, entsprechender Grundlagen entbehrt. Götzes Untersuchung bezieht sich auf ein allgemein sozialistisches Geschichtsbewusstsein, der geschlechtsspezifische – trotz des Stand- punktes einer geschlechterindifferenten Agitation – von der „Gleichheit“ bewusst gewählte Ansatz eines weib- lichen Geschichtsbewusstseins bleibt von Götze unberücksichtigt. 379 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 28. 380 Noch zu Lebzeiten Zetkins, 1927, erachtete es Paul Frölich als ein „Geschenk“ an Viele, wenn Zetkin ihre „zahl- reiche[n] literarische[n] Porträts von Kämpferinnen aus den Klassenkämpfen der Vergangenheit“ (Frölich, Clara Zetkin, S. 5) als Sammlung herausgeben würde, dies ist aber nicht geschehen. Ihr 1928 erschienenes Werk „Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands“ enthielt aber zumindest Biographien von Louise Otto-Peters, der frühen französischen Sozialistin und Schriftstellerin Flora Tristan (1803-1844) und Julius Motteler. Bereits 1911 hatte Zetkin jedoch anlässlich des ersten sozialdemokratischen Frauentages eine Agitations- zeitung für das Frauenwahlrecht herausgegeben, 16 Seiten im Format der Gleichheit umfassend (vgl. GL, 21/ 11/ 27.02.1911/ 176): „Die Zeitung bringt die Porträts der verstorbenen sozialdemokratischen Vorkämpferinnen für das Frauenwahlrecht in Deutschland, sie wird einen reichhaltigen Inhalt haben und schön ausgestattet sein. Das Blatt soll der Agitation für das Frauenwahlrecht unter den breitesten Massen dienen.“ (ebd.) Der Preis dieser besonderen Nummer betrug für Organisationen und Wiederverkäufer 5 Pf., die Einzelnummer 10 Pf.. 310 3.4 FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ veröffentlichte.381 Ohne die Notwendigkeit, eine eigenständige Rubrik „Geschichte“ füllen zu müssen, scheint dieser Aspekt demnach sehr von den Forschungsschwerpunkten der jeweiligen MitarbeiterInnen abhängig gewesen zu sein. Jubiläumsartikel, Nekrologe und auch die damit verbundenen größeren Artikel hatten jedoch eine gewisse Zwangsläufigkeit. Während die Dar- stellung von bunteren Lebensläufen und monumentaleren Leistungen keines äußeren Anlasses bedurfte, so Gomard, hätten die „[d]ie ‘Stilleren im Lande’ […] erst eine Rolle [gespielt], wenn ein Nekrolog fällig“382 gewesen sei. Ehefrauen wie Julie Bebel (1843-1910) hätten für die „Gleichheit“ unter Zetkin „[q]ualitativ wie quantitativ“383 am Rande gestanden, seien lediglich Vorbild gewesen für “diejenigen, die nichts Besseres“384 konnten. Gomard vermutet sogar, dass sie überhaupt nicht erwähnt worden wäre, „wenn die Position ihres Mannes nicht einen Nekrolog erforderlich gemacht hätte“385. In dieser Ansicht drückt sich m. E. eine besondere Zweischneidig- keit aus. Sicherlich war es der große Name ihres Ehemannes, der den Nekrolog für eine Ehefrau in der „Gleichheit“ anstieß, doch war die vorrangige Motivation nicht, den Ehemann zu ehren, sondern die Leistung der Ehefrau, die hinter dessen Erfolg stand, die sich, wie Gormard selbst schreibt, „dem Lebenswerk ihres Mannes ganz geopfert“386 hatte. Dennoch ist Gomard insofern zuzustimmen, dass für die „Gleichheit“ vor allem öffentlich aktive Frauen interessant waren. Ähnlich zwangsläufig wie den Tod der „Parteiführerehefrauen“ habe die „Gleichheit“ den Tod führender Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung nicht einfach ignorieren können, weil, so Gomard, diese Bewegung „um diese Zeit so bedeutend“387 gewesen sei. Die „Gleichheit“ hat m. E. weniger auf diese Bedeutung als vielmehr auf die Lebensleistung der porträtierten bürgerlichen Frauen Rücksicht genommen und der Frage Vorrang gegeben, inwieweit diese ihren Leserinnen Vorbild sein konnten – oder auch nicht. Wenn auch Gomard dieses Element der Lebensleistung nicht für die bürgerlichen Frauen als maßgeblich erachtet, so sieht sie die Lebensleistung jedoch generell als entscheidendes Element für eine biographische Erwähnung von Frauen in der „Gleichheit“ an. Deshalb erstellte sie nach dieser Leistung eine Kategorisierung und unterscheidet diesbezüglich in drei Gruppen weiblicher 381 Besonders hervorzuheben ist ihre von September 1919 bis Juli 1920 erschienene Artikelreihe „Frauengestalten des 19. Jahrhunderts“, in der Bettina von Arnim, Charlotte Stieglitz, Rahel Levin, Charlotte von Stein, Malvida von Meysenbug, Karoline Schlegel-Schelling, Luise Aston und Karoline von Humboldt porträtiert wurden. 382 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 32. 383 Ebd., S. 33. 384 Ebd. 385 Ebd. 386 Ebd., S. 32. 387 Ebd., S. 28. 311 ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ Vorbilder: Terroristinnen, die zusammen mit Männern auf Barrikaden kämpften, aber auch an der Versorgung Verwundeter und der Untergrundarbeit beteiligt waren und dabei die gleichen Re- pressalien wie Männer erleiden mussten (Beispiele finden sich dafür u. a. in der Pariser Kommune und unter den russischen RevolutionärInnen); Frauen, die unter friedlichen Bedingungen organisatorische und alltägliche Agitationsarbeit leisteten und schließlich Frauen, „die gar nicht öffentlich hervortreten, sondern gute sozialistische Hausfrauen und Mütter sind, die durch ihre Leistung in der Familie es dem Ehemann ermöglichen, sich ganz der Parteiarbeit zu widmen“388. Gemeinsam sei allen dargestellten Frauen, so Gomard weiter, dass sie auf mehr oder weniger spektakuläre Weise die Schranken der bürgerlichen Gesellschaft durchbrachen und dies teilweise auf ihre Familien und Beziehungen zurückgewirkt hätte.389 Umgekehrt wird an manchen Bio- graphien jedoch auch deutlich, wie Frauen von ihren Beziehungen und Familien unterstützt wurden und davon für ihre Selbstbefreiung zu profitieren wussten. Beispiel dafür ist die Histori- kerin Anna Blos selbst. Sie hatte durch ihren Ehemann Wilhelm nicht nur zur Sozialdemokratie gefunden. Genauso wie er hatte auch sie „ein starkes Interesse daran, Geschichtszusammenhänge akribisch dokumentarisch darzustellen“390 und beschrieb das Wecken dieses Interesses in ihrem 1929 erschienenen Werk „Die Frauen in Schwaben“ wie folgt: „Immer wieder hat er mir die Tapferkeit der schwäbischen Frauen als vorbildlich hingestellt. Ihm verdankte ich die Anregung, von diesen Frauen zu erzählen, zu zeigen, wie auch in früheren Zeiten schon Frauen mitgewirkt haben an der Entwicklungsgeschichte des Volkes. Nicht Frauen, die durch Geburt und Herkunft an hervorragender Stelle standen, sondern Frauen, die sich ihre Stellung im Leben erkämpft haben gegen Vorurteile und Widerstände. So ist auch dieses Buch ein Dank an den, der mich ins Schwabenland geführt hat und der mich das Schwaben- volk verstehen und lieben lehrte. […] Es soll ein Buch des Gedenkens sein, aber auch ein Buch, das die Vergangenheit lebendig macht zu Nutz und Frommen der neuen Zeit, in der den Frauen alle Entwicklungsmöglichkeiten gegeben sind. Die Wege dazu haben auch tapfere schwäbische Frauen bereiten helfen.“391 Es ist also verständlich, wenn Blos in ihren Biographien nicht nur wie Zetkin elende Lebenszu- stände, sondern auch die förderlichen Umstände eines Frauenlebens hervorhob – so z.B. in ihrem Artikel „Glückliche Ehen“392. In den Frauenbiographien der „Gleichheit“ finden sich sowohl verständige Eltern und politisch engagierte Ehemänner als auch despotische Väter, strenge Mütter und hemmende Ehemänner. Das Bemühen der „Gleichheit“ lag darin, die individuellen Ent- 388 Ebd., S. 32. 389 Ebd., S. 38. 390 Riepl-Schmidt, Wider das verkochte und verbügelte Leben, S. 173. Die biographischen Artikel Blos‘ in der „Gleichheit“ weisen jedoch trotz dieser Akribie das Manko auf, die Angabe von Jahreszahlen zu vernachlässigen. Die zeitliche Einordnung trat hinter die Charakterisierung der Person zurück. 391 Blos, Die Frauen in Schwaben, S. 10-11. 392 Blos, Glückliche Ehen. In: GL, 28/ 17/ 24.05.1918/ 133-135. 312 3.4 FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“ wicklungen der Frauen unter bestimmten Vorzeichen zu deuten. Unter Zetkin war dieses Vor- zeichen der Sozialismus, unter der „neuen“ Redaktion eine demokratische Republik. Die Entwicklung selbst ließ jedoch viel Spielraum, der Vorbildcharakter war nicht zu eng gefasst. Die frauenbiographischen Artikel der „Gleichheit“, zumal von verschiedenen AutorInnen verfasst, weisen unterschiedlichste Strategien der Emanzipation auf. Es wurden Frauen vorgestellt, die ihren großen „Bildungshunger“ stillen wollten und sich deshalb über familiäre und gesel- lschaftliche Normen hinwegsetzten oder Frauen, die ihr Leben auf den Barrikaden riskierten, um der politischen Sache zum Sieg zu verhelfen. Doch auch indem Frauen politische Kleinarbeit leisteten oder ihren politisch engagierten Ehemännern zur Seite standen, fanden sie ein Stück Selbstverwirklichung zum Ziele der Selbstbefreiung ihrer Klasse und damit ihres Geschlechtes. Weder war das Leben dieser Frauen noch die Darstellung desselben vollkommen widerspruchs- frei, aber laut Gomard gibt es „doch bestimmte Züge, die immer entweder einzeln oder in Kombinationen wiederkehren und eine Alternative zum bürgerlichen Frauenideal darstellen“393. Besonderes Moment ist, dass die vorgestellten Frauen wirklich gelebt haben und innerhalb ihrer Zeit und ihres Handelns mit einschränkenden Normen brachen, ja sogar „Utopisches vor- weg[nahmen]“394, also Möglichkeiten alternativen Lebens und Handelns aufzeigten. Möglichkeiten aufzuzeigen, dabei auch nicht vollkommen wahllos zu sein, das war Ziel der „Gleichheit“ und auch 1989 noch Ziel des Autors Eugen Jacoby mit seinem „Lexikon linker Leit- figuren“. Im Vorwort fragt er nicht zu Unrecht entsprechend: „Kann […], wer frei sein will, in seinem Handeln sich an Vorbildern, Leitfiguren, orientieren?“395 Er kommt zu dem Urteil, dass „wer […] meint, feste Maßstäbe für die Auswahl von Leitfiguren könne es geben, […] sich fragen [muss], ob er nicht doktrinären Sehnsüchten aufsitzt“396. Wenn nichtsdestotrotz auch die positive Funktion von Leitbildern unterstrichen wird, so bleibt als klein- ster gemeinsamer Nenner, dass sich in den vorgestellten Biographien „zu Recht die Hoffnung auf eine bessere menschliche Gesellschaft verkörpert“397. Gleiches lässt sich auch für die Leitbilder der „Gleichheit“ formulieren, mit dem besonderen Schwerpunkt auf die Belange der Frauen in dieser prospektierten besseren menschlichen Gesellschaft. 393 Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität und Utopie, S. 41. 394 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 28. 395 Jacoby, Lexikon linker Leitfiguren, S. 7. 396 Ebd., S. 8. 397 Ebd. 313 4 Zusammenstellung der in der „Gleichheit“ enthaltenen Frauen- biographien, Jubiläumsartikel und Nekrologe – Interpretative Analyse ihrer Leitbildfunktionen 4.1 „[…] mit warmem Herzen, klarem Geist und starkem Wollen“1 – Der „weibliche Vollmensch“ als elementares Leitbild sozialistischer Frauenbildung 4.1.1 Zum Frauenleitbild des „weiblichen Vollmenschen“ Die schwedische Pädagogin und Kämpferin für Frauenrechte Ellen Key (1849-1926) stellte in ihrem 1909 in Deutschland erschienenen Werk „Die Frauenbewegung“ die der Kunst und der Wissenschaft angelegene Entwicklung einer „vollmenschliche[n] Persönlichkeit“2 dar. Die Ent- wicklung dieser Persönlichkeit müsse gesellschaftsübergreifend geschehen und könne für die Frauen nicht nur als Aufgabengebiet der „Frauenbewegung“ erachtet werden3: „Aber nichts ist sicherer, als daß die weibliche Persönlichkeit, mag ihr innerster Wille der geistige Schaffensdrang, das erotische Glück, die mütterliche Seligkeit oder die allgemeinmenschliche Güte sein, immer mehr n e u e Ausdrucksformen annehmen wird, Ausdrucksformen, die die einst liberalen, jetzt mehr konservativen Feministinnen und die modernen sozialistischen Feministen teils nicht ahnen teils – ahnend – beklagen! Denn a l l e sozialwirkenden Be- wegungen der Gegenwart – vor allem die Frauenbewegung und der Sozialismus – sind nur Wegbahnungsarbeiten für die männlichen und weiblichen Vo l l - m e n s c h e n .“4 Key sah demnach vor allem im Sozialismus sowohl ein besonderes Potential, diese Entwicklung voranzutreiben, als auch eine Ungenügsamkeit, diese zu vollenden. Sie betonte die prinzipielle Gleichwertigkeit aller Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht und sprach sich für die „vollständige“, und damit verbunden, harmonische Entwicklung ihrer Fähigkeiten aus. Diese Fähigkeiten in besonderer Qualität und ungehindert ausbilden zu können, ist kein individueller Egoismus, sondern im Sinne des sozialen Ganzen. Key betonte jedoch, dass sie eine Gleichwertigkeit, jedoch keine Gleichartigkeit anstrebe: „‘Ein Vollmensch ist nur die Frau oder der Mann, die die Kräfte, die er oder sie als Mensch besitzt, ausgebildet hat und betätigt, ohne daß die Geschlechts- 1 “Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 9-10, S. 10. 2 Key, Die Frauenbewegung, S. 55. 3 Ähnlich sah dies auch Margarete Schneider (?-?), die ihren 1926 veröffentlichten biographischen Sammelband „Deutscher Frauen Leben und Streben“ mit den Worten einleitete: „Wenn wir die jungen Mädchen mit der Frauenbewegung bekannt machen, wollen wir sie nicht zu ‘Frauenrechtlerinnen’ machen in dem Sinn mit dem unangenehmen Beigeschmack, mit dem das Wort zuweilen von den Gegnern gebraucht wird; sondern wir wollen sie erwecken, daß sie sich bewußt entwickeln sollen zu weiblichen Vollmenschen.“ (Schneider, Deutscher Frauen Leben und Streben, S. 7). Es verwundert angesichts dieser sehr differenzierten Meinung nicht, dass in diesem Sammelband sogar Sozialistinnen wie Baader, Popp und Zetkin porträtiert wurden. 4 Key, Die Frauenbewegung, S. 59. 315 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN besonderheit dadurch neutralisiert wird’“5. Diesen Gedanken hatte Zetkin bereits 18986 in plakativere Worte gefasst, indem sie einem ihrer grundlegenden Artikel den Titel „Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”7 gab.8 Zetkins grundsätzliche Überzeugung war, dass „[n]ur die Frau, die ein weiblicher Vollmensch in des Wortes bester Bedeutung ist, […] als Mutter, Gattin, Bürgerin das Höchste zu leisten [vermag]“9. Der „weibliche Vollmensch“ konnte diesen Aufgaben nur gerecht werden, wenn er seinen geistigen Horizont mit grundlegenden Bildungsinhalten aus Wissenschaft, Politik, Technik, Kunst und Literatur10 erweiterte. Dies sollte sowohl einem „allgemein proletarische[n] Bildungsideal“11 entsprechen als auch Rücksicht auf einen spezifisch weiblichen Charakter nehmen. Angesichts dieser grundlegenden Bedeutung, die der Entwicklung der Proletarierin zu einem „weiblichen Vollmenschen“ zukam, verwundert es allerdings, dass Zetkin keine konkreten Bildungsinhalte vorgab, sondern es bei allgemeinen und sehr abstrakten Beschreibungen dieses Frauenleitbildes beließ. Bei genauerer Lektüre des Artikels wird sogar erkennbar, dass sie vorrangig versuchte, vermeintlich bürgerliche Frauenleitbilder zu negieren. Zetkin warf der bürgerlichen Frauen- bewegung vor, dass sie einseitig „das Menschentum der Frau hervorhob, ihr Geschlecht dagegen quasi ableugnete und keine Rücksicht auf die Sondernatur und die Sonderaufgaben des Weibes anerkannte“12. Die Gegenreaktion der patriarchalen Gesellschaft darauf sei die Reduzierung der Frau auf ein gefühlsbetontes „Nur-Geschlechtswesen“ gewesen. Zetkin machte der bürgerlichen – vornehmlich wohl radikalen – Frauenbewegung den Vorwurf, als Ausgangspunkt ihrer Beweisführungen und Forderungen „[e]in groteskes, erlogenes Geschöpf, die Frau als abstrakte[n], ungeschlecht- 5 Ebd., S. 120. 6 Bereits 1896 hatte Zetkin in Gotha ein Ideal des „proletarischen Vollmenschen“ postuliert und seine Ver - wirklichung nicht erst im Sozialismus gesehen: „Wir aber wollen, daß in der Stunde, wo am Ende der kapitalistischen Entwickelung die bürgerliche Gesellschaft in sich selbst zusammenbricht, der Proletarier nicht dasteht, wie der Sklave, der die Kette bricht, sondern als eine körperlich, geistig und sittlich vollkommene Per- sönlichkeit.“ (Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 173). 7 “Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 9-10. 8 Es ist nicht mehr nachvollziehbar, ob sich Zetkin mit diesem Artikel konkret auf Key bezog. Dass sie sich mit Keys Werken beschäftigt hatte, geht später aus ihrer Schrift „Der Student und das Weib“ klar hervor (vgl. Zetkin, Der Student und das Weib, S. 17). Dafür, dass Zetkin die Arbeiten Keys sehr schätzte, spricht außerdem, dass im April 1914 die „Gleichheit“ einen Zeitungsartikel Keys zum politischen Frauenwahlrecht sehr positiv hervorhob (vgl. Ellen Key über das politische Frauenwahlrecht … In: GL, 24/ 15/ 15.04.1914/ 240). 9 „Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 9. 10 Vgl. Lerch, Kulturelle Sozialisation von Arbeitern im Kaiserreich. S. 254. 11 Friese, Bildungskonzepte der Arbeiterinnenbewegung, S. 239. 12 „Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 9. 316 4.1.1 ZUM FRAUENLEITBILD DES „WEIBLICHEN VOLLMENSCHEN“ liche[n] Nur-Mensch[en], losgelöst von allen Bedingungen und Aufgaben ihres Geschlechts“13 geschaffen zu haben – eine Frau, die das Männliche als Maßstab nimmt – ein sogenanntes „Mann- weib14. Wenn Zetkin schrieb, dass der Wert einer weiblichen Persönlichkeit für die Allgemeinheit sich „nicht blos nach der Zahl der von ihr geschriebenen guten und schlechten Romane oder Abhandlungen, nach den Noten der bestandenen Examina, der eifrigen Antheilnahme am öffentlichen Leben“15 bemesse, dann wurde der bildungsbürgerliche Adressat ihrer Schmähung besonders deutlich. Aber auch das andere Extrem, die „Haussklavin“ oder „Nichts-als-Hausfrau“, wurde von Zetkin als Ideal zurückgewiesen. Denn der Wert einer Frau für ihre Familie könne nicht lediglich „nach dem geräuschlosen und gleichmäßigen Gang des häuslichen Räderwerks, der Güte des eigenhändig bereiteten Mahles, der Beschränkung des Empfindens, Denkens und Handelns auf den engen Bannkreis des Hauses“16 abgeschätzt werden. Kurzum könne „[w]eder die Nichts-als-Hausfrau, noch das Mannweib […] das Ideal der Frau sein“17. Vielmehr hätten sich die proletarischen Frauen harmonisch nach beiden Seiten – Weib und Mensch – zu entfalten. Diese Vorstellung harmonischer Selbstentfaltung schloss demnach grundsätzlich die Zuständigkeit der Frau für Haus und Familie nicht aus, reduzierte sie aber auch nicht auf diese Rolle. Indem sie beiden Seiten gerecht werde, solle die Frau als „Sandkörnchen zum vollendeten Aufbau des gesellschaftlichen Lebens“18 beitragen und das „Menschliche“, das hier doch wohl eher dem männlichen Maßstab entspricht19, „tödte[…] nicht das Weibliche, sondern dräng[e] nur das Weibische zurück“20 [Hervorhebungen von M.S.]. Ein Jahr nach Erscheinen dieses programmatischen Artikels in der „Gleichheit“ veröffentlichte Zetkin die Broschüre „Der Student und das Weib“, die sich deutlich an dem Artikel anlehnte. 13 Ebd. 14 Unter einem „Mannweib“ verstand Zetkin eine Frau, die männliches Verhalten kopierte, die „zum Affen des Man- nes w[u]rde, ihm abguckt[e], ‘wie er sich räuspert, und wie er spuckt’“ (Zetkin, Der Student und das Weib, S. 18). 15 „Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 9. 16 Ebd. 17 Ebd., S. 10. 18 Ebd. 19 Zwar war auch Gomard der Meinung, dass Zetkin genau wie Bebel ihre Formulierungen sehr abstrakt abfasste, aber nicht bei ihr, sondern bei Bebel sei der Mann Maßstab gewesen (vgl. Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität und Utopie, S. 43). Nach Puschnerats Ansicht dagegen war der Maßstab des Zetkin‘schen Erziehungsziels immer der SPD- bzw. KPD-Mann (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Mar- xismus, S. 135). Überhaupt sei es Zetkins Überzeugung gewesen, dass die proletarische Frau gegenüber dem proletarischen Mann von Natur aus immer ein Mängelwesen sei (ebd., S. 139). 20 „Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 10. 317 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Zetkin versuchte sich darin auch verstärkt an sozialpsychologischen Deutungen. Die Frau sei später als der Mann zum Bewusstsein ihrer Persönlichkeit „erwacht“21 und habe sich bisher „in erster Linie nur als Mitglied einer Gemeinschaft [z. B. Familie; M.S.] fühlen“22 können, aber „nicht als Persönlichkeit“23. So habe sie sich „[i]n schweren Konflikten des Geistes, des Herzens, der Pflichten [ge]fragt […]: Wer bin ich? Was vermag ich? Was soll ich?“24 Aus dieser Sicht stellte die moderne Frauenbewegung – nach ihrer ethisch-psychologischen Seite hin – für Zetkin den „Ausdruck für das Ringen der Frau nach der Entfaltung und dem Ausleben der Persönlichkeit“25 dar. Wie sie es aber bereits in ihrem Artikel erläutert hatte, entwickelte die Frauenbewegung, indem sie dem Ideal des „Nur-Weibes“ das Ideal des „Nur-Menschen“ entgegenstellte, gar nur Karikaturen: „In vielen frauenrechtlerischen Erzeugnissen spukt als verherrlichter Typus der ‘neuen Frau’ ein groteskes, geschlechtsloses Geschöpf, eine auf zwei Beine ge- stellte unwahre Abstraktion ungeschlechtlicher Menschlichkeit, die ‘neue Eva’, die alles Weibliche als menschlich minderwertig und unwert verachtet, alle weiblichen Sonderaufgaben als erniedrigend zurückweist und einzig nach einem Ausleben als Nur-Mensch strebt.“26 Mangels weiblicher Vollmenschen im realen Leben hatte Zetkin hinsichtlich geeigneter Vorbilder sogar die Literatur untersucht, war aber nicht fündig geworden. Dem Typus dieser „neuen Frau“ am nächsten kamen ihrer Meinung nach nur die Frauendarstellungen in der russischen Literatur.27 Der „weibliche Vollmensch“ stellt wie kein anderes hier noch zu analysierendes Frauenleitbild die Synthese einer Vielzahl verschiedener Persönlichkeitsideale dar. Wie Zetkin bereits in ihrem Artikel postulierte, seien pflichtbewusste Mütter, Gattinnen und Bürgerinnen die Ergebnisse eines solchen Vollmenschentums. Sie beschrieb die Zusammenhänge und die der Gesellschaft erwachs- enden Vorteile, wenn aus diesen Frauen weibliche Vollmenschen würden: „Als Mensch wird sicherlich im allgemeinen mit voller, reifer Kraft, die Frau geben, die Liebesglück genossen hat, das Beste ihres Seins und Strebens, des Seins und Strebens eines geliebten Gatten in gesunden Kindern heranwachsen und über sich selbst hunauswachsen[sic] sieht. Als Weib wird die Frau das Höchste leisten, 21 Vgl. Zetkin, Der Student und das Weib, S. 17. 22 Ebd. 23 Ebd. 24 Ebd. 25 Ebd. Dennoch kommt Freier für die von Zetkin entwickelte und auf ähnlichen Argumenten gestützte „sozialis- tische Frauenemanzipationstheorie“ zu dem Ergebnis, sie entbehre den Gedanken der individuellen Emanzipation der Frau, womit Freier die Emanzipation der Frau als „selbständige Persönlichkeit“ meint (Freier, Dimensionen weiblichen Erlebens und Handelns, S. 155). 26 Zetkin, Der Student und das Weib, S. 17. 27 Ebd., S. 18. 318 4.1.1 ZUM FRAUENLEITBILD DES „WEIBLICHEN VOLLMENSCHEN“ die als voll erblühter Mensch auch im Leben außerhalb des Hauses daheim ist, kraftvoll entfaltetes Menschentum ihren Kindern als kostbarstes Erbteil zubringt, Familienkreise als belebende, vorwärts drängende Macht betätigt.“28 Der „weibliche Vollmensch“ zeichnet sich u. a. darin aus, dass er eine vorbildliche Gattin und Mutter ist und umgekehrt zeichnen sich vorbildliche Gattinnen und Mütter darin aus, dass sie das Vollmenschentum anstreben. Größtes Problem für diese Entwicklung und das Ausleben der Persönlichkeit eines weiblichen Vollmenschen waren die gegebenen sozialen und wirtschaftlichen Gesellschaftsverhältnisse. Noch waren diese weit davon entfernt, ideale Vorbedingungen dieser ersehnten Entwicklungen zu sein. Und doch mussten noch innerhalb der gegebenen Schranken der kapitalistischen Gesellschaft der Verwahrlosung des Proletariats entgegengearbeitet werden. Auch wenn Parteiführung und Partei- literatur dem Proletariat eine höhere Moral und Sittlichkeit, eine historische Mission gegen die Dekadenz der Bourgeoisie zuschrieb, konnten sie ihre Augen nicht vor der „Sklaverei, Unwissen- heit, Brutalisierung und moralische[n] Degradation auf seiten der Arbeiterklasse“29 verschließen. Die proletarische Frauenbewegung umso weniger, da „die Sklaverei, die Unwissenheit und die moralische Degradation, zu der die Frauen vom Kapital verdammt w[u]rden, […] geradezu ungeheuerlich und weit, weit furchtbarer noch als im Falle der männlichen Arbeiter“30 war. Die Bildung der Proletarierinnen war demnach ein besonders dringliches Problem. Dies zu lösen, war jedoch umso schwieriger, da ihre alltäglichen Pflichten neben der Arbeit im Haushalt, auch die Versorgung und Erziehung der Kinder umfassten. Nicht selten wurde darüber hinaus eine zusätzliche Erwerbstätigkeit notwendig, um das Familienauskommen zu sichern. Um diese Doppel- und Dreifachbelastung in ihrem Umfang richtig einschätzen zu können, muss man sich immer wieder vor Augen führen, dass der Hausfrau des 19. Jahrhunderts wenig „Haushalts- technik“ zur Verfügung stand und Kinderbetreuung nicht dem Rollenbild des Familienvaters entsprach. Und so war es die proletarische Frau, die noch weit mehr als der Mann unter dem grundsätzlichsten aller Probleme litt: Dem Mangel an Zeit. Ohne die notwendige Zeit blieb es dem gesamten Proletariat unmöglich, den „Geist zu bilden und teilzunehmen an allem, was Natur, Wissenschaft und Kunst Schönes und Großes bieten“31, sich also zur erwähnten „vollkommenen Persönlichkeit“ zu entwickeln. Zentrale Forderung von SPD und „Gleichheit“ musste deshalb die Arbeitszeitverkürzung, musste der „Achtstundentag“ sein: 28 Ebd. 29 Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin in Deutschland, S. 170. 30 Ebd., S. 170-171. 31 Baader, Ottilie: Acht Stunden! In: GL, 16/ 09/ 02.05.1906/ 58. Die jährlichen Aufrufe zum 1. Mai ähneln sich inhaltlich sehr stark und wurden ebenfalls des Öfteren von Baader verfasst. 319 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN „Gebt uns Zeit, uns zu bilden! Gebt uns Zeit, unseren Kindern zu leben! Gebt uns Zeit, mit zu genießen, was Natur und Kunst Herrliches bieten!“32 Wie enttäuschend jedoch für die Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung, wenn die Proletarierinnen anstatt die gewonnene Freizeit für Selbstbildung und der Erziehung ihrer Kinder zu nutzen, diese mit der Lektüre von sogenannter „Schundliteratur“ vergeudeten. Sie müssen es ähnlich schmerzhaft wie der Parteiführer Wilhelm Liebknecht empfunden haben, „daß die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können, noch lange nicht gleichbedeutend mit Bildung ist“33. Der Konflikt um die Doppelbelastung wurde von Zetkin nicht ignoriert. Jedoch sah sie den der proletarischen Frau durch die kapitalistische Gesellschaftsordnung aufgezwungenen „Konflikt zwischen Berufspflichten und Familienpflichten [als] unvermeidlich“34 an. „[S]tarke Frauen- individualitäten“35, die beidem gerecht werden könnten, seien die Ausnahme und bezahlten dies meist mit „einer vorzeitigen Hinopferung ihrer Kraft“36. Die Erwerbstätigkeit der Frau – idealerweise nicht nur als reiner Broterwerb, sondern auch als Berufung – sollte sie nicht zu einer „Nichts-als-Berufsarbeiterin“37 machen, sondern der Frau die „Welt erschließen“. Die Tätigkeit für die Familie, sollte sie nicht zur „Nichts-als-Hausfrau“ machen, sondern ebenfalls die Möglichkeiten bieten, sich auszuleben.38 Ein ausgeglichener und ausgleichender Aufgabenbereich der Frau würde, so die Meinung Zetkins, auch dem Mann den notwendigen Freiraum bieten, „als Mitarbeitender beim Ausbau des Heims und der Erziehung der Kinder neben der Frau zuwirken[sic]“39. Zetkin gestand sowohl ein, dass unter den gegebenen Umständen „ein harmonisches Ausleben als Vollmensch [für die] Mehrzahl der Frauen zur Un- möglichkeit“40 wurde, als auch, dass es selbst noch in der sozialistischen Gesellschaft ein „heißes Ringen und Kämpfen der Frau um Klarheit über die Grenze ihrer Betätigung in Heim und Welt“41 geben müsse. Vor allem aber galt es jetzt der Frau die Entwicklungs- und Bewegungsfreiheit zu 32 Wulff, Frida: Nur Zeit! In: GL, 18/ 09/ 27.04.1908/ 82. 33 Liebknecht, Wilhelm: Wissen ist Macht – Macht ist Wissen; Festrede, gehalten zum Stiftungsfest des Dresdener Arbeiterbildungsvereins am 5. Februar 1872. Zit. nach: Feidel-Mertz, Zur Geschichte der Arbeiterbildung, S. 61. 34 Zetkin, Der Student und das Weib, S. 22. 35 Ebd. 36 Ebd. 37 Ebd. 38 Ebd. 39 Zetkin, Der Student und das Weib, S. 24. Beispiel für einen männlichen Vollmenschen war laut der Charak teri- sierung H. Schröters (?-?) der SPD-Politiker und „Gleichheit“-Autor Wilhelm Blos. Anlässlich seines 70. Geburts- tages würdigte Schröter ihn als „Vollmenschen“, dessen „reiche[s], unermüdliche[s] Schaffen“ (Schröter, H.: Wilhelm Blos. In: GL, 29/ 33/ 04.10.1919/ 259-260, 260) jedoch gleichermaßen als ein Verdienst seiner Ehefrau Anna anzusehen sei. 40 Zetkin, Der Student und das Weib, S. 22. 41 Ebd., S. 25. 320 4.1.1 ZUM FRAUENLEITBILD DES „WEIBLICHEN VOLLMENSCHEN“ geben, die sie für ihr Vollmenschtum brauchte. Soziale Schranken galt es „zu schleifen“42, denn für Zetkin stand fest: „Jede ernste Frauenbewegung, muß […] soziale Kampfesbewegung sein.“43 Für die proletarischen Frauen konnte dies nur bedeuten, gemeinsam mit den Männern ihrer Klasse die Umwälzung der Gesellschaft anzustreben – ähnlich einer idealen proletarischen Ehe als „Lebens- und Strebensgemeinschaft“44. Nach Zetkins Meinung konnte davon ausgegangen werden, dass „[s]oweit die Arbeiterwelt klassenbewußt, geschichtlich denkt“45, sie die Frau nicht als Konkurrentin, sondern als „gleichwertige, gleichberechtigte Mitarbeiterin und Mitkämpferin auf allen Gebieten des sozialen Lebens“46 begrüße. Anders dagegen die Studenten und Akademiker, die „die bildungssehnsüchtige, nach tieferem, reicherem Lebensinhalt verlangende Frau“47 ausschließen würden und „sie als Verschrobene, wohl gar als moralisch Schiffbrüchige, als Pflichtvergessene“48 verachteten und verspotteten. Die vermeintlich studierten Männer konnten in der Entwicklung der Frau zum Vollmenschen keinen kulturellen und gesellschaftlichen Gewinn erkennen. Viel eher betonten sie das Fehlen historischer Belege für die These, dass Frauen zu den gewünschten Leistungen fähig sind. Zetkin zeigte die Kurzsichtigkeit dieses auch heute stets aufs Neue vorgebrachten Arguments auf: „Wie aber steht es mit der Kraft des ‘geschichtlichen Beweises’, daß das weibliche Geschlecht bis jetzt auf künstlerischem und wissenschaftlichem Gebiete nicht bahnbrechende Leistungen aufzeigen kann? Wer im Glashause sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen! Wie winzig ist nicht die Zahl der Männer, die im Reiche der Wissenschaft und Kunst Pfadfinder, Bahnbrecher, Präger neuer Werte gewesen sind! Hunderttausende, denen alle Kultur ihrer Zeit zugänglich war, sind nichts als Kärrner geblieben, die zu tun hatten, wo die Könige bauten. […] Die wenigsten der vielen Tausenden von jungen Männern, die alljährlich Universitäten, Kunstschulen etc. verlassen, bereichern durch ihr Wirken Kunst und Wissenschaft und dürfen dafür historische Bedeutung beanspruchen.“49 Wenn die Männerwelt von den ihnen zugestandenen Rechten nur den minimalsten Gebrauch machte, wie konnte man dann den Frauen, denen diese Rechte verweigert wurden, aus ihrer mangelnden Präsenz unter den vermeintlich Großen der Geschichte einen Vorwurf konstruieren.50 42 Ebd., S. 18. 43 Ebd. 44 Ebd., S. 27. 45 Ebd., S. 19. 46 Ebd. 47 Ebd. 48 Ebd. 49 Ebd., S. 20. 50 Von Zetkin unberücksichtigt blieb das Argument, dass die historische Forschung und ihre Erkenntnisse sowohl von einer bürgerlichen als auch von einer männlichen Perspektive dominiert wurden. Es sind nicht die Frauen, die keine Geschichte machen, es sind die Männer, die deren Anteil daran kaum dokumentieren. 321 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Zetkin verwies des Weiteren vor allem auf das noch unterdrückte Potential der proletarischen Frauen, wenn sie schrieb: „Ein historischer Schluß auf die geistige Befähigung der Frau kann erst gezogen werden, wenn unbeschränkte Bildungsmöglichkeiten für die Gesamtheit des weiblichen Geschlechts und nicht bloß für ‘höhere Töchter’ vorhanden ist; wenn in der Frauenwelt jede Begabung sich frei zu entfalten vermag und zwar entsprechend der weiblichen Eigenart und nicht als Abklatsch männlicher Art und Unart.“51 „Der Student und das Weib“ war kein feministisches Plädoyer, sondern eine sozialistische Streitschrift. Zetkin hatte Verständnis für die Belange der bürgerlichen Frauen, sah aber deren Interessen nicht als kongruent an mit denen der Proletarierinnen. Ohne Frage hatte Zetkin aber bereits eine besondere Entwicklung durchlaufen. Sie näherte sich in ihrer Diskussion um den weiblichen Vollmenschen der Position der bürgerliche Frauenbewegung wenigstens insoweit an, dass die Geschlechtsunterschiede nicht geleugnet werden könnten und dürften und dass es darum gehen müsse, „spezifisch weibliche Fähigkeiten im Interesse der Frau und der Gesellschaft“52 zu nutzen. Es waren aber dennoch sozialistische Interessen, die sie an den auch von der bürgerlichen Frauenbewegung benutzten Begriff des Vollmenschentums geknüpft sah: „Vollmenschentum für alle ist das Allerheiligste, das das kämpfende Proletariat in seinen politischen und wirtschaftlichen Schlachten in einfacher Bundeslade mit sich führt, und dem es erst nach den 40 Jahren seines Marsches durch die Wüste des Kapitalismus in der sozialistischen Gesellschaft einen würdigen Tempel zu erbauen vermag.“53 Das Proletariat war für Zetkin in Anlehnung an die Bibel auserwählt für eine historische kulturelle Mission. Es war die einzige quasi „kulturbewahrende“ Klasse, deren Mission sich gegen die kulturhemmende, „kunstfeindliche, ja kunstmörderische“54 Wirkung der proletarischen Lebens- bedingungen richtete. Es ging eben nicht nur um die Befriedigung materieller Bedürfnisse, sondern auch um die Entfaltung zum „Vollmenschen“: „Sie irren, die im proletarischen Klassenkampf nur das Begehren nach Füllung des Magens sehen. Dieses weltgeschichtliche Ringen geht um das ganze Kulturerbe der Menschheit, es geht um die Möglichkeit der Entfaltung und Betätigung vollen Menschentums für alle.“55 51 Ebd. 52 Hoeppel, Clara Zetkin: Erziehung zwischen Frauenemanzipation und Sozialismus, S. 84. 53 Zetkin, Der Student und das Weib, S. 29. 54 Zetkin, Klara: Kunst und Proletariat. In: GL, 21 (1911)/ „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 07/ 25. 55 Ebd. Die bürgerliche Klasse fürchtete, so Lerch, im Proletariat schlummernde kulturzerstörerische Kräfte: „Eine politische Rebellion dieser unreifen Masse, so befürchtete man, würde die Kultur aus Unkenntnis zerstören. Darum sei es notwendig, die Arbeiter frühzeitig an Bildung und Kultur teilhaben zu lassen.“ (Lerch, Kulturelle Sozialisation von Arbeitern im Kaiserreich, S. 259). Aus diesem zerstörerischen Potential hatte der Sozialismus nie einen Hehl gemacht, wollte man doch den bürgerlichen Staat nicht umwandeln, sondern vernichten. Die bürgerlichen Pädagogen, die Mitte des 19. Jahrhunderts Arbeitervereine gründeten, taten dies wohl auch, um bürgerliches Kulturgut vor einer Zerstörung zu bewahren, indem sie es den Proletariern näher brachten. 322 4.1.1 ZUM FRAUENLEITBILD DES „WEIBLICHEN VOLLMENSCHEN“ Es drückt sich hier schließlich der schwerwiegende und in modernen Forschungsarbeiten oft kritisierte Gegensatz von Anspruch und Realität sozialistischer Agitation aus. Der proletarischen Frau sollte besonders am Beispiel historischer Leitfiguren die Bedeutung der Frau für die Entwicklung menschlicher Kultur vermittelt werden und damit zugleich ein eigenes geschlechtsspezifisches Geschichtsbewusstsein. Welche in der „Gleichheit“ porträtierten histo- rischen Persönlichkeiten können aber nun im Sinne des Zetkin‘schen Artikels zu den Vorbildern für einen „weiblichen Vollmenschen“ gezählt werden? Abhängig von Duktus und inhaltlichen Schwerpunkten der biographischen Artikel wurde im Rahmen dieser Arbeit eine Gliederung vorgenommen. In den Biographien einiger Persönlichkeiten tritt eines der im „weiblichen Voll- menschen“ enthaltenen Leitbilder so stark hervor, dass sie einem der weiteren Kapitel zugeordnet wurden. In den folgenden Rekonstruktionen der „Gleichheit“-Artikel handelt es sich um Frauen, die den Proletarierinnen des 19. Jahrhunderts Leitbilder sein konnten, trotzdem sie nicht über ein ausgeprägtes Klassenbewusstsein verfügten oder aufopfernde Gattinnen und Mütter waren. Was sie alle jedoch auszeichnete, war ein warmes Herz, ein klarer Geist und ein starkes Wollen. Die Reihenfolge der folgenden biographischen Skizzen orientierte sich an der chronologischen Reihenfolge der jeweiligen Lebensdaten. Die Rekonstruktionen stützen sich in Schwerpunkt- setzung und Inhalt auf die im „Gleichheit“-Hauptblatt erschienenen Artikel und enthalten nur vereinzelt ergänzende Hintergrundinformationen. 323 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN 4.1.2 Gelehrte und kulturschaffende Frauen Biographische Skizzen zu Frauen der Antike, des Mittelalters oder der Frühen Neuzeit sind in der „Gleichheit“ selten. Ob diese Lücke dem Stand der zeitgenössischen Geschichtsforschung oder dem Mangel an geeigneten Leitfiguren in diesen Epochen zuzuschreiben ist, kann nicht endgültig beurteilt werden. Als eine frühe „Vorkämpferin der Frauenbewegung“56 wurde den „Gleichheit“-Leserinnen in einer kurzen Notiz u. a. Christine de Pisan (um 1364-um 1430) vorgestellt. Sie erfahren dort, dass Pisan früh heiratete und Mutter mehrerer Kinder war. Nach dem Tod ihres Ehemannes sei es ihr allein dank einer umfassenden Bildung möglich gewesen, sich und ihre Kinder mit ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin zu ernähren. Darüber hinaus setzte sich Pisan in ihrem Hauptwerk „Die Stadt und die Frauen“ (1404/05) für die gleiche Bildung von Mädchen und Jungen ein. Sie war dem- nach eine vorbildliche Persönlichkeit, weil sie ihr Wissen einsetzte, um auch für ihre Geschlechts- genossinnen eine adäquate Bildung einzufordern. Eine der wenigen in der „Gleichheit“ enthaltenen Biographien von Frauen der Frühen Neuzeit stellt die schottische Königin Maria Stuart (1542-1587) vor. Sie ist die einzige Königin, die im Hauptblatt der „Gleichheit“ porträtiert wurde. Es wird nun herauszustellen sein, welche Charak- tereigenschaften einer Königin der „Gleichheit“ für Arbeiterinnen als erstrebenswert galten. Wittich zog für seinen Artikel eine „‘auf dem Boden der neuesten Forschung stehende, vollkommen objektive, dabei populäre Biographie Mariens’“57 heran. In dieser wird die Tochter König Jakobs V. von Schottland und Enkelin Heinrichs VII. als die einzig rechtmäßige Anwärterin auf den englischen Thron erachtet. Aus reiner „Staatsklugheit“58 habe ihre Rivalin und Cousine, Königin Elisabeth I. (1533-1603), Stuart köpfen lassen. Eine Beurteilung und Vorwegnahme der Ereignisse, die bereits eine erste moralische Bewertung der Protagonistinnen impliziert. Es sei eine „protestantische ‘Geschichtsklitterung’“59, so Wittich weiter, die Stuart bisher als „verlorenes, verbuhltes Weib“60 dargestellt habe. Nach dieser Geschichtsverfälschung sei Stuart am Mord ihres zweiten Gatten Henry Stuart Darnley beteiligt gewesen und habe dann dessen Mörder James 56 Vgl. Eine Vorkämpferin der Frauenbewegung … In: GL, 08/ 03/ 02.02.1898/ 24. 57 Wittich, Manfred: Maria Stuart. Eine historische Skizze. In: GL, 05/ 07/ 03.04.1895/ 52. Diese Biographie wurde 1890 von dem norwegischen Historiker Gustav Storm veröffentlicht. 58 Ebd. 59 Ebd. 60 Ebd. Schiller habe die Rollen in seinem Stück umgedreht und sei dafür „von lutherischen Eiferern als geheimer Katholik denunzirt“ (ebd.) worden. Storm zeichnete auf Basis zeitgenössischer Quellen ein ähnliches Bild von Stuart wie Schiller es tat, ging aber weniger streng mit Elisabeth ins Gericht. 324 4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN Hepburn Bothwell geheiratet. In dieser Beurteilung sei sie eine Verschwörerin gewesen, die mit den katholischen Mächten paktierend der „jungfräulichen“ Elisabeth nach dem Leben getrachtet habe und somit rechtens geköpft worden sei.61 Diese konfessionell motivierte Geschichtsversion unterschlage jedoch die Intrigen des schottischen Adels und dessen tatsächliche Beweggründe für den Übertritt zum Protestantismus. Wittich ist der Auffassung, dass nicht Stuart, sondern der in- trigante illoyale schottische Adel eine Art „Kollektivmörder“62 gewesen sei. Stets habe noch jeder Adel, dessen Interessen durch einen König gefährdet waren, „rebellirt, frondirt[…] [und] opponirt“63. So sei es nicht verwunderlich, dass von den 107 Vorgängern Maria Stuarts auf dem schottischen Thron 56 eines gewaltsamen, teils heimtückischen Todes starben – Morde, die vom Adel initiiert gewesen seien. Wittich beschäftigte sich lange mit der Beschreibung der politischen und religiösen Situation im Schottland des 16. Jahrhunderts und des Verhältnisses von Katholiken und Protestanten. Ein besonderes Augenmerk richtete er dabei auf die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Echtheit der Beweise, die zu Stuarts Verurteilung geführt hatten. Das Niveau, auf dem er dies tut, ist m. E. für die durchschnittliche „Gleichheit“-Leserin viel zu hoch. Im Zusammenhang mit dem Frauenleitbild des „weiblichen Vollmenschen“ wird nun zu untersuchen sein, ob es sich mit seinen Beschreibungen zum Charakter Stuarts anders verhält. Die 1558 mit dem französischen Kronprinzen Franz II. vermählte Stuart, sei eine „kindlich- gläubige, begeistert fromme Katholikin“64 gewesen. Als Zwölfjährige habe sie „im besten ciceronischen Latein“65 eine Rede zum Thema „Die Begabung des weiblichen Geschlechts für Wissenschaft und Kunst“ verfasst. Nach Wittichs Meinung war Stuart selbst ein „lebender Beweis für diese These“66. Ihre Begabung für Sprachen umfasste neben Latein auch Schottisch, Englisch, Französisch und Italienisch. Als Regentin sei sie „gerecht und billig“67 gewesen, „leicht geneigt, erfahrene Unbill zu verzeihen“68, und anderen Religionen gegenüber sehr tolerant. Auch ihr Äußeres blieb nicht unerwähnt, denn ihre Schönheit sei „allgemein unbestritten […] und bekannt“ 69. Ihr Vetter Darnley, den sie nach dem Tode Franz II. 1560 heiratete, sei dagegen ein „Toffel und 61 Ebd. 62 Ebd. 63 Ebd., S. 53. 64 Ebd., S. 54. 65 Ebd. 66 Ebd. 67 Ebd. 68 Ebd. 69 Ebd. 325 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Egoist[…] in Folio“70 gewesen. Stuarts von ihren Feinden vorgeworfenes „Haupt- und wohl einzige[s] Verbrechen“71 war, so Wittich, „ihr Glaubensbekenntniß und ihr persönlicher Eifer für ihre Religion“72. Diese Aussage dürfte die Empathie all jener bekennenden Sozialistinnen gefunden haben, die selbst einmal ihres politischen Bekenntnisses wegen verfolgt wurden, und sie ist auch bemerkenswert hinsichtlich der propagandistischen Analogie von Sozialismus und Religion. Das mütterliche Mitgefühl der Leserinnen sprach Wittich nicht nur an, indem er die Gefahr erklärt, in der Stuarts Sohn und Thronerbe schwebte, weil Elisabeth ihn als Bedrohung ihres Anspruches erachtete. Dieses Mitgefühl wird noch dadurch gesteigert, dass im Laufe der Auseinandersetzung Stuart nicht nur sowohl von ihrem zweiten und auch dritten Ehemann verraten werden sollte, sondern schließlich auch von ihrem eigenen Sohn. In seiner manchmal auffällig überschwänglichen Verehrung für die schottische Königin wurde Wittich schließlich doch der antimonarchistischen Tendenz eines Sozialdemokraten gerecht und schrieb: „Wenn ein Volk monarchisch hypnotisiert ist, dann steht und fällt seine Sache mit der des Monarchen. Diese Hypnose ist der Menschheit schon recht theuer zu stehen gekommen, denn beim Streit der Großen müssen die Kleinen immer die Zeche zahlen. […] Und bei allem Edelsinn reichten die Fäden von der Königin Maria doch nicht bis zum Volke, zum wahren und eigentlichen Volke herab: ein sehr altes Unglück der Könige.“73 Die Tatsache, dass Wittichs Darstellung monarchistischer Herrschaft selbst an dieser Stelle noch eher Verständnis als Tyrannenverachtung aufwies, könnte vielleicht damit zusammenhängen, dass es das Leben einer Frau ist, welches er beschrieb. Obwohl Stuart schließlich zu Gunsten ihres Sohnes auf den schottischen Thron verzichtete, wurde sie von ihren Gegnern als zu gefährlich erachtet. Nach der Ermordung Darnleys wurde sie als Mit- schuldige in strenge Haft genommen. Statt ins katholische Frankreich zu fliehen, bat Stuart ihre Cousine Elisabeth um Schutz. Da Maria dieser aber als Spielball ihrer Feinde zu gefährlich erschien, war es kein Schutz, den sie ihr gewährte, sondern 18 Jahre Gefangenschaft. Aufgrund dieser Maßnahme gegen Stuart musste Elisabeth stets mit Attentaten und Komplotten rechnen. Erbarmungslos ging sie deshalb gegen die katholischen Adeligen Schottlands vor, um schließlich mittels erzwungener Geständnisse einen Vorwand für Stuarts Hinrichtung zu bekommen. So wurde nach Meinung Wittichs „[a]m 8. Februar 1587 […] der politisch-religiöse Justizmord an 70 Wittich, Manfred: Maria Stuart. Eine historische Skizze. (Fortsetzung.). In: GL, 05/ 08/ 17.04.1895/ 60. 71 Ebd., S. 61. 72 Ebd. 73 Vgl. Ebd., S. 62. 326 4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN einer der muthigsten, edelsten und schwerstgeprüften Frauen vollzogen“74. Maria Stuart repräsentiert hier einen Typus Frau, der trotz höherer Bildung und enormer Machtbefugnisse zum Opfer wird. Da es vor allem ihre allzu große Vertrauensseligkeit war, die ihrem Schicksal zum Verhängnis wurde, legte Wittich anhand ihres Beispiels den „Gleichheit“- Leserinnen nahe, noch vehementer als bisher ihre Interessen zu verfolgen und durchzusetzen. Es ist eine große Zahl hochgebildeter Frauen unter denjenigen, die in der „Gleichheit“ porträtiert wurden. Eine davon ist Maria Gaёtana d‘Agnesi (1718-1799). Sie war eine italienische Gelehrte, Tochter eines Mathematikprofessors der Universität Bologna, die das Glück hatte, in ihrem Vater einen engagierten Privatlehrer zu haben. Agnesi wurde nicht nur die beste Schülerin ihres Vaters, sondern nach dem frühen Tod ihrer Mutter auch dessen Forschungsgenossin und Kameradin. Bereits 18-jährig beherrschte sie verschiedene Sprachen und besaß große Kenntnisse in Philo- sophie und Mathematik. Jedoch erachtete Zetkin, die hier als Autorin zu vermuten ist, nicht nur die außergewöhnliche Bildung Agnesis als erwähnenswert, sondern auch ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit.75 Nach einer Erkrankung des Vaters wurde Agnesi überraschend Anwärterin auf dessen Lehrstuhl. Nachdem Papst Benedikt XIV. seine Erlaubnis erteilt hatte, begann sie mit der Ausbildung ihrer ersten Studenten. Einer von diesen verliebte sich in seine Lehrerin, verlangte aber von ihr, die wissenschaftliche Tätigkeit aufzugeben. Agnesi wies dieses Verlangen und zugleich auch seine Liebe zurück. Sie veröffentlichte ihr Werk „Analytische Institutionen“ (1748) und wurde ganz offiziell Professor der Mathematik an der Universität Bologna. Zetkin vermutete, dass ein verletzender Abschiedsbrief ihres Verehrers nicht unerheblichen Anteil daran hatte, dass Agnesi die Professur lediglich zwei Jahre bekleidete, um dann als Armen- und Krankenpflegerin in einem Hospiz zu arbeiten. Sie starb schließlich in dem Hospiz Trivulzio in Mailand. Maria Gaёtana d‘Agnesi galt Zetkin als Beweis für die „Höhen des Geistes, [die] das weibliche Geschlecht erklimmen“76 kann, wenn die Bedingungen entsprechend günstig sind. In diesem Sinne schloss Zetkin ihre biographische Darstellung mit der Anmerkung, dass ein richtiger Maßstab für Agnesis Charakterisierung erst gegeben sei, „wenn diese günstigen Entwicklungs- bedingungen nicht nur vereinzelten glücklichen Existenzen, vielmehr der gesammelten Frauenwelt geboten“77 würden. 74 Wittich, Manfred: Maria Stuart. Eine historische Skizze. (Schluß.). In: GL, 05/ 09/ 01.05.1895/ 70. 75 Vgl. Maria Gaëtana d‘Agnesi. In: GL, 02/ 09/ 04.05.1892/ 80. 76 Ebd. 77 Ebd. 327 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Grundlegend für jede höhere Bildung und damit für die Entwicklung zum „weiblichen Vollmenschen“ ist ein gewisses Maß an Bildungsdrang. Eine „lebendige Verkörperung des in den breiten Volksmassen schlummernden unbezwinglichen Bildungsdranges“78 war laut der mit L. W.- K. zeichnenden Verfasserin79 des Artikels die Dichterin Anna Louisa Karschin (1722-1791). Es war ihr Bildungsdrang, der trotz aller Hindernisse aus einer armen Magd, einer Hirtin und Proletarierfrau eine anerkannte Dichterin werden ließ. Karschin verlor früh ihren Vater und da ihre Mutter ihre künstlerischen Ambitionen missbilligte, sei es ein Onkel – ein Justizamtmann – gewesen, der sie in Lesen, Schreiben, Geographie und Geschichte unterrichtet habe. Ihre Mutter habe jedoch nicht gewollt, dass ihr Onkel sie „statt zu einer tüchtigen Hausfrau zu einer ‘nichtsnutzigen Gelehrtin’“80 mache. Auch wenn Karschin daraufhin als Hirtin arbeiten musste, bot sich ihr damit doch zugleich die Gelegenheit für ein intensives Naturerleben und das Lesen von Büchern. Im Alter von 15 Jahren arbeitete sie als Kinderwärterin und Magd, bevor sie 17- jährig schließlich den Tuchweber Hirsekorn heiratete. Dieser sei jedoch nicht nur geizig gewesen, sondern habe ihr zudem das Lesen und Schreiben verboten. Nach zwei Jahren wurde diese sehr unglückliche Ehe auf seinen Wunsch hin – damals wäre es anders ohnehin nicht möglich gewesen – geschieden. Als Gelegenheitsdichterin zog die Mutter von drei Kindern umher. Ein viertes Kind gebar sie nach der Heirat mit dem Schneider Karschin, einem Müßiggänger und Trinker, den sie weder aus Liebe noch des „Versorgtseins“ wegen geheiratet haben dürfte, denn sie schrieb folgenden kleinen Vers: “‘Vier Kinder um mich her und neben mir ein Gatte, Der keine Gram um Brot und keine Pflichten hatte, Als über mich ein Herr zu sein! Die Sorgen blieben alle mein.’“81 Es ist der Alltag und die Sorge vieler Proletarierinnen, die Karschin hier in Reime zu fassen verstand. Diese Leidensgenossenschaft, „das Mitgefühl für fremde Leiden, das aus manchen ihrer Gedichte[…] spricht“, so L. W.-K., kennzeichne Karschin als „echte Proletarierin“82. Karschins Aufstieg zur „deutschen Sappho“83 begann mit ihrem Umzug in den Kasernenstütz- 78 L. W.-K.: Anna Louisa Karschin. In: GL, 02/ 05/ 07.03.1892/ 48. 79 Es gelang leider nicht, die Initialen L. W.-K. zu entschlüsseln. Der Doppelname deutet jedoch auf einen weib- lichen Autor hin. 80 L. W.-K.: Anna Louisa Karschin. In: GL, 02/ 04/ 22.02.1892/ 39. 81 L. W.-K.: Anna Louisa Karschin. In: GL, 02/ 05/ 07.03.1892/ 48. 82 Ebd. 83 Ebd. Sappho (um 600 v. u.Z.) war eine Lyrikerin der griechischen Antike, die großen Einfluss auf die Dichtkunst ihrer Zeit hatte. 328 4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN punkt Glogau 1755. Hier fand sie einen Gönner, den sie 1761 nach Berlin begleitete. Ihr erster Gedichtband wurde veröffentlicht, und 1763 kam es in Sanssouci sogar zu einer persönlichen Begegnung mit Friedrich II., den sie sehr bewunderte. Der preußische König sagte ihr sogar finanzielle Hilfe zu, sandte dann allerdings lediglich zwei Taler, die Karschin mit einem gewagten Spottvers zurückgeschickt haben soll. 1783 abermals in große finanzielle Not geraten, wandte sie sich erneut an Friedrich II. und nahm die ihr dieses Mal angebotenen drei Taler dankbar an. Der Nachfolger Friedrichs II. war später sogar so großzügig, der Dichterin ein Haus zu bauen. Im Mittelpunkt der Biographie der Anna Louisa Karschin stand neben dem großen „Bildungs- drang“ die Bescheidenheit, Einfachheit und Wahrhaftigkeit ihres Charakters. Trotz Ruhm und Ansehen habe sie diese genauso bewahrt wie auch ihre große Menschenliebe und ihren großen Mut. War sie auch keine Vorkämpferin für die Rechte der Frau, so stehe ihre Person laut L. W.-K. doch für eine weibliche Kultur. Dies umso mehr, da sich ihre Werke mit denen männlicher Zeitgenossen messen könnten.84 Nicht wenige Frauen der SPD eiferten dem poetischen Beispiel Karschins nach und warben auch als Dichterinnen für den Sozialismus.85 L. W.-K., die im ersten Erscheinungsjahr der „Gleichheit“ eine rege Mitarbeiterin war, stellte erneut das Leben einer kulturschaffenden Frau in den Mittelpunkt eines Artikels und porträtierte Dorothea Schlözer (1770-1825). „Doktor Dorothea Schlözer“86 – so der Titel des Artikels und der akademische Grad Schlözers – hatte wie Agnesi das Glück, die Tochter eines Gelehrten zu sein. Ihr Vater August Ludwig von Schlözer war Universitätsprofessor für Philosophie in Göttingen. Die Tatsache, dass bereits Dorothea Schlözers Mutter eine ehemalige Schülerin des Professors gewesen war, lässt vermuten, dass diesem sehr an einer höheren Bildung auch seiner weiblichen Familienmitglieder gelegen war. Wie ein Junge erzogen und aufgewachsen, konnte Schlözer im Alter von vier Jahren bereits lesen und schreiben und studierte später neben verschiedenen Sprachen auch Mathematik, Physik und Geschichte. Obwohl von vielen wegen ihrer Natürlich- keit, Liebenswürdigkeit, Lebhaftigkeit und ihres Witzes bewundert, habe sie keinerlei „Gefall- sucht“87 gezeigt, sondern sei natürlich und bescheiden geblieben. 1787 bewog der befreundete Professor Johann David Michaelis die erst 17 Jahre alte Schlözer, die Doktorprüfung für Philoso- phie abzulegen. L. W.-K. erklärte den „Gleichheit“-Leserinnen, die über diese rasche und 84 Vgl. L. W.-K.: Anna Louisa Karschin. In: GL, 02/ 04/ 22.02.1892/ 39. 85 Zum Beispiel Henriette Fürth (1861-1936), Clara Bohm-Schuch (1879-1936) und vor allem Klara Müller-Jahnke (1861-1904), die noch näher vorgestellt werden. Beispiele ihrer Dichtkunst sind im Anhang enthalten. 86 L. W.-K.: Doktor Dorothea Schlözer. In: GL, 02/ 03/ 16.11.1892/ 191-192. 87 Ebd., S. 191. 329 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN scheinbar problemlose Karriere einer Frau sehr erstaunt gewesen sein dürften, dass die Kon- kurrenzfurcht gelehrter Männer damals noch nicht so ausgeprägt gewesen sei. Gleichzeitig kon- statierte sie aber, dass auch zu jener Zeit eine wissenschaftliche Qualifikation oder auch andere Beweise für die gleichwertigen Leistungen einer Frau grundsätzlich nichts an den Vorurteilen gegenüber Frauen geändert hätten: „Der deutsche Durchschnittsbürger ist nicht aus Fortschrittshausen“88. 1790 lernte die 20-jährige Schlözer auf einer Reise nach Hamburg und Lübeck Senator Matthäus Rodde – 36 Jahre alt, Witwer und Vater dreier Kinder – kennen. Sie heiratete ihn und sie bekamen noch drei gemeinsame Kinder. Trotz eines beträchtlichen Vermögens sei Schlözer „anspruchslos und einfach“89 geblieben und habe sich stets wohltätig gezeigt. Schlözer sei ihrem Gatten eine unentbehrliche Stütze gewesen, besonders nachdem die Familie selbst in finanzielle Not geriet. „Ganz besondere Sorgfalt“, so L. W.-K., „verwendete sie auf die Erziehung ihrer Kinder und fand volle Befriedigung in dieser Thätigkeit“90. Dies ist m. E. eine geschickte Umschreibung dafür, dass Schlözer seit ihrer Heirat anscheinend keinerlei wissenschaftliche Studien mehr betrieb. Zudem erklärte L. W.-K. mit Schlözers besonderer Hingabe an die Mutterrolle die besondere Schwere, mit der sie vom Tod zweier ihrer Kinder getroffen wurde. Doktor Dorothea Schlözer starb 1825 auf dem Rückweg von einer Reise nach Südfrankreich. Abschließend und in großer Übereinstimmung mit dem Leitbild des „weiblichen Vollmenschen“ ist L. W.-K. der Meinung, dass Schlözer „sich nicht durch Werke der Wissenschaft unsterblich gemacht [hat], allein das Vermächtnis ihres Lebens ist vielleicht ebenso werthvoll, wenn nicht werthvoller, wie mancher dickleibige Band voll zopfiger, todter Gelehrsamkeit“91. So konnte die Person Schlözers den „Gleichheit“-Leserinnen ein Beispiel für einen „Charakter stiller Größe, edler Lebensführung und treuer Pflichterfüllung“92 geben und widerlegte zugleich die Behauptung, dass „Verstandesthätigkeit […] das Herz der Frau arm“93, sie also weniger weib- lich werden lasse. Ähnlich wie Dorothea Schlözer war auch Karoline Schlegel-Schelling (1763-1809)94 sowohl 88 Ebd. 89 Ebd. 90 Ebd., S. 191-192. 91 Ebd., S. 192. 92 Ebd. 93 Ebd. 94 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts. V. Karoline. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 227-229; GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 235-237; GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 243-245. Anna Blos war zu diesem Zeitpunkt bereits 330 4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN Kulturschaffende als auch aufopfernde Mutter und Ehefrau. Geboren als Karoline Dorothee Albertine Michaelis hatte auch sie das Glück als Tochter eines Universitätsprofessors eine besondere Bildung genießen zu können. Ihr Vater war Johann David Michaelis – eben jener Pro- fessor, der Dorothea Schlözer zur Doktorprüfung geraten hatte. Schlegel-Schellings weiterer Lebensweg fiel jedoch, so die Meinung Blos‘, vollkommen „aus dem Rahmen der Alltäglich- keit“95, denn sie entwickelte sich zu einer „Individualität, die es wagte, ihr eigenes Leben leben zu wollen, ihrer Natur und Veranlagung zu folgen“96. Diese ihre Natur sei vor allem geprägt von der Romantik als deren „echtes Kind“97 sie aufwuchs. Bereits im Alter von fünfzehn Jahren korrespondierte die in der Universitätsstadt Göttingen ge- borene Schlegel-Schelling mit ihren Freundinnen98 in gutem Französisch über bevorzugt geistige Themen. Die sprachbegabte, schöne und temperamentvolle Schlegel-Schelling habe sich von ihrer Familie allerdings weder geliebt noch verstanden gefühlt und schließlich in der Heirat mit Dr. Jo- hann Franz Wilhelm Böhmer – einem Freund ihres Bruders – die Gelegenheit gesehen, aus der Enge Göttingens zu entfliehen. Aber auch die vielen Bücher, die man ihr nach ihren bittenden Briefen schickte, konnten ihr das Leben in dem ebenfalls überschaubaren Klaustal (dem heutigen Clausthal-Zellerfeld) im Harz nicht erträglicher gestalten. Dennoch sei sie in jener Zeit ihrer Familie eine „pflichtgetreue Hausfrau“ und vor allem ihren Kindern eine „vorzügliche Mutter“99 gewesen. Böhmer starb bereits nach vier gemeinsamen Jahren, und Schlegel-Schelling kehrte nach Göttingen zurück. Hier machte sie zwar die Bekanntschaft mit ihrem späteren Ehemann Wilhelm Schlegel, jedoch entschloss sie sich 1792 – nach dem Tod ihrer jüngeren Tochter Therese – zu einer Übersiedlung in das französisch besetzte Mainz, um der Reichstagsabgeordnete, was die „Gleichheit“ mit dem Kürzel „M.d.R.“ hinter ihrem Namen kund tat. Bereits 1916 hatte Blos eine Artikelserie zum Leben Schlegel-Schellings für die Beilage „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ verfasst (Blos, Anna: Karoline Schlegel-Schelling. Ein Lebensbild aus Deutschlands klassischer Zeit. In: GL, 26 (1916)/ „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 02/ 5-7; 03/ 9-10; 04/ 13-14). Aus dem Vergleich beider Artikelserien ergeben sich mehrere auffällige Unterschiede. So beginnt der in der Beilage „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ veröffentlichte Artikel mit der anrührenden Grabinschrift, die Friedrich W. J. Schelling – der letzte einer Reihe Ehemänner – für Karoline abgefasst hatte, und hält sich dann auch lange daran auf, dessen Person und Werk zu beschreiben. 95 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts. V. Karoline. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 227. 96 Blos, Anna: Karoline Schlegel-Schelling. Ein Lebensbild aus Deutschlands klassischer Zeit. In: GL, 26 (1916)/ „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 02/ 5. 97 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts. V. Karoline. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 227. 98 Eine ihrer besten Freundinnen, aber auch Rivalinnen sei Therese Heyne (1764-1829) gewesen. Diese später als Therese Huber bekannt gewordene Schriftstellerin und Redakteurin habe den Klatsch über Schlegel-Schelling sehr gefördert. 99 Ebd., S. 228. 331 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN „Bewegung der französischen Revolution näher zu sein, deren erste Kunde sie im Gegensatz zu vielen Frauen nicht mit Entsetzen erfüllt[…]“100 habe. Von Entsetzen konnte laut Blos keine Rede sein, wenn Schlegel-Schelling „sich keck das Jakobinermützchen auf die Locken“101 setzte und „in schwärmerischer Begeisterung um den Freiheitsbaum“102 tanzte. Ein Verhalten, das ihr viel Spott eintrug – u. a. auch von großen Denkern wie Goethe und Schiller. In ein besonders schlechtes Licht setzte Schlegel-Schelling der Klatsch über ihren vermeintlich schlechten Einfluss auf eine Freundin, welche ihren Ehemann wegen eines anderen Mannes verlassen hatte. Nachdem 1793 preußische Truppen Mainz zurückerobert hatten, wurde Schlegel-Schelling als Geisel in der Festung Königstein inhaftiert. Sie selbst habe dort große Entbehrungen hinnehmen müssen und sei zudem Zeugin der Misshandlungen anderer Gefangener geworden. Endlich freigelassen, widmete sie sich umso mehr der Erziehung ihrer Tochter, „suchte ihren wie den eigenen Geist zu bilden“103 und hielt an ihrer „Schwärmerei für die Republikaner […][und] ihrer Neigung für die Freiheitskämpfe“104 trotz aller Anfeindungen fest. Schlegel, der sich als einer der wenigen Freunde nie von ihr abgewandt hatte und bereits seit Längerem in sie verliebt war, machte ihr einen Heiratsantrag. Diesen nahm Schlegel-Schelling an, obwohl, so Blos, Schlegel nicht „[d]er wahre Gefährte ihres Herzens und Geistes“105 gewesen sei. Nach Blos‘ Meinung waren es ihre „Heimat- und Schutzlosigkeit“106, die „Furcht vor dem Alleinsein und vor dem Kampfe des Lebens“107, die Schlegel-Schelling zu diesem Entschluss getrieben hätten. Mit dieser Heirat sei sie „zum ersten und einzigen Male ihrer Natur untreu“108 geworden und habe unbewusst ihr „ganzes Selbst auf das Spiel“109 gesetzt. Das Haus Schlegels wurde zum Mittelpunkt eines literarischen Kreises. Die Literaten, die sich um die Brüder Wilhelm und Friedrich Schlegel als den Herausgebern der Zeitschrift „Athenäum“ (1798-1800) gruppierten, verehrten Karoline Schlegel-Schelling, so Blos, als ihre „Hohe- 100 Ebd. 101 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts. V. Karoline. In: GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 235. 102 Ebd. 103 Ebd., S. 236. 104 Ebd. 105 Ebd. 106 Ebd. 107 Ebd., S. 237. 108 Ebd., S. 236. 109 Ebd., S. 237. 332 4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN priesterin“110. Es sei ihr „lebhafter Geist“111 gewesen, der „aus jedem das Beste herauszuholen, anzuregen, zu kritisieren und die richtige Form zu finden“112, aber auch zu tadeln vermochte. Auch Schlegel-Schelling selbst war literarisch tätig. Einerseits unterstützte sie ihren Ehemann bei der Übersetzung der Shakespeareschen Dramen, andererseits verfasste sie eigene Schriften, die sie je- doch unter dem Namen ihres Mannes veröffentlichen ließ. Außerdem habe sie mit „scharfem, oft rücksichtslos beobachtendem Geist“113 Kritiken über Theateraufführungen verfasst. Diese Arbeiten waren es, über die sie die Bekanntschaft mit Friedrich Wilhelm Joseph Schelling machte, der sich fortan um ihre Tochter Auguste bemühte. Bereits damals fühlte sich aber auch Schlegel- Schelling selbst zu diesem Mann hingezogen. Als dann Auguste im August 1800 starb, und mit ihr das letzte „Verbindungsglied zwischen Schlegel und Karoline“114 verloren gegangen war, entfernten sich die Eheleute immer mehr voneinander und beschlossen schließlich gemeinsam die Scheidung ihrer Ehe. Schlegel-Schelling sollte aber weiterhin ein sehr freundschaftliches Verhältnis zu ihrem geschiedenen Partner haben. 1803 heiratete sie Schelling und eine sehr glückliche Ehezeit begann, in der Schlegel-Schelling die „Entfaltung ihrer ganzen anmuthreichen Persönlichkeit“115 erlebt habe. Das Paar zog erst nach Würzburg und dann nach München, da Schelling von den ansässigen Universitäten jeweils einen Ruf erhalten hatte. Auf einer Reise zu Schellings Eltern ins württembergische Maulbronn erkrankte 1809 Schlegel-Schelling an einem mit Ruhr verbundenen Nervenfieber. „Mitten im höchsten Glück, umgeben von Menschen, die sie auf Händen trugen“116, so Blos, sei sie in den Armen ihres Mannes gestorben. Blos bezeichnete am Ende ihres Artikels Schlegel-Schelling als eine Frau, „die sich durchzusetzen und hinwegzusetzen verstand gegen alle Vorurteile und Kleinlichkeit. Ihr ganzes Leben war ein Kampf, eine Tat, deren Saat nicht verloren- ging. Sie gehörte zu den Menschen, die immer nur strebend sich bemühen, selbst etwas zu sein und durch ihr Leben der Gesamtheit zu nützen. In diesem Sinne sollte ihre Art in uns allen weiterleben.“117 Schlegel-Schelling war ein „weiblicher Vollmensch“ und den Proletarierinnen vor allem deshalb ein Vorbild, weil sie den Kampf um persönliche Bildung mit dem Kampf für eine Sache verbun- 110 Ebd., S. 236. 111 Ebd., S. 237. 112 Ebd. 113 Ebd. 114 Ebd. 115 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts. V. Karoline. In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 244. 116 Ebd., S. 245. 117 Ebd. 333 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN den hatte. Zwar kämpfte sie „nicht mit Wort und Schrift“118, aber sie habe den „Kampf um Recht und Geltung des Weibes als Persönlichkeit“119 gekämpft, indem sie ihr unangepasstes Leben lebte: „Karoline, die vielfach Reizende, die vielfach Geschmähte, fiel aus dem Rahmen der Alltäglichkeit. Sie lebte in einer Zeit und einem Kreis, in dem das Ideal die Durchschnittsform war. Sie ragte aber weit über den Durchschnitt hinaus, darum gab sie Aergernis.“120 Schlegel-Schelling war ein „weiblicher Vollmensch“, weil sie „den hohen Mut, den Mut zur Freiheit der Persönlichkeit“121 besaß. Blos forderte die „Gleichheit“-Leserinnen auf, diesem Vor- bild nachzueifern, „wohin auch das Schicksal“122 sie stellen würde. Diesem Vorbild zur Ehre trugen Blos und andere württembergische Sozialdemokratinnen Sorge dafür, dass der Grabstein Schlegel-Schellings, der bereits arg verwitterte, wiederhergestellt wurde.123 Karoline von Humboldt (1766-1829) war eine von jenen Frauen, die als besondere Persönlichkeiten, so Blos, „von den bedeutendsten Männern ihrer Zeit“124 „hoch geschätzt“125 wurden. Diese Verehrung habe aber in diesen Frauen nie den Ehrgeiz geweckt, „den Männern gleich zu sein“126, vielmehr hätten sie „ihre spezifische weibliche Note zum Ausdruck […] bringen“127 wollen. So auch Humboldt, die man die „klassische deutsche Frau“128 genannt habe – „klassisch“, weil sie ihr „Wesen, Wollen und Wirken in seltener Harmonie“129 vereinte – „deutsch“, weil ihre Ideale ohne jeden radikalen Nationalismus im Deutschtum wurzelten.130 Humboldt verlor sehr früh ihre Mutter. Die Kindheit des „temperamentvolle[n] wissensdurstige[n] Mädchen[s]“131, so Blos, verlief hauptsächlich in der Abgeschiedenheit des väterlichen Gutes. Bücher wurden ihre besten Freunde – vor allem die Werke Rousseaus. Dieses literarische Inter- esse ergab in Form eines regen Briefwechsels den ersten Kontakt zu ihrem späteren Ehemann 118 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts. V. Karoline. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 227. 119 Ebd. 120 Ebd. 121 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts. V. Karoline. In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 245. 122 Ebd. 123 Vgl. ebd. 124 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts. Karoline v. Humboldt, geb. v. Dachröden. In: GL, 31/ 12/ 15.06.1921/ 116. 125 Ebd. 126 Ebd. 127 Ebd. 128 Ebd. 129 Ebd. 130 Vgl. ebd. 131 Ebd. 334 4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN Wilhelm von Humboldt. Es folgte ein persönliches Treffen und nach der Verlobung schließlich die Heirat. Das Paar habe ein – auch von materiellen Sorgen verschontes – sehr glückliches Eheleben geführt. Humboldt begleitete ihren Ehemann auf seinen Reisen durch Spanien, Frankreich und Italien, und bald sei zu diesem „reichen inneren und äußeren Erleben […] das größte Erleben im Dasein der Frau, die Mutterschaft“132 hinzugekommen. Laut Blos verfolgte Humboldt die interessante Erziehungsmaxime, dass „niemand […] ihr Haus betreten [dürfe], von dem die Kinder nichts Gutes lernen könn[t]en“133. Ausgefallene Grundsätze hatte Humboldt auch hin- sichtlich ihrer Ehe. Sie, die selbst über den Geist eines Gelehrten verbunden mit einer besonderen Herzensgüte verfügt habe, war die Ehefrau eines Gelehrten, aber auch eine starke Persönlichkeit. Sie sei eine zu „starke Persönlichkeit [gewesen], als daß sie ohne schwere Konflikte sich ohne weiteres in die Beschränkungen, die jede, auch die glücklichste Ehe mit sich bringt, gefunden hätte“134. So erfuhren die „Gleichheit“-Leserinnen, dass Karoline Humboldt „zwei große Leidenschaften erlebte“135, demnach also Liebhaber hatte. Nie aber habe ihr Ehemann „kleinliche[…] Eifersucht“ gezeigt oder den Gekränkten gespielt,136 denn er habe gewusst, dass er sie verlieren würde, wenn er Zwang ausübe, um sie zu halten. Dies gab Blos die Gelegenheit, allgemein zum Charakter der Ehe zu konstatieren: „Jeder Mensch, der heiratet, muß ein Stück von sich selbst aufgeben und es kommt dann wohl ganz darauf an, was er dafür eintauscht, ob er für dieses Verzichten, dieses Aufgeben etwas, das liebevolle Verständnis, die Achtung vor dem Persön- lichkeitswert, der Persönlichkeitsfreiheit findet, die beide Gatten, Mann wie Frau, fordern müssen, wenn die Ehe glücklich werden soll.“137 Blos plädierte hiermit für eine sehr tolerante Auffassung von Ehe, die nichts mit der althergebrachten Unterordnung der Frau zu tun hat, sondern deren individuelle Persönlichkeit und Bedürfnisse berücksichtigt wissen will. Die Ehe der Humboldts erschien auch ihrer Umgebung als vorbildlich und der Publizist Karl August Varnhagen von Ense war laut Blos der Meinung, dass niemand „‘mit größerer Grazie […] verheiratet’“138 gewesen sei – „‘völlige gegenseitige Freiheit gebend und nehmend’“139. 132 Ebd., S. 117. 133 Ebd. 134 Ebd. 135 Ebd. 136 Ebd., S. 126. 137 Ebd., S. 125-126. 138 Karl August Varnhagen von Ense zit. nach: Ebd., S. 126 139 Ebd. 335 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Humboldt verlor zwei ihrer Kinder, und als dann ihr 16-jähriger Sohn in den Krieg gegen die napoleonischen Truppen zog, habe sie sich „mehr und mehr zur Staatsbürgerin [entwickelt], deren Ideale sich in den Begriffen Volk, Heimat, Staat zusammenfassen“140 ließen. Gerne hätte sie Anteil am Kriegsgeschehen gehabt, doch habe es „die Natur […] wunderbar im Weibe gemacht, so be- schränkte Kräfte und so unbeschränkte Wünsche“141. Zu diesem Zeitpunkt – 1814 – hielt sich Humboldt, die Blos als „Seele des Hauses, die alles belebende und beglückende Sonne“142 bezeichnete, in Wien auf. Während die Familie ein Haus in Rom bezogen hatte, erfreuten sich viele Künstler der Gast- freundschaft Humboldts. Ihre Gestalt wie auch die ihrer Töchter waren Anregung vieler plastischer Werke. Schließlich zog sich Humboldt „aus der Welt des Scheins in die Welt des Seins“143 zurück, indem sie mit ihrer Familie in das Schloss Tegel umzog. Dort konnte sie sich dem „innigsten Familien- leben widmen“144. Hier starb Humboldt 1829, „heiter und gefaßt“145. Ihr Vorbild war Blos „gerade in diesen Tagen, da Deutschland seine schwersten Stunden durchkämpft“146, in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg besonders wertvoll. Es stand ihr für die Zuversicht, „‘daß nur das Gute siegt und daß kein reines schönes Gefühl in dem Menschen, der es ernst mit sich meint und Eitelkeit und Selbstsucht in sich niederkämpft, verloren geht’“147. Es wirkt zuerst wenig charmant, wenn Freiherr Karl Gustav von Brinkmann in einem Kondolenz- schreiben an den Witwer Karl August Varnhagen von Ense die herausragenden Eigenschaften der Verstorbenen Rahel Levin (1771-1833) wie folgt umschrieb: „Ihr dem anspruchslosen Bürgermädchen ohne glänzende Verbindungen, ohne den allgültigen Freibr ief der Schönheit und ohne bedeutendes Vermögen, ge- lang es allmählich einen Gesellschaftskreis um sich zu versammeln, der ohne allen Vergleich der anziehendste und geistreichste war in ganz Berlin.“148 Brinkmann verdeutlichte die eigentlichen Voraussetzungen, die eine Frau mitbringen musste, um 140 Ebd. 141 Ebd. 142 Ebd. 143 Ebd., S. 127. 144 Ebd. 145 Ebd. 146 Ebd. 147 Ebd. 148 Karl Gustav von Brinkmann in einem Brief an Karl August Varnhagen von Ense. Zit. nach: Blos, Anna: Frauen- gestalten des 19. Jahrhunderts III: Rahel Levin. In: GL, 29/ 36/ 25.10.1919/ 283. 336 4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN Erfolg in der besseren Gesellschaft des 19. Jahrhunderts zu haben: Entsprechende familiäre Herkunft, gutes Aussehen und Vermögen. Levin besaß nahezu nichts davon. Doch nicht nur deshalb war sie eine bemerkenswerte Ausnahme. Sie war die Tochter eines reichen jüdischen Kaufmannes. Angesichts des vorherrschenden Antisemitismus konnte es ihr demnach keineswegs vorbestimmt gewesen sein, die „Freundin aller großen Geister jener Zeit“149 zu werden. Auch ihr Übertritt zum Christentum und ihr neuer offizieller Name Friederike Robert konnten ihr die deprimierende Erfahrung nicht ersparen, dass sie nicht nur für ihre Freunde weiterhin „Rahel“ blieb. Auch für die „vornehmen Herren, die ihr huldigten“,so Blos, war sie „doch nur die ‘Jüdin’ […], mit der man sich wohl amüsierte, die man aber als unebenbürtig nicht ernst nahm“150. Weiter ging Blos jedoch nicht auf die Benachteiligung jüdischer Menschen im Deutschland des 19. Jahrhundert ein. Da Levins Mutter oft leidend war, übernahm sie schon früh die Rolle der Hausherrin, die die Gäste mit ihrem Klavierspiel und interessanten Gesprächen unterhielt. In diesen Gesprächen habe sie „ein tiefes Verständnis für die Leiden der ganzen Menschheit“151 gezeigt. Levin habe die große empathische Gabe besessen, mitzuleiden und sich mitzufreuen. Aus dieser lasse sich der „große Zauber“152 erklären, den ihre „magische Gestalt“153 ausübte. Auch habe sie gewusst, wann es ratsam war, zu schweigen und „Wahrheit erschien ihr die höchste Tugend“154. Levin war im Gegensatz zu den erwähnten „vornehmen Herren“ mit keinem Standesdünkel be- haftet. „Ihr brennender Durst nach Kenntnis der Menschheit durch die Menschen“, so Blos, habe es ihr unmöglich gemacht, eine „Grenzlinie zwischen Adel und Bürgerlichkeit im geistigen Sinne“ 155 zu ziehen. Stattdessen habe Levin „als höchstes Ideal die bürgerliche Gleichberechtigung aller Stände und Konfessionen, edle Geisterfreiheit und wahre Herzensbildung vor[geschwebt]“156. Im Kampf für diese Ideale fand sie einen Gefährten in Varnhagen von Ense und heiratete ihn 1814. In Briefen an ihn erörterte Levin die Institution Ehe und die Situation des weiblichen Geschlechts. Selbst glücklich verheiratet, forderte sie die „völlige Freiheit der Persönlichkeit für die Frau, auch in der Ehe“157. Angesichts der geächteten Situation unehelicher Mütter forderte sie sogar, dass 149 Ebd. 150 Ebd. 151 Ebd. 152 Ebd., S. 284. 153 Ebd. 154 Ebd. 155 Ebd. 156 Ebd., S. 285. 157 Ebd. 337 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Kinder nur Mütter haben und deren Namen tragen sollten. Die Mütter wiederum sollten in der Familie das Vermögen und die Macht innehaben.158 Levin scheint sich demnach in ähnlicher Weise wie August Bebel mit dem Naturrecht und dem Matriarchat auseinander gesetzt zu haben. Auch diese Briefe Levins wurden innerhalb einer Sammlung des gesamten ehelichen Brief- wechsels veröffentlicht und erzielten, so Blos, eine „sensationelle Wirkung“159. Jedoch sei Levin weit davon entfernt gewesen, aus diesem Erfolg eine schriftstellerische Karriere zu entwickeln. Sie habe „sich lieber mit Menschen ab[gegeben] als mit Büchern, die freilich leichter und bequemer zu lesen sind und deshalb den Geist nachlässig und träge machen“160. Levin sei zwar so konsequent gewesen, die von ihr verfasste Philosophie auch zu leben und entsprechend zu wirken, aber sie habe dies nur in dem vermeintlichen „‘Kreise ihrer Pflichten’“161, im ehelichen Haushalt getan. So das Urteil Jenny von Gustedts (1811-1890), der Großmutter Lily Brauns. Obwohl zum „‘richtigen Blick in die großen Verhältnisse’“162 befähigt, habe sie nie „‘die schwache Frauenhand in die großen Räderwerke’“163 geführt. Levin beschied sich trotz ihrer herausragenden Fähigkeiten auf typische Frauentätigkeiten und strebte nicht nach größerem öffentlichen Einfluss. Entsprechend wirkte sie während des Krieges als ermunternde und auf- opfernde Pflegerin und tat „‘Gutes um des Guten willen’“164. Gustedt charakterisierte sie als „‘die echte, wahre, reine deutsche Frau’“165. Eine Charakterisierung, die 1919 in der „Gleichheit“ ver- öffentlicht auch deren nationalistischen Wandel nach dem Ersten Weltkrieg kennzeichnet. Es ist anzunehmen, dass Levin als ein „weiblicher Vollmensch“, der um die Benachteiligung der Frau weiß, aber nicht für deren Gleichberechtigung kämpft, unter der Redaktion Zetkins anders dar- gestellt worden wäre. In diesem Falle hätte Blos vermutlich nicht resümieren können, dass Levin „den Grund […] für die heutige Frauenbewegung“166 gelegt habe. Und wenn sie schreibt: „Alles wofür wir kämpfen, was wir erstreben, war von ihr [Levin; M.S.] vorgezeichnet“167, 158 Vgl. Ebd. 159 Ebd., S. 285. 160 Ebd., S. 284. 161 Jenny von Gustedt zit. nach: Ebd., S. 286. 162 Ebd. 163 Ebd. 164 Ebd. 165 Ebd. 166 Ebd. 167 Ebd. 338 4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN dann wäre dieses „Alles“ für Zetkin nur ein Feminismus bürgerlicher Prägung und noch viel zu wenig gewesen. Noch weit weniger als Levin besaß Charlotte von Stein (1742-1827)168 den Charakter einer Kämpferin für die Frauenrechte. Doch genau wie Levin besaß auch sie Qualitäten eines „weiblichen Vollmenschen“. Steins Bedeutung für die Geschichte, ihre Unsterblichkeit, resultierte nicht unmittelbar aus ihrem eigenen Verdienst, sondern wurde ihr verliehen von den „Strahlen der Dichtersonne“169. Anders ausgedrückt: Es war die Liebe, die Johann Wolfgang von Goethe für sie empfand, die sie in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rückte. Ein Umstand, der von Blos jedoch keineswegs kritisch hinterfragt wurde. Stein war Tochter eines Bediensteten am Weimarer Fürstenhof und einer streng katholischen, aus Schottland stammenden Mutter. 16-jährig wurde Stein Hofdame der Herzogin Anna Amalie (1739-1807). Schließlich schloss sie mit dem Stallmeister und Rittergutsbesitzer Josias von Stein eine Ehe, die weder glücklich noch unglücklich zu nennen gewesen sei.170 Aus dieser Beziehung gingen sieben Kinder hervor, von denen jedoch vier früh verstarben. Stein habe, so Blos, „[e]in herber keuscher Reiz“171 umgeben. Ungeachtet ihrer Mutterschaft sei zudem davon auszugehen, dass sie in ihrer Ehe keine wahre Sinnlichkeit erlebt habe. Erst die Liebe Goethes habe in ihr Jugend und Sinnlichkeit erwachen lassen.172 Über die Art dieser Liebe macht sich Blos folgende grundsätzliche Gedanken: „Wir hatten in Deutschland eine Zeit, und sie ist heute noch nicht ganz über- wunden, wo Natürliches als Sünde angesehen, wo der unnatürliche, platonische Verkehr der Geschlechter als Verdienst gepriesen wurde. Wieviel ist darüber gestritten und geschrieben worden, ob die Liebe Goethes zu Charlotten eine rein geistige war. Als ob der Vollmensch Goethe imstande gewesen wäre, dreizehn Jah- re lang sein Leben einer Frau zu widmen, die sich ihm nicht ganz zu eigen gab.“173 „Vollmenschen“ – ob weiblich oder männlich – scheinen sich demnach auch dadurch auszuzeich- nen, dass sie ihre Sexualität ohne allzu große Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen aus- leben. Interessanterweise blieben die gesellschaftlichen Konventionen im Fall der verheirateten 168 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts. Charlotte von Stein. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 338. Für die biographische Skizze Charlotte von Steins bezieht sich Blos auf die 1916 erschienene Schrift „Das Martyrium der Charlotte von Stein. Versuch ihrer Rechtfertigung“ von der Schriftstellerin Ida Boy-Ed (1852-1928). 169 Ebd. 170 Vgl. ebd. 171 Ebd., S. 339. 172 Belegt wird diese Liebe durch die von Stein an Goethe gerichteten Briefe, die entgegen ihrer Verfügung nicht nach ihrem Tode vernichtet worden waren. 173 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts. Charlotte von Stein. In: GL, 30/ 41-42/ 09.10.1920/ 338. 339 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Stein sogar gänzlich aus. Weder das kleine, für seine Klatschsucht bekannte Weimar noch der Ehemann Steins empörten sich über das Verhältnis zu dem „geistig und körperlich so hinreißen- den Freund“174. Auch Stein selbst kokettierte nicht mit ihrer Affäre, sondern wahrte den Schein des Anstands. Ohnehin sei ihr durch Erziehung und Abstammung eine eher „kühle, vornehm zurück- haltende Art“175 eigen gewesen, „Produkt einer alten Kultur“176 und letztendlich der Grund, so Blos, weshalb die Verbindung mit Goethe zerbrach, zerbrechen musste.177 Goethe wandte sich einer anderen, einer jüngeren Frau zu – Christiane Vulpius (1765-1816). Im Gegensatz zu Stein wurde die aus einfachen Verhältnissen stammende Vulpius mit Klatsch jeder Art verhöhnt. Klatsch, zu dem besonders Stein beitrug, weil sie über den Verlust ihres namhaften Verehrers nicht hinwegkam. Dies, so Blos, sei der – wenn auch verständliche, weil menschliche – Schatten, der über der ansonsten untadeligen Person Steins liege.178 In dieser Eifersucht, in diesem Hass auf Vulpius sieht Blos die Bestätigung ihrer Annahme, dass das Verhältnis zwischen Stein und Goethe ein sexuelles war. Doch Stein habe noch weit mehr an die „geistig minderwertige Rivalin“179 Vulpius verloren als die sexuelle Zuneigung Goethes. Seine Liebe und Verehrung hatte aus Stein „die gesegnetste der Frauen, die ‘Göttin’“180 schlechthin gemacht. Diesen Status hatte sie nun verloren und die Beliebigkeit ihrer Person wurde somit überdeutlich. Die Überhöhung der Person Goethes, die Tatsache, dass Stein von ihm auserwählt worden war, erklärt, warum ihr innerhalb dieses Artikels kein weibliches Selbstbewusstsein zugesprochen wurde. Sie erscheint nicht als eigenständiger Charakter. Ähnliches wird sich im Rahmen dieser Arbeit auch bei dem Leitbild der sozialistischen Ehefrau wieder finden lassen. Stein und Goethe gingen im heftigen Streit auseinander und fünfzehn Jahre lang wechselten sie kaum ein Wort miteinander. Schließlich waren es auch nicht die einst Geliebten, die den ersten Schritt aufeinander zugingen, sondern ihre Kinder. Steins Sohn Friedrich (Fritz) war Goethes Zög- ling und schloss zudem Freundschaft mit Goethes Sohn August. Auch Stein selbst war angetan von dem Kind ihres ehemaligen Liebhabers und so wurden „die geistigen Beziehungen wieder aufgenommen“181. Diese erfreuliche Entwicklung sei besonders durch die, so Blos, „Heiterkeit des Alters, die Abgeklärtheit und innere Freiheit“182, die Stein in all den Jahren erworben hatte, 174 Ebd., S. 339. 175 Ebd. 176 Ebd. 177 Vgl. ebd. 178 Vgl. ebd. 179 Ebd, S. 340. 180 Ebd. 181 Ebd. 182 Ebd. 340 4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN begünstigt worden. Blos charakterisierte ihren biographischen Artikel als einen Abgesang auf die Zeit, „wo man aus den Menschen Idealgebilde zu machen suchte. Heute sucht und ehrt man das Menschliche in ihnen und lernt sie verstehen.“183 In ihrer Menschlichkeit, die sich in ihrer Liebesbeziehung zu Goethe, ihrer Eifersucht und ihrer Persönlichkeitsentwicklung widerspiegelt, liegt demnach die Besonderheit Steins. Diese machte auch sie zu einem „weiblichen Vollmenschen“, zu einem Vorbild proletarischer Frauen. Charlotte Stieglitz (1806-1834) war dagegen eine „Frau, die mit ihrer eigenen Persönlichkeit weit über ihre Zeit und ihre Umgebung hinausragte“184 [Hervorhebung von M.S.]. Diese Persönlichkeit zeichnete sich laut Blos allerdings durch einen „Zwiespalt zwischen Ideal und Wirklichkeit“185 aus. Diese Charakterisierung lässt gleich zu Anfang des Artikels ein tragisches Ende vermuten. Blos vermochte die Neugierde der Leserinnen noch zu steigern, wenn sie vorwegnehmend resümierte: „Sie [Stieglitz; M.S.] war im Grunde ein Mensch mit selbständigen Ansichten, befand sich häufig im Widerstreit mit traditionellen Begriffen, aber ihre Erziehung war der damaligen Zeit entsprechend nicht darauf gerichtet, ihre Persönlichkeit zu entwickeln, ihre großen geistigen Anlagen auszubilden. Deshalb hatte sie nicht den Mut, sich selbst zu folgen, sondern suchte die Erfüllung ihrer Sehnsucht in der Liebe zu dem Manne, dem sie all ihre reichen Gaben zu Füßen legte, in der Hoffnung, dadurch ihre Ideale verwirklicht zu sehen. Als sie diese Hoffnung vernichtet sah, da folgte sie zum erstenmal sich selbst, indem sie in den Tod ging.“ 186 So spielte im Rahmen ihrer Persönlichkeitsentwicklung wie auch für ihre spätere Bedeutung als historisches Vorbild die Beziehung Stieglitz‘ zu einer anderen Person, zu einem Mann, die aus- schlaggebende Rolle. Stieglitz war die Tochter des Hamburger Kaufmanns Willhöft und zog nach dem frühen Tod des Vaters nach Leipzig. Ihre Leidenschaft waren das Lesen und Schreiben, wofür ihre Mutter wenig Verständnis aufbrachte. Schon früh habe das „seltsame Kind“187 ein „selbständiges, reiches und poetisch erregtes Innenleben“188 entwickelt. Stieglitz besaß eine, so Blos, „freie Natur, die sich nicht leicht vor Autoritäten beugt[e]“189. So war es vorhersehbar, dass Stieglitz, die offen für die 183 Ebd. 184 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts. II. Charlotte Stieglitz. In: GL, 29/ 33/ 04.10.1919/ 259. 185 Ebd. 186 Ebd. 187 Ebd. 188 Ebd. 189 Ebd. 341 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Freiheit schwärmte und sich selbst als eine „Republikanerin und Demagogin“190 bezeichnete, einem Konflikt mit Autoritäten nicht aus dem Wege gehen würde. Es scheint, als habe Stieglitz schon als junge Frau über ein sehr ausgeprägtes politisches Bewusstsein verfügt. Tatsächlich aber seien ihre „außerordentlichen Geistesgaben“191, so Blos, ohne Förderung und ohne „nutzbrin- gende[…] Tätigkeit“192 geblieben. Dieser Mangel an geeigneter Ausbildung und Förderung ließ, so Blos weiter, „ihre Teilnahme für alle höheren Interessen, ihr Hingebungsbedürfnis an alles Schöne sich nur auf eine einzige Leidenschaft konzentrier[en], auf die Liebe“193. Im Alter von 16 Jahren heiratete sie den Studenten Hinrich Stieglitz. Laut Blos glaubte die junge Frau „in ihm das Ideal ihres Lebens gefunden zu haben“194. In ihrer grenzenlosen Schwärmerei stellte sie ihn auf ein Podest, „dessen Höhe der Wirklichkeit absolut nicht entsprach“195. Stieglitz sei allerdings ein realistischer Blick auf ihren Ehemann erschwert worden, weil das Paar in seiner sechsjährigen Verlobungszeit kaum Gelegenheit gehabt habe, sich näher kennenzulernen. Hinrich Stieglitz hatte damals die meiste Zeit in Berlin und nur selten in Leipzig verbracht. Besonders der deshalb verstärkt gehaltene Briefkontakt habe auf Stieglitz geistig sehr anregend gewirkt und sei für sie letztlich eine besondere „Quelle des Glücks“196 gewesen. In dieser Situation habe sich Stieglitz wie viele andere Frauen nicht darüber bewusst werden können, „daß auch die Frau die Berechtigung hat, für sich selbst und durch sich selbst etwas zu sein“197. Stattdessen habe sie die Aufgabe ihres Lebens darin gesehen, „ihren Doktor zu fördern; seine Vollkommenheit anzuspornen“198 [Hervorhebung von M.S.]. Den zu hohen Erwartungen und „hochgespannten Idealen“199, die Stieglitz an ihren Ehemann und ihr gemeinsames Eheleben setzte, musste zwangsläufig die Ernüchterung folgen. Stieglitz, die ihren Ehemann „für einen bedeutenden Menschen, einen großen Dichter“200 gehalten habe, die ihm „eine treu teilnehmende Kameradin sein woll[te], helfend, fördernd, beratend, nach Maßstab 190 Ebd. 191 Ebd. 192 Ebd. 193 Ebd. 194 Ebd. 195 Ebd. 196 Ebd., S. 260. 197 Ebd. 198 Ebd. 199 Ebd. 200 Ebd. 342 4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN der eigenen Begabung“201, habe laut Blos ihren Irrtum schließlich erkannt. Endlich, nachdem sie „ihren eigenen Maßstab“202 an ihn anlegte, habe sie entdeckt, dass ihr Ehemann diesem nicht entsprechen konnte. Allerdings habe sie noch immer gehofft, ihn ändern zu können. Stieglitz wollte sich ihm „vollständig opfer[n]“203 und entwarf zu diesem Zweck einen verheerenden Plan. Durch einen schweren Schicksalsschlag, „durch den Eindruck des Unerwarteten, Grausigen“204 wollte sie ihren „[h]altlosen, [s]chwächlichen“205 Dichtergatten „zu einer großen Tat anregen“206. Diesen Gedanken eröffnete Stieglitz ihrem Ehemann in einem Abschiedsbrief, bevor sie sich am 29. Dezember 1834 erdolchte. Sie hatte geglaubt, ihrem Ideal nur noch auf diese Weise dienen zu können, doch Ihr Ehemann erwies sich dieses großen Opfers „unwert“207. Die Begeisterung und Bewunderung, mit der die gesamte romantische Jugend Deutschlands auf die Tat des „junge[n] begabte[n] Weib[es]“208 reagierte, schmeichelte der Eitelkeit des Ehemannes gar zu sehr. Statt nun große dichterische Werke zu verfassen, wie es Stieglitz bezweckt hatte, stellte er seine durch ihr Opfer überhöhte Person in den Mittelpunkt des Interesses – wodurch er die selbstlose Tat seiner Ehefrau jedoch nach Meinung Blos‘ vollkommen entwürdigte. Aus deren „eigenster innerster Natur“209 sei die Tat, sei der Suizid hervorgegangen. Sie sei eine Schwärmerin gewesen, die „ihre poetischen Ideale nicht mit der Wirklichkeit in Harmonie bringen“210 und damit „nicht sich selbst treu bleiben“211 konnte. Stieglitz war laut Blos „ein echtes Kind ihrer Zeit“212 und im Gegensatz zur Frau des 20. Jahrhunderts suchte sie die Lösung ihres inneren Konfliktes in der Zerstörung ihres Selbst und nicht in einem „lebensvolle[n] Wirken“213 für die Verwirklichung desselben. Zum Leben der Schriftstellerin und Lyrikerin Ricarda Huch (1864-1947) veröffentlichte die „Gleichheit“ – der Aufforderung zum Nachdruck folgend – im September 1918 einen Artikel von Lida Gustava Heymann (1868-1943) – einer Führerin der bürgerlich-radikalen 201 Ebd. 202 Ebd. 203 Ebd. 204 Ebd., S. 261. 205 Ebd. 206 Ebd. 207 Ebd. 208 Ebd. 209 Ebd. 210 Ebd. 211 Ebd. 212 Ebd. 213 Ebd. 343 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Frauenbewegung. Dieser Artikel ist zwar keine biographische Skizze im engeren Sinne, maß der Persönlichkeit Huchs aber eine große Bedeutung für die Frauenbewegung bei. Heymann stellt an den Anfang ihres Artikels einen empörten Vorwurf an die männlich dominierte deutsche Gesellschaft: „In keinem anderen Lande wird Frauenarbeit, Frauenkönnen, Frauengeist, Frauen- genie so minderwertig eingeschätzt wie in Deutschland.“214 Heymann bezog sich damit nicht auf die Demobilmachungsverordnungen215, auch wenn diese sich zu diesem Zeitpunkt bereits angekündigt haben dürften. Ihr ging es vielmehr um die kulturschöp- ferische Leistung von Frauen und ihre sehr unterschiedliche Bewertung in den einzelnen Ländern. Für diese unterschiedliche Bewertung seien besonders Huch und die schwedische Schriftstellerin Selma Lagerlöf (1858-1940) ein Paradebeispiel. Während Lagerlöf in Schweden mit Ehrungen nur so überhäuft würde, bliebe „Deutschlands größte Schriftstellerin“216 trotz ihres „gottbegna- dete[n] Genie[s]“217 unbekannt und ungerühmt. Heymann kritisierte die patriarchalische Struktur der deutschen Kulturlandschaft und schrieb: „Würde ein Mann Werke von der Eigenart, dem Geist und der Größe einer Ricarda Huch schaffen, man würde sich seiner in Deutschland rühmen […] wie man es in Deutschland bei Schriftstellern, die nichts von dem Genie einer Ricarda Huch spüren ließen, zum Beispiel Felix Dahn, Georg Ebers und anderen, zu tun pflegte.“ 218 Ein in der „Gleichheit“ selten zu findender feministischer Ton, in welchem hier das männer- dominierte deutsche Verlagswesen angeklagt wurde. Der Artikel wäre unter der Redaktion Zetkins vermutlich nicht zur Veröffentlichung gelangt, denn Zetkin hätte die Ursache für Huchs Benach- teiligung im kapitalistischen Charakter des Verlagswesens gesehen, nicht im Konkurrenzkampf mit den Männern. Heymann war davon überzeugt, dass Huch allein wegen ihres Geschlechts diskriminiert werde. Ihre Werke seien über jede Kritik erhaben und ihre Lektüre „Stunden weihevollen Genießens, in denen die Seele sich rein badet vom Schmutze des Weltgeschehens, in denen der Mensch weit über sich selbst hinauswächst, sein Denken bereichert, sein Wissen und Fühlen vertieft, sein Können reift und sein wahres Menschentum erwacht“219. Es ist bemerkenswert, in welcher Weise die beschriebene Wirkung von Literatur der sozialis- tischen Vorstellung einer Persönlichkeitsentwicklung zum „weiblichen Vollmenschen“ entspricht. 214 Heymann, Lida Gustava: Ricarda Huch. In: GL, 28/ 26/ 27.09.1918/ 204. 215 Siehe: Kapitel 4.5. 216 Heymann, Lida Gustava: Ricarda Huch. In: GL, 28/ 26/ 27.09.1918/ 204. 217 Ebd. 218 Ebd., S. 205. Dahn war Jurist, Schriftsteller und Historiker, Ebers Schriftsteller und Ägyptologe. 219 Ebd. 344 4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN Und auch Huch selbst sei eine „große[…] vorurteilslose[…] Frau, ein[…] intelligente[r] Mensch[…], der trotz einer Überfülle von Phantasie, Leidenschaft und Temperament Meister seines Stoffes bl[iebe]“220. Heymann – selbst im Literaturvertrieb tätig – wollte mit ihrem Artikel eine große Werbeaktion für die Werke Huchs starten. Vor allem legte sie den Leserinnen deren geschichtliche Romane „Der große Krieg in Deutschland“(1912-14), „Das Leben des Grafen Federigo Consalonieri“ (1910) und „Wallenstein“ (1915) ans Herz. Huchs „Art der Geschichtsschreibung“221, lasse „Geschichte durchleben“222 und bedeute „das Herannahen einer neuen Epoche“223. Diese neue Epoche sehnte Heymann herbei, da im Moment „quantitativ sehr viel und qualitativ sehr, sehr wenig auf schrift- stellerischen Gebiet geleistet w[erde]“ und sie gerade „die gesamte Kriegsliteratur […] mit Ekel erfüll[e]“224. Vor diesem Hintergrund seien Huchs Werke von umso größerer künstlerischer und gesellschaftlicher Bedeutung. Heymann wünschte sich, dass ihr Artikel der Start einer großen Kampagne sei, denn ihrer Meinung nach seien vereinzelte Artikel in der Tagespresse für die richtige Würdigung Huchs unzureichend. Sie wollte stattdessen „eine sich immer wiederholende Propaganda in der gesamten Presse“225 – auch in der sozialdemokratischen Presse. Besonders die Massenwirkung der sozialdemokratischen Presse war Heymann sehr wichtig. Wenn Huchs Werke „Eigentum der Masse“226 würden, so die Überzeugung Heymanns, könnten sie „das moralische und künstlerische Niveau eines Volkes […] heben“227. Nach den verheerenden Kriegsjahren sollte eine solche Hebung jeder Leserin in ihrem eigenen Interesse unerlässlich sein. Demnach erachtete Heymann in den Werken Huchs das besondere Potential, einen weiblichen Einfluss auf die deutsche Kultur und eine weibliche Sicht auf Krieg und Geschichte geltend zu machen. 220 Ebd. 221 Ebd., S. 206. 222 Ebd. 223 Ebd. 224 Ebd., S. 205. 225 Ebd. 226 Ebd., S. 206. 227 Ebd. 345 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN 4.1.3 Frauen der Französischen Revolution Obwohl sie Zeitzeuginnen des wohl geschichtsträchtigsten Ereignisses des 18. Jahrhunderts waren, scheinen Agnesi und Karschin in ihrem Wirken keinerlei Bezug auf die Französische Revolution genommen zu haben. Sie haben daher vermutlich nie etwas von der „schöne[n], unglückliche[n] Lütticher Amazone“228 Théroigne de Méricourt (1762-1817) gehört - wie auch so manche „Gleichheit“-Leserin. Mit Méricourt wollte Zetkin ihren Leserinnen eine „typische Vertreterin“229 für die „vielen französischen Frauen [vorstellen], welche in der großen Revolution und in den späteren revolutionären Gewitterstürmen mit bewaffneter Hand und thaten- kühn für die allgemeine Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit kämpften“230. Vor allem dieser oft von der Geschichtsschreibung unterschlagene Anteil der Frauen an der Französischen Revolution ist es, den Zetkin in ihrem Artikel betont. Sie sieht in Méricourt „[d]ie Verkörperung des streitbaren heroischen Weibes im Dienste einer begeisternden Idee“231. Die Geg- ner der Revolution hätten sie und viele andere beteiligte Frauen als „‘Abschaum’ der Frauenwelt, ‘sittenlose, verkommene Geschöpfe’“232 verhöhnt. Ganz anders jedoch „das Volk“233. Dies habe Méricourts bewegten Lebensweg „in Wahrheit und Dichtung zu einem Schleier zusammen[gewoben], welcher mit seinem Romantismus die dunklen Flecken eines unglücklichen Lebens mild zu verhüllen sucht“234. Die „Gleichheit“-Leserinnen durften demnach auf eine ergreifende Lebensgeschichte gespannt sein. Zetkin verstand es, diese Spannung noch zu erhöhen. Mit jeder neuen Forschungserkenntnis zur Person Méricourts, so Zetkin, behalte „auch ihr gegenüber das ‘Alles verstehen heißt Alles verzeihen’ sein volles Recht“ 235. Zum einen betonte Zetkin hiermit die Notwendigkeit historischer Frauenforschung, um einer historischen Persönlichkeit gerecht zu werden. Zum anderen hält sie außerdem die Leserinnen an, bei ihrer Beurteilung Méricourts besondere Toleranz und Verständnis zu zeigen. Schnell zeigte sich warum. 228 Théroigne de Méricourt. In: GL, 03/ 01/ 11.01.1893/ 7. 229 Ebd. 230 Ebd. 231 Ebd. 232 Ebd. 233 Ebd. 234 Ebd. 235 Ebd. 346 4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION Die sich nach ihrem Geburtsort in der Nähe Lüttichs nennende Méricourt war die Tochter eines wohlhabenden Pächters. Sie habe nicht nur eine „anmuthige, zarte Schönheit“236 und ein „leben- sprühende[s] Antlitz mit […] funkelnden, schwarzen Augen“237 besessen, sondern auch eine „unbeugsame Energie“238, „einen ungewöhnlich lebhaften Geist, eine feurige Phantasie und hin- reißende natürliche Beredtsamkeit“239. Noch in jungem Alter von einem Adeligen verführt, wurde sie von ihrem Vater verstoßen. Sie verließ ihre Heimat und wurde in England die Geliebte verschiedener wohlhabender Männer. Zusammen mit einem ihrer Geliebten kehrte Méricourt zurück und ließ sich in Paris nieder. Hier empfing sie in ihrem Salon revolutionäre Vorkämpfer wie Abbé Emmanuel Joseph Sièyes, Maximilien de Robespierre und Camille Desmoulins, mit deren literarischen und philosophischen Werken sie sich bereits in England beschäftigt hatte. Sie wurde eine „schön[e] und geistig bedeutend[e] Kurtisane“240, die jedoch die Fähigkeit der Liebe für einen Mann verloren und sich ein ganz anderes Lebensziel gesetzt habe: „All das Feuer ihres leidenschaftlich klopfenden Herzens, die ganze Begeisterung ihres hochfliegenden Geistes weihte sie der Sache der Revolution. […] Ihr Leben war und blieb ein geopfertes, aber sie wollte mit Drangabe ihres ganzen Wesens, mit Anspannung all ihrer Willenskraft für neue gesellschaftliche Zustände wirken, in der es ihrer Ueberzeugung nach keinen Platz mehr geben konnte für Gefallene und Verführer, für den Schacher von Mensch zu Mensch. Ihre eigene Achtung wollte sie zurückgewinnen, durch Thaten ihre Person von dem ihr anhaftenden Makel erlösen. Aber Théroigne de Méricourt war keine sentimentale, in rührseligen Thränen der Reue zerfließende Natur, der Grundton ihres Wesens war der leiden- schaftliche Thatendrang; so ward sie nicht zur Bürgerin, vielmehr zur Heldin.“241 Méricourt sah die Notwendigkeit, die Gesellschaft, von der sie diskriminiert wurde, zu verändern. Ihr revolutionärer Kampf war aber auch davon getrieben, so Zetkin, „Rache […] an der Kaste“242 zu nehmen, aus der der Verführer stammte, „der ihr Leben vergiftet“243 habe. In einem „weithin leuchtenden rothseidenen Jacket“244, mit breitkrämpigem Federhut, großem Sä- bel und zwei Pistolen nahm Méricourt an den Kämpfen teil. Sie sei es gewesen, die während des Marsches der Pariser Frauen am 5. Oktober 1789 nach Versailles das königliche Flandern-Regi- ment überzeugte, sich der Sache des Volkes anzuschließen statt auf es zu schießen. 1791 wurde sie 236 Ebd. 237 Ebd. 238 Ebd. 239 Vgl. ebd. 240 Ebd. 241 Ebd. 242 Ebd. 243 Ebd. 244 Ebd. 347 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN auf dem Weg nach Lüttich, wo sie gegen den dortigen Bischof agitieren wollte, denunziert, ver- haftet und nach Wien ausgeliefert. Dort wurde sie angeklagt, im Oktober 1789 gegen die aus Österreich stammende Königin Marie Antoinette (1755-1793) ein Attentat versucht zu haben. Weil diese Anklage jedoch haltlos war, wurde Méricourt bald wieder freigelassen. Auch bei dem Sturm auf die Tuilerien am 10. August 1792 kämpfte sie in der ersten Reihe und wurde dafür später mit einer Ehrenkrone geehrt. Eine eher zweifelhafte Geschichte besage, so Zetkin, dass Méricourt bei diesen Kämpfen auf ihren Verführer getroffen sei und ihn eigenhändig getötet habe. Für Zetkin war diese Geschichte jedoch nur eine Erfindung der Volksmassen, entstanden aus deren „Bedürfnis[…] nach einer ausgleichenden Gerechtigkeit“245. In dieser Beur- teilung zeigten sich Zetkins massenpsychologische Kenntnisse. In der errungenen Republik besuchte Méricourt regelmäßig die Nationalversammlung und betei- ligte sich an deren politischen Debatten. Sie habe dort nicht nur beweisen können, dass sie „kühn, tapfer und klug“246 war, sondern auch „Muth und die Treue der Ueberzeugung“247 besaß. Aus Letzterem heraus habe sie sich auf die Seite der Girondisten und gegen die Schreckensherrschaft Robespierres gestellt.248 Der Gironde anzugehören, war für Méricourt nicht ungefährlich: Bei einem Spaziergang in den Tuilerien sei sie „von einer Gruppe von Männern umringt, ergriffen, zu Boden geworfen und unter dem Gelächter der Umstehenden wie ein unartiges Kind auf den nackten Körper gezüchtigt“249 worden. Diese Demütigung habe sie so tief verletzt, dass sie wahn- sinnig wurde und von Wahnvorstellungen verfolgt, habe sie nur noch „[ge]schrie[en], [ge]tobt[…] und […] sich mit den Nägeln“250 zerfleischt. So sei Méricourts bewegtes Leben „in düsterer Tragik“251 zu Ende gegangen und „[n]ur die wenigen Jahre des Kampfes, der schrankenlosen Hingabe an die Sache der Revolution hatten Sonnenstrahlen der inneren Befriedigung und des Glücks in ihre Existenz geworfen“252. Zetkin zog das Resümee, dass es der Kampf für die Revolution gewesen sei, der dem Leben Méricourts im Grunde Sinn und Freude gegeben habe. Méricourt, die „Galeerensklavin fremder 245 Ebd., S. 8. 246 Ebd. 247 Ebd. 248 Im Falle Méricourts erkannte Zetkin diese eher gemäßigte politische Einstellung noch kritiklos an. Im Falle der folgenden biographischen Skizze von Jeanne-Marie Roland setzte sie sich noch etwas dezidierter mit der Gironde auseinander. 249 Ebd. 250 Ebd. 251 Ebd. 252 Ebd. 348 4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION Lust“253, habe in ihrer Hingabe an die Revolution Erlösung gesucht. Anders als die biblische Gestalt der Maria Magdalena, so Zetkin, habe sie ihr Heil nicht in „Gebet und Kasteiungen“254, „sondern als eine für die Allgemeinheit wirkende, muthige Kämpferin“255 gefunden. Und schließ- lich erklärte Zetkin ihren Leserinnen, dass man „Magdalenengestalten“ wie Méricourt „in jeder geschichtlichen Bewegung [begegne], welche allen Müseligen und Beladenen Erquickung ver- heißt“256. Meist seien sie „[u]nschuldig Schuldige […], unglückseliger Verhältnisse unglückselige Opfer“257. Und in Bezugnahme auf ihre einleitenden Worte war Zetkin der Meinung, dass das Wirken Méricourts und das anderer unbekannter Schicksalsgenossinnen „rückhaltlose Aner- kennung und Bewunderung“258 verdiene. Für „die dunklen Flecken“259 ihres Lebensweges solle, so die bibelfeste Zetkin, „das Wort milder Weisheit des großen Nazarener’s“260 gelten: „‘Wer unter Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.’“261 Während Zetkin für Méricourt lediglich ein betont mitleidiges Verständnis aufbrachte, zeigte sie für Jeanne-Marie Roland (1754-1793) eine auffällige und aufrichtige Bewunderung. Sie ließ sich sogar zu folgendem Superlativ hinreißen: „Von all den glänzenden Frauengestalten, welche im Laufe der großen franzö- sischen Revolution an die Oberfläche des öffentlichen Lebens emportauchten und dann zum großen Theil von dem Strudel des gewaltigen Stroms der Ereignisse verschlungen wurden, kann sich wohl keine an Bedeutung auch nur im Entfern- testen mit Madame Roland messen.“262 Nicht nur, dass sie Roland eine besondere historische Bedeutung beimisst, Zetkin ließ es sich auch hier nicht nehmen, die grundsätzlichen Probleme der Geschichtsüberlieferung hinsichtlich des weiblichen Anteils an der Französischen Revolution anzusprechen. Als Tochter des Graveurs und Bijouteriewarenhändlers Phlipon und seiner „herzensgute[n], ein- fache[n], etwas beschränkte[n] Frau“263 sei Roland sich als Kind oft selbst überlassen gewesen. Ihre Eltern konnten zu ihrer Bildung wenig beitragen, weshalb sie sich – dank ihres lebhaften und 253 Ebd. 254 Ebd. 255 Ebd. 256 Ebd. 257 Ebd. 258 Ebd. 259 Ebd. 260 Ebd. 261 Ebd. 262 Madame Roland. In: GL, 04/ 01/ 10.01.1894/ 3. 263 Ebd., S. 4. 349 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN regsamen Geistes und festen Willens – mit Lesen, Schreiben, Rechnen, Geographie, Geschichte, Latein, Astronomie, Physik und Philosophie im Selbststudium beschäftigt habe. Da in Rolands Kinder- und Jugendjahren nichts auf ihre spätere Entwicklung hindeutete, war sie für Zetkin noch weit mehr als Méricourt ein Beispiel für die Bedeutung bewusst getroffener Entscheidungen: „Das Schicksal war Madame Roland nicht an der Wiege gesungen worden; sie hat es sich selbst geschmiedet, soweit die Gestaltung eines Lebens von dem Willen einer Person abhängen kann.“264 Es ist die Frage gegenseitiger Beeinflussung von Mensch und Umwelt, die Zetkin hier aufwarf und auf die sie in diesem Artikel immer wieder zurückkam. Die größte Leidenschaft Rolands – von Zetkin meist vertraulich mit ihrem Rufnamen „Manon“ bezeichnet – galt dem Lesen: Reisebeschreibungen, Geschichtsbücher, die Bibel, Gedichte und Romane waren ihre bevorzugte Lektüre. Ihre Begeisterung für die Sache der Republik entfachten Plutarchs „Lebensbeschreibungen berühmter Männer“ (begonnen 96), die sie bereits im Alter von neun Jahren gelesen habe. Trotzdem sei Roland eben kein „trockener Bücherwurm oder ein einseitiger, linkischer und weltfremder Blaustrumpf“265 gewesen, sondern habe es wie wohl jedes Mädchen der Bourgeoisie genossen, Komplimente für ihren Tanz, für ihre Haltung oder Kleidung zu bekommen. Nachdem sie ein Jahr in einem Kloster erzogen worden war, reiste sie zu ihrer Großmutter, um von dieser in die „gute Gesellschaft“ eingeführt zu werden. Dies sei die erste Entwicklungsetappe „ihres Hasses gegen die soziale Ungleichheit“266, ihrer starken Ablehnung der adeligen Geburtsrechte gewesen. Jedoch betonte Zetkin, dass „das Gefühl, die Auffassung einer ganzen unterdrückten Klasse“267, die in Rolands Memoiren zum Ausdruck kämen, das Gefühl und die Auffassung der zeitgenössischen Bourgeoisie gewesen seien. Roland, so Zetkin, habe den Hass des so genannten „‘dritten Standes’ gegen die soziale Ungleichheit nach oben“268 verkörpert. Sie wurde zur „Heldin der Revolution“269, welche aber, so erneut Zetkins einschränkender Hin- weis, eine bürgerliche Revolution war. Mit der Weiterentwicklung ihrer „Geistes- und Charakterrichtung“270 wurde die kritische Aus- einandersetzung mit ihrem „Kirchenglauben[…]“271 für Roland unumgänglich. Sie distanzierte sich von ihm und stellte „sich entschieden auf den materialistischen Standpunkt der Enzyklo- 264 Ebd. 265 Ebd. 266 Ebd. 267 Ebd. 268 Ebd. 269 Ebd. 270 Ebd., S. 5. 271 Ebd. 350 4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION pädisten“272. Und so seien an die Stelle religiösen Gehorsams „ihre ungemein hohen und strengen Begriffe von Tugend und Pflicht“273 getreten. Nicht in der Religion, sondern in ihrer politischen Überzeugung fand sie demnach den nötigen Halt274 – nur eine von vielen Ähnlichkeiten mit den persönlichen Prinzipien Zetkins. Immer mehr verschrieb sich Roland den Idealen der Republik. Dies tat sie jedoch nicht mehr nur aus „schwärmerischer Gefühlsseligkeit“275, sondern aus „bewußter Ueberzeugung“276 – ein ent- scheidendes Moment des Frauenleitbildes des „weiblichen Vollmenschen“. Weil ihr Vater nach dem Tod der Mutter einem sehr ausschweifenden Lebensstil verfiel, sah sich Roland veranlasst, in das Kloster ihrer Jugendzeit zurückkehren, wo sie sich weiteren Studien widmete. Zu einer schönen Frau mit „fesselnde[r], sympathische[r] äußere[r] Erscheinung“277 herangewachsen, wurde sie von vielen Männern umworben. Jedoch seien ihre Ansprüche an „Geist und Charakter“278 eines potentiellen Partners so hoch gewesen, dass keiner ihrer Verehrer ihnen gerecht werden konnte. Schließlich lernte sie 21-jährig den 20 Jahre älteren Jean Marie Roland de la Platière, einen Manufaktur-Inspektor des Finanzwesens, kennen und lieben. Ihre Partnerwahl sei umso bemerkenswerter gewesen, als dieser weder vom Äußeren noch vom Wesen her anziehend und sie ihm an Energie und Intelligenz weit überlegen gewesen sei.279 Ihre gemeinsamen Berührungspunkte waren vor allem die Schwärmerei für die antiken Republiken, für die Philosophie und eine „puritanische Einfachheit und Strenge der Sitten“280. 1780 – nach fünf Jahren freundschaftlichen Umgangs miteinander – heirateten sie. Roland habe sich von dieser Verbindung vor allem den Kontakt mit politisch Gleichgesinnten und eine Ausweitung ihres Wirkungs- und Erfahrungskreises erhofft. Außerdem habe sie aber auch ihrem Ehemann „eine treue, hingebende Gefährtin und Mitarbeiterin“281 sein wollen – ein Vorsatz, den sie „ihrem strengen Pflichtgefühl entsprechend“282 auch gehalten habe. Ebenso erfüllte Roland an ihrer Tochter, die „leider keine der Geistesgaben der Mutter geerbt“283 habe, „ihre Mutterpflichten in 272 Ebd. 273 Ebd. 274 Vgl. ebd. und Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 92. 275 Madame Roland. In: GL, 04/ 01/ 10.01.1894/ 5. 276 Ebd. 277 Ebd. 278 Ebd. 279 Vgl. ebd. und Soll, Karl: Politische Frauen. In: GL, 29/ 26/ 16.08.1919/ 204. 280 Madame Roland. In: GL, 04/ 01/ 10.01.1894/ 5. 281 Ebd. 282 Ebd. 283 Madame Roland. (Fortsetzung statt Schluß.). In: GL, 04/ 02/ 24.01.1894/ 11. 351 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN ausgezeichneter Weise“284 und sei ihr eine „vernünftige und liebevolle Erzieherin“285 gewesen. Auch wenn ihre Schwärmerei für die ideale Republik sie mit vielen jungen Männern verband, so Zetkin, beließ sie es stets bei freundschaftlichen Verhältnissen und blieb ihrem alternden Ehemann treue Gehilfin und Pflegerin. Der Fall der Bastille am 14. Juli 1789 wurde mit großer Begeisterung und Hoffnung im Hause Roland aufgenommen. Roland agitierte sogar unter den BewohnerInnen des nahegelegenen Dorfes, denen sie oft medizinische Hilfe geleistet hatte. Ein Jahr später verfasste sie anonym einen begeisterten und begeisternden Bericht zur Nationalfeier, der in 60.090 Exemplaren verbreitet wurde.286 Mit der Revolution kam für Roland de la Platière die politische Karriere: Er wurde 1791 als Abgeordneter der Stadt Lyon in die Nationalversammlung gewählt, weshalb die Familie nach Paris übersiedelte. An dieser Stelle gab Zetkin den „Gleichheit“-Leserinnen einen Ausblick auf die weiteren Ereignisse im Leben Jeanne-Marie Rolands: „binnen 18 Monaten ward sie nacheinander die Beherrscherin des Ministeriums des Innern, die Beratherin und Wortführerin einer politischen Partei, die Gefangene, welche im Angesicht des Todes mit ruhig-klarem Geist ihre Memoiren schreibt, das Opfer ihrer Ueberzeugung und der unvermeidlichen, erbitterten Parteikämpfe.“287 Bis sich dieses Schicksal erfüllte, stürzte sich Roland in den Strudel der Revolution. Besonders wichtig war es Zetkin, hervorzuheben, dass Roland sich nicht „willenlos“288 habe treiben lassen, sondern „ihr Schifflein auch gegen den Strom“289 steuerte und „in eine ihr zusagende Bahn […] lenk[te]“290. Wie Méricourt besuchte auch Roland regelmäßig die Nationalversammlung und politische Klubs und habe im Gegensatz zu vielen Männern, deren Kampfesgeist bereits ermüdet war, vor scheinbar unerschöpflicher Energie gestrotzt. Sie habe nicht zu jenen gehört, die über die „Tagesereignisse[…]“ oder „Augenblicks- und Sonderinteressen“291 das Endziel – die Beseitigung der Monarchie als Beginn einer neuen Ordnung – oder das Klasseninteresse der Bourgeoisie vergessen hatten. Rolands Bewusstsein und Instinkt für die Interessen ihrer Klasse seien sehr stark gewesen. Zetkin warnte deshalb auch die „Gleichheit“-Leserinnen davor, sich Roland als „Typus einer Revolutionärin aus dem Volke“292 vorzustellen. Sie sei eben nicht „durch den Druck 284 Ebd. 285 Ebd. 286 Ebd. 287 Ebd. 288 Ebd. 289 Ebd. 290 Ebd. 291 Ebd. 292 Ebd., S. 12. 352 4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION unerträglicher Leiden zur Empörerin geschmiedet, in den Kampf getrieben“293 worden, sondern habe sich als „Angehörige des ‘honetten Bürgerthums’“294 gefühlt. An dessen wirtschaftlicher und sozialer Gleichberechtigung sei sie interessiert und von dessen geistiger und sittlicher Über- legenheit sei sie überzeugt gewesen. Das „Volk“ dagegen war für sie ein abstrakter Begriff, der am ehesten noch für „das durch Besitz und Bildung einflußreiche Bürgerthum“295 stand. Die ArbeiterInnen, die Roland anfangs wegen ihres Kampfes gegen den Absolutismus bewundert hatte, waren später in ihren Augen nur noch ein „‘mordlüsterne[r] Pöbel’“296. Und auch wenn sie Mitleid für die Massen empfand, so erkannte sie jedoch nicht die wahren Ursachen für deren Elend und suchte stattdessen in Verfassungsgebung und bourgeoiser Wohltätigkeit die Lösung der sozialen Probleme. „[D]ie Ungleichheit zwischen Besitzenden und Besitzlosen nach unten“, so Zetkin, sei „ihr gar nicht recht zum Bewußtsein“297 gekommen – jedenfalls nicht so zu Bewusst- sein wie es sich Zetkin für eine sozialistische Klassenkämpferin und idealtypische Leserin der „Gleichheit“ gewünscht haben dürfte. Ihre bürgerliche Einstellung habe Roland die radikalen Forderungen der „Bergpartei“ – laut Zetkin die Partei des Kleinbürgertums und der Arbeiter – ablehnen lassen, habe „naturnoth- wendig“298 dazu geführt, dass sie sich schließlich der gemäßigten „Gironde“ anschloss. Eine – wie Zetkin bereits zu Beginn ihres Artikels betont hatte – vollkommen bewusste Entscheidung und nicht etwa beeinflusst durch persönliche Beziehungen oder ihren Ehemann. Dieser war zwar offizielles Mitglied der Nationalversammlung, doch habe nicht er das Haus Roland zum Sammel- punkt der Girondisten gemacht – es war seine Ehefrau. Ihre Haltung war richtungweisend für die gesamte Gruppe, sie war die „Seele der Partei“299 und sie „flößte den Gesinnungsgenossen ihre Energie ein, ihren felsenfesten Glauben an das erträumte Ideal“300. Auch hier sind Ähnlichkeiten zu Zetkins eigenem Anspruch auf die Rolle der prinzipientreuen Führerin der SPD unverkennbar. Nicht seine Fachkenntnisse seien für die Ernennung Jean Marie Roland de la Platières zum Innen- minister ausschlaggebend gewesen, sondern die „scharfblickende, energische, als Geist und Cha- rakter gleich bedeutende Frau“301 an seiner Seite. Roland habe jedoch nicht nur als Frau im 293 Ebd. 294 Ebd. 295 Ebd. 296 Ebd. 297 Ebd. 298 Ebd. 299 Ebd., S. 13. 300 Ebd. 301 Ebd. 353 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Hintergrund Politik gemacht. Ein von ihr zur Vetopolitik Ludwigs XVI. veröffentlichter Brief habe sogar letztendlich den Sturz des Königs vorbereitet.302 Zetkin hob jedoch hervor, dass das, was danach folgte – die Erstürmung der Tuilerien und die Gefangennahme des Königs – „das Werk der energischen Agitation der Bergpartei“303 gewesen sei – auch wenn die Girondisten nur zu gerne „die Früchte der geschaffenen Situation“304 für sich in Anspruch genommen hätten. Kaum war das gemeinsame Ziel – die Absetzung des Königs – erreicht, brachen die Gegensätze der beiden Parteien noch stärker hervor. Die Gironde glaubte die Konterrevolution des Adels „durch glänzende Parlamentsreden, durch theoretische Erörterungen und Erklärungen über Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Republik, Tugend, Bürgerpflicht ec.“305 verhindern zu können. Doch selbst diese theoretischen Ideale gab sie angesichts der radikaler werdenden Berg- partei und vor allem in Wahrung des eigenen Klasseninteresses nach und nach preis.306 So energisch Roland das Königtum bekämpft hatte, so energisch kämpfte sie nun, so Zetkin, gegen jede Annäherung von Gironde und Bergpartei. Als „entschiedenste und konsequenteste Vertreterin der girondistischen Grundsätze und an Thatkraft und Charakter in manchen Lagen der einzige ‘Mann’ der Partei“307 habe Roland jeden Annäherungsversuch zwischen den Parteien verhindern wollen. Sie blieb der prinzipienfeste Mittelpunkt der Gironde. Laut Zetkin war sie es sogar, die „das Signal zu der Entfesselung der Parteikämpfe“308 gab, indem sie ihren Ehemann im Konvent einen von ihr verfassten Brief vorlegen ließ, in welchem die Bergpartei wegen der so genannten „Septembermorde“ heftig angegriffen wurde. Als im Dezember 1792 sich die Lage zuspitzte und Freunde ihr zur Flucht rieten, lehnte sie dies rigoros ab. Zwar musste die Familie, nachdem Roland de la Platières 1793 gezwungenermaßen den Ministerposten hatte aufgeben müssen, wieder in sehr einfachen Verhältnissen leben, doch sei dies für Roland kein wirkliches Problem gewesen, denn stets habe sie „die Einfachheit und puritanische Strenge ihrer Sitten bewahrt“309. Schließlich hätten „Halbheit, Unentschlossenheit und blinde Interessenpolitik“310 der Gironde – Schwächen, die Zetkin gelegentlich auch der bürgerlichen Frauenbewegung vorwarf – die Errungenschaften der Revolution enorm gefährdet: Ihr Sturz wurde zur Notwendigkeit. Mittels 302 Madame Roland. (Schluß.). In: GL, 04/ 03/ 07.02.1894/ 19. 303 Ebd. 304 Ebd. 305 Ebd. 306 Ebd. 307 Ebd. 308 Ebd. 309 Ebd. 310 Ebd., S. 20. 354 4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION Konventsbeschluss wurden die hervorragendsten Girondisten erst unter Hausarrest gestellt und später doch ins Gefängnis gebracht. Auch Jeanne-Marie Roland erging es so, und bei allen Erniedrigungen habe „sie einen außerordentlichen Grad von Charakterstärke“311 bewiesen – selbst angesichts des drohenden Todes. Jedoch, so Zetkin, habe auch ein innerer Konflikt dazu beigetragen, dass sie ihr Ende so erstaunlich ruhig erwartete. Roland habe sich in einen jüngeren Parteigenossen verliebt, aber für diese Liebe keinerlei Zukunft gesehen. Und obwohl in der letzten Zeit ihre Ehe eher einem Vater-Tochter-Verhältnis glich312, wollte sie ihrem Ehemann, der sich auf der Flucht befand und später bei Nachricht ihrer Hinrichtung Suizid begehen sollte, nicht die Treue brechen. Während ihrer Haftzeit arbeitete sie fünf Monate mit „Liebe, Sorgfalt und Gemüthsruhe“313 an ihren Memoiren. Der Verschwörung für schuldig befunden, wurde Roland jede Verteidigungsrede untersagt und sie zum Tode verurteilt. Ihr Urteil soll sie mit den Worten erwidert haben: „‘Ihr erachtet mich für würdig, das Schicksal der großen Männer zu theilen, die Ihr ermordet habt, und ich werde mich bemühen, auf das Schafott den nämlichen Muth mitzubringen, den sie gezeigt haben.’“314 Diese Position nahm auch Zetkin ein, als sie das Todesurteil zu verteidigen versuchte. Roland sei schließlich „die eigentlich treibende Energie der Partei“315 gewesen, habe die Parteikämpfe entfesselt und geschürt. In letzter Konsequenz habe ihre herausragende Position unabhängig von ihrem Geschlecht kein anderes Urteil zugelassen. Zetkin fordert: „Im Krieg gilt Kriegsgebrauch. Madame Roland hatte als Gleiche unter Gleichen gekämpft, sie fiel als Gleiche unter Gleichen auf dem Schlachtfelde. Sie selbst wäre die Erste gewesen, die als Beleidigung zurückgewiesen hätte, daß ihrem Geschlechte eine Schonung zu Theil geworden wäre, die sie als Parteigängerin nicht beanspruchen konnte.“316 Zetkins Forderung klingt einerseits sehr lapidar, ist aber andererseits die Konsequenz einer Gleichberechtigung der Frau in Form ihrer Gleichbehandlung. Unabhängig von Politik, Auffas- sung und Klassenstandpunkt könne man Rolands Persönlichkeit insbesondere angesichts dieses konsequenten Verhaltens „die höchste Achtung und Sympathie nicht versagen“317. Sie gebe Bei- spiel dafür, „daß die Frau mitten im öffentlichen Leben und seinen Kämpfen stehen kann, ohne 311 Ebd. 312 Vgl. ebd. 313 Ebd. 314 Ebd., S. 21. 315 Ebd. 316 Ebd. 317 Ebd., S. 22. 355 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN dabei aufzuhören, Weib zu sein. Sie zeigt, daß das Wirken für die Allgemeinheit wohl vereinbar ist mit der Erfüllung der Aufgaben als Gattin und Mutter. Sie legt Zeugniß dafür ab, daß die Frau für ihre politischen Ueberzeugungen voll Opfer- freudigkeit zu leben vermag und daß sie voll Muth für sie sterben kann“318. Den Männern der Revolution mindestens ebenbürtig in ihrer Begeisterung für die Sache, „an Schärfe und Logik des Urtheils“319, in ihrem „gefestigten, selbständigen, mannhaften Charakter“320 sei Roland nicht nur Parteigängerin, sondern eine Führerin, eine der „Besten aller Zeiten und aller Völker“321 gewesen. Einen etwas anderen Tenor hat der von Karl Soll (1881-1945)322 nach dem Ersten Weltkrieg verfasste Artikel. Er würdigt zu Beginn die Pflichten, die die Frauen „mit bewunderungswertem Opfermut und unendlicher Entsagung“323 während des Krieges erfüllt hätten. Soll sprach sich darin klar für das Frauenwahlrecht aus. Wenn die Entwicklung von Politik, Recht und Kultur – mit Ausnahmen des Mutterrechts – und damit die Basis jeder demokratischen Bewegung den Männern und vor allem ihrer „Fähigkeit zur Abstraktion“324 zu verdanken sei, so sei die „Konsequenz der demokratischen Denkart“ der „Eintritt der Frau ins politische Leben“325. Nur in Erfüllung ihrer demokratischen Rechte könne die Frau schließlich zur „politische[n] Individuali- tät“326 reifen. Als Vorbild für diese politische Reife wollte Soll jedoch keine der zeitgenössischen Frauen porträtieren, denn deren „Namen zu nennen, erübrigt sich“327, seien sie doch „den Lesern durch ihre agitatorische und schriftstellerische Tätigkeit, wie auch als Trägerinnen politischer Aufgaben bekannt“328. Er wollte stattdessen einige historische Frauen vorstellen, die ihre Fesseln gesprengt hätten, „um mit der Stimme der Leidenschaft das soziale Gewissen ihrer Zeit zu we- cken“329. Und in diesem Sinne sei auch Jeanne-Marie Roland „eine Zierde ihres Geschlechts“330 318 Ebd. 319 Madame Roland. In: GL, 04/ 01/ 10.01.1894/ 3. 320 Ebd. 321 Madame Roland. (Schluß.). In: GL, 04/ 03/ 07.02.1894/ 22. 322 Karl Soll war ausgebildeter Volksschullehrer. Er studierte Geschichte in Göttingen, München und Leipzig. Er arbeitete als Übersetzer und später erst als Redakteur und dann als Leiter beim Verlag August Scherl in Berlin. Als solcher gab Soll 1921-1926 „Scherls Jungdeutschland Buch“ heraus. Weitere Publikationen waren: Der Wiener Kongreß. In Schilderungen von Zeitgenossen“ (1918) und „Der junge Schiller“ (1921). 323 Soll, Karl: Politische Frauen. In: GL, 29/ 26/ 16.08.1919/ 203. 324 Ebd. 325 Ebd. 326 Ebd. 327 Ebd. 328 Soll, Karl: Politische Frauen. In: GL, 29/ 26/ 16.08.1919/ 203. Soll vertrat hier eine Einstellung, die für die aktuelle Erforschung der organisierten proletarischen Frauenbewegung sehr unzuträglich war. 329 Ebd. 330 Ebd. 356 4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION gewesen. Mit den sittlichen Idealen habe sie auch die politischen Ideale des Altertums angenom- men und sei so zur Befürworterin der Republik geworden. Inspiriert durch ihr Studium antiker Geschichte habe Roland dem „Ideal der Harmonie menschlicher Persönlichkeit“331 nachgestrebt. Sowohl von Soll als auch von Zetkin wurde Roland als ein ebensolches Ideal betrachtet. Soll charakterisierte das dramatische Ende Rolands jedoch deutlich kritischer als Zetkin, wenn er schrieb, Roland sei „das Opfer der Revolution [geworden], der sie ihr ganzes Sein gewidmet hatte“332. Zetkin dagegen erachtete ihr Schicksal schlicht als Konsequenz ihrer politischen Über- zeugung, der Überzeugung eines „weiblichen Vollmenschen“. Eine weitere herausragende Persönlichkeit, die mit der Französischen Revolution die Befreiung der Frau herannahen sah, war die Engländerin Mary Wollstonecraft (1759-1797). Doch – so nimmt es Blos in ihrem Artikel vorweg – sollte Wollstonecraft von den Ergebnissen der Revo- lution genauso enttäuscht werden wie Olympe de Gouges (1748-1793)333 und Theodor von Hippel, die ebenfalls zu den WegbereiterInnen der Emanzipation der Frau gehören.334 Wollstonecrafts Vater, so Blos, sei ein Familiendespot, ihre Mutter dessen „‘erste und unter- tänigste Untertanin’“335 gewesen. Wollstonecraft habe nur einen sehr mangelhaften Unterricht genossen, weshalb in ihr sehr früh der Wunsch nach persönlicher Freiheit und geistiger Arbeit erwacht sei. Da sie ihr später ergriffener Beruf als Erzieherin und Gesellschafterin nicht ausfüllte, habe sie sich der Schriftstellerei gewidmet. Um sich von der unerfüllbaren Liebe zu einem verheirateten Mann zu befreien, ging sie 1792 nach Paris. Hier im revolutionären Trubel lernte sie den amerikanischen Schriftsteller Gilbert Imlay kennen. Zwar lebte Wollstonecraft mit ihm zu- sammen und nannte sich zudem auch „Mrs. Imlay“, ihre Beziehung blieb jedoch eine freie – vor allem damit Imlay nicht gezwungen war, Geldschulden ihrer Familie mitzutragen. Als sich Woll- stonecraft, wie Blos sich ausdrückte, „Mutter fühlte“336, zeigte sich schließlich die ganze Unverbindlichkeit dieser Beziehung, denn Imlay verließ sie. Erst nach zwei Suizidversuchen fand Wollstonecraft wieder genug Lebensmut. Sie kehrte nach London zurück und lernte den Schrift- steller William Godwin kennen – und mit der Zeit auch lieben. In seinem Werk „Politische Ge- 331 Ebd. 332 Ebd., S. 204. 333 Nicht nur, dass der Name der französischen Kämpferin für Frauenrechte Olympe de Gouges in diesem Artikel einen Druckfehler aufwies, ihrem Leben wurde – zumindest im Hauptblatt der „Gleichheit“ – zudem niemals ein eigenständiger biographischer Artikel gewidmet. 334 Vgl. Blos, Anna: Mary Wollstonecraft. In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 114. 335 Ebd. 336 Ebd. 357 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN rechtigkeit“ (1793) vertrat Godwin, so Blos, die Meinung, „daß das ununterbrochene Zusammen- leben zweier Menschen der geistigen Entwicklung der einzelnen Persönlichkeit hinderlich sei“337. Entgegen jeder Vermutung, die eine solche Einstellung nahe legt, erwies er sich jedoch als zuver- lässiger Lebenspartner. Er habe Wollstonecraft, als diese erneut schwanger wurde, geheiratet, um diesem Kind „die Stellung [zu] […]geben […], die das erste entbehrte“338. Bei der Geburt dieses Kindes starb Wollstonecraft jedoch und ein, so Blos, „reiches, vielversprechendes Frauenleben“339 fand damit ein tragisches, aber für die damalige Zeit nicht ungewöhnliches Ende. Nach diesem biographischen Überblick widmete sich Blos dem schriftstellerischen Werk Woll- stonecrafts, mit dem diese in die Geschichte der Frauenemanzipation einging. Wollstonecraft verfasste 1792 in nur sechs Wochen ihre Schrift „Eine Verteidigung des Rechts der Frau“. Diese auffallend schnelle Anfertigung könnte die von Blos festgestellten „Ungleichmäßigkeiten und Mängel“340 an jenem Werk begründen. Dieser Mängel ungeachtet bezeichnete Blos die Schrift als den „Ausfluß einer sehr starken Leidenschaft“341. Das, was Wollstonecraft verlangt habe, sei „ge- recht, was sie anstrebt[e], […] ideal menschlich“342 und sie selber eine der „Pfadfinderinnen“343, denen alle Frauen viel zu verdanken hätten. Wollstonecraft habe gegen die gängigen Vorurteile ihrer Zeit gekämpft und die tatsächlichen Ursachen für „die Fehler im Verhalten der Frauen in dem falschen Erziehungssystem“344 gefunden, welches „in den Frauen nur das Geschlecht, nicht aber den Menschen“345 sehe. Mit der Forderung eines neuen Erziehungssystems habe sie nicht nur den bürgerlichen Frauen zu einer adäquaten Bildung verhelfen wollen, sondern der gesamten Frauenwelt. Zu einer Bildung, deren Inhalte sich nicht nur auf das reduzierten, was Ehemänner bereit waren, ihren Ehefrauen zuzugestehen, denn viel zu häufig seien jene nur daran interessiert, ihre „Frauen unaufgeklärt im Dunkel der Unwissenheit [zu] lassen, denn sie brauchen Sklaven und Spielzeuge für ihre Sinne“346. Wollstonecraft habe deshalb eine umfassende Bildung für Frauen gefordert – nicht nur eine solche, die sie ihre Pflichten als Töchter, Ehefrauen und Mütter erfüllen ließen. Ihre Bildung sollte dazu beitragen, „ihre eigensten Eigenschaften zu entwickeln 337 Ebd. 338 Ebd. 339 Ebd. 340 Ebd., S. 114-115. 341 Ebd., S. 115. 342 Ebd. 343 Ebd. 344 Ebd. 345 Ebd. 346 Ebd. 358 4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION und die Würde eigener Kraft zu erlangen“347. Die Frau sollte die Gefährtin ihres Gatten sein, nicht seine Untergebene. Völlig verkehrt sei es nach Wollstonecrafts Auffassung, unverheirateten Frauen anzuraten, sich nicht zu bilden, weil es eventuell ihrem zukünftigen Ehemann „unlieb“348 sein könnte. Wollstonecraft habe stark bezweifelt, dass „duldend-indolente Frauen ihre Gatten glücklich machen können, […][dass] sie die Charakterstärke haben, einen Haushalt recht zu führen und Kinder zu erziehen“349. Auch „den ehelosen Stand“350 ließe „ein mit reichen Kenntnissen ausgestatteter Geist […] mit Würde ertragen“351. Obwohl, oder besser, gerade weil Wollstonecraft eine überzeugte Republikanerin war, erkannte sie schnell den prinzipiellen Fehler der Französischen Revolution: „‘Gleichheit […] kann nicht Wurzel fassen, so lange die eine Hälfte der Menschheit in Abhängigkeit gehalten wird und durch Unwissenheit und Einbildung die Gleichheit untergräbt.’“352 Ein Problem, gegen das auch die proletarische Frauenbewegung des deutschen Kaiserreichs immer wieder zu kämpfen und zu agitieren hatte. Der Forderung, Frauen zu allen Berufen zuzulassen, ließ Wollstonecraft aber die Mahnung an alle Mütter folgen, zugleich ihre Mutter- pflichten sorgsam zu erfüllen. Denn, so laut Blos die Argumentation Wollstonecrafts, „‘[e]ine Mutter, die ihr Kind der Amme, bezahlten Pflegerinnen und dann der Schule anvertraut, kann kein tieferes Verwandtschaftsgefühl von ihm erwarten“353. Nach ihrer Auffassung sei es die Elternliebe, die die Kindespflicht und damit letztlich den Eltern eine Altersversorgung entstehen lasse354. Wollstonecraft forderte, dass alle Knaben und Mädchen im Alter von fünf bis neun Jahren – unabhängig von ihrer Standeszugehörigkeit und deshalb auch einheitlich gekleidet – in einer öffentlichen Schule unterrichtet werden sollten. Eine gute Aus- bildung sollte auch einer früheren Heirat der Mädchen zugute kommen. Vorausgesetzt, dass auch die Männer ihren Pflichten als Gatten und Väter nachkämen, würden aus den zu „vernünftigen freien Bürgern“355 erzogenen Frauen auch gute Ehefrauen und Mütter werden. Mit den Rechten, die die Frauen erhielten, hätten sie aber auch gewisse Pflichten zu erfüllen.356 Und aus diesem 347 Ebd. 348 Ebd. 349 Ebd. 350 Ebd. 351 Ebd. 352 Ebd. 353 Ebd. 354 Vgl. ebd. 355 Ebd., S. 115-116. 356 Vgl. ebd., S. 115. Wohl angesichts des gerade beendeten Ersten Weltkrieges war es Blos wichtig, zu erwähnen, dass Wollstonecraft leidenschaftliche Kriegsgegnerin war, „denn das heutige System der Kriegführung habe mit 359 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Prinzip heraus, so Blos, wollte Wollstonecraft selbst die vermeintlichen „Vorrechte“ der Frauen – das Aufheben ihrer Taschentücher, das Aufhalten von Türen – beendet sehen. Wenn auch Blos ihrem Artikel voranstellte, die Französische Revolution habe die von Frauen in sie gesetzten Hoffnungen enttäuscht, bewiesen doch die durch sie beeinflussten Werke zur Frauen- emanzipation eine ungebrochene Aktualität: „Alle Gedanken, die sie enthalten, sind die Samenkörner, die während des 19. Jahr- hunderts Wurzeln faßten. Die wirtschaftliche, die rechtliche, die sittliche Seite der Frauenfrage sind aus diesen Wurzeln gewachsen, und Aufgabe der heutigen Frauenwelt ist es, zu helfen, daß eine gesunde Politik, welche auf der Freiheit aller begründet ist, die Menschheit dahin führt, daß sie im Sinne Mary Wollstonecraft’s ‘weiser und tugendhafter’ wird.“357 Zwar waren die Visionen Wollstonecrafts von einer gleichberechtigten Gesellschaft auch nach 130 Jahren noch nicht erfüllt, für die Leserinnen der „Gleichheit“ blieben sie aber erstrebenswerter und greifbarer denn je. Andere Frauen der Französischen Revolution hinterließen der Nachwelt kein Schriftwerk, keine politische Theorie, sondern ihr lebendiges Beispiel. Beispiel für ihren den Männern ebenbürtigen Mut im Kampf gegen die feudale Tyrannei, Beispiel für ihren Gerechtigkeitssinn. Wenn auch bald von der Geschichtsschreibung vergessen, ragten diese Frauen zu ihren Lebzeiten deutlich aus der Masse heraus – so auch Françoise Legros (1749-1788)358. Sie gehörte nicht zu den kämpfenden Revolutionärinnen, nicht zu den Stürmerinnen der Bastille und zählt dennoch zu den Heldinnen der Französischen Revolution. Denn sie war, so Zetkin, eine „Heldin des Mitleids und selbstloser Aufopferung, eine Heldin an Unerschrockenheit, willensstarker Thatkraft und zäher Ausdauer“359. Welche Heldentat war es also, mit der Françoise Legros sich auch in den kritischen Augen Zetkins „ein Plätzchen in der Geschichte der großen Revolution“360 erworben hatte? Es war der scheinbar schlichte Umstand, dass sich diese Pariser Weißwarenhändlerin – obwohl in keinerlei verwandtschaftlicher oder freundschaftlicher Beziehung stehend – für die Freilassung des Schrift- stellers Jean-Henry Masers de Latude (1723-1805) eingesetzt hatte. Latude war 1749 aus nie irgendeiner persönlichen Tugend wenig mehr gemein“ (ebd.). 357 Blos, Anna: Mary Wollstonecraft. In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 116. 358 Madame Legros. In: GL, 02/ 02/ 25.01.1892/ 22-24. Der Vorname Legros‘ blieb im Artikel ungenannt. Außerdem ging aus dem Artikel nicht hervor: Françoise Le Gros, geb. Gellain, war Tochter des Pariser Händlers Balthazar Gellain und gelernte Weisswirkerin. 1773 heiratete sie den Händler Claude-François Le Gros und wird Mutter zweier Kinder – das erstgeborene stirbt. Heinrich Mann verfasste 1913 das Theaterstück „Madame Legros“, das 1916 uraufgeführt wurde, jedoch die Ereignisse in das spätere Revolutionsjahr 1789 versetzte. 359 Madame Legros. In: GL, 02/ 02/ 25.01.1892/ 22. 360 Ebd. 360 4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION geklärten Gründen inhaftiert und in die Bastille gebracht worden. Dort schmachtete er bereits 30 Jahre, als schließlich Legros zufällig von seinem Schicksal erfuhr. Drei lange Jahre versuchte Legros, die Freilassung Latudes zu erreichen. Drei Jahre, in denen sie viel persönliches Leid erfuhr, ihren Laden verlor, von den Leuten verspottet und der heimlichen Liebschaft mit Latude verdächtigt wurde. Indem Legros das Unrecht an Latude öffentlich machte, habe sie, so die Meinung Zetkins, das absolutistische Staatssystem und seine Vollstrecker angegriffen. Deshalb war auch sie bald behördlicher Beobachtung und Schikane ausgesetzt – eine Erfahrung, die jede deutsche Sozialistin des 19. Jahrhunderts nachempfinden konnte. Doch die vielen Enttäuschungen und Fehlschläge hätten es nicht vermocht, so Zetkin, Legros „einen Augenblick aufzuhalten oder schwankend zu machen“361. Unerschrocken habe Legros versucht, jeden Kontakt zum königlichen Hofe oder auch zu dessen Opposition zu nutzen. Sie sei in ihrem Einsatz für den Gefangenen unermüdlich gewesen. 1783362 erhielt Legros für ihre selbstlose Tat, die zwar nur einem einzelnen Menschen galt, aber enorme Symbolkraft besaß, den Tugendpreis der Academie Française. Die Behörden konnten zwar durchsetzen, dass die Verleihung ohne offiziell verlautbarte Begründung erfolgen musste, aber auch ohne diese sei die Verleihung, so Zetkin, „eine Ohrfeige in das Gesicht des unumschränkten Königthums“363 gewesen. Ein Jahr später fügte sich alles zum Besten und Latude wurde freigelassen, was Zetkin wie folgt kommentierte: „Madame Legros hatte Ludwig XVI., sie hatte der selbstherrlichen Monarchie einen glänzenden Sieg abgerungen.“364 Legros hatte demnach einen Sieg errungen, dem keine Schlacht, sondern ein unbeirrbares Gerech- tigkeitsgefühl vorausgegangen war. Latude veröffentlichte schließlich ein Buch über seine Lebensgeschichte und machte damit Legros zu einem Beispiel für Beharrlichkeit. Diese war es auch, die sich Zetkin als ein Minimum proletarischen Engagements wünschte, denn „anklagend und fordernd ihre Stimme erhebend“365, so sollten auch die deutschen Proletarierinnen die „Bastille des Kapitalismus ins Wanken“366 bringen. Jede Art von sozialkritischem Engagement – so zeigt es das Beispiel Legros‘ – konnte ein Beitrag zum Sozialismus sein, jede mutige Frau und jeder „weiblicher Vollmensch“ ein Sandkorn im Getriebe des ungerechten willkürlichen Systems. 361 Ebd., S. 23. 362 Die Preisverleihung könnte auch 1784 – im Jahr der Freilassung Latudes stattgefunden haben. Vgl. Süßenberger, Die Klaviere des Henkers. 363 Madame Legros. In: GL, 02/ 02/ 25.01.1892/ 23. 364 Ebd. 365 Ebd., S. 24. 366 Ebd. 361 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN 4.1.4 Deutsche Freiheitskämpferinnen und Demokratinnen Den Revolutionärinnen Frankreichs folgen chronologisch die Freiheitskämpferinnen der napoleonischen Zeit. Zwar sei die Französische Revolution der „gewaltigste[…] aller Freiheits- kämpfe“367 gewesen, aber auch der deutsche Freiheitskrieg von 1813 lege „glänzendes Zeugnis ab von der Begeisterung, Selbstleugnung, dem Opfermuth der Volksmassen“368. Überhaupt – so L. W.-K. die Emotionalität ihres Artikels noch steigernd – sei das „Studium der Geschichte […] nie reicher an erhebenden und ergreifenden Eindrücken, als wenn es uns von den Freiheitskämp- fen der Völker berichtet“369. Dabei handelte es sich besonders um Berichte von den deutschen FreiheitskämpferInnen, die verhindern wollten, dass „deutsches Wesen, deutsche Art, die doch in jahrhundertelanger Kultur ihre Berechtigung erwiesen [hätten,] nicht auf lange hinaus vernichtet werden“370. Patriotismus also, die Liebe zur Heimat und zur eigenen Kultur war es, die das deutsche Volk dazu trieb, treiben musste, die Fremdherrschaft der napoleonischen Truppen abzuschütteln. Nur ein Verteidigungskrieg konnte vor den Augen der Leserinnen einer sozialis- tischen Zeitschrift gerechtfertigt sein und patriotische Gefühle erzeugen. Später sollten viele dieser Leserinnen jedoch auch den Ersten Weltkrieg als einen Verteidigungskrieg einschätzen und sich ihm entsprechend dienstbar machen. Die einzige in der „Gleichheit“ erschienene Biographie einer Kämpferin jener Freiheitskriege ist die Eleonore Prohaskas (1785-1813). Die biographische Skizze stützt sich auf zwei ihrer Briefe an ihren Bruder und auf die Aufzeichnungen Dr. Friedrich Försters, der ihr vorgesetzter Offizier gewesen war. Laut diesen Quellen verließ Prohaska im Alter von 18 Jahren ihre in Potsdam lebende Familie – ihr Vater war ein invalider Unteroffizier. In Männerkleidung – wie auch Charlotte Krüger, Dorothea Sawosch371 und viele andere junge Frauen – schloss sich Prohaska als Jäger „August Renz“ dem Lützowschen Freikorps an. Obwohl man demnach annehmen kann, dass sie im Umgang mit Schusswaffen geübt war, waren es interessanterweise ihre Tätigkeiten wie Schneidern, Waschen und Kochen, die Erwähnung finden. L. W.-K. betonte außerdem, dass Prohaska „den ganzen Tag lustig und guter Dinge und darum der Liebling aller Kameraden“372 gewesen sei. Es scheint demnach der Autorin und den Quellen, auf die sie sich stützte, wichtig zu 367 L. W.-K.: Eleonore Prohaska. In: GL, 02/ 07/ 06.04.1892/ 63. Dem Artikel wurde ein Gedicht Friedrich Rückerts beigefügt, das im Anhang enthalten ist. 368 Ebd. 369 Ebd. 370 Ebd. 371 Weitere Informationen zu den beiden Frauen wurden in dem Artikel nicht gegeben. 372 Ebd. 362 4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN sein, nicht den Eindruck zu erwecken, Prohaska habe mit den Kleidern auch ihre Weiblichkeit ab- gelegt. Im Folgenden sind es die Aufzeichnungen Försters, auf die sich L. W.-K. bezog, aber im einzelnen nicht als Zitate kenntlich machte. Sie beschrieb die Ereignisse, als das Freikorps im Göhrde Wald nahe Dannenberg auf eine französische Übermacht traf. Die Lage der Deutschen entwickelte sich schlecht: Die meisten der Offiziere wurden verwundet oder starben und die Gruppe der Jäger war damit ohne Führung. Gerade wollte Förster selbst versuchen, mit seinem verwundeten Arm die Trommel zur Sammlung der orientierungslosen Soldaten zu schlagen, als Jäger „Renz“ sie ergriff. 50 bis 70 andere Jäger scharte „er“ um sich, um mit diesen den ent- scheidenden Hügel zu stürmen. „Renz“ wurde dabei verwundet und habe Förster gerade noch zurufen können: „‘Herr Lieutenant, ich bin ein Mädchen.’“373 Der Offizier fand Prohaska später in einem Lazarett in Dannenberg, wo sie ihren Wunden erlag und begraben wurde. Jedoch so L. W.-K. weiter: „Kein Denkmal von Stein oder Erz bezeichnet die Stätte, wo die tapfere Streiterin den letzten Schlaf schläft, aber vergessen ist diese selbst trotz alledem nicht. – “374 Gemäß der materialistischen Geschichtsauffassung resümierte L. W.-K. den Freiheitskrieg von 1813 als einen Betrug am deutschen Volke, das „um die Früchte des Freiheitskrieges geprellt“ 375 worden sei. Denn an der Herrschaft der deutschen Fürsten habe sich später nur insoweit etwas geändert, dass diese durch „moderne Fabrikherren und Finanzfürsten“376 ersetzt worden wären. Diese Umstände seien es, die nun den breiten Massen einen neuerlichen Kampf für ihre Befreiung aufzwingen würden: Es galt nicht gegen einzelne Tyrannen, sondern gegen ein ganzes tyran- nisches System, den Kapitalismus, zu kämpfen. Ein Kampf, der den Proletarierinnen „täglich Gelegenheit [biete], alle die Eigenschaften zu bethätigen, welche Eleonore Prohaska, die Tochter des Volks im Kampfe für die nationale Freiheit bewiesen“377 habe. Ein Kampf, der die Proletarierinnen „zum Verständniß der Sache der Allgemeinheit, zur Hingabe an das Ganze, zu Muth, Charakterfestigkeit, Opferfreudigkeit“378 erziehe, zu „Bürgertugenden, welche bisher nur einzelne Gestalten der Frauenwelt auszeichneten“379 und diese „vor keiner Be- 373 L. W.-K.: Eleonore Prohaska. (Schluß.). In: GL, 02/ 08/ 20.04.1892/ 71 374 Ebd. 375 Ebd. 376 Ebd. 377 Ebd., S. 72. 378 Ebd. 379 Ebd. 363 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN schwerde, keiner Entbehrung, keiner Aufgabe zurückschrecken“380 ließen. Tugenden, die sich „sehr wohl mit echt weiblicher Wärme der Empfindung, treuem Festhalten an dem als wahr Er- kannten und hilfsbereiter Liebe für die Mitmenschen paaren können“381 und somit dem von Zetkin charakterisierten Leitbild des „weiblichen Vollmenschen“ harmonisch entsprechen. Die Befreiung Deutschlands von der französischen Fremdherrschaft 1813 hatte viele Hoffnungen auf eine nationale Einheit und demokratische Umgestaltung des Deutschen Reiches geweckt. Hoffnungen, die durch die reaktionären Fürstenhäuser enttäuscht wurden, aber nicht ganz ver- schwanden. Wieder ist es L. W.-K., die als Verfasserin eines Artikels zuerst in dessen Fußnoten die „Gleichheit“-Leserinnen über die Vorgänge im so genannten „Vormärz“ informiert, um dann in sie die persönliche Geschichte „[e]ine[r] muthige[n] Frankfurterin“382 einzubetten. Im April 1833 kam es in Frankfurt am Main zu einer von Studenten geführten Revolte. Sie begann mit einem Überfall auf die Hauptwache und scheiterte bereits nach einigen Tagen, da die Studenten durch die Bevölkerung nicht die erhoffte Unterstützung erhielten. Die beteiligten Personen versuchten, ins Ausland zu fliehen, um nicht wegen Hochverrats verurteilt zu werden. Die Frauen, die den Flüchtigen halfen, „bewiesen nicht allein Klugheit und Erfindungsgabe, sondern auch große Verschwiegenheit“383. Entscheidender für die Leitbildfunktion dieser Frauen ist jedoch folgende Charakterisierung: „Mit treuer Hingebung und Selbstlosigkeit dienten sie der Sache der Freiheit und ließen ihre Persönlichkeiten so vollständig in den Hintergrund treten, daß wir nur geringe Kunde von ihrem aufopfernden Thun besitzen.“384 Es ist also nicht allein der männlich dominierten Geschichtsschreibung anzulasten, die Namen und die Geschichte der Frauen vernachlässigt und damit nach und nach dem Vergessen preisgegeben zu haben. Vielmehr war es die gänzliche „Selbstaufopferung“, quasi „Selbst- auflösung“ der Frau hinter einer „Sache“ – einer Revolution, einer Kultur –, die dazu führte, dass ihre Person, ihr Beitrag und damit ihre historische Bedeutung unbekannt und ungenannt blieb. So auch geschehen mit dem Namen und der Person von Frau B. (?-?), eben jener mutigen Frank- 380 Ebd. 381 Ebd. 382 L. W.-K.: Eine muthige Frankfurterin. In: GL, 02/ 13/ 29.06.1892/ 111. In zwei Fußnoten wurden die Leserinnen über die vor allem von Studenten getragenen Unruhen im Vorfeld der Frankfurter Revolte aufgeklärt (Wart- burgfest 1817 und Hambacher Fest 1832). Aber wenn auch die Studenten „damals auf höherer Stufe standen als der Durchschnitt derselben von heute“, so ermangelte auch ihnen „die Fühlung mit den Interessen des Volkes“. Dass damals „das Tragen harmloser schwarz roth goldener Bänder […] – wie unter dem Sozialistengesetz das Tragen der verpönten rothen Abzeichen – wie ein Verbrechen bestraft“ (ebd.) wurde, wies die „Gleichheit“-Lese- rinnen auf eine zusätzliche geschichtliche Parallele hin. 383 Ebd. 384 Ebd. 364 4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN furterin, die dem 20-jährigen Studenten Feddersen zur Flucht verhalf. Eine zentrale Rolle spielte dabei ihr am Main günstig gelegenes Gartenhäuschen. In die Fluchtpläne eingeweiht, musste sie unter großen Schwierigkeiten und „sogar dem Gatten gegenüber“385 absolutes Stillschweigen bewahren. Das erste Treffen mit Feddersen, von welchem Frau B. nur den Decknamen „Brutus“ erfuhr, und die Flucht wurden von L. W.-K. ganz im Stile eines Spionageromans beschrieben: Verabredete Geheimzeichen und eine Probe, der ein trickreicher Mittelsmann Frau B.s Ver- schwiegenheit ein letztes Mal unterzog - dies sorgte bei der „Gleichheit“-Leserin für Spannung. Die Flucht gelang und L. W.-K. beschrieb Frau B.s Anteil daran als – im wahrsten Sinne des Wortes – „stille That warmer Menschenliebe, die unter den damals obwaltenden Umständen zugleich eine That großen Muthes und edler Selbstverleugnung war, […] ein schöner Beweis des hohen Sinns, den Frauen stets bethätigt haben, wo und wann im Namen der Freiheit und Gerechtigkeit gekämpft worden ist“386. Frauen brachten sich demnach auch selbst um ihre historische Relevanz und um die Überlieferung ihrer Heldentaten, weil sie diese in einer vermeintlich „typisch weiblichen“ Weise vollbrachten. Chronologisch bereits bei den Frauen des 19. Jahrhunderts angelangt, werden im Folgenden vor allem die Frauenbiographien der „Gleichheit“-Mitarbeiterin Anna Blos und des Historikers Manfred Wittich, der hinter den Initialen M.W. zu vermuten ist, vorgestellt werden. Die Reihen- folge der Frauenbiographien aus der Zeit der Romantik, Befreiungskriege und 1848-Revolution orientiert sich weiterhin chronologisch an deren Lebensdaten. Je näher diese Lebensdaten an die Zeit der Industrialisierung heranrücken, desto stärker rückt auch die Entscheidung einer Frau für oder wider die Arbeiterbewegung in den Blickpunkt der Artikel. Bevor nun die Anhängerinnen der demokratischen 1848er-Bewegung Deutschlands und damit die Begründerinnen der deutschen Frauenbewegung porträtiert werden, folgt zuvor noch das von Hermann Wendel (1884-1936) verfasste Porträt der serbischen Dichterin und Demokratin Militza Stojadinowitsch (1830-1878). Es ist sehr bemerkenswert, dass die „Gleichheit“ im August 1918 – direkt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs – die biographische Skizze einer Serbin ver- öffentlichte. Man begann sich augenscheinlich wieder auf eine sozialistische Verbundenheit aller Länder und Nationen, auf eine Völkerverständigung zu besinnen. Stojadinowitsch wurde in dem kleinen Dorf Bukowatsch geboren und wuchs dann in Wrdnik auf. In Erzählungen und Heldensagen vermittelten ihr ihre Eltern – ihr Vater war Pope – die Ge- 385 Ebd. 386 Ebd., S. 112. 365 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN schichte des Südslawenstammes der Serben gerade in einer Zeit, in der die nationale Einigung der verschiedenen Südslawen angestrebt wurde. Die Eltern legten damit den Grund für Stojadino- witschs „Liebe zum eigenen Volkstum“387. Andererseits ermöglichten sie ihr im Alter von 12 Jah- ren, in einem Pensionat in Peterwardein auch eine „abendländische“ Bildung und das Erlernen der deutschen Sprache und des Gitarrespiels. Bereits im Kindesalter verfasste sie erste dichterische Werke. 1848 brach der Freiheitskampf der ungarischen Serben gegen die Magyaren los, den die Serben anderer Nationen unterstützten. Voller Begeisterung für die Sache hätte sich Stojadinowitsch am liebsten den Rebellen als Kämpferin angeschlossen, sie beließ es dann jedoch dabei, begeisternde Gedichte auf die Freiheit aller Südslawen zu verfassen. Nach dem Scheitern der Aufstände zog sie sich zurück, um ihre Gedanken und Erlebnisse in die Form eines Tagebuches zu bringen. Laut Wendel war Stojadinowitsch jedoch alles andere als ein sogenannter „Blaustrumpf“. Sie sei im Gegenteil „stolz darauf [gewesen], in bäuerlicher Einfachheit Hemden zu nähen, Strümpfe zu stricken, Brot zu backen, am Webstuhl zu sitzen, am Waschtrog zu stehen und sich um Obstgarten und Weinberg zu kümmern“388. Diesen gängigen Rollenbildern entspricht auch das Wirken Stojadinowitschs in ihrer näheren Umgebung. Sie „unterwies die Bauernmädchen in Handarbeiten, setzte den Vätern Gesuche an Amt und Gericht auf [und] verfaßte den Müttern Briefe an den Sohn in der Kaserne“389. Sie stellte ihre Bildung in den Dienst ihres Dorfes, bildete sich stets weiter, las Rousseau, Byron und Balzac und sammelte die Volkslieder ihrer Region.390 Nein, Stojadinowitsch war kein „Blaustrumpf“, denn auch sie lebte in dem von der Fraueneman- zipationsbewegung unberührten Serbien das Leben einer Frau in Abhängigkeit. Auch sie strebte dem Vorbild der „Serbenjungfrau [nach], die, fromm, bescheiden und arbeitsam, den Glauben hoch- hält, die Heimat liebt, die Muttersprache ehrt und im sonntäglichen Reigen der Gefährtinnen züchtig die Augen zu Boden schlägt“391. Eine Vorbildfunktion als „weiblicher Vollmensch“ kommt ihr aber trotzdem zu, da sie ihr dichte- risches Können nicht nur auslebte, sondern es vorrangig in den Dienst ihres Volkes stellte. Sie sei, so Wendel, das „erste weibliche Wesen [gewesen], das in serbischern Versen dem Serbentum 387 Wendel, Hermann: Militza Stojadinowitsch. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 173. 388 Ebd., S. 174. 389 Ebd. 390 Ebd. 391 Ebd. 366 4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN gehuldigt“392 habe. Namhafte Dichter und Fürsten verehrten ihr Talent, aber auch ihre Schönheit. Interessanterweise war es jedoch nie die Liebe, die sie zum Thema ihrer in den 1850er und 1860er Jahren erschienenen Werke machte, sondern stets der Patriotismus. Auch dieser Umstand mag dazu beigetragen haben, dass ihr Stern sank, denn Wendel resümierte, dass „ihre Dichtung […] unpersönlich und frostig [blieb] und […] über gereimte Prosa kaum hinaus[kam]“393. Insgesamt sei Stojadinowitsch ein „schwaches Talent, wenn überhaupt ein Talent“394 gewesen. In den 1860er Jahren waren es „Dichter mit stärkeren Tönen und wuchtigerem Gang“395, die die Anhängerin eines „wolkenhaften und blutleeren Idealismus“396 ausstachen. Doch nicht nur dichterisch, auch menschlich sei Stojadinowitsch zu jener Zeit, so Wendel, „unter den Schlitten“397 gekommen. War Stojadinowitsch bisher wohlbehütet von ihren Eltern ihrer Schwärmerei nachgegangen, warf der Tod der Mutter und eine Erkrankung des Vaters sie plötzlich in die harte Realität des Daseins, an dessen Kanten und Ecken sich ihre romantische Seele schließlich wund gestoßen habe.398 Der Vater starb, ihre Brüder zogen weg, ihre Schwester heiratete. Abgesehen von einer kurzen Liebes- beziehung mit dem Dichter Rajkowitsch (vermutlich Djordje Rajković), war sie nun vollkommen allein. Sie war nun, so Wendel, nur noch ein „elendes, verlassenes, bettelhaft armes Weib“399 und die „Tage des Glanzes, da sie das Entzücken eines ganzen Volkes gewesen war“400 längst vergangen. Aus Teilnahmslosigkeit wurde Trunksucht, wurde „Kapitulation eines haltlosen und verstiegenen Idealismus vor der niedrigsten Realität, der Gosse!“401 So sah Wendel ihren Tod am 5. August 1878 als eine Erlösung für sie und ihre wenigen Freunde.402 Wenn jedoch auch das Ende nicht dem eines „weiblichen Vollmenschen“ zu entsprechen scheint, so war Stojadinowitsch doch nach Meinung des serbischen Literaten Johan Skerlitsch403 „‘eine von den seltenen serbischen Frauen, die sich selbst ein höheres Lebensideal schufen und darin lebten’“404. Das ist nicht wenig und Grund genug, dass Stojadinowitsch, so Wendel, ein „Plätzchen in der geistigen Entwicklungs- 392 Ebd., S. 173. 393 Ebd., S. 174. 394 Ebd. 395 Ebd. 396 Ebd., S. 175. 397 Ebd. 398 Ebd. 399 Ebd. 400 Ebd. 401 Ebd. 402 Ebd. 403 Gemeint war Jovan Skerlic. 367 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN geschichte der Frau überhaupt“405 gebühre – und damit wohl auch ein Platz in dieser Reihe „weiblicher Vollmenschen“. Die geistige Entwicklungsgeschichte der Frau nimmt in Deutschland vor allem mit der 1848er- Revolution einen enormen Aufschwung. Ähnlich schwärmerisch veranlagt wie Stojadinowitsch und für die revolutionären Bestrebungen begeistert und begeisternd tätig war Bettina von Arnim (1785-1859). Katharina Elisabeth (daher „Bettina“) Ludovika Magdalena Brentano entstammte einer berühmten Familie. Sie war Enkelin der berühmten Erzieherin Sophie von Laroche, Tochter Maximiliane Brentanos, die vor ihrer Heirat mit Brentano von Johann Wolfgang von Goethe umschwärmt wurde, und Schwester des Dichters Klemens Brentano. Zusammen mit zwei ihrer Schwestern verbrachte sie als Kind vier Jahre in einer Klosterpension in Fritzlar, bevor sie dann überwiegend in Frankfurt am Main und Offenbach – bei ihrer Großmutter Sophie – lebte. Bewegt durch den tragischen Suizid ihrer Freundin Karoline von Günderode (1780-1806), die sich 1806 aus Liebeskummer erdolchte, suchte Arnim den freundschaftlichen Kontakt zu Katharina Elisabeth Goethe (1731-1808). Dieser Kontakt ergab sich auch, weil deren berühmter Sohn zum Freundeskreis Sophie von Laroches zählte. Arnim sollte später in ihren Schriften der Persönlichkeit dieser lebenserfahrenen Frau ein besonderes Denkmal setzen. 1811 heiratet Bettina den Freund ihres Bruders, Achim von Arnim, mit dem sie 20 Jahre eine glückliche Ehe führte und sieben Kinder bekam. 1831 starb ihr Ehemann und ein Jahr darauf Johann Wolfgang von Goethe. Dieser war besonders wichtig für die schriftstellerische Tätigkeit Arnims, denn sie hatte ihn bei der Abfassung seiner Autobiographie „Dichtung und Wahrheit“ unterstützt, indem sie die Erzählungen seiner Mutter einbrachte. Aus ihrem regen Briefwechsel mit Goethe erstellte Arnim schließlich ein Buch, das unter dem Titel „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“ erschien und das Arnim 1835 zur „berühmteste[n] Frau Deutschlands“406 machte. Diesem Werk folgten viele weitere Schriften und Ausgaben verschiedener Briefwechsel. Arnim betrieb mit ihnen einen „Kultus ihrer geliebten Todten“407, reflektierte aber auch allgemein über Kunst, Literatur und Musik oder den Kontakt zu berühmten Persönlichkeiten. Diese außergewöhnlichen Umstände lassen bisher nicht vermuten, dass Arnims schriftstellerisches 404 Johan Skerlitsch zit. nach: Ebd. 405 Ebd. 406 [Wittich, Manfred?] M.W.: Bettina von Arnim. In: GL, 10/ 15/ 18.07.1900/ 117. 407 Ebd. 368 4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN Engagement den „Armen und Elenden des Volkes“408 gegolten haben könnte. Auch der Titel ihres herausragendsten Werkes „Dies Buch gehört dem König“, scheint nicht der geeignete Beweis für eine solche Behauptung zu sein. Tatsächlich verbergen sich aber hinter diesem Titel Arnims mit Katharina Elisabeth Goethe geführten „staatssozialistischen Gespräche“409. Das Werk ist adressiert an den Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV., der damit von einem „‘sozialen Königthum’“410 über- zeugt werden sollte. Vorangestellt ist den Ausführungen ein Zitat der weisen Katharina Elisabeth Goethe: „‘Freiheit allein bringt Geist, Geist allein bringt Freiheit.’“411 Nach Meinung Wittichs sei es „die glühende Sehnsucht, allen Armen, Mühseligen und Beladenen zu helfen, sie zu befreien, aufzuklären und zu beglücken“, die dieses Buch wie ein „feuriger Odem“412 durchwehe. Tatsächlich finden sich darin konkrete Forderungen wie z. B. die Sonntagsruhe, damit „an einem Tage doch auch der Dienende das Gefühl der Menschenwürde habe“413. Arnim, die den Armen selbst praktische Hilfe leistete, indem sie z. B. während einer 1831 in Berlin ausgebrochenen Cholera-Epidemie half, plädierte für Denkfreiheit und Gemeinsinn bis hin zur „Völkerverbrü- derung, der Interessengemeinschaft und gemeinschaftlicher Interessenwahrung aller die Erde bewohnenden Menschen“414. Diese romantischen Vorstellungen fanden in Wittich einen ehrlichen Bewunderer. Ihm fiel es dann auch umso schwerer – ja, es ist „entsetzlich“415 für ihn –, auch von Arnims abstruser Vorstellung zu berichten, der König solle sich mit Demagogen umgeben, um im gemeinsamen Ratschlag mit ihnen das Land zu regieren. Abgesehen von diesem einzelnen Kritik- punkt, so die Meinung Wittichs, müsse Arnims Werk jedoch den passenderen Titel „Dies Buch gehört dem Volke“416 tragen. Auch Anna Blos beschäftigte sich mit dem Leben und Wirken Bettina von Anirms. Weniger als Wittich bezog sie sich auf deren literarisches Werk und stellte vielmehr deren Eigenschaften als „weiblicher Vollmensch“ heraus. Doch auch Blos sah in Arnim ein „seltsames Gemisch von Romantik und Realismus“417 verkörpert, welches in ihrer wenig sorgsamen Erziehung begründet liege. Durch diese – verstärkt durch ihre Umwelt, den frühen Verlust der Eltern und die Kloster- 408 Ebd. 409 Ebd. 410 Arnim, Bettina von: Armenbuch. (1845). Zit. nach: [Wittich, Manfred?] M.W.: Bettina von Arnim. (Schluß.). In: GL, 10/ 16/ 01.08.1900/ 124. 411 Arnim, Bettina von: Armenbuch. Zit. nach: Ebd. 412 [Wittich, Manfred?] M.W.: Bettina von Arnim. In: GL, 10/ 15/ 18.07.1900/ 117. 413 [Wittich, Manfred?] M.W.: Bettina von Arnim. (Schluß.). In: GL, 10/ 16/ 01.08.1900/ 124. 414 Ebd., S. 125. 415 Ebd., S. 124. 416 Ebd., S. 125. 417 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts I: Bettina von Arnim. In: GL, 29/ 31/ 20.09.1919/ 244. 369 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN schule – sei die Phantasie oft mit ihr durchgegangen. So erscheine Arnims „Wesen […] zersplittert und fahrig“418 und erfahre „häufig eine Beurteilung, die ihr nicht gerecht wird, weil sie ihr innerstes Wesen nicht erkenn[e]“419. Eine andere Erziehung hätte dagegen die inneren Wider- sprüche „ausgleichen“420 und Arnims Talente besser fördern können. Der von Blos festgestellte Erziehungsfehler, habe sich z. B. auch in „Launenblitzen“421 gezeigt. Den schlimmen Ausgang, den das übermäßige Nachhängen an Phantasien haben könne, zeige der Suizid ihrer Freundin Karoline von Günderode. Diese habe das Leben nicht länger ertragen, weil es „dem Trugbild ihrer Phantasie nicht entsprach“422 – dem Fall Stieglitz sehr ähnlich, war also auch hier eine Art Des- illusionierung Motiv eines Suizids. Während Wittich die Persönlichkeit der Mutter Arnims – Maximiliane Brentano – und ihre Beziehung zu Goethe unerwähnt ließ, schilderte Blos diese sehr ausführlich. Seiner Liebe zu Maximiliane sei sich Goethe jedoch erst bewusst geworden, als sich diese auf Wunsch ihrer Mutter vermählen musste. So weist die innige Bekanntschaft Goethes mit Tochter Bettina noch einen weiteren interessanten Aspekt auf. Allerdings war es Bettina, die Goethe aufsuchte und ihn mit ihrer Natürlichkeit und Beharrlichkeit beeindruckte. Der daraus entstandene „Briefwechsel mit einem Kinde“ entspreche in seiner Art ganz dem Wesens Arnims – ein Gemisch von Dichtung und Wahrheit. Echt und „übersinnlich-sinnlich“423 zugleich sei auch die Liebe gewesen, die sie für Goethe empfunden und die vielen zeitgenössischen Dichtern „eine hohe Auffassung der Frauen- liebe“424 vermittelt habe. Arnim habe damit deren „Begriffe von Freiheit im Lieben“ „[ge]adelt[…]“425 – noch dazu sie selbst in einer harmonischen Ehe lebte. Ihre schwärmerische Liebe für Goethe ließ sie seiner Person und seiner Stellung als Minister gegenüber jedoch nicht unkritisch werden. So führte ihr Spötteln über Christiane Vulpius schließlich zum Bruch mit Goethe. Und obwohl dieser auf keinen ihrer Versöhnungsversuche reagierte, hielt Arnim an ihrer Verehrung für ihn fest und entwarf nach seinem Tod sogar ein Denkmal für ihn – dies zudem ein Zeugnis ihres vielseitigen künstlerischen Talents. Bemerkenswerterweise brachte Blos das Interesse Arnims für soziale und nationalökonomische Fragen in Zusammenhang mit ihrer Witwenzeit.426 Demnach suchte sie in dieser Beschäftigung 418 Ebd. 419 Ebd. 420 Ebd. 421 Ebd., S. 245. 422 Ebd. 423 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts I: Bettina von Arnim. (Schluß). In: GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 251. 424 Ebd. 425 Ebd. 426 Vgl. ebd. 370 4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN vermutlich auch einen neuen Lebensinhalt. In ihrem erwähnten Werk „Dies Buch gehört dem König“ – ähnlich ihrem Wesen „häufig verworren, der Stil bizarr“427 – forderte sie, dass ein modernes Königtum notwendige Sozialreformen selbst initiieren müsse, um nicht obsolet zu sein. Arnim setzte sich für die politisch Verfolgten der Revolution und für die staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Juden ein. Im Kern ihrer Erkenntnisse sei Arnim damit ihrer Zeit deutlich voraus gewesen. Das zeitgenössische Urteil Karoline Schlegel-Schellings zu der Person Arnims war dagegen vernichtend: „Bettina sieht aus wie eine kleine Berliner Jüdin und stellt sich auf den Kopf, um witzig zu sein, nicht ohne Geist, tout au contraire, aber es ist ein Jammer, daß sie sich so verkehrt und verreckt und gespannt damit hat; alle die Brentanos sind höchst unnatürliche Naturen.“428 Die lebenserfahrene Schlegel-Schelling konnte demnach der Schwärmerei Arnims gar nichts abgewinnen – zudem scheint sie antisemitische Vorbehalte gehabt zu haben. Nach Meinung Blos‘ habe Arnim sich schließlich selbst am besten charakterisiert, als sie von sich schrieb: „Meine große Veranlagung ist Lieben.“429 Bereits 1907 veröffentlichte Blos in der „Gleichheit“ eine Artikelserie zu einer Frau, die sich zwar selbst auch als „Idealistin“ bezeichnete, die jedoch in ihrem Idealismus weit realistischer war als Arnim: Malvida von Meysenbug (1816-1903). 1919 wurde diese Artikelserie – nahezu unverändert – nochmals im Feuilletonteil des Hauptblattes veröffentlicht. Jene Fassung ist im Folgenden Grundlage der Rekonstruktion. Zuvor ist jedoch auf einige auffällige inhaltliche Ände- rungen hinzuweisen, die von Blos bzw. der neuen „Gleichheit“-Redaktion vorgenommen wurden. 1907 – unter der Redaktion Zetkins und vor dem deutschen Burgfrieden – griff Blos die bürgerliche Frauenbewegung an, indem sie einen Vergleich zwischen deren Vertreterinnen und Meysenbug anstellte. Zwar habe auch Meysenbug der modernen Arbeiterbewegung und dem wissenschaftlichen Sozialismus fremd gegenüber gestanden, aber trotzdem erhebe sich ihre „Gestalt über den Durchschnittshorizont der heutigen bürgerlichen Frauenwelt“430. Während es zur Zeit Meysenbugs viele Frauen wie sie gegeben habe, schiene 1907 „diese Art so ziemlich ausgestorben zu sein“431. Mit diesem Vergleich, so Blos sehr kritisch, sei der „Niedergang des 427 Ebd., S. 252. 428 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts V: Karoline. In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 244-245. 429 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts I: Bettina von Arnim. (Schluß). In: GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 252. 430 Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. In: GL, 17/ 05/ 06.03.1907/ 34. 431 Ebd. 371 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Bürgertums auch in seinem weiblichen Teil“432 belegt. 1919 wies der ansonsten wortwörtlich übernommene Artikel jenen Angriff gegen die bürgerliche Frauenbewegung nicht mehr auf. Er war auch in allgemein klassenkämpferischer Hinsicht auffällig „entschärft“ worden. Es war 1919 nicht mehr „nötig, nochmals zu betonen, daß sie [Meysenbug; M.S.] nicht zu den Unsrigen ge- hört hat. Aber die Gestalt dieser Idealistin wird immer eine neue lebendige Anklage gegen die beherrschenden Klassen bilden, die sich zwar für ihre Persönlichkeit schließlich interessierten, die aber ihre Bestrebungen nicht verstanden und demgemäß auch nicht zu würdigen wußten.“433 Eine solche politische Einordnung Meysenbugs und ihrer Bedeutung für den Kampf der prole- tarischen Klasse stand aber 1919 nicht mehr im Vordergrund eines biographischen „Gleichheit“- Artikels. Stattdessen wurden die Leserinnen in eine gespannte Erwartung versetzt, indem sie vorab erfuhren, dass Meysenbug – „wie alle, die dem Neuen einen Weg bahnen wollen“434 – „[v]erachtet und verraten“435 wurde. War England, wo Meysenbug später aufgrund eben jener Ver- achtung im Exil leben sollte, für Blos 1907 noch das „freie stolze Land der Briten“436, so war es 1919 vermutlich nur noch eine unerträgliche und deshalb nicht mehr erwähnenswerte Besatzungs- macht. Unverändert blieben die Beschreibungen Blos‘ zum Leben der deutschen Republikanerin, an denen sehr auffällig wird, dass Blos nur wenige Jahresangaben einfügte. Meysenbug machte eine erstaunliche Entwicklung von einer „Geburtsaristokratin“, die „tapfer ihre anerzogenen Vorurteile beiseite [warf]“437, zur Anhängerin der bürgerlichen Demokratie durch. Sie wurde in Kassel als Tochter einer aristokratischen Hugenottenfamilie geboren. Ihre künstlerischen Neigungen wurden schon früh von der Mutter gefördert. Wie Karoline von Humboldt war auch diese der Meinung, dass „die Berührung mit ausgezeichneten Menschen“438 einen guten Einfluss auf die Entwicklung von Kindern habe. Sobald des Lesens mächtig, zeigte Meysenbug eine große Leidenschaft für Bücher und das Theater. Das Theaterspielen erachtete die Erzieherin Meysenbug später als besonders förderlich für Kinder, denn „auch würden beim Unterricht, namentlich beim Geschichtsunterricht, lebhaftere Eindrücke von allem, was sich auf hervorragende Gestalten bezieht, durch 432 Ebd. 433 Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. In: GL, 17/ 08/ 17.04.1907/ 61. 434 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts IV: Malvida von Meysenbug. In: GL, 29/ 42/ 06.12.1919/ 331. 435 Ebd. 436 Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. In: GL, 17/ 07/ 03.04.1907/ 50. 437 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts IV: Malvida von Meysenbug. In: GL, 29/ 42/ 06.12.1919/ 331. 438 Ebd., S. 332. 372 4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN Darstellung durch die Kinder selbst erzielt werden“439. Die Tradierung historischer Vorbilder hatte also auch Einfluss auf die Kindererziehung. Dem Theaterspielen zum Vorteil gereichte die große Phantasie Meysenbugs, die sich nach Meinung Blos‘ jedoch als übermäßig groß erweisen sollte. Als schließlich auch in Kassel wie in anderen Teilen des Deutschen Reiches erste vormärzliche Revolten stattfanden, beschloss der Vater Meysenbugs, der ein Ministeramt innehatte, mit der Familie die Stadt zu verlassen – ein „wahres Nomadenleben“440 begann. Die erste Liebe Meysenbugs – zu ihrem Religionslehrer – blieb eine unerfüllte. Umso stärker wandte sie sich der Kunst, der Malerei zu. Sehr gelegen musste es in diesem Zusammenhang auch gewesen sein, dass Meysenbug in Begleitung einer Verwandten die Schweiz und Frankreich bereisen durfte. Auf dieser Reise versuchte sie trotz ihrer sehr geschwächten Sehkraft zu malen, musste dies dann aber für immer aufgeben. „Doch bald fand sie ein mächtigeres Mittel, ihrem Leben ein Ziel zu geben, als Religion und Kunst es gewesen wären, nämlich die Arbeit am Fortschritt der Menschheit durch den Gedanken und durch die Tat.“441 Die ersten Berührungen mit aktuellen politischen Themen hatte sie wiederum in Gesprächen mit einem jungen Theologen. In der Diskussion mit ihm „arbeitete sich [Meysenbug] zu einer demo- kratischen Weltanschauung durch“442. Das gemeinsame politische Interesse führte zu mehr, zu einer Liebesbeziehung. Nachdem Meysenbug jedoch von einer längeren Reise, u. a. in das revo- lutionäre Frankfurt am Main und der dort ansässigen Nationalversammlung, zurückkehrte, musste sie erfahren, dass er sich in eine andere Frau verliebt hatte. Meysenbug war verzweifelt. Jedoch entschied sie sich anders als Stieglitz oder Günderode für das Weiterleben: „‘Sterben wollen, um nicht mehr zu leiden, ist Schwäche. Leben für seine Ideale, um Gutes in Dir und um Dich zu vollbringen, das ist wahre Stärke.’“443 Sie suchte die geistige Beschäftigung und studierte vornehmlich philosophische Werke. Bei einem Kuraufenthalt in Ostende fasste sie den Entschluss, ihre Familie, die sie wegen ihrer Ideen immer mehr als Abtrünnige behandelte, zu verlassen. In den USA wollte sie „ihre Individualität, ihre Gedanken- und Gewissensfreiheit“444 leben. Sie befand sich bereits auf dem Weg in das selbst- 439 Ebd. 440 Ebd. 441 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 29/ 43/ 13.12.1919/ 339. 442 Ebd. 443 Malvida von Meysenbug zit. nach: Ebd., S. 340. 444 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 29/ 45/ 46/ 27.12.1919/ 357. 373 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN gewählte Exil, als sie den Entschluss fasste, aus Rücksichtnahme auf ihre Mutter Deutschland doch nicht zu verlassen. Stattdessen wurde sie die zweite Vorsteherin der in Hamburg neu gegrün- deten Hochschule für Frauen.445 Zudem wurde sie Mitglied im Vorstand einer konfessionslosen Schule, an der pikanterweise auch jener Theologe unterrichtete, der sie so schwer enttäuscht hatte. Allerdings hegte sie keinerlei Hass gegen ihn, was sich erwies als dieser schwer erkrankte: „Den Antrag eines Freundes, ihr Gatte und Beschützer zu sein, wies sie zurück, um dem sterbenden Geliebten die Treue zu bewahren, ihn mit einer Liebe zu umgeben, die nichts fordert, aber gibt, hilft, tröstet und versöhnt.“446 Es ist schwer zu entscheiden, ob dieses Verhalten mehr für eine altruistische Hörigkeit oder für eine selbstbewusste Menschenliebe steht. Die Frauenhochschule musste auf behördliche Verfügung hin geschlossen werden. Meysenbug ging nach Berlin. Dort jedoch sorgte ihr Engagement für die demokratische Bewegung dafür, dass sie ins Visier der Ordnungshüter geriet und fliehen musste: „Die Zeit des freiwilligen Märtyrertums war vorüber. Nun galt es, sich gehässigen Verfolgungen zu entziehen und seine Kräfte für eine bessere Zukunft zu retten. So ging sie, die schwache Frau, ins Exil, fast ohne Existenzmittel, aber aufrecht- erhalten von der Kraft, welche reine Ueberzeugungen und das Bewußtsein, ihnen treu geblieben zu sein, geben.“447 Als „weiblicher Vollmensch“ schöpfte Meysenbug Kraft aus ihrer Überzeugung und aus ihrem Engagement für eine Sache: Die Bildung der Frau. Meysenbug wollte „die Frauen würdiger […] machen, Frauen und Mütter zu sein“448. Meysenbug ging nach London und fand erste Aufnahme im Hause von Johanna Kinkel (1810- 1858), der sie bis dahin nur durch einen Briefwechsel bekannt gewesen war. Die Hilfe Kinkels konnte Meysenbug ohne Reue annehmen, „denn bei ihrer vornehmen Gesinnung meinte sie, nur von denen dürfe man materielle Opfer empfangen, mit denen man sich in vollständiger Ueberein- stimmung des Denkens und Handelns befinde“449. Aus diesem Grunde lehnte sie jede finanzielle Unterstützung ihrer Familie ab und verdiente sich ihren Lebensunterhalt als Privatlehrerin. Sie war ein Beispiel dafür, „daß man, von den Menschen verlassen, in Not und Entbehrung lebend, 445 Die Hamburger Frauenhochschule existierte von 1850 bis 1852. Siehe auch: Blos, Anna: Eine freie Schule vor fünfzig Jahren. In: GL, 16/ 22/ 31.10.1906/ 153-154. 446 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 29/ 45/ 46/ 27.12.1919/ 358. 447 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 30/ 01/ 03.01.1920/ 5. 448 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts IV: Malvida von Meysenbug. In: GL, 29/ 42/ 06.12.1919/ 331. 449 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 30/ 01/ 03.01.1920/ 6. 374 4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN doch unendlich glücklicher als die Alltagsmenschen sein kann“450. Im Hause der Kinkels lernte Meysenbug viele andere politisch Verfolgte kennen, die ebenfalls London zu ihrem Exil erwählt hatten. Mit ihrem „weiblichen Takt, ihre[r] umfassende[n] Bildung und ihre[r] Herzensgüte“ erwarb sie sich schnell deren Freundschaft. Darunter die der ita- lienischen Freiheitskämpfer Giuseppe Mazzini und Giuseppe Garibaldi. Auch den russischen Exilanten Alexander Herzen lernte sie hier kennen und fand in ihm eine „verwandte[…] Seele[…]“.451 Herzen – Witwer und Vater mehrerer Kinder – machte Meysenbug schließlich das Angebot, als Erzieherin seiner beiden Töchter zu arbeiten. Dies gab Meysenbug außerdem die Gelegenheit, ihr Studium der weiblichen Erziehung fort- und in die Praxis umzusetzen. Sie strebte nach dem Ideal „ein weibliches Geschlecht zu erziehen, ‘in dem alle sittliche Feigheit ver- schwände, das sich nur der sittlichen Freiheit unterwirft, indem es die Notwendigkeit einer sittlichen Weltordnung anerkennt.’“452 Dieses Ideal weiblicher Sittlichkeit, das nicht gleichzusetzen ist mit althergebrachten moralischen Vorstellungen weiblicher Tugenden, war stets auch Thema in der Korrespondenz mit Herzen. Dieser nahm Meysenbug in sein Haus auf, um nicht mehr nur seine Kinder zu erziehen, sondern auch seinen Haushalt zu leiten. Dem Mann war sie eine Gefährtin, den Kindern eine Mutter. Meysenbug wollte die Kinder zu „Persönlichkeiten“453 erziehen. Sie selbst lebte nach dem „höchste[n] Ideal der Mutterliebe“454, ging ganz in ihrer Aufgabe auf und trug „Sorge um den Charakter, die volle Entwicklung aller Fähigkeiten, die Sehnsucht, in den jungen Leben die eigene Unsterblichkeit zu erleben, das, was in uns als Ideal gelebt, in ihnen hervorzurufen“455. Indem sie in ihnen die „Erkenntnis eigenen Bewußtseins“ weckte, erzog sie sie quasi zu „Vollmenschen“. Auch sie selbst suchte stets die Weiterbildung, den Kontakt zu den „Großen“ ihrer Zeit. Persönlich sehr beeindruckt war sie vor allem von Richard Wagner und ihre philosophischen Studien beschäftigten sich besonders mit den Schriften Arthur Schopenhauers. Ihr Verhältnis zu Herzen blieb von ihr selbst – in ihren Memoiren – undefiniert, die Liebe zu ihm unausgesprochen. Doch Blos vermutete, dass Meysenbug „ihr reiches großes Herz“456 an den von ihr so bewunderten Alexander Herzen verloren hatte. Jedoch wurde ihre Stellung im Hause von 450 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts IV: Malvida von Meysenbug. In: GL, 29/ 42/ 06.12.1919/ 331. 451 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 30/ 02/ 10.01.1920/ 11. 452 Malvida von Meysenbug zit. nach: Ebd. 453 Ebd., S. 12. 454 Ebd. 455 Ebd. 456 Ebd., S. 13. 375 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN manchen Freunden Herzens missbilligt und da Herzen keinerlei Anstalten machte, diese bösen Stimmen zum Schweigen zu bringen, verließ sie ihn – ohne ihm Vorhaltungen zu machen. Blos war der Meinung, dass Meysenbug den Charakter Herzens weit überschätzt habe.457 Meysenbug arbeitete nun für ein von Mazzini herausgegebenes revolutionäres Journal und versuchte sich als Agitatorin in der englischen Arbeiterschaft. Weil es ihr jedoch an Kenntnissen zum modernen Sozialismus und seinen Theorien gemangelt habe, habe Meysenbug nach Meinung Blos‘ wohl daran getan, diese Tätigkeit bald wieder aufzugeben.458 Nach einem vergeblichen Versuch, im Herzen‘schen Haushalt ihre alte Stellung wieder einzu- nehmen, verließ sie London, um in Paris die Kinder einer Freundin zu erziehen. Ein weiteres Mal war es Herzen, der den ersten Schritt wagte und ihr dauerhaft diejenige Position anbot, in der nach der Meinung Blos‘ „sie beweisen [konnte], daß auch die unverheiratete Frau den ausschließlich weiblichen Beruf ausüben, daß sie die Walterin des häuslichen Lebens, die Mutter aufblühender Jugend sein kann“459. Ein Angebot also, das ihr die Möglichkeiten eröffnete, sich im Sinne des Frauenleitbildes eines „weiblichen Vollmenschen“ zu einer harmonischen Persönlichkeit zu entwickeln. Sie nahm das Angebot an, aber wie sich nun das Verhältnis zu Herzen gestaltete, wurde von Blos nicht weiter geschildert. Befriedigend dürfte für Meysenbug gewesen sein, dass auch ihre eigene Familie mittlerweile von der Großartigkeit ihrer Ideale überzeugt war und den Kontakt zu ihr wieder aufnahm. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte Meysenbug in Rom, wo sie 1903 starb. „‘Du hast nicht umsonst gelebt; nicht nur, daß Du Dir selbst Treue gehalten hast. Du bist auch andern etwas gewesen, und besseres kann ja der Mensch nicht verlangen, als mit diesem Doppelzeugnis an der Schwelle der Ewigkeit stehen und warten, bis sich ihm die Pforte öffnet, aus der es keine Wiederkehr gibt.’“460 Diese aus ihren „Memoiren einer Idealistin“ entnommenen Worte umschreiben sowohl das Lebensideal Meysenbugs als auch das Ideal eines „weiblichen Vollmenschen“, in dem Selbst- bewusstsein und Gemeinsinn in besonderer Harmonie miteinander verbunden sind. Immer mehr Frauen setzten sich im Rahmen nationaler Revolutionen klar für eine politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts ein. Sie argumentierten, dass diese die letzte Kon- 457 Vgl. ebd. 458 Ebd., S. 14. 459 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts IV: Malvida von Meysenbug. (Schluß). In: GL, 30/ 03/ 17.01.1920/ 19. 460 Malvida von Meysenbug zit. nach: Ebd., S. 20. 376 4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN sequenz einer wahrhaft demokratischen Gesellschaft sein müsse. Mit ihren Artikeln ließ Blos diese Frauen, ihr Leben und ihren Kampf um Frauenrechte lebendig werden und setzt ihnen damit ein Denkmal: „Die Deutsche Revolution von 1848 hatte, wie ja auch die große Französische Revolution von 1789, nicht nur ihre Helden, sondern auch ihre Heldinnen. Die Namen dieser Frauen verdienen festgehalten zu werden, denn sie alle haben geholfen, die Wege zu bahnen, auf denen das weibliche Geschlecht von heute seine Forderungen und Rechte selbständig vertreten kann, ohne durch Gesetze und Schi- kane aller Art daran gehindert zu werden.“461 Selbst für ihr Engagement „mit den Waffen des Geistes und der Feder“462 noch von Behörden verfolgt und schikaniert, hatte auch Mathilde Franziska Anneke (1817-1884) in ihrem Leben viele „Wandlungen und Kämpfe durchmachen müssen“463. Aufgewachsen in einer streng katholischen Familie, schon jung zur Heirat mit einem ungeliebten Mann gezwungen, dem sie schließlich die Scheidung und das Sorgerecht für ihre Tochter hatte abtrotzen können, entwickelte sie sich zu einer Freidenkerin. Die Begeisterung für die Ideen der Demokraten konnte sie schließlich mit ihrem zweiten Ehemann, dem Artillerieoffizier Friedrich Anneke, teilen – mit ihm erlebte sie „eine[…] wahre[…] Gemeinschaft der Herzen und der Geister“464. Zusammen mit ihrem Ehemann und dessen Freund Fritz Beust gab Anneke die „Neue Kölnische Zeitung“ (1848-1849) heraus. Nachdem die beiden Männer verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt worden waren, führte Anneke die Zeitung allein und unter dem provokativen Namen „Frauenzeitung“ weiter. Der Namenswechsel stand vor allem für die Tatsache, dass es nun an einer Frau war, den Verpflichtungen gegenüber den Abonnenten nachzukommen – zumindest bis zum neuerlichen Erscheinen der „Neuen Kölnischen Zeitung“. Der Titel „Frauenzeitung“ stand jedoch nicht dafür, eine sich nur an Frauen richtende und Frauenthemen behandelnde Zeitschrift zu sein.465 Annekes Ehemann wurde entlassen und ging in die Pfalz, um dort die Revolutionstruppen zu organisieren, Anneke folgte ihm. Nach dem Scheitern der Revolution flüchtete das Ehepaar in die USA. Hier widmete sich Anneke „der sozialen und politischen Gerechtigkeit der Geschlechter“466, dies vor allem in einer von ihr gegründeten Schule, in der sie die Schülerinnen nach dem 461 Blos, Anna: Mathilde Anneke. Die Gründerin einer Frauenzeitung aus dem Jahre 1848. In: GL, 32/ 21/ 01.11.1922/ 192. 462 Ebd. 463 Ebd. 464 Ebd., S. 193 465 Vgl. ebd. 466 Ebd. 377 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Grundsatz erzog, dass die „Vernunft […] höchster und einziger Gesetzgeber“467 sei. Ihren Schüle- rinnen war sie Vorbild, indem sie prinzipientreu nach ihren Idealen lebte. Von vielen ihrer Zeitgenossen als „Blaustrumpf“ und „Frauenrechtlerin“ verhöhnt, könnten, so Blos, jedoch „viele Forderungen der mutigen Frau“468 als erfüllt erachtet werden. Ein Umstand, der allerdings für die Frauen des 20. Jahrhunderts nicht bedeute, von den Kämpfen für Gerech- tigkeit ausruhen zu können. Ihren nachfolgenden Geschlechtsgenossinnen habe Anneke folgende Verheißung hinterlassen: „Die gegenwärtige Agitation für die Gleichberechtigung aller Menschen ist ein Produkt der Wissenschaft, aber auch der Gerechtigkeit und der Liebe – ein Werk der Versöhnung!“469 Eine Hinterlassenschaft, die für die Leserinnen angesichts des Zeitpunktes des Erscheinens des Artikels – vier Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges und mitten im Prozess einer neuen Völker- verständigung – besondere Bedeutung gehabt haben dürfte. Eine ebenfalls kämpferische und emanzipierte Frau der 1848er-Revolution war Luise Aston (1815-1871). Laut Wilhelm Blos, der dieses Mal als Autor zu vermuten ist, war Aston eine Frau, die „einstmals einen mächtigen Einfluß […] auf die geistige Entwicklung der deutschen Frauenwelt“470 ausgeübt habe. Aston war die Tochter des Pfarrers Johann Gottfried Hoche in Groningen, einem Dorf bei Halber- stadt. Die Eltern waren arm und daher umso glücklicher als der englische Großindustrielle Samuel Aston um die Hand der 17-jährigen Tochter, die nach einem 1848 in der Leipziger „Illustrirten Zeitung“ (1843-1944) veröffentlichten Porträt „ein schöngeschnittenes Gesicht mit großen Augen“471, eine große und stattliche, aber nicht übermäßig zarte Gestalt besaß, anhielt. Aston schien damit schließlich außergewöhnlich gut versorgt. Während ihr Ehemann jedoch seine Reichtümer verprasste, wurde Aston des erbärmlichen Elends der Industriearbeiter gewahr. Sie wollte daraufhin nicht mehr ihr altes Leben führen und „rührte ihre kostbaren Toiletten und ihr Geschmeide nicht mehr an“472. An diesem Punkt hätte sie den Weg gehen können, den andere bürgerliche Frauen vor und nach ihr gegangen sind, sie hätte sich „wohltätig“ engagieren können. Wohltätigkeit erachtete Aston aber als „die Menschenrechte der Armen beeinträchtige[nd] und 467 Ebd. 468 Ebd. 469 Ebd. 470 [Blos, Wilhelm?] W. B.: Aus dem Leben einer Revolutionärin. In: GL, 15/ 11/ 31.05.1905/ 63. 471 Ebd., S. 64. 472 Ebd., S. 63. 378 4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN diese selbst erniedrige[nd]“473. Auf diese Weise sei sie, so Blos, „von selbst zu einer sozialis- tischen Auffassung – freilich nicht im heutigen Sinne – gekommen“474. Eine Scheidung der Eheleute wurde unvermeidlich: „[D]er im Alltagsschlamm wandelnde Par- venu und die hochfliegende Idealistin konnten nicht beisammen bleiben“475. Die unglückliche Ehezeit verarbeitete Aston in einem schriftstellerischen Werk unter dem Titel „Aus dem Leben einer Frau“ (1847) – ihr neues Leben und eine neue Beziehung ließ sie über die Freiheit der Liebe schreiben und inspirierte sie 1846 zu dem Gedichtband „Wilde Rosen“. Es begann etwas gänzlich Neues: Als ein „schöne[s], kühne[s] und geniale[s] Weib“476 forderte sie die Gleichstellung der Geschlechter und bezauberte viele Männer, „[i]hr Leben ward zu einer Kette von politischen und Liebesabenteuern“477. Zudem verkehrte sie unter Anarchisten und ging in Männerkleidung aus. Mit all dem stieß sie so manchen Spießbürger vor den Kopf und wurde in den Augen der Behörden zur Störenfriedin der Ordnung. Es folgten die Ausweisungen sowohl aus Hamburg als auch aus Berlin, wo sie einen literarisch-politischen Salon unterhalten hatte. 1848 sah sie in dem freiwilligen Dienst als Krankenpflegerin in Schleswig-Holstein eine Gelegenheit, an der revolutionären Bewegung teilzunehmen. Sogar verwundet bewies sie dabei besonderen „Mut und Selbstverleugnung“478 – Tugenden, die in der „Gleichheit“ besonders dem „weiblichen Vollmenschen“ und dem Proletariat insgesamt zugeschrieben werden. Nach der Niederlage der Revolutionäre ging Aston nach Bremen, wo sie den Arzt Daniel Eduard Meier kennenlernte und – zu Unrecht als prinzipielle Gegnerin der Ehe verschrien – diesen auch 1850 heiratete. Das Ehepaar lebte zeitweilig in Russland und in Österreich. 1871 kehrte es nach Deutschland zurück, um schließlich seine letzte Zeit in Wangen am Bodensee zu verbringen. Vermutlich auch in Hinblick auf den romantischen Charakter einer Bettina von Arnim, konstatierte Anna Blos in einem weiteren Artikel allgemein, dass mit dem Annähern an die Ereignisse von 1848 auch die Stellung der Frau und ihr Streben sich wandelten.479 Frauen – wenn auch nur wenige – wurden sogar kühn genug, für die Befreiung des Geschlechts bewaffnet und unter Einsatz ihres Lebens zu kämpfen. Anna Blos beschrieb den Charakter Astons und vor allem ihre Vorstellungen von Ehe und Liebe 473 Ebd. 474 Ebd. 475 Ebd. 476 Ebd. 477 Ebd. 478 Ebd. 479 Vgl. Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts [VII]: Luise Aston. In: GL, 31/ 03/ 01.02.1921/ 21. 379 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN wesentlich detaillierter als es der Artikel ihres Ehemannes Wilhelm tat. Sie hob folgende ihrer Ansichten hervor: „‘Prostitution ist die Hingabe der Liebe in und außer der Ehe, ist das Wegwerfen der eigenen Persönlichkeit. Diese hochzuhalten, diese nur gegen den Preis der Liebe hinzugeben, dies schöne Maß zu bewahren, das ist des Weibes einzige Un- schuld und Sittlichkeit.’“480 In ihrer Scheidung sah Aston den einzigen Weg, die Heiligkeit der Ehe zu wahren – alles andere wäre in ihren Augen Prostitution gewesen. In ihrer jetzigen Form und im jetzigen Verständnis sei die Ehe ein großer Widerspruch. Einerseits stehe sie für höchste Sittlichkeit, andererseits öffne sie jeder Unsittlichkeit Tür und Tor. Die Institution der Ehe – meist in Kombination mit dem Segen der Kirche – sanktioniere eben nicht einen „Seelenbund“, sondern meist einen „Seelen- handel“.481 Aston steht der Ehe kritisch gegenüber, „weil sie zum Eigentum macht, was nimmer Eigentum sein kann, ‘die freie Persönlichkeit’, weil sie ein Recht gibt auf Liebe, auf die es kein Recht geben kann“482. Auch für sie ist Bildung die Voraussetzung für jede Entfaltung der Persönlichkeit und erst sie gebe auch der Liebe „die höhere Weihe“483. Wie umfassend ihre eigene Bildung war, erweist sich in ihren Gedichten, den Romanen „Lydia“ (1848), „Revolution und Konterrevolution“ (1849), den „Freischärlerreminiszenzen“ (1851) und ihrer nur ein Jahr lang existierenden Zeitschrift „Der Freischärler“ (1848). Ihre Bildung offenbarte sich aber nicht nur in jener schriftstellerischen Arbeit, sondern auch in ihrem Urteilsvermögen die soziale Frage be- treffend. Aston hatte ausgelöst durch die Verschwendungssucht ihres ersten Ehemannes begonnen, über die Bedingungen ihres eigenen Reichtums zu reflektieren. Sie sah vor allem in der Weiter- entwicklung der Technik und der modernen Industrie den richtigen Weg zu „höheren sozialen Stufen“484 für alle. Die moderne Industrie sei „die Mutter des Proletariats […], die zugleich den Reichtum und die Armut bringt“485 – ein Widerspruch, für den sie allerdings auch keine konkrete Lösung zu haben schien. Groß war deshalb ihre Begeisterung für die revolutionäre 1848er- Bewegung. Auf ihre schriftstellerische Tätigkeit habe sich vor allem ihre Mitgliedschaft in der Gesellschaft der „Freien“ ausgewirkt.486 Auch Anna Blos hielt eine Beschreibung von Astons Äußerem für erwähnenswert: Blondes lockiges Haar, blaue Augen, ein zartes Gesicht, eine eher große als kleine Statur hätten nicht ihre Wirkung verfehlt – eine Wirkung, der sie sich selbst sehr 480 Ebd., S. 22. 481 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts [VII]: Luise Aston. (Schluß). In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 32. 482 Ebd. 483 Ebd. 484 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts [VII]: Luise Aston. In: GL, 31/ 03/ 01.02.1921/ 22. 485 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts [VII]: Luise Aston. (Schluß). In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 31. 486 Vgl. ebd. 380 4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN bewusst gewesen sei.487 Blos bezeichnete Aston als „die entschiedenste und bedeutendste Vorkämpferin für die völlige Gleichberechtigung der Geschlechter“488. Und als höchstes Recht galt ihr das Recht der „freien Persönlichkeit“489. Diesem Lebens- und Liebesideal lebend starb Aston als freie Persönlichkeit. Zu den ersten Frauen Deutschlands, die den Mut hatten sich für die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts einzusetzen gehörte auch Louise Otto-Peters (1819-1895). Von entscheidender Bedeutung für ihr Engagement war die 1848er-Revolution, während der sie ganz offen im Lager der „Rebellen“490 stand. In ihrem Nachruf auf diese Vorkämpferin musste Zetkin den „Gleichheit“-Leserinnen aber erklären, dass Otto-Peters trotzdem “keine der Unseren“491 war – auch wenn ihr „die proletarische Frauenwelt Anerkennung“492 schulde. In ihrem Artikel beschränkte sich Zetkin auf den politischen Werdegang und die politische Überzeugung Otto- Peters‘, nach welcher sie „eine ehrliche bürgerliche Demokratin“493 gewesen sei. Sie habe ge- legentlich Artikel im sozialdemokratischen „Volksstaat“ (1869-1879) veröffentlicht, „[a]ber je reinlicher sich allmälig die Scheidung zwischen bürgerlicher Demokratie und Sozialdemokratie vollzog, um so mehr ging ihr die Fühlung mit der letzteren verloren, und um so ausschließlicher widmete sie ihre bedeutende Kraft den Zielen der bürgerlichen Frauenbewegung“494. Anders als andere bürgerliche Frauenrechtlerinnen blendete sie die Interessen der Proletarierinnen jedoch nicht vollkommen aus: „Der sozialdemokratischen Bewegung stand sie vorurtheilslos gegenüber, dem Leiden der Arbeiterklasse brachte sie warmes Mitgefühl, ihrem Ringen nach Be- freiung Sympathie entgegen.“495 Auch sie ist als ein „weiblicher Vollmensch“, als ein Vorbild proletarischer Frauen zu sehen, denn auch sie bewies einen „edle[n] Charakter“ und ein „selbstloses, aufopferndes Wirken“496 für die Sache der Frauenemanzipation. 487 Vgl. Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts [VII]: Luise Aston. In: GL, 31/ 03/ 01.02.1921/ 22. Anna Blos verwies wie ihr Ehemann auf das vorteilhafte Porträt Astons in der „Leipziger Illustrierten Zeitung“. 488 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts [VII]: Luise Aston. (Schluß). In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 32. 489 Ebd. 490 Luise Otto-Peters †. In: GL, 05/ 07/ 03.04.1895/ 56. 491 Ebd. 492 Ebd. 493 Ebd. 494 Ebd. 495 Ebd. 496 Ebd. 381 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Im Gegensatz zu dem Zetkin‘schen Nachruf befasste sich Anna Blos‘ Artikel „Aus den Anfängen der Frauenbewegung“ auch mit dem Privatleben Otto-Peters‘. Außerdem ging Blos in der poli- tischen Einordnung Otto-Peters‘ wesentlich weiter als Zetkin. Sie war der Meinung, dass Otto- Peters die Gleichberechtigung der deutschen Frauen „im sozialistischen Sinne“497 gefordert habe, weil ihr die damit verbundene Gleichverpflichtung selbstverständlich war. Otto-Peters sei „es zu danken, daß der soziale Gedanke an der Wiege der Frauenbewegung stand, und wenn die Frauenbewegung auch später in ein anderes Fahrwasser geriet und geraten mußte, so waren doch die Ziele, die sie in den ersten Jahren ihrer Lebens- äußerung verfolgte, vom sozialistischen Geiste erfüllt“498. Zetkin schien dieser Einschätzung Blos‘ nicht widersprochen zu haben. Tatsächlich waren zu Anfang der organisierten Frauenbewegung viele Positionen noch nicht definiert. Neben dem Arti- kel von Blos ist es vor allem ein aus der Feder Mathilde Wurms stammender Beitrag, der die Grundlage der folgenden biographischen Skizze Otto-Peters‘ darstellt. Louise Otto-Peters entstammte einer wohlhabenden bürgerlichen Familie, die im sächsischen Meißen lebte. Ihr Vater Fürchtegott Wilhelm Otto – Sohn eines Arztes und selbst Gerichtsdirektor – und ihre Mutter Charlotte – Tochter eines armen Porzellanmalers – führten eine liebevolle und glückliche Ehe. Otto-Peters war die jüngste von vier Töchtern, ein „zartes und schwächliches Kind“499. Auch dank eines guten und festen Einkommens des Vaters verlief ihre Jugend „voll un- getrübten Glücks“500. Der Vater, den sie oft auf seinen Dienstreisen begleitete, sei für seine Zeit ein „‘moderner’ Mann“501 gewesen. Es war ihm eine Selbstverständlichkeit, dass sich seine Ehe- frau und seine Töchter durch Zeitungslektüre politisch bildeten, weil „auch die Frauen wissen müßten, was in der Welt vorging“502. Die Mutter habe Otto-Peters die Liebe für die Poesie vermittelt und überhaupt genossen die Töchter eine Bildung, wie sie damals selbst in bürgerlichen Familien nicht üblich war.503 Die Julirevolution in Frankreich 1830 ließ auch in Sachsen auf ein liberaleres Regierungssystem hoffen. Auch die elfjährige Louise, die noch bevor sie lesen gelernt hatte, einmal gehörte Dramen und Gedichte aus dem Gedächtnis zu rezitieren vermochte, wurde mitgerissen und verfasste nun ihre ersten politischen Gedichte. In diese Zeit fiel zudem die Aufhebung der Geschlechts- vormundschaft in Sachsen. Der Vater Otto-Peters‘ begrüßte die Aufhebung sehr und erklärte 497 Blos, Anna: Aus den Anfängen der Frauenbewegung. In: GL, 17/ 23/ 11.11.1907/ 197. 498 Ebd. 499 Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters. In: GL, 23/ 12/ 05.03.1913/ 179. 500 Ebd. 501 Ebd. 502 Ebd. 503 Vgl. Blos, Anna: Aus den Anfängen der Frauenbewegung. In: GL, 17/ 23/ 11.11.1907/ 197. 382 4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN seinen Töchtern deren enorme Tragweite in Bezug auf die Emanzipation der Frau – eine wesentliche Anregung für Otto-Peters, sich zunehmend für die Gleichberechtigung der Frau zu interessieren und einzusetzen. Das Familienglück wendete sich dramatisch, als 1835 erst eine Schwester und auch die Mutter an Schwindsucht starben. Nur vier Monate später starb auch der Vater. Diese harten Schicksals- schläge steigerten die „Weltabgewandtheit“504, das Insichgekehrtsein und die Schwärmerei der 17- jährigen Otto-Peters. Mit einer Tante zogen die drei Schwestern für einen Sommer in das Familienlandhaus in Spaar, wo sich Otto-Peters vor allem der Naturbetrachtung und dem Verfas- sen von Gedichten widmete, welche 1847 als „Lieder eines deutschen Mädchens“ veröffentlicht werden sollten. Hier in Spaar „erwachte aber auch […] die denkende und kämp- fende Frau“505 in ihr. Sie wurde zur „überzeugten Demokrat in“506 und Gegnerin von „Pfaffen- und Muckertum“507. Ihr politisches Interesse und ihr dichterisches Talent waren für ein so junges Mädchen sehr ungewöhnlich. Ihre Verwandtschaft zeigte keinerlei Verständnis für ihr Verhalten. Besonders ihr Schwager – beide Schwestern hatten in der Zwischenzeit geheiratet –, ein Textilfabrikant aus Öderan im Erzgebirge, sah sich von ihr angegriffen. Tatsächlich war es Otto-Peters‘ erster Besuch in Öderan 1840 gewesen, der ihr die Augen für das Elend der Arbeiterfamilien öffnete. Ohne besondere Vorkenntnisse von politischer Theorie, von Kommu- nismus oder Sozialismus – ähnlich einer von jeder Bildung ausgeschlossenen Arbeiterin – stellte auch sie sich die alles entscheidende Frage, warum die einen in Wohlstand leben, während die anderen Not leiden. Allerdings sei, so Wurm, „[d]ie richtige Antwort, die der Sozialismus gibt, […] nie bis zu ihrer Seele gedrungen“508 [Hervorhebung von M.S.]. Eben noch eine schwärmerische Dichterin, sei in Öderan aus Otto-Peters „eine scharfblickende Kämpferin gegen die Leiden der Arbeiter geworden“509. 1841 verlobte sie sich mit dem Literaten Gustav Müller, der jedoch an Lungenschwindsucht er- krankte und in ihren Armen starb.510 Sie stürzte sich in Arbeit und Studium und erlangte durch einen Verwandten die Gelegenheit, ihren ersten Roman „Ludwig der Kellner“ zu veröffentlichen. Dies war ein sozialer Roman und wenn Anfang des 20. Jahrhunderts „schon längst vergessen“511, 504 Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters. In: GL, 23/ 12/ 05.03.1913/ 179. 505 Ebd., S. 180. 506 Ebd. 507 Ebd. Otto-Peters sei zwar gläubig, aber nicht „kirchengläubig“ (ebd.) geblieben. 508 Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters (Fortsetzung.). In: GL, 23/ 13/ 19.03.1913/ 195. 509 Ebd. 510 Vgl. Blos, Anna: Aus den Anfängen der Frauenbewegung. In: GL, 17/ 23/ 11.11.1907/ 198. 511 Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters (Fortsetzung.). In: GL, 23/ 13/ 19.03.1913/ 195. 383 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN so war er damals jedoch „eine Tat“ und brachte seiner Verfasserin viel Lob und viel Tadel ein. Sie wurde Mitarbeiterin in Robert Blums „Vaterlandsblättern“, in denen sie unter dem Pseudonym „Otto Stern“ politische Artikel veröffentlichte und durch die sie in freundschaftlichen Kontakt zu vielen demokratischen Kämpfern kam. 1843 veröffentlichte sie – unter ihrem richtigen Namen – ein Gedicht, das angesichts der demokratischen Aufbruchsstimmung der 1840er Jahre besonders gut aufgenommen wurde. Einer ihrer Romane war auch finanziell so erfolgreich, dass sie eine Deutschlandreise finanzieren konnte. Ergebnis dieser sehr aufschlussreichen Reise, die sie u. a. durch Thüringen und Sachsen führte und ein deutliches Zeichen ihrer Emanzipation war, wurde der Band „Frauenleben im Deutschen Reiche“ – ein Sitten- und Alltagsgemälde. 1847 vollendete Otto-Peters den Roman „Schloß und Fabrik“ – erneut ein sozialer Roman, in dem sie die Eindrücke von Öderan verarbeitet hatte – durfte ihn aber nicht im Original veröffentlichen. Es bedurfte ihres ganzen Engagements, um von den Behörden die Genehmigung für eine geänderte – d. h. zensierte – Fassung zu bekommen. Auch wenn Otto-Peters bereits in ihren Romanen Stellung für die ArbeiterInnen bezogen hatte, so war es doch vor allem ihre im Revolutionsjahr 1848 verfasste „Adresse eines deutschen Mädchens“, die für ihre Gesinnung sprach. Sie wandte sich darin an die neu gegründete Arbeiterkommission mit der Forderung, auch Arbeiterinnen aufzunehmen. Immer mehr Arbeiter und Arbeiterinnen – besonders aus Dresden – wandten sich daraufhin an Otto-Peters, wenn z. B. Versammlungen organisiert oder Petitionen abgefasst werden mussten. Otto-Peters „war die einzige Frau, die öffentl ich in der politischen Bewegung stand und für das Recht der Arbei ter und Arbei ter innen eintrat“512. Ihr organisatorisches und rednerisches Talent bewies sie während des demokratischen Aufbruchs u. a. bei der Durchführung der Wahlen, bei der Gründung neuer Zeitschriften und der ersten Frauenvereine. Lange schon plante Otto-Peters die Herausgabe einer Frauenzeitschrift. Nachdem sie endlich einen Verleger für dieses Experiment gefunden hatte, wurde sie Herausgeberin der ersten politischen Frauenzeitschrift „Die Frauenzeitung“. Die vielen Schikanen der Behörden, Verhöre, Haussuchungen und auch Ausweisungen, die Otto-Peters zu erdulden hatte, belegen, dass diese Zeitschrift alles andere als belächelt wurde. Ihr privates Glück fand Otto-Peters in der Beziehung zu dem Lehrer und Schriftsteller August Peters (Schriftstellerpseudonym Elfried von Taura), den sie bereits bei ihrem Aufenthalt in Öderan kennengelernt hatte. Lange hatte dann nur ein schriftlicher Kontakt und das gegenseitige Interesse für die jeweiligen Veröffentlichungen des anderen bestanden. Bei den Aufständen in Süddeutsch- land wurde Peters 1848 als Major der badischen Revolutionsarmee gefangen genommen und in 512 Ebd. 384 4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN die Rastatter Festung gebracht, wo Otto-Peters ihn besuchte. Seitdem betrachteten sie sich als verlobt. Glücklicherweise wurde Peters nicht wie befürchtet zum Tode verurteilt. Bis er 1856 endlich entlassen wurde, gab Otto-Peters ihrer Sehnsucht nach dem Verlobten in ihren „Liedern an einen Gefangenen“ Ausdruck. 1858 heiratete das Paar. Peters gründete erst in Meißen das Ge- werbeblatt „Glück auf“ (?-?), dann in Leipzig die „Mitteldeutsche Volkszeitung“ (?-?).513 Schließlich erlag er 1864 den körperlichen Leiden, die ihm die lange Haftzeit zugefügt hatte. Otto-Peters, die ihren Ehemann bis zum Tode liebevoll gepflegt hatte, hatte sich in der Zeit der Verfolgung innerlich resignierend dem historischen Roman zugewandt.514 Erst „[d]er Einfluß verschiedener Freunde und Freundinnen bewirkte, daß sich Luise Otto-Peters der bürger lichen Frauenbewegung anschloß, für die in Leipzig damals der Boden vorbereitet worden war“515. Wurm hielt es demnach nicht für abwegig, dass sich Otto-Peters durchaus auch für die Arbeit in der proletarischen Frauenbewegung hätte entscheiden können. Zumindest teilten sie den Grund- satz, dass „in der Frauenbewegung von heute nicht de[r] Kampf gegen den Mann“516 zu sehen sei. Wurm beschrieb in ihrem Artikel im Gegensatz zu Blos nun auch die Arbeit Otto-Peters als Begründerin der deutschen Frauenbewegung und betrachtete kritisch ihr Verhältnis zu Arbeiter- bewegung. Trotz ihrer früheren Nähe zu den Arbeitern habe sie kein Verständnis für deren geschichtliche Klassenlage gehabt. Gebrauchte sie in ihren Schriften den Begriff des Sozialismus – z. B. in „Das Recht der Frauen auf Erwerb“ (1866) – so sei es in ihrem Wortsinn „nichts gewesen als ein verschwommener Nachklang des bürgerlichen schön- geistigen Gefühlssozialismus aus den vierziger Jahren, der mit dem Endziel der kämpfenden Arbeiterklasse nichts gemein hatte“517. Den Schritt von einer demokratischen Gesinnung weiter zur Sozialdemokratie ging Otto-Peters nicht. Wurm warf ihr vor, nicht mit einem einzigen Wort dagegen protestiert zu haben, dass der 1894 gegründete BDF Arbeiterinnenvereine von der Mitgliedschaft ausschloss. Sie schrieb dieses Verhalten jedoch nicht einer „Wankelmütigkeit der Überzeugung“518 zu, sondern der immer größer werdenden Kluft der Klassen und so habe „[a]uch eine Frau von der Vergangenheit und der demo- kratischen Gesinnung Luise Otto-Peters […] sich dem Einfluß ihrer Klassenlage nicht entziehen“ 519 können. Von einer Greisin habe man nicht mehr erwarten können, dass sie diesen durch ein wissenschaftliches Studium überwinde. Otto-Peters „hatte in ihrer Weise der Allgemeinheit das 513 Zu diesen Zeitschriften und ihren Verlauf konnten in der ZDB keine eindeutigen Hinweise gefunden werden. 514 Vgl. Blos, Anna: Aus den Anfängen der Frauenbewegung. (Schluß.). In: GL, 17/ 24/ 25.11.1907/ 208. 515 Ebd. 516 Ebd. 517 Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters (Schluß.). In: GL, 23/ 14/ 02.04.1913/ 213. 518 Ebd. 519 Ebd. 385 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Beste von dem gegeben, was sie zu geben vermochte“520 und so würdigte die „Gleichheit“ sie als „eine der tapfersten Vorkämpferinnen für die Rechte des weiblichen Geschlechts“521. Dieses tat die „Gleichheit“ ein weiteres Mal anlässlich Otto-Peters‘ 100. Geburtstag. In ihrer Würdigung schrieb Blos, dass für die Sozialistinnen sowohl Otto-Peters‘ Leben und Wirken für die Gleichberechtigung der Frau als auch ihre „Adresse eines deutschen Mädchens“ „besonders bedeutungsvoll“522 sei. Schließlich rühmte Otto-Peters darin die richtige Wahrnehmung der Ar- beiter, die die „Männer des Staates, der Wissenschaft usw. beschämt hätten, weil diese nie daran gedacht hätten, in der Frau etwas anderes zu sehen als eine Sklavin, eine Puppe, niemals aber ein gleichberechtigtes Wesen“523. Ein besonderes Augenmerk richtete Blos auf die Liebesbeziehung mit Peters: „Der Sohn des Volkes und die Beamtentochter fanden sich in der Liebe zur Freiheit des Volkes, und diese Liebe führte zu einem Bündnis ihrer Herzen.“524 Ihre gemeinsame politische Weltanschauung war ein wichtiges Fundament ihrer Beziehung. Und so ist auch Blos‘ Aussage, dass nach dem Tod des Ehemannes Otto-Peters‘ „Weg mehr und mehr zur bürgerlichen Frauenbewegung“525 geführt habe vieldeutig. Sprach dies und auch der Einfluss ihrer Freunde für eine wenig „vollmenschliche“ Persönlichkeit? Blos sah das wahre Problem darin liegen, dass es zu jener Zeit keine „eigentlich sozialistische Frauenbewegung“ gegeben habe, der sich Otto-Peters hätte anschließen können. Sie ist aber davon überzeugt, Otto-Peters habe „in ihren letzten Lebensjahren […] wohl erkannt, daß der Sozi- alismus allein ihr die Möglichkeit zur Erfüllung ihrer Forderungen gegeben hätte“526, so wie sie „als erste deutsche Frau erkannt[…][habe], daß die Arbeiterschaft als erste und einzige Partei den heute verwirklichten Beschluß faßt, den Frauen die Fesseln ab- zunehmen, ihnen die Gleichberechtigung einzuräumen“527. Das Beispiel Otto-Peters‘ steht demnach für einen „weiblichen Vollmenschen“, der grundsätzlich herausragende geistige Fähigkeiten und Charaktereigenschaften besaß, diese aber in letzter Kon- sequenz für eine falsche Sache einsetzte. 520 Ebd. 521 Ebd. 522 Blos, Anna: Zum hundertsten Geburtstag von Luise Otto-Peters. In: GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 101. 523 Ebd. 524 Ebd. 525 Ebd., S. 102. 526 Ebd., S. 101. 527 Ebd. 386 4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“ 4.1.5 Frauen „von sozialistischer Gesinnung“ Die biographische Skizze der Romanschriftstellerin George Sand (1804-1876) rückt erneut Frankreich in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Für den Schriftsteller Hermann Thurow (?-?)528, der diesen Artikel anlässlich des 100. Geburtstages der Französin verfasste, war Sand „[u]nter den Frauen, die im letzten Jahrhundert zugleich für die Befreiung ihres Geschlechts und die der Proletarierklasse auf dem Boden des Sozialismus kämpften […] eine der tapfersten und die genialste“529. Sie habe auf besondere Weise die französische Dichtung beeinflusst. Ähnlich wie Honoré de Balzac habe sie in ihre Werke stets soziale und moderne Inhalte einbezogen. Sands Werk zeichne sich vor allem dadurch aus, dass sie zwar wie Balzac von dem ausgehe, was ist, „aber die Gegenwart immer im Sinne der Zukunft deute[…] und nie versäum[e], die Gesellschaft, in der sie lebt, in Gegensatz zu setzen mit einer anderen, die sie ersehnt, und für die sie kämpft“530. Sei demnach Balzac der Bahnbrecher des Naturalismus, so gelte Sand als herausragende Vertreterin des idealistischen Romans. George Sand wurde als Aurore Dupin in Paris geboren. Von 1817 bis 1820 lebte sie in einem Kloster, dessen Erziehung sie, so Thurow, „dem religiösen Wahnsinn“531 nahegebracht habe. Unter dem Einfluss eines Erziehers beschäftigte sie sich jedoch mit den Lehren Voltaires, welche ihrer Entwicklung eine andere Richtung gaben – wenn auch „[e]ine leise religiöse Schwärmerei“532 geblieben sei. 1822 lernte Sand Baron Casimir Dudevant kennen – von Thurow verächtlich als „Landjunker“533 bezeichnet – und heiratete ihn noch im gleichen Jahr. Ihre Ehe wurde jedoch die „denkbar unglücklichste“534, denn Dudevant war ein Despot und Ehebrecher. Sand – mittlerweile Mutter zweier Kinder – wurde von ihm misshandelt, weshalb sie nach Paris floh. Hier begann sie zu schreiben und veröffentlichte Artikel in der Zeitung „Le Figaro“ (seit 1826) und in oppositio- 528 Die herangezogenen Nachschlagewerke und Datenbanken enthalten keine eindeutigen biographischen Informa- tionen zu Hermann Thurow. Ein Schriftsteller gleichen Namens stammte gebürtig aus Rumohr in Schleswig- Holstein und wirkte später in der schweizerischen Genossenschaftsbewegung. Er verfasste u. a.: „Die praktischen Erfolge der Achtstunden-Agitation“ (1898), „Kinder-Idyllen“ (1908), „Jochen Bünz. Ein Jugendroman“ (1918), „Flug in die Welt“ (Gedichte 1928). Aus seiner Feder stammt außerdem das sozialistische Theaterstück „Dämon Alkohol“ (Dialog in einem Aufzug nach Maurice Bouchors „Die Muse und der Arbeiter“, 1902) und die Ein- leitung zur 1925 erschienenen deutschen Übersetzung von Charles Fouriers „Der sozietäre Reformplan“. Für die „Gleichheit“ verfasste er u. a.: Die Proletarierfrau in der neueren französischen Lyrik. In: GL, 08/ 23/ 09.11.1898/ 180-183; GL, 08/ 24/ 23.11.1898/ 188-190. 529 Thurow, H[ermann]: George Sand. In: GL, 14/ 15/ 13.07.1904/ 116. 530 Ebd. 531 Ebd. 532 Ebd. 533 Ebd. 534 Ebd. 387 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN nellen Blättern. Es entstand eine Freundschaft zu dem Schriftsteller Jules Sandeau, dessen Name sie zu ihrem eigenen Pseudonym inspirierte. 1832 veröffentlichte Sand ihren ersten Roman „Indiana“, dem schon bald darauf der zweite, „Valentine“ (1832), folgte. Hauptthema dieser auto- biographischen Romane sind Probleme der Geschlechterbeziehungen, die Sand, so Thurow, „[i]n einfacher, edler Sprache, ohne weichliche Sentimentalität, aber auch ohne Prüderie erörter[e]“535. Sands eigenes Liebesleben gestaltete sich sehr unkonventionell. Bereits vor ihrer Scheidung, in die ihr Ehemann erst 1838 einwilligte, hatte sie mehrere Beziehungen gehabt – wurde jedoch immer enttäuscht. Durch die Lektüre frühsozialistischer Schriften gelangte Sand zu der Erkenntnis, dass nicht in vermeintlich naturgegebenen unterschiedlichen Wesensarten der Geschlechter die Ursache ihrer Konflikte zu suchen seien, sondern in der Institution der Ehe. Diese Erkenntnis habe Sand laut Thurow dazu geführt, „ihren Kampf gegen die Männerwelt“536 und deren vermeintliche Vorrechte wie „Treulosigkeit und Tyrannei“537 „auf die Gesellschaft zu übertragen, die Ehe und alle sie stützenden Einrichtungen und Faktoren zu bekämpfen, Sozialistin zu werden“538. Ein recht ungewöhnlicher Weg zum Sozialismus, der interessanterweise seinen Ausgangspunkt in einem feministischen Bewusstsein hatte. Sands Roman „Jacques“ (1834) weist eine erste Einwirkung ihrer sozialistischen Überzeugung auf und zugleich legte Sand ihrer männlichen Titelfigur ihre Kritik an der Ehe in den Mund. Jacques erklärt seiner Geliebten, warum er den gesellschaftlich von ihr erwarteten Treueschwur ablehnt: „‘Die Gesellschaft […] wird Ihnen eine Schwurformel diktieren. Sie werden schwören, mir treu und gehorsam zu sein, das heißt, niemals jemanden anders zu lieben als mich und mir in allem zu gehorchen. Der eine dieser Schwüre ist eine Dummheit, der andere eine Erniedrigung. Sie können sich für Ihr Herz nicht verbürgen, selbst wenn ich der größte und vollkommenste aller Männer wäre. Sie dürfen nicht versprechen, mir zu gehorchen, weil das uns beide erniedrigen hieße.’“539 Es ist ein Plädoyer für die freie Liebe, für den freien Willen und die freie Entscheidung einer Trennung, wenn die Liebe erloschen ist. Dieser in ihren Romanen zu Tage tretende Idealismus Sands stehe laut Thurow jedoch nicht im Widerspruch zu ihrer Erkenntnis, dass die Fragen um Ehe und „freie Liebe“540 ihrer Lösung erst dann näher kommen werden, wenn sich eine höhere 535 Ebd. 536 Ebd., S. 117. 537 Ebd. 538 Ebd. 539 George Sand zit. nach: Thurow, H[ermann]: George Sand. In: GL, 14/ 16/ 27.07.1904/ 125. 540 Zum Begriff der „freien Liebe“ siehe: Schenk, Freie Liebe – wilde Ehe. 388 4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“ „moralische und geistige Entwicklung der Gesellschaft“541 vollzogen habe. Einen Beitrag zur Geschichte der geheimen Arbeiterverbindungen und zum Einfluss der Utopisten stellt ihr Roman „Le Compagnon du Tour de France“ (1840) dar.542 Thurow war jedoch der Meinung, dass „am reinsten und schlackenfreiesten“543 der Roman „Horace“ (1841) Sands sozialistische Überzeugung widerspiegele. Mit der Niederlage der Pariser Kommune 1871 sei allerdings Sands Glauben an die proletarische Mission sehr erschüttert worden und sie habe Abstand zu den radikalen politischen Strömungen genommen. Eine konkrete Reaktion Sands auf das Scheitern der Pariser Kommune führte Thurow nicht an. Jedoch scheint es, dass ihr Rückzug aus dem politischen Leben davon begleitet wurde, dass sich Sand laut Thurow nun bevorzugt geschichtlichen Stoffen widmete. Thurow schloss seine Ausführungen mit der Einschätzung, dass „keine der anderen großen Frauen des Jahrhunderts eine gleich optimistische, kampfbegeisterte Verfechterin neuer Ideale gewesen“544 sei. Sands Ideale, so Thurow, waren die Ideale der „kämpfenden Frauen und Männer des Proletariats“545 und demnach auch die Ideale der Leserinnen und Leser der „Gleichheit“. Thurows biographische Darstellung lässt es zu, Sand sowohl dem Leitbild eines „weiblichen Vollmenschen“ als auch dem einer „Klassenkämpferin“ zuordnen – Letzteres allerdings dadurch eingeschränkt, dass die Form des Sozialismus, dem sie anhing eines wissenschaftlichen Fundaments entbehrte. Wie Sand war auch Barbara Nikitin-Gendre (1842-1884) eine Persönlichkeit von internationalem Ruf. Zeugnis dafür war die Zusammensetzung der Trauergesellschaft, die 1884 in Paris am Grabe der an einer Lungenentzündung gestorbenen „Bürgerin der sozialistischen Zukunft“546 zusam- menkam. Nikitin-Gendre wurde 1842 im russischen Kronstadt geboren, entstammte aber einer fran- zösischen Emigrantenfamilie. Als ihre hervorragendsten Charaktereigenschaften und geistigen Fähigkeiten nannte Zetkin, die hier als Verfasserin des ungezeichneten Artikels547 zu vermuten ist, 541 Thurow, H[ermann]: George Sand. In: GL, 14/ 16/ 27.07.1904/ 125. 542 Ebd. Thurow schrieb zu der Begeisterung für die Ideen der Utopisten und damit im übertragenen Sinne auch für utopische Romane: „Je weiter das Bild der Ideen hinausgeht über die dunkle Umgebung, desto mächtiger stimuliert es in schwärmerischen Seelen den Drang, mit dem Alten zu brechen.“ (ebd.). 543 Ebd. 544 Ebd., S. 126. 545 Ebd. 546 Barbara Nikitin-Gendre. In: GL, 02/ 12/ 15.06.1892/ 103. 547 Zetkin nannte keinen konkreten Anlass für die Publikation des biographischen Artikels. Vermutlich wollte Zetkin den 50. Geburtstag Nikitin-Gendres ehren. 389 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN „ein schnelles Erfassen und leidenschaftliches Festhalten von Ideen, schwärme- rische Liebe für Ideale und einen nicht zu stillenden Wissensdurst“548. Nachdem die Mutter früh verstorben war, willigte der Vater ein, dass Nikitin-Gendre ein Institut für höhere Töchter in Kiew besuchte. Wie manche andere Tochter aus Großbürgertum und Adel kam auch sie in den Genuss finanzieller Unterstützung durch die Zarenfamilie. Im Institut wurde sie in Sprachen, Literatur und Naturwissenschaften unterrichtet, doch besondere Begeisterung entwickelte sie für das Studium der Geschichte der Französischen Revolution. Deren Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit hätten Nikitin-Gendre, so Zetkin, in „eine überzeugte Re- publikanerin“549 verwandelt und aus dem Studium der Naturwissenschaften und der Philosophie habe ihr Bruch mit der Religion resultiert. Schließlich nahm Nikitin-Gendre entschieden den Standpunkt des wissenschaftlichen Materialismus ein.550 Diese bemerkenswert radikale geistige Entwicklung entsprang nach Meinung Zetkins keinem Gefühlssozialismus, sondern echter wissenschaftlicher Erkenntnis – sie gibt damit ein Beispiel für den idealen Verlauf politischer bzw. sozialistischer Frauenbildung, wie ihn die proletarische Frauenbewegung anstrebte. „‘[D]en eigentlichen Fehler ihres Lebens beging’“551 Nikitin-Gendre nach Meinung Zetkins jedoch, indem sie einen Mann heiratete, der sie zwar sehr geliebt, der aber ihre Erkenntnisse und ihre politische Überzeugung nicht geteilt habe. Zwar hinderte ihr Ehemann sie nicht daran, sich auch weiterhin durch Lektüre der Werke von Charles Darwin, dem Kulturhistoriker Henry Thomas Buckle oder John Stuart Mill weiterzubilden, jedoch waren Nikitin-Gendres Ansprüche an eine Ehe so hoch, dass eine – wenn auch freundschaftliche – Trennung unumgänglich wurde. Nikitin-Gendre ging nach Italien. In den elf Jahren, die sie dort verlebte, beschäftigte sie sich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien. 1878 siedelte sie nach Paris über, wo sie laut Zetkin Mitarbeiterin verschiedener Zeitungen und Zeitschriften wurde. Während der revolutionären Vorgänge in ihrer russischen Heimat bemühte sie sich, in ihrer Umgebung Verständnis und Sym- pathie für deren „heroische[…] und opferfreudige[…] Träger“552 zu wecken. Auch für das weib- liche Recht auf Bildung habe sie „ihre Feder zum Schwert“553 werden lassen. Nikitin-Gendres Leben und Wirken, so Zetkin resümierend, sei „ein leuchtendes Beispiel dafür, was ein starker Geist und ein warmes Herz über einen gebrechlichen Körper vermögen“554. 548 Ebd., S. 104. 549 Ebd. 550 Vgl. ebd. 551 Ebd. 552 Ebd. 553 Ebd. 390 4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“ Nikitin-Gendres Funktion als Leitfigur ist im Rahmen dieser Arbeit und anhand der Ausführungen Zetkins nicht eindeutig zu charakterisieren. Zwar hatte sie nicht wie andere Russinnen den revolutionären Weg gewählt und sich den Kämpfen in ihrer Heimat angeschlossen, doch verfügte sie über eine wissenschaftlich fundierte sozialistische Einstellung. Sie war demnach keine „klassische“ Klassenkämpferin, aber ein sozialistisch gesinnter „weiblicher Vollmensch“, der all seine Fähigkeiten und Kenntnisse in den Dienst der Sache stellte. Lediglich in einer kurzen Notiz wird der Tod Eugénie Potonié-Pierres (1844-1898)555 in der „Gleichheit“ bekannt gegeben. Laut deren Urteil war die Französin „eine der rührigsten“556 Frauenrechtlerinnen ihres Landes und gehörte der „sozialistisch angehauchten Richtung der französischen Frauenrechtelei“557 an. Wenn auch nur vom Sozialismus „angehaucht“, unterschied sich Potonié-Pierre demnach doch zu deutschen bürgerlichen Frauenrechtlerinnen. Sie habe, so Zetkin weiter, zwar mit „größter Selbstlosigkeit, Aufopferung und nie rastender Energie für die soziale Gleichstellung des weiblichen Geschlechts gekämpft“558, aber dabei eine „unklare und verworrene Auffassung der Frauenfrage“559 vertreten. Die „Gleichheit“ ehrte die „Lauterkeit und de[n] Idealismus ihres Charakters und Strebens“560 – Eigenschaften, die es rechtfertigen ihr als Beispiel eines „weiblichen Vollmenschen“ zu gedenken. Die Chronologie der biographischen Skizzen hat sich nun der Erscheinungszeit der „Gleichheit“ und der Gründungsphase der deutschen proletarischen Frauenbewegung genähert. Auch in deren Organisationen sind Frauen zu finden, die weniger dem Leitbild der „Klassenkämpferin“ als dem des „weiblichen Vollmenschen“ zuzuordnen sind. Hierzu gehört ? Luther (?-1898), die sehr bescheidenen Verhältnissen entstammte. Ihr Alltag erlaubte ihr kaum irgendeine Ablenkung, aber sie habe, so der vermutlich von Zetkin verfasste Nachruf, „durch geschickte Eintheilung der Arbeiten, oft durch Ueberanstrengung […] die Muße erkaufen [können], zu lesen, zu lernen, für ihre Ideale zu wirken“561. Luther war die Ehefrau, tüchtige Hausfrau und Mitarbeiterin eines, wie Zetkin es definierte, an 554 Ebd. 555 Potonié-Pierre gründete 1892 den „Verband der französischen Frauenvereine“ und war vermutlich verwandt oder verheiratet mit dem Pazifisten und Schriftsteller Edmond Potonié-Pierre. 556 Frau Potonié-Pierre, eine der rührigsten französischen Frauenrechtlerinnen, ist kürzlich in Paris verstorben. In: GL, 08/ 17/ 17.08.1898/ 136. 557 Ebd. 558 Ebd. 559 Ebd. 560 Ebd. 391 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN der „Schwelle des Proletariats“562 stehenden Dresdner Kleinindustriellen und außerdem Adoptiv- mutter eines Kindes. Sie teilte die politische Überzeugung ihres Ehemannes und wurde 1894 Mitglied des Dresdner Arbeiterinnenbildungsvereins. Sie engagierte sich innerhalb der Arbeiter- bewegung vor allem in der mündlichen Agitation unter ihren Freunden und Bekannten und in der Verbreitung von Flugblättern. „Aemter und größere Aufgaben in der Dresdener proletarischen Frauenbewegung“563, so Zetkin, habe Luther „bescheiden mit der Begründung ab[gelehnt], daß sie noch lernen müsse, um mehr leisten zu können“564. Wahrscheinlich sah sie sich wegen ihrer mangelnden Kenntnisse des wissenschaftlichen Sozialismus als nicht geeignet, eine leitende Position einzunehmen. Ihr Wirkungskreis blieb sehr überschaubar und sie hatte keinerlei Ambi- tionen, darüber hinauszugehen. Aufgrund des Eindruckes, den Zetkin von den Eigenschaften und dem Engagement Luthers vermittelte, ist es fraglich, ob ihre Überzeugung über die einer Gefühls- sozialistin hinausging. Ihr erklärter Wille zu lernen, ihr Bildungsdrang, zeichnen sie zumindest als „weiblichen Vollmenschen“ aus. Insgesamt sei sie eine Vorkämpferin sozialistischer Ideale ge- wesen, eine der Frauen, „deren Name[sic] zwar nicht in weitere Kreise dringt[sic], die aber ein leuchtendes Beispiel sind für Tausende und Tausende, die dem Werden der neuen, besseren Zeit stumpfsinnig und thatenlos gegenüberstehen“565. Eine resümierende Aussage, die nochmals die Ausgangsthese dieser Arbeit bekräftigt: Dem Leben historischer Persönlichkeiten oder – wie in diesem Fall – verstorbener Genossinnen wurde inner- halb der proletarischen Frauenbewegung eine besondere Vorbildfunktion zugeschrieben. Die Informationen, die die „Gleichheit“ in ihrem Nachruf auf Barbara Alexandrowna Kaschewarowa-Rudnewa (1842-1899) gibt, lassen keine konkreten Aussagen zu deren politischer Gesinnung treffen. Doch verschiedene Eigenschaften machen sie zum „weiblichen Voll- menschen“. Sie war eine Pionierin des Frauenstudiums und die erste Frau, die zu einem medizi- nischen Studium an der medico-chirurgischen Akademie in Sankt Petersburg566 zugelassen wurde. Ihr Weg dorthin begann in den 1860er Jahren mit einem selbstbewussten Auftritt beim damaligen Kriegsminister. Kaschewarowa-Rudnewa sprach bei ihm als eine Vertreterin der weiblichen Bevölkerung des Uralgebietes vor und überbrachte ihm die Forderung dieser Frauen, auf keinen 561 Eine treue Parteigenossin… In: GL, 09/ 02/ 18.01.1899/ 13. 562 Ebd. 563 Ebd., S. 14. 564 Ebd. 565 Ebd., S. 13. 566 Die medico-chirurgische Akademie in Sankt Petersburg wurde 1798 gegründet. 392 4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“ Fall von männlichen Ärzten, sondern von einer medizinisch ausgebildeten Frau behandelt zu werden.567 Daraufhin erhielt Kaschewarowa-Rudnewa ein Stipendium der uralischen Kosaken und beendete 1868 ihr mutig erstrittenes Medizinstudium als erste russische Ärztin. So wie sie ihre Studienzulassung im Rahmen einer sozialpolitischen Forderung erkämpft hatte, so sei ihre Arbeit als Ärztin, „dadurch besonders bedeutsam, daß sie mit der ärztlichen Sachkenntniß und Pflichttreue ernste sozialpolitische Kenntnisse und tiefes Verständniß für die Bedürfnisse der Volksmassen“568 verknüpft habe. Es war ihr allgemein aufklärerisches Engagement für die untere Gesellschafts- schicht, welches sie als einen „weiblichen Vollmenschen“ auszeichnete. Um das Leben und Wirken Beatrice Webbs (1858-1943) zu würdigen, griff die „Gleichheit“ auf einen 1897 erschienenen Artikel der Wiener „Arbeiterinnen-Zeitung“ zurück. Nicht ersichtlich ist allerdings, ob Zetkin redaktionelle Änderungen daran vorgenommen hatte. Webb wurde als jüngstes Kind des englischen „Eisenbahnkönigs“ Richard Potter geboren. Potter ließ seinen Kindern eine sehr gute Erziehung angedeihen und bereits im Alter von zehn Jahren begleitete Webb ihren Vater auf seinen Reisen in die USA. Sie übernahm später für ihn die Aufgaben einer Sekretärin und genoss sein vollstes Vertrauen. Webb war 20 Jahre alt, als ihre hochgebildete und für moderne Ideen sehr zugängliche Mutter starb. Da ihre Schwestern bereits verheiratet waren, übernahm Webb die Haushaltsführung auf den väterlichen Besitzungen und sammelte bei dieser Gelegenheit viele praktische Erfahrungen. Schließlich begann Webb ein Studium der Nationalökonomie und der Statistik bei dem Philosophen und Soziologen Herbert Spencer. Dieser habe seine „Lieblingsschülerin“569 wie einen männlichen Studenten behandelt und besonders deren „Anlage zur kritischen Zergliederung und zur wissenschaftlichen Genauigkeit“570 ausgebildet. Ein Onkel Webbs hatte aus Liebe zu einer Müllerin auf allen ererbten Besitz verzichtet und das Müllerhandwerk erlernt. Webb hatte zu diesem Teil ihrer Verwandtschaft keinerlei Kontakt, wollte sich aber ein Bild von dessen Lebensverhältnissen machen. Webb plante ihren ersten Feldversuch. Inkognito und in ärmlicher Kleidung habe sie Einlass in die Familie gefunden und, so die „Gleich- heit“, festgestellt, „daß diese einfachen Menschen aus dem Volke der Wahrheit aller Dinge näher 567 Tod der ersten russischen Aerztin. In: GL, 09/ 13/ 21.06.1899/ 104 568 Vgl. ebd. 569 Beatrice Webb. In: GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 108. 570 Ebd. 393 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN standen, als die künstliche Gesellschaft, der sie in den Londoner Salons begegnete“ 571. Jener „künstlichen Gesellschaft“ stand Webb prinzipiell ablehnend gegenüber. Diese Ablehnung habe sich u. a. daran gezeigt, dass sie weiterhin für ihren Vater als dessen Krankenpflegerin, Ver- walterin und Sekretärin arbeitete. Webbs schriftstellerische Begabung offenbarte sich in einem unter Pseudonym verfassten offenen Brief zur Arbeitslosenfrage, den sie an die „Pall Mall Gazette“ (1865-1921) schickte. 1886 zog sie nach London, wo sie finanziell unabhängig, „gleich einem jungen Studenten“572 gelebt habe. Ihr besonderes Interesse galt dem Sammeln statistischer Daten in den Armenvierteln und Vororten Londons. Um dabei nicht aufzufallen, bediente sie sich stets unterschiedlicher Verkleidungen. Diese dürften umso notwendiger gewesen sein, da ihr natürliches Äußeres gemäß folgender Be- schreibung ein sehr beeindruckendes gewesen sein musste: „Aeußerlich verräth nichts die Engländerin in ihr, dunkle Augen, dunkle Haare und ein wie von südlicher Sonne durchwärmter, goldigbrauner Teint, das ganze Gesicht feurig und lebendig wie das einer Südländerin, sehr rasche Bewegungen, lange, feine, nervöse Hände, die keinen Augenblick unbeweglich bleiben können, eine sehr biegsame Gestalt, dazu ein angenehmes, modulationsfähiges Organ, mit einem Worte eine entzückende Erscheinung.“573 Webb kaschierte nicht nur ihr äußeres Erscheinungsbild, sondern stellte sich auch in ihrem Benehmen auf ihre „Untersuchungsobjekte“ ein. Oft habe sie sich nach Tisch bewusst eine Zigarette angezündet, „um ihren Gästen zu beweisen, daß der Tabakrauch sie nicht genire, worauf rasch eine Menge großer Pfeifen“574 hervorgeholt worden wären. Webb bewies damit im direkten Umgang mit den ArbeiterInnen ein großes Einfühlungsvermögen. Doch auch dieses „Einfühlen“ war Webb noch nicht genug. Während ihrer monatelangen Recherchen im Arbeitermilieu wollte sie schließlich als Schneiderin den realen Alltag einer solchen und das damit verbundene Elend erleben. Umherirrend, immer nach Arbeit suchend, irgendwann die vielen Zurückweisungen leid, habe sie schließlich „wirkliche Thränen über ihre gewollte Drangsal [ge]weint[…]“575 – ihre selbst gesetzte sechswöchige „Lehrzeit“ hielt sie jedoch durch. Webb sammelte statistisches Material u. a. auch für ihren Cousin Charles Booth, der dieses für sein Werk „Life and Labour of the People in London“ (1889) benötigte. Webb verfasste für dieses Buch zwei Kapitel zum Leben der jüdischen Bevölkerung und veröffentlichte in der Londoner 571 Ebd. 572 Ebd. 573 Ebd. 574 Ebd., S. 110. 575 Beatrice Webb. (Schluß.). In: GL, 07/ 15/ 21.07.1897/ 116. 394 4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“ Revue „Nineteenth Century“ (1877-1950) eine Reihe von Artikeln, basierend auf ihren Erfahrungen als Schneiderin. Darin habe sie „für die Verkommensten und Verachtetsten das Recht auf Arbeit und ein menschenwürdiges Dasein“576 gefordert. Sie, die aus reichem Hause stammte, klärte als Journalistin die Welt über, so die „Gleichheit“, „die rührende Brüderlichkeit [auf], die zwischen den Enterbten so häufig zu finden ist, sie wies auf die von jedem Egoismus freien Hilfeleistungen hin, die der Arme dem Armen gewährt, auf den angeborenen Respekt des Arbeiters für Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit“577. Auf diese Weise bereits zu einem gewissen Bekanntheitsgrad gelangt, verheimlichte Webb für ihre Untersuchungen nun nicht mehr ihren wahren Namen. Es öffneten sich ihr plötzlich viele Türen, vor allem die der Fabrikbesitzer und Unternehmer. Ihr Interesse galt jedoch weiterhin den Arbei- terInnen, deren Vertrauen und Freundschaft sie immer mehr gewann.578 18 Monate arbeitete sie an dem Material für das Buch „The Cooperative movement in Great Britain“ („Genossenschafts-Be- wegung in England“), das 1891 erschien. Schließlich begegnete sie Sydney Webb, dessen „ideale Gefährtin“579, „seine Ergänzung […] sowohl in seinen Werken als in seinen Gedanken“580 sie wurde. Ihre Verbindung stieß auf keinerlei Hindernisse, da Beatrice Webb frei in ihren Entscheidungen und finanziell unabhängig war. Solange sie jedoch gemeinsam an einer Geschichte der englischen Gewerkvereine arbeiteten, hielten sie ihre Verlobung trotzdem geheim. Oft sei für ihre Zusammenarbeit Webbs „Eigenschaft als Frau […] höchst zweckdienlich“581 gewesen, denn als Frau keiner Beachtung wert, habe „sie Vieles [erfahren], was man vor ihrem Bräutigam verheimlichte“582 – in diesem diskriminierenden Verhalten gegenüber einer Frau hätte es kaum Unterschiede zwischen Arbeitern und Unter- nehmern gegeben.583 Ihre eigenen Erfahrungen geschlechtsspezifischer Diskriminierung machte aus Webb zwar kein Mitglied der Frauenrechtsbewegung, aber sie bezog Stellung zu Fragen der Gleichberechtigung der Frau, Geschlechtsunterschieden und Erziehungsprinzipien: „‘Sicherlich bekämpfe ich jeden Versuch, aus der Frau einen Mann zu machen oder in ihr einen männlichen Charakter auszubilden. […] Ich glaube, die Frau ist von 576 Ebd. 577 Ebd., S. 117. 578 Vgl. ebd. 579 Ebd. 580 Ebd. 581 Ebd., S. 118. 582 Ebd. 583 Vgl. ebd. 395 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Natur aus keuscher und besser als der Mann, weniger ausgesetzt, durch Beispiel und Vorstellung verführt zu werden. Kurz gesagt: ich würde jungen Knaben nicht erlauben, schlechte Bücher zu lesen, noch schlechte Sachen zu sehen. Aber ich würde jungen Mädchen und Frauen alle Bücher zugänglich machen und alles unverhüllt im Leben zeigen, sicher, daß sie nie von ihrer Kenntniß schlechten Gebrauch machen werden.’“584 Obwohl selbst Opfer stereotyper Zuschreibungen, das „Wesen“ der Frau betreffend, vertrat Webb hier das Klischee der „keuschen Frau“. Zwar wandte sie es in scharfsinniger Art und Weise gegen diejenigen Meinungen, die den Frauen keine umfassende Bildung zugestehen möchten, doch es bleibt ein Klischee. Webb ist Beispiel einer bürgerlichen Frau aus wohlhabenden Verhältnissen, deren wissenschaftliches und politisches Interesse sie zwangsläufig Stellung für die Sache der Arbeiter beziehen ließ. Ihr politisches Engagement, wie es in diesem Artikel beschrieben wird, scheint sich jedoch auf die journalistische und wissenschaftliche Ebene beschränkt zu haben. Es geht aus dem Artikel nicht hervor, dass sie Mitglied der Labour Party oder einer anderen sozialistischen Partei wurde. Der Duktus des Artikels lässt sie weniger als Klassenkämpferin denn als „weiblicher Vollmensch“ erscheinen, der jedoch seine Fähigkeiten in den Dienst der sozialistischen Sache stellte. Sie war nicht nur eine Kämpferin der 1848er-Revolution, sondern auch bekennendes Mitglied der SPD: Elise Schweichel (1831-1912). Trotzdem soll sie hier nicht als Klassenkämpferin, sondern als ein Beispiel für einen „weiblichen Vollmenschen“ vorgestellt werden. Denn laut Kunert585, die sowohl einen Nachruf als auch einen weiteren Artikel zu Ehren Schweichels verfasste, hatte deren Name zwar „in der deutschen Arbeiterbewegung einen guten Klang“586, doch ist Schweichel in der Öffentlichkeit nie als Funktionärin oder Agitatorin aufgetreten. Der „gute Klang“ ihres Namens erklärt sich vor allem daraus, dass Schweichel erheblichen Anteil „an dem geistigen Ringen und Schaffen ihres Mannes“587 – des 1848er Revolutionärs und Dichters Robert Schweichel – hatte. Die politische Situation nach der gescheiterten 1848er-Revolution zwang das Ehepaar ins schweizerische Exil. 1861 konnten beide dank einer Amnestie nach 584 Beatrice Webb zit. nach: Ebd. 585 Ich vermute Marie Kunert hinter den Initialen M.Kt. weil sie auch die Verfasserin eines namentlich gezeichneten Nachrufs auf Robert Schweichel war (vgl. Kunert, Marie: Robert Schweichel. In: GL, 17/ 10/ 13.05.1907/ 82-83). 586 [Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167. Einen weiteren Nachruf auf Schweichel, dessen Duktus sie eher der Gruppe der Ehefrauen-Leitbilder zuordnen ließe, verfasste der Dichter und Schriftsteller Ernst Kreowski (1859-1920[?]) für die Beilage „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ (vgl. Kreowski, Ernst: Elise Schweichel. In: GL, 23 (1913)/ „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 26/ 101-103). 587 [Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167. 396 4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“ Deutschland zurückkehren. Die „absolut unabhängige, kraftvoll herbe Natur“588 Elise Schweichels habe sich, so Kunert, mit „dem milderen Wesen des Dichters und Träumers“589 in idealer Weise ergänzt. Schweichel sei stets bemüht gewesen, alles, was das dichterische Schaffen ihres Ehe- mannes hätte hemmen können, „aus dem Wege zu räumen“590. Obwohl es sie schmerzte, dass den Werken ihres Ehemannes nur wenig Aufmerksamkeit und Ehrung widerfuhr – „während so manches Talmitalent mit Lorbeeren bekränzt wurde“591 – hätte Schweichel jedoch nie von ihm verlangt, sich nach dem „launenhaften wechselnden Geschmack der literarischen Mode“592 zu richten. Für ein solches Verhalten sei Schweichel – nach Meinung Kunerts selbst eine „feine und stolze Natur“593 – „zu innig mit den politischen und künstlerischen Idealen ihres Mannes verwachsen“594 gewesen. Schweichel, die, so betonte es Kunert, ihrem Ehemann geistig ebenbürtig gewesen sei, besaß selbst schriftstellerisches Talent und hatte bereits unter ihrem Mädchennamen Elise Lange kleinere volkstümliche Erzählungen veröffentlicht.595 In der „Neuen Zeit“ erschien ihr Roman „Dunkle Mächte“ (1892/93), und ihr von Kunert als Hauptwerk bezeichneter Roman „Vom Stamme gerissen“ (1886) erschien u. a. im „Vorwärts“. Sie habe dieses Werk, so Kunert „aus der ganzen Fülle ihrer eigenartigen Individualität“596 geschrieben und es zeuge von „einer ganz ungewöhnlichen Seelengröße der Verfasserin“597. Dieses enthusiastische Urteil gründet auf der Tatsache, dass Schweichel in ihrem Werk nicht nur ihrem Ehemann als jungem „revolutionären Feuerkopf“598, sondern auch dessen Jugendliebe, die früh verstarb, ein Denkmal setzte. Kunert beurteilte Schweichels Werke als die „von freiheitlicher Gesinnung durchglühte[n] Schöpfungen einer reifen Erzählungskunst“599. Nachdem ihr Ehemann 1907 gestorben war, vereinsamte Schweichel zunehmend. Denn selbst kinderlos geblieben, bestand ihre Familie nun nur noch aus ihrer Schwester. Ausgerechnet beim Abstauben des Bildnisses ihres Mannes stürzte Schweichel 1911 so schwer, dass sie sich beide 588 [Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel. In: GL, 21/ 25/ 11.09.1911/ 391. 589 Ebd. 590 Ebd. 591 [Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167. 592 [Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel. In: GL, 21/ 25/ 11.09.1911/ 391. 593 [Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167. 594 Ebd. 595 Ebd. 596 [Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel. In: GL, 21/ 25/ 11.09.1911/ 391. 597 Ebd. 598 Ebd. 599 [Kunert, Marie?] M. Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167. 397 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Arme brach. Fast habe sie ihren Lebensmut aufgegeben, doch laut Kunert sei ihr feuriges Interesse an den politischen Ereignissen wieder aufgeflammt und habe ihr Leben noch bis zu seinem Ende erfüllt.600 Ein Leben, das, so Kunert, „vorbildlich für viele Tausende Frauen“601 sei. Vor allem denjenigen, „denen es nicht gegeben ist, selbst im dichtesten Getümmel der politischen Kämpfe des befreiungssehnsüchtigen Proletariats zu stehen“602. Denn obwohl Schweichel im politischen Kampf nicht in der ersten Reihe der Arbeiterklasse gestanden habe, „verdank[e] diese doch viel dem stillen selbstlosen Wirken der unbeugsamen Energie dieser Frau“603. Die einzige in den beiden Nachrufen geäußerte Kritik war die, so Kunert, dass es Schweichel „[t]rotz ihrer großen Geistesgaben […] nicht gelungen [sei,] sich […] zu voller innerer Harmonie durchzuringen“604. Diese Kritik bezog sich auf das Urteil Kunerts, dass Schweichel ein sehr verschlossener Charakter gewesen sei und man „das fein empfindende Herz dieser Frau sehr gut kennen [musste], um sich von ihrem zuweilen herben unzugänglichen Wesen nicht beirren zu lassen“605. Schweichel war in ihrem Tun und ihrem Charakter Vorbild, aber die „Gleichheit“-Leserinnen erfuhren, dass auch Vorbilder menschliche Eigenheiten haben können. Eine Person, die Schweichel gut gekannt haben dürfte und wie sie einen hohen Bekanntheitsgrad unter den „Gleichheit“-Leserinnen hatte, war Minna Kautsky (1837-1912). Kautsky war nicht nur als Mutter des SPD-Parteitheoretikers Karl Kautsky606 bekannt, sondern, wie Kunert in einem Artikel zum 70. Geburtstag Kautskys schrieb, auch als „[e]ine der markantesten Persönlichkeiten unter den Volksschriftstellerinnen der Gegenwart“607. Minna Kautsky war bereits eine reife Frau, als sie, so Kunert, die ihr „anerzogenen bürgerlichen Vorurteile wie ein zerschlissenes Gewand abgestreift“608 habe und sich der Arbeiterbewegung zuwandte. Sie habe sich, so vermutlich Zetkin später in einem Nachruf auf Kautsky, „dem hohen 600 Vgl. ebd. 601 [Kunert, Marie?] M. Kt.: Elise Schweichel. In: GL, 21/ 25/ 11.09.1911/ 391. 602 Ebd. 603 Ebd. 604 [Kunert, Marie?] M. Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167. 605 Ebd. 606 Interessanterweise wird in beiden Artikeln Kautskys berühmter Sohn nur insoweit erwähnt, als das gemeinschaftliche Studium mit ihm für die Selbstbildung der Mutter und ihren Weg zum Sozialismus Bedeutung hatte (vgl. Kunert, Marie: Minna Kautsky. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 100-101; Minna Kautsky †. In: GL, 23/ 08/ 08.01.1913/ 121). 607 Kunert, Marie: Minna Kautsky. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 100. 608 Ebd. 398 4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“ Ideal ganz hin[ge]geben“609. Ursprünglich entstammte sie engen und kleinen Verhältnissen, war zwar das älteste und begabteste von sieben Kindern, verfügte aber nur über eine dürftige Schul- bildung. Über ihren Vater, der in Graz Theatermaler war, hatte Kautsky schon früh einen Bezug zur Schauspielkunst. Bevor sie jedoch ihr Talent durch öffentliche Auftritte richtig zur Geltung bringen konnte, heiratete sie in Prag den Landschaftsmaler Johann Kautsky. Ihr jugendliches Temperament half ihr, Schauspieltätigkeit und Mutterpflichten für drei Kinder miteinander zu vereinbaren. Als Schauspielerin, so Zetkin, habe Kautsky „nachschaffen [wollen], was höchste Kunst gestaltet hat, wollte sie ganz selbst werden und sich von der geistigen und sozialen Gebundenheit ihrer kleinbürgerlichen Umwelt befreien“610. Doch gerade als sie sich einen guten Ruf als Künstlerin erarbeitet hatte, kam es zu einem körperlichen Zusammenbruch aufgrund eines Lungenleidens. Noch nicht 20-jährig hätte sie aus gesundheitlichen Gründen ihre Berufstätigkeit aufgeben müssen, doch die finanzielle Situation ließ dies nicht zu. Die Triumphe, die sie nun nicht mehr in der Rolle der jungen Liebhaberin, sondern als Tragödin feierte, habe sich Kautsky „mit fast 15-jährigem Siechtum“611 erkauft. Ihre körperlichen Leiden, erhöht durch die Geburt eines vierten Kindes, machten schließlich ihrer Karriere doch ein Ende. Einen Ersatz für ihre Tätigkeit auf der Bühne suchte sie laut Kunert in literarischen und wissenschaftlichen Studien. Möglich wurde ihr diese geistige Arbeit nur, weil ihr mittlerweile als Dekorationsmaler am Wiener Burgtheater engagierter Ehemann nun genug Lohn erhielt. Zusammen mit dem ältesten Sohn Karl las sie die sozialistischen Klassiker. Angeregt durch dieses gemeinsame Studium habe sie, so Zetkin, „das kämpfende Proletariat verstehen, achten, lieben“612 gelernt. Zetkin bezeichnete es als einen „neue[n] Frühling der Schaffensfreudigkeit“613, in welchem sich Kautsky zu einer Schriftstellerin von Romanen, Novellen und Skizzen entwickelte. Ihr künstlerisches Schaffen war beeinflusst von den Ideen des modernen Sozialismus. Vor allem das soziale Leben ihrer Zeit, „zumal de[r] geschichtlich wertvollste[…] Teil dieses Lebens: das Emporsteigen des Proletariats zur Freiheit“614, so betonte Zetkin, spiegele sich in ihren Werken wider. Laut Kunert begegneten den LeserInnen in Werken wie „Herrschen oder dienen“ (1882), „Die 609 Minna Kautsky †. In: GL, 23/ 08/ 08.01.1913/ 121. 610 Ebd. 611 Kunert, Marie: Minna Kautsky. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 101. 612 Minna Kautsky †. In: GL, 23/ 08/ 08.01.1913/ 121. 613 Ebd. 614 Ebd. 399 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Alten und die Neuen“ (1884), „Victoria“ (1889), „Helene“ (1894) „Im Vaterhause“ (1904) oder „Stefan vom Grillenhof“ (1879) „trefflich gezeichnete[…] Arbeitertypen“615 und „lebensvoll wir- kende[…] Frauen- und Mädchengestalten der alten und neuen Generation“616, „Schilderung[en] komischer Situationen und drolliger Sonderlinge“617, aber auch erschütternde Schilderungen der Gräuel des Krieges. Kunert interpretierte die Bedeutung des Kautsky‘schen Gesamtwerks – ganz im Sinne sozialistischer Bildungsideale – so: „Minna Kautskys schöner Glaube an die Macht der Entwicklung gründet sich auf die ungebrochene und unverbrauchte Kraft und Ursprünglichkeit in den unteren Klassen, denen Unnatur und Heuchelei noch fremd sind, wie sie die Schichten von Besitz und Bildung durchsetzen. Auf dieser Basis von seelischer Gesundheit und Güte im Volke sieht sie die modernen Ideen der Humanität etwas völlig Selb- ständiges und Originelles zeitigen, das die Menschheit aufs neue befruchtet und auch für den Künstler von höchster Bedeutung werden muß.“618 Kautsky stellte demnach die moralische und historische Mission des Sozialismus und dessen Menschenbild in den Mittelpunkt ihrer Werke. Sie gab ihm in Form ihrer literarischen Figuren ein Gesicht. Kautsky zählte zu den ersten unter den zeitgenössischen SchriftstellerInnen, deren Werke besonders stark von der sozialistischen Weltanschauung beeinflusst waren und sie auf diese Weise wortwörtlich „populär“ machten. Mögen ihre Arbeiten auch qualitativ über die eines „Volks- schriftstellers“ nicht hinausgegangen sein, so haben sie nach Meinung Zetkins – in den Dienst des Sozialismus gestellt – doch Tausende erreicht. Aus diesem Grund würde Kautsky auch dann „dem Herzen der Enterbten noch teuer sein, wenn der Klang vieler Namen verschollen ist, der heute die literarische Welt erfüllt“619. Anders als manche anderen „weiblichen Vollmenschen“, die der Arbeiterbewegung nahe standen, hatte sich Kautsky in ihren literarischen Werken für die Nach- welt verewigen können. Ebenfalls eine bekannte Erzählerin, jedoch Vertreterin eines anderen literarischen Niveaus als Minna Kautsky, war Clara Viebig (1860-1952). Viebig war Tochter eines hohen Beamten, der 1848 Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung gewesen war. Ihre Mutter war eine Pastorentochter und habe viel Erzähltalent besessen. Weitere Informationen zur Herkunft Viebigs gab der Schriftsteller Josef Kliche (?-?)620 in dem Artikel, den er zu ihrem 60. Geburtstag 615 Kunert, Marie: Minna Kautsky. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 101. 616 Ebd. 617 Ebd. 618 Ebd. 619 Minna Kautsky †. In: GL, 23/ 08/ 08.01.1913/ 121. 620 Die herangezogenen Nachschlagewerke und Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Josef Kliche. Er veröffentlichte u. a.: „Vier Monate Revolution in Wilhelmshaven“ (1919) und „Ein Jahr in Flandern. 400 4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“ verfasste621, nicht. Er mochte vielmehr diesen Tag, der seiner Meinung nach „in allen kulturell und literarisch stärker interessierten Kreisen freundliche Beachtung“622 finden müsse, würdigen, indem er die Werke der Jubilarin vorstellte. Der Geburtstag Viebigs habe große Bedeutung für die „um geistige Befreiung und materiellen Fortschritt kämpfende[…] Arbeiterschaft“623 und besonders für die Frauen, denen, so Kliche, „das Schaffen der beliebten Autorin besonders nahegeh[e]“624. Diese Bedeutung habe sie für die Frauen aber nicht, weil sie in Schönfärberei und falscher Sentimentalität pure Unterhaltungsliteratur geschrieben hätte. Im Gegenteil: Zu der vollendeten Form, in der sie „proletarisches Milieu, Weibesherzeleid und Muttersehnen“625 beschreibe, komme der Umstand, dass sie als erste deutsche Erzählerin „aller Prüderie, allem althergebrachten Vorurteil zum Trotz“626, das proletarische Leben so gezeichnet habe, wie es ist. Ihre Werke verkörperten laut Kliche Viebigs „unerbittliche[n] Wahrheitsmut in der Zustandschilderung“627 und seien demnach Werke einer Naturalistin. Zwar sei sie zunächst vor allem von Heinrich Heines „Buch der Lieder“ (1827) beeinflusst worden, doch wegweisende „Offenbarung“628 wurde ihr Emile Zolas „Germinal“ (1885). Jenes Werk habe den Anstoß gegeben, dass Viebig binnen zwei Tagen ihre erste Erzählung verfasste. Eine Erzählung der überzeugten „Zolaschülerin“629, „so kraß und eigenwillig“630, dass laut Kliche sie keine Zeitung habe veröffentlichen wollen.631 Viebig veröffentlichte innerhalb von 25 Jahren 24 Bücher. Einzelne davon bedeuteten nach Meinung Kliches geradezu „eine literarische Tat“632. Darunter zählte er ihren Dienstbotenroman „Das tägliche Brot“ (1900). Der Roman schildert das Schicksal einer vom Lande kommenden jungen Frau, die ihr unehelich geborenes Kind erst aussetzt, dann aber als Dienstmädchen arbeitet, um sich und das Kind zu versorgen. Den Kindern ihrer Herrschaft muss die junge Mutter und Ein Kriegsbuch“ (1916). In der „Gleichheit“ erschien außerdem bereits im Januar 1920 ein Artikel, in welchem er auf Viebig und andere LiteratInnen verwies (vgl. Kliche, Josef: Das Magdalenenmotiv in der deutschen Dichtung. In: GL, 30/ 04/ 24.01.1920/ 27-29). 621 Kliche, Josef: Eine Meisterin deutscher Erzählkunst. In: GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 236-238. 622 Ebd., S. 236. 623 Ebd. 624 Ebd. 625 Ebd. 626 Ebd. 627 Ebd. 628 Ebd. 629 Ebd., S. 237. 630 Ebd., S. 236. 631 Vgl. ebd., S. 236f. 632 Ebd., S. 237. 401 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Lohnabhängige, so Kliche, „all die Liebe und Hätschelei geben […], die eigentlich ihrem eigenen Kinde gehörten“633. Auch eine Heirat besserte ihr Leben nicht. 15 Jahre später veröffentlichte Viebig mit „Eine Handvoll Erde“ (1915) eine Fortsetzung dieser Geschichte. „Einer Mutter Sohn“ (1906) spielt dagegen in einer noblen Grunewaldvilla und erzählt die Geschichte eines reichen, aber kinderlos gebliebenen Ehepaares, das das Kind einer armen Witwe adoptiert. Das Elternpaar müsse jedoch erkennen, dass ihr Adoptivsohn negative Charaktereigenschaften „geerbt“ hat.634 „[V]olle Meisterschaft“635, so Kliche, habe Viebig in ihrem Roman „Das Weiberdorf“ (1900) erlangt. Das „Weiberdorf“ liegt in der Eifel und trägt seine Bezeichnung, weil die Männer des Dorfes regelmäßig für den Erwerb in die Stadt ziehen und ihre Frauen allein zurücklassen müssen. Diese Situation ergebe u. a. solch „starke leidenschaftliche Konflikte“636, dass sowohl erotische als auch humoristische Szenen nicht ausblieben. Viebig habe sich „[g]eschichtliche[r], soziale[r] und seelische[r] Stoffe“637 gewidmet. Auch den Ersten Weltkrieg thematisierte Viebig in einigen ihrer Bücher. So z. B. in „Töchter der Hekuba“ (1917) und „Das rote Meer“ (1920). Darin, so Kliche, gebe sie der „Seelennot deutscher Mütter, Frauen und Bräute“ Gestalt und singe ein „Hohelied auf das Duldertum schmerzdurchbohrter Frauenherzen“638. Viebigs technisches und sprachliches Können zeige sich in noch vielen weiteren Werken („Eisen und Feuer“ (1913)639, „Absolvote“ (1907)), in welchen sie verstehe, die Wirklichkeit in all ihrer Dramatik darzustellen. Viele der Werke Viebigs beschreiben Frauengestalten und Frauenschicksale. Diese basieren, so das Urteil Kliches, keineswegs nur auf reiner Fiktion. Denn „wenn wir uns über die Buchseiten beugen und uns in die einzelnen Charaktere vertiefen, so fühlen wir, daß diese Personen uns allen schon einmal irgendwo im Leben begegnet sind“640. In einer ähnlichen Art und Weise machte es die „Gleichheit“, die ihren Leserinnen verschiedene Frauentypen und deren herausragende Charaktereigenschaften präsentierte. Diese Frauentypen sind häufig Vorbilder aus den eigenen Reihen und ihre Schicksale erwecken bei den Leserinnen in besonderem Maße Mitgefühl. Ein ungewöhnliches Beispiel für großen Durchhaltewillen und Bildungsdrang – den typischen Tugenden des „weiblichen Vollmenschen“ – ist Helen Keller (1880-1968). Im zweiten Lebensjahr 633 Ebd. 634 Ebd. 635 Ebd. 636 Ebd. 637 Ebd. 638 Ebd. 639 Gemeint ist wohl Viebigs Werk „Das Eisen im Feuer“. 640 Ebd. 402 4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“ erkrankte die US-Amerikanerin Keller an einem hohen Fieber und verlor Sehkraft und Gehör, wodurch auch ihr Sprachvermögen gemindert war. Den „Gleichheit“-Leserinnen begegnete Keller zum ersten Mal nur im Rahmen einer kleinen Notiz. Meta Lilienthal Stern berichtete darin aus den USA dass „[e]ine der interessantesten Frauen der Welt […] jetzt eine der Unseren“641 geworden sei. Keller hatte sich demnach öffentlich zum Sozialismus bekannt. Dieses offene Bekenntnis hatte laut Stern eine interessante Vorgeschichte. Nachdem 1911 die „Industriestadt Shnektady[sic]“642 einen sozialistischen Bürgermeister und einen sozialistischen Stadtrat gewählt hatte, sei Keller mit einer befreundeten Familie dorthin gezogen und zudem der Sozialistischen Partei beigetreten. Jener sozialistische Bürgermeister Lunn habe Keller daraufhin zum Mitglied einer städtischen Wohlfahrtsbehörde ernannt. Mit diesem Amt sei, so Stern, dieser „treffliche[n] Frau“643, die „trotz ihrer schweren körperlichen Hemmungen zur Höhe einer modernen Geisteskultur emporringen konnte“644, die Gelegenheit gegeben, „teilzunehmen an den sozialen Kämpfen ihrer Zeit“645. Die amerikanische Journalistin Anita Cahn Block (1882-1967)646 setzte laut Sterns Artikel die außergewöhnlichen Lebens- umstände Kellers mit viel Pathos in eine Wechselbeziehung mit ihrem politischen Engagement: „‘Diese Blinde sieht besser als wir Sehenden das Elend dieser Welt. Deutlicher als wir, die hören können, vernimmt diese Taube den Schrei der Not, und die Handlungen dieser Stummen sind beredter als unsere Worte.’“647 Lange schon habe Keller mit den Sozialisten sympathisiert und nun ausnehmend konsequent gehandelt. In den begleitenden Recherchen zu dieser Arbeit musste nun aber festgestellt werden, dass Stern und auch die „Gleichheit“ mit dieser Notiz einer „Zeitungsente“ aufgesessen waren. Nicht nur, dass laut einer neueren biographischen Quelle Keller bereits 1909 der Socialist Party beigetreten war648, sie dementierte in ihrem Aufsatz „Wie ich Sozialistin wurde“ (1912) ganz vehement die beschriebenen Umstände. Sie sei nie in Shenectady gewesen und habe nie Bürgermeister Lunn persönlich kennengelernt. Wohl habe sie Pläne gehabt, dorthin zu reisen und Lunn habe ihr einen Sitz in jener Gesellschaft für öffentliche Wohlfahrtspflege anbieten wollen, aber soweit ist es nicht 641 Stern, Meta L[ilienthal]: Helen Keller eine Genossin. In: GL, 22/ 24/ 21.08.1912/ 384. 642 Es handelt sich vermutlich um die im Staate New York gelegene Stadt Shenectady. 643 Ebd. 644 Ebd. 645 Ebd. 646 Anita C. Block war Mitbegründerin der Zeitschrift „New York Call“ (1908-1923). 647 Anita E. Block im „New York Call“. Zit. nach: Stern, Meta L[ilienthal]: Helen Keller eine Genossin. In: GL, 22/ 24/ 21.08.1912/ 384. 648 Vgl. Jaedicke, Helen Keller, S. 113. 403 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN gekommen. Die kapitalistische Presse habe diese Überlegungen jedoch als Tatsachen verbreitet, um die sozialistische Bewegung zu diffamieren, sich der Person Kellers propagandistisch zu bedienen.649 Diese eindeutige Falschmeldung der „Gleichheit“ verwies nochmals darauf, dass es sich bei den hier zusammengestellten Artikeln keineswegs um wissenschaftlich fundierte Biographien, sondern um journalistische Erzeugnisse handelt. Ursprünglich mag es nur Mitleid gewesen sein, welches die „Gleichheit“-Leserinnen für Keller empfunden haben. Die „Gleichheit“ jedoch wollte ihnen ein anderes Bild Kellers vorstellen, nicht das einer bemitleidenswerten Behinderten, sondern das einer Frau von besonders starker sozialis- tischer Gesinnung. 1920 ließ Keller durch ihren in Stuttgart ansässigen deutschen Verleger Robert Lutz veröffentlichen, dass sie „‘für alle Zeiten’ auf alle ihre Einkünfte aus der deutschen Ausgabe ihrer Schriften zugunsten der deutschen Kriegsblinden, -tauben, und -stummen verzichtet“650. Keller bewies damit eine über alle Grenzen und nationale Ressentiments hinweggehende Solidarität mit den Opfern des Ersten Weltkrieges – besonders solchen, die dieselben Beein- trächtigungen erlitten hatten wie sie selbst und die nur allzu oft von der staatlichen Kriegsfürsorge vernachlässigt wurden. 1922 veröffentlichte das Hauptblatt der „Gleichheit“ erstmals einen Artikel zum Leben dieser bemerkenswerten Frau. Es ist jedoch vornehmlich die entwicklungs- bzw. verhaltenpsycho- logische Sicht auf die Persönlichkeit Kellers, die in Wilhelm Lennemanns (1875-1963)651 Aus- führungen überwog. Lennemann wandte sich darin gegen den aufgekommenen Verdacht, in Wirklichkeit würde Keller die gesamte Öffentlichkeit in nicht durchschaubarer Weise über ihre Behinderung täuschen – so unglaublich war für alle die positive Entwicklung, die diese Frau durchgemacht hatte und an deren Ende schließlich ein, so Lennemann, „Wunder an Intelligenz und Kapazität“652 stand. Keller wurde als normal entwickeltes Kind in Tuscumbia (Alabama/USA) geboren. Im 20. Lebensmonat erkrankte sie an hohem Fieber. Nach ihrer Genesung stellte man den dauer- haften Verlust ihres Augenlichtes und Gehörs fest, was auch ihre Sprachentwicklung 649 Vgl. Keller, Helen: Wie ich Sozialistin wurde. In: Diess.: Wie ich Sozialistin wurde, S. 5-39, S. 6ff. 650 Helen Keller … In: GL, 30/ 12/ 20.03.1920/ 94. 651 Wilhelm Lennemann wurde in Annen (heute Witten-Annen) als Sohn eines Lehrers geboren. Nach dem Besuch der Volksschule und des Gymnasiums folgte eine Lehrerausbildung. 1896-1911 arbeitete Lennemann als Lehrer und freier Schriftsteller in Iserlohn, zudem bis 1914 als Generalsekretär eines freireligiösen Verbandes. Als freier Schriftsteller lebte er aber auch in Köln und Königsberg. Lennemann veröffentlichte zahlreiche Erzählungen, u. a. die Gedichtbände „Aus Bauernlanden“ (1904), „Saat und Sonne“ (1906) und „Meine Ernte“ (1910), in denen Lennemann den Bauernstand und Mutterschaft stark idealisierte. Er war Herausgeber von „Helene Voigt- Diederichs, Lulu von Strauß und Torney. Novellen“ (o. J.) und „Helen Keller. Eine Auswahl aus ihren Werken“ (1912). 652 Lennemann, Wilhelm: Helen Keller. In: GL, 32/ 04/ 15.02.1922/ 35. 404 4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“ beeinträchtigte. Im Alter von acht Jahren erhielt sie mit Annie Sullivan (1866-1936) eine Lehre- rin, die ihr erst das Fingeralphabet, die Braille‘sche Blindenschrift und schließlich die Lautsprache vermittelte. Keller lernte dies alles in einem erstaunlich kurzen Zeitraum und konnte sich schließlich zusammenhängend sprachlich artikulieren. Ein großes Privileg wurde ihr zuteil, als ihr anlässlich der Chicagoer Weltausstellung gestattet wurde, die dort ausgestellten Objekte zu ertasten. Im Alter von 14 Jahren besuchte Keller die Wright-Humason-Schule653, an der sie u. a. auch Deutsch lernte. Nach einer weiteren höheren Schule besuchte sie das Radcliffe College654 und legte 1897 ihre Prüfungen in Deutsch, Französisch, Englisch, Griechisch und römischer Geschichte ab.655 Auch die Zugangsprüfungen für die Universität bestand sie mühelos. Wie zuvor war Annie Sullivan auch während des vierjährigen Universitätsstudiums, in denen Keller besonders Philosophie und Shakespeare studierte, ihre Begleiterin, die ihr, so Lennemann, „alles zufingerte“656. Aus dieser Beschreibung und sogar namentlichen Benennung der Schulen, die Keller besuchte, wird den „Gleichheit“-Leserinnen die Effizienz des höheren Bildungswesens der USA vor Augen geführt. Dieses bot folglich bereits im 19. Jahrhundert Möglichkeiten zur Integration Behinderter. 1903 veröffentlichte Keller „Die Geschichte meines Lebens“, wenig später das Werk „Optimismus“ (1903), das Lennemann als ihr persönliches Glaubensbekenntnis betrachtete.657 Es folgten „Meine Welt“ (1908) und als letztes Werk vor dem Erscheinen des „Gleichheit“-Artikels wurde „Dunkelheiten“ (1913) veröffentlicht. Lennemann erläuterte die Bedingungen, unter denen sich Keller nur mittels Tast- und Geruchssinn die Welt erschloss. Immerhin habe sie die ersten 19 Monate ihres Lebens ihre Umwelt noch mit allen Sinnen erfassen können – diese frühe Phase sei nach Meinung Lennemanns nicht zu unterschätzen. Zum größten Teil verdanke Keller, so Lennemann weiter, das, „[w]as sie geworden, […] ihrem bis aufs feinste ausgebildeten Gefühl, das wir in Tastsinn und Gemeingefühl spalten wollen, und ihrem Geruch“658. Mit ihrem feinen Tastsinn habe sie manche Dinge wie z. B. Kunst anders, vielleicht sogar tiefer gehender, erfassen können als so manche Sehenden. Mit dem Begriff „Gemeingefühl“ wurde von Lennemann quasi ihre Kombinationsgabe beschrieben, mit der Keller z. B. Personen an der Art 653 Die „Wright-Humason-School for the Deaf“ war eine Schule für Gehörlose in New York. 654 Das Radcliffe College in Cambridge (Massachusetts) ermöglichte vor allem Frauen den Zugang zum Studium an der Universität Harvard. 655 Vgl. ebd., S. 36. 656 Ebd. 657 Vgl. ebd. 658 Lennemann, Wilhelm: Helen Keller (Schluß). In: GL, 32/ 05/ 01.03.1922/ 46. 405 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN ihres Ganges erkennen und sogar deren Alter oder gegenwärtige Gemütsstimmung schlussfolgern konnte. Gefühl und Geruchssinn halfen ihr, „Naturschönheiten zu empfinden und geordnet in sich aufzunehmen“659. Vor allem mit ihrem Geruchssinn erschloss sich Keller nicht nur eine Landschaft, sondern auch die Möblierung eines Raumes und die darin anwesenden Personen. Lennemann schließt seinen Beitrag mit einem sehr anmaßendem Resümee: „Viel war Helen geraubt, viel hat sie wiedergewonnen, ja, man darf wohl sagen, daß sie mehr gewonnen als verloren hat, und zu verstehen ist jedenfalls, wenn sie ihr Gefühl eventuell nicht gegen ein Gesicht eintauschen möchte.“660 Er versuchte damit wohl, die von den deutschen Frauen im Krieg erlebten vielfältigen Verluste zu relativieren. Zumindest ließ er in eben diesem Sinne Keller persönlich zu den „Gleichheit“- Leserinnen sprechen: „‘Der Optimismus ist der Glaube, der zur Vollendung führt, nichts kann getan werden, ohne die Hoffnung.’“661 Die blinde, taube und stumme Helen Keller war ein außergewöhnlicher „weiblicher Vollmensch“ sozialistischer Gesinnung und damit ein ganz besonderes Vorbild sozialistischer Frauenbildung. 659 Ebd., S. 47. 660 Ebd., S. 48. 661 Helen Keller zit. nach: Ebd. 406 4.2 „[…] wie Mutterdenken, Mutterempfinden, Mutterhandeln […] der ganzen Menschheit […] zum Segen werden kann“ – Die Mutter der sozialistischen Zukunft 662 4.2.1 Zum Frauenleitbild der sozialistischen Mutter und der „Mütterlichkeit“ Der Proletarierin als Mensch mit individuellen Kulturbedürfnissen und individuellen Bildungs- fähigkeiten, welche sie zum Wohle einer politischen Bewegung einsetzen sollte, folgt nun die Proletarierin, die in Verantwortung für die kommenden Generationen politisch aktiv wurde. Es war nicht nur Verantwortung für sich selbst und für die eigenen Kinder, die eine solche Proletarierin übernehmen musste, sondern es war gesellschaftliche Verantwortung: „Die denkende Proletarierin will aus einer sozial Unmündigen zur gleichberech- tigten Gesellschaftsbürgerin werden, aus einer ausgesaugten und geknechteten Lohnsklavin zur freien Arbeiterin in einem Gemeinwesen, von freien, gleich- berechtigten Arbeitern. Sie weiß, daß sie Bildung und Freiheit bedarf, um in der einen und anderen Beziehung ihre Gleichberechtigung zu erkämpfen. Und fordert nicht das Mutterherz stürmisch, daß den Kindern an Bildung, Freiheit, Gleichberechtigung zu Theil werden soll, was der Frau heute versagt bleibt!”663 Die ProletarierInnen der kommenden Generation sollten nicht mehr als „sozial Enterbte“ unterdrückt werden. Keine Mutter sollte ihre Kinder freiwillig einem Schicksal überlassen, das schon sie selbst unwillig ertragen musste.664 Reflektierten die proletarischen Frauen ihre eigene Klassenlage, so müsste ihnen ihr Erziehungsauftrag als proletarische Mütter klar auf der Hand liegen: „KlassenkämpferInnen“ sollten sie erziehen. Ein Auftrag, für dessen Erfüllung sie jedoch erst einmal selbst erzogen werden mussten. Denn nur die “starke, klare, in sich gefestigte mütterliche Individualität [könne] starke Individualitäten zeugen und erziehen“665. Den Müttern fehlte es dafür jedoch meist an grundlegendem Wissen. Die „Gleichheit“ wusste um die nicht wenigen 662 Kipfmüller, Bertha: Kants Mutter. In: GL, 30/ 04/ 24.01.1920/ 28. 663 Für Brot, Bildung und Freiheit! In: GL, 11/ 17/ 14.08.1901/ 129. 664 Nipperdey stellt Folgendes für das sich im 19. Jahrhundert verändernde Eltern-Kind-Verhältnis fest: „Die neue Haltung zu den Kindern hat sich von der – stärker entlasteten – Bildungsschicht auch auf die Mittelschichten und die respektable Arbeiterschaft ausgedehnt. Verantwortung, mehr mütterliche Zuwendung, Priorität des Kindes vor der Behauptung im Lebenskampf, mehr Erziehungsinteresse – das ist doch in dem strengeren, dis- tanzierteren, autoritären und zum Teil auch brutalen, not- und arbeitsgeprägten Erziehungsstil dieser Schichten in durchweg steigendem Maße zu beobachten.“ (Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, S. 122). 665 „Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch“. In: GL, 08/ 02/ 19.01.1898/ 9. Genau gegen- teiliger Meinung waren bürgerliche Wissenschaftler wie der Nervenarzt Paul Julius Möbius. Dieser hatte 1894 ein Buch mit dem Titel „Vom physiologischen Schwachsinn des Weibes“ veröffentlicht. Nach Gertrud Davids (1872-1936) Interpretation in der „Gleichheit“ besagte das Möbius’sche Werk, „daß jede auch die nicht über- triebene geistige Arbeit und Entwicklung der Frau diese für ihren Mutterberuf untauglicher mache, und daß daher das Weib im Interesse der Nachkommenschaft in Stumpfsinn und Dummheit erhalten bleiben müsse.“ (David, Gertrud: Das Weib und der Intellektualismus. In: GL, 12/ 11/ 21.05.1902/ 83 (Rezension zu: Olberg, Oda: Das Weib und der Intellektualismus. Akademischer Verlag für soziale Wissenschaften, Berlin, Bern 1902). 407 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Erziehungsprobleme, die daraus alltäglich resultierten: “Mit hundert Fragen drängen sich die wißbegierigen Kleinen an die Mutter heran. Ihr Interesse an allem, was wächst und blüht, was kriecht und fliegt, ist noch nicht in tagtäglichem Sorgen und Mühen erstickt. Aber verständnislos blickt die Mutter meist auf sie herab. ‘Das weiß ich nicht, laßt mich in Ruh!’ so lautet ihre ständige Antwort. Wie sollte denn auch sie, die in der Regel selber keine Linde von einer Buche unterscheiden kann, selber nicht das geringste von der Lebensweise der Tiere, von dem Lauf der Gestirne weiß, die Fragen ihrer Kinder befriedigen können? Die elende Volksschule hat ihr kaum die elementarsten Kenntnisse bei- gebracht. […] Das ist traurig für die Proletarierfrau selbst, trauriger noch für das heranwachsende Geschlecht … .“666 Gewiss, die junge Generation war „bildsam“, das änderte aber nichts daran, dass ihre Mütter geplagt vom Proletarierinnenalltag kaum Zeit und nur ein spärliches Wissen weiterzugeben hatten. Dies zu ändern, dafür traten die Sozialistinnen z. B. mit ihrer Forderung für den Achtstundentag ein, die bereits für die Bildung zum „weiblichen Vollmenschen“ und die Hebung des Familien- lebens so zentrale Bedeutung hatte. Die von bürgerlichen ZeitgenossInnen geübte Kritik an der Sozialdemokratie, sie wolle die Familie zerstören, oder die Befürchtungen männlicher Genossen, die proletarische Frauenbewegung erziehe ihre Frauen zu „Mannweibern“ war gänzlich unbe- gründet, denn Zetkin konstatierte bereits 1896 in Gotha: „[E]s darf auch unmöglich die Aufgabe der sozialistischen Frauenagitation sein, die proletarische Frau ihren Pflichten als Mutter und Gattin zu entfremden; im Gegenteil, sie muß darauf wirken, daß sie diese Aufgabe besser erfüllt als bisher; und das im Interesse der Befreiung des Proletariats. Je besser die Verhältnisse in der Familie, die Wirksamkeit in ihrem Heim, um so kampffähiger wird sie. Je mehr sie die Erzieherin und Bildnerin ihrer Kinder sein kann, um so mehr kann sie sie aufklären, kann sie dafür sorgen, daß sie mit der gleichen Begeisterung und Opfer- freudigkeit wie wir in Reih und Glied weiter kämpfen für die Befreiung des Proletariats“667 Zetkin entwarf hier ein Idealbild sozialistischer Frauenbildung und Erziehung wie sie sie sich für die proletarischen Familien wünschte und wie sie auch die Familie zum idealen Ort sozialistischer Bildung machen würde. Sie wollte einen Gesellschaftszustand schaffen, der es der Proletarierin erlauben würde, allen alltäglichen und besonderen Erwartungen gerecht zu werden. Wenn man Zetkin auch vorwerfen mag, dass ihre Utopie von der Realität weit entfernt war, so hatte sie eben diese doch als Hintergrund. Die bürgerlich-radikalen feministischen Vorstellungen von „Müt- terlichkeit“ jedoch blendeten die alltäglichen Sorgen und Nöte, die das Muttersein für Proletarierinnen tatsächlich mit sich brachte, oft gänzlich aus.668 666 Wulff, Frida: Nur Zeit! In: GL, 18/ 09/ 27.04.1908/ 81-82. 667 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 166. 668 Tornieporth beschäftigte sich mit dem Leitbild der „geistigen Mütterlichkeit“, wie es in der bürgerlichen Frauenbewegung im 19. Jahrhundert entstand, musste jedoch offen lassen, ob es sich bei ihm um eine bewusste Konstruktion oder einen Reflex bzw. eine Spiegelung der Lebensumstände bürgerlicher Frauen handelte. Dem 408 4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“ Trotzdem fand das von der bürgerlichen Frauenbewegung im 19. Jahrhundert entwickelte „Prinzip der Mütterlichkeit“669, welches weit mehr umfasste als „Mutterschaft“ oder „Muttersein“, auch immer mehr Anklang in der proletarischen Frauenbewegung. „Mütterlichkeit“, so die Pädagogin und Schulreformerin Else Sander (1896-1988), sei „[d]er feine Spürsinn für andrer leibliche und seelische Bedürfnisse, für Verwirrung und Not, ist die kluge Güte, die rechte Wege zum Helfen findet, und die unbe- kümmerte herzhafte Art zu helfen, die auch das Opferbringen nicht scheut.“670 Mütterlichkeit kann nicht anerzogen werden und muss auch nicht notwendigerweise von natürlichen Müttern gefühlt werden. Allerdings gab es vor allem in den Reihen der bürgerlichen Frauenbewegung die Vorstellung, Mütterlichkeit sei die „höchste Form des weiblichen Seins“671. Für Ellen Key war Mütterlichkeit sogar schlicht ein Grundgesetz in der Natur, das jedoch als solches keine Kultur verändern, sondern nur veredeln könne.672 Trotzdem schrieb sie der „Gesell- schaftsmütterlichkeit“673 gerade in Verbindung mit dem Frauenwahlrecht eine besondere Bedeu- tung zu: „Die gesellschaftsmütterlichen Sorgen der Frau umfassen jetzt zunächst die Kinder, die Schwachen, die Leidenden. Daß die Frau die Möglichkeit erlangt, die Gesell- schaftsmütterlichkeit in ihrem vollen – auch volksrepräsentativen – Umfang zu betätigen, kann nur eine Zeitfrage sein. In einem Jahrhundert wird man über unsere Zeit lächeln, in der man noch über so selbstverständliche Dinge debattiert hat. Und die heute noch die Frauenbewegung belächeln, werden dann am allermeisten belächelt werden!“674 Es kann also festgestellt werden, dass sich die Vorstellungen von Mütterlichkeit nicht unähnlich waren. Die proletarische Frauenbewegung versuchte jedoch, einen ihrer Situation und ihrer Partei- theorie angemesseneren Weg zu gehen. In der „Gleichheit“ spiegelte sich das u. a. in einem Artikel von Gertrud David (1872-1936)675 Zusammenhang zwischen „geistiger Mütterlichkeit“ und proletarischem Frauenleben geht Tornieporth durch die Analyse der Autobiographien Ottilie Baaders „Ein steiniger Weg“ (1921) und Adelheid Popps „Jugendgeschichte einer Arbeiterin“ (1909) nach (vgl. Tornieporth, Proletarische Frauenleben und bürgerlicher Weiblichkeitsmythos, S. 309). 669 Peters, Dietlinde: Mütterlichkeit im Kaiserreich. 670 Sander, Else: Mädchenfortbildungsschule und Volkskultur. Leipzig: Klinkhardt, 1919. Zit. nach: Schneider, Deutscher Frauen Leben und Streben, S. 8. 671 Schneider, Deutscher Frauen Leben und Streben, S. 8. 672 Vgl. Key, Die Frauenbewegung, S. 203. 673 Ebd., S. 198. 674 Ebd. 675 Gertrud David, geb. Swiderski, wurde in Leipzig geboren und war ältestes von den vier Kindern eines wohl- habenden Maschinenbaufabrikanten. Nach dem Besuch der Höheren Töchterschule in Leipzig widmete sie sich volkswirtschaftlichen Studien. 1896 heiratete sie den sozialdemokratischen Redakteur und späteren Reichstags- abgeordneten Eduard David. Beide waren in der Genossenschaftsbewegung engagiert, gründeten 1899 die 409 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN wider. Sie entwarf darin das Bild einer mütterlichen lebenserhaltenden „Kulturmission“676. Die Mutter dürfe keinesfalls auf ihre Rolle als Gebärende reduziert werden, sondern müsse, wie bereits betont, als Erzieherin der Kinder selbst ein gewisses Maß an Erziehung genossen haben. Indem angenommen wurde, dass in der Frau ein „Bewußtsein von dem Werthe des Menschen- lebens am stärksten, am unmittelbarsten vorhanden“677 sei, wurde ihr auch ein natürliches pazi- fistisches Wesen zugeschrieben. Eine Mutter mit dem dargestellten Bewusstsein würde bestimmt nicht zulassen, dass ihre eigenen Söhne ihr Blut für den kapitalistischen Imperialismus lassen. Sie würde sie im sozialistischen Geist erziehen und bilden, damit auch sie gegen den Militarismus kämpfen. In diesem Sinne schrieb Wilhelm Liebknecht 1872: „Eine gebildete Jugend läßt sich nicht zu Kanonenfutter verarbeiten.“678 Manche dieser „kulturmissionarischen“ Züge führten aber auch in einen übertriebenen „pseudoreligiösen Mutterkult“679 und stilisierten die Mutter zur „schmerzgeheiligte[n] Trägerin der Zukunft“680. Eine Ausdrucksweise dieser Art dürfte die „Gefühlssozialistinnen“ unter den „Gleichheit“-Leserinnen sehr angesprochen haben. Die nächste Generation würde alles anders und vor allem besser machen – so auch die nächste Generation sozialistischer Mütter. In vollem sozialistischen Bewusstsein erzogen, würde sie nicht nur in vollem sozialistischen Bewusstsein handeln, sondern dieses auch weitergeben. Das, was die ältere Generation mit Mühe erkennen und verinnerlichen musste, würde dann der jungen Generation quasi „in die Wiege gelegt“. Den Kindern sollten moralische und klassenkämpferische Bildungsinhalte vermittelt werden, was stark von einem guten elterlichen Vorbild abhing. So wurden sowohl in die Eltern als auch in die Kinder hohe Erwartungen gesetzt und die Referentin und spätere preußische Landtagsabgeordnete Minna Bollmann (1876-1935)681 betonte 1909 auf Mainzer Spar-, Konsum- und Produktionsgenossenschaft und Gertrud David veröffentlichte 1910 die Broschüre „Sozialismus und Genossenschaftsbewegung“. 1900-1917 betreute David die Rubrik „Genossenschaftswesen“ in den „Sozialistischen Monatsheften“. 1908 trennte sich das Ehepaar David gütlich, die Scheidung erfolgte 1911. David wirkte an der Herstellung von Propagandafilmen mit. 1917 verfasste sie ihr erstes Drehbuch. 1924 gründete sie ihre eigene Produktionsfirma „Gervid-Film“. 676 David, Gertrud: Das Weib und der Intellektualismus. In: GL, 12/ 11/ 21.05.1902/ 84. 677 Ebd. 678 Liebknecht, Wilhelm: Wissen ist Macht – Macht ist Wissen; Festrede, gehalten zum Stiftungsfest des Dresdener Arbeiterbildungsvereins am 5. Februar 1872. Zit. nach: Feidel-Mertz, Zur Geschichte der Arbeiterbildung, S. 63. 679 Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus, S. 210. 680 Selinger, Berta: Um Wissen und Bildung. In: GL, 21/ 12/ 13.03.1911/ 184. 681 Minna Bollmann, geb. Zacharias, wurde in Halberstadt geboren und war Tochter eines Schneidermeisters. Dieser war genauso bekennender Sozialdemokrat wie der Gastwirt Max Bollmann (?-1925), der 1896 sein Schwieger- sohn wurde. Seit 1907 wirkte die gelernte Schneiderin Bollmann als Agitatorin für die proletarische Frauen- bewegung. Während des Ersten Weltkrieges war sie als Bezirkspflegerin in der Kriegsfürsorge tätig. Sie wurde 1919 in die Nationalversammlung gewählt und bekleidete 1919-1933 in Halberstadt das Amt einer Stadt- verordneten. 1921-1933 war Bollmann zudem Abgeordnete des preußischen Landtags. Da ihre Gastwirtschaft auch nach 1933 zentraler Treffpunkt der Sozialdemokratie war, geriet Bollmann unter Bewachung durch die 410 4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“ der Sozialdemokratischen Frauenkonferenz des Regierungsbezirks Magdeburg, „daß schon im zartesten Kindesalter die Charakterbildung des Kindes begonnen werden müsse. Am besten wirken gute Beispiele. Der Widerspruch zwischen Reden und Tun bei den Eltern ist verderblich. Den Kindern muß frühzeitig klar gemacht werden, daß sie stolz darauf sein müssen, Arbeiterkinder zu sein, da der Fortschritt der Kultur von der Arbeit abhängt und die Befreiung der Menschheit von der Arbeiterklasse.“682 Sie sprach sich zudem gegen jede unbedachte Bestrafung der Kinder683 und für ihre verstärkte Zu- führung zu den Jugendorganisationen aus. Gerade Letzteres werde viel zu häufig, vor allem wenn es sich um Mädchen handele, von den Eltern unterlassen. Eine Unterlassung, die “sehr bedauerlich [sei], da die jungen Mädchen Mütter werden, die später die hohe Aufgabe haben, das heranwachsende Geschlecht zu einem Klassenbewußtsein zu erziehen”684. Die Identifikation mit der eigenen Klasse – ohne Frage ein Bildungsziel jener Jugendorgani- sationen – und die Teilnahme an deren gesellschaftlichem Leben mussten auch den Mädchen ermöglicht werden. So gibt dieser Artikel ein gutes Beispiel dafür, dass die ungleiche, ge- schlechtsspezifische Erziehung der Kinder und die den Mädchen in den eigenen Reihen verwehrte Weiterbildung durchaus von den Sozialistinnen kritisiert wurde. Dass sich viele Frauen ihrer gesellschaftsgestaltenden Macht als Mütter bewusst waren und sie für den Frieden und ihre Rechte einzusetzen versuchten, beweist die kurz vor Kriegsbeginn einsetzende „Gebärstreikdebatte“685. Sie wurde ausgelöst durch die Eingabe eines Gesetzes in den Reichstag, welches vorsah, dem allgemeinen Geburtenrückgang mittels des generellen Verbotes Nationalsozialisten. Wegen eines 1935 gegen sie eingeleiteten Verfahrens und der Angst vor Folter beging Bollmann Suizid. Die Stadt Halberstadt verleiht heute an engagierte Sozialdemokratinnen den „Minna-Bollman- Preis“. 682 Sozialdemokratische Frauenkonferenz für den Regierungsbezirk Magdeburg. In: GL, 20/ 03/ 08.11.1909/ 41. 683 Körperliche Züchtigung war innerhalb der Proletarierfamilien nicht selten, wurde aber von den sozialistischen Pädagogen wie Otto Rühle oder Heinrich Schulz immer abgelehnt. 684 Ebd. 685 Die „Gleichheit“-Redaktion und Zietz waren gegen den Gebärstreik. Zum Gebärstreik erschien in den „Gleich- heit“-Jahrgängen 23 und 24 eine längere Artikelserie zum Geburtenrückgang in Berlin. Außerdem: x.: Sozialistische Frauenkonferenz für Groß-Berlin. In: GL, 24/ 05/ 26.11.1913/ 72-73 (Themen u. a. Gebärstreik- debatte, Jugendagitation; beteiligte Genossinnen u. a. Duncker, Wurm, Bohm-Schuch); Ein Gesetz gegen den Verkehr mit Mitteln zur Verhinderung von Geburten … In: GL, 24/ 12/ 04.03.1914/ 192 (GL lehnt zwar Gebär - streik ab, aber auch diesen gesetzlichen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte); Gebärzwang und Gebärstreik. I. In: GL, 24/ 14/ 01.04.1914/ 209-211; Gebärzwang und Gebärstreik. II. In: GL, 24/ 17/ 13.05.1914/ 257-259; Gebärzwang und Gebärstreik. III. In: GL, 24/ 19/ 10.06.1914/ 289-291. Zietz, Luise: Gegen den staatlichen Gebärzwang. In: GL, 24/ 15/ 15.04.1914/ 227-228 (Rede auf der Berliner Protestversammlung am 03.03.1914 gegen das von den bürgerlichen Parteien geforderte gesetzliche Verbot des Verkaufs antikonzeptioneller Mittel); Zietz, Luise: Gegen den staatlichen Gebärzwang (Fortsetzung). In: GL, 24/ 16/ 29.04.1914/ 242-243. Zum Gebär- streik siehe: Haas, Gebärstreik im 20. Jahrhundert; Haas, Gebärstreik. Frauen gegen den staatlich verordneten Muttermythos; Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus. 411 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN empfängnisverhütender Mittel entgegenzuwirken.686 Aus einer bevölkerungspolitischen Debatte wurde eine Debatte über die Rechte der Frau auf eine freie Sexualität und die Rechte der Frau an ihrem eigenen Körper. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges kam noch zusätzlich der Aspekt hinzu, ob Sozialistinnen durch einen „Gebärstreik“ Einfluss auf den Krieg nehmen, ihn auf diese Weise gar beenden könnten. Dieser Aspekt wurde von Zetkin und anderen als zugleich dem Sozialismus und seiner Entfaltung schadend abgelehnt. In einem Unterkapitel mit dem bezeichnenden Titel „Die proletarische Gebärerin“ behauptet Puschnerat, Zetkin habe mittels einer sozialdarwinistisch-moralisierenden Argumentation die Arbeiterfrauen quasi unter einen „regel- rechten Gebärdruck“687 gesetzt. Sie habe Geburtenkontrolle und Abtreibung besonders für proletarische Frauen abgelehnt, weil dies in ihren Augen Ausdruck eines egoistischen Individua- lismus sei.688 Jedoch geht Puschnerat dann doch nicht weiterführend darauf ein, dass Zetkin wiederum einer Resolution gegen den § 218 ihre Zustimmung gegeben hatte.689 Zetkin war näm- lich durchaus nicht der Meinung, dass jeder Mutter eines Kind auch dessen adäquate Erziehung im Sinne des Sozialismus zuzutrauen bzw. zuzumuten sei: „Also die erste beste Gans – man verzeihe mir den Ausdruck – welche Mutter wird, erhält durch die bloße Geburt die magische Gabe, alle Aufgaben dieses schweren und folgereichen Berufs zu erledigen! Diese Auffassung ist ihren Ergebnissen nach geradezu verbrecherisch!“690 Zetkin wollte vielmehr die Gesellschaft – und damit auch den Mann – in die erzieherische Verant- wortung nehmen und sah dies als indirekten Zusammenhang mit der besonderen Verantwortung der Mutter: „Wenn wir die öffentliche Erziehung brauchen, um Bürger zu erziehen, so bedürfen wir der häuslichen Erziehung, um starke Persönlichkeiten zu erziehen.“691 Im Oktober 1914 veröffentlichte Zetkin einen Leitartikel mit dem Titel „Wir Mütter“692. Bereits 686 Vgl. Beavan/Faber, Wir wollen unser Teil fordern, S. 237. 687 Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 145. 688 Vgl. ebd., S. 143. 689 Vgl. ebd., S. 140. Zetkins Haltung scheint hier keine grundsätzliche gewesen zu sein. Ihre Argumentation, dass das Recht auf Abtreibung und Verhütung nicht die soziale Frage lösen können (vgl. ebd. S. 141) ist genauso zutreffend wie der Gedanke, dass gerade Müttern sehr kinderreicher Familien durch Geburtenplanung ein Stück Lebensqualität und eine bessere Chance zur politischen Teilhabe gegeben worden wäre. 690 Zetkin, Die Arbeiterinnen- und Frauenfrage der Gegenwart, S. 32. Ähnliches formulierte Zetkin auch in ihrer Schrift „Der Student und das Weib“ (Zetkin, Der Student und das Weib, S. 25). 691 Zetkin, Clara: Die „neue Familie“. (1906). Zit. nach: Hervé, Frauenbewegung und revolutionäre Arbeiter- bewegung, S. 43. Puschnerat ist dagegen der Meinung, Zetkin habe die Erzieherinnenrolle für die proletarischen Mütter abgelehnt, weil diese selbst noch erzogen werden müssten (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 137). M. E. kann von Ablehnung keine Rede sein, sondern lediglich von der Verdeutlichung der Notwendigkeit einer solchen Erziehung der Mütter. 692 Wir Mütter. In: GL, 25/ 02/ 16.10.1914/ 9-10. 412 4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“ die vielen weißen Zensurlücken weisen darauf hin, dass der Inhalt keine harmlosen Erziehungs- tipps betraf. Vielmehr hob Zetkin angesichts des „Ernst[es] dieser geschichtlichen Stunde“693 die Bedeutung der Mütter, besonders der „Mütter des arbeitenden Volkes“694, hervor. Zetkin wollte durch die Ansprache „Wir Mütter“ ihr Mitverstehen ausdrücken und den Identifikationsgrad erhöhen. Dies drückt sich auch darin aus, dass sie sowohl diejenigen Mütter ansprach, die sich „den Anforderungen einer auferzwungenen oder frei gewählten Berufstätigkeit beugen“695 müs- sen, als auch diejenigen, die „still und emsig am häuslichen Herde inmitten der Kinder schalten und walten“696. Ihnen allen gemeinsam sei, dass sie als Mütter stets ihren Blick auf die Zukunft richteten und diese Zukunft sich in ihren Kindern verkörpere. Wie Mütter „in dem jungen Leben den reifen Menschen von morgen […] hegen und […] pflegen“697, so müssten sie „ebenso eifrig darauf bedacht sein, die gesellschaftliche Umwelt zu gestalten, die Verhältnisse zu beeinflussen, unter denen das Kind seine körperlichen und see- lischen Kräfte entfaltet“698. Zetkin sah darin eine Notwendigkeit, ja sogar eine Naturnotwendigkeit, denn „[w]ir Mütter können gar nicht anders, wir müssen Dienerinnen der Zukunft sein“699. Der Krieg belastete jedoch diesen Dienst an der Zukunft. Das Kommen des Krieges700 habe „die Erkenntnis getrübt für das, was die Völker einigt, wie für das, was innerhalb der einzelnen kapitalistischen Staaten die verschiedenen Gesellschaftsschichten trennt“701. Zetkin wollte deshalb den Blick ihrer Leserinnen wieder auf die wesentlichen Konflikte des Klas- senkampfes lenken. Sie wollte sie aus ihrer nationalen Kriegsbegeisterung702 reißen, die „noch wenigstens vorübergehend einen Teil der jahrzehntelangen Erziehungsarbeit ausgelöscht [hat], die die Mühseligen und Beladenen befähigen sollte, sicheren Schrittes ihren Weg nach dem Kanaan der sozialistischen Gesellschaftsordnung zu wandern.“703 Die Enttäuschung über die verlorene Arbeit, über das augenscheinliche Zeugnis ihrer 693 Ebd., S. 9. 694 Ebd. 695 Ebd. 696 Ebd. 697 Ebd. 698 Ebd. 699 Ebd. 700 Das originale Bezugswort des Zitats stand im vorherigen Absatz, wurde aber zensiert. 701 Ebd. 702 Das originale Bezugswort des Zitats stand im vorherigen Absatz, wurde aber zensiert. 703 Ebd. - ein Beispiel für Zetkins Anlehnungen an biblische Bilder. 413 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Ungenügsamkeit ist unverkennbar. Und doch setzte sie noch immer großes Vertrauen in die sozia- listischen Frauen und besonders in die Mütter. Denn Frauen, so Zetkin, wären „nur Weibchen, keine Mütter, wollten […] [sie ihre] Aufgabe darin erschöpft sehen, daß […] [ihr] Leib die Gußform des Kindes ist“704. Mütter waren für Zetkin weder „Gebärmaschinen“705 noch waren sie schwächliche Opfer der Um- stände: „Muttermacht geht über die Nücken und Tücken äußerer Gewalt, geht auch über Kriegsrecht. Muttermacht kann und darf nur eines vorbereiten: die künftigen Siege des Sozialismus. Ihnen leben wir, für sie erziehen wir die Kinder, wir Mütter.“706 Zetkin blieb sehr abstrakt darin, worin sich diese gegen das Kriegsrecht angehende Muttermacht ausdrücken könne – im anderen Falle wäre ein solche Aussage jedoch sicherlich nicht unzensiert geblieben.707 Nach Ende des Krieges und vor dem Hintergrund der vielen Millionen Kriegsopfer wurde die be- völkerungspolitische Debatte wieder aufgenommen. Die „neue“ „Gleichheit“-Redaktion wollte in Kooperation mit bürgerlichen Frauenorganisationen und durch eine besondere Agitation unter den katholischen Arbeiterfrauen gegen die Illegalisierung von Verhütungsmitteln und Abtreibung pro- testieren.708 Diesen Eingriff in die Selbstbestimmung der Frau, sah die „neue“ „Gleichheit“ in einer Linie mit dem immer noch ausstehenden Frauenwahlrecht. Hatten die Frauen im Krieg noch allen bewiesen, dass sie Verantwortung übernehmen konnten und „in erfreulichem Maße an Selbstgefühl und Persönlichkeitsbewußtsein gewonnen“709, so sah manche Partei sie jedoch immer noch nicht reif genug für eine volle politische Gleichberechtigung. „Statt dessen will man euch auf kleinliche Weise zwingen, möglichst viel Kinder in die Welt zu setzen, man will euch selbst die ungefährlichsten Mittel nehmen, durch die ihr selber bestimmen könnt, wann und wie oft ihr Kinder gebären wollt. Ginge es nach dem Willen der Regierung und der bürgerlichen Parteien, so bliebe euch bei den ständigen Schwangerschaften und Wochenbetten keine Zeit mehr für die Beteiligung am Kulturleben, an der politischen Tätigkeit, an der Frauenbewegung.“ 710 704 Ebd. S. 10. 705 Vgl. dazu Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 140ff. 706 Wir Mütter. In: GL, 25/ 02/ 16.10.1914/ 10. 707 Zetkin suchte die Kriegsschuld im imperialistischen Machtstreben des Deutschen Reiches, doch noch unter ihrer Redaktion regten sich auch feministische Anklagen gegen eine Lust am Krieg der Männer (vgl. Eine Bekundung der internationalen Solidarität und des Friedenswillens deutscher Frauenstimmrechtsorganisationen … In: GL, 25/ 11/ 19.02.1915/ 67-68). 708 Gegen die bevölkerungspolitischen Ausnahmegesetze! In: GL, 18/ 26/ 27.09.1918/ 201. 709 Ebd. 710 Ebd. 414 4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“ Hinsichtlich der prinzipiellen Ablehnung des § 218 und hinsichtlich der Vehemenz, mit welcher dieser Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Frau verurteilt wurde, waren sich SPD und USPD ausnahmsweise einig.711 Mit Kriegsende erreichte in der „Gleichheit“ die bereits erwähnte „Pseudoreligiösität“ betreffs des „heilbringenden“ Charakters der „Mütterlichkeit“ eine neue Qualität. Nach den traumatisierenden Erlebnissen des Krieges setzte man nun umso größere Hoffnung in das mütterliche Wesen. Fürth war der Meinung, dass der „intellektuellen Manneskultur und der Gefahr, die darin für die Menschheitsentwicklung“712 lag, etwas entgegengesetzt werden müsste. Dies sei – noch stärker als zuvor – die Kulturaufgabe der Frau. Ihre Stärken lägen glücklicherweise nicht im intellektuellen Bereich, der in seiner Dominanz so verheerende Auswirkungen hatte, sondern „vorwiegend auf dem Gebiet des Fühlens, der Intuition im Schauen, Denken, Urteilen und Handeln“713 - in den psychischen Fähigkeiten also, die noch heute dem Weiblichen zugeschrieben werden. Fürth erwartete von der Frau nicht eine „quantitative Mehrung bereits vorhandener Kulturwerte […], sondern jenen qualitativen Kultureinsatz, den in dieser Form sie und nur sie zu geben vermag. Sie, deren intuitives Schauen und Gestalten aus dem Tiefsten quellend ins Tiefe trifft. Sie, deren verstehende Güte den abstrakten Gerechtigkeitsbegriff des Mannes in das Höhere, in Menschlichkeit wandelt. Und über alles das hinaus eines. Das Weib hat die unbestrittene Herrschaft im Reiche des Liebeslebens, das seine Gipfelung im Muttertum findet.“714 Die Frau hat demzufolge als Mutter eine Machtposition inne, die Fürth nicht unterschätzt wissen wollte. Da ihrer Vorstellung nach eine Mutter diese Machtposition niemals zum Verderben einer Gesellschaft missbrauchen würde, konnte Fürth folgendes Bild mütterlicher Idylle zeichnen: „Unsere überintellektuelle Welt bedarf der Sonnenwärme der Mütterlichkeit. Hier liegt die Kulturaufgabe der Frau, und in diesem Zeichen wird sie siegen. Im Zeichen jener Mütterlichkeit, die aller Erkenntnisse und Reichtümer modernen Lebens voll ist und bereit, sie zum Besten aller auszunützen und dahinzugeben.“715 Diese Art der Mütterlichkeit würde sich nicht nur zum repressiven Patriarchat, sondern auch zu dem „vegetativen Muttertum vergangener Zeiten, das Liebe hatte, aber kein Verstehen“716, unter- scheiden. Mit der Annahme des Versailler Vertrages war es die Kulturmission des sozialdemokratischen, 711 Vgl. „Unabhängiger“ Kampf gegen die Gesetzentwürfe. In: GL, 18/ 26/ 27.09.1918/ 201-202. 712 Fürth, Henriette: Zum Wahlrecht der Frauen (Schluß.). In: GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 63. 713 Ebd. 714 Ebd. 715 Ebd. 716 Ebd. 415 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN mütterlichen Wesens, die nächste Generation im Zeichen der Völkerversöhnung zu erziehen: „Sehet im Menschen den Menschen, auch wenn er nicht Eure Sprache spricht. Legt in die Seelen Eurer Kinder die Liebe zum Menschen und nähret nicht den Haß gegen andere Völker. Kurz, lernet sozialistisch fühlen, denken und handeln.“717 Ottilie Kobacsobics (?-?)718 sah hier demnach nur allein den Frauen die Fähigkeit gegeben, trotz der als Unrecht empfundenen Repressionen der Siegermächte ihre Kinder zu einer völker- versöhnenden Menschlichkeit zu erziehen. Und auch Kobacsobics stellte dieser Aufgabe wieder die grundlegende Bedingung voraus: „Wer aber erziehen will, der muß erzogen sein“719. Die Bedeutung des Mutterseins und der Mütterlichkeit wurde z. B. in Form des Säuglingspflege- Unterrichts sogar in Mädchenabende und in die Schule hineingetragen. Dieses Vorgehen be- fürwortete auch Kurt Heilbut und sah darin eine gute Gelegenheit, um die Mädchen auf „die Mutterschaft als die eigentliche Erfüllung der Frau hinzuweisen“720. Heilbuts Argumentation für einen allgemein größeren Einfluss von Müttern und Frauen war äußerst feministisch und von den Kriegsereignissen geprägt: „Groß ist die Schuld des Mannes gegenüber der Frau. Und diese Schuld ist ihm nicht vergeben worden. Bitter hat sich die jahrtausendelange Unterdrückung der Frau gerächt. Die ‘Reinhaltung’ unserer Politik von allem Weiblichen, allem Gefühlsmäßigem, das stete Betonen der ‘reinen Vernunft’, die, ach so oft, die reine Unvernunft war, sie haben uns dahin geführt, wo wir heute stehen: an den Rand eines Abgrunds.“721 Heilbut hob damit vehementer als Fürth oder andere weibliche „Gleichheit“-Kolleginnen die Vorzüge vermeintlich weiblicher Charaktereigenschaften hervor. Er konstatierte den Gegensatz von weiblich und männlich, von Gefühl und Verstand, und schrieb allein der weiblichen Natur und Empfindsamkeit die Kraft zu, die durch den Krieg geschlagenen Wunden zu heilen: „Zwar fehlt den meisten Frauen dieser Zeit die nötige Vorbildung, das angelernte Wissen. Dafür bringen sie viele gute Dinge mit, die der Mann meist nicht hat: ein angeborenes Gefühl für das Richtige, viel Frische und Natürlichkeit, viel Idea- lismus und guten Willen. Und dann etwas, das gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann: das Wohl, das Interesse der Frau deckt sich stets mit dem Wohl und Interesse der Gesamtheit.“722 Genauso wie für Fürth stand es auch für Heilbut außer Frage, dass eine Beteiligung der Frauen an Politik und Kultur der Allgemeinheit zuträglich sein würde – nicht aus einem emanzipatorischen 717 Kobacsobics, Ottilie: Erziehung zum Sozialismus. In: GL, 30/ 03/ 17.01.1920/ 22. 718 Die herangezogenen Nachschlagewerke und Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Ottilie Kobacsobics. 719 Ebd. 720 Heilbut, Kurt: Mädchenabende. In: GL, 30/ 08/ 21.02.1920/ 62. 721 Heilbut, Kurt: Zur Wiederkehr des Revolutionstages. In: GL, 29/ 38/ 08.11.1919/ 303. 722 Ebd. 416 4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“ Prinzip heraus, sondern ihrer Wesensart gemäß: „Wie der Egoismus, die Selbstsucht des Mannes, den Fortschritt gehemmt und verzögert hat, wird die Selbstsucht der Frau, die Selbstsucht der Mutter antreibend, beschleunigend auf die Entwicklung der Menschheit wirken.“723 Jeder Frau sah Heilbut – der hier besonders harsche Kritik an seinen selbstsüchtigen Geschlechts- genossen übte – ein mütterliches Wesen gegeben, das in seinen Interessen zugleich die Interessen der Menschheit verfolgt. Heilbut sah diese Bedeutung des Mütterlichen, des Weiblichen nicht nur für eine kulturelle Erneuerung. Es sollte auch Grundstein für einen neuen Staat sein. „Wie lange noch, dann wird nicht mehr der waffenstarrende, menschenmordende Krieger, sondern die liebeerfüllte, lebenzeugende Mutter das wichtigste Glied im Staat und menschlicher Gesellschaft sein.“724 Diese Überhöhung der Frau und Mutter ebbte schließlich in den Artikeln Heilbuts ab. Der Mann wurde wieder zum Maßstab großer Leistungen. In einem späteren Artikel stellte Heilbut sich und den „Gleichheit“-Leserinnen die Frage, ob nicht „der Mann die geniale Arbeite schaffe, und die Frau den genialen Menschen“725. Seiner Meinung nach sei das eine Art der „‘Arbeitsteilung’, bei der die Frau keineswegs hinter dem Mann zurücksteh[e]“726. Wie großartig hatte sich nicht die Frau im Ersten Weltkrieg bewährt? Ein Beweis dafür, „daß die Frau genau die gleiche Lern- und geistige Aufnahmefähigkeit besitzt wie der Mann, sobald ihr die gleichen Ausbildungsmöglichkeiten gegeben werden“727. Und doch sprach sich Heilbut gegen eine entsprechende Agitation aus. Er war vielmehr der Meinung, man müsse mit dem „seitherigen Grundsatz brechen, die Frauen auf die gleiche Art wie den Mann für den Sozialismus gewinnen zu wollen. Es führen viele Wege zum Sozialismus. Und der Weg der Frau ist ein anderer als der des Mannes. Er muß notgedrungen ein anderer sein infolge ihrer anderen Veranlagung, Vorbildung und bisherigen Er- ziehung. Wenn auch nicht für alle, so doch für den größten Teil der Frauen führt der Weg zum Sozialismus, zum Gemeinschaftsleben über die Mutterschaft. Hier ist das Reich, wo die Frau Herrscherin ist. Ueber die Fragen der Mutterschaft und des Kindes führt die große Linie, auf der die Frau über die Interessen des einzelnen hinaus für die Gesamtheit zu bewegen und zu gewinnen ist.“728 Der Frau wurde ein anderer Weg zugebilligt, aber das „Ergebnis“ sollte das Gleiche sein. Wenn kritisiert wird, dass die „Gleichheit“ die Frau in ihrer Rolle als Mutter zu funktionalisieren 723 Ebd. 724 Ebd. 725 [Heilbut, Kurt] K.H.: Ist die Frau weniger begabt als der Mann? In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 115-117, S. 116. 726 Ebd. 727 Ebd. 728 Ebd., S. 117. 417 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN versuchte, ist dies nur teilweise richtig. Die „Gleichheit“ hätte niemals vollkommen ausblenden können, dass die Sozialisation der Frau auch an der Schwelle zum 20. Jahrhundert besonders auf ihre Rolle als zukünftige Mutter abzielte729. Heilbuts obige Überlegung, dass Frauen über ihre Mutterschaft „bewegt und gewonnen“ werden können, war nicht von der Hand zu weisen. Außerdem eröffnete sich der proletarischen Frauenbewegung hier auch eine neue Bildungsstrategie, eine weitere Ebene der Ansprache, die Gefühl und Zweckdienlichkeit verband, um den Frauen durchaus auch den wissenschaftlichen Sozialismus näher zu bringen. Sollte sie diese einfach ungenutzt lassen? Auf diese Weise wäre sie den Interessen ihrer Anhängerinnen nicht vollständig gerecht geworden. Und so wurde die Frau einerseits erneut in ihren individuellen Interessen angesprochen, um sie für den Sozialismus zu gewinnen, andererseits verlangte man von ihr aber die Opferung dieses Egoismus im Interesse der proletarischen Klassengemeinschaft. Dies erforderte einerseits ein Erkennen der eigenen Lage und andererseits ein Verstehen der gesell- schaftlichen Zusammenhänge. Nun zielte aber der Aspekt der Mütterlichkeit nicht auf einen ausgesprochen kognitiven Prozess ab, sondern in erster Linie doch auf die Gefühlsebene der Frau. Friese entlarvt diese Taktik so: „Die Proletarierin wurde als Mutter angesprochen, wenn es sich um die Forde- rungen nach Verkürzung der Arbeitszeit handelte, als Mutter während der Friedens- kundgebungen der Frauen im Ersten Weltkrieg. Nur als Mutter ihres Sohnes im Felde und als Ehefrau sollte sie ein Interesse an der baldigen Beendigung des Krieges haben. In ihrer Eigenschaft als ‘Mutter für viele’ arbeitete die Frau in der Kinderschutzkommission. Ihren Beitrag für die Zukunft leistete sie als Gebärerin des proletarischen Heldengeschlechts, als Bildnerin der Kinder im Geiste des Sozialismus, damit der Kampf des Proletariats siegreich zu Ende geführt werden konnte.“730 Die Angst um ihre Kinder, der Stolz auf ihre „produktive“ Leistung, ihre zukunftsweisende, heilbringende, naturgegebene Macht – all das appellierte in erster Linie an ihre Gefühlswelt, erst in zweiter Linie an ihr übergeordnetes Verantwortungsbewusstsein. Ist dies schlicht als „Propagandamasche“ der Sozialistinnen zu beurteilen, ja vielleicht sogar zu verurteilen? Oder wird hier doch nur der Versuch unternommen, die Frauen über „generative“731, erkenntnis- zeugende Themen zu existenzsichernder politischer Aktivität zu motivieren? Festzuhalten ist: Diese fließende Grenze zwischen Manipulation und Motivation ist bei der Beurteilung der schein- bar „banalen“ und „gefühlsduseligen“ Bildungsentwürfe der proletarischen Frauenbewegung stets 729 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 248. 730 Freier, Dimensionen weiblichen Erlebens und Handelns, S. 213. 731 Der Begriff der „generativen Themen“ wurde von dem „Volkspädagogen“ Paulo Freire in seinem Werk „Pädagogik der Unterdrückten“ 1970 geprägt. Er besagt, dass „Themen im Menschen, in seinen Beziehungen mit der Welt, im Hinblick auf konkrete Tatsachen“ (Freire, Pädagogik der Unterdrückten, S. 89) existieren. Um die Menschen zu verstehen, muss man ihre Themen verstehen. 418 4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“ im Auge zu behalten. Vernachlässigt man die pseudoreligiösen Floskeln, die das in der „Gleichheit“ dargestellte Mutter- bild prägten, so bleibt – in Anbetracht der proletarischen Familienverhältnisse – die angestrebte Entwicklung und „Betonung der politischen Bedeutung einer richtig verstandenen Mutter- schaft“732. „Richtig“ verstanden wurde Mutterschaft im Sinne des Sozialismus wohl dann, wenn eine sozia- listische Mutter, ausgestattet mit pädagogischen und psychologischen Kenntnissen, sozialistische Kinder erzog. Die Möglichkeiten, dies angesichts des Proletarierinnenalltags umzusetzen, waren jedoch begrenzt. Einige der hier bereits als weibliche Vollmenschen charakterisierten Frauen waren Mütter und hatten zum Teil eigene Vorstellungen von der Bedeutung der Mutterrolle. Oft hatte die Mutterrolle einen ganz besonderen Einfluss auf ihre „Menschwerdung“, auf die Vervollständigung ihrer Per- sönlichkeit und es erging ihnen wie Karoline von Humboldt (1766-1829): „Alles noch Unausgeglichene, Suchende, Schwärmende ihres Wesens [wurde] durch die Mutterschaft zur höchsten Harmonie.“733 Mit der Mutterschaft konnte sich also ein Persönlichkeitswandel vollziehen. Blos steigert die mitschwingende Wertschätzung noch, indem sie herausstellte, dass Humboldt ihre Kinder selbst gestillt habe und „dadurch vom ersten Tage an das festeste innigste Band her[stellte], das Mutter und Kind vereinen kann“734. Zetkin war es ebenfalls wichtig, in ihrer Skizze zum Leben Jeanne- Marie Rolands (1754-1793) zu erwähnen, dass sie ihre Tochter selbst genährt habe.735 Eine „vorzügliche Mutter“736 war auch Karoline Schlegel-Schelling, deren „Hauptinteresse […] der Erziehung ihrer Kinder“737 galt, Blos hob in ihrem Fall besonders hervor, dass „[i]m Gegensatz zu so vielen Eltern, die die Erziehung als eine Art Abrichtung nach ihrem Willen betrachteten, […] Karoline die Aufgaben der Erziehung in weit höherem Sinne auf[gefasst]“738 732 Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit, S. 142. Wobbe sieht im mütterlichen Konzept der bürgerlichen Frauenbewegung, das sich lediglich durch den fehlenden sozialistischen Aspekt von dem der proletarischen unterschied, sehr wohl eine rationale Überlegung: „die Überwindung des poli- tischen Ausschlusses“ und stärker noch die „Ausweitung des sozialen Einflusses“ (Wobbe, Die Frauenbewegung ist keine Parteiensache, S. 54). 733 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts [VIII]: Karoline v. Humboldt, geb. v. Dachröden. In: GL, 31/ 12/ 15.06.1921/ 117. 734 Ebd. 735 Vgl. Madame Roland. (Fortsetzung statt Schluß.). In: GL, 04/ 02/ 24.01.1894/ 11. 736 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts V: Karoline. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 228. 737 Ebd., S. 229. 738 Ebd. 419 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN habe. Ähnlich sah es Malvida von Meysenbug, die zwar nicht selbst Mutterschaft erfahren, aber in ihrer Rolle als Erzieherin Mutterpflichten wahrgenommen hatte. Zukünftige Mütter hatten ihrer Meinung nach geistige Fähigkeiten zu entwickeln, „durch die sie nicht nur die liebenden Mütter, sondern auch die wahren Erzieherinnen und Bildnerinnen der Jugend werden könnten“739. Wahre Mutterschaft durfte sich also ihrer Meinung nach nicht nur auf das Versorgen der Kinder beschränken, die Frauen mussten „als bewußte freie Wesen im Verein mit dem Manne an der Vervollkommnung des Lebens in der Familie, in der Gesellschaft, dem Staate, den Wissenschaften und Künsten, kurz, an der Verwirklichung der Ideale im Leben der Menschheit […] arbeiten“740. Diese Zusammenarbeit war grundsätzlich nur möglich, wenn die Gleichberechtigung der Frau durchgesetzt würde und diese „aufhöre, ein Götzenbild, eine Puppe oder eine Sklavin zu sein“741 – ein deutliches Plädoyer für den „weiblichen Vollmenschen“. Ihre Forderungen zur Gleichberechtigung der Frau wollte auch Beatrice Webb (1858-1943) nicht missverstanden wissen. Sie wollte, dass die Frau „weiblich, mütterlich bleibe, für ihre Kinder, für ihren Gatten, für ihre Geschwister und Freunde, und für alle Mitmenschen. Die physische und geistige Mütterlichkeit scheint mir die außerordentlichste Thätigkeit, zu der die Frau berufen ist.“742 Das „Prinzip der Mütterlichkeit“, wie es über „Muttersein“ weit hinausging und sich auf die ge- samte Gesellschaft erstrecken sollte, hatte demnach auch solche Sozialistinnen überzeugt, die der „Gleichheit“ vor allem wegen ihres besonderen Intellekts Vorbild waren. Gebildete, politisch aufgeklärte Mütter, die ebensolche Kinder erziehen, fasste Zetkin in fol- gendes, der antiken Mythologie entlehntes Bild: „Die Pfade frei, auf denen das weibliche Geschlecht zu den Bildungsquellen wandern kann! Die Frau will ihr Vollmenschentum erringen, denn sie will als Mutter vom prometheus’schem Geist erfüllt, stolz der Welt entgegenschleudern können: ‘Hier sitze ich und forme Menschen nach meinem Bilde, ein Geschlecht, das mir gleich sei.’“743 Mutterschaft birgt den Widerspruch einerseits eine Position der Stärke und Macht zu vermitteln – wie hier in der Rolle der Schöpferin – , aber andererseits eine gesellschaftliche Fessel zu sein. Letzteres sowohl dadurch, dass Mutterschaft verschiedene Einschränkungen mit sich bringt als auch dadurch, dass die Rollenerwartungen an eine „gute“ Mutter sowohl für innere als auch 739 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts IV: Malvida von Meysenbug. In: GL, 29/ 42/ 06.12.1919/ 331. 740 Ebd., S. 332. 741 Ebd., S. 331. 742 Beatrice Webb. (Schluß.). In: GL, 07/ 15/ 21.07.1897/ 118. 743 Zetkin, Der Student und das Weib, S. 25. 420 4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“ äußere Konflikte sorgt. Gomard stellt fest, dass diese Konflikte in den biographischen Darstellungen der „Gleichheit“ ignoriert worden seien. Es gebe nur zwei Fälle, in denen die Mutterrolle von den biographierten Frauen nicht auf das Beste ausgefüllt wurde. Allgemein, so Gomard weiter, würden die „Gleichheit“-Biographien die Mutterrolle stets als „konfliktfrei“744 beschreiben. Die „Gleichheit“ beschrieb zwar Frauen, die ihrem politischen Engagement eine eindeutig größere Bedeutung beimaßen als ihrer Rolle als Mutter.745 Aber die meisten ihrer Vor- bilder waren auch vorbildliche Mütter. Sie hätte sich selbst einen Bärendienst erwiesen, hätte sie ihren Leserinnen vermeintliche „Rabenmütter“ als Vorbild präsentiert. Indem die „Gleichheit“ das gesellschaftliche Gefüge für viele der Probleme einer Mutter und ihrer Familie verantwortlich machte, waren ihre Interpretationen der Mutterrolle aber auch alles andere als „konfliktfrei“ – der Konflikt zeigte sich nur auf einer anderen Ebene. Frauen, die jenem Ideal entsprachen, Mutter und Klassenkämpferin zu sein, wurden dem Leitbild der „Klassenkämpferin“ zugeordnet. Die drei Mütter, die im folgenden Kapitel porträtiert werden, waren keine sozialistischen Mütter und mussten jenen Konflikt zwischen Mutterschaft und politischen Engagement nicht thematisieren, da sie entweder nicht politisch aktiv waren oder über entsprechende Rahmenbedingungen verfügten. Ihre Mutterrolle war weniger ein Faktor der weiblichen Persönlichkeitsentwicklung, sondern erscheint für sich allein genommen als eine Form politischen Engagements, denn die Mütter hatten eine wesentliche Bedeutung für die geniale Entwicklung ihrer Kinder. Die Geschichte, die „Lehrmeisterin des Lebens“, ist im Falle der folgenden drei biographischen Skizzen Zeugin von „Erziehungsergebnissen“ geworden, denn sie präsentieren den Leserinnen die Mütter berühmter Männer. Die Kinder – in den vorliegenden Fällen ausnahmslos Söhne – mussten jedoch erst erwachsen werden und eine hervorragende Wesensart entwickeln, um das Verdienst ihrer Mütter zu „beweisen“. 744 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 35. Gomard nennt Katharina Breschko- Breschkowskaja und Minna Kautsky. 745 Zusätzlich zu den von Gomard genannten Frauen (siehe obige Fußnote) kann hier noch Anita Garibaldi angeführt werden, die ihre Kinder der Schwiegermutter anvertraute, um an der Seite ihres Ehemannes für die Freiheit zu kämpfen (vgl. Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117). 421 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN 4.2.2 Die erzogene Erzieherin In ihrer unnachahmlichen Art ironisiert Zetkin in der Einleitung ihres Artikels die gesellschaftlichen Anforderungen, die an die Frau gestellt würden: „Die Frau muß einfachen, kindlichen Geistes sein, sie darf sich nicht um öffent- liche Angelegenheiten bekümmern, die ††† Politik zumal muß ihr ein Rührmich- nichtan bleiben, sie soll sich mit ihrem Interesse nicht außerhalb der Häuslichkeit und des fraubasigen Kirchthurmsgeklatsch wagen, ihr Denken muß in einem Koch- topf und in einem Fingerhut Platz finden, denn sie hat zunächst den Pflichten ihres ‘Naturberufs’ als Mutter nachzukommen.“746 Soweit, so Zetkin, der „landläufige Köhlerglaube“747 über die Bestimmung der Frau und das Vorurteil, eine gute Mutter könne sich nicht um ihre Kinder kümmern und gleichzeitig politisch interessiert sein. Zetkin setzt argumentativ sehr schlüssig dagegen, dass eine Frau, die sich nicht mit Politik, nicht mit Dingen des allgemeinen Interesses beschäftigen dürfe, dies im Rahmen ihres vermeintlichen „Naturberufes“ auch nicht ihren Kindern näherbringen könne. Sie stellt den „Gleichheit“-Leserinnen schließlich die rhetorische Frage: „Kann die Unvernunft die Vernunft entwickeln, die Bornirtheit zur Weite des Blickes, die Engherzigkeit zur Größe der Gesinnung erziehen?“748 Wie wichtig das eigene geistige Sein – wie es bereits an dem Leitbild des „weiblichen Voll- menschen“ entwickelt wurde – für die Erziehung von Kindern ist, dafür sei die antike Römerin Cornelia (um 190 v.u.Z.- um 100 v.u.Z.) ein besonderes Beispiel. Zwar sei Cornelia, so der ver- mutlich von Zetkin verfasste Artikel, vor allem anderen ein „Muster häuslichen Sinns und mütterlicher Pflichttreue“749 gewesen, jedoch könne man sie deshalb nicht als „simples Nichts-als- Hausmütterchen“750 charakterisieren. Sie habe als Mutter „Höchstes leisten“751 können, gerade weil sie über einen „hochgebildeten Geist“752 verfügte und stets über wissenschaftliche wie auch „Zeit- und Streitfragen“753 informiert war und Anteil daran nahm. Als Tochter des Scipio Africanus, eines gefeierten und verehrten Heerführers und Bezwinger 746 Cornelia, die Mutter der Gracchen. In: GL, 03/ 04/ 22.02.1893/ 31. 747 Ebd. VertreterInnen dieses „Köhlerglaubens“ bemühten sich, so Zetkin, um eine wissenschaftliche Fundierung, indem sie auf den Philosophen Arthur Schopenhauer verwiesen. Nach Meinung Zetkins allerdings war Schopen- hauer „sicher mindestens ein ebenso großer Spießer als großer Philosoph“ (ebd.) und es würde nicht richtiger, was er sagte, wenn es nur mehr Menschen kritiklos „nachschwätzt[en]“ (ebd.). 748 Ebd. 749 Ebd. 750 Ebd. 751 Ebd. 752 Ebd. 753 Ebd. 422 4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN Hannibals, habe sie schon früh ein „schwungvolles Gemüth und einen edlen Stolz“754 gezeigt. Dieser habe dazu geführt, dass sie sich, für damalige Bräuche, recht spät verheiratete. Kein Verehrer sei ihr genehm gewesen bis sie sich schließlich für Tiberius Sempronius Gracchus entschied – einen für seine Bildung, seine diplomatischen und militärischen Fähigkeiten und seine Ehrlichkeit angesehenen Mann. Es sei eine glückliche Ehe gewesen, weil sie, so Zetkin, „auf die gegenseitige Achtung der Gatten gründete“755. Jedoch starb Gracchus sehr früh und Cornelia musste fortan allein die Verantwortung für die Erziehung zweier Söhne und einer Tochter tragen. Sie habe dabei besonders auf die gleichwertige Schulung von „Geist, Gemüth und Charakter“756 der Kinder geachtet und „ihre Lebensaufgabe darin [erblickt], ihre Söhne zu Männern zu machen, denen das Wohl der Allgemeinheit das höchste Gesetz sei“757. Eine Lebensaufgabe, die sie nur erfüllen konnte, da sie selbst im „Vollbesitz der damals höchsten Bildung“758 [Hervorhebung von M.S.] war. Ihre Kenntnisse und Fähigkeiten in Griechisch, Latein, Literatur und Kulturgeschichte gab sie durch entsprechenden Unterricht an ihre Kinder weiter. Weit größeren Einfluss auf die Erziehung ihrer Kinder habe jedoch „ihr Beispiel“759 gehabt. Cornelias „strenge[r] Gerechtigkeitssinn“760, die „warme Menschenliebe“761, das „selbstlose Interesse für die Allgemeinheit“762 seien zu einem „Ideal sozialer Gerechtigkeit“763 verschmolzen, dem schließlich auch ihre Kinder nachstrebten. Eine neuerliche Heirat lehnte Cornelia ab, um sich ganz der Erziehung ihrer Kinder widmen zu können. Außerdem nutzte sie ihre so gewahrte Freiheit, um aus ihrem Haus einen Treffpunkt für andere, meist alleinstehende Frauen zu machen – ähnlich der Art „Salon“, wie er im 18. und 19. Jahrhundert existierte und meist von gebildeten Frauen inspiriert und organisiert wurde. Cornelias Erziehung machte aus ihrer Tochter Sempronia eine „unerschrockene, selbständige Frau“764. Mit ihrer Wahl des angesehenen Heerführers Scipio Aemilianus zum Ehemann war Cornelia sehr zufrieden. Die Erfolge ihres Schwiegersohns waren ihr jedoch nicht so wichtig wie 754 Ebd. 755 Ebd. 756 Ebd. 757 Ebd. 758 Ebd. 759 Ebd. 760 Ebd. 761 Ebd. 762 Ebd. 763 Ebd. 764 Ebd. 423 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN die ihrer Söhne. Deshalb soll sie gesagt haben: „Wann werde ich vom Volk nicht nur genannt werden als die Schwiegermutter des Scipio […], sondern als die Mutter der Gracchen?“765 Hohe Erwartungen setzte sie demnach in die noch zu vollbringenden Taten ihrer beiden Söhne. Taten, die ihren Ruhm als Mutter und Erzieherin begründen sollten. Das Leben in der römischen Republik gestaltete sich zunehmend schwieriger. Der Gegensatz zwischen Reich und Arm verschärfte sich. Neben einer exzessiven Verschwendungssucht existierte eine große Armut, und es war absehbar, dass der soziale Frieden bald nicht mehr mit einzelnen notlindernden Kornverteilungen oder anderen „Palliativmitteln“766 zu gewährleisten sein würde. Die Darstellung der gesellschaftlichen Situation im antiken Rom nutzte Zetkin nun für eine Stellungnahme aus der Perspektive der materialistischen Geschichtsauffassung. Sie war der Auffassung, dass soziale Ungleichheit auch damals nur hätte beseitigt werden können „durch eine revolutionäre, gerechte Umgestaltung der Eigenthumsverhältnisse und durch Verleihung des vollen römischen Bürgerrechts an alle italischen Völker- schaften, welche ein Gegengewicht gegen den käuflichen Anhang der Geschlechter gebildet hätten“767. Eigentum, Cliquenwirtschaft und Korruption waren in der römischen Republik demnach grund- legende Probleme und auch damals schon, so Zetkin, blieb „[d]ie Ursache […] aller sozialen Schäden – die Ungleichheit des Besitzes – […] unangetastet“768. Cornelias Söhne Tiberius und Gajus fassten – den Gerechtigkeitssinn ihrer Mutter ehrend – den Plan, mit entsprechenden Gesetzeseingaben mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Sowohl ein Gesetz über die Verteilung der Staatsländereien als auch ein weiteres für die Gewährung des römischen Bürgerrechts an die italischen Bundesgenossen sollten dies leisten. Jedoch machten sie sich mit diesen Gesetzesentwürfen so manchen reichen Bürger zum Feind: Tiberius wurde ermordet und Gajus einige Jahre später im Straßenkampf getötet. In der Öffentlichkeit sei, so Zetkin, „[d]as lautere, aufopfernde Wirken der Gracchen für die Masse […] als Volks- aufhetzung, Volksverführung, als Ausfluß schlimmsten Ehrgeizes, eitler Ruhm- sucht verketzert“769 worden. Auch Cornelias Schwiegersohn Scipio Aemilianus sah die Ermordung seines Schwagers 765 Ebd. 766 Ebd., S. 32. Dies ist nur ein Beispiel von vielen dafür, welche Fremdwortkenntnisse Zetkin manchmal ihren Leserinnen scheinbar unbedacht abverlangte. 767 Ebd. 768 Ebd. 769 Ebd. 424 4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN Tiberius als gerechtfertigt an und versuchte alles, um das volksfreundliche Ackergesetz wieder aufheben zu lassen. Jedoch fand man ihn am Morgen des Tages, an dem die Entscheidung darüber fallen sollte, tot auf seinem Bett liegend. Hauptverdächtige war seine Schwiegermutter Cornelia, doch das Volk forderte die Einstellung aller Nachforschungen, die der hochverehrten Frau schaden könnten. Wenn wirklich Cornelia den Tod ihres Schwiegersohnes herbeigeführt habe, so habe ihre Tat nicht nur dem Feind ihres Sohnes, sondern auch dem Feind der Sache des Volkes gegolten770 – und war damit nach Meinung Zetkins gerechtfertigt. Groß war der persönliche Schmerz einer Mutter über den Tod ihrer Söhne, ihrer „zärtlich geliebten und liebenden genialen Kinder“771. Groß war aber auch der Schmerz einer „leidenschaftliche[n] Parteigängerin der Sache des Volkes, der sie mit ganzer Seele anhing“772. Mit ihren Söhnen, die dieselben Ideale teilten und „in selbstlosem Ringen für Volksglück“773 gewirkt hatten, „sank die Hoffnung und das Werk ihres ganzen Lebens ins Grab“774. Cornelias Schmerz habe in gleicher Weise dem Tod ihrer Söhne gegolten als auch dem „Scheitern der Bestrebungen für eine gesunde Wiedergeburt des römischen Staatslebens“775. Ihr persönliches Schicksal ließ Cornelia die Bedeutung, die die Geschehnisse für das Volk haben würde, nicht vergessen. Die Mutter der Gracchen zog sich auf ein Landgut bei Misenum zurück, wo sie gastfreundlich Gelehrte und Dichter empfing. Ihr zu Ehren wurde eine Bildsäule errichtet, auf der auf ihren Wunsche hin jedoch nur zu lesen war „Cornelia, die Mutter der Gracchen“. Nicht als Frau, nicht als Römerin, sondern, so Zetkin, „als Mutter ihrer Söhne wollte sie in der Geschichte fort- leben“776. Zetkin resümierte schließlich die besonderen Charaktereigenschaften und das Wirken Cornelias. Sie habe allen Grund gehabt, stolz auf das zu sein, „was sie aus ihren Kindern gemacht“777 hatte, „was sie ihnen gewesen“778 sei. Sie sei „ein leuchtendes Beispiel, was eine Frau als Mutter zu leisten vermag, wenn sie selbst eine voll- und allseitig entwickelte Individualität ist, wenn sie hohen Geistes und großen Herzens dem Leben ihrer Zeit Verständniß entgegenbringt und sich mit 770 Vgl. ebd. 771 Ebd. 772 Ebd. 773 Ebd. 774 Ebd. 775 Ebd. 776 Ebd. 777 Ebd. 778 Ebd. 425 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN ihrem Interesse nicht auf den engen Kreis der Häuslichkeit beschränkt“779. Für Zetkin war es nur ein logischer Rückschluss, dass wenn „wir Gracchen haben [wollen], ein heranwachsendes Geschlecht, das seine Zeit und ihre Aufgaben begreift, so müssen wir uns angelegen sein lassen, Frauen zu erziehen, welche der Cornelia gleichen“780. Für die Erziehung der Jugend, einer sozialistischen Jugend, die einer sozialistischen Zukunft entgegenstrebt, die bereit ist, diese Zukunft auch zu erkämpfen – für die Erziehung einer solchen Jugend war die Erziehung einer besonderen Müttergeneration notwendig. Nur „[a]ufgeklärte, frei- denkende, edel empfindende, energisch handelnde Frauen, welche die Gegenwart wohl erfassen“ 781, konnten eine solche Entwicklung der Jugend, konnten den Sozialismus gewährleisten. Mutter- leitbilder, wie das Cornelias, waren für die politische und charakterliche Bildung proletarischer Frauen unabdingbar. Welch enge Bindung zwischen Mutter und Kind nicht nur hinsichtlich einer liebenden Beziehung, sondern auch der Entwicklung beider Persönlichkeiten besteht, belegt auch das Beispiel von Katharina Elisabeth Goethe (1731-1808) und ihrem Sohn Johann Wolfgang. Wittich setzte in seiner Artikelserie „dieser herrlichen Frau, die uns unseren größten Dichter geschenkt“782 hat, ein Denkmal und hob ihren Einfluss auf das Genie ihres Sohnes hervor. Es sei das Naturell der Mutter, dem der Sohn „so viele Eigenschaften verdank[e], auf denen seine menschliche und künstlerische Größe beruht“783. Goethe – im Folgenden ist damit stets die Mutter gemeint – beschrieb in einem Brief ihr Äußeres selbst als „‘ziemlich groß und ziemlich korpulent’“784, hatte braune Augen und braunes Haar. Die eindeutige Ähnlichkeit, die viele ihrer FreundInnen zwischen ihr und ihrem berühmten Sohn feststellten, sah sie selbst nicht gegeben. Als ihre wichtigsten Charaktereigenschaften definierte sie „‘Ordnung und Ruhe’“785 – zwei Tugenden, die in Deutschland schon immer sehr wichtig waren. Katharina Elisabeth Goethe war die älteste Tochter des kaiserlichen Rathes und Stadtschultheißen von Frankfurt am Main Johann Wolfgang Textor. Ihre Eltern erzogen sie und ihre Geschwister, so 779 Ebd. 780 Ebd. 781 Ebd. 782 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. In: GL, 12/ 06/ 12.03.1902/ 44. 783 Ebd. 784 Katharina Elisabeth Goethe zit. nach: Ebd. Wittich scheint diese Zitate dem in der Reclamschen Sammlung erschienenen Werk „Briefe von Goethes Mutter“ (ca. 1920) entnommen zu haben. 785 Ebd. 426 4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN Wittich, „natürlich und schlicht“786. „[K]einerlei Pedanterie“787 habe die „angeborenen Anlagen des Mädchens, Heiterkeit, Witz und Lebendigkeit des Geistes […] verkümmer[n]“788 lassen und Goethe genoss viele Freiheiten. Nicht nur, dass sie Lesen und Schreiben lernte, sie durfte laut eigenen Angaben auch Umgang „‘mit Kindern von geringem Stande’“789 haben. Im Gegensatz zu ihren Altersgenossinnen habe sie „‘wild sein’“790 dürfen und doch sei ihre Jugend außerdem von einer, so Wittich, „schlichte[n], tiefwurzelnden, aber keineswegs kopfhängerische[n] oder mucke- rische[n] Hausfrömmigkeit“791 geprägt gewesen. Rückblickend kam Goethe zu der Erkenntnis, dass die besten Menschen, die sie kennengelernt hatte, „‘eben die [gewesen seien], auf deren Erziehung man am wenigsten gewendet hatte’“792. Man sollte jetzt aber nicht den Trugschluss ziehen, dass Goethe nichts von einer allgemeinen Mädchenbildung gehalten habe – ganz im Gegenteil. Was sie in dieser Richtung ablehnte, war jedoch die Erziehung der Mädchen höherer Stände zu einem prätentiösen Verhalten. Laut Wittich trat darin ihre Bevorzugung der „schlichten Natürlichkeit“793 zutage und auch ihr genialer Sohn habe nichts von einem „Formalismus und gezierten gekünstelten Wesen“794 gehalten. 1748 heiratete sie den 17 Jahre älteren kaiserlichen Rath und Doktor beider Rechte Johann Kaspar Goethe. Dieser war laut Wittich „im Charakter und Temperament wesentlich anders geartet, als sein junges Weibchen“795 – eine übrigens bemerkenswerte Wortwahl innerhalb eines Artikels der „Gleichheit“. Goethes Ehemann stammte aus sehr einfachen Verhältnissen. Der von ihm schließlich vollbrachte gesellschaftliche Aufstieg habe in einem besonders „starken Bürgerstolz und Bürgertrotz“796 gewurzelt. Außerdem habe er einen „tüchtige[n] Kern in seiner rauhen Schale“797 besessen. Wenn es auch keine Liebesheirat war, so habe Katharina Elisabeth Goethe ihrem Ehemann gegenüber stets „Achtung und treue Ergebenheit [bewiesen], indem sie ihn nahm 786 Ebd. 787 Ebd. 788 Ebd. 789 Katharina Elisabeth Goethe zit. nach: Ebd. 790 Katharina Elisabeth Goethe zit. nach: Ebd. 791 Ebd. 792 Katharina Elisabeth Goethe zit. nach: Ebd. 793 Ebd. 794 Ebd. 795 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 07/ 26.03.1902/ 52. 796 Ebd. Hinsichtlich einer Charakterisierung Johann Kaspar Goethes verwies Wittich auf die Studie „Goethes Vater“ (1899) von Felicie Ewart [d.i. Emilie Exner (1850-1909)], aus der deutlich würde, dass der Dichter die „glückliche Mischung der väterlichen und mütterlichen Elemente“ (ebd.) aufzeige. 797 Ebd. 427 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN wie er war und wohl auch geschickt und taktvoll zu behandeln wußte“798. 1749 gebar Katharina Elisabeth Goethe ihr erstes Kind, „unseren großen Johann Wolfgang Goethe“799. Von den weiteren Kindern (zwei Söhne und drei Töchter) sollte nur die Tochter Kornelia erwachsen werden. Goethe habe den Sohn der Tochter eindeutig vorgezogen, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass diese eher zum Bruder als zur Mutter ein inniges Verhältnis pflegte. Mit und durch ihren Sohn sei im Leben Goethes „ein glänzender Stern“800 aufgegangen. Wittich charakterisierte diese übergroße Mutterliebe wie folgt: „[I]n ihrem ‘Hätschelhans’, später dem ‘Doktor’, schien sie allzeit fast ohne Rest aufzugehen.“801 Es ist jene vollständige Hingabe an eine Person, die das sozialistische Mutterideal ausmacht und die sich auf das Ideal der „Klassenkämpferin“ als Hingabe an den Sozialismus übertragen lässt. Große aufregende Abenteuer, so Wittich weiter, weise Goethes Leben nicht auf, denn es sei vor allem von ihrem Sohn und der Sorge für ihn ausgefüllt gewesen. Deshalb, so Wittich scherzhaft und zugleich sehr bedeutungsvoll, müsste man im Folgenden gewissermaßen nicht Goethes, sondern „Wolfgangs Leben erzählen und notiren“802. Nicht ihr Leben war es deshalb, sondern ihr Charakter, den Wittich „in seiner prächtigen, einzigen Eigenart so viel als möglich mit ihren eigenen Worten und in Zeugnissen der Zeitgenossen […] vor den geistigen Augen der Leser“803 lebendig machen wollte. Wittich zitierte zu diesem Zweck aus Goethes im Reclam-Verlag veröffentlichten Briefen, die seiner Meinung nach „als Lebens- und Hausbuch in der Hand aller deutschlesenden Frauen sein“804 sollten. Er extrahierte daraus eine Darstellung ihres „Gemüths- reichtums, Humors und ihrer ‘allrunden’ Tüchtigkeit“805. Indem er in den Zügen des Dichters ganz deutlich die „mütterliche Mitgift“806 zu erkennen glaubte – „wie das ja so oft bei bedeutenden und berühmten Menschen zu bemerken“807 sei – ließ Wittich sich zu der gewagten These hinreißen, dass es 798 Ebd. 799 Ebd. 800 Ebd. 801 Ebd. 802 Ebd. Allerdings dürfte nach den Beschreibungen Bettina von Arnims das Leben Goethes nicht so langweilig gewesen sein, wie es hier von Wittich dargestellt wurde (vgl. Kapitel 4.1.3). 803 Ebd. 804 Ebd., S. 53. 805 Ebd., S. 52. 806 Ebd., S. 53. 807 Ebd. 428 4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN „überhaupt viel mehr darauf an[komme], was einer für eine Mutter gehabt hat, als darauf, wie sein Vater war“808. Er relativierte diese Meinung jedoch schnell, indem er die Klärung dieser Frage „den Natur- forschern, Aerzten und Psychologen“809 überließ, „die ja heutzutage das Gras wachsen hören, wenn man ihnen glauben will“810. Goethe selbst habe nie jemanden „bemoralisire[n]“811 und stets die guten Seiten eines Menschen sehen wollen. Dies habe ihrem Wesen etwas „unsäglich Wohlthuende[s]“812 verliehen, so dass viele ZeitgenossInnen in ihr eine „Trösterin, Beratherin und Helferin“813 suchten. Auch die Freunde und Dichterkollegen des Sohnes, die ihr den Beinamen „Frau Aja“814 gaben und ihre „Mitsöhne“815 wurden, baten sie oft um Rat und Tat. Wittich war sich sicher, dass des Dichters berühmter Ausspruch, der Mensch möge „‘edel, hilfreich und gut’“816 sein, das hervorragende Beispiel seiner Mutter reflektiere. Stets habe sie ihre Umwelt zur Selbstkritik, zur Erkenntnis der eigenen Fehler ermahnt. Mutter und Sohn Goethe waren sich in ihrem politischen Denken sehr ähnlich – so z. B. in ihrer kritischen Einstellung zum Krieg. Außerdem teilten sie die Vorliebe für eine deftige Ausdrucksweise, die für ihren resoluten Charakter spricht. Trotz dieser innigen Beziehung stattete Katharina Elisabeth Goethe ihrem Sohn nie einen Besuch in Weimar ab. Sie war eine ein- gefleischte Frankfurterin und liebte ihre Heimatstadt, in der sie ihrem besonderen Interesse für Musik, Literatur und Theater817 nachgehen konnte, sehr. 1772 verstarb Goethes Ehemann und sie versuchte, ihre Einsamkeit und ihren Kummer mit Humor zu bewältigen, das „Unangenehme[…] und Traurige[…]“818 abzuschütteln. Gemäß all ihrer charakterlichen Vorzüge war es für Wittich selbstverständlich, dass Goethe „allerinnigste Theilnahme“819 und nicht ähnlich den spießbürgerlichen EinwohnerInnen Weimars 808 Ebd. 809 Ebd. 810 Ebd. 811 Ebd. 812 Ebd. 813 Ebd. 814 Vgl. Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 08/ 09.04.1902/ 61. Wittich erklärte, “Aja” komme aus dem Spanischen „Aya” und heiße so viel wie „Hofmeisterin” (ebd.). 815 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 10/ 07.05.1902/ 76. 816 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 08/ 09.04.1902/ 60. 817 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 09/ 23.04.1902/ 68. 818 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 10/ 07.05.1902/ 76. 819 Ebd. 429 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Ablehnung zeigte, als ihr Sohn sich mit Christiane Vulpius verband. Schon nach dem ersten Kennenlernen Vulpius‘ hatte sie keinerlei Einwände gegen die „‘Gewissensehe’“820 ihres Sohnes, die später auch legitimiert wurde. Auch verstehe es sich von selbst, so Wittich, „[d]aß die Frau Rath, die beste Mutter von der Welt, auch den Kindern Wolfgangs die zärtlichste und vortrefflichste Großmutter war“821. Demnach war Goethe eine in sich ruhende und harmonische Persönlichkeit – ein „weiblicher Vollmensch“, der das Familienleben genoss. Ihr berühmt gewordener Sinn für Humor gipfelt in der gelungenen Anekdote, sie habe kurz vor ihrem Lebensende eine Einladung mit den Worten ausgeschlagen: „‘Die Frau Rath hat alleweile keine Zeit, sie muß ganz nothwendig sterben!’“822 Katharina Elisabeth Goethe, eine „herrliche wunderbare Frau“823, starb 1808, aber Wittich sah für alle Zeiten ihren Namen „mit goldenen Lettern in die Ehrenannalen des ganzen weiblichen Geschlechts eingetragen“824. Johann Wolfgang von Goethe habe seine Mutter stets als „tüch- tige[…], brave[…] Hausfrau, […] sorgsame[…] treuliebende[…] Gattin, […] zärtlich um ihrer Kinder Glück besorgte[…] Mutter“825 erlebt und setzte ihr in Form dreier seiner literarischer Fi- guren ein besonderes Denkmal.826 Diese für alle Frauen geltende Leitbildfunktion Goethes blieb von den Proletarierinnen jedoch nicht unwidersprochen. Wittich erhielt nach einem seiner Vorträge zur Biographie Goethes folgenden Kommentar: „‘Ja, lieber Genosse, der Frau Goethe hat es materiell an nichts gefehlt, sie kannte keine Nahrungssorgen, lebte in guten reichlich bürgerlichen Verhältnissen, hatte einen berühmten Mann zum Sohne und viele gute, ja vornehme Verbindungen; kurz, sie war, wie wir Sachsen zu sagen pflegen: schöne‘ raus! Sie hatte es leicht, allezeit guten Humors zu sein!’“827 Diesen Einwand konnte und wollte Wittich nicht für völlig unzutreffend erklären, denn dies hätte bedeutet, die tatsächlichen Lebensverhältnisse seines Klientels zu ignorieren. Stattdessen betonte er die Relativität der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die politischen und sozialen Verhältnisse des Jahres 1902 seien zur Zeit Goethes genauso unleugbar andere gewesen wie auch die „Art des 820 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 11/ 21.05.1902/ 84. 821 Ebd. 822 Katharina Elisabeth Goethe zit. nach: Ebd. 823 Ebd. 824 Ebd. 825 Ebd. 826 Diese drei Figuren sind laut Wittich: Elisabeth, die Gattin Götz von Berlichingens (1771), die Mutter Hermanns in „Hermann und Dorothea“ (1797) und die Mutter Wilhelm Meisters (1796). 827 Unbekannt zit. nach: Ebd. 430 4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN Fühlens und Denkens“828 eine andere gewesen sei. Unverändert sei jedoch das „allgemein Menschliche“829, „und das allgemein Menschliche war auch der Frau Rath auferlegt zu tragen“830. Im Tragen dieses „allgemein Menschlichen“ habe Goethe schließlich Bestes geleistet. Sie habe „auf ihrem Schlachtfeld mit ihren Waffen und der Taktik der Besten ihrer Zeit und ihrer Klasse einen guten Kampf gekämpft, tapfer und treu und nach ihrem besten Wissen und Können für das höchste Ziel der Menschheit“831. Wittich wandte sich damit gegen jede resignierende Entschuldigung, die eine Proletarierin für den Umstand vorbringen könnte, dass sie nicht entsprechend ihrer Möglichkeiten Gleiches tat. Auch Goethe seien nicht alle Vorzüge ihres Lebens geschenkt worden, „das Beste und Schönste von allem Glück, das ihr vom Schicksal beschieden war, ha[be] sie ehrlich und tapfer selbst erkämpft und erstritten, also reichlich verdient“832. Wittich sah in ihr „ein leuchtendes Vorbild echter, edler Humanität“833. Der von der Germanistin Bertha Kipfmüller (1861-1948)834 im Januar 1920 verfasste Artikel „Kants Mutter“835 atmet zu Beginn ganz offenkundig den Geist seiner Zeit. Der Erste Weltkrieg warf seine langen Schatten in die Zeit des Friedens und der jungen Weimarer Republik. Viele Menschen, so Kipfmüller, nahmen die schwierige nationale und internationale Lage zum Anlass, Halt in Immanuel Kants 1793 verfasstem Werk „Zum ewigen Frieden“ zu suchen. Die darin behandelten Möglichkeiten der Völkerversöhnung und die „Charakterstärke der inneren Geistesgröße“836 eines Kant hätten jedoch leider durch den US-amerikanischen Präsidenten Wilson und seine Politik keine Nachahmung gefunden. Insgesamt, so bemängelte Kipfmüller, sei 828 Ebd. 829 Ebd. 830 Ebd. 831 Ebd. 832 Ebd. 833 Ebd. 834 Bertha Kipfmüller wurde in Pappenheim geboren und war Tochter eines Goldschmiedes. In München absolvierte sie eine Ausbildung zur Lehrerin. Sie wurde eine der ersten Lehrerinnen in Mittelfranken und gründete 1886 den ersten bayerischen selbständigen Berufsverein, den „Mittelfränkischen Lehrerinnen-Verein“. 1896 absolvierte sie das Abitur und wurde von der philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg zum Studium der Fächer Germanistik, Sanskrit und vergleichenden Sprachwissenschaften zugelassen, dass sie mit der Promotion 1899 abschloss. Im selben Jahr nahm sie eine Stellung als Lehrerin an der höheren Mädchenschule „Frauentorgraben“ in Nürnberg an, die sie 27 Jahre ausfüllte. Nachdem sie aufgrund des Erreichens der Altersgrenze den Schuldienst verließ, promovierte sie 1926-1928 in Erlangen als Juristin. Sie war die erste promovierte Frau in Bayern und eine zentrale Person für die Entwicklung der bürgerlichen Frauenbewegung Nürnbergs. 835 Kipfmüller, Bertha: Kants Mutter. In: GL, 30/ 04/ 24.01.1920/ 27-29. Dieser Artikel erschien bereits 1905 in der Zeitschrift „Frauenbildung“ (1902-1923) (vgl. Frauenbildung, 04/ 1905/ 49-59). 836 Ebd., S. 27. 431 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN der Bekanntheitsgrad Kants und seiner Philosophie ein sehr geringer und dies obwohl gerade das einfache Volk wissen müsste, „was es dem Größten zu danken hat“837. Es sei wichtig, dass auch das einfache „Volk[…]“838 – Kipfmüller verwandte weder den Begriff des „Proletariats“ noch der „Arbeiterklasse“ – „erfahre[…], aus welchem Gedanken- und welchem Wirtschaftskreise die bedeutendsten Geister hervorgegangen sind“839. In der Auseinandersetzung mit dem eigenen Kul- turgut und der eigenen Geschichte – denn diese gab es ja trotz des verlorenen Krieges noch – sollte „Hoffnung […] für die eigene Zukunft“840 geschöpft werden. Eine Zukunft, die vor allem in den Händen der Frauen, der Mütter lag. Deshalb sollten sich gerade diese mit deutscher Geistesgeschichte beschäftigen, welche sie sicherlich zu der Frage anregen würde: „Wie, sollte es mir nicht auch möglich sein, der Welt einen Sohn, eine Tochter zu schenken, die der Menschheit Erlöser werden könnten?“841 Die Menschheit, so Kipfmüller, ersehne sich schon immer einen Erlöser. Ein Erlöser oder eine Erlöserin kann jedoch nur aus der Menschheit selbst kommen. Deshalb habe auch bereits Johann Wolfgang von Goethe im zweiten Teil seines „Faust“ (1832) klar die Mütter als „Urschöpfer der Menschheit“842 definiert. Wenn auch nicht den Erlöser, so doch „den größten Philosophen des Erdballs“843, so Kipfmüller begeistert, habe der Menschheit Anna Regina Kant (1697-1737) geschenkt. Deren Persönlichkeit sei eine ganz andere gewesen als die der berühmten Johanna Schopenhauer (1766-1838) oder die der Katharina Elisabeth Goethe, „die aus vornehmen Patriziergeschlecht stammte und ob ihres berühmten Sohnes Größe Fürstinnen zu Besuch“844 gehabt habe. Kant war laut Kipfmüller eine „einfache, schlichte Bürgersfrau“845, Ehefrau des Riemers846 Johann Georg Kant und lebte im ostpreußischen Königsberg. Ihre Charaktereigenschaften wie „Fleiß, Sparsamkeit, Ausdauer bis ins kleinste“847 waren für das finanzielle Auskommen der Familie unerlässlich. Besondere Kraft und Hilfe schöpfte sie aus ihrer Frömmigkeit. Das Ehepaar Kant gehörte dem „strengen 837 Ebd. 838 Ebd. 839 Ebd. 840 Ebd. 841 Ebd. 842 Ebd. 843 Ebd., S. 28. 844 Ebd., S. 27. 845 Ebd. 846 Riemer gehörten zu den lederverarbeitenden Handwerkern. 847 Ebd. 432 4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN Piet is tenkurs“ an, dem die Frömmigkeit nicht äußerer Schein, sondern wirkliche Tu- gend“848 gewesen sei. Während ihr Ehemann, ein redlicher und fleißiger Mensch, vor allem Wahrheitsliebe verlangte, so ging Anna Regina Kant noch weiter: „[s]ie verlangte Heil ig- kei t“849. Diese Hinwendung zum Überirdischen habe jedoch nicht die „scharfe[…] Klarheit ihres Geistes“850 beeinträchtigt. Kipfmüller bewunderte die „volle[…] und reine[…] Tiefe ihres Ge- müts“, die sich in der „Tiefe und Weite“, in der „Höhe und Erhabenheit“ der Philosophie ihres Sohnes widerspiegele – einer „Weisheitslehre […] wie sie nicht vor und nicht nachher ein zweiter Denker [habe] schenken k[önnen]“851. Aus seinen Werken spreche ein Mensch, „dessen Reich gleich Christi Reich nicht von dieser Welt “852 sei. Immanuel Kant war für Kipfmüller der Begründer einer neuen Moral und seine Mutter wiederum deren „Urquell“853. Zwar würden bisherige Erläuterungen der Kantschen Philosophie nicht den „Zusammenhang des seelischen Einflusses der Mutter auf das Kind“854 berücksichtigen, aber gerade in ihm sei der Beweis gebracht, „wie Mutterdenken, Mutterempfinden, Mutterhandeln einem Kinde, ja oft der ganzen Menschheit […] zum Segen werden kann“855. Immanuel Kant, seine Persönlichkeit, sein Wirken – „eine Erscheinung deren die Welt nur alle Jahrtausende eine geschenkt erhält“ – ist nicht unabhängig von seinen Eltern zu beurteilen. Auch sie wurden für Kipfmüller zum „Vorbi ld , gle ich ehrwürdig wie der Sohn“856. Über die ihm zugute gekommene Erziehung berichtete der Sohn, dass er von seinen Eltern kein einziges Mal etwas Unanständiges gehört und nie etwas Unwürdiges gesehen habe.857 Und tatsächlich waren es laut Kipfmüller u. a. seine guten Manieren, sein „Feingefühl für den inneren und äußeren Anstand, ohne dessen Beachtung der Verkehr von Mensch zu Mensch so unangenehm werden kann, dessen Vorhanden- sein uns ein Beweis guter Kindheitserziehung“858 sei und die ihn später bei jedermann beliebt gemacht hätten. Seine Eltern seien Immanuel Kant Vorbilder in Fleiß, Ordnung, Menschen- und Wahrheitsliebe gewesen. Und dennoch habe im Haus 848 Ebd. 849 Ebd. 850 Ebd. 851 Ebd. 852 Ebd., S. 28. 853 Ebd. 854 Ebd. 855 Ebd. 856 Ebd. 857 Vgl. ebd. 858 Ebd. 433 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN kein „finsterer, weltabgewandter Geist“859 geherrscht, sondern „Natürlichkeit und Heiterkeit, in deren Sonne sich alle guten Eigenschaften entwickeln können“860. War die Erziehung der sieben Kinder auch eine streng christliche, so war sie doch „frei von Mucker- und Zelotentum und unduldsamer Orthodoxie“861. Es waren nicht nur grundsätzliche Charaktereigenschaften, die Kant ihrem Sohn vermittelte, sondern auch Grundkenntnisse der Astronomie. Abends habe sie ihm das sternenbedeckte Uni- versum so weit erschlossen, wie sie dies selbst vermochte.862 Und auch Anna Regina Kant habe von ihrem „Manelchen“, das erst 13 Jahre alt war, als sie starb, viel gelernt. Die Umstände, unter denen Anna Regina Kant schließlich starb, waren sehr kurios. Kipfmüller gab an dieser Stelle die Darstellung Ehregott Andreas Christoph Wasianskis863 wieder, nach welcher eine Freundin den Tod Kants verursachte. Der Verlobte dieser Freundin hatte sein Eheversprechen gebrochen und sie verlassen. Der Trennungsschmerz gipfelte in einem schweren Fieber, aber die Kranke weigerte sich vehement, die ihr verordneten Medikamente zu nehmen. Kant, die ihre auf dem Sterbebett liegende Freundin aufopfernd pflegte, versuchte stetig, sie zur Einnahme eines Medikaments zu bewegen. Da die Kranke vorschob, das Medikament habe einen unerträglich widerlichen Geschmack, wollte Kant sie mit ihrem eigenen Beispiel vom Gegenteil überzeugen. Mit demselben Löffel, von welchem bereits die Kranke gekostet hatte, nahm sie das Medikament ein. Kaum getan, hätten „‘Ekel und kalter Schauer’“864 Kant überkommen. Da sie dann später außerdem am Körper ihrer Freundin seltsame Flecken entdeckte, führte ihre Ein- bildungskraft sie zu der Überzeugung, nun sterben zu müssen. Sie habe „‘sich noch an demselben Tage hin[gelegt] und [sei] bald danach als ein Opfer der Freundschaft ’“865 gestorben. Kipfmüller machte aus Kant im Gegensatz zu Wasianski jedoch in ihren folgenden Ausführungen ein „Opfer aus Freundschaft“. Kants Opfertod sei aus dem „Gefühl der Hingabe und Aufopferung für ein anderes Wesen“866, oder, wie Immanuel Kant Freundschaft definierte, aus dem „‘Gefühl von der Schönheit und der Würde der menschlichen Natur ’ “867 dargebracht worden. Diese Deutung vermittelt einen würdevolleren Eindruck als den, dass Kant schlicht das 859 Ebd. 860 Ebd. 861 Ebd. 862 Vgl. ebd. 863 Es dürfte sich dabei um die Schrift „Immanuel Kant in seinen letzten Lebensjahren. Ein Beytrag zur Kenntniß seines Charakters und häuslichen Lebens aus dem täglichen Umgang mit ihm“ (1804) handeln. 864 Ehregott Andreas Christoph Wasianski zit. nach: Ebd., S. 29. 865 Ehregott Andreas Christoph Wasianski zit. nach: Ebd. 866 Ebd. 867 Immanuel Kant zit. nach: Ebd. 434 4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN Opfer ihrer eigenen Hypochondrie geworden ist. Wichtig für die ihre Mutterrolle ergänzende Leitbildfunktion als „weiblicher Vollmensch“ ist die Charakterisierung Kants als „[e]in großer, starker Geist, eine reine Persönlichkeit“868. Nicht weniger bedeutsam ist auch der Umstand, dass sie – eine „einfache, schlichte Frau des Hand- werkerstandes“869 – in der Lage gewesen sei, mittels eines „unverfälschten, ‘gesunden Menschen- verstand[es]’“870 einen Menschen von der Genialität eines Immanuel Kant zu erziehen. „Ihr sei die Ehre“871 und jeder anderen Frau – aus Proletariat und Bürgertum – die Möglichkeit, es ihr nachzutun. 868 Ebd., S. 28. 869 Ebd. 870 Ebd. Dieser Eigenschaft widmete Immanuel Kant in seinem Hauptwerk „Kritik der reinen Vernunft“ (1781) besondere Beachtung. 871 Ebd. 435 4.3 „Genossin seiner Ideale“ – Die Ehefrau als Lebens-, Arbeits- und Kampfgefährtin 872 4.3.1 Zum Leitbild der sozialistischen Ehefrau Wie die Frauenfrage insgesamt, so wurden von der proletarischen Frauenbewegung auch die sich aus Paarbeziehung und Geschlechterspezifität ergebenden Probleme im Sinne der sozialis- tischen Frauenemanzipationstheorie beurteilt. Sie sind genau wie die gegenwärtige Form der bürgerlichen Ehe Ergebnisse einer historischen Entwicklung. Deshalb sind diese Probleme auch nie unabhängig von der Entwicklung von Privatbesitz, Christentum und Kapitalismus zu sehen. Indem die Frau jedoch nach einer adäquaten Erwerbstätigkeit strebte, strebte sie nach einem Bruch mit dem traditionellen Rollenbild. Das Ideal war eine sozialistische Ehegemein- und Genossenschaft, in welcher die Frau dem Manne gleichgestellt war – entweder auch erwerbs- tätig oder als Hausfrau für den Haushalt verantwortlich. Im Falle ihrer Erwerbstätigkeit, so das Ideal, sei die Frau dann auch gewerkschaftlich organisiert und in den politischen und kulturellen Zusammenhängen der Partei aktiv. Am zuträglichsten für eine solche ideale sozia- listische Ehe und damit für den Klassenkampf war es, das der Frau eigene politische Potential auszubilden und zu nutzen. Deshalb wandte sich Anna Blos in ihrem Artikel „Glückliche Ehen“873 gegen das althergebrachte Rezept für eine vermeintlich harmonische Ehe, welches vorsah, dass der Ehemann alles Politische „vor der Türe seines Hauses“874 ablege und die Ehefrau sich nicht dafür interessieren dürfe. Dieses Desinteresse aber sei eben bisher durch das Christentum und die Reduzierung der Frauen auf die „vier K“875 (Kinder, Kirche, Küche, Kleider) stets noch gefördert worden. Besonders angesichts der Integration der Frauenorganisationen in die Partei und damit der Zusammenlegung der getrenntgeschlechtlichen Organisationen wurde 1908 das Geschlechter- verhältnis dringendes Thema. Auch wenn sich im Vorfeld einige Genossinnen und Genossen für die völlige Aufhebung jeglicher weiblicher „Sonderorganisationen“, ja sogar für die Auf- lösung der Frauenzeitungen ausgesprochen hatten876, beschloss die vom 11.-12. September 1908 in Nürnberg stattfindende Frauenkonferenz die Beibehaltung spezieller Einrichtungen, z. B. die der Frauenbildungsvereine und Leseabende. Diesen Einrichtungen wurde jedoch 872 Julie Bebel †. In: GL, 21/ 05/ 21.11.1910/ 68. 873 Blos, Anna: Glückliche Ehen. In: GL, 28/ 17/ 24.05.1918/ 133-135. 874 Ebd., S. 133. 875 Ebd. 876 Vgl. Der Gewerkschaftskongreß zu Hamburg. In: GL, 18/ 14/ 06.07.1908/ 123. 437 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN gegenüber den Parteiorganisationen ein niedrigerer Stellenwert zugeschrieben: Frauenkonferenz und Parteitag beschlossen, dass jede Genossin verpflichtet sei, der sozialdemokratischen Parteiorganisation ihres Ortes beizutreten. Politische Sonderorganisationen der Frauen waren nicht mehr gestattet. Das Weiterbestehen unpolitischer Frauenorganisationen oblag einer gemeinsam gefassten Entscheidung der Genossinnen und Genossen der einzelnen Ortschaften.877 Auch Baader und Zietz – als Beauftragte des Zentralen Frauenbüros – erachteten es als „selbstverständliche Pflicht“878 der Frauen, in die Parteiorganisationen einzutreten. Drei Jahre später betonte Zietz erneut, dass die existierenden Frauenleseabende lediglich einen die Parteiarbeit unterstützenden Charakter hätten. Sie sollten die Frauen „schulen und ih r e K ra f t de r P a r t e i nu t zb a r […] mac hen . “879 Parteipolitische Frauenbildung lag laut Zietz „sowohl im In t e r e s s e de r F rauen , ihrer geistigen Weiterbildung, der Hebung ihres Intellektes, der Festigung ihres Charakters, also der Entwicklung ihrer Per- sönlichkeit und damit der Kräfte, die sie für ihre Befreiung einsetzen müssen, als auch im In t e r e s s e de r P a r t e i , die mutige, willensstarke, aber auch kluge, zielklare K la ss enkä mpfe r inn en und – s oz i a l i s t i s ch e Jugende r z i ehe r braucht.“880 Frauen sollten befähigt werden, ihr Können und Wissen im Interesse der Partei einzusetzen. Paradoxerweise sollte sich gerade in diesem Bereich die bis 1908 aufgezwungene Autonomie als sehr konstruktiv erweisen, denn in den eigenständigen Frauenorganisationen hatten die Frauen gelernt, ihre geschlechtsspezifischen Probleme zu erkennen und ein Selbstbewusstsein zu entwickeln, das sie auch und gerade in den Männerorganisationen brauchten, um diese Probleme anzusprechen und Lösungsvorschläge zu machen.881 Die sozialistischen Frauen kämpften ja nicht gegen die Männer, sondern für ihre Befreiung als Arbeiterinnen gegen den Kapitalismus und der Sieg hierin hätte ersteres wie von selbst mit sich gebracht bzw. erübrigt, da alle nun frei wären. Das selbst von Parteimännern gezeigte frauen- erniedrigende Verhalten übersahen sie dabei geflissentlich, um die Harmonie mit den Genossen nicht zu gefährden.882 877 Vgl. Bericht über die 5. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Nürnberg 1908, S. 485 ff. und ebd., S. 547. 878 Baader, Ottilie / Zietz, Luise: An die Genossinnen Deutschlands! In: GL, 19/ 01/ 12.10.1909/ 1. 879 Zietz, Luise: Die proletarischen Frauen als politisch Organisierte. In: GL, 21/ 09/ 30.01.1911/ 129. 880 Ebd. 881 Vgl. Wurms, Von heute an gibt’s mein Programm, S. 20f. 882 Der Umstand, dass die Klassensolidarität in erster Linie von den Frauen geübt wurde, zeigte sich nach Freier be- sonders nach 1908, während die proletarische Frauenbewegung immer mehr in die SPD-Strukturen integriert und auf die Parteilinie eingeschworen wurde (ebd., S. 213). Freier schreibt dabei die antifeministischen Verhaltens- 438 4.3.1 ZUM LEITBILD DER SOZIALISTISCHEN EHEFRAU Es war nach Freier die „spezifische Tragik einer Bewegung, die sich als Frauenbewegung verstand, aber den Geschlechterkampf aus politischen Gründen ablehnte“883. Freier entlarvt damit auch das Festhalten am klassensolidarischen Prinzip als Illusion und taktischen Fehler der sozia- listischen Frauen. Diese hätten nicht erkannt, dass wenn „das Klassenverhältnis die Bedingung der Unterdrückung der Frau [ist], […] allein der Kampf mit den Männern derselben Klasse erfolgversprechend [sei]. Wird hingegen in der Unterdrückung als Geschlechtswesen eine Eigendynamik gesehen, [müsse][…] in eine Befreiungsstrategie auch der geschlechtliche Unterdrückungs- zusammenhang Eingang finden, als Kampf, der dann u. a. gegen die Männer der eigenen Partei hätte geführt werden müssen, […].“884 Freier unterstellt damit der proletarischen Frauenbewegung, zu sehr auf die Verwirklichung des sozialistischen Gleichheitsgrundsatzes gepocht und damit Chancen einer geschlechtssolidarischen Zusammenarbeit vertan zu haben. Aus ihren Forschungsergebnissen heraus erklärt sie konsequent die sozialistische Frauenemanzipationsbewegung für gescheitert und wirft auch der aktuellen Forschung vor, die individual-psychologische Betrachtungsweise innerhalb der Analyse der gesellschaftlichen Strukturen zu vernachlässigen, obwohl dies für die Erklärung von gescheiterten Emanzipationsversuchen in der Geschichte notwendig sei.885 Auch SPD, Gewerkschaften und proletarische Frauenbewegung konnten – in betonter Abgrenzung zur bürgerlichen Frauenbewegung – nicht gänzlich vor den aus den Geschlechterbe- ziehungen resultierenden Problemen die Augen verschließen. So wurde auch innerhalb der proletarischen Frauenbewegung und der „Gleichheit“ Kritik am häuslichen Benehmen der männlichen Genossen geübt. So wie Bebel im November 1901 auf einer Frauenversammlung in Hamburg forderte, dass die Männer ihre Frauen mehr unterstützen sollten886, so formulierte Zietz die konkrete Forderung an weisen nicht einem der beiden Parteiflügel – dem revisionistischen oder dem marxistisch-orthodoxen – zu, son- dern vertritt die These, „daß der ‘proletarische Antifeminismus’ keineswegs ein Phänomen der revisionistischen Linie innerhalb der Partei war, sondern dass er durchgängig sowohl bei Revisionisten und Antirevisionisten verbucht werden konnte, entgegen der in der Literatur zur proletarischen Frauenbewegung weit verbreiteten Meinung“ (ebd., S. 198). In Fußnote Nr. 13, S. 217 nennt sie als VertreterInnen dieser Forschungsmeinung Neef und Thönnessen. 883 Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 1. 884 Freier, Dimensionen weiblichen Erlebens und Handelns, S. 196. 885 Ebd., S. 199. Tatsächlich bin ich bei meinen Recherchen aber auf andere AutorInnen gestoßen, die den individual- psychologischen Aspekt berücksichtigen. Bornemann zum Beispiel führt allgemein an, dass es „leider eines der unerschütterlichen Gesetze der menschlichen Geschichte [sei], daß man innerhalb einer gegebenen Gesellschafts- ordnung keine Verhaltensmodelle vorwegnehmen kann, die sich erst in der nächsten Gesellschaftsordnung realisieren lassen“ (Bornemann, Vorwort des Herausgebers, S. 39). Dies kann man auch als eine grundsätzlich zu- treffende Erklärung des antifeministischen Verhaltens der Parteimänner anführen. 886 Zwei stark besuchte Frauenversammlungen tagten am 20. November in Hamburg. In: GL, 11/ 25/ 04.12.1901/ 196-197; vgl auch: Maurenbrecher, Hulda: Die Arbeiterfrau daheim. In: GL, 14/ 12/ 01.06.1904/ 90-91. 439 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN die proletarischen Massen, dass „Vereinbarungen zwischen Mann und Frau […] der letzteren die Möglichkeit sichern [sollten], von Zeit zu Zeit an den Versammlungen teilnehmen zu können, indem der Mann sie bei der Beaufsichtigung der Kinder ablöst.“887 Diese Art der Forderungen nahmen nach dem Ersten Weltkrieg und dem Redaktionswechsel zu. So wurde u. a. gefordert, dass auch Männern Hauswirtschaftsunterricht erteilt werden müsse.888 Der sozialistische Blick auf Geschlechterverhältnis, Ehe und Sexualität war dennoch kein feminis- tischer Blick. Der Mann war nicht – wie besonders von der radikalen bürgerlichen Frauenbe- wegung definiert – ein egoistischer Unterdrücker. Er sollte der Proletarierin vielmehr Schicksals- und Klassengenosse sein. Im Dienste dieser „Klassenharmonie“ war es Auftrag der proletarischen Frauenbewegung, auch für eine „Geschlechterharmonie“ zu agitieren. Zwar thematisierte die proletarische Frauenbewegung das innerhalb einer ehelichen Beziehung bestehende Unterdrückungsverhältnis, die sozialpsychologischen und ökonomischen Abhängig- keiten, gab diesen Diskussionen aber nicht den ihnen zukommenden Stellenwert. Ein Haupt- interesse lag darin, die beeinträchtigende Wirkung politisch nicht aufgeklärter Ehefrauen auf das politische Engagement ihrer Ehemänner zu analysieren. Die in ihren Rollen und ihrer Unwissen- heit gefangenen Frauen galten allgemein als politischer Hemmschuh. In ihrer unnachahmlichen Art fasste Zetkin dieses Problem in ein anschauliches Bild und sprach ihre LeserInnen zudem direkt an: „Wer von uns hat nicht einen lieben Freund, der sonnensehnsüchtig, mit Adlerflug sich zu den höchsten Höhen emporschwingen wollte. Doch siehe, er paarte sich mit einer Gans, und nach kurzer Mauserung stand der stolze Vogel als simpler Gänserich da, der nicht über den heimischen Hof hinausstrebte und sich an der stillen Stoppelweise genügen ließ. Aus dem Vorwärtsdränger wird ein Stillstehen- der, bald ein Rückwärtsschreitender.“889 Es sei ein Grundsatz, dass „[w]o der Frau die Kraft mangelt, mit dem Manne emporzusteigen, da gleitet in der Regel der Mann zur Frau in die Niedrigkeit und Alltäglichkeit hinab“890. Wesentliches Bildungs- und Leitbildelement für die proletarische Frauenbewegung war es 887 Zietz, Luise: Die proletarischen Frauen als politisch Organisierte. In: GL, 21/ 09/ 30.01.1911/ 129-130. 888 Seifert, Elise: Ohne Titel. In: GL, 29/ 35/ 18.10.1919/ 278-279. (eine in der Rubrik „Gedankenaustausch“ er- schienene Reaktion auf einen Artikel von Anna Blos in Nr. 28 zur notwendigen hauswirtschaftlichen Ausbildung der Mädchen); Bannwarth, Gertrud: Zum Thema Frauenbewegung … In: GL, 32/ 01/ 01.01.1922/ 9; Heilbut, Kurt: Männergedanken zur Frauenkonferenz. In: GL, 30/ 46/ 13.11.1920/ 378; [Wachenheim, Hedwig?] H. W.: Frauengedanken zu den Männergedanken. In: GL, 30/ 48/ 27.11.1920/ 395 (eine kritische Erwiderung auf einen Artikel Heilbuts); Müller, H.: Was soll die Frau dem Manne sein? [I-III]. In: GL, 30/ 47/ 20.11.1920/ 383-384 bis GL, 30/ 49/ 04.12.1920/ 398-400. 889 Zetkin, Der Student und das Weib, S. 26. 890 Ebd. 440 4.3.1 ZUM LEITBILD DER SOZIALISTISCHEN EHEFRAU deshalb, die Frau zu demselben politischen Verständnis zu erziehen, über welches ihr Ehemann verfügte.891 Ein noch besseres Ergebnis war es, wenn „[s]o manche Mutter, so manche Gattin, […] Mann und Kinder mit Klassenbewußtsein erfüllt[e]“892. Diese familiäre Bildungsarbeit war in Augen Zetkins den Leistungen politisch Aktiver durchaus gleichwertig. So war es angestrebtes Ziel, die Frau zu einem höheren politischen Verständnis zu führen, mit welchem sie sowohl innerhalb ihrer Familie als auch innerhalb der politischen Bewegung wertvolle Bildungsarbeit vollbringen konnte. Solche Frauen gehörten dann nicht zu denjenigen, die ihrem Ehemann den Besuch der Parteiversammlung und das Abonnement der Parteizeitung als Zeit- und Geld- verschwendung vorwarfen oder allzu „familienegoistisch“ dachten. Solche Frauen wagten es aber wohl auch selten, von ihrem Mann die Betreuung der Kinder zu verlangen, um selbst einmal eine Versammlung zu besuchen. Blos, sammelte ihre Kenntnisse um die Beschaffenheit einer glücklichen Ehe aus der Erforschung von historischer Paare. Sie vertrat daher die Auffassung, dass gerade solche Ehen als glücklich bekannt seien, „in denen die Frauen die geistigen, sehr oft auch die politischen Interessen ihrer Männer nicht nur geteilt, sondern häufig sogar gefördert“893 hätten. So plädierte Blos dafür, dass man sich freimachen müsse von der „Auffassung, daß die Politik den Charakter verdirbt. Sie kann große Geister zusammenführen trotz verschiedener Rasse, Konfession, Herkunft, wenn sie die ideale Seite der Politik begreifen und ihr leben.“894 Diesem alle Grenzen und Hindernisse überwindenden gemeinsamen politischen Interesse haftete sogar ein Hauch von Romantik an. Es gab also auch innerhalb der Arbeiterbewegung das von Nipperdey allgemein für das 19. Jahrhundert formulierte Idealbild von Liebe und Ehe: „Die Begegnung des Paares hat, so meint man, etwas Schicksalhaftes, Unaus- weichliches, Einmaliges; die Liebe auf den ersten Blick, das Füreinander-Be- 891 Puschnerat formuliert das Erziehungsziel Zetkins und damit verbundene Probleme richtig, aber mit einer deutlich negativen Konnotation: „Die sozialistische Didaktik, die Zetkin für die Arbeiterin entwarf, war kompensatorisches Erziehungswerk an der unfertigen, ja unmündigen Persönlichkeit, orientiert am Ideal des klassenbewussten orga- nisierten und gebildeten Arbeiters. Dieses Erziehungswerk zielte auf Leistungsmaximierung und es war nie abgeschlossen.“ (Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 140). 892 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 166. 893 Blos, Anna: Glückliche Ehen. In: GL, 28/ 17/ 24.05.1918/ 133. Zu diesen Frauen zählte Blos Jeanne-Marie Roland und Lucile Desmoulins (1770-1794). Die Begeisterung für die Sache der Freiheit sei es überhaupt, die viele Menschen zu einer glücklichen Ehe zusammengeführt habe. Folgende Paare, die dieser These Blos‘ ent - sprachen, wurden bereits in den vorhergehenden Kapiteln porträtiert: Luise Otto-Peters und August Peters, Mathilde und Fritz Anneke, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und Karoline Schlegel-Schelling, Rahel Levin und Karl August Varnhagen von Ense, Karoline und Wilhelm von Humboldt. Weitere werden – teilweise maß- geblich auf entsprechende Artikel von Blos gestützt – im Folgenden noch beschrieben. 894 Blos, Anna: Glückliche Ehen. In: GL, 28/ 17/ 24.05.1918/ 135. 441 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN stimmtsein, die absolute Wichtigkeit dieser Liebe, ja die Fehlerlosigkeit des gelieb- ten Wesens, das gehört dazu oder auch die Idee der großen Leidenschaft, die ero- tische Attraktion. Das waren ursprünglich Romanideen, nicht die Wirklichkeit, aber diese Ideen beflügelten die Phantasie, änderten die Wirklichkeit. Die allgemeine Meinung hielt freilich das Bewußtsein fest, daß solche Liebe und Leidenschaft ver- gänglich seien; die Ehe müsse auch oder stattdessen auf Sympathie, auf gefühlsbe- stimmte Gefährtenschaft gegründet werden. Aber das war eben auch neu. Der Sinn der Ehe war nicht mehr Amt, Hilfe, die Erfüllung gesellschaftlicher Rollen, son- dern – schrecklich neu – ‘Selbsterfüllung’, persönliches, individuelles Glück.“895 War die Gefühlswelt proletarischer und bürgerlicher Frauen auch sehr ähnlich – ihr Ehealltag jedoch unterschied sich in vielerlei Hinsicht. Bereits die Anbahnung einer Ehe oder die vorehelichen Beziehungen zwischen Mann und Frau verliefen sehr verschieden. In proletarischen Familien erfolgte die Partnerwahl meist nach persönlichen Neigungen. So konnten laut Mühlberg, eventuell „ethnische und religiöse Bindungen“896 für eine Partnerwahl ausschlaggebend sein, Besitz jedoch habe für ProletarierInnen – im Gegensatz zur bürgerlichen so genannten Kon- venienzehe – eine sehr geringe Rolle gespielt.897. Während es durchaus zu Eheschließungen zwischen Angehörigen verschiedener bürgerlicher Schichten sowie zwischen Großbürgertum und Adel kam, blieben laut Mühlberg ProletarierInnen eher „unter sich“898. In ihrem Kreis war auch der Umgang mit Sexualität – vor allem vorehelicher Sexualität – weniger scheinheilig. Schwangere Frauen wurden nicht sitzen gelassen, uneheliche Mutterschaft war innerhalb der Arbeiterklasse kein Stigma, sondern ein schlichtes, wenn auch wesentliches Versorgungsproblem. 899 Innerhalb der öffentlichen Diskussionen wurde das Thema Sexualität jedoch trotzdem nicht so behandelt wie man es annehmen könnte. Wurden Ehen als „glücklich“ bezeichnet, so galten sie unausgesprochen auch als sexuell erfüllt. Während Sexualität innerhalb der modernen bürger- lichen Frauenbewegung ein zentrales Thema war900, war der Umgang der proletarischen Frauenbewegung mit ihm jedoch sehr allgemein gehalten.901 Die persönliche Ebene gelebter weib- 895 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, S. 118. 896 Mühlberg, Proletariat, S. 69. 897 Nipperdey, der in diesem Punkt jedoch keine Gesellschaftsschichten unterscheidet, konstatiert dagegen, dass die Ehe im 19. Jahrhundert zwar „grundsätzlich auf eigenen Entschluß“ (Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, S. 118) und „auf personalisierter Liebe“ (ebd.) begründet, Letzteres jedoch „natürlich nur in einer materiell weniger belasteten ‘Ober’-klasse möglich“ (ebd.) gewesen sei. Bezeichnenderweise wird die Frauenfrage in Nipperdeys Grundlagenwerk „Deutsche Geschichte 1800-1866: Bürgerwelt und starker Staat“ unter das Kapitel „Familie, Geschlechter, Generationen“ gefasst (vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866). 898 Vgl. Mühlberg, Proletariat, S. 69; siehe auch: Gedicht „Die Spinnerin“ von Gottfried Keller im Anhang. 899 Siehe: Gedicht „An die heilige Jungfrau“ von Karla Herr im Anhang. 900 Siehe: Frauen und Sexualmoral; Stein, Femme fatale – Vamp – Blaustrumpf; Weber-Kellermann, Die deutsche Familie; Flemming, „Sexuelle Krise“ und „Neue Ethik“. 901 Bajohr, Sexualaufklärung im proletarischen Milieu; Usborne, Representation of Abortion in Popular Culture in Weimar Germany; Lipp, Sexualität und Heirat. 442 4.3.1 ZUM LEITBILD DER SOZIALISTISCHEN EHEFRAU licher Sexualität fand keinen Eingang in die Abhandlungen der proletarischen Frauenbewegung oder in die „Gleichheit“. Jedoch waren viele Standpunkte Bebels in „Die Frau und der Sozia- lismus“ und Zetkins in ihrem 1896 erschienen Artikel „Arbeiterinnen pflegen keine Vestalinnen zu sein“902 ganz grundsätzlicher und äußerst progressiver Art.903 In beiden Werken wurden den Frauen sexuelle Bedürfnisse zugestanden und die Institution der Ehe kritisch hinterfragt.904 Die bürgerliche Ehe, besonders die Konvenienzehe, komme lediglich einer Versorgungsinstitution gleich, innerhalb derer die Produktion legitimer Erben garantiert werden solle. Eine solche Form der Ehe sei legale Prostitution ohne echte Gefühle. Zetkin verteidigte das Recht proletarischer Mädchen und Frauen, ihre Gefühle und ihre sexuellen Bedürfnisse frei auszuleben – selbst ohne Trauschein, dafür aber mit „dem Manne […] ihre[r] Neigung“905, in „gegenseitiger Achtung und Sympathie“906. In diesem Artikel prangerte Zetkin zudem den sexuellen Missbrauch von Arbeiterinnen durch ihre Vorgesetzten an und kritisierte die Doppelmoral des bürgerlichen Mono- gamie-Begriffs. Prostitution und einhergehende Geschlechtskrankheiten wurden als Auswüchse der kapitalistischen Gesellschaft und ihrer Doppel- bzw. Unmoral erachtet.907 Der proletarischen Klasse und der proletarischen Frau dagegen wurden eine höhere Moral zugeschrieben. Bebel und Zetkin idealisierten sie, doch sie entsexualisierten sie nicht.908 Jedoch änderte sich die Betrachtung proletarischer Sexualität in der „Gleichheit“ nach dem Ausscheiden Zetkins grundlegend. Die Thematik büßte ihre systemkritische Qualität weitgehend ein und wurde auch von MitarbeiterInnen wie Anna Mosegaard, die als junges Dienstmädchen selbst eine Vielzahl sexueller Belästigungen durch ihre männlichen Arbeitgeber hatte ertragen müssen909, 902 Arbeiterinnen pflegen keine Vestalinnen zu sein. In: GL, 06/ 06/ 18.03.1896/ 41-42. 903 Laut Puschnerat ist es jedoch problematisch, „Zetkin aus heutiger Perspektive als ‘Feministin’ […] zu verstehen […], wenn man zum Grundbestand feministischer Theorie das Recht der Frau auf autonome Selbstbestimmung zählt“ (Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 157). Denn nach Puschnerat schloss „Zetkins Kollektivismus […] eine eigenständige Entwicklung weiblicher Lebensentwürfe von vornherein aus“ (ebd., S. 158). Sexualität als individuelles Interesse der Frau hätte eventuell gegensätzlich zum Klasseninteresse stehen können. 904 Der Einfluss nietzeanischen Gedankenguts, so Puschnerat, mache sich in Zetkins Vorstellung über Sexualität deutlich. Sie forderte eine sittliche und geistige Zügelung der Sexualität und war gegen die „freie“ Ehe – damit de facto auch gegen die von den ProletarierInnen praktizierte Sexualmoral. Zetkins Eheideal sei strikt monogam, voller Selbstdisziplin und erotische Askese mit einem gemeinsamen Ideal als Grundlage (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 152). Auf Zetkins Artikel „Arbeiterinnen pflegen keine Vestalinnen zu sein“ nimmt Puschnerat keinen Bezug. 905 Arbeiterinnen pflegen keine Vestalinnen zu sein. In: GL, 06/ 06/ 18.03.1896/ 41. 906 Ebd. 907 Vgl. Beavan/Faber, Wir wollen unser Teil fordern, S. 238. 908 Siehe: Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Arbeiterinnen pflegen keine Vestalinnen zu sein. In: GL, 06/ 06/ 18.03.1896/ 41 und vgl. Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 109. 909 Mosegaard, Anna: Die „unsittlichen“ Dienstboten? In: GL, 22/ 02/ 23.10.1911/ 31. 443 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN mit Stereotypen damaliger Moralvorstellungen vom „anständigen Mädchen“910 gespickt.911 In ihrem 1921 erschienenen Artikel beschrieb sie, wie sie selbst ihre Tochter und ihren ältesten Sohn sexuell aufklärte. Ihr Anliegen dabei war es aber, sie vor allem vor den Gefahren von Geschlechtskrankheiten zu schützen, nicht ihre Vorbereitung auf ein erfülltes Sexualleben. In den Mutter-Kind-Gesprächen wurde nicht auf Probleme wie „Das erste Mal“ oder den eigenen, noch unbekannten Körper eingegangen, sondern auf die Übertragungsweisen von Geschlechts- krankheiten – und das so „körperlos“ wie möglich. Da war von dem „Teufel Alkohol“912 die Rede und seinem Beitrag zur Verbreitung der heimtückischen Geschlechtskrankheiten. Die ohnehin durch den Krieg dezimierte Bevölkerung galt als in ihrem gesunden Bestand gefährdet, deshalb hatte sexuelle Aufklärung im Allgemeinen eine bevölkerungspolitische Intention. Auch wenn Mosegaard betonte, wie wichtig es sei „‘über solche Sachen mit den jungen Leuten [zu] reden’“913 [Hervorhebung von M.S.], so sah sie doch für Jungen und Mädchen einen sehr unterschiedlichen Aufklärungsbedarf. Mädchen hätten eine wesentlich größere Reife und Selb- ständigkeit. Und selbst wenn sie diese nicht hätten, so hielten sich die anständigen Mädchen doch bereits aus „Angst vor dem ‘Mutterwerden’ […] rein“914 und entsprachen so zwangsläufig den gesellschaftlichen Kodizes. Mütter wie Mosegaard gaben ihren Töchtern Folgendes mit auf den Weg: „Ein Mädchen ist wie eine weiße Schürze, ist erst ein Fleck daran, ist die ganze Schürze verdorben.“915 Wenn Sexualität demnach auch nicht zu den Tabuthemen sozialdemokratischer Diskussionen gehörte, so doch bestimmte Teilbereiche. Nicht nur in der traditionellen Öffentlichkeit der SPD, in Presse, Agitationsschriften und Versammlungen wurden die Frage der Empfängnisverhütung, die rollenstereotype Arbeitsteilung im Haushalt und die Gewalt gegen Frauen tabuisiert916, auch die proletarische Frauenbewegung maß diesen sich aus Paarbeziehungen ergebenden Problemen kaum Bedeutung zu. Im Vordergrund stand vielmehr, dass sich mit dem Wunsch der meisten Proletarier nach einer anderen, besseren Gesellschaft auch Vorstellungen eines ganz privaten 910 Mosegaard, Anna: Ein Wort an unsere Mütter. In: GL, 31/ 01/ 01.01.1921/ 3-5. 911 „Mit der endgültigen Konversion der SPD zur ‘Ordnungspartei’ verkümmerte die sozialdemokratische Frauenbe- wegung weitgehend zu einer Organisation für Wohlfahrtspflege. Hatte die sozialdemokratische Frauenbewegung seit je nur zögernd sexuelle Tabus der bürgerlichen Gesellschaft angegriffen, so identifizierte sie sich nun fast völlig mit deren repressiven Moralvorschriften.“ (Merfeld, Die Emanzipation der Frau in der sozialistischen Theorie und Praxis, S. 78). 912 Mosegaard, Anna: Ein Wort an unsere Mütter. In: GL, 31/ 01/ 01.01.1921/ 3. 913 Ebd. 914 Ebd., S. 4. 915 Ebd. 916 Soder, Hausarbeit und Stammtischsozialismus, S. 70. 444 4.3.1 ZUM LEITBILD DER SOZIALISTISCHEN EHEFRAU Glückes verbanden, die kleinbürgerlich geprägt waren. „Vor der Zeit verblüht und gealtert, überflutet von Arbeit, Kindersorgen und Krankheit, mit einem schlecht verdienenden Mann, den oft das Elend im eigenen Hause in die Kneipe trieb“917, so Weber-Kellermann, „konnte es für diese Frauen nur eine Wunschvorstellung geben: das bürgerliche Familienidyll mit der nicht arbeitenden sorglosen Hausfrau.“918 Indem sich die „Gleichheit“ anfangs vornehmlich an die erwerbstätigen Proletarierinnen gewandt hatte, hatte sie diesem Rollenbild bewusst nicht entsprechen wollen. Die proletarische Familie sollte weniger Ort eines „persönlichen Glücks“ oder eines Familien- egoismus sein, sondern Ort des gemeinsamen Klassenkampfes von Mann und Frau und Erziehung der Kinder zum Sozialismus. Die proletarische Familie hatte Bollwerk zu sein gegen „die bürger- liche Indoktrination durch Kirche und Schule“919. Doch auch die „Gleichheit“ konnte nicht umhin, den Wunschvorstellungen ihrer Leserinnen zu entsprechen – z. B. durch die Einführung der Beilagen. Nach dem Redaktionswechsel kam hinzu, dass man sich angesichts der veränderten Position als systemtragende Partei von gar zu radikalen sozialistischen Positionen distanzieren musste. So war „Gleichheit“-Autor Wilhelm Soldes der Meinung, dass „[g]egen die Bestrebungen törichter Menschen, die aus Unkenntnis der Entwicklungsgeschichte des Menschengeschlechtes und der Formen seines geschlechtlichen Lebens die Frau als eine Sache zum Gemeineigentum machen wollen, […] nicht energisch genug Stellung genommen werde[…].“920 Soldes lehnte sich jedoch in seinen Ausführungen deutlich an das auch unter Zetkin vertretene Eheideal an: „Die n e u e Ehe, wie wir sie erstreben, soll nicht nur dem einen Zweck der Befriedigung des physischen Bedürfnisses dienen, sondern sie soll mehr sein: die innige seelische Gemeinschaft zweier sich gleichberechtigt gegen - überstehender Menschen.“ 921 Sogar die Kritik an einer „kapitalistisch-orientierten Ehe, der ‘Zwangsehe’“ sah Soldes als notwendig an und sah die „Ablösung […] durch die innige seelische und physische Ehegemein- schaft, die f r e i e s o z i a l i s t i s c h e E i n e h e , in der Mann und Frau als ganze Menschen gleichberechtigt zusammenstehen“922 voraus. 917 Weber-Kellermann, Die deutsche Familie, S. 140f. 918 Ebd. Soder beschreibt dieses Idyll ironisch: „Familienleben meinte – für Sozialdemokraten und Bürger gleicher- maßen – ein trautes warmes Heim, möglichst mit pfeiferauchendem Vater, dem die strickende Mutter die Pantoffeln reicht, artig angestrahlt von rotbackigen Kindern, […]“ (Soder, Martin: Hausarbeit und Stammtisch- sozialismus, S. 25). 919 Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität und Utopie, S. 41. 920 Soldes, Wilhelm: Sozialisierung der Frau oder sozialistische Ehe? In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 340-341, S. 341. 921 Ebd. 922 Ebd. 445 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Einen weniger sozialistischen, sondern beinahe esoterischen Tenor hat folgendes, in der „Gleichheit“ von Max Dortu [d.i. Karl Neumann] (1878-1935)923 publiziertes Gedicht: „Gleichheit / Der Mann ist nicht größer als die Frau. / Der Mann steht nicht über der Frau: der Mann steht neben der Frau! / Mann und Frau sind ergänzende Hälften der Einheit Mensch. / Nur diese zweigeteilte Einheit zeugt das Kind. / Die Seele der Frau ist Sonnenflug. Die Seele des Mannes ist mehr Erdtrieb. Frauenseele und Mannesseele zusammen sind der Maßstab am kosmischen Gedanken. / Wessen Dünkel die Frau überfliegen will: dessen Sturz in den Abgrund des Nichterkennens ist sicher. / Gleichheit zwischen Mann und Frau – nicht im Charakter – aber im Seelenwert: das ist das sternhintragende Schwingenpaar erkannten Menschen- tums!“924 Die nun folgenden biographischen Skizzen heben wie auch einige zuvor dargestellte Frauenbiographien „weiblicher Vollmenschen“ das Ideal der Genossenschaft von Mann und Frau hervor. Sie geben einen Eindruck von dem „Zweisamkeitsideal“, wie es in der „Gleichheit“ de- finiert wird. Meist handelt es sich dabei um die legitimierte Form der Lebensgemeinschaft, die Ehe, und nicht um eheähnliche Gemeinschaften bzw. „wilde Ehen“ wie die von Clara und Ossip Zetkin oder von Mary Wollstonecraft (1759-1797) und Imlay. Diese Form des Zusammenlebens war, wenn auch in der Arbeiterklasse akzeptiert, eher ungewöhnlich. Auch eine tolerante Ehe wie die von Wilhelm und Karoline von Humboldt findet sich in den biographischen Skizzen kein zweites Mal. Dies spricht einerseits für die große Bedeutung des Treuebegriffs innerhalb sozialis- tischer Partnerschaftsvorstellungen, doch haftete andererseits einer Scheidung im Proletarier- milieu nichts Verwerfliches an. So vollzog die „Gleichheit“, wie es Gomard sehr zutreffend ausdrückt, „eine Gratwanderung zwischen überkommener bürgerlicher Moral und Ansätzen zu einer alternativen Moral auf sozialistischer Grundlage“925. Diejenigen Frauen, die hier dem Frauenleitbild der sozialistischen Ehefrau zugeordnet wurden, sind keine Ehefrauen der Art einer Jeanne-Marie Roland, die ihren Ehemann an gesellschaft- lichem Einfluss deutlich überragte. Es sind meist Ehefrauen, die sich auszeichneten, weil sie an der Seite ihres Ehemannes standen – auch wenn sie selbst nicht öffentlich wirksam wurden. Es verkörperte diejenige Frau das sozialistische Ideal einer Ehefrau und Mutter, die es schaffte, keine ihrer „naturgegebenen“ Aufgaben zu vernachlässigen, während sie sich außerdem politisch bildete und engagierte. Ein Ideal, das unter den gegebenen Arbeits- und Lebensbedingungen nahezu 923 Max Dortu war das Pseudonym des Arbeiterdichters Karl Neumann und bezog sich auf den im Alter von 22 Jahren in Freiburg i. Br. hingerichteten 1848er Revolutionär Johann Maximilian Dortu (1826-1849). 924 Dortu, Max: Gleichheit. In: GL, 32/ 16/ 15.08.1922/ 151. 925 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 37. So wie die Frauenfrage Anhängsel der poli- tischen Theoriebildung geblieben sei, sei das sozialistische Eheideal durch und durch bürgerlich geprägt gewesen (vgl. Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 85). 446 4.3.1 ZUM LEITBILD DER SOZIALISTISCHEN EHEFRAU unmöglich erschien. Zwar findet sich, wie Gomard treffend feststellt, „[a]n keiner Stelle […] ein Hinweis darauf, daß die Ehemänner etwa im Haushalt mitgeholfen hätten“926, doch gibt es viele Beispiele für Ehemänner, die der Hemmschuh für das politische Engagement ihrer Frauen waren. Diese Beispiele lassen sich sowohl in den Biographien der „Gleichheit“- MitarbeiterInnen als auch in den Biographien „weiblichen Vollmenschen“ und „Klassenkämpferinnen“ finden. Die nun folgenden biographischen Artikel konnten den „Gleichheit“-Leserinnen kaum Wege aus dem dargestellten Dilemma der Doppelbelastung aufzeigen, aber den Stellenwert gemeinsamer politischer Ideale untermauern. Das Leben vieler historischer Frauenpersönlichkeiten wäre in Vergessenheit geraten, hätten es die idealen Ehemänner nicht zumindest in ihren Memoiren gewürdigt. 926 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 35. 447 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN 4.3.2 Die Genossin seiner geistigen Ideale Einige der bereits portraitierten Frauen hatten ihren Lebensweg gekreuzt: Christiane Goethe- Vulpius (1765-1816). Auffälligerweise wird die Ehefrau des berühmten Dichters Johann Wolf- gang von Goethe nur in wenigen biographischen Beschreibungen mit eben jenem Doppelnamen bezeichnet.927 In dem bereits vorgestellten „Gleichheit“-Artikel zum Leben Katharina Elisabeth Goethes stellte Wittich fest, dass Geschichte und Literaturgeschichte von ihr als „Christiane von Goethe“ spreche. Diesen Namen sah er nicht nur deshalb als gerechtfertigt an, weil „der Weimarer Olympier […][sie] sich kirchlich antrauen ließ“928, sondern weil er für das besondere Verhältnis der beiden Menschen zueinander stehe. Nicht nur, weil ich mich im Folgenden vornehmlich auf den Artikel „Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung“929 von Anna Blos beziehe und um Verwechslungen vorzubeugen, sondern auch in Hinblick auf die vielen Jahre, die das Paar in einem freien Liebesverhältnis lebte, werde ich in dieser Arbeit den weniger gebräuchlichen Doppelnamen verwenden. Blos gab ihrem Artikel den bezeichnenden Untertitel „Eine Rechtfertigung“, weil sie denjenigen Lästerzungen entgegenwirken wollte, die von Goethe-Vulpius wie von so manchen anderen Persönlichkeiten nur ein „verzerrtes Bild“930 in die Welt gesetzt hätten.931 Dennoch bezog sich Blos auf den Weimarer Klatsch der damaligen Zeit und teilte den „Gleichheit“-Leserinnen mit, Goethe-Vulpius‘ Vater sei „an Trunksucht zugrunde gegangen“932. Während er seinem Sohn Christian eine gute Bildung zukommen ließ, war die seiner Tochter Christiane eine sehr mangel- hafte. Goethe-Vulpius wurde Arbeiterin in einer Blumenfabrik. Es konnte also kaum eine umfassende Bildung sein, die Goethe später an ihr schätzen würde. Vielmehr sei es, so Blos, der „tiefweibliche[…] Gehalt ihres Wesens“933 gewesen, der den Dichter faszinierte. Dies wohl schon an dem Tag, an dem dieses Fabrikmädchen eine die Anstellung des Bruders betreffende Bittschrift 927 So z. B. in: Weissensteiner, Die Frauen der Genies. 928 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 10/ 07.05.1902/ 76. 929 Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/ 01/ 11.10.1918/ 6-7; GL, 29/ 02/ 25.10.1918/ 13-14. 930 Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/ 01/ 11.10.1918/ 6. 931 Auch das von Etta Federn (1883-1951) verfasste Werk „Christiane von Goethe. Ein Beitrag zur Psychologie Goethes“ (1916), welches bereits im selben Jahr in zweiter Auflage erschien, sei, so Blos, „ein dankenswertes Unternehmen, […] solchen Persönlichkeiten zu ihrem Recht zu verhelfen und klarzulegen, daß sie besser waren als ihr Ruf“ (ebd.). Es wäre daher sehr aufschlussreich, die Werke anderer BiographInnen mit den Artikeln und Werken Blos‘ direkt zu vergleichen. So würden die Gegensätze von sozialistischer und bürgerlicher Geschichts- schreibung noch deutlicher aufgezeigt. 932 Ebd. 933 Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/ 01/ 11.10.1918/ 6. 448 4.3.2 DIE GENOSSIN SEINER GEISTIGEN IDEALE an den „mächtigen Minister“ Goethe überbrachte und ihm so zum ersten Mal begegnete.934 Zu Beginn war Goethe-Vulpius „nur“ Goethes „Bettschatz“935 und die Mutter einiger früh verstorbener gemeinsamer Kinder sowie schließlich der Söhne August und Wolfgang. Dennoch wurde sie, wie man aus entsprechenden Briefen erfahre, auch von Beginn an von Goethes Mutter Katharina Elisabeth vollauf akzeptiert und gemocht.936 1801 erkrankte Goethe lebensgefährlich. Nur die, so Blos, „aufopfernde Pflege“937 seiner Ehefrau habe ihn gerettet. Fünf Jahre später rettete sie ihm erneut das Leben, indem sie sich tapfer zwischen ihn und französische Marodeure warf.938 Im selben Jahr – dem Jahr der Schlacht von Jena, dem Geburtsjahr des gemeinsamen Sohnes Wolfgang – erfolgte die kirchliche Trauung und damit die Legitimierung ihrer Liebesbeziehung. Die Trauung war ein rein formaler Akt. Er habe, so hier die Meinung Wittichs, weder der Beziehung „einen Deut tiefere Bedeutung und höhere Weihe“939 verleihen können als sie ohnehin bereits hatte, noch habe er Goethe-Vulpius in den Augen der Weimarer Öffentlichkeit rehabilitiert. Die eingangs erwähnten Lästerzungen schwiegen nicht still und hätten dies wohl auch nicht, selbst wenn das freie Liebesverhältnis bereits früher legitimiert worden wäre.940 Zu diesen gehörte vor allem Goethes ehemalige Geliebte Charlotte von Stein, „die mit dem feinen weiblichen Empfinden früher als Goethe selbst erkannt[…] [habe], daß seine Liebe zu Christiane mehr bedeutete als nur sinnliches Hinneigen“941 und deshalb große Eifersucht empfand. In seinem Artikel zum Leben der Mutter Goethes bemühte sich Wittich, das Bild Goethe-Vulpius‘ als das einer dem Genie untergeordneten Persönlichkeit zu widerlegen. Aus den Briefen Goethes ginge klar hervor, dass sie „die ihm ‘Bestimmte’“942 gewesen sei. Blos war ähnlicher Meinung, als sie schrieb, dass sich Goethe-Vulpius mit dem ihr eigenen „einfachen natürlichen Scharfblick“943 934 Vgl. ebd. 935 Ebd. 936 Vgl. ebd. 937 Ebd. 938 Vgl. Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 10/ 07.05.1902/ 76. 939 Ebd. 940 Vgl. ebd. 941 Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/ 01/ 11.10.1918/ 6. Blos erachtete es als sehr auffällig, dass Goethe-Vulpius im Briefwechsel der beiden Freunde Goethe und Schiller keinerlei Rolle gespielt habe und dass selbst nachdem Schiller ihr seinen Sohn manches Mal zur Obhut gegebenen hatte, sich kein Dank oder Gruß an sie finden lasse. Dieses kühle Verhalten Schillers sei auf den Einfluss zurückzuführen, den Stein auf Schillers Ehefrau Charlotte (1766-1826) gehabt habe (vgl. ebd., S. 13). Tatsächlich war Stein die Patin Charlotte Schillers. 942 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 11/ 21.05.1902/ 84. 943 Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/ 02/ 25.10.1918/ 14. 449 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN „als tapfere Mitkämpferin im Kampfe gegen Dummheit und Bosheit an seiner Seite in vollem Maße bewährt“944 habe. Charlotte von Stein sah in ihr jedoch nur „‘eine Dirne, eine ungebildete dumme Köchin, eine Säuferin’“945. Was Goethe-Vulpius im Gegenzug von Stein dachte, behielt sie laut Blos für sich – wie sie auch sonst nie Böses über andere gesprochen haben soll.946 Auch in anderer Hinsicht legte sich Goethe-Vulpius ein sehr dickes Fell zu und trug in großer „Selbstlosigkeit […] alle Sorgen allein“947. Erst dann, wenn jeder Kummer überstanden war, habe sie den oft abwesenden Goethe über die nun gelösten Probleme informiert. Ein Merkmal ihrer Ehe, die jedoch m. E. wenig von einer Partnerschaft hat. Goethe-Vulpius bereitete ihrem auf seinen Reisen „von schönen und geistreichen Frauen“948 umworbenen Gatten ein besonderes Heim, was ihn schreiben ließ: „‘Von Ost nach Westen, zu hause am besten.’“949 Auch auf seine künstlerische Arbeit hatte sie inspirierenden Einfluss und manche Frauengestalten tragen ihre Charakterzüge – das Gretchen im „Faust“ oder das Klärchen im „Egmont“ (1788). Laut Blos stand für die Biographin Ella [d.i. Etta] Federn (1883-1951) deshalb Folgendes fest: „‘Und wenn wir von Christiane gar nichts wüßten, als daß Goethe ihr die Meta- morphose der Pflanzen schrieb, es wäre Grund genug, sich mit ihr zu beschäftigen und in ihr Wesen einzudringen.’“950 Demnach bestand Goethe-Vulpius‘ Verdienst bereits darin, als Muse des großen Dichters gewirkt zu haben. Entscheidende Erkenntnis der proletarischen Leserinnen konnte demnach sein, „daß Goethes tiefste und einzig dauernde Neigung dem Kind aus dem Volke gegolten hat, über das auch heute noch viele die Nase rümpfen möchten“951. Selbst, wenn es wie im Falle Charlotte von Steins nur die „Strahlen der Dichtersonne“952 waren, die dem Vorbild Goethe-Vulpius‘ Glanz verliehen, dürfte jede Proletarierin dank dieser grundsätz- lichen Aussage und dieses Vorbildes einen gewissen Stolz empfunden haben. Es war die 1873 erschienene Autobiographie ihres zweiten Ehemannes John Stuart Mill, die dem Leben, dem Wirken und der Persönlichkeit Harriet Taylor-Mills (1807-1858) ein Denkmal 944 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 11/ 21.05.1902/ 84. 945 Charlotte von Stein zit. nach: Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/ 02/ 25.10.1918/ 14. 946 Vgl. ebd. 947 Ebd., S. 13. 948 Ebd., S. 14. 949 Johann Wolfgang von Goethe zit. nach: Ebd. 950 Ella Federn zit. nach: Ebd. 951 Ebd. 952 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts. Charlotte von Stein. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 338. 450 4.3.2 DIE GENOSSIN SEINER GEISTIGEN IDEALE setzte.953 Diese Autobiographie war auch die Grundlage für einen vermutlich von Zetkin verfassten biographischen Artikel. Zu Beginn hielt sich Zetkin darin auffällig mit jeder Wertung zurück und formulierte scheinbar um Objektivität bemüht: „Sie muß eine außerordentliche Frau gewesen sein, werth der Liebe und Freund- schaft ihres bedeutenden Mannes.“954 Es scheint, dass Zetkin an dieser Stelle kein endgültiges Urteil über Taylor-Mill hatte fällen wollen. Im gleichen Augenblick aber machte sie die Bedeutung, die Taylor-Mill für ihren Ehe- mann hatte, zum Maßstab ihrer Beurteilung. Es ist anzunehmen, dass Zetkins ganzes Wissen um das Leben Taylor-Mills nur auf den subjektiven Erzählungen des Ehemannes basierte und ihr Urteil deshalb so zögerlich ausfiel. Ihren Leserinnen legte sie ans Herz, sich selbständig mit dieser Autobiographie zu beschäftigen.955 Im Folgenden zitierte Zetkin einen großen Abschnitt jener Autobiographie Mills, machte jedoch keinerlei Angaben zu der von ihr herangezogenen Ausgabe oder Übersetzung. Mill beschrieb, wie die Freundschaft mit seiner späteren Ehefrau „‘Ehre und […] Hauptsegen [s]eines Daseins’“956 wurde. Auch sei diese Freundschaft „‘die Quelle von Vielem’“ gewesen, was er „‘zur Hebung der Menschheit versucht habe oder noch zu erzielen hoff[t]e’“957. Eine Freundschaft, die 1830 begann und erst 22 Jahre später in einer Ehe mündete. Harriet Taylor-Mill wurde als Harriet Hardy in London geboren. Ihren Charakter hätten schon früh ein stetiges Streben nach „‘Selbstveredelung’“, nach einem „‘inneren Aufschwung’“ und eine „‘Bereicherung an Weisheit’“958 ausgezeichnet. Mills Bemerkung, sie habe bis zu ihrer Bekannt- schaft mit ihm „‘den hergebrachten Typus des weiblichen Genius entfaltet’“959 [Hervorhebungen von M.S.], scheint auf die Rolle hinzudeuten, die er bei ihrer geistigen Entwicklung spielte oder gespielt zu haben meint. Sie sei eine „‘geistvolle Schönheit mit einem Zug von natürlicher Distinktion’“960 gewesen und für ihr näherstehende Menschen „‘ein Weib von tiefem, starkem Gefühl, einem eindringenden, schnell auffassenden Verstand und hervorragend beschaulichem, poetischem Wesen’“961. 953 Diese Autobiographie trug den schlichten Titel „Autobiography“. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass Zetkin die Originalausgabe verwandte. 954 John Stuart Mills Frau. In: GL, 06/ 05/ 04.03.1896/ 38. 955 Vgl. ebd. 956 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 957 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 958 John Stuart Mill zit. nach: Ebd., S. 39. 959 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 960 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 961 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 451 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Umso unverständlicher erscheint Taylor-Mills frühe Heirat mit John Taylor. Dieser sei, so das Ur- teil ihres zweiten Ehemannes, zwar ein ehrenhafter, liberal eingestellter und gut erzogener Mensch gewesen sei, jedoch ohne jegliches intellektuelles und künstlerisches Interesse. Wenn John Taylor deshalb auch kein „‘harmonische[r] Gefährte[…]’“962 für Taylor-Mill habe sein können, so sei ihr Verhältnis dennoch ein sehr gutes gewesen und Taylor-Mill habe ihrem Ehemann ehrlich und treu angehangen.963 Schon bald, nachdem Mill Aufnahme in den Freundeskreis des Ehepaares gefunden hatte, habe er erkannt, dass Taylor-Mill all jene Eigenschaften in sich vereinte, die er bei all seinen Bekannten stets nur partikulär vorgefunden habe: „‘Bei ihr stammten die vollständige Freiheit von Aberglauben jeder Art und das ernste Zurückweisen vieler Dinge, die noch einen Theil der hergebrachten Gesell- schaftseinrichtungen bilden, nicht aus einem starren Verstand, sondern aus der Kraft eines edlen, gehobenen Gefühls und konnten recht wohl bestehen neben einer Natur, die mit Achtung für alles Edle und Hohe erfüllt war.’“964 Taylor-Mill habe zudem eine besondere Auffassungsgabe besessen, die sie in die Lage versetzte, den Gedankenfaden Mills aufzunehmen. Er habe ihr „‘in intellektueller Beziehung’“965 sehr viel zu verdanken. Oft habe er Lob geerntet, welches zum Teil ihr anzurechnen sei. Neben ihrem Verstand, mit dem sie sehr schnell und umfassend das Prinzip einer Idee erfassen konnte, habe sie eine „‘feurige und zarte Seele’“966, „‘lebhafte Beredsamkeit’“967, „‘eine tiefe Kenntniß der Menschennatur und eine große Klugheit und Unterscheidungsgabe im praktischen Leben’“968 besessen. All dies überzeugte Mill davon, dass seine Gefährtin „‘in den Zeiten, die den Frauen eine weite Laufbahn erschließt, eine hochstehende Rolle hätte spielen müssen unter den Lenkern des Menschengeschlechts’“969. Auch wenn ihr diese Karriere versagt blieb, so stellte sie doch all ihre intellektuellen Fähigkeiten, so Mill, in den „‘Dienste eines moralischen Charakters’“970. Es scheint, als habe Taylor-Mill ein harmonisches Gleichgewicht gelebt, das man entsprechend der Zetkin‘schen Thesen auch als „weibliches Vollmenschentum“ bezeichnen könnte. Dazu gehört auch ihre große „‘Selbstlosig- 962 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 963 Vgl. ebd. 964 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 965 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 966 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 967 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 968 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 969 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 970 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 452 4.3.2 DIE GENOSSIN SEINER GEISTIGEN IDEALE keit’“971, die laut des analytischen Urteils Mills „‘nicht die eines angelernten Systems von Pflichten [gewesen sei], sondern der Ausfluß eines Herzens, das die Gefühle Anderer zu den eigenen machte, ja wohl darüber hinausging, indem sie diese Gefühle imaginativ mit der Innigkeit der ihrigen bekleidete’“972. Taylor-Mill war demnach ein sehr intuitiver, empathischer und auch altruistischer Mensch. So seien all ihre selbstlosen Taten aus einem „‘schrankenlosen Edelmuth’“973 und einer „‘Fülle von Liebe’“974 heraus geschehen. So, wie sich ihre intellektuellen Eigenschaften harmonisch mit ihren moralischen Charakterzügen ergänzten, stand alles zusammen im Einklang mit den Eigenschaften ihres Geistes und Herzens. Taylor-Mill vereinte in sich, so Mill, „‘die echteste Bescheidenheit in Verbindung mit dem edelsten Stolz, die größte Einfachheit und Aufrichtigkeit gegen Alle, die sich dafür empfänglich zeigten, die tiefste Verachtung gegen das Gemeine und Feige, und ein glühender Unwille über alles Rohe und Tyrannische, Treulose oder Unehrenhafte im Benehmen und Cha- rakter’“975. Doch noch war diese so leidenschaftlich verehrte Frau und Mutter einer Tochter die Ehefrau eines anderen und Mill nur ein Freund und häufiger Gast der Familie. Seine Besuche, die anfangs wirklich nur aus Anhänglichkeit und Freundschaft motiviert gewesen seien, fanden oft in der Ab- wesenheit Taylors statt. Sehr leicht hätten sie Ursache für Eifersucht und Klatsch sein können, doch Taylor-Mill setzte sich ohne zu zögern über jede böswillige Deutung und jeden gesellschaftlichen Dünkel hinweg. 1849 verunglückte Taylor tödlich. Mill, der Freund der Familie, fasste nun den Entschluss, „‘den Unfall zu [s]einem Besten zu wenden’“976. Der bereits bestehenden „‘Gemeinschaft des Denkens, Fühlens und Schreibens’“ habe er „‘die Vereinigung [ihres][…] ganzen Daseins hinzufüg[en]’“977 wollen. 1851 heiratete er Taylor-Mill, die bereits siebeneinhalb Jahre später während eines Aufenthaltes in Frankreich an einer Lungenentzündung starb. Zetkin sah die Notwendigkeit, zusätzlich die Widmung, die Mill in seinem Buch „Ueber die Freiheit“ (1859) veröffentlicht hatte, wörtlich wiederzugeben. Es habe darin ihr Ehemann Taylor- Mill „ein schönes Denkmal […] gesetzt […], das ebenso für sie als für ihn spr[eche]“978. Es war 971 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 972 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 973 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 974 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 975 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 976 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 977 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 978 Ebd. 453 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN dem Philosophen Mill ein großes Bedürfnis, auf diese Weise die Unterstützung, die er von seiner Ehefrau beim Schreiben und Korrigieren seiner Schriften erfahren hatte, besonders heraus- zustellen. Er widmete daher sein Werk „‘[d]em geliebten und beweinten Andenken Derjenigen, die Alles, was das Beste in meinen Schriften ist, mir eingegeben und zum Theil selbst geschaffen hat – der Freundin und Gattin, deren hoher Sinn für Wahrheit und Recht mein stärkster Antrieb und deren Billigung mein bester Lohn war, […]. Gleich Allem, was ich seit vielen Jahren geschrieben habe, ist diese Schrift ebenso sehr ihr Werk als das meinige.’“979 Demnach dürfte der Anteil, den Taylor-Mill an den Werken Mills hatte, nicht unwesentlich und über reine Inspiration deutlich hinausgegangen sein. Sie hatte nicht die Rolle einer Muse, sondern einer ebenbürtigen Mitarbeiterin und Mitstreiterin. Ihre Ehe verkörperte die absolute Hingabe für die Ideale des anderen, weshalb Mill in tiefer Trauer schrieb: „‘Meine Lebensziele sind nur diejenigen, die auch die ihrigen waren, meine Beschäftigung die, welche sie mit mir theilte und die mich stetig an sie erinnert. Ihr Andenken ist für mich eine Religion und ihr Beifall meine Richtschnur, nach der ich, da sie alles Würdige und Edle einschließt, mein Leben zu regeln bemüht bin.’“ 980 Hinsichtlich der Fragestellung der vorliegenden Arbeit muss die Darstellung einer solch großen „Gegenliebe“ besonders hervorgehoben werden. Mill drückte seine eigenen Gefühle und eigenen Zielsetzungen in einer Art und Weise aus, wie sie bisher nur für das Leitbild der idealen Ehe frau dokumentiert wurden. Diese Worte eines Ehemannes jedoch dürften die „Gleichheit“-Leserinnen nicht nur emotional berührt, sondern auch das von der proletarischen Frauenbewegung entworfene Eheideal für sie noch erstrebenswerter gemacht haben. 979 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 980 John Stuart Mill zit. nach: Ebd. 454 4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE 4.3.3 Die Genossin seines Kampfes – die Ehefrauen der 1848er-Revolutionäre Anders als Goethe-Vulpius war Anita Garibaldi (1821-1849) keine Frau, die daheim auf die Rückkehr ihres Mannes wartete. Giuseppe Garibaldi, aus dessen 1872 veröffentlichten Memoiren 981 die meisten Informationen für die beiden hier vorzustellenden „Gleichheit“-Artikel stammen982, führte in den 1830er Jahren als der berühmteste Freiheitskämpfer Italiens einen Kampf gegen Papst und Fürsten für eine italienische demokratische Republik. 1834 wurde er gefangen genom- men und zum Tode verurteilt, jedoch gelang ihm die Flucht nach Südamerika, wo er in Brasilien die 18-jährige gebürtige Spanierin Anita Riveras kennenlernte. Der Romanschriftsteller Ratcliffe meinte bereits in ihrem Äußerem besondere Wesenszüge erkennen zu können: „‘Der gebräunte, aber durchsichtig klare Teint, ihres Gesichtes verriet die Kreolin […] Ihr schönes Antlitz verriet bedeutende Willenskraft; das blaue Auge strahlte eine Erregbarkeit des Geistes und Herzens, die nur des zündenden Funkens be- durfte, um zur vollen Flamme emporzuschlagen.’“983 Dieser Funke war schließlich die Selbstverständlichkeit, mit der Giuseppe Garibaldi ihr bereits bei der ersten Begegnung gesagt haben soll, dass sie sein werden müsse. Auf diese unkonventionelle Weise habe er ihr Herz im Sturm erobert. Da die von ihm begehrte, „leidenschaftliche und geistes- starke“984 Frau jedoch bereits verheiratet war, entführte Giuseppe Garibaldi sie kurzerhand und fand in ihr, so die Schriftstellerin Clara Stockinger-Altenhof (?-?)985, „eine Gehilfin im edelsten und besten Sinne des Wortes“986. Genauso wie er selbst sei auch diese Gehilfin „von glühender Begeisterung für die Sache der Freiheit beseelt“987 gewesen. Garibaldi begleitete ihren Ehemann auf all seinen Reisen, in all seine Kämpfe und war ihm eine wahrhafte und wehrhafte Gefährtin. Gemeinsam kämpfte das Paar im Auftrage der Handelsstadt Montevideo, die Giuseppe Garibaldi dafür die Stellung eines Generals anbot. Dies, so Stockinger-Altenhof, habe er jedoch abgelehnt, weil er das einfache Leben eines Soldaten bevorzugte. Die ärmlichen Verhältnisse eines solchen Lebens machten ihm nichts aus – ein Umstand der sich später jedoch rächen sollte. Denn wenn 981 Diese Memoiren verfasste Giuseppe Garibaldi unter Mithilfe des berühmten französischen Schriftstellers Victor Hugo. 982 Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 183-184; Blos, Anna: Anita Garibaldi. In: GL, 17/ 13/ 24.06.1907/ 109-110; GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117. 983 Ratcliffe zit. nach: Blos, Anna: Anita Garibaldi. In: GL, 17/ 13/ 24.06.1907/ 109. 984 Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 183. 985 Die herangezogenen Nachschlagewerke und Datenbanken enthalten keine eindeutigen biographischen Informa- tionen zu Clara Stockinger-Altenhof. Es könnte sich um Clara Anna Therese Stockinger (1863-1949) handeln, die u. a. die Werke „Elternsünden. Ein Beitrag zur Erziehung der Eltern“ (1926) und „Das Buch der Hausfrau. Eine neuzeitliche Haushaltungskunde“ (1929) verfasste. 986 Ebd. 987 Ebd. 455 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN auch Anita Garibaldi laut Stockinger-Altenhof „ohne Murren, ja mit Freudigkeit die Entbehrungen der Armuth“988 ertragen haben soll und diese „so gut es ging durch ihre Arbeit zu lindern suchte“989, dürften diese Lebensumstände doch dazu beigetragen haben, dass ihre kleine Tochter Rosa früh verstarb.990 Der revolutionäre Kampf nahm jedoch keine Rücksicht auf Leid und Trauer und musste trotzdem weitergehen. Während der Abwesenheit ihres Gatten musste Garibaldi das Oberkommando übernehmen, um den Angriff brasilianischer Truppen abzuwehren. Sie habe ihrem Ehemann Dienste geleistet, so nun Anna Blos in einem zweiten Artikel, „wie kaum ein Mann sie hätte leisten können [und][…] stand aufrecht im Stern des Bootes im Kartätschenhagel, ruhig und stolz wie eine Statue der Pallas Athene.“991 Trotz all dieser Gefahren und den Strapazen durch die herrschende Lebensmittelknappheit habe sich Garibaldi eine „tapfere, fröhliche Art und Weise“992 erhalten, mit der sie so manchen mutlos gewordenen Mann beschämte. Sie war, so Blos, der „Engel der Verwundeten“993 und gönnte sich auch als Munitionsträgerin keinerlei Schonung. Sogar hochschwanger habe sie die meiste Zeit im Sattel verbracht.994 1840 wurde ihr Sohn Menotti geboren. Er soll mit einer Narbe am Kopf zur Welt gekommen sein, die von einem Sturz Garibaldis vom Pferd herrührte.995 Blos beschrieb eine abenteuerliche Situation, in der Garibaldi von Feinden umringt, ihrem Pferd die Sporen gab, dem Kugelhagel mit einem Loch im Hut entrinnen konnte und auf der Suche nach ihrem Mann acht Tage durch den Urwald irrte – ihr kleines Kind immer auf dem Arm.996 Bei diesem schwierigen Marsch durch den Urwald habe Garibaldi die Soldaten sogar immer wieder mit ihrem, so Stockinger-Altenhof, „freundliche[n], tröstliche[n] Zuspruch“997 ermuntert. In welch großem Maße Garibaldi das im Rahmen dieser Arbeit besonders hevorhebenswerte „Ideal jener hingebenden, selbstverleugnenden Liebe“998 verwirklichte, zeigt sich auch darin, dass sie 1848 für ihren Gatten ihre Heimat und all das ihr Vertraute verließ. In Italien hatte sich 988 Ebd. 989 Ebd. 990 Blos ließ den Tod der Tochter Rosa unerwähnt. 991 Blos, Anna: Anita Garibaldi. In: GL, 17/ 13/ 24.06.1907/ 110. 992 Ebd. 993 Ebd. 994 Ebd. 995 Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117. 996 Laut Stockinger-Altenhof war Menotti damals drei Monate (vgl. Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 184), laut Blos erst 12 Tage alt (vgl. Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117). 997 Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 184. 998 Ebd., S. 183. 456 4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE mittlerweile die politische Lage grundlegend geändert. Der Papst war geflohen und die neu gegründete Republik brauchte nun jeden Schutz gegen die neapolitanischen, päpstlichen und französischen Truppen. Auch hier machte Garibaldi die Sache ihres Mannes zu der ihrigen, so Stockinger-Altenhof: „[S]ein Gott, sein Ideal, es war ihr Ideal, sein Volk war hinfort ihr Volk, für dessen Befreiung sie Glück und Leben freudig aufs Spiel setzte“999. Sie nahm an allen Feldzügen teil, stand Wache, übernahm oft die Aufgabe eines Hauptmannes oder des Adjutanten ihres Gatten. Allein ihre Gegenwart habe oft dazu beigetragen, so Blos, „den gesunkenen Mut zu heben und alle Anstrengungen vergessen zu lassen“1000. Denn es sei ihre Gegenwart und ihr besonders mutiges und ausdauerndes Beispiel gewesen, die dazu führten, dass sich keiner der männlichen Kämpfer „von dieser Frau beschämen lassen“1001 wollte. Ganz der Sache ihres Gatten angehörend „dachte [Garibaldi] nie an sich selbst“1002, blieb aber „immer und vor allem […] das liebende Weib, die treue Mutter“1003. Die Mutter von mittlerweile drei Kindern – Menotti und die noch in Südamerika geborenen Riciotti und Teresita – hatte diese bei ihrer Schwiegermutter zurückgelassen, um ihren Gatten nach wie vor begleiten zu können.1004 Diese „mutige und liebende Frau“1005, die „lieber an der Seite ihres Gemahls [habe] sterben [wollen], als ohne ihn zu leben“1006, stellte damit sowohl ihre Mutterpflichten als auch ihr Mutterglück hintan. Es war schließlich eine neuerliche Mutterschaft, die sie das Leben kosten sollte. Bereits durch Strapazen und Entbehrungen geschwächt, habe ihr, so Stockinger-Altenhof, „eine zu frühe Niederkunft […] die letzte Kraft“1007 geraubt. Aus Rom geflohen starb sie in der Nähe Ravennas an den Folgen einer Fehlgeburt. Und auch als ihr Gatte die sterbende Garibaldi im Arm gehalten habe, sei keine Klage über ihre Lippen gekommen. Laut Stockinger-Altenhof habe sich „keine Verzweiflung […] sich ihres starken Geistes [bemächtigt], sie [sei] nur von einem Gedanken erfüllt [gewesen]: Garibaldi gerettet und der Sache der Freiheit erhalten zu sehen“1008. 999 Ebd. 1000Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117. 1001Ebd. 1002Ebd. 1003Ebd. 1004Vgl. ebd. 1005Ebd. 1006Ebd. 1007Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 184. 1008Ebd. 457 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Ihr Gatte musste jedoch im Moment ihres Todes fliehen und der Pächter der Meierei, in der ihre Leiche lag, wollte diese so schnell wie möglich verbergen – einerseits um sich selbst nicht zu belasten, andererseits um sie vor Schändungen durch die feindlichen Soldaten zu bewahren. Deshalb habe er sie so überhastet vergraben, dass lange Zeit ihr Grab nicht wiedergefunden werden konnte. Erst nachdem zufällig ein wühlendes Schwein auf ihren Leichnam stieß, habe Giuseppe Garibaldi in Nizza seiner Gattin ein würdiges Grab geben können.1009 Anita Garibaldi war ihrem Ehemann, so Stockinger-Altenhof, „nicht blos die Geliebte, sondern auch die Vertraute, die Gesinnungs- und Kamp- fesgenossin, der treue Kamerad, der von allen Lasten und Mühsalen des Lebens und Streitens seine Hälfte forderte und mit Befriedigung trug“1010. All dies und noch mehr erfährt man aus dessen Memoiren und aus dem Roman „Cantoni il volontario“ (1870), in welchem er seiner verstorbenen Frau in der Gestalt der Ida ein Denkmal setzte. Tatsächlich wurde für Anita Garibaldi –„zur Erinnerung an eine der edelsten Frauen, deren Leben und Sterben dem Dienste der Freiheit geweiht war“1011 – ein Denkmal in Rom errichtet.1012 Das Verhältnis der Gatten zueinander, Garibaldis heroischer Kampf und ihre Persönlichkeit – alles erscheint, so Stockinger-Altenhof, wie „ein liebliches Idyll inmitten eines Heldengedichtes“1013, wie „von reichem romantischem Zauber umwoben, ähnlich einer Heldin, wie sie die Phantasie be- gabter Dichter schafft“1014 und dürfte die „Gleichheit“-Leserinnen in ihrem emotionalen Bedürfnis nach Romantik sehr befriedigt haben. Die Redaktion der „Gleichheit“ präsentierte in Garibaldi ein besonderes Beispiel einer idealen Lebens-, Arbeits- und Kampfgefährtin. Anita Garibaldi hatte ein tiefes Verständnis für die Bestrebungen ihres Ehemannes. Sie hatte nie versucht, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, sei stets „unbekümmert um ihr eigenes Wohl und Glück“1015 gewesen. Sie ergänzten sich in ihrer Begeisterung „für die höchsten Ideale der Menschheit“1016. Mit Garibaldi 1009Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117. Die Freiheitskämpfer wurden 1867 vernichtend geschlagen, Giuseppe Garibaldi zog sich auf die Felseninsel Caprera zurück. Von dort durfte er nur wenige Jahre später miterleben, wie die französischen Truppen abgezogen wurden und das Königreich Italien sich Rom als neue Hauptstadt eingliederte – sein Traum war zumindest teilweise in Erfüllung gegangen. Zwar heiratete Giuseppe Garibaldi in späteren Jahren eine Dame der italienischen Aristokratie, doch wurde laut Blos die Ehe schon einen Tag nach der Trauung wieder gelöst. Die Tote sei ihm unvergesslich geblieben und „[e]in Medaillon mit ihren Haaren […] [habe] immer über seinem Bette“ (ebd.) gehangen. 1010Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 183. 1011Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117. 1012Das Denkmal stellt Anita Garibaldi auf einem sich aufbäumendem Pferd dar – in einem Arm hält sie ein Kind, in der Hand des anderen eine Pistole. 1013Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 183. 1014Ebd. 1015Ebd., S. 184. 1016Ebd. 458 4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE wollte Blos eine Frau ehren, die nicht nur den „Sonnenschein der Liebe“1017 in das Leben eines Kämpfers gebracht hatte, sich „durch außerordentliche Schönheit wie durch Kühnheit und Edel- mut“1018 und „dem Gatten eine treue Gefährtin […] in seinem unruhevollen Leben“1019 war, sondern eine Frau, die zudem selbst „im Donner der Schlachten“1020 stand. So war für Blos, der unglückliche Tod Garibaldis trotzdem „ein echter Heldentod, und unter den Frauen, die sich für die Freiheit geopfert, steht ihr Name mit an erster Stelle“1021. Ihre Treue und ihr Mut hatte noch zu ihren Lebzeiten Nachahmerinnen gefunden, so dass auch andere Frauen bekannt sind, „die tapfere Streiterinnen“1022 im italienischen Freiheitskampf waren. Im Gegensatz zu Blos verstand es Stockinger-Altenhof, einen aktuellen politischen Bezug für die Vorbildfunktion Garibaldis aufzuzeigen. Sie schlug am Schluss ihres Artikels den Bogen von der Geschichte zur Gegenwart und zur sozialistischen Geschichtstheorie, indem sie die von Armut und Lohnsklaverei geprägte aktuelle Situation in Italien anprangerte. Denn noch seien am Kampf für ein „wirklich freies Italien“1023 nur wenige Frauen beteiligt, die wie Garibaldi, so Stockinger- Altenhof, „zu jedem Opfer, zu jeder Heldenthat, aber auch zum Märtyrerthum bereit sind“1024. Bald aber würden sie Tausende und Zehntausende zählen, denn, so die Überzeugung Stockinger- Altenhofs, „dafür sorgen die unendlichen und unsäglichen Leiden, welche die Klassenlage des Proletariats mit sich bringt“1025. Der 15 Jahre später verfasste Artikel Blos‘ lässt, obwohl noch unter der Redaktion Zetkins veröffentlicht, diese politische Überzeugung gänzlich vermissen. Hatte Garibaldi jemals vorausgeahnt, dass sie eine Kämpferin für Freiheit und Demokratie sein würde? Wie hätte sie? Wahrscheinlich hatte sie wie Emma Herwegh (1817-1904) „nie mehr sein [wollen,] als [ein][…] hingebungsvolles, liebendes Weib“1026. Aber auch Herwegh, für die 1904 vermutlich Zetkin einen Nachruf für die „Gleichheit“ verfasste, war letztlich beides. Denn „aus dem Gleichklang zweier Seelen heraus, […] die eins waren im Wollen und Ringen“1027 sei das 1017Blos, Anna: Anita Garibaldi. In: GL, 17/ 13/ 24.06.1907/ 109. 1018Ebd. 1019Ebd. 1020Ebd. 1021Ebd. 1022Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117. 1023Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 184. 1024Ebd. 1025Ebd. 1026Eine Freiheitskämpferin. In: GL, 14/ 09/ 20.04.1904/ 71. 1027Ebd. 459 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN liebende Weib auch zu einer Freiheitskämpferin geworden und hat als solche „einen Platz in der Geschichte“1028. Als Tochter des jüdischen Bankiers Johann Gottfried Siegmund in Berlin entstammte Herwegh einer sehr reichen Familie, die zudem großen Wert auf Bildung und den Umgang mit „geist- und charaktervollen“1029 Persönlichkeiten legte. Eben durch diesen Umgang und eine entsprechende Lektüre habe sich das „tiefe Geistes- und Gemütsleben“1030 Herweghs ausgebildet. So kannte sie, als sie in ihrem Elternhaus zum ersten Mal ihrem zukünftigen Ehemann Georg Herwegh begegnete, bereits dessen dichterische Werke. Sie verliebten sich und, so Zetkin, „[a]us der rasch emporgeloderten Liebe erwuchs der innigste Bund für das ganze Leben“1031. Die Tatsache, dass sie es war, die bereits nach acht Tagen Bekanntschaft dem „blutarme[n] […] und schüchtern[en]“1032 Dichter ihre Hand anbot, sei, so Zetkin weiter, Beleg für die besonders selbstbewusste Art und Vorurteilslosigkeit Emma Herweghs. Folgende Worte habe sie zu ihm gesagt: „’Ich kann dir Freiheit und Unabhängigkeit bieten, noch mehr, ich liebe dich, ich kann dir Trost in Leiden und Teilnahme in Freuden bieten. Willst du, so sei der Bund auf ewig geschlossen und hony soit qui mal y pense‘ (Schande dem, der Schlimmes dabei denkt).“1033 Die Bedenken Herweghs zu der Art und Weise, wie die Verlobung öffentlich aufgenommen würde, waren tatsächlich nicht unbegründet. Während einige Zeitgenossen spotteten, befürchteten viele Freunde des Dichters vor allem, dass „die ’eiserne Lerche‘ […] in dem goldenen Käfig einer reichen Ehe bald verstummen“1034 könnte. Georg Herwegh konnte seine Freunde jedoch beruhigen, denn „‘das Mädchen [sei] noch rabiater als […][er selbst] und ein Republikaner von der ersten Sorte‘“1035. 1842 wurde Georg Herwegh aus Deutschland ausgewiesen. Er ging in die Schweiz, wohin ihm seine Verlobte folgte und wo schließlich 1843 ihre Hochzeit stattfand. Emma Herwegh brachte in die Ehe ein bedeutendes Vermögen mit, das jedoch dem Ehemann, der für wirtschaftliche Dinge kein Talent besaß, schnell in den Fingern zerrann. Herwegh hatte den Komfort ihres Elternhauses hinter sich gelassen und reiste mit ihrem Gatten durch die Schweiz, Italien und Frankreich. Sie war jedoch nicht nur die Reisegefährtin ihres Ehemannes: 1028Ebd. 1029Ebd. 1030Ebd. 1031Ebd. 1032Ebd. 1033Ebd. 1034Ebd. 1035Georg Herwegh in einem Brief an Robert Prutz. Zit. nach: Ebd. 460 4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE „Mit tiefem Verständnis lebte sie das geistige und politische Leben ihres Georg mit. Was er empfand, dachte, erstrebte, fand in ihrem Herzen und Hirn ein starkes Echo, ihre Energie und ihr praktischer Sinn halfen ihm seine Pläne durchführen.“ 1036 In dieser von Zetkin als ideal charakterisierten Ehe unterstützte Herwegh ihren Ehemann nicht nur im herkömmlichen Sinne, indem sie ihm z. B. ein gemütliches Heim bereitete. Sie hatte zudem maßgeblichen Anteil an seinem dichterischen Schaffen, u. a. an der Herausgabe des zweiten Bandes „Gedichte eines Lebendigen“ (1844) und an der Fertigstellung einer Shakespeare- Übersetzung. 1847 kehrte Herwegh kurzzeitig in ihre Heimatstadt Berlin zurück. In ihrem dortigen Freundes- kreis, so Zetkin, „entsetzte sie manchen Angstmeier“1037, weil sie offen zu ihrer revolutionären Überzeugung stand. Ab 1848 begleitete sie ihren Ehemann auf den Märschen der Revolutions- truppen. Im Gegensatz zu anderen bisher vorgestellten Revolutionärinnen blieb sie dabei sehr unauffällig. Mit kurz geschnittenem braunblondem Haar, in schwarzer Hose und schwarzer Samt- bluse, zwei kleine Pistolen und einen Dolch in ihrem Ledergürtel, habe man sie oft für einen „halbwüchsigen Burschen“1038 gehalten. Keine Kokarde oder Feder schmückte ihren breit- krämpigen schwarzen Hut. Sie, die die Männer „[m]ehr als einmal […] an Kampfestugenden“1039 übertroffen habe, stand jedoch bald unter ihren GegnerInnen in dem Ruf einer „blutdürstige[n] Furie“1040. Tatsächlich nahm sich Herwegh in dem Trubel und den Gefahren der Ereignisse die Zeit und die Gelegenheit, eine Broschüre mit dem Titel „Zur Geschichte der deutschen demokratischen Legion aus Paris. Von einer Hochverräterin“ (1849) zu schreiben. Später – in Paris, wohin das Ehepaar zog, nachdem die Revolution gescheitert war – verdiente sie ihren Lebensunterhalt mit Übersetzungen. Ihre Wohnung wurde der Mittelpunkt der deutschen Flücht- linge und sie, so Zetkin, ihre „liebenswürdige, geistreiche Wirtin“1041. Als ihr Ehemann ein vorübergehendes Liebesverhältnis mit Natalie Alexandrowna Herzen (?- 1852), der Ehefrau des Schriftstellers und Publizisten Alexander Herzen, einging, trennte sich Herwegh von ihrem Mann und entzog ihm auch die gemeinsamen Kinder. Sobald sich jedoch das Ende dieses Verhältnisses, dieser – wie Zetkin es formulierte – „Episode“1042 abzeichnete, habe 1036Ebd. 1037Ebd. 1038Ebd. 1039Ebd. 1040Ebd., S. 72. 1041Ebd. 1042Ebd. 461 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Herwegh ihrem „vergötterten Dichter“1043 gegenüber wieder jene „nie versagende[…], geduldige[…] große[…] Liebe, die alles glaubt, hofft und – verzeiht“1044, bewiesen. Sie sei während dieser Krise immer davon überzeugt gewesen, so Zetkin, „daß das hohe, reine Gefühl, das Herz zu Herz gefügt hatte, nie zu Asche verbrennen könne“1045. Einerseits war es nach den Schilderungen Zetkins eine „Liebes- und Lebensgemeinschaft“1046, beruhend „auf dem harmo- nischen Zusammenklang des Besten in zwei Menschen“1047. Andererseits aber scheint es, dass es stets Herwegh war, die alles für den von ihr als Dichter und als Mensch verehrten Ehemann tat, die ihn „hegte[,] […] pflegte“1048 und sogar „verzog“1049. Sie sei es gewesen, die „[f]ür seine Eigenheiten […] das feinste Verständnis, für seine Schwächen eine unerschöpfliche Geduld und Nachsicht“1050 [Hervorhebungen von M.S.] hatte. Überdies habe sie sich sogar bemüht, so Zetkin, seine „Mängel anderen gegenüber zu verhehlen und als Tugenden erscheinen zu lassen“1051 und „[w]er ihres Helden Persönlichkeit und Leistung kritisierte, den betrachtete sie als Feind“1052. Georg Herwegh lernte Lasalle und die Bestrebungen der Arbeiterbewegung kennen. Lasalle übertrug dem Dichter, der laut Zetkin jedoch kein ausgesprochener Organisator und Agitator war, das Amt des Bevollmächtigten des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ in Zürich. Herwegh arbeitete nun auch als Autor für den in der Schweiz gedruckten „Sozialdemokrat“ (1879-1890) und den „Volksstaat“. Nach dem Tod ihres Ehemannes 1875 genoss Emma Herwegh – stets „auf- opfernde Gattin“1053 und „zärtliche Mutter“1054 – an ihrem Lebensabend besonders „[d]as Glück erfüllter Mutterliebe und Mutterhoffnung“1055. Sie zog zu ihrem Sohn Marcel, einem Musiker, nach Paris. Da auch hier sich ihr ganzes Tun immer noch um ihren Ehemann, um die Publikation seiner Gedichte und Briefwechsel drehte, kann von Emma Herwegh in den Worten Zetkins gesagt werden: „Bis zur letzten Faser ganz die seine, hat sie gelebt, ist sie gestorben.“1056 1043Ebd. 1044Ebd. 1045Ebd. 1046Ebd. 1047Ebd. 1048Ebd. 1049Ebd. 1050Ebd. 1051Ebd. 1052Ebd. 1053Ebd. 1054Ebd. 1055Ebd. 1056Ebd. 462 4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE Ihrem Wunsch entsprechend, wurde Herwegh neben ihrem Ehemann begraben – „in republika- nischer Erde“1057 auf dem Friedhof des schweizerischen Liestal. Zwar stand sie im Gegensatz zu Garibaldi und Herwegh „dem eigentlichen Kampfe fern“1058, doch widmete auch sie ihm ihr Leben, indem „sie ihre ganze Kraft dafür einsetzte, dem Manne ihrer Wahl volle Bewegungsfreiheit für den Kampf zu schaffen“1059: Johanna Kinkel (1810-1858). Blos beschrieb sie in ihrem 1908 veröffentlichten Artikel als ein leuchtendes Beispiel dafür, „[w]as eine Frau ihrem Gatten, ihrer Familie sein kann als treue Gefährtin, als Stütze in den Zeiten der Not und Entbehrung, als Mitarbeiterin im Kampfe um das Dasein wie im Kampfe um die Freiheit“1060. Als Tochter des Bonner Gymnasialprofessors Peter Mockel kam Kinkel in den Genuss einer guten geistigen Ausbildung. In jungem Alter heiratete sie den Kölner Buch- und Kunsthändler Matthieux. Diese Ehe wurde jedoch bald geschieden, da Matthieux die geistigen und musika- lischen Interessen seiner Ehefrau nicht geteilt habe.1061 Bereits hier ist zu erkennen, dass Kinkel keine Frau war, die sich in ein vermeintliches Schicksal fügte. Selbstbewusst ging sie ihren Weg, wurde sogar Komponistin und schuf u. a. die „Vogelkantate“ (1830), womit sie zu den wenigen weiblichen Komponistinnen gehört. Ihr Äußeres war laut Blos nicht schön oder anmutig zu nennen, sondern eher stark, fast männlich, mit auffallend dunklem Teint und gedrungener Gestalt. Nur ihre dunkel blitzenden Augen und ihre tiefe volle Stimme müssen beeindruckt haben – so auch den fünf Jahre jüngeren Privatdozenten für Theologie, Gottfried Kinkel. Er war der Mann ihrer Wahl, dem sie später in oben be- schriebener Art den Rücken freihalten sollte. Gottfried Kinkel besaß im Gegensatz zu seiner Ehefrau ein sehr sanftmütiges Naturell und eine zierliche Statur, die „fast weiblich“1062 gewirkt habe. Er sei, so Blos, „ein auffallend schöner Mann“1063 gewesen – so schön, dass Kinkel wiede- rum Selbstzweifel hinsichtlich ihrer eigenen Anziehungskraft gehabt habe.1064 Allerdings sollten nicht diese Äußerlichkeiten die Basis einer langwährenden glücklichen Beziehung werden, son- dern Kinkels tiefes Verständnis für die geistigen Interessen ihres Ehemannes. 1057Ebd. 1058Blos, Anna: Auch eine Heldin. In: GL, 18/ 10/ 11.05.1908/ 89. 1059Ebd. 1060Ebd. 1061Vgl. ebd. 1062Ebd. 1063Ebd. 1064Vgl. ebd. 463 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Da es der Position ihres Mannes an der Bonner Universität schadete, dass Johanna Kinkel zwar katholisch aber geschieden war, zog das Ehepaare nach Poppelsdorf am Rhein. Vier Kinder wurden hier geboren und viele gemeinsame schriftstellerische und dichterische Werke verfasst, von denen einige auch von Kinkel vertont wurden. Dann kam das Jahr 1848 und der mit ihm synonym gewordene demokratische Aufbruch. Es sei Kinkel gewesen, die ihren Ehemann, so Blos, „zum Radikalismus seiner Anschauungen gebracht“1065 habe. Aus diesem Radikalismus heraus schloss sich der Akademiker mit „schwärmerischer Begeisterung“1066 der revolutionären Bewegung an. Der Agitator und Journalist wurde schließlich inhaftiert und Kinkel war gezwungen, als Komponistin und Musiklehrerin allein für sich und die Kinder zu sorgen. Sie habe alles getan, um ihre Kinder diese Belastung nicht spüren zu lassen – sie gab Musikunterricht, komponierte und bewältigte es, so Blos, „ihr eigenes Schicksal den Allgemeininteressen unterzuordnen“1067. „Jeder Egoismus“, so Blos weiter, „war ihr fremd.“1068 In dieser selbstlosen Weise bereitete Kinkel ihren Kindern und ihrem Ehemann, dem die Flucht gelungen war, auch im Londoner Exil ein neues Heim. Den „Gleichheit“-Leserinnen präsentierte Blos nun Kinkel als „das glänzendste Beispiel, wie eine Frau eine hingebende Gattin, eine treue Mutter, eine gewissenhafte Hausfrau sein und doch mithelfen kann beim Erwerb, ohne daß eine ihrer anderen Pflichten leidet“1069. Tatsächlich aber war, so räumte Blos ein, die Arbeit als Lehrerin, mit der Kinkel zum Einkommen der Familie beitrug, „ihrem innersten Wesen zuwider“1070 – sie sah sich selbst „‘[m]it all [ihren] Talenten […] lebendig begraben, nur noch eine Pflichtmaschine’“1071. Kinkel wurde schwer herz- leidend, hatte aber nicht die finanzielle Möglichkeit, sich entsprechend auszuruhen und zu kurieren – Kranksein war ein Luxus, den sie sich nicht leisten konnte. Hinzu kamen erneut große Selbstzweifel hinsichtlich ihres wenig attraktiven Äußeren und ihres nun große Erfolge feiernden, von schönen Frauen umschwärmten Ehemannes. Kinkels „rheinische Natur“1072 und die Möglich- keit, sich ihren Kummer wie z. B. in ihrem Roman „Hans Ibeles“ (1860) von der Seele zu schreiben, ließen sie stets neuen Mut finden. Großes Ansehen erwarb sie sich auch durch ihre Gastfreundschaft, die sie vielen anderen Emigranten wie z. B. Malvida von Meysenbug erwies. 1065Ebd. 1066Ebd. 1067Ebd. 1068Ebd. 1069Ebd. 1070Ebd. 1071Johanna Kinkel zit. nach: Ebd. 1072Ebd. 464 4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE Meysenbug war es auch, die in einer Aussage vor Gericht das häusliche Leben und das bisherige in „treuer Liebe miteinander getragen[e]“1073 Schicksal des Ehepaares Kinkel beschreiben musste. Kinkel war 1858 bei einem Sturz aus dem Fenster ums Leben gekommen. Laut Blos, war dieses Unglück „in einem Anfall von heftiger Atemnot“1074 geschehen. Viele Zeitgenossen hielten Kinkels Ende jedoch „für kein unfreiwilliges“1075. War es demnach Suizid? Auch Mord schien den Behörden aber nicht ausgeschlossen. Letztendlich glaubten die Richter den Darstellungen Meysenbugs und Gottfried Kinkels und beließen es bei der Annahme, dass es ein Unfall war. Unter großer Anteilnahme der in London lebenden Emigranten wurde Kinkel am 20. November 1858 beerdigt. Der Dichter Ferdinand von Freiligrath verfasste zu diesem Anlass ein ehrendes Gedicht.1076 Kinkels Ehemann sollte nach ihrem Tod, so Blos, „nicht viel Bedeutendes mehr“1077 an dichterischen Werken erzeugen – sein schöpferischer Geist schien demnach durch den großen Verlust gebrochen, seine Inspiration dahin gewesen zu sein. In einem einzigen Satz versuchte Blos zu beschreiben, was die Persönlichkeit Kinkels ihrer Meinung nach zu einer Frauenleitfigur macht: Sie sei eine Frau gewesen, die eine „unerschrockene Kämpferin für Wahrheit und Recht und doch so ganz Weib geblieben war in den Pflichten des häuslichen Lebens“1078. Alles zu bewältigen, nicht das eine für das andere zu vernachlässigen – das war das Frauenideal der proletarischen Frauenbewegung. Wie Kinkel war auch Amalie Struve (1824-1862) die Ehefrau eines 1848er-Revolutionärs und zu ihrer Zeit eine der bekanntesten Persönlichkeiten Deutschlands. Der von Wilhelm Blos, dem Ehemann Anna Blos‘, verfasste Artikel erschien ebenfalls 1908 in der „Gleichheit“, die mit diesen Artikeln möglicherweise den 60. Jahrestag der 1848er-Revolution begehen wollte.1079 Struve wurde in Mannheim als Amalie Düsar, Tochter einer nach Deutschland eingewanderten französischen Familie, geboren. Dort lebte auch ihr späterer Ehemann Gustav Struve, der ur- sprünglich aus Livland stammte, ehemals Gustav von Struve hieß und wesentlich älter als sie war. Aus dem ehemaligen Diplomaten und Rechtsanwalt war ein Anhänger der republikanischen Ideen geworden, die er auch in seiner Zeitung „Deutscher Zuschauer“ (1846-1848) oder im „Mann- 1073Ebd. 1074Ebd. 1075Ebd. 1076Dieses Gedicht ist – obwohl in der „Gleichheit“ nicht vollständig publiziert – im Anhang enthalten. 1077Ebd. 1078Ebd. 1079Der Anlass der Veröffentlichungen wird jedoch weder in den von dem Ehepaar Blos verfassten biographischen Artikeln noch in den Leitartikeln der jeweiligen Nummern deutlich. 465 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN heimer Journal“ (1837-1888) vertrat. Durch dieses Engagement geriet er schon früh in den Fokus politischer Verfolgung. Wenn dann Amalie Struve wieder einmal ohne jeglichen Hausstand aus- kommen musste, weil dieser für die Bezahlung von Strafen und Gerichtskosten verpfändet war, seien es, so Blos, Freunde und solidarische Arbeiter gewesen, die unter Strafe der Ausweisung halfen, das Nötigste zurückzuersteigern.1080 Struve wurde von ihren Zeitgenossen, so Blos, als eine außerordentlich schöne Frau beschrieben. Viele Männer dürften sie sehr verehrt und begehrt haben. Aber auch wenn der Klatsch der Feinde ihres Mannes anderes behauptete, laut Wilhelm Blos gab sie diesen Begehrlichkeiten nie nach. Amalie und Gustav Struve hätten eine glückliche Ehe geführt und Amalie sich in jeder Überzeugung ihrem Ehemann angeschlossen. Sie habe sogar den strengen Vegetarismus ihres Ehemannes geteilt, welcher in den Augen Blos‘ eine derjenigen „Seltsamkeiten und Extra- vaganzen“1081 war, die oft „außerordentlichen Menschen“1082 anhaften würden. Die Tatsache, dass Struve auch diese Seltsamkeit mit ihrem Ehemann geteilt habe, spreche für die „Tiefe ihrer Zu- neigung“1083, welche auch dann nicht anzuzweifeln sei, wenn Struve, wie manchmal behauptet wurde, „heimlich oftmals Kalbs- oder Hammelbraten genossen“1084 habe. Im Laufe der 1848er-Bewegung musste das Ehepaar in die Schweiz fliehen. Ein misslungener Putschversuch in Baden und Denunziation brachten Gustav Struve schließlich ins Gefängnis, während auch seine Ehefrau unter brutaler Misshandlung in einem Gefängnisturm in Freiburg inhaftiert wurde.1085 Im April 1849 aus der Gefangenschaft entlassen, besuchte Struve ihren in Bruchsal inhaftierten Ehemann. Sie war gerade bei ihm, als es Aufständischen gelang, ihn zu be- freien. Aus diesem Zufall, so Blos, sei von reaktionärer Seite das Gerücht konstruiert worden, Struve habe mit Koketterie die badischen Soldaten zum Aufstand bewegen wollen.1086 Was dieses Gerücht vor allem verdeutlicht, ist der Umstand, dass den weiblichen Revolutionärinnen meist nur die Verwendung der vermeintlichen Waffen einer Frau zugetraut wurde. Das Ehepaar floh erneut in die Schweiz, aus der es jedoch ausgewiesen wurde. Weitere Stationen der Flucht waren Frankreich, England und schließlich 1851 die USA. Trotz dieser Strapazen 1080Blos, Wilhelm: Eine deutsche Republikanerin. In: GL, 18/ 02/ 20.01.1908/ 13 und Fußnote *. 1081Ebd. 1082Ebd. 1083Ebd. 1084Ebd. 1085„An den Eisenstäben sinkt die Liebe blutend nieder“ lautet die Unterschrift einer Skizze ihrer Zelle, die von Amalie Struve selbst angefertigt und dem Artikel beigefügt wurde (vgl. ebd., S. 14 und siehe: Bildmaterial). 1086Ebd. 466 4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE verlor Struve, „das tapfere Weib“1087, nie, so Blos, „die Heiterkeit ihres Geistes und ihre Seelen- stärke“1088. Auch in der Fremde – genauer gesagt auf Staten Island – habe sie es geschafft, ihr Heim recht bequem und beschaulich einzurichten. Das Ehepaar bestritt sein Einkommen gemein- sam, und zwar durch Arbeiten für Zeitschriften und die Herausgabe von Gustav Struves Hauptwerk „Weltgeschichte“1089. Bereits 1850 erschien Amalie Struves eigenständiges schriftstel- lerisches Werk, das aus den zwei Bänden „Erinnerungen aus den badischen Freiheitskämpfen“ und „Historische Zeitbilder“ besteht. Erst 1859 wurde Struve Mutter. Sie gebar eine Tochter, die jedoch früh verstarb. 1860 schenkte sie erneut einer Tochter das Leben. Eine weitere Geburt sollte Struve 1862 selbst das Leben kosten – sie starb im Wochenbett. Struve, so resümierte Blos, war ihrem Ehemann „Geliebte! Gattin und Freundin!“1090. Sie sei eine Frau gewesen, die „ihrem Mann alles war, was eine Frau überhaupt einem Manne sein kann und was eine Frau einem Manne sein muß, wenn die Ehe eine ideale Vereinigung von Leib und Seele, ein In- und Miteinander-, statt ein Nebeneinanderleben sein soll“1091. Jenes Ideal wollte er am Beispiel Struves den „Gleichheit“-Leserinnen vermitteln. Wie innig das Ehepaar Struve einander liebte, lasse sich u. a. auch daran aufzeigen, dass Gustav Struve während seiner Zeit im Gefängnis nicht nur die Tage seiner Haft, sondern auch die Tage der Trennung von seiner Ehefrau gezählt habe. Auf den Spott, den manche, so Blos, „[a]lltägliche Menschen“1092 wie auch „‘demokratische’ Phi- lister“1093 über Struve ausgeschüttet hätten, ging Blos jedoch ebenso wenig ein wie auf seine eigene Bemerkung, dass ihre „Art […] auch ihre Schattenseiten“ gehabt habe. Wichtiger war es ihm, die „Wärme und Seelengröße“1094 dieser Frau hervorzuheben, deren „Gestalt […] der heu- tigen bürgerlichen Frauenwelt in Deutschland märchenhaft erscheinen“1095 müsse. Diesen Angriff auf die bürgerliche Frauenbewegung verstärkte Blos, indem er hinzufügte, die bürgerliche Frauen- bewegung „glaub[e] wohl selbst nicht daran, daß sie solche Feuerseelen jemals wieder 1087Ebd. 1088Ebd. 1089Der dritte, vierte und fünfte Band der „Weltgeschichte“ erschienen 1852, der sechste Band 1856 in New York. 1090Ebd., S. 13. 1091Ebd. 1092Ebd., S. 14. 1093Ebd. 1094Ebd. 1095Ebd. 467 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN hervorbringt“1096. Für die proletarische Frauenbewegung jedoch sei Struve – „[w]enn ihr auch der wissenschaftliche Sozialismus fremd geblieben ist“1097 – „eine interessante historische Erschei- nung“1098. Sie sei „ein lebendiges Zeugnis dafür, daß es damals im deutschen Bürgertum Frauen gab, die im Kampfe für freiheitliche Ideen ihre ganze Persönlichkeit einsetzten, die Ker- ker, Verbannung und Elend nicht scheuten“1099. Gefahren – so ein erneuter geschickter Seitenhieb Blos‘–, die „den bürgerlichen Frauenrecht- lerinnen von heute“1100 nicht drohen würden. Im Gegensatz zu den Artikeln seiner Ehefrau Anna findet sich im Artikel Wilhelm Blos‘ eine deutlich sozialistische Darstellungsweise. Es wurde den proletarischen „Gleichheit“-Leserinnen in Struve nicht nur eine herausragende Leitfigur präsentiert. Blos konfrontierte zudem die bürger- liche Frauenbewegung mit ihren revolutionären Vorgängerinnen. Eine solche ganz auf der Zetkin‘schen Linie liegende Stellungnahme fand sich nach dem Redaktionswechsel in der „Gleichheit“ kaum noch. Die Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Frauenbewegung erfolgte nicht mehr auf einer prinzipiellen, sondern auf einer praktischen Ebene.1101 1096Ebd. 1097Ebd., S. 13. 1098Ebd. 1099Ebd. 1100Ebd. 1101Nach dem Redaktionswechsel scheint Wilhelm Blos im Gegensatz zu seiner Ehefrau nicht mehr für die „Gleich- heit“ geschrieben zu haben. 468 4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN 4.3.4 Die Genossinnen führender Genossen Die „Gleichheit“-Leserinnen wurden auch in die „Ehegeschichten“ der großen sozialistischen Führer und verehrten Legenden der frühen Arbeiterbewegung eingeweiht. So war es anlässlich des Todestages von Karl Marx selbstverständlich, dass in der „Gleichheit“ auch ein Artikel zum Leben seiner Ehefrau Jenny Marx (1814-1881) erschien. Anna Blos ging in diesem Artikel davon aus, dass es für ihre Leserinnen „von besonderem Interesse [sei], etwas über die Lebensgefährtin dieses genialen Mannes zu erfahren“1102. Dies umso mehr, da Karl Marx doch „gewiß“1103 „[h]ohe Ansprüche […] an die Frau seiner Wahl gestellt“1104 haben dürfte. Die Ehe von Karl und Jenny Marx war nach Meinung Blos‘ ein herausragendes Beispiel dafür, dass zwei Menschen „von noch so verschiedener Rasse, Herkunft, Familie“1105 dann glücklich miteinander werden könnten, „wenn nur das gleiche Streben nach Idealen, nach Freiheit sie erfüllt“1106. Die als Jenny von Westphalen geborene Marx stammte aus einer begüterten und vornehmen Familie. Ihr zukünftiger Ehemann stand zu dieser Familie bereits früh in einem solch freund- schaftlichem Verhältnis, dass er dem Vater Ludwig von Westphalen sogar seine Dissertation widmete. Aus der in Kindertagen entstandenen Bekanntschaft wurde schließlich Liebe. 1836 ver- lobte sich die vier Jahre ältere Jenny von Westphalen mit dem Jurastudenten Karl Marx und 1843 heirateten sie. In einem Brief an seinen Schwiegersohn, so Blos, schrieb Westphalen über seine Tochter, dass sie etwas „‘Genialisches’“1107 an sich habe und dass sie ihm eine treue Ehefrau sein werde. Nicht einmal ein Fürst, so laut Blos der stolze Vater, wäre imstande sie ihrem Ehemann „‘abwendig zu machen’“1108, da sie ihm „‘mit Leib und Seele’“1109 anhänge. Er solle jedoch nicht vergessen, dass sie ihm „‘in ihrem Alter […] ein Opfer [bringe], wie gewöhnliche Mädchen es gewiß nicht fähig wären’“1110. Wahrscheinlich dachte der Vater an viele guten Partien, die seine Tochter mit ihrer Entscheidung nun endgültig und unwiederbringlich ausgeschlagen hatte. In Jenny Marx sah der Politiker und Arbeiterführer Stephan Born Herz und Geist harmonisch 1102Blos, Anna: Jenny Marx. In: GL, 28/ 15/ 26.04.1918/ 114. Diesen Artikel zum Leben Jenny Marx‘ platzierte die „Gleichheit“-Redaktion unterhalb eines viel auffälliger gestalteten Gedichtes zu Ehren ihres Ehemannes Karl. 1103Ebd. 1104Ebd. 1105Ebd. 1106Ebd. 1107Ludwig von Westphalen zit. nach: Ebd., S. 115. 1108Ludwig von Westphalen zit. nach: Ebd. 1109Ludwig von Westphalen zit. nach: Ebd. 1110Ludwig von Westphalen zit. nach: Ebd. 469 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN gestaltet und laut Blos verehrte auch Wilhelm Liebknecht in ihr das „Ideal eines Weibes“1111. Born habe an ihr bewundert, dass sie „‘ganz in den Ideen ihres Mannes [lebte,] […] dabei ganz in der Sorge für die Ihrigen auf[ging] und […] doch so himmelweit von der strumpfstrickenden, den Kochlöffel rührenden deutschen Hausfrau entfernt’“1112 gewesen sei. Demnach zeigte Marx zwar die Tugenden einer guten Ehefrau und Mutter, verfiel aber nicht in das Rollenklischee eines Hausmütterchens oder – wie Zetkin sagen würde – einer „Nur-Hausfrau“. Diese Beschreibung lässt andererseits aber auch schlicht vermuten, dass Marx in ihrem Haushalt über entsprechendes Personal verfügt haben dürfte. Hart traf Marx der Verlust ihrer Kinder: Von insgesamt sieben Kindern sollten nur drei überleben. Marx selber erkrankte an Krebs und litt noch monatelang große Qualen. Doch ihr Interesse an den politischen Ereignissen in Deutschland und ihr rheinischer Humor, mit dem sie ihren Zustand zu überspielen versuchte, seien, so Blos, ungebrochen geblieben. Ihre Tochter Eleanor beschrieb, wie Marx trotz ihrer Schmerzen „‘scherzte, […] lachte, sie lachte uns alle und den Arzt aus, weil wir so ernsthaft waren’“1113. Jenny Marx sei ihrem Mann, so resümierte Blos, „Geliebte, Gattin, Freundin und Mitarbeiterin in des Wortes schönster Bedeutung“1114 gewesen. Jedoch beinhaltete des „Wortes schönste Bedeu- tung“ scheinbar keinerlei geistige oder literarische Koproduktion wie es sie bei anderen Ehepaaren gab. Marx ist eine Vertreterin jener Ehefrauen, die ihren Ehemännern alle Alltags- sorgen abnahmen, sie unterstützten und als „die Sonne [in ihrem][…] Leben“1115 inspirierten. Jenny Marx starb einige Jahre vor ihrem Ehemann. Ganz anders das Schicksal des Ehepaares Moses und Sybille Heß (1820-1903), welche ihren Mann um 28 Jahre überlebte und ihre Aufgabe schließlich darin sah, seinen Nachlass zu bewahren. Es ist vermutlich Zetkin, die zu Beginn ihrer Artikelreihe1116 schrieb, dass Heß zwar eine „treffliche Frau“1117, aber „zu keiner Zeit ihres Lebens eine selbständig Mitschaffende an den Ereignissen gewesen“1118 sei. Dennoch sah Zetkin ihr einen wichtigen Platz in der Geschichte zugedacht: 1111 Ebd. Liebknecht soll laut Blos die Charaktereigenschaften Marx‘ mit denen der literarischen Figuren Iphigenie und Eleonore verglichen haben (vgl. ebd.). 1112Ebd. 1113Eleanor Marx-Aveling zit. nach: Ebd., S. 116. 1114Ebd. 1115Ebd. 1116Sybille Heß. In: GL, 14/ 01/ 01.01.1904/ 5-6; GL, 14/ 02/ 13.01.1904/ 10-11; GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 19-21. 1117Sybille Heß. In: GL, 14/ 01/ 01.01.1904/ 5. 1118Ebd. 470 4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN „sie hat bedeutsame Abschnitte in der Geschichte der sozialistischen Bewegung bewußt miterlebt in inniger Ideengemeinschaft mit denen, die ihre vornehmsten Träger waren. Sie blieb eine treue Pflegerin der Ideale, die sie von ihnen empfangen hat. Der Hauch großen Geschehens, das sie erlebt, der gewaltigen revolutionären schöpferischen Gärung der Verhältnisse und Geister, an der sie teilgehabt, ist in ihr bis in den Alltag ihres Greisenalters hinein lebendig gewesen.“1119 [Hervorhebung von M.S.] Heß war eine besondere und politisch bewusste Zeitzeugin der Anfänge der sozialistischen Arbeiterbewegung. Außerdem war sie auch eine bewusste Kritikerin mancher Entwicklungen innerhalb der sozialistischen Theorie. Ihre Kritik basierte vor allem auf den von ihrem Ehemann vertretenen theoretischen Auffassungen, die sie in der Bewegung zu wenig gewürdigt glaubte. Heß lernte ihren zukünftigen Ehemann – den aus einer reichen jüdischen Familie stammenden Philosophen Moses Heß – kennen, als sie als Putzmacherin arbeitete. Sie soll „von bestrickendem Liebreiz der Erscheinung, die verkörperte Jugendfrische, eine muntere Plauderin mit schlag- fertigem Mutterwitz“1120 gewesen sein. Wunder Punkt für die Familie ihres Mannes sei laut Zetkin nicht ihre Armut als Putzmacherin, sondern der streng katholische Glauben gewesen, in dem sie erzogen worden war. Moses Heß selbst hatte sich als bekennender Sozialist vom Judentum und von jeder anderen Religion distanziert, doch seine Ehefrau hielt anfangs an ihrem Kirchenglauben fest. Und so war ihre Ehe nicht ganz „dornenlos“1121, denn es fehlte „bei aller Liebe nicht an Kämpfen und Schmerzen“1122 hinsichtlich dieser Frage. Später habe Heß es ihrem Ehemann, so Zetkin, „als ein besonders großes Verdienst um ihre Entwicklung gedankt, daß er sie aus der dunklen, engen Kammer konfessionellen Dogmenglaubens in die lichte, weite Welt geistiger Freiheit geführt hat, daß er in ihrem Herzen ‘den Kirchengott vom Throne stieß und die Menschen darauf setzte’“1123. All die Bemühungen ihres Ehemannes wären jedoch umsonst gewesen, hätte Heß nicht auch über einen „helle[n] Verstand, ein empfindsames, reiches Gemüt und ein feuriges Temperament“1124 verfügt. Nur auf diese Weise, so Zetkin, habe sie „rasch zur leidenschaftlichen Bekennerin des Sozialismus“1125 werden können. Da „ihr Sein und Leben […] das Sein und Leben ihres Gat- 1119Ebd. 1120Ebd. 1121Ebd. 1122Ebd. 1123Ebd., S. 5-6. 1124Ebd., S. 5. 1125Ebd. 471 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN ten“1126 war und sich dessen Inhalt an der „treueste[n] Hingabe an die sozialistische Idee“1127 festmachte, stand für Zetkin der Lebensgang Heß‘ beispielhaft für die Geschichte des Sozialis- mus, „seiner Entwicklung von der Utopie zur Wissenschaft, von der Sekte zur Partei“1128. Im Weiteren nutzte Zetkin die Gelegenheit, nicht nur den Werdegang Moses Heß‘ zu beschreiben, sondern auch Kritik an dessen Sozialismusauffassung zu üben. Zwar habe Moses Heß gemeinsam mit Marx und Engels auf dem Boden des „‘revolutionären Kommunismus’“1129 gestanden – eine Bezeichnung, die die Abgrenzung zum verbürgerlichten Sozialismus feststellen sollte –, doch sei er niemals wie diese beiden zu einer „klaren und einheitlichen Geschichtsauffassung“1130 gelangt. Die Philosophie habe „ihn nicht zur richtigen Wertung des wirtschaftlichen Faktors für die ge- schichtliche Entwicklung kommen“1131 lassen. Trotz seiner von Zetkin wertgeschätzten ehrlichen Bemühungen, sich die Auffassung von Marx und Engels zu eigen zu machen, habe er es nicht „vermocht[…][,] die Eierschalen des philosophisch-schöngeistigen Sozialismus […] vollständig abzustoßen“1132. Die von Marx und Engels in den Augen Zetkins zu Recht geübte Kritik an seiner Auffassung, habe den Philosophen, der sich selbst als eine „‘versöhnende Natur’“1133 charakteri- sierte, sehr schwer getroffen. Moses Heß bewies großes politisches Engagement, verzichtete auf soziale Vorteile und materielle Sicherheit, um in der demokratischen Bewegung des Vormärz‘ als Herausgeber und Mitbegründer verschiedener kritischer Zeitungen zu wirken. Dieses Engagement zwang ihn ins Exil nach Paris und Brüssel. Bis er 1863 nach Paris übersiedelte, versah er das Amt des ersten Bevollmächtigen des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“. Er war Verfasser verschiedener Arbeiten für den „Sozialdemokrat“ wie auch für den „Volksstaat“ und wurde Mitglied der Internationale. All diese nach Zetkins eigener Aussage „gedrängt und dürftig“1134 vorgestellten Ausführungen ließen ihrer Meinung nach trotzdem „durchblicken, wie kampf- und entsagungsschwer und doch wie reich und be- glückend das Leben gewesen [sein müsse], das Sybille Heß mitlebte“1135. 1126Sybille Heß. (Fortsetzung statt Schluss.). In: GL, 14/ 02/ 13.01.1904/ 10. 1127Ebd. 1128Ebd. 1129Ebd. 1130Ebd. 1131Ebd. 1132Ebd., S. 10-11. 1133Moses Heß zit. nach Ebd., S. 11. 1134Ebd. 1135Ebd. 472 4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN Es war eine stets „unsichere[…], stets bedrohte[…] Existenz“1136, die sie mit ihm teilte und die jeder führe, so Zetkin, „der den Kampf für ein hohes Ideal der behaglichen Ecke hinter dem Ofen vorzieht“1137. So „schwere moralische und materielle Opfer“1138 das Eintreten für den Sozialismus auch gefordert habe, so „[g]elassen, ja freudig, trug Frau Heß ihr Teil davon als etwas Selbstverständliches, ohne zu seufzen und zu murren, ohne sich eitel zu brüsten und Lob zu heischen“1139. Jene Gelassenheit, mit der Heß diese Opfer auf sich nahm, erklärt sich vielleicht auch daraus, dass sie sie zugleich, „zu geistiger Freiheit, zur sittlichen Größe selbstlosester Hingabe an eine große Idee, höchster Güte und Aufopferung heran[wachsen]“1140 ließen. Sie habe vornehmlich als „arbeitsame, kluge und praktische Hauswirtin“1141 ihren Teil zur Sache beigetragen und als solche ihrem Ehemann ein „behagliches Heim“1142 geschaffen, ohne – und das ist das entscheidende Moment – ihn die Entbehrungen und Mühen, die sie deswegen ertrug, merken zu lassen. Sie, die selber kinderlos geblieben war, „erschöpfte sich“, so Zetkin, „in nie versagender, wahrhaft mütterlicher Sorgfalt und Pflege für sein körperliches Wohl, in zarter Rücksichtnahme auf seine seelischen Stimmungen“1143. Nie aber habe sie sich als die „entsagende Dulderin, die selbstverleugnende Märtyrerin“1144 aufgespielt – im Gegenteil: „Sie fühlte sich dabei als Empfangende, nicht als Gebende und fand höchstes Glück in dem Bewußtsein, mit ihrer Liebe verständnisvoll und fürsorgend dem geistig bedeutenden Manne zur Seite zu stehen und dadurch seine Kampfeskraft im Dienste der Überzeugung zu stärken, welcher sie beide mit ganzer Seele anhingen.“1145 So unterstützte Heß ihren Ehemann und die Sache des Sozialismus laut Zetkin mit allem, was sie hatte und was sie war. Ihr Charakter, ihr Geschick, ja selbst ihr „kräftige[r], urwüchsige[r] Humor“1146 hätten geholfen, ihrem Ehemann so manche schwere Stunde zu erleichtern. Ihren rhei- nischen Humor hatte Heß mit Jenny Marx gemeinsam, in der sie ein „leuchtendes Vorbild“1147 1136Ebd. 1137Ebd. 1138Ebd. 1139Ebd. 1140Ebd. 1141Sybille Heß. (Schluß.). In: GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 19. 1142Ebd. 1143Ebd. 1144Ebd. 1145Ebd. 1146Ebd. 1147Ebd., S. 20. 473 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN gesehen habe. Hatte Heß Karl Marx gegenüber einige Vorbehalte – begründet in dessen Kritik an ihrem Mann – so war sie bezüglich dessen Ehefrau Jenny jedoch nur voll des Lobes und bewies sich in deren Haushalt sogar als „helfender ‘Hausgeist’ und ‘gute Tante’“1148. Kamen dann in ihr eigenes Haus „die erlesensten Geister“1149, um laut Zetkin „in freundschaftlichem Meinungsaustausch alle Gebiete des Wissens, der Kultur [zu] durchwander[n], die bedeutsamsten Zeit- und Streitfragen [zu] erörter[n], den tiefgründigsten Problemen in Welt und Gesellschaft nach[zu]spür[en]“1150, so sei Heß stets die bescheiden „Hörende und Lernende“1151 gewesen. Sie habe „die Achtung und Sympathie der bedeutenden Menschen“1152 nicht durch ihre Beteiligung an den Diskussionen gewonnen, sondern durch ihr „geschickte[s] hausmütterliche[s] Walten“1153. Der Tod ihres Ehemannes 1875 traf Heß umso schwerer, so Zetkin, da die Ehe wie erwähnt kinderlos geblieben war.1154 Ihre wichtigste Aufgabe wurde es nun, seine nachgelassenen Schriften zu veröffentlichen. Trotz ihrer großen eigenen finanziellen Opfer und ihres „stille[n], echt weiblichen Heroismus“1155 kam diese Veröffentlichung jedoch nicht zustande. Wie Heß mit dieser schweren Enttäuschung umging, wird von Zetkin nicht beschrieben. Heß sei in erster Linie Gefühlssozialistin gewesen. Verstandesmäßig habe sie den Sozialismus nur insoweit erfasst, als ihr Ehemann sie in seine eigene Auffassung eingeführt habe. Dessen Leis- tungen für die Entwicklung der sozialistischen Theorie habe Heß enorm überschätzt und deshalb ihrer Umwelt vorgeworfen, ihren Ehemann und seine Leistungen zu verkennen. Die Leistungen seiner, in den Augen Zetkins, „ihn so viel überragenden Freunde Marx und Engels“1156 habe Heß nie zu schätzen gelernt. Nachdem sie die Angebote privater Sammler und Zionisten abgelehnt hatte, übernahm später das Parteiarchiv den Nachlass ihres Ehemannes. Heß‘ aktives politisches Engagement bestand vor allem darin, an politischen Demonstrationen teilzunehmen. So z. B. im Mai 1880 an einer Demonstration zum Gedenken an die Kommune- kämpferInnen. Diese Demonstrationsteilnahme vermutet Zetkin als Grund dafür, dass Heß zwei Monate später aus Frankreich ausgewiesen und unter schlimmsten Transportbedingungen (ohne Nahrung und mit normalen StraftäterInnen in einen Transportwagen gepfercht) in die Schweiz 1148Ebd. 1149Ebd., S. 19. 1150Ebd. 1151Ebd. 1152Ebd. 1153Ebd. 1154Vgl. ebd., S. 20. 1155Ebd. 1156Ebd. 474 4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN abgeschoben wurde – bald darauf erhielt sie jedoch den Status der Duldung zurück. Abgesichert mit einer Witwenrente von der Familie ihres Mannes wurde Heß förderndes Mitglied des Vereins der Sozialdemokraten, der ExilantInnen unterstützte. „Opferfreudig“, so Zetkin, habe Heß „materiell die Zwecke des Vereins […] soweit sie nur konnte [gefördert], ja über ihre bescheidenen Mittel hinaus.“1157 Alles, was die bald als „Mutter Heß“ bezeichnete Sozialistin an finanzieller Hilfe dargeboten habe, „das ward in reinster, brüderlicher Gesinnung dargebracht und konnte von dem Zartfühlendsten ohne Demütigung empfangen werden“1158. Auch wenn sie im Verein „[h]in und wieder“1159 das Wort ergriff, spielte sich ihr wahres Engagement nicht in der Öffentlichkeit ab, sondern im persönlichen Verkehr – hier erwies sie sich laut Zetkin als „eine feurige, das Gemüt ergreifende Evangelistin der sozialistischen Freudenbotschaft“1160. Sie trieb die „Lauen und Lässigen“1161 zu mehr Eifer an, versuchte besonders die Frauen für den Sozialismus zu gewinnen, war eine warmherzige, „liebevolle, fürsorgliche Mutter“1162 für Ratsuchende. Zetkin hatte ihrem Artikel den Auszug aus einem Brief eines deutschen Exilanten vorangestellt. Dieser hatte ihn nach einer Begegnung mit der sich selbst scherzhaft als die „‘Mutter der deutschen Genossen in Paris’“1163 bezeichnenden Heß verfasst. Heß habe ihm von der Zeit erzählt als in Paris all die großen Sozialisten und Demokraten wie Marx, Engels, Heine und Herwegh Zu- flucht genommen hatten. „‘Ihr Kopf und Herz’“, so der Unbekannte, sei „‘eine Art liebevoll gepflegtes Museum für Erinnerungen aus den Kindertagen der modernen sozialistischen Bewe- gung.’“1164 In den vielen Jahren, die Sybille Heß ihrem Ehemann „‘aufopfernde, verständnisvolle Gefährtin gewesen’“1165, hatte sie die Entwicklung der Arbeiterbewegung hautnah miterlebt. Und wenn sie auch „‘[d]er theoretischen Entwicklung der sozialistischen Auffassung […] nicht immer zu folgen vermocht[e]’“1166, habe doch „‘ihr gutes, großes Herz […] mit jeder Faser dem sozialis- tischen Ideal’“1167 gehört. Altersbeschwerden machten es notwendig, dass Heß zu einer Stiefschwester nach Clichy, einem 1157Ebd., S. 21. 1158Ebd. 1159Ebd. 1160Ebd. 1161Ebd. 1162Ebd. 1163Unbekannt zit. nach: Sybille Heß. In: GL, 14/ 01/ 01.01.1904/ 5. 1164Unbekannt zit. nach: Ebd. 1165Unbekannt zit. nach: Ebd. 1166Unbekannt zit. nach: Ebd. 1167Unbekannt zit. nach: Ebd. 475 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Pariser Vorort, zog, wo sie allerdings sehr isoliert lebte und schließlich einsam und als eine, so Zetkin, „Verschollene, fast eine Vergessene“1168 1903 starb. Zetkin pointierte nochmals die Bedeutung Heß‘ als Leitfigur für proletarische Frauen wie folgt: „Eine Einfache war sie, groß in ihrer schrankenlosen Hingabe an die erkannte Wahrheit, groß in ihrer Liebe und Güte für die Menschen. Beklagen wir nicht den stillen Ausklang ihrer Tage, danken wir ihr für das, was sie dem Befreiungskampfe des Proletariats gegeben, indem wir in ihrem Geiste für ihn wirken. Nicht jeder kann in diesem Kampfe die Waffe führend in erster Reihe stehen, aber jeder und jede vermag wie Sybille Heß dem befreienden Sozialismus zu leben.“1169 Heß‘ Liebe für die Menschen begann mit der Liebe zu ihrem Ehemann. Und so sollte sich auch jede Proletarierin angesprochen fühlen, aus der Liebe für die Ihren heraus für die sozialistische Sache zu kämpfen – wenn auch nur in zweiter Reihe. Wie die Ehefrauen anderer Parteiführer stand auch Julie Bebel (1843-1910) vor dem Zwiespalt zwischen einem öffentlichen und einem nur im stillen häuslichen Bereich stattfindenden Engage- ment. Auch ihr Wirken war nicht nur auf die herkömmlichen Familienpflichten einer Frau begrenzt. Dies verdeutlicht der vermutlich von Zetkin verfasste Nachruf auf die Ehefrau August Bebels.1170 44 Jahre lang war Bebel ihrem Ehemann, so Zetkin, „verständnisvollste, aufopferungsfähigste Ge- fährtin“1171, mehr als „ein vorbildlich sorgendes Hausmütterchen“1172, vielmehr „eine Genossin seines Lebens und Strebens“1173. Seine Sache wurde die ihre und ihre Ehe somit eine ideale „Wege- und Werkgemeinschaft“1174. Während er eine „persönliche[…] Aufwärtsentwicklung ohnegleichen“1175 vollzog, habe es Bebel vermocht, ihm „zur Seite“1176, ihm ebenbürtig zu bleiben. Während ihre Liebe dem „reine[n], reiche[n] Wesen“1177 ihres Ehemannes galt, galt ihre Hingabe den „emportragenden Ideen des Sozialismus“1178 und dessen hohen Menschheitsidealen – aus beidem habe sie ihre Kraft geschöpft. 1168Sybille Heß. (Schluß.). In: GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 21. 1169Ebd. 1170Julie Bebel †. In: GL, 21/ 05/ 21.11.1910/ 67. 1171Ebd. 1172Ebd., S. 67. 1173Ebd. 1174Ebd., S. 68-69. 1175Ebd. 1176Ebd. 1177Ebd. 1178Ebd. 476 4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN Bebel war Tochter eines Bahn-Bodenarbeiters und arbeitete später als Putzmacherin. Zetkin bemerkt nachdrücklich, dass Bebel aus einer proletarischen Familie stammte und dass diese zwar nicht in Elend, aber doch in beengten proletarischen Verhältnissen gelebt habe.1179 1866 – nach zweijähriger Verlobungszeit – heiratete sie in Leipzig den Drechsler August Bebel. Dieser wurde durch seine offene sozialistische Gesinnung zum politisch Verfolgten. Groß sei das Verdienst Julie Bebels, in jener Zeit, so Zetkin, „das Existenzschifflein des Gehetzten“1180 behütet zu haben, so dass er „frisch und kraftvoll“1181 aus allen Stürmen habe hervorgehen können.1182 Dabei konnte sie vor allem auf ihre „praktische Lebenstüchtigkeit, die im Haushalt Wunder der Finanzkunst verrichtete“1183, zurückgreifen. Auch mit ihrer „sonnige[n] Heiterkeit“1184 und ihren „nimmermüden Händen“1185 habe sie ihrem Ehemann „ein schmuckes und trauliches Heim“1186 geschaffen, wo dieser „Erquickung und Rast“1187 finden konnte. Bebel sorgte sich allerdings nicht nur um ihre Familie. Der Idealismus, den sie mit ihrem Ehemann teilte, habe sie, so Zetkin, „über ein kleinbürgerlich beschränktes und im Grunde egois- tisches Familienidyll hinaus[…]gehen“1188 lassen. Die Familien der Parteigenossen konnten stets auf ihre Hilfe und Güte zählen. „Zweideutigkeit, Unehrlichkeit, Gemütsroheit und Mangel an Aufopferungsfähigkeit“1189, so Zetkin, seien ihr „verhaßt“1190 gewesen. Über diese Charakter- mängel habe man sie nicht täuschen können, „denn nicht bloß das Herz, auch der Kopf saß bei ihr auf dem rechten Fleck“1191. Einerseits „geschickte und liebevolle Hausfrau, […] zärtlichste und beglückteste Mutter“ habe August Bebel in seiner Ehefrau, „der wissensdurstig Fragenden“1192, vor allem „die Genossin seiner Ideale [gehabt], die mit allen Fasern des eigenen Seins sein Wirken mit erlebte“1193. Ihr 1179Vgl. ebd. 1180Ebd., S. 68. 1181Ebd. 1182Ebd. 1183Ebd. 1184Ebd. 1185Ebd. 1186Ebd. 1187Ebd. 1188Ebd. 1189Ebd. 1190Ebd. 1191Ebd. 1192Ebd. 1193Ebd. 477 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN eigener Bildungsdrang – einem „weiblichen Vollmenschen“ entsprechend – führte Bebel zum Sozialismus und festigte damit auch ihre Ehegemeinschaft. Wenn August Bebel durch Reisen oder Haft nicht in der Lage war, seine Parteiaufgaben zu erfüllen, so habe dies unter beharrlicher Beobachtung und Bespitzelung der Ordnungshüter seine Ehefrau übernommen. Sie – „‘unseres Augusts Frau’“1194 – war dann „Berichterstatterin und Stellvertreterin ihres Mannes“1195. Auch war sie seine Sekretärin, die ihm beim Verfassen schriftlicher Beiträge half, seine Korrespondenz ordnete und ihm auf diese Weise Zeit für „Kampf und Studium“1196 gewann. Diese dem Ehemann erbrachte Unterstützung – das „Wohltun und Mitteilen“1197 – war nach Meinung Zetkins zudem „ein Stück selbstverständlicher Praxis sozialistischer Brüderlichkeit“1198. Ihr Stolz und ihre Bescheidenheit hätten es Bebel jedoch verboten, „als die ‘Frau ihres Mannes’ in der Partei, in der Öffentlichkeit eine Rolle zu spielen“1199. Nur eine einzige Ausnahme war Zetkin bekannt: Bebel wurde in den 1890er Jahren Mitgründerin und Vorstandsmitglied des Berliner Bildungsvereins für Frauen und Mädchen. Sie habe diese Ämter aber nur übernommen, um mit ihrem Namen die Entwicklung des Vereins zu fördern. Für diese Behauptung spreche, dass sie den Ehrenposten abgab, sobald sie dieses Ziel erreicht sah.1200 Manchmal jedoch – so wusste Zetkin vermutlich aus sehr persönlichen Gesprächen mit Bebel zu berichten – habe sie es bereut, nicht stärker selbständig gewirkt zu haben. Dann beklagte sie, so Zetkin, „daß es ihr nicht vergönnt gewesen sei, einen höheren Flug zu nehmen und sich einen eigenen Wirkungskreis in der Bewegung zu schaffen“1201. In Julie Bebel war der proletarischen Frauenbewegung eine Leitfigur gegeben, die ihr ganzes Potential als „weiblicher Vollmensch“ in ihrer Ehe auslebte. „Bewußt und freiwillig hat sie ihr Wünschen vor der Erkenntnis beschieden, daß das Beste, ja Unersetzliche, was sie für ihre sozialistische Überzeugung leisten könne, das Aufgehen ihres Eigenlebens in das eines Größeren sei, eines Wegbereiters und Führers, wie die Sozialdemokratie keinen zweiten kennt.“1202 Bebel bezwang demnach ihren persönlichen Ehrgeiz und fand die Verwirklichung ihres Selbst sowie ihrer Ideale in der Unterstützung ihres politisch aktiven Ehemannes. Zudem schien Zetkin 1194Ebd. 1195Ebd. 1196Ebd. 1197Ebd. 1198Ebd. 1199Ebd. 1200Vgl. ebd. 1201Ebd., S. 68f. 1202Ebd., S. 69. 478 4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN ohnehin Zweifel an der Eignung Bebels für eine führende Rolle – vielleicht in der proletarischen Frauenbewegung – gehabt zu haben. Sie war der Meinung, dass „[i]n der Natur […] die Gaben ungleich verteilt“1203 seien und es deshalb „[n]icht jede vermag […], das weiche Frauenherz hinter dem Harnisch zu bergen und sich in das Getümmel des Klassenkampfes zu stürzen“1204. Etwas, was dagegen jeder Mensch, jede Frau für die Sache zu leisten vermag, sei, „den Ringenden eine selbstverleugnende Helferin“1205 zu sein. Eine ebenfalls „tapfere, aufopfernde Lebensgefährtin [eines][…] unvergeßlichen ‘Alten’“1206 war Natalie Liebknecht (1835-1909). Die Witwe Wilhelm Liebknechts war bereits ein Jahr vor Julie Bebel einen, wie vermutlich Zetkin schrieb, „sanfte[n] Tod“1207 gestorben. Geboren wurde Liebknecht in Darmstadt als Tochter des Hofgerichtsadvokaten Jacob Ludwig Theodor Reh, eines ehemaligen Mitglieds der Frankfurter Nationalversammlung, der seiner Tochter zudem eine gute Bildung zukommen ließ. 1868 begegnete sie ihrem zukünftigen Ehe- mann, der damals bereits Witwer und Vater zweier Töchter war. Für die Ehe mit ihm gab Liebknecht die Sicherheit einer bürgerlichen Existenz auf und übernahm einen Haushalt, der, so Zetkin, „nicht viel mehr als ein Zeltlager [gewesen sei], in dem zwei verwaiste Mädchen nach Mutterpflege und Mutterliebe verlangten“1208. Wilhelm Liebknecht erwarb als Schriftsteller und Vortragender nur geringe Einkünfte und auch sein späteres Gehalt als Redakteur, so die Meinung der Redakteurin Zetkin, „würde heute niemand dem letzten Laufburschen in der Expedition eines Parteiblattes zu bieten wagen“1209. Es war Natalie Liebknechts großes Verdienst, trotz dieser geringen Geldmittel einen immer größer werdenden Haushalt – Liebknecht gebar noch fünf Söhne – zu versorgen. Als Ehefrau und Mutter war es ihre, so Zetkin, „heilige Lebensaufgabe […], […] ein behagliches Familienleben zu schaffen, das als Quickborn dem leidenschaftlichem Kämpfer die Kräfte stählte und die junge Brut gesund, stark an Leib und Seele heranwachsen ließ“1210. Damit habe sie dem Sozialismus „in ihrer Weise“1211 gedient. Sie trug sowohl die „ökonomische 1203Ebd. 1204Ebd. 1205Ebd. 1206Natalie Liebknecht. In: GL, 19/ 10/ 15.02.1909/ 152. 1207Ebd. 1208Ebd. 1209Ebd. 1210Ebd. 1211Ebd. 479 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN wie die moralische Verantwortung“1212 mit und nahm „die Hauptlast der Haus- und Erziehungs- sorgen auf ihre Schultern“1213. Das Ergebnis ihrer Erziehung waren nach Meinung Zetkins „aufrechte[…], wahrhaftige[…] Männer[…], […] würdige[…] Träger[…] des Vaternamens“1214. Von größerer Bedeutung jedoch war, dass sie all diese „Haus- und Erziehungssorgen“ allein bewältigte und ihr Ehemann davon unbelastet blieb. Indem sie ihm „eine Stätte der Ruhe und Rast“1215 geschaffen habe, habe sie der Sozialdemokratie „ihren ältesten hervorragenden Führer bis ins hohe Alter hinein in jugendlicher Frische und Rüstigkeit erhalten“1216. Die körperliche und geistige Gesundheit ihres Ehemannes musste Liebknecht nicht nur als Ehefrau angelegen sein, sondern auch als überzeugte Sozialdemokratin. Wenn auch „[d]ie Liebe [sie] […] in das Lager des kämpfenden Proletariats geführt“1217 habe, so Zetkin, „die Überzeugung ließ sie hier heimisch werden“1218. Liebknecht war demnach zu Beginn „Gefühlssozialistin“ einer besonderen Art gewesen, aber „das innerlichste Miterleben der Ideen […], der Ziele“1219 ihre Ehemannes und „eifrige Lektüre“1220 machten aus ihr eine Genossin. Zwar keine streitbare Kämpferin, aber, wie Zetkin meinte, eine Vertreterin „des stillen weiblichen Heldentums“1221, deren Leben weit über jedem „kleinbürgerlichen Aschenputteltum[…]“1222 gestanden habe und somit vorbildhaft war. Eine weiterer führender Genosse aus der frühen Geschichte der SPD und vor allem verantwortlich für die illegale Publikationsarbeit in der Schweiz war Julius Motteler, genannt der „Rote Post- meister“. Die „Gleichheit“-Leserinnen erfahren aus einem vermutlich von Juchacz verfassten Nachruf, dass am Neujahrstag 1919 dessen Ehefrau Emilie Motteler (?-1919) gemeinsam mit ihrem Bruder, E. Schwarz in Leipzig einer Gasvergiftung „zum Opfer“1223 gefallen war. Sie sei ihrem Ehemann „eine treue Gefährtin […] auf allen Wanderfahrten“1224 gewesen. Zudem „eine 1212Ebd. 1213Ebd. 1214Ebd. 1215Ebd. 1216Ebd. 1217Ebd. 1218Ebd. 1219Ebd. 1220Ebd. 1221Ebd. 1222Ebd. 1223Emilie Motteler. In: GL, 29/ 09/ 31.01.1919/ 68. 1224Ebd. 480 4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN gütige Helferin und treue Freundin aller, die mit ihr gleiche Not und gleiches Wollen verband“1225. Wäre Zetkin noch Redakteurin der „Gleichheit“ gewesen, so hätte sie vermutlich deutlich mehr zum Leben der Ehefrau ihres engen Freundes Motteler zu berichten gehabt. Damit machte sich auch in der Art und Weise, wie „alte“ Kämpferinnen gewürdigt wurden, der Wechsel in der „Gleichheit“-Redaktion bemerkbar. Nicht nur Ehefrau, sondern auch Tochter eines führenden Genossen war Laura Lafargue (1845- 1911). Die Tochter von Karl und Jenny Marx stellt ein außergewöhnliches Beispiel einer idealen Ehefrau dar, die vor keinem Opfer zurückschreckte. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Paul Lafargue beging sie im Dezember 1911 Suizid. Bevor sich jedoch Zetkin dem Leben Laura Lafargues widmete, beschrieb sie den Werdegang ihres auf Kuba geborenen Ehemannes Paul. Paul Lafargue war Sohn wohlhabender Eltern und zog im Alter von neun Jahren nach Frankreich, wo er ein Medizinstudium begann. Sein politisches Engagement in der „Internationalen Asso- ciation“, in dem Studentenkongress 1866 in Lüttich und bei Demonstrationen gegen Napoleon III. gab den Behörden ausreichenden Grund, ihn von allen französischen Universitäten aus- zuschließen. Zur Fortsetzung seines Medizinstudiums ging er deshalb nach London, wo er wegen seiner Spanischkenntnisse als Sekretär für die Internationale arbeitete und die bereits von Frankreich aus geknüpften Kontakte zu Karl Marx intensivierte. Bald verband die beiden Männer „eine herzliche Freundschaft“1226, die sich noch vertieft habe, als Lafargue der Gatte von Marx‘ zweitältester Tochter wurde. Im Auftrage der Pariser Kommune wirkte Paul Lafargue dann in Südfrankreich. In dieser Zeit sei, so Zetkin, keinerlei „gesicherte Häuslichkeit“1227 möglich gewesen. Die Kämpfe im Süden schufen Notwendigkeiten, wegen derer die Eheleute oft voneinander getrennt waren, und sie „trugen Unruhe, Sorgen, Entbehrungen in ihre Existenz“1228. Diese gefahrvollen Umstände könnten dazu beigetragen haben, dass ihre zwei Kinder schon früh verstarben. Paul Lafargue belastete der Tod seiner Kinder sehr. Er sah sich nicht mehr in der Lage, den Beruf des Arztes auszuüben und verrichtete, nachdem sie erneut nach London gezogen waren, literarische Gelegenheitsarbeiten und Tätigkeiten als Holzschneider. Laura Lafargue gab Privatstunden und fertigte Übersetzungen an. Eine geregelte Erwerbstätigkeit strebten beide nicht an. Sie zogen, so Zetkin, „die magere Freiheit der fetten Sklaverei einer alltäglichen Berufsfron vor. Höher 1225Ebd. 1226Paul und Laura Lafargue. In: GL, 22/ 06/ 11.12.1911/ 83. 1227Ebd., S. 84. 1228Ebd. 481 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN als die äußeren Annehmlichkeiten des Lebens stand ihnen die Bewegungsfreiheit, Geist und Charakter weiterzubilden und dem sozialistischen Ideal zu dienen, wo immer sich Gelegenheit dazu bot“1229. Laura Lafargue waren diese Lebensumstände nicht neu. Ihre Eltern hatten unter ähnlichen Bedingungen leben müssen. Und wie ihre Mutter habe nach Meinung Zetkins auch Lafargue diese „in revolutionärer Begeisterung mit Stolz und Anmut getragen“1230. 1882 konnte das Ehepaar dank einer Amnestie für KommunekämpferInnen wieder nach Frank- reich zurückkehren. Der Schwerpunkt der politischen Tätigkeit Paul Lafargues lag zu jener Zeit nicht in der Agitation und auch nicht in seinem Amt als Abgeordneter des französischen Parla- ments, das er von 1891 bis 1893 innehatte. Paul Lafargue war vielmehr ein sehr begabter Publizist, der mit seinen satirischen Streitschriften laut dem Urteil Zetkins zu den „besten Pamph- letisten“1231 zu zählen sei. Außerdem war er ein Wissenschaftler, der sich zwar nicht bemüht habe, „das Gold des historischen Materialismus in die kleinen Münzen umzuprägen, deren das Tagesleben der Partei“1232 bedürfe, der aber durch seine Forschungsarbeiten die Theorie des Sozia- lismus bereichert habe. Seine geschichts- und literaturwissenschaftlichen Beiträge, deren viele in der „Neuen Zeit“ veröffentlicht wurden, hätten zu selbständigem Nachdenken angeregt und ihn, so Zetkin, „zu einem Lehrer des internationalen Proletariats erhoben“1233. Es sei eine „seltene Harmonie“1234 gewesen, die die Eheleute miteinander verband und Laura Lafargue habe ihrem Ehemann „an innerem Reichtum“1235 nicht nachgestanden. Sie war die ideale Genossin seiner Ideale, da alles, so Zetkin, „was den tiefsten Inhalt seines Lebens ausmachte, […] auch dem ihren Richtung und Ziel“1236 gab. Laura Lafargue besaß bedeutende Sprachkenntnisse, eine große Belesenheit, wissenschaftliche Bildung und Kunstverstand. Mit diesen Fähigkeiten konnte sie „wichtige Hilfsarbeit“1237 für ihren Ehemann leisten und sie waren ihm zudem „eine un- versiegliche Quelle der Anregung und Selbstverständigung“1238. „Besonders wertvoll war es“, so Zetkin, „daß Laura ihm die Kenntnis der deutschen sozialistischen Bewegung vermittelte, ihn mit 1229Ebd. 1230Ebd. 1231Ebd. 1232Ebd., S. 85. 1233Ebd., S. 84. 1234Ebd., S. 85. 1235Ebd. 1236Ebd. 1237Ebd. 1238Ebd. 482 4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN deutscher Wissenschaft und Literatur vertraut machte.“1239 Schließlich widmete sich Zetkin dem selbständigen Wirken und Arbeiten Laura Lafargues. Sie übersetzte deutsche Gedichte, z. B. solche von Heinrich Heine, ins Englische und die von ihrem Vater verfasste Schrift „Kritik der politischen Ökonomie“ (1859) ins Französische. Lafargue schrieb kleinere Artikel über die internationale Arbeiterbewegung für frühe sozialistische Zeit- schriften – dies laut Zetkin aber „[u]ngenannt“1240. Ihre für die ersten Jahrgänge der „Gleichheit“ verfassten Artikel zeichnete Lafargue jedoch. Ähnlich einer Anekdote beschrieb Zetkin Lafargues Taktik, für die Verbreitung des Organs der französischen Sozialisten zu wirken: „Rührend war die Unermüdlichkeit, mit der sie in den achtziger Jahren Monate hindurch von Zeitungskiosk zu Zeitungskiosk ging, um durch Nachfrage nach dem Parteiorgan ‘Le Socialiste’ dessen Verbreitung zu fördern. Wie manchen ersparten Frank verausgabte sie, um das Blatt ‘en gros’ anzukaufen und dann unter die Arbeiter des äußeren ‘Quartier Latin’ zu verteilen. Aber ach! Diese Kleinarbeit blieb so erfolglos wie das Bemühen, mit Hilfe einiger Freundinnen durch Unter- richtskurse die Proletarierinnen der Partei zuzuführen.“1241 Diese Misserfolge hätten jedoch in keiner Weise Lafargues „feste[…] Zuversicht auf den Sieg des Sozialismus“ oder ihre Überzeugung von der Notwendigkeit, dass die „Frauen diesen Sieg […] als Vorbedingung ihrer eigenen Befreiung“1242 miterkämpfen müssen, getrübt. Interessant ist es, dass Zetkin zwar die jüngere Schwester Lafargues, Eleanore Marx-Aveling erwähnt, aber nicht den Umstand, dass diese 1898 ebenfalls Suizid begangen hatte. Lafargue habe im Gegensatz zu ihrer Schwester nicht „das Hinaustreten in die Öffentlichkeit, die starke Willens- bekundung“1243 gelegen. Doch „im stillen[sic]“1244 habe sie, so die Meinung Zetkins, „mit der gleichen Hingebung und Treue wie diese für den Sozialismus gewirkt“1245. Zetkins Artikel zitiert den Abschiedsbrief Paul Lafargues: „‘Gesund an Leib und Geist gab ich mir den Tod, bevor das unerbittliche Greisenalter einen Teil des Vergnügens und der Freude des Daseins nimmt und mich der physischen und geistigen Kraft beraubt, meine Energie lähmt, meine Sinne bricht und mich zur Last für mich selbst und die anderen macht. Seit Jahren habe ich mir das Versprechen gegeben, das siebzigste Lebensjahr nicht zu über- schreiten. Ich habe die Jahreszeit für meinen Abschied aus dem Leben längst bestimmt und die Ausführung meines Entschlusses vorbereitet, nämlich eine Ein- spritzung von Zyankali. Ich sterbe mit höchster Freude, die mir die Gewißheit 1239Ebd. 1240Ebd. 1241Ebd. 1242Ebd. 1243Ebd. 1244Ebd. 1245Ebd. 483 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN bereitet, daß die Sache, der ich 45 Jahre meines Lebens gewidmet habe, in nicht allzu ferner Zukunft triumphieren wird. Es lebe der Kommunismus, es lebe der internationale Sozialismus’“1246 Paul Lafargue erwähnte mit keinem Wort seine Ehefrau, die zusammen mit ihm freiwillig1247 aus dem Leben schied. Rational hatte er den Beschluss gefasst, sich einen Monat vor seinem 70. Ge- burtstag eine tödliche Injektion zu setzen, weil er sich von dem Alter nicht mehr viel erhoffte. Die nur drei Jahre jüngere Laura Lafargue muss ähnlich gedacht haben. Zetkin nannte einen möglichen Grund, weshalb auch sie nichts mehr im Leben gehalten haben könnte: Ihre Kinderlosigkeit. Den Verlust ihrer Kinder hatten beide nie verwunden. Laura Lafargue scheint zum Zeitpunkt ihres Todes vor allem noch sehr unter dem Tod ihrer Tochter gelitten zu haben. Zwar habe sie nach Meinung Zetkins „nicht zu denen [gehört], die ihr Herz leicht auf die Lippen heben, und ihrem hohen Sinne [sei] das Leiden um der Überzeugung willen selbstverständlich“1248 gewesen, doch die Erinnerung an ihre Tochter habe ihr stets die Tränen in die Augen getrieben. Umso bitterer Zetkins Gedanke, dass die Eheleute Lafargue „‘geborene[…] Eltern’ und Kinder- freunde“1249 gewesen seien. Mit Laura Lafargue habe in Draveil bei Paris eine der „treuesten und bescheidensten Diene- rinnen“ 1250 der sozialistischen Internationale ihr Leben freiwillig beendet. Zetkin gab sich besondere Mühe, ihren Leserinnen diesen Entschluss sachlich zu erklären, ihn nicht als leicht- fertig oder verzweifelt erscheinen zu lassen: „Paul und Laura Lafargue waren vollsaftige Menschen, deren Eigenart der Sozialismus nur schärfer ausgeprägt hatte. Denn er war ihnen mehr als eine graue ökonomisch-historische Doktrin: der grüne Lebensbaum einer einheitlichen Welt- anschauung voll duftender Blüten, mit denen sie sich freudig das Haupt be- kränzten. Früh hatten sie sich zu jener abgeklärten Lebensweisheit durchgerungen, welche die besten Zeiten der Antike ausgezeichnet hat und deren Grundlage das Bewußtsein von der Einheit und dem ewigen Flusse alles Seins ist. Nicht demütige Zerknirschung, stolze Ruhe strömte ihnen aus der Erkenntnis zu, daß auch sie nur Atome seien in dem unerschöpflichen, grenzenlosen All, Atome, die die Welle hebt und verschlingt. So werteten sie ihr Leben nicht nach vorgefaßten Schablonen, sondern nach dem, wie sie selbst es mit schöpferischer Hand zu formen ver- standen.“1251 Der Suizid war demnach eine bewusste Entscheidung und eine Entscheidung, die auch als Teil der 1246Paul Lafargues Abschiedsbrief an seine Freunde (1911). Zit. nach: Ebd., S. 83. 1247Diese Freiwilligkeit wurde jedoch auch in Frage gestellt. Luise Kautsky erwähnte die Möglichkeit, dass Laura Lafargue das Gift ohne ihr Wissen zu sich nahm, wusste aber auch um die Unmöglichkeit, diese Frage jemals zu klären (Kautsky, Luise: Mai-Erinnerungen. In: GL, 33/ 09-10/ 01.05.1923/ 71-79, S. 77). 1248Paul und Laura Lafargue. In: GL, 22/ 06/ 11.12.1911/ 84. 1249Ebd. 1250Ebd., S. 83. 1251Ebd., S. 85. 484 4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN Persönlichkeitsentwicklung gesehen werden müsse. Sie hatten ein selbstbestimmtes Leben gelebt und sie bestimmten selbst über dessen Ende. Zetkin wollte nicht den Verdacht aufkommen lassen, dass das Ehepaar verzweifelt gewesen sei oder gar am Sozialismus gezweifelt habe. Im Gegenteil: „Eine gesunde Freude am Leben“1252 habe sie erfüllt. Sie seien „beide Lebenskünstler im edelsten Sinne des Wortes“1253 gewesen und „[a]us dieser ihrer Lebenskunst [sei] ihnen der Wille und die Freudigkeit zum gemeinsamen freiwilligen Tod erwachsen. Nicht als eine drückende Bürde oder ein verächtliches Gut haben sie das Leben von sich geworfen. Sie löschten es aus, weil sie wußten, daß seine Flammen so hoch und hell gebrannt hatten, daß nun kein trübes, qualmiges Schwälen folgen durfte.“1254 Auch den möglichen Vorwurf, die Lafargues hätten mit ihrem Suizid der Bewegung wichtige Kräfte entzogen, schmetterte Zetkin mit den Worten ab: „Ein Mann von der Vergangenheit und dem Wesen Lafargues durfte in dieser Gewissensfrage wohl sein eigener Richter sein.“1255 Zetkin plädierte für eine bewusst andere gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Freitod und forderte: „Lassen wir doch endlich die Toten ihre Toten begraben, und haben wir den Mut zur Umwertung eines Wertes, den uns eine zweitausendjährige Knechtung des Geistes durch den kirchlichen Spiritualismus in die Seele gehämmert hat.“1256 Sie bat ihre Leserinnen um Verständnis für „die Stolzen, die in sittlicher Freiheit und Kraft zu sterben wissen, ehe daß Leib und Seele verfällt“1257, denn Paul und Laura Lafargue hätten, so Zetkin ihren Nachruf schließend, „in Schönheit gelebt, sie sind in Schönheit gestorben, ohne Pose, einfach und schlicht. Die Frommen mögen sie schelten, die Kleinmütigen sie bedauern, wir neigen uns in Freundschaft vor ihnen als vor Starken und Freien.“1258 1252Ebd. 1253Ebd. 1254Ebd. 1255Ebd. 1256Ebd. 1257Ebd. 1258Ebd. 485 4.4 „[…] eine Kühnheit des Geistes, eine Kraft des Willens, eine Reinheit der Gesinnung und Größe der Opferfreudigkeit […]“1259 – Die Klassenkämpferin 4.4.1 Zum Frauenleitbild der „Klassenkämpferin“ Proletarische Frauenbildung zielte im Gegensatz zu manchen bürgerlichen Frauen(aus)bil- dungsinitiativen nicht auf den individuellen Aufstieg der einzelnen Frau ab. Vielmehr sollte „[d]em Proletarier […] Bildung in erster Linie Kampfeswaffe, nicht lediglich Schmuck oder Genuß“1260 sein. Die Arbeiterinnen sollten die Bedingungen ihrer gesellschaftlichen Lage, die kollektive Kraft ihrer Klasse erkennen und ein Klassenbewusstsein entwickeln. Dies verlangte ihnen die Transferleistung ab, vom wirtschaftlichen und historischen Schicksal der gesamten Klasse auf ihr eigenes individuelles Schicksal zu schließen und umgekehrt. Damit war zwar eine individuelle berufliche Weiterqualifikation oder Allgemeinbildung nicht ausgeschlossen, aber eine solche war nicht zentrales Anliegen der sozialistischen Emanzipationstheorie. Die individuelle Befreiung aus Elend und Unterdrückung – egal ob für Mann oder Frau, egal welche beruflichen Qualifikationen man sich bis dahin für das Überleben in einer „überholten“ Gesellschaft angeeignet hatte – konnte nur im Kollektiv, nur als Klasse erreicht werden.1261 Ihr Klassenbewusstsein musste ihr sagen, dass jede individuelle Befreiung aus Elend und Unterdrückung nur Ergebnis eines erfolgreichen Kampfes der unterdrückten gegen die unter- drückende Klasse sein konnte. Ob Mann oder Frau und unabhängig von jeder beruflichen Qualifikation, die man sich bisher für ein Überleben in einer „überholten“ Gesellschaft ange- eignet hatte – das Kollektiv, die gesamte Arbeiterklasse war einziger Garant für ein glückliches Leben. Da scheint die Tatsache, dass Arbeiterinnen zwar leicht für unorganisierte Aktionen mobilisiert werden konnten, aber kaum für die nachhaltige Durchsetzung politischer Forderungen1262 wenig erfolgversprechend für den Kampf um eine Utopie. Meist waren Arbeiterinnen „nur“ an der praktischen Befriedigung ihrer Lebensbedürfnisse, an der Lösung der sie persönlich und ihre Familie betreffenden „Magenfrage“ interessiert. Es war also notwendig, dass die Argu- mentation sozialistischer Theorie und Agitation stets beides bekräftigte – den Wert individu- 1259Maria Lwowna Berditschewskaja. In: GL, 15/ 05/ 08.03.1905/ 25. 1260Der Gewerkschaftskongreß zu Hamburg. In: GL, 18/ 14/ 06.07.1908/ 123. 1261Auch dies ein Unterschied zu den bürgerlichen Frauen, denn individuelle Weiterbildung machte für viele bürgerliche Frauen den Reiz ihres Engagements innerhalb der Frauenbewegung aus. 1262„Sie halfen sich gegenseitig beim Überleben, bei Totgeburten, bei Abtreibungen. Bei Teuerungswellen mach- ten sie spontane ‘Krawalle’, stürmten Lebensmittelstände und Geschäfte, kauften zu selbstgesetzten Preisen ein oder eigneten sich das Notwendige ohne Bezahlung an.“ (Grossmann/Meyer-Renschhausen, Frauen und Arbeiterbewegung in Deutschland, 1914-1938, S. 55) 487 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN ellen Engagements und den Wert des Kollektivs. Lag der Schwerpunkt zu sehr auf den Bedürfnissen des Kollektivs und war das Verständnis der ProletarierInnen noch zu wenig aus- geprägt, so barg dies die Gefahr, dass ähnlich dem Verständnis des historischen Materialismus‘ ein individuelles Engagement als unnötig angesehen wurde, da die Entwicklung ja bereits vorgegeben schien. Die Unterdrückungsmechanismen des Kapitalismus mussten erst durchschaut und dann bekämpft werden. Für diesen Erkenntnisprozess war eine gewisse Allgemeinbildung grundlegend, aber eben nicht Selbstzweck. Besondere Bedeutung für die Emanzipation der proletarischen Frau hatte die Erwerbsarbeit. Diese konnte jedoch Verschiedenes bedeuten: Sie konnte Horizonterweiterung und Selbstverwirklichung sein, aber auch „Fronarbeit“, Doppel- und Dreifachbelastung. Verheirateten Arbeiterinnen wurde durch menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, Familien- und Eheprobleme, die Sorge um Essen und Wohnung, schließlich durch die pure Existenzangst das Leben schwer gemacht. All das waren Probleme, die eine Organisation unter ihnen so schwer, aber auch so unerlässlich machte. Die politisierende Schubwirkung, die der Erwerbsarbeit theoretisch zuzuschreiben ist, ließ sich anscheinend praktisch für die proletarische Frauenbewegung nicht nutzen. Woher sollten die Arbeiterinnen unter solchen Lebensbedingungen auch das Wissen und die Kraft für ein politisches Engagement nehmen? Solche Frauen konnten nicht über ihr Selbstbewusstsein als Arbeiterin für den Sozialismus gewonnen werden, da doch nur der kleinste Teil von ihnen ein solches Selbstbe- wusstsein besaß und dann zumeist schon berufsgruppenmäßig in den Gewerkschaften organisiert war. So musste auch die SPD erkennen, dass sie, wenn sie effizient agitieren wollte, die Arbeiterin nicht nur als Erwerbstätige, sondern auch als Ehefrau, Hausfrau und Mutter ansprechen musste. Folglich setzte dann – wie Evans in seinem grundlegenden Werk „Sozialdemokratie und Frauen- emanzipation im deutschen Kaiserreich“1263 feststellt – die Agitation der SPD bei vermeintlich rein frauenspezifischen Themen wie Lebenshaltungskosten, Fleischpreisen und legislativen Reformen zum Schutz von Kindern an. Die „Gleichheit“ und auch die Bildungsvereine lockten mit plakativen Titeln – einmal kämpferisch, einmal fürsorglich. Zwar zielte diese Themenauswahl hauptsächlich auf die Interessen der Hausfrauen als „praktische Ernährerinnen“ der Familie, aber man kann sagen, dass mit ihr auch die existenziellen Interessen vieler anderer Personengruppen angesprochen wurden. Sicherlich hatten nicht nur Hausfrauen, sondern auch deren Männer Grund, gegen die Lebensmittelteuerungen zu protestieren.1264 1263Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich. 1264Im Gegensatz zu Evans lässt sich m. E. nicht grundsätzlich schlussfolgern, dass die gesamte „Propaganda der 488 4.4.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER „KLASSENKÄMPFERIN“ Vor diesem Hintergrund veranschaulichen die Forderungen zum Achtstundentag nicht nur die Bildung zum „weiblichen Vollmenschen“, sondern auch die zur Klassenkämpferin. Baader ver- knüpfte die Erkämpfung freier Zeit mit den Möglichkeiten zur Selbstbildung, Schonung der Gesundheit, Gestaltung eines Familienlebens und der Pflichterfüllung als „Staats- und Gesell- schaftsbürgerin“.1265 Sie sah den Achtstundentag als Voraussetzung politischer Bewusstwerdung zur Klassenkämpferin: “Wir fordern den Achtstundentag, weil er der Arbeiterin ermöglicht, sich über ihre eigenen persönlichen und Klasseninteressen aufzuklären, sich über das Wesen der heutigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und die treibenden Kräfte der geschichtlichen Entwicklung zu belehren, die Ursachen des proletarischen Elends und die Bedingungen der Befreiung des Proletariats kennen zu lernen. Der Acht- stundentag läßt die Arbeiterin zum Bewußtsein ihrer Rechtlosigkeit als Frau, ihrer Ausbeutung und Verknechtung als Proletarierin erwachen und treibt sie in den Kampf für ihre soziale Gleichberechtigung, ihre Befreiung in der einen und anderen Beziehung.”1266 Das Gewicht all dieser Betrachtungsweisen liegt auf der „Selbstbildung“, der „Selbsterkenntnis“ und dem selbständigen Lernen. Ziel war aber eben nicht individuelle Bildung, sondern im Ver- bund mit all den anderen bewusstgewordenen Genossinnen in den Kampf für die gemeinsame Sache einzutreten. Die Frau konnte nur zur Klassenkämpferin geschult werden, wenn sie in ihrem Schicksal das Schicksal ihrer ganzen Klasse, in ihrem Kampf den Kampf Millionen anderer Frauen erkannte. Zielgerichtet konnte sie nur kämpfen, wenn sie ihre „wahren Feinde“ erkannte. In diesem Sinne klärte die „Gleichheit“ die Frauen über die Hintergründe der wirtschaftlichen Lage und ihre Verknüpfung mit den politischen Machthabern auf: „Bildung und Freiheit gefährdet, nicht bloß durch die unvermeidlichen wirthschaft- lichen Ergebnisse der Wucherzölle, sondern auch durch ihre politischen Folgen! Die Theuerungspreise stärken mit der Mammonsgewalt auch die politische Macht des Junkerthums. Das Junkerthum haßt aber Bildung und Freiheit des arbeitenden Volkes gleich Todtsünden. Entreißen sie doch die robottenden Massen der Aus- beutung der blaublütigen Sippe. Kein Zweifel deshalb; diese wird ihre gekräftigte politische Herrenstellung brauchen und mißbrauchen, um auf allen Gebieten Bil- dung und Freiheit derer zu beschneiden, die ihr zins- und tributpflichtig bleiben sollen.“1267 Da die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Politik auf ihrer staatlichen Ebene den Proletarierinnen meist zu abstrakt erscheinen mussten, versuchte man, ihnen das Interesse für die SPD eindeutig auf Hausfrauen und auf verheiratete Arbeiterinnen ausgerichtet [war]“ (ebd., S. 207. Vgl. auch Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus, S. 219.). 1265Baader, Ottilie: Acht Stunden! In: GL, 16/ 09/ 02.05.1906/ 58. 1266Warum fordern wir den Achtstundentag? In: GL, 18/ 09/ 27.04.1908/ 78. 1267Für Brot, Bildung und Freiheit! In: GL, 11/ 17/ 14.08.1901/ 129. 489 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN große Politik näher zu bringen, indem man ihre Verbindung mit den alltäglichen Überlebensproblemen aufzeigte: “Der politisch wenig aufgeklärten Proletarierin erscheinen Bäcker, Fleischer und Krämer als ihre schlimmsten Feinde. Ihnen glaubt sie es zuschreiben zu müssen, daß die notwendigsten Lebensmittel teurer werden, daß sie und die Ihrigen den Hungerriemen immer fester schnallen müssen. Sie findet daher nicht genug An- klagen für die Schlimmen. Sie bedenkt aber nicht, daß hinter ihnen andere Leute stehen, welche die eigentlichen Urheber der Teuerungspreise und damit der prole- tarischen Leiden sind. Das kann ihr klar werden, wenn sie ihre Scheu vor der Politik überwindet und ihr Augenmerk auf die Vorgänge richtet, die sich gerade jetzt im deutschen Reichstag abspielen.”1268 Politische Frauenbildung musste praxisnah vermittelt werden, aber ein gänzlicher Verzicht auf Theorie war ausgeschlossen. Zetkin und alle anderen orthodox-marxistischen Sozialdemo- kratInnen sprachen sich gegen die „Abrichtung der Proletarier zu theoretisch ungeschulten, von den gelehrten Akade- mikern geleithammelten Werkzeugen, gegen ihre Beraubung um das Teuerste und Unentbehrlichste, nämlich die volle Einsicht in die historischen Bedingungen der eigenen Klassenbefreiung, also den wissenschaftlichen Sozialismus“1269 aus. Zetkin wollte theoretisch geschulte KlassenkämpferInnen, keine Marionetten, die sich für jede, nur nicht für die „richtige“ Theorie einspannen lassen würden. Im Grunde wären sie dann von ihrer Führung genauso ausgenutzt, bevormundet und in Unkenntnis belassen wie von den Kräften der bürgerlichen Gesellschaft. Eine Möglichkeit der klassenkämpferischen Schulung und der Übernahme von Verantwortung war das mit einer Erwerbstätigkeit möglichst verknüpfte Engagement in einer Gewerkschaft. Die Identifikation über die Gruppe der Arbeitskolleginnen, über den Beruf und die gewerkschaftliche Organisation, sollte aus der diskriminierten „Sklavin“ eine organisierte Kämpferin gegen den „Sklaventreiber“ machen. Jede einzelne Kämpferin machte die gewaltige Macht der Gewerkschaft aus, jede einzelne war wichtig. Die Arbeiterin war nicht nur „ein Rädchen im sausenden Getriebe des Wirthschaftslebens […][, sondern] ein lebendiges, fühlendes, denkendes, wollendes Wesen“ 1270. Die gewerkschaftliche Organisation unterlag aber genauso wie die rein politischen Frauenorgani- sationen den Widrigkeiten des weiblichen Alltags. Die „Gleichheit“ rief im folgenden Artikel zu 1268Billiges Brot! In: GL 19/ 21/ 19.07.1909/ 326. 1269Der Parteitag in Nürnberg. In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 181. Erstaunlich, dass gerade sie die „Theoriekluft“ zwischen Basis und Führung anprangerte, war sie es doch, die ihre Machtposition vornehmlich durch diese Kluft ausbauen konnte. Vielleicht ging es Zetkin aber eben nicht um ihre persönliche Profilierung. Vielleicht wollte sie vielmehr die gleichberechtigte theoretische Bildung aller, wobei sie die zwangsläufig aufkommende Konkurrenz in Kauf genommen hätte. 1270An Alle, die es angeht. In: GL, 12/ 21/ 08.10.1902/ 164. 490 4.4.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER „KLASSENKÄMPFERIN“ Verständnis und Beseitigung dieser Widrigkeiten auf: „In der Hauptsache sind sie [die Organisierungsschwierigkeiten, M.S.] unmittelbar oder mittelbar in dem Weibsein der Arbeiterin begründet. Weil die Arbeiterin ein Weib ist, so treten Tendenzen in Erscheinung, welche in der Richtung wirken, organisationsunfähig und organisationsunlustig zu machen. Von der niedrigen Ent- lohnung der Arbeiterinnen, ihrem zwiefachen Pflichtenkreise in der Fabrik und in der Familie gilt das Erstere. Die Organisationsunlust der erwerbsthätigen Frauen und Mädchen aber wird durch zahlreiche andere Umstände bedingt. Durch den Hinblick auf die Familie, ihre Anforderungen und ihre eng erfaßten Interessen; die Hoffnung, in ihr den Unterhalt zu finden und in Verbindung mit dieser Erwartung die Werthung der Berufsarbeit als eines zeitweiligen Nothbehelfs; die Milderung der Folgen der Arbeitslosigkeit durch die Familie; das Betreiben der Erwerbsarbeit als Zwischen- und Nebenwerk; die unterbürtige Stellung des weiblichen Ge- schlechts; seine Bedürfnislosigkeit und Fügsamkeit; die Rückständigkeit seiner sozialen Einsicht; das mangelnde Interesse für die Allgemeinheit; das unterent- wickelte Solidaritätsgefühl etc. etc. […].”1271 [Hervorhebung von M.S.] Die Autorin – wahrscheinlich Zetkin – diagnostizierte schon hier präzise die Probleme weiblicher Organisation. Jedoch erscheinen ihr die Lebensumstände der Proletarierinnen und die weibliche Psyche lediglich als störender „Stolperstein“ der klassenkämpferischen Ausbildung – Rück- schlüsse auf die Sozialisationsbedingtheit dieser Eigenarten zog sie nicht. Sie schloss sich damit – enttäuscht, aber wohl unbeabsichtigt – den Vorurteilen der bürgerlichen Frauenemanzipations- gegner an, die den Frauen eben mit Hinweis auf diese „Mängel“ ihre Rechte verweigerten. Eine weitere Möglichkeit, Proletarierinnen auch schon vor 1908 politisch zu bilden, klassen- kämpferisch zu schulen und sie Verantwortung übernehmen zu lassen, waren die Wahlhilfe- gruppen. Zetkin beschrieb die Atmosphäre im Vorfeld von Wahlen, an denen Frauen nur auf diese eine Weise Anteil haben durften: „Zu den Wahlversammlungen drängen sich die Frauen. Die blasse, von später Arbeit übernächtigte Näherin, die noch schüchterne Fabriklerin, die abgespannte Verkäuferin, die dürftige Arbeiterfrau, welche ihre Wirtschaft und ein Häuflein Kinder versorgen, ‘nebenbei’ aber noch für den Erwerb arbeiten muß, sie alle, die tagaus, tagein schuften und schanzen, ohne mehr als das trockene Brot zu ver- dienen, sie stellen sich ein. Mit blitzenden Augen, Begeisterung auf den verhärmten Zügen, fast andächtig lauschen sie den Ausführungen der sozialdemo- kratischen Redner. Hier und da ergreifen Frauen das Wort […] Sie sind aber auch Täter des Wortes und nicht Hörer allein. Wo und wie sie können, helfen sie den Genossen bei den praktischen Wahlarbeiten. Frauen, die bis tief in die Nacht hinein geschafft haben, stehen am frühen Morgen in Reih und Glied, um bei der Ver- teilung von Flugblättern, Agitationsschriften, Programmen behilflich zu sein. Keine Treppe zu hoch, keine Gasse zu abgelegen, kein Weg zu weit und ermüdend! Es gilt ja, die Bewohner der höchsten Stockwerke, der entlegensten Winkel aufzu- 1271Zur Frage der gewerkschaftlichen Agitation unter den Arbeiterinnen. I. In: GL, 12/ 07/ 26.03.1902/ 49. 491 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN klären und zu gewinnen.“1272 Frauen leisteten in diesen Wahlhilfegruppen und Wahlvereinen wertvolle „Parteikleinarbeit“ und dies wurde als für die Proletarierinnen sehr lehrreich erachtet: „Das Wahljahr wird ihnen ein gutes Schuljahr, und ihre Mitarbeit wird den Genos- sen besonders in diesem Jahre sehr willkommen sein. Bei den übrigen Arbeiten, wie Flugblattverbreitung, Agitation etc., haben schon immer eine Anzahl Genos- sinnen wacker mitgeholfen, und in jeder Versammlung fordern wir zur weiteren Beteiligung der Frauen an solchen Arbeiten auf. Dadurch fördern wir unsere große gemeinsame Sache ungemein, und unsere Genossinnen gewinnen in geistiger und politischer Hinsicht.”1273 Der Gedanke an die gemeinsame Sache und die Möglichkeit überhaupt für die Partei aktiv zu werden, scheint hier jedem persönlichen Ehrgeiz übergeordnet gewesen zu sein. Allerdings ist fraglich, ob mittels solcher kleinen Hilfsarbeiten wirklich das inhaltliche Verständnis für den Sozi- alismus gefördert oder nur ein „sittlicher“ Beitrag zur Lernmoral der Proletarierinnen geleistet wurde. Bedeutete „Klassenkampf“ in erster Linie nicht „Kampf“, der zum Teil mit illegalen, zum Teil auch mit gewaltsamen Mitteln geführt werden sollte?! Viele andere Male rief die „Gleichheit“ deshalb nicht nur zur stillen Mitarbeit in einem System auf, das der Sozialismus eigentlich zu vernichten bestrebt war. Sie schürte vielmehr die Kampfes- lust der Proletarierinnen als „sozial Enterbte“1274 und als „Paria“ der deutschen Klassengesell- schaft. Sie schürte damit ein Aufbegehren, welches notwendigerweise oft am Rande der geltenden Gesetzlichkeit liegen musste. Denn es war nicht unbedingt „stille[s] weibliche[s] Heldentum“1275, das eine Frau zur sozialis- tischen Klassenkämpferin machte. Vielmehr musste eine streitbare sozialistische Kämpferin auch über eine gewisse Radikalität verfügen: „Die politisch aufgeklärte Proletarierin ist nicht länger ein willenloses, kapitalisten- frommes Ausbeutungsobjekt, sie nimmt Theil am Kampfe ihrer Klasse, sie ist eine Todfeindin der Bourgeoisie.“1276 Besonders die revolutionäre Bewegung in Russland der 1870er Jahre war Zetkin ein Beispiel dafür, wie eine „rein idealistische, friedliche Propagandabewegung“1277 durch die ihr zugefügte Gewalt, die Verfolgungen und Verbannungen, radikalisiert wurde. Für Zetkin war klar: Der 1272Die deutschen Genossinnen im Wahlkampf. In: GL, 03/ 15/ 26.07.1893/ 118-120, S. 119. 1273Zietz, Luise: Frauen in Vertrauensposten der sozialdemokratischen Wahlvereine Hamburgs. In: GL, 13/ 06/ 11.03.1903/ 45. 1274Dem Kampfe entgegen! Der Freiheit entgegen! In: GL, 10/ 01/ 03.01.1900/ 2. 1275Natalie Liebknecht. In: GL, 19/ 10/ 15.02.1909/ 152. 1276Die deutschen Genossinnen im Wahlkampf. In: GL, 03/ 15/ 26. 07.1893/ 120. 1277Sophie Perowskaja. In: GL, 02/ 21/ 19.10.1892/ 175. 492 4.4.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER „KLASSENKÄMPFERIN“ „weiße Schrecken“ provozierte den „rothen Schrecken“1278. Doch trotz jedes Verständnisses lehnte die deutsche Sozialdemokratie prinzipiell den Terror, der sich im Falle der russischen Bewegung vor allem gegen die Personen des Zaren und hochrangige Beamte richtete, als Kampfmethode ab. Dies, wie Kautsky bzw. Kähler schrieb, „[n]icht aus moralischen Gründen heraus, sondern aus geschichtlicher Erkenntnis […] Die vereinzelte Tat gegen einzelne Personen wird niemals imstande sein, ein ganzes System zu ändern – das vermag nur der feste, planmäßig organisierte Kampf der Massen.“1279 Auch wenn die Autorin den Terror ablehnte, begriff sie ihn doch als historisch gewachsen, denn es sei eine „[h]istorische Tatsache […], daß jede reaktionäre Periode aufs neue terroristische Taten zeitigt nach der alten Regel, daß Druck Gegendruck erzeugt“1280 und die Sozialdemokratie dürfe an den Attentaten „nicht achtlos oder gleichgültig vorübergehen“1281. Zetkin machte es sich besonders in den ersten Jahren der „Gleichheit“ zur Aufgabe, ihren Leserinnen die Lebensbilder russischer Terroristinnen bzw. Revolutionärinnen vorzustellen. Es waren ihrer Meinung nach herausragende Frauen in einer herausragenden Bewegung, die „zu den glänzendsten Ruhmesblättern in der Geschichte des weiblichen Geschlechts“ gehörten. Andere Freiheitskämpfe in der Geschichte würden nicht so viele Frauen in den vordersten Reihen der Kämpfer aufweisen – Frauen, die „im Dienste ihrer Ideale eine Kühnheit des Geistes, eine Kraft des Willens, eine Reinheit der Gesinnung und Größe der Opferfreudigkeit bewiesen, die sie als Ebenbürtige neben die mutvollsten Helden des Altertums, die selbstverleug- nendsten Märtyrer der christlichen Religion stellen“1282 Der Begriff von der „Reinheit der Gesinnung“ verweist auf den Grad der wissenschaftlichen Aufgeklärtheit einer idealen Klassenkämpferin, der der „Opferfreudigkeit“ und des „selbst- verleugnenden Märtyrertums“ u. a. auf ihre körperlichen Leiden und mythische Überhöhung. Den größten Beifall, so stimme ich Gomard zu, erhielten in der „Gleichheit“ nicht diejenigen Frauen, die sich emotional, von einem Gefühlssozialismus geleitet der politischen Sache ver- schrieben, sondern die aufgeklärten Anhängerinnen des wissenschaftlichen Sozialismus.1283 Es war Zetkin auch an einem seriösen Bild nach innen und außen gelegen, wenn sie die bürgerlichen 1278Ebd. 1279[Kautsky, Luise? oder Kähler, Luise?] L. K.: Zwei Märtyrerinnen im russischen Freiheitskampf. In: GL, 18/ 04/ 17.02.1908/ 30. 1280Ebd. 1281Ebd. 1282Maria Lwowna Berditschewskaja. In: GL, 15/ 05/ 08.03.1905/ 25. 1283Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 30. 493 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Propagandabilder von der „sozialrevolutionäre[n] Kämpferin“1284 als „‘entmenschte[…] Furie’“1285 oder „rasende[…] ‘Petroleuse’“1286 zu entkräften suchte. Grubitzsch spricht im Zusammenhang mit solchen diffamierenden Propagandabildern von der „Pathlogie der revolutionären Frau“1287. Nicht selten seien Frauen schlicht zu Geisteskranken erklärt worden, wenn sie in ihrer Radikalität Grenzen überschritten.1288 Die „Verrücktheit“ lag jedoch nur darin, dass diese Frauen Normen „verrückt“ oder ignoriert hatten. Mit dem Argument, dass revolutionäre Frauen schlichtweg geisteskrank seien, hatte man jedoch zusätzlich die Möglichkeit, ihre Kämpfe ins Lächerliche zu ziehen – ohnehin ein sehr beliebtes Mittel der Diffamierung: „Wo es nicht gelingt, Frauen als minderwertig und infantil erscheinen zu lassen, tritt die andere Variante des Frauenhasses auf: Frauen werden als Mannweiber ab- gestempelt, die irgendwie verrückt sein müssen, weil sie die ihnen gesellschaftlich zugedachte Rolle nicht zu spielen gedenken.“1289 Umso mehr war für die moderne Klassenkämpferin der wissenschaftliche Sozialismus ein genauso schlagkräftiges Argument wie der Kampf. In der Berufung auf ihn lag sowohl Hoffnung als auch Gewissheit. Zetkin beschrieb in ihrer kritischen Zusammenfassung des Nürnberger Parteitages zwei in der Partei herrschende Auffassungen vom proletarischen Klassenkampf: Erstens den „Standpunkt des unerbittlichen, schroffen Klassenkampfes, dem das sozialistische Zu- kunftsideal, das Endziel als Leitstern in allem Tun voranleuchtet“1290. Zweitens den „Standpunkt des unbewußten Kompromisses mit der bestehenden Ordnung, dem ein ebenso unbewußter Skeptizismus in bezug auf das sozialistische Endziel zu- grunde liegt und gleichzeitig damit eine Überschätzung der auf dem Boden des Bestehenden erreichbaren Reformen und Besserungen“1291. In dieser kurzen Skizzierung spiegeln sich die beiden Linien der orthodoxen Marxisten und der Revisionisten wider. Zetkin schrieb jedoch nicht einzelnen Personen eine Schuld am partei- zersplitternden Ideenkampf zu – obwohl sie schon an einzelnen Personen wie Eduard Bernstein (1850-1932) für den Revisionismus oder Karl Kautsky (1854-1938) als seinem revolutionären 1284Louise Michel. In: GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 44. 1285Ebd. 1286Ebd. Zu den Rollenklischees weiblicher Kombatanten siehe: Theweleit, Männerphantasien. 1287Grubitzsch, Ein steiniger Weg, S. 21. 1288Ebd., S. 20. Grubitzsch, die in ihrer Studie eigene leidvolle Erfahrungen aus der aktuellen Politik mitteilt, verweist hier auf die vermeintlich „pathologischen Fälle“ Wabnitz und Michel, der man nachsagte, sie sei nach dem Tod ihrer Mutter „wahnsinnig“ geworden. Im „Fall“ Wabnitz ließ auch Zetkin in ihrem Nachruf die psychologische Komponente nicht außer Acht. 1289Ebd., S. 23. 1290Der Parteitag in Nürnberg. In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 181. 1291Ebd. 494 4.4.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER „KLASSENKÄMPFERIN“ Kontrahenten festzumachen waren – sie charakterisierte vielmehr den Revisionismus als ein „unvermeidliches, historisch bedingtes, deshalb auch völlig normales Ergebnis“1292 des Partei- wachstums. Der damit verbundene Zulauf aus dem Kleinbürgertum ließe es manchen pragmatisch denkenden SozialistInnen einfach ratsamer und erfolgversprechender erscheinen, mit den Bürger- lichen zu paktieren – auch wenn dies wider alle klassenkämpferischen Prinzipien war.1293 Für Zetkin war der Revisionismus also schlicht ein Element des „historischen Materialismus“, eine Unvermeidbarkeit oder wie Staude es ausdrückt: „Sie betrachtete Reformen und die soziale Revolution nicht als Gegensätze in der Strategie und Taktik des Kampfes der revolutionären Arbeiterbewegung gegen das kapitalistische System. Für sie waren Reform und Revolution zwei Seiten in der Entwicklung der Klassengesellschaft, die wechselseitig miteinander verbunden sind, sich gegenseitig bedingen und einander ergänzen. In diesem Prozeß ist die soziale Revolution Geburtshelfer der neuen Gesellschaftsordnung; der Reform kommt dabei vorbereitende Funktion zu.“1294 Es ist allerdings später zu beobachten, dass Zetkin, je mehr die revisionistische Position in der Partei vorherrschend wird, desto unerbittlicher gegen sie agitierte. Mit Zuspitzung des Positions- kampfes stand die „Gleichheit“ klar im Lager der MarxistInnen. Sie wurde, so Staude, nach 1907 zu einem „Organ der deutschen Linken“1295 und sollte bis 1917 der „Sammelpunkt der revolutio- nären Marxisten in Deutschland“1296 bleiben. Dies vor allem, weil unter der Redaktion Zetkins FührerInnen des radikal-revolutionären Flügels wie Bebel, Mehring und Luxemburg in ihr publizierten. Auch Lenin, so Staude weiter, habe zu den „ständigen Lesern“1297 der „Gleichheit“ gehört. Wenn allerdings die im vorhergehenden Kapitel dargelegte Niggemann‘sche Analyse, dass trotz dieser prominenten Unterstützung allein Zetkin das radikale Element innerhalb der proletarischen Frauenbewegung darstellte, zutrifft, dann war also zeitgleich mit ihrem Machtverlust, der ja wie das Erstarken des Revisionismus mit dem Parteiwachstum zusammenhing, die revisionistische Entwicklung der Frauenbewegung unaufhaltbar. Der Erste Weltkrieg sollte diesen Umstand offenbaren. Zetkin als die Verkörperung des „sozialistischen Gewissens“ innerhalb der proletarischen 1292Ebd. 1293Vgl. ebd. 1294Staude, Die Rolle der „Gleichheit“ im Kampf Clara Zetkins für die Emanzipation der Frau, S.436. 1295Ebd., S. 428. 1296Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. In acht Bänden hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED, Bd. 1: Von den Anfängen der deutschen Arbeiterbewegung bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts, Berlin: Dietz, 1966, S. 451. Siehe auch: Staude, Die Rolle der „Gleichheit“ im Kampf Clara Zetkins für die Emanzipation der Frau, S. 440. 1297Ebd., S. 434. 495 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Frauenbewegung stellte seit Beginn des Krieges die Erziehung von Kriegsgegnerinnen in den Mittelpunkt ihrer Schulung1298 und damit die „Gleichheit“ in eine parteivorstands- und gewerk- schaftsoppositionelle Linie. Ihr Handlungsspielraum war durch Pressezensur und unterdrückende Gesetzesmaßnahmen erheblich eingeschränkt. Leitartikel der „Gleichheit“ hatten dennoch die schmerzlich spürbaren Folgen des Krieges zum Thema, z. B. die Kriegerwitwen- und -waisenver- sicherung, die Arbeitslosigkeit (die nun eher kriegsunwichtige Zweige betraf), die Frauenarbeit, Teuerungen jeder Art, besonders im Bereich der Ernährung, und die Frauenbewegung im Ausland. Dies und die offen gegen den Parteivorstand eingenommene Haltung wurden von vielen nationa- listischen SPD- und Gewerkschaftsfrauen nicht gern gesehen. Doch die „Gleichheit“ blieb als Organ der Sozialistischen Fraueninternationale ihrer internationalen und somit auch radikalen Linie treu. „Denn weit davon entfernt, eine Abschwächung und Abstumpfung der sozialis- tischen Auffassung gesellschaftlicher Dinge zu lehren, predigt der Krieg mit ge- waltiger Stimme die Notwendigkeit der klarsten Herausarbeitung, der größten Vertiefung der sozialistischen Auffassung, als der unerschütterlichen Grundlage für die künftige Einheit des Erkennens, Wollens und Handelns.“1299 Zetkin klagte die Haltung der Partei an, die in einem Moment des opportunistischen Kalküls alle Grundsätze der sozialistischen Weltanschauung verraten hatte. Die Partei verfolgte lediglich die Taktik der Durchsetzung bürgerlicher Reformen. Zetkin ging dies nicht weit genug und sie for- derte, ihrer Radikalität und der Einheit von sozialistischem Denken und Handeln gemäß, den revolutionären Umsturz des Kapitalismus. Alle auf dem Boden des Sozialismus stehenden Klas- senkämpferInnen mussten diesen Krieg verdammen. Und wer diesen Krieg verdammte, musste letztendlich die Politik verdammen, die diesen Krieg zugelassen hatte. Die gesundheitlichen Opfer wurden einer Klassenkämpferinnen teils von sich selbst, teils von ihren Gegnern abverlangt. Die Beweggründe der Klassenkämpferin für ihre Teilnahme am Kampf waren, so Gomard, „die Fürsorge für die Schwachen, ihr Mitleid, aber dazu auch Wut und Desparation und die Hoffnung auf ein besseres Leben – alles im Begriff ‘proletarische Soli- darität’ zusammengefaßt“1300. Die Solidarität der proletarischen Frauen wurde jedoch in der Zeit ihrer Illegalität auf besonders harte Proben gestellt. Und doch, so Braun 1897, habe vieles, was die proletarischen Frauen und die proletarische Frauenbewegung auf der einen Seite hemmte, auf der anderen zu ihrer Förderung 1298Dafür standen ihre Leitartikel und die eigens ab Nr. 8 des 25. Jahrgangs eingerichtete Rubrik „Für den Frieden“. 1299Einladung zum Abonnement In: GL, 25/ 26/ 17.09.1915/ 173. 1300Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität und Utopie, S. 42. 496 4.4.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER „KLASSENKÄMPFERIN“ beigetragen. Verfolgung stärke die Verfolgten, indem sie sie energischer und selbstloser mache.1301 Braun schrieb auf diese Weise dem illegalen Raum, in dem die Frauenorganisation sich bewegen musste, letztendlich einen positiven Aspekt zu, weil er das Solidaritätsgefühl stärkte. „Und der Mangel an äußeren Mitteln weckt die beste Kraft des Weibes: die Auf- opferungsfähigkeit, sie macht aus zagenden, demüthigen Sklavinnen, stolze, selbst- bewußte Frauen, die wissen, daß sie auf Niemanden, als auf sich selbst zu hoffen haben.“1302 Mit der Zuschreibung großer Opferbereitschaft redete Braun einerseits den damaligen patriarcha- lischen Rollenmustern und Wesensvorstellungen der Frau das Wort, andererseits aber auch einer autonomen Entwicklung, die, übertragen auf die gesamte proletarische Frauenbewegung, die Verbindung mit der Sozialdemokratie in Frage stellte. Auch aus diesem Grund dürfte die von den Genossinnen an ihrem Beitrag vorgenommene Kritik so heftig ausgefallen sein. Das Selbstbewusstsein einer Klassenkämpferin richtete sich nie gegen ihre Klassengenossen, war nie egoistisch. Es ist vielmehr festzustellen, dass das Selbstbewusstsein in Gestalt bedingungslo- ser Opferbereitschaft sogar über „Selbstlosigkeit […] bis zur vollständigen Selbstverleugnung“1303 reichte. Zetkin selbst nahm in ihrer Arbeitswut keinerlei Rücksicht auf ihre Gesundheit und dabei auch schwere gesundheitliche Schäden in Kauf. Puschnerat erklärt diese Hingabe mit einer für Zetkin typischen „asketisch-protestantische[n] Haltung“1304 und als symptomatisch für ihre Eigenart der Instrumentalisierung und Funktionalisierung, die auch vor dem eigenen Körper nicht Halt gemacht habe.1305 Andere WissenschaftlerInnen sehen in dieser Unermüdlichkeit Zetkins eine be- wunderungswürdige Opferbereitschaft und Selbstlosigkeit – Eigenschaften, die im sozialistischen Frauenleitbild der „Gleichheit“ hoch geschätzt wurden. Die Inkaufnahme von Schmerzen – kör- perlichen wie seelischen – rückte Klassenkämpferinnen, wie an Zetkins Aussage aufgezeigt, sogar auf den Rang von „Märtyrerinnen“. Diese und weitere biblische Metaphern unterstreichen zudem den dramatischen Duktus der „Gleichheit“ und die „Heilsbotschaft“ des Sozialismus. Gomard gibt als „Erklärung für das religiöse Pathos […], daß die Partei kein eigenes Pathos ent- wickelt hat, und deshalb ein vorhandenes Pathos umfunktioniert, das die Leserinnen schon aufgrund ihrer Sozialisation mit positiven Vorstellungen ver- 1301[Braun, Lily] Braun-Gizycki, Lily: Die nächsten Aufgaben der deutschen Arbeiterinnenbewegung. 07/ 06/ 17.03.1897/ 41. 1302Ebd., S. 41f. 1303Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 147. 1304Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 46. 1305Ebd. 497 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN binden“1306. Puschnerat sieht dieses Pathos mit einer Re-Mythologisierung einhergehen, die ihrer Meinung nach zu einem Zeitpunkt einsetzte, an dem die SPD erkannt habe, dass angesichts der nicht eintretenden Revolution sich das Primat der Wissenschaftlichkeit abgenutzt hatte.1307 Tatsächlich aber gab es mythologische Anlehnungen in der „Gleichheit“ sowohl unter der vom wissenschaft- lichen Sozialismus geprägten Redaktion Zetkins als auch unter deren Nachfolgerinnen, die auf diese Weise die Kirchgängerinnen unter ihren Leserinnen anzusprechen versuchten. Historische Leitfiguren, die dem Ideal einer „sozialistischen Klassenkämpferin“ entsprochen hätten, konnte die „Gleichheit“ nur aus der jüngeren Geschichte entnehmen. Teils hätte es den Leserinnen noch wie Frau Bosse ergehen können, die bei der sozialdemokratischen Frauen- konferenz 1904 in Bremen während ihres Berichtes zum Organisationsstand erwähnte, dass sie selbst von Guillaume-Schack für die sozialistische Sache begeistert worden sei: „Durch sie kam ich zu der Ehre, hier eine Führerrolle zu spielen. Ich tat, was in meinen schwachen Kräften stand, es konnte nicht viel sein. Ich bin eine arme Pro- letarierin, hatte wenig Bildung und Wissen. Meine Dreistigkeit, mich öffentlich im Reden zu versuchen, war mein einziges Verdienst. Ich konnte nicht viel leisten.“1308 Bosse erhöhte hier, indem sie die der Klassenkämpferin eigene Bescheidenheit pflegte, das Vor- bild einer der ersten Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung. Die bekannteste von allen, Clara Zetkin, wurde bereits zu Lebzeiten als Vorbild verehrt und wurde als solches auch in Gedichten gepriesen: „Gegen Junker, gegen Pfaffen / Schleuderst Du des Geistes Waffen, / Gegen schnöden Wucherzoll, / Der das Brot vertheuern soll / Stehst Du stolz auf Deiner Schanze / Als ein Weib mit Schwert und Lanze, / Als ein Vorbild für so Viele. / Auf! ihr Frauen, auf zum Ziele!“1309 Zetkin war Leitfigur und – wie die nachfolgenden Biographien zeigen werden – in ihrer rücksichtslosen Selbstaufopferung für die politische Sache alles andere als allein. So wie sie fragten auch andere nicht was, sondern zu welchem Zweck etwas verlangt wurde.1310 In den nachfolgenden Biographien und Nachrufen werden in Person weiblicher Terroristinnen 1306Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 29. 1307Vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 103. 1308Bosse im Bericht über die 3. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Bremen 1904, S. 341. 1309GL, 11/ 25/ 04.12.1901/ 197. Der mit dieser Widmung versehene prachtvolle Blumenkorb hatte Zetkin nach einer Versammlung in Leipzig überreicht werden sollen, musste dann aber mit der Post gesandt werden (vgl. ebd.). 1310Vgl. Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 173. Ursprünglich wandte sich Zetkin mit dieser Argumentation gegen die Art der von der bürgerlichen Frauenbewegung formulierten Forderungen. Doch wird hier auch eine Parallele zum Gedanken absoluter Opferbereitschaft deutlich. 498 4.4.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER „KLASSENKÄMPFERIN“ Russlands, Funktionärinnen der SPD und internationaler sozialistischer Organisationen ideal- typische Klassenkämpferinnen vorgestellt werden. Sie stehen hauptsächlich für die besonderen Charakterstärken, die eine sozialistische Klassenkämpferin ausmachen. Aber einige der Frauen wurden hinsichtlich der „Reinheit ihrer Gesinnung“, welche nur durch das wissenschaftliche Studium des Sozialismus erlangt werden konnte, vor allem von Zetkin einer strengen Kritik unter- zogen. Manche von ihnen haben sich nicht über den „Gefühlssozialismus“, der sie zur Arbeiterbewegung brachte, oder über utopische Theorien hinaus entwickelt, andere gingen „falsche“ Wege, z. B. in Richtung Anarchismus oder bürgerliche Frauenbewegung. Eine Klassen- kämpferin jedoch musste „Hirn und Herz“1311 für die Sache des Sozialismus einsetzen. 1311Margarete Wengels zum 60. Geburtstag. In: GL, 26/ 13/ 17.03.1916/ 98-99, S. 98. 499 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN 4.4.2 Revolution oder Terror?! – Die Klassenkämpferinnen Russlands Die „bedeutendste“1312 unter den Frauen, die sich zuerst in der friedlichen Propagandaarbeit und dann am Terrorismus beteiligten, war nach Zetkins Meinung Sophie Perowskaja (1853-1881)1313. Sie sei „[a]n Opfermuth, Pflichttreue, Hingabe und Begeisterung […] Schärfe und Weite des Blicks,[…] ruhiger Kaltblütigkeit, geistiger Spannkraft und eiserner Festigkeit des Willens“1314 unübertroffen gewesen. Perowskaja wurde 1854 (nach anderen Angaben bereits 1853) in Sankt Petersburg als Tochter einer aristokratischen Familie geboren, die sehr unter dem despotischen Vater gelitten habe. Jedoch gelang es Perowskaja, ihrem Vater die Erlaubnis für ein Studium in einem Institut für höhere Töchter abzuringen. Auf diese Weise dem Elternhaus entflohen, lernte sie bald viele Studenten und Studentinnen kennen, die den sozialistischen Ideen anhingen und den „Zirkel der Tschaikowzi“1315 gründeten. Perowskaja, die die anderen durch die „unzähmbare Energie ihres Willens“1316 einerseits und durch ihre Fähigkeit, „ein Ereigniß leidenschaftslos, ohne Vorurtheil und trügerische Illusion“1317 allseitig zu betrachten andererseits weit überragte, wurde führendes Mitglied dieses Zirkels. Nach ihrer Ausbildung zur Lehrerin agitierte sie unter der bäuerlichen Bevölkerung und wurde von dieser wegen „ihres Ernstes und ihrer Einfachheit“1318 sehr gut aufgenommen – laut Zetkin sogar geliebt. Perowskaja kehrte nach Sankt Petersburg zurück, um dort verschiedene revolutionäre Gruppen und geheime Druckereien zu gründen. 1873 wurde sie jedoch verhaftet. Nach einem Jahr Untersuchungshaft kam sie auf Kaution frei, musste aber die Stadt verlassen. Allerdings nutzte sie die drei Jahre, die sie notgedrungen in der Provinz verbringen musste, um eine chirurgische Ausbildung zu absolvieren. Schließlich kehrte sie als Krankenpflegerin und Wundärztin wieder nach Sankt Petersburg zurück. Erneut verhaftet, stand Perowskaja im so genannten „Prozess der 193“ vor Gericht. Sie wurde freigesprochen, sollte aber trotzdem unter Bewachung gestellt werden. Es gelang ihr, dieser zu entkommen und sich erneut einer politischen Gruppe, der 1312Sophie Perowskaja. In: GL, 02/ 21/ 19.10.1892/ 175. 1313Der vollständige Name Perowskajas lautet: Sophie Lwowna Perowskaja. 1314Ebd. Der 1871 entstandene Zirkel benannte sich nach einem seiner Mitbegründer, N.W. Tschaikowski (vgl. Figner, Nacht über Russland, S. 505). 1315Sophie Perowskaja. In: GL, 02/ 21/ 19.10.1892/ 175. 1316Ebd., S. 176. 1317Ebd. 1318Ebd. 500 4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS „Semlja i Wolja“ („Land und Freiheit“) anzuschließen. Diese Gruppe gab eine illegale Zeitschrift heraus und befreite außerdem politische Gefangene aus ihren Gefängnissen. Auch Perowskaja verkleidete sich als Kammerfrau oder Dienstmädchen, um unbemerkt in die Gefängnisgebäude zu gelangen. Die Gruppe spaltete sich 1879 und Perowskaja wurde Mitglied der terroristischen Gruppe „Narodnaja Wolja“ („Volkswillen“). Hier war sie als „die Seele des revolutionären Exekutiv- komités“1319 sowohl an der Planung der terroristischen Unternehmungen als auch an ihrer Durch- führung beteiligt. Weil sie aber immer stärker ins Blickfeld der Behörden geriet, wollten ihre Genossen sie ins Ausland bringen. Perowskaja weigerte sich jedoch hartnäckig: Sie wollte „lieber in Rußland gehangen werden, als im Auslande unthätig dahinleben“1320. Angesichts dieser heiklen Situation war es umso kaltblütiger, dass ausgerechnet sie das Häuschen mietete, in dem die Mine für ein Attentat auf den Zug des Zaren hergestellt werden sollte. Auch an dem Attentat, bei dem Zar Alexander II. am 13. März 1881 ermordet wurde, war Perowskaja maßgeblich beteiligt. Anstatt jedoch nach diesem gelungenen Attentat die Stadt zu verlassen, wollte sie bei ihrem inhaftierten Lebensgefährten Andrej Iwanowitsch Sheljaboff bleiben, womit ihre Verhaftung und ihr Todesurteil nur eine Frage der Zeit wurde. Perowskaja sei „muthig, wie eine Heldin“1321 gestorben, habe weder Angst gezeigt noch Effekt- hascherei betrieben. Sie war für Zetkin ein herausragendes Vorbild, aber eines, dem schwer nachzustreben sei. „Alles in Allem ist es nicht[sic!] leichter, zu sterben, wie sie starb, als zu leben, zu handeln, wie sie gelebt und gewirkt.“1322 Nach all den Beschreibungen jener heldenhaften Frau ist es also nicht ihr Märtyrerinnentod, den Zetkin von ihren Leserinnen verehrt und nachgeahmt wissen wollte, sondern das „selbstver- leugnende Wirken“1323 für eine Sache – für den Sozialismus. In demselben Alter wie Perowskaja und wie sie eine der „selbstlosesten und bedeutendsten“1324 Frauen der revolutionären Bewegung Russlands war Sophie Bardina (1853-1880/1883?). 1319Ebd. 1320Ebd. 1321Ebd. 1322Ebd. Hier liegt m. E. ein Druck- oder Gedankenfehler vor, da es Zetkins Ansinnen gewesen sein muss, Perows- kajas Schaffen für den Sozialismus positiv hervorzuheben. 1323Ebd. 1324Issajew, A.: Sophie Bardina. In: GL, 02/ 16/ 10.08.1892/ 135. 501 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Bardina, so erfährt man aus dem von A. Issajew (?-?)1325 verfassten zweiteiligen Artikel, genoss als Tochter des Polizeikommissars der Stadt Morschwask eine gute Schulbildung und absolvierte das Gymnasium mit Auszeichnung. Ihr Vater sei zwar ein ehrlicher Beamter gewesen, aber außer- dem auch ein Familiendespot, der seine „herzensgute, milde Frau“1326 in einer ständigen Angst gehalten habe. 1871 studierte Bardina in Moskau, wo sie sich einer revolutionären StudentInnengruppe an- schloss. Ihre Mitglieder beschäftigten sich, um der revolutionären Sache noch besser nützen zu können, neben ihrem Fachstudium zusätzlich mit Naturwissenschaften, Nationalökonomie und Geschichte. Viele gingen ins Ausland, bevorzugt nach Zürich, um dort freier als in Russland in so genannten „Zirkeln für Selbstbildung“ vor allem Sozialwissenschaften zu studieren.1327 Auch Bardina ging nach Zürich und gründete gemeinsam mit anderen jungen Frauen im Alter von 17 bis 18 Jahren einen solchen Zirkel. Als Älteste und Belesenste unter ihnen war Bardina die trei- bende Kraft und sie besaß darüber hinaus einen ausgezeichneten Charakter, viel Humor und die Fähigkeit, ihre ZuhörerInnen zu bezaubern. Von ihren sehr gefühlsseligen Gefährtinnen hob sie sich zusätzlich durch einen, so Issajew, „klare[n], scharfblickende[n], ja satirische[n] Geist“1328 ab. Ihr sei „jede Uebertreibung zuwider [gewesen], kritisch prüfte sie sich selbst, ihre Freunde, die Verhältnisse; das Idealisieren, die Illusionen erachtete sie als gefährlich für das Ziel, dem sie alle zustrebten“1329. Dieses Ziel hatte Bardina auch vor Augen, als sie ein Medizinstudium begann, denn für die agitatorische Tätigkeit im Volk war der Arztberuf besonders vorteilhaft. Da jedoch eine Agitation „ohne gründliche Berufsbildung und reiches sozialpolitisches Wissen, sowie theoretische Klar- heit“1330 wenig Erfolg haben würde, studierte sie zusätzlich die Sozialwissenschaften. 1873 untersagte die russische Regierung – aufgeschreckt durch die zunehmende Radikalisierung der im Ausland studierenden Jugend – russischen StudentInnen das Studium an der Züricher Uni- versität. Während daraufhin viele ihrer Kameradinnen in die Heimat zurückgingen, versuchte Bardina erfolglos, an der Pariser Universität angenommen zu werden. Sie ging nach Genf, wo sie sich zur Hebamme ausbilden ließ – ein von russischen Revolutionärinnen häufig ergriffener 1325Die herangezogenen Nachschlagewerke und Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu A. Issajew. 1326Ebd. 1327Vgl. ebd. 1328Ebd. 1329Ebd. 1330Ebd. 502 4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS Beruf, der die Fühlung mit dem Volk und die Agitation unter ihm erleichterte.1331 Bardina kehrte nach Moskau zurück, wo sich 1874 ihr alter Zirkel mit einem anderen zusammen- schloss und eine geheime Gesellschaft gründete, deren Zweck die sozialistische Agitation sein sollte. Die politische Situation in der Heimat habe, so Issajew, aus „ehemaligen Träumerinnen und Idealistinnen […] standhafte und erfahrene Kämpferinnen“1332 gemacht. Sie gingen als Arbeite- rinnen in die Fabriken, um dort für die Gründung von Arbeiterorganisationen zu agitieren und mussten nicht nur das schlechte Essen, das Ungeziefer und die harte Arbeit ertragen, sondern auch den dort herrschenden Antifeminismus: „Die Arbeiter waren es nicht gewöhnt, die Frauen als ebenbürtige menschliche Wesen zu behandeln, und auf jede ernste Aussprache der jungen Mädchen antworteten sie mit rohem Gelächter, mit schlechten Witzen, ja oft mit Zoten.“1333 Bardina ließ sich jedoch laut Issajew von diesem Gehabe nicht abschrecken, sondern schlich sich nachts in den Schlafsaal der Männer, um ihnen aus revolutionären Schriften vorzulesen – die Tatsache, dass sie als Frau lesen konnte, hatte ihr den nötigen Respekt verschafft. Doch bei einer dieser nächtlichen Lesungen wurde sie von einem Aufseher ertappt und aus der Fabrik geworfen. Schließlich wurde sie denunziert, verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Nach zwei Jahren Unter- suchungshaft wurde sie im so genannten „‘Prozeß der Fünfzig’“1334 der „gemeingefährliche[n] Bewegung“1335 angeklagt. Die Anklagevertreter setzten alles daran, die Angeklagten in möglichst schlechtem Licht darzustellen, doch das Gegenteil geschah: „In Betreff des Lebens, der Auffassung, der idealen Ziele der Angeklagten […] [gelangten] das Publikum sowie die Richter […] zu der Ansicht […]: das sind keine Barbaren und Mörder, das sind Helden und Märtyrer.“1336 Besonders die Verteidigungsrede Bardinas, die von Issajew in großen Teilen zitiert wurde, habe alle Anwesenden sehr beeindruckt. Ihr Schlusswort an die Richter resümierte ihre Überzeugung von der Überlegenheit der neuen Weltanschauung: „‘Sie haben ja die materielle Macht, meine Herren! Aber wir besitzen für uns die sittliche Macht, die Macht des geschichtlichen Fortschritts, die Macht der Idee, und Ideen – oh! – Ideen lassen sich nicht mit Bajonetten niederstechen!’“1337[Im Original durch Sperrdruck hervorgehoben]. Bardina wurde zu neun Jahren Zwangsarbeit verurteilt, was später zu lebenslanger sibirischer 1331Vgl. ebd., Fußnote. 1332Ebd., S. 136. 1333Ebd. 1334Issajew, A.: Sophie Bardina. In: GL, 02/ 17/ 24.08.1892/ 143. 1335Ebd. 1336Ebd. 1337Ebd., S. 144. 503 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Verbannung umgewandelt wurde. Nicht die Schikanen ihrer Bewacher hätten sie 1880 zur Flucht bewegt, vielmehr die entsetzlich quälende Untätigkeit. Allerdings war ihre Gesundheit aufgrund einer unheilbaren Blutarmut zu sehr geschwächt, um auf Dauer ein Leben in der Illegalität zu ertragen. Sie hielt sich in der Schweiz auf, als sie, so Issajew, „ihrem Charakter entsprechend“1338 gedachte, „den Platz zu räumen, der für sie nicht mehr ein Arbeitsplatz, ein Kampfplatz sein konnte“1339. Weil sie sich der „Sache“ so ergeben hatte, „daß sie nur für diese lebte und außerhalb derselben kein persönliches Glück, keine innere Befriedigung finden konnte“1340, wollte sie sich selber töten. Bei dem Versuch, sich zu erschießen, verfehlte sie sich aber zweimal, bevor dann die dritte Kugel sie nur schwer verwundete. Noch 13 Tage musste sie sich im Todeskampf quälen, dann hatte die „edle Kämpferin für Volksfreiheit ausgelitten“1341. Eine der wenigen russischen Revolutionärinnen, die nicht aus „gebildeten oder besitzenden Klassen“1342 stammte, war Jessa Helfmann (zw. 1852 u. 1855-1882)1343. Sie war laut Zetkin, die diesen Artikel verfasst haben dürfte, „eine Arbeiterin im vollen Sinne des Wortes, und zwar eine der opferfreudigsten und pflichttreuesten Arbeiterinnen, die je im Dienste der sozialistischen Idee gestanden“1344. Helfmanns verfügte nur über eine geringe Bildung, was sich für Zetkin auch daraus erklärte, dass sie aus einer jüdischen Kleinbürgerfamilie stammte. Diese habe gegenüber jeder geistigen Bil- dung „einen mit Verachtung gepaarten Abscheu entgegen[ge]bracht[…]“1345. Die Revolution ver- mochte Helfmann jedoch sogar in jener rückständigen Gegend, in der ihre Familie lebte, „mit unwiderstehlicher Kraft“1346 zu ergreifen. Sie verließ das Elternhaus, ging nach Kiew und arbeitete werktags als Näherin und Schneiderin. In den Abendstunden und an Feiertagen jedoch eignete sie sich gemeinsam mit revolutionären Studentinnen die elementarsten Kenntnisse über den Sozia- 1338Ebd. 1339Ebd. 1340Issajew, A.: Sophie Bardina. In: GL, 02/ 16/ 10.08.1892/ 135. 1341Issajew, A.: Sophie Bardina. In: GL, 02/ 17/ 24.08.1892/ 144. 1342Jessa Helfmann. In: GL, 02/ 03/ 08.02.1892/ 31. 1343Die Schreibweise von Helfmanns Namen variiert. Im Anhang zu Vera Figners Lebenserinnerungen „Nacht über Rußland“ wird sie als Hesja Mironowna Helfmann geführt (vgl. Figner, Nacht über Rußland, S. 490). 1344Jessa Helfmann. In: GL, 02/ 03/ 08.02.1892/ 31. 1345Ebd. 1346Ebd. 504 4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS lismus an. Es war noch in jener Zeit, in der sie den Sozialismus „mehr instinktiv ahnte, als ver- standesmäßig begriff“1347, als sie bereits das erste Mal verhaftet wurde. Wie Bardina wurde auch Helfmann im „Prozess der Fünfzig“ angeklagt. Der schlichte Tatbestand, dass unter ihrem Namen eine Deckadresse für propagandistische Korrespondenz angelegt worden war, führte zu ihrer Ver- urteilung wegen Verschwörung und zu einer Strafe von zwei Jahren Gefängnis. Doch im Gefängnis fand Helfmann in ihren Mitgefangenen viele geeignete Lehrerinnen für das Studium des Sozialismus. 1877 gelang ihr die Flucht und sie ging nach Sankt Petersburg, wo sie sich ter- roristisch agierenden RevolutionärInnen anschloss. Helfmann spielte im Gegensatz zu Perowskaja und Bardina keine führende Rolle in der Bewegung, aber „[s]ie übernahm die unscheinbarsten, undankbarsten und dabei doch oft hoch gefährlichen Aufgaben und erfüllte sie mit ebenso viel Freude als peinlicher Gewissenhaftigkeit“1348. Zu diesen Aufgaben gehörten u. a. die „Haushaltsführung“ für eine revolutionäre Gruppe, die in einer unterirdischen Druckerei arbeitete, Wachpostenstehen, Botengänge oder das stundenlange Verteilen von Agitationsschriften auf den Straßen Sankt Petersburgs. „Sie kannte kein Vergnügen, keine innere Genugthuung, als im Dienst ihrer Sache thätig zu sein; fröhlichen Muths trug sie alle Entbehrungen, mit nicht zu ermü- dender Ausdauer und Zähigkeit unterzog sie sich allen Anstrengungen, voll Begeisterung setzte sie sich all’ den Gefahren aus, die mit ihrer Zugehörigkeit zur terroristischen Partei verbunden waren.“1349 Es scheint, als habe Helfmann kein Privatleben, keine Familie gehabt, doch tatsächlich hatte Helfmann einen Ehemann – Nikolai Kolotkewitsch. Dieser dürfte jedoch vollstes Verständnis für ihre politische Tätigkeit gehabt haben, denn auch er selbst war Mitglied der terroristischen Gruppe. 1881 wurde Kolotkewitsch verhaftet und zum Tode verurteilt. Helfmann, die noch dazu schwanger war, versuchte ihre Trauer zu lindern, indem sie ohne Pause für die Revolution tätig war. Sie mietete die Wohnung an, in der die für Zar Alexander II. tödlichen Bomben hergestellt wurden. Bereits eine Woche nach dem gelungenen Attentat wurde Helfmann verhaftet. Die Todes- strafe schien ihr sicher, jedoch beschloss das Gericht, sie wegen der Schwangerschaft für vier Monate auszusetzen. Während dieser Zeit sei Helfmann gefoltert worden, aber standhaft ge- blieben. Weiteres war Zetkin über ihr Schicksal nicht bekannt. Einerseits heisse es, sie sei einige Wochen vor der Geburt des Kindes zu lebenslanger Haft „begnadigt“ worden. Andererseits gehe man davon aus, dass sie trotz dieser Begnadigung gehängt wurde. Zetkin hielt es dagegen für 1347Ebd. 1348Ebd. 1349Ebd. 505 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN wahrscheinlicher, dass Helfmann bereits früh an den Folgen der Folter gestorben ist. Die Persönlichkeit Helfmanns hat ein besonderes Potential als Leitbildfigur: „In der Einfachheit, Schlichtheit und Bescheidenheit ihres Wesens und Wirkens ist sie ein reiner und ungemein anziehender Typus jener Hunderte und Tausende von Helden und Heldinnen, deren Namen, sofern es ein Zufall nicht anders fügt, die Geschichte nicht in ihre Bücher verzeichnet, deren Thaten kein Dichter zu be- singen pflegt.“1350 Helfmann steht damit nicht für die theoretisch geschulten Revolutionärinnen und Agitatorinnen, sondern sie steht für jene namenlose Menge, deren „hausbacken erscheinende Alltagsarbeit […] unentbehrliche Vorbedingung für die Existenz und Entwicklung jeder sozialen Bewegung“1351 ist. Und Helfmann steht für die totale Aufopferung: „Jedes Atom von körperlicher und geistiger Kraft, das sie besaß, jede Minute Zeit, über welche sie verfügte, gehörte einzig und allein der Partei, in deren Leben und Thun ihr eigenes bescheidenes Ich vollständig aufging.“1352 Helfmann scheint demnach der „Prototyp“ einer idealen Klassenkämpferin gewesen zu sein. Tragischerweise hatte sie den „Genossen ihrer Ideale“ jedoch früh verloren, und auch Mutter- schaft durfte sie nicht erleben. So war ihr nicht die Möglichkeit gegeben, auch jene Aspekte prole- tarischer Frauenleitbilder in einer „harmonischen Persönlichkeit“ zu vereinen. Marina Nikonorowna Polonsky (?-1898) war, so erfährt man aus ihrem Nachruf, wie Perowskaja eine führende Persönlichkeit der revolutionären Bewegung Russlands und wie diese Mitglied des Exekutivkomitees der Partei „Narodnaja Wolja“. Bereits als junges Mädchen habe sie auf alle Annehmlichkeiten eines bürgerlichen Lebens verzichtet, „um sich mit glühender Seele ganz der Sache des Volkes zu widmen“1353. Dies tat sie als eifrige Agitatorin und Kurierin der terroristischen Partei. Monatelang war sie in einer ge- heimen Druckerei gleichsam lebendig begraben und immer wieder waren ihr „Spione und Häscher auf den Fersen“1354. Doch trotz all dieser Belastungen sei Polonsky glücklich gewesen, „glücklich in dem Bewußtsein, einer großen Sache zu dienen“1355. Weil jedoch die Situation in Russland immer bedrohlicher wurde, drängten ihre Genossen sie 1882, ins Ausland zu gehen.1356 1350Jessa Helfmann. In: GL, 02/ 03/ 08.02.1892/ 31-32. 1351Ebd., S. 32. 1352Ebd., S. 31. 1353Eine der besten russischen Vorkämpferinnen für die Befreiung des weiblichen Geschlechts und des arbeitenden Volkes … In: GL, 08/ 23/ 09.11.1898/ 182. 1354Ebd. 1355Ebd. 1356Vgl. ebd. 506 4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS Der genaue Aufenthaltsort ging aus dem Nachruf nicht hervor, doch dürfte es sich um Paris gehandelt haben. Dort lebte Polonsky sehr zurückgezogen und erwarb sich ihren Lebensunterhalt vor allem „durch Uebersetzungen und andere literarische Tagelöhnerarbeiten“1357. Auch wenn sie nun heimatlos war, setzte sie sich ungebrochen für ihre politische Überzeugung ein – bis zu ihrem Tode habe sie „[d]as Beste und Stärkste ihrer reichen Persönlichkeit“1358 für die Sache gegeben. Die Darstellung der revolutionären Ereignisse im Russland der 1870er und 1880er Jahre war für Zetkin besonders unter dem Gesichtspunkt weiblicher Teilhabe wichtig. Denn „[w]as die russische Sozialdemokratie geworden ist und geleistet hat, das ist seit dem ersten Tage ihrer Existenz auch mit Frauenwerk“1359. Frauen waren unter den Revolutionären und Terroristen und damit auch unter den Toten zu finden. So verlor Maria Lwowna Berditschewskaja (?-1905) ihr erst 26 Jahre währendes Leben bei einem Aufstand am 22. Januar 1905, der als „Blutsonntag“1360 in die Geschichte einging. Für Berditschewskajas Charakterisierung als Klassenkämpferin entscheidend ist, dass sie, wie Zetkin betonte, nicht als ein „Zufallsopfer des mordgierigen Despotismus“1361 gefallen sei, „sondern als bewußte Kämpferin“1362 [Hervorhebung von M.S.]. Diesem Bewusstsein ging eine Entwicklung voraus, die ausgelöst wurde durch den Suizid ihres älteren Bruders. Er hatte als „Narodnaja Wolja“-Mitglied 1885 an einem mißglückten Überfall teilgenommen und entzog sich durch Suizid seiner Verhaftung. Hatte Berditschewskaja anfangs „nur“ „glühende[…] Sympathie“1363 für die revolutionäre Bewegung gehabt, so war sie nun ent- schlossen, einen Feldscher- und Hebammenkurs zu absolvieren, um sich in Ausübung dieses Berufs für die Sozialdemokratie zu engagieren. Diesem Engagement gab sie sich „vollständig“1364 hin, nahm Verfolgung und Verhaftung in Kauf. Für besonders erwähnenswert erachtete es Zetkin, dass Berditschewskaja nicht nur bei ihren Freunden, sondern auch bei ihren Gegnern hohe Achtung genoss1365 – der ehrliche Respekt des Gegners war eine wichtige Bestätigung, die sich 1357Ebd. 1358Ebd. 1359Maria Lwowna Berditschewskaja. In: GL, 15/ 05/ 08.03.1905/ 25. Zusammen mit der biographischen Darstellung wurde dem „russischen Bruderorgan ‘Jstra’“ auch ein Porträtbild entnommen (vgl. ebd., Fußnote S. 25). Acht Monate später erschien zudem ein von Otto Krille verfasstes Gedicht. Beides ist im Anhang enthalten. 1360Der von der „Gleichheit“ veröffentlichte Artikel verwendet diesen Begriff jedoch nicht. 1361Ebd. 1362Ebd. 1363Ebd. 1364Ebd. 1365Vgl. ebd. 507 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN häufiger in den Artikeln der „Gleichheit“ findet. Bei den Barikadenkämpfen des erwähnten Aufstandes am 22. Januar 1905 wurde Berditschews- kaja schwer verwundet, doch selbst noch auf ihrem Sterbebett habe sie den Kampf nicht bereut.1366 Sie verkörperte den Idealtypus der Märtyrerin, denn sie starb in dem Bewusstsein, ihr Leben der Sache geopfert zu haben. Wie aber bereits am Beispiel Perowskajas gezeigt, war es keineswegs das Anliegen Zetkins, zum Märtyrerinnentod aufzurufen – die „Gleichheit“-Leserinnen sollten sich vielmehr deren Leben und Wirken zum Vorbild nehmen. Jene Ereignisse des 22. Januar, die Berditschewskaja das Leben kosteten, veranlassten wiederum Esther Riskind (?-1905/ 25-jährig), aus ihrem Exil nach Russland zurückzukehren. Der „Gleich- heit“-Artikel zu ihrem Leben wurde nicht von Zetkin, sondern von H.H. verfasst, der/die Riskind 1899 noch persönlich kennengelernt hatte. Er beginnt mit einem nüchternen biographischen Abriss: „Mitglied des ‘Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbundes für Litauen, Polen und Ruß- land’, getötet im Alter von 25 Jahren in Bialystok während der Metzelei am 12. August 1905.“1367 Demnach war auch Riskind, deren Porträt – wie das Berditschewskajas – eines der wenigen über- haupt in der „Gleichheit“ enthaltenen Bilder ist, Märtyrerin der revolutionären Bewegung Russ- lands. Riskind wurde in einer im jüdischen Ansiedlungsgebiet gelegenen Kleinstadt geboren. Ihre Familie war arm, aber nicht so bildungsfern, wie es Zetkin für die jüdische Familie Helfmanns be- schrieb. Riskind lernte früh russisch zu lesen und zu schreiben und verfasste bereits im Alter von 10 Jahren eigene Gedichte. Sie hatte ein munteres Temperament und vor allem ein „heißes Mitgefühl für alle Unterdrückten und Leidenden“1368. Dieses entsprang keiner „weichliche[n] tränenselige[n] Sentimentalität“1369, sondern ihrer „tiefedlen und reichen Natur“1370. Im Alter von 15 Jahren entschloss sie sich gegen den Willen und ohne jegliche finanzielle Unterstützung ihrer Eltern, die Universität Charkow zu besuchen. Hier kam sie in ersten Kontakt zu sozialistischen Studenten. Deren theoretische Diskussionen waren Riskind jedoch zu wenig. Sie wollte revolutio- näre Arbeit unter den Arbeitermassen leisten und zog in die Fabrikstadt Bialystok. Obwohl sie sich durch Privatstunden etwas Geld verdienen konnte, blieb ihre finanzielle Situation miserabel. 1366Ebd. 1367H. H.: Esther Riskind. In: GL, 16/ 02/ 24.01.1906/ 7. 1368Ebd. 1369Ebd. 1370Ebd. 508 4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS Bedingt durch die große Arbeitsbelastung und eine unzureichende Ernährung litt sie häufig an Kopf- und Magenschmerzen wie auch an einer nervlichen Zerrüttung. Sie ließ sich ihren Zustand jedoch nie anmerken, war stets freundlich, warmherzig und sehr beliebt bei den ArbeiterInnen, wurde von ihnen sogar – wie H.H. schreibt – „vergöttert[…]“1371. Riskind, die stets für eine Arbeiterin und nicht für eine „‘Intelligente’“1372 gehalten worden sei, war eine begabte Rednerin und stellte dieses Talent auf großen Versammlungen unter Beweis. Auf einer solchen Versammlung in Lodz wurde sie verhaftet und anschließend in ihr Heimatstädtchen abgeschoben, wo es sie jedoch nicht lange hielt. In Warschau wurde sie agitatorisch für den „Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbund für Litauen, Polen und Rußland“ tätig. In dieser großen Stadt konnte sie auch Möglichkeiten nutzen, ihrer Leidenschaft für Musik und Theater nachzugehen. Dies tat sie immer dann, wenn sie nicht als Arbeiterin unter ArbeiterInnen Agitation betrieb. Die vielen Freunde, die sie unter den „legalen“ jüdischen Schriftstellern hatte, wussten oft nichts von diesem „Doppelleben“. Ein Jahr lang sei dies gut verlaufen – ein Jahr, in dem Riskind nicht lebte, sondern, so H.H., förmlich „brannte“1373. Sie wurde jedoch verhaftet, lange in Unter- suchungshaft genommen und dann wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes „nur“ nach Sibirien verbannt. Die Zeit im Gefängnis und auf der späteren Flucht ins Ausland ließ Riskind nicht ungenutzt verstreichen: „sie hat in der Einsamkeit viel gelernt und über so manche wichtige Frage gründlich nachgedacht. Ihre Weltanschauung hatte sich dadurch erheblich vertieft und erweitert.“1374 Kaum drangen die Nachrichten von den Ereignissen des 22. Januar, den Aufständen und Kämpfen zu ihr, beschloss sie, nach Russland zurückzukehren. Sie ging nach Wilna, wo ihr im Exekutiv- komitee des genannten Jüdischen Arbeiterbundes ein Amt übertragen wurde. Da sich jedoch die Lage für sie angesichts fortwährender Bespitzelung immer gefährlicher gestaltete, wurde sie erneut nach Bialystok beordert, wo sie schließlich bei einem Angriff der Regierungssoldaten fiel. Ein weiterer Name auf dem „Matyrolog der russischen Revolution“1375, ein weiteres Opfer des russischen Absolutismus, war M.A. Spiridonowa (?-1906/ 21-jährig). Die 21-jährige Revo- lutionärin hatte den Vizegouverneur von Tambow, Luschenowsky, erschossen. Dieser war verantwortlich für die Ermordung, Auspeitschung und Misshandlung unzähliger aufständischer 1371Ebd., S. 8. 1372Ebd. 1373Ebd. 1374Ebd. 1375M.A. Spiridonowa. In: GL, 16/ 09/ 02.05.1906/ 59. 509 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Bauern gewesen. Sofort nach ihrer Tat verhaftet, wurde Spiridonowa in der Haft auf das Schlimmste misshandelt und gefoltert. Zwar dürften den „Gleichheit“-Leserinnen Informationen zum brutalen Umgang mit Gefangenen bekannt gewesen sein, doch in Spiridonowa wurde ihnen eine mutige Frau vorgestellt, die die ihr angetanen Gräuel bewusst öffentlich machte. Der vermutlich von Zetkin verfasste Artikel stützte sich auf einen von Spiridonowa in der Sankt Petersburger Zeitung „Ruß“ (d.i. „Rus‘“ (1903-1908)) veröffentlichten Brief. Spiridonowa be- schrieb darin die verschiedenen Misshandlungen bis zu ihrer Ankunft im Gefängnis, wo sich dann Verhöre und Folterungen anschlossen. Sie scheute dabei kein Detail: Ausgerissene Haare, Fußtritte, glimmende Zigaretten – die Folterungen wurden sehr eindrücklich geschildert. Auch nannte Spiridonowa die Namen ihrer Peiniger, deren mindestens einer auch ihr Vergewaltiger war und sie mit Syphilis infiziert hatte. Sie brachen ihre Lebenskraft, ihr Augenlicht und ihr Gehör. Einige der Wunden und Spuren ihrer bestialischen Misshandlungen wurden von zwei Gefängnisärzten als solche tatsächlich auch diagnostiziert und vor Gericht bestätigt. Spiridonowa – in einem „zerfolterten Körper[,] de[ssen] Geist trotz aller erduldeten Martern stark geblieben“1376 war – erschien trotz allem zu ihrer Verhandlung als „eine überzeugte und begeisterte Kämpferin für das Glück ihres Volkes“1377. Ihr Auftritt vor Gericht wurde besonders dramatisch dargestellt. Immer wieder von einem blutigem Husten unterbrochen habe Spiridonowa ihre Motive für den Mord erläutert: „Nicht feige Mordlust hatte ihr zugerufen: töte! sondern unsägliches Erbarmen mit den getretenen menschlichen Kreaturen, glühende Menschen- und Freiheitsliebe.“ 1378 Ihrem Urteil sah sie gelassen entgegen, denn dem, was sie ertragen hatte, könne auch die grausamste Strafe des Gerichts nichts hinzufügen.1379 Zwar lautete das Urteil auf Tod durch Er- hängen, doch durch den offensichtlich schlechten Gesundheitszustand Spiridonowas, die bereits an Schwindsucht litt, sei bereits vorbestimmt gewesen, dass „[e]in Mächtigerer als alle Henker des Zarenreiches […] früher über das Schicksal des Heldenmädchens entscheiden [würde]: der Tod, der ihr als Freund und Befreier naht[e]“1380. Spiridonowa starb, doch ihre Peiniger lebten weiter, wurden von ihren Vorgesetzten ausgezeichnet und befördert. Für einen jedoch, für den Vergewaltiger Spiridonowas, habe das „revolutionäre 1376Ebd., S. 60. 1377Ebd., S. 60. 1378Ebd. 1379Vgl. ebd. 1380Ebd. 510 4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS Strafgericht“1381 sein Urteil gefällt: Er wurde auf offener Straße erschossen. Eine Selbstjustiz, die Zetkin als Zeichen dafür nahm, dass „auch das fluchbeladene Regime des Absolutismus, das Verbrechen über Verbrechen gebiert, […] eines Tages von dem revolutionären Weltgericht zer- schmettert werden“1382 wird. Verraten, verurteilt, hingerichtet, gefallen – das sind die bisher beschriebenen Schicksale der russischen Revolutionärinnen. Eine besondere Ausnahme bietet die kuriose Freisprechung Wanda Dobrodzickas (1863-?). Der von „L. Ky.“ – vermutlich Luise Kautsky – verfasste Artikel beschrieb das Leben Dobrodzickas, aber vor allem einen Gerichtsprozess, der nur wenige Tage vor Publikation des Artikels gegen sie geführt worden war. Diesem Prozess, der in dem kleinen galizischen Dorf Wadowice stattgefunden hatte, maß Kautsky sogar eine „welthistorische Bedeutung“1383 zu. Dobrodzicka wurde in einem kleinen Dorf Russisch-Polens als Wanda Krahelska geboren. Ihr Vater, der 1863 an einem Aufstand teilgenommen hatte, vermittelte ihr erste revolutionäre Ideen. Vom zehnten bis zum siebzehnten Lebensjahr besuchte sie ein Warschauer Pensionat und unter- richtete anschließend die Kinder ihres Heimatortes in der polnischen Sprache. Nach einem erneuten Aufenthalt in Warschau 1904, wo Dobrodzicka in Kontakt mit SozialistInnen und sozia- listischer Literatur kam, kehrte sie in ihre Heimat zurück, um hier diese Literatur eingehender zu studieren, selbst erste Agitationsschriften zu verfassen und mit einer Handdruckerei zu verviel- fältigen. 1906 wurde sie Mitglied der Polnischen Sozialistischen Partei (PSP) und wirkte im Mai desselben Jahres an einem Attentat mit, das den brutalen Generalgouverneur von Warschau zum Ziel hatte. Die verwendeten Bomben waren jedoch so schlecht konstruiert, dass das Attentat scheiterte. Erst 1907 wurde Dobrodzicka durch Zeugen als Mieterin des Hauses identifiziert, von dessen Balkon die Bomben geschleudert worden waren. Nun kamen mehrere Umstände zusammen: Das Attentat war im russisch-polnischen Warschau be- gangen worden, die Identifizierung der Attentäterin und ihre Festnahme erfolgte jedoch im polnischen Krakau. Seit 1907 besaß diese durch die Heirat mit dem Maler Adam Dobrodzicki noch dazu die österreichische Staatsbürgerschaft. Ein Rechtsstreit russischer, polnischer und öster- reichischer Behörden um den geeigneten Ort für die Gerichtsverhandlung entbrannte. Die 1381Ebd. 1382Ebd. 1383[Kautsky, Luise?] L.Ky.: Eine freigesprochene Attentäterin. In: GL, 18/ 05/ 02.03.1908/ 39. Kautsky scheint diesen Artikel der „Wiener Arbeiterzeitung“ entnommen zu haben. Sie gab jedoch keinen Beleg an und kenn- zeichnete nur an seinem Ende einzelne Passagen entsprechend als Zitate. 511 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN russischen Ankläger lehnten Krakau als Verhandlungsort ab, weil sie dort mit einer zu großen patriotisch motivierten Parteinahme für die gebürtige Polin rechneten. Schließlich konnte Dobrodzickas Verteidiger erzwingen, die wegen versuchten Meuchelmordes und Verbrechen gegen das Sprengstoffgesetz zu führende Gerichtsverhandlung vor einem galizischen Schwur- gericht in Wadowice abzuhalten. Die obligatorische Frage des Richters, ob sie sich schuldig bekenne, soll Dobrodzicka mit den Worten beantwortet haben: „Nein, denn auch der Soldat , der in der Schlacht den Feind töte t , is t nicht st rafbar.“1384 Auch ihr Verteidiger argumentierte ähnlich, wenn er ihr Vergehen als ein „rein politisches“1385 dar- stellte, das nicht dem Strafgesetz unterliege. Er führte weiter aus, „daß auch vom Standpunkt der Ethik und Moral die Tat nicht strafbar sei, denn die Angeklagte habe dem Volk zu seinem Recht verhelfen wollen, und wo es sich um dieses Recht handle, da müsse das Strafgesetz schweigen.“1386 Das Unglaubliche passierte: Dobrodzicka wurde einstimmig freigesprochen und sofort in Freiheit gesetzt. Die „Wiener Arbeiterzeitung“ (1889-1934), der Kautsky den Bericht entnommen hatte, zog das Fazit: „‘Es ist nicht gelungen, die Polen zu finden, die eine Polin verurteilen, weil sie gegen den schlimmsten und grausamsten Peiniger ihres Volkes die Hand erhoben hat.’“1387. Ein ungewöhnlicher Rechts- und Glücksfall, der eine absolute Ausnahme darstellen dürfte – wenn denn dieser Verlauf auch historisch zu belegen ist.1388 Weniger Glück – oder Recht? – hatten zwei andere russische Revolutionärinnen: Fruma Frumkin (?-1907) und E.P. Ragozinnikowa (?-1907/ 21-jährig).1389 Vor dem Gericht, welches über die Strafe für das von ihr begangene Attentat zu urteilen hatte, schilderte Frumkin ihr bisheriges Leben. Diese Schilderung wurde in einer Ausgabe der „Tribune Russe“1390 wiedergegeben, auf die L.K. (möglich, dass es sich erneut um Kautsky oder um Luise 1384Ebd., S. 40. 1385Ebd. 1386Ebd. 1387Wiener Arbeiterzeitung zit. nach: Ebd. 1388Es konnten keine Angaben gefunden werden, die das Stattfinden dieses Prozesses und dessen Verlauf bestätigt hätten. 1389[Kautsky, Luise? oder Kähler, Luise?] L.K.: Zwei Märtyrerinnen im russischen Freiheitskampf. In: GL, 18/ 04/ 17.02.1908/ 30. 1390„Tribune Russe“ („Russische Tribüne“) (?-?). Diese Zeitschrift erschien in Paris und war Parteiorgan der revolu- tionären Sozialisten, die im Unterschied zu den Sozialdemokraten Russlands den „organisierten Terror“, die 512 4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS Kähler (1869-1955)1391 handelt) ihren Artikel stützte. Frumkin berichtete, wie sie zunächst als Näherin und Krankenpflegerin arbeitete. Später wurde sie Hebamme und lernte in Lodz das Elend der Arbeiterfamilien kennen – Zustände, die sie dahin brachten, sich schließlich für „das Ideal des Sozialismus“1392 zu begeistern. Frumkin wurde Mitglied des „Bundes der jüdischen Sozialisten Polens und Russlands“, dem sie bis 1901 angehörte. Zwei Jahre später schloss sie sich jedoch der Partei der revolutionären Sozialisten an. 1904 wurde Frumkin wegen sozialistischer Agitation in das Gefängnis von Kiew gebracht, wo sie versuchte, den Chef der politischen Gendarmerie zu er- morden. Daraufhin zu elf Jahren Zwangsarbeit verurteilt, gelang ihr die Flucht nach Moskau, wo sie ihre politische Tätigkeit fortsetzte. Wiederum wurde sie festgenommen und wiederum verübte sie im Gefängnis ein Attentat, für das sie aber dieses Mal zum Tode verurteilt wurde: „unerschrocken bestieg sie das Schafott, so daß sie selbst ihren Henkern Be- wunderung durch die Schlichtheit und den Mut einflößte, mit dem sie starb“1393. Dieser außergewöhnliche Lebensweg lässt Frumkin als eine Klassenkämpferin erscheinen, die ohne Rücksicht auf die eigene Existenz jede sich bietende Gelegenheit nutzte, die Feinde ihrer Bewegung zu töten. E.P. Ragozinnikowa tötete den Chef der Gefängnisverwaltung für ganz Russland und wurde dafür vom Zaren persönlich zum Tode verurteilt. Ihre Entschlossenheit für die Tat wurde dadurch deutlich, dass sie für den Fall des Fehlschlagens ein Paket Dynamit um ihren Leib gebunden hatte. Entschlossen wirkte sie auch bei der Verkündung ihres Todesurteils, das sie lächelnd entgegen- „Einzelaktion“ befürworteten (vgl. ebd.). Die ZDB verweist unter dem Titel „La tribune russe: revue mensuel du Mouvement Socialiste et Revolutionnaire en Russie“ auf eine Zeitschrift, die nachweislich von 1904 bis 1909 in Paris erschien (vgl. www.zdb-opac.de). Ob es sich dabei um die hier von der „Gleichheit“ angeführte Zeitschrift oder eine Nachfolgerin handelt, ist nicht ersichtlich. 1391Luise Kähler, geb. Girnth, war Tochter eines Droschken- und Möbelkutschers. Nach dem Besuch der Volksschule arbeitete sie 1883-1885 als Dienstmädchen, absolvierte 1885-1888 eine Lehre als Schneiderin und zog 1892 nach Hamburg um. 1893-1895 war sie Stewardess auf einem Handelsschiff der Ostasienroute. 1895 heiratete sie den Maler August Kähler, gebar ein Kind und wurde heimarbeitende Näherin. 1906-1913 hatte Kähler den Vorsitz des von ihr mitgegründeten „Vereins der Dienstmädchen, Wasch- und Scheuerfrauen“ in Hamburg inne, ab 1909 außerdem den Vorsitzende der Filiale des Hausangestelltenverbandes. 1908-1913 arbeitete sie als besoldete Hilfsarbeiterin des Stellenachweises der Hausangestellten in Hamburg und als Vorsitzende des zentralen Ver- bandsausschusses des Hausangestelltenverbandes. 1913-1923 wirkte sie als hauptamtliche Vorsitzende im Haupt- vorstand des Hausangestelltenverbandes mit Sitz in Berlin. Während des Ersten Weltkrieges war sie aktives Mitglied der Kriegsfürsorge (besonders in der Kranken- und Wöchnerinnenhilfe), nach seinem Ende war Kähler Mitgründerin der AWO und engagierte sie besonders in der Abschaffung der feudalen Gesindeordnung. 1910- 1931 nahm sie an verschiedenen Gewerkschaftskongressen teil. 1919-1921 war sie Abgeordnete des preußischen Landtags und 1920-1932 einziges weibliches Mitglied im Vorläufigen Reichswirtschaftsrat. 1927 nahm sie als Delegierte am Internationalen Gewerkschaftskongress in Paris teil. Nach 1945 war Kähler zunächst wieder in der SPD aktiv, 1946 trat sie der SED bei und wurde 1948 Mitglied im „Demokratischen Frauenbund Deutschlands“. Trotz ihrer politischen Tätigkeit in der SED blieb sie in West-Berlin wohnhaft und ließ sich 1954 als SED-Spitzen- kandidatin für Berlin-Kreuzberg für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus aufstellen. 1953 erhielt Kähler den Karl-Marx-Orden. 1392Ebd. 1393Ebd. 513 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN nahm.1394 In einem Brief an ihre Familie rechtfertigte Ragozinnikowa ihre Tat damit, dass ihr Opfer kein Mensch gewesen sei, sondern „‘ein Teil jener Werkzeuge, die nur dazu dienen, die Menschen auszurotten, ihr Leben zu vergiften’“1395. Sie schrieb von sich selbst, dass sie ihre Fami- lie sehr geliebt habe, dass sie dann aber begann, „‘alle Menschen zu lieben’“1396 [Hervorhebung von M.S.] und sich schließlich für sie alle hingegeben habe. Diesen beiden Beispielen von Mut, Tapferkeit, persönlichen und politischen Tugenden habe, so L.K., die russische Regierung nichts Ebenbürtiges gegenüberzustellen.1397 Ihre Besonderheit sei, dass sie für eine Idee kämpften – und „[e]ine Idee, die zu Hunderten und Tausenden Helden und Märtyrer erstehen läßt wie die revolutionären Sozialistinnen Frumkin und Ragozinnikowa, muß siegen“ 1398. Dies war der Autorin des Artikels eine sie selbst und alle „Gleichheit“-Leserinnen motivierende Gewissheit. Angesichts der 22 Jahre Kerkerhaft, die Wera Figner (1852-1942)1399 in der Schlüsselburg – laut Zetkin eines der scheußlichsten Gefängnisse der ganzen Welt – verbringen musste, könnten die bisher beschriebenen Todesurteile manchen „Gleichheit“-Leserinnen vielleicht als Segen er- schienen sein. Figner entstammte einer begüterten und gebildeten Familie. Bereits als elfjähriges Mädchen erfasste sie intuitiv die Notwendigkeit sozialer und politischer Umwandlungen. Anhand der Literatur politischer Kritiker wie Nikolai Gawrilowitsch Tschernischewski und Dmitri Iwano- witsch Pissareff1400 entwickelte Figner sowohl Verständnis als auch großes Mitgefühl für die Leiden der Volksmassen. Sie wurde sich der „Vorteile des Besitzes und der Bildung“1401, die auch sie genießen durfte, bewusst. Geschaffen aus der Not und der Unwissenheit von Millionen wurden ihr diese zum Sinnbild für menschliches Unrecht. „Dieses Unrecht zu sühnen durch die selbstlose Hingabe an die Sache des Volkes, an den revolutionären Befreiungskampf: das war der Gedanke, der immer mehr ihr 1394Ebd. 1395Ebd. 1396Ebd. 1397Vgl. ebd. 1398Ebd. 1399Wera Finger. In: GL, 22/ 22/ 24.07.1912/ 340. „Finger“ ist ein Druckfehler der „Gleichheit“, der hier zwar im Text, aber nicht in der Belegangabe korrigiert wird. 1400Die Schreibweise der Nachnamen ist auch hier der „Gleichheit“ entnommen. 1401Ebd. 514 4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS ganzes Sein beherrschte.“1402 Figner entschloss sich zu einem Medizinstudium, das sie in Kasan, Bern und Zürich absolvierte. Daneben beschäftigte sie sich sich zusätzlich mit der sozialistischen Literatur. 1875 begann sie ihre Agitation unter den Bauern und Arbeitern Russlands. Sie brachte ihnen – erst unter ihrem wahren Namen, dann auch mit falscher Identität und in allerlei Verkleidungen1403 – das „Evange- lium des Sozialismus“1404 und schürte „das heilige Feuer der Empörung in der studentischen Jugend“1405. Die politische Situation jener Zeit wurde von Zetkin erneut wie folgt beschrieben: „Die blutige Schmach- und Schreckensherrschaft des Absolutismus zwang die friedlichen Apostel einer kommunistischen Gesellschaftsordnung zum politischen Kampf. Und wie die Verhältnisse in Rußland lagen, mußte dieser zeitweilig seine Spitze gegen den Zaren selbst kehren.“1406 Zetkin versuchte, die Radikalisierung der RevolutionärInnen und die Attentate auf Funktions- träger des Zarismus als Tyrannenmord zu rechtfertigen. Vielleicht dachte auch Figner so, als sie 1879 Mitglied des berühmten terroristischen Exekutivkomitees wurde – wie bereits Perowskaja und Polonsky – und am Zarenattentat im März 1881 mitwirkte. Figner wurde kurze Zeit später von einem Kampfgenossen aus den eigenen Reihen für 10.000 Rubel an die Polizei verraten, zum Tode verurteilt und schließlich zu lebenslanger Haft begnadigt. In der Schlüsselburg, in der Figner seit 1883 inhaftiert war, waren die Zustände entsetzlich – eine andere Revolutionärin, Sophie Günzburg (1863-1891)1407 beging dort Suizid, um nicht unter Folter ihre Kameraden zu verraten. 1905 hatte das Leid Figners ein Ende – „die siegreiche Revolution holte […] die lebendig Begrabene aus ihrer Hölle hervor“1408 und diese ging ungebrochen in Überzeugung und Taten- drang erneut an die politische Arbeit. Ihr schlechter Gesundheitszustand zwang sie jedoch, diese 1402Ebd. 1403Ebd. 1404Ebd. 1405Ebd. 1406Ebd. 1407An anderer Stelle schrieb Zetkin zur Person Günzburgs: „Das Heldenmädchen Sophie Günzburg, das im letzten Jahre in einem der höllischsten Gefängnisse des Zarenreichs unter Aufbietung ungewöhnlicher Energie durch Selbstmord endete, um nicht in Augenblicken geistiger Umnachtung die Kameraden den Henkern auszuliefern, ist der beste Beweis dafür, daß die russischen Frauen nicht darauf verzichtet haben, in dem Kampf für die Freiheit in den vordersten Reihen zu stehen. Wenn heute in Rußland der Despotismus fällt und politische Bewegungsfreiheit gegeben wird, da wird man in Rußland eine Frauenbewegung, eine Antheilnahme des weiblichen Geschlechts an der Ausgestaltung des öffentlichen Lebens sehen, wie in keinem zweiten Lande.“ (Die russischen Revolutio- närinnen. In: GL, 02/ 01/ 11.01.1892/ 15). Die Schreibweise von Günzburgs Namen variiert. Im Anhang zu Vera Figners Lebenserinnerungen „Nacht über Rußland“ wird sie als Sofia Michailowna Ginsburg geführt (vgl. Figner, Nacht über Rußland, S. 490). 1408Wera Finger. In: GL, 22/ 22/ 24.07.1912/ 340. 515 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Tätigkeit im Ausland fortzusetzen. Unermüdlich, denn die sozialistische Erkenntnis habe wie ein Jungbrunnen auf Figner gewirkt, hielt sie Vorträge, verfasste Artikel und Flugblätter und orga- nisierte Spendensammlungen. Und da Zetkins Artikel noch zu Lebzeiten Figners in der „Gleich- heit“ publiziert wurde, sollte er „Wera Finger, der stolzen Dulderin, der kühnen Freiheitskämpferin [ein][…] herz- liche[r], verehrungsvolle[r] Schwesterngruß der deutschen Proletarierinnen [sein], die wie sie den sehnsuchtsschweren und doch klaren Blick unverwandt auf die emporsteigende Sonne des Sozialismus richten“1409. Figner starb 1942 in Moskau. Auch Wanda Cäsarina Wojnarowska (1861-1911) starb im Exil. Doch auch in der Fremde, in Paris, konnte sie entscheidende Aufgaben für die russische Revolution erfüllen. Wojnarowska war Tochter einer adeligen Gutsbesitzerfamilie und besuchte in Sankt Petersburg eine höhere Schule, als sie 1878 – als 17-jähriges Mädchen – den polnischen Revolutionär und Publizisten Ludwig Warynsky kennenlernte. Diese Bekanntschaft gab den Ausschlag für ihre Entscheidung, sich dem revolutionären Kampf für eine bessere Gesellschaft anzuschließen.1410 Sie brach alle Brücken hinter sich ab und ging nach Warschau. Vom Charakter her „leidenschaftlich[…] und aufopferungsfreudig[…]“1411, wurde sie eines der tätigsten Mitglieder einer Geheimorganisation. Bereits nach einem Jahr wurde Wojnarowska aber verhaftet und nach zwei Jahren Untersuchungshaft schließlich nach Sibirien verbannt. Ihr gelang die Flucht und sie reiste über Warschau weiter nach Krakau, wo sie erneut als Agitatorin tätig wurde. Diese Tätigkeit war nun umso erfolgreicher, denn, so die Autorin M., „[w]ie für jeden echten Revolutionär war für sie die Zeit im Kerker eine Zeit des Studiums und angestrengter Geistesarbeit gewesen“1412. Nach einer weiteren Verhaftung, zehn Monaten Kerker und schließlicher Ausweisung ging Wojnarows- ka erst in die Schweiz und dann nach Paris. Hier studierte sie bei dem französischen Historiker François-Alphonse Aulard Literatur und Geschichte und wurde eine seiner besten Schülerinnen. Die ganze Dimension dieser wissenschaftlichen Fähigkeiten Wojnarowskas beschrieb die Autorin des Artikels so: „Vielleicht wäre Wanda Wojnarowska eine jener Frauen geworden, deren Namen in der Wissenschaft glänzen, wenn sie es über sich gebracht hätte, sich dieses schmeichelhafte Urteil des einflussreichen Professors zunutze zu machen. Es wäre ihr ein leichtes geworden, ein Stipendium zu erhaschen, eine hochgelehrte Ab- 1409Ebd., S. 341. 1410Vgl. M.: Eine Kämpferin. In: GL, 21/ 16/ 08.05.1911/ 248. 1411Ebd. 1412Ebd. 516 4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS handlung zu schreiben und ‘ihren Weg zu machen’, wie es so viele Frauen getan haben, die nicht halb soviel Geist und Talent haben, wie ihr eigen war. Aber dieser Weg des Karrieremachens war nichts für ihre feurige Seele. Für Genossin Wojna- rowska blieb die Wissenschaft nur Mittel zum Zwecke, nicht etwa um bequemen Unterhalt und billigen Ruhm zu gewinnen, sondern Mittel zum Zwecke des revo- lutionären Kampfes.“1413 Tatsächlich bestritt Wojnarowska ihren Lebensunterhalt jedoch mit schlecht bezahlten Privat- stunden. Ihr Interesse fokussierte sich vor allem auf die Geschehnisse in ihrer Heimat und auf ihre Arbeit für die Revolution. Nachdem sich die Sozialisten Polens in zwei Lager geteilt hatten, fiel Wojnarowska die Entscheidung für eines der beiden sehr schwer. Ihr geschichtswissenschaftliches Denken erschloss ihr jedoch, dass die Polnische Sozialistische Partei (PSP) „einer Utopie nach- jage“1414 – sie wählte das Lager der Sozialdemokratie Russisch-Polens und Litauens. Schweren Herzens brach sie mit bisherigen KampfesgenossInnen. Mit dieser Entscheidung hatte sie sich im Pariser Exil nahezu vollkommen isoliert, da die hier im Exil lebenden polnischen SozialistInnen vornehmlich AnhängerInnen der PSP waren.1415 1901 übernahm Wojnarowska die Vertretung der sozialdemokratischen Partei Russisch-Polens und Litauens im Internationalen Sozialistischen Büro, die sie aus gesundheitlichen Gründen 1904 jedoch wieder niederlegte. Russischen und polnischen Flüchtlingen war sie Beraterin und Helferin – laut M. ein „charakteristische[r] Zug“ Wojnarowskas, die „stets und immer zu jedem Opfer für andere und für die Sache der Revolution bereit“1416 gewesen sei. Von dem Wenigen, das sie besaß, gab sie anderen und litt selbst Hunger. Wenn Freunde sie mahnten, winkte sie ab und forderte „das einzige Recht, das ihr blieb – sich für andere aufzuopfern“1417. Schließlich erlag sie einem Herz- schlag und wurde auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise beerdigt. Als „Großmutter der russischen Revolution“1418 bezeichnete man Katharina Breschko- Breschkowskaja (1844-1934)1419. Zu ihrem Leben und Wirken veröffentlichte die „Gleichheit“ sogar mehrere Artikel. Zwei dieser Artikel erschienen anlässlich ihres 70. Geburtstags im Frühjahr 1914. An diesem Tag, den Breschkowskaja als Verbannte im sibirischen Irkutsk verbringen 1413Ebd. 1414Ebd. 1415Außerdem arbeitete Wojnarowska schriftstellerisch für das guesdistische Lager der französischen SozialistInnen. Zur Geschichte der französischen Sozialdemokratie vgl. Braunthal, Geschichte der Internationale. 1416M.: Eine Kämpferin. In: GL, 21/ 16/ 08.05.1911/ 249. 1417Ebd. 1418Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. In: GL, 24/ 20/ 24.06.1914/ 307. 1419Der Name der russischen Revolutionärin, der auch in den verschiedenen „Gleichheit“-Artikeln sehr unter- schiedlich zitiert wurde, wird hier einheitlich mit „Breschkowskaja“ angegeben. 517 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN musste, gedachten ihrer selbst jene russischen SozialistInnen, die nicht wie sie der Partei der russischen Sozialrevolutionäre angehörten.1420 Breschkowskaja wurde laut Edda Tenenbaum (?-?)1421 im Geiste der Freiheits- und Gleichheits- ideen ihres Vaters, eines adeligen Liberalen, erzogen. So wie er sei auch sie von der „revolutio- näre[n] Gärung“1422 erfasst worden, die „aus der geistigen Unzufriedenheit mit den herrschenden Zuständen geboren [war], die die Gebildeten aller Gesellschaftskreise ergriffen hatte“1423 [Hervor- hebung von M.S.]. Und so erblickte die „tatendurstige“1424 siebzehnjährige Breschkowskaja noch in der Gründung von Sparkassen, Bildungsvereinen und Genossenschaften die „Erlösung der leidenden Volksmassen von allen Übeln“1425. Auch der Mann, den sie in jungem Alter heiratete, war ausgesprochen liberal. Weil Breschkowskaja aber erkannte, dass die Mittel der Liberalen nicht wirkungsvoll genug waren, stand sie plötzlich vor einem privaten Problem: Entweder musste sie sich „bescheiden, im liberalen Fahrwasser an ruhigen Ufern entlang weiter zu treiben, oder aber sie mußte mit ihrem ganzen bisherigen Leben brechen. […] mußte alle Brücken hinter sich verbrennen“1426. Schließlich siegte die Revolutionärin in ihr – ja, es siegte sogar „die Revolution über die Mut- ter“ 1427 in ihr, denn 18741428 verließ Breschkowskaja ihr Kind, um „einem höheren Pflicht- gebot“1429 zu folgen. In Kiew schloss sie sich einer kommunistischen Gruppe an, um für diese getarnt als Färberin oder Linnenhändlerin unter den ArbeiterInnen zu agitieren. Sie verätzte sich sogar Gesicht und Hände, damit ihre feine Haut nicht ihre vornehme Herkunft verraten konnte. Nach dreieinhalb Monaten 1420Katharina Breschkowski, eine der tapfersten russischen Freiheitskämpferinnen … In: GL, 24/ 13/ 18.03.1914/ 207. Auch Tenenbaum bemerkte diese Ehrung wohlwollend: „Es ist im allgemeinen bei den russischen Sozial- demokraten nicht Brauch die Geburts- und Namenstage von revolutionären Kämpfern festlich zu begehen, mögen diese auch im dichtesten Kugelregen, auf dem verantwortlichsten Posten stehen. Die Sozialdemokratie lehnt ja den Personenkultus auf das entschiedenste ab, und Feste passen schlecht in den Rahmen der brutalen, blutigen russischen Wirklichkeit. Es mußte also ein triftiger Grund dafür vorhanden sein, daß die Sozialdemokratie von ihrer Regel abgewichen war, und daß sie sich überdies zu einer Feier mit der sozialrevolutionären Partei vereinigt hatte.“ (Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. In: GL, 24/ 20/ 24.06.1914/ 307). 1421Die herangezogenen Nachschlagewerke und Datenbanken enthalten keine eindeutigen biographischen Informa- tionen zu Edda Tenenbaum. Ihr Nachname lässt auf eine jüdische Herkunft schließen. 1422Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. In: GL, 24/ 20/ 24.06.1914/ 307. 1423Ebd. 1424Ebd., S. 308. 1425Ebd., S. 308. 1426Ebd. 1427Ebd. 1428Die ursprünglich hier genannte Jahreszahl 1877 wurde in der Fortsetzung des Artikels korrigiert (vgl. Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. (Schluß.). In: GL, 24/ 21/ 08.07.1914/ 325). 1429Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. In: GL, 24/ 20/ 24.06.1914/ 308. 518 4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS Agitationsarbeit wurde Breschkowskaja in Besitz von Propagandaplakaten aufgegriffen und verhaftet. Zusammen mit anderen RevolutionärInnen – darunter wie erwähnt auch Sophie Perows- kaja – wurde sie nach vier Jahren Untersuchungshaft im so genannten „Prozess der 193“ zu fünf Jahren Zwangsarbeit und zum Verlust aller bürgerlichen Rechte verurteilt. Ihr erster Fluchtversuch 1881 scheiterte und sie wurde mit weiteren vier Jahren Zwangsarbeit und 40 Knutenhieben bestraft. Das öffentliche Interesse an ihr war jedoch so groß, dass die Behörden zögerten, die Schläge vollziehen zu lassen. Breschkowskaja nutzte dieses Zögern für „etwas unerwartetes, seltenes, vielleicht einzig dastehendes: die Verurteilte fordert[e] die Vollstreckung des Urteils“1430 – die Bewunderung aller war ihr damit sicher. Ihr Fluchtversuch hatte aber auch zur Folge, dass die ihrer langen Untersuchungshaft wegen erteilte Vergünstigung, keine Zwangsarbeit leisten zu müssen, aufgehoben wurde. Erst 18961431 kehrte Breschkowskaja nach Russland zurück. In ihrer Heimat hatte sich in dieser langen Zeit vieles verändert. Sie stieß in der eigenen Bewegung auf Probleme, als sie, so Tenenbaum, „versuchte, da anzuknüpfen, wo vor 22 Jahren der Faden ihres revolutionären Wirkens gerissen war“1432. Ihr Revolutionsappell an die Bauern- schaft und die Kampftaktik des Terrors gegen einzelne hochgestellte Persönlichkeiten war nicht mehr zeitgemäß.1433 Die „Großmutter“ der russischen Revolution hatte laut Tenenbaum die Ent- wicklung zu anderen Revolutionsauffassungen und -methoden nicht nachvollziehen können. Sie habe auch ihre Vorstellung von der sozialrevolutionären Rolle der Bauernschaft keiner „Re- vision“ 1434 unterzogen, weshalb sie „nicht zu dem Ergebnis gekommen [sei], das in der Partei der[sic] auf- steigenden[sic] Klasse des Proletariats verkörpert ist, in der Sozialdemokratie, die sich auf der Grundlage der materialistischen Geschichtsauffassung ein festes wirtschaftliches Programm gegeben hat.“1435 Die Teilhabe am Parlamentarismus war ihr fremd und so agitierte sie in den Jahren 1897 bis 1903 unermüdlich in ihrer Art und Weise weiter – nun allerdings mit der Möglichkeit, moderne Trans- portmittel zu nutzen und auf bereits erfolgte Agitation aufzubauen. Im Interesse ihrer Sicherheit beschloss das Zentralkomitee der Partei, dass sie Russland verlassen solle. Von 1903 bis 1905 leb- te sie deshalb im Ausland und trat als Rednerin auf Versammlungen in England und den USA auf. 1430Ebd. 1431Die Jahresangaben in dem Artikel von Karl Soll unterscheiden sich teilweise von denen Tenenbaums. Laut Soll kehrte Breschkowskaja erst 25 Jahre später und außerdem im Jahr 1897 nach Russland zurück (Soll, Karl: Politische Frauen. (Schluß). In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210) – es ist daher anzunehmen, dass die Zeiten der Untersuchungshaft unterschiedlich in die Angaben einbezogen wurden. 1432Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. (Schluß.). In: GL, 24/ 21/ 08.07.1914/ 325. 1433Vgl. ebd. 1434Ebd. 1435Ebd. 519 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Nach Russland zurückgekehrt, wurde sie 1907 von einem ehemaligen Kampfgenossen denunziert, verhaftet und nach Sankt Petersburg gebracht. Das Gericht verurteilte sie dieses Mal zu lebenslänglicher Verbannung nach Sibirien. Aufgrund eines Fluchtversuchs wurde ihr straf- verschärfend auferlegt, an eine der entlegensten Orte Sibiriens, Nishni-Kolymsk, umzusiedeln. Zu dem Zeitpunkt, als Tenenbaums Artikel in der „Gleichheit“ erschien, war über ihren Transport dorthin jedoch noch nichts Genaues bekannt. Diese Lebensgeschichte und die langen Haftstrafen, die Breschkowskaja auf sich genommen hatte, lassen die „Gleichheit“ zusammenfassend urteilen, sie habe „der Sache des Volkes, der Freiheit, ein Vermögen geopfert, eine glänzende gesellschaftliche Stellung und was noch mehr bedeuten will: ein ganzes Leben“1436. Karl Soll stellte vergleichend fest, dass Breschkowskaja eben dadurch, dass sie ihr vornehmes Leben aufgegeben habe, um als einfache Arbeiterin die Bauern aufzuklären, ein ganz „andere[r] Typus“1437 einer politischen Frau gewesen sei als es Jeanne-Marie Roland war. Dieser 1919 erschienene Artikel Solls ergänzt nun die Informationen zu Breschkowskajas weiterem Schicksal: In Männerkleidern versuchte sie einen zweiten Fluchtversuch, der jedoch ebenfalls scheiterte. Ihre Verbannung endete erst im März 1917 mit der glücklichen Nachricht, dass die Revolution das Zarentum besiegt habe. Breschkowskaja bekam im neuen Russland sogar die ehrenvolle Aufgabe, das Vorparlament zu eröffnen. Weiteres war auch Soll nicht bekannt, denn Breschkowskaja floh „vor der Regierung Lenins ins Ausland“1438 – wie man aus dem Geburtstagsartikel erfährt, nach Paris. Der Charakter Breschkowskajas sei, so Soll, von einem „angeborene[n] Optimismus“1439 und „un- zerstörbare[r] Arbeitsfreudigkeit“1440 geprägt gewesen. Ihr den „Gleichheit“-Leserinnen vielleicht „fremdartig“1441 anmutendes Lebensbild, das „nur auf russischem Boden sich so abspielen konn- te“1442, zeige „eine edle, starke und uneigennützige Persönlichkeit, die jede Nation mit Stolz zu den Ihren zählen würde“1443. 1436Katharina Breschkowski, eine der tapfersten russischen Freiheitskämpferinnen … In: GL, 24/ 13/ 18.03.1914/ 207. 1437Soll, Karl: Politische Frauen. (Schluß). In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210. 1438Ebd. 1439Ebd. 1440Ebd. 1441Ebd. 1442Ebd. 1443Ebd. 520 4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS Die russischen Revolutionärinnen gingen in die Geschichte ein als Märtyrerinnen einer poli- tischen Sache. Aber wie bereits Zetkin war es auch Tenenbaum wichtig, nicht ihren Tod, sondern ihr Wirken hervorzuheben: „Unsterblich ist das Verdienst der vielen russischen Frauen, deren Kampf um Frei- heit und Glück ihres Volkes der revolutionären Bewegung Rußlands Schwung und Glanz verliehen hat, jener Frauen, die heiter lächelnd für die heilige Befreiungs- sache in den Tod gingen. Doch nicht minder strahlend und unvergänglich ist der Ruhm der anderen, die wie Katharina Breschkowskaja für diese Sache zu leben wußten, als sie verloren schien, ist der Ruhm der Frauen, die ein Menschenleben hindurch trotz Sibirien und Zwangsarbeit unerschütterlich an die Revolution glaub- ten, keinen Augenblick an ihrem Sieg zweifelten und unberührt von der trostlosen Wirklichkeit den Blick fest und unverwandt auf das hohe Ziel gerichtet hielten. Diese aufopferungsvolle Treue und dieser hinreißende Glaube haben Wunder ge- wirkt, sie haben Schlafende geweckt, Gleichgültige aufgerüttelt und den prome- theusschen Funken in zahlreichen Menschenherzen zu begeisterten Flammen emporschlagen lassen.“1444 [Hervorhebungen von M.S.] Es ist nicht das Leitbild der Märtyrerin, dem die „Gleichheit“ huldigte. Es ist vielmehr das Leit- bild der „Klassenkämpferin“, die ihr Leben in den Dienst des Sozialismus stellte und auch bereit war, dieses Leben zu riskieren. 1444Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. (Schluß.). In: GL, 24/ 21/ 08.07.1914/ 326. 521 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN 4.4.3 Zwei Kämpferinnen der Pariser Kommune Der beeindruckenden Zahl der russischen Revolutionärinnen, welche in der „Gleichheit“ ge- würdigt wurden, stehen erstaunlicherweise nur zwei Kommunekämpferinnen gegenüber. Marie Ferré (ca. 1851-1882) und Louise Michel (1839-1905), die zudem in einem sehr engen Freund- schaftsverhältnis standen. Beide kämpften in der Pariser Kommune für „die Idee einer gesell- schaftlichen Wiedergeburt“1445. Ferré, die aus einer kleinbürgerlichen, aber mit dem Proletariat sympathisierenden Familie stammte, vereinte laut einer verallgemeinernden These Zetkins „[i]n ihrer einfachen, schlichten Persönlichkeit […] die Charakterzüge jener drei Typen, die uns während des Heldenkampfes des Pariser Proletariats so zahlreich unter dessen Frauen entgegentreten: die Charakterzüge der Heldin, Märtyrerin und Samariterin“1446. Ihre Biographie hatte demnach ein besonderes „Vorbildpotential“ und bot den „Gleichheit“-Lese- rinnen zahlreiche Identifikationsmöglichkeiten. Ferré lebte mit ihrer Familie – Vater, Mutter und den beiden Brüdern Théophile und Hippolyte – in Levallois-Perret, einem Vorort von Paris. Die gesamte Familie hing den Ideen der Kommune an, es herrschte eine „revolutionäre[…] Atmosphäre“1447 im Elternhaus vor. Das Engagement für die Kommune blieb aber auch in der Familie Ferré geschlechtsrollenspezifisch. Während der Vater und die Brüder auf den Barrikaden kämpften, blieb Ferré „als Hilfe und Stütze der Mutter zurück, theilte mit ihr die häuslichen Arbeiten, die Sorgen um die kämpfenden Lieben, das Streben, sich diesen und der Sache der Kommune würdig und nützlich zu erweisen“1448. Es entspricht ihrem beschriebenen Charakterzug als Samariterin, wenn sie nicht nur Vater und Brüdern Essen und Wäsche brachte, sondern auch Verwundete pflegte und „die Leiden Aller […], die an der Kommune theilgenommen hatten“1449 zu lindern suchte. Sie habe „Muthlose mit neuer, eiserner Energie“1450, erfüllt und stets „ein liebreiches, ermuthigendes Wort, eine kleine Gabe für Die bereit [gehabt], welche des Trostes oder der Unterstützung bedurften“1451. Für diese Sama- riterinnenarbeit, die über die Pflege körperlicher Wunden weit hinausging, wurde sie, so Zetkin, 1445Marie Ferré. In: GL, 02/ 14/ 13.07.1892/ 119. 1446Ebd. 1447Ebd. 1448Ebd. 1449Ebd. 1450Ebd. 1451Ebd., S. 120. 522 4.4.3 ZWEI KÄMPFERINNEN DER PARISER KOMMUNE „wie eine Heilige verehrt“1452 und selbst von den Gegnern bewundert. Im Kampf für die Sache habe sie ihren eigenen Körper jedoch viel zu wenig geschont: „In edlem Selbstvergessen war ihr ganzes Thun darauf gerichtet, Anderen und vor Allem der Idee der Befreiung der Arbeiterklasse zu dienen.“1453 Dem revolutionären Ziel bis zur Erschöpfung dienend, wurde Ferré von einem typhösen Fieber ergriffen, welches sie ans Bett fesselte. So lag sie auch krank zu Hause, als ein Trupp Soldaten auf der Suche nach ihrem Bruder Théophile ihr Elternhaus inspizierte. Die Soldaten drohten, ihre Mutter zu verhaften, um von ihr den Aufenthaltsort zu erzwingen. Um ihrer Mutter dies zu ersparen, bot sich Ferré statt ihrer als Gefangene an, was wiederum die Mutter nicht zulassen wollte. Zetkin sieht in diesem „edle[n] Wettstreit“ der beiden Frauen ein „lehrreiches Schauspiel“ 1454, das zeige, dass die als „‘Megären der Kommune’“1455 verlästerten Kämpferinnen ein beson- deres Ehrempfinden besaßen. Beide Frauen hätten sich „einander die Ehre streitig […][gemacht], sich für eins ihrer Familienmitglieder opfern zu dürfen“1456. Hundertfach habe sich diese Szene wiederholt und sie „rede[…] ganze Bände, auf welcher Seite, der bürgerlichen Geschichtsfälschung entgegen, während der Kommune Größe der Gesinnung zu finden war“1457. Zetkin nutzte hier die Gelegenheit, dem bürgerlichen Bild proletarischer Verrohung das Bild einer höheren proletarischen Moral entgegenzusetzen. Es war schließlich die kranke Marie Ferré, die die die Soldaten begleiten musste. Ihre Erkrankung ließ sie während einer Nervenkrise fast bewusstlos werden und in diesem fatalen Zustand habe sie schließlich doch Angaben zum Aufenthaltsort ihres Bruders gemacht. Ihr Bruder wurde daraufhin gefunden, verurteilt und erschossen.1458 Ihre Mutter erlitt einen psychischen Zusammenbruch und starb in einer Irrenanstalt, während der Vater und der zweite Bruder, der später deportiert wurde, ins Gefängnis kamen. Die 20-jährige1459 Ferré hatte nun ganz auf sich allein gestellt ein schweres Schicksal zu tragen. Zusätzlich musste sie sich, den Vater und den Bruder, die im Gefängnis schlecht versorgt waren, ernähren. Ihre Arbeitssuche blieb aber lange erfolglos, denn die Verwandten der 1452Ebd. 1453Ebd. 1454Ebd., S. 119. 1455Ebd. 1456Ebd. 1457Ebd. 1458Bei seiner Erschießung soll Théophile Ferré, so Zetkin, den „Muth[…] eines antiken Helden“ (ebd., S. 120) bewiesen haben. 1459Aus dieser Angabe lässt sich das ungefähre Geburtsjahr Ferrés schlussfolgern. 523 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Kommunekämpfer wurden allgemein „wie Aussätzige gemieden oder auch wie Verbrecher betrachtet“1460. Die Hilfe von Freunden schlug sie aus, weil sie ihre Pflicht als Schwester und Tochter als unteilbare Ehre erachtete. Nach mehrjähriger Haft wurde ihr Vater entlassen und 1880 kam auch ihr Bruder Hippolyte in den Genuss einer Amnestie, die alle KommunekämpferInnen erhielten. Ihre Aufopferung für Familie und Revolution, die auch eine Art selbstgewählter Sühne für den „Verrat“ an ihrem Bruder Théophile gewesen sein dürfte, und die schwierige Lebenssituation verstärkten ein Herzleiden Ferrés. Sie starb 1882 und Zetkin war davon überzeugt, dass sie trotz der vielen Opfer nicht „mit dem Gefühl der Trauer um eine heldenkühne Niederlage der Idee, welcher sie gedient,“1461 aus dem Leben geschieden sei, sondern „mit der stolzen Zuversicht eines gewissen Sieges derselben“1462. In Bewunderung und Sympathie widmete Louise Michel, die als „Rote Jungfrau“ berühmt wurde, Marie Ferré ihre „Memoiren“. Die beiden „edlen, hochherzigen Frauen“1463 habe, so Zetkin, „[e]ine tiefe, innige Freundschaft und die leidenschaftliche Hingebung für gemeinsame Ideale“1464 verbunden. So ist es nicht verwunderlich, dass auch Michel, die zudem Zetkin seit ihrer Zeit in Paris persönlich bekannt war, in der „Gleichheit“ als ein besonderes Vorbild sozialistischer Frauenbildung vorgestellt wurde. Im März 1893 schloss Nummer 5 der „Gleichheit“ mit der Ankündigung, die nächste Nummer als eine besondere Agitations-Nummer zu Ehren Michels zu gestalten. Sie sollte sowohl die Bio- graphie als auch Porträtbilder „der idealen Vorkämpferin des Proletariats“1465 enthalten.1466 An den Anfang ihres Artikels stellte Zetkin die Behauptung, dass es keine ideale Gestalt gäbe, die Michel „an Größe und Lauterkeit der Gesinnung, an Hingabe des ganzen Ichs an eine hohe Idee, an freudiger Thatkraft […] überträfe“1467. Michel sei „die Verkörperung schrankenloser Selbstaufopferung, flammender Begeisterung und nicht rastenden Wirkens für ein großes Ziel“1468, ein 1460Ebd. 1461Ebd. 1462Ebd. 1463Ebd. 1464Ebd. 1465[Ohne Titel, In:] GL, 03/ 05/ 08.03.1893/ 40. 1466Zetkin rechnete mit einem größeren Absatz dieser „Gleichheit“-Nummer, weshalb sie die zuständigen Ge- nossInnen aufforderte, „etwaige Mehrbestellungen der Expedition […] rechtzeitig zukommen zu lassen“ (ebd.). 1467Louise Michel. In: GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 44. 1468Ebd. 524 4.4.3 ZWEI KÄMPFERINNEN DER PARISER KOMMUNE „eigenthümliches Gemisch von glaubensfreudiger, um nicht zu sagen glaubens- fanatischer Märtyrerin, thatenfreudiger Heldin und weichherziger Samariterin“1469. Auch im Falle Michels griff Zetkin demnach auf die drei von ihr definierten Charaktertypen einer Kommunekämpferin zurück. Auch in diesem Falle trachtete Zetkin nach der Korrektur der bürgerlichen Propagandabilder, die aus einer „sozialrevolutionäre[n] Kämpferin“1470 eine „‘ent- menschte[…] Furie’“1471 oder „rasende[…] ‘Petroleuse’“1472 zu machen suchten. Als ein „Kind der Liebe“1473 sei Michel 1839 im Schloss Broncourt geboren worden. Sie war Tochter eines einfachen Dorfmädchens und dem Sohn einer Adelsfamilie, die es bemerkens- werterweise als selbstverständlich erachtete, das uneheliche Enkelkind in ihrem Hause auf- zunehmen und zu erziehen. Michel verbrachte eine glückliche Kinderzeit. Die Großeltern vermittelten ihr einen „liebevollen Sinn für die Natur, Verständniß und Begeisterung für die Poesie, für alles Schöne und Große“1474. Es seien die Erzählungen des Großvaters von der Franzö- sischen Revolution gewesen, die in ihr außerdem „eine schrankenlose Freiheitsliebe“1475 entfesselt hätten. Nach dem Tod der Großeltern begann Michel eine Ausbildung zur Lehrerin. In ihrem Unterricht machte sie keinen Hehl aus ihren politischen Ansichten als Republikanerin und Gegnerin Napoleons III. Nach den zu erwartenden Problemen mit den Schulbehörden nahm sie eine Stellung an einer Pariser Privatschule an. Hier in Paris kam sie in Kontakt mit anderen Repu- blikanerInnen und wurde Mitglied verschiedener Geheimclubs. Sie befürwortete den Plan, Napoleon III. durch ein Attentat zu beseitigen, doch der „brudermörderische[…], kulturfeind- liche[…]“1476 Krieg mit Deutschland, so Zetkin, vereitelte die Durchführung desselben. Nach der Niederlage der französischen Truppen bei Sedan und der Gefangennahme Napoleons wurde in Paris die von Michel heißersehnte Republik ausgerufen. Zetkin analysierte die Situation jedoch wie folgt: „Die Regierungsform war gewechselt worden und hatte einen anderen Namen bekommen, aber das Wesen der französischen Staats- und Gesellschaftsver- hältnisse war das gleiche geblieben.“1477 1469Ebd. 1470Ebd. 1471Ebd. 1472Ebd. 1473Ebd. 1474Ebd. 1475Ebd. 1476Ebd. 1477Ebd. 525 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Die tatsächlichen gesellschaftlichen Umstände blieben unverändert, die Klassengegensätze traten schärfer denn je hervor. Und so brachen auch die Gegensätze zwischen Michel und ihren bis- herigen Kampfgenossen auf. Wenn Michel auch „Republikanerin mit Leib und Seele“ blieb, so war es doch nicht die „‘blaue’, bürgerliche Republik“1478, sondern die „‘rothe,’ soziale Repub- lik“1479, die kommunistische Gesellschaft, in der die „für Volksglück glühende Lehrerin“1480 „Brot, Wissen und Gesittung für Alle“1481 verwirklicht sah. So schloss sich Michel derjenigen Gruppe an, die später die Kommune begründen sollte, und beteiligte sich an Komitees und Wohlfahrtsaus- schüssen. Am 18. März 1871 wurde die Pariser Kommune proklamiert. Michel engagierte sich vor allem für die Agitation der Frauen. Sie versuchte, sie in Vereinen zu organisieren, um die Kommune-Mit- glieder, die durch die Militärtruppen der republikanischen Regierung verwundet wurden, zu pflegen, Lebensmittel zu verteilen und die Betreuung der Kinder zu gewährleisten. Ob beim Aufbau der Wälle und Barrikaden, dem Transport und der Pflege der Verwundeten oder dem Versuch, „Sterbenden die letzte Stunde zu versüßen durch Hinweis auf das große Ziel, für das sie gefallen“1482 – Michel sei „barmherzige Samariterin“1483 und „kühne[…] Heldin“1484 zugleich gewesen. Weil man nach der äußerst blutigen Niederschlagung der Kommune nach Michel fahndete und dabei ihre Mutter als Druckmittel hätte gefangen nehmen können, stellte sie sich schließlich frei- willig. Als Kriegsgefangene ins Versailler Gefängnis gebracht, nahm Michel erst die unwürdigen Haftbedingungen und dann auch das Urteil zur lebenslangen Verbannung auf die Halbinsel Ducos in Neukaledonien gelassen hin. Lediglich die Trennung von ihrer Mutter und ihrer besten Freundin Marie Ferré quälte sie. Selbst in der Verbannung blieb Michel nicht untätig. Sie erlernte die Sprache der einheimischen Kanaken, sammelte einerseits deren Legenden und Dichtungen und erteilte ihnen andererseits Unterricht.1485 Dank einer allgemeinen Amnestie nach Frankreich zurückgekehrt, setzte sie auch hier wieder die Agitationsarbeit für die Umwandlung der Gesellschaft fort. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie sich durch literarische Arbeiten. Sie musste des Öfteren Gefängnisstrafen verbüßen 1478Louise Michel. In: GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 45. 1479Ebd. 1480Ebd. 1481Ebd. 1482Ebd. 1483Ebd. 1484Ebd. 1485Ebd. 526 4.4.3 ZWEI KÄMPFERINNEN DER PARISER KOMMUNE und während einer ihrer Haftzeiten starb ihre Mutter. Diesen Verlust sollte Michel nie verwinden. Eine Begnadigung schlug sie aus, man musste sie sogar mit Gewalt aus dem Gefängnis entfernen. Für den Fall weiterer solcher exzentrischen Reaktionen drohten die Behörden ihr mit der Ein- lieferung in ein Irrenhaus. 1890 ging Michel nach London und gründete dort eine internationale Schule für die Kinder der vielen in London lebenden politischen Flüchtlinge, die sich jedoch finanziell nicht halten konnte. Auch agitatorisch war Michel weiterhin tätig, die fremde Sprache erschwerte ihr Wirken jedoch in einem Maße, „daß der Name, der einst in Aller Munde war, heute nur noch selten in der sozialis- tischen Bewegung genannt wird“1486. Ein anderer Grund dafür, dass Louise Michels „Wirken ohne tiefere Bedeutung für den Fortgang der französischen Arbeiterbewegung“1487 blieb, lag in der „Unklarheit ihrer Anschauung, in man- gelndem Verständniß für den Werth der Organisation“1488. Sie selbst habe offiziell keiner sozialis- tischen Partei angehört und sich auch nicht genug von den sie umschmeichelnden Anarchisten – „unter ihnen auch viele falsche Brüder, Spitzel und Lockspitzel“1489 – distanziert. Am 6. April 1904 erschien in der „Gleichheit“ ein Nachruf auf Michel. In diesem wurden viele der in der Agitationsnummer skizzierten Ereignisse im Leben Michels und ihre besonderen Cha- raktereigenschaften erneut vorgestellt. Zetkin, die diesen Nachruf verfasst haben dürfte, nutzte aber außerdem diese Gelegenheit, um der Pariser Kommune, die eine „friedliche[…] Diktatur der kleinbürgerlich-proletarischen Demokratie“1490 gewesen sei, „die blutige Diktatur der besitzenden Klassen“1491 gegenüberzustellen. Letztere sei eine „Schreckensherrschaft, gewalttätiger, greuel- belasteter als alle revolutionären Erhebungen des französischen Volkes im 19. Jahrhundert“1492 gewesen. Vor diesem historischen Hintergrund erscheint die Gestalt Louise Michels umso leuchtender und reiner. Während die Richter des 3. Kriegsgerichts in Versailles, dessen Verhandlung Michel auf der ganzen Welt bekannt machte, versucht hätten, sie als Furie, als „Bestie in Menschengestalt“1493 darzustellen, war sie für Zetkin stets Lehrerin, Heldin, barmherzige Samariterin, Pflegerin und 1486Ebd., S. 46. 1487Ebd. 1488Ebd. 1489Ebd. 1490Louise Michel †. In: GL, 14/ 08/ 06.04.1904/ 57. 1491Ebd. 1492Ebd. 1493Ebd. 527 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Trösterin.1494 Nochmals betonte Zetkin die in sie gesetzten Erwartungen, die die Kommuneheldin nach ihrer Rückkehr aus der Verbannung jedoch enttäuscht habe: „Wohl schaute Louise Michel in der Verzückung einer Seherin die Insel der Seligen, welche der Sozialismus der erlösten Menschheit erschließt, dagegen erkannte sie nicht den Weg, der durch Sturm, Wogendrang und Klippen zu dem hehren Ziele führt.“1495 Es sei die ihr mangelnde klare, geschichtliche Auffassung und politische Schulung gewesen, die sie weiterhin auf dem „Flugsand der sozialistischen Utopie“ statt auf dem „sicheren Boden des wissenschaftlichen Sozialismus“ stehen ließen. Mit jedem Fortschritt in der inneren Entwicklung der sozialistischen Arbeiterbewegung geriet Michel weiter ins Abseits. Aus ihr sei allmählich eine „sozial-revolutionäre[…] Eingängerin“1496 geworden, sich „eng und enger“1497 an die Anarchisten anschließend, die ihre „pseudorevolutionären Torheiten“1498 mit Michels berühmtem Namen schmückten. In London habe ihrer Agitation – erschwert durch das fremde Milieu – der „Re- sonanzboden“1499 gefehlt. Michel gehe in die Geschichte der sozialistischen Arbeiterbewegung ein als „Evangelistin und Märtyrerin des sozialistischen Gedankens“. Ihr Verdienst waren „[n]icht selbstgeschmiedete, feingeschliffene, wissenschaftliche Formeln […], nicht Früchte politischer Reife und Weisheit“, da ihr das „systematische[…] Arbeiten und Ringen der Arbeiterklasse“1500 fremd war. Ihr Verdienst sei es vielmehr gewesen, „eine reiche Fülle revolutionärer sittlicher Werte“1501 hinter- lassen zu haben: „Im Toben des Klassenkampfes wie in der Stille ihres Privatlebens war sie durch die lebendige Macht des Beispiels eine große Erzieherin zur höchsten Bürger- tugend, zur Einheitlichkeit von Sein und Tun.“1502 Dieses Beispiel hatte auch Bedeutung für die deutschen Klassenkämpferinnen, denn die Situation unter dem Sozialistengesetz war der Zeit der Kommune sehr ähnlich. Es war nicht nur von Be- deutung, weil Michel in „ihrer Charaktergröße und Charaktereinheit“ anderen Kraft gab, „dem Wüten der Reaktion mannhaft zu trotzen, in glaubensfreudiger Unerschütterlichkeit für das sozia- 1494Vgl. ebd. 1495Ebd. 1496Ebd. 1497Ebd. 1498Ebd. 1499Ebd., S. 58. 1500Ebd. 1501Ebd. 1502Ebd. 528 4.4.3 ZWEI KÄMPFERINNEN DER PARISER KOMMUNE listische Ideal zu kämpfen“1503, sondern weil sie der Beweis dafür war, dass einem „kämpfenden Weib[…]“ nicht das „Erbarmen für fremde Leben und Leiden abstirbt, ja mehr noch, daß sein stärkster Heroismus aus seiner tiefsten Güte quillt“1504. Michel – jederzeit die ganze Persönlichkeit für ihr Ideal einsetz[end]“1505 – habe sowohl als Besiegte nie ihren Stolz und ihre Würde, als auch als Ruhmumrauschte nie ihre Bescheidenheit und Einfachheit verloren1506, stets Menschenliebe und Überzeugungstreue bewiesen. Einerseits freudig erleichtert, aber andererseits peinlich berührt musste die „Gleichheit“- Redaktion ihren Leserinnen in der nächsten Nummer mitteilen, dass der Tod Michels eine Falschmeldung war. Diese sei eben nicht nur von den meisten anderen deutschen Zeitungen, sondern auch von der „Gleichheit“ gebracht worden. Michel war nicht in London gestorben, vielmehr befand sie sich schwer krank im französischen Toulon und war bereits wieder auf dem Wege der Besserung.1507 Nur ein knappes Jahr später jedoch – am 9. Januar 1905 – verstarb Michel tatsächlich. Zetkin selbst verfasste nun lediglich eine Notiz. Die „Gleichheit“ hatte ja bereits mit der Falschmeldung im März des vorigen Jahres Michels „Persönlichkeit und ihr Wirken ausführlich gewürdigt“1508. Es habe, so Zetkin, nun „[e]in großes Herz, das ganz und gar den Armen und Enterbten gehörte, das leidenschaftlich für die höchsten Ideale der Menschheit glühte, […] aufgehört zu schlagen“1509. Im Weiteren wiederholte sie den letzten Absatz ihres damaligen Nachrufes: „Ein Gelöbnis in der Seele, so grüßen wir voll unauslöschlicher Dankbarkeit die Tapfere und Edle, der aus leidenschaftlichem Mitgefühl für alle Menschennot der todesmutige Rebellentrotz einer revolutionären Kämpferin erwuchs; die als Be- siegte ihren Stolz und ihre Würde, als Ruhmumrauschte ihre Bescheidenheit und Einfachheit bewahrte; die in allen Bitternissen die Glut ihrer Menschenliebe, in allen Wechselfällen des Lebens die felsenfeste Überzeugungstreue unversehrt er- hielt; […].“1510 Die Widersprüche im Leben der Louise Michel, die von Zetkin hier angeführt wurden, waren keine wirklichen Widersprüche und betrafen auch nicht ihre politische Gesinnung. Mit diesen 1503Ebd. 1504Ebd. 1505Ebd. 1506Ebd. 1507Eine gute Nachricht … In: GL, 14/ 09/ 20.04.1904/ 72. 1508Louise Michel †. In: GL, 15/ 02/ 25.01.1905/ 11. 1509Ebd. 1510Ebd. 529 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN sollte sich aber Wilhelm Holzamer (1870-1907)1511 in seinem ganz andersartigen Nachruf auf die Kommunardin beschäftigen. Der Lyriker und Schriftsteller hatte persönlich die letzte von Michel in Paris gehaltene Rede ge- hört und beschreibt sehr detailliert den tiefen Eindruck, den diese Begegnung auf ihn gemacht hatte und der überraschend anders ist: „Ihr Ende war längst vorauszusehen. Ihre letzte Krankheit im vorigen Winter hatte sie sehr geschwächt. Sie war nur noch ein Schatten nach ihr, ein Skelett.“1512 Holzamers Bericht wirkt alles andere als geschönt. Kein Wort von der Frische einer Greisin, von einer ungebrochenen Kraft, die Michel ausgestrahlt haben könnte. Stattdessen die Beschreibung ihres verfallenden, verwelkenden Körpers, ihre blauädrigen Hände, ihrer gekrümmten Gestalt, in der man nie die berühmte Louise Michel vermutet hätte. Und auch ihr Auftritt sprach für ihren körperlichen Verfall: „Dann kam Louise von hinten hervor. Langsam, müde zerfallen. Sie kam von ‘den Pforten des Todes’ her. Und so ärmlich sah sie aus. Ein sehr einfaches schwarzes verschossenes Kleidchen in altmodischem Schnitt, ein kleines Kapottchen auf dem grauen Kopfe, das Haar dünn über die Schläfen gestrichen.“1513 Lediglich in ihren Augen sei jene „große Güte, dieses gütige Weibsein, das ihr eigen war“, zu er- kennen gewesen und wenn ihr zahnloser Mund erzählte, dann war „alles Milde in ihr“ erkennbar, dann war sie „ganz Weib und Hingebung“1514. Andererseits schien sie nur schwach und gebrech- lich, denn sie hätte „die Ausdauer alter Leute, die nicht alt sein wollen. Sie hat noch viel zu sagen, sie wird es alles noch sagen.“1515 Michel sprach bei jenem Auftritt in Paris gegen „die kleinen Gelegenheiten, wo der ganze Einsatz der Persönlichkeit versäumt worden, wo der Einzelne kein Ganzer gewesen war mit mutiger, rücksichtsloser Selbsttreue, wodurch er der Gesamtheit am schwersten geschadet, wodurch er die Gesamtheit in sich verraten und preisgegeben hatte“1516. Sie appellierte auf die Weise besonders an die Frauen und Mütter, so Holzamer, an „ihren Einfluß auf den Mann, sein geistiges und politisches Leben, an ihren Einfluß auf die Erziehung der 1511Wilhelm Holzamer arbeitete 1889 als Lehrer in Heppenheim. 1901 übertrug ihm Großherzog Ernst Ludwig von Hessen die Leitung der „Darmstädter Spiele“ und seiner Kabinettsbibliothek. 1902-1905 lebte Holzamer in Paris, ab 1905 in Berlin. Holzamer verfasste u. a. verschiedene Frauenromane: „Inge“ (1903), „Ellida Solstratten“ (1904), „Vor Jahr und Tag“ (1908). In dem autobiographischen Werk „Der Entgleiste“ (1910) verarbeitete er seine Pariser Zeit. 1512Holzamer, Wilhelm: Louise Michel. In: GL, 15/ 03/ 08.02.1905/ 14. 1513Ebd. 1514Ebd. 1515Ebd. 1516Ebd. 530 4.4.3 ZWEI KÄMPFERINNEN DER PARISER KOMMUNE Kinder“1517 und daran, ihn für die Sache zu gewinnen. Holzamer hielt es im Weiteren aber für gerechtfertigt, auf eine inhaltliche Analyse ihrer Rede zu verzichten. Er bezeichnete diese als „dilettantisme, Dilettantismus, in einem besonderen Sinne“1518. Dieser Dilettantismus habe zwar das „Höchste gemeinsam: Freiheit, Menschenrecht“1519, aber entbehre die „gerade[…] Logik politischer Anschauung“1520. Zwar sei dieses Höchste im Fall Michels alles andere als Phrase, denn „ein schweres Leben zeugte dafür, es war Tat“1521. Zwar bewies Michel den „Mut der Märtyrer,[…] Idealismus der Überzeugung, […] Freudigkeit des Erduldens“1522 und in diesen Einzelheiten ihres Lebens liege das Packende ihrer Ausführungen, aber ansonsten fehle ihnen der „große Zug“1523. Dies habe sich, so Holzamer weiter, auch in ihrer Weltanschauung widergespiegelt. Ihre Schwäche sei es gewesen, „in der Zufälligkeit stecken“1524 geblieben zu sein. Weil sie in der Tat aufging und nicht nach den tieferen Beweggründen fragte, war sie „auch Dilettant der Überzeugung“1525, waren „Sozialismus und Anarchismus […] im Grunde doch nur Mittel, nicht Zweck und Ziel“1526. Michel, so Holzamer resümierend, „war ein Spätling, ihre Zeit war schon vorübergegangen“1527. Und doch wollte er mit all dem, was er an ihrer politischen Einstellung kritisierte, „nicht die höchste Anerkennung [mindern], die ihr Charakter verdient, den ihr Leben ehrt“1528. Es ist dieser „Überzeugungsdilettantismus“, den bereits Zetkin in ihrem Nachruf auf Michel – nur in weniger harten Worten – kritisierte und womit Michels Bedeutung als sozialistische Leitfigur sehr stark relativiert wurde. Entgegen dem von der proletarischen Frauenbewegung vertretenen Ideal, die Frauen zu wissenschaftlich geschulten Sozialistinnen zu erziehen, sei Michel „Revo- lutionärin aus Temperament, Sozialistin aus Gerechtigkeitsgefühl geblieben“1529. Sie teilte nicht 1517Ebd. 1518Ebd. Auch ihre Sprache und ihr dichterisches Können sei lediglich dilettantisch – in jenem französischen Wortsinn – gewesen (vgl. ebd.). 1519Ebd. 1520Ebd. 1521Ebd. 1522Ebd. 1523Ebd. 1524Ebd. 1525Ebd. 1526Ebd. 1527Ebd. 1528Ebd. 1529Louise Michel. In: GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 46. 531 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN die fortschrittliche Erkenntnis der modernen Arbeiterbewegung, dass die Umgestaltung der Ge- sellschaft Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung sein würde – ihr war sie „eine sittliche Noth- wendigkeit“1530. Diese Überzeugung war für Zetkin keine wahrhaft sozialistische Überzeugung. Und so sah sie Michels Bedeutung und damit ihre Vorbildfunktion nicht in dem, was sie bewirkt hat, sondern in ihrer Persönlichkeit: „in der Größe, Reinheit ihrer Gesinnung, in dem Heroismus und der Selbstlosigkeit ihres Thuns, der Wahrhaftigkeit und Einfachheit ihres Wesens. Ihr Leben und Wirken war von dem großen Gesetz der Selbstaufopferung regiert, es bleibt ein leuchtendes Beispiel der vollen Hingabe eines ganzen, reichen Menschenlebens an eine Idee, eine ergreifende und begeisternde Bethätigung des ‘Alles für Andere’“ 1531. Louise Michel, die „Rote Jungfrau“, wird in ihrer Bedeutung damit quasi auf die Stufe einer jener bürgerlichen Frauenleitfiguren degradiert, wie sie in Kapitel 4.5 dieser Arbeit noch skizziert werden. Es ist die prinzipielle Klarheit der richtigen politischen Anschauung, die eine sozialis- tische Klassenkämpferin von einem „weiblichen Vollmenschen“ unterscheidet. Hinsichtlich der Persönlichkeit Michels und ihrem besonderen Potential fiel ihre Beurteilung angesichts der enttäuschten Erwartungen besonders kompromisslos aus. 1530Ebd. 1531Ebd. 532 4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ 4.4.4 Kämpferinnen der ersten Stunde – Engagierte Proletarierinnen unter dem Sozialistengesetz Die „Gleichheit“ dokumentiert den Wandel innerhalb der proletarischen Frauenbewegung auch dadurch, dass sie ihren Leserinnen in Form von Nachrufen den tragischen Verlust engagierter Mitglieder anzeigen musste. Besonders die Reihen der „Alten“, der Kämpferinnen der ersten Stunde, lichteten sich mehr und mehr.1532 Auch diese hochverdienten Kämpferinnen lassen sich wiederum in verschiedene Gruppen differenzieren. Sie waren Frauen, die mit der Arbeiter- bewegung sympathisierten, Frauen, die Kleinarbeit in Agitation und Organisation betrieben und Frauen, die Führungspositionen übernahmen. Gemeinsam ist ihnen allen der Schwerpunkt ihres Engagements in einer Zeit, in der auch die schlichte Sympathie für die Sozialdemokratie große „Scherereien“ einbringen konnte. 4.4.4.1 Sympathisantinnen und „Parteikleinarbeit“ leistende Mitglieder Einer der ersten Nachrufe auf eine Kämpferin der ersten Stunde, war derjenige auf Lina Kowald (?-1892) aus Stuttgart. Sie wurde darin als eine „treue, gesinnungstüchtige Genossin“1533 be- schrieben, die „[i]n der festen Ueberzeugung von der Gerechtigkeit der Sache des Proletariats“1534 die Folgen ertrug, die sich aus dem politischen Engagement ihres ersten Ehemannes auch für sie ergaben. Auch ihr zweiter Mann, mit dem sie gemeinsam für drei „unerzogene“1535 Kinder sorgte, war ein Parteigenosse. Auch Marie Brader (?-1897), so ist aus ihrem Nachruf zu erfahren, stand viele Jahre treu zur Fahne der Sozialdemokratie und „bewährte […] sich als eine rührige und opferfreudige Kämp- ferin für die hehre Idee der Befreiung der Arbeiterklasse“1536. Bis zu ihrem Lebensende, das von einem tückischen Leiden beschleunigt eintrat, war sie aktiv am Kampf beteiligt, hing sie der Arbeiterbewegung „mit glühender Seele“1537 an, war treue Ideen- und Kampfesgenossin“1538. 1532Baader, Ottilie: Lina Scherzer – Berlin †. In: GL, 26/ 08/ 07.01.1916/ 57. 1533[Ohne Titel. In:] GL, 02/ 15/ 27.07.1892/ 126. 1534Ebd. 1535Ebd. 1536Ein[e] wackere Streiterin… In: GL, 07/ 22/ 27.10.1897/ 175. 1537Ebd. 1538Ebd. 533 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Ein besonders langjähriges Mitglied der Bewegung war die im Alter von 81 Jahren verstorbene Lina Scherzer (?-1915). Laut ihrem von Baader verfassten Nachruf war sie ein stets rühriges Mitglied der proletarischen Frauenbewegung Berlins, aber über die Grenzen Berlins wohl kaum bekannt. Wie noch einige andere der folgenden Kämpferinnen der ersten Stunde trug auch sie den Ehrennamen „Mutter Scherzer“. Geboren auf dem Lande als „echtes, rechtes Proletarierkind“1539 musste sie bereits als Kind zum Familieneinkommen beitragen. Ihre Schulbildung war eine sehr ungenügende, so dass sie das Lesen erst später erlernte und das Schreiben für sie eine „unerlern- bare Kunst“1540 blieb – was daran lag, dass die harte Kinderarbeit ihre Finger hatte ungelenk werden lassen. Trotz der mangelnden Bildung „ergriffen die sozialistischen Lehren mit unwider- stehlicher Gewalt ihr Herz und Hirn […]. Sie wurden der Leit- und Hoffnungsstern ihres Lebens“1541, dem sie zustrebte – nicht für Ansehen und Anerkennung, sondern aus „Pflicht- erfüllung“1542. In ihrer ruhigen, sicheren Art war sie ein vorbildliches Parteimitglied, dem es angelegen war, „die Zahl ihrer Mitglieder zu vermehren, Abonnenten für die Presse zu gewinnen usw.“1543. Sie leistete demnach vornehmlich die übliche Kleinarbeit, dennoch sprach an ihrem Grab sogar der Reichstagsabgeordnete Richard Fischer. In seiner Rede gedachte er mit Scherzer einer von „den Vielen, die ungenannt im stillen wirken, ihr Bestes geben und deren Treue und Aufopferungsfähigkeit eine der Kraftquellen der sozialistischen Bewegung ist“ 1544. Die Bedeutung der Partei und das Verhältnis ihrer Mitglieder zu ihr wird besonders durch folgende Argumentation der „Gleichheit“ beleuchtet: „Hohe Ideale muß eine Partei verfechten, damit sie Charaktere von der Lauterkeit und dem rastlosen Eifer unserer Genossin Scherzer gewinnt und festhält.“1545 Eine Partei und ihr Programm ist demnach nur so authentisch wie ihre Mitglieder – und umgekehrt. Auch ? Trompeter (?-1897) hatte sowohl die Schwierigkeiten des Alltags als auch die des Sozia- listengesetzes zu bewältigen. Auch als ihr Ehemann aus politischen Gründen ausgewiesen wurde, „zog sie mit dem Gatten in die Fremde, ohne durch Murren oder Klagen seine moralische Wider- 1539Baader, Ottilie: Lina Scherzer – Berlin †. In: GL, 26/ 08/ 07.01.1916/ 57. 1540Ebd. 1541Ebd. 1542Ebd. 1543Ebd. 1544Ebd. 1545Ebd. 534 4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ standskraft zu schwächen und seine Sorgen zu mehren“1546. Sie reisten nach London und in die Schweiz, kehrten dann aber nach Deutschland zurück. Trompeter teilte zwar vorbildlich die Ideale ihres Ehemannes und zog mit ihm die Konsequenzen, aber es war „nur“ „rege und verständnis- volle Sympathie“1547, die sie für die sozialistische Bewegung hatte. Sie selbst war nicht aktiv, aber „[i]hr umsichtiges, rühriges Walten in Haus und Geschäft trug ganz wesentlich dazu bei, dem Gatten die Möglichkeit zu schaffen, wieder an erster Stelle in der politischen und gewerkschaftlichen Bewegung Frankfurts zu kämpfen“1548. So leistete Trompeter, die außerdem Mutter eines Sohnes war, auf ihre Weise ihren Beitrag an der politischen Bewegung. Dies tat sie bis sie einer Lungenkrankheit erlag. Ihren Trauerzug geleiteten nicht nur 2.000 GenossInnen, sondern auch eine große Zahl von Polizisten – gerade so, als habe es sich bei der Trauergemeinde um „einen niederzuknüppelnden gewaltthätigen Auflauf“1549 gehandelt. Die Polizei untersagte dem Parteivertrauensmann eine Ansprache und verhaftete ihn schließlich noch am Grab. Auch wenn diese besondere Anteilnahme der GenossInnen eher auf die Position ihres Ehemannes zurückzuführen sein dürfte, so hatte aber auch Trompeter ihren Anteil an der Größe der Partei, denn die „Gleichheit“ war der Meinung: „Eine Partei, in deren Reihen Tausende und Abertausende von Frauen vom Schlage der Genossin[…] Trompeter stehen und für ihre Ideale im tagtäglichen unscheinbaren und doch hochwichtigen Kampfe opfern und ringen, eine solche Partei ist unbesieglich.“1550 Mit jeder Genossin vom Format einer Trompeter, die starb, wurde die Zukunft und der Charakter der Partei und der ihr zugehörigen Frauenbewegung jedoch ungewisser, die gezielte politische Schulung demnach immer dringlicher. Das Engagement Wilhelmine Lehmanns (?-1911) zur Zeit des Sozialistengesetzes wurde in ihrem Nachruf nicht näher beschrieben. 1905 war sie Mitbegründerin der proletarischen Frauen- organisation in Mannheim und später Vorsitzende der Organisation von Bezirk Neckarvorstadt. Die Ehefrau des Reichstagsabgeordneten Lehmann1551 starb an den Folgen eines Schlaganfalls und gab laut „Gleichheit“ „ein leuchtendes Beispiel, wie die Frau die Pflichten gegen die Familie mit 1546Zwei wackere Kämpferinnen … In: GL, 07/ 08/ 14.04.1897/ 61. 1547Ebd. 1548Ebd. 1549Ebd. 1550Ebd. 1551Da es nur einen Reichstagsabgeordneten mit Nachnamen Lehmann gab, muss es sich hier um Gustav Lehmann handeln. Er war gelernter Schreiner und bereits seit 1882 als Parteifunktionär und später als Mitarbeiter im SPD- Verlagswesen aktiv. Seit 1905 bekleidete Lehmann das Amt eines Stadtverordneten in Mannheim und 1907-1912 das eines Reichstagsabgeordneten. Angaben zu seinem Familienstand fehlen in der BIOSOP-Datenbank jedoch. 535 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN der Arbeit für die große Sache ihrer Klasse verbinden kann“1552. Auch Johanna Schwartz‘ (1833-1912/ fast 80-jährig) Ehemann – Theodor Schwartz – war Reichstagsabgeordneter. Es war die Liebe zu ihm, die sie in die neue Ideenwelt führte. 1865 heirateten sie und seit 1866 sei Schwartz nicht nur die „verständnis- und liebevollste Lebens- gefährtin“1553 ihres Ehemannes gewesen, sondern auch bekennende Sozialistin. Doch, so das Urteil der „Gleichheit“, habe Schwartz im Sozialismus „keine verstandesmäßige Lehre“1554, son- dern „vielmehr eine Herzenssache [gesehen], deren warmer Schein das ganze Leben durch- drang“1555. Obwohl sie gemeinsam mit ihrem Gatten 30 Jahre lang als Stewardess zur See fuhr, versäumte es „Mutter Schwartz“ nicht, auf den meisten Parteitagen und internationalen Kon- gressen anwesend zu sein. Auch wenn sie diese nicht als Delegierte besuchte, so sei sie doch eine „aufmerksame[…] Zuhörerin“1556 gewesen, „die mit geradezu religiöser Andacht den Verhand- lungen folgte und die Ideen in ihrem Herzen bewegt[…]“1557 habe. Unersetzliche Kleinarbeit war es, die Amalie Taubert (?-1913/ 65-jährig) zur Zeit des Sozialisten- gesetzes in Leipzig geleistet habe. So sah es die Leiterin der proletarischen Frauenbewegung Leipzigs Klara Wehmann (?-1915/ 56-jährig) in dem von ihr verfassten Nachruf. Taubert habe ihre Aufgaben stets gemeinsam mit ihrem Ehemann Gustav gemeistert, der als Zigarrenmacher arbeitete und zudem als Parteikolporteur wirkte. Sie war Mitglied der Freireligiösen Gemeinde, weil sie als Mutter einer großen Kinderschar diese nicht, so Wehmann, mit dem „Wust des Kirchenglaubens belasten“1558 wollte. Dieser kirchenkritischen Einstellung entsprechend verfügte sie, nicht beerdigt, sondern eingeäschert zu werden. Ein weiterer Grund für diese Entscheidung dürfte der Eklat gewesen sein, den es 19 Jahre zuvor bei der Beerdigung ihres Ehemannes gegeben hatte. Damals war trotz des ausdrücklichen Wunsches des Verstorbenen und der Familie ein Geistlicher und ein Totengräber zur Beerdigung erschienen. Der dienstbeflissene Totengräber sprang sogar ins Grab hinein, um die mit roten Schleifen geschmückten Kränze wieder heraus- zuholen, wobei er aber fortdauernd mit noch mehr Kränzen beworfen wurde. Für die erstarkende proletarische Frauenbewegung hatte Taubert vor allem als Austrägerin 1552Blase, Therese: Wilhelmine Lehmann (Mannheim) †. In: GL, 21/ 18/ 05.06.1911/ 282. 1553Johanna Schwartz †. In: GL, 23/ 04/ 13.11.1912/ 58. 1554Ebd. 1555Ebd. 1556Ebd. 1557Ebd. 1558Wehmann, Klara: Amalie Taubert †. In: GL, 23/ 11/ 19.02.1913/ 171. 536 4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ (vermutlich auch der „Gleichheit“) gewirkt und sich außerdem der Arbeit in einer Konsum- genossenschaft gewidmet.1559 Es ist kein Nachruf, sondern ein Jubiläumsartikel zum 70. Geburtstag, in dem die Autorin Ottilie Baader an das Leben und den Werdegang Marie Klingners (1846-?) erinnerte. Frühzeitig Witwe geworden, habe Klingner im Sozialismus Glauben und „Zukunftshoffnung“1560 gefunden. Sie war eines der ersten Mitglieder in dem 1903/04 gegründeten politischen Frauenwahlverein und außerdem von Beginn an Mitglied des „Vereins für Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse“. Hier erledigte sie vor allem Kleinarbeiten. So übernahm sie z. B. die Mahnung beitragssäumiger Mit- glieder oder nahm regelmäßig an Versammlungen, Sitzungen und Leseabenden teil, um dort neue Mitglieder zu werben. Damit stand Klingner zwar auf keiner herausragenden Position innerhalb der proletarischen Frauenorganisationen, aber ihr Geburtstag gab Baader Gelegenheit, daran zu erinnern, „daß in unserer Partei gar viele sind, die mit gleichem Opfermut, gleicher Liebe und Treue die sozialistischen Lehren verbreiten helfen, und deren Namen man kaum kennt, Ungenannte und Unbekannte, die still in den Reihen der Massen als Teile des Ganzen mit der größten Hingabe sich betätigen“1561. Wie bereits Zetkin, so zog auch Baader angesichts des besonderen Opfermutes, der von den AnhängerInnen der SPD bewiesen wurde, folgenden Rückschluss: „Eine Lehre, die in ihren Anhängern so viel Treue, Selbstlosigkeit und Opfermut erzeugt, wie wir das im klassenbewußten Proletariat finden, muß erhebend, be- glückend, erlösend sein. Und das ist der Sozialismus.“1562 Die Frauen opferten jedoch nicht nur, sie erhielten Vieles für ihr Engagement zurück. Manche Frauen fanden im Kampf für den Sozialismus eine besondere Erfüllung. So führte der Kampf für den Sozialismus auch ? Lorenz (?-1916/ 72-jährig) über „die engen Schranken eines Proletarierdaseins“1563 hinaus. Ein „scharfer Verstand“1564 und ein „heißes Herz“1565 hätten sie, so die „Gleichheit“, angetrieben, „diese Schranken geistig zu durchbrechen 1559Ebd. 1560[Baader, Ottilie] O.B.: Eine Jubilarin. In: GL, 26/ 25/ 01.09.1916/ 184. 1561Ebd., S. 185. 1562Ebd. 1563Genossin Lorenz, Kiel-Gaarden †. In: GL, 27/ 01/ 13.10.1916/ 7. 1564Ebd. 1565Ebd. 537 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN und sich die weite Welt des Sozialismus zueigen zu machen“1566. Im Sozialismus „fand sie ihre wahre Heimat, im Dienste des sozialistischen Ideals erwuchs ihr Glück und ungesuchte Ehre“1567. Die Betonung, dass Lorenz diese Ehre nicht gesucht oder auf eine besondere Anerkennung spe- kuliert habe, passt zum Idealbild „selbstlose[r] Begeisterung“1568. Unermüdlich war sie in der Parteikleinarbeit tätig, „die unter dem Ausnahmegesetz oft ebenso gefährlich als wichtig“1569 gewesen sei und wurde 1905 zweite Vertrauensperson der Genossinnen von Gaarden. Bis ins Greisenalter blieb Lorenz für die sozialdemokratische Bewegung aktiv. Die „Gleichheit“ schloss ihren Nachruf mit den Worten: „Die Mahnung, ihr nachzueifern, ist das Vermächtnis dieses schlichten, aus- gefüllten und edlen Lebens.“1570 Es war ein Leben, das seine Erfüllung in der politischen Arbeit für die proletarische Frauen- bewegung gefunden hatte und zu dessen privater Seite die „Gleichheit“ nur zu erzählen hatte, dass auch ein „Lebensgefährte“ existierte. Ganz anders dagegen der Tenor des Jubliäumsartikels, den die „Gleichheit“ anlässlich Emilie Dittmers (1837-?) – „Mutter Dittmers“ – 80. Geburtstag veröffentlichte. Dittmer wurde als „Pro- letarierkind“ im mecklenburgischen Renitz geboren und wuchs als Waise bei ihrer Großmutter auf. Schon früh ging sie als Dienstmädchen in der Großstadt Hamburg in Stellung. Ihre Heirat, so L.F., sei Dittmer als eine „Erlösung aus der Unfreiheit des Dienstbotenlebens“1571 erschienen. Doch war sie gezwungen, als Heimarbeiterin hinzuzuverdienen und stand damit lediglich in einer anderen Art von Abhängigkeit. Diese noch gesteigert durch ihre Verantwortung und Belastung als Ehefrau und Mutter. Sie war 25 Jahre alt, als sie einen Haushalt zu versorgen und mehrere Kinder zu verpflegen hatte, von denen jedoch nur eine Tochter überlebte. Dittmer führte das für Heim- arbeiterinnen typische isolierte Leben. Doch ihr Ehemann vermittelte ihr, indem er sie mit der Tabakarbeiterbewegung und den sozialistischen Ideen bekannt machte, schließlich die Welt außerhalb ihres Heimes.1572 Bereits zu Zeiten des Sozialistengesetzes wurde sie Mitglied des örtlichen Frauenvereins und half oft mit, „der Polizei ein Schnippchen zu schlagen“1573. 1566Ebd. 1567Ebd. 1568Ebd. 1569Ebd. 1570Ebd. 1571L.F.: Mutter Dittmer 80 Jahre alt. In: GL, 27/ 09/ 02.02.1917/ 60. 1572Vgl. ebd. 1573Ebd. 538 4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ Nach dem Fall des Sozialistengesetzes wurde Dittmer SPD-Parteimitglied und 1907 wurde sie eines der ersten Mitglieder der Hamburger Dienstbotenorganisation – zu diesem Zeitpunkt war sie 70 Jahre alt. Sie war nicht nur eine eifrige Leserin der Parteiliteratur, sondern auch regelmäßige Besucherin von Bezirks- und Distriktversammlungen. 1910 verblüffte sie die Hamburger Dele- gierten, weil sie trotz ihres hohen Alters plötzlich in Kopenhagen auf der Konferenz der Sozialis- tischen Fraueninternationale erschien. Doch auch Dittmer blieb von Schicksalsschlägen nicht verschont. Kurz nachdem sie 1912 Goldene Hochzeit gefeiert hatte, verstarb ihr Ehemann, und bereits im ersten Jahr des Ersten Welt- krieges fiel ihr einziger Enkel an der Front. Die Verfasserin des Artikels wünschte der Jubilarin deshalb umso mehr, dass es ihr noch vergönnt sein solle, „die Segnungen des kommenden Frie- dens zu schauen“1574. 4.4.4.2 Risikoträgerinnen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung und Pionierinnen der frühen proletarischen Frauenbewegung Die nun folgenden biographischen Skizzen sollen die Gefahren deutlich machen, denen sich die Anhängerinnen der Arbeiterbewegung zur Zeit des Sozialistengesetzes aussetzten und zeigen zu- gleich die Raffinessen auf, die die sozialistischen Klassenkämpferinnen anwandten. Eine jener Klassenkämpferinnen – überzeugt und opferfreudig von und für die sozialistische Sache – war Marie Musfeldt (?-1896). Sie wurde gemeinsam mit zwei weiteren Frauen unter dem Titel „Wackere Kämpferinnen“1575 geehrt. Für alle drei definierte Zetkin zu Beginn des Artikels, sie seien „„mehr als persönlich anziehende und sympathische Gestalten. Sie sind typische Vertreterinnen der proletarischen Kämpferinnen, typische Vertreterinnen des neuen idealen Geistes, der sich in der proletarischen Frauenwelt regt. Im Proletariat sind sie geboren, im Proletariat sind sie stehen geblieben. Von zartester Kindheit an bis zum Grabe schritt die Armuth, eine kalte, unfreundliche, herrische Begleiterin neben ihnen her und zeichnete ihrer Entwicklung und Bethätigung enge Bah- nen.“ 1576 Diese Typisierung ließ es unwesentlich erscheinen, detailliert auf Leben und Herkunft der Verstor- 1574Ebd. 1575Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 188-189. Dieser Artikel enthielt außerdem die Nachrufe von Marie Ludwig (?-1896) und Agnes Schilling (?-1896/ 34-jährig). Die beiden Frauen werden, trotzdem Zetkin sie bewusst in ihrer Einheit als Kämpferinnen darstellen wollte, aufgrund ihrer verschiedenartigen Tätigkeiten für die proletarische Frauenbewegung bzw. ihr frühes Sterbealter in der vorliegenden Arbeit aber an anderer Stelle vorge- stellt. 1576Ebd., 189. 539 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN benen einzugehen. Im Falle von Musfeldt wurde daher tatsächlich weitgehend darauf verzichtet. Die zentrale Rolle spielte vielmehr ein Gerichtsprozess, in welchem sie und andere nach §128 und §129 des Strafgesetzbuches unter Anklage standen, Geheimbündelei betrieben zu haben. Zuvor hatte im März 1887 die Polizei bei der als Marie Könemann geborenen Musfeldt eine Haus- suchung vorgenommen. In einem von ihr vermieteten Zimmer fand man ein Lager sozialistischer Druckschriften, Sammellisten und mehrere Kassenbücher. Daraufhin wurde die fast 60-jährige Musfeldt in Haft genommen, um von ihr den Namen ihres Mieters zu erzwingen. Die gefundenen Unterlagen galten als Beweis, dass in jenem Zimmer das Geschäftslokal der „geheim organisier- ten Genossen von Hamburg-Altona“1577 untergebracht sei. Erst nach fünf Monaten Untersuchungs- haft, in der Musfeldt dem Druck jedoch nicht nachgegeben hatte, und einem Gerichtsverfahren vor dem Altonaer Landgericht wurden alle 13 Angeklagten freigelassen. Mit ihrem mutigem Schweigen hatte Musfeldt nicht nur sich selbst und die zwölf Mitangeklagten gerettet, sondern auch viele weitere Arbeiter und Familienväter vor Gefängnis und Ausweisung bewahrt.1578 Sehr oft waren es die Herstellung und Verbreitung sozialdemokratischer Literatur, mit denen sozialdemokratische Frauen ihre Freiheit riskierten. So auch Marie Hoppe (?-1900/ 81-jährig), Wickelmacherin in der Tabakindustrie und ältestes Parteimitglied Bremens. Unter dem Sozialis- tengesetz, so ihr Nachruf in der „Gleichheit“, bot Hoppe nicht nur ihre Wohnung für geheime Treffen an, sie half auch, den „Sozialdemokrat“ zu schmuggeln und zu verstecken. Die neuen Lie- ferungen der illegalen Parteizeitschrift habe sie manchmal in einen Brotkorb gelegt, um sie dann in den örtlichen Armeekasernen zu verstecken. Gerade dort, so die „Gleichheit“ ironisch, hätten sich die Exemplare bis zu ihrer Verteilung in „bester Sicherheit“1579 befunden. In Hoppe paarte sich jene gewiefte Risikobereitschaft mit einer innigen Begeisterung und einem aufopferungs- vollem Wirken, das auch keine finanziellen Opfer gescheut habe. Sie sei eine Klassenkämpferin gewesen, deren schlichtes Leben und Wirken „Tausenden und Abertausenden von Proletarierin- nen“1580 zurufe: „‘Gehet hin und thuet desgleichen!’“1581 Der Nachruf auf Flora Schulze (?-1904/60-jährig) ist ein Beispiel dafür, wie sich die persönliche Betroffenheit einer „Gleichheit“-Autorin auf die Länge eines von ihr verfassten biographischen 1577Ebd. 1578Ebd. 1579Eine muthige und treue Kämpferin für die Befreiung des Proletariats … In: GL, 10/ 03/ 31.01.1900/ 21. 1580Ebd. 1581Ebd. 540 4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ Artikels auswirken konnte. Käte Duncker, die hinter den Initialen K. D. zu vermuten ist, scheint die Ehefrau des Gewerkschaftskartellsvorsitzenden Karl Schulze gut gekannt zu haben. Zumindest verfügte sie über viele Informationen aus deren 60 Jahre währendem „Proletarier- dasein voll Mühe und Arbeit, Entbehrungen und Enttäuschungen“1582. Bereits als Kind hatte sie arbeiten müssen. Als 15-jähriges Mädchen ging sie nach Warschau, um dort bei einem Bruder ihrer Mutter als Dienstmädchen zu arbeiten. Anfang der 1860er Jahre kehrte sie aber auf Wunsch der Mutter und wegen in Polen ausgebrochener Unruhen nach Deutschland zurück. Es hielt sie jedoch nicht lange im Elternhaus, denn ihre Mutter verweigerte ihr die Erlaubnis für eine Liebesheirat. Schulze ging zurück nach Warschau, wo sie einen Mann russischer Herkunft heiratete. Diese Ehe verlief jedoch nicht glücklich und Anfang der 1870er Jahre kehrte Schulze ein weiteres Mal nach Deutschland zurück. Dort arbeitete sie erst als Schneiderin und dann als Zigarrenmacherin. Bereits vor Erlass des Sozialistengesetzes schloss sich Schulze der Leipziger Arbeiterbewegung an. 1889 erfuhr sie in Erfurt von der Gründung einer neuen Parteizeitschrift. Schulze stellte laut Duncker der Redaktion dieser Zeitschrift „ihr ganze[s] Besitztum zur Verfügung […], eine in fast zwei Jahrzehnten rastloser Arbeit ersparte Summe von 3000 Mark“1583. So verdankte die „Thüringer Tribüne“ (1889-1897) ihre Entstehung zum Teil der „Opferfreudigkeit“1584 Flora Schulzes. 1890 heiratete sie Karl Schulze, der einer der ersten Redakteure der „Thüringer Tribüne“ war. In dieser Zeit wirkte Schulze als Agitatorin und Rednerin. Schließlich gab das Ehepaar Schulze die Leitung der Zeitschrift ab und zog nach Bernburg. Da jedoch eine neue Existenzgründung fehlschlug, musste Schulze ihre Arbeit als Zigarrenmacherin wieder aufnehmen – sie als Meisterin, ihr Mann als ihr Geselle. Dies war eine glückliche Entscheidung und sie begannen einen gutgehenden Zigarrenverkauf in Wernigerode, welchen sie ab 1896 in Leipzig betrieben. In ihren letzten Lebensjahren trat Schulze zwar nicht mehr öffentlich in der Bewegung hervor, aber sie, so Duncker, „ermöglichte […] es dafür ihrem Manne, es zu tun. Damit er in Partei und Gewerkschaft tätig sein konnte, stand sie von früh bis spät im Laden, nie hielt sie ihn zurück, im Gegenteil, sie spornte ihn an.“1585 Sie selbst nahm nur noch an Maifeiern und Gewerkschaftsfesten teil oder besuchte Veranstaltungen des Leipziger „Vereins für Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse“1586. Diesem 1582[Duncker, Käte] K. D.: Flora Schulze – Leipzig †. In: GL, 14/ 25/ 30.11.1904/ 199. 1583Ebd. 1584Ebd. 1585Ebd. 1586Duncker war selbst Vorsitzende dieses Vereins. 541 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN gehörte Schulze als Mitglied an und noch zwei Tage vor ihrem Tod besuchte sie eines seiner Treffen.1587 Es ist auch dieser besondere Umstand, der Duncker schließlich zusammenfassen lässt: „Ihre Pflichttreue und Opferfreudigkeit, ihr Eifer, noch zu lernen, und ihr auf- richtiges Wesen mag den Genossinnen als Vorbild dienen.“1588 Schulze hatte Vorbildfunktion sowohl als Klassenkämpferin als auch als „weiblicher Vollmensch“. Sie war bereit gewesen, der Arbeiterbewegung ihre eigene finanzielle Existenz zu opfern. Glück- licherweise aber hatte sie sich und ihrem Ehemann damit sogar letztendlich eine Existenz schaffen können. Der Nachruf Ernestine Schlossers (?-1904), der vermutlich von Zetkin verfasst wurde, birgt keine solche „Erfolgsgeschichte“ wie sie Schulze erlebt hatte. Schlosser erlebte stattdessen die volle Härte des Sozialistengesetzes während sie in Zwickau an der Verteilung des „Sozial- demokrat“ mitwirkte. Stets habe sie diese schwierige Aufgabe, so Zetkin, „[u]nerschrocken, umsichtig und geschickt“1589 erfüllt. Selbst als Schlosser bereits behördlich beobachtet wurde, „gelang es ihr doch aufs beste, die harrenden Genossen mit ihrem Organ zu versorgen“1590. Doch dann fiel bei einer Haussuchung ein Exemplar der illegalen Zeitung in die Hände der Polizei. Die hochschwangere Schlosser hatte dieses einzige vorhandene Exemplar zuvor unter ihren Kleidern versteckt und gehofft, in ihrem Zustand keiner körperlichen Untersuchung unterzogen zu werden. Bei der von einem Polizisten dann aber doch vorgenommenen Leibesvisite sei „ihr das Blatt vom bloßen Leibe weg[genommen]“1591 worden. Diese Erniedrigung sei so groß gewesen, dass Schlos- ser laut Zetkin „glaubte diese schmachvolle Behandlung nicht überleben zu können“1592. Noch in der Nacht – ihr Ehemann war noch nicht von seiner Schicht als Bergmann zurückgekehrt – wollte sie sich im nahen Mühlgraben ertränken. Da das kalte Wasser frühzeitige Geburtswehen auslöste, sei es das „Muttergefühl“1593 gewesen, das Schlosser von ihrem ursprünglichen Vorhaben abge- halten habe. Am rettenden Ufer brachte sie einen Sohn zur Welt und beide wurden schließlich von einer „Schildwache“ gefunden. Eine lange Zeit habe es gebraucht bis Schlosser „die ihr angetane Schmach und die tiefe Erschütterung ihres Innern zu überwinden“1594 vermochte. 1587Vgl. ebd. 1588Ebd. 1589Ernestine Schlosser †. In: GL, 14/ 27/ 28.12.1904/ 215. 1590Ebd. 1591Ebd. 1592Ebd. 1593Ebd. 1594Ebd. 542 4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ Eine solch heftige Reaktion auf eine Haussuchung und Leibesvisitation für eine Kämpferin der proletarischen Frauenbewegung ist eher ungewöhnlich. Schlossers Beispiel steht aber für alle zu einer Gefängnishaft verurteilten Mitglieder proletarischer Frauenorganisationen, die ähnliche Pro- zeduren über sich ergehen lassen mussten. Die Anstellung weiblicher Polizisten lag deswegen nicht nur im Interesse der Prostituierten, die immer wieder zu solcherlei Untersuchungen ge- zwungen wurden. Im Oktober 1905 starb nach „langem qualvollen Siechtum“1595 ? Jallandt (?-1905), die eine der „ersten begeisterten Trägerinnen der Frauenbewegung in Deutschland“1596 gewesen sei. Bereits Anfang der 1870er Jahre – „unter großen Schwierigkeiten und Opfern“1597 – war sie in der Aufklärung und Agitation proletarischer Frauen tätig. Jallandt war eine der Gründerinnen und Leiterinnen des ersten sozialistischen Frauenvereins in Hamburg. Sie war darin auch in den 1880er Jahren sehr aktiv und unterhielt Kontakte zu den von Hahn und Staegemann geleiteten Organisationen in Berlin. Während des Sozialistengesetzes habe so mancher Verfolgte nur deshalb Aufnahme in Hamburg gefunden, weil ihm Jallandt und ihr Ehemann den notwendigen Nachweis der Existenzmittel ermöglicht hätten. Sie habe eine unzerrüttbare Überzeugung besessen und blieb bis sie bettlägerig wurde ein rühriges Mitglied der Organisation. Trotz all dieser Verdienste musste die „Gleichheit“ feststellen, dass Jallandt „eine aus dem Gedächtnis der kämpfenden Proletarier Hamburgs fast Verschollene“1598 war. Diesem Vergessen versuchte die „Gleichheit“ entgegenzuwirken und gibt Jallandt ihre Bedeutung für die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung zurück: „Ihr Herz gehörte bis zum letzten Schlage dem sozialistischen Ideal. Der tapferen, treuen Genossin Jallandt gebührt ein Ehrenplatz in der Geschichte der proletarischen Frauenbewegung. Sie muß von allen unvergessen sein, die für das Emporsteigen des Proletariats aus Nacht zum Licht ihre Kraft einsetzen.“1599 Die „Gleichheit“ sah sich auch hier wieder bewusst als Bewahrerin von Frauengeschichte. Der Nachruf1600 auf die in Crimmitschau verstorbene Marie Colditz (1827-1907/ 79jährig) bot 1595[Ohne Titel. In:] GL, 15/ 24/ 29.11.1905/ 142. 1596Ebd. 1597Ebd. 1598Ebd. 1599Ebd. 1600Der Nachruf war eine Nummer zuvor angekündigt worden. In der entsprechenden Notiz wurde hervorgehoben, dass Colditz in der Zeit des Sozialistengesetzes „der Partei durch ihren Mut und ihre Treue wertvolle Dienste geleistet (Genossin Colditz †. In: GL, 17/ 04/ 20.02.1907/ 28) habe. Deshalb behielt es sich Zetkin vor, noch eine ausführlichere Würdigung zu veröffentlichen. 543 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Zetkin die Gelegenheit, die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung und die Ereignisse im sächsischen Crimmitschau in den 1860er Jahren zu skizzieren und dabei auf die von ihr 1906 verfasste Artikelserie „Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland“ zu ver- weisen.1601 Bereits zu jener Zeit der Illegalität sei Colditz zwar keine junge Frau mehr gewesen, aber „jugendlich war die Begeisterung, mit der sie sich der Arbeitersache widmete, jugendlich der Haß, den sie gegen jede Ungerechtigkeit, gegen Gemeinheit und Kriecherei im Herzen hegte“1602. Nicht im großen, aber im kleinen Kreis habe sie als Rednerin gewirkt und in dem „zeitweilige[n] Hauptquartier“1603, der Gastwirtschaft, die sie zur Zeit des Sozialistengesetzes mit ihrem Ehemann August betrieb, Flüchtlinge versteckt. Zudem diente ihr Haus als Umschlagsort für illegale Litera- tur: „Viele verbotene Früchte vom Baume der Erkenntnis lagen in seinen bescheidenen vier Wänden gut verborgen aufgestapelt und wurden von dort aus nach anderen Orten Deutschlands verbreitet“1604. Sobald eine Haussuchung wieder einmal glücklich überstanden war, habe sich „Mutter Colditz“ auf den Weg gemacht, um Botengänge zu besorgen und den „Schweizer Käse“ („Sozialdemo- krat“)1605 an seinen Bestimmungsort zu transportieren. Die Tage, an denen die Handarbeiterinnen ihre Waren in die Stadt brachten, so Zetkin bereits in ihrer erwähnten Artikelserie, waren für Colditz „Arbeitstage und Festtage der Seele“1606, denn dann habe sie keine Gelegenheit zur Agitation ausgelassen. Sie sei ein „‘Typ vom kerngesunden, zielklaren Charakter jener ausgesprochen proletarischen Bewegung’“1607 gewesen, habe über „agi- tatorische Veranlagung, […] kluge[n] Sinn […] [und] Energie“1608 verfügt. „‘[A]usdauernd, opfer- mutig’“ war sie „‘der Schrecken aller Halben und Undurchsichtigen’“1609, die ihr Haus betraten. Zusammen mit Colditz und den Ereignissen in Crimmitschau 1869 müssen drei weitere Frauen genannt werden, zu deren Biographien jedoch deutlich weniger in der „Gleichheit“ zu finden ist – tatsächlich nur in jener Artikelserie. Wilhelmine Weber (?-?) und Christiane Peuschel (?-?) 1601Vgl. Genossin Marie Colditz … In: GL, 17/ 05/ 06.03.1907/ 36. 1602Ebd. 1603Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169. 1604Genossin Marie Colditz … In: GL, 17/ 05/ 06.03.1907/ 36. 1605Ebd. 1606Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169. 1607Ebd. Vermutlich war es Julius Motteler, der hier von Zetkin zitiert wurde. 1608Ebd. 1609Ebd. 544 4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ waren Mitglieder eines Komitees, das durch die Internationale Gewerksgenossenschaft der Manu- faktur-, Fabrik- und Handarbeiter eingesetzt worden war, um einen allgemeinen Kongress der Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiter in Leipzig zu organisieren. Beide waren Handarbeite- rinnen1610 und sollten sich zu „geschickten[…] Debattenrednerinnen“1611 entwickeln, die es „durch gut gewählte Fragen [verstanden], die Verhandlungen zu beleben, prak- tische Anregungen zu geben und das Interesse der Frauen für die Organisation und ihre Ziele zu wecken“1612. Drei Jahre später nutzte Peuschel die Gelegenheit als Delegierte auf dem ersten deutschen Weber- tag vom 28.-30. März 1871 in Glauchau, die Ideen der von ihr mitgegründeten Gewerksgenos- senschaft zu verbreiten und sich gegen die Ausgrenzung der Frau aus der Erwerbsarbeit zu wenden.1613 Peuschels Diskussionsbeiträge, so Zetkin, „künden unzweideutig die Schule der Internationale. Sie erweisen des weiteren, daß die Internationale Gewerksgenossenschaft Kämpferinnen umschloß, die den Männern nicht bloß gleichberechtigt, sondern auch ebenbürtig an Fähigkeiten und Schulung waren. Denn wahrlich, an sachlichem Wert, an Klarheit, Bestimmtheit und Logik des Gedankens übertrafen Frau Peuschels Ausführungen die Reden zahlreicher männlicher Delegierter und stellten sich denen der geschultesten Köpfe ebenbürtig zur Seite.“1614 Durch diese überzeugenden Leistungen habe die Handarbeiterin aus Crimmitschau, die „Vorkämpferin der klassenbewußten Proletarierinnen“1615, Anteil daran gehabt, dass auf dem Kon- gress eine Resolution Bebels angenommen wurde, welche den Kampf für die gleichberechtigte Aufnahme von Frauen in die Gewerkschaften und ihre gleiche Entlohnung forderte.1616 Schließlich engagierte sich Peuschel nicht mehr politisch. Sie – eine „sehr begabte und gutgeschulte Genos- sin“1617 – schien „aus dem Kampfe verschollen zu sein“1618. Weber, die zu den Versammlungen meist in Begleitung ihrer Söhne erschien und „wie eine Mutter begrüßt“1619 worden sei, habe wie ihre Genossinnen keine Gelegenheit ausgelassen, um in 1610Vgl. Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 21/ 17.10.1906/ 146-147. 1611Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 23/ 14.11.1906/ 162. 1612Ebd. 1613Vgl. Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 22/ 31.10.1906/ 154. 1614Vgl. ebd. 1615Vgl. ebd. 1616Ebd. 1617Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 170. 1618Ebd. 1619Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 23/ 14.11.1906/ 162. 545 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN persönlichen Gesprächen für die Sache zu werben und so als eine der „Sendbotinnen des Sozialismus“1620 zu wirken – vor allem unter den Frauen: „In gemütlicher Aussprache öffneten sich die Herzen, auf die Lippen drängten sich Klagen über die Leiden, welche der Ausgebeuteten Erbteil sind. Die Genossinnen entzündeten an den schwachen Fünkchen der Hoffnung auf bessere Zeiten die hell lodernde Flamme der Begeisterung für die sozialistische Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, das strahlende Licht des Glaubens an die Befreiung der Arbeit durch die Erkenntnis und den Willen der Arbeitenden selbst.“1621 Neben der Vorliebe Zetkins, pseudoreligiöse Vergleiche anzustellen, wird an dieser Stelle die frauenspezifische Agitationstaktik der proletarischen Frauenbewegung deutlich. Weber wanderte später aus und suchte, so Zetkin, „jenseits des großen Wassers Glück und Stern“1622. Aber auch in den USA habe sie durch Beiträge in deutschsprachigen Parteiblättern ihre „treue Mitarbeit an der Bewegung bezeug[t]“1623. Während Weber, Colditz und Peuschel in Crimmitschau in der Sache der Proletarierinnen wirkten, war ? Misselwitz(?-?) in Chemnitz „bestrebt, Kopf und Herz der Proletarierinnen für die sozialistischen Ideen zu erobern“1624. Misselwitz sei bereits „ein älteres Mädchen“ gewesen. Sie kam von den Lasalleanern zu der Internationalen Gewerksgenossenschaft, „vergaß am Quartals- schluß nie, ihre Mitgliedskarte zu erneuern, und führte diese stets mit Stolz bei sich“ 1625. Zetkin zitierte Motteler, der von Misselwitz schrieb: „‘Sie verkörperte den typischen, aber freiwilligen britischen walking-delegate …, belesen, redegewandt, von kluger Disputierlust und einem meisterhaften Erzähler- und Lehrtalent war sie in Chemnitz freiwillige Propagandistin für die Gewerk- schafts- und Parteisache zugleich. …’“1626 Als Grund dafür, dass Misselwitz nie ein offizielles Amt übernahm, nannte der SPD-Politiker Julius Vahlteich ihr starkes Hinken. Wegen dieses Leidens habe sie hauptsächlich „‘in kleinerem Kreise und in den Familien, wo sie schneiderte oder Gast war’“ die „‘sozialistischen Grundsätze und Ziele’“1627 gelehrt. Für Vahlteich, der sie während einer Kampagne in Chemnitz 1872-1878 kennengelernt hatte, war 1620Ebd. 1621Ebd. 1622Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 170. 1623Ebd. 1624Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 23/ 14.11.1906/ 162. 1625Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169. 1626Motteler zit. nach: Ebd. Zetkin nannte als ihre Quellengrundlage lediglich Briefe von Motteler und Vahlteich, gab jedoch keinen literarischen Beleg an. 1627Julius Vahlteich zit. nach: Ebd. 546 4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ „‘die arme verwachsene Näherin’“1628 gleich einem Sueschen (?-?) Roman entsprungen. Sie habe „‘ein so heißes Herz’“1629 gehabt, eine Genossin, „‘die so heiß und hoffnungslos liebte und so bescheiden und opferwillig für andere lebte. Ihr Eifer im Parteidienst war mustergültig für jeden Mann. Es war das Pflichtgefühl, und nur dieses, was sie zu jedem Opfer bereit machte.’“1630 Vahlteich erinnerte sich nicht, dass Misselwitz „‘etwas besonderes Hervorragendes getan hätte, wodurch die allgemeine Aufmerk- samkeit auf sie gelenkt worden wäre, aber sie war bei allem dabei, und man konnte darauf rechnen, daß sie eine übernommene Pflicht voll und ganz erfüllte’“1631. Schließlich war Vahlteich der Meinung, dass die Verdienste von Misselwitz und ihrer Genossinnen in ihrer Bedeutung für den sozialen Kampf nicht hoch genug eingeschätzt werden könnten und dass Frauen und Mädchen „‘innerhalb und außerhalb der Parteikreise’“1632 – „‘sofern sie sich am öffentlichen Leben beteilig[t]en’“1633 – oft „‘eifriger, ausdauernder und pflichtgetreuer arbeite[te]n als die Männer’“1634. Misselwitz, so die Information Vahlteichs, wanderte in den 1890er Jahren nach Milwaukee in den USA aus, wo sie auch starb. Zetkins in ihre Artikelserie eingeflossenen biographischen Skizzen waren nur mittels der gesammelten Aufzeichnungen und Dokumente des „roten Postmeisters“ Motteler möglich gewe- sen. Ohne diese wären jene Frauen in vollständige Vergessenheit geraten. Zetkin gab deshalb mit Nachdruck die Aufforderung Mottelers weiter: „Sammelt die Bausteine zu einer proletarischen Frauenbewegung, solange die Dokumente nicht zerfallen und verweht sind, die von ihren ersten Anfängen er- zählen, solange die Persönlichkeiten noch leben, die ihre ersten Pioniere gewesen sind.“1635 Eine Anregung, die von Zetkin und vielen der „Gleichheit“-Mitarbeiterinnen aufgegriffen wurde. Auch Katharina Kellner (?-1910), so erfährt man aus ihrem von Hermann Bender (1846- 1910)1636 verfassten Nachruf, war bereits während des Sozialistengesetzes für die Partei tätig ge- 1628Julius Vahlteich zit. nach: Ebd. 1629Julius Vahlteich zit. nach: Ebd. 1630Julius Vahlteich zit. nach: Ebd. 1631Julius Vahlteich zit. nach: Ebd. 1632Julius Vahlteich zit. nach: Ebd. 1633Julius Vahlteich zit. nach: Ebd. 1634Julius Vahlteich zit. nach: Ebd. 1635Ebd., S. 170. 1636Vermutlich handelt es sich um Hermann Ign. Jos. Bender, den in Koblenz geborenen Sohn eines Fabrikanten. Dieser studierte in Vorbereitung darauf, den Betrieb seines Vaters zu übernehmen, Naturwissenschaften. Nachdem 547 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN wesen. In Frankfurt am Main betrieb sie als Witwe des Malers Gils das am Paulsplatz gelegene Restaurant „Zum Hainerhof“, in welchem sie Flüchtige versteckte. Bender ist sich sicher: „Wenn die Wände reden könnten, so würden sie von manchen Schnippchen erzählen, das die Verstorbene der preußischen Polizei schlug.“1637 Stets habe sie sich trotz des auf ihr lastenden Drucks „liebe- und verständnisvoll“1638 um die Verfolgten gekümmert. 1908 zog sie mit ihrem zweiten Ehemann – einen Monteur, der in Italien durch einen Unfall zum Invaliden geworden war – und den zwei erwachsenen Kindern nach Preungesheim, einem Stadtteil von Frankfurt am Main. Auch dort engagierte sie sich im örtlichen sozialdemokratischen Verein, bevor sie schließlich nach langer Krankheit verstarb. Im „schwarzen Winkel“ des Rheinlandes, in Düren, hatte für den Sozialismus Julie Heusgen (1866-1911) gewirkt. Dann erlag sie wie die „Gleichheit“ betonte einer „Proletarierkrankheit“1639, der Knochentuberkulose. Heusgens Vater, ein Schuhmacher und bekennender Sozialist, versteckte zur Zeit des Sozialistengesetzes Flüchtlinge. Schon früh drang deshalb „die Sonne sozialistischer Erkenntnis“ 1640 auch in das Herz seiner Tochter. Heusgen heiratete einen Gesellen ihres Vaters und gemeinsam zog das „‘gefährliche Paar’“1641 – so die „Gleichheit“ ironisch zur Einschätzung der Behörden – ins Rheinland. Bis zu einer gerichtlich verfügten Kündigung war ihre Wohnung unter den GenossInnen nur als das „Revolutionsbureau“1642 bekannt, denn hier fanden Versammlungen, März- und Maifeiern statt. Die Agitation für die Sache der kämpfenden Arbeiterklasse sei Heusgen „Lebenslust und Glück“1643 gewesen. 17 Jahre lang war sie Austrägerin der „Rheinischen Zeitung“ und für die „Gleichheit“ habe sie „manche frische Korrespondenz“1644 verfasst. Jahrelang vertrat sie außerdem als Delegierte im Gewerkschaftskartell den Transportarbeiterverband. Trotz dieses umfangreichen Engagements sei Heusgen stets auch ihren Pflichten als Mutter und Gattin jedoch das elterliche Vermögen verloren ging, trat Bender als Telegraphen-Ingenieur der Eisenbahn in den Staatsdienst. Später wurde er Schriftsteller und Lyriker. Manche seiner eher volkstümlichen und patriotischen Gedichte wurden vertont. Zu seinen Werken zählen: „Dornen und Rosen“ (Gedichte 1894), „Rom und römisches Leben im Altertum“ (o.J.; 2. verbesserte Aufl. 1898), „Vagantenlieder“ (1899), „Toggenburger Lied aus dem dreizehnten Jahrhundert“ (1900), „Volkstümliche Dichtungen“ 6 Bde. 1910ff.). 1637Bender, Hermann: Genossin Katharina Kellner – Preungesheim †. In: GL, 21/ 05/ 05.12.1910/ 76. 1638Ebd. 1639Julie Heusgen, Düren †. In: GL, 21/ 11/ 27.02.1911/ 170. 1640Ebd. 1641Ebd. 1642Ebd. 1643Ebd. 1644Ebd., S. 171. Beispiele für das Wirken Heusgens als „Gleichheit“-Korrespondentin konnten im Rahmen der angestellten Recherchen nicht gefunden werden. 548 4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ nachgekommen und habe „[w]ie stoisch […] für sich Entbehrungen und Herzeleid getragen“1645. Damit, so die „Gleichheit“ weiter, „bestätigte [Heusgen] jenes stille Dulder- und Heldentum, das der sozialdemo- kratischen Bewegung Kraft und Schwung verleiht“1646. Auffällig ist hier dieses offene Bekunden, dass die Arbeiterbewegung nicht nur auf die aktive Mitwirkung der Frauen, sondern auch auf ihr „stilles Duldertum“ setzte. Mit Heusgen trat in dieser Arbeit bereits eine derjenigen Frauen auf, die als gewerkschaftlich organisierte Mitglieder und als Delegierte ihres Verbandes exponierte Positionen innehatten. Im Folgenden kommen Frauen hinzu, die ähnliche Positionen oder Positionen der sich entwickelnden proletarischen Frauenbewegung, z. B. als Vorsitzende eines Frauenbildungsvereins oder als Ver- trauensperson bekleideten. Sie wurden dadurch auch ein besonderes Ziel behördlicher Willkür. Marie Ludwig (?-1896), so erzählte vermutlich Zetkin in einem Nachruf rückblickend auf die politische Tätigkeit der Verstorbenen, wurde als Vorstandsmitglied des letzten Berliner „Bildungs- vereins für Frauen und Mädchen“ gerichtlich verurteilt. Dies und das Verbot des Vereins hinderten sie jedoch nicht, später das erste Mitglied der Berliner Arbeiter-Bildungsschule zu werden und in dieser bis zu ihrem Tod aktiv zu sein. Ihr politisches Engagement, gesundheitliche Probleme, „harte Arbeit, wie sie die Dürftigkeit der proletarischen Existenz mit sich bringt“1647, und auch Schwierigkeiten wie die Arbeitslosigkeit ihres Ehemannes, so Zetkin, hinderten sie jedoch nicht, sowohl „den Pflichten in der Familie […][als auch] den Pflichten als Klassenkämpferin gerecht“1648 zu werden. Selbst kinderlos geblieben, nahm Ludwig sogar zwei Waisenkinder (fünf und zehn Jahre alt) auf, „die sie mit opferfreudiger Liebe erzog[en]“1649 habe. Laut ihres in der „Gleichheit“ veröffentlichten Nachrufs war Dorothea Piele (?-1897) maßgeblich am Aufbau der proletarischen Frauenorganisationen in Berlin beteiligt. Von Beginn an war sie Mitglied der örtlichen Filiale der Offenbacher Frauen-Krankenkasse und fast ununterbrochen im Vorstand anderer Filialen dieser Organisation tätig. Es geschah ausgerechnet in einer Sitzung dieser Frauen-Krankenkasse als Piele durch einen Schlaganfall gelähmt wurde, zwei Tage ohne 1645Ebd. 1646Ebd. 1647Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 188. 1648Ebd. 1649Ebd. 549 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Bewusstsein blieb und schließlich verstarb. Der Tod, so die „Gleichheit“, hatte sie „aus Reih und Glied der Berliner Genossinnen“1650 gerissen. Die Partei habe mit ihr eine „treue Mitarbeiterin“1651 verloren, die „stets zu opferfreudigem Thun bereit“1652 und ihren Kindern eine vorzügliche, treu- sorgende Mutter gewesen sei. Zu den Risikoträgerinnen, zu jener „kleinen Schaar von Proletarierinnen“1653, die überzeugt vom Sieg des Sozialismus weder Gefahren noch Opfer fürchteten und bereits unter dem Sozialisten- gesetz „am gewerkschaftlichen und politischen Leben ihrer Klasse theilnahmen“1654 gehörte auch ? Ranke (?-1901). Bereits als 15-jährige, so ihr vermutlich von Zetkin verfasster Nachruf, sei sie in die Erwerbstätigkeit gezwungen worden und arbeitete bis zu ihrer Heirat in einer Wirkerei und Strickerei. Ihre eigene Existenz habe somit früh ihren Blick für die Lebens- und Leidenssituation des Proletariats und für die „soziale Knechtschaft des weiblichen Geschlechts“1655 geschärft. Dem echten proletarischen Empfinden folgte das Verständnis von den Zusammenhängen. Interessanter- weise hebt der Nachruf nicht nur hervor, dass Ranke „eine vorzügliche Arbeitskraft“1656 gewesen sei, sondern bemerkt auch, dass sie „bei einem humanen Arbeitgeber in Brot stand“1657. Damit waren es ausnahmsweise besonders günstige Bedingungen, unter denen eine Sozialdemokratin „energisch daran gehen [konnte], ihre Erkenntniß in Thaten umzusetzen“1658. 1888 begründete Ranke die Organisation der Berliner Wirkerinnen mit und leitete dieselbe bis zu deren Vereinigung mit der Gewerkschaft der Textilarbeiter. Ein Jahr lang wirkte Ranke als Mitglied der Agitationskommission der Berliner Textilarbeiter. Von 1892 bis 1894 war sie zudem Mitglied der Berliner Frauenagitationskommission – eine der wichtigsten Keimzellen der prole- tarischen Frauenbewegung Deutschlands. Kurze Zeit war sie auch Vorstandsmitglied des Frauen- bildungsvereins. Ranke versäumte kaum eine wichtige Versammlung. Selbst als sie bereits krank war, besuchte sie unter Schmerzen die Veranstaltungen und wusste, dass sie für diese Anstrengung würde „doppelt leiden“1659 müssen. Ihre Tätigkeit für die Bewegung habe sie insgesamt nur zu 1650Eine wackere Streiterin … In: GL, 07/ 24/ 24.11.1897/ 190. Dieser Hinweis lässt vermuten, dass es sich um eine Berliner Zweigstelle der Offenbacher Organisation handelte. 1651Ebd. 1652Ebd. 1653Genossin Ranke – Berlin †. In: GL, 11/ 19/ 11.09.1901/ 150. 1654Ebd. 1655Ebd. 1656Ebd. 1657Ebd. 1658Ebd. 1659Ebd. 550 4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ leisten vermocht, weil sie mit ihrem Ehemann eine innige Ideengemeinschaft verband. Nach lang- jähriger Bettlägerigkeit starb Ranke schließlich an einer tückischen Krankheit und wurde auf eigenen Wunsch nicht in Berlin eingeäschert und bestattet, sondern in Hamburg. Zetkin war der festen, zuversichtlichen Überzeugung, dass „[i]n dem goldenen Buche des proletarischen Befreiungskampfes der Name Genos- sin Rankes nicht an letzter Stelle stehen [würde]. Denn sie ha[be] redlich das Ihrige zu dem Bau beigetragen, in dem einst glückliche Menschen wohnen werden“1660. Ranke verkörperte somit in ihrem Leben und Wirken das Idealbild einer „sozialistischen Klassenkämpferin“. Ebenfalls nicht an letzter Stelle dieses goldenen Buches stehen würde der Name Auguste Eichhorn (1851-?). Als Verfasserin des Nachrufes auf diese Kämpferin der ersten Stunde ist umso mehr Zetkin zu vermuten, da sie die Verstorbene bei einer besonderen Gelegenheit persönlich kennengelernt hatte. 1886 besuchte Zetkin in Begleitung eines befreundeten Genossen1661 in Leipzig eine geheime Parteiversammlung, um dort auch ihre „Jungfernrede“1662 zu halten. Bei dieser Gelegenheit begegnete sie Eichhorn und ihr Freund habe ihr zu deren Person folgende In- formationen gegeben: „‘Frau Eichhorn ist die Frau eines unseres tüchtigsten Genossen, des Steinmetz Eichhorn. Sie ist eine überzeugte Genossin, welche mit ganzem Herzen unsere Ideale theilt. Ein tapferes, kluges Weib, findig und resolut der ‘Polenta’ (Polizei) gegenüber und beim Austragen des ‘Käse’ (‘Sozialdemokrat’); stark und unverzagt in allem Ungemach, das der Kampf schon über ihre Familie gebracht hat. Gar mancher Frau, die kleinmüthig verzagte und den Mann zur Fahnenflucht treiben wollte, hat unsere Gustel den Kopf zurechtgesetzt und das gehörig!’“1663 Diese Einschätzungen konnte Zetkin später aus eigenen Erfahrungen im Umgang mit Eichhorn nur bestätigt finden. Bei einem Treffen in Dresden lernte Zetkin Eichhorn näher kennen und stellte fest, dass diese über ideale Charaktereigenschaften einer Klassenkämpferin verfügte. So über einen „gesunde[n] proletarische[n] Klasseninstinkt, der durch harte Erfahrungen, scharfe Beobachtung und sozialistische Lektüre zum klaren Klassenbewußtsein geläutert war; eine unbezähmbare Thatkraft und ein[en] unstillbare[n] Bildungshunger; eine leidenschaftliche Hingabe an das sozialistische Ideal, ein zwingendes Bedürfnis, 1660Ebd. 1661Dieser Freund habe Zetkin zu ihren ersten rednerischen Versuchen motiviert und musste, so Zetkin, „zur Rache dafür nicht selten bei meinen Buben die Rolle des ‘gebildeten Kindermädchens’ spielen“ (Auguste Eichhorn. In: GL, 12/ 13/ 18.06.1902/ 100). 1662Ebd. 1663Ebd. 551 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN ihm zu dienen, ihm Bekenner zu werben“1664. In Eichhorn, so Zetkin weiter, habe „das Beste ihrer Klasse und ihrer Zeit [ge]lebt[…]“1665. Sie verknüpfte die Ideale eines „weiblichen Vollmenschen“ mit denen einer „echte[n] kämpfende[n] Proletarierin“1666. Eichhorn wurde in Chemnitz geboren. Ihr Vater war Weber und starb kurz vor ihrer Geburt. Obwohl ihre Mutter ein zweites Mal heiratete, seien ihre Lebensverhältnisse ärmlich geblieben. Deshalb sei Eichhorn nach Abschluss einer nur mäßigen Volksschulbildung gezwungen gewesen, als Fabrikarbeiterin zum Familieneinkommen beizutragen. Die Mutter, die augenscheinlich die Ehe als Versorgungsinstitution betrachtete, habe Eichhorn schließlich zugeredet, sich zu ver- heiraten, was diese auch tat. Die Ehe sei jedoch eine sehr unglückliche und eine „innere Lebens- gemeinschaft“1667 mit ihrem Ehemann für Eichhorn unmöglich gewesen. Es folgte die Scheidung. Schließlich lernte sie den Steinmetz Hermann Eichhorn kennen, mit dem sie nicht nur Liebe, sondern auch eine „innige, treue Ideengenossenschaft“1668 verband. Seine Arbeitslosigkeit war Anlass für das Ehepaar, 1877 in die Schweiz überzusiedeln. Hier sei Auguste Eichhorn durch den Kontakt zu SozialistInnen in die sozialistische Ideenwelt eingeführt worden. Besonders für das sozialistische Zukunftsideal habe sie eine „inbrünstige Liebe“1669 empfunden, in ihm den Messias erkannt. Zetkin konstatiert: „Die Suchende war zur Wissenden geworden, die Wissende mußte zur Kämpferin werden.“1670 Eichhorn habe sich durch Selbststudium in die zentralen Schriften des Sozialismus vertieft und unermüdlich politische und gewerkschaftliche „Kleinarbeit“1671 geleistet. Von 1877 bis 1880 waren sie und ihr Ehemann in der Schweiz für die Bewegung tätig und nahmen auch unter- stützenden Einfluss auf das Engagement anderer. Der Dichter Robert Seidel, so erfährt man aus einem von ihm verfassten Artikel, war damals von Eichhorn überzeugt worden, dem Vorstand der Fabrik- und Handarbeitergewerkschaft beider Geschlechter beizutreten. Dort arbeiteten sie dann auch einige Zeit zusammen.1672 1664Ebd. 1665Ebd. 1666Ebd. 1667Ebd. 1668Ebd. 1669Ebd. 1670Ebd., S. 101. 1671Ebd. 1672Seidel, Robert: Ein Kranz auf Genossin Eichhorns Grab. In: GL, 12/ 14/ 02.07.1902/ 108. Dadurch, dass Seidel Zürich 1879 verließ, verloren sich er und Eichhorn schließlich aus den Augen. 552 4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ Aus der Schweiz nach Leipzig zurückgekehrt, hielt „[e]in kleiner Schreihals nach dem anderen […] Einzug in die Familie Eichhorn“1673, so Zetkin die Familiensituation Eichhorns humorig beschreibend. Stets eine „zärtliche, gewissenhafte Mutter“1674 und „treubesorgte Hausfrau“1675, musste Eichhorn mit Näharbeiten zum Familieneinkommen beitragen. Diese den „Gleichheit“- Leserinnen nur zu vertraute Dreifachbelastung erschwerte Eichhorns Selbststudien zum Sozialis- mus erheblich, denn woher sollte sie die Zeit dafür nehmen? Zetkin bringt es auf den Punkt: „Wollte sie ihren Bildungsdrang befriedigen, so hieß es, als Erste auf, als Letzte zu Bett.“1676 1888 wurde Eichhorns Ehemann wegen seiner politischen Tätigkeit aus Leipzig ausgewiesen und die Familie zog nach Dresden um. Hier übernahm Eichhorn immer mehr Verantwortung als Agitatorin und Organisatorin in der sich entwickelnden proletarischen Frauenbewegung. Sie wurde Mitglied der Frauenagitationskommission, aus der 1894 der „Arbeiterinnenbildungsverein“ entstand. Sie befürwortete 1908 – in, wie Zetkin betonte, „richtiger Würdigung der Verhältnisse“ 1677 – die Auflösung der Frauenorganisationen und die Integration in die allgemeine Bewegung. Sie war als Dresdener Delegierte auf den Parteitagen in Köln, Gotha und Hamburg. Zwar habe Eichhorn auf den Versuch mancher Genossen, „‘den Herrenstandpunkt des Mannes’ über die Grundsätze des Sozialisten“1678 zu stellen, stets sehr ablehnend reagiert, sie sei dabei aber nie in „frauenrechtlerische Eigenbrödelei“1679 verfallen. Demnach verfügte Eichhorn nicht nur über ein besonderes Selbstbewusstsein als Frau, sondern wendete für ihre Kritik an den männlichen Genossen stets diejenigen Mittel an, die ihr das Parteistatut gab. Nachdem sie bereits ihre Tochter verlieren musste, verstarb 1896 auch ihr Ehemann. Er sei, so Zetkin der „tückischen ‘Steinmetzkrankheit’“1680 erlegen. Dies waren schwere Schicksalsschläge, die Eichhorn auch deshalb zu meistern vermochte, weil sie „[a]n ihrer Begeisterung für das hehre sozialistische Ideal gesundet[…]“1681 sei. Jedoch machten sich auch bei ihr erste Anzeichen einer Lungenerkrankung bemerkbar. Bald hatte sie nicht mehr die Kraft, in Versammlungen weiterhin eine führende Rolle zu spielen. Sie beschränkte sich auf die Position einer Zuhörerin und Beraterin. Dies fiel ihr anscheinend sehr schwer, denn sie soll kurz vor ihrem Tod zu einer 1673Auguste Eichhorn. In: GL, 12/ 13/ 18.06.1902/ 101. 1674Ebd. 1675Ebd. 1676Ebd. 1677Ebd. 1678Ebd. 1679Ebd. 1680Ebd. 1681Ebd. 553 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Genossin gesagt haben: „‘Mein Leben ist nun ohne Werth für die Bewegung. Aber könnte es ihr nützen, wenn ich auf Jahre ins Gefängniß ginge und dort stürbe, wie gern ginge ich in Gefängniß.’“1682 Diese Anekdote soll Zeugnis für Eichhorns enorm große Opferbereitschaft ablegen, kann aber auch für eine Eigenart stehen, auf diese pathetische Weise den herzlichen Widerspruch ihres Gegenübers herauszufordern. Eichhorns Leben sei von außen betrachtet durchaus ein schlichtes gewesen, doch dadurch, so Zetkin, dass es ein „nützliches Leben“1683 war, stelle es „an tiefem Gehalt und innerer Größe das Sein und Thun mancher glänzenden, vielgenannten Persönlichkeit in den Schatten“1684. Ihre Lebensgeschichte ist für Zetkin demnach Teil einer „Gegengeschichte“, einer Geschichte „von unten“, einer Geschichte der Frauen. Ein besonderes Beispiel für den großen Einfluss der Familie auf die politische Gesinnung einer Person ist der Werdegang Anna Brügmanns (?-1906). Die als Anna Hennrichs geborene Brügmann verlor früh ihre Mutter und ihr Vater war bereits unter dem Sozialistengesetz politisch für die Arbeiterbewegung aktiv. Es sei dessen „energische[…] Beteiligung […] am Klassen- kampf“1685 gewesen, so ? Brumm (?-?)1686, die seine Tochter schließlich zur Sozialistin habe werden lassen. Im Weiteren erfährt die „Gleichheit“-Leserin noch, dass Brügmann im 5. schles- wig-holsteinischen Reichstagswahlkreis die Leitung der proletarischen Frauenbewegung1687 und in Itzehoe die Position einer Vertrauensperson innehatte. Der von Luise Zietz auf Auguste Ebel (?-1908) verfasste Nachruf ist dagegen viel umfassender und trägt eine ausgeprägtere Vorbildfunktion. Ebel, die bei den Hamburger GenossInnen unter dem Namen „Mutter Ebel“ bekannt war, habe nicht nur über „Gradheit und Ehrlichkeit des Cha- rakters […] [und] unerschütterliche Überzeugungstreue“1688 verfügt, sondern dies alles sei zudem „gepaart [gewesen] mit hohem Idealismus, Pflichtbewußtsein und nie versiegender Opferwillig- 1682Ebd., S. 102. 1683Ebd. 1684Ebd. 1685Brumm[, ?]: Genossin Brügmann – Itzehoe †. In: GL, 16/ 07/ 04.04.1906/ 45. 1686Die herangezogenen Nachschlagewerke und Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Brumm. 1687Ebd. 1688Zietz, Luise: Mutter Ebel †. In: GL, 18/ 06/ 16.03.1908/ 54. 554 4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ keit“1689. Bereits zur Zeit des Sozialistengesetzes war sie Mitglied und Agitatorin im Hamburger Frauen- und Mädchenverein. Ebel war als eine der ersten Austrägerinnen der „Gleichheit“ und auch als Spendensammlerin viel unterwegs. Für diese Tätigkeit seien ihr ihre musterhafte Pünktlichkeit und ihre große Umsicht sehr zu Gute gekommen. Später wurde sie Bezirksführerin des 88. Bezirkes des zweiten Hamburger Wahlkreises. 1906 war Ebel als Delegierte auf der Mannheimer Frauenkonferenz und anschließend auch auf mehreren SPD-Parteitagen anwesend. Obwohl sie selbst nie als Dienstbotin gearbeitet hatte, wurde sie Mitglied der Dienstboten- bewegung, um diese in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Es scheint, dass sie ihre politische Tätigkeit mit ihren Familienpflichten hatte gut vereinbaren können, denn Zietz schreibt in biblischem Duktus, dass ihre „Liebe […] groß genug [gewesen sei], daß sie nicht aufgezehrt ward von ihrer treusorgenden Tätigkeit als Gattin und Mutter, daß sie vielmehr alle umfaßte, die da mühselig und beladen sind“1690. Es war der heilbringende Sozialismus, für den Ebel auf diese Weise kämpfte bis sie schließlich im Alter von 67 Jahren verstarb. Die bereits beschriebene Vereinigung der beiden Leitbilder „weiblicher Vollmensch“ und „Klassenkämpferin“ wird nochmals besonders deutlich in der Persönlichkeit Emilie Mahns (1847-1908). „Ihr Leben“, so die „Gleichheit“, „war das einer Proletarierin, die ihr Menschentum empfindet“1691. Dieses Empfinden sei es gewesen, dass sie nicht in ihrem Leid resignieren, sondern im „Glauben[…] an eine schöne Zukunft ihrer Klasse froh […]kämpf[en]“1692 ließ. Zur Zeit des Sozialistengesetzes versteckte die in Magdeburg lebende Mahn politische Flüchtlinge. Einige Zeit lebte sie mit ihrem Ehemann im braunschweigischen Lengelsheim, kehrte aber nach Magdeburg zurück. Hier verteilte sie dann nicht nur Flugblätter, sondern wurde Mitbegründerin eines Frauen- und Mädchenbildungsvereins. Viele Jahre lang versah Mahn außerdem das Amt einer Vertrauensperson und war mehrmals zu Frauenkonferenzen und Parteitagen delegiert. Sie arbeitete als Tabakarbeiterin und wurde Mitglied der entsprechenden Berufsorganisation. Zudem war sie jahrelang im Vorstand der Krankenkasse der Tabakarbeiter tätig. Selbst „auf ihrem Schmerzenslager, wenige Tage vor dem Tode“1693, so die „Gleichheit“, habe sich Mahn bei 1689Ebd. 1690Ebd. 1691Emilie Mahn †. In: GL, 18/ 12/ 08.06.1908/ 108. 1692Ebd. 1693Ebd. 555 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Genossen „nach dem Stand der Bewegung“1694 erkundigt. Eine ebenfalls lange Zeit – 25 Jahre – engagierte sich Anna Sachs (?-1910) für die Sache des Proletariats. Dies tat sie, obwohl sie nicht aus proletarischen, sondern wohlhabenden Verhältnis- sen stammte. Jedoch verlor ihr Vater unverschuldet seinen gesamten Besitz, weil er eine Bürg- schaft geleistet hatte. Da der Vater zudem sehr früh verstarb, musste die Mutter sich und sechs Kinder ernähren. Sachs war das drittälteste der Kinder und musste nun mitarbeiten. Auf diese Weise habe sie „die Ängste um das tägliche Brot, den Heroismus der Arbeit über die schwache Kraft, das Duldertum des Darbens kennen[gelernt]“1695. Auf diese Weise auch schon sehr früh „die volle Daseinslast erwachsener Armer, Ausgebeuteter“1696 erfahren, „die so vielen kleinen prole- tarischen Mädchen einen vorzeitigen Ernst auf die Gesichtchen schreib[e]“1697. Drei ihrer Ge- schwister starben in jener schweren Zeit an der „Proletarierkrankheit“1698, an welcher auch später Sachs sterben sollte. Sachs war als Blumenarbeiterin erwerbstätig und engagierte sich bereits als 16-jähriges Mädchen und zudem in der Zeit des Sozialistengesetzes in der entsprechenden Organisation der Berliner Arbeiterinnen. Nach dem Tod ihrer Mutter fand sie in einer Proletarierfamilie eine „wahre zweite Heimat, eine Gemeinschaft des Lebens und Strebens“1699 und daraus, so die „Gleichheit“, sei ihre Verbundenheit mit der proletarischen Sache erwachsen. Von 1890 bis 1894 war Sachs Mitglied der Frauenagitationskommission und Mitglied im Verband der Schneider und Schneiderinnen. Sei sie später auch nicht mehr in vorderster Reihe tätig gewesen, so habe sie doch nicht aufgehört, der Sache mit ganzer Seele zu dienen.1700 Im Hintergrund war sie auch weiterhin tätig, engagierte sich bei der Einrichtung des ersten und zweiten Frauenwahlvereins Berlins, leistete Werbearbeit und nahm regelmäßig an Versammlungen teil.1701 Die „Gleichheit“ resümiert: „Trägerinnen des proletarischen Befreiungskampfes von den hohen Bürgertugen- den einer Anna Sachs machen seine Stärke, seine unbezwingliche Kraft aus, sie leben in seinem Siege weiter, auch wenn sie ungekannt und ungenannt ins Grabe sinken.“1702 1694Ebd. 1695Anna Sachs †. In: GL, 21/ 06/ 19.12.1910/ 91. 1696Ebd. 1697Ebd. 1698Ebd. Meist waren mit dieser Umschreibung Schwindsucht oder Knochentuberkulose gemeint. 1699Anna Sachs †. In: GL, 21/ 06/ 19.12.1910/ 92. 1700Vgl. ebd., S. 91. 1701Vgl. ebd. 1702Ebd., S. 92. 556 4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ Zumindest Anna Sachs wurde das Schicksal, „ungekannt und ungenannt“ zu bleiben, nicht zuteil – dafür steht dieser Nachruf und seine Veröffentlichung in einer der wichtigsten Frauenzeit- schriften der Welt. Aus dem vermutlich von Hofmann auf Berta Wünsche (?-1910/ 42-jährig) verfassten Nachruf erfährt die „Gleichheit“-Leserin, dass Wünsche eine der Gründerinnen und Schriftführerin des Regensburger Frauen- und Mädchenbildungsvereins war. Zudem war sie als Ausschussmitglied der Parteiorganisation, als Agitatorin und Rednerin für SPD und proletarische Frauenbewegung tätig. Hofmann erachtete es sogar als erwähnenswert, dass Wünsche im März 1910 als Vor- sitzende eine Versammlung leitete, auf der wiederum Emma Ihrer eine Rede gehalten habe.1703 Wünsche habe eine „fest[e] und klar[e]“1704 sozialistische Überzeugung gehabt, die ihr auch „in den unsäglichen Leiden des Krankenbettes“1705 „ein starker Trost“1706 gewesen sei. Entsprechend konsequent habe sie gehandelt, indem sie jeden geistlichen Zuspruch und die Mitwirkung der Kirche an ihrer Beerdigung ablehnte. Trotz der großen Beteiligung von GenossInnen, sei es schließlich doch ein sowohl schlichtes als auch feierliches Begräbnis gewesen – wie Hofmann meinte, „ihres edlen Charakters und ihrer aufopfernden Tätigkeit würdig“1707. Demnach ist Be- scheidenheit eine proletarische Tugend, die sich auch im Begräbnis einer Klassenkämpferin widerspiegelt. Zietz begann ihren Artikel zum 80. Geburtstag Chr[istine/Christiane?] Baumanns (1837-?) – „Tante Baumann“ genannt – mit der Beschreibung derjenigen Eigenschaften, die die Jubilarin „weit über die große Masse der apathisch dahinlebenden Arbeiterinnen erhob[en]“1708 haben sollen: „ihr klares selbständiges Urteil über die Dinge des Lebens, ihre gefestigte sozialis- tische Weltanschauung, zu der sie sich tapfer durchgerungen hat, und bei aller persönlichen Bescheidenheit ihr starkes Selbstbewußtsein das ihrem Äußern und ihrem ganzen Wesen den Stempel aufdrückt“1709. 1703Vgl. [Hofmann, Marie?] M.H.: Berta Wünsche – Regensburg †. In: GL, 21/ 10/ 13.02.1911/ 154. Die Erwähnung Emma Ihrers verdichtet die Vermutung, dass es sich bei M.H. um Marie Hofmann handeln könnte, da Hofmann – wie in Kapitel 1.1.2 und Kapitel 1.4 beschrieben – in engem Kontakt zu dieser gestanden hatte. 1704Ebd. 1705Ebd. 1706Ebd. 1707Ebd. 1708Zietz, Luise: Tante Baumann achtzigjährig! In: GL, 27/ 15/ 27.04.1917/ 101. 1709Ebd. 557 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN All dies habe sich Baumann aneignen können, obwohl sie in ein typisches Proletarierdasein hin- eingeboren worden sei. Wie sich dieses Proletarierdasein im Einzelnen gestaltete bleibt unerwähnt. Baumann heiratete einen Bahnbeamten und siedelte mit ihm von Sachsen in das tschechische Prag über. Auf der Reise dorthin starb ihr einziges Kind und beinahe hätte man Bau- mann des Kindsmords angeklagt. Ein weiterer Schicksalsschlag war, dass man das Ehepaar be- züglich der Gewinnaussichten ihres in Prag eröffneten Ladengeschäfts böswillig getäuscht hatte. Auch habe man sie wegen ihrer deutschen Herkunft und evangelischen Religionszugehörigkeit in Prag diskriminiert. So kehrte das Ehepaar schließlich nach Deutschland zurück und ließ sich in Altona nieder. Obwohl Baumann als Näherin und Putzmacherin „erheblich zum Lebensunterhalt bei[tragen]“1710 musste, vermochte es die „geistig regsame Proletarierin“1711, Zeit für die Lektüre sozialistischer Agitationsschriften zu finden. Durch den Kontakt zu Anhängern des Sozialismus sei sie schließ- lich selbst zur Sozialistin geworden und habe trotz Sozialistengesetz auch keinen Hehl daraus gemacht.1712 Baumann wirkte für die Sozialdemokratie als Kolporteurin des Hamburger Partei- blattes und wurde als solche auch Mitglied des Transportarbeiterverbandes. Nach dem Tod ihres Ehemannes war sie vor allem ihrem Neffen Ernst Baumann und dessen Familie eng verbunden. Gemeinsam mit dessen Ehefrau Linchen Baumann (?-?) – selbst ein bekanntes Mitglied der proletarischen Frauenbewegung – engagierte sie sich in der Frauen- und Arbeiterbewegung Hamburgs, blieb aber auch ihren Organisationen in Altona treu. Beide Frauen hatten sich für die Delegation Zietz‘ zum Hamburger Parteitag eingesetzt. Diese wünschte Baumann schließlich „[v]or allen Dingen Gesundheit und die Erhaltung der heiteren Gemüts- stimmung, die ein Grundzug ihres Wesens“1713 sei. Dies wünschte sie ihr umso mehr, da sie nun zur Kriegszeit harte Entbehrungen hinnehmen musste, ihr Großneffe im Felde stand und die Partei, für die sie stets unermüdlich gearbeitet hatte, zersplittert war. Ihr Geburtstag würde ihr, so Zietz, also kein „besonderer Freudentag“1714 sein. Den Nachruf auf Helma Steinbach (1847-1918), die während eines Kurbesuches im lauen- burgischen Plüsing einem Herzschlag erlag, verfasste nicht eine der „Gleichheit“-Mitarbeiterinnen oder Genossinnen, sondern der führende SPD-Politiker Hermann Molkenbuhr (1851-1927)1715. 1710Ebd. 1711Ebd. 1712Vgl. ebd. 1713Ebd. 1714Ebd. 1715Hermann Molkenbuhr war Sohn eines Schneidermeisters, besuchte die Volksschule und arbeitete 1862-1864 in 558 4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ Dies erklärt sich daraus, dass Steinbach sich weniger in der Frauenbewegung als in der Gewerk- schaftsbewegung engagiert hatte. Es fällt auf, dass Molkenbuhr jedoch keinerlei Informationen zu Steinbachs familiärer Herkunft oder ihrem persönlichen Charakter lieferte.1716 Stattdessen be- schränkte er sich vor allem auf Steinbachs Fähigkeiten zur Selbstbildung und ihr Wirken für verschiedene gewerkschaftliche Organisationen. Bereits unter dem Sozialistengesetz wurde Steinbach Mitglied der Hamburger SPD. Sie bewies ein besonderes Talent auf dem Gebiet der Haus- und Kleinagitation und entwickelte eine be- sondere Beredsamkeit. Sie habe sich vorbildlich aus der Tagespresse über die politischen und parteipolitischen Ereignisse informiert und jeden Abend in einem Café die Zeitungen aller Parteirichtungen studiert.1717 Anschließend habe sie oft, so Molkenbuhr, das Gelesene mit anderen in der Gewerkschaftsorganisation engagierten Genossen wie Wilhelm Schröder und Adolph von Elm diskutiert. Ihr Talent als Vorleserin bewies sie in den Frauenleseabenden jedoch mit Bellet- ristik, vor allem sozialkritischen Romanen. Nach Fall des Sozialistengesetzes war sie an der Gründung der Organisation der Hamburger Plät- terinnen beteiligt. Aber auch die großen Streiks anderer Berufsgruppen wurden von ihr rege unterstützt und für die Werbung neuer Parteimitglieder genutzt. Sie agitierte besonders erfolgreich für den Konsum-, Bau- und Sparverein „Produktion“. Länger als 30 Jahre habe sie in der ersten Reihe der Arbeiterbewegung Hamburgs gestanden und auch dadurch Anteil an ihr genommen, indem sie bei keiner größeren Veranstaltung fehlte. Steinbach, so Molkenbuhr abschließend, sei deshalb „[a]n Eifer und Pflichttreue […] für alle Zeiten ein Vorbild“1718. Mit Steinbach endet hier die Riege derjenigen in der „Gleichheit“ porträtierten Frauen, die bereits unter dem Sozialistengesetz leitende Positionen innehatten. Es folgen nun die Frauen, die innerhalb der proletarischen Frauenbewegung einen besonderen Ruf als Pionierinnen besaßen. Besondere Frauen, die „von dem Gedanken des Sozialismus ergriffen, für ihn wirkten und die einer Zichorienfabrik, 1864-1890 in einer Zigarrenfabrik. 1872 wurde er Mitgründer und 1874 Bevollmächtigter des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) in Lokstedt-Ottensen. 1881 wurde Molkenbuhr aus Ham- burg ausgewiesen und lebte bis 1884 in den USA. Nach seiner Rückkehr arbeitete er 1890-1904 als Redakteur des „Hamburger Echos“ (1887-1933[?]). 1904-1927 bekleidete er das Amt des Parteisekretärs im SPD-Parteivorstand und 1890-1924 war er Reichstagsabgeordneter. Er war Mitglied verschiedener Kommissionen und 1907-1924 Mitglied im Vorstand der SPD-Reichstagsfraktion. Auf kommunaler Ebene war Molkenbuhr 1907-1915 als Stadt- verordneter und 1915-1919 als Stadtrat für Berlin-Schöneberg aktiv. 1912-1918 war er zudem Mitglied des Pro- vinziallandtages Brandenburg. 1716Molkenbuhr, Hermann: Helma Steinbach. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 173. Hinsichtlich dieser fehlenden biographischen Informationen siehe auch: Haake, Helma Steinbach – eine Reformistin in der Hamburger Arbeiter- bewegung zur Zeit des Kaiserreichs. 1717Molkenbuhr, Hermann: Helma Steinbach. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 173. 1718Ebd., S. 174. 559 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Anfänge der proletarischen Frauenbewegung schufen“1719. Es waren Frauen, die „ihre ganze Persönlichkeit für ihre Überzeugung einsetzen und die höchsten Bürgertugenden entfalten“1720 mussten. Frauen wie Johanne Schackow (?-1902), die laut Zetkin „[e]ine der ältesten und treuesten Vorkämpferinnen für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts und die volle Befreiung des Proletariats“1721 gewesen sei. Schackow engagierte sich in der frühen Berliner Arbeiterinnenbewegung mit der Zielsetzung, diese dem Einfluss bürgerlicher Frauenorganisationen zu entziehen. Als Schriftführerin des „Berliner Arbeiterfrauen- und Mädchenvereins“ gehörte sie zu den Vorstandsmitgliedern, die 1877 bei der Auflösung des Vereins verurteilt und bestraft wurden.1722 Nachdem sie und ihr Ehemann aus Berlin ausgewiesen worden waren, gingen sie erst nach Hamburg und dann nach Magdeburg. Diese Rastlosigkeit und, so Zetkin, das „Übermaß dessen, was sie fronden, entbehren, dulden mußte“1723 habe Schackows Gesundheit sehr geschwächt. Krank und gealtert kehrte sie nach dem Fall des Sozialistengesetzes nach Berlin-Weißensee zurück. Dies ist für Zetkin eine Erklärung dafür, warum sie nicht erneut in den Vordergrund der Bewegung getreten sei, aber dennoch „mit unerschütterlicher Überzeugungstreue […] bis zuletzt dem Ideal des befreienden Sozialismus“1724 angehangen habe. Es sind drei Artikel, die in der „Gleichheit“ erschienen, um die verstorbene Pauline Staegemann (1830-1909) zu ehren. Der erste dürfte aus der Feder der Chefredakteurin Clara Zetkin stammen. Diese war der Meinung, dass mit Staegemann „die politische Frauenbewegung Deutschlands nicht bloß eines ihrer eifrigsten, selbstlosesten Glieder […], sondern eine ihrer ersten Bahnbrecherinnen in schwerer Zeit [verloren]“1725 habe. Staegemann gründete in den 1860er Jahren zusammen mit Cantius und Schackow den Berliner Arbeiterinnenverein und organisierte in den 1880er Jahren zusammen mit Ihrer, Hofmann und Jagert die Konfektionsarbeiterinnen. „Ihr Wirken in jener Zeit würdigen“, so Zetkin weiter, „heißt ein Kapitel aus der Geschichte der proletarischen Frauenbewegung schreiben, und eines ihrer schönsten und lehrreichsten Kapitel.“1726 Staegemann 1719Johanne Schackow †. In: GL, 13/ 03/ 28.02.1903/ 22. Der Artikel enthielt einige peinliche Druckfehler, die in der darauf folgenden Nummer korrigiert werden mussten (vgl. GL, 13/ 04/ 11.02.1903/ 32). 1720Ebd. 1721Ebd. 1722Ebd., S. 21-22. 1723Ebd., S. 22. 1724Ebd. 1725Pauline Staegemann † In: GL, 19/ 26/ 27.09.1909/ 409. 1726Ebd. 560 4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ habe zu den „hochsinnigen Naturen mit klarem Blick und großem Herzen“1727 gehört. Aber die Verhältnisse hätten sich geändert und Staegemann habe „nicht mehr wie einst in ihrem Dienst Führende“1728 sein können. Sie sei „als einfache Kämpferin in Reih und Glied zurück[ge- treten]“1729, eine „eifrig Mitarbeitende für eine hehre Sache“1730 geblieben und „die Flamme ihrer Begeisterung für den Sozialismus [habe] nicht minder hoch und rein gebrannt als früher“1731. Zetkin spielte damit vermutlich auf die zunehmende Institutionalisierung und Radikalisierung der proletarischen Frauenbewegung an, benannte allerdings nicht sich daraus ergebende Unzuläng- lichkeiten Staegemanns. Zwar hatten „des Lebens Nöte ihre Runen“1732 in das Gesicht Staegemanns gegraben, doch sei es auch „von dem inneren Leuchten einer schönen Seele, die ganz einem Großen hingegeben war, gar wundersam verklärt“1733 worden. Zetkin resümierte, dass Staegemann „es vollauf verdient [habe], daß die proletarische Frauenbewegung Deutschlands ihr Grab mit immergrünem Lorbeer schmückt“1734. Konzentrierte sich Zetkin vor allem auf die Darstellung der politischen Verdienste Staegemanns, so gab Ihrer, die eine sehr enge Wegbegleiterin Staegemanns war, auch einige Informationen zu deren Privatleben. Die später als „Mutter Staegemann“1735 geehrte Gründerfigur der proletarischen Frauenbewegung wurde in der Nähe der Stadt Landsberg a.W. geboren. Im Alter von 18 Jahren siedelte sie nach Berlin über und arbeitete als Hausgehilfin. Die Bemerkung, dass sie sich „bald nachdem“1736 sie 1865 den Maurerpolier Staegemann geheiratet hatte, für die Arbeiterinnen enga- giert habe, ist bezeichnend für die „Heranführung“ vieler (Ehe)Frauen an die Politik. Staegemann wurde Ladenbesitzerin und die manchmal in ihrem Laden stattfindenden Treffen von ArbeiterInnen machten sie für die Polizei verdächtig.1737 Ungeachtet dieser Gefahr bot sie Verfolgten des Sozialistengesetzes immer Hilfe und Unterschlupf. 1873 wurde sie Vorsitzende des 1727Ebd. 1728Ebd. 1729Ebd. 1730Ebd. 1731Ebd. 1732Ebd. 1733Ebd. 1734Ebd. 1735Ihrer, Emma: Mutter Staegemann. In: GL, 20/ 01/ 11.10.1909/ 2. 1736Ebd. 1737Die Unterlagen dieser Treffen, so Ihrer, die mit ihrem Buch „Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, ihre Entstehung und Entwicklung“ 1893 die Chronik der ersten Arbeiterinnenvereine schrieb, seien rar, weil es zu gefährlich war, sie aufzubewahren (vgl. ebd.). 561 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN neu gegründeten „Arbeiterfrauen- und Mädchenvereins“, in dessen Vorstand außerdem Hahn, Grundemann und Schackow mitarbeiteten. Staegemanns Versuche, mit Klara Ringius (?-?) und Martha Legel (?-?) noch weitere Vereinsgründungen anzustoßen1738, erhielten einen herben Rückschlag als der Verein verboten und der Vorstand zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. In einem weiteren Prozess wurde Staegemann 1879 wegen „Verächtlichmachung kirchlicher Insti- tutionen“1739 zu sechs Wochen Haft im Frauengefängnis Barnim verurteilt. Dieses Urteil nahm keinerlei Rücksicht darauf, dass sie Mutter von vier kleinen Kindern war.1740 Neuen Elan erhielt die proletarische Frauenbewegung Berlins vor allem durch das Wirken Guillaume-Schacks. Außerdem wurden Staegemann und Cantius nun von Wabnitz und Ihrer in der Organisation der Arbeiterinnen unterstützt. Staegemann übernahm gemeinsam mit Hofmann den Vorsitz des „Vereins zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen“. Doch auch dieser wurde verboten und Staegemann erneut zu einer Geldstrafe verurteilt. Deutlich langlebiger war der 1899 gegründete „Frauenbildungsverein“. Diesem gehörte Staegemann bis zu ihrem Tode an. Mit ihrer „aufopfernde[n] Tätigkeit“1741 für die proletarische Frauenbewegung habe die Verstor- bene, so Zetkin, „Mut und Energie, volles Verständnis für die Seele des arbeitenden Volkes und ein warmes Herz für seine Leiden, sowie auch eine außergewöhnliche Rednergabe“1742 bewiesen. Auch wenn sie im höheren Alter keine öffentlichen Reden mehr gehalten habe, habe sie jedoch „im Kreise der Genossen stets belebend und anfeuernd“1743 gewirkt. Wie auch einige andere Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung wurde auch Staegemann auf dem Zentral- friedhof Berlin-Friedrichsfelde beerdigt. Im darauf folgenden Jahr war es ein von m.w. – vermutlich Marie Wackwitz – verfasster Artikel, der anlässlich einer stillen Feier1744 zum Geburtstag Staegemanns an diese Pionierin der prole- tarischen Frauenbewegung erinnerte. Politisch und gewerkschaftlich organisierte Frauen Großberlins hatten aus eigenen Mitteln einen Grabstein gestiftet und während der Feierlichkeiten den Kindern Staegemanns übergeben. Obwohl die Behörden jede Ansprache am geschichts- 1738Ebd. 1739Ebd. 1740Ebd. Diese ihre Rolle als treusorgende Mutter und auch ihr Wirken für die Emanzipation der Frau würdigt der Kondulenzbrief, den ein Freund ihres ältesten Sohnes verfasste (vgl. ebd., S. 3). Da er selbst kein Sozialdemokrat war, betonte er Staegemanns Wirken für die Gesamtheit der Frauenbewegung – unabhängig von ihrer Partei- zugehörigkeit. Er schließt mit den Worten: „Sie ist eine von denen, deren Leben nicht vergeblich war.“ (ebd.). 1741Ihrer, Emma: Mutter Staegemann. In: GL, 20/ 01/ 11.10.1909/ 2. 1742Ebd. 1743Ebd. 1744[Wackwitz, Marie] m.w.: Zur Ehrung der verstorbenen Genossin Pauline Staegemann … In: GL, 20/ 14/ 11.04.1910/ 220. 562 4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ trächtigen Datum des 18. März untersagt hatten, traf man sich zu einer Ansprache Emma Ihrers in einem Lokal. Denn, so m.w., „[t]rotz aller Polizeiverbote [ließe] sich die Arbeiterklasse das Recht nicht rauben, ihre Toten zu ehren, wie sie es will“1745. Ähnlich wie Staegemann dürfte auch Mathilde von Hofstetten (1847-?) durch ihren Ehemann zu einer sozialistischen Überzeugung gelangt sein. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Max Schütte (?-?)1746 in dem von ihm verfassten Jubiläumsartikel zunächst dessen Leben beschreibt. Der bayerische Kavallerieleutnant Johann Baptist von Hofstetten war ein persönlicher Freund König Maximilians II., aber seit seiner Bekanntschaft mit Ferdinand Lasalle auch bekennender Sozialdemokrat. Nachdem er als Mitgründer des „Sozialdemokrat“ nahezu sein gesamtes Ver- mögen aufgebraucht hatte, arbeitete Johann Baptist von Hofstetten als schlechtbezahlter Reporter und brach schließlich geistig verwirrt in der Berliner Charité zusammen. Auch in jener Zeit war ihm seine zweite Ehefrau, die er 1881 geheiratet hatte, „eine treue Stütze im harten Kampfe ums tägliche Brot“1747 gewesen. Die Witwe Hofstetten, die vor ihrer Hochzeit als Verkäuferin in einem Berliner Hutgeschäft gearbeitet hatte, musste sich nun als Wäschenäherin selbst versorgen. Darüber hinaus entwickelte sie jedoch agitatorische Fähigkeiten, die sie zu einer bewährten Rednerin für Frauenversammlungen machten. 1890 wurde Hofstetten als Delegierte für den Parteitag in Halle gewählt, trat aber zugunsten Ihrers von ihrem Mandat zurück. Die Delegation zum Erfurter Parteitag 1891 nahm sie dagegen an. Sie engagierte sich vornehmlich in der Kellnerinnenbewegung und den Verbänden der Wäscherinnen. Außerdem war Hofstetten Mitbegründerin und Vorsitzende sowohl des ersten „Bildungsvereins für Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse“ als auch des „Vereins zur ersten Hilfe bei Unglücksfällen“ und Vorstandsmitglied der Offenbacher Frauenkasse1748. Noch als 73-jährige habe sie ihre Ämter wahrgenommen und schließlich ihren Lebensabend bei „große[r] geistige[r] Frische und Klarheit“1749 im Lange- Schunke-Stift verbracht. Dieser von einem männlichen „Gleichheit“-Mitarbeiter verfasste Artikel ist besonders markant, da er nicht nur mit der Lebensbeschreibung des Ehemannes der Jubilarin beginnt, sondern auch insgesamt nur eine schwache Emotionalität enthält. Letzteres dürfte mit dem neuen Redaktionsstil 1745Ebd. 1746Die herangezogenen Nachschlagewerke und Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Max Schütte. 1747Schütte, Max: Zum 75. Geburtstage Mathilde von Hofstettens. In: GL, 32/ 14-15/ 01.08.1922/ 142. 1748Vermutlich handelt es sich dabei um eine Filiale der die „Staatsbürgerin“ tragenden „Offenbacher Kranken- und Begräbnißkasse für Frauen und Mädchen“. 1749Ebd. 563 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN zusammenhängen, der sich nach Zetkins Entlassung bemerkbar machte. 564 4.4.5 ORGANISIERTE GENOSSINNEN – DIE STÜTZEN DER PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG 4.4.5 Organisierte Genossinnen – Die Stützen der proletarischen Frauenbewegung In den biographischen Skizzen mancher Mitglieder der proletarischen Frauenbewegung findet deren Engagement unter dem Sozialistengesetz keine ausdrückliche Erwähnung. Es ist zu vermuten, dass entsprechende Informationen gänzlich fehlen oder diese Frauen erst später zur Ar- beiterbewegung und zur proletarischen Frauenbewegung gestoßen waren. Einige dieser Frauen erlebten sogar die beiden Ereignisse mit, die für die weitere Organisation der proletarischen Frauenbewegung entscheidend sein sollten: Den Fall des Sozialistengesetzes 1890 und die Einführung des Reichsvereinsgesetzes 1908. Beide Ereignisse brachten eine beträchtliche Erleich- terung für die sozialistische Agitation unter den Proletarierinnen und reduzierten das persönlich zu tragende Risiko ungemein. Die ersten Pionierinnen, so konstatiert auch Zetkin diesen Wandel, seien „begeistert und mutig bahnbrechend in einer Zeit vorangegangen, wo es nicht ver- hältnismäßig so leicht war, wie heutzutage, als Frau kämpfend in den Reihen des klassenbewußten Proletariats zu stehen“1750. Diese Pionierinnen hätten nicht nur „die härteste Verfehmung seitens der bürgerlichen Welt zu tragen“1751 gehabt, sie seien außerdem mit den antifeministischen Vorurteilen aus dem eigenen, sozialistischen Lager konfrontiert gewesen. Letzteres blieb jedoch auch nach der Integration der proletarischen Frauenbewegung in die SPD ein nicht aufzulösender Konflikt. Zu den Frauen, deren Engagement bereits zu Zeiten des Sozialistengesetzes begonnen haben dürfte, aber nicht in ihrem Nachruf erwähnt wurde, gehört auch Katharina Bode (1861-1901). Als das Leben einer „echte[n] und rechte[n] Proletarierin“1752 sei ihr Leben, so die „Gleichheit“, voll von Mühe und Arbeit, aber auch ein „köstlich[es]“ Leben gewesen, „denn es war ein Leben treuester Pflichterfüllung“1753. Bode habe als Sozialistin diese Pflichterfüllung aber nicht nur gegenüber ihren eigenen Angehörigen, sondern auch gegenüber „der großen Familie der Aus- gebeuteten und Enterbten“1754 bewiesen. In einer besonderen „Selbstlosigkeit“1755 im Kampf für die sozialistischen Ideale habe sie schließlich ihren Lebensinhalt gefunden. Als Tochter eines Arbeiters lernte sie von Anfang an die „enge und sonnenlose Proletarier- 1750Johanne Schackow †. In: GL, 13/ 03/ 28.02.1903/ 22. 1751Ebd. 1752Katharina Bode †. In: GL, 11/ 08/ 10.04.1901/ 60. 1753Ebd. 1754Ebd. 1755Ebd. 565 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN existenz“1756 kennen, die auch verantwortlich war, dass sich ihr reger Geist nur mit der üblichen Volksschulbildung begnügen musste. Sie war 14 Jahre alt als sie die Mittellosigkeit ihrer Familie in ihre erste Anstellung als Dienstmädchen zwang und 16 Jahre alt als sie „den Kampf ums Dasein aufnehmen“1757 musste und nach Hamburg ging: „Das eigene Loos, wie die Großstadt mit ihren Gegensätzen von glänzendem Reichtum und düsterer Armuth brachte dem scharfen Verstand und dem empfind- samen Gemüth Katharinas die schreiende Ungerechtigkeit der bestehenden Gesell- schaftsordnung zum Bewußtsein.“1758 All diese das Klassenbewusstsein weckenden Erfahrungen hatte Bode in einem Alter machen müssen, so die „Gleichheit“ in einem moralischen Seitenhieb gegen das Bürgertum, in dem „die Töchter der gesellschaftlichen Drohnen wie kostbare Blüthen gehegt und gepflegt“1759 würden. Über die Ursachen der gesellschaftlichen Ungerechtigkeit und über die proletarische Pflicht, gegen sie zu kämpfen, wurde Bode von ihrem späteren Ehemann – einem Schneider – aufgeklärt und somit in die sozialistische Ideenwelt eingeführt. Nach der Heirat siedelte das Ehepaar nach Kiel über. Hier agitierte Bode im Freundes- und Bekanntenkreis und führte den Gewerkschaften neue weibliche Mitglieder zu. 1893 bemühte sie sich um die Gründung des Bildungsvereins für Frauen und Mädchen, der bald ca. 500 Mitglieder hatte und deren erste Vorsitzende sie viele Jahre war. Diese Vereinsgründung und auch sein Fortbestehen stieß auf vielerlei Probleme – sowohl von außen wie auch von innen. Doch Bode habe „[m]it kluger Vorsicht […] die Organisation an den Klipppen des preußischen Vereinsrechts vorüber[gesteuert] und mit feinem Takte und ruhiger Besonnenheit verstand sie es, innere Zwistigkeiten zu vermeiden und Gegensätze auszugleichen, wie sie so oft die gesunde Entwicklung der Frauenvereine bedroh[t]“1760 hätten. 1896 wurde Bode Vertrauensperson von Kiel und legte den Vereinsvorsitz nieder. Es waren wohl gesundheitliche Probleme, die dies erforderlich machten, denn mehrere Operationen hatten keine Besserung ihres Gesundheitszustandes gebracht. Die „Gleichheit“ stellte ihren Leserinnen mit Bode eine Frau vor, die wie sie selbst „nicht von überflüssiger Zeit und reichlichen Mitteln“ 1761 habe zehren können. Auch sie habe „neben dem Wirken für die sozialistischen Ideale […] häusliche Arbeit“1762 zu verrichten gehabt. Aber ihr Bildungsdrang und ihr Engagement für die Sache sei so groß gewesen, dass oft „die späte Nacht, der frühe Morgen sie noch bei der Lektüre, 1756Ebd. 1757Ebd. 1758Ebd. 1759Ebd. 1760Ebd. 1761Ebd., S. 61. 1762Ebd. 566 4.4.5 ORGANISIERTE GENOSSINNEN – DIE STÜTZEN DER PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG der Arbeit“1763 gefunden habe. So habe die Verstorbene „genug gelebt für alle Zeiten, denn sie hat dem Besten ihrer Zeit gelebt“1764 – dem Sozialismus. Der Nachruf schloss mit der Aufforderung an die Leserinnen, desgleichen zu tun. Wie Bode war auch Josephine Döring (?-1902) laut ihres vermutlich von Zetkin verfassten Nachrufs Proletarierin durch und durch. Als „[e]ines Proletariers Kind“1765 sei sie „eines Prole- tariers Weib“1766 geworden. Ihr Mann war als Saisonarbeiter oft lange Zeit ohne Arbeit. Deshalb musste Döring neben der Haushaltsführung noch als Konfektionsnäherin zum Einkommen beitragen. Dennoch habe sie sich die nötige Zeit für geistige Anregung nehmen können: „Allein was immer Genossin Döring litt, was immer sie drückte: es versank, sobald sie eine sozialistische Broschüre, ein Bändchen Gedichte zur Hand nahm, sobald sie mit Gleichgesinnten über die Ideen sprechen konnte, die ihren Muth, ihre That- kraft stets aufs Neue entflammten.“1767 Aus dieser Begeisterung heraus wurde Döring eines der ersten und eifrigsten Mitglieder der Bres- lauer Frauenorganisation, die sich 1895 gründete. Nach deren Verbot leistete sie für die allgemeine Arbeiterbewegung wichtige „Kleinarbeit“, verkaufte Bons oder warb Versammlungs- besucher. Die später möglich gewordenen Frauenversammlungen bereicherte Döring des Öfteren mit der Rezitation schlesischer Mundartgedichte des Breslauer Dichters Karl von Holtei. Eines Abends, sie habe gerade dazu angesetzt, dessen Gedicht „Suste nischt, ack heem“ („Sonst nichts, nur heim“) vorzutragen, erlitt sie vollkommen überraschend einen Herzanfall. Döring habe innegehalten, sich an den Kopf gefasst und sei schließlich lautlos auf den Stuhl zurückgesunken – ein, wie Zetkin meinte, „plötzlicher, sanfter und schöner Tod“1768. Ein großes Unglück jedoch für ihren Ehemann, dem sie „Ernährerin“ gewesen sei und dem jegliche finanziellen Mittel fehlten, ihre Beerdigung zu bezahlen. Nur mittels einer Spendensammlung hatten diese aufgebracht werden können – ein Zeugnis proletarischer Solidarität, aber auch ein, wie Zetkin schrieb, „ty- pisches Bild proletarischen Elends in dieser besten aller Welten“1769. Wie gering die Finanzmittel ihrer Familie aber auch gewesen waren, dies hatte Döring nicht hindern können, zu den Leseabenden zu kommen und andere Menschen mit ihren Vorträgen zu 1763Ebd. 1764Ebd. 1765Josephine Döring †. In: GL, 12/ 22/ 22.10.1902/ 173. 1766Ebd. 1767Ebd. 1768Ebd. 1769Ebd., S. 174. 567 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN begeistern. Aus diesem Grunde war Döring der „Gleichheit“ ein Vorbild für das, „was Hunderttausende, was Millionen Enterbter können, wenn sie nur wollen, wenn sie sich selbstlos und opferfreudig dem Ideal der Menschheitsbefreiung er- geben“1770. Auch wenn diese Millionen nicht erwarten dürften, dass die Geschichtsschreibung Notiz von ihnen nehme, so könnten sie aber gewiss sein, dass ihr Wirken für den Sozialismus „an innerem Gehalt den geschäftigen Müßiggang mancher Fürstin und ‘berühmten’ Frau, von dem die Geschichtsklitterung ein Breites erzählt“1771, überträfe. Die „Gleichheit“ und Zetkin hatten es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Wirken und diese Personen sichtbar zu machen, ihre Verdienste für alle Zeiten festzuhalten. Eine Mutter von acht Kindern war Magdalene Schmidt (?-1904/ 36-jährig). Obwohl sie diese pflegte, betreute und durch ihre Erwerbstätigkeit miternährte, sei sie, so wusste Zietz zu berichten, auch „unermüdlich“1772 für die Hamburger Arbeiterbewegung tätig gewesen. Schmidt verrichtete Kleinarbeit, beteiligte sich an Versammlungen und erbrachte sogar von dem Wenigen, das sie hatte, finanzielle Beiträge für die Partei. Nie habe sie „ihr guter Humor, ihr frischer Mut“1773 ver- lassen. Wie Schmidt zu Lebzeiten „in ihrer Selbstlosigkeit und Begeisterung ein leuchtendes Vorbild“ gewesen sei, so sollte sie, die an Kindbettfieber starb, es auch „über das Grab hinaus bleiben“1774. „Unsere Adelheid“1775 wurde Adelheid Zeh (1869-1909) im bayerischen Lechhausen genannt, in das sie 1890 als Fabrikarbeiterin kam. Über Zehs Kindheit wusste die mit „M.G.“ zeichnende Ver- fasserin des Nachrufs – vermutlich Marie Greifenberg – lediglich zu berichten, dass sie im Alter von zehn Jahren ihre Mutter verlor. 1896 habe sie „mit dem Mann ihrer Wahl“1776 eine Ehe ge- schlossen, die sowohl „ein gemeinsamer Kampf um die Existenz“1777 als auch „für die Befreiung des Proletariats“1778 gewesen sei. Es sei 1770Ebd. 1771Ebd. 1772Zietz, Luise: Magdalene Schmidt – Hamm-Hamburg. In: GL, 15/ 01/ 11.01.1905/ 4. 1773Ebd. 1774Ebd. 1775[Greifenberg, Marie?] M.G.: Adelheid Zeh – Lechhausen †. In: GL, 19/ 12/ 15.03.1909/ 184. Für Greifenberg als Autorin spricht die aus den Recherchen in der „Gleichheit“ gewonnene Information, dass sie in Bayern Vorträge hielt, Zeh also gekannt haben dürfte. 1776Ebd. 1777Ebd. 1778Ebd. 568 4.4.5 ORGANISIERTE GENOSSINNEN – DIE STÜTZEN DER PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG „eine echte, rechte Proletarierehe [gewesen], die zwei einsichtige, herzensgute, strebende Menschen vereinte und ihre höchste Weihe durch das harmonische Wirken im Dienste der sozialistischen Ideen erhielt“1779. Indem es eine dem sozialistischen Ideal entsprechende Ehe war, so der nahegelegte Rückschluss, sei es eine glückliche Ehe gewesen. 1905 wurde die sich durch Opferfreudigkeit und Lauterkeit auszeichnende Zeh zur Vertrauens- person gewählt. Ein Amt, das sie trotz ihrer „schlechten, mangelhaften Schulbildung“1780 auszufüllen verstand. Sie sammelte erfolgreich eine „Kerntruppe von Genossinnen“ um sich, um diese „mit der Idee des Sozialismus zu erfüllen“1781. Zeh war Teilnehmerin an den Frauen- konferenzen 1906 in Mannheim, 1908 in Nürnberg und der bayerischen Landesfrauenkonferenz von 1907. Lange Zeit schon litt sie an einem schweren rheumatischen Leiden. Diesem Leiden und ihrem Leben setzte eine Herzlähmung ein Ende. Dass sie sich „[a]uch in religiösen Dingen […] zu voll- ständiger Freiheit der Anschauung durchgerungen“1782 hatte, bewies Zeh kurz vor ihrem Tod, indem sie eine letzte Beichte und die Anwesenheit eines Geistlichen bei ihrer Beerdigung strikt abgelehnt hatte. Diese ihre „eigenste[…] freie[…] Entscheidung“1783 traf sie „von dem Bewußt- sein beseelt, daß jeder sein eigener Richter darüber sein müsse, wie er gelebt und gehandelt“1784 hat. Doch auch andere richteten über Zehs Leben, wenn es in ihrem Nachruf lautete: „Ihr nachleben, heißt sie am schönsten ehren.“1785 Eine große Anzahl von Menschen nahm an der Trauerfeier teil. Vor allem sei es ein Beweis, so Greifenberg, der „große[n] persönliche[n] Tüchtigkeit unserer verstorbenen Vorkämpferin, daß auch die Firma Butz & Söhne, wo sie lange Jahre geschafft hat, der fleißigen und gewissenhaften Arbeiterin einen Kranz widmete“1786. Diese Bemerkung beweist aber auch, dass der den sozialdemokratischen Frauen oft unterstellte Dogmatismus relativ zu sehen war. Anscheinend legten auch sie viel Wert auf Anerkennung durch bürgerliche Respektspersonen und vermeintliche kapitalistische Ausbeuter. 1779Ebd. 1780Ebd. 1781Ebd. 1782Ebd. 1783Ebd. 1784Ebd. 1785Ebd., S. 185. 1786Ebd. 569 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Es ist nur ein kurzer Nachruf, den Maria Martzloff (?-?)1787 auf die verstorbene Johanna Grünfeld (?-1911) verfasste. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass die „Gleichheit“-Redaktion sich genötigt gesehen hatte, Kürzungen vorzunehmen. Sie lebte in Freiburg i. B., war dort Mitbegründerin der sozialdemokratischen Frauensektion und als Rednerin und Agitatorin aktiv. So wurden nur wenige Informationen zu dem „Leben treuer Pflichterfüllung“1788 gegeben, das Grünfeld geführt habe und wie es laut Martzloff „in persönlicher Beziehung wie in Arbeit und Kampf für das sozialistische Ideal vorbildlich“1789 gewesen sei. Auf ungewöhnliche Weise sticht Pauline Hennig (?-1912/ 49-jährig) aus der Gruppe der bisher porträtierten weiblichen SPD-Mitglieder heraus. Ungewöhnlich ist nicht, dass sich Hennig als ein aufgeklärtes Parteimitglied trotzdem nicht unmittelbar in der sozialdemokratischen Frauen- bewegung engagierte. Ungewöhnlich ist vielmehr ihre dezidierte Begründung für diese Ent- scheidung. Hennig habe, so Wehmann, die proletarische Frauenbewegung als eine Zersplitterung der proletarischen Kräfte erachtet und deshalb vornehmlich in der Jugend- und Kinderarbeit gewirkt. Die aus „rein proletarischen Verhältnissen“1790 stammende Hennig war selbst kinderlos geblieben, aber arrangierte Märchenaufführungen, gab Spielleiterkurse für Sommer- und Kinder- feste, war viele Jahre in der Jugendbücherei tätig und organisierte Jugend-Wanderungen. Ge- meinsam mit Ehemann Gustav Hennig setzte sie sich vor allem für die Wiederbelebung der Dramagruppe des früheren Arbeiterbildungsvereins Leipzig-Lindenau ein. Die Parteiarbeit ihres Ehemannes sei nur möglich und erfolgreich gewesen, weil er in seiner Ehefrau eine ver- ständnisvolle Gefährtin gehabt habe.1791 Bevor Hennig an den Folgen einer Operation verstarb, so Wehmann, habe sie den besonderen Wahlsieg der SPD von 1912 noch miterleben dürfen. Der Kreis Dresden-Land verlor im September 1912 mit Luise Schirmer (?-1912/ 38-jährig), so der von M.W. verfasste Nachruf, eine „opferfreudige Verfechterin proletarischer Bestre- bungen“1792. Schirmer war Delegierte der Genossinnen von Tolkewitz-Laubegast und Leiterin der Diskussionsabende. Im Andenken an diese Genossin, die all ihre Kräfte eingesetzt, über einen „edlen Sinn“ und „Schlichtheit“ verfügt habe, waren die „Gleichheit“-Leserinnen aufgefordert, 1787Die herangezogenen Nachschlagewerke und Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Marie Martzloff. 1788Martzloff, Marie: Genossin Johanna Grünfeld, Freiburg i. Br. † In: GL, 22/ 06/ 11.12.1911/ 91. 1789Ebd. 1790Wehmann, Klara: Pauline Hennig †. In: GL, 22/ 12/ 04.03.1912/ 187. 1791Vgl. ebd. 1792[Wackwitz, Marie?] M.W.: Luise Schirmer †. In: GL, 23/ 01/ 02.10.1912/ 10. 570 4.4.5 ORGANISIERTE GENOSSINNEN – DIE STÜTZEN DER PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG „für die große Sache des Sozialismus weiterzukämpfen“1793. Selma Spindler (?-1915) sei eine „aufrechte, klarblickende Proletarierin“1794 gewesen. Sie lebte in Döbeln, das im zehnten sächsischen Wahlkreis lag. Im gemeinsamen Kampf um die Befreiung ihrer Klasse aus der „‘Not der Tyrannei und der Tyrannei der Not’“1795 habe sie eine kamerad- schaftliche Ehe geführt. Spindler – eines der ersten weiblichen Mitglieder der Partei – engagierte sich sowohl in „aufklärender Kleinarbeit“1796 als auch im Besuch von Versammlungen. Das Ge- heimnis ihrer Überzeugungskraft war ein „vom Herzen kommendes zündendes Wort“1797 und „[i]hr Beispiel gab vielen anderen Mut“1798. Nachdem M. Drechsler (?-?), die Verfasserin des Nachrufes, aus Döbeln weggezogen war, folgte ihr Spindler, die bisher das Amt der Kassiererin versehen hatte, als Leiterin der sozialdemokratischen Frauengruppe nach. Außerdem engagierte sie sich sehr in der Jugendbewegung. Trotz eines Herzleidens sei Spindler eine „allzeit freudige und hingebungsvolle Beraterin und Helferin, […] ein Beispiel nie versagender Pflichttreue“1799 ge- wesen. Keine Erwähnung ihres Privatlebens fand sich in dem Nachruf auf Frieda Kuhlmanns (?-1916). Die Anzahl der von ihr bekleideten Ämter lässt tatsächlich die Vermutung zu, dass sie alleinstehend war. Kuhlmann war in der Dienstbotenbewegung von Hamburg und Altona aktiv und Mitglied der Hamburger Ortsgruppe des Zentralverbandes der Hausangestellten. Außerdem war sie Mitbegründerin und Kassiererin des „Vereins der Dienstboten, Wasch- und Scheuer- frauen“ Hamburgs und Mitglied des sozialdemokratischen Vereins des Distrikts Uhlenhorst. Seit 1901 war sie Austrägerin der „Gleichheit“ und, so Luise Kähler als Verfasserin des Nachrufs, stets „bemüht, immer neue Leser für unser sozialistisches Frauenblatt zu werben“1800. Obwohl ihr immer wieder nahegelegt, habe sie sich gescheut als Rednerin in großen Versammlungen auf- zutreten. Sie habe mehr Interesse daran gehabt, „in kleinem Kreis […] zu belehren, anzuregen, zu ermutigen und zu bilden“1801. 1793Ebd. 1794Drechsler, M.: Selma Spindler †. In: GL, 26/ 02/ 15.10.1915/ 13. 1795Ebd. 1796Ebd. 1797Ebd. 1798Ebd. 1799Ebd. 1800Kähler, Luise: Frieda Kuhlmann – Hamburg … In: GL, 26/ 17/ 12.05.1916/ 128. 1801Ebd. 571 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN „Rücksicht auf sich selbst“1802 sei für Kuhlmann, so Kähler, „etwas Unbekanntes“1803 gewesen. Eine solch aufopfernde Haltung wurde auffälligerweise besonders unter der Redaktion Zetkins herausgehoben und die ernsten Folgen, die eine solche haben konnte, ignoriert. Es geht nicht exakt aus dem Artikel hervor, ob Kuhlmann, die wegen eines gesundheitlichen Leidens ins Kran- kenhaus musste, auch dort verstarb. War es vielleicht eine zu spät erkannte und behandelte Krankheit und damit ihre Rücksichtslosigkeit gegenüber sich selbst, die sie das Leben kostete? Mit einem sehr kurzen Artikel feierte die „Gleichheit“ den 60. Geburtstag Emma Tölles (1854-?) aus Friedenau bei Berlin. Trotz dieses hohen Alters leitete sie „[r]üstig und voller Energie und Begeisterung“ die örtliche Frauenorganisation der SPD. Seit den 1890er Jahren Mitglied des Ber- liner Verbandes der Schneiderinnen und Schneider sei Tölle, so die Verfasserin „E.B.“, „ein Vorbild für alle, die […] für die schöne sozialistische Zukunft arbeiten und ringen“1804. Ebenfalls sehr kurz gehalten ist der von „os.“ verfasste Nachruf auf ? Hajlamátz (?-1916). Dies könnte sich einerseits durch den Mangel an Informationen, andererseits durch den Mangel an Papier erklären, der während des Ersten Weltkriegs das Erscheinen der „Gleichheit“ stark beeinträchtigte. Hajlamátz engagierte sich vor allem in der Leipziger Jugendbewegung. Ihr sei „[d]er Sozialismus […] mehr als ein bloßes Lippenbekenntnis [gewesen], er bestimmte ihr Handeln“1805. Der Erste Weltkrieg ließ auch ihr Schicksal nicht unberührt: Ihr Lebensgefährte, der als Soldat in Italien dienen musste, konnte nur noch im letzten Augenblick an ihrem Todestage bei ihr sein. Der Nachruf auf Sibylla Benz (?-1918) verwies – verfasst von der neuen „Gleichheit“-Redaktion – auf eine neue Generation organisierter Genossinnen, denn Benz gehörte „erst“ seit 1906 der SPD an. Dieser späte Parteieintritt könnte darauf zurückzuführen sein, dass sie aus einem „klerikalen Dorfe“1806 stammte und sich lange nicht von den tradierten Vorstellungen lösen konnte. Die Biographie Benz‘, die sich vor allem in der Distriktleitung des Sozialdemokatischen Vereins und in der Kriegsfürsorge engagierte, weist manche für die Kriegszeit typische Karriereaspekte auf. Sie wurde die erste sozialdemokratische Armenpflegerin der Stadt Köln und während ihr Mann als Soldat eingezogen war hatte sie zudem dessen Amt als Kassierer des Sattlerverbandes 1802Ebd. 1803Ebd. 1804E.B.: Der 60. Geburtstag einer wackeren Kämpferin. In: GL, 24/ 14/ 01.04.1914/ 216. 1805os.: Genossin Hajlamátz – Leipzig †. In: GL, 26/ 23/ 04.08.1916/ 173. 1806Genossin Benz †. In: GL, 28/ 18/ 07.06.1918/ 141. 572 4.4.5 ORGANISIERTE GENOSSINNEN – DIE STÜTZEN DER PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG inne. Selbst ihre Pflichten als Mutter von sechs Kindern (das jüngste war ein Jahr alt), so die „Gleichheit“, hinderten sie nicht an einer „treue[n] Pflichterfüllung für die Partei“1807. Nicht nur zeige ihr Beispiel – gegeben in der schweren Zeit des Ersten Weltkrieges – vielen Frauen, „was eine der Ihren zu leisten vermag“1808, es beschäme zugleich viele der Männer1809. Der in der „neuen“ „Gleichheit“ erschienene und – entsprechend des Erscheinungsjahres – ver- mutlich von Juchacz verfasste Nachruf auf Benz unterscheidet sich auffällig zu vergleichbaren Nachrufen der „alten „Gleichheit“. Zwar würdigte auch er mit Benz eine „tapfere[…] Kämpferin“1810, doch sind die Ziele ihres Kampfes andere geworden. Der Krieg eröffnete ihr und vielen anderen Frauen neue Tätigkeitsfelder: „Sobald der Ruf zur Mitarbeit in der Kriegsfürsorge erging, winkte ihr neue Arbeit.“1811 Benz war eine Mehrheitssozialdemokratin par Excellence, die ihre Pflichterfüllung darin sah, das Kriegselend zu lindern, anstatt es für einen revolutionären Umschwung zu nutzen. Benz starb in Köln-Ehrenfeld an einer Blutvergiftung. Stephanie Hoffmann (?-1918/ 47-jährig) war, so lässt es der von der Mannheimer SPD- Politikerin Therese Blase (1873-1930)1812 verfasste Nachruf annehmen, ein Beispiel dafür wie manche Frauen für ihre Tätigkeit in der proletarischen Frauenbewegung Raubbau an der eigenen Gesundheit betrieben. Ein langwieriges Herz- und Rheumatismusleiden1813 hatte sie bereits einmal zu einer zweijährigen Pause gezwungen bevor sie schließlich daran starb. In jener Pause hatte sie ihre seit 1905 bekleideten Ämter als erste Kassiererin und Vertrauensperson solange ruhen lassen müssen, bis sie wieder „in Wort und Schrift“ agitatorisch tätig werden konnte. Hoffmann sei über die Grenzen Mannheims „bekannt und beliebt“1814 gewesen. Sie wurde mehrmals zu SPD- 1807Ebd., S. 142. 1808Ebd. 1809Ebd. 1810Ebd. 1811Ebd. 1812Therese Blase, geb. Knauf, wurde im thüringischen Craula geboren. Sie war Tochter eines Landwirts, lebte seit 1900 in Ludwigshafen und war ab 1903 in Mannheim ansässig. Zu diesem Zeitpunkt war sie Hausfrau und demnach vermutlich bereits mit dem Kupferschmied Blase verheiratet. Vor 1901 – ein genaue Angabe ließ sich nicht feststellen – wurde Blase SPD-Mitglied und 1905 Mitgründerin der „Frauenabteilung des Sozialdemo- kratischen Vereins“. Ab 1911 engagierte sie sich in der Mannheimer Armenpflege, war Vorsitzende des Krüppel- vereins Baden und ab 1912 Mitglied der Armenkommission im Jugendamt. Ab 1917 arbeitete sie in der Kriegs- fürsorge Mannheim. Blase war Vorsitzende der Sozialdemokratischen Frauen Badens und Mitglied im sozial- demokratischen Landesvorstand. 1919-1930 war sie Abgeordnete des Badischen Landtages, außerdem Mitglied des Mannheimer Bürgerausschusses. 1925 war sie Mitglied der Krankenhauskommission. Für die „Gleichheit“ verfasste sie mehrere hier enthaltene Nachrufe und den Leitartikel „Der Kampf, Erwecker des Klassenbewußt- seins (GL, 16/ 17/ 22.08.1906/ 113). 1813Blase, Therese: Stephanie Hoffmann. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 174. 1814Ebd. 573 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Parteitagen delegiert und war Mitglied der Schulkommission und Vorsitzende der Mannheimer Kinderschutzkommission, deren Tätigkeit zu Kriegszeiten jedoch eingestellt worden war. Während des Krieges engagierte sie sich in der Zentrale für Kriegsfürsorge und machte trotz ihrer Krankheit regelmäßig Familien-, Armen- und Krankenbesuche. Regine Friedländer (?-1918) sei, so „O.W.“ in einem Nachruf, als „Proletarierkind“1815 geboren worden. Doch außerdem war sie „[e]ine geborene Agitatorin“1816 und beliebte Rednerin. Aus der Bemerkung, Friedländers „Temperament [habe] bedächtig widerstrebendes Überlegen für sich nicht anerkannt[…]“1817, ist wohl zu schließen, dass sie in ihren Reden nicht unbedingt wissen- schaftlich argumentierte. Richtig erfasst habe sie aber trotzdem „die Notwendigkeit mühseliger organisatorischer Kleinarbeit für den Aufstieg der Arbeiterklasse“1818 und als erste weibliche Angestellte des Handlungsgehilfenverbandes eine solche auch geleistet. Aus eigener Kraft bahnte sie sich ihren Weg. Umso schwerer sei es ihr gefallen, anlässlich ihrer Heirat ihren Mädchen- namen Kraus und die liebgewordene Stellung wieder aufzugeben. Besonders die wachsende Zahl von Kindern habe aber Letzteres notwendig gemacht. Friedländer war keine Mehrheitssozial- demokratin, hegte aber, so „O.W.“ die „Hoffnung auf eine Einigung der Arbeiterschaft nach den Wirrsalen des Krieges“1819, dessen Ende sie wegen einer typhusartigen Erkrankung allerdings nicht erlebte. Die im vogtländischen Rebesgrün [unleserlich] tätige Elise Heckel (?-1923) erlag „der Würgerin Tuberkulose“1820. „Selbstlos, unermüdlich“1821 habe sie, so die Reichstagsabgeordnete Minna Schilling (1877-1928 oder 1943)1822, „Stein um Stein für den Bau unserer Zukunft zusam- 1815O.W.: Regine Friedländer †. In: GL, 29/ 02/ 25.10.1918/ 14. 1816Ebd. 1817Ebd., S. 15. 1818Ebd. 1819Ebd. 1820Schilling, Minna: Elise Heckel †. In: GL, 33/ 06/ 15.03.1923/ 47. 1821Ebd. 1822Die herangezogenen Nachschlagewerke und Datenbanken enthalten teilweise sehr widersprüchliche biographische Informationen zu Schilling: Minna (Martha) Schilling, geb. Petermann, wurde im sächsischen Freiberg geboren (Freiburg, wie Niggemann es angibt, ist unwahrscheinlich). Sie war Tochter eines Tabakarbeiters und selbst als Tabakarbeiterin im sächsischen Döbeln erwerbstätig. Als Hausfrau und Mutter von 6 Kindern lebte sie dann in Leipzig. 1919 erst Mitglied der Nationalversammlung, saß Schilling außerdem 1920-1928 als Abgeordnete im Reichstag und 1922-1928 im sächsischen Landtag. 1927-1928 war sie Aufsichtsratsmitglied der Landes- siedlungsgesellschaft „Sächsisches Heim“ und 1925-1928 des Landeswohlfahrts- und Jugendamtes. Laut BIOSOP-Datenbank kam Schilling 1928 bei einem Eisenbahnunglück ums Leben, laut Niggemann und M.d.R verstarb sie 1943 in Weimar. 574 4.4.5 ORGANISIERTE GENOSSINNEN – DIE STÜTZEN DER PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG men[getragen]“1823. In der Zeit da während des Krieges die männlichen Funktionäre Kriegsdienst leisteten, hatte Heckel die Ortsgruppe geleitet. Das Leid anderer sei ihr Leid, die Freude anderer, „ihre reinste Freude“1824 gewesen. Im Oktober 1918 durch die Nachricht vom Tod ihres Ehe- mannes auf das Krankenlager geworfen, habe ihr das Miterleben der Revolution neue Kraft gegeben. Heckel wurde Mitglied im Gemeinderat, wo sie sich besonders in der Kriegshinter- bliebenenfürsorge engagierte. Sie wirkte „eifrig für die Allgemeinheit“1825 – „[i]hrer Gesundheit nicht achtend“1826. Heckel hinterließ zwei schulpflichtige Kinder und „Hunderte, deren Beschützerin“1827 sie gewesen war. Dem Andenken der Verstorbenen würden die Leserinnen am ehesten gerecht, so Schilling, wenn sie selbst nun weiter vorwärts strebten und in Heckels „Ueberzeugung weiter bau[t]en“1828. 1823Ebd. 1824Ebd. 1825Ebd. 1826Ebd. 1827Ebd. 1828Ebd. 575 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN 4.4.6 „[J]unge[…] Frauchen“ – Die junge Generation engagierter Proletarierinnen Die Organisationen der proletarischen Frauenbewegung hatten große Probleme, Frauen jüngeren Alters als Mitglieder oder Leiterinnen zu gewinnen. Meist waren jüngere Arbeiterinnen – zumal wenn sie unverheiratet waren – voll erwerbstätig und zeitlich noch weniger flexibel als Arbeiter- frauen. Auch die sozialpsychologische Komponente einer noch wenig entwickelten Persönlichkeit und geringes persönliches Zutrauen dürften eine Rolle gespielt haben. Informationen zu dieser jüngeren Frauengeneration der proletarischen Frauenbewegung erhält man aus der „Gleichheit“ lediglich aus Nachrufen, denn einen öffentlich gewürdigten „höheren“ Geburtstag erlebten sie ja nicht. Im Folgenden werden die Biographien in der proletarischen Frauenbewegung engagierter Frauen skizziert, die jünger als 35 Jahre waren. Mitten hinein in die Zeit des Sozialistengesetzes wurde Agnes Schilling (?-1896/ 34-jährig) geboren. Überzeugt und „opferfreudig“1829 habe sie später die damals sehr gefährliche Arbeit einer Vertrauensperson versehen. Schilling war mit einem Schneider verheiratet und hatte fünf Kinder zu versorgen. Deren ältestes war zehn, das jüngste drei Wochen alt als Schilling starb. Wie viele andere engagierte Proletarierinnen hatte also auch sie eine Vielfachbelastung zu tragen gehabt, denn „die Nothwendigkeit gebot, den Verdienst des Mannes durch Mitarbeit zu mehren, die zärtliche Mutterliebe ließ keine Vernachlässigung der Pflichten gegen die Kleinen zu, die leidenschaftliche Ueberzeugung duldete keine Säumigkeit im Wirken für die Befreiung des Proletariats“1830. Kaum verwunderlich, so die „Gleichheit“, dass „die Arbeitstage […] oft zu Arbeitsnächten“1831 wurden und kaum verwunderlich, so die „Gleichheit“ weiter, wenn diese Überlastung nicht zum frühen Tode Schillings beigetragen haben dürfte. Auch Luise Teumer (?-1904/ 27-jährig) verstarb in jungen Jahren. Sie war Tochter eines Prole- tariers und wurde im Alter von 12 Jahren Vollwaise. In ihrer Jugend wurde sie, so die „Gleich- heit“, sehr religiös erzogen, „doch einmal hinausgestoßen in das feindliche Leben erkannte sie bald, daß mit Dulden, Beten und Hoffen auf das Himmelreich den Armen nicht geholfen ist, daß sie lernen und kämpfen müssen, um sich auf Erden ein kulturwürdiges Dasein zu schaffen“1832. 1829Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 188. 1830Ebd. 1831Ebd. 1832Genossin Luise Teumer in Obereichenbach i.V. †. In: GL, 14/ 12/ 01.06.1904/ 93. Weil Teumer noch kurz vor 576 4.4.6 „[J]UNGE[…] FRAUCHEN“ – DIE JUNGE GENERATION ENGAGIERTER PROLETARIERINNEN Das „feindliche Leben“1833, die „Härten und Leiden des Lebens, welche die kapitalistische Ordnung den Ausgebeuteten in reicher Fülle beschert“1834, sie seien es aber auch gewesen, die Teumer „allmählich zu einer überzeugten Genossin und Kämpferin heranreifen“1835 ließen. Sie übernahm das Amt einer Vertrauensperson und wurde 1903 wegen Teilnahme am Maifeiertag von ihrem Arbeitgeber aus dem Betrieb ausgeschlossen. Teumer engagierte sich in der Schulung der Genossinnen, in Kleinarbeit, Flugblätterverteilen, dem Austragen des Organs des Holzarbeiterverbandes und Einkassieren der Beiträge.1836 Sie sei eine „eifrige, aufopfernde Genos- sin“1837 gewesen, die von der Proletarierkrankheit „aus den Reihen der kämpfenden Arbeiterklasse gerissen“1838 wurde. Doch war es nicht nur ihr Tod, den der Ehemann und der vierjährige Sohn zu ertragen hatten. Mit Teumer „sank ein neues, keimendes Leben ins Grab“1839, denn sie hätte in den nächsten Monaten ein zweites Kind bekommen. Eher selten finden sich in den biographischen Artikeln Informationen darüber, welche Rolle die skizzierten Frauen bei der Arbeit und der Verbreitung der „Gleichheit“ spielten. Lea Heiden- Deutschmann (1877-1906) aber war nicht nur eine derjenigen Frauen, die die „Gleichheit“ verbreiteten, sie war zudem Verfasserin von Vorträgen und Beiträgen für „Gleichheit“, „Vorwärts“ und „Neue Zeit“.1840 Aus dem vom „Gesamtausschuß des Frauen- und Mädchenbildungsvereins für München und Umgebung“ verfassten Nachruf lässt sich erkennen, dass mit Heiden-Deutsch- mann „viel liebe und stolze Hoffnungen zu Grabe getragen worden“1841 waren. Sie habe „zu den fähigsten, geschultesten und charaktervollsten jungen Vertreterinnen der proletarischen Frauen- bewegung“1842 gezählt. Seit sie ungefähr zehn Jahre vor ihrem Tod „in den Bannkreis des sozialistischen Ideals ger[aten]“1843 sei, habe die junge Handelsangestellte „rastlos um Läuterung ihrem Tode ein kirchliches Begräbnis abgelehnt hatte, wurde es ihren Freunden und Gesinnungsgenossen ver- boten, an ihrem Grabe zu sprechen (vgl. ebd., S. 94). 1833Ebd., S. 93. 1834Ebd. 1835Ebd. 1836Ebd. 1837Ebd. 1838Ebd. 1839Ebd., S. 94. 1840Lea Heiden-Deutschmann †. In: GL, 16/ 21/ 17.10.1906/ 147. Heiden-Deutschmann verfasste u. a. für die „Gleichheit“: Katholische Arbeiterinnenbewegung. In: GL, 15/ 20/ 04.10.1905/ 117-118; Verbandstage der „radikalen“ Frauenrechtlerinnen. In: GL, 15/ 21/ 18.10.1905/ 122-123 (ein Bericht zu den vom 02.-05.10.1906 stattfindenden Generalversammlungen des Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine und des Verbandes für Frauenstimmrecht in Berlin). 1841Ebd. 1842Ebd. 1843Ebd. 577 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN ihrer Erkenntnis gerungen“1844. Sie sei stets „ohne nach den Opfern zu fragen, für ihre Über- zeugung eingetreten“1845 und war nicht nur in München, sondern zuvor auch in Frankfurt am Main und Berlin agitatorisch tätig. Nicht nur, dass sie in jenen Städten Vorträge hielt, sie war auch Mitglied des jeweiligen Frauenbildungsvereins – in Frankfurt am Main war sie sogar Vertrauens- person1846. Besonders engagiert war sie in der Organisation der Handelsgewerbearbeiter. Doch all diese Informationen über das breitgefächerte Wirken Heiden-Deutschmanns, so ihre Genossinnen weiter, könnten nicht die Schwere ihres Verlustes erklären, wenn man sie nicht auch persönlich gekannt habe. Ihre Persönlichkeit machte zugleich ihr Wirken aus: „In heißen äußeren und inneren Kämpfen hat sie sich selbst finden müssen. Aber sie hatte das Glück, zugleich eine feste, in sich geschlossene Weltanschauung im Sozialismus gefunden zu haben, und so ist sie über Steine und durch Dornen gewandert – oft müden Fußes und blutenden Herzens, aber nie mutlos, nie rück- wärts, sondern mit stetig wachsenden geistigen und sittlichen Kräften aufwärts.“1847 Heiden-Deutschmann habe über eine große Allgemeinbildung und ein umfassendes theoretisches Wissen verfügt. Mit diesen Fähigkeiten und Kenntnissen wäre es „ihr ein leichtes gewesen, sich eine bürgerlich angesehene, einträgliche Stellung zu schaffen“1848. Doch ihr „glühende[r] Drange“1849 habe dem Ziel gegolten, „den Emanzipationskampf des Proletariats immer besser ge- rüstet mitkämpfen zu können“1850. Ein Kampf, über den sie jedoch nie versäumte, „eine zärtliche, treubesorgte und einsichtsvolle Mutter“1851 zu sein, die in „echte[r] Wärme des Gefühls“1852 die Entwicklung ihres Sohnes begleitete. Heiden-Deutschmann verstarb im Münchner Josefinum.1853 Klara Heinrich (?-1908/ 33-jährig)1854 war bereits Mutter von vier Kindern im Alter von drei bis neun Jahren als sie im Wochenbett an einer Herzerweiterung und Bauchfellentzündung starb. 1844Ebd. 1845Ebd. 1846Heiden-Deutschmann wurde 1902 zur Vertrauensperson der Sozialdemokratinnen Frankfurts gewählt (vgl. Klaus- mann, Politik und Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 120f.) 1847Ebd. 1848Ebd., S. 148. 1849Ebd. 1850Ebd. 1851Ebd. 1852Ebd. 1853Im November 1904 hatte sich Heiden-Deutschmann von ihrem Ehemann, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Sozialdemokratischen Vereins und zweiten Arbeitersekretär Frankfurts, Johannes Heiden, getrennt und war nach München umgezogen (vgl. Klausmann, Politik und Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 348; Nigge- mann, Emanzipation zwischen Feminismus und Sozialismus, S. 311). 1854Diese Altersangabe erklärt sich durch die Information, dass Heinrich als 21jährige am Parteitag in Gotha 1896 teilgenommen habe (vgl. Genossin Klara Heinrich †. In: GL, 13/ 22/ 21.10.1903/ 175). 578 4.4.6 „[J]UNGE[…] FRAUCHEN“ – DIE JUNGE GENERATION ENGAGIERTER PROLETARIERINNEN „Das Lesen sozialdemokratischer Schriften und Zeitungen“, so ihr Nachruf, sei dieser jungen Frau „ein höherer Genuß als Tanz und andere Zerstreuungen“1855 gewesen. Glücklich gemacht habe es sie, „im kleinen Kreise das Evangelium von der Freiheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt, verkünden zu können, ihm neue Bekenner und Bekennerinnen zu werben oder ihm sonst zu dienen“1856. Als Delegierte der Wahlkreise Grünberg-Freiberg und Sagan-Sprottau nahm Heinrich – ein „junges Frauchen“1857 von 21 Jahren1858 – an dem Parteitag 1896 in Gotha teil. Unermüdlich leistete Heinrich, die gewerkschaftlich im Fabrikarbeiterverband organisiert war, besonders in Zittau und Löbau agitatorische und organisatorische „Kleinarbeit“. Es seien schließlich die „mit der Kinderzahl wachsenden mütterlichen Verpflichtungen [gewesen, die] verhinderten, daß Genossin Heinrich ihrer Begabung und Neigung entsprechend, sich ein größeres Wirkungsfeld in der Bewegung schaffen konnte“1859. Heinrich ist damit eine der wenigen von der „Gleichheit“ porträtierten Frauen, denen es nicht vollständig gelungen war, Mutterpflichten und Klassenkampf in idealem Maß gerecht zu werden. Umso verständlicher wird das erklärte Ziel der „Gleichheit“, ideale Voraussetzungen – kürzere Arbeitszeiten, bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten – zu erkämpfen, um mehr weibliches En- gagement in Politik und Gesellschaft möglich zu machen. Die Lösung dieser Probleme lag für sie und ihre MitarbeiterInnen im Sozialismus. Ebenfalls im Alter von 33 Jahren, an einer chronischen Bleivergiftung und Nierenentzündung starb Auguste Kadeit (?-1909/ 33-jährig). Bereits als Kind gezwungen, mitzuverdienen, weil ihr Vater früh verstorben war, musste Kadeit nach kurzer Schulzeit erst in einer Zigarren- und dann in einer Korkfabrik arbeiten. Nach Berlin umgezogen, wurde sie Metallarbeiterin. Durch diese Arbeit habe sie sich – „[w]ährend sie für andere Reichtümer sch[uf]“1860 – „den Keim der tödlichen Krankheit“1861 geholt, der sie später erlag. Anders als bei vielen anderen Sozialdemo- kratinnen, waren es anscheinend nicht die ihr nahe stehenden Personen, die Kadeit zur Arbeiterbewegung führten, sondern ihr bewusstes Wahrnehmen und Hinterfragen ihrer eigenen 1855Ebd. 1856Ebd. 1857Ebd. 1858Heinrichs Redebeitrag auf dem Parteitag befürwortete die Herausgabe allgemeinverständlicher Broschüren (vgl. ebd. und Heinrich im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 171). 1859Genossin Klara Heinrich †. In: GL, 13/ 22/ 21.10.1903/ 175. 1860Auguste Kadeit †. In: GL, 19/ 23/ 16.08.1909/ 361. 1861Ebd. 579 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Existenzbedingungen und ihre Lebenserfahrung. Die chronische Krankheit zwang Kadeit des Öfteren zur Bettlägerigkeit, welche sie jedoch zur Lektüre und Fortbildung genutzt habe. Ihr so gesammeltes Wissen gab sie an ihre Berufs- genossinnen weiter und bald wurde sie zur Agitatorin für die sozialistische Sache. Zu Beginn des Jahres 1909 sei sie nach einer Versammlung „von einer Gehirnerschütterung befallen“1862 worden und musste für sechs Wochen in das Krankenhaus des kleinen Ortes, in dem sie sich gerade aufhielt. Kaum erholt, seien es „ihr Pflichteifer und das Vertrauen ihrer Kolleginnen und Kollegen“1863 gewesen, die sie als Delegierte zur Generalversammlung der Metallarbeiter in Hamburg reisen ließen. Vermutlich ein fahrlässiger Fehler, denn aus Hamburg kehrte sie krank nach Berlin zurück, wo sie ihrem Leiden erlag. Der „Gleichheit“ ist Kadeit ein besonderes „Beispiel der geistigen und sittlichen Kraft, die in den proletarischen Frauen zum Licht drängt“1864. Die Jüngste in dieser Reihe junger sozialistischer Frauen ist Grete Brüggemann (?-1910/ 24- jährig). Sie starb nach Meinung der Verfasserin ihres Nachrufes, Relie Deffner (?-?), „in einem Alter, wo die Seele reich an Blütenträumen“1865 sei. Zur proletarischen Frauenbewegung habe sie durch den Wirkungskreis ihres Vaters gefunden, der als Gauleiter des Deutschen Textilarbeiter- verbandes tätig war. Der Tod des „liebenswürdige[n], stets heitere[n] Mädchen[s]1866 bedeute für die Frauenorganisation einen besonderen Verlust, denn die Entwicklung Brüggemanns habe zu „den schönsten Hoffnungen für eine fruchtreiche Arbeit im Dienste unserer Ideen berechtigt[…]“ 1867. Sie sei „um so schwerer zu ersetzen, als es nicht viele gibt, die in so jugendlichem Alter sich zu solch klarer Erkenntnis der Ziele der sozialdemokratischen Bewegung durchgerungen haben“1868. Brüggemann – laut Deffner eine „echte Proletariern“1869 – litt wie Tausende ihrer Klassengenossen an einer Proletarierkrankheit, an einem „langjährige[n], hartnäckige[n] Lungenleiden“1870, das auch in einem Sanatorium nicht geheilt werden konnte. Weder die qualvolle Krankheit noch 1862Ebd. Diese Beschreibung lässt eher nicht auf eine einfache Gehirnerschütterung in herkömmlicher Bedeutung schließen. 1863Ebd. 1864Ebd. 1865Deffner, Relie: Grete Brüggemann †. In: GL, 20/ 14/ 11.04.1910/ 220. 1866Ebd. 1867Ebd. 1868Ebd. 1869Ebd. 1870Ebd. 580 4.4.6 „[J]UNGE[…] FRAUCHEN“ – DIE JUNGE GENERATION ENGAGIERTER PROLETARIERINNEN „Sturm[…][,] Regen, […] Frost […][oder] Sonnenhitze“1871 hätten sie aber daran hindern können, vor den Fabriktoren und in den Straßen Flugblätter und Versammlungsaufrufe zu verteilen, um auf diese Weise „Aufklärung und Wissen unter die Arbeiterschaft zu tragen“1872. Wenn auch Brügge- manns Wirken „nach außenhin nicht so auffiel, war sie doch äußerst wertvoll“1873, denn ihre „unermüdlich[e] Kleinarbeit“ sei „für den Gesamterfolg unentbehrlich“1874 gewesen. Die Solinger SPD habe mit der jungen Margarete Ries (?-1922/ 25-jährig), so „M.A.“, eine „mutige, lebensfrohe Genossin“1875 verloren, die „immer an erster Stelle, selbstlos und rein“1876 der Bewegung gedient habe. Eine Grippeinfektion forderte mit der gerade erst 25-jährigen Ries ein Opfer, das „in seiner schlichten einfachen Art, frei von aller Kleinlichkeit, gewissenhaft als Kämpferin für den Sozialismus seinen Weg“1877 gegangen sei – den anderen Genossinnen damit „Ansporn und leuchtendes Vorbild“1878 war. 1871Ebd. 1872Ebd. 1873Ebd. 1874Ebd. 1875M.A.: Margarete Ries † In: GL, 32/ 02/ 15.01.1922/ 18. 1876Ebd. 1877Ebd. 1878Ebd. 581 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN 4.4.7 In erster Reihe – Führerinnen der deutschen proletarischen Frauenbewegung und Mitarbeiterinnen der „Gleichheit“ Die Zusammenstellung der bisherigen biographischen Skizzen deutscher Klassenkämpferinnen erfolgte nach einer mehr oder weniger aus den Artikeln heraus feststellbaren Hierarchie der von ihnen bekleideten Ämter. Von den Sympathisantinnen der Arbeiterbewegung und Pionierinnen der deutschen proletarischen Frauenbewegung aus der Zeit des Sozialistengesetzes bis zu den füh- renden Genossinnen der Frauenorganisationen, die sich vor allem nach 1890 engagierten. Im Folgenden werden nun die herausragenden Persönlichkeiten der proletarischen Frauenbewegung, die zudem eine große Rolle für die Gestaltung der „Gleichheit“ spielten, vorgestellt. Es sind dies sowohl Pionierinnen der 1890er Jahre als auch „Sozialdemokratinnen“ – wie sich Frauen im Grunde erst seit dem Reichsvereinsgesetz von 1908 bezeichnen konnten. Einige der Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung vereinigen in ihren Biographien beide Aspekte, waren sowohl führendes Mitglied der SPD als auch der proletarischen Frauenbewegung. Bevor nun diejenigen Pionierinnen vorgestellt werden, deren Wirken in direktem Zusammenhang mit der „Gleichheit“, ihrer Gründung und ihrer inhaltlichen Gestaltung steht, soll eine besondere Biographie vorangestellt werden. Eine Biographie, die sowohl innerhalb der aktuellen Bericht- erstattung der „Gleichheit“ als auch innerhalb dieser Sammlung von Frauenbiographien einen besonderen Fall darstellt. Zetkin war der Meinung, dass im Befreiungskampf des deutschen Prole- tariats „eine Menge idealer Gestalten an die Oberfläche [tauchen], die an Charaktergröße, an Adel der Gesinnung, an Energie des Willens und selbstverleugnender Pflicht- treue den Besten aller Zeiten zur Seite gestellt werden können“1879. Eine dieser idealen Gestalten sei Agnes Wabnitz (1841-1894)1880 gewesen. Allerdings war Wabnitz auch eine besonders eigentümliche Persönlichkeit der proletarischen Frauenbewegung, deren Einsatz für die Bewegung über ein gesundes Maß – im wahrsten Sinne des Wortes – hinausging und von Zetkin nicht ohne Skepsis gesehen wurde. Auch Wabnitz habe dem „hehren Ideal einer sonnenreichen Zukunft für Alle“1881 entgegengestrebt. Sie sei mit einem „ehrlichen, leiden- schaftlichen Haß gegen die heutigen ungerechten Gesellschaftsverhältnisse beseelt“1882 gewesen 1879Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 147. 1880Das in der „Gleichheit“ und auch auf dem Grabstein Wabnitz‘ angegebene Geburtsjahr 1842 ist anscheinend falsch. Der Autor Klaus Kühnel bezieht sich dabei auf die 1841 erschienene Weihnachtsausgabe des „Ober- schlesischen Wanderers“ (1828-1945) – der Heimatzeitung des Geburtsortes Wabnitz‘ –, in welcher deren Geburt bekannt gegeben wurde (vgl. Kühnel, Wanderrednerin der SPD). 1881Ebd. 1882Ebd. 582 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ und habe „Aufopferung und Hingabe“1883 „mit einer Selbstlosigkeit, die bis zur vollständigen Selbstverleugnung ging“1884, bewiesen. Ausgestattet mit einem „scharfen, schlagfertigen Geist“1885 und rednerischem Talent habe sie alle Voraussetzungen gehabt, eine besondere Führungskraft der proletarischen Frauenbewegung zu werden. In ihren letzten Lebensjahren trat in ihrem Wesen jedoch ein „krankhafter Zug“1886 hervor. Dieser neue Wesenszug und die drohende Inhaftierung in ein Irrenhaus trieben Wabnitz zum Suizid – jedoch habe sie sich nicht, so betonte Zetkin, als „Müde und Verzweifelte“1887, sondern als „kühl Entschlossene“1888 das Leben genommen. Wabnitz wurde als Tochter eines wohlhabenden Hotelbesitzers im oberschlesischen Gleiwitz geboren. Ihre Mutter entstammte polnischem Adel, dessen Familiennamen jedoch selbst lang- jährige Kampfesgenossinnen Wabnitz‘ nie erfahren haben. Sie hatte zwei Brüder und eine Schwester, die reich geheiratet haben soll. Um die Pflege der später gelähmten Mutter musste sich jedoch Wabnitz ganz allein kümmern. Da einer ihrer Brüder trunk- und spielsüchtig war und das Geld der Familie nahezu durchgebracht hatte, war Wabnitz gezwungen, als so genannte „Bon- ne“ 1889 in Russisch-Polen erwerbstätig zu sein. Zusätzliches Geld verdiente sie mit Handarbeiten. Dann zog sie nach Berlin und verdiente den Lebensunterhalt für sich und ihre Mutter, sowie für die Familie eines ihrer Brüder durch Näharbeiten. Bevor sie sich der proletarischen Frauenbe- wegung anschloss, war sie in der freireligiösen Gemeinde und dann in der bürgerlichen Frauen- bewegung aktiv gewesen. 1882 wurde sie Mitglied des englischen Sittlichkeitsbundes, trat bald darauf jedoch wieder aus. Im selben Jahr hörte sie einen Vortrag Johanna Weckers. Von diesem inspiriert beteiligte sich Wabnitz 1883 an der Gründung des Berliner „Frauenhilfsvereins“.1890 Diese Informationen zu Wabnitz‘ familiärer Herkunft stammen nicht aus dem anfangs zitierten Nachruf Zetkins, sondern aus dessen Berichtigung.1891 Zetkin hatte einige der in ihrem ersten Artikel veröffentlichten Informationen korrigieren müssen. Die korrekten Angaben entnahm sie selbst dem Artikel „Wie Agnes Wabnitz Sozialistin wurde“ aus Nr. 33 des „Sozialdemokrat“. Es war u. a. nicht richtig, dass Wabnitz eine geringe, orthodox religiös geprägte Bildung genossen habe, sie hatte im Gegenteil eine gute Schulbildung genossen. Hatte Zetkin in ihrem ersten Artikel noch werbewirksam behauptet, Wabnitz‘ Verlobter sei im deutsch-französischen Krieg 1870/71 1883Ebd. 1884Ebd. 1885Ebd. 1886Ebd. 1887Ebd. 1888Ebd. 1889„Bonne“ ist ein Synonym für Kindermädchen, Gouvernante oder Erzieherin. 1890Vgl. Berichtigung zu dem Artikel „Agnes Wabnitz“ in Nr. 19 der „Gleichheit“! In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 163. 1891Ebd., S. 163-164. 583 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN gefallen und dies sei ausschlaggebend für ihr erwachendes Klassenbewusstsein gewesen, so musste sie in der Berichtigung veröffentlichen, dass Wabnitz in Wahrheit ihre Verlobung gelöst hatte. Dies zudem weil ihr Verlobter eines Sittlichkeitsvergehens schuldig geworden war.1892 Nach dieser etwas verwirrenden Einführung in die Biographie Agnes Wabnitz‘ nun zu ihrem Wirken für die proletarische Frauenbewegung: Wabnitz habe eine „wahre Samariternatur“1893 besessen und viele finanzielle Opfer gebracht, um Menschen in Not zu helfen. Sie unterstützte zudem die politische und gewerkschaftliche Agita- tion, hielt Zeitungsabonnements und las Parteiliteratur zum Studium der Sozialwissenschaften. Ihr sei eine „beispiellose Bedürfnislosigkeit“1894 und „große Willensstärke“1895 eigen gewesen. In den 1880er Jahren nahm Wabnitz regen Anteil an der Gründung des „Vereins der Arbeiterinnen Berlins (Nord)“ und des „Vereins der Mantelnäherinnen“ – den Wurzeln der Berliner Frauen- agitation und -organisation. In letzterem Verein war sie Vorstandsmitglied und wurde als solches anlässlich seines Verbotes zu einer Geldstrafe verurteilt. Wabnitz reiste als Agitatorin durch Deutschland, um „den Enterbten das Evangelium des Sozialismus zu bringen“1896, um aus „Opfern der Gesellschaft von heute […] Streiter[…] für die Gesellschaft von morgen“1897 zu machen. Ihre Wirkung habe nicht nur in ihrem rednerischen Talent, sondern vor allem in ihrem Vorbild, dem „Beispiel ihrer Person“1898 bestanden. 1891 wurde sie in Frankfurt am Main erstmals zu einer Haftstrafe verurteilt. Das Urteil lautete „nur“ auf eine Woche Gefängnis. Es wurde jedoch eine Woche, in der Wabnitz jegliche Nahrungsaufnahme verweigerte, um gegen die widerrechtliche Freiheitsentziehung, gegen die Macht des Klassenstaates passiven Widerstand zu leisten. In den von Zetkin verfassten Nachruf lassen sich nun die ebenfalls von ihr verfassten Notizen einflechten, mit der die „Gleichheit“ die letzten Ereignisse auf Wabnitz‘ Lebensweg zeitnah be- gleitete. Es sind mehrere kleine, in der Rubrik „Arbeiterinnenbewegung“ erschienene Notizen, die über die Verhaftung und Gefängniszeit Wabnitz‘ berichten und auf die Zetkin auch in ihrem Nach- ruf verwies. Am 11.07.1892, so berichtete die „Gleichheit“, wurde Wabnitz wegen „wiederholter Majestätsbeleidigung und Beschimpfung von Einrichtungen der christlichen Kirche“1899 zu einer 1892Vgl. Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 147 und Berichtigung zu dem Artikel „Agnes Wabnitz“ in Nr. 19 der „Gleichheit“! In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 163. 1893Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 148. 1894Ebd. 1895Ebd. 1896Ebd. 1897Ebd. 1898Ebd. 1899[Ohne Titel. In:] GL, 02/ 15/ 27.07.1892/ 126. 584 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ Gefängnisstrafe von zehn Monaten verurteilt.1900 Wabnitz wollte dieses Urteil aber nicht ohne Weiteres akzeptieren. Erneut entschloss sie sich zum passiven Widerstand und leistete den Eid, im Gefängnis weder zu essen, noch zu trinken. Dieser Hungerstreik führte dazu, dass sie in die Berliner Charité überführt wurde. Dort wurde sie mit durch einen Gummischlauch eingeflößten Brei zwangsernährt.1901 Zetkin missbilligte diesen Hungerstreik Wabnitz‘ prinzipiell, d. h. „vom sozialistischen Standpunkt aus“1902. Jeder wisse, dass Wabnitz eine gesinnungstreue, unermüdliche und aufopfernde Genossin sei. „Wozu also eine Demonstration, welche der Arbeiterfrage absolut nichts nützt, im Gegentheil, wäre sie durchgeführt worden, ihr eine tüchtige Kraft geraubt hätte? Den Gegnern der Arbeiterbewegung könnte jedenfalls kein größerer Liebesdienst erwiesen werden, als wenn alle Agitatoren und Agitatorinnen bei Verurtheilung das gleiche Gelöbnis ablegten wie Frl. Wabnitz und es auch durchführten.“1903 Deshalb machte sie sich selbst und den Leserinnen das Verhalten Wabnitz‘ als eine Auswirkung einer ihr eigen gewordenen „nervöse[n] Ueberreizung“1904 begreiflich. Einige Wochen später konnte die „Gleichheit“ schließlich berichten, dass Wabnitz den Hungerstreik aufgegeben und die Zwangsernährung damit aufgehört habe.1905 Zetkin wiederholte, dass Wabnitz‘ selbstzerstörerische Aktion, wäre sie nicht abgebrochen worden, nur den Gegnern der Arbeiterbewegung genutzt hätte.1906 Im Januar 1893 stand die Entlassung Wabnitz‘ aus der Krankenabteilung Dalldorf kurz bevor. Ihre Untersuchungshaft, die sie wegen angeblicher Fluchtgefahr sofort hatte antreten müssen, war zwar bereits im Oktober 1892 aufgehoben worden, der Staatsanwalt hatte Wabnitz jedoch wegen ihres Hungerstreiks für „gemeingefährlich geisteskrank“ erklärt. Aus diesem Grund sah sich die Krankenabteilung nicht befugt, sie zu entlassen. Obwohl also die Untersuchungshaft ausgesetzt worden war, hielt man sie widerrechtlich in der Charité fest und es erfolgte eine Überführung als „gemeingefährliche Geisteskranke“1907 in das „Irrenhaus“ in Dalldorf. Angesichts dieser ungesetzlichen Behandlung schrieb Zetkin ironisch: „Gewiß wäre eine Bourgeoisdame, welche sich der gleichen Exzentritäten wie Fräulein Wabnitz schuldig gemacht hätte, ebenso behandelt worden wie die sozia- listische Agitatorin. Alle Preußen sind ja vor dem Gesetz gleich, und wer‘s nicht 1900Ebd. 1901[Ohne Titel. In:] GL, 02/ 16/ 10.08.1892/ 133. 1902Ebd. 1903Ebd. 1904Ebd. 1905Vgl. [Ohne Titel. In:] GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 181. 1906Vgl. ebd. 1907Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 149. 585 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN glaubt, zahlt einen Thaler.“1908 Es sei schließlich der „Aufenthalt unter Geisteskranken“1909 gewesen, der die ohnehin an ihr auf- fällig gewordene „hochgradige Erregung“1910 noch gesteigert habe. Aus Furcht, die Irrenanstalt nie wieder verlassen zu können, versuchte sie gerade an jenem Tage, an dem ihre Entlassung erreicht werden sollte, sich das Leben zu nehmen. Doch auch damit nahm die Schikane der Behörden kein Ende. Der Staatsanwalt wollte sie als Geisteskranke entmündigen lassen, das Gericht bestätigte erneut die Strafe von zehn Monaten Haft und nicht ein einziger ihrer bisherigen Hafttage sollte auf die Strafe angerechnet werden. Daraufhin vergiftete sich Wabnitz auf dem Friedhof Friedrichshain, demjenigen Friedhof – wie Zetkin vieldeutig erwähnte – auf dem die 1848-Revo- lutionäre Berlins begraben wurden.1911 Dieser Friedhof war noch ein Jahr zuvor Schauplatz einer Märzfeier gewesen, anlässlich welcher zahlreiche Blumengebinde durch die Vertreterinnen verschiedener Frauenvereine auf den Gräbern der Märzgefallenen niedergelegt worden waren. Der Blumenkranz der Frauenagitationskommission trug ein von Wabnitz verfasstes Gedicht – Wabnitz selbst hatte an der Feier nicht teilgenommen, weil sie noch von einer Operation geschwächt war: „‘Wer für des Volkes Freiheit starb, Lebt fort, wär‘ er auch todtgeschossen. Das ‘Unvergessen’ er Erwarb, Für Freiheit ist sein Blut geflossen. Des Volkes Tochter nahet still Dem Hügel, der den Leib Euch deckt, Mit einem Kranz sie danken will, Daß Ihr der Freiheit Geist erweckt!’“1912 Es scheint sich hier bereits eine Todessehnsucht der Arbeiterführerin auszudrücken. In ihrem Nachruf auf Wabnitz betonte Zetkin aber nochmals, dass es nicht die Furcht vor zehn Monaten Gefängnishaft gewesen sei, die Wabnitz in den Tod getrieben habe – hatte sie doch zuvor „unerschrocken und treu lange Jahre allen Gefahren des Kampfes gegen die übermächtige kapitalistische Gesellschaft getrotzt“1913. Wabnitz sei entschlossen gewesen, die Gefängniskost ein weiteres Mal zu verweigern und sie habe gewusst, dass dies abermals die Überführung ins „Irrenhaus“ mit sich gebracht hätte. Es war die sichere Erwartung, „als Gesunde unter Irre gesperrt zu werden, in der Folge die Umnachtung 1908[Ohne Titel. In:] GL, 03/ 02/ 25.01.1893/ 12. 1909Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 149. 1910Ebd. Zetkin diagnostizierte Wabnitz‘ Leiden als „Neurasthenie“ (ebd., S. 149). 1911Wabnitz hinterließ einer Freundin einen Abschiedsbrief, in dem sie schrieb: „‘Liebe Frau M. Ich ruhe im Friedrichshain nahe dem Krankenhaus auf unserem Freiheitsacker. Mit Gruß Ihre G…’“ (ebd., S. 148). 1912Nachtrag zur Märzfeier. In: GL, 03/ 07/ 19.04.1893/ 60-61. 1913Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 149-150. 586 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ des Geistes befürchten zu müssen“1914, die Wabnitz den letzten Ausweg im Suizid sehen ließ. „Mit Agnes Wabnitz“, so Zetkin, habe „die deutsche zielbewußte Arbeiterklasse ihre Louise Michel verloren, der Heldin der Kommune ebenbürtig an Idealismus und Ehrlichkeit der Gesinnung, an Selbst- losigkeit des Strebens, an Begeisterung, Opferfreudigkeit und nicht ermattender Energie, wie sie auch leidend unter den Fehlern ihrer Vorzüge, ihr ähnlich in dem und jenem eigenartigen Zuge des Wesens. Nur Eins hat ihr gefehlt, damit die Aehn- lichkeit scharf zu Tage trat, damit ihr Name von Mund zu Mund über den Erdball flog, von den Einen mit Bewunderung und Liebe, von den Anderen mit Haß genannt: der große tragische geschichtliche Hintergrund.“1915 Aber auch sie würde nie vergessen werden und stelle angesichts ihrer „Bürgertugenden so manchen Helden mit und ohne Krone tief in den Schatten“1916. Wabnitz sei eine der „talent- vollsten, opfermuthigsten, charakterfestesten und eifrigsten Vorkämpferinnen“1917 gewesen, „von ungewöhnlicher Herzensgüte und Wärme des Empfindens“1918. Wabnitz‘ Beerdigung wurde – trotz Polizeiverbot – zu einer sozialdemokratischen Massen- demonstration. Dies beschreibt ein Artikel, den Zetkin dem „Vorwärts“ entnahm und in der „Gleichheit“ veröffentlichte: Zehntausende ProletarierInnen, über tausend Kränze vom Partei- vorstand der SPD, von Redaktion und Expedition des „Vorwärts“ und des „Sozialdemokrat“, von Verlag und Druckerei, von Parteigenossen, Wahlvereinen, Gewerkschaften, Werkstätten und Fabriken. Des Weiteren Kränze von all den Organisationen, denen die Verstorbene persönlich angehört hatte: Von der Frauenagitationskommission, vom Frauen- und Mädchen-Bildungsverein, von der Organisation der Schneider und Schneiderinnen Berlins. Tausend Trauerkränze für Wab- nitz waren auch tausend „‘Arbeitergroschen, doch gern gegeben, als schwacher Ausdruck der Gefühle, die Jeder und Jede in sich trug’“1919. Bis zum Anbruch der Dunkelheit seien die Massen – geschätzte 40.000 bis 45.000 Personen – an ihrem Grab vorbeigeströmt, um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Ein außergewöhnliches Ausmaß anlässlich der Beerdigung einer Selbstmörderin, für das schließlich der „Vorwärts“ die beste Erklärung ergibt: „‘Durch den Verlauf dieser imposanten Todtenfeier ehrte das arbeitende Volk nicht nur das Opfer der heutigen Zustände, die Kämpferin für Wahrheit und Recht, sondern auch sich selbst. Das Volk ist frei von jener Heuchelei, die vor der ‘Selbst- mörderin’ drei Kreuze schlägt.’“1920 1914Ebd., S. 149. 1915Ebd., S. 150. 1916Ebd. 1917Agnes Wabnitz †. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 148. 1918Ebd. 1919„Vorwärts“ zit. nach: Ebd., S. 149. 1920„Vorwärts“ zit. nach: Ebd. 587 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Abgesehen von ihrer überspannten Persönlichkeit, die irgendwie nicht in das Idealbild der „Klas- senkämpferin“ passen will, war Wabnitz ein besondere „Agitationsgröße“. Ihr Schicksal war eine Demonstration gegen die Polizei, gegen die Justiz, gegen die in ihren Diensten stehende Ärzte- schaft und nicht zuletzt gegen die Kirche, die den Suizid ächtete, indem sie die Bestattung in geweihtem Boden verweigerte. Nur einige Wochen nach Wabnitz‘ Tod veröffentlichte die bürgerliche Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Bertha Glogau (1849-?)1921 eine Broschüre zum Leben der Sozialdemokratin. Zetkin warnte jedoch die „Gleichheit“-Leserinnen nachdrücklich vor dem Kauf dieser Broschüre. Sie würden „mit ihren sauer ersparten Groschen“1922 nur ein „ganz werthlose[s] Machwerk“1923 kaufen. Glogau ließe sich auf 35 Seiten für 50 Pfennig lediglich in „sentimental-überschweng- liche[n], hohle[n], zum Theil geradezu sinnlose[n] Deklamationen“1924 über die Persönlichkeit Wabnitz‘ aus. Sie mache aus ihr eine „süßlich-rührselige[…] Romanfigur“1925. Wabnitz‘ Ideale würden „zu einer platten, farblosen, einseitigen Moralmeierei verballhornisiert“1926. Wäre Wab- nitz, so Zetkins Argumentation, tatsächlich die in der Broschüre als verschroben dargestellte Persönlichkeit gewesen, „so wäre ihr Wirken und ihr Erfolg innerhalb der deutschen sozialistischen Arbeiterbewegung ein Ding der Unmöglichkeit gewesen“1927. Auch hier macht sich, wie bereits bei den Kämpferinnen der ersten Stunde festgestellt, ein „qualitativer“ Rückschluss vom Charakter der Mitglieder auf den Charakter der Partei, von dem Charakter der Partei auf den Charakter der Mitglieder deutlich. Indem Zetkin Wabnitz verteidigte, verteidigte sie auch die Sozialdemokratie. Wabnitz blieb auch ohne diese Broschüre unvergessen. Ein Jahr später veröffentlichte die „Gleich- heit“ unter dem Titel „Das Proletariat vergißt seine Todten nicht“ einen Artikel zu ihrem ersten Todestag. Unter Beteiligung vieler Vereine und eines Gesangsvereins wurde ihr zu Ehren ein aus Sandsteinblöcken zusammengesetztes Denkmal mit Granitplatte enthüllt. Die Sandsteinblöcke stellten eine Felsenpartie dar, die „symbolisch zerrissen und zerklüftet, eckig und kantig“1928 sei. 1921Bertha Glogau, geboren in Königsberg und Tochter eines Kriegsrates, verfasste vornehmlich Essays und Kritiken und war Mitarbeiterin der Berliner „Nationalzeitung“ (1848-1938) und des „Deutschen Montagsblatts“ (1877- 1888; außerdem nachgewiesen 1934). Kühnel bezeichnet sie als „Freundin“ der verstorbenen Wabnitz‘ (vgl. Kühnel, Wanderrednerin der SPD). 1922Agnes Wabnitz. Von B. Glogau. Eine Frauenstimme aus der Bourgeoisie. In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 168. 1923Ebd. 1924Ebd. 1925Ebd. 1926Ebd. 1927Ebd. 1928Das Proletariat vergißt seine Todten nicht. In: GL, 05/ 20/ 02.10.1895/ 154. 588 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ Ob diese Symbolik eher für die Persönlichkeit Wabnitz‘ oder für die Arbeiterbewegung stehen sollte, wird nicht erklärt. Nur eine kleine Notiz war die erste Reaktion der „Gleichheit“ auf den Tod Gertrud Guillaume- Schacks (1845-1903), einer besonders zentralen Persönlichkeit der deutschen Frauenbewegung. In dieser Notiz gab die „Gleichheit“-Redaktion bekannt, dass sie eine entsprechende Nachricht erst fünf Monate nach Guillaume-Schacks Tod erreicht habe. Es müsse nun erst „zuverlässiges Material“1929 zum „Wirken und der Persönlichkeit dieser tapferen, großherzigen Frau“1930, zu dieser „Bahnbrecherin[…] der ersten, schwersten Stunden“1931 der proletarischen Frauenbewegung gesammelt werden. Schließlich wolle die „Gleichheit“ gewissenhaft und in treuer Dankbarkeit der Verstorbenen „einen vollen Lorbeerkranz widme[n]“1932 – auch wenn Guillaume-Schack später die SPD verlassen habe und „in anarchistelnder Eigenbrödelei ihre Pfade“1933 gegangen sei. Es dauerte jedoch weitere sechs Monate bis die „Gleichheit“ schließlich einen besonders gewis- senhaft ausgearbeiteten Nachruf veröffentlichte. Verfasserin dieses Nachrufes war Marie Hof- mann, die selbst zu den Führerinnen der deutschen proletarischen Frauenbewegung zu zählen ist. Guillaume-Schack, diese „Adlige, deren Herz und Geist auch von hohem Adel war“1934, sei zugleich eine Frau „aus dem Volke [gewesen], die durch tatkräftigen Opfermut einen dauernden Platz in der Geschichte der sozialdemokratischen Partei erworben“1935 habe. Sie wurde als Tochter des Grafen und der Gräfin Schack im oberschlesischen Beuthen geboren und verlebte dort eine glückliche Jugend. Dies nicht zuletzt, weil ihr Vater „jede selb- ständige Geistesregung seiner Kinder ermutigt[…]“1936 habe und sich so ihre Persönlichkeiten voll entfalten konnten. In der Schweiz lernte Guillaume-Schack den jungen Künstler Guillaume ken- nen. Sie heiratete ihn und beide zogen nach Paris um. Da jedoch die Ehe keine glückliche war, trennte sie sich nach kurzer Zeit wieder von ihrem Ehemann. Guillaume-Schack, so Hofmanns Überzeugung, sei „zu wahrhaftig [gewesen], um an einem Irrtum des Herzens der Konvenienz halber lebenslang festzuhalten“1937. 1929Frau Guillaume-Schack †. In: GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 22. 1930Ebd. 1931Ebd. 1932Ebd. 1933Ebd. 1934Hofmann, Marie: Gertrud Guillaume-Schack. In: GL, 14/ 13/ 15.06.1904/ 99. 1935Ebd. 1936Ebd. 1937Ebd. Das gute Verhältnis Guillaume-Schacks zu ihren Schwiegereltern belege ihre Schuldlosigkeit an der 589 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN In Paris engagierte sich Guillaume-Schack im, so Hofmann, „Britisch-kontinentalen Bund“ für die Abschaffung der Sittenpolizei, die mit ihren erniedrigenden Untersuchungen Prostituierte drangsalierte und stigmatisierte. Hofmann meinte dieses erste Tätigkeitsfeld Guillaume-Schacks rechtfertigen zu müssen, indem sie schrieb: „Der tüchtige und energische Mensch widmet sich zunächst der ersten guten Sache, die Arbeit braucht, ohne sich lange zu bedenken.“1938 Guillaume-Schack kehrte in ihr Elternhaus zurück und gründete in Beuthen den Hauptverein des „Kulturbundes“, in dem sie sich auch weiterhin der Prostituiertenfrage annahm. Im Vergleich zu den Organisationen anderer Länder hatte er jedoch kaum öffentliche Resonanz. Erst 1882 gründete sich ein Zweigverein und trotz zahlreicher Agitationsreisen blieb die Anhängerschaft gering. Während die abolitionistischen Bewegungen anderer Länder oft von führenden Persön- lichkeiten aus Politik und Gesellschaft getragen wurden, erachtete man das Thema in Deutschland als unsittlich oder zu politisch. 1883 jedoch wurde in Berlin ein weiterer Zweigverein gegründet. Hofmann vermutet, dass das zunehmende Interesse mancher Personen an dem Verein und manche Rücksichtnahme der Behörden nur in der adeligen Abstammung seiner Vorsitzende begründet war: „[D]er Philister beider Geschlechter hörte lieber die Gräfin als eine Bürgerliche, er verzieh ihr auch leichter ihre ‘Extravaganz’“1939. Guillaume-Schack geriet jedoch immer mehr in Konflikt mit der Inkonsequenz und den bürgerlichen Vorurteilen innerhalb ihrer eigenen Organisation. Auch dass der „Korrespondent“ (1887-1921)1940, das offizielle Organ des Britisch-kontinentalen Bundes, einen Artikel mit dem Titel „Die meisten Dirnen sind Sozialdemokratinnen“ veröffentlichte, ließ Guillaume-Schack schließlich erkennen, dass sie nicht am richtigen Platz war. Guillaume-Schack wandte sich nun „mehr und mehr an das Volk, welches“, so Hofmann, „zugänglicher für gerechte Klagen und Forderungen [sei] als die höheren Klassen“1941. Ihre „gewinnende[…] Persönlichkeit“1942 und ihr ernstes und würdevolles Auftreten, schlugen die Brücken zum Proletariat. Doch war die Gräfin nicht vorbereitet auf die Konfrontation mit dessen revolutionärer Überzeugung, dass nur eine Ver- änderung der wirtschaftlichen Umstände eine Besserung einzelner Missstände bringen könne. Wie manche anderen aus dem Bürgertum stammenden Frauen habe auch Guillaume-Schack eine Trennung (vgl. ebd.). 1938Ebd. 1939Ebd., S. 100. 1940Es ist anzunehmen, dass es sich hierbei um „Der Korrespondent für das Rettungswerk an den Gefallenen und für die Arbeit zur Hebung der Sittlichkeit“ herausgegeben vom Vorstand des Westdeutschen Sittlichkeitsvereins Mülheim a.d. Ruhr handelte. 1941Ebd. 1942Ebd. 590 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ „naturgemäße“1943 Entwicklung durchmachen müssen, um diese Überzeugung teilen zu können. Die Unterdrückung der Frau erkennend, hatte sie ihre Tätigkeit in der Frauenbewegung begonnen, eine „notwendige logische Entwicklung“1944, so Hofmann, musste sie zur Sozialdemokratie führen. 1885 gründete Guillaume-Schack den „Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen“, der allerdings bedingt durch das Vereinsrecht „natürlich auf ganz unpolitischer Grundlage“1945 habe beruhen müssen. Später zog sie wegen der vorteilhafteren politischen Umstände ins hessische Offenbach um. Hier existierte bereits eine vor allem von Frauen gestützte freiwillige Hilfskasse für Portefeuillearbeiter, die Guillaume-Schack in die „Central-Kranken- und Begräb- nißkasse für Frauen und Mädchen in Deutschland“ umwandelte. Dies war die Trägerin der bereits dargestellten Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, die laut Hofmann für Folgendes stand: „Nicht fromme Redensarten, sondern Tatsachen wurden geboten, nicht demütige Ergebung in Gottes Willen, sondern redliches und tapferes eigenes Streben – das predigte die ‘Staatsbürgerin’.“1946 Die Umstände unter denen diese Zeitschrift zusammen mit den drei wichtigsten Berliner Frauenvereinen verboten wurde, wurden bereits beschrieben. Guillaume-Schack kam gerade von einem Kongress des Britisch-kontinentalen Bundes aus London nach Offenbach zurück, als sie von ihrer Ausweisung in Kenntnis gesetzt wurde. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Schweiz ließ sich Guillaume-Schack in London nieder. In England hatte sie jedoch große Schwierigkeiten, ihr Wirken fortzusetzen. Der Ton der Briefe, die sie an Hofmann schrieb, habe „immer mehr eine resignierende Färbung“1947 angenommen und „Arbeitsmüdigkeit“1948 ausgedrückt. Das Exil in England, so Hofmanns These, habe auf fast jede sozialdemokratische Gesinnung einen negativen Einfluss gehabt. Viele „weniger widerstandsfähige Naturen“1949 hätten sich dort von der „selbst- süchtig-realistische[n] Strömung, die das ganze öffentliche Leben durchdringt und lenkt“1950 täuschen lassen. „Es lieg[e]“, so Hofmann, „ein feiner betäubender Duft in der englischen Luft, der verhängnisvoll auf den deutschen Idealisten wirk[e]“1951. So auch auf Guillaume-Schack, die 1943Ebd. 1944Ebd. 1945Ebd. 1946Hofmann, Marie: Gertrud Guillaume-Schack. (Schluß.). In: GL, 14/ 14/ 29.06.1904/ 107. 1947Ebd. 1948Ebd. 1949Ebd. 1950Ebd. 1951Ebd. 591 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN eine „deutsche Idealistin […] in des Wortes schönster und bester Bedeutung“1952 gewesen sei. Dies ist wohl auch als eine Erklärung für Guillaume-Schacks Verbindungen zur englischen Anarchie zu sehen. Was Guillaume-Schack, die „froh und ruhig“1953 nach langem, still erduldetem Leiden entschlief, der deutschen proletarischen Frauenbewegung und was diese für Guillaume-Schack war, fasst Hofmann wie folgt zusammen: „Ihre froheste Zeit, ihre Sonnentage sind es gewesen, als sie im Kampfe für Frei- heit und Recht auf dem vorgeschobenen Posten stand, viele durch die Kraft ihres Wortes, durch die gewinnende Liebenswürdigkeit ihres ganzen Wesens mit sich riß und die Bewegung der Proletarierinnen mit einheitlichem Streben erfüllte. Ihre Tätigkeit hat kurz gedauert, aber reiche Früchte getragen. In einer Zeit, da alles still geworden, hat sie der Arbeiterinnenbewegung neues Leben eingehaucht.“1954 Und selbst der Umstand, dass sich Guillaume-Schack in ihren letzten Lebensjahren den „Theo- sophen“1955 anschloss, war nach Meinung Hofmanns „durch die Aufrichtigkeit einer Natur bedingt, die von den hergebrachten Formen ließ, wenn eine neue ihrem Geiste oder ihrem Gemüt mehr Befriedigung bot“1956. Dies ist wiederum eine Charakterisierung, die Guillaume-Schack nicht unbedingt zu den gesinnungsreinsten Klassenkämpferinnen zählen lässt. Vor allem optisch ist der in der „Gleichheit“ veröffentlichte Nachruf auf Emma Ihrer (1857- 1911) eine Besonderheit. Der das ganze Titelblatt füllende Text ist in einen schwarzen Rahmen gesetzt und Ihrers Name auffällig groß gedruckt. Zetkin, die diesen Nachruf verfasst haben dürfte, nimmt mit ihm Abschied nicht nur von einer „langjährigen Freundin“1957, sondern auch von einer „rastlosen Kampfgenossin, […] glänzenden Agitatorin und Organisatorin, […] anregenden Beraterin unserer Frauenbewegung und einer ihrer verdienstvollsten Begründerinnen“1958. Doch auch diese Vielzahl von Zuschreibungen könne nicht den „richtigen Maßstab“1959 für die Bedeutung Ihrers geben. „[N]ur die genaue Kenntnis der Geschichte unserer Bewegung, die in 1952Ebd. 1953Ebd., S. 108. 1954Ebd., S. 107. 1955Die Theosophie ist eine esoterische Strömung, die sich u. a. mit der Unsterblichkeit des menschlichen Ich, Re- inkarnation, Astrologie und Askese beschäftigt und das Weltgeschehen als einen göttlichen Prozess deutet (vgl. Metzler-Philosophie-Lexikon, S. 596). 1956Ebd. 1957Emma Ihrer †. In: GL, 21/ 08/ 16.01.1911/ 113. 1958Ebd. 1959Ebd. 592 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ ihrem Werden und Wachsen aufs innigste mit Genossin Ihrers Tätigkeit verbunden ist“1960, so Zetkin, könne deren Bedeutung ermessen lassen. Deshalb stellte Zetkin an den Anfang des Nach- rufes einen Einblick in den politischen Werdegang Ihrers. Sie, deren „starke[r], arbeitsfrohe[r] Lebenswille“1961 nun durch eine wochenlange kräftezehrende Krankheit gebrochen war, sei eine der ersten Frauen gewesen, die „[w]egweisend, aufbauend […] erwecken[d], sammeln[d] und erziehen[d]“1962 in der organisierten proletarischen Frauenbewegung wirkten. Den Schwierig- keiten, die „durch die Härten des Sozialistengesetzes verzehnfacht und verhundertfacht“1963 worden seien, sei sie „mit unvergleichlicher Tatkraft und Opferwilligkeit“1964 entgegengetreten. Zetkin nutzte an dieser Stelle die Gelegenheit, sich kritisch zu den – damaligen – frauenfeind- lichen Tendenzen innerhalb der Parteiführung zu äußern: „Obgleich sich die sozialistische Arbeiterbewegung von ihrem Ursprung an in der Theorie zu voller Gleichberechtigung der Geschlechter bekannte, so setzte sich doch – erklärlich genug – nicht bloß innerhalb der proletarischen Massen, sondern auch in ihrer kämpfenden Vorhut die Praxis des Grundsatzes nur allmählich und nicht ohne Reibungen durch.“1965 Auch wenn sich Ihrer um soziale Reformen bemüht habe1966, so habe sie doch als eine der „allerersten, […] [die] Tragweite der gemeinsamen gewerkschaftlichen Organisierung und Schulung der Arbeiterschaft aller Berufe ohne Unterschied des Geschlechts“1967 erkannt. Es sei „dem ganz persönlichen Verdienst der unablässigen Aufklärungsarbeit“1968 Ihrers zu verdanken, dass schließlich immer mehr Gewerkschaften weibliche Mitglieder aufnahmen. Von ihr seien „zahllose fruchtbare Anregungen“1969 ausgegangen, um „die Werbekraft der Gewerkschaften auf das weibliche Proletariat zu steigern, die Mitarbeit der weiblichen Mitglieder zu erleichtern und zu vertiefen“1970. Ihrers Erziehungsarbeit wiederum sei es zu verdanken, dass aus den zahlenden Neumitgliedern auch „verstehende[…], tätige[…] Gewerkschafterinnen“1971 wurden. Sie war Gründerin des Arbeiterinnensekretariats der Gewerkschaften und vieler gewerkschaft- 1960Ebd. 1961Ebd. 1962Ebd. 1963Ebd. 1964Ebd. 1965Ebd. 1966Ebd. 1967Ebd. 1968Ebd. 1969Ebd. 1970Ebd. 1971Ebd. 593 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN licher Unterrichtskurse für Frauen. Gleichzeitig war sie von Beginn an „beratend, agitierend, sammelnd“1972 an der politischen Organisation der Proletarierinnen beteiligt. Sie engagierte sich erst in den kurzlebigen Frauenvereinen, dann für den Aufbau des Vertrauenspersonensystems. Eine von Ihrer „wieder und wieder dringlich gewünschte Institution“1973 war das Frauenbüro. Sie wurde wie bereits beschrieben Begründerin und Herausgeberin der ersten sozialdemokratischen Frauenzeitschrift Deutschlands – der „Arbeiterin“ – und leitete dieses „treffliche Agitations- blatt“1974 „unter großen persönlichen Opfern“1975. Neben ihrer Redaktions- und Gewerkschafts- arbeit wirkte Ihrer in den vielfältigsten Bereichen. Sie war maßgeblich an der Entwicklung der Frauenbildungsvereine, den Vorläuferinnen der Lese- und Diskussionsabende, beteiligt. Auch die genossenschaftliche Bewegung erfuhr durch sie „Sympathie und Förderung“1976. Zudem war Ihrer bestrebt, „die sozialistischen Frauen der verschiedenen Länder in enge und regelmäßige Verbindung miteinander zu bringen, die internationalen Frauenkonferenzen immer mehr diesem Ziele und damit dem proletarischen Befreiungskampf dienstbar zu machen“1977. Egal welches „Blatt auch immer aus der Geschichte der sozialistischen Frauenbewegung“ man aufschlage, so Zetkin zusammenfassend zu Ihrers politischer Tätigkeit, es kämen darauf die „un- verwischbaren Züge[…] von Emma Ihrers hingebungsvoller Tätigkeit“1978 zum Vorschein. Schließlich versuchte sich Zetkin an einer Charakterstudie Ihrers. Sie habe über eine „praktische Begabung“1979 und „geduldige[…] Hartnäckigkeit“1980 verfügt. Ein „[i]dealer Sinn“1981 verbunden mit „sozialistische[r] Erkenntnis“1982 habe diese Eigenschaften in den Dienst „höchste[r] Mensch- heitsziele“1983 gestellt und aus Ihrer eine „nimmer rastende Evangelistin des Sozialismus“1984 gemacht. Zetkin betonte ihre „echte, ungekünstelte Beredsamkeit, die nicht nachahmte, nicht 1972Ebd., S. 114. 1973Ebd. 1974Ebd. 1975Ebd. 1976Ebd. 1977Ebd. 1978Ebd. 1979Ebd. 1980Ebd. 1981Ebd. 1982Ebd. 1983Ebd. 1984Ebd. 594 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ blenden, vielmehr überzeugen wollte“1985. Diese „erwärmte die Herzen und erleuchtete die Köpfe[…] [,] […]war […] in ihrer Wirkung unwiderstehlich“1986. Ihrers Charakter hatte viele Facetten. Sie war „unversöhnliche Hasserin jedes Vorurteils, rücksichtslose Verfechterin der vollen Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, […] unerschrockene Kämpferin gegen alle knechtenden und büttelnden Gewalten“1987, die keine Gefahr fürchtete und kein Opfer scheute. Wie so viele der hier bereits dargestellten Klassenkämpferinnen war Ihrer aber auch „ein grundgütiges Weib, eine durch und durch mütterliche Natur“1988, wurde wie so viele dieser Frauen erst nur gefühlsmäßig vom Sozialismus ergriffen. „Eifriges Studium“1989 habe ihre „sozialistische Erkenntnis vertieft und befestigt“1990, aber immer sei ihr der Dienst am Sozialismus auch „heilige Herzenssache […] geblieben“1991. Ihrer war für Zetkin „eine Führerin, die mehr als Gefolgschaft, die Nachahmung verdient“1992 habe. Und sie war „ein schönes Beispiel, daß die Frau in aufopfernder Weise die höchsten Bürger- tugenden betätigen und in dem sozialen Schlachtgetümmel dieser eisengepanzerten Zeit ganz Kämpferin sein kann, ohne aufzuhören Weib zu sein.“1993 Diese Aussage traf Zetkin, ohne jedoch im Besonderen auf das Privatleben Ihrers eingegangen zu sein. Einige Angaben dazu finden sich erst in einem weiteren Artikel, den die „Gleichheit“ anlässlich ihres Begräbnisses veröffentlichte. Ihrer wurde am 11. Januar 1911 auf dem Berliner Friedhof Friedrichsfelde beerdigt. An der Beerdigungsfeier nahmen außergewöhnlich viele „Abordnungen gewerkschaftlicher und poli- tischer Organisationen, […] nächste[…] persönliche[…] Freunde, alte[…] und neue[…] Genos- sinnen der Arbeit und des Kampfes“1994 teil. Unter diesen vielen Trauernden befand sich auch Ihrers „treue Hausgehilfin“ Lieschen, die als eine der „Schmerzgebeugtesten“1995 am Grabe ge- standen habe. Sie sei, so die „Gleichheit“, ein „lebendiges Zeugnis dafür, wie groß und echt die 1985Ebd. 1986Ebd. 1987Ebd. 1988Ebd. 1989Ebd. 1990Ebd. 1991Ebd. 1992Ebd. 1993Ebd. 1994Emma Ihrers Begräbnis. In: GL, 21/ 09/ 30.01.1911/ 140. 1995Ebd. 595 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Herzensgüte der Verstorbenen gewesen“1996 war. Zetkin legte als Redakteurin der „Gleichheit“, als Kampfgenossin und persönliche Freundin Blumenspenden nieder. Paula Thiede1997 sprach für das gewerkschaftliche Arbeiterinnenorganisationskomitee, dessen Begründerin Ihrer war, und Luise Zietz zeichnete den Lebensweg „unserer Emmy“1998 nach. Als zweiter Vorsitzender der General- kommission der Gewerkschaften Deutschlands skizzierte Gustav Bauer die „Unermüdlichkeit und Selbstlosigkeit“1999, mit denen Ihrer für die Generalkommission gewirkt hatte. Im Namen des Verbandes der sozialdemokratischen Wahlvereine2000 Groß-Berlins legte Margarete Wengels (1856-1931) einen Blumenkranz nieder. Welche große Anerkennung Ihrer auch im internationalen Ausland genoss, bewiesen die zahlreichen Nachrufe anderer sozialistischer Frauenblätter.2001 Obwohl die „Gleichheit“ im Rahmen einer Berichtigung – der Todestag Ihrers war mit dem 9. No- vember statt mit dem 8. November bekanntgegeben worden – die Veröffentlichung einer aus- führlichen Lebensskizze ankündigte2002, erschien erst vier Jahre später eine neuerliche Würdigung. Innerhalb eines Artikels zu Ehren Carl Legiens, der sich für die gleichberechtigte Aufnahme der Frauen in die deutsche Gewerkschaftsbewegung engagierte, wurde Ihrer als dessen „treueste[…] Mitarbeiterin“2003 vorgestellt. Unerwähnt blieb, dass Legien der Liebhaber Ihrers war und sie mit ihm und ihrem Ehemann Emanuel eine Dreiecksbeziehung lebte.2004 Zehn Jahre nach Ihrers Tod verfasste „G.H.“ – vermutlich die Gewerkschafterin Gertrud Hanna – einen Artikel, aus dem die „Gleichheit“-Leserinnen nun auch einiges zu Ihrers Privatleben 1996Ebd. 1997Thiede wurde acht Jahre später auf demselben Friedhof beerdigt. 1998Ebd. 1999Ebd. 2000Frauen war auf Grundlage von § 21 des Preußischen Vereinsgesetzes bereits seit 1903 das kurzzeitige Engagement in so genannten „Wahlvereinen“ erlaubt, in denen sie Parteiorganisationen beim Wahlkampf unterstützten durften. 2001Vgl. ebd. 2002Vgl. ebd. 2003Ein Förderer der Arbeiterinnenbewegung. In: GL, 26/ 04/ 12.11.1915/ 26. 2004Den Hinweis auf die Beziehung Ihrers zu Carl Legien und darauf, dass das Ehepaar Ihrer gemeinsam mit Legien ein Haus bewohnte, verdanke ich Prof. Jürgen Hofmann anlässlich eines Besuches der „Gedenkstätte der Sozia- listen“ auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde im November 2006. Ihrers Grab ist heute Teil dieser Gedenkstätte und liegt markanterweise direkt neben dem Legiens. Das Bild Ihrers als das einer sehr unkon- ventionellen Persönlichkeit beschrieb auch eine Plauderei Kautskys zehn Tage nach dem Parteitag in Erfurt: „Notabene, ein Gegenstück zu Frau Besant [d. i. Annie Besant (1847-1933), Theosophin, Freidenkerin und Frauenrechtlerin] ist Frau Ihrer. Diese Dame scheint übrigens sehr freigebig mit ihrer Gunst zu sein. Von den jüngeren Fraktionsmitgliedern gab in Erfurt fast jeder einige Erfahrungen darüber zum besten, was mir allerdings auch nicht sehr ritterlich erschien; ihre Gunst scheint übrigens Glück zu bringen; ihre Liebhaber wurden alle bei den letzten Wahlen gewählt. Sie stimmte gegen die Déchargeertheilung an den Parteivorstand. Als man sie fragte, warum, soll sie erklärt haben: Weil mich einige Mitglieder des Vorstands nicht befriedigt haben. Dieser Witz scheint von allen Kongreßwitzen am meisten Anklang gefunden zu haben, denn er wurde mir von ca. 30 ver- schiedenen Seiten mitgetheilt.“ (Karl Kautsky in einem Brief an Friedrich Engels, 30.10.1891. In: Friedrich Engels‘ Briefwechsel mit Karl Kautsky, S. 312-316, S. 316). 596 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ erfahren konnten.2005 Ihrer wurde im schlesischen Glatz geboren und entstammte kleinbürger- lichen Verhältnissen2006. Ihre Mutter sei eine strenggläubige Katholikin gewesen, was Ihrer in ihrer Entwicklung stark beeinflusst habe. Zur Arbeiterbewegung kam Ihrer über die bürgerliche Frauen- bewegung, deren Bemühungen, die Arbeiterinnen in ihrer Sittlichkeit zu heben, sie in ihrer 1898 erschienenen Broschüre „Die Arbeiterin im Klassenkampf“ beschrieb und kritisierte. Ihrer war Mitbegründerin vieler – später wieder verbotener – Frauenvereine. Trotz des erheblichen Drucks durch die Behörden habe sie nicht aufgehört, auf ihren vielen Agitationsreisen neuerliche Vereins- gründungen anzustoßen. Sie sei zudem eine Art „Talentsucherin“ gewesen, die es meisterhaft verstand, „Kräfte herauszufinden, heranzubilden und an die Sache zu fesseln. Ihr liebens- würdiges, heiteres Wesen und ihr klarer Blick waren dazu wie geschaffen.“2007 Hannas Artikel enthielt besonders hinsichtlich der Gründungsgeschichte der „Arbeiterin“ eine sehr wertvolle Information: Ihrer gründete die Zeitschrift 1891 „[m]it finanzieller Hilfe einer stets hervorragend opferbereiten wohlhabenden Parteigenossin (die sich aber stets bescheiden im Hintergrund hielt) und zum Teil aus eigenen Mitteln“2008. Über diese wohlhabende Parteigenossin ist jedoch nichts bekannt. Ihrer wurde eine der „erfolgreichsten, beliebtesten und bekanntesten Agitatorinnen“2009 der pro- letarischen Frauenbewegung und ihr Name, so Hanna, sei „unlösbar“2010 mit der „Gleichheit“ verknüpft. Ihrer habe die Redaktion der „Gleichheit“ nicht übernommen, weil sie ihren Wohnsitz in Velten nicht verlassen wollte. Auf der Suche nach einer neuen Redakteurin – so eine weitere Variante zur Gründungsgeschichte der „Gleichheit“ – habe Ihrer diese in Clara Zetkin gefunden. 2011 Laut Hanna blieb Ihrer „bis zu ihrem Tod Mitarbeiterin der Frauenzeitschrift, die nun „Die Gleichheit“ hieß“2012. Sie erwähnt allerdings nicht, dass sie sich sowohl als Herausgeberin als auch als Mitarbeiterin immer mehr zurückzog bzw. von Zetkin vielleicht auch zurückgedrängt wurde. Ihrers größtes Tätigkeitsfeld war die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterinnen. 1890 wurde sie als erste Frau in die neu gegründete Generalkommission der Gewerkschaften Deutsch- lands gewählt, war Mitgründerin und Vorsitzende des „Blumen- und Federarbeiterverbandes“ und 2005[Hanna, Gertrud?] G.H.: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 60. 2006Emma Ihrer war Tochter des Schuhmachers Rothe. 2007Ebd., S. 61. Diese Seite zeigt zwei Porträts Ihrers, die im Anhang dieser Arbeit enthalten sind. 2008Ebd. 2009Ebd., S. 60. 2010Ebd. 2011Ebd., S. 61. 2012Ebd. 597 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Redakteurin der Verbandszeitschrift. Die Inschrift auf ihrem Grabstein „’Wirken für andere war ihres Glückes ergiebigster Quell .“2013 steht für das altruistische Ideal, das in der proletarischen Frauenbewegung gepflegt wurde. Sie verdeutlicht aber auch, dass diese Art von Altruismus sowohl einen selbstlosen wie auch einen selbstbildenden Charakter trägt. Eine wichtige Mitarbeiterin der „Gleichheit“ und führende Persönlichkeit der Berliner Frauenbewegung war Margarete Wengels (1856-1931). Zu ihr dürfte Zetkin ein umso innigeres Verhältnis gehabt haben, da Wengels von 1906 bis 1912 als Sekretärin für sie tätig war und ihre Korrespondenz schrieb.2014 Zetkin dürfte daher auch die Verfasserin des Artikels sein, den die „Gleichheit“ anlässlich Wengels‘ 60. Geburtstag veröffentlichte.2015 Den Umstand, dass Wengels an einem 29. Februar Geburtstag hatte, kommentierte Zetkin humor- voll damit, dass sie demnach ein „Schalttagskind“2016 und „Frauen ihrer Art […] leider noch selten“2017 seien. Seit dem Moment, da Wengels mit „Herz und Hirn“2018 die Prinzipien des Sozia- lismus erfasst hatte, habe sie ihm „mit einem Eifer gedient, den Schwierigkeiten und Gefahren nicht schreckten, und dem Opfern Freude ist […], ohne nach Anerkennung und Lohn zu fragen“2019. Wengels war nach Zetkins Auffassung eine „Verkörperung der besten proletarischen Kampfes- tugenden“2020. In „echt proletarischen Verhältnissen“ aufgewachsen2021, habe Wengels „den ganzen Kreislauf der Aufgaben und Sorgen einer Arbeiterfrau“2022 mit Erwerbsarbeit und Kinderreichtum durchlebt. Sie dürfe sich „rühmen“, so Zetkin, dass jedes ihrer acht Kinder „überzeugt dem Sozialismus“2023 an- hänge. Trotz der mit einer solchen Kinderschar verbundenen Belastungen vermochte es Wengels, sich aktiv in die proletarische Frauenbewegung einzubringen: 2013Ebd. 2014Wiss, Les débats sur la transformation sociale, S. 79, Fußnote 14. 2015Margarete Wengels zum 60. Geburtstag. In: GL, 26/ 13/ 17.03.1916/ 98-99. 2016Ebd., S. 98. 2017Ebd. 2018Ebd. 2019Ebd. 2020Ebd. 2021Wengels war Tochter eines Krefelder Strumpfwirkers und heiratete den Weber und Sozialdemokraten Robert Wengels. 2022Ebd. 2023Ebd. 598 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ „Niemand hat mehr als sie getan, um die proletarische Frauenbewegung Berlins zu schaffen, zu entwickeln und zu heben, sie mit grundsätzlicher Klarheit und Festig- keit zu erfüllen, ihr eine starke Aktionskraft zu verleihen.“2024 Unter ihrer Führung habe sich die Berliner Frauenorganisation zur Vorbildorganisation entwickelt. Zudem war Wengels selbst auch Vorbild und dies in vielerlei Hinsicht: „Auf verantwortlichem Posten und schlicht in Reih‘ und Glied; vor der Öffentlich- keit wie im stillen[sic], denn Margarete Wengels gehört zu jenen, denen es genügt, daß geschieht, was ihrer Überzeugung nach geschehen muß, auch ohne daß ihr Name dabei genannt wird.“2025 So sei sie „im Dunkeln geblieben“2026. Auch in anderen Biographien wird eine solche Bescheiden- heit als besonderer Charakterzug hervorgehoben. Kritisch beurteilt, hat diese Bescheidenheit letztendlich aber auch zum Verschwinden oder zur Abwertung weiblicher Errungenschaften bei- getragen. Ihrer Überzeugung gemäß habe Wengels die Frauenfrage als Teil der sozialen Frage erfasst und war – so „versteh[e] es sich von selbst“2027 – auf dem linken Flügel der SPD zu finden. Wengels hatte Prinzipien: „Ein scharfer proletarischer Klasseninstinkt, der sich fast nie in der Einschätzung der Dinge und Menschen täuscht, hat es ihr erleichtert, sich auch in Zeiten der Wirrungen und Irrungen rasch und sicher zu orientieren, die Tagesaufgaben des Proletariats richtig zu sehen, ebenso die Mittel und Wege zu dem großen sozialis- tischen Endziel.“2028 So war Wengels auch nach Beginn des Krieges und der innerparteilichen Streitigkeiten dem linken Flügel der SPD zugehörig und Zetkin konnte ihren Artikel für einen Rundumschlag gegen die „Umlerner“ nutzen: „So trotzig und unerschrocken wie sie [Wengels; M.S.] den Kampf aufnahm, als das Sozialistengesetz die deutsche Arbeiterklasse knebelte, hat sie ihn weiter- geführt, als noch das vormärzliche preußische Vereinsrecht der Betätigung der Frauen im öffentlichen Leben harte Fesseln anlegte. Und sie war unter den ersten und Entschiedensten, die mit ‘Hier!’ antworteten, als es galt, sich in den Tagen des großen ‘Umlernens’ um das Banner des internationalen Sozialismus zu sammeln und sich zu seinen Idealen durch die Tat zu bekennen. Auch die Zukunft wird Margarete Wengels nie unter den ‘Staatsweisen’ finden, die mit bürgerlichen Zielen und Parteien opportunistisch liebäugeln; nie unter den Rechnungsträgern, die nach allen Richtungen ihre Kußhändchen werfen; nie unter den Neunmalklugen, die sich erst entscheiden, wenn sie wissen, wo die Mehrheit steht.“2029 2024Ebd. 2025Ebd. 2026Ebd. 2027Ebd. 2028Ebd. 2029Ebd. 599 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Zetkin war sich sicher: Wengels würde nicht zur Opportunistin werden, denn im Kampf wie in ihrer Freundschaft sei Wengels „aufrecht und treu“2030 und kümmere sich nicht darum, ob sie mit ihrer Meinung „oben oder unten anstößt“2031. Noch viele „glückliche Jahre“2032 wünschte Zetkin der Jubilarin. Doch „glückliche“ Jahre seien für Wengels sicherlich „nicht Jahre der Ruhe, viel- mehr Jahre des Kampfes, des erfolgreichen Kampfes für die Befreiung ihrer Klasse“2033. Ebenfalls erfreulich war der Anlass für einen Artikel zu Ehren von Ernestine Lutze (1873- 1948).2034 Lutze hatte sogar ein „Doppeljubiläum“ zu feiern: Ihren 50. Geburtstag und ihre auf den Tag genau 25 Jahre währende Mitgliedschaft in der SPD. Die in Dresden ansässige Lutze sei als ein „echtes Proletarierkind“2035 aufgewachsen. Im Alter von neun Jahren verloren sie und ihr drei Jahre älterer Bruder den Vater. Lutze musste deshalb nun zum Familienunterhalt beitragen. Die „Gleichheit“ nannte akribisch die Art der Tätigkeiten und sogar Lutzes jeweiligen Verdienst. Mit der Übernahme mehrerer „Aufwartestellen“2036 verdiente Lutze 50 Pfennig in der Woche. Im Alter von zwölf Jahren ging sie neben der Schule noch der Erwerbstätigkeit in einer Dresdner Blumenfabrik nach, wo sie 5 Pfennige pro Stunde verdiente. Zusätzlich aber musste sich Lutze - „als Schulkind!“2037 wie die „Gleichheit“ betont - noch zu bindende „Blumenästchen“2038 für die Heimarbeit mitnehmen. Im Alter von 24 Jahren heiratete Lutze. Weil es die finanziellen Verhältnisse aber nicht zuließen, dass sie nun als Hausfrau arbei- tete, musste sie die auch von den meisten „Gleichheit“-Leserinnen selbst erfahrene Doppelbe- lastung ertragen. Früh morgens um 6 Uhr wurden die beiden Kinder „in Pflege gegeben“2039 und abends um 7 oder 8 Uhr wieder abgeholt. Der Arbeit in der Fabrik folgten nahtlos die Arbeit im Haushalt und die Heimarbeit. Die Geburt des dritten Kindes machte die außerhäusige Erwerbs- tätigkeit unmöglich und Lutze konzentrierte sich auf Heimarbeit, Kindererziehung und Haushalt. Den Beschreibungen eines bisher wenig freudvollen Lebens folgten in dem Artikel nun die Beschreibungen des parteipolitischen Engagements Lutzes. Konkreter Auslöser für ihren Partei- eintritt 1898 sei ein Referat Luise Zietz‘ gewesen. Lutze – damals bereits gewerkschaftlich 2030Ebd. 2031Ebd. 2032Ebd. 2033Ebd. 2034Ein Doppeljubiläum. In: GL, 33/ 14/ 15.07.1923/ 115-116. 2035Ebd., S. 115. 2036Ebd. 2037Ebd. 2038Ebd. 2039Ebd. 600 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ organisiert – habe sich daraufhin entschlossen, in der Parteiorganisation tätig zu werden. Anfangs leistete sie wertvolle Kleinarbeit, war „trotz der Erwerbsarbeit und der kleinen Kinder!“2040 Kassiererin und Austrägerin der „Gleichheit“. 1911 wurde Lutze von der „Gewerkschaft der Blumenarbeiter“ auf die Berliner Gewerkschaftsschule entsandt und engagierte sich von da an vornehmlich gewerkschaftspolitisch. Sie war Delegierte verschiedener Parteitage und Kongresse und wurde schließlich 1919 in die Nationalversammlung gewählt. Der Beschreibung der Herkunft Ernestine Lutzes hatte man in diesem Artikel genauso viel Platz beigemessen wie ihrem politischen Werdegang. In beidem sollte sie den „Gleichheit“-Leserinnen Vorbild sein: „Im Interesse unserer Bewegung aber sprechen wir die Hoffnung aus, daß sich möglichst viele Frauen an dieser tatkräftigen Genossin ein Beispiel nehmen möchten.“2041 Es war „selbstverständlich“2042 für Ida Schulze (?-?)2043, dass die verstorbene Anna Hübler (1876-1923) nach der erfolgreichen Novemberrevolution „führend vorang[ehen]“2044 würde. Schulze beschrieb in ihrem Nachruf, dass Hübler „schon in ihrer Jugend für den Sozialismus gelitten“2045 habe. Bereits als junges Mädchen musste sie erfahren, „was es heißt, sich zur Partei der Verfolgten zu bekennen“2046, denn ihr Vater Konrad Müller wurde als SPD-Mitglied zur Zeit des Sozialistengesetzes häufig verhaftet und ausgewiesen. Hübler betrieb – stets „in den vor- dersten Reihen der Bewegung“2047 stehend und „von den sozialistischen Ideen durchglüht“2048 – sowohl Agitation auf dem Land als auch in der Stadt. Dies tat sie vor allem in der Region um das sächsische Schkeuditz, in dessen Stadtparlament sie gewählt wurde. Die Verstorbene hatte, so Schulze, ein „ehrliches und offenes Wesen“2049 und leistete eine „opferreiche Arbeit“2050, für die sie 1919 in die Nationalversammlung gewählt wurde. Eine schmerzhafte Krankheit, an der sie 2040Ebd. 2041Ebd., S. 116. 2042Schulze, Ida: Anna Hübler †. In: GL, 33/ 16/ 15.08.1923/ 132. 2043Da „Schulze“ ein recht häufiger Name ist, konnte die Identität der Verfasserin im Rahmen dieser Arbeit nicht mit absoluter Sicherheit geklärt werden. Unwahrscheinlich ist, dass es sich bei ihr um die aus Ostfriesland stammende Autorin Ida Schulze handelt, die in Nachfolge der verstorbenen Henriette Davidis (1801-1876) deren erfolgreiches Kochbuch unter dem neuen Titel „Das neue Kochbuch für die deutsche Küche“ (1933) herausgab. 2044Ebd. 2045Ebd. 2046Ebd. 2047Ebd. 2048Ebd. 2049Ebd. 2050Ebd. 601 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN schließlich auch starb, verhinderte eine Kandidatur für den späteren Reichstag. Im Gedenken an die Verstorbene, forderte Schulze die „Gleichheit“-Leserinnen auf, am Sozialismus festzuhalten und gleich Hübler für die Befreiung des Proletariats zu wirken.2051 Es ist bemerkenswert, dass die in der „Gleichheit“ veröffentlichten Ehrungen Ottilie Baaders (1847-1925) mit einem Nachruf auf ihren Vater Gustav beginnen. Dieser starb 84-jährig im November 1897 und wird in seiner Bedeutung für die persönliche Entwicklung Baaders hervor- gehoben. Denn „was sie der Bewegung leistet, sie verdank[e] es neben ihrem Fleiß und ihrem Pflichtbewußtsein ganz wesentlich seinen Bemühungen, ihren Bildungsdrang zu fördern und die richtigen Wege zu leiten“2052. Tochter und Vater verband „[e]ine rührende Ideen- und Kampfesgemeinschaft“ und mit ihm, der ein Kämpfer der 1848er Revolution war, verlor die Tochter nicht nur den Vater, sondern auch den Freund, Lehrer und Ratgeber. Anlässlich ihres 60. Geburtstages warf die „Gleichheit“ einen Blick zurück auf eben jene durch den Vater geförderte Entwicklung. Aus einer „stille[n] unbekannte[n] Genossin, welche das Evan- gelium des Sozialismus in ihrem Herzen bewegte“2053, wurde eine Kleinarbeit leistende „rührige Organisatorin und Agitatorin“2054 und schließlich die „Trägerin eines der wichtigsten Vertrauens- ämter“2055 der proletarischen Frauenbewegung. Dieses wichtige Amt der „Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands“ habe sie mit entsprechender „Umsicht, Gewissenhaftigkeit und Takt“2056 verwaltet. Hatte die „Gleichheit“ zehn Jahre zuvor die Bedeutung des Vaters hervorgehoben, so wurde nun betont, dass Baader ihre Entwicklung „sich selbst und der befruchtenden Kraft des proletarischen Klassenkampfes“2057 verdanke. Sie hatte sich früh selbst gebildet und brachte viele „treffliche[…] persönliche[…] Eigenschaften“2058 mit. Damit habe sie so „manches Vorurteil gegen die politische Betätigung der Frauen entwaffnet“2059. Trotz ihrer 60 Jahre habe sie sich „Frische und Rüstigkeit 2051Ebd. 2052Genosse Baader … In: GL, 07/ 24/ 24.11.1897/ 190. 2053Ein Jubiläum. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 102. 2054Ebd. 2055Ebd. 2056Ebd. 2057Ebd. 2058Ebd. 2059Ebd. 602 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ bewahrt, wie sie nur eine ewig junge Begeisterung für eine große Sache zu geben vermag“2060. In der letzten von ihr redigierten „Gleichheit“-Nummer ehrte vermutlich Zetkin persönlich Baader als „schlichte, aufrechte Proletarierin“2061. Den Leserinnen wurde anlässlich ihres 70. Geburtstages der Lebensweg der sich bereits seit Jahrzehnten im proletarischen Befreiungskampf engagieren- den Vorkämpferin detailliert dargestellt. Baader wurde in Rackow (Schlesien)2062 geboren und war die Tochter eines Zuckerfabrikarbeiters. Nach dem frühen Tod der Mutter musste sie bereits als Siebenjährige und als zweitältestes von vier Kindern den Familienhaushalt führen2063 – sie wurde mehr oder weniger zwangsläufig der „gute Hausgeist, das sorgende, liebevolle Hausmütterchen der Ihrigen“2064. In Frankfurt/Oder besuchte sie erst die Volksschule und siedelte dann vierzehnjährig mit dem Vater und zwei Geschwistern nach Berlin über. Hier musste Baader zum Familieneinkommen beitragen, indem sie Wäsche nähte, als Spinnerin in einer Wollfabrik und als Mantelnäherin arbeitete. Mit der An- schaffung einer eigenen Nähmaschine teilte Baader schließlich das ärmliche Schicksal der vielen Heimarbeiterinnen. Außerdem pflegte sie nicht nur den greisen Vater, sondern sorgte auch für ihre Brüder und deren Kinder. Baader – „[e]ine durch und durch mütterliche Natur“2065 – habe es stets geschafft, so Zetkin, „den Ihrigen das bescheidene Heim traulich zu gestalten“2066. Zwei „Wesenseigenschaften“ seien für Baaders Entwicklung besonders entscheidend gewesen: „heißer Bildungsdrang und ein lebhaftes, tiefes Mitempfinden mit den Leiden und Freuden ihrer Schicksalsgenossen, das sich zur Erkenntnis der proletarischen Klassensolidarität entwickelte“2067. 2060Ebd. 2061Ottilie Baaders siebzigster Geburtstag. In: GL, 27/ 17/ 25.05.1917/ 114. 2062Ebd. Vgl. auch [Heymann, Johanna?] J. H.: Ottilie Baader-Diedrichs. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 62, wo als Geburtsort Frankfurt/Oder genannt wird. In diesem Artikel wird Baader außerdem unter dem Doppelnamen Baader-Diedrichs vorgestellt, den sie seit ihrer Hochzeit führte. Sie selbst zeichnete einen Arti- kel auch mit dem Namen Dietrichs-Baader (vgl. Unsere Toten. In: GL, 32/ 17-18/ 01.09.1922/ 164). Baader wurde zwar als letzte einer Reihe von „Vorkämpferinnen“ vorgestellt, sei aber „eigentlich die Erste“ ([Heymann, Johanna?] J. H.: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 62). Die Initialen J. H. und der Zeitpunkt des Erscheinens dieses Artikels lassen auf Johanna Heymann (1900[?]- 1935[?]) als Autorin schließen. Die herangezogenen Nachschlagewerke und Datenbanken enthalten keine ein- deutigen biographischen Informationen zu Heymann. Sie veröffentlichte in der „Gleichheit“ u. a. in der Rubrik „Wohlfahrtspflege“: Heymann, Johanna: Arbeiterwohlfahrt. IV. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 230; Arbeiterwohlfahrt. IV. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 230; Arbeiterwohlfahrt. V. In: GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 238- 239; Arbeiterwohlfahrt. VI. In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 247; Arbeiterwohlfahrt. VIII. In: GL, 30/ 32/ 07.08.1920/ 262-263. Gemeinsam mit Juchacz veröffentlichte Heymann schließlich das Buch „Die Arbeiterwohlfahrt. Voraus- setzungen und Entwicklung“ (1924). 2063Vgl. [Heymann, Johanna?] J. H.: Ottilie Baader-Diedrichs. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 62. 2064Ottilie Baaders siebzigster Geburtstag. In: GL, 27/ 17/ 25.05.1917/ 114. 2065Ebd. 2066Ebd. 2067Ebd. 603 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Außerdem war es wie beschrieben aber auch ihr Vater, der sie zu dem „inneren und äußeren Anschluß an die sozialistische Arbeiterbewegung“2068 ermutigt hatte. Zusammen mit ihm schloss sie sich im Alter von 30 Jahren der „Freien Gemeinde“ an, durch die sie auch in Kontakt zu organisierten Arbeitern kam.2069 Nun war der Schritt von der Erkenntnis zum Handeln nicht mehr schwer: „Einen Inhalt bekam ihr [Baaders; M.S.] Leben erst, als sie mit der Sozialdemo- kratie in Berührung kam, als sie anfing, sozialdemokratische Versammlungen zu besuchen.“2070 Diese tiefgreifende Bedeutung bekam der Sozialismus für Baader bereits während des Sozialisten- gesetzes. Es war im Rahmen eines Streiks gegen Lohnsenkung, dass sie 1870 erstmals als Wortführerin öffentlich hervortrat. Als Mitglied des Berliner Mantelnäherinnenvereins und seit 1890 Mitglied des Schneiderverbandes beteiligte sie sich an entsprechenden Streikkämpfen. Nach dem Fall des Sozialistengesetzes engagierte sie sich in der proletarischen Frauenbewegung, war Mitgründerin verschiedener Vereine, oft deren Leiterin und Organisatorin von Versammlungen. So wurde sie schließlich eine der Führungskräfte der organisierten Arbeiter und Arbeiterinnen und als solche auch Opfer unzähliger Haussuchungen, Verhaftungen und Anklagen. Davon ließ sie sich jedoch nicht unterkriegen – im Gegenteil: All diese „Schwierigkeiten und Gefahren“, so Zetkin, „stärkten ihre Kräfte, befeuerten den Eifer, die Aufopferungsfähigkeit“2071. 1900 wurde Baader in Mainz zur „Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands“ gewählt, ein Amt, das sie bis 1908, bis zur Integration der proletarischen Frauenorganisationen in die SPD, bekleiden sollte.2072 Sie war Teilnehmerin der internationalen Konferenzen in Paris, London, Brüssel und Kopenhagen. Besonders als Zentralvertrauensperson – in der Zeit zwischen Aufhebung des Sozialistengesetzes und Inkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes, jenen „Jahren der kleinen, tastenden, suchenden Anfänge“2073 – hatte Baader Anteil an den „planmäßige[n] Bestrebungen […], die dreifach unfreien Frauen des werktätigen Volkes zu wecken, zu sammeln, zu schulen und zu selbständig denkenden und handelnden Kämpferinnen für volles, freies Menschentum aller zu erheben“2074. 2068Ebd. 2069[Heymann, Johanna?] J. H.: Ottilie Baader-Diedrichs. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 62. 2070Ebd. 2071Ottilie Baaders siebzigster Geburtstag. In: GL, 27/ 17/ 25.05.1917/ 114. 2072Der Artikel von Heymann nannte fälschlicherweise das Jahr 1897 als das Jahr, in dem Baader zur „Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands“ gewählt wurde. Vgl. [Heymann, Johanna?] J. H: Ottilie Baader-Diedrichs. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 63. 2073Ottilie Baaders siebzigster Geburtstag. In: GL, 27/ 17/ 25.05.1917/ 114. 2074Ebd. 604 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ Baader habe sich dabei besonders durch ein „aufopfernde[s], eifrige[s] Wirken“, durch eine „konsequente, feste Haltung in allen Fragen grundsätzlichen Bekenntnisses und der daraus folgenden Taktik“2075 ausgezeichnet und stets ihre „bescheidene[…], entgegenkommende[…] Art“2076 bewahrt. Wie sehr Baader dem Ideal eines „weiblichen Vollmenschen“ und einer proletarischen Klassen- kämpferin entsprach, macht sich an folgender Darstellung deutlich: „Nach Verdienst und Brauch dünkte es allen recht und billig, daß Ottilie Baader, als erste Vertreterin der Genossinnen in der Leitung der sozialdemokratischen Par- tei Sitz und Stimme erhalten hätte. Mit jener weisen, würdigen Selbstbescheidung, die zugleich höchster, echter Stolz ist, lehnte sie jedoch das Ehrenamt ab, dessen Aufgabenkreis ihrer Überzeugung nach einer jüngeren, stärkeren Kraft bedurfte. Sie schlug vor, Genossin Zietz in den Parteivorstand zu wählen und begnügte sich selbst mit der Stellung einer Sekretärin im Frauenbureau.“2077 Baader kannte demnach keinen persönlichen Ehrgeiz, sondern hatte stets nur das Interesse der Bewegung im Sinn. So wurde sie auch in ihrer Funktion als Frauensekretärin „Anregerin, Freundin und Führerin, Agitatorin und Organisatorin“2078, ging mit ihrem „persönlichen Sein ganz in dem Wirken für die Sache des Sozialismus auf[…]“2079. Dann kam der August 1914 und auch Baader habe mit Kummer, so Zetkin „die verhängnisvolle Rückwirkung des Krieges auf die sozialistische Bewegung“2080 erkannt. Allerdings belässt diese Formulierung es im Unklaren, ob die Prinzipienlosigkeit der SPD oder der Mitgliederrückgang gemeint ist. Die „Gleichheit“ wünschte Baader zu ihrem Geburtstag – aber nicht nur ihr –, dass es ihr „vergönnt sei[…], in Rüstigkeit die politische Wiedergeburt des Proletariats zu erleben, den Aufmarsch einer grundsätzlich klaren, entschlossenen sozialistischen Partei des Klassenkampfes, die ihrer historischen Aufgabe bewußt in großer Stunde ein großes Geschlecht zum Siege führt“2081. In Zetkins Augen hatte die deutsche Sozialdemokratie versagt, war ihr internationalistischer Geist erloschen. Baader dagegen stand auch noch an ihrem Lebensabend im Dienst der Partei, leitete ihre Abteilung, nahm an Parteiveranstaltungen teil und zeigte großes Interesse an jeder Parteiarbeit. 2075Ebd. 2076Ebd. 2077Ebd., S. 114f. 2078Ebd., S. 115. 2079Ebd. 2080Ebd. 2081Ebd. 605 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Erst relativ spät – im September 1911 – hatte sie August Dietrichs geheiratet. Ihre glückliche Ehe fand durch dessen Tod ein viel zu frühes Ende. Zetkin verwies schließlich auf die bevorstehende Veröffentlichung der Lebenserinnerungen Baaders2082, die „für uns Jüngere gewiß sehr viel Interessantes und Wissenswertes enthalten“2083 würden. Auch mit diesem Hinweis betrieb Zetkin – entsprechend der These dieser Arbeit – eine bewusste Tradierung eigener Geschichte. Der Artikel, der schließlich 1921 zu Baaders 75. Geburtstag in der „Gleichheit“ veröffentlicht wurde, bringt kaum neue Erkenntnisse zu ihrer Persönlichkeit oder ihrem Werdegang. Es ist sogar falsch, wenn darin angegeben wird, Baader habe bereits seit 1897 das Amt der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands inne gehabt. In diesem Jahr ist sie lediglich zur Parteitags-Dele- gierten gewählt worden.2084 1908 sei Baader – in der „Bescheidenheit, die immer ein besonderer Zug ihres Wesens gewesen“2085 sei – von ihrem „Ehrenposten“2086 zurückgetreten, um Luise Zietz für den Sitz im Parteivorstand vorzuschlagen. Unerwähnt blieb, dass der vermeintliche „Ehren- posten“ tatsächlich ein bezahltes Amt war. Im hohen Alter von 75 Jahren besuchte Baader immer noch Versammlungen und Besprechungen. Als sie 1925 verstarb, erschien im „Gleichheit“-Nach- folgeorgan „Die Genossin“ ein bemerkenswerter Nachruf, der sie als „Veteranin der Frauen- bewegung, Vorkämpferin für Frauenrecht, für soziales Recht, für die Idee des Sozialismus“2087 ehrte und besonders ihre „Sehnsucht nach Menschentum“2088 hervorhob. Luise Zietz (1865-1922), der Baader wie erwähnt den Vortritt gelassen hatte, wurde eine der wichtigsten Führerinnen der deutschen proletarischen Frauenbewegung. Doch es war nicht nur allein jenes offizielle Amt als erstes und einziges weibliches Mitglied des SPD-Parteivorstandes, welches ihre Position innerhalb der Bewegung ausmachte. Bohm-Schuch war die Verfasserin des Nachrufes auf diese umstrittene sozialdemokratische Führerin, die im am 26. Januar 1922 während einer Sitzung im Reichstag einen Ohnmachtsanfall erlitt und am darauf folgenden Morgen starb. Bemerkenswerterweise erschien dieser Nachruf erst zwei Wochen nach seiner Veröffentlichung im „Vorwärts“.2089 Es sei kennzeichnend für das 2082Diese Lebenserinnerungen wurden unter dem Titel „Ein steiniger Weg“ 1921 veröffentlicht und sind auch heute ein besonderes autobiographisches Zeugnis zum Leben einer Arbeiterin. 2083[Heymann, Johanna?] J. H.: Ottilie Baader-Diedrichs. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 63. 2084Ottilie Baader 75 Jahre! In: GL, 32/ 11/ 01.06.1922/ 102. 2085Ebd. 2086Ebd. 2087Ottilie Baader †. In: Die Genossin, 02/ 10/ 1925/ 283. 2088Ebd. 2089Bohm-Schuch, Clara: Luise Zietz zum Gedächtnis. In: GL, 32/ 04/ 15.02.1922/ 34-35. 606 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ „unbeugsame“2090 Wesen Zietz‘ gewesen, so Bohm-Schuch, „wie der starke Wille immer wieder die Herrschaft über den siechen Körper davontrug […]. Solange sie lebte schaffte sie; der Tod nur konnte sie zur Ruhe zwingen“2091. Zietz sei mit ihrer Arbeit „unlöslich verbunden“2092 gewesen und im Proletariat, in dem ihre Per- sönlichkeit wurzelte, „sprang der Quell ihrer Kraft“2093. Denn als Tochter einer Weberfamilie im holsteinischen Bargteheide geboren, so Bohm-Schuch, „kannte“2094 Zietz die Bedingungen eines Proletarierlebens und „wusste“2095 um die Sehnsucht nach Besserem. Sie vollzog den idealen Erkenntnisweg einer Klassenkämpferin: „Aus dem Erleben kam bei Luise Zietz der Wille nach und zur Erlösung; darum konnte sie so vielen zur Befreierin werden.“2096 Zietz engagierte sich seit 1892 in der Arbeiterbewegung und wurde 1908 Parteivorstandsmitglied. 1917 wurde sie Mitgründerin der USPD und Mitglied in deren Vorstand. Hatte die „Gleichheit“ ihr noch 1916 baldige Genesung von einer schweren Erkrankung gewünscht – ein Wunsch, so der Artikel, in dem sich sicher „alle Genossinnen begegnen“2097 [Hervorhebung von M.S.] –, so verlor sie jedoch nach der Parteispaltung bei den neuen „Gleichheit“-RedakteurInnen erheblich an An- sehen. Unter dem Titel „Störenfriede!“2098 erschien im November 1918 ein Bericht zu einer Versammlung, die die Hamburger Mehrheitssozialdemokratinnen gemeinsam mit dem örtlichen Frauenstimmrechtsverband veranstaltet hatte. Diese von 5.000 Personen besuchte Veranstaltung sei von Mitgliedern der USPD unter Führung von Zietz in ungehörigem Maße gestört worden. Wegen Radaus habe die Rednerin der Frauenstimmrechtsverbandes nur kurz und Marie Juchacz gar nicht mehr sprechen können. Die Versammlung musste schließlich aufgelöst werden.2099 Die Verfasserin des Artikels – von dem Verhalten Zietz‘ sehr enttäuscht – fragte, ob Zietz wirklich 2090Ebd., S. 34. 2091Ebd. 2092Ebd. 2093Ebd. 2094Ebd. 2095Ebd. 2096Ebd. 2097Genossin Zietz … In: GL, 26/ 16/ 28.04.1916/ 120. Die „Gleichheit“ informierte ihre Leserinnen und da vor allem Funktionärinnen auch über schwere Erkrankungen so organisatorisch wichtiger Personen wie Zietz, um zu erklären, dass sie außerstande waren, Zuschriften persönlich zu beantworten. 2098Störenfriede! In: GL, 29/ 04/ 22.11.1918/ 31-32. 2099Um solchen Sprengkommandos, die hauptsächlich aus männlichen USPD-Mitgliedern bestünden, keine Gelegen- heit zu bieten, die geplante Wiederholung der Veranstaltung zu stören, wollte man sie als reine Frauenversamm- lung durchführen (vgl. ebd., S. 32). 607 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN glaube, „dadurch das Proletariat zu erlösen, daß sie es antreibt, sich gegenseitig zu zer- fleischen?“2100 Auch diejenigen Sozialdemokratinnen, die bisher ihrer früheren Tätigkeit und ihrer unschuldig erlittenen Haftstrafe ehrenhaft gedachten, seien nun über ihren wahren Charakter aufgeklärt und würden „sich angewidert von ihr ab[wenden]“2101. Diese vehemente Reaktion auf die Agitationstätigkeit Zietz‘ für die USPD wiederholte sich wenige Monate später in einem Leitartikel.2102 Dieser Artikel gab nicht nur die von Juchacz in der Nationalversammlung gehaltene Parlamentsrede wieder, die „Die erste Parlamentsrede einer Frau in Deutschland“ war, sondern ging zum Schluss auch auf die Redebeiträge der anderen weiblichen Abgeordneten ein. Am 20. Februar 1919 hatte Zietz für die USPD gesprochen und die „neue“ „Gleichheit“-Redaktion „bedauert[e], über die Rede dieser an sich klugen und tüchtigen Frau kein freund- liches Wort sagen zu können. Luise Zietz neigte schon in den normalen Zeiten vor dem Kriege zur Übertreibung, sie liebte die Superlative und starke Unter- streichungen. In den Jahren des Krieges und in den Monaten der Revolution, wo ohnehin alles aus dem Gefüge geraten ist und die ganze Welt nur noch aus Super- lativen des Gewalttätigen und Ungeheuerlichen zu bestehen scheint, kann Luise Zietz aus dem Vollen schöpfen. Und sie tut es!“2103 Zietz, so kann man wieder dem von Bohm-Schuch verfassten Nachruf entnehmen, wurde später in den Reichstag gewählt. In ihren Reden und Broschüren – u. a. zum Mutter-, Säuglings- und Kinderschutz, die Broschüre „Die Frauen und der politische Kampf“ oder Agitationsschriften mit den Titeln „Gehörst du zu uns?“ oder „Bist du eine der unsrigen?“, die die Leserinnen auf be- sonders persönliche Art ansprechen sollten – habe Zietz es verstanden, „trockenes Material“ so zu vermitteln, dass es „die Frauen packte“2104. Alle Sozialdemokratinnen, „die die Schroffen und Schrunden des politischen Kampfes im eigenen Wesen tragen“, könnten verstehen, dass auch Zietz‘ „Wesen oft hart und rauh werden mußte“ 2105. Es ist sehr auffällig, wie sich Bohm-Schuch bemühte, Verständnis aufzubringen und sogar persön- liche Gemeinsamkeiten mit der Unabhängigen Sozialdemokratin Zietz betonte: Es seien vor allem deren „Klassenbewußtsein, ihr stolzes Zusammengehörigkeitsgefühl mit der Arbeiter- schaft und, hieraus entspringend, die innere Trennungslinie zur bürgerlichen Frauenbewegung“2106 gewesen, die die neue „Gleichheit“-Redakteurin mit ihr verbunden hätten. Zwar sind Bohm- 2100Ebd., S. 31. 2101Ebd., S. 32. 2102Die erste Parlamentsrede einer Frau in Deutschland. In: GL, 29/ 12/ 14.03.1919/ 89-93. 2103Ebd., S. 93. Bewusst positiv fiel das Urteil Juchacz‘ zur Rede Gertrud Bäumers aus (vgl. ebd.). 2104Ebd. 2105Ebd. 2106Ebd. 608 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ Schuchs Äußerungen ein Indiz dafür, dass sich die sozialdemokratische Frauenbewegung – wohl auch zur Identifikationsstiftung – zur bürgerlichen Frauenbewegung abgrenzte, aber sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies weniger radikal geschah als zuvor unter der Führung Zetkins und Zietz‘. Viele derjenigen Frauen, die nun in vorderster Reihe der SPD standen, so Bohm-Schuch weiterhin in einem versöhnlichem Tenor, seien „durch die Schule von Luise gegangen“2107. Wenn Zietz auch diese später „leidenschaftlich bekämpfte, so wollen wir ihr nicht vergessen, daß dies gerade aus ihrer Liebe zur gemeinsamen Sache der Arbeiterschaft entsprang“2108. Keine der Mehrheitssozialdemokratinnen würde der Verstorbenen die „Reinheit der Motive, die Ehrlichkeit des Wollens […] absprechen“2109, mit der sie so handelte wie sie handelte. Zietz‘ Leben sei ein „leuchtendes Beispiel dafür, wie ein starker Mensch sich aus widrigen Verhältnissen zu geistiger Höhe emporarbeiten kann“2110. Denn obwohl sie wie viele andere Arbeitertöchter nur eine Volksschulbildung genossen hatte, erwarb sie sich aus eigener Energie höheres Wissen. Krönung all dieser Versöhnlichkeit und jen- seits aller umstrittenen Inhalte ist die folgende Charakterisierung Zietz‘: „Sie mußte sein wie sie war, weil sie sich einer Sache nur ganz hingeben konnte.“ 2111 Und doch: Bohm-Schuch ließ die Gelegenheit nicht ungenutzt, um die Politik der USPD zu kritisieren. Sie erachtete sie schlicht „für falsch“2112 und betrachtete die Parteispaltung als „das schlimmste Hindernis zur Erreichung des Sozialismus“2113. Ein Jahr später verfasste eine derjenigen SozialdemokratInnen, die dieses Hindernis mittrugen, einen Artikel anlässlich Zietz‘ erstem Todestag.2114 Mathilde Wurm – ehemalige USPD-Genossin und nach der Wiedervereinigung der Sozialdemokratien als Redakteurin zur „Gleichheit“ zurück- gekehrt – beschrieb das Wirken Zietz‘ aus USPD-Perspektive: „Wie so vielen anderen Tapferen in unseren Reihen hatten auch ihr die materiellen Entbehrungen während des Krieges, häufige Untersuchungshaft, Haussuchungen und Vernehmungen und der Verlust so manches lieben Kampfgefährten Körper- und Nervenkraft gebrochen.“2115 2107Ebd. 2108Ebd. 2109Ebd. 2110Ebd. 2111Ebd. 2112Ebd. 2113Ebd. 2114[Wurm, Mathilde] M. W.: Luise Zietz zum Gedächtnis. In: GL, 33/ 02/ 15.01.1923/ 10. 2115Ebd. 609 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN AnhängerInnen der USPD und anderer linker Gruppierungen waren während des Krieges tatsächlich ähnlich wie unter dem Sozialistengesetz behandelt worden – nur, dass die Mitverant- wortlichen dafür ehemalige ParteigenossInnen waren. Zu solcherlei Strapazen sei Zietz‘ ständige „Ueberarbeit“2116 hinzugekommen, mittels der sie jedoch auch ein Beispiel dafür war, „was eine Frau an Hingabe für ein großes Ziel zu leisten vermag“2117. Laut Wurm war es „ein nach außen und innen stark und geschlossen dastehendes, international ver- bundenes Proletariat, in dem Mann und Weib gemeinsam arbeiten und kämpfen für die Befreiung der Arbeiterklasse, für die Befreiung der Menschheit“2118, für das Zietz gelebt habe, für das sie auch gestorben sei. Die „Einigung des Proletariats“, „seine ganze Einigung, ohne Unterschied der Richtung“2119, habe sie sich ersehnt. Luise Zietz, die mit der ersten deutschen Republik „die Morgenröte einer neuen Zeit hatte aufziehen sehen“, hatte nicht sterben, sondern „mit aller Kraft auch die Sonne noch leuchten sehen“2120 wollen, die Sonne über einem sozialistischen Deutschland. Wie Zietz, so war auch Klara Wehmann (?-1915 / 56jährig) bereits seit Anfang der 1890er in der Arbeiterbewegung tätig. Die Mutter von zwei Söhnen gehörte in Leipzig zur Kerntruppe auf- geklärter Genossinnen und war Mitbegründerin und Förderin der dortigen proletarischen Frauen- bewegung. Geboren als „einfache[s] Volkskind“2121, so vermutlich Zetkin in einem Nachruf, habe sie sich zu einer starken „eigengeprägten Persönlichkeit entwickelt, die Tiefe und Zartheit des Empfindens mit klarem Blick, selbständigem Urteil und leidenschaftlichem, zähem Wollen vereinigte“2122 [Hervorhebungen von M.S.]. Wehmann habe für den Sozialismus „mit glühender Begeisterung, klarem Zielbewußtsein und nie versagender, selbstloser Opferfreudigkeit“2123 gekämpft und sich dabei immer auch einen kri- tischen Geist bewahrt, der vieles hinterfragte: „ihr Leben und ihr Wirken [wurde] nicht von Meinungen regiert, die wie Rohr im Winde der Ereignisse und Stimmungen hin- und herschwanken, es war der Aus- druck einer stark gewurzelten Überzeugung, die kraftvolle Schößlinge, Blüten und Früchte trieb“2124. 2116Ebd. 2117Ebd. 2118Ebd. 2119Ebd. 2120Ebd. 2121Genossin Clara Wehmann – Leipzig †. In: GL, 25/ 23/ 06.08.1915/ 153. 2122Ebd. 2123Ebd. 610 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ Wehmann, die zu dieser Zeit durch ein Herzleiden bereits bettlägerig war, war eine kritische Beobachterin des Ersten Weltkrieges und die Briefe, die sie aus dieser Beobachtung heraus der „Gleichheit“-Redaktion zukommen ließ, seien „herzerfrischende Bekenntnisse sozialistischer Auf- fassung“2125 gewesen. Wenn Zetkin urteilte, dass Wehmann „mit Leib und Seele Sozialistin“2126 war, so ist davon auszugehen, dass sie der Opposition angehörte und die „Gleichheit“ in ihrer Haltung gegen SPD-Vorstand und Krieg unterstützte. Aber war es angesichts des Krieges und seiner zahllosen Opfer nicht sehr vermessen, einer einzelnen verstorbenen Sozialistin zu gedenken? Zetkin begründete diese Unerlässlichkeit so: „Das Proletariat darf und kann über den Massengräbern der Seinigen, die der Welt- krieg füllt, nicht den bescheidenen Einzelhügel vergessen, der ein Herz deckt, das bis zur letzten Minute für die Sache der Menschheitsbefreiung schlug, unter dem ein Wille zur Ruhe gekommen ist, der selbstlose Hingabe an dies große Ziel be- fahl.“2127 Jene selbstlose Hingabe wurde in einem weiteren, vermutlich von Käte Duncker verfassten, Artikel beschrieben. 1893 wurde Wehmann Mitarbeiterin im Leipziger Frauenbildungsverein, der jedoch schon 1894 verboten wurde. Sie gründete und leitete von 1900 bis zu seiner Verschmelzung mit der Organisation der männlichen SPD-Mitglieder den „Verein der Frauen und Mädchen der Arbeiter- klasse“. Wehmanns Engagement war es zu verdanken, dass die Diskussions- und Leseabende der Leipziger Sozialdemokratinnen und auch die unentgeltliche Lieferung der „Gleichheit“ erhalten nach jener Verschmelzung beibehalten wurden. Dies um, wie Duncker meint, den Frauen und Mädchen „die ihrer weiblichen Eigenart entsprechende Durchbildungsmöglichkeit“2128 zu gewähr- leisten. Damit ist hier einer derjenigen Fälle dokumentiert, in denen die Frauenleseabende trotz gemischtgeschlechtlicher Organisationsstrukturen nach 1908 nicht eingestellt wurden. Wehmann war bis in ihr letztes Lebensjahr hinein für diese Frauenleseabend, die Jugendbewegung und in der Leitung einer Bibliothek tätig. Außerdem leitete sie bis zur seiner Verschmelzung mit dem Schneiderverband den Leipziger Wäscherverband. Mehrfach wurde Wehmann zu Versammlungen und Konferenzen delegiert. Sie, die über einen „klare[n] Verstand und ernste Gründlichkeit“2129 verfügte, habe fortwährend an sich und ihrer Weiterbildung gearbeitet und war Teilnehmerin verschiedener Bildungs- und Unterrichtskurse. 2124Ebd. 2125Ebd. 2126Ebd. 2127Ebd., S. 154. 2128[Duncker, Käte] K. D.: Klara Wehmann †. In: GL, 25/ 24/ 20.08.1915/ 161. 2129Ebd. 611 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Und doch war Wehmann keine der öffentlich besonders herausragenden Führerinnen der prole- tarischen Frauenbewegung. Dafür gibt Duncker folgende Erklärung: „Und wenn es ihr nicht gegeben war, das Selbstdurchdachte und Erkannte in zündender, packender Rede anderen mitzuteilen, so hat sie dafür durch ihr schlich- tes, klares Wort, durch ihr Beispiel, ihre Treue, ihre Ehrlichkeit, ihr echt solida- risches Handeln gewirkt.“2130 Das rednerische Talent, das ihr zu fehlen schien, machte Wehmann demnach mit anderen idealen Charaktereigenschaften einer proletarischen Klassenkämpferin wieder wett. Durch diese Charak- terisierung wird ihr Tun für einfache Proletarierinnen außerdem umso nachvollziehbarer. In ihrer Zeit als Leiterin des Arbeiterinnenvereins habe Wehmann – immer im Dienst der Sache – „nichts Kleinliches, nichts Persönliches aufkommen [lassen,] […] wußte […] geschickt zu vermitteln und auszugleichen“2131. Nie habe sie den „Fehler so mancher Vereinsleiter“2132 begangen und Konkurrenz neben sich nicht ertragen können. Stattdessen habe sie sich „über jede junge Kraft [gefreut] und suchte sie zu fördern“2133. Schließlich verfasste Duncker, das Vorbild Wehmanns vor Augen, eine Definition für die ideale sozialistische Klassenkämpferin: „Ihr [Wehmann; M.S.] war der Sozialismus nicht nur Gefühlssache, nicht nur Erkenntnis, er war ihr beides: er war ihr Weltanschauung, Glauben, Religion, die ihr ganzes Leben durchdrang. Sie bekannte ihn nicht nur, sie lebte ihn, auch da- heim in ihrer Familie, in der Erziehung der Söhne, im Getriebe des Alltags.“2134 Diese ideale sozialistische Gesinnung einer Frau lehnte die Gefühlskomponente wie in einigen anderen „Gleichheit“-Artikeln beschrieben nicht ab, sondern erkannte sie als Beweggrund poli- tischen Engagements an. Doch Wehmann habe es nicht allein dabei belassen: „Lieber kämpfend sterben, als tatenlos dahinvegetieren, das war ihre Losung.“2135 Wehmann – „ein tüchtiger, aufrechter Mensch“2136 – sei zudem eine „liebevolle Gattin“2137 ge- wesen, die ihr Ehemann „auf Händen trug“2138, eine „aufopfernde Mutter“2139, die ihren Söhnen auch Freundin war, „eine tapfere Genossin und Kämpferin“2140. Der Weltkrieg allerdings habe der 2130Ebd. 2131Ebd. 2132Ebd. 2133Ebd. 2134Ebd. 2135Ebd. 2136Ebd. 2137Ebd. 2138Ebd. 2139Ebd. 2140Ebd. 612 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ herzleidenden Wehmann „den letzten Stoß gegeben“2141. Denn nicht nur, dass sie sich um die im Feld stehenden Söhne sorgen musste, auch die Verwirrung in der Partei traf sie schwer. Ihr Herz, so Duncker, „schlug immer leiser und leiser, bis es endlich stehen blieb“2142. Es ist ihre prinzipien- treue Haltung, die Duncker nochmals besonders herausstellt und die Wehmann auch in schweren Zeiten bewahrt habe: „Und wenn sie auch materielle Sorgen und trübe Tage genug erlebt hat, sie war doch reich, reich durch den Besitz eines Zukunftsglaubens[,] einer Aufgabe, für die es sich zu leben lohnt. Und sie ist sich bis zuletzt treu geblieben! Sie hat nicht umgelernt, nicht wie so viele andere verbrannt, was sie früher anbeteten, und an- gebetet, was sie früher verbrannten. Sie blieb ihrem Ideal, dem Gedanken der Menschheitsbefreiung und Menschheitsverbrüderung auch treu unter den Erschüt- terungen des Weltkriegs, treu bis zum Tod. Es sind nicht viele, an deren Grab man das wird sagen können.“2143 Bereits ein Jahr nach Kriegsbeginn formulierte Duncker hier mit einer sehr deutlichen Sprache ihre Vorwürfe in Richtung der zukünftigen Mehrheitssozialdemokratie und der Gewerkschaften. Die gewerkschaftliche Organisierung der Arbeiterinnen war Tätigkeitsfeld Wilhelmine Kählers, der Verfasserin des folgenden Nachrufes, und Paula Thiedes (1870-1919), die einer Krebs- erkrankung erlag. Anfang der 1890er Jahre hatte Kähler Thiede auf einer Berliner Konferenz zur Intensivierung der Frauenagitation kennengelernt. Thiede engagierte sich vor allem in der Agitation unter den Buchdruckereihilfsarbeitern und -arbeiterinnen. Sie baute deren Zentral- verband auf und stand bald selbst an dessen Spitze.2144 Mit Tatkraft, Berufskenntnis und Witz habe sie sich erfolgreich für Lohnerhöhungen eingesetzt, war Teilnehmerin und geschickte Leiterin der Generalversammlungen ihres Verbandes. Jedoch sei Thiede nicht nur eine tüchtige Kraft, sondern auch ein „prachtvoller Mensch“2145 und eine enge Freundin Emma Ihrers gewesen. Der Tod ihrer Mitarbeiterin Hanna Lewin-Dorsch (?-1911) erschütterte die „Gleichheit“- Redaktion merklich. Die Nachricht von ihrem Tod durch ein schweres Hirnleiden kam für sie „unerwartet wie der Dieb in der Nacht“2146. Zetkin verlor mit Lewin-Dorsch, die vor allem kultur- historische Artikel für die Beilage „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ verfasst hatte, 2141Ebd. 2142Ebd. 2143Ebd. 2144Kähler, Wilhelmine: Paula Thiede †. In: GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 100. Auffällig an dem Nachruf ist, dass er in größerem Zeilenabstand gedruckt und damit besonders hervorgehoben wurde. 2145Ebd. 2146Hannah Lewin-Dorsch †. In: GL, 21/ 23/ 14.08.1911/ 362. 613 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN „eine vorzügliche Mitarbeiterin von weitfassender gründlicher Bildung, treuer Gewissenhaftigkeit, brennendem Eifer und großem Talent“2147. Aus gut bürgerlicher, orthodox protestantischer Familien stammend, sei Lewin-Dorsch eine der „reifsten und tüchtigsten Trägerinnen“ der proletarischen Frauenbewegung geworden. Auch wenn ihr diese Entwicklung „nicht an der Wiege gesungen worden“ war, so spielte ihre Familien- herkunft dabei doch keine unwesentliche Rolle. Vielmehr habe zu der Entwicklung, „daß sie eines Tages als leidenschaftliche Bekennerin des wissenschaftlichen, des revolutionären Sozialismus für das kämpfende Proletariat wirken sollte“, sehr beigetragen, dass „in ihren Adern […][das] Re- bellenblut“2148 ihres Großvaters „pulsierte“2149, der ein 1848er-Revolutionär gewesen war. Ein glühender, fanatischer Wahrheitsdrang habe sie erst auf „verschlungenen und oft recht dornigen Pfaden“2150 gehen lassen. Doch schließlich habe sie sich immer, so Zetkin, „mit schweren Kämpfen […] die einheitliche und harmonische Weltanschauung erkauft, nach der ihr auf philosophisches Durchdringen gerichteter Geist verlangte, wie auch die persönliche Selbständigkeit, die für ihren stolzen, aufrechten Sinn Lebensluft war“2151. Es ist die Begeisterung für die Wissenschaft, die Zetkin den „Gleichheit“-Leserinnen hier in besonders bewegenden Worten zu vermitteln versuchte. Lewin-Dorsch habe aber nicht nur ein wissenschaftliches, sondern auch ein künstlerisches Talent besessen. Und es seien „Talent und Hingabe“2152 gewesen, die ihr eine angesehene Stellung als Krankenschwester eingebracht hätten, welche sie aber zusammen mit ihrem Kirchenglauben aufgab. Sie entwickelte sich zur Anhängerin des Monismus2153, zur Freidenkerin, und unterhielt einen freundschaftlichen Kontakt zu dem Botaniker und Darwinisten Arnold Dodel-Port. Schließlich wurde sie Dodels Pflegerin, Beraterin und Schülerin.2154 Er vermittelte ihr erste Kenntnisse vom Sozialismus, die Lewin-Dorsch 2147Ebd. 2148Ebd. 2149Ebd. 2150Ebd. 2151Ebd. 2152Ebd. 2153Der Monismus als „Alleinheitslehre“ erklärt die Entstehung der Welt aus einem Prinzip, einem Stoff, einer Substanz. Um 1900 war der Monismus eine weitverbreitete Art Religionsersatz. 1906 wurde in Jena der Monisten- bund gegründet, der sich auf die Alleingültigkeit der Naturgesetze berief und der nach dem Ersten Weltkrieg vor allem sozialistische und pazifistische Denkströmungen vertrat. 2154Wie einem 11. August 1911 verfassten Brief der schweizerischen Sozialistin Margarethe Faas-Hardegger an den deutschen Anarchisten Erich Mühsam zu entnehmen ist, war Lewin-Dorsch Dodels Sekretärin (vgl. http://www.- margarethe-hardegger.ch/Q_hardegger_muehsam. Die auf dieser Webseite publizierten Briefe Hardeggers sind Quellmaterial für die von Regula Bochsler veröffentlichte Biographie „Ich folgte meinem Stern. Das kämpferische Leben der Margarethe Hardegger“ (2004)) Gemeinsam mit ihm veröffentlichte sie 1907 die Schrift „Eine neue Reformation von Christentum zum Monismus“. Faas-Hardegger und Mühsam standen jedoch vor allem in Kon- takt mit Eugen Lewin, dem Eheman Lewin-Dorschs, der als politischer Schriftsteller wirkte und einen Nachruf auf Dodel für die „Gleichheit“ verfasste (vgl. Lewin, Eugen: Arnold Dodel. Zu seinem Todestag, 11. April 1908. In: GL, 19/ 14/ 12.04.1908/ 210). 614 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ selbständig vertiefte: „Ihrem auf Klarheit, Folgerichtigkeit und Einheitlichkeit gestimmten Wesen ge- nügte der gefühlsmäßige Sozialismus nicht, es forderte eine fest fundierte wissen- schaftliche Erkenntnis.“2155 Mit der Vertiefung in die Materie, sei die Offenbarung gekommen und schließlich, so Zetkin, wurde Lewin-Dorsch „[d]ie materialistische Geschichtsauffassung […] der Schlüssel zum Ver- ständnis der treibenden Kräfte und Zusammenhänge der Menschheitsgeschichte“2156. Dieser Entwicklung schloss sich ein Studium der Naturwissenschaften, dann der Gesellschafts- wissenschaften und der Geschichte an der Züricher Universität an. Bereits zu dieser Zeit begann Lewin-Dorsch Werke für die Massen zu verfassen. Sie wurde Mitarbeiterin der „Gleichheit“, der „Arbeiter-Jugend“ und anderer deutscher und österreichischer Parteiblätter. Diese erfolgreiche berufliche Entwicklung fand ihre Ergänzung darin, dass Lewin-Dorsch einen Lebensgefährten fand, „der eins war in der Gesinnung, eins im leidenschaftlichen Ringen um Erkenntnis und Tat“2157. Mit der Geburt einer Tochter habe sich auch ihre „lange heimlich ersehnte Seligkeit der Mutterschaft“2158 erfüllt – dies jedoch nur einen Monat vor ihrem Tod.2159 Lewin- Dorsch hatte die Absicht, im Winter 1911 ihre Doktorarbeit abzuschließen, doch nun musste mit ihr nicht nur „eine teure, unvergeßliche Freundin eingesargt“2160 werden, sondern, so Zetkin, auch „viele unserer liebsten Hoffnungen auf eine reiche Zukunftssaat, die der kämpfenden Arbeiterklasse reifen konnte“2161. Eine weitere Akademikerin, die voll und ganz der Sache des Sozialismus anhing, war Hope Bridges Adams-Lehmann (1855-1916). Sie war eine der ersten Frauen, die nach einem erfolgreichen Medizinstudium tatsächlich auch in Deutschland als Ärztin praktizieren konnte. Sie habe es sich zum Lebensinhalt gemacht, „[z]u heilen, nicht bloß die Gebrechen und Schwächen des Körpers, vielmehr alle Mühsal, alle Übel, die Menschen bedrücken und zermürben können“2162. Der Sozialismus sei Adams-Lehmann sowohl „Heiland“2163 als auch „große[r] Heiler“2164 gewesen. 2155Hannah Lewin-Dorsch †. In: GL, 21/ 23/ 14.08.1911/ 362. 2156Ebd., S. 363. 2157Ebd. 2158Ebd. 2159Faas-Hardegger teilte Mühsam mit, dass Lewin-Dorsch bereits zwei Wochen nach der Geburt ihrer Tochter Rahel Susanne an einer Gehirnhautentzündung gestorben sei (vgl. http://www.margarethe-hardegger.ch/Q_hardegger_- muehsam). 2160Hannah Lewin-Dorsch †. In: GL, 21/ 23/ 14.08.1911/ 363. 2161Ebd. 2162Genossin Hope Bridges Adams-Lehmann †. In: GL, 27/ 02/ 27.10.1916/ 14. 615 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Zudem war er ihr – der gebürtigen Engländerin – gleichbedeutend mit Internationalismus. Und so begann sie, „[d]ie Dinge und die Menschen für den internationalen Sozialismus vorzubereiten, jeden Keim liebevoll zu hegen und zu pflegen, der sich auf dieses Ziel gerichtet, zu entwickeln versprach: das war ihr Streben und Tun“2165. Über dieses Streben und Tun habe sie jedoch nicht vergessen, „ganz Weib, ganz Mutter“ zu bleiben, denn „[d]ie stärkste Wurzel ihrer hohen, reinen Menschlichkeit [sei] gerade ihre Weib- lichkeit, ihre Mütterlichkeit“2166 gewesen. Alle Erschütterung legte Zetkin in die folgenden abschließenden Worte: „Ein Geist von seltener Klarheit und Durchbildung ist erloschen. Ein Herz von unerschöpflichem Reichtum und selbstlosester Hingabe hat aufgehört zu schlagen. Ein eiserner Wille zur Tat ist nicht mehr. Ein großer Mensch ist von uns gegangen, der sein Daseinsziel bewußt in dem gelebten Dichterwort erblickte: Mitzulieben bin ich da.“2167 Adams-Lehmann vereinte demnach in Geist, Herz und Willen die Ideale einer bekennenden Sozialistin. Ursprünglich hatte diesem kurz gehaltenen Nachruf eine ausführlichere Würdigung folgen sollen. Doch erst fünf Jahre später erschien die Zusammenstellung dreier Artikel zum Leben dreier Vorkämpferinnen der proletarischen Frauenbewegung – Adams-Lehmann war eine davon. Die „Gleichheit“-Leserin erfährt nun, dass Adams-Lehmann „eine der berühmtesten und gesuchtesten Frauenärzte Deutschlands“2168 gewesen und dennoch „arm“2169 gestorben sei. Diese Armut, so Antonie Pfülf (1877-1933)2170, sei aber nicht Ergebnis einer Misswirtschaft oder eines Schicksals- schlages gewesen – es war gelebter Sozialismus: 2163Ebd. 2164Ebd. 2165Ebd. 2166Ebd. 2167Ebd. 2168Pfülf, Antonie: Dr. med. Hope Bridget Adams-Lehmann In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 61. Pfülf gibt hier den weiblichen Vornamen „Bridget“ an, korrekt ist aber der Familienname„Bridges“. 2169Ebd. 2170Antonie Pfülf wurde in Metz geboren. Sie stammte aus einer bayerischen Offiziersfamilie und absolvierte eine Ausbildung zur Lehrerin. Als solche arbeitete sie in verschiedenen Orten bis sie im April 1911 aus gesund- heitlichen Gründen beurlaubt wurde. 1916-1919 arbeitete Pfülf als Lehrerin an einer privaten Höheren Mädchen- schule und Frauenschule in München, außerdem auch als Armen- und Waisenpflegerin. Dort war sie nach der Novemberrevolution einziges weibliches Mitglied im Arbeiter- und Soldatenrat. Pfülf war Vorsitzende des Bundes sozialistischer Frauen, Mitgründerin der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Lehrer und weiterer schul- reformerischer Gremien. 1919 wurde sie in die Nationalversammlung gewählt, wo sie sich besonders für die Ab- schaffung des Lehrerinnenzölibats einsetzte. 1920-1933 war Pfülf Reichstagsabgeordnete. Sie befand sich von Beginn an im Widerstand gegen die NSDAP, da aber die Appelle an die eigene Partei nicht fruchteten, überkam sie eine so große Verzweiflung, dass sie sich 1933 das Leben nahm. Für die „Gleichheit“ verfasste sie vor allem im 30. Jahrgang mehrere Artikel u. a. zur Schulpolitik (vgl. GL, 30/ 21/ 22.05.1920/ 162). 616 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ „Persönlich bedürfnislos, ließ sie alles, was sie über den Bedarf ihrer Familie hinaus verdiente, den großen allgemeinen Zwecken der Gesellschaft wieder zu- fließen. Und das geschah so selbstverständlich und unauffällig, daß wohl nie jemand ihren Namen in den Listen der großen Wohlfahrtsaktionen gelesen haben wird. So fern lag ihrem Wesen die Unkeuschheit persönlicher Wohltätig- keit.“2171 Adams-Lehmann war demnach nicht nur ein „Genie des Herzens“2172, sondern auch Vorbild für Bescheidenheit. Nie sei ihr, obwohl sie mit Operationen und Krankenbesuchen stark belastet war, der Beruf „zum Handwerk“2173 geworden. Außerdem fand sie immer Zeit, Artikel für die „Gleichheit“, wie auch für die „Neue Zeit“ und die „Sozialistischen Monatshefte“ zu verfassen. Sie stand in engem Kon- takt mit Bebel, Georg von Vollmar, Wilhelm Liebknecht, Zetkin, Viktor und Friedrich Adler. Mit ihrem Ehemann Carl Lehmann, der in einem französischen Feldlazarett an einer Blutvergiftung starb2174, habe sie eine sehr glückliche Ehe geführt. Wohl auch aus dieser Erfahrung heraus, galt ihr Engagement der, wie Pfülf schreibt, „Veredelung der erotischen Beziehungen“2175, womit einerseits praktische Sexualaufklärungsarbeit, aber auch Thesen der „freien Liebe“ gemeint sein dürften. Adams-Lehmanns engagierte sich für die Abschaffung des § 218 und führte selbst Schwangerschaftsabbrüche durch. Denn, so Pfülf, es habe „[k]ein Strafgesetzparagraph ver- m[ocht,] sie davon abzuhalten, auch in ihrer ärztlichen Praxis zu tun, was ihr soziales Gewissen ihr vorschr[ieb]“2176. Adams-Lehmann strebte den Bau eines großen Frauenheims und die Ein- richtung von Versuchskindergärten an. In England geboren, war Adams-Lehmann aber mit den Jahren ganz und gar Münchnerin geworden. Im Oktober 1914 – also nur wenige Monate nach der deutschen Kriegserklärung – reiste sie deshalb auch nicht mithilfe eines falschen Passes nach England, um sich dort niederzulassen, sondern um sich mit englischen Sozialisten wie Ramsay Mac Donald zu be- sprechen. Erst im Januar 1915 kehrte sie zurück und verfasste anschließend die Schrift „Kriegs- gegner in England“ (1915). In dieser beschwor sie den internationalen Geist der sozialistischen Internationale und ihren Friedenswillen. Pfülf erachtete es als „[e]in gütiges Geschick“2177, dass 2171Ebd. 2172Ebd. 2173Ebd. 2174Vgl. Genossin Hope Bridges Adams-Lehmann †. In: GL, 27/ 02/ 27.10.1916/ 14. 2175Pfülf, Antonie: Dr. med. Hope Bridget Adams-Lehmann. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 62. Diese Seite zeigt ein Porträt Adams-Lehmanns, das im Anhang enthalten ist. 2176Ebd. 2177Ebd. 617 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Adams-Lehmann durch ein Lungenleiden davor bewahrt geworden sei, „diesen Frieden“2178 in Form des Versailler Vertrages mitzuerleben. Der Dichterin Klara Müller-Jahnke (1861-1905) kommt mehr durch ihre Präsenz in der „Gleichheit“ als durch eine Führungsposition Bedeutung für die proletarische Frauenbewegung zu. Zetkin schätzte Müller-Jahnke sehr und verfasste anlässlich der Veröffentlichung ihres Gedichtbandes „Mit rothen Kressen“ (1899), der von „glühende[m] Freiheitssehnen[…]“2179 erfüllt sei, eine biographische Skizze. Es ist vor allem der darin dominierende Duktus , der das Leben der damals noch unverheirateten Klara Müller im Gegensatz zu mancher anderen sozialis- tischen Schriftstellerin als das einer Klassenkämpferin charakterisieren lässt. Unverkennbar sind in dieser Skizze jedoch auch jene Elemente enthalten, die einen „weiblichen Vollmenschen“ aus- zeichnen: „Die große Sehnsucht unserer Zeit, die bewußt oder unbewußt in Millionen Herzen brennt, die Sehnsucht nach dem freien Ausleben der Persönlichkeit blickt uns mit heißen Augen von allen Seiten des Buches entgegen. Mit zwiefacher Gewalt mußte sie Besitz von der Verfasserin Seele ergreifen: als Weib und als mit dem Hirn pflü- gende Proletarierin hat Klara Müllers kraftvolle Eigenart im Leben die Schwere lastender Ketten empfunden.“2180 Müller-Jahnkes „Sehnsuchtsschrei […] nach Freiheit [sei] der Sehnsuchtsschrei zweier Klassen: des weiblichen Geschlechts und des Proletariats“2181. Sie war Frau und Proletarierin, ihr Schicksal kein Einzelschicksal, sondern, so Zetkin, „ein Stück modernes Menschenschicksal“2182. In dieses Schicksal gab die „Gleichheit“-Redakteurin ihren Leserinnen einen Einblick. Müller-Jahnke wurde im pommerischen Leuzen als Tochter eines Pastoren und Enkelin eines Schäfers geboren. Gerade der Beruf des Großvaters habe in Müller-Jahnke den Grundstein für ihr naturnahes Empfinden gelegt und sei verantwortlich dafür, dass sie den Einfluss kleinbürgerlicher Lebensverhältnisse schnell „abgeschüttelt“2183 habe. Sie sei keine „wild gewordene ‘höhere Tochter’“2184, keine „bildungsprotzige, schöngeisternde Spießbürgerin“2185 gewesen, sondern ein „Kind des Volkes, das die moderne Kultur mit allen Poren eingesogen hat, und das in urwüchsigem Rebellentrotz, der gesellschaftlichen Vorurtheile und Schranken 2178Ebd. 2179Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 44. 2180Ebd. 2181Ebd. 2182Ebd. 2183Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 45. 2184Ebd. 2185Ebd. 618 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ lachend, sein eigenes Leben lebt und nach Freiheit und Glück ringt“2186. Wenn auch das Elternhaus anfangs einen religiösen Einfluss auf sie genommen hatte, so machte sich ihre Selbstbefreiung von dieser belastenden Tradition vor allem in ihren Gedichten „Ich sah das Weib“ und „Der Heiland“ bemerkbar. Müller-Jahnke, so Zetkin, sei „eine innerlich Freie“2187 geworden. Als Müller-Jahnke zwölf Jahre alt war, starb ihr Vater. Dies führte dazu, dass sie in eine „that- sächlich proletarische Existenz geschleudert“2188 wurde. Zusammen mit der Mutter und einer jüngeren Schwester siedelte Müller-Jahnke nach Belgard (Pommern) über, wo sie als 14-jährige Sprachunterricht bekam während sie gleichzeitig Privatunterricht gab – die Lernende wurde ge- zwungenermaßen zur Lehrenden. 1877 wurde sie Schülerin an der Berliner Handelsschule, nach deren Abschluss sie als Buchhalterin in einer Tapetenfabrik arbeitete. Der auf ihr lastende, „blei- schwere[…] Druck der proletarischen Existenz“ sei umso größer gewesen, da Müller-Jahnke ihn „und alles, was ihr das Leben vorenthielt“2189 mit „verfeinerten Sinnen, mit wachem Geiste, im klaren bohrenden Bewußstein“2190 wahrgenommen habe. Aus dieser feinen Wahrnehmung er- wuchs ihr demnach das Verständnis für die proletarische Klassenlage und den Klassenkampf. Eine „[h]ochgradige Bleichsucht“2191 zwang sie, ihre Anstellung in der Tapetenfabrik aufzugeben und zu ihrer Mutter zurückzukehren. Dort gab sie erneut Privatunterricht und übernahm schließ- lich in Kolberg, in das sie und ihre Mutter 1884 übersiedelten, eine Vertretung an der Volksschule. 1889 erhielt Müller-Jahnke eine Stellung in der Redaktion der „Zeitung für Pommern“ (1852[?]-?). Zwar war dies ein liberales Blatt, doch ihrem „Sehnsuchtsruf nach freiem, vollem Menschenthum“ habe die Dichterin dort keinen Ausdruck verleihen können. Diese Stellung be- kleidete sie aber auch noch in jenem Jahr, in welchem Zetkin diesen Artikel über sie verfasste.2192 Mit einer merklichen Euphorie beurteilte Zetkin das schriftstellerische Werk Müller-Jahnkes. Auch die sentimentale, ja „tendenziös[e]“2193 Färbung der Gedichte erachtete Zetkin nicht als Mangel, sondern begrüßte die Art und Weise, in der Empfindungen, Gedanken und Hoffnungen in ihnen ausgedrückt wurden. Seien es doch „nicht müdes Entsagen, sondern trotzige[r] Kampf“2194 2186Ebd. 2187Ebd. 2188Ebd. 2189Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 46. 2190Ebd. 2191Ebd. 2192Mit zwei Ausrufezeichen hob die Redakteurin der „Gleichheit“ hervor, dass Müller-Jahnke dort lediglich 55 Mark im Monat verdiente (vgl. ebd.). 2193Ebd., S. 44. 2194Ebd. 619 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN und „lichtvolle Zuversicht“2195, die sie predigten. Sie bestätigte Müller-Jahnke ein besonderes „[k]ünstlerisches Empfindungs- und Schaffensvermögen“2196, eine überdurchschnittliche Bega- bung und Können. In ihrer Werksanalyse kam Zetkin zu dem Urteil, dass Müller-Jahnkes Sprache „der Reiz des Per- sönlichen“2197 eigen sei. Sie sei „weder schwatzschweifig, noch süßlich“2198 wie die anderer dichtender Frauen, „sondern markig, gedrungen, biegsam und scharf wie guter Stahl, der Funken schlägt“2199. Ihre Werke verkörperten ein „sonnensehnsüchtige[s] Menschenthum[…]“2200. Laut der begeisterten Kunstkritikerin Zetkin verlieh Müller-Jahnkes „feines künstlerisches Gestaltungs- vermögen […] der Wahrheit den Zauberreiz der Dichtung“2201 und ihr glühendes Verlangen hauch[e] der Dichtung die Kraft der Wahrheit ein“2202. Eben jenes sind die besonderen Möglich- keiten der Dichtung, denn Träume und Utopien – und damit auch andere Formen von Vorbildern – können für die Realität wegweisend sein. Es wurde schließlich besonders Müller-Jahnkes Gespür für die Sache der Frau hervorgehoben. Sie habe diese in Gedichten vertreten, ohne jedoch das Wort „Frauenrechte“ zu gebrauchen: „Aber ein so durchaus individuelles Gepräge die Gedichte tragen, so typisch sind sie gleichzeitig für modernes Frauenleben und Frauenverlangen. Ein Leiden, Ge- nießen, Ringen und Sehnen reckt in ihnen die Glieder, das Bein vom Bein, Fleisch vom Fleisch Tausender von Frauen in unseren Tagen ist. Kein einziges Schlagwort von Frauenrechten fällt, und doch klingt aus dem Bändchen Gedichte [„Mit rothen Kressen“; M.S.] vernehmlich der sehnsuchtsschwere Schrei nach dem Rechte der Frau, sich als Persönlichkeit frei zu entfalten und auszuleben. Dieser Grundton macht es erklärlich, daß die inbrünstig Verlangende, die Pfadsucherin, die uns die Verse zeigen, im Ringen um ihr Glück und tiefen, vielseitigen Lebensinhalt zur trotzigen Rebellin wird wider den bürgerlichen Moralkodex, zur Kämpferin für soziale Freiheit. –“2203 Diese Kritik Zetkins, die selten besonders überschwänglich lobte, wirkt sehr eigentümlich. Doch hier scheint Zetkin wirklich persönlich berührt. Es lässt sich vermuten, dass diese Überschwänglichkeit direkt oder indirekt damit zusammenhängt, dass sie in jenem Jahr – 1899 – ihren zukünftigen Ehemann, den 18 Jahre jüngeren Kunstmaler Georg Friedrich Zundel, kennen- lernte. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, wurde nicht nur Müller-Jahnke, sondern auch Zetkin zur „trotzigen Rebellin wider den bürgerlichen Moralkodex“. 2195Ebd. 2196Ebd. 2197Ebd. 2198Ebd. 2199Ebd. 2200Ebd. 2201Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. (Fortsetzung statt Schluß.). In: GL, 09/ 07/ 29.03.1899/ 52. 2202Ebd. 2203Ebd. 620 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ Diese Interpretation weiterverfolgend, ist Zetkins kunstkritische Rezension nicht nur als ein Auf- begehren gegen die bürgerliche Moral zu sehen, sondern auch als ein Aufbegehren gegen das Älterwerden. So schrieb sie: „Mit geradzu elementarer Wucht, der konventionellen Heuchelei spottend, bäumt sich in diesen kraftvollen Versen das tiefste Sehnen des Weibes auf wieder das drohende Welken und Verkümmern der ‘alten Jungfernschaft’, fordert es ge- bieterisch das Recht auf Liebe, das Recht auf Fortdauer in der Ewigkeit einander ablösender Geschlechter.“2204 Müller-Jahnke scheint demnach zu diesem Zeitpunkt noch kinderlos gewesen zu sein und machte ihre Hoffnung auf Liebe und Mutterschaft zum Thema ihrer Werke. Ein Thema, das in der Frauen- lyrik jener Zeit häufig behandelt wurde. Allerdings, so Zetkin, unterschieden sich die dichte- rischen Darstellungen Müller-Jahnkes „durch ihre Kühnheit und Leidenschaft sehr günstig von dem süßlichen, himmel- blau und rosenrothen Gesäusle der landläufigen Frauenlyrik […]. Dort verlogene, ungesunde Empfindelei, hier warmes, wildes, starkes Leben“2205. Es sei Lebensfreude und „das leidenschaftliche Verlangen, die überquellende Fülle zärtlicher Liebe über ein theures Kindeshaupt zu schütten“2206, das aus ihren Werken spreche. Die zu diesem tiefen Muttergefühl verfassten Verse gehören laut dem Urteil Zetkins „zu dem Reifsten, Groß- zügigsten und künstlerisch Vollendetsten“2207, was Müller-Jahnke mit ihren Gedichten ihren Lese- rinnen geboten habe. Und doch sei es nicht nur der „Sehnsuchtslaut des Weibes nach Liebes- und Mutterglück“2208, der aus Müller-Jahnkes Gedichten töne, sondern auch „der Empörungsruf des Menschen, auf dessen Blüthendrang der tödtliche Frost des Vorurtheils, der gesellschaftlichen Einrichtungen, vor Allem aber der Armuth fällt“2209. Den Argumenten ihrer heutigen KritikerInnen, die in Zetkin nur die Propagandistin einer „proletarischen Gebärerin“2210 sehen wollen, widerspricht es, wenn sich diese in ihrem Artikel dafür aussprach, dass „[g]ewiß […] das ‘Ewig Weibliche’ etwas ewig Menschliches im Leben der Frau [sei], aber […] nicht der einzige, der ganze Inhalt ihrer Persönlichkeit“2211. Zetkin plädierte 2204Ebd., S. 54. 2205Ebd., S. 52. 2206Ebd., S. 53. 2207Ebd. 2208Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. (Schluß.). In: GL, 09/ 08/ 12.04.1899/ 60. 2209Ebd. 2210So der Titel eines Unterkapitels in der Zetkin-Biographie Puschnerats (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus, S. 140). 2211Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. (Schluß.). In: GL, 09/ 08/ 12.04.1899/ 60. 621 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN hier deutlich für eine umfassende Entfaltung der weiblichen Persönlichkeit. Eine Entfaltung, die Müller-Jahnke selbst sehr schwer gemacht wurde. Der Erwerbszwang habe sie in den „ausgetretenen Bahnen einer engen Berufsbildung“2212 gehalten und ihre nächste Umge- bung habe weder Verständnis noch „Mitgefühl für das Suchen und Fehlen, für das Kämpfen, Unterliegen, Wiedererheben und rastlose Vorwärtshasten und Vorwärtstasten“2213 der jungen Dichterin gehabt. Ihr Versuch, ihr „eigenes Leben leben zu wollen, die konventionelle Heuchelei preiszugeben, um etliche Strahlen persönlichen Glücks zu erhaschen“2214 wurde verurteilt. Diese repressive Situation scheint Müller-Jahnke in eine tiefe Krise geworfen zu haben, denn Zetkin schrieb, sie habe „[v]or des Daseins Jammer […] in den Schlaf, […] in den Tod flüchten“ 2215 wollen. Diesen Plan einer „feige[n], poetisch verklärte[n] Weltflucht“2216 habe jedoch ihre „Lebensfrische und Strebensfreude“2217 vereiteln können. Auch sei ihr ihre Dichtkunst „kein Nar- kotikum [gewesen], das von den Kämpfen unserer Tage in das Reich einer traumseligen Schönheit entrückt“2218. Vielmehr habe Müller-Jahnke immer auch „den Kampfesgehalt der Zeit“2219 in ihre Werke hineingenommen. Sie habe eine starke Eigenart bewiesen, trotz und wegen der „sie sich den ‘Herdenthieren’ gegenüber nicht in den Verachtungswinkel hin- ein[dichte], in dem so viele derer hocken, welche sich ‘Uebermenschen’ nennen, weil sie Unterknirpse“2220 seien. Müller-Jahnke habe „die Gemeinschaft mit der Masse“2221, ihren „proletarischen Kern“2222 gefühlt und deshalb nicht nur „mit dem Proletariat“2223 empfunden, sondern sich selbst „als Proletarierin, deren stolze Individualität die Härte des Beugenlernens erfahren hat“2224. Nur jene Menschen, die „unfrei unter Unfreien fremden Reichthum gefrohndet“2225 hätten, so betonte Zetkin, könnten die Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse richtig empfinden. Müller-Jahnkes Bilder könnten auch nur deshalb so packend, so lebensnah gezeichnet sein, weil sie „nicht blos 2212Ebd. 2213Ebd. 2214Ebd. 2215Ebd. 2216Ebd., S. 61. 2217Ebd. 2218Ebd. 2219Ebd. 2220Ebd. 2221Ebd. 2222Ebd. 2223Ebd. 2224Ebd. 2225Ebd. 622 4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“ mit dem Auge geschaut“2226, sondern „mit der Seele empfunden“2227 seien. Ihre Werke seien „blitz- scharf, Gerechtigkeitsgefühl und Grimm wachrüttelnd“2228, weil die Dichterin darin den Gegensatz zwischen ausgebeutetem Proletariat und ausbeutenden Kapitalisten aufzeige.2229 Aber sie würden auch „von der Gewissheit, dass eine neue Welt geboren wird“2230 sprechen. Eine Welt, „wo jeder nach Entfaltung drängende Keim Wärme und Licht empfängt, wo Jedem freies Menschenthum zufällt als sein Recht und ‘nicht als Bettlergabe aus Erbarmen’“2231. Hier klingt eine Kampfbereitschaft für ein besseres Leben an, die laut Zetkin auch das Gedicht „Der Messias kommt mit Schwerterklang“ ausmache. Denn ProletarierInnen würden nicht um Gnade oder Schonung bitten, sondern bewusst um ihr Recht streiten. In jenem Streit und nicht „als eine müßige Zuschauerin […] hinter der Front“2232 wollte Müller-Jahnke stehen. Auch wenn sie älter geworden sei, „schaff[e] und wirk[e]“2233 „in ihrem Inneren […] noch Jugendkraft, die kein Schmerz brechen, keine Enttäuschung abstumpfen“2234 könne. Müller-Jahnke sei in der Tat dem Volke „‘eine Stimme der Freiheit’“2235 geworden, so wie sie es sich immer gewünscht habe. Diese von Zetkin so hoch verehrte Dichterin starb im November 1904 unerwartet an einer Lun- genentzündung. Die Nachricht von ihrem Tod teilte die „Gleichheit“ ihren Leserinnen „[s]chmerzlich bewegt“2236 vorerst nur in einer kurzen Notiz mit, ein Nachruf sollte folgen.2237 Müller-Jahnke sei eine der „treuen Mitarbeiterinnen“2238 der „Gleichheit“ und außerdem „ein starkes Talent und ein starker, reiner Charakter“2239 gewesen. Die Tochter eines Pfarrers hatte in- zwischen den Maler Oskar Jahnke geheiratet. Nachdem sie „[u]nter den härtesten, äußeren und inneren Lebenskämpfen […] aus der Gebundenheit bürgerlichen Lebens und Denkens zu geistiger Freiheit durchgerungen“2240 hatte, sei sie eine „überzeugte Kämpferin des klassenbewußten Prole- 2226Ebd., S. 62. 2227Ebd. 2228Ebd. 2229Ebd. 2230Ebd. 2231Ebd. 2232Ebd., S. 63. 2233Ebd. 2234Ebd. 2235Ebd. 2236[Ohne Titel.] GL, 15/ 24/ 29.11.1905/ 142. 2237Vgl. ebd. 2238Ebd. 2239Ebd. 2240Ebd. 623 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN tariats“2241 geworden und als eine seiner Dichterinnen kreativ gewesen. Zwar wurde für eine der späteren Nummer „eine eingehende Würdigung ihrer Persönlichkeit und ihres Werkes“2242 ange- kündigt, diese erfolgte jedoch nicht.2243 Müller-Jahnkes Grab, so Friedel Schirbel (?-?) 16 Jahre später in Erinnerung an deren Todestag, liege „[g]anz still und einsam auf der Höhe, weit weg von den übrigen Gräbern des kleinen Heidefriedhofes, da, wo sonst die Ausgestoßenen schlafen, wo aber die Vögel desto schöner singen und die Blumen üppig und wild blühen, da ist’s, dort trägt ein großer Granitstein ein Frauenbild mit scharfen markanten Zügen und einem vom festen Willen sprechenden Mund“2244. Schirbel verfasste diesen Artikel drei Jahre nach Kriegsende und bedauert es sehr, dass Müller- Jahnke – „die Frau des Volkes“2245 – in dieser schweren Zeit nicht mehr lebte, um „ihren Mit- schwestern […] die bittern Tränen [zu] trocknen, […] in ihren wunden Herzen [zu] lesen“2246. In dieser wichtigen Aufgabe hätte sie ansonsten ihr „stille[s] Heldentum“2247 dartun können. 2241Ebd. 2242Ebd. 2243Es erschien jedoch 1911 in der Beilage „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ ein entsprechender Artikel: Trojan, E.W.: Klara Müller-Jahnke. In: GL, 21 (1911)/ „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 13/ 49-50. E. W. Trojan (?-?) (die herangezogenen Nachschlagewerke und Datenbanken enthalten keine Informationen zur Biographie Trojans. Es ist zu vermuten, dass die Person in verwandtschaftlichem Verhältnis zu dem Dichter, Schriftsteller und Chef- redakteur des „Kladderadatsch“, Johannes Trojan, stand) würdigte darin die sich wunderbar ergänzenden Talente des Ehepaares Müller-Jahnke. Oskar Jahnke hatte die Werke seiner Frau nach deren Tode gesammelt, sie mit eigenen Illustrationen ergänzt und schließlich mit Unterstützung des „Vorwärts“-Verlages herausgegeben. 2244Schirbel, Friedel: Klara Müller-Jahnke zum Gedächtnis. Gestorben am 4. November 1905. In: GL, 31/ 20/ 15.10.1921/ 195. 2245Ebd., S. 196. 2246Ebd. 2247Ebd. 624 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF 4.4.8 Internationale Genossinnen im Klassenkampf Die „Gleichheit“ war das offizielle Organ der Sozialistischen Fraueninternationale und Clara Zetkin deren Sekretärin. Dieser Funktion und den internationalen Kontakten Zetkins ent- sprechend, veröffentlichte die „Gleichheit“ des Öfteren Nachrufe und Jubiläumsartikel auf aus- ländische Klassenkämpferinnen. Deren Biographien stehen für die Entwicklung der Arbeiter- und Frauenbewegung in verschiedenen Staaten und Kontinenten. Da es sich aber ausschließlich um Industriestaaten handelt, in denen diese Frauen wirkten, erklärt es sich, dass sich die an ihnen hervorgehobenen Leitbildeigenschaften nicht sonderlich von denen deutscher Klassenkämpferin- nen unterscheiden. 4.4.8.1 Österreich Viktoria Kofler (?-1894) entstammte einer österreichischen Arbeiterfamilie und durchlebte deren typische Existenznöte. Ihr Arbeiterinnenleben sei jedoch „[k]östlich […][geworden] durch den reichen Inhalt, den ihm die schlichte Frau gab, indem sie ihr warmes Herz, ihren offenen Geist, ihre unbeugsame Energie dem Dienst einer großen Sache widmete: dem Befreiungskampf des Proleta- riats“ 2248. So seien neue „lebenskräftige Ideale“2249 an die Stelle „alte[r] trügerische[r] Götter“2250 getreten. Der Sozialismus gab Kofler, so vermutlich Zetkin für die „Gleichheit“, „den heißen, felsenfesten Glauben […] an die hohe, geschichtliche Mission des Proletariats als Erlöser seiner selbst, als Träger einer sonnigen Zukunft für die ganze Menschheit […][,] gab ihr die unbezwingbare Thatkraft, für ihre Ideale zu kämpfen, die Freudigkeit, für sie zu entbehren und zu opfern“2251. Kofler war eine begabte Rednerin und Mitgründerin des Wiener „Arbeiterinnen-Bildungsvereins“. Besonders wichtig war ihr die Verbreitung sozialistischer Literatur unter die Massen und hier vor allem unter die proletarischen Frauen. Vehement forderte sie deshalb die Herausgabe eines besonderen Frauenorgans. Ihrer Meinung nach machte die „vielfach vorhandene Rückständigkeit der Frauen eine Zeitung nothwendig […], welche dem weiblichen Auffassungsvermögen angepaßt sei“2252. Kofler wurde offizielle Herausgeberin der 1892 gegründeten „Arbeiterinnen-Zeitung“, die quasi das „Schwesterblatt“ der „Gleichheit“ wurde. Sie habe stets für die Bewegung gearbeitet, 2248Viktoria Kofler. In: GL, 04/ 09/ 02.05.1894/ 70. 2249Ebd. 2250Ebd. 2251Ebd. 2252Ebd. 625 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN ohne ihre Pflichten als Mutter von fünf Kindern und als Gattin, die mit ihrem Mann in „treuer Ideen- und Kampfesgemeinschaft“2253 lebte, zu vernachlässigen. Die Lungenschwindsucht, an der sie schließlich sterben sollte, fesselte sie mehrere Monate ans Bett. Es sei ihr sehr schwer gefallen, ihren Gesundheitszustand und damit den Umstand zu akzep- tieren, dass sie nicht mehr für die Partei tätig sein konnte. Jedoch blieb ihr reges Interesse an Informationen zum Fortgang der Bewegung auch durch die Krankheit ungebrochen. Kofler war nach der Meinung Zetkins nicht bloß eine sympathische und bewunderungswürdige „Individualität“2254, sondern „ein Typus: der Typus des kämpfenden, klassenbewußten Prole- tarierweibes“2255. Es wirkte „tröstlich und erhebend“2256 auf Zetkin, zu wissen, dass dieser Typus keine Seltenheit mehr sei, sondern dass man ihn „heutzutage […] in Österreich, in Deutschland, in Frankreich, in England, kurz überall [anträfe], wo die Zertretenen sich ihres Menschenthums bewußt werden und für ihre Befreiung kämpfen“2257. Koflers Beispiel hatte demnach internationale Größe und definierte in Zetkins Augen die ideale Klassenkämpferin – ausgezeichnet durch „Selbstzucht […], Selbstlosigkeit und Charakter- größe“2258. Solche Klassenkämpferinnen seien nicht nur aktiv an der Arbeiterbewegung beteiligt, sie seien außerdem „leuchtende Beweise für die Lebenskraft und Bildungsfähigkeit der Masse, die von den oberen Zehntausend als Kanaille, als wüster Pöbelhaufen verachtet wird“2259. In diesem Sinne sind Klassenkämpferinnen quasi „Vorzeigeproletarierinnen“, die die Über- legenheit ihrer Klasse hinsichtlich Moral und Bildung demonstrieren sollen. Doch andererseits war Koflers Klassenkämpferinnentum auch sehr typisch. Sie habe „in Reih und Glied der sozialistischen Bewegung“2260 gestanden und nicht danach getrachtet, aufzufallen. Irgendwie besonders und doch eine von vielen. Weiter beschrieb Zetkin die idealtypischen Klas- senkämpferinnen und ihre Bedeutung für die Geschichte wie folgt: „Nur der kleinste Kreis von Genossinnen und Genossen kennt und schätzt sie. Sie kämpfen und fallen ungekannt und ungenannt von der großen Masse, ‘ihren Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch’. Aber neben den schlichten Gestalten verbleicht der Ruhm gar mancher Fürstinnen, von deren Heldenthaten als Wickel- kind eine feile Hofgeschichtsklitterung erzählt, von deren ‘gemeinnützigem Thun’ schwatzschweifig und lobhudelnd berichtet wird, weil sie sich einfallen ließen, die 2253Ebd., S. 71. 2254Ebd. 2255Ebd. 2256Ebd. 2257Ebd. 2258Ebd. 2259Ebd. 2260Ebd. 626 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF Leere und Langweiligkeit eines inhaltslosen Lebens durch irgend welche[sic] nütz- liche Thätigkeit auszufüllen. Im besten Falle gaben diese der Allgemeinheit von ihrem Ueberfluß. Die ungenannten Proletarierinnen opfern dagegen das Scherflein der Witwe, ihr Alles, ihre Nachtruhe, ihre Erholung, ihre Gesundheit, ihr Leben selbst.“2261 Zetkin drückte an dieser Stelle ihr Bemühen um eine originär proletarische und weibliche Geschichtsperspektive in Auseinandersetzung mit einer bürgerlichen Geschichtsschreibung beson- ders illustrativ aus. Der Nachruf, die Biographie einer Klassenkämpferin, war ihr geeignete Gele- genheit, gleichsam „Geschichte von unten“ zu betreiben. Auch wenn Kofler wie dargestellt eine bedeutungsvolle Funktionärin der proletarischen Frauenbewegung war, die zeitgenössische Ge- schichtsschreibung würde ihrer nicht gedenken. Zetkin sieht daher ihren Nachruf als Versprechen, dass einst „das befreite Proletariat ein Blatt seiner Geschichte dem Andenken der Ungenannten widmen“2262 würde. Auch Marie Nowak-Krasa (1874-1911) war eines der ersten Mitglieder des 1890 gegründeten Wiener „Arbeiterinnen-Bildungsvereins“. Außerdem war sie auch Mitglied des Komitees, das 1891 die Herausgabe der „Arbeiterinnen-Zeitung“ vorbereitete. Bevor sie an den Folgen einer Operation starb, sei sie, so die „Gleichheit“, „restlos aufopfernd und freudig für den Befreiungs- kampf des Proletariats“2263 tätig gewesen. Die Redaktion der „Gleichheit“ wollte im Andenken an die „Selbstlose[…] und Tapfere[…]“2264 einen Immortellenstrauß2265 an ihrem Grabe niederlegen. 4.4.8.2 Dänemark Eine durch eine Darmverschlingung notwendig gewordene Operation kostete die 57-jährige Olivia Nielsen (1852-1910) das Leben. 17 Jahre lang stand sie an der Spitze des Arbeiterinnen- verbandes, den sie selbst mitgegründet hatte. 1909 wurde Nielsen in die Kopenhagener Stadt- verordnetenversammlung gewählt. Den besonderen Eifer und die Fähigkeiten der arbeits- und „opferfreudige[n]“2266 Genossin, so die „Gleichheit“, hätten auch GegnerInnen des Sozialismus billigend anerkennen müssen. Nielsen verstarb in Aarhus, wo sie an einem Kongress ihres Ar- beiterverbandes hatte teilnehmen wollen. 2261Ebd. 2262Ebd. 2263Marie Nowak-Krasa †. In: GL, 21/ 18/ 05.06.1911/ 287. 2264Ebd. 2265Die Strohblumenart „Immortellen“ war aufgrund ihrer französischen Wortbedeutung „unsterblich“ ein häufig ge- wähltes Zeichen der Würdigung einer verstorbenen Genossin. 2266Genossin Olivia Nielsen †. In: GL, 20/ 22/ 01.08.1910/ 352. 627 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN 4.4.8.3 Niederlande Einige der in der proletarischen Frauenbewegung engagierten Klassenkämpferinnen besaßen großes dichterisches Talent. Sie stellten es in den Dienst der Sache, wie es auch Cornélie Huygens (1848-1902) tat. Der Schriftsteller und Parteifunktionär Max Grunwald (1873-1926)2267 bezeichnete in seinem Nachruf Huygens als „hochbegabte Dichterin“2268 und „treue Mitstreiterin im Kampfe des internationalen Proletariats“2269. Allerdings hatte sich Huygens bereits vor ihrem Eintritt in die proletarische Frauenbewegung einen Namen als Dichterin gemacht, weshalb Grun- wald schrieb: „Als sie zu uns kam auf der Höhe bürgerlichen Ruhmes, trat sie als letzte, beschei- denste Streiterin in unsere Reihen, als sie von uns ging, stand sie unter den ach- tungsgebietendsten Vorkämpfern, und ihr Ruhm begann weit über ihr kleineres Vaterland hinauszustrahlen.“2270 Huygens, die einem alten holländischen Adelsgeschlecht entstammte, brach mit ihrer Familie, um sich der Arbeiterbewegung anzuschließen. Sie habe deren Zielsetzungen als die richtigen und die ihrigen erkannt. Diese „Wahrheit ihrer Erkenntniß“2271 ließ sie „Reichtum, bürgerliche Ehren, älteste Familienbande“2272 aufgeben, denn „[w]ahr sein, [sei] das erste und letzte Gebot ihrer Lebensauffassung“2273 gewesen. War sie zuvor der „verwöhnte Liebling einer Großbourgeoisie“2274 gewesen, so habe sie nun „voll selbstlosester Bescheidenheit“2275 jede noch so anstrengende Tätig- keit wie z. B. die strapaziöse Agitation auf dem Land übernommen. Huygens Voraussetzungen für eine Karriere in der Parteihierarchie waren hinsichtlich ihrer Herkunft unbestreitbar günstige. Bald wurde sie Mitglied im Parteivorstand der holländischen Sozialdemokratie, blieb aber auch weiterhin literarisch tätig. Über ihren sozialistischen Roman „Berthold Meryan“ (1908), so Grun- 2267Max Grunwald absolvierte 1895-1899 ein natur- und staatswissenschaftliches Studium und arbeitete 1897-1899 als Assistent am staatswissenschaftlichen Seminar der Universität Jena. Er wurde 1904 Leiter des SPD- Parteiarchivs und der Parteibibliothek in der Lindenstraße 3, außerdem Geschäftsführer der SPD-Reichstags- fraktion und Lehrbeauftragter an der Berliner Ausbildungsschule. Er war als Schriftsteller und als Chefredakteur der „Tribüne“ in Erfurt tätig. Grunwald veröffentlichte u. a.: „Die moderne Frauenbewegung und das Judentum. Vortrag gehalten im Verein „Österreichisch-Israelitische Union“ am 11. März 1903“. 2268Grunwald, Max: Cornélie Huygens †. In: GL, 12/ 24/ 19.11.1902/ 185. 2269Ebd. 2270Ebd. 2271Ebd. 2272Ebd. 2273Ebd. 2274Ebd. 2275Ebd. 628 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF wald, hätten selbst bürgerliche Kritiker gesagt, dass er, wenn nicht in holländischer, sondern in englischer Sprache verfasst, „ein internationales literarisches Ereigniß“2276 hätte werden können. In ihrem Werk „Die Liebe im Frauenleben“ (1899) bezog sie sich auf Prämissen der proleta- rischen Frauenbewegung. Den Kontakt zur bürgerlichen Frauenbewegung, in der sie durchaus hätte „Karriere“ machen können, brach sie – in Erkenntnis der scharfen Gegensätze – ab. Nach Meinung Grunwalds blieb Huygens „bei all ihrer intellektuellen Schärfe, ihrer Energie, ihrer Leidenschaft ein Wesen tiefster Weiblichkeit, zartester Empfindungen, wahrer Keuschheit, ein Vorbild fast ohne Gleichen in dieser Vollkommenheit ausgebildeter Persönlichkeit“2277. Umso tragischer war es für die gesamte internationale Frauenbewegung, dass ihr diese ideale Leitfigur ausgerechnet durch Suizid genommen wurde. Ein Suizid zu einem Zeitpunkt, da die niederländische Dichterin gerade begann, sich auch in Deutschland einen Namen zu machen. Zu einem Zeitpunkt, da sie als Klassenkämpferin und „weiblicher Vollmensch“ „in der unge- schwächten Vollkraft geistigen Schaffens“2278 gestanden habe. 4.4.8.4 Belgien Wie Huygens, so stammte auch Isabella Gatti de Gamond (1839-1905), die Vorkämpferin der Sozialistinnen Belgiens und Mitglied des Parteivorstandes der belgischen sozialistischen Arbeiterpartei wurde, nicht aus proletarischen Verhältnissen. Sie wurde als Tochter einer wohlhabenden, gebildeten und bürgerlichen Familie geboren. Ihre Mutter engagierte sich in der belgischen Frauenbewegung für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts und legte großen Wert auf die Bildung ihrer Tochter. Gatti de Gamond wurde Lehrerin und leitete 1864 bis 1899 ein Bildungsinstitut für Mädchen, in welchem diese sowohl als Kindergärtnerinnen, Elementar- und Mittelschullehrerinnen ausgebildet wurden als auch Universitätskurse besuchen konnten.2279 Selbst unverheiratet und kinderlos geblieben, sei sie „bis in die letzte Faser ihres Wesens ein mütterliches Weib [gewesen], das seine große Familie in allen leiblich und geistig Hilfsbedürftigen erblickte“2280. Jenes Wesen gab sie weiter an ihre Schülerinnen, die später selbst berufstätig und/oder Mütter und Gattinnen so mancher führender Männer wurden. Indem es später unter staatliche Leitung gestellt wurde, habe die Ausbildungsarbeit ihres Instituts, so vermutlich Zetkin als Verfasserin des 2276Ebd. 2277Ebd. 2278Ebd. 2279Isabella Gatti de Gamond †. In: GL, 15/ 22/ 01.11.1905/ 127. 2280Ebd. 629 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Nachrufs, schließlich eine besondere Wertschätzung erfahren. Laut Zetkin war Gatti de Gamond „nicht bloß eine Freidenkerin, sie war eine freie Denkerin“2281. Sie stellte dem Machtstreben der Kirche „das Recht des Volkes“2282 entgegen, dem Dogma die Wissenschaft. Es war ihr großes Anliegen, den „die Geister vergiftenden und brechenden Einfluß des Klerikalimus“2283 aus „Hirn und Herz“ der belgischen Frauen und Familien zu vertreiben. Möglich war ihr dies u. a. als Mitgründerin und Führerin der Liga der sozialistischen Frauen, als Mitbegründerin und Redakteurin der ersten sozialistischen Frauenzeitschrift Belgiens („Cahiers féministes“ (1903-1907)) und als beliebte Rednerin und Schriftstellerin. Doch war Gatti de Gamond nicht in allem die ideale sozialistische Klassenkämpferin. Nach Meinung Zetkins hatte sie „nicht immer den Weg von der Utopie zur Wissenschaft gefunden und die scharfen Grenzlinien erkannt, welche den Idealismus der Sozialisten von dem bürgerlichen Ideologismus scheiden“2284. Es waren vor allem ihr Kontakt zur bürgerlichen Frauenbewegung und ihre Erwartungen, die sie irrigerweise an deren weibliche Solidarität gestellt habe, die Zetkin damit kritisierte. Jedoch wollte Zetkin die Verstorbene mittels dieser Kritikpunkte nicht diffamieren – im Gegenteil: Diese Kritik „zu verschweigen, hieße die Tote beleidigen, die zeitlebens heiß um Wahrheit gerungen“2285 habe. Im Fall dieser belgischen Sozialistin zeigte sich Zetkin ungewohnt nachsichtig und mochte ihr „diese und jene Unklarheit […] [nicht] zum besonderen Vorwurf […] machen“2286. Die hoch- betagte Gatti de Gamond, die an den Folgen einer Operation starb, habe eben nicht mehr lernen können, „bei allen sozialen Erscheinungen historisch mit dem Kopfe die Klassen zu wägen, statt ideologisch mit dem Herzen auf die einzelnen Persönlichkeiten zu hoffen“2287. Sie hatte vergebens gehofft, einzelne bürgerliche Frauen zu überzeugen, den gleichen Mut wie sie selbst aufzubringen, die gleiche Konsequenz wie sie sie selbst zu beweisen und ins sozialistische Lager überzutreten. 2281Ebd. 2282Ebd. 2283Ebd. 2284Ebd. 2285Ebd. 2286Ebd. 2287Ebd. 630 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF 4.4.8.5 Schweiz Elise Dunkel (?-1913) war das Kind armer Eltern und verlor diese noch dazu sehr früh. Sie arbeitete bis zu ihrer Heirat als Dienstmädchen, wurde Mitglied des 1887 gegründeten ersten sozi- alistischen Arbeiterinnenvereins und blieb zehn Jahre seine Leiterin. Acht Jahre lang bekleidete Dunkel das Amt der Zentralvorsitzenden des Schweizerischen Arbeiterinnenverbandes. Doch nicht diese herausragenden Leistungen in Form öffentlicher Ämter seien es gewesen, die ihr großes Vertrauen und Respekt eingetragen hätten, sondern „ihr unermüdliches, treues Wirken im stillen[sic], ihr gerader lauterer Charakter, ihr unerschrockenes Eintreten für das Recht“2288. Es sind auch hier wiederum Schlichtheit und Selbstbescheidung, die der „Gleichheit“ als Ideale einer Klassenkämpferin wichtig waren, hervorzuheben. Für Dunkel sei der Sozialismus „nicht bloß eine klare Erkenntnis, sondern heilige Herzenssache“2289 gewesen und indem sie ihm alles gab, was sie zu geben vermochte, habe sie vor allem all denjenigen „ein Beispiel gelebt, die in der Stille für den Sozialismus wirken“2290. Aufgewachsen als „Proletarierkind“2291 in Frankfurt am Main, habe Betty Scherz (?-1916) schon als eines von 13 Kindern einen „scharfe[n], durchdringende[n] Geist, ein empfindsames reiches Gemüt, eine lebhafte Phantasie“2292 entwickelt. Da es ihre körperliche Kondition nicht erlaubte, schwere Arbeiten zu verrichten, wurde Scherz Kontoristin. Obwohl der Kontor ein „nicht ganz üble[r] Käfig“2293 gewesen sei, habe sie ihm doch entfliehen wollen. Durch „leidenschaftliches Selbststudium und in starker, bewußter Selbstzucht“2294 bildete sie ein dichterisches Talent aus und wurde bereits unter ihrem Mädchennamen Betty Meier sehr bekannt. Ihre Werke, so Zetkin, spie- gelten ihre proletarische Herkunft, „die sozialistische Gefühls- und Gedankenwelt“2295 wider, denn „[w]ie so manches Volkskind [sei] auch sie an dem Sozialismus und durch ihn gewachsen und geworden“2296. Verschiedene Reisen führten Scherz nach Berlin, nach Paris und in die Schweiz. Nach ihrer Heirat 2288Elise Dunkel †. In: GL, 23/ 24/ 20.08.1913/ 383. 2289Ebd. 2290Ebd. 2291Genossin Betty Scherz – Zürich †. In: GL, 27/ 09/ 02.02.1917/ 59. 2292Ebd. 2293Ebd. 2294Ebd. 2295Ebd. 2296Ebd. 631 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN zog sie in das thüringische Gotha, wo sie sich besonders in den Leseabenden der proletarischen Frauenbewegung engagierte. Im Schicksalsjahr 1914 gehörte sie zu den Gegnerinnen des Krieges und blieb um den internationalen Charakter der sozialdemokratischen Frauenorganisation bemüht. „Denn“, so Zetkin „Betty Scherz‘ Geist war zu lichtvoll, ihr Wissen zu gründlich, ihr proletarisches Empfinden zu unverdorben und stark, als daß die nationalistische Hochflut sie auch nur einen Augenblick in ihrer sozialistischen Überzeugungstreue erschüttert und mit fortgerissen hätte.“2297 Sie blieb auch dann aktives Mitglied der proletarischen Frauenbewegung als ihr Ehemann die Redaktion des Parteiblattes im schweizerischen Sankt Gallen übernahm, sie erst dorthin und schließlich nach Zürich umziehen musste. Es waren vornehmlich „Gedichte, Skizzen, Erzäh- lungen, feuilletonistische Plaudereien“2298, die Scherz sowohl in deutschen als auch schweize- rischen Parteiblättern veröffentlichte. Auch für die „Gleichheit“ verfasste sie Beiträge2299 und war ihren Leserinnen Vorbild, denn sie sei „ein Mensch [gewesen], der mit seiner Person vollständig hinter die erwählte Sache zurücktrat“2300. Zwar ist der Nachruf auf Rosa Bloch (1880-1922) sehr kurz abgefasst, doch dafür ist sein Erscheinen in der von Mehrheitssozialdemokratinnen redigierten „Gleichheit“ umso bemerkens- werter. Denn Bloch war eine herausragende Persönlichkeit der kommunistischen Frauenbewegung der Schweiz und stark in der Kommunistischen Internationale engagiert. Erst wenige Jahre vor Beginn des Ersten Weltkrieges wurde die aus bürgerlicher Familie stammende Bloch Mitglied der schweizerischen Sozialdemokratie, um dort schon bald an führender Stelle zu wirken. Bis 1920/21 – der Spaltung der Partei – war sie Redakteurin des sozialdemokratischen Frauenblattes „Die Vor- kämpferin“ (1906-1920[?]). Nach der Parteispaltung entschied sie sich für eine Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei.2301 Auffälligerweise wurden in dem Nachruf keinerlei charakterliche Eigenschaften Blochs erwähnt. Dies könnte entweder schlicht dem mangelnden Kontakt zu ihrer Person oder doch einem poli- tischen Ressentiment geschuldet sein. 2297Ebd. 2298Genossin Betty Scherz – Zürich †. In: GL, 27/ 09/ 02.02.1917/ 59. 2299Scherz war u. a. Verfasserin des Gedichtes „Wir Frauen“ (GL, 25/ 8/ 09.01.1915/ 43), das im Anhang enthalten ist. 2300Genossin Betty Scherz – Zürich †. In: GL, 27/ 09/ 02.02.1917/ 59. 2301Rosa Bloch †. In: GL, 32/ 16/ 15.08.1922/ 153. Bloch starb an den starken Blutungen einer Kropfoperation. 632 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF 4.4.8.6 Italien Der erste „Gleichheit“-Artikel zum Leben Anna Kulischoffs (1857-1925) erschien anlässlich deren Verhaftung und Verurteilung wegen Aufhetzung des Volkes zu gewalttätigem Widerstand. Es war vermutlich Zetkin, die innerhalb dieses Artikels auch sehr ausführlich über die gegen- wärtige in Italien stattfindende Verfolgung von SozialistInnen informierte. Den SozialistInnen wurde von den staatlichen Behörden das verstärkte Auftreten von Hungerrevolten und Unruhen angelastet. Doch laut Zetkin seien es gerade die SozialistInnen gewesen, die „den Kampf auf dem Boden der gesetzlichen Verhältnisse predigend, zu Ruhe gemahnt“2302 hätten. Die Verfolgung traf jedoch nicht nur die Gruppen und Einrichtungen der SozialistInnen, sondern überhaupt „[a]lle Organisationen des werkthätigen Volkes“ wie z. B. Gewerkschaften, Arbeiterkammern oder Konsumvereine.2303 Kulischoff wurde wegen „Aufreizung zu gewaltthätigem Aufstande“2304 zu zwei Jahren Haft verurteilt. Damit habe die Härte der Klassenjustiz, so Zetkin, „eine selten hochsinnige und bedeutende Frau […], gleich hervorragend an Gemüth, Geist, Wissen, Willen und Idealismus“2305 getroffen. Kulischoff habe, so Zetkin zu „jener geistig-sittlichen Elite von Russinnen“2306 gehört, welche in den 1870er Jahren „den Kampf für die Befreiung des weiblichen Geschlechts und die Befreiung des arbeitenden Volkes mit ebenso großer Energie wie Hingabe führten“2307 [Hervor- hebung von M.S.]. Die Erkenntnis von der notwendigen Verknüpfung beider Kämpfe machte den entscheidenden Unterschied zu den „westeuropäischen Frauenrechtlerinnen“2308 aus. Diesen seien die Russinnen ohnehin „an Kenntnissen, geschichtlicher Einsicht und vor Allem an opferbereitem Idealismus bei Weitem überlegen“2309 gewesen. 1878 musste sich Kulischoff als 21-jähriges „blutjunges Ding“2310, „den Verfolgungen der zaris- tischen Schergen durch die Flucht ins Ausland […] entziehen“2311 – sie ging nach Italien. Hier setzte sie erst ihr Ingenieursstudium fort, wechselte dann aber zum Studium der Medizin, neben welchem sie außerdem Sprachen, Geschichte, Nationalökonomie und die internationalen sozialis- 2302Anna Kulischoff. In: GL, 08/ 15/ 20.07.1898/ 116. 2303Vgl. ebd. 2304Ebd. 2305Ebd. 2306Ebd. 2307Ebd. 2308Ebd. 2309Ebd. 2310Ebd. 2311Ebd. 633 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN tischen Grundlagenwerke studierte. Kulischoff schloss sich der jungen sozialrevolutionären Bewegung Italiens an, die damals noch einen deutlich anarchistischen Charakter besaß. Dem Kampf des italienischen Proletariats habe sie ihre „ganze reiche und kraftvolle Persönlichkeit“2312 zur Verfügung gestellt. Der italienische Staat habe „ihr als Urkunde ihrer Bürgerschaft die Märtyrerkrone gereicht“2313, indem er sie wegen ihrer politischen Aktivitäten verhaftete. Kulischoff heiratete Andrea Costa, der sich zuerst in der anarchistischen Bewegung engagiert hatte und dann eine führende Position innerhalb der sozialdemokratischen Partei Italiens einnahm. Ihre Ehe sei „aus Ueberzeugung eine freie“2314 gewesen, „eine geistig-sittliche Einheit“2315 ohne äußere Formel der Weihe. Auch in materieller Hinsicht basierte die Beziehung, aus der Tochter Andreïna entsprang, von Beginn an auf der Selbstständigkeit des einzelnen Partners. Dennoch war es keine glückliche Partnerschaft, denn sie habe „die Entwicklung der Individualitäten“2316 mehr gehemmt als gefördert. Das Paar löste seinen Bund und Kulischoff stand wieder – als Frau und als Mutter – „auf eigenen Füßen“2317. Diese Selbständigkeit gestaltete sich sehr schwierig, denn die finanziellen Aufwendungen waren hoch, die politische Verfolgung forderte viele Opfer. Opfer, die sie nicht nur für sich selbst gebracht habe, sondern ganz im Sinne der „in den revolutionären Kreisen in hohem Maße geübte Solidarität, die stets bereit war, mit den Mehrbedürftigen auch das Letzte zu theilen“2318. Kulischoff führte ihren Haushalt selbst und verdiente sich einiges durch lite- rarische Arbeiten hinzu. Diese Jahre von Überanstrengung und Entbehrung, so Zetkin, hätten den Grundstein für ein tückisches Leiden – Knochentuberkulose – gelegt. Kulischoff ließ sich schließlich in Mailand als Ärztin nieder, bewies dort in ihrem Beruf „Begabung, Gewissen- haftigkeit und Aufopferung“2319 und behandelte sowohl die Armen und Ärmsten wie auch Bourgeoisie und Adel. In einer zweiten freien Ehe verband sie sich mit Filippo Turati, dem, so Zetkin, „unstreitig […] bedeutendsten politischen Führer der italienischen Sozialistenpartei“2320. Beide errangen sich auch in der „besseren“ Gesellschaft große Achtung, was sich unter anderem darin ausdrückte, „daß auch in streng konservativen Kreisen die Ehe der Frau Kulischoff als eine vollgiltige und 2312Ebd., S. 117. 2313Ebd. 2314Ebd. 2315Ebd. 2316Ebd. 2317Ebd. 2318Ebd. 2319Ebd. 2320Ebd. 634 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF moralisch unantastbare geschätzt wurde“2321. Zusammen mit ihrem Ehemann leitete Kulischoff das Organ der italienischen Sozialisten „La Critica Sociale“ (seit 1891), das einen modernen wissenschaftlichen Sozialismus vertrat. Dieses Engagement kostete sie nicht nur Zeit und Kraft, sondern auch einen Großteil ihrer finanziellen Mittel. In Zetkins Augen war die Ehe Kulischoffs und Turatis eine ideale Gemeinschaft in Leben und Arbeiten: „Die Redaktion der ‘Critica’, ihre Haltung beruhte auf dem innigsten geistigen Zusammenarbeiten von Filippo und Anna. Frau Kulischoff zeichnete nur ganz ausnahmsweise einen Artikel mit ihrem Namen. Aber jeder Artikel, den Turati schrieb oder der ‘von der Redaktion’ veröffentlicht wurde, war die Frucht der gemeinsamen Ueberlegung und Berathung, sehr oft auch der gemeinsamen Ab- fassung. So innig und ergänzend griff das Denken und Arbeiten der Gatten ineinander, so fest fügte es sich zur geistigen Einheit zusammen, daß es meist un- möglich ist, festzustellen, was das persönliche Werk des Einen oder des Anderen ist.“2322 Die Beschreibung dieses idealen Eheverhältnisses erinnert an die Beziehung von Clara und Ossip Zetkin. Und auch die Art und Weise, in der sie ihre Artikel veröffentlichten, gleicht sich. Auf die Frage, warum diejenigen Werke, die in Kooperation der beiden Eheleute entstanden, nur mit dem Namen des Mannes gezeichnet wurden und die Frau die ihren gar nicht zeichnete, gab Zetkin keine Antwort. War es Bescheidenheit, politische Notwendigkeit oder wie im Falle Zetkins zunehmende Überheblichkeit? Es ist auf jeden Fall ein sehr traditionelles Bild, das hier von einer ansonsten als vorbildlich modern präsentierten Beziehung gezeichnet wurde: Eine fähige Frau ist für sich und für ihren Partner produktiv tätig, bleibt dabei aber im Hintergrund. Kulischoff hatte vielfältige Sprachkenntnisse. Ihre Muttersprache war Russisch, die ihres „Adoptivvaterlandes“2323 Italienisch und darüber hinaus sprach sie Französisch, Deutsch und Englisch. Sie studierte die sozialistische Literatur der verschiedenen Länder und habe, so Zetkin, „der deutschen Bewegung, für welche sie die größte Hochachtung und Bewunderung hegte“2324, „eine besonders eingehende und liebevolle Beachtung [ge]widmet[…]“2325. Darüber hinaus verfügte Kulischoff über ein „gediegenes geschichtliches und nationalökonomisches Wissen“2326 – die beiden von Zetkin für die Schulungsarbeit der proletarischen Frauenbewegung gesetzten Bildungsschwerpunkte. Zetkin gab folgende Charakterstudie: „Ihre [Kulischoffs; M.S.] durch Wissen verstärkte geistige Ueberlegenheit, die 2321Ebd. 2322Ebd., S. 118. 2323Ebd. 2324Ebd. 2325Ebd. 2326Ebd. 635 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN scharfe echt russische Logik ihrer Beweisführung, ihr frischer Spott, der sich zur beißenden Ironie steigern konnte, und der sich besonders oft über die Ritter der ideologisch rührseligen Revolutionsphrase ergoß: machten sie zu einer gefürch- teten Gegnerin. Die Lauterkeit ihres Charakters und ihres Strebens zwang jedoch auch dem Gegner volle Hochachtung ab.“2327 Wie bereits bei der Beschreibung der Ehe- und Arbeitsgemeinschaft, so fällt auch auch bei dieser Charakterstudie ins Auge, dass Zetkin Kulischoff in Vielem ähnlich war. Ihre Bewunderung für die Persönlichkeit Kulischoffs und für die vermeintlich typisch russische Art ist unübersehbar. Kulischoff führte ein sehr gastfreundliches Haus am Mailänder Domplatz und habe es in den dort veranstalteten Debatten vermocht, ganz „ohne jede schulmeisterliche Pedanterie und Ueber- hebung“2328 zu belehren, zu überzeugen und anzuleiten. Ihre Agitationstätigkeit, die sie erst in den letzten Jahren aufgenommen hatte, galt vornehmlich den Interessen der proletarischen Frauen. All ihre aufreibenden Tätigkeiten verschlechterten jedoch Kulischoffs Gesundheitszustand er- heblich. Die harte Zeit als Studentin hatte eine Knochentuberkulose ausgelöst, die sich später vor allem in einer der Hände bemerkbar machte und sie 1895 zwang, ihre Arztpraxis aufzugeben. Daraufhin widmete sie sich umso stärker ihrer politischen Tätigkeit, die sie aber nie ihre Pflichten als Frau und Mutter habe vernachlässigen lassen. Sie sei ihrer Tochter Andreïna – begabt, ideal veranlagt, ihrer Mutter wie ihrem Stiefvater liebevoll zugetan – die „verständigste und liebevollste der Mütter“2329 gewesen. Mit ihrem Gatten war sie in tiefer und inniger Harmonie verbunden, denn, so Zetkin, „[w]as die Liebe, die Wahlverwandtschaft des Geistes und Charakters zusammen- geführt, das schmiedete die Gemeinsamkeit der Ideale zu einer unlösbaren sittlich schönen Einheit zusammen“2330. Weder in ihrem Wesen noch in ihrer Lebenshaltung habe sie der „Spießbürgervorstellung“2331 einer „‘Petroleuse’“2332 entsprochen. Lediglich „die Zigarette, die weder bei der Unterhaltung, noch bei der Arbeit ausging, erinnerte“2333, so Zetkin, „an die typische ‘Nihilistin’“2334. Auch ihren Pflichten als Gastgeberin und Hausfrau kam Kulischoff in einem „eleganten, mit geläutertem künstlerischen Geschmack eingerichteten Heim“2335 nach. Sie sei stets ordentlich und pünktlich 2327Ebd. 2328Ebd. 2329Ebd. 2330Ebd. 2331Ebd. 2332Ebd. 2333Ebd. 2334Ebd. 2335Ebd. 636 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF gewesen und habe zu sagen gepflegt, „‘Ordnung und gute Zeiteintheilung verlängern den Tag um die Hälfte’“2336. Angesichts dieser vielseitigen und aufopfernden Tätigkeit bekundete Zetkin, dass „[n]ur wenig Männer […] in Italien gleichviel wie Anna Kulischoff für die sozialistische Bewegung geleistet“ 2337 hätten. Sie sah es als Kulischoffs Verdienst, „daß die italienische Bewegung aus den Bahnen der Anarchisterei, der Putsch- macherei und des Verschwörerthums in die des Kampfes auf gesetzlichem Boden und mit gesetzlichen Mitteln eingelenkt“2338 sei. Dieses Verdienst anerkennend habe der 1893 in Zürich stattfindende Internationale Sozialis- tische Arbeiterkongress Kulischoff für seine letzte Sitzung zur Vorsitzenden gewählt. Nach diesem Überblick über Kulischoffs Leben und Wirken kehrte Zetkin zum ursprünglichen Anlass ihres Artikels zurück. Die zweijährige Gefängnisstrafe, zu der Kulischoff verurteilt worden war, war in den Augen Zetkins „ein Akt rohester Klassenrache“2339 und sie befürchtete Schlimmes für deren ohnehin schlechten Gesundheitszustand. Es würden zwei Jahre sein, die das Fort- schreiten ihrer Knochentuberkulose beschleunigen würden, zwei Jahre, „so gut wie […] ein Todesurtheil“2340. Mit Kulischoff, so urteilten laut Zetkin auch andere sozialistische Blätter, sei ein „krankes, schwaches Weib“2341 verurteilt worden. Ein Eindruck, den Zetkin jedoch richtigstellen wollte: „Ein krankes Weib ja, ein schwaches Weib nun und nimmermehr. Frau Kulischoff gehört zum Geschlecht der edlen russischen Revolutionärinnen, die vor den Tribunalen nicht begehrten, als das gleiche Loos, das ihren männlichen Kameraden fiel.“2342 Nicht rührseliges Mitleid mit einem Weib forderte Zetkin für Kulischoff, sondern „Hochachtung und Sympathie für die überzeugungstreue, opferfreudige und starke Kämpferin“2343. Anhand deren Beispiel brachte Zetkin schließlich ihre Vorstellung von dem bewussten politischen Handeln einer Frau auf den Punkt: „Kampfesgefahr hat sie muthvoll gewollt und bestanden, Kampfesehre sei ihr Theil.“ 2344. Zetkin forderte Anerkennung der Frauen, ihrer Verdienste und ihrer Opfer bis hin zum 2336Anna Kulischoff zit. nach: Ebd. 2337Ebd. 2338Ebd., S. 119. 2339Ebd. 2340Ebd., S. 118. 2341Ebd., S. 119. 2342Ebd. 2343Ebd. 2344Ebd. 637 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Märtyrerinnentod. Auch als notwendige Grundlage einer solchen Anerkennung machte sie deshalb in der „Gleichheit“ Frauengeschichte sichtbar. Zwei Monate später war es tatsächlich Kulischoffs Gesundheitszustand, der die „Gleichheit“ in einem weiteren Artikel beschäftigte. Kulischoff, selbst Ärztin, diagnostizierte an sich Symptome einer Blutkrankheit. Laut Zetkin, war dies der Grund, weshalb man sie noch nicht ins Zuchthaus gebracht hatte und der ihre krankheitsbedingte Entlassung möglich erscheinen ließ. Doch Kuli- schoff lehnte jeden Gnadenakt für sich selbst ab. In einem Brief an einen Freund forderte sie: „‘Verbieten sie Jedem, auch meiner Tochter, mir eine solche moralische Beleidi- gung zuzufügen. Eine Freiheit, die ich auf diesem Wege erlangen sollte, würde für mich eine solche Qual sein, daß ich sie nicht ertragen könnte;[…].’“2345 Zetkin befand es hier für gut, die eigene Gesundheit geringer zu schätzen als den persönlichen Stolz und die politische Sache. Kaum verwunderlich, ging sie doch mit ihrem eigenen Körper nicht anders um. 1903 veröffentlichte die „Gleichheit“ eine Artikelreihe des Soziologen Robert Michels (1876- 1936)2346 mit dem Titel „Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien“2347. Darin skizziert Michels nicht nur den Charakter und die politische Bedeutung Kuli- schoffs, sondern auch anderer italienischer Frauen. Zwei davon werden hier im Anschluss noch eingehender vorgestellt werden. Die Öffentlichkeit, so Michels, erfuhr von Kulischoff zum ersten Mal anlässlich eines Ver- schwörungsprozesses in Florenz im November 1879. Dort habe sie „[ä]sthetisch und moralisch […] einen gleich gewaltigen Eindruck“2348 gemacht. Der ästethische Eindruck kann anscheinend 2345Unsere tapfere Genossin Kulischoff … In: GL, 08/ 20/ 28.09.1898/ 159. 2346Robert Michels besuchte das Collège Français in Berlin und das Carl-Friedrich-Gymnasium in Eisenach. 1896- 1900 leistete er freiwilligen Militärdienst, nach dessen Ende er an der Pariser Sorbonne ein Studium der National- ökonomie und Geschichte aufnahm. Er promovierte 1900 an der Universität Halle-Wittenberg. Es folgten viele Auslandsaufenthalte in Frankreich, Belgien und Italien. 1903-1905 versah Michels eine Dozentur an der Uni- versität Brüssel, 1906 wurde er Mitglied der Société de Sociologie in Paris. 1907 habilitierte er an der Universität Turin, wo er bis 1914 als Privatdozent wirkte. Es folgten verschiedene Lehrstühle und schließlich eine Tätigkeit an der faschistischen Parteihochschule in Perugia. Michels beschäftigte sich vor allem mit der Soziologie des Parteiwesens und der Oligarchie. 1903-1907 stand er in Kontakt zur SPD und der „Partito Socialista Italiano“. 1913 wurde er italienischer Staatsbürger und bekannte sich zunehmend zum italienischen Nationalismus. 1922 wurde er schließlich Mitglied der „Partito Nazionale Fascista“ von Mussolini. Darüber hinaus verfasste Michels verschiedene Schriften zur Geschlechtsmoral und Sittlichkeit. Für die „Gleichheit“ verfasste Michels u. a.: Michels, Robert: Der vierunddreißigste Bebel. In: GL, 14/ 15/ 13.07.1904/ 113-115; Die deutsche Frau im Beruf. In: GL, 14/ 11/ 18.05.1904/ 82-84 (Rezension zum vierten Teil des „Handbuchs der Frauenbewegung“ (1901- 1906)). 2347Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien [I-VI] In: GL, 13/ 01/ 01.01.1903/ 2-3 bis GL, 13/ 17/ 12.08.1903/ 131-134. Im letzten Beitrag wurde eine Fortsetzung angekündigt, die dann aber nicht erfolgte. Diese Reihe, in der Michels Quellenangaben mit Fußnoten belegt, ist ein weiteres Beispiel für das wissenschaftliche Niveau mancher „Gleichheit“-Artikel. 2348Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Anna Maria Mozzoni, Anna Kulischoff. Die ersten größeren Lohnbewegungen der italienischen Arbeiterinnen. In: GL, 13/ 05/ 25.02.1903/ 36. 638 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF auf Kulischoffs Äußeres zurückgeführt werden, das Michels begeistert wie folgt beschrieb: „Sie war nur wenig über zwanzig Jahre alt. Mit ihrem aschblonden, etwas strähnigen Haare erschien sie den Italienern als echter Typ einer slawischen Jung- frau.“2349 Beeindruckender noch als ihr Aussehen sei aber ihre „selbstbewußte Haltung“2350 gegenüber ihren Richtern gewesen. Ihren Blick, so Michels, habe man nur schwer aushalten können. Er habe „wie ein plötzliches und blendendes Licht dem Beschauer entgegen[ge]strahlt“ und schien „ihm bis in die innerste Seele hineinzuschauen“2351. Mit 15 habe Kulischoff ihr reiches Elternhaus verlassen und „ohne mit der Wimper zu zucken“2352 alles ertragen, um ihren Idealen zu leben. Sie studierte Medizin in Neapel, vertiefte ihre Studien in Turin, Zürich und Paris, um sich als praktische Ärztin schließlich in Mailand niederzulassen. Kulischoff trat als Vertreterin des italienischen Sozialismus auf den internationalen Kongressen in Brüssel und in Zürich auf. Deutlich sprach sie sich auf Letzterem für eine Frauenschutzgesetz- gebung aus und wollte diese konkret in Italien umsetzen. Doch auf keinem der nachfolgenden Landeskongresse ging man näher auf ihre Vorschläge ein.2353 „Enttäuscht und wohl auch ein wenig verbittert“2354 habe Kulischoff daraufhin eine eigene Agitation und Reformtätigkeit für eine Frauen- und Kinderschutzgesetzgebung betrieben. Jenes Engagement für die Frauen und Kinder habe man ihr aber 1898 als aufrührerisch zur Last gelegt und mit Gefängnis bestraft. Vor dem Kriegsgericht erklärte Kulischoff ihr Handeln wie folgt: „‘Wenn ich als Ärztin nicht immer mit dem moralischen und physischen Elend der arbeitenden Frauen in stetem Kontakt gewesen wäre, hätte ich ja vielleicht nicht einmal das bißchen Agitation zu ihren Gunsten getrieben, welche man mir nun vor- wirft. Aber ich habe sie getrieben und zwar zu ihrem Besten, und darüber freue ich mich jetzt.’“2355 Ihre praktische Berufstätigkeit als Ärztin hatte sie demnach zum Sozialismus geführt und nie den Kontakt zu den Massen und deren Problemen verlieren lassen. Wie sie Michels selber erzählt 2349Ebd. 2350Ebd. 2351Ebd. Michels verweist bezüglich eines Zusammenhanges zwischen Physiognomie und Charakter auf ein Buch Paola Lombrosos (1871-1954), „I segni rivelatori della personalità“ (1902), das auch Kulischoff als Beispiel aufführe. Lombroso war die Tochter des Psychiaters und Anthropologen Cesare Lombroso, der 1893 das um- strittene Werk „Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte“ veröffentlichte. 2352Ebd., S. 37. 2353Vgl. Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die Ausbreitung und Vertiefung der Arbeiterinnenbewegung in den Jahren 1893 bis 1898. In: GL, 13/ 11/ 20.05.1903/ 83f. 2354Ebd., S. 84. 2355Angiolini, Alfredo: Cinquant’Anni die Socialismo in Italia (1900), S. 295. Zit. nach: Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die Ausbreitung und Vertiefung der Arbeiterinnenbewegung in den Jahren 1893 bis 1898. In: GL, 13/ 11/ 20.05.1903/ 83. 639 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN habe, besuchte sie wochenlang ein Lokal, in dem Arbeiterinnen ihre Mahlzeit einnahmen, um in dieser kurzen Pause zu ihnen zu sprechen. Gebannt hätten ihr die Arbeiterinnen gelauscht und erst ihre Mahlzeit begonnen, nachdem sie ihren Vortrag geendet hatte. Für Michels ein Beweis dafür, dass diesen italienischen Arbeiterinnen „geistige Nahrung […] noch über die körperliche“2356 ge- gangen sei. Indem Kulischoff sowohl reale als auch ideale Kampfmittel angewandt habe, so Michels in jener Artikelreihe weiter, habe sie die Vorzüge zweier ihrer italienischen Vorkämpferinnen in sich vereint: Die Anna Maria Mozzonis (1837-1920)2357 und die Laura Solera Mantegazzas (1813- 1873). Das Leben Mantegazzas stellte Michels den Leserinnen der „Gleichheit“ etwas aus- führlicher vor. Mantegazza wurde in Mailand geboren und „entstammte der reichen und vornehmen lombardischen Bourgeoisie“2358. Wie Michels der von Mantegazzas Sohn Paolo verfassten Bio- graphie entnommen hatte, war Mantegazza bereits während der Revolution 1848/49 politisch aktiv.2359 1850 gründete sie, um Arbeiterinnen mit Kindern die Erwerbstätigkeit zu erleichtern, das erste große Säuglingsasyl. 1862 gründete sie den „Arbeiterinnenbund zu gegenseitiger Unter- stützung und Belehrung“ („Associazione di mutuo Soccorso ed Istruzion di Operaie“). Dieser Bund sollte seine Mitglieder nicht nur bei Krankheit, Invalidität, Wochenbett und Alter unter- stützen, sondern auch ein Recht auf Arbeit gewährleisten, indem er bei der Arbeitssuche half. Außerdem gründete Mantegazza die erste „Mutterschaftskasse“ („Casse di Maternitá“), eine Schule für proletarische Analphabetinnen und 1870 eine Gewerbeschule für Mädchen, die dort eine Ausbildung in Kunstgewerbe und Handwerk erhielten. Es waren die praktischen Bedürfnisse und Fortbildungsmöglichkeiten der Arbeiterinnen, denen sich Mantegazza annahm. Diese Re- formtätigkeit beurteilte Michels zum Schluss seiner Beschreibungen jedoch etwas kritischer, da er der Meinung war, dass aus einer unermüdlich wirkenden „Philanthropin mit […] goldene[m] Herzen“2360 nur „fast […] eine[…] Sozialistin mit weitem Blick“2361 geworden sei. 2356Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Das „böse Jahr“ 1898. In: GL, 13/ 17/ 12.08.1903/ 132. 2357Die biographischen Angaben zu Maria Mozzoni sind in Michels Artikel marginal und bleiben hier deshalb unberücksichtigt. Siehe: Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Anna Maria Mozzoni, Anna Kulischoff. Die ersten größeren Lohnbewegungen der italienischen Arbeite- rinnen. In: GL, 13/ 05/ 25.02.1903/ 36-38. 2358Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die ersten Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Italien bis 1893. In: GL, 13/ 01/ 01.01.1903/ 2. 2359Michels verweist hier auf: Mantegazza, Paolo: La mia mamma. Laura Solera Mantegazza (1876) (vgl. ebd.). 2360Ebd., S. 3. 2361Ebd. 640 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF Mit „Fug und Recht“2362, so Michels weiter, könne man Emilia Alciati Marabini (?-1897) „eine zweite Mantegazza“2363 nennen. Jedoch habe sie wiederum in einer Zeit gewirkt, in der die sozia- listische Bewegung bereits eine beachtliche Entwicklung genommen hatte. Marabini entstammte einer „reichen klerikalen Familie“2364 und heiratete den Rechtsanwalt Ezio Marabini, welcher ihr die Ideen des Sozialismus näher brachte. Die Loslösung Marabinis von ihrem Kirchenglauben beschrieb Michels so: „Bald hatte sie ihren katholischen Glauben völlig durch die Hoffnung auf eine Besserung der Menschheit in der sozialistischen Gesellschaft ersetzt, ohne deshalb ihr tiefinnerstes Christentum völlig aufgegeben zu haben.“2365 Marabini war eine Gefühlssozialistin, die das „Herz […] dem Sozialismus in die Arme getrieben“ 2366 habe, nicht wie im Falle Anna Kulischoffs der Kopf2367. Marabini betrieb bei den ArbeiterInnen der römischen Vorstädte gezielte Agitation und verband diese mit praktischer Hilfeleistung. Ein besonderes Augenmerk richtete sie in ihrer Agitation und in ihren Schriften auf den in den eigenen Reihen herrschenden Antifeminismus. Marabini sprach vor allem gegen die Lässigkeit und die Lächerlichkeit mit der auch Genossen das politische En- gagement ihrer Frauen abtaten: „‘Lächerlich sind doch nur die […], welche das Eine sagen und das Andere tun. Lächerlich sind doch nur die, welche den Sozialismus zwar in den Versammlungen mit großer Schwatzhaftigkeit verteidigen, im täglichen Leben aber bekämpfen, indem sie soundsoviele Intelligenzen der Propaganda entziehen. Lächerlich sind nur diejenigen, welche nicht den Mut besitzen, die Meinung, welche sie doch zu haben behaupten, vollständig auszusprechen und sie aus falschem Opportunismus ihren Frauen gegenüber schön bei sich behalten. Lächerlich sind die, welche zwar unter der Schar der Sozialisten kämpfen, welche aber dennoch die Frau für ein Wesen halten, mit dem man sich genügend beschäftigt hat, wenn man ihm zu Kin- dern verhilft. Lächerlich, ja schlimmer noch als lächerlich sind diejenigen, welche, trotzdem sie zu uns gekommen sind, um den Egoismus zu bekämpfen, dennoch in sich selbst den ungerechtfertigsten und unvernünftigsten Egoismus nicht zu be- siegen wissen.’“2368 Interessanterweise hatte Zetkin diesen Teil trotz seines sehr kritischen Blickes auf die Ge- 2362Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die Ausbreitung und Vertiefung der Arbeiterinnenbewegung in den Jahren 1893 bis 1898. In: GL, 13/ 11/ 20.05.1903/ 85. 2363Ebd. 2364Ebd., S. 84. 2365Ebd. 2366Ebd. 2367Vgl., ebd. 2368Marabini, Emilia Alciati: Propaganda. 4. Aufl., Rom: Tipografia Cooperativa Sociale, 1898, S. 80. Zit. nach: Ebd., S. 85. 641 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN schlechterharmonie des Proletariats nicht gekürzt.2369 Aufgrund ihrer feministischen Sichtweise dürfte Marabini aber keine Sozialistin nach dem Geschmack Zetkins gewesen sein. Während Marabini sogar die Einrichtung einer „Spezialarbeitskammer für Frauen“2370 anstrebte, die zwar mit den Männern kooperieren, aber unabhängig sein sollte, lehnte Zetkin stets jede Frauensonder- organisation ab. Marabini, so Michels, habe sich immer eine Tochter gewünscht, mit der sie die Zahl der Genos- sinnen hatte stärken wollen.2371 „Eine traurige Ironie des Schicksals“2372 wollte, dass Marabini 32- jährig im Wochenbett nach Geburt eben jener Tochter verstarb. Die „Gleichheit“ schätzte die erbaulichen und kämpferischen Gedichte der italienischen Dichterin Ada Negri (1870-1945) sehr.2373 Immer wieder findet man einzelne von ihnen zwischen den Artikeln des Hauptteils oder in das Feuilleton eingestreut. Jeweils einen Artikel zu Negris Leben und Wirken verfassten Karl Soll und die „Gleichheit“-Redakteurin Clara Bohm-Schuch. Auffällig ist, dass es das Hauptblatt der „neuen“ „Gleichheit“ war, in denen beide hier herangezogenen bio- graphischen Artikel erschienen. Obwohl auch Zetkin die Werke Negris sehr schätzte, erschien unter ihrer Redaktion ein erster Artikel zum Leben Negris nicht nur auffällig spät, sondern außer- dem nur in der Beilage „Für unsere Mütter und Hausfrauen“.2374 Negri wurde als Tochter armer Eltern in Lodi geboren. Da ihr Vater früh verstarb, war die Mutter gezwungen, als Fabrikarbeiterin zu arbeiten. Durch ihre Erwerbstätigkeit ernährte sie nicht nur die Familie, sie ermöglichte außerdem ihrer Tochter, eine Ausbildung als Lehrerin zu absolvieren. Im Alter von 18 Jahren nahm Negri die schlechtbezahlte Stellung einer Lehrerin und Jugendbildnerin 2369Im Gegenteil: Diese Textstelle veröffentlichte die „Gleichheit“ einige Nummern später in einer längeren Version und anstelle einer Fortsetzung der Artikelreihe von Michels (vgl. Alciati-Marabini, Emilia: „Lächerlich“. In: GL, 13/ 18/ 26.08.1903/ 139-141). 2370Ebd. 2371Vgl. Ebd. 2372Ebd. 2373In der „Gleichheit“ erschienen u. a. die Gedichte „Herausforderung“ (GL, 05/ 11/ 29.05.1895/ 85), „Mutterschaft“ (GL,15/ 09/ 03.05.1905/ 54), „Gassenjunge“ (GL, 30/ 07/ 14.02.1920/ 51) und die im Anhang enthaltenen Werke „Seid gegrüßt“ (GL, 10/ 09/ 25.04.1900/ 65) und „Mutterliebe“ (GL, 30/ 32/ 07.08.1920/ 257). 2374Rausch, Bernhard: Eine Dichterin des Proletariats. In: 23 (1913)/ Für unsere Mütter und Hausfrauen 10/ 37-39. Zur Person Bernhard Rauschs (?-?) konnten keine Angaben gefunden werden. 1918 verfasste er die Schrift „Am Springquell der Revolution. Die Kieler Matrosenerhebung“. Er verfasste für die „Gleichheit“ mehrere Rezensionen – dies sogar „im Felde“ (vgl., Rausch, Bernhard: [Rezension zu: Everth, Erich: Von der Seele des Soldaten im Felde. Bemerkungen eines Kriegsteilnehmers. Tat-Flugschriften 10, Eugen Diederich Verlag, 1916] In: GL, 28/ 10/ 15.02.1918/ 119; Drei Jahre Weltrevolution. In: GL, 28/ 08/ 18.01.1918/ 57f; (dies war eine sehr positive Rezension zum gleichnamigen Buch Paul Lenschs, das 1917 erschien. Der Erste Weltkrieg sei nichts anderes als eine Weltrevolution und Lensch stehe mit dieser durchaus marxistischen Geschichtsbetrachtung „turm- hoch“ (ebd., S. 57) über Franz Mehring). Ebenfalls 1913 erschien im Notizenteil unter „Verschiedenes“ eine an- rührende Beschreibung Negris und eines von ihr gehaltenen Vortrages vor italienischen EmigrantInnen in Zürich (vgl. Ada Negri als Vortragende vor italienischen Emigranten in Zürich. In: GL, 23/ 23/ 06.08.1913/ 368). 642 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF in einem armen Weberdorf am Ticino an.2375 Diese an sich selbst erfahrene Not sei es gewesen, so Soll, die Negris „starke[s] soziale[s] Empfinden“2376 und damit auch ihre beeindruckende Karriere als Dichterin begründet habe. Bereits ihre ersten Gedichtbände – darunter die Sammlung „Schicksal“ (1892) – machten sie weltberühmt. Sie ließen sie, so die Meinung Bohm-Schuchs, zur „Dichterin des Weltproletariats“2377 werden. Schließlich erhielt Negri eine Stellung als Lehrerin für italienische Literatur in Mailand und darüber hinaus einen „Ehrensold“.2378 1896 machte Negris Leben einen starken – wie Soll betont – „äußeren Wandel“2379 durch. Sie heiratete einen italienischen Großindustriellen und das mit dieser Heirat verbundene luxuriöse Leben führte dazu, dass sie nicht mehr dichtete. Doch habe es auf Dauer nicht Negris „innere Stimme […] ertöten“2380 können. Sie verließ schließlich ihren Ehemann, befreite sich aus dem „goldene[n] Joch“2381 und ging mit ihrem Kind nach Zürich. Mit diesem Schritt sei sie „innerlich zurückgekehrt zu allen, die mühselig und beladen sind“2382. Nach Solls Meinung machte gerade ihre thematische Begrenzung auf die proletarische Lebens- und Gefühlswelt, „[d]er enge Kreis ihrer stofflichen Welt“2383 Negris schöpferische Stärke aus: „Ihr gab ein Gott zu sagen was Tausende stumm erleiden.“2384 Sie sei „eine Proletarierin vom reinsten Adel, eine soziale Ruferin im Streit’“2385. Der Umstand, dass Soll Negri an dieser Stelle nicht als „sozialistische Ruferin“ bezeichnete, ist wohl dem ideologischen Wandel der „Gleichheit“ nach Zetkins Entlassung geschuldet. Aus Bohm-Schuchs Artikel, der anlässlich des 50. Geburtstages Negris erschien, sprach die besondere Wirkung ihrer Gedichte. Sie hatten Bohm-Schuch, die in der „Gleichheit“ häufig eigene Gedichte veröffentlichte, persönlich sehr berührt.2386 Obwohl Negri bereits nicht mehr schöpferisch tätig war, sie „die Mittagshöhen überschritten [hatte] und […] sinkender Sonne ent- gegen“2387 ging, hoffte Bohm-Schuch, dass sie der Welt noch „Abendlieder schenkt, die schön und 2375Vgl. [Bohm-Schuch, Klara] B.-S.: Ada Negri. In: GL, 30/ 07/ 14.02.1920/ 51. 2376Soll, Karl: Politische Frauen. (Schluß). In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210. 2377[Bohm-Schuch, Klara] B.-S.: Ada Negri. In: GL, 30/ 07/ 14.02.1920/ 51. 2378Soll, Karl: Politische Frauen. (Schluß). In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210. 2379Ebd., S. 211. 2380Ebd. 2381Ebd. 2382Ebd. 2383Ebd. 2384Ebd. 2385Ebd. 2386[Bohm-Schuch, Klara] B.-S.: Ada Negri. In: GL, 30/ 07/ 14.02.1920/ 51. 2387Ebd. 643 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN glühend sind, wie das Rauschen ihres Lebensmorgens war“2388. 4.4.8.7 Polen Alwine Müller (?-1910?), Textilarbeiterin und Mutter von fünf Kindern, lebte in Lodz (Russisch- Polen). Sie arbeitete in der größten Textilfabrik der Stadt und war Mitglied der dortigen sozial- demokratischen Organisation. Müller, so „e.d.“, sei ein vorbildliches Mitglied ihrer Arbeiter- organisation gewesen. Sie kam jedem Streikaufruf wie selbstverständlich nach und ertrug ebenso selbstverständlich die zu erwartenden Aussperrungen und Zwänge. Diese Kämpfe waren ihr so „selbstverständlich, wie daß die Sonne scheint und die Nacht den Tag ablöst“2389. Die einfache Proletarierin Müller habe „nichts zu verlieren [gehabt] als ihre Ketten und eine Welt voll Glück und Recht zu gewinnen“2390. Dieses Zitat aus dem Kommunistischen Manifest markiert den sehr agitatorischen Duktus des Artikels. In Anlehnung an die sozialistischen Grundsätze wurde Müller beschrieben als eine „jener Ungezählten, aus der sich Ihre Majestät, die Masse zusammensetzt. Ungenannt und ungekannt tragen sie die schwersten Opfer, schlagen sie die größten Schlachten, wälzen sie das Rad der Geschichte um.“2391 Es ist die historische Mission der Massen, die mittels dieses biographischen Artikels zum Leben einer scheinbar bedeutungslosen Arbeiterin untermauert werden soll. Aber so bedeutungslos war Müller eben nicht. Eine einzelne Tat – „voll Heldenmut und Todesverachtung“2392 – hob sie von der Masse ab, „um wie ein Meteor aufzuleuchten und zu versinken“2393. Eine einzelne Tat machte sie zum Beispiel für die Kräfte und Werte, die in der proletarischen Masse vorhanden sind. Diese einzelne Tat nahm ihren Anfang während eines Streiks von 2.000 Arbeitern und Arbeite- rinnen der Lodzer Textilfabrik des Fabrikanten Silberstein. Müller war eine von den Streikenden, die Lohnerhöhungen forderten, und sie war eine von den Streikenden, die sich allabendlich zu Be- ratungen in der Fabrik einfanden. Eines Abends kam einer der Fabrikbesitzer zu dem Streiktreffen hinzu. Ob dieser aus eigenem Antrieb kam oder von den Arbeitern in eine Falle gelockt worden war, sollte bei der späteren Gerichtsverhandlung ein entscheidender Streitpunkt sein. Jedenfalls hielt man den Fabrikbesitzer schließlich gegen seinen Willen fest, um ihn zu Lohnzugeständnissen 2388Ebd. 2389Ebd. 2390e.d.: Alwine Müller. In: GL, 20/ 15/ 25.04.1910/ 230. 2391Ebd. 2392Ebd. 2393Ebd. 644 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF zu zwingen. Müller, bewaffnet mit einem geladenen Revolver, blockierte den Weg zum Telefon. Das weitere Geschehen beschrieb die „Gleichheit“ dann wie folgt: „Vergebens mahnten einige besonnene Genossen zur Ruhe, vergebens warnten sie die maßlos Erbitterten, sich von ihrem gerechten Zorn zu Handlungen hinreißen zu lassen, die nicht zu den Kampfmitteln der Sozialdemokratie gehören. Es kochte in der Masse. Da zog der tollkühne Kapitalist einen Revolver, richtete ihn drohend gegen die Arbeiter und rief: ‘Höhere Löhne möchtet ihr – Kugeln habe ich für euch, ihr Straßenräuber.’ In demselben Augenblick entriß ihm eine Arbeiterfaust den Revolver, ein Schuß krachte und tödlich getroffen sank der Fabrikant zu Boden.“2394 Dieser Beschreibung nach war es eher Notwehr der ArbeiterInnen als ein heimtückisch geplanter Mord, doch so oder so sollte sich zeigen: „ein Fabrikantenleben ist teuer“2395. Mehrere der beteiligten ArbeiterInnen wurden verhaftet und gefoltert bis sie die Namen ver- meintlicher RädelsführerInnen preisgegeben hatten. Schließlich wurden sieben Personen zum Tode verurteilt – darunter auch Alwine Müller. Selbst in dieser dramatischen Situation habe sie größte Gelassenheit bewiesen: „Schweigend vernahm die Proletarierin ihr Todesurteil. Schweigend wies sie dem Priester die Tür, als er kam, um ihr den letzten christlichen Trost zu spenden. […] Einige der Todgeweihten schluchzten, der Priester brach ohnmächtig zusammen – Alwine Müller zuckte mit keiner Wimper. Schweigend empfing sie den Tod …“2396 Ein bemerkenswert stoisches Verhalten, für das auch „e.d.“ nach einer Erklärung suchte und diese schließlich auch gab: „Wer war Alwine Müller? Ein entmenschtes, gefühlloses Weib oder eine Heldin? Hing sie nicht am Leben? Gedachte sie nicht ihrer Kinder, die vielleicht in derselben Stunde weinend nach der Mutter riefen? Alwine Müller liebte das Leben – wie hätte sie sonst so viel daran gesetzt, es schöner und menschenwürdiger zu gestalten. Sie liebte ihre Kinder, wie hätte sie sonst alles gewagt, eine helle Zukunft zu erkämpfen. […] Alwine Müller liebte ihre Kinder, darum war ihr einziges und bestes Vermächtnis für sie ihr eigener standhafter Heldentod.“2397 Müller war sozialistische Klassenkämpferin und war sozialistische Mutter. Indem sie für den Klassenkampf ihr Leben opferte, gab sie es für eine über jedes kleinliche familienegoistische 2394Ebd. 2395Ebd. 2396Ebd. 2397Ebd. 645 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Denken erhabene Sache. Diese Botschaft ist es zumindest, die die „Gleichheit“ ihren Leserinnen anhand Müllers Beispiel und Vorbild vermitteln wollte. 4.4.8.8 Großbritannien Johanna Beckenstedt (?-1897) gehörte zu den Tausenden und Abertausenden von Frauen, die tagtäglich für ihre Ideale kämpften – unscheinbar und doch so bedeutend.2398 Seit 1882 war sie rühriges Mitglied des Kommunistischen Bildungsvereins in der Londonder Tottenham Street 49. Nie habe Beckenstedt „vor nöthigen Opfern und Mühen zurück[geschreckt]“2399 und besonders für die finanzielle Existenzsicherung der politischen Zeitschrift „Londoner Freie Presse“ (1886-1890) gewirkt. 23 Jahre lang führte sie eine glückliche Ehe. Dies mit einem Mann, mit dem sie nicht nur Liebe und Achtung, sondern auch eine „innige Ideengemeinschaft“2400 im Kampfe für die sozialistische Arbeiterbewegung verbunden habe. Eine der bekanntesten und „energischsten Vorkämpferinnen des Sozialismus in England“2401 war die in Manchester als Tochter eines Kattundruckers aufgewachsene Emmeline Pankhurst (1858- 1928). Vermutlich war es die Lektüre einer ihrer Schriften, die Zetkin zum Schreiben eines bio- graphischen Artikels anregte, denn es ist weder ein Nachruf noch ein Jubiläumsartikel. Durch lange Diskussionen zu Politik und Nationalökonomie, die bereits in ihrem Familienkreis geführt worden seien, habe Pankhurst vieles über die Lage der Arbeiterklasse erfahren können. Ihr eigenständiges „Nachdenken“2402 habe sie schließlich als junges Mädchen den Anschluss an die Arbeiterbewegung vollziehen lassen. Sieben Jahre lang besuchte sie die Fabian-Gesellschaft in London (gegründet 1884)2403, in der sie sozial und politisch geschult wurde. 1879 heiratete sie den Rechtsanwalt Pankhurst, der zwar zum politischen Lager der Republikaner gehörte, aber zum Sozialismus tendierte. Beide wurden Mitglied der „Independent Labour Party“ und „wirkten mit 2398Vgl. Zwei wackere Kämpferinnen … In: GL, 07/ 08/ 14.04.1897/ 62. 2399Ebd., S. 61. 2400Ebd. 2401Emmeline Pankhurst. In: GL, 07/ 19/ 15.09.1897/ 149. 2402Ebd. 2403Die Fabian-Gesellschaft ist eine immer noch existierende Gruppierung sozialistischer Intellektueller. Neben Pank- hurst gehörten das Ehepaar Webb, George Bernhard Shaw und H.G. Wells zu ihren Mitgliedern. Die Gruppierung, die 1900 großen Anteil an der Gründung der Labour Party hatte, benannte sich nach dem für seine zögerlich- abwartende Kampf-Strategie bekannten römischen General Fabius Maximus Verrucosus. Die Gesellschaft vertrat damit weniger einen revolutionären als vielmehr evolutionären Sozialismus. Ähnliche Gesellschaften entstanden in Neuseeland und Australien. 646 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF Begeisterung, Energie und Opferfreudigkeit für die sozialistischen Ideen“2404. Diese politische Gesinnung führte jedoch dazu, dass sie, so Zetkin, „wirthschaftlich geboykottet“2405 wurden. Die damit verbundenen finanziellen Einbußen habe das Ehepaar jedoch schlicht als „unvermeidliche Zufälle des Kampfes für eine feste Ueberzeugung“2406 hingenommen. 1894 kandidierte Pankhurst für den Schulrat der Stadt Manchester. Für ihren Wahlkampf habe sich die „junge schöne Frau“2407 einfachster und doch wirksamer Werbemittel bedient. Auf einem Stuhl stehend erläuterte sie den PassantInnen auf offener Straße ihr Programm. Meist hätten die PassantInnen tatsächlich mehr Interesse als Hohn gezeigt und die Versammlungsfreiheit sei von der englischen Polizei anstandslos respektiert worden – unvorstellbar für deutsche Sozialdemokra- tinnen. Pankhurst sei, obwohl sie unter Lampenfieber gelitten habe, eine beeindruckende Rednerin gewesen. Unzählige Versammlungen habe sie in ihrer für sie typischen „gedrängte[n] Rede- weise“2408 abgehalten. Dies tat sie selbst dann noch als 1896 der Stadtrat von Manchester unter Androhung von Arrest und Geldstrafen Versammlungen in öffentlichen Parks untersagt hatte. Um ein Haar wäre es zu einer Verurteilung Pankhursts gekommen. Doch die Richter sprachen sie frei, weil sie das öffentliche Aufsehen um die bereits sehr bekannte und beliebte Politikerin vermeiden wollten. Pankhurst sei der Überzeugung gewesen, so Zetkin, „daß die Frau ihren richtigen Platz erst dann einnehmen, ihre wahre Aufgabe erst dann erfüllen wird, wenn sie die volle Gleichberechtigung mit dem Manne in poli- tischer und rechtlicher Hinsicht erlangt hat“2409. Der Aspekt ökonomischer Unabhängigkeit blieb hier allerdings unbeachtet. Es waren im Weiteren weniger Pankhursts Qualitäten als Klassenkämpferin denn als „weiblicher Vollmensch“, die Zetkin hervorhob. Pankhurst war für sie bestes Beispiel dafür, „daß die willensstarke, pflichttreue und aufgeklärte Frau sehr wohl ihre Aufgaben in der Welt erfüllen kann, ohne die Aufgaben im Hause zu vernachlässigen. Ihre Kinder entwickeln sich unter gewissenhafter mütterlicher Obhut in einem glück- lichen Heim. Ihr Gatte schöpft Anregung und Kraft aus dem Zusammenleben mit einer Gefährtin, die seine Ideale theilt, seine Bestrebungen fördert. In treuer Ideen- gemeinschaft kämpfen Mann und Frau zusammen für ihre Ueberzeugungen, und auch die heranwachsenden Kinder der Familie Pankhurst suchen nach Kräften der sozialistischen Sache zu dienen. So schließt sich Frau Pankhursts Wirken im öffentlichen Leben mit ihrem Walten im Heim zu einem harmonischen, reichen 2404Ebd. 2405Ebd. 2406Ebd. 2407Ebd. 2408Ebd. 2409Ebd. 647 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Ganzen zusammen.“2410 Die gesamte Familie Pankhurst war demnach eine Familie sozialistischer Vollmenschen – ein Idealbild scheint in ihr Realität geworden zu sein. Nie habe die Familie bei Festen der sozialis- tischen und gewerkschaftlichen Organisationen gefehlt, was für ihr Engagement um die kultu- rellen Bedürfnisse der ArbeiterInnen spreche.2411 Auffällig wird an dieser Stelle, dass Zetkin kein einziges Alltagsproblem erwähnte, was annehmen lässt, dass der Haushalt der Pankhursts über Personal verfügt haben dürfte. Von besonderer Prominenz war Eleanor Marx-Aveling (1855-1898), die „jüngste und liebste Tochter“2412 von Karl und Jenny Marx. Der vermutlich von Zetkin verfasste Nachruf enthält jedoch kaum einen Bezug auf diese besondere Elternschaft. Zetkin beschrieb zuerst ihre vielfältigen Verdienste um die sozialistische Bewegung. Marx-Aveling war Mitbegründerin der „Gasarbeiter- und Tagelöhner-Union“, mit der besonders die ungelernten Arbeiter organisiert und der Gewerkschaftsbewegung zugeführt wurden. Sie war eine rege Agitatorin und arbeitete aufgrund ihrer vielseitigen Sprachkenntnisse auf vielen internationalen sozialistischen und gewerkschaftlichen Kongressen als Übersetzerin. Sowohl inner- als auch außerhalb der sozialis- tischen Bewegung kämpfte sie für die Rechte der Frau, „aber ebenso energisch bekämpfte sie jede frauenrechtlerische Unklarheit“2413. Sie veröffentlichte eigene Broschüren, Abhandlungen und Artikel, aber auch Werke ihres berühmten Vaters. Dann kam Zetkin dem sicherlich vorhandenen Interesse ihrer Leserinnen nach, mehr über die Um- stände zu erfahren, unter denen Marx-Aveling am 1. April 18982414 Suizid beging. Zetkin spekulierte, dass es die „wochenlange[n] Nachtwachen am Krankenbette des zärtlich geliebten Gatten“2415 waren, die ihre Kräft aufzehrten. Trotzdem sei Marx-Aveling „[n]icht als Müde, nicht als Verzweifelte […] aus dem Leben gegangen. Vielmehr als Klarblickende und Stolze, die sich im tiefsten Lebensmark getroffen fühlte, und die zu leidenschaftlich ihren Idealen anhing, um mit einer halben Kraft weiter zu vegetiren, um die halbe Kraft ihrer Feuerseele in den Dienst der Bewegung zu stellen. Als Vollmensch hatte sie gelebt, als Vollmensch wollte sie sterben.“2416 Der „Gleichheit“ und ihren Leserinnen solle sie als ein solcher „weiblicher Vollmensch“, als „Ge- 2410Ebd. 2411Vgl. ebd. 2412Eleanor Marx-Aveling †. In: GL, 08/ 08/ 13.04.1898/ 57. 2413Ebd. 2414In einem weiteren „Gleichheit“-Artikel wird als Todestag Marx-Avelings der 31. März 1898 genannt. Vgl. Banner, Robert: Den Tod unserer unvergeßlichen Genossin Eleanor Marx betreffend… In: GL, 08/ 10/ 11.05.1898/ 76. 2415Eleanor Marx-Aveling †. In: GL, 08/ 08/ 13.04.1898/ 57. 2416Ebd. 648 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF stalt von seltener Reinheit und Größe“2417 im Gedächtnis bleiben. Nach Veröffentlichung eines weiteren Artikels erschien die Gestalt Marx-Avelings jedoch weitaus weniger rein und groß. Denn der von ihrem langjährigen Freund Robert Banner2418 in mehreren sozialistischen Blättern Englands und auch in der „Gleichheit“ veröffentlichte Artikel wirft ein etwas anderes Licht auf die Verstorbene. Nach Meinung und Kenntnissen Banners waren es nicht die Sorgen um die Erkrankung ihres Ehemannes Edward Aveling oder gar finanzielle Probleme, die Marx-Aveling zum Äußersten gebracht hätten.2419 Ähnlich einem Protokoll beschrieb Banner in elf definitiven Aussagen die Situation direkt vor dem Suizid und revidierte damit die Speku- lation um dessen Motivation. Marx-Aveling habe den Entschluss zum Suizid erst an dem nämlichen Tage gefasst. Am Morgen empfing sie einen Brief, der sich auf eine andere Person bezog und diese „in sehr schlechtem Lichte“2420 darstellte. Banner blieb an dieser Stelle sehr vage, weil er selbst den Briefinhalt nicht kannte. Daraufhin bestellte Marx-Aveling per Boten Gift bei einem Apotheker, empfing es und quittierte seinen Erhalt. Dies alles tat sie in Gegenwart ihres Ehemannes, den sie auf diese Weise hindern wollte, das Haus zu verlassen. Eduard Aveling schien das Haus aber dennoch verlassen zu haben. Seine Ehefrau habe ihm gegenüber, so die spätere Aussage Avelings, des Öfteren mit Suizid gedroht und ihm sogar gemeinsamen Suizid vorgeschlagen. Deshalb erschienen ihm ihre Drohungen nicht mehr als ein ernstlicher Vorsatz. An jenem Tag aber verfasste Marx-Aveling einen Brief an ihren Anwalt, in welchem sie die Namen verschiedener Personen nannte und dem am Morgen erhaltenen Brief beifügte. Briefe, die ihren Anwalt jedoch nie erreichten, so Banner, sondern nach der Totenschau ihrem Ehemann ausgehändigt worden seien. Entgegen dem Wunsch der Toten habe dieser sie schließlich auch nicht weitergeleitet.2421 Die Beschreibungen Banners lassen insgesamt auf ein Eifersuchtsdrama schließen, was die „Gleichheit“ jedoch gänzlich un- kommentiert ließ. Sie ergänzte lediglich die Information, dass Aveling nach diesen Ereignissen seinen Rücktritt aus dem Rat der Zeitschrift „Justice“ (1884/85-1898), dem Zentralorgan der „Sozialdemokratischen Föderation Englands“, genommen hatte.2422 Mary Middleton (1870-1911), eine der Gründerinnen der englischen „Women’s Labour League“ 2417Ebd. 2418Das Mitglied der „Socialist League“, Robert Banner, war laut „Gleichheit“ zu jener Zeit Stadtrat von Woolwich. 2419Vgl. Banner, Robert: Den Tod unserer unvergeßlichen Genossin Eleanor Marx betreffend… In: GL, 08/ 10/ 11.05.1898/ 76. Abgefasst wurde der Artikel am 21. April 1898 – 21 Tage nach dem Suizid. 2420Vgl. ebd. 2421Vgl. ebd. 2422Vgl. ebd. Siehe außerdem: Bernstein, Eduard: Was Eleanor Marx in den Tod trieb. In: Neue Zeit, 16 (1897/98, Bd. 2)/ 41/ 481-491. 649 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN („Liga für die Interessen der erwerbstätigen Frauen“), wählte nicht den Freitod, sondern erlag einem „tückische[n] qualvolle[n] Leiden“2423. Ein Jahr lang, so Zetkin in ihrem Nachruf, fesselten sie dieses Leiden an das Krankenbett. Doch selbst dort habe Middleton für ihre GenossInnen noch beratende Arbeit geleistet. Alle für ihre Beerdigung bestimmten Blumengebinde, so habe Middleton vor ihrem Tode verfügt, sollten stattdessen kranken GenossInnen gebracht werden. Den Angehörigen und Freunden dieser selbstlosen Kämpferin sprach die „Gleichheit“ im Namen der sozialistischen Frauen aller Länder ihre aufrichtige Teilnahme aus. Völlig unerwartet war der Kindbetttod der 41-jährigen Margaret Ethel Mac Donald (1870-1911). Aus dem vermutlich von Zetkin verfassten Nachruf erfuhr die „Gleichheit“-Leserin, dass diese die Tochter einer Aristokratin und des angesehenen Professors Gladstone war. Von ihm, der sich als ein bürgerlicher Radikaler und Philanthrop für die allgemeine Volksbildung einsetzte, habe Mac Donald ihre „unerschütterliche demokratische Gesinnung, das Gefühl der Mitverantwortlichkeit für die sozialen Geschehnisse und Zustände und den unwiderstehlichen Drang, für andere zu wirken[,]“2424 geerbt. Die Mitwirkung an der Reformarbeit ihres Vaters ließ sie aber weiterdenken, ließ sie erkennen, dass die Gesellschaft grundlegend umgestaltet werden müsse. Zwar hätte ihr ihre Her- kunft, ihre soziale Stellung und ihre Erziehung ohne Weiteres eine hohe Position in der bürgerlichen Gesellschaft verschaffen können, doch ließen sie ihr „klarer Blick“2425 und ihr „mit- fühlendes Herz“2426 ihren wahren Platz unter den Arbeitenden finden. Mac Donald engagierte sich für den Sozialismus, „gab sich ihm ganz und für immer“2427, indem sie sich 1895 durch ihren Beitritt zur Unabhängigen Arbeiterpartei offen als Sozialistin bekannte und auch so manches familiäre Band zerbrach. Sie lernte Ramsay Mac Donald kennen und heiratete ihn 1896. Ihre Ehe war auch eine Arbeitsgemeinschaft, die beide in ihrer Entwicklung sehr förderte. Mac Donald begleitete ihren Ehemann auf Studienreisen nach Südafrika, Indien, Australien und Kanada. Neben all ihrem Engagement war sie aber ihren sechs Kindern auch eine fürsorgliche Mutter. Eine gute Rednerin sei sie hingegen nicht gewesen. Auch „den Weg zum wissenschaftlichen 2423Mary Middleton †. In: GL, 21/ 18/ 05.06.1911/ 287. 2424Margaret Ethel Mac Donald †. In: GL, 21/ 26/ 25.09.1911/ 405. 2425Ebd. 2426Ebd. 2427Ebd. 650 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF Sozialismus“2428, so Zetkin, habe Mac Donald „nicht finden k[önnen]“2429, sei – bedingt durch die herrschenden Umstände und ihren Werdegang – immer „eine Gefühlssozialistin englischen Schlags“2430 geblieben. Die Durchsetzung von Reformen, die Organisation von Arbeiterinnen und ihre Unterstützung im Arbeitskampf – dies seien Wirkungsfelder gewesen, so Zetkin, auf denen Mac Donald „als der Tätigsten eine auf dem Plan“2431 stand. Die Vielzahl der führenden Ämter Mac Donalds ist dementsprechend beeindruckend. Sie arbeitete in der „Nationalen Union der Arbeiterinnen“, engagierte sich für die Einrichtung von Werkstätten für arbeitslose Frauen und für die Gründung von Gewerbeschulen für Frauen in London. Sie war eine der Begründerinnen des „Komitees zum Schutze erwerbstätiger Kinder“ und zweite Vorsitzende des „Nationalverbandes der Klubs lediger Arbeiterinnen“ („Girls Clubs“). In Kooperation sozialistischer Frauen und bürgerlicher Reformerinnen war Mac Donald an der Gründung des „Frauenarbeitsrats“ („Women’s Industrial Council“) beteiligt. Sie war Mitgründerin der großen nationalen Organi- sation „Liga für die Interessen der erwerbstätigen Frauen“ (1906) und der großen internationalen Organisation „Internationaler Sozialistischer Frauenrat“. Als Delegierte nahm sie sowohl an der Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale in Stuttgart (1907) als auch in Kopenhagen (1910) teil. Obwohl Mac Donald stets weiterdachte, war sie Befürworterin des beschränkten Frauenwahlrechts. Sie glaubte, das „Damenwahlrecht“, so Zetkin, als „bittere Vorfrucht des allgemeinen Bürgerrechts in den Kauf nehmen zu müssen“2432. Die Sozialistische Fraueninternationale verlor mit ihr eine vielversprechende Persönlichkeit, die ihr Leben dem Sozialismus gewidmet hatte und die „trotz fruchtbaren, aufopfernden Wirkens keine Müde, Ruheverlangende, sondern umgekehrt, eine Arbeitsfrohe, eine Kämpfende“2433 ge- wesen sei. Auch Mathilda Hyndman (?-1913) war eine häufige Teilnehmerin internationaler Kongresse und der ersten Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale in Stuttgart. Bereits in den 1880er Jahren hatte sie im kleinen Kreis ihre agitatorische Tätigkeit begonnen. Da Hyndmans Ehemann ein bekannter Sozialistenführer war, erfuhr das Ehepaar oft schwere gesellschaftliche Dis- kriminierungen und finanzielle Notlagen. Doch selbst als das Ehepaar gezwungen war, sein Haus 2428Ebd. 2429Ebd. 2430Ebd., S. 406. 2431Ebd. 2432Ebd. 2433Ebd., S. 405. 651 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN zu verkaufen, habe Hyndman den Verlust mutig ertragen. Hyndman war kinderlos geblieben und umso leidenschaftlicher setzte sich die „Mutter des Sozialismus“2434 besonders für eine kostenlose Speisung der Arbeiterkinder ein. Nur von einigen wenigen Freundinnen unterstützt, bereitete sie von Ende der 1880er Jahre bis Anfang der 1890er Jahre in Battersea jeden Winter 30.000 Mahlzeiten zu. Hyndman arbeitete in verschiedenen Frauenkomitees und Frauenräten mit, und Anfang März 1913 hatte sie als Vorsitzende anlässlich des Kongresses des Frauenrates der britischen sozialistischen Partei ihren letzten öffentlichen Auftritt. Die „Gleichheit“ schloss ihren Nachruf mit den weissagenden Worten: „Sie wird lange vermißt und nie vergessen werden.“2435 Mary Macarthur (1880-1921) engagierte sich im Gegensatz zu Hyndman vor allem als Gewerkschafterin. Es ist fraglich, ob ihr eine von Zetkin redigierte „Gleichheit“ einen Nachruf ge- widmet hätte – die „neue“ „Gleichheit“ tat es. 17 Jahre lang, so Emmy Kämmerer-Leonhardt (1890-?)2436 in einem auffällig emotionslosen Nachruf, war Macarthur in verschiedenen Ämtern tätig, u. a. als Vorsitzende des Exekutivausschusses der englischen Arbeiterinnenvereine („Standing Joint Comittee of Women’s Industrial Organisations“) oder als Sekretärin des Verbandes der Frauengewerkschaften.2437 Sie war als Delegierte auf verschiedenen internationalen Kongressen anwesend und nahm 1919 in Washington an der Arbeitskonferenz des Völkerbundes teil. Während des Krieges setzte sich Mac- arthur als Sprecherin einer Deputation für Minimallöhne der Munitionsfabrikarbeiterinnen ein. Macarthur, die als Interessenvertreterin der Arbeiterinnen „‘unermüdlich, tatkräftig, zuversicht- lich’“2438 gewesen sei, verstarb nach langer Krankheit.2439 4.4.8.9 USA Als „[e]ine Deutsche, die von den Stürmen des Sozialistengesetzes über den Ozean getrieben 2434Genossin Mathilda Hyndman †. In: GL, 23/ 22/ 23.07.1913/ 351. 2435Ebd. 2436Emmy Kämmerer-Leonhardt, geb. Kämmerer, war Tochter eines Bankdirektors. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte sie sich längere Zeit im Ausland aufgehalten. 1914-1915 war sie in der Hamburger Kriegsfürsorge und der Gesell - schaft für Arbeitsnachweis tätig. Seit 1916 engagierte sie sich in der SPD. 1919-1920 war sie Gewerkschafts- angestellte und nahm in dieser Zeit auch ein Mandat als Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft wahr. Eine Kandidatur 1920 für den Reichstag blieb erfolglos. 2437Vgl. Kämmerer-Leonhardt, E[mmy]: Olive Schreiner und Mary Macarthur/ 31/ 03/ 01.02.1921/ 18. 2438So die Meinung J. Mallons, Mitarbeiter des „Daily Telegraph“ (1855-aktuell). Zit. nach: Ebd., S. 19. 2439Kämmerer-Leonhardt, die in ihrem Artikel kein Geburtsjahr angab, behauptete Macarthur sei 38jährig verstorben (vgl. ebd.). 652 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF wurde“2440, sei Johanna Greie-Cramer (1864-1911) in die USA gekommen. Im Gepäck habe sie „als teuerstes Gut aus der Heimat“2441, so vermutlich Zetkin als Verfasserin der kleinen Notiz, „die sozialistische Heilslehre“2442 gehabt. Diese habe das „schriftstellerische und rednerische Talent des jungen Weibes“2443 befruchtet. Diesen einleitenden Informationen sollte in der nächsten Nummer ein Nachruf auf Greie-Cramer folgen, was jedoch erst zwei Nummern später im nächsten Jahr- gang tatsächlich geschah.2444 Johanna Greie-Cramer, so erfährt man aus dem Nachruf, wurde in Dresden geboren und war Tochter einer kleinbürgerlichen Familie. Ihren Wissenshunger konnte die übliche Volksschul- bildung nicht stillen, weshalb sie von sich aus sehr viel las. Sie begann eine kaufmännische Ausbildung und nahm in Magdeburg eine Stellung an. Hier lernte die 21-jährige den Dreher und überzeugten Sozialdemokraten Emil Greie kennen und heiratete ihn. In dieser Ehe fand sie, so Zetkin, die „Ideengemeinschaft und Anregung, von der ihre heiße Bildungssehnsucht geträumt hatte“2445. Seine geistige Welt, die freireligiöse und sozialistische Bewegung, wurde bald die ihre und er unterstützte ihre schriftstellerische Tätigkeit für die Magdeburger „Gerichtszeitung“ und für andere Tagesblätter. 1887 entschloss sich das Ehepaar Greie unter dem Druck des Sozialistengesetzes, in die USA auszuwandern. In New York wurden sie, so Zetkin, zu „Bahnbrechern des wissenschaftlichen Sozialismus“2446. Greie-Cramer hatte aber erst von ihrem eigenen Wert für die Bewegung über- zeugt werden müssen. Ihr Parteifreund Rosenberg beschrieb sein eigenes Talent für die Suche nach geeigneten AgitatorInnen wie folgt: „‘Als Sekretär des Exekutivkomitees der damals rein deutschen sozialistischen Arbeiterpartei war mein Auge geschärft für werktätige Kräfte, und wo ich solche witterte, da zwang ich sie durch Überredung hinein in die Öffentlichkeit der Propa- ganda’“2447. Nicht wenige SozialistInnen dürften durch eine solche persönliche Ansprache für leitende Funktionen geworben worden sein. Mit Greie-Cramer gewann Rosenberg der sozialistischen Be- wegung der USA eine Klassenkämpferin, die „[o]hne Wanken und Schwanken, ohne Rücksicht auf Opfer und Gefahr […] 2440Johanna Greie-Cramer †. In: GL, 21/ 26/ 25.09.1911/ 416. 2441Ebd. 2442Ebd. 2443Ebd. 2444Johanna Greie-Cramer. In: GL, 22/ 02/ 23.10.1911/ 19. 2445Ebd. 2446Ebd. 2447Rosenberg zit. nach: Ebd. 653 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN jederzeit in den vordersten Reihen“2448 stand. Es gelang ihr, auch in den USA als Schriftstellerin und Rednerin erfolgreich tätig zu sein, Novellen, Erzählungen und u. a. den Roman „Im Banne der Vorurteile“ (1890) zu veröffentlichen. 1888 begab sie sich zum ersten Mal auf eine Agitationsreise durch die USA – wie Zetkin schrieb: „als Sendbotin des sozialistischen Evangeliums“2449. Ab 1903 waren ihr solche Reisen aufgrund eines körperlichen Leidens jedoch nicht mehr möglich. Greie-Cramer war maßgeblich an der Gründung des „Sozialdemokratischen Frauenvereins“ in New York, der ersten zentralistischen sozialdemokratischen Frauenorganisation der USA, beteiligt. Von 1904 bis 1906 war sie Redakteurin der „Frauenseite“ der „New Yorker Volks- zeitung“ (1878-1932). 1907 nahm sie als Delegierte an der ersten Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale in Stuttgart teil. Der „Gleichheit“ war Greie-Cramer ein gutes Vorbild einer proletarischen Klassenkämpferin, weil auch sie „nicht von heut auf morgen von einer schwärmerischen Gefühlssozialistin zur geschulten Vorkämpferin des wissenschaftlichen Sozialismus gereift“2450 sei. Auch sie hatte „heiß und zähe um Kenntnisse und Klarheit [ringen]“2451 müssen und sich dann umso mehr für die Sache des Sozialismus eingesetzt, „ohne zu rechnen und zu sparen, ohne an sich zu denken“2452. Nach dem Tod ihres Ehemannes Emil hatte Greie-Cramer Albert Cramer geheiratet. Sie verstarb schließlich in Elisabeth (New Jersey). In New York verstarb im Januar 1916 Julie Romm (1853-1916). Sie war gebürtige Deutsche, mit einem Russen verheiratet und mit diesem in die USA ausgewandert.2453 In „glühender Begeisterung und freudiger Opferwilligkeit“2454 habe Romm dem internationalen Sozialismus angehangen. Fünf Jahre lang redigierte sie die „Frauenseite“ der „New Yorker Volkszeitung“ und hatte darin demnach die Nachfolge Greie-Cramers angetreten. Mit ihrem Tod habe die sozialis- tische Frauenbewegung eine Frau verloren, so die „Gleichheit“, „deren lichtvoller, reicher Geist dem edlen Herz ebenbürtig war, deren Tun im schönsten Einklang stand mit ihrer Überzeugung, bei der die tiefgewurzelte 2448Ebd. 2449Ebd. 2450Ebd. 2451Ebd. 2452Ebd. 2453Julie Romm †. In: GL, 26/ 12/ 03.03.1916/ 90. 2454Ebd. 654 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF Weltanschauung lebensgestaltend wirkte“2455. Eben jener „lebensgestaltende“ Einfluss sozialistischer Weltanschauung war es, den die „Gleich- heit“ ihren Leserinnen in Nachrufen auf verdiente Klassenkämpferinnen nahebringen wollte. Im Anschluss an die Biographien deutschstämmiger Immigrantinnen werden im Folgenden drei Frauen der US-amerikanischen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung vorgestellt. Lucy Stone (1818-1893) ist eine davon. In ihrem Nachruf erklärte Zetkin, dass Stone eine der „aufopferndsten, selbstlosesten, fähigsten und energischsten Vorkämpferinnen für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts“2456 gewesen sei. Zudem sei sie ein Beispiel dafür, dass „eine charaktervolle Frau sich in der Oeffentlichkeit als Vorkämpferin einer Idee bethätigen kann, ohne daß sie dadurch an Zartheit der Empfindung, an Tiefe des Gemüthslebens einbüßt, und ohne daß ihre Aufgaben als Gattin und Mutter leiden“ 2457. Die Beschäftigung mit Politik, die Hunderte von Versammlungen auf denen sie gesprochen, die zahllosen Schriften und Flugblätter, die sie verfasst hatte – all dies habe sie nicht gehindert, „ihrem Manne liebevolle Gefährtin und Mitarbeiterin, ihren Kindern eine treu- sorgende Mutter, ihren Freunden eine theilnehmende Beratherin und Helferin“2458 zu sein. Sie war ganz Klassenkämpferin und blieb dabei doch auch ganz Frau. Als achtes von neun Kindern wuchs Stone auf einer Farm in Massachussetts auf. Dort hatte sie bereits im Kindesalter entsprechende körperliche Farmarbeit zu leisten. Ihre Eltern – der starrköpfige Vater und die sanfte Mutter – führten eine Ehe nach althergebrachtem und in der Bibel überliefertem Muster: Sie war ihm untertan. Dieses vermeintlich gottgewollte Abhängig- keitsverhältnis der Mutter und die Lektüre der Bibel waren es, die in Stone schließlich den Wunsch weckten, Hebräisch und Griechisch zu lernen. Mit diesen Kenntnissen habe sie, so Zet- kin, vor allem die Zuverlässigkeit der Übersetzung am Original selbst prüfen wollen.2459 Stone habe bereits als Kind „ein starkes Rechts- und Freiheitsgefühl“, großen „Drang und […] Willenskraft, für das als wahr Erkannte zu kämpfen“2460, besessen. Außerdem zeichneten sie laut 2455Ebd. Die „Gleichheit“-Redaktion wollte „versuchen, in nächster Nummer unseren Leserinnen ein Bild von der Persönlichkeit und der sozialistischen Betätigung Julie Romms zu skizzieren“ (ebd.). Dies geschah jedoch nicht. 2456Lucy Stone. In: GL, 04/ 07/ 04.04.1894/ 55. Neben jenem Artikel im Hauptblatt der „Gleichheit“ erschien zudem 1916 eine umfangreiche Artikelserie in der Beilage „Für unsere Mütter und Hausfrauen“, auf welche hier aber nur verwiesen werden soll: Lucy Stone. Eine nordamerikanische Bahnbrecherin der Frauenbewegung [I-VIII] In: GL, 26 (1916)/ „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 13/ 52 bis GL; 26 (1916)/ „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 21/ 83-84). 2457Lucy Stone. In: GL, 04/ 07/ 04.04.1894/ 55. 2458Ebd. 2459Vgl. ebd. 2460Ebd. 655 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Zetkin „Unerschrockenheit, Wahrhaftigkeit […] [und] Eifer beim Lernen“2461 aus. Weil ihr Vater ihr jedoch jede Unterstützung für ein Studium verweigerte, sammelte Stone Früchte und Kasta- nien, verkaufte sie und erwarb aus diesem Erlös eigene Bücher. Später arbeitete sie als Lehrerin und im Alter von 25 Jahren hatte sie genug Wissen und ein wenig Geld erworben, um auf das Oberlin College zu gehen – dem einzigen College der USA, zu dem damals Frauen zugelassen wurden. Auch als Collegestudentin musste Stone jedoch selbst für ihren Lebensunterhalt auf- kommen und deshalb weiterhin als Privatlehrerin und Aufwärterin arbeiten. Obwohl sie in Armut lebte, sei sie „stets heiter und zufrieden“2462 gewesen. Bereits während ihres Studiums, das sie mit Auszeichnung abschloss, engagierte sich Stone für die Abschaffung der Sklaverei. 1847 trat sie zum ersten Mal öffentlich als Rednerin auf, um für die Abschaffung der Sklaverei, die Gleichberechtigung der Farbigen und die Gleichberechtigung der Frau zu agitieren. Mit diesem Engagement für die Entrechteten machte sie sich allerdings andernorts sehr unbeliebt, wurde als „Ungeheuer“2463 verschrieen, „gescholten und verabscheut, verlacht, verhöhnt und beschimpft“2464 – Lucy Stones Name wurde gar zu einem Spottnamen.2465 In ihrem Engagement für die Abschaffung der Sklaverei fand Stone viele Gleichgesinnte und konnte sogar auf den Rückhalt großer bereits bestehender Organisationen rechnen – in ihrem Kampf für die Gleichberechtigung der Frau stand sie jedoch allein. Laut Zetkin existierte nicht eine einzige Organisation, welche dieses Ziel verfolgte, und in vielen Städten habe Stone als erste Frau eine öffentliche Rede gehalten.2466 Stone betrat demnach mit ihrer Agitation für die Rechte der Frau absolutes Neuland und hatte gegen viele Vorurteile anzukämpfen. Oft waren die Zuschauer sehr verblüfft, wenn statt dem erwarteten Mannweib eine „zierliche, anspruchslos, be- scheidene Frau […] von gewinnendem Benehmen und äußerst melodischer Stimme“2467 erschien. Es sei, so Zetkin, besonders ihre Stimme und der gesamte „Zauber ihrer Persönlichkeit“2468 ge- wesen, denen die Massen erlagen. Aber auch „[d]ie Energie und die Selbstlosigkeit, mit welcher sie ihre Ideale verfolgte“2469, hätten selbst ihren Gegnern imponiert. Ebenso beeindruckend wirkte die Tatsache, „daß die Frau, welche Kraft ihrer Kenntnisse und ihres Geistes eine glänzende 2461Ebd. 2462Ebd. 2463Ebd. 2464Ebd. 2465Vgl. ebd. 2466Ebd. 2467Ebd. 2468Ebd. 2469Ebd. 656 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF Stellung hätte einnehmen können, in größter Dürftigkeit lebte“2470. Zwar pries Zetkin hier im Falle Stones das Ideal der selbstgewählten Armut, doch war sie selbst eine der SozialdemokratInnen, deren eigener bürgerlich anmutender Wohlstand Angriffspunkt ihrer Gegner wurde und ist. Ihre Lebensweise erscheint manchen BiographInnen nicht authentisch mit der von ihr vertretenen Weltanschauung. 1855 heiratete Stone den Kaufmann Henry Blackwell, der sich wie sie für die Gleichberechtigung der Farbigen und der Frauen engagierte. Stone behielt nach ihrer Hochzeit jedoch ihren Mädchen- namen bei, weil alles andere den „Verlust[…] der persönlichen Freiheit“2471 bedeutet hätte. Gemeinsam verfasste das Ehepaar eine erfolgreiche Protestschrift gegen die Gesetze, die dem Mann die absolute Verfügungsgewalt über das Vermögen der Frau und die Kinder zusprachen. 1866 gründete Stone den „Bund für die Gleichberechtigung“ mit und wurde dessen langjährige Vorsitzende – ebenso 1869 für den „Amerikanischen Bund für das Wahlrecht der Frauen“. 1870 gründete sie „The Women’s Journal“ (1870-1931)2472, dessen Redaktion sie anfangs gemeinsam mit ihrem Gatten, später mit ihrer Tochter führte. Schließlich zwang Stone ein rheumatisches Leiden, ihre öffentlichen Auftritte zu beenden und mehr Zeit am Schreibtisch zu verbringen. Es sei die „Energie ihres Willens, die Lauterkeit ihres Charakters, die Selbstlosigkeit ihres Stre- bens“2473 gewesen, die sie auszeichneten. Zetkin resümierte Stones Vorbildcharakter wie folgt: „Sie zählt zu der kleinen Schaar der Helden des Geistes, die unbekümmert um den persönlichen Vortheil, das persönliche Wohl, sich mit glühender Seele einer Idee hingeben und für ihr Ideal Alles zu leisten und Alles zu opfern im Stande sind.“2474 Es war Stones Ideal, ihre „tiefinnerste Ueberzeugung“2475, dass im Zuge der Gleichberechtigung der schwarzen Bevölkerung der USA und der Gleichberechtigung der Frauen schließlich auch „die Gleichstellung alles Dessen verwirklicht würde, was Menschenantlitz trägt“2476. Zetkin zog daraus den Schluss, dass Stone „[d]ie Klassengegensätze zwischen Arm und Reich, zwischen Kapitalist und Proletarier […] nie zum Bewußtsein gekommen“2477 seien. Auch habe sie „nichts von der Nothwendigkeit des Kampfes für die Befreiung der Arbeiterklasse, für die Beseitigung 2470Ebd. 2471Ebd., S. 56. 2472Die ZDB gibt den Titel der Zeitschrift mit „The Woman’s Journal“ an. Es war das Organ der „National American Woman Suffrage Association“. 2473Ebd. 2474Ebd. 2475Ebd. 2476Ebd. 2477Ebd. 657 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN der kapitalistischen Gesellschaft“2478 gewusst. Stone scheint also gar keine Klassenkämpferin, sondern eher eine bürgerliche Frauenrechtlerin gewesen zu sein. Zetkin erklärte jedoch, warum Stone trotzdem dem skizzierten Leitbild „Klas- senkämpferin“ entsprach. Stone habe keine klassenbewusste Kämpferin sein können, weil zu ihrer Zeit in den USA die Klassengegensätze noch nicht deutlich aufgebrochen waren. Und als dann in ihren letzten Lebensjahren doch „die Kluft zwischen Bourgeoisdamen und Proletarierinnen“2479 immer größer und auch die Frauen immer stärker in den Klassenkampf hineingerissen wurden, so Zetkin, „da war Lucy Stone bereits zu alt, um sich noch in eine ganze neue Auffassung der gesellschaftlichen Verhältnisse hineinarbeiten zu können“2480. Zetkin war sich jedoch sicher, dass Stone, wenn sie einer späteren Generation angehört hätte, „eine der hervorragendsten und thätigsten Vorkämpferinnen […] für die Rechte des Proletariats“2481 gewesen wäre: „Denn ihr Herz schlug in heißem Mitgefühl für alle Unterdrückten und Leidenden.“2482 Anders als Stone war die 12 Jahre jüngere Mary Jones (1830-1930) für Zetkin das „Fleisch und Blut gewordene Solidaritätsgefühl, Klassengefühl des Proletariats selbst“2483. Die „Gleichheit“ veröffentlichte im November 1902 einen vermutlich von Zetkin abgefassten Artikel, der sehr stark auf die idealen Charaktereigenschaften und die politische Tätigkeit Jones‘ konzentriert war und sich auf Artikel anderer Zeitschriften stützte. Dieser Artikel erschien aus aktuellem Anlass, denn in den US-amerikanischen Kohlerevieren fanden gerade ungewöhnlich große Streikbewegungen statt, in die die als „Mother Jones“ bekannt gewordene Kämpferin involviert war. In anfeuernden Reden versuchte Jones vor allem „die Frauen von der Notwendigkeit des Kampfes zu über- zeugen“2484. Selbst „kühn […], opfermuthig“2485 war Jones überall dort anzutreffen, wo Männer „vom Streikbruch abgehalten werden“2486 mussten, wo es galt, „die Ausdauer zu entfesseln, die Opferfreudigkeit zu entflammen, die Frauen aus Gegnerinnen zu begeisterten Vertheidigerinnen des Ausstandes zu verwandeln“2487. Doch Jones vermochte nicht nur zu begeistern, sie besaß zudem ein praktisches Talent in der 2478Ebd. 2479Ebd. 2480Ebd. 2481Ebd. 2482Ebd. 2483Mutter Jones. In: GL, 12/ 23/ 05.11.1902/ 180. 2484Ebd. 2485Ebd. 2486Ebd. 2487Ebd. 658 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF Beschaffung von Materialien und Lebensmitteln. Ein von Zetkin zitierter Artikel der „Neuen Zeit“ 2488 vergleicht das öffentliche Auftreten Jones‘ mit dem „‘eines jungen, von flammender Begeisterung beseelten Mannes’“2489 und es habe sie trotz ihres hohen Alters ein „‘frische[r], kraftvoll[r] Geist und [ein] jugendliche[s] Herz’“2490 ausgezeichnet. Das Setzen eines männlichen Maßstabes und der Vergleich mit diesem ist hier besonders auffällig. Jones war bekennendes Mitglied der Sozialdemokratischen Partei der USA, sah aber nicht in Par- teiarbeit (oder gar „Parteikleinarbeit“), sondern in der aktiven Unterstützung der Arbeiterstreiks ihr ureigenes Wirkungsfeld. Hier hatte sie beste Möglichkeiten, ihr Talent der moralischen Beeinflussung, der Hebung der Kampfgesinnung und des Beschaffens von Lebensmitteln ein- zusetzen. Oft marschierten sie und die von ihr motivierten Frauen an der vordersten Spitze der Streikenden – ein bewährtes Mittel, um Milizen und Soldaten vom Gebrauch der Schusswaffe ab- zuhalten, welches aber nicht immer wirkte. Grundlage der weiteren Ausführungen Zetkins war ein Artikel des Journalisten und Politikers William Mailly (1871-1912)2491, der im „Social-Democrat“ (1897-1911[?]), dem wissen- schaftlichen Organ der englischen Sozialdemokratie, erschien2492. Mailly schrieb darin, dass Jones schon des Öfteren mit der Jungfrau von Orleans – Jeanne d‘Arc – verglichen worden sei. Ein Ver- gleich, den er jedoch als unzutreffend erachtete, denn Jones sei eben nicht durch Phantasien, sondern „‘durch lebendige Männer und Frauen’“2493 inspiriert worden, deren Hoffnungen und Ängste, Freuden und Sorgen sie geteilt habe: „‘Sie wendet sich den Dingen zu, die sind, um die besseren Verhältnisse zu schaffen, die sein werden.’“2494 Eine Gemeinsamkeit gebe es jedoch mit der Jungfrau von Orleans: Beide seien „‘typische Pro- 2488Der Streik der Kohlengräber in den „Vereinigten Staaten“. In: Neue Zeit, 19 (1900/1901, Bd. 1)/ 11. Zit. nach: Mutter Jones. In: GL, 12/ 23/ 05.11.1902/ 180-182. 2489„Neue Zeit“ zit. nach: Ebd., S. 181. 2490„Neue Zeit“ zit. nach: Ebd. 2491William Mailly wurde in den USA geboren, wuchs im englischen Liverpool auf und kehrte 1889 in die USA zurück, wo er zuerst als Arbeiter im Kohlebergbau und bei der Eisenbahn tätig war. 1890 zog Mailly nach Alabama und beteiligte sich dort 1893 an Bergarbeiterstreiks. So begann sein Engagement für den Sozialismus. 1897 war er Mitgründer der sozialdemokratischen Partei der USA. 1903-1905 wirkte Mailly als Nationaler Sekretär der Socialist Party. Und 1908-1909 als Herausgeber des „New York Evening Call“ (1908-1923). Es folgten weitere Tätigkeiten als Journalist, Redakteur, Delegierter der Gewerkschaften und Parteifunktionär der Socialist Party. Mailly war zudem ein Verfechter der Gleichberechtigung der Frau und verheiratet „mit einer ge- bildeten Frau, die er als Genossin im sozialistischen Lager kennen gelernt hatte“ (Stern, Meta L.[ilienthal]: William Mailly, ein sozialistischer Vorkämpfer. In: GL, 23/ 02/ 16.10.1912/ 23-24). 2492The Social-Democrat, 6. Jg., Nr. 9, 15.09.1902. 2493Mailly, William in: The Social-Democrat, 6. Jg., Nr. 9, 15.09.1902. Zit. nach: Mutter Jones. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 24/ 19.11.1902/ 188. 2494Mailly zit. nach: Ebd. 659 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN dukte der thatsächlichen Verhältnisse ihrer Zeit’“2495 und wären „‘in einer anderen Geschichts- periode eine Unmöglichkeit gewesen’“2496. Die moderne Arbeiterbewegung habe bereits eine bedeutende Entwicklung hinter sich und „‘Mutter Jones [sei] die Verkörperung des neuen, klareren geistigen Lebens und Strebens, das die erwachende Arbeiterklasse unserer Tage charakterisiert. Sie [sei] der Fleisch und Blut gewordene Geist der Revolte, der Auflehnung gegen die Bedingungen, die der moderne Kapitalismus schafft’“2497. Mailly betonte „‘vor Allem und über alles’“2498, dass Jones „‘ein Weib des Proletariats […][,] Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein’“2499 sei. Für ihre Anhängerschaft war sie authentisch, war sie eine Genossin und dieses „‘vielleicht unbewußte Gefühl dieser inneren, innig- sten Zusammengehörigkeit’“2500 gab ihr schließlich diese besondere Autorität. Auch ihre Reden, die Grundlage ihres Erfolges, versuchte Mailly, auf ihre Besonderheiten hin zu analysieren. Er kam zu dem Ergebnis, dass es eben nicht die herkömmlichen Qualitäten wie Satzbau, Phrasen oder wohlklingende Stimme seien, die ihre Brillianz ausmachten, sondern das Gegenteil: Jones‘ Sprache war einfach, die darin gezeichneten Bilder derb, aber lebendig, ihre Stimme schrill und hart. Es war ihr schlagfertiger Witz, der besondere Überzeugungskraft besaß und es ist anzu- nehmen, dass sie weniger überzeugend gewirkt hätte, hätte sie stattdessen mehr auf den Satzbau geachtet.2501 Vielleicht, so schließlich Zetkin2502, habe nichts so sehr zu ihrem Erfolg beigetragen als „ihre Gabe, der schwierigsten Situation eine heitere Seite abzugewinnen“2503. Jones – scharfsinnig, energisch, entschlossen, gewissenhaft, pflichttreu und schlicht – lebte in ihrer Arbeit, lebte für ihre Arbeit und besaß eine untrügliche Menschenkenntnis. Selbst absolut aufrichtig, habe sie ein Gespür für die Unaufrichtigkeit anderer gehabt. Vor allem sei es ihr wichtig gewesen, gut informiert zu sein, weshalb sie aufmerksam Zeitungen las.2504 Jeder, vom Greis bis zum Kleinkind, kannte sie und fasste schnell Vertrauen zu „Mutter Jones“. Auch die notwendige Härte im Kampf habe ihr nichts von ihrer Weiblichkeit genommen: 2495Mailly zit. nach: Ebd. 2496Mailly zit. nach: Ebd. 2497Mailly zit. nach: Ebd. 2498Mailly zit. nach: Ebd., S. 189. 2499Mailly zit. nach: Ebd. 2500Mailly zit. nach: Ebd. 2501Vgl. Mailly zit. nach: Ebd. 2502Es fehlen entsprechende Ausführungszeichen, um zu erkennen, an welcher Stelle der Artikel Maillys endete oder ob Zetkin sich auch bei den folgenden Informationen auf ihn bezog. Im Folgenden wird angenommen, dass Zetkin für die Fortsetzungen des Artikels verantwortlich war. 2503Mutter Jones. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 25/ 03.12.1902/ 197. 2504Vgl. ebd. 660 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF „‘Allein wenn Mitgefühl für Andere und das Streben, ihre Leiden zu mildern; wenn das Suchen nach Wahrheit und der Muth, für sie zu kämpfen, auch auf die Gefahr hin, die Verachtung und den Spott des eigenen Geschlechts zu ernten, wenn das der Maßstab für wahre Weiblichkeit ist: dann ist Mutter Jones ein echtes Weib.’“2505 Mitgefühl und Mut schließen sich im Charakter einer Frau und Klassenkämpferin keineswegs aus. Samariterin und Heldin – und wenn die Sache es verlangt auch Märtyrerin –, so idealtypisch wurde bereits die Klassenkämpferin der Pariser Kommune skizziert. Jones wurde im irischen Cork geboren und war Mitglied einer Familie, deren Ahnen bereits an vielen revolutionären Bewegungen teilgenommen hatten. Ihre Eltern wanderten nach Kanada aus, als Jones noch ein kleines Kind war. Jones wurde Ehefrau und Mutter von vier Kindern. Ihre gesamte Familie starb jedoch in Memphis an Gelbfieber. Jahrelang war sie als Näherin erwerbs- tätig, doch schöne Kleider oder andere Dinge, „welche angeblich allein das weibliche Geschlecht beschäftigen sollen“2506, hätten Jones nie interessiert. Trotzdem war es Zetkin wichtig, darauf hin- zuweisen, dass Jones in der Auswahl ihrer Kleider immer großen Chic und Geschmack bewiesen habe. Als Lehrerin kam sie in den Westen der USA. In San Francisco kam sie erstmals in Kontakt mit der Arbeiterbewegung und begann für deren Ziele – damals zum Beispiel gegen die chinesische „Schmutzkonkurrenz“ – zu agitieren. Erst ein Mitglied der „Volkspartei“ („People’s Party“), schloss sie sich später der sozialistischen und vor allem der gewerkschaftlichen Bewegung an und nahm in den 1890er Jahren an verschiedenen großen Streikbewegungen teil. Jones zog per Pferde- wagen durch den Westen und arbeitete in den Baumwollfabriken der Südstaaten, um ihre dort gesammelten Erfahrungen agitatorisch zu nutzen.2507 Zur Zeit der Veröffentlichung des „Gleichheit“-Artikels galten ihre Bemühungen den Kohlegräbern West-Virginias, wo ihr oft Dinge gelangen, die kein männlicher Agitator fertig gebracht hätte. Obwohl sich Jones nicht um Ortsverbote, richterliche Verfügungen und Verhaftungen scherte, habe ihr doch kein „‘Petroleumgeruch’“2508 angehaftet, denn sie glaubte an die Macht des Stimm- zettels, nicht an die Macht der Gewalt.2509 Geriet sie selbst in Konflikt mit den Militärs und im Besonderen mit den im Dienste der Grubenbesitzer stehenden Milizen, so pochte Jones stets auf die ihr von der Verfassung gegebenen Rechte. Die zuständigen Amtsträger jedoch kümmerten sich 2505Mailly, William in: The Social-Democrat, 6. Jg., Nr. 9, 15.09.1902. Zit. nach: Mutter Jones. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 24/ 19.11.1902/ 189. 2506Mutter Jones. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 25/ 03.12.1902/ 196. 2507Vgl. ebd., S. 195. 2508Ebd., S. 196. 2509Vgl. ebd. 661 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN wenig um die Verfassung, wenn es um eine sozialistische Agitatorin ging, die die Ordnung und Ruhe des kapitalistischen Systems störte. Zetkin beschrieb innerhalb des Artikels drei kritische Situationen während der Streikbewegungen, an denen Jones maßgeblich beteiligt war. Jones konnte jedes Mal durch „Takt und Geschicklichkeit“2510 großes Blutvergießen verhindern. Die „Gleichheit“ resümierte, dass es „Muth und Selbstaufopferung“2511 gewesen seien, die Jones „zu der bestbeliebten Frau in der amerikanischen Arbeiterbewegung gemacht haben“2512, und dass „[d]ie soziale Revolution, deren Herold sie ist, […] keine reinere, selbstlosere, makellosere Vorkämpferin“2513 besäße. Sie sei „die Verkörperung alles Edlen und Erhabenen in den Bestrebungen der Arbeiterklasse, ihre Persönlichkeit kann durch Verfolgungen nicht gebrochen, noch – sollte man es je versuchen – hinter Kerkermauern in Fesseln geschlagen werden“2514. Man sollte es versuchen. Doch, so war sich Zetkin sicher, würde auch dies Jones‘ Ansehen keinen Abbruch tun und das Dichterwort gelten: „‘Und ob sie Zuchthauskleider trägt, im Schoß den Napf voll Erbsenbrei; / Und ob sie Werg und Wolle spinnt – doch sag ich kühn Euch: sie ist frei!’“2515 1914 – Mary Jones war mittlerweile 76 Jahre alt – veröffentlichte die „Gleichheit“ einen von Adolf Hepner (1846-1923)2516 verfassten Artikel. Hepner beschrieb darin Jones als „selbstvergessen“2517 und „aufopfernd“2518 in ihrem Kampf für die ArbeiterInnen. Jones war eine treibende Kraft: „Sie agitierte, um die aufzurütteln, die noch schliefen, sie organisierte, um durch die Vereinigung die Kraft derer zu erhöhen, die erwacht waren. Mit ihrem starken Glauben an das Menschentum der Ärmsten und Elendesten belebte sie den Mut der Verzagenden.“2519 Getrieben von Menschenliebe, Gerechtigkeitsempfinden und Willenskraft sei „Mutter Jones“ zu- 2510Mutter Jones (Schluß.). In: GL, 12/ 26/ 17.12.1902/ 206. 2511Ebd. 2512Ebd. 2513Ebd. 2514Ebd. 2515Ebd. 2516Adolf Hepner wurde in Schmiegel (Posen) geboren. Er war Sohn eines Bäckermeisters. Nach dem Abitur studierte Hepner 1863-1866 in Breslau am rabbinischen Seminar, engagierte sich aber zunehmend für den Sozialismus. Er wurde Redaktionsmitglied des „Volksstaat“ und arbeitete in Leipzig mit Bebel und Liebknecht zusammen. Wie diese beiden gehörte auch Hepner 1872 zu den Angeklagten im so genannten „Leipziger Hochverratsprozess“. 1882 emigrierte Hepner in die USA und lebte seit 1886 in St. Louis, wo er seit 1897 Herausgeber des „St. Louis Tageblatts“ (?-?) und schließlich der „Westlichen Post“ (1857-1938) war. 1908 kehrte er nach Deutschland zurück, ließ sich in München nieder und verfasste u. a. Artikel für die „Sozialistischen Monatshefte“. 2517Hepner, A[dolf]: Zwei amerikanische „Bergarbeiter-Engel“. I. Mutter Jones. In: GL, 24/ 08/ 07.01.1914/ 117. 2518Ebd. 2519Ebd. 662 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF dem eine „moralische Macht“2520 gewesen. Aber man dürfe sie sich, so zitierte Hepner aus einem von der us-amerikanischen Journalistin und Sozialistin Emma Langdon (1875-?)2521 verfassten Artikel, nicht als ein so genanntes „‘Mannweib’“2522 vorstellen. Im Gegenteil: Sie sei „‘die verkörperte weibliche Güte, hilfreich mit ihrem wenigen Gelde wie mit ihrem starken Willen und Geist, wo nur immer sie kann, aber von einem unversöhnlichen Groll gegen die Unterdrücker der Armen und Hilflosen’“2523. Um diese ihre selbstgewählten Aufgaben zu erfüllen, bedurfte es keiner Wissenschaftlichkeit. Es bedurfte ihrer umso weniger, „‘als die Missetaten der Herrschenden gegen die Arbeiter auch nichts mit ‘Wissenschaft’ zu tun’“2524 hätten. Auch dieser zweite Artikel gibt kaum Informationen zu Jones‘ Werdegang. Sie selber habe in persönlichen Gesprächen nur bekannt, dass sie aus einer streng katholischen Familie stamme. Einer ihrer Brüder war in Kanada sogar als katholischer Geistlicher tätig, ein anderer als Schriftsetzer im Osten der USA. Eben dieses Fehlen weiterer Informationen wurde von Hepner als „Selbstauflösung“ hinter der politischen Sache interpretiert: „Auch dieses Zurückdämmen alles Persönlichen, was sie erlebt, hinter die Sache, der sie dient, gehört zu den hervorstechendsten Zügen dieser Charaktergestalt. Und es ist wahrhaftig nicht der am wenigsten interessante und gewinnende Zug ihres Wesens. Mutter Jones hat nicht notwendig, sich und anderen durch tönende Worte zu versichern, daß sie eine ‘Persönlichkeit’ sei. Sie beweist durch ihre Taten, daß sie es ist.“2525 Diese Interpretation ist ein bemerkenswertes Beispiel im Hinblick darauf, wie sozialistische Frauenagitation auch aus keiner Information die „richtige“ Information hervorhob und sie in das gewünschte Charakterbild einpasste. Auch in hohem Alter von den Militärs drangsaliert, musste Jones große Robustheit beweisen. Bereits nur wenige Monate nach Hepners Artikel berichtete die „Gleichheit“ von einer Verhaftung Jones‘ durch eine staatliche Miliz, von der sie unrechtmäßig am Bahnhof Trinidad (Colorado) abgefangen worden sei. Sie wurde in den Ort eskortiert, um dort isoliert von anderen Personen zumindest eine Mahlzeit zu sich nehmen zu können. Dann wurde sie wieder zurück zum Bahnhof eskortiert. Dort wurde sie gewaltsam in einen Zug nach Denver gesetzt und von Milizionären sogar noch bis zum Zielbahnhof begleitet. Die hartnäckige Agitatorin kehrte zwar nach Trinidad 2520Ebd., S. 118. 2521Die hier von Hepner zitierte Emma Langdon (1875-?) war Journalistin und engagierte sich in verschiedenen Gewerkschaften und in der Socialist Party der USA. 1903 war sie in das Bergwerksgebiet Cripple Creek in Colorado gezogen, um die dortigen Bergarbeiterstreiks zu unterstützen. 2522Emma Langdon zit. nach: Ebd. 2523Langdon zit. nach: Ebd. 2524Langdon zit. nach: Ebd. 2525Ebd., S. 119. 663 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN zurück, aber alle List nutzte nichts: Sie wurde festgenommen und in einem Hospital festgesetzt.2526 „Wie eine schwere Verbrecherin wird eine Frau, eine Greisin behandelt und mißhandelt, die durch ein aufopferungsreiches Leben bewiesen hat, daß sie zu den Besten ihres Geschlechts gehört, daß sie eine Zierde der Menschheit ist.“2527 Diese Einschätzung Jones‘ als eine der „Besten ihres Geschlechts“ konnte die bürgerliche Frauen- bewegung der USA nicht teilen. Indem diese angesichts der ungerechten Behandlung Jones‘ keinerlei Protest erhob, bestätigte sie Zetkins unabänderlichen Zweifel an einer grundsätzlichen Geschlechtssolidarität. Wo waren die Rechte der Frau, die doch in vielen Staaten der USA das Wahlrecht besaß, wo die vielbeschworene „‘große Schwesternschaft’“2528? Zetkin gab zur Ant- wort: „Sie ist an der Solidarität der bürgerlichen Damen mit den ausbeutenden Mammonsfürsten zu den Hunden geflohen“2529. Den Proletarierinnen werde damit wieder einmal gezeigt, dass sie „das leere frauenrechtlerische Gegacker […] von der Solidarität aller Frauen und dem Wahlrecht als Endziel ihres Befreiungsringens“2530 nicht ernst nehmen dürften. Die Misshandlungen, die Jones ohne Eingreifen der bürgerlichen Frauenorganisation hinnehmen musste, bestätigten nur die „alte Wahrheit, daß der Klassengegensatz zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten auch die Frauen in zwei Welten teilt und daß für die Proletarierinnen das Wahlrecht nicht Endziel ihres Befreiungskampfes sein kann, sondern nur Waffe für diesen Kampf“2531. Zetkin sah keine nationalen Unterschiede im Verhalten bürgerlicher Frauenrechtlerinnen. Sie war sich sicher, dass die Mehrzahl der deutschen Frauenrechtlerinnen, die zudem das allgemeine Wahlrecht ablehne, ja „hasse[…] und fürchte[…], dass diese sich unter ähnlichen Umständen „um kein Jota anders“2532 verhalten hätte wie ihre amerikanischen Schwestern. Diese „nackten, unum- stößlichen Tatsachen“2533, so Zetkin weiter, seien jedoch für die SozialistInnen kein Grund, „in das laute Schellengeklingel der Anarchisten einzustimmen“2534, das Wahlrecht als unzulänglich abzulehnen und den Kampf für seine Eroberung und seinen Gebrauch aufzugeben – „[n]ichts 2526Vgl. Was eine amerikanische Streikführerin erdulden muß. In: GL, 24/ 14/ 01.04.1914/ 223. 2527Ebd., S. 224. 2528Ebd. 2529Ebd. 2530Ebd. 2531Ebd. 2532Ebd. 2533Ebd. 2534Ebd. 664 4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF wäre kurzsichtiger und unseren Feinden erwünschter“2535. Wenige Monate später konnte die „Gleichheit“ über die Freilassung Jones‘ berichten und veröffentlichte einen ihrer Gefängnisbriefe. Die 82-jährige Jones betonte darin, dass sie eine amerikanische Bürgerin sei und „niemals ein Gesetz übertreten“2536 habe. Sie, eine unbescholtene Bürgerin, verlangte deshalb ihr Recht, hinzugehen, wohin sie wolle. Die Grubenbesitzer und ihre Milizen würden sich jedoch, indem sie ihr dies verweigerten, als die eigentlichen Anarchisten erweisen.2537 Auch die dritte US-amerikanische Gewerkschafterin, Annie Clemenc (1888-1956), verbrachte viel Zeit im Gefängnis. Sie wurde als Tochter kroatischer Einwanderer in den USA geboren und heiratete einen Erzgräber.2538 Clemenc‘ Statur, ihre „festen, geschmeidigen Muskeln“2539 ließen sie unter dem Beinamen „Big Annie“ bekannt werden. Sie galt als „furchtlos und bereit, für die Sache der ausgebeuteten Arbeiter zu sterben“2540. Ihr Wort hatte in der Arbeiterschaft so großes Gewicht, dass die Grubenführer so manches Mal versucht haben sollen, sie zu bestechen. Im Oktober 1913 wurde Clemenc in Camulet (Michigan) verhaftet, weil sie die Frauen angeführt hatte, die die 16.000 im Ausstand befindlichen Kupferminenarbeiter unterstützen. Jedoch musste man sie bald wieder freilassen, was die „Gleichheit“ resümieren ließ: „Und so ist sie wie früher der ‘Engel’ der Ausständigen und scheut weder die Leiden noch die Gefahren des Streiks. Sie fehlt bei keiner Manifestation, und sie ist gekannt und geliebt in den Bergarbeiterhütten, drinnen das Elend haust.“2541 Dieses Engagement, dieses tätige Beispiel sei es, was die Proletarierinnen – in USA wie im Deutschen Reich – mehr zum Durchhalten ermahnte als ihr Wort.2542 2535Ebd. 2536f. r.: Mutter Jones Freilassung … In: GL, 24/ 19/ 10.06.1914/ 304. 2537Ebd. Der Artikel beinhaltete außerdem die Information, dass eine Arbeiterversammlung in New York eine Resolution verabschiedet hatte, die den US-Präsidenten aufforderte, „die Kohlengruben in Kolorado zu konfis- zieren und im Interesse des ganzen Volkes auszubeuten“ (ebd.). Eine Forderung nach Sozialisierung wichtiger Energiequellen, die für die deutsche SPD vor allem nach Ende des Ersten Weltkrieges bedeutsam werden sollte. 2538Zwei amerikanische „Bergarbeiter-Engel“. II. Annie Clemenc. In: GL, 24/ 09/ 21.01.1914/ 132. Die „Gleichheit“ stützte sich in ihrem Artikel auf Berichte der von Negley D. Cochran herausgegebenen Zeitschrift „Day Book“ (?-?), welche vorrangig die Situation der US-amerikanischen Bergarbeiter beschrieben. Clemenc‘ Abstammung und das besondere Engagement finnischer Kupfergräber innerhalb der Streikbewegungen, gab Cochran Anlass, zu erwähnen, dass die eingewanderten Bergarbeiter den „eingeborenen Amerikanern an Treue und Opfermut“ (ebd., S. 133) nicht nachgestanden hätten. 2539Ebd., S. 132. 2540Ebd., S. 132-133. 2541Ebd., S. 134. 2542Vgl. ebd. 665 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN 4.4.8.10 Südafrika Olive Schreiner (?-1921) war Vorkämpferin der südafrikanischen Frauenbewegung und eine be- kannte Schriftstellerin. Ihr erster Roman erschien unter dem Titel „Die afrikanische Farm“ (1883) und trägt autobiographische Züge. In einem anderen Werk wollte Schreiner die Entwicklung der sozialistischen Frauenbewegung schildern. Während des Burenkrieges fiel dessen Manuskript jedoch zusammen mit ihrem Haus einem von englischen Soldaten gelegten Feuer zum Opfer. Glücklicherweise gelang es Schreiner, so Kämmerer-Leonhardt, den Inhalt stückweise zu re- konstruieren und das Buch unter dem Titel „Die Frauen und die Arbeiterbewegung“ doch noch zu veröffentlichen. Es wurde zum Klassiker und selbst bürgerliche Zeitschriften kamen in ihren Nachrufen auf Schreiner nicht umhin, sie als die „‘genialste[…] Frau unserer Zeit’“2543 zu be- zeichnen. 2543Kämmerer-Leonhardt, E.: Olive Schreiner und Mary Macarthur/ 31/ 03/ 01.02.1921/ 18-19. 666 4.5 Leitbild ohne historische Vorbilder? – Zum Frauenleitbild der Republikanerin Nach der Entlassung Zetkins änderte sich der Duktus der „Gleichheit“ überaus auffallend. Während der Begriff „Klassenkampf“ gänzlich verschwunden scheint, wurde zumindest der Begriff „Sozialismus“ auch weiterhin debattiert. Sogar Gedichte mit dem Titel „Sozialismus“ erschienen noch: „Sozialismus ist die entfaltete Verinnerlichung des Weltgeschehens. Veräußerlichung entfalteter Innerlichkeit. / Eine Welt der Ausstrahlung. / Sozialismus ist der Tempel der Menschlichkeit. / Einen jeden ruft er, damit er dem Worte lausche und seine Eltern sagen: Warum hast du uns das angetan? / Denn es ist oberstes Gesetz, daß ein Geschlecht über das andere emporwachse. / Gebot! Der Gärtner nimmt zur Befruchtung der neuen Saat die schönsten und kräftigsten Pflanzen. Er verschließt das Treibhaus und freut sich dennoch der Biene, die durch einen Spalt eindringt. / So treibe es ein jeder mit sich selbst. Er atme das Wort, er ernte die Saat geheiligten Denkens, damit auch er Saat sei und nicht Dung. Aber er freue sich der Biene, die durch seinen Fensterspalt dringt. / Sozialismus! An seinem Garten erkennt man den Gärtner, am Hund seinen Herrn! Aber nicht am Kristall das künftig geschliffene Glas, nicht an der Blüte die Frucht! / Die Sonne lebt von ihrem eigenen, ewig widerspiegelnden Quell. / Der Sozialismus ist deine Sonne, o Volk!“2544 Doch selbst in den ansonsten emotional-kämpferisch geladenen Gedichten wurde der Sozialismus nun weniger als ein revolutionäres Kampfziel, sondern vielmehr als Resultat eines evolutionären Prozesses verstanden.2545 Bereits kurz vor Ende des Krieges sandte Heilbut einen Artikel aus dem Felde an die Redaktion der „Gleichheit“, mit dessen Titel „Schweigen und arbeiten“ er die in den letzten drei Kriegs- jahren vollbrachten Leistungen der Frauen am besten zu beschreiben glaubte.2546 Innerhalb des Artikels gab er dem Wirken der Frauen in der Heimat dann aber doch einen viel heroischeren Charakter: „Zu den Heldentaten des Mannes draußen an der Front hat sich nicht minder heldenhaft und gleichwertig an stiller Kraft und Entsagung die Taten der Frau daheim gesellt. Ja, vielleicht ist ihre Tat noch höher zu werten. Denn was der Mann leistete, war schließlich nur die Krönung jahrzehntelanger Vorbereitung und Erziehung. Die Frau aber schuf ihre Werke aus dem nichts. Sie mußte erst die Ketten zerbrechen, die Sitte, Gewöhnung und Erziehung um sie geschlagen. Und sie zerbrach sie. Und in einer Zahl, in einer Größe der Leistungen wie nie zuvor in der Geschichte – trat sie als gleichwertige Genossin an die Seite des Mannes“2547 2544Zerfaß, Julius: Sozialismus. In: GL, 29/ 35/ 18.10.1919/ 278. 2545Geiger/Weigel finden es besonders auffällig, „[d]aß nun nicht mehr von Klassenkampf, sondern von Allge- meinwohl gesprochen“ (Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 85) wurde, was sie in engem Zusammen- hang mit dem neuen Status der SPD als Regierungspartei sehen. 2546Heilbut, Kurt: Schweigen und arbeiten? In: GL, 28/ 16/ 10.05.1918/ 122. 2547Ebd. 667 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Es war der Erste Weltkrieg, ein von Deutschland ausgegangener imperialistischer Angriffskrieg, der die Frauen in einer nie dagewesenen Weise mobilisiert hatte. Zetkin hatte diese „Selbst- befreiung“, diese Kampf- und Opferbereitschaft der proletarischen Frauen oft vergeblich für den sozialistischen Klassenkampf ersehnt. Wenn nicht gerade die Kriegsereignisse, so hätten Heilbuts Worte auch eine letzte, den Sozialismus hervorbringende Revolution beschreiben können. Heilbuts Artikel klang im Weiteren sehr feministisch an. Während „Männerfäuste zerstört und vernichtet“2548 hätten, legten sich nun „Frauenhände lindernd und heilend auf die Wunden“2549. Das im Titel genannte Schweigen interpretierte Heilbut als stumme, „erhabene[…], rührende[…] Opferbereitschaft“2550, in jenem Moment als der Mutter ihr Kind, der Frau der Gatte und der Braut der Liebste entrissen wurde. Diese Opfer würden nun in Form gleicher Rechte ihre Belohnung finden – wie es auch in anderen Ländern geschehe. Angesichts der Einforderung dieser Rechte sah Heilbut ein längeres Schweigen jedoch nicht mehr als angebracht an: „Lange genug – vielleicht zu lange schon – haben die Frauen geschwiegen. Darum sollten sie jetzt hinausrufen in die Welt: Goldene Worte von ihrem Willen und ihrem Sehen nach Frieden und Freiheit.“2551 Auch die Gewerkschafterin Kähler betonte kämpferisch, dass Rechte wie das Frauenwahlrecht nicht einfach in den Schoß fallen würden, man müsse sie fordern und Stück für Stück erkämpfen. Geschenkte Rechte hätten keine Kraft, seien wie „Schwerter von Holz“2552 und „[n]ur was im harten Kampfe errungen wurde, ist von Dauer“2553. Welchen Kampf hatte sie aber damit gemeint, wenn die Integration in das bürgerliche System doch ganz offensichtlich und mit der Befürwortung des Krieges quasi vollzogen war? Der auffällige Verzicht auf klassenkämpferische Parolen und staatsumstürzlerische Losungen, die noch unter der Leitung Zetkins das Bild der „Gleichheit“ geprägt hatten, signalisierte das Eintreten für klassenübergreifende, nationale Interessen und Ziele2554. Die proletarische Frauenbewegung trug nun gemäß der betriebenen gesellschaftsintegrierenden Parteipolitik diese am „Burgfrieden“ orientierten Interessen voll und ganz mit. Es wurde sogar eine eigene Rubrik „Aus der bürger- lichen Frauenbewegung“ eingerichtet. Kähler hielt es so auch für die „Aufgabe der Frauenbewegung, den Sozialismus immer mehr aus einer Sache des Herzens zu einer Sache zugleich des Verstandes und der Tat, der Schulung und der 2548Ebd. 2549Ebd. 2550Ebd. 2551Ebd. 2552Kähler, Wilhelmine: Einst und jetzt. In: GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 119. 2553Ebd. 2554Vgl. Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit, S. 162. 668 4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN praktischen Mitarbeit der Frauen auf möglichst vielen Gebieten zu machen.“2555 Sie votierte damit zwar für die Fortsetzung der politischen Schulung, jedoch unter dem Vorzeichen der „praktischen Mitarbeit“. Wie konnte eine solche anders aussehen, als dass sich die Proletarierinnen in das bestehende bürgerliche System eingliederten und sich dort vornehmlich in Form von Sozial- oder Gemeindearbeit engagierten?! Die proletarische Frauenbewegung begab sich zunehmend auf das relativ gemäßigte Forderungsniveau der bürgerlichen Frauen und sogar noch darunter. Im Gegensatz zu den bürgerlichen Frauen hatte sie den Emanzipationskampf ja nie gegen das andere Geschlecht führen wollen, sondern gegen die kapitalistische Klasse. Solche klassenkämpferische Positionen wurden jedoch seit dem „Burgfrieden“ zurückgedrängt, die Pläne vom revolutionären Umsturz der Gesellschaft waren einer reformistischen Haltung gewichen. Damit verschwamm die „Scheidungslinie“2556 zwischen den Frauenlagern stetig, die zwischen den Parteilagern verschärfte sich dagegen immer mehr: Die USPD wurde zur hart bekämpften Konkurrentin. Der Erste Weltkrieg fand für Deutschland im November 1918 ein revolutionäres Ende. Das Deutsche Reich, die deutsche Monarchie war zerstört und die deutsche Nation musste sich eine neue Staatsform geben. Aus dem monarchistischen Untertanenstaat wurde eine Republik.2557 Es bildete sich übergangsweise, um die Staatsgeschäfte weiterzuführen und Ordnung in den turbulenten Revolutionszeiten zu gewährleisten, der „Rat der Volksbeauftragten“. Er bestand aus drei SPD- und drei USPD-Mitgliedern. Dieser verkündete am 12. November das allgemeine, direkte und geheime Frauenwahlrecht und die Aufhebung der Gesindeordnung. Ein lang gehegter Traum schien wahr zu werden, ein natürliches Recht zugestanden und damit ein lang geführter Kampf gewonnen zu sein. Endlich sollte der „goldene Schlüssel zum Reiche des freien Geistes, dem Reiche der Schönheit und des Wissens“2558 auch in die Hände der Frauen gelangen. Die Parole „Da wir nicht wählen können, so müssen wir um so mehr wühlen“2559 hatte sich scheinbar erübrigt, weil für die proletarische Frauenbewegung die Zeiten, in denen sie den deutschen Staat zu untergraben hatte, vorbei waren – so schien es jedenfalls. 2555Kähler, Wilhelmine: Einst und jetzt. In: GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 119. Und auch Johanna Reitze schrieb: „Neben der theoretischen Aufklärung wird mehr als bisher die praktische Mitarbeit in der sozialen Fürsorge hervortreten müssen.“ (Reitze, Johanna: Was nun? In: GL, 27/ 22/ 03.08.1917/ 154-155). 2556Reitze, Johanna: Was nun? In: GL, 27/ 22/ 03.08.1917/ 154. 2557Ich verzichte hier auf eine genauere Darstellung der historischen Ereignisse und verweise bezüglich der Rolle der Frauen innerhalb der „Arbeiter- und Soldatenräte“ auf: Weberling, Zwischen Räten und Parteien. Frauenbewegung in Deutschland 1918/1919. 2558Selinger, Berta: Um Wissen und Bildung. In: GL, 21/ 12/ 13.03.1911/ 184. 2559Zu den preußischen Landtagswahlen! In: GL, 18/ 10/ 11.05.1908/ Beilage. 669 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Ihren ersten Gang zur Urne vollzogen die deutschen Frauen anlässlich der Wahl zur verfassungs- gebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919. Die weibliche Wahlbeteiligung war sehr groß: Fast 90% aller wahlberechtigten Frauen gaben ihre Stimmen ab und sie wählten 41 ihrer Geschlechtsgenossinnen in dieses staatskonstituierende Gremium. Mit einem Anteil von 9,6% war dies damals für eine verfassungsgebende Versammlung „einmalig […] in der Welt“2560. Die „Gleichheit“ hob den geschlechtsunabhängigen Status der gewählten weiblichen Abgeord- neten hervor. Sie seien nicht „in das Parlament […] gewählt als besondere Vertreterinnen der Fraueninteressen, sondern als die gleichberechtigten Vertreterinnen des gesamten Volkes.“2561 Tat- sächlich aber beschäftigten sich alle weiblichen Abgeordneten in ihrer politischen Praxis vorwiegend mit frauenspezifischen Themen, waren Mitglieder in frauen- oder familienspezi- fischen Ausschüssen.2562 Außerdem legte die „Gleichheit“ in einem kurzbiographischen Artikel zu den 19 weiblichen SPD- Abgeordneten Wert auf die Bemerkung: „Wenn wir auch […] in der Fraktion Genossinnen haben, deren Kindheit und Jugend frei von der Not des Proletariats war und die deshalb, mit reicherem Wissen ausgerüstet, durch eigene wissenschaftliche Erkenntnis sich zur sozialdemokra- tischen Weltanschauung durchgerungen haben, so entstammt doch der weitaus größere Teil unserer Frauen den arbeitenden Schichten.“2563 Juchacz erklärte in ihrer Rede vor der Nationalversammlung bezüglich des Zustandekommens des endlich garantierten Frauenwahlrechts: „Ich möchte hier feststellen und glaube damit im Einverständnis vieler zu sprechen, daß wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem alther- gebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist. (Sehr richtig! bei den Soz.)“2564 2560Gerhard, Unerhört, S. 333. Ein solcher Anteil weiblicher Abgeordneter in einem deutschen Parlament wurde erst wieder 1983 mit dem Einzug der „Grünen“ in den Deutschen Bundestag erreicht. Der Frauenanteil stieg damals auf 9,8% und beträgt heute 32,2% (www.bundestag.de/mdb/mdb_zahlen/frauen.html; letzter Seitenbesuch: 10.10.2008). Die Frauen der Nationalversammlung gehörten zu mehr als der Hälfte der SPD an. Drei entstammten der USPD, jeweils sechs kamen vom katholischen Zentrum und der liberal-bürgerlichen Deutsch-Demokratischen Partei (DDP). Die Fraktion der Deutschen Volkspartei (DVP), in der sich rechte Nationalliberale zusammengefunden hatten, stellte nur eine Frau, während die Deutsch-Nationale Volkspartei (DNVP) drei weibliche Abgeordnete entsandte (vgl. Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit, S. 165). 2561Vor neuen Pflichten. In: GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 57. 2562Zu der Anzahl der weiblichen SPD-Reichstagsabgeordneten siehe: Thönessen, Frauenemanzipation, S. 149. Ausblick: Insgesamt hatten 111 Frauen von 1919 bis 1933 als Abgeordnete im Deutschen Reichstag Sitz und Stimme. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme nahmen sich vier von ihnen das Leben, 13 wurden verhaftet, 10 wurden in KZs verschleppt, 14 gingen ins Exil (vgl. Craig, Rolle der Frauen zwischen 1918 und 1930, S. 348). 2563Schroeder, Luise: Unsere Frauen in der deutschen Nationalversammlung. In: GL, 29/ 11/ 28.02.1919/ 84-87, S. 84. 2564 Juchacz im Protokoll der Nationalversammlung. Zit. nach: Die erste Parlamentsrede einer Frau in Deutschland. In: GL, 29/ 12/ 14.03.1919/ 89-93, S. 89. 670 4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN In der Forschungsliteratur werden verschiedene Thesen zur Einführung des Frauenwahlrechts vertreten. Manche WissenschaftlerInnen sehen in ihm weniger ein erworbenes Recht als eine „Verordnung von oben“, die ohne den Rat der Volksbeauftragten niemals zustande gekommen wäre, weil die Sozialdemokratie unter anderen Nachkriegsumständen einen Handel mit den bürgerlichen Parteien eingegangen wäre.2565 Dem Ersten Weltkrieg wird zusammen mit der Aus- weitung des tertiären Wirtschaftssektors allgemein eine die Emanzipation begünstigende Wirkung zugeschrieben2566. Einige WissenschaftlerInnen sehen in der Erringung des Frauenwahlrechts jedoch bewusst nicht ein Ergebnis des Krieges, sondern seines revolutionären Endes. Ohne Zweifel muss jedoch der (Vorkriegs-)Sozialdemokratie als der einzigen politischen Partei, die die Forderung nach der Einführung des Frauenwahlrechts in ihrem Programm aufgenommen hatte, eine maßgebliche Rolle beim Zustandekommen dieses Grundrechts zugestanden werden.2567 Feministische WissenschaftlerInnen wie Freier heben dagegen den Eigenanteil der deutschen Frauen am Kampf um das Wahlrecht und damit die in der vorliegenden Arbeit im Mittelpunkt stehende politische Frauenbildung hervor. Und so würden sie das Wahlrecht weder „der SPD noch den Räten [verdanken], sondern ihren eigenen Aktionen sowohl im Lager der sozialistischen als auch der bürgerlichen Frauen“2568. Das Frauenwahlrecht ist also Ergebnis politischer Schulung und Agitation beider Frauenlager. Viele WissenschaftlerInnen betonen jedoch, dass man das Frauenwahlrecht keinesfalls den Bemü- hungen der bürgerlichen Frauen zuschreiben dürfe. Niggemann fasst das vermeintliche Versagen der bürgerlichen Frauen sogar folgendermaßen zusammen: „Es ist eine Legende, daß das Frauenwahlrecht in Deutschland von der bürger- lichen Frauenbewegung oder gar den liberalen Parteien erkämpft worden sei.“2569 Diese Bilanz der Forschungsaussagen macht also deutlich, dass neben den zeitgeschichtlichen 2565Vgl. Hamm-Brücher, Seit 70 Jahren Abschied vom Männerwahlrecht, S. 33 und Gieseke, Geschlechterverhältnis und Weiterbildung, S. 27. Zu den Positionen der verschiedenen bürgerlichen Parteien um die Jahrhundertwende siehe auch: Schenk, Die feministische Herausforderung, S. 38-39 u. S. 41. 2566Sommerhoff, Frauenbewegung, S. 41; Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 126; Nave- Herz, Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, S. 49ff. Allerdings wird einem diese Betrachtungs- weise im Rückblick nicht leicht gemacht: Die betriebene geschlechtsspezifische, fürsorgerische Tätigkeit, die hingenommenen Maßnahmen sexueller Unterdrückung wie die Verschärfung des § 218 und die Identifizierung mit den kriegshetzerischen Durchhalteparolen des Wilhelminischen Reiches zeugt von der Einseitigkeit des Emanzi- pations- und Politisierungsschubes des Krieges. Der Aufbruch in neue Berufsfelder und das Übernehmen von Verantwortung im öffentlichen Leben kann man dagegen ohne weiteres als emanzipationsfördernd bewerten. Be- züglich des Frauenwahlrechts hat die Nachhaltigkeit der emanzipationsfördernden Elemente des Krieges wohl den Ausschlag für seine Beurteilung gegeben. 2567Vgl. Hamm-Brücher, Seit 70 Jahren Abschied vom Männerwahlrecht, S. 33 und Gerhard, Frauenwahlrecht in Deutschland, S. 22. Siehe auch: Gerhard, Frauenwahlrecht, S. 21 und. Bornemann, Vorwort des Herausgebers, S. 36. 2568Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 156. 2569Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus, S. 152. 671 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Umständen dem Engagement der proletarischen Frauenbewegung und damit auch ihrer poli- tischen Frauenbildung bei der Erlangung des Frauenwahlrechtes im allgemeinen ein großer Ver- dienst zukommt. Es war die Weimarer Verfassung2570, die den Frauen das Recht zu wählen und gewählt zu werden gesetzlich gewährleistete. Der bekennende Monarchist Freiherr Axel von Freytagh-Loringhoven gibt folgende zeitgenössische Charakterisierung der Verfassung: Für ihn war sie lediglich „Notbau […], häßlich und windschief, nach ausländischen, undeutsch [sic!] ge- dachten Plänen, aus unedlem Material, aber geschickt verputzt, mit Ornamenten aus billigem Stuck verziert.“2571 Diese ablehnende Haltung gegenüber der Weimarer Verfassung war in konservativen Kreisen weit verbreitet und damit begründet, dass sie dem „deutschen Wesen“ fremd sei, sich zu stark an die westliche Kultur, – die Kultur der Siegermächte – anlehnte und als ein Konstrukt, das viel verspräche und wenig hielte, nichts tauge für die Nachkriegsordnung. Tatsächlich war die Weimarer Verfassung aber nur ein Kind ihrer Zeit. Sie sollte beides: Kontinuitäten bewahren und Neuerungen vorantreiben. Diesen Mittelweg der Integration beschritt auch die Mehrheitssozialdemokratie und verwarf damit zugleich die Pläne eines sozialistischen Staates. Sie versuchte die Umwandlung der bürgerlichen Gesellschaft auf dem Boden einer deutschen Demokratie zu vollziehen, womit Unruhen vermieden und die Integration in die Ge- meinschaft der westlichen Völker gewährleistet werden sollte. Demgegenüber betrieben einerseits die am 31. Dezember 1918 gegründete, aus dem Spartakusbund hervorgegangene „Kommunis- tische Partei Deutschlands“ (KPD), andererseits die reaktionären bürgerlichen bzw. monarchis- tischen Parteien eine Art „Blockadepolitik“. Die einen wollten nun endlich den Maximen des Sozialismus und dem Beispiel der russischen GenossInnen gemäß einen sozialistischen Staat auf- bauen, die anderen wollten die Monarchie rekonstruieren oder zumindest den Grundpfeiler der bürgerlichen Gesellschaft, das Privateigentum, erhalten. Diesen gegensätzlichen Erwartungen konnte die Verfassung in ihrem Kompromisscharakter nicht gerecht werden. Auch in der Formulierung der rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter machte sich dieser Kompromisscharakter bemerkbar: Mit dem Zusatz der „Grundsätzlichkeit“ ließ § 109 der Weimarer Verfassung „modifizierend-einschränkende Lesarten“2572 des Grundrechtes auf Gleich- 2570Die Weimarer Verfassung wurde von dem Sozialdemokraten Hugo Preuss konzipiert und am 31. Juli 1919 von der Nationalversammlung mit 262 gegen 75 Stimmen verabschiedet. 2571Freytagh-Loringhoven, Die Weimarer Verfassung in Lehre und Wirklichkeit, S. 399. 2572Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit, S. 166. 672 4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN heit zu. Das wurde von beiden Frauenbewegungen aber bewusst in Kauf genommen2573, da auch sie sich zwar immer für die „Gleichwertigkeit“, aber gegen die „Gleichartigkeit“ der Geschlechter ausgesprochen hatten. Man sah hier also nicht die Gefahr erneut legitimierter Unterdrückung und Beschränkung, sondern im Gegenteil garantierte Flexibilität und Berücksichtigung geschlechts- spezifischer Eigenheiten. Was bedeutete diese vermeintliche Gleichheit für die weitere Entwicklung der Frauenorga- nisationen? Mit dem Erreichen ihres Hauptzieles, dem Frauenwahlrecht, löste sich die radikal- bürgerliche Frauenbewegung auf oder integrierte sich in den gemäßigten Flügel. Die sozialis- tischen Frauenorganisationen könne man, so Schenk, schon seit der Parteispaltung gar nicht mehr als “Frauenbewegung“ bezeichnen, sie seien zu „Untergruppierungen der jeweiligen Partei“2574 ge- worden. Tatsächlich wurde auch von Juchacz die Absolutheit der Parteitreue deutscher sozialis- tischer Frauen kritisch hinterfragt: „Ja, entwickelt die deutsche sozialistische Frauenbewegung denn gar kein eigenes, geistiges Leben, schafft sie sich keine eigenen Daseinsformen, läßt sie sich gut- willig uniformieren und fühlt sich wohl dabei?“2575 Juchacz bemühte sich 1923 eine Antwort auf diese Fragen zu geben, indem sie von der Unnötigkeit schrieb, dass das politische Auftreten der Frauen sich spektakulär von dem der sozialistischen Männer abzusetzen habe: „Nicht daß wir Aufsehen machen und die Augen der Welt auf uns lenken, nein, daß Gesetzgebung und Verwaltung durchdrungen werden von weiblichem Geist, befreit werden von der Einseitigkeit und Starrheit des nur männlich Gerichteten, das ist das Wesentliche.“2576 Und dieses wurde eben nicht besonders auffällig betrieben. Zogen es die Sozialdemokratinnen also vor, sich in die Politik „einzuschmuggeln“ statt ihre Rechte lautstark einzufordern? War es nicht dieses Verhalten gewesen, das die Sozialistinnen unter Zetkin den bürgerlichen Frauen als „Halbheit“ vorgeworfen hatten?! Indem die Sozialdemokratische Partei außerdem „ein zu- nehmend konservativeres Familien- und Frauenbild [entwickelte], das sich nur graduell von dem anderer bürgerlicher Parteien untersch[ied]“2577, war trotz der positiven Veränderungen für die Frauen seit dem Beginn der Weimarer Republik eine grundlegende Neuerung der weiblichen 2573Wenngleich Mathilde Wurm 1923 in der „Gleichheit“ schrieb, dass das zu Ende gegangene Jahr 1922 „noch immer nicht das in der Verfassung gegebene Versprechen auf grundsätzliche Gleichberechtigung der Frau erfüllt“ (Wurm, Mathilde: Rückblick und Ausblick I. In: GL, 33/ 01/ 01.01.1923/ 1) habe, blieb der Protest doch erstaun- lich dürftig. 2574Schenk, Die feministische Herausforderung, S. 52. 2575Juchacz, Marie: Die Frau in der deutschen Partei. In: GL, 33/ 9-10/ 1./15.05.1923/ 68. 2576Ebd. 2577Schenk, Die feministische Herausforderung, S. 52. 673 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Rolle weder innerhalb der Partei noch innerhalb der Gesellschaft zu erwarten – jedenfalls nicht basierend auf einer Initiative der unterwürfig zuarbeitenden Parteifrauen. Verschiedene deshalb naheliegende Pläne zur Gründung einer Frauenpartei hatten jedoch auch keine Chance, da die Klassenschranken ein geschlechtssolidarisches Vorgehen nach wie vor aus- schlossen. Es bestätigte sich, so Gerhard, „daß die Geschlechtszugehörigkeit allein noch keinen politischen Sinn macht“2578. Jedenfalls noch keinen solch erheblichen, dass damit die Klassen- vorbehalte unerheblich und eine geschlechtsgebundene Etablierung der Frauenbewegung in Form einer Frauenpartei möglich würde.2579 Zwar blieben damit die politischen Entscheidungen nicht den Männern überlassen, doch der geringe Frauenanteil unter den Parlamentsabgeordneten war noch keine hinlängliche Garantie für die volle Vertretung der Emanzipationsinteressen der deutschen Frauen. Dies bewiesen vor allem die wirtschaftlichen Regierungsmaßnahmen der ersten Republikjahre. Staatliche Demobilmachungsmaßnahmen schufen Arbeitsplätze für die heimkehrenden Männer und zwangen die Frauen zurück ins Haus2580. Dies war den Frauen ein bekanntes und vielleicht auch nicht unwillkommenes Muster geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung. Trotzdem kann man nicht sagen, dass sich durch diese Maßnahmen der Arbeitsmarkt auf den Vorkriegsstandard zu- rückentwickelt hätte. Der Anteil der weiblichen Erwerbstätigen in traditionellen Frauenberufen wie z.B. der Haus- und Landwirtschaft sank weiter. Der neue Sektor der Dienstleistung zeigte dagegen einen stetig anwachsenden Bedarf an Arbeitskräften und rückte zunehmend in das öffentliche Interesse. Mit der steigenden Zahl von Sekretärinnen, Telefonistinnen, Verkäuferinnen und Stenotypistinnen – den kleineren Angestellten –, prägte sich ein neues, vorwiegend städ- tisches Phänomen aus – der so genannte Typus der „Neuen Frau“.2581 Die junge Generation dieser Frauen verdiente ihr eigenes Geld und diese finanzielle Freiheit hatte 2578Gerhard, Frauenwahlrecht, S. 27. 2579Vgl. Schenk, Die feministische Herausforderung, S. 60. 2580Am 28. März 1919 erfolgte die 1. Verordnung, am 25. Januar 1920 die 2. Verordnung zur Demobilmachung. Frauen wurden nach Ende des Ersten Weltkrieges in einer fadenscheinigen Reihenfolge der Dringlichkeit aus ihren Arbeitsverhältnissen entlassen: „1. Frauen, deren Männer Arbeit hatten, 2. alleinstehende Mädchen und Frauen, 3. Mädchen und Frauen, die nur 1-2 Personen zu versorgen hatten, 4. alle übrigen Mädchen und Frauen.“ (zit. nach Thönnessen, Frauenemanzipation, S. 101). Fadenscheinig war diese Dringlichkeitsstufung, weil es schließlich doch schlicht Ermessenssache des Unternehmers und der duldsamen Gewerkschaften war, ob der Verdienst einer Frau als zusätzlich oder versorgungsnotwendig einzuschätzen sei. Letztendlich stand immer die Arbeitsplatzbeschaffung für einen Mann im Mittelpunkt, auch wenn vielleicht eine ungenügend versorgte Krieger- witwe ihren Arbeitsplatz dafür räumen musste. Siehe: Bessel, Eine nicht allzu große Beunruhigung des Arbeits- marktes und siehe auch: [Buchheim, Johanna?]: Eine vorübergehende Erscheinung? In: GL, 26/ 02/ 15.10.1915/ 9-10. 2581Vgl. Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit, S. 171ff.. Zur „Neuen Frau“ siehe: Soden/Schmidt, Neue Frauen: die zwanziger Jahre; Frauenalltag und Frauenbewegung im 20. Jahrhundert. Bd. 2: Frauenbewegung und die „Neue Frau“ 1890-1933. 674 4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN zur Folge, dass sie auch andere individuelle Freiheiten beanspruchte. Die „Goldenen Zwanziger“ exponierten durch Kunst, Musik und Mode die Eigenarten einer selbstbewussten, lebenslustigen und aufbegehrenden „bubiköpfigen“ Frau. Manche zeitgenössischen Gesellschaftswissen- schaftlerInnen betrachteten diesen großstädtisch geprägten Typus als Verwirklichung der weib- lichen Emanzipation par excellence.2582 Was sie allerdings dabei aus dem Blickfeld verloren, war, dass der Großteil der Frauen von dieser Entwicklung unbeeinflusst und in gegenteiligen Mustern verhaftet blieb, abgesehen davon, dass diese Formen weiblicher Emanzipation kaum ein Vorbild sein konnten für die Proletarierin. Außerdem galt auch für die aufstrebenden weiblichen An- gestellten, dass ihre Karrieren denen der Männer zuarbeiteten, sie letzlich auf geschlechtstypische Hilfskraftpositionen festgelegt waren und im Falle der Verheiratung meistens ihr jugendlich- rebellisches Leben „freiwillig“ aufgaben. Auf politischer Ebene ist das beste Beispiel für diese von der Mehrheit der Frauen praktizierte Selbstbescheidung auf die ihnen zugeschriebenen Arbeitsfelder die 1919 von Marie Juchacz ins Leben gerufene „Arbeiterwohlfahrt“ (AWO). Sie führte als arbeiterspezifische Fürsorge- organisation die im Krieg begonnene eigenständige proletarische Sozialarbeit fort, richtete verschiedenste Beratungsstellen, Krankenpflegestationen, Kinder-, Alters- und Mütterheime ein. Zudem bot sie Möglichkeiten zur beruflichen Ausbildung von Sozialarbeiterinnen. Juchacz entwickelte ein maßgebendes Wohlfahrtskonzept, das alle bisher existierenden sozialdemokra- tischen Fürsorgeorganisationen zusammenfassen und sich durch das Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“ ganz deutlich von der bürgerlichen Almosen-Wohltätigkeit unterscheiden sollte. Einerseits führte diese Eigenständigkeit damals zu der Frage, „ob mit dem Aufbau eigener Einrichtungen dem Staat nicht ein Teil seiner Verantwortung für die Gesellschaft genommen“2583 würde. Andererseits bietet gerade die AWO bis heute Diskussionsstoff für den Aspekt, dass die Frauen sich erneut einseitig in dienenden, pflegenden und fürsorgerischen Tätigkeitsfeldern engagieren, anstatt auf die „große“ Politik Einfluss zu nehmen. Dertinger schreibt dazu, dass „wer so urteilt, vergißt, woher die meisten jener Frauen gekommen waren und welche Aufgaben sich ihnen aus eigenem Erleben als vordringlich stellten. Das Sein bestimmte das Bewußtsein von Frauen wie Marie Juchacz.“2584 Fasst man diesen letzten Satz so auf, dass die gesellschaftlichen Umstände, in denen sich die Frauen wiederfanden, auch ihr Bewusstsein prägten, so ist die Übernahme bestimmter Rollen- 2582Vgl. Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit, S. 172-173. 2583Dertinger, Marie Juchacz, S. 225. Siehe auch: Juchacz, Marie: Die Frau in der deutschen Partei. In: GL, 33/ 9-10/ 1./15.05.1923/ 68. 2584Dertinger, Marie Juchacz, S. 215. 675 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN bilder und -erwartungen quasi „natürlich“. Dieser Zusammenhang erklärt auch Juchacz‘ Behauptung in der Nationalversammlung, dass die Sozialpolitik Gebiete aufweise, „an denen das weibliche Geschlecht ganz besonders interessiert und für welche das weibliche Geschlecht ganz besonders geeignet“2585 sei. Vor dem Hintergrund des legitimen Anspruchs der Frauen auf Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen hätte aber das Bewusstsein, also der bewusste Teil der Frauenbewegung, solche „natürlichen“ Rollenerwartungen zurückweisen und auf die gesellschaft- lichen Umstände, auf das „Sein“, einwirken müssen. Die AWO zeigte zwar, indem sie Bezug auf Themen der proletarischen Lebenswelt nahm, ähnlich wie die allgemeinen Bildungskonzepte der Proletarierinnen den eigenständigen Weg prole- tarischer Kultur und Organisation auf, sie förderte aber zugleich die Entwicklung zurück zu einem stereotypen Frauenbild.2586 Frevert fasst die Konsequenzen dieser „eher konservativen Linie“ so zusammen: Sie „trug den Frauenbewegungen von der kritischeren Jugendbewegung den Vorwurf ein, sie hätten abgewirtschaftet und ihre innovative, umgestaltende Kraft ein- gebüßt; für männliche Politiker wiederum hatten sie ihren aufreizenden Stachel verloren und waren zum ungefährlichen, kalkulierbaren Faktor des politischen Systems geworden.“2587 Haben die weiblichen Politikerinnen sich selbst und ihre Geschlechtsgenossinnen demnach um die Rechte und Möglichkeiten, die ihnen die Weimarer Verfassung geboten hatte, betrogen? Woher kam der Widerspruch zwischen der Fülle neuer Rechte und der Bereitschaft, von ihnen Gebrauch zu machen?2588 Wahrscheinlich waren den Frauen ihre Chancen nicht ersichtlich genug, und das politische System und seine Freiheiten zu ungewohnt, zu komplex. So ergab sich für die proletarische Frauenbildung ein neues Bildungsziel. Die Proletarierinnen mussten zu Republikanerinnen erzogen werden, die loyal zur deutschen Republik stehen und sich 2585Ebd., S. 214. 2586Zur weiteren Entwicklung der AWO schreibt Dertinger: „Bei ihrem Verbot [durch die Nationalsozialisten, M.S.] zählte die Arbeiterwohlfahrt, die sich seit Februar 1933 auf die illegale Weiterarbeit in Tarnorganisationen vorzubereiten suchte, 2600 Ortsausschüsse (heute Ortsvereine) mit 1414 Beratungsstellen und mehr als 135 000 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Nationalsozialisten übernahmen Hunderte von vorbildlich arbeitenden Einrichtungen: Lehrlings-, Klub-, Erwachsenen- und Kindererholungsheime, mehr als tausend Nähstuben, Kinderkrippen, -gärten und -tagesstätten, Werkstätten und eine Reihe von gemeinnützig arbeitenden Wirtschaftsbetrieben, […]. Damit wurden bedeutende Ergebnisse einer sozialen Reformidee vernichtet und Leistungen Tausender sozialdemokratischer Frauen.“ (Dertinger, Marie Juchacz, S. 225-227). Auch Thönnessen zieht diese Verbindung zwischen proletarischer Wohlfahrtsarbeit und dem Nationalsozialismus: „Der National- sozialismus übernimmt von der gewaltsam unterdrückten Sozialdemokratie, […] gerade die Sozialarbeit der Frauen und enthüllt sie damit als Mittel zur Verhinderung, nicht zur Realisierung der Frauenbefreiung.“ (Thön- nessen, Frauenemanzipation, S. 7-8). Dertinger betont die Vernichtung der reformerischen Arbeit der SPD-Frauen, Thönnessen dagegen die Integrierbarkeit in die NSDAP-Organisationen, weil sie unterschwellig eben doch reaktionär war. 2587Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit, S. 167. 2588Wurms, Von heute an gibt’s mein Programm, S. 21. 676 4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN ihrer Rechte bewusst sein sollten. Die bürgerliche Frauenrechtlerin Agnes Zahn-Harnack (1884- 1950) formulierte treffend: „Aufgabe der folgenden Generation wird es nun sein, zu erwerben, was sie besitzen.“2589 Der Erwerb, die verinnerlichende Aneignung zuerkannter Rechte, wurde zum neuen Aufgaben- gebiet der gesamten Frauenbewegung. Was würde es schließlich dem äußerst umstrittenen jungen Staat einbringen, wenn er seinen Bürgerinnen zwar eine Vielzahl an Rechten einräumte, diese sie aber nicht zu nutzen wüssten?! Die innere Zerrissenheit des noch im Werden begriffenen Staates machte vieles unkalkulierbar. So auch das Wahlverhalten der Frauen, in das gerade auch die Sozialdemokratie soviel Schulungs- arbeit investiert hatte. Zwei Tage vor der Wahl zur Nationalversammlung im Januar 1919, äußerte sich Juchacz als damalige Redakteurin der „Gleichheit“ sehr skeptisch zu dem möglichen Wahlausgang. Sie bezeichnete das Frauenwahlrecht als einen „neuen ungewissen Faktor“2590 des politischen Lebens und setzte bewusst nur geringe Erwartungen in die Ergebnisse der Wahlen. Tatsächlich hatten die ersten Wahlen der neuen deutschen Republik einen überraschend positiven Verlauf für die bürgerlich-konservativen Parteien. Obwohl die Sozialdemokratie stärkste Fraktion wurde, ging das konservative Zentrum als eigentlicher Sieger aus den Wahlen hervor.2591 Auch Proletarierinnen hatten die politische Vertretung der katholischen Konfession gewählt. Dies ergaben Analysen getrenntgeschlechtlicher Wahlstatistiken2592 und ließ die „Gleichheit“-Mitarbei- terInnen an der politischen Reife ihres Klientels erneut zweifeln: „Kirchenthrone und Altäre wackelten wieder einmal bedenklich und wären sicher umgefallen, hätte man nicht euch Frauen, euch liebe, warmherzige, stets mitleid- bereite Frauen zu Hilfe gerufen – und ihr ließet euch gerne rufen, kamet in Massen, zeugtet – nicht für die Kraft der Idee, wohl aber für die Wucht der Herde! Hättet ihr es aus echtem Mitleid getan, gut! Daß ihr es aber aus altem Autoritätsglauben 2589Zahn-Harnack, Die Frauenbewegung, S. 285. 2590Vor neuen Pflichten. In: GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 57. 2591Am 13. Februar 1919 hatte sich unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Philipp Scheidemann die so- genannte „Weimarer Koalition“ aus SPD, DDP und Zentrum als erste demokratische Regierung Deutschlands konstituieren müssen, weil der SPD keine absolute Mehrheit der Stimmen zugefallen war. Die Wahl zum 1. Reichstag am 6. Juni 1920 fügte dieser christlich-sozialen Koalition einen erheblichen Stimmenverlust zu. Es bildete sich eine neue Koalition aus DDP, DVP und Zentrum. Damit war dann die SPD genauso wie die USPD von der Regierung ausgeschlossen. 2592Anlässlich der Reichstagswahl 1920 gaben bei einem katholischen Bevölkerungsanteil ganz Deutschlands von knapp einem Drittel nur 20% aller männlichen und fast 29% aller weiblichen Wähler ihre Stimme dem Zentrum. In der katholischen Hochburg Köln ist dieses geschlechtsspezifische Stimmenverhältnis noch extremer: Hier wählten 27,8% der Männer, aber 44,7% der Frauen die katholische Partei der bürgerlichen Mitte (vgl. Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit, S. 169). Zur Publikation ge- trenntgeschlechtlicher Wahlstatistiken siehe: Wirkungen des Frauenstimmrechts. In: GL, 31/ 06/ 15.03.1921/ 54. 677 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN tatet, das ist das Traurige.“2593 Die „Gleichheit“ warf den Frauen vor, nicht gemäß ihrem politischen Wissen, sondern gemäß ihrem „christlichen“ Mitgefühl gewählt zu haben. Vor allem wurde sie durch das Wahlverhalten ihres Klientels auf erschütternde Weise mit ihrem offenkundigen agitatorisch-erzieherischen Ver- sagen konfrontiert. In einem verbitterten Ton veröffentlichte sie ihre eigenen Vermutungen über die Ursachen des Wahlausgangs: „Die eine wählte nur eine Vo l k s partei, ob bayrisch oder deutsch, das gilt ihr gleich; die andere erklärt, jetzt bestimmt nicht mehr mehrheitssozialistisch oder gar unabhängig wählen zu wollen wie die letzen Male, weil man da doch nur windigen amerikanischen Speck bekommen hätte und weil das Packerl Suppengrün immer noch 20 Pf. kostet – trotz der Sozi in der Regierung; die eine wählt wie ihr Schatz wählt, weil er halt gestern wieder gar zu lieb war; die andere wählt gerade s e i n e Partei nicht, weil er sie heute versetzt hat wegen der Wahlarbeit; manche verbitterte Frau wählt den Kandidaten ihres Mannes nicht, weil sie auch gar nichts mehr mit ihm gemein haben möchte; eine andere legt in den einen Umschlag den Wahlzettel eines Kommunisten, weil er gar so schön geredet hat, und in den anderen Umschlag den Stimmzettel ihres Mannes für die Mittelpartei, damit dem ehelichen Gehorsam doch einigermaßen Genüge geleistet wird; die eine wählt extra die Kandidatin ihrer Partei nicht (wie leider auch manche Männer), weil sie halt bloß eine Frau ist; Dienstmädchen halten sich für standeserhöht, wenn sie die Kandi- daten ihrer Herrschaft wählen, […].“2594 Damit sprach die „Gleichheit“ den Frauen in auffällig enttäuschtem Tenor jede politische Reife und das Bewusstsein für die getroffene Wahlentscheidung ab. Vermutlich hatten sich in ebenso großer Enttäuschung die proletarischen Wählerinnen von der SPD abgewendet, weil sie dieser als Regierungspartei die Verantwortung für die bedrückenden Missverhältnisse anlasteten.2595 So gesehen waren die Wahlentscheidungen der Frauen sehr wohl selbständig und bewusst getroffen, nur waren sie für überzeugte Sozialistinnen nicht nachvoll- ziehbar. Albrecht u. a. konstatierten, dass das Wahlverhalten dem Umstand zuzuschreiben sei, dass die Frauen während ihrer kriegsbedingten gesellschaftlichen Einflussnahme weder genügend poli- tischen Willen noch politische Macht entwickelt hätten.2596 Die Konsequenzen, die die proletarische Frauenbewegung aus den Wahlniederlagen zog, mussten also vor allem pädago- gischer Art sein. Denn politischen Willen oder politische Macht vermochten die Frauen nur zu entwickeln, wenn sie sich mit den neuen Gegebenheiten vertraut machten. 2593O ihr Frauen! In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 212. 2594Ebd., S. 211f. Siehe auch: Scheuer-Insel, Else: Stimmungsbilder am Wahltage. In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 210- 211. 2595Vgl. Albrecht/u. a., Frauenfrage und deutsche Sozialdemokratie, S. 506. 2596Ebd. 678 4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN Die „Gleichheit“ musste vieles auf einmal leisten: Die Identifikation der Frauen mit der neuen Republik als einem demokratischen System und damit die Abkehr von bisherigen Kampfzielen2597, ihre Aufklärung über ihre neuen Rechte2598 und die Identifizierung ihrer neuen Feinde. Letztere waren nicht mehr nur auf der rechten Seite zu finden, sondern auch auf der linken, noch dazu in Gestalt ehemaliger GenossInnen.2599 Damit hatte die „Gleichheit“ mehr Klärungs- als Auf- klärungsarbeit zu leisten und legte nicht nur in ihrem ab 1919 geführten Untertitel „Zeitschrift für die Frauen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands”2600 Zeugnis für ihre Zugehörigkeit zur SPD ab. Die proletarische Frauenbewegung musste ihre SPD-Schulungsarbeit intensivieren. Als Bildungsziel stand jetzt nicht mehr die staatskritische Bewusstwerdung zur Klassenkämpferin im Mittelpunkt, sondern die Identifizierung mit der Republik. Einer Republik, die für die Sozial- demokratie das Feld ihrer – nun mehr auf Reformen reduzierten – gesellschaftsverändernden Politik war und von der die Frauen nicht von Beginn an völlig überzeugt waren. Je mehr die Republik jedoch später von nationalistisch-monarchistischen Tendenzen bedroht wurde, desto mehr verhielten sich die Frauen zu ihr loyal. Sie sahen die Republik als ein Haus: „Ständig ver- besserungsfähig, stets ausgestaltungsmöglich.“2601 Und manchmal verstanden sie es, dieses Bild mit ihrer sozialistischen Überzeugung zu verknüpfen: „[w]ir wollen in Forderung und Erzwingung des Gemeinschaftssinnes uns Woh- nungen darin bauen. Und dem Sozialismus muß, kraft unseres Zutuns, die Zukunft gehören.“2602 Die zu verfolgende Bildungsstrategie war nun, die Bürger und Bürgerinnen der neuen Republik in der ungewohnten Staatsform, in ihren neuen Rechten und Pflichten zu unterweisen. Für die „Gleichheit“-Autorin Olga Essig hing vom Erfolg dieser Erziehung zum Rechtsstaat und zum Sozialismus das “Sein oder Nichtsein der Deutschen Republik“2603 ab: „Die Quelle aller staatsbürgerlichen Bildungsarbeit muß die neue deutsche Reichs- verfassung bilden. Ihr Inhalt muß dem Wortlaut und dem Geiste nach schnellstens Gemeingut des Volkes werden. Das gilt in erster Linie für den konstruktiven Teil, 2597Bohm-Schuch, Clara: Wir wollen! In: GL, 30/ 18/ 01.05.1920/ 130 (in diesem Artikel ging es Bohm-Schuch um die Verwirklichung des Sozialismus ohne Diktatur). 2598[Bohm-Schuch, Klara] C. B.-Sch.: Frauenfragen in der Nationalversammlung. In: GL, 29/ 24/ 02.08.1919/ 185- 186. 2599Bohm-Schuch, Clara: Der Kampf gegen die Regierung! In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 209-210; Wir und die andern. In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 209. 2600Vgl. GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 249. 2601Büsing, Erna: Die Zertretenen. In: GL, 32/ 24/ 15.12.1922/ 218. 2602Ebd. 2603Essig, Olga: Staatsbürgerliche Schulung sozialistischer Frauen. In: GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 249. 679 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN der die Bildung des Volkswillens und die Organe zu seiner Durchführung be- stimmt.“2604 Essig hielt den Verfassungstext für das geeignetste Lehrmittel einer neuen intensiveren Bildungs- arbeit und entwickelte für die organisierte inhaltliche Bearbeitung der Verfassung einen detaillierten Lehrplan.2605 Die neue politische Frauenbildung, das mussten schließlich auch Sozia- listinnen wie Essig erneut eingestehen, wies jedoch altbekannte Schwierigkeiten auf. Diese waren vorwiegend sozialisationsbedingt und somit allein durch eine „prinzipielle“ geschlechtliche Gleichheit, wie sie die neue Verfassung verbürgen sollte, nicht ohne weiteres zu bewältigen. Des- halb sollte z. B. – trotz aller von der Verfassung gewährten prinzipiellen Gleichheit der Geschlechter – die politische Schulung immer noch in speziellen Frauengruppen erfolgen. Essig begründete diese Notwendigkeit mit dem mehr als ein halbes Jahrhundert betragenden Vorsprung der Männer. Die Frauen hätten sich außerdem in einem angemessenen Rahmen mit den gewöhnungsbedürftigen neuen Frauenrechten, die im Unterschied zu den Rechten der Männer schon rein quantitativ verschieden seien, auseinanderzusetzen. Ohnehin müsse „innerhalb der politischen Gleichberechtigung der Geschlechter infolge physiologischer und psychologischer Unterschiede auf gewissen Gebieten des wirtschaftlichen und sozialen Gemeinschaftslebens eine Arbeitsteilung bzw. Differenzierung eintreten und gesetzgeberisch formuliert werden“2606. Mehr als die „prinzipielle“ Gleichheit wollten die SPD-Frauen demnach gar nicht. Sie waren bereit, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung weiterhin zu tragen, wollten aber gut darauf vorbereitet werden. Die politische Schulung der Frauen würde so ein erhebliches Pensum umfassen. Neben den „allgemein staatsrechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen, kultur- und außenpolitischen Fragen“2607, sollten diese weiterhin in Problemen der „Ehe, Mutterschaft, Kindererziehung und -fürsorge, häuslichen und außerhäuslichen Frauenarbeit, Berufsbildung usw., sowie [in den][…] Möglichkeiten gesetzgeberischer Regelung dieser Gebiete“2608 unterrichtet werden. Die Sozialistinnen waren aber nicht nur davon überzeugt, dass eine getrenntgeschlechtliche Schulung aus rein lerntechnischen Gründen notwendig war. Sie warfen auch einen kritischen Blick auf die bisherigen Leistungen der männerdominierten Gesellschaft: „Der alte, nun zusammengebrochene Staat war ausschließlich von Mannesgeist geformt und regiert; an dessen höchster Steigerung zum Militarismus ging er zu- 2604Ebd. 2605Vgl. ebd. 2606Ebd., S. 250. 2607Ebd. 2608Ebd. 680 4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN grunde.“2609 Wurde von Seiten der Siegermächte den Deutschen die Kriegsschuld und die verheerenden zivili- sationszerstörerischen Folgen angelastet, so wurde dies von Seiten der Frauen den Männern vorgeworfen. Das „weibliche Wesen“ sollte nun – wie es bereits Heilbut vor Kriegsende formu- liert hatte – heilend auf die zerrüttete Welt wirken und einen erneuten männlich-militaristischen Wahn verhindern. Unverkennbar schwang hier erneut das Prinzip der Mütterlichkeit mit, denn nur „[d]ie staatsbürgerlich geschulte Mutter […] verbürgt der sozialistischen Republik das Heranwachsen einer neuen Generation, die in Liebe, in Arbeit und Stille den wahren Sozialismus aufbaut, dem die Revolution die Bahn freigemacht hat.“2610 Nach den kämpferischen Wirren der Revolution erhofften sich die Sozialistinnen einen friedlichen Aufbau eines neuen Staates. Die soziale Verpflichtung als Mutter und deren Interessen sollten ge- stärkt und so die Frau für die Sozialdemokratie geworben werden. Minna Todenhagen schrieb in der „Gleichheit“, dass die Weimarer Verfassung erstmals sogar eine „Verpflichtung“ zur politischen Teilhabe formuliere: „Nach Art. 133 sind alle Staatsbürger verpflichtet, persönliche Dienste für den Staat und die Gemeinde zu leisten. Die gegebene Vorbereitung für diesen Dienst ist die Mitarbeit in der Partei.“2611 War es möglich, parteiliches Engagement von oben zu verordnen? Und wenn – standen dem Engagement der Frauen nicht noch immer neben unzureichender Schulung und parteiinternem Antifeminismus auch sozialisationsbedingte Hemmnisse entgegen?! Die entpolitisierende Wirkung dieser Hemmnisse wurde von den Sozialistinnen zunehmend er- kannt. So konstatierte Marie Schulze in ihrer Analyse zu den Ursachen der politischen Indifferenz der Frau, dass „nicht allein in der Belastung mit häuslichen Pflichten […] der Grund zu suchen [sei], sondern in der Hauptsache an der falschen Erziehung unserer schul- entlassenen Mädchen. […] Unsere jungen Mädchen sehen leider alles unter dem Gesichtswinkel der Verheiratung. […] Was aus ihnen wird, wenn sich diese Hoff- nung nicht erfüllt, daran denken sie nicht. So sind sie, wenn sie wirklich in die Ehe kommen, nicht an politisches Denken gewöhnt. […] Wenn wir also die geistige Trägheit der Frau bekämpfen wollen, müssen wir vor allem den Sinn unserer jungen Mädchen von den Nichtigkeiten des Lebens auf die wirtschaftlichen und politischen Geschehnisse lenken und dürfen nicht dulden, daß sie ihr Leben von 2609F. P.: Die Frauen im neuen Staat. In: GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 64. 2610Essig, Olga: Staatsbürgerliche Schulung sozialistischer Frauen. In: GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 250. 2611Todenhagen, Minna: Klassenkampf und Staatssinn, II. In: GL, 31/ 10/ 15.03.1921/ 96. 681 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Anfang an gedankenlos auf den Mann einstellen.“2612 Wieder wurde ähnlich der „sozialistischen Frauenemanzipationstheorie“ der Erwerbstätigkeit eine politisierende und aufklärende Wirkung zugeschrieben, die den jungen Frauen den Irrglauben an ein sorgenfreies Eheleben nehmen sollte. Aber nicht nur die persönlichen Versorgungsstrategien der Mädchen wurden als entpolitisierend entlarvt, auch die im Elternhaus praktizierte Ungleichbehandlung der Geschlechter und die die Söhne bevorzugende Erziehung: „An Euch, Ihr Mütter, ist es, Eure Töchter verstehen zu lernen; gebt ihnen freie Zeit für ihre Bildung und Vervollkommnung. Laßt ihre geistigen Fähigkeiten und Anlagen nicht verkümmern, sonst versündigt Ihr Euch am heranwachsenden Geschlecht.“2613 Die Mütter hatten aus ihrer eigenen Unterdrückung durch die Eltern meist nichts gelernt und gaben somit überholte Strukturen an die nächste Generation weiter. Aus Sicht der Frauenbewe- gung bedurfte es hingegen gerade verständnisvoller, die Unabhängigkeit der Töchter fördernder Mütter. Dieser generationenübergreifenden Förderung hätte es anscheinend auch in der gesamten deutschen Frauenbewegung bedurft. Laut Stoehr lässt sich jedoch anhand von drei Erscheinungs- formen ein Bruch der Generationen aufzeigen: „1. blieb der Nachwuchs weg; die Frauenbewegung wurde immer älter; 2. hatten schon vor dem 1. Weltkrieg die Jugendorganisationen einen großen Zulauf erhalten (insbesondere die Zahl der organisierten Mädchen hatte sich vervielfacht); und gegen Ende der 20er Jahre machte vor allem die Attraktivität der NS-Jugendorgani- sationen zu schaffen; 3. kam es auf mehreren Generalversammlungen des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF) zu offenen Auseinandersetzungen zwischen jüngeren und älteren Frauen.“2614 Nach fünfzig Jahren organisierter Frauenbewegung musste man feststellen, dass immer noch die Frauen der ersten Stunde die Richtung der Bewegung vorgaben. Der wenige Nachwuchs, der sich in den Vereinen und Verbänden engagieren wollte, fand erstarrte Strukturen vor und kam nicht mit ihnen zurecht. In ihren Augen, schreibt Stoehr, seien „Statuten, Satzungen, Geschäftsordnungen und Tagesordnungen […] Ausdruck der ‘Entleerungen’ aller gegenwärtigen Formen des öffent- lichen Lebens ‘von Sinn und Ziel’“2615 gewesen. Es war wie ein Hohn des Schicksals: Die Frauenbewegung hatte in ihren Anfängen um die 2612Schulze, Marie: Die Ursachen der politischen Interessenlosigkeit der Frau. In: GL, 32/ 01/ 01.01.1922/ 9. 2613Turtz, Hans: Gebt Euren Mädchen freie Zeit! In: GL, 30/ 27/ 03.07.1920/ 220. 2614Stoehr, Neue Frau und Alte Bewegung?, S. 390. 2615Ebd., S. 396. 682 4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN Überwindung der hemmenden Strukturlosigkeit und um die Gründung von strukturgebenden Vereinen kämpfen müssen. Mit diesem Kampf um Gründung von Dachverbänden oder ihrer Ver- bindung mit der Arbeiterbewegung hatte sie ihre gesellschaftliche Einflussnahme erhöhen wollen. Nun, zum Zeitpunkt eines hohen Organisationsgrades, stellten diese „Errungenschaften“ für die unter freieren Umständen erwachsene Frauengeneration plötzlich ein Problem dar. Die „Gleich- heit“ dagegen schien stets neue Mitarbeiterinnen zu gewinnen und gab diesen auch die Möglichkeit, sich auf führenden Posten zu bewähren. Ihren Niedergang als die führende prole- tarische Frauenzeitschrift konnte dies jedoch auch nicht aufhalten. Im Sommer 1920 initiierte die „Gleichheit“ eine öffentliche Debatte – ähnlich der von 1908 – zu der Reformierung der nun mehr „Frauenabende“ genannten Vereinstätigkeiten. Auch hier wurde verstärkt das Prinzip der Mütterlichkeit und der Schulung zur Sozialarbeit in den Mittelpunkt gerückt. W. Birnbaum (?-?)2616 eröffnete die Debatte um die Frauenabende mit dem Vorschlag, man solle die Schulung der Frauen noch stärker der weiblichen „Vorstellungswelt anpassen, [sich] an Gefühl, Gemüt und Seele wenden.“2617 Die Frauenabende sollten Lesungen in deutscher Dichtung und Prosa, Lieder zur Laute oder Volkslieder, Mottoabende wie „Frühlingsabend“ oder eine „September-Zusammenkunft“2618 bieten. Selbst die Überleitung zu theoretischeren Themen wie Steuer-, Kommunal- und Mietfragen ließen ihrer Meinung nach eine solch zwanglose, populäre Ausgestaltung zu.2619 Birnbaum richtete die Frauenabende somit als Kulturver- anstaltungen aus, die mehr der Mitgliederwerbung als der Mitgliederschulung Rechnung tragen sollten. Mit ähnlicher theorieabstinenter Tendenz favorisierte Wachenheim die stärkere praktische Mitarbeit der Frauen in der politischen Öffentlichkeit: „Sie [die Frauen, M.S.] müssen bei ihrem nächsten natürlichen Interessengebiet gepackt werden. Sie sind Mütter oder können es werden. Sie sind als solche Be- wahrerinnen des Lebens, Hüterinnen des schwächsten Lebens, das wollen sie zur Entfaltung bringen. Ihnen liegt die Fürsorge, die Pflege des Körpers und Geistes, also Gesundheits- und Erziehungsfragen bzw. Wohlfahrtspflege am nächsten“2620 Wachenheim sah also genau wie die Politikerin Juchacz die politische Betätigung der Frau vor- nehmlich auf dem Sektor der Fürsorge als gegeben an. Auch die Verfassung sollte den Frauen nicht über die Besprechung ihrer staatsrechtlichen Konsequenzen näher gebracht werden, sondern 2616Die herangezogenen Nachschlagewerke und Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu W. Birnbaum. 2617Birnbaum, W.: Zur Ausgestaltung der Frauenabende. In: GL, 30/ 31/ 31.07.1920/ 254. 2618Vgl. ebd., S. 255. 2619Vgl. ebd. 2620Wachenheim, Hedwig: Vorschläge zur Frauenbildungsarbeit. In GL, 30/ 32/ 07.08.1920/ 258-259. 683 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN über die gesetzlichen Neuerungen auf dem sozialen Sektor. Insgesamt entwickelten sich die Frauenabende der Nachkriegszeit immer noch bzw. wieder in die im Krieg eingeschlagene für- sorgerische bzw. vor 1908 aufgezwungene unpolitische Richtung. Nicht mehr das gemeinsame Lesen theoretischer Texte – und damit die Vermittlung sozialistischer Gedanken – stand im Mittelpunkt, sondern praktische Sozialarbeit, Anleitung zu Hilfe und Selbsthilfe im alltäglichen Leben. Die Bildungskonzepte zur Republikanerin umfassten also Althergebrachtes wie das mütterliche Prinzip oder recht kraftlose Berufungen auf den Sozialismus. Im Vergleich zu der vor dem Krieg angestrebten Bildung zur Klassenkämpferin war der Theoriegehalt der von den AutorInnen der „Gleichheit“ formulierten Bildungsziele nun minimal. Der historische Materialismus oder der Klassenkampf waren nicht mehr Gegenstände proletarischer Bildung. Es stand vielmehr die harmonische Integration in das bisher noch unfertige Staatssystem im Mittelpunkt.2621 Die sozia- listische Theorie, die „Waffe der Kritik“, die Niggemann als „Waffe der Frauen gegen die noch nicht überwundenen Vorurteile der Männer“2622 charakterisierte, setzten die Sozialdemokratinnen nicht mehr in dem Maße ein wie unter Zetkins Führung. Obwohl sich weiterhin ein Abweichen vom Prinzip der Gleichheit innerhalb der Partei abzeichnete, blieben die führenden Sozialdemo- kratinnen der Parteilinie treu und diskreditierten demgemäß die unabhängige, an den sozialis- tischen Grundsätzen festhaltende Konkurrenz, die USPD, so gut sie konnten.2623 Die SPD arrangierte sich derweil mit den gegebenen Umständen und versuchte, mittels revisionistischer Strategien die deutsche Gesellschaft, die trotz Krieg und Revolution immer noch bürgerlich ge- prägt war, umzuwandeln statt umzustürzen. Dieses völlige Abweichen von den sozialistischen bzw. marxistischen Grundsätzen analysierte der Pädagoge und Marxist Otto Rühle (1874-1943). Er bezeichnete Juchacz‘ Koredakteur Schulz, der für die theoretische Bildungsarbeit innerhalb der Arbeiterbewegung maßgeblich verantwortlich war, als Paradebeispiel dafür, „daß man ein guter Kopfmarxist und doch dabei ein miserabler Klassenkämpfer sein kann“2624. Schulz war seiner Meinung nach ein „Verräter am Marxismus“2625 2621So schrieben Wurm und Radtke-Warmuth 1922 zu ihrem gemeinsamen Redaktionsantritt, dass die SPD zwar einen Kampf gegen den Kapitalismus und für den Sozialismus führe, dass die Mitarbeit am Aufbau der Republik aber Etappe auf diesem Weg sei (vgl. Wurm, Mathilde / Radtke-Warmuth, Elli: Was wir wollen. In: GL, 32/ 21/ 01.11.1922/ 189). 2622Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus, S. 231. 2623Vgl. Bohm-Schuch, Clara: Wir und die anderen. In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 209. 2624Rühle, Illustrierte Kultur- und Sittengeschichte des Proletariats, S. 250. 2625Ebd. 684 4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN geworden. Seine Bildungsarbeit hätte sich theoretisch ausgezeichnet durch die „Betonung der marxistischen Grundauffassung der klassenkämpferischen Einstellung [und] […] der sozia- listischen Zielsetzung“2626. In der politischen Praxis hätte dagegen die „völlige Preisgabe der marxistischen Orientierung, [die] unbedingte Abkehr vom Klassenkampfstandpunkt [und die] offenkundige Ignorierung des sozialistischen Endziels“2627 stattgefunden. Rühle konnte sich diesen Widerspruch zwischen Theorie und Praxis, wie er meiner Meinung nach unleugbar von Anfang an in den proletarischen Bildungsentwürfen bestanden hatte, nur mit der Mangelhaftigkeit der gesamten bisher geleisteten Bildungsarbeit erklären. Auch das Ausbleiben jeglichen Widerstandes der angeblich marxistisch geschulten Massen gegen die revisionistische Parteiführung ließe sich damit erklären: „Wo regt sich ein Hauch des marxistisch entflammten Massenzorns? Nichts regt sich, kein Protest, keine Revolte im Parteilager. […] Welch ein Marxismus muß in diesen Kursen, Arbeitsgemeinschaften und Seminaren verzapft werden! Wie muß die Schulung zum Klassenkampf beschaffen sein, die den Schülern nicht bis unter die Haut geht, die alle Sünden am Geist der proletarischen Entwicklung un- widersprochen, alle Verbrechen an der Idee des Sozialismus ungestraft läßt!“2628 Die Erziehung zum selbständigen Denken wird hier von dem Marxisten Rühle als Deckmantel einer Erziehung zur Parteikonformität entlarvt. Innerhalb der Bildungsstrategien der Arbeiter- bildung wurde allerdings beides nur allzu oft miteinander vermengt. Die sich hauptsächlich auf die von Schulz geprägte marxistische Schulung der männlichen Arbeiter beziehende Kritik Rühles trifft m. E. nicht auf die unter Zetkin organisierte proletarische Frauenbildung zu. War Zetkin doch in ihrem Pazifismus, ihrem Primat des Historischen Materia- lismus und ihrer Akzentuierung der Theorielehre eine konsequente Verfechterin des originären Marxismus gewesen. Allerdings muss auch hier gefragt werden, wie die „Ära Zetkin“ so scheinbar völlig ohne Nachwirkung bleiben konnte. Denn von der Frauenbildungsarbeit, die nach der Entlassung Zetkins von den Sozialdemokratinnen geleistet wurde, bleibt trotz des revolu- tionären Aufbruchs Weimars nur mit den Worten Rühles zu sagen: Sie war „meilenfern jener großen Menschenbildung im Sinne des revolutionären Marxismus“2629. Doch auch jene marxistische Menschenbildung scheint nicht mehr die Qualitäten einer Klassen- kämpferin oder eines „weiblichen Vollmenschen“ angestrebt zu haben. Denn in ihrer Analyse verschiedener proletarischer Romane der 1920er Jahre, deren Autoren fast alle dem 1928 ge- gründeten „Bund der proletarisch-revolutionären Schriftsteller“ angehörten, konstatiert Andresen, 2626Ebd., S. 251. 2627Ebd. 2628Ebd., S. 251/ 252. 2629Vgl. ebd., S. 252. 685 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN dass sie selten das Bild der Frau als das einer Kämpferin darstellten: „Meistens sind die dargestellten Frauen Mütter der revolutionären Kämpfer, deren Ehefrauen oder Freundinnen. Sie selbst haben keinen direkten Bezug zum Kampf. Sie sitzen ängstlich zu Hause und warten, in der Hoffnung, daß ihre Söhne und Männer heil aus den kämpferischen Gefechten zurückkehren.“2630 Der Bruch mit dem traditionellen Frauenbild hatte hier selbst in der Literatur, in der Alternativen unabhängig von der Realität hätten entwickelt werden können, nicht stattgefunden.2631 Für die frauengeschichtlichen und frauenbiographischen Inhalte der „Gleichheit“ hatte die Wandlung im Frauenleitbild der Sozialdemokratie erhebliche Auswirkungen. Es erfolgte, wie in Kapitel 3.1. und 3.2. aufgezeigt, ein starker Rückgriff auf die Geschichte der 1848er-Revolution und ihre Forderung nach Demokratie. Auch wenn vorrangig die Bedeutung des Proletariats an den revolutionären Ereignissen dargestellt wurde, blieb der Klassenkampf, gar sein internationaler Gedanke, unberücksichtigt. Auch die historischen weiblichen Vorbilder wurden von „Gleichheit“- Autorinnen wie Anna Blos dem 19. Jahrhundert entnommen. Es handelte sich meist um gebildete und bürgerlich-revolutionäre Frauen, die in Artikeln porträtiert wurden, deren Duktus sich kaum vom Duktus derjenigen Artikel unterschied, die die Vorzüge „weiblicher Vollmenschen“ cha- rakterisierten. Hätten Frauen, die an der Französichen Revolution oder an der 1848er-Revolution teilgenommen haben Vorbild für die „Gleichheit“-Leserinnen sein sollen, so hätte der Duktus, hätte ihre Darstellung als „Republikanerinnen“ eine ausgeprägtere sein müssen. Die Artikel, die ja tatsächlich zu aktiven und politisch bewussten Revolutionärinnen wie Mary Wollstonecraft und Luise Aston erschienen, wären für ein gebotenes republikanisches Leitbild entwicklungsfähig gewesen, doch sie legten andere Schwerpunkte. Die Vorzüge einer Klassenkämpferin dagegen waren nur noch in Nekrologen von führenden Partei- und vermehrt Gewerkschaftsgenossinnen zu finden. Internationale Genossinnen fanden fast gar keine Erwähnung mehr – der Blick über den „deutschen Tellerrand“ hinaus gab es nicht mehr. Diese Entwicklung setzte sich fort, so dass auch nach Einstellung der „Gleichheit“ zu be- obachten war, dass die sozialdemokratische Frauenbewegung ihre Vorbilder in bürgerlichen Kreisen suchte.2632 So musste Wurm auf der Reichsfrauenkonferenz in Kiel 1927 mit Bedauern 2630Andresen, Knorrig wie eine Eiche, S. 148. Andresen konstatierte allgemein: „Die Arbeiterbewegung ist eine kulturell männliche Bewegung. Ihre Symbole, Lieder, Bilder sind männlich.“ (ebd., S. 144). Eine Aussage, die sich mit der Lektüre der „Gleichheit“ relativieren müsste, wenn sich auch damit das in der Öffentlichkeit gepflegte Bild nicht verändert. 2631Zur Analyse der Klischees in der linken Trivialliteratur aus dem Umkreis des „Bund der proletarisch-revolu- tionären Schriftsteller“ siehe auch: Rohrwasser, Saubere Mädel starke Genossen. 2632Eine Untersuchung der „Genossin“ und vor allem der „Frauenwelt“ hinsichtlich frauengeschichtlicher und frauen- biographischer Inhalte steht meines Wissens jedoch noch aus. 686 4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN und Unverständnis feststellen, dass eine Genossin, die aufgefordert worden war, im Radio über die Vorkämpferinnen der sozialistischen Frauenbewegung zu sprechen, lediglich Bezug auf Hed- wig Dohm oder Ellen Key genommen, aber Zietz und Ihrer unerwähnt gelassen habe: „Wir brauchen wirklich nicht nach jenen zu greifen, die niemals auf unserer Seite gestanden und gekämpft haben, sondern können Vorkämpferinnen der Menschheit und des Sozialismus anführen – auch wenn sie, wie Klara Zetkin, leider nicht mehr in unserem Lager stehen –, die sich unsterbliches Verdienst um Aufklärung und Befreiung der Frau erworben haben. (Bravo! und Händeklatschen.).“2633 Wurm wollte die Bedeutung Dohms und Keys für die Emanzipation der Frauen nicht schmälern oder gar eine „reinliche Scheidung“ initiieren, aber sie wollte auch nicht die Bedeutung ihrer Mit- kämpferinnen ignoriert sehen. Ähnlich wie hier bisher dargestellt, erfasste Wurms Freundin und Weggefährtin Dora Fabian (1901-1934)2634 den Zwiespalt einer Erziehung zur Republikanerin und einer Erziehung zur Klassenkämpferin: „Wir haben gestern und heute viel von dem staatsbürgerlichen Bewußtsein gehört, zu dem Frauen erzogen werden müßten. Wir haben aber leider sehr wenig von einem anderen Bewußtsein gehört, zu dem die Frauen erzogen werden müssen, nämlich von dem Klassenbewußtsein. Wir haben wenig davon gehört, daß die proletarische Frau in erster Linie nicht Staatsbürgerin, sondern proletarische Klas- senkämpferin zu sein hat.“2635 Die Vernachlässigung des Klassenbewusstseins hatte laut Fabian zur Folge, dass sich Sozialdemo- kratinnen in bürgerlich-republikanischen Frauenvereinen engagierten und sich nun sogar in „erster Linie [als][…] Republikanerinnen“2636, nicht mehr als Klassenkämpferinnen verstanden. So spiegelte sich in dem vorherrschenden Frauenleitbild der „neuen“ „Gleichheit“ der Pragma- tismus einer in einem bürgerlich-parlamentarischen System „angekommenen“ politischen Bewegung. Neben aller berechtigten demokratischen Aufbruchsstimmung hätten die Sozialdemo- kratinnen der Weimarer Republik mehr Klassenkritik wagen müssen. 2633Wurm im Bericht der Reichsfrauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Kiel 1927, S. 317. 2634Dora Fabian, geb. Heinemann, war Tochter des Rechtsanwalts Hugo Fabian, der sich sehr stark in der SPD engagierte. Fabian trat bereits als junge Frau der SPD bei. 1922-1928 studierte sie Nationalökonomie und schloss dieses Studium in Gießen mit einer Promotion ab. Im selben Jahr erschien ihre Schrift „Arbeiterschaft und Kolonialpolitik“ (1928). Sie heiratete den politisch engagierten Schriftsteller und Lehrer Walter Fabian, von dem sie sich 1930 gütlich scheiden ließ. Fabian arbeitete als Sekretärin und Übersetzerin für den preußischen Justizminister Kurt Rosenfeld und lernte im Rahmen dieser Tätigkeit Mathilde Wurm kennen. Es verband sie eine Freundschaft mit dem Schriftsteller und Politiker Ernst Toller. 1931 wandte sie sich von der SPD ab und wurde Mitglied der SAP. Nach einer Verhaftung durch die Gestapo emigrierte Fabian erst in die Schweiz und schließlich 1933 nach England. 1934 starben sie und Wurm unter sehr mysteriösen Umständen. Die von Scotland Yard angestellten Nachforschungen über einen möglichen Anschlag nationalsozialistischer Agenten blieben ergebnislos. Es verdichtete sich die Annahme, dass Fabian vor allem unter einer unerwiderten Liebe litt und schließlich die Verzweiflung über die politische Situation in Deutschland den Suizid der beiden Frauen motivierte. In die Recherchen für die vorliegende Arbeit wurden Artikel Fabians für die „Gleichheit“ nicht einbezogen. 2635Fabian ebd., S. 332. 2636Ebd. 687 4.6 „[…] reich an Mitgefühl und Hilfsbereitschaft gegenüber fremdem Leid, reich an Bürgersinn und Bürgertugend, stark in der Pflichttreue[…]“ – Die Ausnahmeerscheinungen bürgerlicher Frauenrechtelei Das Verhältnis der „Gleichheit“ als Organ der proletarischen Frauenbewegung zur bürgerlichen Frauenbewegung war, wie in den ersten Kapiteln dieser Arbeit dargestellt, sehr gespannt. Doch trotz „reinlicher Scheidung“ ließ es sich die „Gleichheit“ nicht nehmen, die Persönlichkeiten der bürgerlichen Frauenbewegung in Nachrufen oder Jubiläumsartikeln zu ehren. Geschickter- weise ließ sie diese Gelegenheit nicht ungenutzt, ihre eigene Sicht auf diese Frauen und ihr Wirken zu verdeutlichen. Vor allem Zetkin gab dabei ihrem Bedauern Ausdruck, dass es diesen Frauen nicht gelungen war, hinter der Frauenfrage die soziale Frage, hinter der Frage der Emanzipation der Frau die der allgemein-menschlichen Emanzipation zu erkennen. Untersucht man die nachfolgenden biographischen Artikel auf ihr Erscheinungsjahr, so fällt auf, dass sie überwiegend noch unter der Redaktion Zetkins veröffentlicht wurden. Die neue Redaktion scheint Artikel dieser Art entweder hauptsächlich in den Beilagen oder gar nicht veröffentlicht zu haben. Vielleicht bedurfte das Verhältnis zur bürgerlichen Frauenbewegung aber auch keiner öffentlichen Wertschätzung mehr. Die Zeiten, in denen ein striktes „Hüben und Drüben“ galt, waren mit der gemeinsamen Arbeit im „Nationalen Frauendienst“ während der Kriegsjahre, mit dem Wechsel in der „Gleichheit“-Redaktion und dem errungenen Frauenwahlrecht vorbei. Eine der ersten Frauen, die sich für die Arbeiterinnen engagierte, als es noch keine klassenspezifische Trennung der Frauenorganisationen gab, war Marianne Menzzer (1814- 1895). Sie sei, so Ihrer in einem Nachruf, eine „verdiente Vorkämpferin für Frauenrechte, eine Demokratin vom alten, unbeugsamen Schlag“2637 gewesen. Menzzer war Schwägerin des Mitbegründers der freireligiösen Bewegung Gustav Adolf Wislicenus. Sie arbeitete besonders an der Erstellung und Veröffentlichung von Statistiken zu den Löhnen und Arbeitsbedingungen Thüringer Arbeiterinnen. Zusammen mit Johanna Wecker trat sie für die Gründung von Rechts- schutzvereinen für Arbeiterinnen ein und war Ratgeberin für die Leiterinnen von Frauen- vereinen. Regelmäßig nahm sie an Volksversammlungen teil und, obwohl sich ihr Augenlicht stetig verschlechterte, verfolgte das politische Geschehen durch die Lektüre der Tageszei- tungen. In Wort und Tat setzte sie sich für die Interessen der Arbeiterinnen ein. Mit Menzzer, so Ihrer weiter, habe die bürgerliche Frauenbewegung in kurzer Zeit die dritte Frau verloren, denen sie ihre Gründung verdanke und die mit ihrem Engagement viel riskiert hatten: 2637[Ihrer, Emma?] E. J.: Marianne Menzzer †. In: GL, 05/ 15/ 24.07.1895/ 114. 689 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN „Eine Wecker, eine Otto-Peters und eine Menzzer haben für die Gleichberech- tigung ihres Geschlechtes zu einer Zeit gekämpft, wo diese Gleichberechtigung nicht blos ‘den Narren eitel Thorheit dünkte’, wo die Forderung von Frauenrechten allgemein einem Wahnsinn gleichgeachtet wurde, wenn nicht gar einem Ver- brechen gegen göttliche, sittliche oder natürliche Ordnung.“2638 Doch Menzzer stellte sich nicht nur gegen die „guten Sitten“ der patriarchalischen Gesellschaft, sie stellte sich auch gegen die innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung gepflegten Klassen- vorurteile. Sie gehörte zu den wenigen Frauenrechtlerinnen, die bei der Gründung des BDF 1893 gegen den Beschluss protestiert hatten, die Arbeiterinnenvereine von einer Mitgliedschaft auszu- schließen. Durch diese Geisteshaltung hob sich Menzzer unter ihren Klassengenossinnen be- sonders hervor. Ihrer verehrte in ihr eine „opferfreudige[…], selbstlose[…], warmherzige[…] und energische[…] Frau“2639, die ihren Idealen „bis zum letzten Athemzuge“2640 treu geblieben sei. Anna Schepeler-Lette (1827-1897) war seit 1866 langjährige Vorsitzende des so genannten „Lettevereins“. Dieser von ihrem Vater gegründete und nach ihm benannte Verein habe, so Zetkin als die vermutliche Verfasserin des Nachrufes, „durch seine Einrichtungen […] Hunderten bürger- licher Frauen zu Lebensunterhalt und würdigem Lebensinhalt verholfen“2641. Es seien „eng gesteckte[…] Grenzen“2642 gewesen, in denen dieser Verein – wenn auch nützlich – wirkte. Der Persönlichkeit und dem Streben Schepeler-Lettes würden aber auch diejenigen nicht eine „[w]arme Anerkennung […] versagen, die auf einem anderen und weiteren Gebiet als der Lette- verein für die Interessen des weiblichen Geschlechts kämpfen“2643. So auch nicht die „Gleichheit“, die gemeinsam mit ihren Leserinnen für die weitergehende Umgestaltung der Gesellschaft kämpfte. Sie war eine Vertreterin der evangelisch-sozialen Richtung der bürgerlichen Frauenbewegung, doch Emilie Gerok (?-1898) unterschied sich von ihren Gesinnungsgenossinnen, weil sie „eine wahrhaft demokratische Denkart“2644 pflegte. In den Augen Zetkins zeichnete sie sich auch dadurch aus, dass sie soziale Reformarbeit und nicht Wohltätigkeit leisten wollte. Über ihren Charakter schrieb Zetkin: 2638Ebd. 2639Ebd. 2640Ebd. 2641Frau Anna Schepeler-Lette … In: GL, 07/ 21/ 13.10.1897/ 166. 2642Ebd. 2643Ebd. 2644Eine treue, warme Freundin der Frauensache und der Interessen des arbeitenden Volkes … In: GL, 08/ 22/ 26.10.1898/ 176. 690 4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ – DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI „Was sie als recht erkannte, dem lebte sie nach, unbekümmert um Anerkennung von unten und die Mißbilligung von oben nicht scheuend, eine gerade, klare Natur, in Wort und Tat, ‘furchtlos und treu’ nach echter Schwabenart“2645. Demnach dürfte Zetkin Gerok auch deshalb etwas besser gekannt haben, weil beide in Schwaben lebten und wirkten. Wie Zetkin, so nahm auch Gerok wenig Rücksicht auf die eigene körperliche Konstitution. Trotz eines gesundheitlichen Leidens beteiligte sie sich an einer von der General- kommission der Gewerkschaften veranlassten Erhebung zur Lage der Arbeiterinnen verschiedener Gewerbe. Zetkin war voll des Lobes: „Und wie hat sie mitgarbeitet! Mit der vollen Energie einer Gesunden, mit der ganzen Pflichtreue der Ueberzeugung. Erst die äußerste Verschlimmerung ihrer Krankheit riß sie aus den Reihen der Mitarbeiterinnen, und noch auf ihrem Schmerzenslager quälte sie der Gedanke, für eine Arbeit mitverantwortlich zu sein, an deren Abschluß sie nicht mehr Theil nehmen konnte.“2646 Nicht ihre Krankheit habe sie gequält, sondern das Wissen um eine unerledigt gebliebene Auf- gabe. Diese Selbstaufopferung Geroks, welche an Selbstzerstörung grenzte, beeindruckte Zetkin anscheinend sehr. Die „Gleichheit“ hatte in ihrer internationalen Ausrichtung stets auch die bürgerliche Frauen- bewegung des Auslandes im Blick. So berichtete sie auch über die in New York verstorbene Mitbegründerin und langjährige Vorsitzende der „Internationalen Frauen-Temperenz-Bewegung“ Frances Willard (1839-1898). In einer ersten Notiz zum Tode Willards ging die „Gleichheit“ noch nicht auf deren Lebensweg ein, weil eine detailliertere Biographie noch folgen sollte. Diese erschien allerdings erst viele Monate später. In jener Notiz, die vermutlich aus der Feder Zetkins stammte, heisst es: „Gewiß, die Bedeutung, welche sie der Temperenzbewegung beilegte, läßt auf eine gewisse Unklarheit und Beschränktheit im Erfassen gesellschaftlicher Verhältnisse schließen. Gewiß, Miß Willard vertrat eine durchaus bürgerliche Auffassung der Frauenfrage. Aber die Begabung, Charakterstärke, Opferfreudigkeit und Begeis- terung, mit der sie jederzeit für ihre Ueberzeugungen eintrat, verdienen rück- haltslose Bewunderung.“2647 Zetkin differenzierte hier im Falle Willards deutlich zwischen politischer Sache und Person. Der zweite Artikel über Willard informierte die „Gleichheit“-Leserinnen darüber, dass sie im Staat New York im Dorf Churchville in bescheidene Familienverhältnisse hineingeboren wurde. Der Vater, der noch des Öfteren seine beruflichen Arbeitsverhältnisse wechseln sollte, verwaltete ein 2645Ebd. 2646Ebd. 2647Eine der verdienst- und charaktervollsten Vorkämpferinnen für Frauenrechte, Miß Frances Willard … In: GL, 08/ 08/ 13.04.1898/ 64. 691 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Ladengeschäft. Er und seine Frau, eine frühere Lehrerin, hätten eine sehr glückliche Ehe geführt. Beide waren stetig um die eigene Weiterbildung bemüht und ließen auch ihren Kindern – zwei Töchtern und einem Sohn – eine gute Bildung zukommen. Unter Anderem begann der Vater ein Studium am Oberlin College in Ohio, das von Anhängern der Sklavenbefreiungsbewegung und progressiven Christen getragen wurde. Er wollte Geistlicher werden, gab diesen Plan jedoch auf und zog mit seiner Familie – Willard war damals sieben Jahre alt – nach Wisconsin. Ihr arbeitsreiches Leben auf ihrer dortigen Farm habe Willards „Blick für das Praktische und das Geschick zur Organisation“2648 geprägt. In dieser ländlichen Abgeschieden- heit übernahmen es die Eltern, ihre Kinder zu unterrichten – die Mutter in den Elementarfächern sowie in Literatur und Geschichte, der Vater in Botanik und anderen Naturwissenschaften. Auch die sportlichen Fähigkeiten wurden beim Spielen in der freien Natur gut ausgebildet. In dieser grundlegenden Bildung machten die Eltern keine geschlechtsspezifischen Unterschiede, doch eine höhere Berufsausbildung wollte der Vater nur dem Sohn zukommen lassen. Erst seine Ehefrau überzeugte ihn davon, auch den Töchtern dieses Recht zuzugestehen. Die Familie zog nach Evanston bei Chicago. Die Töchter besuchten dort die Frauenhochschule, während der Vater eine Anstellung in einem Bankhaus annahm. Willard war 19 Jahre alt, als sie mit dem vierjährigen Lehramtsstudium begann. Anschließend wurde sie Lehrerin an einer kleinen Privatschule, hatte aber weiterhin familiäre Pflichten zu erfüllen: „Sie widmete sich ihrem Beruf mit Eifer und Pflichttreue, arbeitete an ihrer Bil- dung weiter, half der Mutter bei der Führung der Hausgeschäfte und unterstützte materiell den Bruder während seiner Universitätsstudien.“2649 Schon in dieser Zeit habe sie, so Zetkin, „eine ungewöhnliche Arbeitsfreudigkeit und einen hohen selbstlosen Opfermut“2650 entwickelt. Schwer traf sie dann der Tod von Schwester und Vater. Willard erhielt die Gelegenheit, als Privatlehrerin die Tochter eines reichen Farmers auf einer zweijährigen Reise durch Europa, Ägypten und Palästina zu begleiten. Zurück in den USA wurde sie 1877 Leiterin des Evanston Colleges und widmete sich vermehrt der Frauenbewegung und den Mäßigkeitsbestrebungen, mit welchen sie sympathisierte, da in ihrer Familie nie Alkohol getrunken wurde. Willard forderte als Schriftstellerin und Rednerin die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts mit gleichem Enthusiasmus wie die Alkoholabstinenz. Sie vertrat dabei prinzipiell die „Auffassung, daß die unmittelbare Betheiligung der Frauen am öffentlichen Leben im Interesse ihrer freien Entwicklung eine Nothwendigkeit und von großem Vor- 2648Frances Willard. In: GL, 08/ 26/ 21.12.1898/ 202. 2649Ebd., S. 203. 2650Ebd. 692 4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ – DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI theil für die Gesammtheit sei“2651. Als Vorsitzende des „Christlichen Mäßigkeitsbundes“ von Chicago initiierte sie die Gründung des „Nationalen Frauenbundes für Mäßigkeitsbestrebungen“, welche in der Gründung des „Inter- nationalen Frauenverbands für Mäßigkeitsbestrebungen“ mündete, dessen langjährige Vorsitzende Willard wurde.2652 Auf dem Gebiet der Frauenrechte trat sie für das Frauenwahlrecht ein. Dieses habe sie, so Zetkin, „richtig“2653 als „Waffe“ erkannt, und den Kampf um dieses folglich als „Kernpunkt jeder ernsten Frauenbewegung“2654. So gründete Willard den „Bund für die Erlangung des Frauenwahlrechts“ mit und leitete ihn von 1888 bis zu ihrem Tode. Als Rednerin bereiste sie die USA und legte dafür innerhalb eines Jahres 30.000 Meilen mit der Eisenbahn zurück. Außer- dem führten sie ihre Agitationsreisen auch mehrmals nach England. Willard veröffentlichte eine Autobiographie, eine Biographie ihrer Mutter und ein Buch für junge Mädchen. In verschiedenen Artikeln, Broschüren und Flugschriften befasste sie sich mit der Frauenfrage, mit der Temperenzfrage, mit religiösen Problemen und mit der Prostitution. Doch, so die Kritik Zetkins, wenn Willard auch ihre „Auffassung stets mit großer Energie und Wärme“2655 vertrat, „[i]n allen Materien, die sie behandelte, sind ihre Ausführungen nicht tief und erheben sich wenig über das durchschnittliche frauenrechtlerische Erfassen sozialer Einrichtungen“2656. Abgesehen davon, dass ihre Ziele den Horizont der bürgerlichen Gesellschaft kaum überschritten, war Willard doch eine besondere Persönlichkeit, so besonders, dass an ihrem Todestag die Re- gierung in Washington alle Flaggen auf Halbmast hissen ließ. Ebenfalls anerkennenswert war der ausgesprochen internationale Charakter ihrer Auffassung und ihres Wirkens. Willard war „eine der hervorragendsten Frauenrechtlerinnen der USA und Englands, ja der gesammten Welt“2657. Eine solch überschwängliche, für Zetkin untypische Be- urteilung einer bürgerlichen Frauenrechtlerin ist nur verständlich durch das „hohe[…] Maß vorzüglicher Eigenschaften des Geistes und Charakters, daß [Willard][…] als Person auch der sozial Andersdenkende volle Hochachtung und Sympathie zollen muß“2658. 2651Ebd. 2652Vgl. ebd., S. 204. 2653Ebd., S. 203. 2654Ebd. 2655Ebd., S. 204. 2656Ebd. 2657Ebd., S. 202. 2658Ebd. 693 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Wenn sie auch die Wirkung und Bedeutung der Temperenzbewegung überschätzte und für eine rein bürgerliche Lösung der Frauenfrage stand, so urteilte Zetkin hinsichtlich ihrer Person doch erstaunlich differenziert: „[N]icht das Was ihrer Ansichten, sondern das Wie ihres Wirkens für dieselben hebt Frances Willard hoch über die Alltagsmenschen empor. In edelster Selbst- losigkeit, in nimmer erkaltender Begeisterung hat sie ihre große Begabung in den Dienst ihrer Ueberzeugung gestellt. Sie war ein selten reiner und starker Charakter, ein schönes Beispiel der hohen Tugenden, welche die Frau im Kampfe für die Idee zu entfalten vermag.“2659 Willard ist Beispiel eines „weiblichen Vollmenschen“, der sich – abgesehen von einer „gewisse[n] Unklarheit und Beschränktheit im Erfassen gesellschaftlicher Verhältnisse“2660 – mit großer „Be- gabung, Charakterstärke, Opferfreudigkeit und Begeisterung“2661 an die Spitze einer Bewegung setzte und nach Meinung Zetkins dafür „rückhaltslose Bewunderung“2662 verdient. Eine andere bürgerliche Frauenrechtlerin – „eine der besten, hervorragendsten“2663 Deutschlands – war Jeanette Schwerin (1852-1899). Sie war die Tochter eines Arztes, der als 1848er Revolutionär gekämpft hatte. Auch ihre Mutter war sehr liberal eingestellt und leitete den „Verein zur Förderung Fröbelscher Kindergärten“. Schwerin absolvierte eine Schule für Höhere Töchter und besuchte anschließend die von Lina Morgenstern gegründete „Akademie zur wissenschaft- lichen Fortbildung für junge Damen“. Ihr Ehemann, ein Sanitätsrat, unterstützte ihre sozialen Interessen und Vereinstätigkeiten. Nach Meinung Zetkins, die die Verfasserin dieses Nachrufes sein dürfte, war an Schwerin besonders deren Erkenntnis zu würdigen, dass nicht Wohltätigkeit, sondern nur „die Unter- stützung des proletarischen Kampfes für soziale Reformen und soziale Befreiung“2664 das Elend der Arbeiterklasse beenden könne. Schwerin wurde Mitglied der „Deutschen Gesellschaft für ethische Kultur“. Durch die Unterstützung ihres Vorsitzenden Georg von Gizycki wie auch durch ein Studium der Nationalökonomie und der Geschichte entwickelte sie bald ein tiefer gehendes sozialpolitisches Verständnis. Schließlich stand sie in der ersten Reihe der Kämpferinnen für die Gleichberechtigung der Frau und für soziale Reformen. Dabei sei sie auch den sozialistischen Ideen immer nähergekommen, habe aber „ihrer Ueberzeugung nicht öffentlich unumwunden 2659Ebd., S. 204. 2660Eine der verdienst- und charaktervollsten Vorkämpferinnen für Frauenrechte, Miß Frances Willard … In: GL, 08/ 08/ 13.04.1898/ 64. 2661Ebd. 2662Ebd. 2663Jeanette Schwerin †. In: GL, 09/ 16/ 02.08.1899/ 126. 2664Ebd., S. 127. 694 4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ – DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI Ausdruck [gegeben]“2665. Dies hatte neben persönlichen vor allem auch praktische Gründe. Schwerins Gesundheitszustand hätte eine agitatorische Tätigkeit unter dem Proletariat kaum zugelassen. Außerdem dachte sie, so Zetkin, „der Arbeiterklasse am besten dadurch zu dienen, daß sie in der bürgerlichen Welt, zumal unter den Frauenrechtlerinnen, sozialpolitisches Verständniß verbreitete“2666. Dies tat sie schließlich auch. Innerhalb des BDF setzte sich Schwerin für die Gründung einer Kommission zum Thema Arbeiterinnenschutz ein, war Vorkämpferin für die Anstellung von Fabrikinspektorinnen, organisierte einen Ausbildungskursus für weibliche Gewerbeaufsichts- beamte und engagierte sich auch für die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterinnen, Letzteres jedoch in den liberalen Gewerkschaften. Außerdem war sie Redakteurin des „Zentral- blattes des Bundes deutscher Frauenvereine“. Schwerin saß wie auch andere bürgerliche Frauenrechtlerinnen zwischen gleich mehreren Stühlen: zwischen radikaler und gemäßigter bürgerlicher Frauenbewegung ebenso wie zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung. Schwerin schlug „ihr Zelt an der Grenze zwischen zwei Welten“2667 auf und musste deshalb, so Zetkin, „kompromisseln, abschwächen, zaudern, schweigen, wo sie gern geredet hätte, und reden, wo ihr Schweigen lieber gewesen wäre“2668. Auch wenn sie dadurch die Kritik der Sozialdemokratinnen auf sich zog, würdigte die „Gleich- heit“ doch ihren „ehrlichen Glauben“, der Sache der Arbeiterinnen damit nützen zu können, dass sie „Konzessionen an bürgerliche Unklarheit und Halbheit, an bürgerliches Vorurtheil und Inter- esse“2669 machte. Ein Irrglaube zwar, aber gut gemeint. Schaute Zetkin auf die anderen bürgerlichen Frauenrechtlerinnen, so fanden sich – abgesehen von „der trefflichen, kenntnißreichen Frau Gnauck-Kühne im evangelischen Lager“2670 – ihrer Mei- nung nach „nur sehr, sehr Wenige, die sich an Begabung und noch weniger an sozialpoli- tischer Schulung und rastloser Thätigkeit neben Frau Schwerin stellen dürfen“2671. Zetkin nutzte nun die Gelegenheit, ein wahres Feuerwerk an Vorwürfen gegen die bürgerliche Frauenbewegung abzuschießen: Schwerin habe sich positiv hervorgehoben, 2665Ebd. 2666Ebd. 2667Ebd. 2668Ebd. 2669Ebd. 2670Ebd. 2671Ebd. 695 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN „weil sie studirte, lernte, sich in eine Frage vertiefte, ehe sie über sie sprach; weil sie praktisch für ein erforschtes, genau abgegrenztes, wenn auch oft kleines Gebiet wirkte, statt sich in schönen Gemeinplätzen über Alles und Jedes zu verbreiten. Für sie war Frauenbewegung weder ein Paradeplatz, noch eine Deklamationsbühne, noch ein Schaufenster für Ausstellung von Toiletten und ‘bestrickender Anmuth’, sondern ein Arbeitsfeld. Schlicht und einfach in ihrem Auftreten, war sie eine ernste Arbeiterin, im hohen idealen Sinne des Wortes; eine ernste Arbeiterin im Dienste des Fortschritts und der Allgemeinheit.“2672 Zetkin zeichnete hier ein Bild der bürgerlichen Frauenbewegung wie, es üblicherweise von männ- lichen Gegnern der Frauenemanzipation propagiert wurde. Sie unterstellte den „Damen“ mehr Wert auf Prestige und Optik zu legen als auf kompetentes politisches Engagement. Schwerin stellte für Zetkin in besonderer Weise eine Ausnahme dar. Die „hohe persönliche Werthschätzung und Sympathie“2673, welche Zetkin im Nachruf der Verstorbenen gegenüber aussprach, ist wesent- lich auf jene herausragende Stellung Schwerins innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung zurückzuführen. Weniger überschwänglich beurteilte Zetkin die Persönlichkeit ihrer Lehrerin Auguste Schmidt (1833-1902). Sie war in Leipzig gestorben, der Stadt, von der wichtige Impulse für die deutsche Frauenbewegung ausgingen und in der Zetkin das Steyber‘sche Lehrerinnenseminar besucht hatte. Während Schmidts Herkunft und Bildungsweg in jenem Nachruf unerwähnt blieben, wurde ihre Position als Mitbegründerin und langjährige Vorsitzende des „Allgemeinen Deutschen Frauen- vereins“, des „Bundes Deutscher Frauenvereine“ und des „Allgemeinen Deutschen Lehrerinnen- vereins“ hervorgehoben. Von elementarer Bedeutung war Schmidts Freundschaft mit Luise Otto- Peters. Zusammen beriefen sie 1865 den ersten öffentlichen Frauentag in Leipzig ein, welcher ein Initialfunke für viele in den vorangehenden Kapiteln dieser Arbeit genannten Organisationen war. Es war die gemäßigte Richtung der bürgerlichen Frauenbewegung, die Schmidt mit „unerschüt- terlicher Überzeugungstreue und nie versagendem Idealismus“2674 vertrat. Als eine „in sich ge- festigte Persönlichkeit“2675 habe sie für eine „einheitliche[…], geschlossene[…] Weltanschau- ung“2676 gewirkt, nur dass diese Weltanschauung eben die „des alten bürgerlichen Liberalismus mit seiner Beschränktheit und seiner Größe“2677 war. Für Zetkin war es deshalb nicht verwunde- rlich, dass Schmidt das Verständnis für die „tieferliegenden, geschichtlichen und sozialen Zusam- 2672Ebd. 2673Ebd. 2674Auguste Schmidt. In: GL, 12/ 14/ 02.07.1902/ 109. 2675Ebd. 2676Ebd. 2677Ebd. 696 4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ – DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI menhänge“2678 und den „historischen Werdegang[…], der zur Befreiung der Frau, zur Befreiung der Menschheit führt“2679 nicht aufzubringen vermochte. Mit großer Genugtuung bemerkte Zetkin jedoch, dass auch Schmidt „der Zerfahrenheit der radikalen Frauenrechtelei“2680, deren „Weltan- schauung ein lotteriges, schlotteriges Flickwerk aus allerhand Geschichts- und Moralphilosophie“ 2681 sei, nichts habe abgewinnen können. Auf wissenschaftlichen Gebiet habe sie sich deshalb zu einer „richtigeren Würdigung“2682 der materialistischen Sichtweise „‘durchgemausert’“2683, aber öffentlich dazu bekannt hat sie sich nicht. Auch auf dem Gebiet der Wohlfahrtspflege und Bil- dungsreform, so Zetkin, habe Schmidt den Arbeiterinnen weit bessere Dienste geleistet als es die radikal-bürgerliche Frauenbewegung je vermochte. Auguste Schmidt, eine „edle Frau, reich an Mitgefühl und Hilfsbereitschaft gegenüber fremdem Leid, reich an Bürgersinn und Bürgertugend, stark in der Pflichttreue“2684, war vielen jungen – auch unbemittelten – Mädchen eine gute Lehrerin und gab ihnen die Möglichkeit höherer Bil- dung. Wenn es auch im Interesse der Proletarierinnen öfters notwendig gewesen sei, mit ihr die „Klingen zu kreuzen“, so Zetkin, versage man Schmidt jedoch nicht die „achtungsvolle An- erkennung“2685 für ihr Wirken um die Bildung der Frauen. Eine der „ältesten und treuesten Vorkämpferinnen“2686 der bürgerlichen Frauenbewegung, die sich bereits in den 1860er Jahren für die Gleichberechtigung der Frau einsetzten, war Lina Morgenstern (1831-1909). Viele bahnbrechende Initiativen gehen auf sie zurück: Vorsitzende des ersten Berliner Kindergartenvereins, Mitgründerin des ersten Kinderschutzvereins, Gründerin des Berliner Hausfrauenvereins mit angeschlossener Kochschule und Stellenvermittlung und Organisatorin von Kursen für häusliche Krankenpflege. Darüber hinaus engagierte sich Morgenstern für die Gründung einer Akademie zur wissenschaftlichen Fortbildung der Frauen, die Gründung einer Hausindustrieschule und einer landwirtschaftlichen Bildungsanstalt für Frauen. Ihre Interessen waren vielfältig und keineswegs auf die Bildungsbedürfnisse bürgerlicher Frauen beschränkt. Auch setzte sie sich für den Abolitio- 2678Ebd. 2679Ebd. 2680Ebd. 2681Ebd. 2682Ebd. 2683Ebd. 2684Ebd., S. 110. 2685Ebd. 2686Lina Morgenstern †. In: GL, 20/ 08/ 17.01.1910/ 127. 697 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN nismus, d. h. die Abschaffung der Sklaverei, ein. Während des Deutschen Krieges 1866 und des deutsch-französischen Krieges 1870/71 war Morgenstern an der Einrichtung von Notstandsküchen beteiligt, was später in die Gründung des „Vereins Berliner Volksküchen“ mündete. Dies alles waren jedoch aus der Sicht Zetkins nur „Einrichtungen, durch die die Verstorbene zur Lösung der sozialen Frage beizu- tragen wähnte, während sie bestenfalls die schreiende Not weniger um ein Weniges zu lindern vermochte“2687. Es habe sich zwar um praktische und hilfeleistende Einrichtungen gehandelt, jedoch linderten sie nur einen Missstand, welcher grundsätzlich durch das kapitalistische System geschaffen wurde und daher auch nur gemeinsam mit diesem zu überwinden war. Zudem, so Zetkin weiter, sei „Vieles von dem, was sie geschaffen hat, […] schon überlebt“2688. Morgenstern habe schlicht den Wert sozialer Hilfsarbeit überschätzt und „sonnte sich gern – echt bürgerlich-liberal – in höfischer Anerkennung und Gunst“2689. Letzteres kann als eine prinzipielle Kritik an der von vielen bürger- lichen Frauenorganisationen geübten Praxis verstanden werden, die Schirmherrschaft und Patro- nage fürstlicher Häuser zu erlangen. Zetkin kam zu dem Resümee, dass Morgensterns Zielsetzung zwar falsch war, dass sie sich aber „in dem Wie ihrer Betätigung […] als hochherzige, opferreiche Persönlichkeit erprobt“2690 habe. Bereits vor der Entstehung entsprechender Frauenorganisationen setzte sich auch Auguste Fickert (1855-1910) für Bildung, Erwerbstätigkeit und staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Frau ein. Sie war Gründerin und Vorsitzende des „Allgemeinen österreichischen Frauenvereins“ und der Vereinszeitschrift „Frauenrecht“ (?-?). Später wurde Fickert Redakteurin der von Marie Lang (1858-1934) und Rosa Mayreder (1858-1938) herausgegebenen Zeitschrift „Dokumente der Frauen“ (1899-1902).2691 Diese Zeitschrift, so Zetkin gönnerhaft, habe sich „literarisch wie sozial- politisch von [den] meisten frauenrechtlerischen Publikationen vorteilhaft ab[gehoben]“. 1890 gründete sich der Wiener „Arbeiterinnen-Verein“, in dem Fickert abends oft in Elementarfächern und Literatur unterrichtete. Ihr letztes praktisches Projekt war die Gründung des „Heimhofs“, eines genossenschaftlichen Einküchenhauses für erwerbstätige alleinstehende Frauen. Fickerts politische Verortung umschrieb Zetkin so: 2687Ebd. 2688Ebd. 2689Ebd. 2690Ebd. 2691Die Zeitschrift „Frauenrecht“ ist in der ZDB nicht enthalten. Sie könnte eventuell die Vorgängerin der „Dokumente der Frauen“gewesen sein. Diese wiederum wurden unter dem Titel „Neues Frauenleben“ (1902- 1918) laut ZDB schließlich von Fickert allein herausgegeben. 698 4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ – DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI „Innerhalb des frauenrechtlerischen Lagers stand sie stets auf der äußersten Lin- ken, eine enthusiastische Kämpferin für geistige Freiheit und weiteste Demokratie, eine warmherzige Verfechterin aller Reformen, welche die Ausgebeuteten und Unfreien heben und zu Schmieden ihres eigenen Geschickes machen können.“2692 Fickert sei „[d]em Ideal nach“2693 durchaus Sozialistin gewesen, doch „ihr Wesen [habe] sich der Erkenntnis von der schöpferischen, befreienden Rolle des Klassenkampfes verschlo[ssen]“2694. Sie wirkte für ihre Ideale „mit vollen Händen spendend, was sie zu geben, zu sein vermochte“2695, blieb dabei „[s]tark im Geiste und rein im Charakter“2696 und beugte sich weder dem Unrecht noch der Lüge. Oft setzte sie dabei ihre eigene Existenz aufs Spiel. Beispiel hierfür war ein Vorfall im Wiener Gemeinderat, in dem zu jener Zeit, so Zetkin, ein „christlichsoziale[s] Antisemiten- regiment“2697 geherrscht habe. Der Gemeinderat hatte alle Lehrer und Lehrerinnen zwingen wollen, ihre Schüler bei der Fronleichnamsprozession zu begleiten. Viele männliche Lehrer hätten sich „der Sicherung der Brotstelle willen dem Ukas“2698 gefügt, obwohl sie sich zum Freidenker- tum bekannten. Fickert dagegen war konsequent, „trat aus der Kirche aus und erklärte sich als konfessionslos“2699. Zwar bewies sie mit dieser Lösung von religiösen Banden alle Qualitäten einer Sozialistin und sympathisierte offen mit der Arbeiterbewegung, doch nie habe sie von der Hoffnung abgelassen, dass die Befreiung der Menschheit als Werk aller freiheitlich Gesinnten auch ohne Klassenkampf zu erreichen sein werde. Nur eine kurze Würdigung erfährt die bekannte Kämpferin für das Frauenrecht Hedwig Dohm (1833-1919), die 86-jährig in Berlin starb. Ihr schöpferisches Leben begann im Vormärz und war laut „Gleichheit“ „streitbar, erkenntnisstark und in freudigem Schaffen aufgediehen“2700. Dohm war die Verfasserin zahlreicher Romane, die eine weite Verbreitung fanden und mit ihrem letzten Werk „Die Mutter“ (1903)2701 habe sie sich für die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf ein- gesetzt. Ihr Ehemann Ernst Dohm war langjähriger Leiter der Zeitschrift „Kladderadatsch“ (1848- 2692Auguste Fickert †. In: GL, 20/ 20/ 04.07.1910/ 320. 2693Ebd. 2694Ebd. 2695Ebd. 2696Ebd. 2697Ebd. 2698Ebd. „Ukas“ ist Russisch für „Befehl, Verordnung, Erlass des Zaren“ (vgl. Wahrig. Deutsches Wörterbuch, S. 1262). 2699Auguste Fickert †. In: GL, 20/ 20/ 04.07.1910/ 320. 2700Hedwig Dohm †. In: GL, 29/ 19/ 20.06.1919/ 152. 2701Der „Gleichheit“-Redaktion unterlief hier ein kleiner Fehler: Das Werk trägt tatsächlich den Titel „Die Mütter“. 699 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN 1934). Besonders hervorgehoben wurde Dohms originelle pädagogische Auffassung des Eltern-Kind- Verhältnisses. Sie sei von der Notwendigkeit überzeugt gewesen, dass Kinder ihren Eltern „über den Kopf wachsen“ und von ihrer Zeit, ihrer Umwelt mehr verlangen müssten, denn „[d]er Beruf des Kindes ist: zukünftig zu sein“2702. Sie war Juristin und Volksschullehrerin, doch zuletzt arbeitete Frieda Duensing (1864-1921) als Leiterin der Münchner sozialen Frauenschule und gründete einen „Lehrgang zur Ausbildung von Arbeiterinnen für soziale Berufe“. Von verschiedenen demokratischen Zeitschriften als „‘eine von sozialem Geiste erfüllte Demokratin’“ geehrt, hätte man sie nach Meinung Berta Duensings (?-?)2703 auch als „von demokratischem Geist erfüllte Sozial ist in“2704 bezeichnen können. Be- sonders hätte sich diese Gesinnung bei ihrer langjährigen Arbeit in der Berliner Zentrale für Jugendfürsorge gezeigt. Da habe Duensing erkannt, dass die Lösung der wichtigsten Probleme in einer „‘neue[n] Gesellschaft’“2705 zu finden sei. Als Volksschullehrerin hatte sie die Nöte der Ar- beiter kennengelernt und unermüdlich für die Besserung ihrer Lage gewirkt, doch es waren erst die letzten Jahre, in denen sich zeigte, dass in ihr „alles vorhanden war, um sie zu einer der erfolg- reichsten Kämpferinnen für unsere Sache zu machen“2706. Duensing hatte sich nicht für eine „weithin sichtbare[…] agitatorische[…] Stellung“2707, sondern für eine in der „Stille abgeschlos- sene[…] Tätigkeit“2708 entschieden. Doch egal, welchen Weg sie ging: „Der Kern bleibt die soziale Gesinnung.“2709 Für ihr stetiges Streben steht ihre selbstgewählte Grabinschrift: „‘Ich suchte … ich fragte … ich hungerte … nun ruhe ich aus und bin satt!’“2710 Eine von Zetkin besonders anerkannte „tapfere[…] und selbstlose[…] Vorkämpferin der Frauen- rechte“2711 war die Pionierin der bürgerlich-radikalen Frauenbewegung Minna Cauer (1841- 2702Ebd. 2703Die herangezogenen Nachschlagewerke und Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Berta Duensing. Deshalb muss an dieser Stelle ungeklärt bleiben, ob und in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis sie zu der Verstorbenen stand. 2704Duensing, Berta: Frieda Duensing †. In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 34. 2705Ebd. 2706Ebd. 2707Ebd. 2708Ebd. 2709Ebd. 2710Ebd. 2711Frau Minna Cauers siebzigster Geburtstag … In: GL, 22/ 04/ 15.11.1911/ 64. 700 4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ – DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI 1922). Die „Gleichheit“ veröffentlichte sowohl zu ihrem 70. Geburtstag, zu ihrem 80. Geburtstag wie auch nach ihrem Tode jeweils einen Artikel. Bei allen fällt auf, dass in ihnen wie bereits im Nachruf auf Lina Morgenstern keinerlei Informationen zu Herkunft oder Privatleben gegeben werden. Es sind vielmehr ihre Ideale, die gewürdigt wurden, und die Cauer „mit heiliger Inbrunst durch alle Stürme“2712 trug. Selbst als Greisin blieb Cauer, so Zetkin im ersten der Artikel, „glaubensstark und jugendfrisch im Kampfe“2713 für diese Ideale, während „viele des nach- rückenden Geschlechts kleinmütig, wankend die Ziele niedriger und näher gesteckt“2714 hätten. Wie bereits anderen „weiblichen Vollmenschen“ wie Malvida von Meysenbug zugestanden, bewies auch Cauer „[e]ine echt demokratische Gesinnung“2715. Diese Gesinnung machte sie zur „konsequenten, treuen Verfechterin der Frauenrechte“2716, ließ sie aber auch Verständnis haben für das „Vorwärtsdrängen des Proletariats zur politischen Demokratie und nach sozialen Reformen“ 2717, ganz im Gegensatz zu den meisten ihrer Gesinnungsgenossinnen, von denen sich viele von ihr distanzierten. Doch ob mit „kleine[r] Gefolgschaft […] oder allein“2718, sie blieb sich treu. Zetkin sagte – für einen Jubiläumsartikel etwas ungalant – voraus, dass Cauer „in der Schönheit einer aufrechten liberalen Welt- und Lebensanschauung alten Stils sterben“2719 würde. Zugleich wünschte sie ihr aber, dass sie ihrer Sache noch viele Jahre erhalten bliebe, „[d]enn so oft wir mit ihr die Klingen kreuzen mußten und vielleicht auch in Zukunft noch kreuzen müssen: ihr Wesen und ihr Wollen ehren auch wir auf- richtig“2720. Dieser Respekt galt Cauers Person und ihren Zielsetzungen, obwohl sie „den Weg zum wissen- schaftlichen Sozialismus nicht finden konnte“2721 und „noch immer den Traum von einer Wieder- geburt der bürgerlichen Demokratie in Deutschland träumt[e]“2722. All dies erklärte sich für Zetkin schlicht aus Cauers „Entwicklungsgang und ihrer Wesensart“2723 und war damit anscheinend ent- schuldbar. 2712Ebd. 2713Ebd. 2714Ebd. 2715Ebd. 2716Ebd. 2717Ebd. 2718Ebd. 2719Ebd. 2720Ebd. 2721Ebd. 2722Ebd. 2723Ebd. 701 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN Auch die „neue“ „Gleichheit“ erinnerte an Cauer als an eine Kämpferin für die Gleichberechti- gung der Frau. Kurt Heilbut verfasste einen Jubiläumsartikel anlässlich ihres 80. Geburtstages.2724 Er kannte Cauer persönlich, denn er hatte in Briefkontakt zu ihr gestanden – dies sogar während er als Soldat im Feld stand.2725 Cauers „kleine[…], zierliche[…] Persönlichkeit“2726 verberge eine Kämpfernatur, die vor allem auch gegenüber der Polizeirepression sehr couragiert hervorgetreten sei. Diese Zeiten der Unter- drückung der Frau seien nun nach Meinung Heilbuts aber vorbei und Cauer habe das „seltene Glück“2727, „doch noch das Ziel erreicht zu sehen, das sie sich in ihrem Leben gestellt hatte: d ie Gleichberecht igung der Frau“2728. Dieses Ziel in Form des Frauenwahlrechts hatte aber nur, so Heilbut, durch den „Zusammenbruch unseres Vaterlandes“2729 erreicht werden können. Obwohl der „vaterlandslosen Gesinnung“2730 einer Sozialistin und keinem Nationalismus anhängend, dürfte dieser Umstand doch auch Cauer geschmerzt haben. Bereits vor dem Krieg hatte sich Cauer über die „Passivität und Gleichgültigkeit“2731, die bei den Frauen wie überhaupt in der bürgerlichen Gesellschaft herrschte, nicht täuschen lassen. Für ihre Friedensgesinnung hatte man sie „verhöhnt, verachtet und verfolgt“2732 und sie und ihre An- hängerInnen „spöttisch als die ‘Zielbewußten’“2733 bezeichnet. Bereits im Sommer 1917 habe sie schließlich „das Heranwogen einer neuen Zeit“2734 vorausgesehen. Cauer schrieb an Heilbut: „Unsere Richtung aber erlebt doch jetzt wenigstens den Anfang von all ihren Bemühungen und Arbeiten – das Erwachen des Volkes für seine notwendige Mit- verantwortlichkeit im Staatsleben.“2735 Sie sah demnach die Revolution, den demokratischen Umschwung und damit auch die staatliche Mitverantwortlichkeit der Frau heraufkommen. Heilbut erachtete Cauer als eine jener Frauen, „die unerschütterliche Zuversicht gaben, daß ohne die Befreiung der Frau aus jahr- 2724Heilbut, Kurt: Minna Cauer‘s 80. Geburtstag am 1. November 1921. In: GL, 31/ 21/ 01.11.1921/ 208. 2725Ebd. 2726Ebd. 2727Ebd. 2728Ebd. 2729Ebd. 2730Ebd. 2731Ebd. 2732Ebd. 2733Ebd. 2734Ebd. 2735Minna Cauer in einem Brief an Kurt Heilbut 1917. Zit. nach: Ebd. 702 4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ – DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI tausendelanger Abhängigkeit und Unterdrückung niemals der Weg geöffnet wird für den weiteren Aufstieg und für die Befreiung der gesamten Menschheit“2736. Die Novemberrevolution war der Anfang einer solchen Entwicklung, aber man dürfe, so Heilbut, bei diesem nicht stehen bleiben. Mit seinem Artikel wollte Heilbut für „all die Jungen im Land“ 2737, die an der zukünftigen Entwicklung Anteil nehmen würden, Cauer als „Vorkämpferin und Wegbahnerin“2738 ehren. Im Alter von 81 Jahren starb Minna Cauer und die nun nicht mehr von Zetkin geleitete „Gleichheit“ ehrte sie in einem Nachruf als eine der „markantesten Persönlichkeiten der deutschen Frauenbewegung“2739. Cauer, so Wally Zepler, sei eine „Radikale“ gewesen, „die von den anderen in der Bewegung befehdet und gehaßt worden [sei] und ihnen mit gleichem Haß vergalt“2740. Es war ihre „menschlich freiheitliche[…] Gesinnung“2741, die sie auszeichnete. Eine „Demokratin durch und durch“2742, erschien ihr „die Selbstbestimmung der Persönlichkeit […] allererstes sittliches Recht“2743 – womit Zepler einen wesentlichen Aspekt des in dieser Arbeit beschriebenen Leitbildes vom „weiblichen Vollmenschen“ benennt. Mit der Novemberrevolution sei den Frauen das politische Stimmrecht „in den Schoß [ge- fallen]“ 2744 und Cauer habe gewusst, so Zepler ungewöhnlich kritisch, „daß es viel mehr ein Geschenk als der Preis für deren eigene Kampfeskraft war“2745. Zepler nimmt damit Bezug auf die Mehrheit der bürgerlichen Frauen, die stets gegen das allgemeine und lediglich für ein „Damen- wahlrecht“ eingetreten war. So sei sich Cauer aber auch stets im Klaren darüber gewesen, „daß nur eine kleine Minderheit Gleichberechtigung und Freiheit so heiß ersehnten wie sie selbst“2746. 25 Jahre lang – von ihrer Gründung 1895 bis zur ihrer Einstellung 1919 – gab Minna Cauer die Frauenzeitschrift „Die Frauenbewegung“ heraus. Sie war Mitgründerin des „Kaufmännischen Hilfsvereins für weibliche Angestellte“ und leitete ihn viele Jahre lang. Der Verein „Frauenwohl“ 2736Ebd. 2737Ebd. 2738Ebd. 2739Zepler, Wally: Unsere Toten. In: GL, 32/ 17/ 18/ 01.09.1922/ 164. 2740Ebd. 2741Ebd. 2742Ebd. 2743Ebd. 2744Ebd., S. 165. 2745Ebd. 2746Ebd. 703 ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER LEITBILDFUNKTIONEN (1888-?), der später im „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“ (1899-1907)2747 aufging, war ihr Werk. Lange Zeit war sie Mitglied der Demokratischen Partei. Nachdem sie sich von dieser getrennt hatte, konnte sie sich jedoch auch nicht überwinden, der SPD beizutreten, zu viel trennte sie von deren Grundsätzen. Doch Zepler zeigte sich versöhnlich bezüglich dieses Verhaltens: „Dennoch war sie [Cauer; M.S.] ihrer Gesinnung nach absolut Sozialistin, ging oft mit den Genossinnen zusammen und wurde in ihren Reihen auch immer halb und halb als zu ihnen gehörig gerechnet“2748. Zetkin hätte dies wohl etwas vorsichtiger formuliert – zumal sie von „Halbheiten“ nichts hielt. Außerdem sei Cauer, so Zepler, eine „echt weibliche Natur“2749 gewesen – anmutig und von ange- nehmen Äußerem. Auch ihr politischer Charakter habe diese Natur aufgewiesen: „Das Grundmotiv ihres Handelns war ihr warmes menschliches Gefühl, Teilnahme für alle Leidenden und Entbehrenden.“2750 Als leidenschaftliche Pazifistin war sie Teilnehmerin aller Friedenskongresse und ließ sich „nie- mals von der nationalistischen Welle fortreißen“2751. Minna Cauer sei eine Frau mit „Tatkraft“ und „Idealismus“2752 gewesen, der die deutsche Frauenwelt viel zu verdanken habe.2753 2747Der Verband schloss sich 1907 dem BDF an. Siehe: Pommerenke, Organisation und Bewegung. Die Frauenwohl- Vereine 1888-1914. 2748Ebd. 2749Ebd. 2750Ebd. 2751Ebd. 2752Ebd. 2753Ebd. 704 5 Zusammenfassung „Jeder, der etwas von Geschichte weiß, weiß auch, daß große gesellschaftliche Umwälzungen ohne das weibliche Ferment unmöglich sind. Der gesell- schaftliche Fortschritt läßt sich exakt messen an der gesellschaftlichen Stellung des schönen Geschlechts (die Häßlichen eingeschlossen).“1 Geschichte wird auch von Frauen gemacht. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber – wie in der Einleitung beschrieben – nicht ausreichend von den entsprechenden gesellschaftlichen Multiplikatoren berücksichtigt oder gar im all- gemeinen Geschichtsbewusstsein verankert. Dagegen beschreibt die sozialistische Frauen- zeitschrift „Die Gleichheit“ auf mehreren Ebenen eine Geschichte, die von Frauen „gemacht“ wurde: Die „Gleichheit“ ist sowohl Teil dieser Geschichte als auch ihre Vermittlerin. Die „Gleichheit“ selbst ist ein historisches Dokument. Sie stand als eine der ersten politischen Frauenzeitschriften Deutschlands in einer besonderen Tradition. Ausgehend von der Frage nach der Kontinuität der „Gleichheit“ als einer politischen Frauenzeitschrift wurden in Kapitel 1 ihre Vorgängerinnen „Die Frauen-Zeitung“, „Die Staatsbürgerin“ und „Die Arbeiterin“ untersucht und deren Funktion als wichtige Knotenpunkte eines Netzwerkes deutscher Frauen- öffentlichkeit aufgezeigt. Diese politischen Frauenzeitschriften waren unter schwierigsten politischen und gesellschaftlichen Umständen Sammelplatz von Informationen, Organisationen und engagierten Menschen, die sich der sozialistischen Idee verpflichtet fühlten. Vieles am Charakter der „Gleichheit“– äußerlich wie innerlich – war vor allem Erbe der „Arbeiterin“ und folgte zum Teil auch gängigen Mustern der sozialdemokratischen Presse. Im Rahmen der Darstellungen in Kapitel 2 wurde deutlich, dass die „Gleichheit“ durchaus auch neue Maßstäbe setzte. Bemerkenswert war bereits ihre Gründung durch J. H. W. Dietz, der sich nach Absage der erfahrenen „Arbeiterin“-Redakteurin Emma Ihrer für die relativ unerfahrene Clara Zetkin entschied. Diese gab der „Gleichheit“ von Beginn an ein sehr hohes, teilweise wissenschaftliches Niveau und versuchte, ihre Leserinnen mit diesem vertraut zu machen. Von vielen Seiten dafür kritisiert, dass die „Gleichheit“ sich in dieser Form nicht für die Massen- agitation eigne, entschied man sich 1904, ihr die zwei leichter verständlichen Beilagen „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ und „Für unsere Kinder“ beizugeben. Ein gelungenes Konzept, das nicht nur quantifizierbare Erfolge zeitigte, sondern auch die Konzentration auf das Wesent- 1 Karl Marx in einem Brief an Ludwig Kugelmann, 12.12.1868. Zit. nach: MEW, Bd. 32, S. 582f. 705 ZUSAMMENFASSUNG liche, die politische Aufklärung der proletarischen Frauen zuließ. Nachdem die „Gleichheit“ vor- rangig aus Gewinnen des Dietz-Verlages – vor allem aus dessen Blatt „Der wahre Jacob“ – finanziert worden war, wurde sie 1901 Parteieigentum und Obligatorium für die weiblichen Mit- glieder vieler gewerkschaftlicher Verbände und ab 1908 der Parteiorganisationen. Die Zahl der Abonnements erreichte 1914 mit 114.000 Exemplaren ihren Höchststand. Jedoch kann ausgehend von den Abonnementzahlen weder eine definitive Aussage über die konkrete Zahl der LeserInnen noch die Rezeption der „Gleichheit“ getroffen werden. Gerade ihr hohes intellektuelles Niveau machte es erforderlich, dass die Lektüre der „Gleichheit“ häufig in angeleiteten Lesezirkeln, z. B. den „Frauenleseabenden“, stattfand. Es ist daher, wenn auch empirisch kaum zu belegen, davon auszugehen, dass die Zahl der „Leserinnen“ die der Abonnentinnen weit übertraf. Außerdem wäre eine solche empirische Angabe immer noch nicht geeignet, Aufschluss darüber zu geben, ob die „Gleichheit“ ein Medium der Masse war. Hierfür müssten Erkenntnisse zu ihrer Rezeption vorliegen, doch diese bleibt auch nach Untersuchung von Zeitzeugenaussagen, Leserinnenbriefen und Parteitagsdiskussionen unklar. Trotz der allgemein begrüßten Beilagen blieb die „Gleichheit“ mehr Schulungs- als Unterhaltungsblatt. Zetkin forderte bis zu ihrer Entlassung 1917 die Bei- behaltung eines hohen intellektuellen Niveaus, um den Leserinnen einen „wissenschaftlichen Sozialismus“ zu vermitteln. So genannte „Gefühlssozialistinnen“, die im „Gleichheit“-Feuilleton und in den Beilagen durchaus auch auf einer emotionalen Ebene angesprochen wurden, sollten auf diese Weise zu zielbewussten Klassenkämpferinnen erzogen werden. Eine besondere Funktion kam der „Gleichheit“ zu als Vernetzungsorgan verschiedener Organisationen innerhalb der prole- tarischen Frauenbewegung, was sich auch deutlich an ihrer Rubrizierung widerspiegelt. Ziel des Kapitels 2 war es auch, den für die meisten bisher erschienenen Forschungsarbeiten festgestellten Mangel zu beheben und die Jahre nach Zetkins Entlassung 1917 stärker zu berück- sichtigen. So konnten inhaltliche und äußere Wendepunkte markiert werden. Die inhaltliche Struktur des Kapitels richtete sich aus diesem Grund bevorzugt nach publizistischen Kategorien. Durch die Aufstellung der jeweiligen Mitglieder und MitarbeiterInnen beider Redaktionen konnten viele Erkenntnisse zur Zusammensetzung der an der „Gleichheit“ beteiligten Personen er- bracht werden. Die „Gleichheit“ war nicht die „One-Woman-Show“, als die sie in der Forschungsliteratur häufig charakterisiert wurde und wird. Zetkin hatte stets für die Mitarbeit an der „Gleichheit“ geworben und entsprechend Artikel verschiedenster Personen und zu unter- schiedlichsten Themen veröffentlicht. Auch die Darstellung Zetkins als Redakteurin mit eisern korrigierender Hand wurde zwar einerseits von ihr selbst bestätigt, aber andererseits sogar durch Mitarbeiterinnen, die mit ihr heftige Kontroversen hatten, relativiert. Die von der Forschungs- literatur bisher kaum beachteten RedakteurInnen der „neuen“ „Gleichheit“ – Marie Juchacz, 706 5 ZUSAMMENFASSUNG Heinrich Schulz, Clara Bohm-Schuch, Elli Radtke-Warmuth und Mathilde Wurm – hatten zum Teil bereits unter der Leitung Zetkins für die „Gleichheit“ geschrieben. Die Redaktionen und der Stab der MitarbeiterInnen setzten sich vor allem aus bekannten poli- tischen Größen, sozialdemokratischen Redakteuren und SchriftstellerInnen, Agitatorinnen und FunktionärInnen der regionalen Ebene zusammen. Auch Leserinnen kamen zu Wort. Jedoch er- schienen Leserinnenbriefe nur sporadisch – und dies sowohl unter der Redaktion Zetkins als auch unter der neuen Redaktion, obwohl diese sogar eigens eine Rubrik „Freie Aussprache“ ein- gerichtet hatte. Bezüglich der Frage der Mitarbeit von Männern an der „Gleichheit“, konnte aufgezeigt werden, dass diese sowohl als Verfasser wie auch als Redaktionsmitglieder der „Gleichheit“ tätig waren – sowohl während als auch nach der „Ära Zetkin“. Dies ging einerseits auf den Mangel an fähigen, schriftstellerisch begabten und politisch versierten Genossinnen zurück, war aber andererseits auch Teil des von der „Gleichheit“ selbst vertretenen Prinzips, wonach die Männer und Frauen der Arbeiterbewegung nur gemeinsam den Sozialismus erkämpfen können. Bei der biographischen Recherche zu den männlichen Mitarbeitern wurde jedoch deutlich, dass ihre Tätigkeit für die „Gleichheit“ in entsprechenden Veröffentlichungen keine Erwähnung findet. Sie waren namhafte Redakteure und Mitarbeiter sozialdemokratischer Presseorgane, sie waren freischaffende Dichter und Literaten und sie waren Parteifunktionäre, aber sehr selten findet sich ein Hinweis, dass sie auch für die Frauenzeitschrift ihrer Partei geschrieben haben. Die vorliegende Arbeit macht Angaben zu Namen, Daten und Tätigkeitsbereichen der beteiligten Personen – soweit diese aus der allgemein zugänglichen Sekundärliteratur erschlossen werden konnten – sie scheute sich aber auch nicht, die Lücken als Lücken erkennbar zu lassen. Etliche – nicht nur sinnbildlich – in ihr verbliebene Fragezeichen verweisen auf die Notwendigkeit, anhand regionaler und kommunaler Quellen und Verzeichnisse eine umfassendere Forschung zu betreiben, als es hier möglich war. Bisher wurde die Tatsache, dass die „Gleichheit“ ein internationales Organ war, überwiegend an ihrem offiziellen Status als Organ der Sozialistischen Fraueninternationale oder ihrer Bericht- erstattung über die Frauenorganisationen anderer Länder festgemacht. Ein konkreter Blick auf ihre internationalen MitarbeiterInnen wurde bisher jedoch unterlassen. Indem einige besonders engagierte Mitarbeiterinnen im Rahmen der vorliegenden Arbeit vorgestellt wurden, wurde die internationale Vernetzung der „Gleichheit“ auf einer konkreten persönlichen Ebene aufgezeigt, einer Ebene, die nach Zetkins Entlassung so keinen Bestand mehr hatte. Gleiches gilt für die Bio- graphien und Nachrufe international für den Sozialismus kämpfender Frauen, die die sozialistisch- internationale Verbundenheit der „Gleichheit“ unter der Leitung Zetkins belegen und die nach 707 ZUSAMMENFASSUNG deren Entlassung fast gänzlich wegfielen. Vor dem Hintergrund ihrer internationalen Verbreitung und ihrer konsequenten Haltung während des Ersten Weltkrieges, die die „Gleichheit“ zu einem wichtigen Organ der internationalen Arbeiterbewegung werden ließen, bleibt ihre geringe Würdi- gung in Öffentlichkeit und Forschung letztlich unverständlich. Einen umfassenden Aufschluss über die Inhalte der 32 „Gleichheit“-Jahrgänge, die an ihr beteiligten Personen und von ihr ver- netzten internationalen und regionalen Frauenorganisationen kann jedoch nur ein sorgsam erstelltes Verzeichnis geben. Ein solches auf einer umfassenden Digitalisierung basierendes Regis- ter ist daher längst überfällig. Die vorliegende Arbeit hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die vorhandenen Erkenntnisse um die „Gleichheit“ und frauengeschichtlichen Erkenntnisse aus der „Gleichheit“ zusammenzuführen, zu ergänzen und zu analysieren. In Kapitel 3 wurden die geschichtlichen und mehr noch die frauengeschichtlichen Inhalte der „Gleichheit“ thematisch-chronologisch skizziert. Im Unterschied zu anderen sozialdemokra- tischen Blättern richtete die „Gleichheit“ keine besondere Rubrik „Geschichte“ ein, sondern transportierte ihre Inhalte über Artikel und Artikelserien – bevorzugt in Form von Biographien. Die Beschäftigung mit geschichtlichen Themen verlief jedoch in der „Gleichheit“ wiederum nach ähnlichen Mustern, wie sie auch für andere sozialdemokratische Blätter festzustellen sind und wie sie auf die Forschungsschwerpunkte sozialdemokratischer Historiker und Historikerinnen – im Besonderen auf August Bebels „Die Frau und der Sozialismus“ – zurückgehen. Es handelt sich auch in der „Gleichheit“ vorrangig um Themen der Kultur-, Revolutions- und SPD-Geschichte. Von Beginn an wurde von der „Gleichheit“ jedoch auch innerhalb dieser drei Kernbereiche sozia- listischer Geschichtsdarstellung auf den Bereich der Frauengeschichte fokussiert. Die „Gleichheit“ war auf der Suche nach dem weiblichen Anteil an Geschichte und es kann fest- gestellt werden, dass in ihr eine gezielte Geschichtsforschung betrieben wurde – auch wenn dies auf einem recht journalistischem Niveau geschah und die Ergebnisse daher nicht mit denen moderner „Frauengeschichtsforschung“ vergleichbar sind. Geschichte war das adäquateste Me- dium politischer Aufklärung, da sie zusammen mit den Grundkenntnissen der sozialistischen Ökonomiekritik den Leserinnen die Grundlagen für die Emanzipation der Frauen näher bringen konnte. Selbst die Beschäftigung mit der Rolle und dem vermeintlichen Wesen der Frau fand innerhalb der „Gleichheit“ selten in Artikeln statt, die man als soziologische oder psychologische Artikel bezeichnen könnte, sondern weit häufiger in Zusammenhang mit historischen Inhalten. Zudem kann festgestellt werden, dass die „Gleichheit“ mit den in ihr veröffentlichten Nekrologen, Jubiläums- und Erinnerungsartikeln den Beginn einer eigenen Geschichtstradition der proleta- rischen Frauenbewegung markierte. Es ist daher um so bedauerlicher, zu sehen, wie wenig die in 708 5 ZUSAMMENFASSUNG ihr enthaltenen Informationen zum Leben und Wirken führender Frauen der proletarischen Frauenbewegung Berücksichtigung fanden und wie wenig die „Gleichheit“ selbst in die Historio- graphie der Arbeiterbewegung eingegangen ist, obwohl sie doch unzweifelhaft Teil dieser Bewegung war. Die Geschichtsbilder und -traditionen der SPD unter weiblichem Vorzeichen leiteten innerhalb des Kapitels 3 über zu den sich darin spiegelnden Leitbildern. Vorbereitend für die spätere Kategori- sierung der frauenbiographischen Artikel musste eine Auseinandersetzung mit dem Leitbildbegriff an sich, der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie und der Konstruktion von Frauenleit- bildern vorausgehen. Die „Gleichheit“ selbst sprach an einigen Stellen vom „Typus“ z. B. „des kämpfenden, klassenbewußten Proletarierweibes“2 oder allgemein von „Vorbildern“. Der Begriff des Leitbildes fand dagegen keine Verwendung. Vor allem die widersprüchliche Bedeutung von Frauenleitbildern als Orientierungshilfen und als Mittel der Funktionalisierung wurde thematisiert. Sozialistische Frauenleitbilder weisen das Problem auf, einerseits Alternativen zu bürgerlichen Frauenleitbildern sein zu wollen, aber andererseits sich an diese anzulehnen. Die von der „Gleich- heit“ und der proletarischen Frauenbewegung angestrebte Bewusstseinsumbildung konnte nicht losgelöst von den gängigen Rollenklischees erfolgen, da ansonsten das weibliche Lesepublikum nicht erreicht worden wäre. Abgesehen von diesem praktischen Problem waren aber auch die auf der sozialistischen Emanzipationstheorie basierenden Leitbilder hinsichtlich ihres Anspruchs und ihrer Umsetzbarkeit sehr widersprüchlich. Das Problem der Doppelbelastung wurde wenig thema- tisiert, der Haushalt und die Kinderziehung wie auch von bürgerlich-traditioneller Seite als Zuständigkeitsbereich der Frau erachtet. Welche Widersprüche sich konkret ergaben, wurde inner- halb der in Kapitel 4 vorangestellten, jeweils in das entsprechende Leitbild einleitenden Unter- kapitel untersucht. Der Leitbilddiskussion in Kapitel 3 folgte jedoch die Auseinandersetzung mit der Frauenbiographie als Geschichts- und Leitbildvermittlerin. Frauenbiographien sind ideale Vermittlerinnen von Frauengeschichte und Frauenleitbildern, weil sie konkrete Identifikations- angebote machen und Brücken von der Erfahrung zur Utopie bauen. Es sind selten abstrakte Inhalte in ihnen zu finden, aber sie verharren auch nicht in simplen Elendsschilderungen. Dieser besonders anschauliche und emotionale Teil politischer Aufklärung setzt auf die Wirkung von weiblichen Vorbildern, die eine Persönlichkeitsentwicklung und Bewusstseinsumbildung durch- gemacht haben. 2 Viktoria Kofler. In: Gl, 04/ 09/ 02.05.1894/ 71. Vgl auch: Madame Roland, (Fortsetzung statt Schluß.). In: GL, 04/ 02/ 24.01.1884/ 12; Jessa Helfmann. In: GL, 02/ 03/ 08.02.1892/ 31-32; Soll, Karl: Politische Frauen (Schluß.). In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210. 709 ZUSAMMENFASSUNG Die Formulierung der für die Untersuchung in Kapitel 4 maßgeblichen vier Frauenleitbilder „weiblicher Vollmensch“, „sozialistische Mutter“, „sozialistische Ehefrau“ und „Klassen- kämpferin“ ergab sich anhand eines grundlegenden Artikels von Zetkin mit dem Titel „Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”3. Die frauenbiographischen Inhalte der „Gleichheit“ wurden nach eben diesen vier Frauenleitbildern kategorisiert und ihnen eine Einleitung vorangestellt, in der auf die realen Lebensumstände von deutschen Proletarierinnen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts eingegangen wurde, um die Notwendigkeit alternativer Leitbilder, aber auch die Widersprüche aufzuzeigen. Entscheidend für die Kategorisierung war neben dem Inhalt der Artikel auch ihr Duktus. Dem sich nach der Erlangung des Frauenwahlrechts 1918 abzeichnenden Frauenleitbild der „Republikanerin“ entsprachen als historische Vorbilder am ehesten die 1848er-Revolutionärinnen. Die Inhalte der dazugehörigen biographischen Artikel sind jedoch sehr unspezifisch und unterscheiden sich im Duktus nicht merklich vom Leitbild des „weiblichen Vollmenschen“. Zudem waren zu den meisten dieser Frauen bereits unter der Redaktion Zetkins biographische Artikel erschienen. Deshalb blieb das Leitbild „Republikanerin“ – wie es tatsächlich auch für die besondere Situation in der Weimarer Republik weitgehend zutraf – ohne historische Vorbilder. Eine andere Entscheidung wurde hinsichtlich der Biographien führender Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung getroffen. Es handelte sich auch bei ihnen um Frauen, die dem Leitbild des „weiblichen Vollmenschen“ entsprachen, sie wurden aber als „Ausnahmeerscheinungen bürgerlicher Frauenrechtelei“ zusammengefasst. Kapitel 4 umfasst in den jeweiligen Unterkapiteln und in verkürzter Form und Schwerpunktsetzung auf die Konstruktion von Leit- und Vorbildern alle frauenbiographischen Artikel der „Gleichheit“. Im Rahmen der Untersuchungen wurde deutlich, dass den in ihnen erbrachten Erkenntnissen ein angemessener Raum zugestanden werden muss. Dies wurde nicht nur erforderlich, um die „Gleichheit“ selbst „zu Wort“ kommen zu lassen und um einen Eindruck von der schriftstellerischen Begabung ihrer MitarbeiterInnen zu geben, sondern auch um möglichst viele biographische Informationen zu den zum Teil gänzlich unbekannten Frauen der proletarischen Frauenbewegung zusammenzustellen. Darüber hinaus musste – ausgehend von der für die Vermittlung von Frauenleitbildern elementaren Methode der Wiederholung – eine aus- führliche Darstellung des Originalduktus vorgenommen werden. Im Rahmen dieser Darstellung offenbarten sich Bilder, feststehende Ausdrücke, stilistische Besonderheiten und der Einblick in die von der „Gleichheit“ intendierte Aufklärung und emotionale Berührung. Da die Schwerpunkt- setzung für die in Kapitel 4 vorgenommene Zuordnung der biographierten Frauen nicht nur vom Inhalt, sondern auch von dem kämpferischen, emotionalen und dogmatischen oder auch wissen- 3 „Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 1. 710 5 ZUSAMMENFASSUNG schaftlich sachlichen Duktus abhängt und dieser viel Interpretationsspielraum bietet, konnten Widersprüche nicht ausbleiben, denn der Duktus der „Gleichheit“ war auch unter der oft als zu rigide kritisierten Redaktion Zetkins nie einheitlich. Zum einen brachten die verschiedenen Mit- arbeiterInnen durchaus ihren eigenen Stil ein und zum anderen waren für die Auswahl der Artikel durch die Redaktion oft politische Ereignisse, Jahrestage oder der Tod einer Frau aus der Bewegung grundlegend. Deshalb konnten auch bei den anhand mehrerer biographischer Artikel vorgestellten Frauen Überschneidungen von Frauenleitbildern nicht ausgeschlossen werden. Die „Gleichheit“-AutorInnen schwanken in ihrem Duktus zwischen der Intention, die biogra- phierten Frauen einerseits als Frauen darzustellen, wie es sie zu Millionen gibt, und sie andererseits aufgrund ihres besonderen Sendungsbewusstseins, ihres Bildungswillens, ihrer Tat- kraft und ihrer Aufopferungsbereitschaft hervorzuheben. Teils waren sie Vorbilder, denen nachzustreben möglich und gewünscht war, teils nahmen sie den Charakter fast mythischer Aus- nahmegestalten an. Häufig ist es sogar gerade eine solche Entwicklung, die beschrieben und für die Leserinnen an spezifischen biographischen Wendepunkten aufgezeigt wird. Es sind Appelle an die Leserinnen, ihre oft selbstgesetzten Grenzen zu sprengen, ihre Handlungsräume zu erweitern. Diejenigen Frauen, die dem Leitbild des „weiblichen Vollmenschen“ zugerechnet werden, können jedem Jahrhundert entstammen. Es stellt eine Synthese aus mehreren Elementen weiblicher Rollenklischees dar, beinhaltet aber auch die Entfaltung der individuellen Fähigkeiten und der Persönlichkeit. Die darin enthaltenen Bildungsziele sind sehr allgemein formuliert und vor allem auf die Erziehung „ganzheitlicher Persönlichkeiten“ gerichtet. Die Riege der in der „Gleichheit“ versammelten Frauen beginnt jedoch nicht mit einer gelehrten Römerin oder Griechin, sondern mit einer frauenbewegten Gelehrten des französischen Mittelalters: Christine de Pisan (ca. 1364 – ca. 1430) – gefolgt von der einzigen in der „Gleichheit“ porträtierten Königin: Maria Stuart von Schottland (1542-1587). Ihre Lebenswege verweisen auf verschiedene für die Proletarierinnen des 19. Jahrhunderts vorbildliche Charakterzüge. Gleiches gilt auch für die frühen Akademikerinnen, die unter dem Eindruck der Aufklärung um ihr Recht auf Bildung kämpften und dies zum Teil auch durchsetzen konnten, wie z. B. Maria Gaёtana d‘Agnesi (1718-1799). Keine Erwähnung in Form einzelner Biographien finden die weiblichen Opfer der Hexenverbrennungen, von denen nicht wenige aufgrund ihrer medizinischen Kenntnisse verfolgt wurden. In anderen frauen- geschichtlichen Artikeln werden viele dieser Opfer der Inquisition aber zumindest namentlich genannt. Gebildete Frauen des 19. Jahrhunderts führten Salons, in denen sich die geistige und literarische Elite ihrer Zeit bewegte. Einige setzten sich in politischer Einstellung und 711 ZUSAMMENFASSUNG Lebenshaltung über gesellschaftliche Normen hinweg und zeigten ein besonderes weibliches Selbstbewusstsein. Diese Art des gelehrten „weiblichen Vollmenschen“ fand sich auch unter den bürgerlichen Zeitgenossinnen wieder. Auch die Frauen der Französischen Revolution müssen zu den „weiblichen Vollmenschen“ gezählt werden – sind ihre politischen Motive doch in den Augen Zetkins noch nicht ähnlich ausgereift, wie jene einer sozialistischen Klassenkämpferin. Gleiches gilt für die Frauen des Vormärz und der 1848er-Revolution. Ihre Motive wurden von Zetkin als für ihre Zeit revolutionär, aber für Sozialistinnen nicht wegweisend erachtet. Vielleicht vorbildhafter noch als jene Frauen gehobener Bildung und gehobenen Standes handelte eine namentlich gänz- lich unbekannte Frau aus Frankfurt am Main, die 1833 Mut und Zivilcourage bewies, indem sie einen verfolgten Revolutionär versteckte. Da dem Duktus der ihnen gewidmeten Artikel ent- sprechende klassenkämpferische Momente fehlten, wurden selbst bekannte und bekennende So- zialistinnen wie Beatrice Webb (1858-1943) oder Helen Keller (1880-1968) unter die besondere Rubrik „Frauen von ‘sozialistischer Gesinnung’“ des „weiblichen Vollmenschen“ gefasst. Dem Leitbild der „sozialistischen Mutter“, das sehr stark in dem Leitbild des „weiblichen Vollmenschen“ aufgeht, waren nur drei Frauen zuzuordnen. Deren größtes Verdienst um die Geschichte war es, Mütter bedeutender Persönlichkeiten gewesen zu sein, ein Verdienst, das sie nur erwerben konnten, weil sie zuvor selbst eine umfassende Bildung erworben und an ihre Söhne weitergegeben hatten: Cornelia (um 190 v. u. Z.- um 100 v. u. Z.), Katharina Elisabeth Goethe (1731-1808) und Anna Regina Kant (1697-1737) hatten Anteil am Genie ihrer Söhne, weil sie ihnen ein entsprechendes Leben vorlebten, deren Charaktere ausbildeten und deren Neigungen unterstützen. Das Leitbildelement der Opferbereitschaft kam jedoch bei diesen drei Müttern weniger zum Tragen als bei den Müttern in der Gruppe der Klassenkämpferinnen. Da in deren biographischen Skizzen bestimmte klischeehafte Bilder der Mütterlichkeit besonders deutlich hervortraten, ist der Vorwurf, in manchen Aussagen der „Gleichheit“ würde die Frau zur „proletarischen Gebärerin“ abgestempelt, nicht ganz von der Hand zu weisen. Doch gerade die obigen drei Biographien belegen, dass den Leserinnen auch anspruchsvollere Identifikations- möglichkeiten geboten wurden und von einer „sozialistischen Mutter“ weit mehr erwartet wurde, als lediglich KlassenkämpferInnen zu gebären. Mütter, bzw. wie sich an an vielen proletarischen Lebensläufen zeigte, Eltern und Familie mussten auch in der Lage sein, ihren Nachwuchs zu bewussten KlassenkämpferInnen zu erziehen. Die für das Leitbild der „sozialistischen Ehefrauen“ stehenden Frauen waren sowohl verstorbene Ehefrauen von SPD-Parteiführern als auch Frauen von 1848er-Revolutionären. In ihren 712 5 ZUSAMMENFASSUNG Biographien prägt sich das Ideal der Genossenschaft von Mann und Frau aus. Bei den unter diese Kategorie gefassten „Ehefrauen“ ist die Frage, ob es sich tatsächlich um Ehen im juristischen Sinne handelte, zweitrangig. Nicht die Form ihrer Ehen stand im Vordergrund, sondern vielmehr ihr Charakter als „Gesinnungsgenossenschaft“, in welcher Mann und Frau gleichberechtigt und gleichermaßen engagiert für eine politische Sache wirken oder wie Christiane Goethe-Vulpius (1765-1816) auf ihren Ehemann inspirierenden Einfluss hatten. Ehefrauen von Revolutionären – z. B. Anita Garibaldi (1821-1849), Emma Herwegh (1817-1904) oder Johanna Kinkel (1810- 1858) – stehen für Frauen, die mehr oder weniger direkt an der Seite ihrer Ehemänner an den Kämpfen ihrer Zeit teilnahmen, tapfer die Folgen trugen und sie ins Exil begleiteten. Nie geklagt haben auch die Ehefrauen der großen Männer der SPD. Unter dem Sozialistengesetz haben sie oft ihre Ehemänner entbehren oder sogar deren zentrale Position innerhalb der Bewegung ersetzen müssen. Ohne Frauen wie Jenny Marx (1814-1881), Julie Bebel (1843-1910) oder Natalie Liebknecht (1835-1909), die ihren Ehemännern den Rücken frei hielten, hätte die Entwicklung der SPD sicherlich einen anderen Verlauf genommen. Diese Ehefrauen mussten nicht nur verständnisvoll, sondern auch verständig sein und im Sinne des Leitbildes des „weiblichen Voll- menschen“ über eine Bildung verfügen, die es ihnen ermöglichte, die Ideale ihres Mannes zu teilen. Frauen, die ihre Ehemänner in Bildung und gesellschaftlichem Einfluss überragten, sind dieser Kategorie nicht zugeordnet worden, weil der Schwerpunkt der jeweiligen Artikel ein anderer war. Doch auch sie wurden den „Gleichheit“-Leserinnen vorgestellt und sind in der vor- liegenden Arbeit meist unter den „weiblichen Vollmenschen“ zu finden – genauso wie es dort Frauen gibt, die in Konsequenz ihrer höheren Gesinnung und Bildung ihre ehelichen Fesseln und ihre Ehemänner in doppelter Hinsicht „hinter sich ließen“. Dem Leitbild der „Klassenkämpferin“ wären chronologisch zuerst die Frauen der Bauernkriege zuzuordnen, doch die Art ihrer Erwähnung in den jeweiligen Artikeln fiel zu knapp aus, um sie hier angemessen berücksichtigen zu können. Die ersten Schwerpunkte hinsichtlich dieses Leit- bildes setzten deshalb die Studien Zetkins zu den Ereignissen im zaristischen Russland und zur Pariser Kommune. Die dieser Kategorie zuzurechnenden biographischen Skizzen beginnen in der „Gleichheit“ mit dem Porträt einer Revolutionärin aus dem Umkreis der russischen Volkstümler: Maria Lwowna Berditschewskaja (?-1905). In der „neuen“ „Gleichheit“ wurde nur eine dieser russischen Revolutionärinnen gewürdigt: Katharina Breschkowskaja (1844-1934). Zetkin porträtierte außerdem die beiden bekanntesten Kämpferinnen der Pariser Kommune: Marie Ferré (ca. 1851-1882) und Louise Michel (1839-1905). Letzterer wollte die „Gleichheit“-Redakteurin 713 ZUSAMMENFASSUNG allerdings im Hinblick auf deren Annäherung an anarchistische Ideen die zielklare Gesinnung einer sozialistischen Klassenkämpferin fast aberkennen. Vorbildhaft für klassenkämpferische Tugenden und Eigenschaften waren nach 1917 hauptsächlich die verstorbenen Mitglieder der proletarischen Frauen- und Gewerkschaftsbewegung Deutschlands. 73 dieser Frauen wurden in der gesamten „Gleichheit“ meist in Nekrologen porträtiert. Die „Gleichheit“ würdigte sowohl Ge- nossinnen, die unermüdlich „Parteikleinarbeit“ leisteten, als auch die Gründerinnen der proletarischen Frauenbewegung. Weitere Schwerpunkte für eine Gliederung ergaben sich daraus, dass einige Frauen bereits als langjährige Funktionärinnen tätig waren, während anderen gemein- sam war, dass sie der Frauenbewegung als Hoffnungsträgerinnen durch einen plötzlichen Tod in jungen Jahren entrissen wurden. Ein solcher Verlust war für die „Gleichheit“-Mitarbeiterschaft vor allem Hanna Lewin-Dorsch (?-1911). Die Internationalität des Klassenkampfes fand Ausdruck in den vielen biographischen Artikeln, die das Leben und Wirken sozialistischer Frauen u. a. in Österreich, den USA oder Südafrika porträtierten. Meist war es Zetkin, die über die sozialistischen Frauenbewegungen anderer Länder informierte und deren Protagonistinnen vor allem in Form von Nachrufen würdigte. Es ist daher sehr auffällig, dass diese Artikel in der „neuen“ „Gleichheit“ die Ausnahme wurden. Dahinter ist als Ursache nicht nur die revisionistische Linie der SPD, die sich auch in ihrem Frauenorgan niederschlug, zu vermuten, sondern auch der Mangel an geeigneten AutorInnen, die in der Lage gewesen wären, sich annähernd die gleichen Kenntnisse und die gleiche Übersicht anzueignen, wie Zetkin sie besaß. Zetkin und Anna Blos waren hinsichtlich der Artikel frauengeschichtlichen Inhalts die mit Ab- stand produktivsten Mitarbeiterinnen der „Gleichheit“. Aus ihren jeweiligen historischen Arbeitsschwerpunkten resultiert auch eine große Zahl der porträtierten historischen Frauen – aus Zetkins Feder zudem die ungezeichneten Nachrufe vieler verstorbener Genossinnen und der An- fang einer „Geschichte der proletarischen Frauenbewegung“. Blos‘ Arbeiten waren in Inhalt und Duktus so unverfänglich und parteipolitisch neutral, dass sie unter beiden „Gleichheit“- Redaktionen veröffentlicht werden konnten. Wenn auch in ihrer politischen Aussage zurück- haltend, kann Anna Blos doch mit Recht als eine „Pionierin der Frauengeschichte“, genauer noch „der Frauengeschichtsforschung“ bezeichnet werden. Zetkin war dies nicht minder, sah in dieser Tätigkeit jedoch vorrangig das Ziel, den Leserinnen mit der „Gleichheit“ die Quelle für ein sozialistisches weibliches Geschichtsbewusstsein zu geben. Inhalte und schriftstellerischer Duktus der Artikel dieser beiden Frauen sind daher sehr unterschiedlich, obwohl beide den Leserinnen Vorbilder politischen Handelns vorstellten. Während Zetkin den Vorbildcharakter der von ihr port- 714 5 ZUSAMMENFASSUNG rätierten Frauen gleich einer Anleitung zum Nachahmen formulierte, wird aus Inhalt und Duktus der Blos‘schen Artikel nur selten eine besondere politisierende Absicht deutlich. So wurden auch die 1848er-Revolutionärinnen, die am ehesten dem Leitbild der „Republikanerin“ entsprechen, als „Frauengestalten aus dem 19. Jahrhundert“ – so der Titel einer von Blos 1919-1921 veröffent- lichten Artikelreihe – den proletarischen Bürgerinnen der Weimarer Republik m. E. nicht in geeigneter Form als Vorbilder präsentiert. Auch Zetkin hatte bewundernd auf die Teilhabe von Frauen an der 1848er-Revolution hingewiesen. Sie zeigte auf, warum diese Frauen Vorbild für jede Proletarierin sein konnten, aber auch, warum es nicht genug war, was diese forderten und zu erkämpfen suchten. Ähnliches musste für die Weimarer Republik gelten. Weder konnte es für die bürgerlichen Männer des 19. Jahrhunderts genug sein, dass man ihnen von Königsgnaden eine Verfassung versprach, noch konnte es für die Frauen des 20. Jahrhunderts genug sein, dass wenn auch lang ersehnte Wahlrecht zu bekommen. Und tatsächlich bestätigte das Frauenwahlrecht nur erneut das Sprichwort „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“, denn ein einziges zugestan- denes Recht macht noch keine Gleichberechtigung aus und ein Verfassungsprinzip auf staatliche Sozialisierung noch nicht den Sozialismus. Quantitativ fallen die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit wie folgt aus: Ausgehend von der Zielsetzung, alle in der „Gleichheit“ von 1891 bis 1923 erschienenen Frauenbiographien verschiedenster Formen zu erfassen, wurden in Kapitel 4 die Biographien von 173 Frauen zusammengestellt. Nach der vorgenommenen Kategorisierung handelt es sich dabei um 31 „weibliche Voll- menschen“, 3 „Mütter“, 12 „Ehefrauen“, 115 „Klassenkämpferinnen“, keine „Republikanerinnen“ und 11 „Ausnahmeerscheinungen bürgerlicher Frauenrechtelei“. Von Bedeutung ist ihre Ver- teilung innerhalb der „Gleichheit“ vor und nach der Entlassung Zetkins: Davon fallen in die Redaktionszeit Zetkins 22 „weibliche Vollmenschen“, 2 „Mütter“, 9 „Ehefrauen“, 98 „Klas- senkämpferinnen“ und 9 „Ausnahmeerscheinungen bürgerlicher Frauenrechtelei“.4 In den auf die Entlassung Zetkins folgenden sechs Jahren bis zur Einstellung der „Gleichheit“ erschienen Artikel zu 15 „weiblichen Vollmenschen“, 1 „Mutter“, 3 „Ehefrauen“, 23 „Klassenkämpferinnen“ und 3 „Ausnahmeerscheinungen bürgerlicher Frauenrechtelei“. Auffallend klein ist die Schnittmenge derjenigen Frauen, zu denen sowohl in der „alten“ als auch in der „neuen“ „Gleichheit“ biogra- phische Artikel erschienen. Diese Frauen waren in ihrer Vorbildfunktion beiden „Gleichheit“- Redaktionen anscheinend gleichermaßen wertvoll. Zu diesen Frauen gehören 5 „weibliche Voll- 4 Gomard untersuchte nur 67 unter der Redaktion Zetkins veröffentlichte biographische Artikel, kam aber zu denselben Ergebnissen, vor allem hinsichtlich der in der „Gleichheit“ selten gewordenen radikal-revolutionären Vorbilder (vgl. Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 120). 715 ZUSAMMENFASSUNG menschen“ (Bettina von Arnim (1785-1859), Louise Aston (1815-1871), Malwida von Meysen- bug (1816-1903), Louise Otto-Peters (1819-1895) und Jeanne-Marie Roland (1754-1793), 6 Klassenkämpferinnen (Hope Bridges Adams-Lehmann (1855-1916), Ottilie Baader (1847-1925), Emma Ihrer (1857-1911), Katharina Breschkowskaja (1844-1934) und die Dichterinnen Ada Negri (1870-1945) und Clara Müller-Jahnke (1861-1905) und als einzige bürgerliche Ausnahme- figur Minna Cauer (1841-1922). In Anbetracht der deutlich längeren Redaktionszeit Zetkins sind die Relationen zwischen „alter“ und „neuer“ „Gleichheit“ nur hinsichtlich der „weiblichen Voll- menschen“ auffällig. An dieser großen Zahl hatte vor allem die Artikelserie „Frauengestalten des 19. Jahrhunderts“ von Blos ihren Anteil. 211 frauenbiographische Artikelserien, Einzelartikel, Notizen, Gedichte und Nachrufe5 wurden im Hauptblatt der „Gleichheit“ in 32 Jahrgängen6 veröffentlicht und in der vorliegenden Arbeit unter besonderen Gesichtspunkten rekonstruiert. In der Frage nach der Beteiligung von Männern an der Gestaltung der „Gleichheit“, konnte festgestellt werden, dass 20 dieser Artikel und die beiden in der Zusammenstellung enthaltenen Gedichte von Männern verfasst wurden.7 Dies entspricht jedoch nur einem Anteil von rund 10 Prozent. So kann auch für die Autorenschaft frauen- biographischer Artikel in der „Gleichheit“ konstatiert werden, dass es im Wesentlichen Frauen waren, die für Frauen über Frauen schrieben. Die Zusammenstellung und der Vergleich der frauengeschichtlichen und frauenbiographischen Artikel der „Gleichheit“ machen deutlich, dass es die in ihnen enthaltene Botschaft war, die proletarischen Frauen zur Reflexion ihrer Situation als Frau und Arbeiterin und zu einem entschlossenen politischen Engagement für den Sozialismus zu bewegen. Proletarische Frauen sollten aufgeklärt werden, damit sie sich bewusst zum Sozialismus bekennen und ihn unterstützen konnten. Ihnen wurde anhand von Vorbildern gezeigt, wie diese Unterstützung aussehen und wie sie sich für diese Aufgaben geistig wappnen konnten. Dabei wurde nicht verschwiegen, wie auf- reibend der Kampf gegen die Unterdrückung schon von jeher war und auch weiterhin sein würde. Opferbereitschaft war daher eine zentrale Tugend, die die „Gleichheit“ von ihren Leserinnen forderte. Dies durchaus nicht in Form des Opfertodes – wenn dieser auch unleugbar vor allem bei Zetkin Bewunderung fand –, sondern angesichts des proletarischen Frauenalltags in Form des Opferns freier Zeit, um die „Gleichheit“ zu lesen, Leseabende und Versammlungen zu besuchen, 5 Darin nicht enthalten sind die Nachrichtennotizen oder Buchbesprechungen, die jedoch in dem anhängenden Verzeichnis „Die frauenbiographischen Artikel aus dem Hauptblatt der ‘Gleichheit’ aufgeführt sind. 6 Der erste Jahrgang der „Arbeiterin“ und damit der „Gleichheit“ floss in die Untersuchung nicht ein, weil die Sammlung der erhalten gebliebenen Exemplare sehr unvollständig ist. 7 Für diese quantitative Auswertung wird angenommen, dass sich hinter den Autoreninitialen, die nicht eindeutig identifiziert konnten oder zu denen keine Vermutung geäußert werden konnte, weibliche Autoren verbargen. 716 5 ZUSAMMENFASSUNG in Form proletarischer Solidarität oder in Form eines offenen Bekenntnisses zum Sozialismus, trotz der repressiven Konsequenzen, die daraus folgen konnten. Proletarierinnen mussten zu der Erkenntnis gelangen, dass ihr Elend nicht schicksalhaft war. Sie brachten Opfer, aber sie mussten es nicht sein – weder Opfer der Umstände, des Gesellschaftssystems, ihrer Ehemänner oder selbst auferlegter Beschränkungen. Ihr Schicksal lag in ihren Händen und viele historische Vorbilder belegten dies. Die Suche nach Geschichte musste die Suche nach ihrer eigenen Geschichte sein. In der „Gleichheit“ hatten die sozialistischen Frauen eine Stimme, die ihren Teil forderte. Nicht nur ihren Teil an politischer Macht, nicht nur ihren Teil an Rechten und Pflichten, sondern ihren Teil am öffentlichen Bewusstsein. Und dort, wo Frauen bereits Teil des öffentlichen Bewusstseins waren – in den traditionellen Rollenbildern und Stereotypen – mussten die sozialistischen Frauen korrigierend eingreifen, mussten sie Raum für Alternativen schaffen. Dies gelang ihnen zu- gegebenermaßen nicht immer. Die Redaktionsarbeit Zetkins und die von ihr formulierten Frauenleitbilder werden aber von manchen KritikerInnen zu einseitig dargestellt, wenn sie den Widerspruch zum realen Leben der proletarischen Frauen hervorheben und diese Leitbilder damit für zu utopisch erklären. Die in den Biographien dargestellten Frauen haben tatsächlich gelebt und die Frauenleitbilder, denen sie entsprachen, wurden nicht auf einem Reissbrett entworfen, sondern waren von der Geschichte und ihrem Verlauf inspiriert. Diesen Vorbildern nachzuleben ist kein schlechter Ausgangspunkt für eine Utopie. Der andere Kritikpunkt, die sozialistischen Frauenleitbilder seien bürgerlichen Frauenleitbildern zu ähnlich gewesen, um tatsächlich alternativ zu sein, verweist wiederum auf die Realitätsnähe der sozialistischen Frauenleitbilder – wenn auch auf eine ungewollte. Ohne Frage sind die Frauen- leitbilder der proletarischen Frauenbewegung teils widersprüchlich, teils zu kompromisslos for- muliert. Durch Ausschluss unerwünschter, z. B. feministischer Tendenzen, wollte die „Gleichheit“ unter Zetkin besonders identitätsstiftend und integrierend wirken. Die „Gleichheit“ versuchte, wie jede Zeitschrift, ihre „gesellschaftsfördernde, gruppenbildende, gemeinschaftsformende Kraft“8 einzusetzen und suchte stets eine mit den Grundwerten des Sozialismus zu vereinbarende und für die Leserinnen geeignete Form der Ansprache. Die häufig vorgebrachte Kritik, dass diese Ansprache auch über die klassischen Frauenrollen als Mutter und Hausfrau gesucht wurde, übersieht, dass die „Gleichheit“ den Hausfrauen, Müttern und Ehefrauen stets einen spezifisch sozialistischen, d. h. emanzipatorischen Blick auf ihre Situation zu vermitteln bestrebt war. Die proletarische Frauenbewegung war zudem in ihrer Hervorhebung der Mutterrolle deutlich maß- 8 Haacke, Die politische Zeitschrift, Bd. 1, S. 40. 717 ZUSAMMENFASSUNG voller als die bürgerliche, hatte sie doch weitere Möglichkeiten, ein Identifikationsgefühl unter den Frauen zu stiften: Frau, Gattin, Arbeiterin und Angehörige der unterdrückten proletarischen Klasse. Gegenüber dem, was die bürgerliche Gesellschaft den Frauen zuzugestehen gewillt war, stellte jedes sozialistische Frauenleitbild einen deutlich erweiterten Horizont weiblicher Befreiung und Selbstverwirklichung dar. Doch trotz sozialistischer Frauenemanzipationstheorie verlief dies nicht widerspruchsfrei. Bereits am Schlagwortschatz innerhalb der biographischen Artikel lassen sich potentielle Widersprüche aufweisen. Wo vom Willen zur „Selbstbildung“, zum „Selbstbe- wusstsein“ die Rede war, gab es auch die Forderung der „Selbstauflösung“ und „Selbstaufgabe“. Wo Widerstand gegen vermeintliche Autoritäten verlangt wurde, sprach man auch von „Solidarität“ und „Parteidisziplin“. Die den Proletarierinnen gebotenen Identifikations- und Orien- tierungsmöglichkeiten boten eine Fülle von Berührungspunkten und Kompromissen. Klischees überdauerten dadurch aber auch die angestrebte Bewusstseinsumbildung oder zeugen von deren Unvollständigkeit. Die politische Frauenbildung der proletarischen Frauenbewegung und damit auch der „Gleichheit“ blieb gefangen zwischen revolutionärem Umsturz und traditioneller Kon- tinuität. Auch Zetkin hatte kein allein gültiges Rezept für die individuelle Lebensplanung – anderes zu behaupten wäre vermessen. Auch sie hing teilweise althergebrachten Rollenbildern an und ignorierte deren starke Verwurzelung in der bürgerlichen Gesellschaft, die nicht allein dadurch zu lösen war, dass man vorhandene Rollenbilder sozialistisch umdeutete. Jedoch war dies oft die einzige Ebene, auf der die proletarischen Frauen erreicht werden konnten, weshalb es ein ge- lungener Kompromiss war, das niveauvolle politisch-theoretische Hauptblatt der „Gleichheit“ mit zwei ebenfalls niveauvollen, aber auch unterhaltenden Beilagen zu ergänzen. Die Ergebnisse dieser an sich widersprüchlichen, aber zugleich durchdachten Ansprache der Leserinnen hätten vielleicht andere sein können, wenn der Erste Weltkrieg, Zensur und Redaktionswechsel der kon- sequenten politischen Aufklärung der Frauen durch die „Gleichheit“ kein Ende gesetzt hätte. Die „Gleichheit“ nach Zetkins Entlassung bot keine Alternative. Die sozialdemokratische Frauen- bewegung – eine einheitlich als „proletarisch“ zu bezeichnende Frauenbewegung gab es dann nicht mehr – griff angesichts der Kriegserlebnisse vermehrt feministische Argumentationen auf und eine Auseinandersetzung mit der nach wie vor existierenden Klassengesellschaft in der Wei- marer Republik fand in ihr kaum noch statt. Die Angst vor „russischen Verhältnissen“ trieb die proletarische Frauenbewegung dazu, dem Sozialismus in seiner radikalen Form zu entsagen. Mit der deutschen Demokratie und dem Frauenwahlrecht waren große Ziele hinsichtlich der Gleich- berechtigung von Mann und Frau erreicht worden. Zu früh wandte sich die Sozialdemokratie 718 5 ZUSAMMENFASSUNG jedoch von ihren revolutionären Prinzipien ab und erachtete die „sozialistische Frauenemanzi- pationstheorie“ als in der neuen Staatsform überflüssig. So mangelhaft diese Theorie in Bezug auf viele sozialpsychologische und alltagstaugliche Aspekte war, warf es die Emanzipation der Frau doch um einiges zurück, dass man sich ihrer nun gänzlich entledigte und völlig in der bürger- lichen Gesellschaft aufging. Die sozialdemokratische Frauenbewegung begnügte sich mit dem „Spatz in der Hand“ und ließ die „Taube auf dem Dach“. Sie verabschiedete sich von ihren radi- kalen Zielvorstellungen einer revolutionären Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Sie verabschiedete sich auch von revolutionären Utopien, weil das praktisch Machbare zum Greifen nahe schien. Doch bezogen auf das Geschlechterverhältnis und gesellschaftliche Normen unter- lagen die Frauen auch weiterhin noch vielen Unterdrückungsmechanismen, gegen die sie sich nur zögerlich zur Wehr setzten. Teils resultierte der Mangel an Gegenwehr aus dem zuvor verinner- lichten sozialistischen Prinzip der Klassenharmonie, teils aus bürgerlichen Weiblichkeits- stereotypen und teils aus dem übermäßigen Vertrauen in die Strukturen der noch unreifen Demokratie. Die Frauen zu überzeugten Republikanerinnen zu erziehen, war elementar für den politischen Erfolg der SPD und für die Stabilität der jungen Republik, die von Anfang an von innen stark gefährdet war. Doch dachte man über diesen Etappensieg nicht hinaus und sah nicht die Gefahren. Die „neue“ Gleichheit und noch viel stärker die „Frauenwelt“, die im Prinzip nur eine feuilletonistische Beilage war und deren allgemeine Leserinnenschaft in dem Funktionärin- nenblatt „Die Genossin“ keine politisierende Ergänzung hatte, beide waren nicht darauf angelegt selbstbewusste Klassenkämpferinnen zu erziehen. Das Leitbild der „Klassenkämpferin“ wurde für die „neue“ „Gleichheit“ mit der demokratischen Integration überflüssig und war anscheinend als Ideal nie auch nur annähernd erreicht worden, denn sonst hätte der Protest in den Jahren des Ersten Weltkrieges gegenüber der revisionistischen Entwicklung der SPD und der Widerstand gegen den aufkommenden Nationalsozialismus viel stärker sein müssen. Selbst das Ideal des allgemein-gebildeten proletarischen „weiblichen Voll- menschen“ mit seinem Bild der proletarischen Frau, der, gleich allen Menschen, ein freier Zugang zu Bildung und Kultur ermöglicht wird und die diese in eigener Person und in ihrer Rolle als Mutter und Ehefrau in den Dienst der Sache stellt, enthält den entscheidenden Widerspruch, dass dieses Bildungsideal einerseits Voraussetzung für das Ideal der „Klassenkämpferin“ war, anderer- seits aber erst Ergebnis des Klassenkampfes sein konnte. Der Sozialismus brauchte bewusste Klassenkämpferinnen und die Frauen brauchten den Sozialismus, um aus ihrer Unterdrückung befreit zu werden, die nach der Emanzipationstheorie ihre Ursachen im kapitalistischen System 719 ZUSAMMENFASSUNG hatte. Deshalb wollte Zetkin auch nicht auf das hohe intellektuelle Niveau der „Gleichheit“ ver- zichten. Sie musste die Leserin in ihrer Bildung und ihrem Engagement heben. Zetkin entwarf 1896 folgendes Idealbild der „Klassenkämpferin“: „Das Sehnen verdichtet sich zu zielklaren Gedanken, die Wünsche werden zur That. Neueres, höheres Streben hebt diese Frauen über die Enge ihrer Existenzverhältnisse empor, weitet und vertieft ihren Pflichtkreis. Die Beziehungen in der Familie bekommen einen neuen, reichen Inhalt. Die fleißig sorgende Hausfrau wandelt Hand in Hand mit dem Gatten im grüngoldigen Reiche der Ideale, sie kämpft an seiner Seite für die Ziele, denen ihre Herzen gemeinsam entgegenschlagen. Die liebevoll betreuende Mutter legt die neuen Menschheits- hoffnungen in die Seelen ihrer Kleinen, sie erzieht sie zu Zukunftskämpfern. Mächtig regt sich der Bildungsdrang. Nachtstunden werden geopfert, um lesend zu lernen, und was gelernt worden, es drängt sich im Gespräch, im Verkehr mit Nach- barn und Freundinnen lehrend über die Lippen. Jede Gelegenheit, der Sache der Arbeit zu dienen, wird gesucht, genützt. Neben den Aufgaben für die Familie finden die Pflichten gegen die Klasse ihr Recht. Heute geht es treppauf, treppab, um für Streikende zu sammeln, morgen werden Lässige an die bevorstehende Versammlung gemahnt, dann wieder gilt es, dort für den Sozialismus zu zeugen, mit den Kampfesgenossinnen und Genossen neue Pläne zu berathen, alte in die That umzusetzen. Thun reiht sich an Thun, kein Opfer erscheint zu schwer, keine Mühe schreckt. So leben und wirken heutzutage viele Hunderte proletarischer Frauen, deren Namen nie in weitere Kreise dringen. So lebten und wirkten die heimgegangenen Genossinnen unter den Erstgewordenen, welche Stein um Stein für den Bau einer sonnigen Zukunft zusammentragen.“9 Es ist dies ein Beispiel für den deutlich idealisierenden Blick Zetkins auf die Frauen, in späteren Artikeln spiegelte sich eine realistischere Einschätzung des Alltags und der Lebenswirklichkeit der Proletarierinnen wider. Das Wesentliche aber war auch hier, dass sie ihren Leserinnen immer zutraute, es besser zu können. Auch aus diesem Grund war es ein fundamentales Prinzip des Bildungsauftrags der „Gleichheit“, die proletarischen Frauen aus der Geschichte lernen zu lassen und den Grundstein für ihr Geschichtsbewusstsein zu legen. Er ist Voraussetzung für politisches Bewusstsein und damit für politisches Handeln und gesellschaftliche Veränderung. Doch auch wenn sich diese Frauen einer politischen Sache bis zur „Selbstaufopferung“ und „Selbstauflösung“ „hingaben“, darf von der Geschichtswissenschaft nicht versäumt werden, nach diesem „Selbst“ zu suchen, nach den Spuren der Befreiung, die in diesen Entwürfen weiblicher Identität auffindbar sind. Die frauenbio- graphischen und frauengeschichtlichen Inhalte der „Gleichheit“ belegen, dass jede Art von sozialkritischem Engagement ein Beitrag zum Sozialismus und jede mutige Frau ein Sandkorn im Getriebe einer ungerechten und bis heute nicht repressionsfreien Gesellschaft sein kann. 9 Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 189. 720 6 Literatur 6.1 Fachliteratur 6.1.1 Aufsätze, Sammelwerke, Quellensammlungen und Monographien Abendroth, Wolfgang: Einführung in die Geschichte der Arbeiterbewegung. Bd. 1: Von den Anfängen bis 1933. Heilbronn: Distel, 1985. Adler, Victor: Briefwechsel mit August Bebel und Karl Kautsky sowie Briefe von und an Ignaz Auer, Eduard Bernstein, Adolf Braun, Heinrich Dietz, Friedrich Ebert, Wilhelm Liebknecht, Hermann Müller und Paul Singer. Gesammelt und erläutert von Friedrich Adler. Hrsg. vom Parteivorstand der Sozialis- tischen Partei Österreichs. Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung, 1954. Adorno, Theodor W.: Ohne Leitbild. In: Ders.: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica, 4. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1970, S. 7-19. Albrecht, Willy / Boll, Friedhelm / Bouvier, Beatrix W. / Leuschen-Seppel, Rosemarie / Schneider, Michael: Frauenfrage und deutsche Sozialdemokratie vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn der zwanziger Jahre. In: Archiv für Sozialgeschichte, Jg. 19 (1979), S. 459-510. (ebenfalls erschienen in: Die Frau in der Arbeiterbewegung 1900-1939, Bd. 1, S. 107-181). Allendorf, Marlis: Die Frau im Sozialismus. Bild- und Textdokumentation. Leipzig: Edition Leipzig, 1975. Andresen, Sünne: Knorrig wie eine Eiche. Revolutionäre Kämpfer und Revolutionstheorie. In: Geschlechter- verhältnisse und Frauenpolitik, S. 144-159. Arbeiterbewegung und Frauenemanzipation 1889-1933. Hrsg. vom Institut für Marxistische Studien und Forschungen. Frankfurt am Main: Verlag Marxistische Blätter, 1973. Arendt, Hans-Jürgen / Baller, Kurt / Freigang, Werner / Kirchner, Jürgen / Müller, Joachim / Scholze, Siegfried / Staude, Fritz: Zur Rolle der Frau in der Geschichte des deutschen Volkes (1830 bis 1945) – eine Chronik. Frankfurt am Main: Verlag Marxistische Blätter, 1984. Arendt, Hans-Jürgen: Frauenpolitik und Frauenbewegung in Deutschland 1917 bis 1945 im Spiegel nicht- marxistischer Geschichtsschreibung der 70er Jahre. In: Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“, 1981, S. 42-62. Aufgeweckt. Frauenalltag in vier Jahrhunderten. Ein Lesebuch. Hrsg. von der Frauen-Geschichtsgruppe des Stadtteilarchivs Ottensen e.V., Hamburg: Ergebnisse-Verlag, 1988. Bajohr, Stefan: Sexualaufklärung im proletarischen Milieu. Geschlechtskrankheiten und staatliche Eheberatung 1900 bis 1933. In: Pasteur/Niederacher/Mesner, Sexualität, Unterschichtenmilieus und ArbeiterInnen- bewegung, S. 59-69. Bardenheuer, Rita: „Woher und wohin?“ – Geschichtliches und Grundsätzliches aus der Frauenbewegung. Leipzig: Verlag Naturwissenschaften, 1918. Baum, Edda: Clara Zetkins Werk „Die Gleichheit“. In: IPK, Jg. 7 (1927), Nr. 67, 01.07.1927, S. 1423. Beavan, Doris / Faber, Brigitte: „Wir wollen unser Teil fordern ...“ – Interessenvertretung und Organisations- formen der bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich. Köln: Pahl- Rugenstein, 1987. Bebel, August: Die Frau und der Sozialismus. Erw. Nachdruck der 50. Aufl., Stuttgart: Dietz 1909. Berlin: Dietz, 1996. Bebel, August: Über die gegenwärtige und künftige Stellung der Frau. Im Anhang von: Ders.: Glossen zu Yves 721 LITERATUR Guyot‘s und Sigismond Lacroix‘s „Die wahre Gestalt des Christentums“. Leipzig 1878, S. 29-44. In: Bebel, August: Ausgewählte Reden und Schriften. Bd. 10/2. München, New Providence, London, Paris: Saur, 1996, S. 692-704. Beckmann, Emmy: Quellen zur Geschichte der Frauenbewegung. Frankfurt am Main: Diesterweg, 1955. Behrend, Hanna / Neubert-Köpsel, Isolde / Lieske, Stefan: Rückblick aus dem Jahr 2000 – Was haben Gesell- schaftsutopien uns gebracht? Berlin: trafo, 1997. Beier, Rosmarie: „Mechanisch greifen die Hände ...“ – Arbeit und Erfahrung von Frauen in der Industrie. In: Ruppert, Die Arbeiter, S. 215-223. Bertlein, Hermann. Jugendleben und soziales Bildungsschicksal - Reifungsstil und Bildungserfahrung werk- tätiger Jugendlicher 1860-1910. Hannover: Schroedel, 1966. Bessel, Richard: „Eine nicht allzu große Beunruhigung des Arbeitsmarktes“. Frauenarbeit und Demobil- machung in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. In: Geschichte und Gesellschaft, Jg. 9 (1983), S. 211-229. Bieber, Hans-Joachim: Gewerkschaften in Krieg und Revolution. Arbeiterbewegung, Industrie, Staat und Militär in Deutschland 1914-1920. 2 Bde. Hamburg: Christians, 1981. Bittermann-Wille, Christa / Hofmann-Weinberger, Helga: Von der Zeitschrift „Dokumente der Frauen“ zur Dokumentation von Frauenzeitschriften. In: m&z, Jg. 15 (2000), Nr. 2, S. 52-62. Blos, Anna (Hrsg.): Die Frauenfrage im Lichte des Sozialismus. Dresden: Kaden, 1930. Blos, Anna: Die Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands. In: Blos, Die Frauenfrage im Lichte des Sozialismus, S. 7-95. Bock, Gisela: Historische Frauenforschung: Fragestellungen und Perspektiven. In: Hausen, Frauen suchen ihre Geschichte, S. 24-63. Bock, Hans-Manfred: Geschichte des „linken Radikalismus“ in Deutschland. Ein Versuch. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1976. Bock, Petra: Die Zeitschrift „Die Frauen-Tribüne“ 1933 – Wahrnehmungen und Deutungen im Übergang zum Nationalsozialismus. In: Bock, Petra / Koblitz, Katja (Hrsg.): Neue Frauen zwischen den Zeiten. Berlin: Hentrich, 1995. S. 244-269. Boedecker, Elisabeth: Marksteine der deutschen Frauenbewegung von ihren Anfängen im 19. Jahrhundert bis zum Neuanfang nach 1945. 3. ergänzte Aufl., Hannover: Selbstverlag, 1973. Bölke, Gundula: Die Wandlung der Frauenemanzipationstheorie von Marx bis zur Rätebewegung. 3. Aufl., Hamburg: Association, 1975. Boll, Friedhelm: Die deutsche Sozialdemokratie und ihre Medien: wirtschaftliche Dynamik und rechtliche Formen, Bonn: Dietz, 2002. Borneman, Ernest (Hrsg.): Arbeiterbewegung und Feminismus. Berichte aus vierzehn Ländern. Frankfurt am Main, Berlin, Wien: Ullstein, 1982. Borneman, Ernest: Sozialistische und bürgerliche Frauenbewegung: ihre Wurzeln und ihre Spaltung. In: Die Frau in der Arbeiterbewegung 1900-1939, Bd. 1, S. 27-64. Borneman, Ernest: Vorwort des Herausgebers. In: Ders., Arbeiterbewegung und Feminismus, S. 7-42. Brandt, Gisela / Kootz, Johanna / Steppke, Gisela: Zur Frauenfrage im Kapitalismus. Frankfurt am Main: Suhr- kamp, 1973. 722 6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN Brandt, Willy (Hrsg.): Frauen heute. Eine Bestandsaufnahme ... . Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1981. Braun, Lily: Die Frauenfrage. Ihre geschichtlichen Entwicklung und ihre wirtschaftliche Seite. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1901. Berlin, Bonn: J. H. W. Dietz, 1979. Braunthal, Julius: Geschichte der Internationale. 3 Bde. 3. Aufl., Berlin, Bonn: Dietz Nachf., 1978. Brehmer, Ilse: Mütterlichkeit als Profession? In: Dies., Mütterlichkeit als Profession? Bd. 1, S. 1-11. Brehmer, Ilse (Hrsg.): Mütterlichkeit als Profession? Lebensläufe deutscher Pädagoginnen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Bd. 1. Pfaffenweiler: Centaurus, 1990. Brehmer, Ilse / Ehrich, Karin (Hrsg.): Mütterlichkeit als Profession? Lebensläufe deutscher Pädagoginnen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Bd. 2: Kurzbiographien. Pfaffenweiler: Centaurus, 1993. Bridenthal, Renate / Koonz, Claudia / Stuard, Susan (Hrsg.): Becoming Visible – Women in European History. 2. Aufl., Boston u. a.: Houghton Mifflin Company, 1987. Bridenthal, Renate: Beyond Kinder, Küche, Kirche. Weimar Women at Work. In: Central European History, Jg. 6 (1973), Nr. 2, S. 148-166. Brinker-Gabler, Gisela (Hrsg.): Deutsche Literatur von Frauen. 2 Bde. Bd. 2: 19. und 20. Jahrhundert. München: Beck, 1988. Brinker-Gabler, Gisela (Hrsg.): Frauen gegen den Krieg. Frankfurt am Main: Fischer, 1980. Brinker-Gabler, Gisela (Hrsg.): Frauenarbeit und Beruf. Frankfurt am Main: Fischer, 1979. Brosius, Bernhard: Strukturen der Geschichte. Eine Einführung in den historischen Materialismus. Köln: ISP, 2007. Burgard, Roswitha/ Karsten, Gaby: Die Märchenonkel der Frauenfrage: Friedrich Engels und August Bebel. 2. Aufl., Berlin: Sub Rosa Frauenpresse, 1981. Bussemer, Herrad-Ulrike: Bürgerliche und proletarische Frauenbewegung (1865-1914). In: Muttersein und Mutterideologie in der bürgerlichen Gesellschaft, S. 111-132. Ciupke, Paul / Derichs-Kunstmann, Karin (Hrsg.): Zwischen Emanzipation und „besonderer Kulturaufgabe der Frau“. Frauenbildung in der Geschichte der Erwachsenenbildung. Essen: Klartext, 2001. Clara-Zetkin-Kolloquien der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“ der Sektion Geschichte der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. Referate und Diskussionsbeiträge. Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“ (in chronologischer Reihenfolge). Erstes Clara-Zetkin-Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiter- klasse um die Befreiung der Frau“ (3.-4. Juli 1968). Viertes Clara-Zetkin-Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiter- klasse um die Befreiung der Frau“ (26. November 1974). [Fünftes] Clara-Zetkin-Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbei- terklasse um die Befreiung der Frau“ (30. November 1977). [Siebtes] Clara-Zetkin-Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbei- terklasse um die Befreiung der Frau“ (16. Mai 1985): Frauen im Kampf für den Frieden. Zum 75. Internationalen Frauentag. Manuskript. Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“, 1985. Craig, Gordon A.: Rolle der Frauen zwischen 1918 und 1930. In: Frauen – ein historisches Lesebuch. Hrsg. von 723 LITERATUR Andrea van Dülmen, 6. Auflage, München: Beck, 1995, S. 347-349. Dalhoff, Jutta / Frey, Uschi / Schöll, Ingrid (Hrsg.): Frauenmacht in der Geschichte. Beiträge des Historikerin- nentreffens 1985 zur Frauengeschichtsforschung. Düsseldorf: Schwann, 1986. Daniel, Ute: Arbeiterfrauen in der Kriegsgesellschaft. Beruf, Familie und Politik im Ersten Weltkrieg. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1989. Dertinger, Antje: Weiber und Gendarm. Vom Kampf staatsgefährdender Frauenspersonen um ihr Recht auf poli- tische Arbeit. Köln: Bund, 1981. Dickmann, Elisabeth / Friese, Marianne (Hrsg.): Arbeiterinnengeschichte im 19. Jahrhundert. Studien zum sozio-kulturellen Wandel und zum politischen Diskurs in den Frauenbewegungen in Deutschland, Eng- land, Italien und Österreich. Vorträge eines Workshops an der Universität Bremen 1993. Münster, Hamburg: Lit, 1994. Dokumente der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung zur Frauenfrage 1848-1974. Hrsg. von der For- schungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“ an der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. Leipzig: Verlag für die Frau, 1975. Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Reihe II, Bd. 1: Juli 1914 – Oktober 1917. Hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Berlin: Dietz, 1958. Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte. Hrsg. von Ernst Rudolf Huber. Bd. 1: Deutsche Verfassungs- dokumente 1803-1850. 3. neubearb. und verm. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: Kohlhammer, 1978. Dölle, Gilla / Hering, Sabine: Lila ist Trumpf. Eine Bildergeschichte zur deutschen Frauenbewegung. Münster: Westfälisches Dampfboot, 1997. Dowe, Dieter (Hrsg.): Programmatische Dokumente der deutschen Sozialdemokratie. 2., überarb. und aktual. Aufl., Bonn: Dietz, 1984. Drust, Heide (Hrsg.): Für unsere Kinder. Texte aus der Kinderbeilage der „Gleichheit“ 1905-1917. Berlin: Der Kinderbuchverlag, 1986. Drust, Heide: „Eine nie versiegende Quelle der Unterhaltung und der Belehrung“ – Die Beilagen der „Gleich- heit“. In: Ariadne, 1992, Nr. 22, S. 26-30. Eifert, Christiane: Wann kommt das „Fressen“, wann die „Moral“? Das „Kriegserlebnis“ der sozialdemokra- tischen Frauenbewegung. In: August 1914: Ein Volk zieht in den Krieg. Hrsg. von der Berliner Geschichtswerkstatt. Berlin: Nishen, 1989, S. 103-111. Eildermann, Wilhelm (Hrsg.): Unveröffentlichte Briefe Clara Zetkins an Heleen Ankersmit. In: BzG, Jg. 9 (1967), Nr. 4, S. 659-692. Elbogen, Ismar / Sterling, Eleonore: Die Geschichte der Juden in Deutschland. Frankfurt am Main: Athenäum, 1988. Engelmann, Bernt: Vorwärts und nicht vergessen. Vom verfolgten Geheimbund zur Kanzlerpartei: Wege und Irrwege der deutschen Sozialdemokratie. München: Bertelsmann, 1984. Erziehung und Bildung des weiblichen Geschlechts. Eine kommentierte Quellensammlung zur Bildungs- und Berufsbildungsgeschichte von Mädchen und Frauen. Hrsg. von Elke Kleinau und Christine Mayer. 2 Bde. Weinheim: Deutscher Studien Verlag, 1996. Evans, Richard J.: Sozialdemokratie und Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich. Berlin: Dietz, 1984. Feidel-Mertz, Hildegard (Hrsg.): Zur Geschichte der Arbeiterbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 1968. 724 6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN Fetscher, Irving: Der Marxismus. Seine Geschichte in Dokumenten. Philosophie, Ideologie, Ökonomie, Soziologie, Politik. 5. Aufl., München, Zürich: Piper, 1989. Flemming, Jens: „... von Jahr zu Jahr ein Sorgen und Bangen ohne Ende“ – Einkommen, Lohn, Lebens- standards. In: Ruppert, Die Arbeiter, S. 137-145. Flemming, Jens: „Sexuelle Krise“ und „Neue Ethik“. Wahrnehmungen, Debatten und Perspektiven in der deut- schen Gesellschaft der Jahrhundertwende. In: Liebe, Lust und Leid. Zur Gefühlskultur um 1900. Hrsg. von Helmut Scheuer und Michael Grisko. Kassel: University Press, 1999, S. 27-55. Fogel, Heidi / Ploch, Beatrice (Hrsg.): Der Wäscherinnenstreik 1897. Neu-Isenburger Arbeiterinnen begehren auf. Neu-Isenburg: Magistrat der Stadt Neu-Isenburg, Kultur- und Sportamt, 1997. Franzke, Astrid / Nagelschmidt, Ilse (Hrsg.): „Ich kann nicht gegen meine Überzeugung handeln“ – Clara Zetkin zum 150. Geburtstag. Leipzig: Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, 2008. Die Frau in der Arbeiterbewegung 1900-1939. Internationale Tagung der Historiker der Arbeiterbewegung (14. Linzer Konferenz 1978). 2 Bde. Wien: Europaverlag, 1980. Die Frau und die Gesellschaft. Hrsg. von der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiter- klasse um die Befreiung der Frau“ an der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. Leipzig: Verlag für die Frau, 1974. Frau und Geschichte. Ein Reader. Landau: Knecht, 1995. Frau und Gewerkschaft. Frankfurt am Main: Fischer, 1982. Frauen befreien sich. Bilder zur Geschichte der Frauenarbeit und Frauenbewegung. München: Frauen- buchverlag, 1976. Frauen in der Geschichte. 8 Bde. Bd. 1: Frauenrechte und die gesellschaftliche Arbeit der Frauen im Wandel. Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Studien zur Geschichte der Frauen. Hrsg. von Annette Kuhn und Gerhard Schneider. 2. Aufl., Düsseldorf: Schwann, 1982. Frauen in der Geschichte. 8 Bde. Bd. 3: Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Beiträge zur Geschichte der Weiblichkeit vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart mit geeigneten Materialien für den Unterricht. Hrsg. Von Annette Kuhn und Jörn Rüsen. Düsseldorf: Schwann-Bagel, 1983. Frauen und Sexualmoral. Hrsg. von Marielouise Janssen-Jurreit. Frankfurt am Main: Fischer, 1986. FrauenBilderLeseBuch. Hrsg. von Anna Thüne. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt, 1985. Frauenstimmen aus der Nationalversammlung. Beiträge der sozialdemokratischen Volksvertreterinnen zu den Zeitfragen. Berlin: Vorwärts, 1920. Frederiksen, Elke (Hrsg.): Die Frauenfrage in Deutschland 1865-1915. Texte und Dokumente. Stuttgart: Re- clam, 1994. Freier, Anna-Elisabeth: „Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären.“ – Der Antifeminismus der prole- tarischen Frauenbewegung im Spiegel der „Gleichheit“, 1891-1917. Frankfurt am Main: Haage und Herchen, 1981. Freier, Anna-Elisabeth: Dimensionen weiblichen Erlebens und Handelns innerhalb der proletarischen Frauen- bewegung. In: Frauen in der Geschichte, Bd. 3, S. 195-218. Freire, Paulo: Pädagogik der Unterdrückten – Bildung als Praxis der Freiheit, Hamburg: Rowohlt, 1993. Freudenthal, Margarete: Gestaltwandel der städtischen, bürgerlichen und proletarischen Hauswirtschaft zwi- 725 LITERATUR schen 1760 und 1910. Erstausgabe der Dissertation 1934. Frankfurt am Main: Ullstein, 1986. Frevert, Ute: „Frau und Arbeiter haben gemein, Unterdrückte zu sein.“ – Proletarische Frauenbewegung. In: Ruppert, Die Arbeiter, S. 435-451. Frevert, Ute: Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1986. Freyberg, Jutta von / Fülberth, Georg / Harrer, Jürgen / Hebel-Kunze, Bärbel / Hofschen, Heinz-Gerd / Ott, Erich / Stuby, Gerhard: Geschichte der deutschen Sozialdemokratie 1863 bis zur Gegenwart. Köln: Pahl-Rugenstein, 1989. Freytagh-Loringhoven, Axel Freiherr von: Die Weimarer Verfassung in Lehre und Wirklichkeit. München: J.F. Lehmann, 1924. Friedemann, Peter: Französische Revolution und deutsche sozialistische Arbeiterpresse 1918-1933. In: TAJB, Jg. 28 (1989), S. 233-248. Friedrich Engels‘ Briefwechsel mit Karl Kautsky. Zweite, durch die Briefe Karl Kautskys vervollständigte Ausgabe von „Aus der Frühzeit des Marxismus“. Hrsg. und bearb. von Benedikt Kautsky. Wien: Danubia, 1955. Friedrich, Cäcilia (Hrsg.): Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen. Berlin: Akademie, 1966. Friese, Marianne: Bildungskonzepte der Arbeiterinnenbewegung. In: Kleinau/Opitz, Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, Bd. 2, S. 230-247. Friese, Marianne: Frauenarbeit und soziale Reproduktion – Eine Strukturuntersuchung zur Herausbildung des weiblichen Proletariats im Übergangsprozeß zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft – dargestellt an der Region Bremen. Bremen: Universität, 1991. Friese, Marianne: Weibliches Proletariat im Bildungsprozeß der Moderne. Zur Rekonstruktion eines kritischen Bildungsbegriffs, dargestellt an der Bildungssituation von bremischen Mägden und proletarischen Töchtern im 19. Jahrhundert. In: Schlüter, Anne (Hrsg.): Bildungsmobilität, Studien zur Individuali- sierung von Arbeitertöchtern in der Moderne. Weinheim: Deutscher Studienverlag, 1993, S. 13-32. Führenberg, Dietlinde / Koch, Gisela / Redzepi, Josefa / Wurms, Renate (Hrsg.): Von Frauen für Frauen. Ein Handbuch zur politischen Frauenbildungsarbeit. Zürich, Dortmund: eFeF, 1992. Geiger, Ruth-Esther / Weigel, Sigrid (Hrsg.): Sind das noch Damen? Vom gelehrten Frauenzimmer-Journal zum feministischen Journalismus. München: Frauenbuchverlag, 1981. Geisel, Beatrix: Journalismus als Frauenberuf. Folge 3: Ein umfassendes Konzept fortschrittlicher Kultur- und Sozialpolitik. In: Die Feder, Jg. 38 (1989), Nr. 5, S. 33-40. Gerhard, Ute (Hrsg.): Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. München: Beck, 1997. Gerhard, Ute / Hannover-Drück, Elisabeth / Schmitter, Romina: „Dem Reich der Freiheit werb‘ ich Bürgerin- nen“ – Die Frauen-Zeitung von Louise Otto. Frankfurt am Main: Syndikat, 1980. Gerhard, Ute / Wischermann, Ulla: Liberalismus – Sozialismus – Feminismus. Zeitschriften der Frauenbewe- gung um die Jahrhundertwende. In: Brinker-Gabler, Deutsche Literatur von Frauen, Bd. 2, S. 268-284. Gerhard, Ute: Frauenwahlrecht in Deutschland. Bedeutung, Meinungen und Folgen. In: Schaeffer-Hegel, Vater Staat und seine Frauen, Bd. 1, S. 21-28. Gerhard, Ute: Grenzziehungen und Überschreitungen. Die Rechte der Frauen auf dem Weg in die politische Öffentlichkeit. In: Dies., Frauen in der Geschichte des Rechts, S. 509-546. 726 6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN Gerhard, Ute: Über die Anfänge der deutschen Frauenbewegung um 1848. Frauenpresse, Frauenpolitik und Frauenvereine. In: Hausen, Frauen suchen ihre Geschichte, S. 200-224. Gerhard, Ute: Unerhört – Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Hamburg: Rowohlt, 1996. Geschlechterverhältnisse und Frauenpolitik. Hrsg. von Projekt Feministischer Sozialismus. Berlin: Argument- Verlag 1984. Gieschler, Sabine: Konzeptionelle Ansätze proletarischer Frauenbildung als besondere Form der Arbeiter- bildung. In: Olbrich, Arbeiterbildung nach dem Fall des Sozialistengesetzes, S. 283-295. Gieseke, Wiltrud: Geschlechterverhältnis und Weiterbildung. In: Dies. (Hrsg.): Erwachsenenbildung als Frauen- bildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 1995, S. 9-44. Gomard, Kirsten: Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit untersucht anhand der Beiträge zum Thema Aufrüstung, Krieg und Pazifismus, 1892-1917. In: Die Verantwortung der Lite- ratur in ihrer Zeit. Ausgewählte Beiträge vom VI. gemeinsamen Kolloquium von Literaturwissen- schaftlern der Universität Aarhus und der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. 31. Mai bis 2. Juni 1983 in Greifswald, Greifswalder Germanistische Forschungen, 6, 1985, S. 65-72. Gomard, Kirsten: Die Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität und Utopie. In: Utopie und Realität im Funktionsverständnis von Literatur (Französische Revolution – Oktoberrevolution – Gegenwart). Aus- gewählte Beiträge vom VII. gemeinsamen Kolloquium von Literaturwissenschaftlern der Universität Aarhus und der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. 18. und 19. Mai 1987 in Greifswald. Greifswalder Germanistische Forschungen, 10, 1989, S. 40-45. Gomard, Kirsten: Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“. Angebot einer alternativen Frauen- identität? In: Augias, Bd. 28 (1988), S. 25-42. Götze, Ruth: Der Beitrag der „Gleichheit“ zur Entwicklung des Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. 1976, Nr. 3, S. 60-65. Graf, Angela: J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie. Bonn: Dietz, 1998. Electronic edition: http://library.fes.de/fulltext/bibliothek/00146toc.htm (letzter Seitenbesuch: 07.12.2008). Grebing, Helga: Der Revisionismus. Von Bernstein bis zum „Prager Frühling“. München: Beck, 1977. Grebing, Helga: Frauen in der deutschen Revolution 1918/19. Heidelberg: Stiftung Reichspräsident-Friedrich- Ebert-Gedenkstätte, 1994. Grebing, Helga: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. 8. Aufl., München: dtv, 1977. Grossmann, Atina / Meyer-Renschhausen, Elisabeth: Frauen und Arbeiterbewegung in Deutschland, 1914-1938. In: Borneman, Arbeiterbewegung und Feminismus, S. 54-61. Grossmann, Atina / Meyer-Renschhausen, Elisabeth: Frauen und Arbeiterbewegung. In: Die Frau in der Ar- beiterbewegung 1900-1939, Bd. 1, S. 250-260. Grubitzsch, Helga: „Ein steiniger Weg“. Politische Arbeit von Frauen. In: Jelpke, Ulla (Hrsg.): Das höchste Glück auf Erden. Frauen in linken Organisationen. Hamburg: Buntbuch, 1981, S. 11-40. Grubitzsch, Helga: Mutterschaft und Mutterideologie in der Geschichte der Frauenbewegung. In: Muttersein und Mutterideologie in der bürgerlichen Gesellschaft, S. 49-77. Grunewald, Michael (Hrsg.): Das linke Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1890-1960). Bern, Berlin, Brüssel, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien: Lang, 2002. 727 LITERATUR Gudelius, Bärbel: Proletarische Lebenserfahrungen und sozialistische Frauenbewegung. In: Frauen in der Geschichte, Bd. 1, S. 169-206. Guttmann, Barbara: Weibliche Heimarmee. Frauen in Deutschland 1914-1918. Weinheim: Deutscher Studien Verlag, 1989. Haacke, Wilmont: Die politische Zeitschrift. 2 Bde. Bd. 1: 1665-1965. Stuttgart: K.F. Koehler, 1968. Bd. 2: 1900-1980 (zusammen mit Günter Pötter). Stuttgart: K.F. Koehler, 1982. Haacke, Wilmont: Die Zeitschrift. Schrift der Zeit. Essen: Stamm, 1961. Haarmann, Elisabeth: Schwestern zur Sonne zur Gleichheit. Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung. Hamburg: Ergebnisse, 1985. Haas, Inka: Gebärstreik. Frauen gegen den staatlich verordneten Muttermythos. Frankfurt am Main: dipa, 1998. Hagemann, Karen / Kolossa, Jan: Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten? Der Frauenkampf für „staatsbürgerliche“ Gleichberechtigung. Ein Bilder-Lese-Buch zu Frauenalltag und Frauenbewegung in Hamburg. Ham- burg: VSA, 1990. Hagemann, Karen: Frauenalltag und Männerpolitik. Alltagsleben und gesellschaftliches Handeln von Arbeiter- frauen in der Weimarer Republik. Bonn: Dietz, 1990. Hagemann, Walter: Die Zeitung als Organismus. Ein Leitfaden. Heidelberg: Kurt Vowinckel, 1950. Hamm-Brücher, Hildegard: Seit 70 Jahren Abschied vom Männerwahlrecht. 1918 und die Folgen für Frauen in der Politik in Deutschland. In: Schaeffer-Hegel, Vater Staat und seine Frauen, S. 33-49. Hart und zart. Frauenleben 1920-1970. Berlin: Elefanten Press, 1990. Hausen, Karin (Hrsg.): Frauen suchen ihre Geschichte. Historische Studien zum 19. und 20. Jahrhundert. 2., durchgesehene Aufl., München: Beck, 1987. Hausen, Karin: Einleitung. In: Hausen, Frauen suchen ihre Geschichte, S. 9-23. Hauser, Oswald (Hrsg.): Geschichte und Geschichtsbewußtsein. 19 Vorträge für die Ranke-Gesellschaft, Vereinigung für Geschichte im Öffentlichen Leben. Göttingen, Zürich: Muster-Schmidt, 1981. Heid, Ludger / Schoeps, Julius H.: Juden in Deutschland. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Ein Lesebuch. München, Zürich: Piper, 1994. Heinemann, Rebecca: Familie zwischen Tradition und Emanzipation. Katholische und sozialdemokratische Familienkonzeptionen in der Weimarer Republik. München: Oldenbourg, 2004. Hering, Sabine / Wenzel, Cornelia: Frauen riefen, aber man hörte sie nicht. Die Rolle der deutschen Frauen in der internationalen Frauenfriedensbewegung zwischen 1892 und 1933. 2 Bde. Kassel: Archiv der deut - schen Frauenbewegung, 1986. Hering, Sabine: „Damit ist die Angelegenheit wohl erledigt“ – Anmerkungen zum „Kurswechsel“ der „Gleich- heit“ 1917. In: Ariadne, 1992, Nr. 22, S. 44-46. Herrmann, Ursula: Frauen und Sozialdemokratie 1871 bis 1910 – Zum Ringen der deutschen Sozialdemokratie und der II. Internationale um Frauenemanzipation. In: BzG, Jg. 41 (1999), Nr. 2, S. 60-71. Hertz, Deborah: Die jüdischen Salons im alten Berlin. Frankfurt am Main: Hain, 1991. Hervé, Florence (Hrsg.): Brot und Rosen. Geschichte und Perspektive der demokratischen Frauenbewegung. Frankfurt am Main: Marxistische Blätter, 1979. 728 6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN Hervé, Florence (Hrsg.): Frauenbewegung und revolutionäre Arbeiterbewegung. Texte zur Frauenemanzipation in Deutschland und in der BRD von 1848 bis 1980. Frankfurt am Main: Marxistische Blätter, 1981. Hervé, Florence (Hrsg.): Geschichte der deutschen Frauenbewegung. 7. verb. und überarb. Aufl., Köln: Papy- Rossa, 2001. Hervé, Florence: „Massen heraus – Frauen heraus!“ – Frauen in der Novemberrevolution. In: FrauenBilderLese- Buch, S. 111-117. Hervé, Florence: Die Rolle Clara Zetkins und der „Gleichheit“ in der internationalen sozialistischen Bewegung bei der Erarbeitung, Verbreitung und Durchsetzung marxistischer Positionen in der Frauenfrage. In: Die Frau in der Arbeiterbewegung 1900-1939, Bd. 1, S. 182-187. Heyden, Günter: Die Rolle der Bewußtheit in der sozialistischen Gesellschaft und bei der Formung des sozialis- tischen Menschen. In: BzG, Jg. 11 (1969), Sonderheft, S. 41-46. Hickethier, Knut: Karikatur, Allegorie und Bilderfolge – zur Bildpublizistik im Dienste der Arbeiterbewegung. In: Rüden, Beiträge zur Kulturgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 79-165. Holland-Cunz, Barbara: Die alte neue Frauenfrage. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003. Honnen, Ulrike: Vom Frauenwahlrecht zur Quotierung. 125 Jahre Kampf um die Gleichberechtigung in der SPD. Münster, New York: Waxmann, 1988. Huber-Sperl, Rita (Hrsg.): Organisiert & engagiert. Vereinskultur bürgerlicher Frauen im 19. Jahrhundert in Westeuropa und den USA. Königstein/Taunus: Helmer, 2002. Humbert-Droz, Jules: Der Krieg und die Internationale. Die Konferenzen von Zimmerwald u. Kienthal. Wien, Köln, Stuttgart, Zürich: Europa, 1964. Ihrer, Emma: Die Arbeiterinnen im Klassenkampf. Anfänge der Arbeiterinnen-Bewegung, ihr Gegensatz zur bürgerlichen Frauenbewegung und ihre nächsten Aufgaben. Hamburg: Verlag der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, 1898. Ihrer, Emma: Die Organisation der Arbeiterinnen Deutschlands, ihre Entstehung und Entwicklung. Berlin: Selbstverlag, 1893. Der internationale Frauentag. Hrsg. von der Parlamentarischen Staatssekretärin für die Gleichstellung von Frau und Mann. Düsseldorf 1991. Jardon, Cornelia: Die Frau und Bebels Utopien. Minden i. Westf.: J.C.C. Bruns, 1892. Joeres, Ruth Ellen B. / Manes, Mary Jo (Hrsg.): German Women in the Eighteenth and Ninteenth Centuries. A social and literary History. Bloomington: Indiana University Press, 1986. Joos, Joseph: Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland. M.Gladbach: Volksvereins-Verlag, 1912. Karstedt, Susanne: Die Gleichheit – eine „one-woman show“. In: Ariadne, 1992, Nr. 22, S. 14-21. Katzenstein, Simon: Kritische Bemerkungen zu Bebels Buch: „Die Frau und der Sozialismus“. In: Neue Zeit. Jg. 15 (1896/97), Bd. 1, Nr. 10, S. 193-303. Kerchner, Brigitte: Beruf und Geschlecht – Berufsverbände in Deutschland 1848-1908. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1992. Ketelhut, Barbara / Kohne, Christiane / Kreutz, Maren / Niehoff, Erika: Die Familie als Brutstätte der Revolu- tion. Familienpolitik der Arbeiterbewegung. In: Geschlechterverhältnisse und Frauenpolitik, S. 113- 729 LITERATUR 130. Kettig, Alma: Zur proletarischen Frauenbewegung. In: Hervé, Brot und Rosen, S. 59-68. Key, Ellen: Die Frauenbewegung. Frankfurt am Main: Rütten & Loening, 1909. Nachdruck Frankfurt am Main: Keip, o. J. Kinnebrock, Susanne: „Gerechtigkeit erhöht ein Volk!?“ – Die erste deutsche Frauenbewegung, ihre Sprach- rohre und die Stimmrechtsfrage. In: JbKG. Jg. 1 (1999), S. 135-172. Klausmann, Christina: Bürgerliche und proletarische Frauenbewegung in Frankfurt am Main und Umgebung. In: Fogel/Ploch, Der Wäscherinnenstreik 1897, S. 26-44. Klausmann, Christina: Politik und Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich. Das Beispiel Frankfurt am Main. Frankfurt am Main, New York: Campus: 1997. Kleinau, Elke / Opitz, Claudia (Hrsg.): Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Bd. 2: Vom Vormärz bis zur Gegenwart. Frankfurt am Main, New York: Campus, 1996. Kleinau, Elke: Über den Einfluß bürgerlicher Vorstellungen von Beruf, Ehe und Familie auf die sozialistische Frauenbewegung. In: Brehmer, Ilse / Jacobi-Dittrich, Juliane / Kleinau, Elke / Kuhn, Annette (Hrsg.): „Wissen heißt Leben ...“: Beiträge zur Bildungsgeschichte von Frauen im 18. und 19. Jahrhundert. Düsseldorf: Schwann, 1983, S. 145-170. Kliche, Helene: Die Frau und der Sozialismus. Deutschnationale Flugschrift Nr. 28, Berlin: Deutschnationale Schriftenvertriebsstelle, 1919. Klucsarits, Richard / Kürbisch, Friedrich G. (Hrsg.): Arbeiterinnen kämpfen um ihr Recht – Autobiographische Texte zum Kampf rechtloser und entrechteter „Frauenspersonen“ in Deutschland, Österreich und der Schweiz des 19. und 20. Jahrhunderts. 2. Aufl., Wuppertal: Hammer, 1981. Knapp, Ulla: Frauenarbeit in Deutschland. Bd. 2: Hausarbeit und geschlechtsspezifischer Arbeitsmarkt im deut- schen Industrialisierungsprozess. Frauenpolitik und proletarischer Frauenalltag zwischen 1800 und 1933. 2., unveränd. Aufl., München: Minerva Publikation, 1986. Knoblich, Susanne: Frauenstreiks – Eine Einführung. In: Fogel/Ploch, Der Wäscherinnenstreik 1897, S. 8-25. Koch, Arthur: Die Verwirklichung sozialistischer Kindererziehung mit Hilfe der ersten deutschen proletarischen Kinderzeitschrift „Für unsere Kinder“ (1905-1917). In: Jahrbuch für Erziehungs- und Schulgeschichte, Jg. 7 (1967), S. 49-131. Koepcke, Cordula: Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Freiburg, Basel, Wien 1979. Koerber, Lenka von: Clara Zetkin – Kämpferin für die Rechte der Frauen. (darin: Die „Gleichheit“: ein unvergängliches Denkmal Clara Zetkins). In: Leipziger Volkszeitung, Nr. 140 (20.04.1953), S. 3. Koller, Christian: Subversive Ornithologen. Die Internationale Sozialistische Konferenz von Zimmerwald von 1915. In: Rote Revue, Jg. 83 (2005), Nr. 2, S. 35-38. Kolloquien der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“ der Sektion Geschichte der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. Referate und Diskussionsbeiträge. Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“ (in chronologischer Reihen- folge). Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“ (27. Januar 1981). Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“, 1982. Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“ (27. Mai 1982). Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“, 1982. 730 6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“ (24. Januar 1983): Zur Frauenpolitik des faschistischen deutschen Imperialismus 1933-1939. Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“, 1983. Zweites Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“ zur Frauenpolitik des faschistischen deutschen Imperialismus (6. März 1984): Fa- schistische Frauenkonzentrationslager 1933-1939. Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“, 1984. Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Be- freiung der Frau“ (6. November 1986): 40 Jahre IDDF – Zu ihrer Entstehungsgeschichte und ihrem Wirken. Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“, 1986. Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Be- freiung der Frau“ (27. September 1988): Die Novemberrevolution 1918/19 und die Frauen. Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“, 1988. Kossok, Manfred: In Tyrannos: Revolutionen der Weltgeschichte. Von den Hussiten bis zur Commune. Leipzig: Edition Leipzig, 1989. Koszyk, Kurt: Deutsche Presse. 1914-1945. Geschichte der deutschen Presse Teil III. Berlin: Quelle & Meyer, 1972. Koszyk, Kurt: Zwischen Kaiserreich und Diktatur. Die sozialdemokratische Presse 1914 bis 1933. Heidelberg: Quelle & Meyer, 1958. Krauth, Ulrike: Die Mutter als Erzieherin. Kindererziehung in der Zeitschrift „Die Gleichheit“ (1905 bis 1913). In: ergebnisse, 1981, Nr. 15, S. 15-91. Krechel, Ursula: Selbsterfahrung und Fremdbestimmung. Bericht aus der Neuen Frauenbewegung. 4. Aufl., Darmstadt, Neuwied: Luchterhand, 1980. Kröger, Marianne: Nachwort. In: Federn, Revolutionär auf ihre Art, S. 83-99. Kuczynski, Jürgen: Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und die deutsche Sozialdemokratie. Chronik und Analyse. Berlin: Akademie, 1957. Kuczynski, Jürgen: Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin in Deutschland von 1700 bis zur Gegenwart. Berlin: Akademie, 1963 (= Bd. 18 von: Kuczynski, Jürgen: Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus. Teil 1: Die Geschichte der Lage der Arbeiter in Deutschland von 1789 bis zur Gegenwart). Kühn, Leonore: Frauenzeitschriften. In: Süddeutsche Monatshefte, Jg. 22 (1924), Nr. 2, S. 29-43. Kuhnhenne, Michaela: Frauenleitbilder und Bildung in der westdeutschen Nachkriegszeit. Analyse am Beispiel der Region Bremen. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 2005. Kunstmann, Antje: Frauenbefreiung – Privileg einer Klasse? Starnberg: Raith, 1971. Kunstmann, Antje: Frauenemanzipation und Erziehung. 4. Aufl., München: Weismann Verlag Frauenbuch- verlag, 1977. Lerch, Edith: Kulturelle Sozialisation von Arbeitern im Kaiserreich. Ein Beitrag zur Historischen Sozia- lisationsforschung. Frankfurt am Main, Bern, New York: Lang, 1985. Ley, Conrad Albrecht: A. Bebel und sein Evangelium. Sozialpolitische Skizze. Düsseldorf: L. Schwannsche Verlagsbuchhandlung, 1885. 731 LITERATUR Ley, Ulrike: Einerseits und Andererseits, das Dilemma liberaler Frauenrechtlerinnen in der Politik. Zu den Bedingungen politischer Partizipation von Frauen im Kaiserreich. Pfaffenweiler: Centaurus, 1999. Lion, Hilde: Die allgemeinen Frauenzeitschriften in Deutschland. In: Wolff, Emmy (Hrsg.): Frauengenerationen in Bildern. Berlin: F.A. Herbig, 1928, S. 108-115. Lipp, Carola: Frauen und Öffentlichkeit. Möglichkeiten und Grenzen politischer Partizipation im Vormärz und in der Revolution 1848/1849. In: Dies. (Hrsg.): Schimpfende Weiber und patriotische Jungfrauen. Frauen im Vormärz und in der Revolution 1848/49. Moos, Baden-Baden: Elster, 1986, S. 270-307. Lipp, Carola: Sexualität und Heirat. In: Ruppert, Die Arbeiter, S. 186-197. Longerich, Peter (Hrsg.): Die erste Republik. Dokumente zur Geschichte des Weimarer Staates. München: Piper, 1992. Löwenherz, Johanna: Wird die Sozialdemokratie den Frauen Wort halten? Sonderdruck aus der Studie „Prosti - tution oder Produktion, Eigentum oder Ehe“, Neuwied: Selbstverlag, 1895. Luckhardt, Ute: Die Frau als Fremde. Frauenbilder um die Jahrhundertwende. In: TAJB, Bd. 21 (1992), S. 99- 126. Lusk, Irene / Dietz, Gabriele (Hrsg.): Die wilden Zwanziger. 2. Aufl., Berlin: Elefanten-Press, 1986. Mahaim, Annik / Holt, Alix / Heinen, Jaqueline: Frauen und Arbeiterbewegung. Frankfurt am Main: isp-Verlag, 1984. Mahaim, Annik: Die Frauen und die deutsche Sozialdemokratie. In: Mahaim/Holt/Heinen, Frauen und Arbeiter- bewegung, S. 15-85. Mai, Manfred: Deutsche Geschichte. Erw. Neuausgabe. Weinheim, Basel: Beltz und Gelberg, 2003. Mann, Golo: Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Frankfurt am Main: Fischer, 1997. Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. 3 Bde. Bd. 3: Der Gesamtprozeß der kapitalistischen Produktion. Berlin: Dietz, 1964. Mayring, Philipp: Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitativem Denken. 5., überarb. und neu ausgestattete Aufl., Weinheim, Basel: Beltz, 2002. Mayring, Philipp: Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 8. Aufl., Weinheim, Basel: Beltz, 2003. Meder, Stephan/ Duncker, Arne/ Czelk, Andrea (Hrsg.): Frauenrecht und Rechtsgeschichte. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2006. Menschik, Jutta (Hrsg.): Grundlagentexte zur Emanzipation der Frau. 2., verb. und erw. Aufl., Köln: Pahl- Rugenstein, 1977. Menschik, Jutta: Die bürgerliche Frauenbewegung. In: Hervé, Brot und Rosen, S. 53-56. Menschik, Jutta: Die proletarische Frauenbewegung. In: FrauenBilderLeseBuch, S. 94-101. Menschik, Jutta: Feminismus. Geschichte, Theorie, Praxis. 3. Aufl., Köln: Pahl-Rugenstein, 1985. Menschik, Jutta: Rolle und Situation von Frauen in der deutschen Sozialdemokratie 1900-1933. In: Die Frau in der Arbeiterbewegung 1900-1939, Bd. 1, S. 207-220. Merfeld, Mechthild: Die Emanzipation der Frau in der sozialistischen Theorie und Praxis. Reinbek bei Ham- burg: Rowohlt, 1972 732 6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN Meulenbelt, Anja: Feminismus und Sozialismus. Eine Einführung. Hamburg: Konkret Literatur Verlag, 1980. MEW. Karl Marx Friedrich Engels Werke. Hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Bd. 32. Berlin: Dietz, 1965. Miller, Susanne / Potthoff, Heinrich: Kleine Geschichte der SPD. 2 Bde. Bd. 1: Die Sozialdemokratie von den Anfängen bis 1945; Bd. 2: Die SPD vor und nach Godesberg. Bonn: Neue Gesellschaft, 1974. Miller, Susanne: Frauenfrage und sozialdemokratische Arbeiterbewegung. In: Die neue Gesellschaft. Jg. 127 (1980), S. 104-107. Mommsen, Wolfgang J.: Der Erste Weltkrieg. Anfang vom Ende des bürgerlichen Zeitalters. Frankfurt am Main: Fischer, 2004. Mühlberg, Dieter (Hrsg.): Proletariat. Kultur und Lebensweise im 19. Jahrhundert. Wien, Köln, Graz: Böhlaus Nachf. 1986. Müller, Helmut M.: Deutsche Geschichte in Schlaglichtern. 2. aktual. Aufl. Leipzig: Brockhaus, 2004. München – Stadt der Frauen. Kampf für Frieden und Gleichberechtigung 1800-1945. Ein Lesebuch. München: Piper, 1991. Münchow, Ursula: Neue Wirklichkeitssicht und politische Praxis. Sozialistische Literatur und Arbeiterinnen- bewegung. In: Brinker-Gabler, Deutsche Literatur von Frauen, BD. 2, S. 249-257. Muttersein und Mutterideologie in der bürgerlichen Gesellschaft. Frauenarbeitstreffen vom 18.-20. Januar 1980 in Bremen. Bremen: O.V., 1980. Nave-Herz, Rosemarie: Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland. Hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung. 4. völlig überarb. u. erw. Aufl., Hannover: Schlütersche Verlagsanstalt, 1993. Neitzel, Sönke: Blut und Eisen. Deutschland und der Erste Weltkrieg. Zürich: Pendo, 2003. Neitzel, Sönke: Kriegsausbruch. Deutschlands Weg in die Katastrophe 1900-1914. Zürich: Pendo, 2002. Nicolaides, Antje: Der Entfremdungsbegriff in der Marxschen Theorie und sein Bezug auf kleinbürgerliche und proletarische Frauenbewegungen um 1900. München, Ravensburg: Grin, 2001. Niggemann, Heinz (Hrsg.): Frauenemanzipation und Sozialdemokratie. Frankfurt am Main: Fischer, 1981. Niggemann, Heinz: Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus – Die sozialdemokratische Frauen- bewegung im Kaiserreich. Wuppertal: Hammer, 1981. Niggemann, Heinz: Grundkonzeptionen deutscher Sozialdemokratinnen im Kaiserreich. Ihre Stellung im Pro- zess der Flügelbildung der Partei und ihr Verhältnis zur bürgerlichen Frauenbewegung. In: Die Frau in der Arbeiterbewegung 1900-1939, Bd. 1, S. 188-196. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800-1866: Bürgerwelt und starker Staat. Broschierte Sonderausgabe. München: Beck, 1998. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866-1918. 2 Bde. Bd. 1: Arbeitswelt und Bürgergeist; Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie. Broschierte Sonderausgabe. München: Beck, 1998. Nolan, Molly: Proletarischer Anti-Feminismus. Dargestellt am Beispiel der SPD-Ortsgruppe Düsseldorf, 1890 bis 1914. In: Frauen und Wissenschaft. Beiträge zur Berliner Sommeruniversität für Frauen Juli 1976. Hrsg. von der Gruppe Berliner Dozentinnen. Berlin: Courage, 1977, S. 356-377. Ob die Weiber Menschen sind. Geschlechterdebatten um 1800. Hrsg. von Sigrid Lange. Leipzig: Reclam, 1992. 733 LITERATUR Ober, Patricia: Der Frauen neue Kleider. Das Reformkleid und die Konstruktion des neuen Frauenkörpers. Berlin: Schiller, 2005. Obermann, Karl: Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung nach der Revolution von 1848/49 zu Beginn der fünfziger Jahre. In: BzG, Jg. 3 (1961), Nr. 4, S. 842-869. Obschernitzki, Doris: „Der Frau ihre Arbeit!“. Lette-Verein. Zur Geschichte einer Berliner Institution 1866- 1986. Berlin: Edition Hentrich Berlin, 1987. Olbrich, Josef (Hrsg.): Arbeiterbildung in der Weimarer Zeit. Konzeption und Praxis. Braunschweig: Wester- mann, 1977. Olbrich, Josef (Hrsg.): Arbeiterbildung nach dem Fall des Sozialistengesetzes (1890-1914). Konzeption und Praxis. Braunschweig: Westermann, 1982. Pasteur, Paul / Niederacher, Sonja / Mesner, Maria (Hrsg.): Sexualität, Unterschichtenmilieus und Arbei- terInnenbewegung. (38. Linzer Konferenz der Internationalen Tagung der HistorikerInnen der Arbeiter- und anderer sozialer Bewegungen, 12.-15. September 2002). Leipzig: AVA, 2003. Peters, Dietlinde: Mütterlichkeit im Kaiserreich. Bielefeld: B. Kleine, 1984. Petersen, Klaus: Zensur in der Weimarer Republik. Stuttgart, Weimar: Metzler, 1995. Planert, Ute: Antifeminismus im Kaiserreich – Diskurs, soziale Formation und politische Mentalität. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1998. Planert, Ute: Zwischen Partizipation und Restriktion: Frauenemanzipation und nationales Paradigma von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg. In: Langewiesche, Dieter / Schmidt, Georg (Hrsg.): Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg. München: Oldenbourg, 2000, S. 387-428. Pook, Bärbel: Minnesänger der Frau am Kochtopf. Die Frauenfrage in der Sozialdemokratie des 19. Jahrhunderts. In: FrauenBilderLeseBuch, S. 102-107. Pörtner, Rudolf (Hrsg.): Alltag in der Weimarer Republik. Kindheit und Jugend in unruhiger Zeit. Veränderte Ausgabe. München: dtv, 1993. Potthoff, Heinrich / Miller, Susanne: Kleine Geschichte der SPD. 1848-2002. 8. aktual. und erw. Aufl., Bonn: J.H.W. Dietz Nachf., 2002. Prutz, Robert: Geschichte des deutschen Journalismus. Faksimiledruck nach der 1. Aufl., Hannover: C.F. Kius, 1845. Göttingen: Vandehoeck & Ruprecht, 1972. Pusch, Luise F.: Alle Menschen werden Schwestern. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990. Quataert, Jean H.: Feminist Tactics in German Social Democracy 1890-1914. A Dilemma. In: IWK, Jg. 13 (1977), Nr. 1, S. 49-65. Quellen zur Geschichte der Frauen. Bd. 3: Neuzeit. Hrsg. von Anne Conrad und Kerstin Michalik. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1999. Ressmann, Wolfgang: Strukturprobleme sozialdemokratischer Medienunternehmen. Eine organisationspoli- tische Analyse der SPD-Presseunternehmen von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wiesbaden: Deut- scher Universitäts-Verlag, 1991. Reutershan, Joan: Clara Zetkin und Brot und Rosen. Literaturpolitische Konflikte zwischen Partei und Frauen- bewegung in der deutschen Vorkriegssozialdemokratie. New York, Bern, Frankfurt am Main: Lang, 1985. 734 6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN Richebächer, Sabine: Lebenszusammenhang und Organisation: Ein Beitrag zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung 1890-1914. In: Die Frau in der Arbeiterbewegung 1900-1939, Bd. 1, S. 197-206. Richebächer, Sabine: Uns fehlt nur eine Kleinigkeit. Deutsche proletarische Frauenbewegung 1890-1914. Hamburg: Fischer, 1982. Ritter, Gerhard A. / Miller, Susanne (Hrsg.): Die Deutsche Revolution 1918-1919. Dokumente. 2., erheblich erw. und überarb. Ausg., Frankfurt am Main: Fischer, 1983. Rohrwasser, Michael: Saubere Mädel starke Genossen. Proletarische Massenliteratur? Frankfurt a. M.: Roter Stern, 1975. Rollka, Bodo: Die Belletristik in der Berliner Presse des 19. Jahrhunderts. Untersuchungen zur Sozialisations- funktion unterhaltender Beiträge in der Nachrichtenpresse. Berlin: Colloquium-Verlag, 1985. Rosenbaum, Heidi (Hrsg.): Familie und Gesellschaftsstruktur. Materialien zu den sozioökonomischen Bedin- gungen von Familienformen. Frankfurt am Main: Fischer, 1974. Rouette, Susanne: Sozialpolitik als Geschlechterpolitik. Die Regulierung der Frauenarbeit nach dem Ersten Weltkrieg. Frankfurt am Main, New York: Campus, 1993. Rüden, Peter von (Hrsg.): Beiträge zur Kulturgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung. 1848-1918. Frank- furt am Main, Wien, Zürich: Büchergilde Gutenberg, 1979. Rüden, Peter von / Koszyk, Kurt (Hrsg.): Dokumente und Materialien zur Kulturgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung. 1848-1918. Frankfurt am Main, Wien, Zürich: Büchergilde Gutenberg, 1979. Ruf, Katharine: Bildung hat (k)ein Geschlecht. Über erzogene und erziehende Frauen. Begleitbuch zur gleich- namigen Ausstellung der Universität Stuttgart, Abteilung für Pädagogik in Kooperation mit dem Katholischen Bildungswerk Stuttgart e.V. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien: Lang, 1998. Rühle, Otto: Illustrierte Kultur- und Sittengeschichte des Proletariats. Autorisierter Neudruck der Erstfassung 1930, Bd. 2, Frankfurt am Main: Verlag Neue Kritik, 1977. Ruppert, Wolfgang (Hrsg.): Die Arbeiter. Lebensformen, Alltag und Kultur von der Frühindustrialisierung bis zum „Wirtschaftswunder“. München: Beck, 1986. Ruppert, Wolfgang: Fotogeschichte der deutschen Sozialdemokratie. Berlin: Siedler, 1988. Sachse, Mirjam: „Arbeiterinnen pflegen keine Vestalinnen zu sein“. Ein Beitrag von Clara Zetkin aus dem Jahr 1896. In: JBzG, Jg. 2 (2003), Heft 1, S. 91-94. Sachse, Mirjam: „Clara Zetkins Märzentag“. In: JBzG, Jg. 3 (2004), Heft 1, S. 168-171. Sachse, Mirjam: ”Da wir nicht wählen können, so müssen wir um so mehr wühlen.” Die proletarische Frauen- zeitung ”Die Gleichheit” (1891 – 1923) als Beispiel weiblicher Teilhabe an Öffentlichkeit und Demokratie im deutschen Kaiserreich. In: Hertzfeldt, Hella / Schäfgen, Katrin (Hrsg): Demokratie als Idee und Wirklichkeit – Erstes Doktorandenseminar der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin: Karl Dietz, 2002, S. 40-52. Sachse, Mirjam: Entwicklung und Wandel linker Frauenleitbilder im Spiegel sozialdemokratischer und kom- munistischer Frauenzeitschriften. In: Elpers, Susanne / Meyer, Anne-Rose (Hrsg.): Zwischenkriegszeit. Frauenleben 1918-1939. Berlin: edition-ebersbach, 2004, S. 191-210. Sachse, Mirjam: Geschichte als Schwerpunkt politischer Frauenbildung in der proletarischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ (1891-1923). In: Franzke/Nagelschmidt, „Ich kann nicht gegen meine Überzeugung handeln“ – Clara Zetkin zum 150. Geburtstag, S. 71-84. 735 LITERATUR Saul, Klaus / Flemming, Jens / Stegmann, Dirk / Witt, Peter-Christian (Hrsg.): Arbeiterfamilien im Kaiserreich – Materialien zur Sozialgeschichte in Deutschland 1871-1914. Königstein/Taunus, Düsseldorf: Athe- näum, Droste, 1982. Schaeffer-Hegel, Barbara (Hrsg.): Vater Staat und seine Frauen. Bd. 1: Beiträge zur politischen Theorie, Pfaf- fenweiler: Centaurus, 1990. Scharrer, Manfred: Arbeiterbewegung im Obrigkeitsstaat. SPD und Gewerkschaft nach dem Sozialistengesetz. Berlin: Rotbuch, 1976. Schaser, Angelika: Frauenbewegung in Deutschland 1848-1933. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesell- schaft, 2006. Schenk, Herrad: Die feministische Herausforderung – 150 Jahre Frauenbewegung in Deutschland. München: Beck, 1980. Schenk, Herrad: Freie Liebe – wilde Ehe. Über die allmähliche Auflösung der Ehe durch die Liebe. München: Beck, 1987. Schiersmann, Christiane: Frauenbildung: Konzepte, Erfahrungen, Perspektiven. Weinheim, München: Juventa, 1992. Schildt, Axel: Die Republik von Weimar. Deutschland zwischen Kaiserreich und „Drittem Reich“ (1918-1933). Erfurt: Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, 1997. Schilk, Brigitta M.: Frauenleben in der Weimarer Republik: Ein Kapitel Frauengeschichte. Die Frauenbewegung und die Neuen Frauen. Tübingen: Verf., 1992. Schlüter, Anne (Hrsg.): Pionierinnen – Feministinnen – Karrierefrauen? Zur Geschichte des Frauenstudiums in Deutschland. Pfaffenweiler: Centaurus, 1992. Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich: Kritische Theorie und revolutionäre Praxis. Konzepte und Perspektiven marxistischer Erziehungs- und Bildungstheorie. Bochum: Germinal, 1988. Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich: Die Dialektik der gesellschaftlichen Praxis. Zur Genesis und Kernstruktur der Marxschen Theorie. Freiburg i. B, München: Alber, 1981. Schmit, Lydie: Die Frau in der Arbeiterbewegung 1900-1939. In: Die Frau in der Arbeiterbewegung 1900-1939, Bd. 1, S. 21-26 Schneider, Michael: Unterm Hakenkreuz. Arbeiter und Arbeiterbewegung 1933 bis 1939. Bonn: J. H. W. Dietz Nachf., 1999. Schöck-Quinteros, Eva / Dickmann, Elisabeth (Hrsg.): Barrieren und Karrieren. Die Anfänge des Frauen- studiums in Deutschland. Berlin: trafo, 2000. Schöler, Hermann: Die Irrthümer der Sozialdemokratie. Beleuchtet an der Hand von Bebels Buch „Die Frau und der Sozialismus.“ Der wirtschaftliche, geistige und sittliche Bankerott des sozialdemokratischen Zu- kunftsstaats. Linden-Hannover: Adolf Edel, 1895. Scholze, Siegfried: Der internationale Frauentag einst und heute. Geschichtlicher Abriss und weltweite Tradition vom Entstehen bis zur Gegenwart. Berlin: Trafo, 2001. Scholze, Siegfried: Zur proletarischen Frauenbewegung in den Weltkriegsjahren 1914 bis 1917. In: BzG, Jg. 15 (1973), Nr. 6, S. 986-998. Schulz, Heinrich: Die Mutter als Erzieherin. Kleine Beiträge zur Praxis der proletarischen Hauserziehung. Stuttgart: Dietz, 1907. 736 6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN Schulze, Hagen: Das Geschichtsbewußtsein der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. In: Hauser, Geschichte und Geschichtsbewußtsein, S. 180-192. Schwanitz, Dietrich: Bildung – Alles, was man wissen muß. München: Goldmann, 2002. Schwendter, Rolf: Zur Geschichte der Zukunft: Zukunftsforschung und Sozialismus. 2 Bde. Bd 1., Frankfurt am Main; Syndikat, 1982. Schwestern zur Sonne zur Gleichheit. Internationaler Frauentag. Hrsg. vom Bundesvorstand der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF), Bonn, [1986]. Schwierige Verhältnisse. Liebe und Sexualität in der Frauenliteratur um 1900. Hrsg. von Theresia Klugsberger, Christa Gürtler, Sigrid Schmid-Bortenschlager. Stuttgart: Hans-Dieter Heinz, 1992. Sneeringer, Julia: Winning Women’s Votes. Propaganda and Politics in Weimar Germany. Chapel Hill & London: University of North Carolina Press, 2002. Soden Eugenie, von: Die deutsche Frauenbewegung, ihre Vereine und ihre Presse. In: Das Frauenbuch. Eine all- gemeinverständliche Einführung in alle Gebiete des Frauenlebens der Gegenwart. Unter Mitwirkung einer Reihe bewährter, sachkundiger Frauen hrsg. von Eugenie von Soden. Bd. 3: Stellung und Auf- gaben der Frau im Recht und in der Gesellschaft. Stuttgart: Franckh‘sche Verlagshandlung, 1914, S. 195-224. Soden, Kristine von / Schmidt, Maruta (Hrsg.): Neue Frauen: Die zwanziger Jahre. BilderLeseBuch, Berlin: Elefanten Press, 1988. Soden, Kristine von: Frauen und Frauenbewegung in der Weimarer Republik. In: Die wilden Zwanziger, S. 111- 121. Soder, Martin: Hausarbeit und Stammtischsozialismus. Arbeiterfamilie und Alltag im Deutschen Kaiserreich. Gießen: Focus, 1980. Sommerhoff, Barbara: Frauenbewegung, Hamburg: Rowohlt, 1995. Sowerwine, Charles: The Socialist Women’s Movement from 1850 to 1940. In: Bridenthal/Koonz/Stuard, Becoming Visible, S. 399-426. Das Sozialistengesetz 1878-1890. Illustrierte Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse gegen das Ausnahmegesetz. Berlin: Dietz, 1980. Staude, Fritz: Die Rolle der „Gleichheit“ im Kampf Clara Zetkins für die Emanzipation der Frau. In: BzG, Jg. 16 (1974), Nr. 3, S. 427-445. Staude, Fritz: Rezension zu Heinz Niggemann: Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus. Die sozialdemokratische Frauenbewegung im Kaiserreich. In: Mitteilungsblatt der Forschungsgemein- schaft, 1982, Nr. 1, S. 51-52. Stein, Gerd (Hrsg.): Femme fatale – Vamp – Blaustrumpf. Sexualität und Herrschaft. Frankfurt am Main: Fischer 1985. Steinberg, Hans-Josef: Lesegewohnheiten deutscher Arbeiter. In: Rüden, Beiträge zur Kulturgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 263-280. Stoehr, Irene: „Organisierte Mütterlichkeit“. Zur Politik der deutschen Frauenbewegung um 1900. In: Hausen, Frauen suchen ihre Geschichte, S. 225-253. Stoehr, Irene: Neue Frau und Alte Bewegung? Zum Generationenkonflikt in der Frauenbewegung der Weimarer Republik. In: Dalhoff/Frey/Schöll, Frauenmacht in der Geschichte, S. 390-402. 737 LITERATUR Stoehr, Irene: Uferlos gemäßigt und begrenzt radikal. In: Taz, 08.03.1986, S. 14-15. Tenfelde, Klaus: Arbeiterfamilie und Geschlechterbeziehungen im Deutschen Kaiserreich. In: Geschichte und Gesellschaft, Jg. 18 (1992), Nr. 2, S. 179-203. Theweleit, Klaus: Männerphantasien. 2 Bde. Neuauflage, München: Piper, 2000. Thönnessen, Werner: Frauenemanzipation – Politik und Literatur der deutschen Sozialdemokratie zur Frauen- bewegung 1863-1933. Frankfurt am Main: Europäische Verlagsanstalt, 1969. Timoschenko, Tatjana: Die Verkäuferin im Wilhelminischen Kaiserreich. Etablierung und Aufwertungsversuche eines Frauenberufes um 1900. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Brüssel, New York, Oxford, Wien: Lang, 2005. Tornieporth, Gerda: Proletarische Frauenleben und bürgerlicher Weiblichkeitsmythos. In: Schaeffer-Hegel, Barbara / Wartmann, Brigitte (Hrsg.): Mythos Frau. Projektionen und Inszenierungen im Patriarchat. 2. Aufl., Berlin: publica, 1984, S. 309-332. Twellmann, Margit: Die deutsche Frauenbewegung. Ihre Anfänge und erste Entwicklung 1843-1889. Frankfurt am Main: Hain, 1993. Um eine ganze Epoche voraus. 125 Jahre Kampf um die Befreiung der Frau. Hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft „Geschichte des Klassenkampfes der deutschen Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“ am Päda- gogischen Institut Leipzig. Leipzig: Verlag für die Frau, 1970. Die ungeschriebene Geschichte. Historische Frauenforschung. Dokumentation des 5. Historikerinnentreffens in Wien, 16.-19. April 1984. Wien: Wiener Frauenverlag, 1984. Usborne, Cornelie: Representation of Abortion in Popular Culture in Weimar Germany. In: Pasteur/Nieder- acher/Mesner, Sexualität, Unterschichtenmilieus und ArbeiterInnenbewegung, S. 81-92. Wachenheim, Hedwig: Die deutsche Arbeiterbewegung 1844 bis 1914. Lizenzausgabe. Frankfurt am Main, Wien, Zürich: Büchergilde Gutenberg, 1971. Weber-Kellermann, Ingeborg: Die deutsche Familie. Versuch einer Sozialgeschichte. 7. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1982. Weber-Kellermann, Ingeborg: Frauenleben im 19. Jahrhundert. Empire und Romantik, Biedermeier, Gründer- zeit. München: Beck, 1983. Weber-Kellermann, Ingeborg: Landleben im 19. Jahrhundert. München: Beck, 1987. Weberling, Anja: Zwischen Räten und Parteien. Frauenbewegung in Deutschland 1918/1919. Pfaffenweiler: Centaurus, 1994. Weid, Beate: Stationen der proletarischen Frauenbewegung in Nürnberg. In: Verlaßt Euch nicht auf die Hülfe der deutschen Männer!“ – Stationen der bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegung in Nürnberg. Hrsg. vom Feministischen Informations-, Bildungs- und Dokumentationszentrum (FIBiDoZ e.V.). Nürnberg: Selbstverlag, 1990, S. 77-111. Weiland, Daniela: Geschichte der Frauenemanzipation in Deutschland und Österreich. Biographien – Programme – Organisationen. Hermes Handlexikon. Düsseldorf: Econ, 1983. Wenzel, Cornelia: Diesseits und jenseits der Ära Zetkin – Vorgängerin und Nachfolgerinnen. In: Ariadne, 1992, Nr. 22, S. 56-59. Wickert, Christl: Zwischen Familie und Parlament. Sozialdemokratische Frauenarbeit in Südniedersachsen 1919-1950. Am Beispiel von Hann. Münden und Einbeck. Kassel: SOVEC, 1983. 738 6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN Wilhelms, Kerstin: Frauenzeitschriften in der Weimarer Republik. In: Hart und zart, S. 53-60. Wilhelms, Kerstin: Frauenzeitschriften in der Weimarer Republik. In: Soden/Schmidt, Neue Frauen: Die zwanziger Jahre, S. 65-72. Wischermann, Ulla: „Wir wollen eine Zeitung für die Frau des Volkes schaffen“ – Arbeiterinnenpresse vor der „Gleichheit“. In: Ariadne, 1992, Nr. 22, S. 50-55. Wischermann, Ulla: Die Presse der radikalen Frauenbewegung. In: Feministische Studien, Jg. 3 (1984), Nr. 1, S. 39-62. Wischermann, Ulla: Frauenbewegung und Öffentlichkeiten um 1900. Netzwerke – Gegenöffentlichkeiten – Pro- testinszenierungen. Königstein/Taunus: Helmer, 2003. Wischermann, Ulla: Frauenfrage und Presse. Frauenarbeit und Frauenbewegung in der illustrierten Presse des 19. Jahrhunderts. München, New York, London, Paris: Saur, 1983. Wischermann, Ulla: Frauenpublizistik und Journalismus. Vom Vormärz bis zur Revolution von 1848. Weinheim: Deutscher Studien Verlag, 1998. Wischermann, Ulla: Interaktion von Öffentlichkeiten. Zur Geschichte der Frauenpresse im 18. und 19. Jahr- hundert. In: Klaus/Röser/Wischermann, Kommunikationswissenschaft und Gender Studies, S. 212-240. Wiss, Emmanuelle: Les débats sur la transformation sociale et le rôle des femmes dans „Die Gleichheit“ (1891- 1914). In: Grunewald, Das linke Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1890-1960), S. 75-90. Wobbe, Theresa: „Die Frauenbewegung ist keine Parteiensache“. Politische Positionen der Gemäßigten und Fortschrittlichen der bürgerlichen Frauenbewegung im Kaiserreich. In: Feministische Studien, Jg. 5 (1986), Nr. 2, S. 50-65. Wurms, Renate: „Von heute an gibt’s mein Programm“ – Zur Entwicklung der politischen Frauenbildungsarbeit. In: Führenberg/Koch/Redzepi/Wurms, Von Frauen für Frauen, S. 11-40. Wurms, Renate: 8. März – Internationaler Frauentag. In: FrauenBilderLeseBuch, S. 12-26. Wurms, Renate: Kein einig‘ Volk von Schwestern. 1890-1918. In: Hervé, Geschichte der deutschen Frauen- bewegung, S. 36-84. Wurms, Renate: Wir wollen Freiheit, Frieden, Recht. Der Internationale Frauentag. Zur Geschichte des 8. März. Frankfurt am Main: Marxistische Blätter, 1980. Zahn-Harnack, Agnes: Die Frauenbewegung. Geschichte, Probleme, Ziele. Berlin: Deutsche Buchgemeinschaft, 1928. Zerges, Kristina: Sozialdemokratische Presse und Literatur. Empirische Untersuchungen zur Literaturvermit- tlung in der Sozialdemokratischen Presse 1876 bis 1933. Stuttgart: Metzler, 1982. Zetkin, Clara / Duncker, Käte / Borchardt, Julian / Hohendorf, Gerd: Die Erziehung der Kinder in der prole - tarischen Familie. Quellen zur Pädagogik der deutschen Arbeiterbewegung aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Berlin: Volk und Wissen, 1960. Zetkin, Clara Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands. Erstausgabe 1928. Frankfurt am Main: Roter Stern, 1971. Zetkin, Clara: Ausgewählte Reden und Schriften. Bd. 1: Auswahl aus den Jahren 1889 bis 1917. Berlin: Dietz, 1957; Bd. 2: Auswahl aus den Jahren 1918 bis 1923. Berlin: Dietz, 1960; Bd. 3: Auswahl aus den Jahren 1924 bis 1933. Berlin: Dietz, 1960. 739 LITERATUR Zetkin, Clara: Der Student und das Weib (1899). In: Marxistische Blätter, 33 (1995), Nr. 3, S. 17-29 (auch in: Hervé, Florence (Hrsg.): Clara Zetkin oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist. Berlin: Karl Dietz, 2007, S. 47-73). Zetkin, Clara: Kunst und Proletariat. Erstausgabe Stuttgart: Verlag des Bildungsausschusses, 1911. Berlin: Dietz, 1977. Zetkin, Clara: Rede – gehalten auf dem USP-Parteitag am 04.03.1919. Berlin: Rote Fahne, 1919. Zetkin, Clara: Zur Arbeiterinnen- und Frauenfrage der Gegenwart. Berlin: Berliner Volkstribüne, 1889. Ziegler, H. E.: Die Naturwissenschaft und die sozialdemokratische Theorie, ihr Verhältnis dargelegt auf Grund der Werke von Darwin und Bebel. Stuttgart: Ferdinand Enke, 1894. Zolling, Peter: Deutsche Geschichte 1871 bis zur Gegenwart. Wie Deutschland wurde, was es ist. München: Hanser, 2005. Zorn, Rita: Proletarische Frauenbildung. In: Olbrich, Arbeiterbildung nach dem Fall des Sozialistengesetzes, S. 296-309. 740 6.1.2 NACHSCHLAGEWERKE / BIBLIOGRAPHIEN / DATENBANKEN 6.1.2 Nachschlagewerke / Bibliographien / Datenbanken Asendorf, Manfred / Flemming, Jens / Müller, Achatz von / Ullrich, Volker: Geschichte. Lexikon der wissenschaftlichen Grundbegriffe. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1994. Auswertung der Zeitschrift „Die Gleichheit“ 1892-1914 nach den Stichworten „Arbeit, Bildung und Beruf“. Bearbeitet von Brigitte Robak u. Jutta Schmitt. Hrsg. von der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Frauen- forschung der Gesamthochschule Kassel. Kassel 1989. Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und zur Theorie und Praxis der politischen Linken: http://library.fes.de/cgi-bin/populo/bizga.pl (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007). Bibliographie zur Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse für die Befreiung der Frau und zur Rolle der Frau in der deutschen Arbeiterbewegung. Von den Anfängen bis 1970. Bearbeitet von Ingrid u. Hans-Jürgen Arendt. Hrsg. von der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig im Auftrage der Arbeitsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse für die Befreiung der Frau“. Leipzig: Selbstverlag, 1974. Clara Zetkin. Eine Auswahlbibliographie der Schriften von und über Clara Zetkin. Berlin 1957. dtv-Atlas zur Weltgeschichte. Karten und chronologischer Abriss. 2 Bde. 23. Aufl., München: dtv, 1989. Eberlein, Alfred: Internationale Bibliographie zur deutschsprachigen Presse der Arbeiter- und sozialen Bewegungen. Von 1830 bis 1982. 2., aktual. und erw. Aufl., München, New Providence, London, Paris: Saur, 1996. Frauenalltag und Frauenbewegung im 20. Jahrhundert. Materialsammlung zu der Abteilung 20. Jahrhundert im Historischen Museum Frankfurt. Bd. 1: Industrialisierung und weibliche Lebenserfahrung 1890-1933; Bd. 2: Frauenbewegung und die „Neue Frau“ 1890-1933; Bd. 3: Frauen im deutschen Faschismus 1933-1945. Frankfurt am Main: Selbstverlag, 1980. Fricke, Dieter: Handbuch zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1869 bis 1917. 2 Bde. 5. überarb. Aufl., Berlin: Dietz, 1987. Fuchs, Konrad / Raab, Heribert: Wörterbuch Geschichte. 11. Aufl., München: dtv, 1998. Handbuch zur deutschen Arbeiterliteratur. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. 2 Bde. München Edition Text und Kritik, 1977. Koszyk, Kurt / Eisfeld, Gerhard: Die Presse der deutschen Sozialdemokratie. Eine Bibliographie. Hannover 1966. Lenz, Ilse / Szypulski, Anja / Molsich, Beate (Hrsg.): Frauenbewegungen international. Eine Arbeitsbiblio- graphie. Opladen: Leske + Budrich, 1996. Metzler-Philosophie-Lexikon. Begriffe und Definitionen. Hrsg. von Peter Prechtl und Franz-Peter Burkhard. 2. überarb. u. aktual. Aufl., Stuttgart, Weimar: Metzler, 1999. Portal zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung: http://library.fes.de/portal/arb (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007). Proletarische Frauenbewegung des 19. & frühen 20. Jahrhunderts [Elektronische Ressource]. 19 CD-Roms. Be- arbeitet von Sylvia Kubina und herausgegeben von Ulrich Naumann. Wildberg: Belser Wiss. Dienst, 2004. Auch in: Online-Sammlung seltener Schriften in der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main: http://frauenbewegung.stub-uni-frankfurt.de/cgi-bin/uebersicht.rb (letzter Seitenbesuch: 06.12.2007). 741 LITERATUR Proletarische Frauenbewegung: Literatur- und Forschungsdokumentation 1982-1986. Bearbeitet von Marit Borcherding u. Hannelore Schott. Hrsg. vom Informationszentrum Sozialwissenschaften in Zusammen- arbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung – Bibliothek der sozialen Demokratie. Bonn: Informations- zentrum Sozialwissenschaften, 1988. Seywald, Aiga: Die Presse der sozialen Bewegungen: 1918 – 1933. Linksparteien, Gewerkschaften, Arbeiter- kulturbewegung, Anarchismus, Jugendbewegung, Friedensbewegung, Lebensreform, Expressionismus. Kommentiertes Bestandsverzeichnis deutschsprachiger Periodika im Institut zur Erforschung der Europäischen Arbeiterbewegung (Bochum), im Institut für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund und im Fritz-Hüser-Institut für Deutsche und Ausländische Arbeiterliteratur der Stadt Dortmund. Essen: Klartext, 1994. Verzeichnis der in Deutschland erscheinenden Frauenzeitschriften und der außerhalb des „Bundes deutscher Frauenvereine“ organisierten Frauenvereine, nebst einem Anhang internationaler Frauenzeitschriften und Frauenorganisationen. Hrsg. vom Propaganda-Ausschuß des Deutschen Frauenstimmrechtsbundes. München 1917. Wahrig. Deutsches Wörterbuch. Neuausgabe. Gütersloh: Bertelsmann, 1997. ZDB: Zentrale Zeitschriftendatenbank: www.zdb-opac.de (letzter Seitenbesuch: 12.12.2008) 742 6.1.3 PROTOKOLLE 6.1.3 Protokolle Berichte für die Erste Internationale Konferenz sozialistischer Frauen. Abgehalten in Stuttgart am Sonnabend den 17. August 1907 vormittags 9 Uhr in der Liederhalle. Berlin: Verlag von Ottilie Baader, o.J. Berichte an die Zweite Internationale Konferenz sozialistischer Frauen zu Kopenhagen am 26. und 27. August 1910. Hrsg. von Clara Zetkin-Zundel. Stuttgart: Paul Singer, 1910. Berichte der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands in den Protokollen über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (1902-1908 – in chronologischer Reihenfolge) Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands. In: Protokoll des SPD- Parteitages München 1902, S. 39-40. Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands. In: Protokoll des SPD- Parteitages Dresden 1903, S. 49-52. Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands von Anfang August 1903 bis Ende Juli 1904. In: Protokoll des SPD-Parteitages Bremen 1904, S. 56-59. Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands von Anfang August 1904 bis Ende Juli 1905. In: Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1905, S. 64-69. Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands für die Zeit von August 1905 bis Ende Juli 1906. In: Protokoll des SPD-Parteitages Mannheim 1906, S. 68-75. Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands für die Zeit vom August 1906 bis Ende Juli 1907. In: Protokoll des SPD-Parteitages Essen 1907, S. 103-112. Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands für die Zeit vom August 1907 bis Ende Juli 1908. In: Protokoll des SPD-Parteitages Nürnberg 1908, S. 99-116. Handbuch der sozialdemokratischen Parteitage von 1863-1909. Bearbeitet von Wilhelm Schröder. München: G. Birk & Co., 1910. Neudruck des Zentralantiquariats der Deutschen Demokratischen Republik. Leipzig 1974. Handbuch der sozialdemokratischen Parteitage von 1910-1913. Bearbeitet von Wilhelm Schröder. München: G. Birk & Co., [1917]. Neudruck des Zentralantiquariats der Deutschen Demokratischen Republik. Leipzig 1974. Protokoll des Internationalen Arbeiter-Congresses zu Paris. Abgehalten vom 14. bis 20. Juli 1889. Deutsche Uebersetzung. Nürnberg: Wörlein & Comp., 1890. In: Kongreß-Protokolle der Zweiten Internationale. 2 Bde., Bd. 1: Paris 1889 – Amsterdam 1904. Glashütten im Taunus: Auvermann, 1975. Protokolle der Sitzungen des Parteiausschusses der SPD, 1912 bis 1921. Nachdrucke hrsg. von Dieter Dowe; 2 Bde.; inkl. Protokoll der Parteikonferenz Weimar 22.-23. März 1919 und Protokoll der SPD-Reichs- konferenz Berlin 5.-6. Mai 1920; Berlin, Bonn: J. H. W. Dietz Nachf., 1980. Protokolle über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (1890-1927 – in chronologischer Reihenfolge)1: Protokoll des SPD-Parteitages in Halle a. S. 12.-18. Oktober 1890. Protokoll des SPD-Parteitages in Erfurt 14.-20. Oktober 1891. 1 Im Text wurden die Protokolle jeweils zitiert: Protokoll des SPD-Parteitages Ort Jahr, Seite. 743 LITERATUR Protokoll des SPD-Parteitages in Berlin 14.-21. November 1892. Protokoll des SPD-Parteitages in Köln 22.-28. Oktober 1893. Protokoll des SPD-Parteitages in Frankfurt a. M. 21.-27. Oktober 1894. Protokoll des SPD-Parteitages in Breslau 6.-12. Oktober 1895. Protokoll des SPD-Parteitages in Gotha 11.-16. Oktober 1896. Protokoll des SPD-Parteitages in Hamburg 3.-9. Oktober 1897. Protokoll des SPD-Parteitages in Stuttgart 3.-8. Oktober 1898. Protokoll des SPD-Parteitages in Hannover 9. bis 14. Oktober 1899. Protokoll des SPD-Parteitages in Mainz 17.-21. September 1900 / Darin enthalten: Bericht über die 1. sozialdemokratische Frauenkonferenz am 16. und 17. September 1900, S: 247-257. Protokoll des SPD-Parteitages in Lübeck 22.-28. September 1901. Protokoll des SPD-Parteitages in München 14.-20. September 1902 / Darin enthalten: Bericht über die 2. sozialdemokratische Frauenkonferenz am 13. und14. September 1902, S. 288-308. Protokoll des SPD-Parteitages in Dresden 13.-20. September 1903. Protokoll des SPD-Parteitages in Bremen 18.-24. September 1904 / Darin enthalten: Bericht über die 3. sozialdemokratische Frauenkonferenz am 17. und 18. September 1904, S. 328-374. Protokoll des SPD-Parteitages in Jena 17.-23. September 1905. Protokoll des SPD-Parteitages in Mannheim 23.-29. September 1906 / Darin enthalten: Bericht über die 4. sozialdemokratische Frauenkonferenz am 22. und 23. September 1906, S. 396-470. Protokoll des SPD-Parteitages in Essen 15.-21. September 1907. Protokoll des SPD-Parteitages in Nürnberg 13.-19. September 1908 / Darin enthalten: Bericht über die 5. sozialdemokratische Frauenkonferenz am 11. und 12. September 1908, S. 464-545. Protokoll des SPD-Parteitages in Leipzig 12.-18. September 1909. Protokoll des SPD-Parteitages in Magdeburg18.-24. September 1910. Protokoll des SPD-Parteitages in Jena 10.-16. September 1911 / Darin enthalten: Bericht über die 6. sozialdemokratische Frauenkonferenz am 8. und 9. September 1911, S. 414-463. Protokoll des SPD-Parteitages in Chemnitz 15.-21. September 1912. Protokoll des SPD-Parteitages in Jena 14.-20. September 1913. Protokoll des SPD-Parteitages in Berlin 21.-23. September 1916. Protokoll des SPD-Parteitages in Würzburg 14.-20. Oktober 1917 / Darin enthalten: Bericht des Partei- vorstandes an den SPD-Parteitag in Würzburg 1914, Anhang 1, S. 1-47. Protokoll des SPD-Parteitages in Weimar 10.-15. Juni 1919 / Darin enthalten: Bericht über die 7. sozialdemokratischen Frauenkonferenz am 15. und 16. Juni 1919, S. 458-504. 744 6.1.3 PROTOKOLLE Protokoll des SPD-Parteitages in Kassel 10.-16. Oktober 1920 / Darin enthalten: Bericht über die Frauenkonferenz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands am 9.-10. Oktober 1920, S. 336-420. Protokoll des SPD-Parteitages in Görlitz 18.-24. September 1921 / Darin enthalten: Bericht über den Reichsfrauentag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands am 17. und 18. September 1921 in Gör- litz, 80 Seiten. Protokolle der Parteitage von SPD (in Augsburg 17.-23. September 1922), USPD (in Gera 20.- 23. September 1920) und des Einigungsparteitages (in Nürnberg 24. September 1922). Protokoll des SPD-Parteitages in Berlin 11.-14. Juni 1924 / Darin enthalten: Bericht über den Reichs- frauentag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands am 15. Juni 1924, S. 219-248. Protokoll des SPD-Parteitages in Heidelberg 13.-14. September 1925 / Darin enthalten: Bericht über die Reichsfrauenkonferenz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 19. September 1925, S. 327- 374. Protokoll des SPD-Parteitages in Kiel vom 27.-29 Mai 1927 / Darin enthalten: Bericht über die Reichs- frauenkonferenz 27. Mai 1927, S. 297-374. Verlag: 1890: Berlin: „Berliner Volksblatt“ / 1891-1893: Berlin: „Vorwärts“ Berliner Volksblatt / 1894- 1895: Berlin: „Vorwärts“ / 1896-1910: Berlin: Buchhandlung Vorwärts / 1911-1913: Berlin: Buch- handlung Vorwärts Paul Singer / 1917-1922: Glashütten im Taunus: Detlev Auvermann; Berlin, Bonn, Bad Godesberg: J. H. W. Dietz Nachf 1973/ 1920: Buchhandlung Vorwärts / 1916+1924-1927: Glashütten im Taunus: Detlev Auvermann; Berlin, Bonn, Bad Godesberg: J. H. W. Dietz Nachf. 1974. 745 LITERATUR 6.1.4 Graue Literatur Dang, Anton: Die sozialdemokratische Presse Deutschlands. Dissertation Universität Frankfurt am Main, 1928. Dapprich, Anne: Frauenbildung in der bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegung und deren Zusammen- hang mit der körperlichen Bildung von Frauen (1871-1920). Diplomarbeit Universität Bielefeld, 1983. Eichhorn, Beate: Die sozialistische Frauenbewegung im Spiegel der „Gleichheit“ (1914-1917). Diplomarbeit Universität Wien, 1992. Eisenlohr, Sibylle / Kaschuba, Gerrit / Maurer, Susanne: Das Banner der Frauen ist allumfassend. Emanzi- pationskonzepte bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegungen in Deutschland um die Jahr- hundertwende, am Beispiel der Position der Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf. Diplomarbeit Eberhard-Karls-Universität Tübingen, 1983. Friese, Gisela: Die alte Frauenbewegung in Deutschland – unter besonderer Berücksichtigung der proletarischen Frauenbewegung von ihren Anfängen bis 1918. Examensarbeit Technische Universität Braunschweig, 1980. Frieße, Barbara: Zur bildungspolitischen und pädagogischen Tätigkeit der proletarischen Frauenbewegung von der Jahrhundertwende bis 1909, dargestellt auf der Grundlage der „Gleichheit“. Dissertation Pädago- gische Hochschule Dresden, 1977. Haas, Inka: Gebärstreik im 20. Jahrhundert. Weibliche Strategien gegen den Gebärzwang. Diplomarbeit Uni- versität Siegen, 1996. Hagedorn, Regine: Die Arbeits- und Lebensbedingungen Bielefelder Textil- und Bekleidungsarbeiterinnen und ihr Organisationsverhalten 1890-1914. Magisterarbeit Universität Bielefeld, 1984. Herrmann, Friederieke: Die Auseinandersetzung zwischen sozialdemokratischer und radikaler bürgerlicher Frauenbewegung um die Forderung nach Frauenstimmrecht. Ein Beispiel für Emanzipationskonzepte zwischen Klasse und Geschlecht (1895-1918). Magisterarbeit Universität Hamburg, 1991. Holtsteger, Brigitta: Frauen gegen den Krieg – proletarische und bürgerliche Frauen in der Friedensbewegung von 1910 bis 1918. Diplomarbeit Hochschule für Wirtschaft und Politik Hamburg, 1982. Krug, Michaela: „Die Zwillingsschwester des Krieges ist die Not“ – Zum Diskurs über Weiblichkeit und Krieg in der Zeit des Ersten Weltkrieges. Exemplarisch dargestellt am Beispiel der Zeitschriften „Die Frau“ und „Die Gleichheit“. Magisterarbeit Universität Hannover, 2004. Nickusch, Gabriele / Schröter, Ursula: Das programmatische Scheitern proletarischer Frauenemanzipation. Pro- bleme sozialistischer Frauenpolitik vor dem Ersten Weltkrieg. Diplomarbeit Pädagogische Hochschule Berlin, 1980. Pauls, Maria: Die deutschen Frauenorganisationen. Eine Übersicht über den Bestand, die Ursprünge und die kulturellen Aufgaben. Dissertation Rheinisch-Westfälische Universität Aachen, 1966. Pommerenke, Petra: Organisation und Bewegung. Die Frauenwohl-Vereine 1888-1914. Magisterarbeit Uni- versität Frankfurt am Main, 1996. Pore, Renate E.: The German social democratic Womens’s movement 1919 – 1933. Dissertation West Virginia University Morgantown, 1977. Quataert, Jean H.: The German Socialist Women’s Movement 1890 – 1918. Issues, International Conflicts and the Main Personages. Dissertation University of California Berkeley, 1974. 746 6.1.4 GRAUE LITERATUR Reimann, Katja / Sander, Birgit: Dienstbotinnen im Deutschen Kaiserreich – Leben, Arbeit und Organisation im Spiegel des Diskurses der Ersten deutschen Frauenbewegung. Studienarbeit Universität Gesamt- hochschule Kassel, 1999. Sachse, Mirjam: ”Heraus, ihr Frauen der Arbeit, erwacht“ – Entwürfe politischer Frauenbildung im Spiegel der proletarischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ (1891-1923). Magisterarbeit Universität Gesamt- hochschule Kassel, 2000. Sauer, Else: Die Entwicklung der bürgerlichen Frauenbewegung von der Gründung des Bundes Deutscher Frauenvereine 1894 bis zum ersten Weltkrieg. 2 Bde. Dissertation Universität Leipzig, 1969. Schulze, Regina: Die proletarische Mutter als sozialistische Erzieherin – dargestellt auf der Grundlage der Beilage zur „Gleichheit“ „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ von 1905 bis 1917. Dissertation Pädago- gische Hochschule Dresden, 1987. Schwarz, Ingelene: Wesenszüge der modernen deutschen Frauenzeitschrift. Dissertation Freie Universität Ber- lin, 1956. Strain, Jaqueline: Feminism and Political Radicalism in the German Social Democratic Movement, 1890-1914. Dissertation University of California Berkeley, 1964. Suchhardt-Knierim, Birgit: Zur Bedeutung der Mütterlichkeit in der Frauenrolle des 19. Jahrhunderts. Haus- arbeit Gesamthochschule Kassel, 1984. Vormschlag, Elisabeth: Inhalte, Leitbilder und Funktionen politischer Frauenzeitschriften der SPD, der USPD, der KPD in den Jahren 1890-1933 und der NSDAP in den Jahren 1932-1945. Dissertation Georg- August-Universität Göttingen, 1970. 747 LITERATUR 6.1.5 Zeitschriften Die Arbeiterin. Zeitschrift für die Interessen der Frauen und Mädchen des arbeitenden Volkes. Organ aller auf dem Boden der modernen Arbeiterbewegung stehenden Vereinigungen der Arbeiterinnen. Probe- nummer (20.12.1890); Jg. 1 (1891). Hrsg. von Emma Ihrer (Velten). Hamburg: E. Jensen, 1.1890, Nr. 1-14; Hamburg: Fr. Meyer, 1.1891, Nr. 14-51 [Im Bestand der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel: Probenummer (20.12.1890); Jg. 1 (1891) / Nr. 1-26; Nr. 33; Nr. 34; Nr. 38; Nr. 39; Nr. 45-51]. Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit (AGWA). Hrsg. von Wolfgang Braunschädel und Johannes Materna. 1.1908-17.2003 (unregelmäßiges Erscheinen). Archiv für Sozialgeschichte. 1.1961- . Ariadne – Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte. Hrsg. von der Stiftung Archiv der deutschen Frauen- bewegung. Bis 37/38.2000 mit dem Zusatz „Almanach des Archivs der deutschen Frauenbewegung“. 1985, Nr. 1-. Nr. 2: [Bildung]. Kassel 1985. Nr. 20: Mentor oder Märchenonkel? Der „neue Mann“ in der alten Frauenbewegung. Kassel 1991. Nr. 22: „Ich habe nicht ein Amt, sondern eine Meinung“ – 100 Jahre „Die Gleichheit“ (1892-1923). Kassel 1992. Nr. 45/46: „Jüdisch-sein, Frau-sein, Bund-sein“ – Der Jüdische Frauenbund 1904-2004. Kassel 2004. Augias. Germanistisches Institut der Universität Aarhus. 1.1981-65.2005. Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. 1.1977-29.1990. N.F. 1.1991-2.1992; 1993- . BzG: Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. 1.1959-4.1962. Hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung. 5.1963-33.1991. Hrsg. vom Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung. Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung. 34.1992- 2003. Central European History. 1.1968-. Diesseits. Zeitschrift für Kultur, Politik und Freidenkertum. 1.1987-4.1990 Ergebnisse. Zeitschrift für demokratische Geschichtswissenschaft. 1.1978-50./51.1990. Die Feder – Zeitschrift der IG Druck und Papier für Journalisten und Schriftsteller. 1.1952-19.1971; (Bd. 20 wurde in der Zählung übersprungen) 21.1972-38.1989. Feministische Studien. Zeitschrift für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung. 1.1982/83-5.1986; 6.1988-. Die Frau im Staat: eine Monatsschrift. 1.1919-15.1933. Die Frau von heute. 1.1946-16.1962. Hrsg. vom Bundesvorstand des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands. 748 6.1.5 ZEITSCHRIFTEN Frauen in der Geschichte. Zeitschrift des Vereins „Frauen in der Geschichte“ e.V. Leipzig.1992-1994; (1995 nicht erschienen) 1996-1997. Leipzig: 1992-1994; Hamburg: 1996-1997. Frauenwelt: eine Halbmonatsschrift. 1.1924-10.1933, 5. Die Genossin – SPD-Informationsblatt für Funktionärinnen. 1.1924-10.1933, 4; 10.1947, 5-12.1949, 11. German Life and Letters. 1.1936/37-4.1939; N. F. 1.1947/48-. Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für historische Sozialwissenschaft. 1.1975-. Die Gleichheit. 2.1891, Probenummer (28. Dezember 1891); 2.1892, Nr. 1 (1. Januar 1892)-33.1923, Nr. 17 (1. September 1923). Untertitel: 2.1891, Probenummer -27.1916/17, Nr. 17: „Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen“; 27.1916/17, Nr. 18-29.1918/19, Nr. 31: „Zeitschrift für Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen“; 29.1918/19, Nr. 32-32.1922, Nr. 31: „Zeitschrift für die Frauen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands”; 32.1922, 21-1923: „Zeitschrift für die Frauen und Mädchen des werktätigen Volkes“. Beilagen: 15.1905, 1-16.1906,26: „Frauen-Beilage“; 17.1907, Nr. 1-27.1916/17, Nr. 17: „Für unsere Mütter und Hausfrauen“; 29.1918/19, Nr. 19-32.1922, Nr. 7: „Die Frau und ihr Haus“ 15.1905, Nr. 1-32.1922, Nr. 2: „Für unsere Kinder“; 32.1922, Nr. 3-1923, Nr. 17: „Kinderland“ Verlag: 2.1891, Probenummer-7.1897, 15: Stuttgart: J.H.W. Dietz; 7.1897, 16-14.1904, Nr. 27: Stuttgart: J.H.W. Dietz Nachf. G.m.b.H.; 15.1905, Nr. 1-21.1910/11, Nr. 14: Stuttgart: Paul Singer; 21.1910/11, Nr. 15-29.1918/19, Nr. 19: Stuttgart: J.H.W. Dietz Nachf. G.m.b.H.; 29.1918/19, Nr. 20-32.1923, Nr. 17: Berlin: Buchhandlung „Vorwärts“ Paul Singer G.m.b.H. Handbuch des Vereins Arbeiterpresse. Herausgegeben vom Vorstand des Vereins Arbeiterpresse. 3.1914. -4.1927 [?]. IPK: Internationale Presse Korrespondenz (1921-1937). IWK: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. [7.]1971-[9.]1973 = Nr. 11/12-19/20; 10.1974-. Jahrbuch für Demokratie- und Arbeitergeschichte. Hrsg. von der Franz Mehring Gesellschaft. 1.1980-4./5.1985. Jahrbuch für Erziehungs- und Schulgeschichte. Hrsg. von der Kommission für Deutsche Erziehungs- und Schul- geschichte der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der Deutschen Demokratischen Republik. 1.1961-30.1990. Jahrbuch für Historische Bildungsforschung. Hrsg. von der Sektion Historische Bildungsforschung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. 1.1993-. JbKG: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte. 1.1999-. 749 LITERATUR JbzG: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Hrsg. vom Förderverein für For- schungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung. 2002-2004; 3.2005, Nr. 1; 4.2005,2- (erscheint dreimal jährlich). Die Kommunistische Fraueninternationale. 1.1921-5.1925, Nr. 5/6. Ursprünglich von Clara Zetkin im Auftrag der Exekutive der III. Internationale und des Internationalen Kommunistischen Frauensekretariats herausgegeben. Reprint, Frankfurt am Main: VTK-Verlag, 1983. Leipziger Volkszeitung. 1894-. Lernen und Handeln. Funktionärsorgan des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands. Hrsg. vom Bundes- vorstand des Demokratischen Frauenbundes Deutschland. 1.1950-1990, Nr. 2. m&z: Medien & Zeit – Kommunikation in Vergangenheit und Gegenwart. Hrsg. vom Verein Arbeitskreis für historische Kommunikationsforschung. [1.]1986-. Marxistische Blätter. 1.1963-. Mitteilungsblatt der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“. Hrsg. von der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“ an der Sektion Geschichte der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. 1970, Nr. 1-1976, Nr. 11; 1977-1989. Mitteilungsblatt des Forschungszentrums „Frauen in der Geschichte“ an der Sektion Geschichte an der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. 1990-1991. Leipzig. Die Neue Gesellschaft. 1.1954-31.1984. Die Neue Zeit. 1.1883-41.1922/23, 10. (Generalregister der „Neuen Zeit“ – Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie. Teil 1: 1883-1902. Stuttgart: Paul Singer, 1905. Teil 2: 1903-1907. Stuttgart: Paul Singer, 1908. Teil 3: 1908-1912. Stuttgart: J. H. W. Dietz Nachf., 1914. Teil 4: 1912-1923. Vaduz/Liechtenstein: Topos, 1978 (Teile 1-3 bearbeitet von Emanuel Wurm; Teil 4 von Miroslav Tucek und Alfred Eberlein)). Das Parlament. Hrsg. vom Deutschen Bundestag. 1.1951-. Rote Revue. Sozialdemokratische Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur. Hrsg. von der Sozialdemo- kratischen Partei der Schweiz. 1.1921/22-45.1966; 68.1989,9-70.1991,6; 71.1993-. Die Sozialistischen Monatshefte. 1=3.1897-16=18.1912 (Doppelzählung vom Vorgänger „Der sozialistische Akademiker“ übernommen, ab 1913 Zählung vom Vorgänger fortgesetzt); 19.1913-21.1915; 22.1916- 38.1932=Bd. 44-76; 39.1933, Nr. 1-2= Bd. 77. Sozialistische Tribüne. Zeitschrift für sozialistische Theorie. 1979-1985. Sperlings Zeitschriften-Adressbuch. Handbuch der deutschen Presse – die wichtigsten Zeitschriften und poli- tischen Zeitungen Deutschlands, Österreichs und des Auslandes. Hrsg. vom Börsenverein der Deut- schen Buchhändler. 41.1902-51.1925. Staatsanzeiger für Baden Württemberg. Landespolitische Wochenzeitung. 1.1952-53.2004. Die Staatsbürgerin. Organ für die Interessen der Arbeiterinnen und der Central-Kranken- und Begräbnißkasse für Frauen und Mädchen in Deutschland. Offenbach: Carl Ulrich. 1.1886, Nr. 1 (11. April) – Nr. 24 (6. Juni). Die Süddeutschen Monatshefte. 1.1904-8.1911, Nr. 9; 9.1911/12-11.1913714; [12.]1914/15-[15.]1917/18; 16.1918/19-33.1935/36. 750 6.1.5 ZEITSCHRIFTEN Südschwäbische Nachrichten. Magazin für Politik und Kultur in der Region Oberschwaben, Bodensee, Allgäu. Hrsg. von Südschwäbische Nachrichten, Ravensburg e.V., 1989-1991. TAJB: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte. Hrsg. vom Minerva-Institut für Deutsche Geschichte, Universität Tel Aviv. 16.1987-. Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. 1976-1990, Nr. 1. Die Zeit. Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft, Wissen und Kultur. 1.1946-. 751 6.2 Biographische Literatur 6.2.1 Für die biographische Recherche verwendete Monographien, Nachschlage-, Sammelwerke und Datenbanken Am Anfang war Sigema. Ein Nürnberger Frauengeschichtsbuch. Cadolzburg: ars vivendi, 1999. Bäumer, Gertrud: Frauen der Tat – Gestalt und Wandel. Tübingen: Rainer Wunderlich Verlag Hermann Leins, 1959. Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Bd. 1: Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben. Hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte München und von der Research Foundation for Jewish Immigration, Inc., New York; München, New York, London, Paris: K. G. Saur, 1980. Biographisches Lexikon der ÖTV und ihrer Vorläuferorganisationen. Hrsg. von Rüdiger Zimmermann. Bonn: Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1998: http://library.fes.de/fulltext/bibliothek/tit00205/00205 toc.htm (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007). BIOSOP-Online. Biographien sozialdemokratischer Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen 1867-1933: http://biosop.zhsf.uni-koeln.de (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007). BIOWEIL. Kollektive Biographie der Landtagsabgeordneten der Weimarer Republik 1918-1933: http://hsr- trans.zhsf.uni-koeln.de/quantum/bioweil/index.html (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007). Blos, Anna: Die Frauen der deutschen Revolution 1848. Dresden: Kaden, 1928. Blos, Anna: Die Frauen in Schwaben. Fünfzehn Lebensbilder. Stuttgart: Silberburg, 1929. Bock, Helmut / Ruge, Wolfgang / Thoms, Marianne (Hrsg.): Gewalten und Gestalten. Miniaturen und Porträts zur deutschen Novemberrevolution 1918/1919. Leipzig, Jena, Berlin: Urania, 1978. Brehmer, Ilse (Hrsg.): Mütterlichkeit als Profession? Lebensläufe deutscher Pädagoginnen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Pfaffenweiler: Centaurus, 1990. Brehmer, Ilse / Ehrich, Karin (Hrsg.): Mütterlichkeit als Profession? Lebensläufe deutscher Pädagoginnen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Bd. 2: Kurzbiographien. Pfaffenweiler: Centaurus, 1993. Brinker-Gabler, Gisela (Hrsg.): Deutsche Literatur von Frauen. 2 Bde., Bd. 2: 19. und 20. Jahrhundert. München: Beck, 1988. Buhle, Mari Jo: Women and American Socialism, 1870-1920. Urbana, Chicago, London: University of Illinois Press, 1981. Central Database of Shoah Victim’s Names: http://www.yadvashem.org (letzer Seitenbesuch: 16.10.2008) Demokratische Wege: deutsche Lebensläufe aus fünf Jahrhunderten. Hrsg. Von Manfred Asendorf und Rolf von Bockel. Stuttgart, Weimar: Metzler, 1997. Die Deutsche Nationalversammlung im Jahre 1919 – in ihrer Arbeit für den Aufbau des neuen deutschen Volksstaates. Hrsg. von Eduard Heilfron. 8 Bde. Berlin: Norddeutsche Buchdruckerei und Verlags- anstalt, 1919[-1921]. 753 LITERATUR Deutsches Biographisches Archiv (DBA) – Mikrofiche-Editition hrsg. von Willi Gorzny (Kumulation aus 284 der wichtigsten biographischen Nachschlagewerke für den deutschsprachigen Bereich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts), 1989. Unter anderem darin enthaltene Sammelwerke: Deutsches Zeitgenossen- Lexikon. Hrsg. von Franz Neubert, 1905; Literarische Silhouetten. Hrsg. von Heinz Voss und Bruno Vogler, Ausgabe 1907; Wer ist’s? Unsere Zeitgenossen. Hrsg. von Hermann A.L. Degener. 4. Ausgabe 1909; Reichstags-Handbuch 1890-1912, Legislaturperiode 13, 1912; Wininger, Salomon: Große jüdische Nationalbiographie, Bd. 2, 1917; Handbuch der verfassunggebenden Nationalversammlung, Weimar 1919; Reichstags-Handbuch 1920-1933, 1. Wahlperiode 1920, 4. Wahlperiode 1928, 8. Wahlperiode 1933; Wer ist’s? Unsere Zeitgenossen. Hrsg. von Hermann A.L. Degener, 9. Ausgabe 1928; Das Deutsche Reich von 1918 bis heute. Hrsg. von Cuno Horkenbach, Jg. 1930; Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft, Bd. 1, 1930; Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft, Bd. 2, 1931; Wer ist’s? Unsere Zeitgenossen. Hrsg. von Hermann A.L. Degener, 10. Ausgabe 1935; Steimel, Robert: Kölner Köpfe, 1958 Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch. 3., völlig neu bearb. Aufl., Bern, München: Francke. Bd. 1 (1968)-Bd. 28 (2008: Walsh-Wedegänger). Digitale Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES): http:// library.fes.de (letzter Seitenbesuch 12.12.2008) Erziehung und Bildung des weiblichen Geschlechts. Eine kommentierte Quellensammlung zur Bildungs- und Berufsbildungsgeschichte von Mädchen und Frauen. Hrsg. von Elke Kleinau und Christine Mayer. 2 Bde. Weinheim: Deutscher Studien Verlag, 1996. Federn, Etta: Revolutionär auf ihre Art: Von Angelica Balabanoff bis Madame Roland. 12 Skizzen unkonventioneller Frauen. Hrsg., übers. und ergänzt von Marianne Kröger. Gießen: Psychosozialer- Verlag, 1997. Figner, Vera: Nacht über Russland. Lebenserinnerungen einer russischen Revolutionärin. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1988. Die Frau in der Arbeiterbewegung 1900-1939. Internationale Tagung der Historiker der Arbeiterbewegung (14. Linzer Konferenz 1978). 2 Bde. Wien: Europaverlag, 1980. Frauen auf die Straßen(-)schilder!“. Hrsg. von der Landeshauptstadt Dresden, der Gleichstellungsbeauftragten für Frau und Mann und FrauenBildungsHaus Dresden e.V., Dresden 2007. Frauen und Revolution. Strategien weiblicher Emanzipation 1789 bis 1848. Hrsg. von Frauen & Geschichte Baden-Württemberg; Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg; Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Tübingen: Silberburg-Verlag, 1998. Frauen. Porträts aus zwei Jahrhunderten. 3. Aufl., Stuttgart: Kreuz, 1985. Frederiksen, Elke: Women Writers of Germany, Austria and Switzerland. An Annotated Bio-Bibliographical Guide. New York, Westport (Connecticut), London: Greenwood Press, 1989. Friedrich, Cäcilia (Hrsg.): Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen. Berlin: Akademie, 1966. Gerhard, Ute: Unerhört – Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Hamburg: Rowohlt, 1996. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon. Hrsg. vom Institut für Marxismus- Leninismus beim ZK der SED. Berlin: Dietz, 1970. Hagemann, Karen / Kolossa, Jan: Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten? Der Frauenkampf für „staatsbürgerliche“ Gleichberechtigung. Ein Bilder-Lese-Buch zu Frauenalltag und Frauenbewegung in Hamburg. Hamburg: VSA, 1990. Hannam, June / Hunt, Karen: Socialist women: Britain, 1880s to 1920s. London, New York: Routledge, 2002. 754 6.2.1 FÜR DIE BIOGRAPHISCHE RECHERCHE VERWENDETE MONOGRAPHIEN, NACHSCHLAGE-, SAMMELWERKE UND DATENBANKEN Hervé, Florence / Nödinger Ingeborg: Lexikon der Rebellinnen. Von A bis Z. Dortmund: edition Ebersbach, 1996. Hochreuther, Ina: Frauen im Parlament. Südwestdeutsche Abgeordnete seit 1919. Hrsg. vom Landtag Baden- Württemberg und der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. Stuttgart: Theiss, 1992. Hoffmann, Gabriele: Frauen machen Geschichte. Von Kaiserin Theophanu bis Rosa Luxemburg. Bergisch Gladbach: Lübbe, 1991 Jacobi-Dittrich, Juliane: The struggle for an Identity. Working-class Autobiographies by Women in nineteenth- century Germany. In: Joeres/Maynes, German Women in the Eighteenth and Ninteenth Centuries, S. 321-345. Jacoby, Eugen (Hrsg.): Lexikon linker Leitfiguren, Frankfurt am Main: Büchergilde Gutenberg, 1989. Jaedicke, Martin: Helen Keller. 2. Aufl., Berlin: Union, 1982. Juchacz, Marie: Sie lebten für eine bessere Welt. Lebensbilder führender Frauen des 19. und 20. Jahrhunderts. 2. Aufl., Berlin: Dietz, 1956. Juden und deutsche Arbeiterbewegung bis 1933. Soziale Utopien und religiös-kulturelle Traditionen. Tübingen: Mohr, 1992. Kalender „Wegbereiterinnen“. Hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Konzeption Gisela Notz. 2003-. Keller, Helen: Wie ich Sozialistin wurde. 3. Aufl. Stuttgart: Robert Lutz, o.J. Kestenholz, Salomé: Die Gleichheit vor dem Schafott. Portraits französischer Revolutionärinnen. Darmstadt: Luchterhand, 1988. Klatt, Ingaburgh (Hrsg.): „Wir wollen lieber fliegen als kriechen“ – Historische Frauenporträts. Lübeck: Dräger, 1997. Klausmann, Christina: Politik und Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich. Das Beispiel Frankfurt am Main. Frankfurt am Main, New York: Campus: 1997. Klucsarits, Richard / Kürbisch, Friedrich G. (Hrsg.): Arbeiterinnen kämpfen um ihr Recht – Autobiographische Texte zum Kampf rechtloser und entrechteter „Frauenspersonen“ in Deutschland, Österreich und der Schweiz des 19. und 20. Jahrhunderts. 2. Aufl., Wuppertal: Hammer, 1981. Kommunisten im Reichstag. Reden und biographische Skizzen. Frankfurt am Main: Marxistische Blätter, 1980. Lexikon der Frau. 2 Bde. Zürich: Encyclios, 1955. Lexikon sozialistischer Deutscher Literatur. Von den Anfängen bis 1945. Monographisch-biographische Darstellungen. Rotdruck, 1975. Library of Congress Online Catalog: http://catalog.loc.gov (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007). M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus. Politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung 1933-1945. Eine biographische Dokumentation. Hrsg. und eingeleitet von Martin Schumacher. 2. unveränd. Aufl., Düsseldorf: Droste, 1992. Melzwig, Brigitte: Deutsche sozialistische Literatur 1918-1945. Bibliographie der Buchveröffentlichungen. Berlin, Weimar: Aufbau-Verlag, 1975. Neue Deutsche Biographie (NDB). Bd. 1 (1953) bis Bd. 22 (2005), Berlin: Duncker & Humblot. 755 LITERATUR Niggemann, Heinz: Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus – Die sozialdemokratische Frauen- bewegung im Kaiserreich. Wuppertal: Hammer, 1981, Biographischer Anhang S. 295-348. Olbrich, Josef (Hrsg.): Arbeiterbildung nach dem Fall des Sozialistengesetzes (1890-1914). Konzeption und Praxis. Braunschweig: Westermann, 1982. Österreichisches biographisches Lexikon. (ÖBL). 1815-1950. Hrsg. von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 1 (1957)-Bd. 12 (2005). Osterroth, Franz: Biographisches Lexikon des Sozialismus. Hannover: Dietz, 1961. Pataky, Sophie (Hrsg.): Lexikon deutscher Frauen der Feder. Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienenen Werke weiblicher Autoren, nebst Biographieen der lebenden und einem Verzeichnis der Pseudonyme. 2 Bde. Nachdruck der Ausgabe Berlin: Carl Pataky, 1898. Bern: Herbert Lang, 1971. Plothow, Anna: Die Begründerinnen der deutschen Frauenbewegung. 5. Aufl., Leipzig: Rothbart, 1907. Portal zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung: http://library.fes.de/portal/arb (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007). Reichel, Edgar: Der Sozialismus der Fabier. Ein Beitrag zur Ideengeschichte des modernen Sozialismus in England. Heidelberg: Schneider, 1947. Riepl-Schmidt, Maja: Wider das verkochte und verbügelte Leben. Frauen-Emanzipation in Stuttgart seit 1800. 2. Aufl., Tübingen: Silberburg, 1998. Scandinavian Biographical Index. Hrsg. von Laureen Baillie. London, Melbourne, München, New Jersey: Saur, 1994. Schad, Martha: Frauen, die die Welt bewegten. Geniale Frauen, der Vergangenheit entrissen. München: Pattloch, 2000. Schmieding, Walther: Aufstand der Töchter. Russische Revolutionärinnen im 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main, Berlin, Wien: Ullstein, 1981. Schneider, Dieter (Hrsg.): Sie waren die ersten. Frauen in der Arbeiterbewegung. Frankfurt am Main: Büchergilde Gutenberg, 1988. Schneider, Margarete (Hrsg.): Deutscher Frauen Leben und Streben. Leipzig: H. Broedel, 1926. Schröder, Wilhelm Heinz: Sozialdemokratische Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen 1867- 1933. Düsseldorf: Droste, 1995. Schroeder, Luise: Unsere Frauen in der deutschen Nationalversammlung. In: GL, 29/ 11/ 28.02.1919/ 84-87. Schultz, Hans Jürgen (Hrsg.): Frauen-Porträts aus zwei Jahrhunderten, Stuttgart: Kreuz-Verlag, 1986. Stadt ohne Frauen? Frauen in der Geschichte Mannheims. Hrsg. von der Frauenbeauftragten der Stadt Mann- heim und den Autorinnen. Mannheim: Edition Quadrat, 1993. Straßennamen in Dresden – Reine Männersache? Hrsg. von der Landeshauptstadt Dresden und der Gleichstel- lungsbeauftragten für Frau und Mann, Teil I: Dresden 2003; Teil II: Dresden 2004. Süßenberger, Claus: Die Klaviere des Henkers. Lebenswege zwischen Bastille und Guillotine. Frankfurt am Main, New York: Campus, 1998. Weissensteiner, Friedrich: Die Frauen der Genies. Wien, Frankfurt am Main: Deuticke, 2001. 756 6.2.1 FÜR DIE BIOGRAPHISCHE RECHERCHE VERWENDETE MONOGRAPHIEN, NACHSCHLAGE-, SAMMELWERKE UND DATENBANKEN Wickert, Christl: Unsere Erwählten. Sozialdemokratische Frauen im Deutschen Reichstag und im Preußischen Landtag 1919 bis 1933. 2 Bde. Göttingen: SOVEC, 1986. Wikipedia – die freie Enzyklopädie: http://de.wikipedia.org; http://en.wikipedia.org Witte, Bernd (Hrsg.): Deutsche Arbeiterliteratur von den Anfängen bis 1914. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1977. „10 Uhr pünktlich Gürzenich“. Hundert Jahre bewegte Frauen in Köln – Zur Geschichte der Organisation und Vereine. Hrsg. vom Kölner Frauengeschichtsverein. Münster: agenda, 1995. Zimmermann, Rüdiger: 100 Jahre ÖTV. Frankfurt am Main: Union-Dr. und Verl. Gesellschaft, 1996. 757 LITERATUR 6.2.2 Auto-/Biographische Arbeiten und Aufsätze zu den „Gleichheit“-MitarbeiterInnen Adams- Lehmann Krauss, Marita: Hope. Dr. Hope Bridges Adams Lehmann. Die Biografie. München:Volk Verlag, 2009 Altmann Losseff-Tillmanns, Gisela: Gewerkschafterin und Freidenkerin. In: Diesseits. Zeitschrift für Kultur, Politik und Freidenkertum. 2.1988, Nr. 4, S. 34-35. Hpd-Humanistischer Pressedienst: http://hpd.de/node/2275 (letzter Seitenbesuch: 28.11.2008). Ankersmit Welcker, Johanna M.: Ankersmit, Gerharda Johanna Helena. In: Biografisch Woordenboek van het socialisme en de Arbeidersbeweging in Nederland (BWSA): http://www.iisg.nl/bwsa/ bios/ankersmit-g.html (letzter Seitenbesuch: 10.10.2008).2 Baader Baader, Ottilie: Ein steiniger Weg. Lebenserinnerungen. Stuttgart: Dietz, 1921. Balg, Ilse: Baader, Ottilie. In: NDB, Bd. 1, 1953, S. 477. Freude, Roswitha: Die Entwicklung Ottilie Baaders (1847-1890) zur Kampfgefährtin Clara Zetkins. In: Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“, 1982, S. 86-94. Freude, Roswitha: Ihr Name lebt in der Geschichte der proletarischen Frauenbewegung. Ottilie Baader. In: BzG, Jg. 28 (1986), Nr. 5, S. 666-674. Freude, Roswitha: Ottilie Baader. Ein biographischer Beitrag zur Geschichte der deutschen proletarischen Frauenbewegung. Dissertation Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig, 1984. Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 63-72. Gerhard, Unerhört, S. 193. Heppener, Sieglinde: Baader. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 17-18. Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 298. Ottilie Baader †. In: Genossin, Jg. 2 (1925), Nr. 10, S. 283. Bebel, August August Bebel ist tot! In: GL, 23/ 24/ 20.08.1913/ 369. Bebel, August: Aus meinem Leben. Berlin: Dietz, 1988. Ein Erinnerungsblatt. In: GL, 24/ 24/ 28.04.1914/ 371-372. Fischer, Ilse / Krause, Werner: August Bebel. 1840-1913. Ein Großer der deutschen Arbeiter- bewegung. Katalog zu einer Ausstellung des Archivs der sozialen Demokratie, Friedrich- Ebert-Stiftung und Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Köln: Greven & Brechthold, 1988. Fricke, Dieter: August Bebel (1840-1913) – Ein biographischer Essay. Jena: Friedrich-Schiller- Universität, 1989. „Die Gleichheit“, 33/ 15/ 01.08.1923/ 120-124 [Artikel anlässlich des 10. Todestages]. 2 Die Übersetzung dieses Textes verdanke ich Jürgen Lachmann, M.A. (Kassel). 758 6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN „Die Gleichheit“, 20/ 10/ 14.02.1910/ 145-157 [Artikel anlässlich des 70. Geburtstages]. Gemkow, Heinrich / Miller, Angelika (Hrsg.): August Bebel – „... ein prächtiger alter Adler“. Nachrufe, Gedichte, Erinnerungen. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK d. SED Berlin: Dietz, 1990. Hanna, Gertrud: August Bebel und die Gewerkschaften. In: GL, 33/ 15/ 01.08.1923/ 122-123. Juchacz, Marie: August Bebel. In: GL, 30/ 08/ 21.02.1920/ 57. Popp, Adelheid: Bebel zum Gedächtnis. In: GL, 23/ 25/ 10.09.1913/ 394. Richter, Wolfgang / Schmidt, Bernd: Die Rolle August Bebels und der von ihm geführten revolutionären Sozialdemokratie beim Kampf des Proletariats um die Befreiung der Frau (1865-1900). Ein Beitrag zur Geschichte der politisch-theoretischen und organi- satorischen Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands im 19. Jahr- hundert. Dissertation Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig, 1973. Schmidt, Bernd / Richter, Wolfgang (Hrsg.): „Dir als dem Vorkämpfer für die volle menschliche Emanzipation des weiblichen Geschlechts“ – Brief Clara Zetkins an August Bebel. In: BzG, Jg. 14 (1972), Nr. 2, S. 235-236. Schraepler, Ernst: August Bebel. Sozialdemokrat im Kaiserreich. Göttingen, Frankfurt am Main, Zürich: Musterschmidt, 1966. Seebacher-Brandt, Brigitte: Bebel. Künder und Kärrner im Kaiserreich. Berlin, Bonn: J. H. W. Dietz Nachf., 1988. Stenkewitz, Kurt: Bebel. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 23-28. Bebel, Julie Herrmann, Ursula (Hrsg.): Briefe einer Ehe. August und Julie Bebel. Bonn: Dietz, 1997. Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 300. Bender Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch. Bd. 1 (1968), Sp. 382- 383. Blase Geisel, Beatrix: Ohne die Mithilfe der Frau können die Ziele der Sozialdemokratie nie verwirklicht werden. SPD-Frauen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. In: Stadt ohne Frauen? Frauen in der Geschichte Mannheims, S. 216-231. Therese Blase. In: Hochreuther, Frauen im Parlament. Südwestdeutsche Abgeordnete seit 1919, S. 56. Bloch Joris, Elisabeth: Brot, Geld und Frauenstimmrecht. In: Die Wochenzeitung: http://www.woz.ch/artikel/inhalt/2000/nr00/Schweiz/5122.html (letzter Seitenbesuch: 12.12.2008). Blos, Anna Hochreuther, Ina: „Es ist wirklich oft nur der erste Schritt, der schwer ist“. Vor 85 Jahren zogen die ersten Frauen in die Weimarer Nationalversammlung ein. In: Staatsanzeiger für Baden Württemberg, Jg. 53, Nr. 9 (08.03.2004), S. 12. Kaiser, Bernhard: Anna Blos – Ihre Tätigkeit in Gemeinde, Partei und Staat. Wissenschaftliche Arbeit an der Berufspädagogischen Hochschule Stuttgart 1977. 759 LITERATUR M.d.R., S. 127. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 302. Riepl-Schmidt, Mascha: Anna Blos, geborene Tomasczewska, Historiographin einer weiblich revolutionären Tradition – Geschichtsschreibung im Spiegel des eigenen Lebens. In: Frauen und Revolution, S. 134-156. Riepl-Schmidt, Wider das verkochte und verbügelte Leben, S. 173-182. Blos, Wilhelm Milatz, Alfred: Blos, Wilhelm. In: NDB, Bd. 2, 1955, S. 316-317. Seidel, Jutta: Blos. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 48-50. Bohm-Schuch Dertinger, Antje: Was ist wertvoller als die Jugend? Clara Bohm-Schuch widmete ihr Leben der jungen Generation. In: Das Parlament, Okt. 1983, S. 28-29. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 302. Wenzel, Cornelia: Diesseits und jenseits der Ära Zetkin. Vorgängerin und Nachfolgerinnen. In: Ariadne, 1992, Nr. 22, S. 56-59. Borchardt Gebauer, H.: Borchardt. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 54-56. Braun Borkowski, Dieter: Rebellin gegen Preußen. Das Leben der Lily Braun. Frankfurt am Main: Fischer, 1984. Braun, Lily: Memoiren einer Sozialistin. Berlin, Bonn: J. H. W. Dietz Nachf., 1985. Ursprünglich zweiteilig erschienen: Lehrjahre. München: Albert Langen, 1909; Kampfjahre. München: Albert Langen, 1911. Federn, Etta: Lily Braun. In: Federn, Revolutionär auf ihre Art, S. 55-58. Gerhard, Unerhört, S. 197. Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003. Laabs, Ute: Clara Zetkin contra Lily Braun. In: Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“, 1981, S. 33-37. Mauer, Doris: Lily Braun – Zwischen allen Stühlen. In: Schneider, Sie waren die ersten, S. 117- 124. Meyer, Alfred G.: Lily Brauns unorthodoxer Marxismus. In: Sozialistische Tribüne, 1985, Nr. 1, S. 194-204. Meyer, Alfred G.: The Feminism und Socialism of Lily Braun. Bloomington: Indiana University Press, 1985. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 303. Stolten, Inge: Lily Braun (1865-1916). In: Frauen. Porträts aus zwei Jahrhunderten, S. 212-224. Streidel, Melanie: Der Streit Klara Zetkins mit Lily Braun im Spannungsfeld zwischen Sozialis- mus und Feminismus (1894-1907). Examensarbeit Universität Erlangen-Nürnberg, 1993. 760 6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN Vogelstein, Julie: Lily Braun. Ein Lebensbild. Berlin-Grunewald: Hermann Klemm, 1922. Walle, Marianne: „Ich schreibe mich in meinen Büchern frei“ – Lily Braun (1865-1916). In: Klatt, Wir wollen lieber fliegen als kriechen, S. 91-105. Walle, Marianne: Frauen und Politik/ Macht – ein Beispiel in der deutschen Frauengeschichte. Lily Braun und Clara Zetkin in der SPD um die Jahrhundertwende (1896-1908). In: Dalhoff/Frey/Schöll, Frauenmacht in der Geschichte, S. 372-379. Büsing Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch, Bd. 2 (1969), Sp. 314. David Dierks, Klaas Dirk: Gertrud David – Regisseurin, Produzentin. In: Cine-Graph – Lexikon zum deutschsprachigen Film: http://www.cinegraph.de/lexikon/David_Getrud/biografie.html (letzter Seitenbesuch: 18.12.2008) Dietz Bohm-Schuch, Clara: Unsere Toten. Heinrich Dietz zum Gedächtnis. In: GL, 32/ 17-18/ 01.02.1922/ 163-164. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 91-93. Graf, Angela: J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie. Bonn: Dietz, 1998. Hackethal, E.: Dietz. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 91-93. Zetkin, Klara: Heinrich Dietz zum 70. Geburtstag. In: GL, 14/ 01/ 01.10.1919/ 4-5. Döltz Drust, Für unsere Kinder, S. 198. Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 15, S. 26-29, S. 184-185. Münchow, Ursula: Neue Wirklichkeitssicht und politische Praxis. Sozialistische Literatur und Ar- beiterinnenbewegung. In: Brinker-Gabler, Deutsche Literatur von Frauen. Bd. 2, S. 249- 268, S. 260-262. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 305. Duncker Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 141. Brehmer/Ehrich, Mütterlichkeit als Profession?, Bd. 2, S. 60-61. Deutschland, Heinz (Hrsg): Ich kann nicht durch Morden mein Leben erhalten. Briefwechsel zwischen Käte und Hermann Duncker 1915 bis 1917. Bonn: Pahl-Rugenstein, 2005. Deutschland, Heinz: Käte Duncker (1871-1953). Aus dem Leben einer streitbaren Sozialistin, anhand ihrer Briefe und Schriften. Unveröffentlichtes Manuskript anlässlich einer Veranstaltung des Fördervereins der Clara-Zetkin-Gedenkstätte e.V. Birkenwerder am 28.03.2004. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 101-103. Kirsch, Ruth: „Ihr zwingt uns nicht!“ – Ein Lebensbild der Kommunistin und Pädagogin Käte Duncker. Berlin: Selbstverlag, o.J. Kirsch, Ruth: Käte Duncker. Aus ihrem Leben. Berlin: Dietz, 1982. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 308. 761 LITERATUR Teubner, Hans / Wrobel, Kurt: Duncker. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 101-103. Essig Brehmer/Ehrich, Mütterlichkeit als Profession?, Bd. 2, S. 68-69. Hagemann, Karen: „Sie widmete ihre ganze Kraft dem Aufbau des Mädchenberufsschulwesens“. In: Hagemann/Kolossa, Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten?, S. 87. Hansen-Schaberg, Inge: Rückkehr und Neuanfang. Die Wirkungsmöglichkeiten der Pädagoginnen Olga Essig, Katharina Petersen, Anna Siemsen und Minna Specht im westlichen Deutschland der Nachkriegszeit. In: Jahrbuch für Historische Bildungsforschung, Jg. (1993), Bd. 1, S. 319-338. Olga Essig (1884-1965) und Anna Siemsen (1882-1951). In: Erziehung und Bildung des weiblichen Geschlechts, S. 61-73. Fürth Epple, Angelika: Henriette Fürth und die Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich. Eine Sozialbiographie. Pfaffenweiler: Centaurus, 1996. Fürth, Henriette: Streifzüge durch das Land eines Lebens. An meine Kinder. (1933). Unveröffentlicht (Privatbesitz Helga Krohn). Katzenstein, Simon: Henriette Fürth. Versuch einer Würdigung zu ihrem siebzigsten Geburtstag gewidmet von ihrem Bruder Simon Katzenstein. O. O.: O.V., 15.08.1931. Klausmann, Politik und Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 132-145. Krohn, Helga: Du sollst dich niemals beugen. Henriette Fürth – Frau, Jüdin, Sozialistin. In: Freimark, Peter / Jankowski, Alice / Lorenz, Ines S. (Hrsg.): Juden in Deutschland. Emanzipation, Integration, Verfolgung und Vernichtung. Hamburg: Hans Christians, 1991, S. 327-343. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 307-308. Glogau Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch. Bd. 6 (1978), Sp. 405. Pataky, Lexikon deutscher Frauen der Feder. Bd. 1., S. 260. Greifenberg Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 308. Grünberg Weid, Beate: Helene Grünberg. In: Verlaßt Euch nicht auf die Hülfe der deutschen Männer!“ – Stationen der bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegung in Nürnberg. Hrsg. vom Feministischen Informations-, Bildungs- und Dokumentationszentrum (FIBiDoZ e.V.). Nürnberg: Selbstverlag, 1990 , S. 91-97. Meister, Monika: „Sind wir auch keine Wählerinnen, so laßt uns Wühlerinnen sein!“ – Helene Grünberg, die erste Arbeitersekretärin Deutschlands. In: Am Anfang war Sigema, S. 153- 161. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 309. Hanna Dertinger, Antje: Gertrud Hanna – Anwältin der erwerbstätigen Frau. In: Schneider, Sie waren die ersten, S. 165-182. Kalender „Wegbereiterinnen“ 2004. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 310. Heiden- Deutschmann Klausmann, Politik und Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 120-121 u. S. 348. 762 6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 311. Heilbut Haarhoff, Heike: Todesmarsch in die Freiheit. In: taz, 23.04.2005 (http://www.taz.de/index.php? id=archivseitedig=2005/04/23/a0265&type=98 (letzter Seitenbesuch: 06.12.2008) (erwartet wird die Veröffentlichung des Titels: Heilbut, Peter: Ins Leben gelaufen. Als Sachsenhausen-Häftling auf dem Todesmarsch April/Mai 1945. Hrsg. von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Berlin: Metropol.). Http://www.yadvashem.org (letzer Seitenbesuch: 16.10.2008). Hoernle Drust, Für unsere Kinder S. 200. Edwin Hoernle. In: Kommunisten im Reichstag, S. 416-423. Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration, Bd. 1, S. 307. Leske, Birgit: Hoernle. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 213-216. M.d.R., S. 293. Mehnert, Wolfgang: Edwin Hoernle. Berlin: Volk und Wissen, 1963. Holzamer http://www.Wilhelm-Holzamer.de (letzter Seitenbesuch: 06.12.2007). Schmidt, Adalbert: Holzamer, Wilhelm. In: NDB, Bd. 9, S. 567-568. Ihrer Gélieu, Claudia von: „Sie kannte nicht den Ehrgeiz, der an erster Stelle stehen will.“ – Emma Ihrer zum 150. Geburtstag. In: JBzG, Jg. 6 (2007), S. 92-104. Heppener, S.: Ihrer. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 222-223. Malettke, Klaus: Ihrer, Emma. In: NDB, Bd. 10, 1974, S. 129. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 311. Schneider, Dieter: Emma Ihrer. Gegen Rückständigkeit und Unverstand. In: Schneider, Sie waren die ersten, S. 77-89. Juchacz Juchacz, Marie: Kindheit, Jugend und erste politische Tätigkeit. In: Marie Juchacz. Gründerin der Arbeiterwohlfahrt. Leben und Werk. Bonn: Arbeiterwohlfahrt, 1979. Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 337. Dertinger, Antje: Marie Juchacz. Die erste Frau, die im Parlament zum Volke sprach. In: Schneider, Sie waren die ersten, S. 211-230. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 233-234. Kalender „Wegbereiterinnen“ 2004. Miller, Susanne: Juchacz, Marie. In: NDB, Bd. 10, 1974, S. 633. Gerhard, Unerhört, S. 339. Lecke, Birgit: Juchacz. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, 763 LITERATUR S. 233-234. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 314. M.d.R., S. 314-315. Kähler, Luise Herbig, Erna: Kähler. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 236-237. K. A.: Dem Gedenken Luise Kählers. Eine Veteranin der Arbeiter- und Frauenbewegung ging von uns. In: Die Frau von heute. Jg. 10, Nr. 40 (07.10.1955), S. 9. Kähler, Wilhelmine Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 59-62. „Frauen auf die Straßen(-)schilder!“, S. 35 [Kähler, Wilhelmine] W. K.: Lebenserinnerungen einer Arbeiterin. In: GL, 13/ 02/ 14.01.1903/ 12- 13. M.d.R., S. 317. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 315-316. Straßennamen in Dresden – Reine Männersache?, Teil II, S. 20. Katzenstein Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration, Bd. 1, S. 354. Kautsky, Luise Luise Kautsky zum Gedenken. Nachrufe von Friedrich Adler und Oda Lerda-Olberg, Berichte aus Amsterdam und Birkenau, Briefe aus und über Buchenwald von Benedikt Kautsky. New York: Willard, 1945. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 316. Kipfmüller Bock, Ilse: Dr. Dr. Bertha Kipfmüller – Wegbereiterin des Frauenstudiums. In: Ariadne, 1985, Nr. 2, S. 10-13. Brehmer/Ehrich, Mütterlichkeit als Profession?, Bd. 2, S. 131-132. Panzer, Marita A.: Dr. Dr. Bertha Kipfmüller, (1861-1948): Lehrerin und Privatgelehrte. In: Panzer, Marita A. / Plößl, Elisabeth: Bavarias Töchter, Regensburg: Pustet, 1997, S. 139- 141. Kollontay Abosch, Heinz: Alexandra Kollontai – Für Arbeiterdemokratie – gegen Parteidiktatur. In: Schneider, Sie waren die ersten, S. 155-164. Federn, Etta: Alexandra Kollontai. In: Federn, Revolutionär auf ihre Art, S. 49-54. Geyer, Dietrich: Eine Klasse für sich. Alexandra Kollontaj und ihr Weg ins Sowjetreich. In: Die Zeit, Nr. 10 (28.02.2002), S. 90. Kalender „Wegbereiterinnen“ 2004. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 318. Krille Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 397. Drust, Für unsere Kinder S. 200-201. 764 6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN Emmerich, Wolfgang: Krille, Otto. In: NDB, Bd. 13, S. 47-48. Kunert Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 404. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 319. Wickert, Unsere Erwählten, S. 169. Ledebour Ratz, Ursula: Ledebour, Georg. In: NDB, Bd. 14 , 1985, S. 37-38. Wittwer, Walter: Ledebour. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 271-273. Lennemann Literaturportal Westfalen: http://www.literaturportal-westfalen.de (letzter Seitenbesuch: 28.11.2008). Lewin-Dorsch http://www.margarethe-hardegger.ch/Q_hardegger_muehsam (letzter Seitenbesuch: 06.11.2008) Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 320. Lilienthal Stern Buhle, Mari Jo: Women and American Socialism, 1870-1920, S. 128ff. Online-Version der New York Times- Ausgabe vom 29.07.1910: http://query.nytimes.com/mem/ archive-free/... (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007). Lion Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 448. Luxemburg Ettinger, Elżbieta: Rosa Luxemburg. Ein Leben. Bonn: Dietz, 1990. Hirsch, Helmut: Rosa Luxemburg. 20. Aufl., Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2002. Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003. Laschitza, Annelies: Im Lebensrausch, trotz alledem. Rosa Luxemburg. Eine Biographie. 2. Aufl., Berlin: Aufbau, 2002. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 322. Radczun, Günter: Luxemburg. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 302-307. Rosa Luxemburg. Hrsg. von Kristine von Soden. Aktualisierte Neuausgabe. Berlin: Elefanten Press, 1995. Scharrer, Manfred: Rosa Luxemburg – Wie eine Kerze, die von beiden Enden brennt. In: Schneider, Sie waren die ersten, S. 137-154. Märten Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 105, S. 165-168. Münchow, Ursula: Neue Wirklichkeitssicht und politische Praxis. Sozialistische Literatur und Ar- beiterinnenbewegung. In: Brinker-Gabler, Deutsche Literatur von Frauen. Bd. 2, S. 249- 268, S. 257-258. Michels Käsler, Dirk: Michels, Robert: In: NDB, Bd. 17, S. 451-452. Mosegaard Drust, Für unsere Kinder S. 201. 765 LITERATUR Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 73-82, S. 187. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 324. Müller, Louise Müller, Louise: Vor 25 Jahren. Erinnerungen einer Genossin. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 176-178. Müller-Jahnke Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 3, S. 13-14, S. 16, S. 30- 31, S. 187. Münchow, Ursula: Neue Wirklichkeitssicht und politische Praxis. Sozialistische Literatur und Ar- beiterinnenbewegung. In: Brinker-Gabler, Deutsche Literatur von Frauen, Bd. 2, S. 249- 268, S. 258-260. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 324. Pärssinen Asikainen, Sari: Me toivomme ihannemaata: Hilja Pärssinen varhainen aatemaailma ennen kansanedustjuuta. Tampere: Tampereen yliopisto. Yhteistkuntatieteiden tutkimuslaitos. Naistutkimusyksikkö, 1994. Sylvi-Kyllikki, Kilpi: Hilja Pärssinen. In: Soikkanen, Hannu (Hrsg.): Tiennäyttäjät. Bd. 1., Helsinki: Tammi 1967, S. 121-161. Pfülf Dertinger, Antje: Dazwischen liegt nur der Tod. Leben und Sterben der Sozialistin Antonie Pfülf. Berlin, u. a.: Dietz Nachf. 1984. Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003. M.d.R., S. 436. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 327. Popp Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 43-54, S. 127-129, S. 187. Kalender „Wegbereiterinnen“ 2004. Martiny, Murielle: Adelheid Popp: Hoffnungen und Enttäuschungen. In: Die Frau in der Arbeiterbewegung 1900-1939, Bd. 1, S. 311-320. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 328. Popp, Adelheid: Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin. München: Ernst Reinhardt, 1909. Popp, Adelheid: Erinnerungen. Stuttgart: J.H.W. Dietz, 1915. Reitze Hagemann, Karen: „Sozialpolitik und Wohlfahrtspflege waren ihre bevorzugten Arbeitsgebiete“. In: Hagemann/Kolossa, Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten?, S. 41. M.d.R., S. 456-458. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 329. Röhl Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 330. Rohrlack Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 330. Ryneck Leske, Birgit: Ryneck. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 388. 766 6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN M.d.R., S. 477. Salomon Salomon, Alice: Charakter ist Schicksal. Lebenserinnerungen. Hrsg. von Rüdiger Baron und Rolf Landwehr. Weinheim, Basel: Beltz, 1983. Sachße, Christoph: Salomon, Alice. In: NDB, Bd. 22, S. 389-390. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 331. Schilling, Minna M.d.R., S. 489-490. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 333. Schulz Drust, Für unsere Kinder S. 197. Braune, Peter: Die gescheiterte Einheitsschule. Heinrich Schulz – Parteisoldat zwischen Rosa Luxemburg und Friedrich Ebert. Berlin: Karl Dietz, 2004. Gebauer, H. / Leske, Birgit: Schulz. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biogra- phisches Lexikon, S. 414-415. Selinger Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 336-337. Sender M.d.R., S. 532. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 337. Schneider, Dieter: Toni Sender – Der Arbeiterschaft die volle Herrschaft über die Arbeit. In: Schneider, Sie waren die ersten, S. 251-268. Straßennamen in Dresden – Reine Männersache?, Teil I, S. 27. Simon Böhm, Irmingard: Helene Simon – die Biographin von Elisabeth Gnauck-Kühne. In: Prégardier, Elisabeth / Böhm, Irmingard (Hrsg.): Elisabeth Gnauck-Kühne (1850-1917) – Zur sozia- len Lage der Frau um die Jahrhundertwende. Annweiler: Plöger, 1997, S. 147-152. Friedländer, Walter: Helene Simon. Ein Leben für soziale Gerechtigkeit. Hrsg. vom Arbeiterwohlfahrt-Hauptausschuss e.V., Bonn 1962. Klöhn, Sabine: Helene Simon (1862-1947). Deutsche und britische Sozialreform und Sozialge- setzgebung im Spiegel ihrer Schriften und ihr Wirken als Sozialpolitikerin im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Frankfurt am Main, Bern: Lang, 1982. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 338. Soll Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch. Bd. 18 (1998), Sp. 250- 251. Steinbach Haake, Kirsten: Helma Steinbach – eine Reformistin in der Hamburger Arbeiterbewegung zur Zeit des Kaiserreichs. Magisterarbeit Universität Hamburg, 1992. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 339. Wabnitz Kühnel, Klaus: Wanderrednerin der SPD. Die Frauenrechtlerin Agnes Wabnitz. In: Deutschland- Radio Berlin Sendung vom 30.08.2004. http://www.dradio.de/dir/sendung/merkmal/- 298127 (letzter Seitenbesuch: 27.10.2005). Wachenheim Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 786. 767 LITERATUR Klingner, Anne-Marie: Hedwig Wachenheim und die Entwicklung der Arbeiterwohlfahrt in der Weimarer Republik. Diplomarbeit Universität Dresden 1997. Wachenheim, Hedwig: Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie. Memoiren einer Reformistin. Berlin: Colloquium, 1973. Wickert, Christl: Sozialistin, Parlamentarierin, Jüdin: Die Beispiele Käte Frankenthal, Berta Jourdan, Adele Schreiber-Krieger und Hedwig Wachenheim. In: Juden und deutsche Arbeiterbewegung bis 1933, S. 155-164. Zeller, Susanne: Hedwig Wachenheim (1891-1969). In: Stadt ohne Frauen?, S. 161-168. Wackwitz Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 343. Wartenberg Döll-Krämer, Inge: Alma Wartenberg – sozialdemokratische „Vertrauensperson“ in Ottensen. In: Aufgeweckt, S. 182-194. Wengels Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 344. Wischermann, Frauenbewegungen und Öffentlichkeiten um 1900, S. 132. Wirminghaus Roecken, Sully: Else Wirminghaus 1867-1939. In: „10 Uhr pünktlich Gürzenich“. Hundert Jahre bewegte Frauen in Köln, S. 179-182. Wittich Querfeld, Werner: Erinnerungen an Manfred Wittich (1851-1902), Amtsblatt der Stadt Greiz, 2003, Nr. 1, S. 22. [Rothe, Anna:] Manfred Wittich. Ein Lebens- und Charakterbild. Dem deutschen Proletariat gewidmet von A.R. Leipzig: Lipinski, 1902. Wurm Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 837. Brinson, Charmian: The strange case of Dora Fabian and Mathilde Wurm. A study of German political exiles in London during the 1930‘s. Bern: Peter Lang, 1996. Brinson, Charmian: The strange case of Dora Fabian and Mathilde Wurm. A study of German political exiles in London during the 1930‘s. In: German Life and Letters, Jg. 45 (1992), Nr. 4, S. 323-344. Globig, Martha: Wurm. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 493-494. Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003. M.d.R., S. 629-630. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 346. Zepler Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 347. Zetkin, Clara Alexander, Gertrude G. L.: Aus Clara Zetkins Leben und Werk. Berlin: Vereinigung Internationaler Verlags-Anstalten, 1927. Aragon, Louis: Die Glocken von Basel. Berlin: Aufbau, 1957. Auer, Annemarie: Clara Zetkin – ein Porträt. In: Hervé, Florence (Hrsg.): Brot und Rosen. Geschichte und Perspektive der demokratischen Frauenbewegung. Frankfurt am Main: Marxistische Blätter, 1979, S. 73-78. 768 6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN Badia, Gilbert: Clara Zetkin – Eine Biographie. (Originaltitel: Clara Zetkin, féministe sans frontiéres, 1993) Berlin: Dietz, 1994. Bauer, Karin: Clara Zetkin und die proletarische Frauenbewegung. Berlin: Oberbaum, 1984. Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 845-846. Bojarskaja, Sinaida: Clara Zetkin. Eine Kämpferin. Berlin: Verlag der Jugendinternationale, 1927. Clara Zetkin. Bilder und Dokumente. Leipzig: Verlag für die Frau, 1982. Clara Zetkin. Ein Sammelband zum Gedächtnis der großen Kämpferin. Moskau, Leningrad: Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der UdSSR, 1934. Clara Zetkin. Eine Auswahlbibliographie der Schriften von und über Clara Zetkin. Berlin: O.A., 1957. Clara Zetkin. Hrsg. vom Demokratischen Frauenbund Deutschlands. [Berlin (Ost)] 1952. Clara Zetkin. Leben und Lehren einer Revolutionärin. Berlin: Deutscher Frauen-Verlag, 1949. „Clara Zetkin zum 100. Geburtstag“. Themenheft: Lernen und Handeln. Jg. 8 (1957), Nr. 10/11. Dornemann, Luise: Clara Zetkin. Leben und Wirken. Berlin: Dietz, 1973. Dörnenburg, Manuela: Clara Zetkin. Die Flügel wachsen mit der Aufgabe. Eine Annäherung. Birkenwerder: Korona Kulturverein e.V, 1997. Drabkin, Jakow: Die Aufrechten. Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Franz Mehring, Clara Zetkin. Berlin: Dietz, 1988. Eilers, Kerstin: Clara Zetkin als Pädagogin – ein kritischer Blick auf die DDR-Rezeption. Diplomarbeit Universität-Gesamthochschule Siegen, 1996. Elsner, Gisela: Clara Zetkin (1857-1933). In: Schultz, Frauen-Porträts aus zwei Jahrhunderten, S. 158-171. Franzke, Astrid / Nagelschmidt, Ilse (Hrsg.): „Ich kann nicht gegen meine Überzeugung handeln“ – Clara Zetkin zum 150. Geburtstag. Leipzig: Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, 2008. Fricke, Dieter: Clara Zetkin und der „Sozialdemokrat“. In: BzG, Jg. 3 (1961), Nr. 4, S. 927-937. Frölich, Paul: Clara Zetkin. In: Alles für die Revolution! Aus dem Leben und Wirken der Kämpferin Clara Zetkin. Hrsg. von Ernst Schneller. Berlin: Vereinigung Internationaler Verlags-Anstalten, 1927, S. 3-17. Gerhard, Unerhört, S. 188. Globig, Martha / Karl, H.: Zetkin. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biogra- phisches Lexikon, S. 497-501. Götze, Dieter: Clara Zetkin. Leipzig: Bibliographisches Institut, 1982. Haferkorn, Katja: Clara Zetkin. Trotz alledem! In: Bock/Ruge/Thoms, Gewalten und Gestalten. Miniaturen und Porträts zur deutschen Novemberrevolution 1918/1919, S. 207-217. Hagemann, Karen: „Und so fordern die Proletarierinnen das Wahlrecht vor allem zum Kampf gegen die kapitalistische Ordnung“. In: Hagemann/Kolossa, Gleiche Rechte – Gleiche 769 LITERATUR Pflichten?, S. 42-43. Hervé, Florence (Hrsg.): Clara Zetkin oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist. Berlin: Karl Dietz, 2007. Hoeppel, Rotraut: Clara Zetkin. Erziehung zwischen Frauenemanzipation und Sozialismus. In: Brehmer, Mütterlichkeit als Profession? Bd. 1, S. 79-94. Hohendorf, Gerd: Clara Zetkin. Berlin: Volk und Wissen, 1965. Honeycutt, Karen: Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany. Dissertation Columbia University, 1975. Ilberg, Hanna: Clara Zetkin. Aus dem Leben und Wirken einer großen Sozialistin. Berlin: Neues Leben, 1956. Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003. Klara Zetkin. Eine Tochter des deutschen Volkes. Hrsg. von der Sozialistischen Einheits-Partei Deutschlands, Kreisvorstand Altenburg, Frauenabteilung. Altenburg: Altenburger Drucke- rei-, Buchhandels und Verlagsgesellschaft Jonas & Co. , [1947]. Klaßen, Angela: Mädchen- und Frauenbildung im Kaiserreich 1871-1918. Emanzipatorische Konzepte bei Helene Lange und Clara Zetkin. Würzburg: Ergon, 2003. Kliche, Dieter: Zur Literatur- und Kulturauffassung Clara Zetkins. In: Weimarer Beiträge, Jg. 22 (1976), Nr. 12, S. 38-70. Koszyk, Kurt: Clara Zetkin – Weibliche Symbolfigur der Kommunisten. In: Schneider, Sie waren die ersten, S. 91-104. Kreh, Daniela / Mehrwald, Silke: Clara Zetkin und die Rolle der Frau. Eine Untersuchung ihrer Werke unter besonderer Berücksichtigung der Thematik Frau und Armut und die Frau in der Familie. Hausarbeit Gesamthochschule Kassel, 1985. Laabs, Ute: Clara Zetkin contra Lily Braun. In: Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“, 1981, S. 33-37. Luxenberg, Adele: Klara Zetkin. In: Schneider, Deutscher Frauen Leben und Streben, S. 80-83. Mallachow, Lore: Clara Zetkin. Ihr Leben in Bildern. Leipzig: Enzyklopädie Leipzig, 1960. M.d.R., S. 632-633. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 347-348. Pieck, Wilhelm: Clara Zetkin. Leben und Kampf. Geboren 5. Juli 1857 / gestorben 20. Juni 1933. Berlin: Dietz, 1948. Plener, Ulla (Hrsg.): Clara Zetkin in ihrer Zeit. Neue Fakten, Erkenntnisse, Wertungen. Material des Kolloquiums anlässlich ihres 150. Geburtstages am 6. Juli 2007 in Berlin. Berlin: Karl Dietz, 2008. Puschnerat, Tânia: Clara Zetkin – Bürgerlichkeit und Marxismus. Eine Biographie. Essen: Klartext, 2003 (darin ist eine umfangreiche Aufstellung biographischer Zetkin-Literatur enthalten, S. 443-456). Radelhammer, Schorsch [d. i. Schweizer, Karl]: Clara Zetkin in Biberach und Friedrichshafen. In: Südschwäbische Nachrichten. 1989, Nr. 3, S. 22-23. 770 6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN Riepl-Schmidt, Wider das verkochte und verbügelte Leben, S. 157-172. Sachse, Mirjam: Clara Zetkin – eine von „Ismen“ bestimmte Persönlichkeit?! (Rezension zu Puschnerat, Tânia: Clara Zetkin: Bürgerlichkeit und Marxismus. Eine Biographie. Essen: Klartext, 2003). In: Ariadne, 2004, Nr. 45-46, S. 149-151. Söllner, Christa: Clara Zetkin und die Sozialistische Frauenbewegung in der Zeit von 1890 bis zum 1. Weltkrieg. Köln: Zentralausschuß Soz. Bildungs-Gemeinschaften e.V. NRW- Zweigbüro Köln, 1970. Staude, Fritz: Auf den Spuren Clara Zetkins – Ein Beitrag zum 125. Geburtstag der großen Revo- lutionärin. In: Mitteilungsblatt der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“, 1982, Nr. 2, S. 5-20. Staude, Fritz: Zur bürgerlichen Historiographie über die proletarische Frauenbewegung unter besonderer Beachtung der Darstellung Clara Zetkins. In: Kolloquium der Forschungs- gemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“ 1981, S. 18-32. Streidel, Melanie: Der Streit Klara Zetkins mit Lily Braun im Spannungsfeld zwischen Sozialismus und Feminismus (1894-1907). Examensarbeit Universität Erlangen-Nürn- berg, 1993. Walle, Marianne: Frauen und Politik/ Macht – ein Beispiel in der deutschen Frauengeschichte. Lily Braun und Clara Zetkin in der SPD um die Jahrhundertwende (1896-1908). In: Dalhoff/Frey/Schöll, Frauenmacht in der Geschichte, S. 372-379. Weber, Hermann: Zwischen kritischem und bürokratischem Kommunismus. Unbekannte Briefe von Clara Zetkin. In: Archiv für Sozialgeschichte, Bd. XI (1971), S. 417-448. Zetkin, Maxim: Clara Zetkin als Erzieherin im Hause. Erinnerungen, niedergeschrieben von ihrem Sohn Maxim Zetkin. In: Jahrbuch für Erziehungs- und Sozialgeschichte. Jg. 3 (1963), S. 229-248. Zundel, Georg: „Es muss viel geschehen!“ – Erinnerungen eines friedenspolitisch engagierten Naturwissenschaftlers. Berlin: Verlag für Wissenschafts- und Regionalgeschichte, 2006 (siehe auch: http://www.zundel.at/html/ueber_seinen_vater.html (letzter Seitenbesuch: 12.10.2008). Zetkin, Konstantin Ettinger, Elżbieta: Rosa Luxemburg. Ein Leben. Bonn: Dietz, 1990. Zietz Gerhard, Unerhört, S. 318. Globig, Martha: Zietz. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 501-502. Hagemann, Karen: „Eine der eifrigsten und radikalsten unter den leitenden sozialdemokratischen Frauen“. In: Hagemann/Kolossa, Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten?, S. 40. Heymann, Lida Gustava: Luise Zietz. In: Die Frau im Staat. Jg. 4 (1922), Heft 3. Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003. Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 348. Notz, Gisela: „Alle, die ihr schafft und euch mühet im Dienste anderer, seid einig!“ – Luise Zietz, geb. Körner (1865-1922). In: JBzG, Jg. 2 (2003), Nr. 2, S. 135-149. 771 LITERATUR Zeisler, Hans: Die Stellung von Luise Zietz zur Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. In: Mitteilungsblatt der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“, 1977, Nr. 3, S. 29-35. Zeisler, Hans: Luise Zietz. Leben und Wirken in der proletarischen Frauenbewegung 1865-1922. (Ein biographischer Beitrag). Dissertation Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig, 1978. Zetkin, Clara: Luise Zietz †. In: Die Kommunistische Fraueninternationale, Jg. 2 (1922), Nr. 2/38 (Reprint: S. 671-676). 772 6.3 Die frauenbiographischen Artikel aus dem Hauptblatt der „Gleichheit“ Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel (nach Erscheinen geordnet und ergänzt durch Nachrichtennotizen) Leitbild 1. Adams-Lehmann, Hope Bridges (1855-1916) Genossin Hope Bridges Adams-Lehmann †. In: GL, 27/ 02/ 27.10.1916/ 14/ AdB. Pfülf, Antonie: Dr. med. Hope Bridget Adams-Lehmann. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 61-62. K 2. Agnesi, Maria Gaëtana de (1718-1799) Maria Gaëtana d‘Agnesi. In: GL, 02/ 09/ 04.05.1892/ 79-80. V 3. Anneke, Mathilde (1817-1884) Blos, Anna: Mathilde Anneke. Die Gründerin einer Frauenzeitung aus dem Jahre 1848. In: GL, 32/ 21/ 01.11.1922/ 192-193/ F. V 4. Arnim, Bettina von (1785-1859) [Wittich, Manfred?] M. W.: Bettina von Arnim. In: GL, 10/ 15/ 18.07.1900/ 116-117/ F. [Wittich, Manfred?] M. W.: Bettina von Arnim. (Schluß.). In: GL, 10/ 16/ 01.08.1900/ 124-125/ F. Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts I: Bettina von Arnim. In: GL, 29/ 31/ 20.09.1919/ 243-246/ F. Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts I: Bettina von Arnim. (Schluß). In: GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 251-252/ F. V 5. Aston, Louise (1815-1871) [Blos, Wilhelm?] W. B.: Aus dem Leben einer Revolutionärin. In: GL, 15/ 11/ 31.05.1905/ 63-64. Blos, Anna: Luise Aston. In: GL, 24/ 12/ 04.03.1914/ 182-183. Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts [VII]: Luise Aston. In: GL, 31/ 03/ 01.02.1921/ 21-22/ F. Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts [VII]: Luise Aston. (Schluß). In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 31-33/ F. V 6. B. (?-?) L. W.-K.: Eine muthige Frankfurterin. In: GL, 02/ 13/ 29.06.1892/ 111-112. V 7. Baader, Ottilie (1847-1925) Genosse Baader ... In: GL, 07/ 24/ 24.11.1897/ 190/ AdB. Ein Jubiläum. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 102/ AdB. Ottilie Baaders siebzigster Geburtstag. In: GL, 27/ 17/ 25.05.1917/ 114-115. [Baader, Ottilie] Baader-Dietrichs, Ottilie: Vor dreißig Jahren. In: GL, 30/ 18/ 01.05.1920/ 131-132. [Heymann, Johanna?] J. H.: Ottilie Baader-Diedrichs. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 62-63. [Radtke-Warmuth, Elli?] E. Rdt.: Aus den Erinnerungen einer alten Führerin. In: GL, 32/ 03/ 01.02.1922/ 23-24. Ottilie Baader 75 Jahre! In: GL, 32/ 11/ 01.06.1922/ 102. K 8. Bardina, Sophie (1853-1880) Issajew, A.: Sophie Bardina. In: GL, 02/ 16/ 10.08.1892/ 135-136. Issajew, A.: Sophie Bardina. (Schluß.). In: GL, 02/ 17/ 24.08.1892/ 143-144. K 9. Baumann, Christine (1837-?) Zietz, Luise: Tante Baumann achtzigjährig! In: GL, 27/ 15/ 27.04.1917/ 101. K 10. Bebel, Julie (1843-1910) Julie Bebel †. In: GL, 21/ 05/ 21.11.1910/ 67-69. E 773 LITERATUR Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel (nach Erscheinen geordnet und ergänzt durch Nachrichtennotizen) Leitbild 11. Beckenstedt, Johanna (?-1897) Zwei wackere Kämpferinnen ... In: GL, 07/ 08/ 14.04.1897/ 61-62, 61/ AdB. K 12. Benz, Sybilla (?-1918) Genossin Benz †. In: GL, 28/ 18/ 07.06.1918/ 141-142/ AuB. K 13. Berditschewskaja, Maria Lwowna (?-1905) Maria Lwowna Berditschewskaja. In: GL, 15/ 05/ 08.03.1905/ 25/ L. Krille, Otto: Maria Lwowna Berditschewskaja. In: GL, 25/ 22/ 01.11.1905/ 132. K 14. Bloch, Rosa (1880-1922) Rosa Bloch †. In: GL, 32/ 16/ 15.08.1922/ 153/ Aus der Frauen- bewegung des Auslandes. K 15. Bode, Katharina (1861-1901) Katharina Bode †. In: GL, 11/ 08/ 10.04.1901/ 60-61/ F. K 16. Brader, Marie (?-1897) Ein[e] wackere Streiterin... In: GL, 07/ 22/ 27.10.1897/ 175/ AdB. K 17. Breschkowskaja, Katharina (1844-1934) Katharina Breschkowski, eine der tapfersten russischen Freiheits- kämpferinnen ... In: GL, 24/ 13/ 18.03.1914/ 207/ N Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. In: GL, 24/ 20/ 24.06.1914/ 307-308. Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. (Schluß.). In: GL, 24/ 21/ 08.07.1914/ 325-326. Soll, Karl: Politische Frauen. (Schluß). In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210- 211. K 18. Brüggemann, Grete (?-1910/ 24-jährig) Deffner, Relie: Grete Brüggemann †. In: GL, 20/ 14/ 11.04.1910/ 220/ AdB. K 19. Brügmann, Anna (?-1906) Brumm[, ?]: Genossin Brügmann – Itzehoe †. In: GL, 16/ 07/ 04.04.1906/ 45/ AdB. K 20. Cauer, Minna (1841-1922) Frau Minna Cauers siebzigster Geburtstag ... In: GL, 22/ 04/ 15.11.1911/ 64/ N Frauenbewegung Heilbut, Kurt: Minna Cauer‘s 80. Geburtstag am 1. November 1921. In: GL, 31/ 21/ 01.11.1921/ 208. Zepler, Wally: Unsere Toten. In: GL, 32/ 17/ 18/ 01.09.1922/ 164-165. B 21. Clemenc, Annie (1888-1956) Zwei amerikanische „Bergarbeiter-Engel“. II. Annie Clemenc. In: GL, 24/ 09/ 21.01.1914/ 132-134. K 22. Colditz, Marie (1827-1907/ 79-jährig) Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169-170. Genossin Colditz †. In: GL, 17/ 04/ 20.02.1907/ 28 / AdB. Genossin Marie Colditz ... In: GL, 17/ 05/ 06.03.1907/ 36/ AdB. K 23. Cornelia (um 190 v.u.Z.- um 100 v.u.Z.) Cornelia, die Mutter der Gracchen. In: GL, 03/ 04/ 22.02.1893/ 31-32. M 24. Dittmer, Emilie (1837-?) L. F.: Mutter Dittmer 80 Jahre alt. In: GL, 27/ 09/ 02.02.1917/ 59-60/ AdB. K 25. Dobrodzicka, Wanda (1863-?) [Kautsky, Luise?] L.Ky: Eine freigesprochene Attentäterin. In: GL, 18/ 05/ 02.03.1908/ 39-40. K 26. Dohm, Hedwig Hedwig Dohm †. In: GL, 29/ 19/ 20.06.1919/ 152/ AuB. B 774 6.3 DIE FRAUENBIOGRAPHISCHEN ARTIKEL AUS DEM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“ Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel (nach Erscheinen geordnet und ergänzt durch Nachrichtennotizen) Leitbild (1833-1919) 27. Döring, Josephine (?-1902) Josephine Döring †. In: GL, 12/ 22/ 22.10.1902/ 173-174/ F. K 28. Duensing, Frieda (1864-1921) Duensing, Berta: Frieda Duensing †. In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 34. B 29. Dunkel, Elise (?-1913) Elise Dunkel †. In: GL, 23/ 24/ 20.08.1913/ 383/ N Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. K 30. Ebel, Auguste (?-1908) Zietz, Luise: Mutter Ebel †. In: GL, 18/ 06/ 16.03.1908/ 54/ AdB. K 31. Eichhorn, Auguste (1851-1902) Auguste Eichhorn. In: GL, 12/ 13/ 18.06.1902/ 100-102 Seidel, Robert: Ein Kranz auf Genossin Eichhorns Grab. In: GL, 12/ 14/ 02.07.1902/ 108/ F K 32. Ferré, Marie (ca. 1851-1882) Marie Ferré. In: GL, 02/ 14/ 13.07.1892/ 119-120. K 33. Fickert, Auguste (1855-1910) Auguste Fickert †. In: GL, 20/ 20/ 04.07.1910/ 320/ N Frauenbewegung B 34. Figner, Vera (1852-1942) Wera Finger. In: GL, 22/ 22/ 24.07.1912/ 340-341. K 35. Fluderer, Katharina (?-1920/ 45-jährig) Blase, Th[erese]: Katharina Fluderer †. In: GL, 30/ 16/ 17.04.1920/ 118. K 36. Friedländer, Regine (?-1918) O. W.: Regine Friedländer †. In: GL, 29/ 02/ 25.10.1918/ 14-15/ AuB. K 37. Frumkin, Fruma (?-1907) [Kautsky, Luise? oder Kähler, Luise?] L. K.: Zwei Märtyrerinnen im russischen Freiheitskampf. In: GL, 18/ 04/ 17.02.1908/ 30. K 38. Garibaldi, Anita (1821-1849) Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 183-184. Blos, Anna: Anita Garibaldi. In: GL, 17/ 13/ 24.06.1907/ 109-110. Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117. E 39. Gatti de Gamond, Isabella (1839-1905) Isabella Gatti de Gamond †. In: GL, 15/ 22/ 01.11.1905/ 127/ L. K 40. Gerok, Emilie (?-1898) Eine treue, warme Freundin der Frauensache und der Interessen des arbeitenden Volkes ... In: GL, 08/ 22/ 26.10.1898/ 176/ N Frauenbewegung B 41. Goethe, Katharina Elisabeth (1731-1808) Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. In: GL, 12/ 06/ 12.03.1902/ 44/ F. Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 07/ 26.03.1902/ 52-53/ F. Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 08/ 09.04.1902/ 60-61/ F. Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 09/ 23.04.1902/ 68/ F. Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 10/ 07.05.1902/ 76/ F. M 775 LITERATUR Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel (nach Erscheinen geordnet und ergänzt durch Nachrichtennotizen) Leitbild Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Schluß.). In: GL, 12/ 11/ 21.05.1902/ 84-85/ F. 42. Goethe-Vulpius, Christiane (1765-1816) Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/ 01/ 11.10.1918/ 6-7/ F. Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/ 02/ 25.10.1918/ 13-14/ F. E 43. Greie-Cramer, Johanna (1864-1911) Johanna Greie-Cramer †. In: GL, 21/ 26/ 25.09.1911/ 416/ N Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. Johanna Greie-Cramer. In: GL, 22/ 02/ 23.10.1911/ 19-20. K 44. Grünfeld, Johanna (?-1911) Martzloff, Marie: Genossin Johanna Grünfeld, Freiburg i. Br. † In: GL, 22/ 06/ 11.12.1911/ 91/ AdB. K 45. Guillaume-Schack, Gertrud (1845-1903) Frau Guillaume-Schack †. In: GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 22/ AdB. Hofmann, Marie: Gertrud Guillaume-Schack. In: GL, 14/ 13/ 15.06.1904/ 99-101. Hofmann, Marie: Gertrud Guillaume-Schack. (Schluß.). In: GL, 14/ 14/ 29.06.1904/ 107-108. V 46. Hajlamatz, ? (?-1916) os.: Genossin Hajlamatz – Leipzig †. In: GL, 26/ 23/ 04.08.1916/ 173/ AdB. K 47. Heckel, Elise (?-1923) Schilling, Minna: Elise Heckel † In: GL, 33/ 06/ 15.03.1923/ 47/ AuB. K 48. Heiden-Deutschmann, Lea (1877-1906) Lea Heiden-Deutschmann †. In: GL, 16/ 21/ 17.10.1906/ 147-148/ AdB. K 49. Heinrich, Klara (?-1903/ 28-jährig) Genossin Klara Heinrich †. In: GL, 13/ 22/ 21.10.1903/ 175/ AdB. K 50. Helfmann, Jessa (zw. 1852 u.1855- 1882) Jessa Helfmann. In: GL, 02/ 03/ 08.02.1892/ 31-32. K 51. Hennig, Pauline (?-1912) Wehmann, Klara: Pauline Hennig †. In: GL, 22/ 12/ 04.03.1912/ 187/ AdB. K 52. Herwegh, Emma (1817-1904) Eine Freiheitskämpferin. In: GL, 14/ 09/ 20.04.1904/ 71-72. E 53. Heß, Sybille (1820-1903) Sybille Heß. In: GL, 14/ 01/ 01.01.1904/ 5-6. Sybille Heß. (Fortsetzung statt Schluß.). In: GL, 14/ 02/ 13.01.1904/ 10- 11. Sybille Heß. (Schluß.). In: GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 19-21. E 54. Heusgen, Julie (1866-1911) Julie Heusgen, Düren †. In: GL, 21/ 11/ 27.02.1911/ 170-171/ AdB. K 55. Hoffmann, Stephanie (?-1918/ 47-jährig) Blase, Therese: Stephanie Hoffmann. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 174/ AuB. K 56. Hofstetten, Mathilde von (1847-?) Schütte, Max: Zum 75. Geburtstage Mathilde von Hofstettens. In: GL, 32/ 14-15/ 01.08.1922/ 141-142/ AuB K 776 6.3 DIE FRAUENBIOGRAPHISCHEN ARTIKEL AUS DEM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“ Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel (nach Erscheinen geordnet und ergänzt durch Nachrichtennotizen) Leitbild 57. Hoppe, Marie (?-1900/ 81-jährig) Eine muthige und treue Kämpferin für die Befreiung des Proletariats ... In: GL, 10/ 03/ 31.01.1900/ 20-21/ AdB. K 58. Hoppe, Martha (1860-?) M. T.: Eine Jubilarin ... In: GL, 30/ 11/ 13.03.1920/ 87/ AuB. K 59. Hübler, Anna (1876-1923) Schulze, Ida: Anna Hübler †. In: GL, 33/ 16/ 15.08.1923/ 132. K 60. Huch, Ricarda (1864-1947) Heymann, Lida Gustava: Ricarda Huch. In: GL, 28/ 26/ 27.09.1918/ 204-206/ F. V 61. Humboldt, Karoline von (1766-1829) Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts [VIII]: Karoline v. Humboldt, geb. v. Dachröden. In: GL, 31/ 12/ 15.06.1921/ 115-117/ F. Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts [VIII]: Karoline v. Humboldt, geb. v. Dachröden. (Schluß). In: GL, 31/ 13/ 01.07.1921/ 125-127/ F. V 62. Huygens, Cornélie (1848-1902) Grunwald, Max: Cornélie Huygens †. In: GL, 12/ 24/ 19.11.1902/ 185/ L. K 63. Hyndman, Mathilda (?-1913) Genossin Mathilda Hyndman †. In: GL, 23/ 22/ 23.07.1913/ 351/ N Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. K 64. Ihrer, Emma (1857-1911) Emma Ihrer †. In: GL, 21/ 08/ 16.01.1911/ 113-114/ L. Emma Ihrers Begräbnis. In: GL, 21/ 09/ 30.01.1911/ 140. Ein Förderer der Arbeiterinnenbewegung. In: GL, 26/ 04/ 12.11.1915/ 26-27. [Hanna, Gertrud?] G. H.: Emma Ihrer. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 60-61. K 65. Jallandt, ? (?-1905) [Ohne Titel. In:] GL, 15/ 24/ 29.11.1905/ 142/ AdB K 66. Jones, Mary (1830-1930) Mutter Jones. In: GL, 12/ 23/ 05.11.1902/ 180-182/ F. Mutter Jones. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 24/ 19.11.1902/ 188-190/ F. Mutter Jones. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 25/ 03.12.1902/ 195-198/ F. Mutter Jones (Schluß.). In: GL, 12/ 26/ 17.12.1902/ 205-206/ F. Hepner, A[dolf]: Zwei amerikanische „Bergarbeiter-Engel“. I. Mutter Jones. In: GL, 24/ 08/ 07.01.1914/ 117-119. Was eine amerikanische Streikführerin erdulden muß. In: GL, 24/ 14/ 01.04.1914/ 223-224/ N Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. f. r.: Mutter Jones Freilassung ... In: GL, 24/ 19/ 10.06.1914/ 304/ N Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. K 67. Kadeit, Auguste (?-1909/ 33-jährig) Auguste Kadeit †. In: GL, 19/ 23/ 16.08.1909/ 361/ AdB. K 68. Kant, Anna Regina (1697-1737) Kipfmüller, Bertha: Kants Mutter. In: GL, 30/ 04/ 24.01.1920/ 27-29. M 69. Karschin, Anna Louisa (1722-1791) L. W.-K.: Anna Louisa Karschin. In: GL, 02/ 04/ 22.02.1892/ 38-40. L. W.-K.: Anna Louisa Karschin. (Schluß.). In: GL, 02/ 05/ 07.03.1892/ 47-48. V 777 LITERATUR Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel (nach Erscheinen geordnet und ergänzt durch Nachrichtennotizen) Leitbild 70. Kaschewarowa- Rudnewa, Barbara Alexandrowna (1842-1899) Tod der ersten russischen Aerztin. In: GL, 09/ 13/ 21.06.1899/ 104/ N Frauenbewegung V 71. Kautsky, Minna (1837-1912) Kunert, Marie: Minna Kautsky. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 100-101. Minna Kautsky †. In: GL, 23/ 08/ 08.01.1913/ 121/ AdB. V 72. Keller, Helen (1880-1968) Stern, Meta L[ilienthal]: Helen Keller eine Genossin. In: GL, 22/ 24/ 21.08.1912/ 383-384/ N Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. Helen Keller ... In: GL, 30/ 12/ 20.03.1920/ 94/ Aus der Frauen- bewegung des Auslandes. Lennemann, Wilhelm: Helen Keller. In: GL, 32/ 04/ 15.02.1922/ 35-37/ F. Lennemann, Wilhelm: Helen Keller (Schluß). In: GL, 32/ 05/ 01.03.1922/ 46-48/ F. V 73. Kellner, Katharina (?-1910) Bender, Hermann: Genossin Katharina Kellner – Preungesheim †. In: GL, 21/ 05/ 05.12.1910/ 76/ AdB K 74. Kinkel, Johanna (1810-1858) Blos, Anna: Auch eine Heldin. In: GL, 18/ 10/ 11.05.1908/ 89. E 75. Klingner, Marie (1846-?) [Baader, Ottilie?] O. B.: Eine Jubilarin. In: GL, 26/ 25/ 01.09.1916/ 184- 185/ AdB. K 76. Koenen, Sophie (?-1910) Sophie Koenen †. In: GL, 21/ 04/ 21.11.1910/ 58/ AdB. K 77. Kofler, Viktoria (?-1894) Viktoria Kofler. In: GL, 04/ 09/ 02.05.1894/ 70-71. K 78. Kowald, Lina (?-1892) Ohne Titel, GL, 02/ 15/ 27.07.1892/ 126/ AB K 79. Kuhlmann, Frieda (?-1916) Kähler, Luise: Frieda Kuhlmann – Hamburg In: GL, 26/ 17/ 12.05.1916/ 128/ AdB. K 80. Kulischoff, Anna (1857-1925) Anna Kulischoff. In: GL, 08/ 15/ 20.07.1898/ 115-119. Unsere tapfere Genossin Kulischoff ... In: GL, 08/ 20/ 28.09.1898/ 159- 160/ N Sozialistische Frauenbewegung im Auslande Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Anna Maria Mozzoni, Anna Kulischoff. Die ersten größeren Lohnbewegungen der italienischen Arbeiterinnen. In: GL, 13/ 05/ 25.02.1903/ 36-38. Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Fortschritte, Rückschläge und Aussichten der Frauenbewegung im Jahre 1893. In: GL, 13/ 08/ 08.04.1903/ 58-60. Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die Ausbreitung und Vertiefung der Arbeiterinnenbewegung in den Jahren 1893 bis 1898. In: GL, 13/ 11/ 20.05.1903/ 83-85. Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Das „böse Jahr“ 1898. In: GL, 13/ 17/ 12.08.1903/ 131-134. K 81. Lafargue, Laura Paul und Laura Lafargue. In: GL, 22/ 06/ 11.12.1911/ 83-85. E 778 6.3 DIE FRAUENBIOGRAPHISCHEN ARTIKEL AUS DEM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“ Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel (nach Erscheinen geordnet und ergänzt durch Nachrichtennotizen) Leitbild (1845-1911) 82. Legros, Françoise (1749-1788) Madame Legros. In: GL, 02/ 02/ 25.01.1892/ 22-24. Die Pariser Frauen des 5. und 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 19/ 21.09.1892/ 159-160. V 83. Lehmann, Wilhelmine (?-1911) Blase, Therese: Wilhelmine Lehmann (Mannheim) †. In: GL, 21/ 18/ 05.06.1911/ 282/ AdB. K 84. Levin, Rahel (1771-1833) Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts III: Rahel Levin. In: GL, 29/ 36/ 25.10.1919/ 283-286/ F. V 85. Lewin-Dorsch, Hannah (?-1911) Hannah Lewin-Dorsch †. In: GL, 21/ 23/ 14.08.1911/ 362-263/ AdB. K 86. Liebknecht, Natalie (1835-1909) Natalie Liebknecht. In: GL, 19/ 10/ 15.02.1909/ 152/ AdB. E 87. Lorenz, ? (?-1916) Genossin Lorenz, Kiel-Gaarden †. In: GL, 27/ 01/ 13.10.1916/ 7/ AdB. K 88. Ludwig, Marie (?-1896) Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 188-189. K 89. Luther, ? (?-1898) Eine treue Parteigenossin ... In: GL, 09/ 02/ 18.01.1899/ 13-14/ AdB. V 90. Lutze, Ernestine (1873-1948) Ein Doppeljubiläum. In: GL, 33/ 14/ 15.07.1923/ 115-116/ AuB. K 91. Mac Donald, Margaret Ethel (1870-1911) Margaret Ethel Mac Donald †. In: GL, 21/ 26/ 25.09.1911/ 405-406. K 92. Macarthur, Mary (1880-1921) Kämmerer-Leonhardt, E.: Olive Schreiner und Mary Macarthur/ 31/ 03/ 01.02.1921/ 18-19. K 93. Mahn, Emilie (1847-1908) Emilie Mahn †. In: GL, 18/ 12/ 08.06.1908/ 108/ AdB. K 94. Mantegazza, Laura Solera (1813-1873) Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die ersten Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Italien bis 1893. In: GL, 13/ 01/ 01.01.1903/ 2-3. K 95. Marabini, Emilia Alciati (?-1897) Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die Ausbreitung und Vertiefung der Arbeiterinnenbewegung in den Jahren 1893 bis 1898. In: GL, 13/ 11/ 20.05.1903/ 83-85. K 96. Marx, Jenny (1814-1881) Blos, Anna: Jenny Marx. In: GL, 28/ 15/ 26.04.1918/ 114-116. E 97. Marx-Aveling, Eleanor (1855-1898) Eleanor Marx-Aveling †. In: GL, 08/ 08/ 13.04.1898/ 57/ L. Banner, Robert: Den Tod unserer unvergeßlichen Genossin Eleanor Marx betreffend ... In: GL, 08/ 10/ 11.05.1898/ 75-76/ AdB. K 98. Menzzer, Marianne (1814-1895) [Ihrer, Emma?] E. J.: Marianne Menzzer †. In: GL, 05/ 15/ 24.07.1895/ 114. B 99. Méricourt, Théroigne de Die Pariser Frauen des 5. und 6. Oktober 1789. (Schluß.). In: GL, 02/ 20/ 05.10.1892/ 167-168. V 779 LITERATUR Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel (nach Erscheinen geordnet und ergänzt durch Nachrichtennotizen) Leitbild (1762-1817) Théroigne de Méricourt. In: GL, 03/ 01/ 11.01.1893/ 7-8. 100. Meysenbug, Amalia Malvida Wilhelmina Tamina von (1816-1903) Blos, Anna: Eine freie Schule vor fünfzig Jahren. In: GL, 16/ 22/ 31.10.1906/ 153-154. Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. In: GL, 17/ 05/ 06.03.1907/ 34- 35. Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. (Fortsetzung.). In: GL, 17/ 06/ 20.03.1907/ 43-44. Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. (Fortsetzung.). In: GL, 17/ 07/ 03.04.1907/ 50-51. Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. (Schluß.). In: GL, 17/ 08/ 17.04.1907/ 60-61. Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts IV: Malvida von Meysenbug. In: GL, 29/ 42/ 06.12.1919/ 331-333/ F. Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 29/ 43/ 13.12.1919/ 339- 340/ F. Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 29/ 45-46/ 27.12.1919/ 357-358/ F. Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 30/ 01/ 03.01.1920/ 5-6/ F. Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 30/ 02/ 10.01.1920/ 11-14/ F. Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts IV: Malvida von Meysenbug. (Schluß). In: GL, 30/ 03/ 17.01.1920/ 19-20. V 101. Michel, Louise (1839-1905) [Redaktion: Ohne Titel.] In: GL, 03/ 05/ 08.03.1893/ 40. Louise Michel. In: GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 44-46. Louise Michel †. In: GL, 14/ 08/ 06.04.1904/ 57-58/ L. Eine gute Nachricht ... In: GL, 14/ 09/ 20.04.1904/ 72 Louise Michel †. In: GL, 15/ 02/ 25.01.1905/ 11. Holzamer, Wilhelm: Louise Michel. In: GL, 15/ 03/ 08.02.1905/ 14. K 102. Middleton, Mary (1870-1911) Mary Middleton †. In: GL, 21/ 18/ 05.06.1911/ 287/ N Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. K 103. Misselwitz, ? (?-?) Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 23/ 14.11.1906/ 161-162. Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169-170. K 104. Morgenstern, Lina (1831-1909) Lina Morgenstern †. In: GL, 20/ 08/ 17.01.1910/ 127/ N Frauen- bewegung. B 105. Motteler, Emilie (?-1919) Emilie Motteler, In: GL, 29/ 09/ 31.01.1919/ 68/ AuB. E 106. Müller, Alwine (?-?) e.d.: Alwine Müller. In: GL, 20/ 15/ 25.04.1910/ 230-231. K 107. Müller-Jahnke, Clara (1861-1905) Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 44-46/ F. K 780 6.3 DIE FRAUENBIOGRAPHISCHEN ARTIKEL AUS DEM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“ Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel (nach Erscheinen geordnet und ergänzt durch Nachrichtennotizen) Leitbild Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. (Fortsetzung statt Schluß.). In: GL, 09/ 07/ 29.03.1899/ 52-54/ F. Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. (Schluß.). In: GL, 09/ 08/ 12.04.1899/ 60-63/ F. [Ohne Titel] In: GL, 15/ 24/ 29.11.1905/ 142/ AdB. [Ohne Titel] In: GL, 29/ 41/ 29.11.1919/ 326/ F Bücherschau. Schirbel, Friedel: Klara Müller-Jahnke zum Gedächtnis. Gestorben am 4. November 1905. In: GL, 31/ 20/ 15.10.1921/ 195-196/ F. 108. Musfeldt, Marie (?-1896) Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 188-189. K 109. Negri, Ada (1870-1945) Ada Negri als Vortragende vor italienischen Emigranten in Zürich. In: GL, 23/ 23/ 06.08.1913/ 368/ N Verschiedenes. Soll, Karl: Politische Frauen. (Schluß). In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210- 211. [Bohm-Schuch, Klara] B.-S.: Ada Negri. In: GL, 30/ 07/ 14.02.1920/ 51/ F. K 110. Nielsen, Olivia (1852-1910) Genossin Olivia Nielsen †. In: GL, 20/ 22/ 01.08.1910/ 352/ N Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. K 111. Nikitin-Gendre, Barbara (1842-1884) Barbara Nikitin-Gendre. In: GL, 02/ 12/ 15.06.1892/ 103-104. K 112. Nowak-Krasa, Marie (1874-1911) Marie Nowak-Krasa †. In: GL, 21/ 18/ 05.06.1911/ 287/ N Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. K 113. Otto-Peters, Louise (1819-1895) Luise Otto-Peters †. In: GL, 05/ 07/ 03.04.1895/ 56. Blos, Anna: Aus den Anfängen der Frauenbewegung. In: GL, 17/ 23/ 11.11.1907/ 197-198. Blos, Anna: Aus den Anfängen der Frauenbewegung. (Schluß.). In: GL, 17/ 24/ 25.11.1907/ 208. Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters. In: GL, 23/ 12/ 05.03.1913/ 179- 180. Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters (Fortsetzung.). In: GL, 23/ 13/ 19.03.1913/ 195-196. Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters (Schluß.). In: GL, 23/ 14/ 02.04.1913/ 212-213. Blos, Anna: Zum hundertsten Geburtstag von Luise Otto-Peters. In: GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 100-102/ F. V 114. Pankhurst, Emmeline (1858-1928) Emmeline Pankhurst. In: GL, 07/ 19/ 15.09.1897/ 149. K 115. Perowskaja, Sophie (1853-1881) Sophie Perowskaja. In: GL, 02/ 21/ 19.10.1892/ 175-176. K 116. Peuschel, Christiane (?-?) Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 21/ 17.10.1906/ 146-147. Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 22/ 31.10.1906/ 154. Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169-170. K 781 LITERATUR Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel (nach Erscheinen geordnet und ergänzt durch Nachrichtennotizen) Leitbild 117. Piele, Dorothea (?-1897) Eine wackere Streiterin ... In: GL, 07/ 24/ 24.11.1897/ 190/ AdB K 118. Pisan, Christine de (um 1364- um 1430) Eine Vorkämpferin der Frauenbewegung ... In: GL, 08/ 03/ 02.02.1898/ 24/ N Frauenbewegung. V 119. Polonsky, Nikonorowna Marina (?-1898) Eine der besten russischen Vorkämpferinnen für die Befreiung des weiblichen Geschlechts und des arbeitenden Volkes ... In: GL, 08/ 23/ 09.11.1898/ 182/ N Sozialistische Frauenbewegung im Auslande. K 120. Potonié-Pierre, Eugénie (1844-1898) Frau Potonié-Pierre, eine der rührigsten französischen Frauenrechtlerinnen, ist kürzlich in Paris verstorben. In: GL, 08/ 17/ 17.08.1898/ 136. V 121. Prohaska, Eleonore (1785-1813) L. W.-K.: Eleonore Prohaska. In: GL, 02/ 07/ 06.04.1892/ 63-64. L. W.-K.: Eleonore Prohaska. (Schluß.). In: GL, 02/ 08/ 20.04.1892/ 71- 72. Rückert, Friedrich: Auf das Mädchen aus Potsdam, Prohaska. In: GL, 02/ 08/ 20.04.1892/ 72. V 122. Ragozinnikowa, E. P. (?-1907/ 21-jährig) [Kautsky, Luise? oder Kähler, Luise?] L. K.: Zwei Märtyrerinnen im russischen Freiheitskampf. In: GL, 18/ 04/ 17.02.1908/ 30. K 123. Ranke, ? (?-1901) Genossin Ranke – Berlin †. In: GL, 11/ 19/ 11.09.1901/ 150. K 124. Ries, Margarete (?-1922/ 25-jährig) M. A.: Margarete Ries † In: GL, 32/ 02/ 15.01.1922/ 18/ AuB. K 125. Riskind, Esther (?-1905/ 25-jährig) H. H.: Esther Riskind. In: GL, 16/ 02/ 24.01.1906/ 7-8. K 126. Roland, Jeanne-Marie (1754-1793) Madame Roland. In: GL, 04/ 01/ 10.01.1894/ 3-5. Madame Roland. (Fortsetzung statt Schluß.). In: GL, 04/ 02/ 24.01.1894/ 11-13. Madame Roland. (Schluß.). In: GL, 04/ 03/ 07.02.1894/ 19-22. Soll, Karl: Politische Frauen. In: GL, 29/ 26/ 16.08.1919/ 203-204. V 127. Romm, Julie (1853-1916) Julie Romm †. In: GL, 26/ 12/ 03.03.1916/ 90/ N Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. K 128. Sachs, Anna (?-1910) Anna Sachs †. In: GL, 21/ 06/ 19.12.1910/ 91-92/ AdB. K 129. Sand, George (1804-1876) Thurow, H[ermann]: George Sand. In: GL, 14/ 15/ 13.07.1904/ 116-117. Thurow, H[ermann]: George Sand. In: GL, 14/ 16/ 27.07.1904/ 125-126. V 130. Schackow, Johanne (?-1903) Johanne Schackow †. In: GL, 13/ 03/ 28.02.1903/ 21-22/ F. (Druckfehlerberichtigung. In: GL, 13/ 04/ 11.02.1903/ 32.) K 131. Schepeler-Lette, Anna (1827-1897) Frau Anna Schepeler-Lette ... In: GL, 07/ 21/ 13.10.1897/ 166/ N Frauenbewegung. B 132. Scherz, Betty (?-1916) Genossin Betty Scherz – Zürich †. In: GL, 27/ 09/ 02.02.1917/ 59/ AdB. K 133. Scherzer, Lina (?-1915/ 81-jährig) Baader, Ottilie: Lina Scherzer – Berlin †. In: GL, 26/ 08/ 07.01.1916/ 57/ AdB. K 134. Schilling, Agnes Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 188-189. K 782 6.3 DIE FRAUENBIOGRAPHISCHEN ARTIKEL AUS DEM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“ Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel (nach Erscheinen geordnet und ergänzt durch Nachrichtennotizen) Leitbild (?-1896/ 34-jährig) 135. Schirmer, Luise (?-1912/ 38-jährig) [Wackwitz, Marie?] M. W.: Luise Schirmer †. In: GL, 23/ 01/ 02.10.1912/ 10. K 136. Schlegel-Schelling, Karoline (1763-1809) Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts V: Karoline. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 227-229/ F. Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts V: Karoline. (Fortsetzung). In: GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 235-237/ F. Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts V: Karoline. (Schluß). In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 243-245/ F. V 137. Schlosser, Ernestine (?-1904) Ernestine Schlosser †. In: GL, 14/ 27/ 28.12.1904/ 215/ AdB. K 138. Schlözer, Dorothea (1770-1825) L. W.-K.: Doktor Dorothea Schlözer. In: GL, 02/ 23/ 16.11.1892/ 191- 192. V 139. Schmidt, Auguste (1833-1902) Auguste Schmidt. In: GL, 12/ 14/ 02.07.1902/ 109-110/ F. B 140. Schmidt, Magdalene (?-1904?) Zietz, Luise: Magdalene Schmidt – Hamm-Hamburg. In: GL, 15/ 01/ 11.01.1905/ 4. K 141. Schreiner, Olive (1855-1920) Kämmerer-Leonhardt, E.: Olive Schreiner und Mary Macarthur. In: GL, 31/ 03/ 01.02.1921/ 18-19. K 142. Schulze, Flora (?-1904) [Duncker, Käte] K. D.: Flora Schulze – Leipzig †. In: GL, 14/ 25/ 30.11.1904/ 199. K 143. Schwartz, Johanna (1833-1912) Johanna Schwartz †. In: GL, 23/ 04/ 13.11.1912/ 58/ AdB. K 144. Schweichel, Elise (1831-1911) [Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel. In: GL, 21/ 25/ 11.09.1911/ 391. [Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167. V 145. Schwerin, Jeanette (1852-1899) Jeanette Schwerin †. In: GL, 09/ 16/ 02.08.1899/ 126-127. B 146. Spindler, Selma (?-1915) Drechsler, M.: Selma Spindler †. In: GL, 26/ 02/ 15.10.1915/ 13/ AdB. K 147. Spiridonowa, M.A. (?-1906) M.A. Spiridonowa. In: GL, 16/ 09/ 02.05.1906/ 59-60. K 148. Staegemann, Pauline (1830-1909) Pauline Staegemann † In: GL, 19/ 26/ 27.09.1909/ 409/ AdB. Ihrer, Emma: Mutter Staegemann. In: GL, 20/ 01/ 11.10.1909/ 2-3. [Wackwitz, Marie?] m.w.: Zur Ehrung der verstorbenen Genossin Pauline Staegemann ... In: GL, 20/ 14/ 11.04.1910/ 220/ AdB. K 149. Stein, Charlotte von (1742-1827) Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts [VI]: Charlotte von Stein. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 338-340/ F. V 150. Steinbach, Helma (1847-1918) Molkenbuhr, Hermann: Helma Steinbach. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 173-174/ AuB. K 151. Stieglitz, Charlotte Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrhunderts II: Charlotte Stieglitz. V 783 LITERATUR Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel (nach Erscheinen geordnet und ergänzt durch Nachrichtennotizen) Leitbild (1806-1834) In: GL, 29/ 33/ 04.10.1919/ 259-260/ F. 152. Stojadinowitsch, Militza (1830-1878) Wendel, Hermann: Militza Stojadinowitsch. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 173-175/ F. V 153. Stone, Lucy (1818-1893) Lucy Stone. In: GL, 04/ 07/ 04.04.1894/ 55-56. K 154. Struve, Amalie (1824-1862) Blos, Wilhelm: Eine deutsche Republikanerin. In: GL, 18/ 02/ 20.01.1908/ 13-14. E 155. Stuart, Maria (1542-1587) Wittich, Manfred: Maria Stuart. Eine historische Skizze. In: GL, 05/ 07/ 03.04.1895/ 52-54. Wittich, Manfred: Maria Stuart. Eine historische Skizze. (Fortsetzung.). In: GL, 05/ 08/ 17.04.1895/ 60-62. Wittich, Manfred: Maria Stuart. Eine historische Skizze. (Schluß.). In: GL, 05/ 09/ 01.05.1895/ 68-70. V 156. Taubert, Amalie (?-1913/ 65-jährig) Wehmann, Klara: Amalie Taubert †. In: GL, 23/ 11/ 19.02.1913/ 171/ AdB. K 157. Taylor-Mill, Harriet (1807-1858) John Stuart Mills Frau. In: GL, 06/ 05/ 04.03.1896/ 38-40. E 158. Teumer, Luise (?-1904/ 27-jährig) Genossin Luise Teumer in Obereichenbach i.V. †. In: GL, 14/ 12/ 01.06.1904/ 93-94/ AdB. K 159. Thiede, Paula (1870-1919) Kähler, Wilhelmine: Paula Thiede †. In: GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 100- 101/ AuB. K 160. Tölle, Emma (1854-?) E. B.: Der 60. Geburtstag einer wackeren Kämpferin. In: GL, 24/ 14/ 01.04.1914/ 216/ AdB. K 161. Trompeter, ? (?-1897) Zwei wackere Kämpferinnen ... In: GL, 07/ 08/ 14.04.1897/ 61-62/ AdB. K 162. Viebig, Clara (1860-1952) Kliche, Josef: Eine Meisterin deutscher Erzählkunst/ 30/ 29/ 17.07.1920/ 236-238. K 163. Wabnitz, Agnes (1841-1894) Ohne Titel, GL, 02/ 15/ 27.07.1892/ 126/ AB. Ohne Titel, GL, 02/ 16/ 10.08.1892/ 133/ AB. Ohne Titel, GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 181/ AB. Ohne, Titel, In: GL, 03/ 02/ 25.01.1893/ 12/ AB. Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 147-150. Agnes Wabnitz †. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 148-149. Berichtigung zu dem Artikel „Agnes Wabnitz“ in Nr. 19 der „Gleichheit“! In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 163. Agnes Wabnitz. Von B. Glogau. Eine Frauenstimme aus der Bourgeoisie. In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 168/ Literarisches. Das Proletariat vergißt seine Todten nicht. In: GL, 05/ 20/ 02.10.1895/ 154-155. K 164. Webb, Beatrice (1858-1943) Beatrice Webb. In: GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 108-110/ F. Beatrice Webb. (Schluß.). In: GL, 07/ 15/ 21.07.1897/ 116-118/ F. V 165. Weber, Wilhelmine (?-?) Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 21/ 17.10.1906/ 146-147. K 784 6.3 DIE FRAUENBIOGRAPHISCHEN ARTIKEL AUS DEM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“ Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel (nach Erscheinen geordnet und ergänzt durch Nachrichtennotizen) Leitbild Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169-170. 166. Wehmann, Klara (?-1915/ 56-jährig) Genossin Clara Wehmann – Leipzig †. In: GL, 25/ 23/ 06.08.1915/ 153- 154/ AdB. [Duncker, Käte?] K. D.: Klara Wehmann †. In: GL, 25/ 24/ 20.08.1915/ 161/ AdB. K 167. Wengels, Margarete (1856-1931) Margarete Wengels zum 60. Geburtstag. In: GL, 26/ 13/ 17.03.1916/ 98- 99/ AdB. K 168. Willard, Frances (1839-1898) Eine der verdienst- und charaktervollsten Vorkämpferinnen für Frauenrechte, Miß Frances Willard ... In: GL, 08/ 08/ 13.04.1898/ 64/ N Frauenbewegung. Frances Willard. In: GL, 08/ 26/ 21.12.1898/ 202-204. B 169. Wojnarowska, Wanda Cäsarina (1861-1911) M.: Eine Kämpferin. In: GL, 21/ 16/ 08.05.1911/ 247-249. K 170. Wollstonecraft, Mary (1759-1797) Blos, Anna: Mary Wollstonecraft. In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 114-116/ F. V 171. Wünsche, Berta (?-1910/ 42-jährig) M. H.: Berta Wünsche – Regensburg † In: GL, 21/ 10/ 13.02.1911/ 154/ AdB. K 172. Zeh, Adelheid (?-1909) [Greifenberg, Marie?] M. G.: Adelheid Zeh – Lechhausen †. In: GL, 19/ 12/ 15.03.1909/ 184-185/ AdB. K 173. Zietz, Luise (1865-1922) Genossin Zietz ... In: GL, 26/ 16/ 28.04.1916/ 120/ AdB. Bohm-Schuch, Clara: Luise Zietz zum Gedächtnis. In: GL, 32/ 04/ 15.02.1922/ 34-35. [Wurm, Mathilde?] M. W.: Luise Zietz zum Gedächtnis. In: GL, 33/ 02/ 15.01.1923/ 10. K Siglenverzeichnis: AB = Arbeiterinnenbewegung V = Weiblicher Vollmensch AdB = Aus der Bewegung M = Mutter AuB = Aus unserer Bewegung E = Ehefrau F = Feuilleton K = Klassenkämpferin L = Leitartikel B = Bürgerliche Frauenrechtlerin N = Notizenteil 785 6.1 Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der „Gleichheit“ (chronologisch nach Erscheinen geordnet) Ungenannte Heldinnen. In: GL, 02/ 10/ 18.05.1892/ 87-88. Henning, Herr: Die Zeit vor der Reformation. In: GL, 02/ 12/ 15.06.1892/ 102/ AB. Wolf, ? [Zahnarzt]: Die Geschichte der Ehe und die Stellung der Frau in der Vergangenheit. In: GL, 02/ 12/ 15.06.1892/ 102/ AB. Die Frau in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. In: GL, 02/ 12/ 15.06.1892/ 103/ AB. Die Pariser Frauen des 5. und 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 19/ 21.09.1892/ 159-160. Die Pariser Frauen des 5. und 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 20/ 05.10.1892/ 167-168. J.: Die revolutionäre Sozialdemokratie. In: GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 46-48. Zur Maifeier. In: GL, 03/ 08/ 19.04.1893/ 57/ L. Nachtrag zur Märzfeier. In: GL, 03/ 07/ 19.04.1893/ 60-61. Turgéniew, Iwan: „Je suis envoyé par les nôtres!“ – Eine Episode aus den Junitagen von 1848 zu Paris. In: GL, 03/ 10/ 17.05.1893/ 76-78/ F. Turgéniew, Iwan: „Je suis envoyé par les nôtres!“ – Eine Episode aus den Junitagen von 1848 zu Paris. In: GL, 03/ 11/ 31.05.1893/ 83-86/ F. Zur Maifeier. In: GL, 04/ 08/ 18.04.1894/ 57-58/ L. Der 18. März. In: GL, 04/ 08/ 18.04.1894/ 58. Klassenkampf ist die Losung. In: GL, 04/ 11/ 30.05.1894/ 81/ L. i-: Die Vergeltung. In: GL, 04/ 14/ 11.07.1894/ 108-110. i-: „‘s ist der Geschichte ew‘ges Muß!“. In: GL, 04/ 20/ 03.10.1894/ 156-158. Die Frauen und das Ausnahmegesetz. In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 164-165. Zur Maifeier. In: GL, 05/ 09/ 01.05.1895/ 65-66/ L. Kautsky, K[arl]: 1870-1895. In: GL, 05/ 09/ 01.05.1895/ 66 [aus der Oesterreichischen Mai-Zeitung]. Jus primae noctis im letzten Viertel des XIX. Jahrhunderts in Preußen. In: GL, 05/ 11/ 29.05.1895/ 87-88. Der Staat im Kampfe gegen die proletarische Frauenbewegung. In: GL, 05/ 17/ 21.08.1895/ 131-132. Gelehrte Französinnen im 18. Jahrhundert. In: GL, 05/ 26/ 24.12.1895/ 208. Lehmann, Marie stud.med.: Ueber Entstehung und Ursachen des Frauenraubes. In: GL, 06/ 03/ 05.02.1896/ 22-23 [aus der bürgerlichen Frauenzeitschrift „Die Frauenbewegung“]. Wie kam es, daß die Frauen von der Theilnahme am öffentlichen Leben ausgeschlossen wurden. In: GL, 06/ 04/ 19.02.1896/ 26-27 [aus: Kautsky, Karl: Der Parlamentarismus, die Volksgesetzgebung und die Sozialdemokratie, Stuttgart: J.H.W. Dietz, 1893]. Große Königinnen in Aegypten. In: GL, 08/ 04/ 16.02.1898/ 32/ N Geschichtliches zur Frauenfrage. Zum 18. März. In: GL, 08/ 06/ 16.03.1898/ 41-43/ L. Menvento, Dr. Allan: Ueber die Grenzen der Frauen-Emancipation. In: GL, 08/ 14/ 06.07.1898/ 107-109. Kalt-Reuleaux, O.: Frauen im Transvaal. In: GL, 08/ 15/ 20.07.1898/ 116-117/ F. Weh, O.: Die Gleichstellung von Mensch und Thier in der Gesetzgebung des Mittelalters. In: GL, 08/ 16/ 03.08.1898/ 124-126/ F. Weh, O.: Die Gleichstellung von Mensch und Thier in der Gesetzgebung des Mittelalters. (Fort setzung.). In: GL, 08/ 17/ 17.08.1898/ 132-133/ F. Weh, O.: Die Gleichstellung von Mensch und Thier in der Gesetzgebung des Mittelalters. (Schluß.). In: GL, 08/ 18/ 31.08.1898/ 140-141/ F. Frauenärzte im Alterthum. In: GL, 08/ 22/ 26.10.1898/ 176/ N Frauenbewegung. Thurow, H[ermann]: Die Proletarierfrau in der neueren französischen Lyrik. In: GL, 08/ 23/ 09.11.1898/ 180-183/ F. Thurow, H[ermann]: Die Proletarierfrau in der neueren französischen Lyrik. (Schluß.). In: GL, 08/ 24/ 23.11.1898/ 188-190/ F. 787 LITERATUR Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. In: GL, 09/ 01/ 04.01.1899/ 3-6. Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. II. In: GL, 09/ 02/ 18.01.1899/ 12-13 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. III. In: GL, 09/ 04/ 15.02.1899/ 29-31. Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. IV. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 44-45 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. V. In: GL, 09/ 09/ 26.04.1899/ 67-69. Weibliche Aerzte im Alterthum und Mittelalter. In: GL, 09/ 09/ 26.04.1899/ 72/ N Frauenbewegung. Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. VI. In: GL, 09/ 12/ 07.06.1899/ 92-94 / F [aus dem „Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik“ (Bd. 13, Heft 1 und 2]. Vom gerichtlichen Zweikampf zwischen Frau und Mann in altdeutscher Zeit. In: GL, 10/ 09/ 25.04.1900/ 68-69/ F. Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters. In: GL, 10/ 11/ 23.05.1900/ 84-85/ F. Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters. (Fortsetzung.). In: GL, 10/ 12/ 06.06.1900/ 92-93/ F. Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters. (Fortsetzung.). In: GL, 10/ 13/ 20.06.1900/ 100-101/ F. Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters. (Schluß.). In: GL, 10/ 14/ 04.07.1900/ 108-109/ F. Die Gründung eines Frauenmuseums in Petersburg .... In: GL, 10/ 15/ 18.07.1900/ 120/ N Frauenbewegung. Eine Frauenbuchdruckerei vor 100 Jahren. In: GL, 10/ 21/ 10.10.1900/ 167-168/ N Vermischtes. Frauenrechte im alten Babylonien. In: GL, 10/ 21/ 10.10.1900/ 168/ N Vermischtes. Absteigende und aufsteigende Kultur. In: GL, 10/ 25/ 05.12.1900/ 193-194/ L. Jacobi, Eugenie: Howa-Frauen. In: GL, 10/ 25/ 05.12.1900/ 196/ F [aus der „La Fronde“]. a.br.: Französische Arbeiterinnen im 13., 15. und 16. Jahrhundert. In: GL, 11/ 13/ 19.06.1901/ 100-102. Unsere Tageslosung. In: GL, 12/ 01/ 01.01.1902/ 1-2/ L. Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die ersten Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Italien. In: GL, 13/ 01/ 01.01.1903/ 2-3. Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die Entwicklung der Frauenstimmrechtsfrage in den einzelnen sozialistischen Gruppen Italiens bis 1891. In: GL, 13/ 02/ 14.01.1903/ 11-13. Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Anna Maria Mozzoni, Anna Kulischoff. Die ersten größeren Lohnbewegungen der italienischen Arbeiterinnen. In: GL, 13/ 05/ 25.02.1903/ 36-38. Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Fortschritte, Rückschläge und Aussichten der Frauenbewegung im Jahre 1893. In: GL, 13/ 08/ 08.04.1903/ 58-60. Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die Ausbreitung und Vertiefung der Arbeiterinnenbewegung in den Jahren 1893 bis 1898. In: GL, 13/ 11/ 20.05.1903/ 83-85. Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Das „böse Jahr“ 1898. In: GL, 13/ 17/ 12.08.1903/ 131-134. Die Frauen unter dem Ausnahmegesetz. In: GL, 13/ 23/ 04.11.1903/ 178-180. W. D.: Zur Geschichte der Kinderschutzgesetzgebung. I. In: GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 18-19. W. D.: Zur Geschichte der Kinderschutzgesetzgebung. II. In: GL, 14/ 05/ 24.02.1904/ 36-38. Borchardt, Julian: Von der sozialen Frage. In: GL, 14/ 20/ 21.09.1904/ 156-158. Zietz, Luise: Weihnachten. In: GL, 15/ 26/ 27.12.1905/ 151-152/ L. Heraus mit dem Frauenwahlrecht! In: GL, 16/ 02/ 24.01.1906/ 7/ L. Blos, Wilhelm: Die Frauen im Bauernkrieg. In: GL, 16/ 04/ 21.02.1906/ 19-20 [Ledebour, Georg?] G. L.: Zum 18. März. In: GL, 16/ 06/ 21.03.1906/ 31/ L. Blos, Wilhelm: Aus dem „tollen Jahre“. In: GL, 16/ 08/ 18.04.1906/ 50-51. Hildebrand, Gerhard: Der proletarische Klassenkampf um die Volksbildung. In: GL, 16/ 16/ 08.08.1906/ 106. B[lase], Th[erese]: Der Kampf, Erwecker des Klassenbewußtseins. In: GL, 16/ 17/ 22.08.1906/ 113/ L. Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 20/ 03.10.1906/ 138. 788 6.1 AUSWAHL DER GESCHICHTLICHEN ARTIKEL IM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“ Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland (Fortsetzung.). In: GL, 16/ 21/ 17.10.1906/ 146-147 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland (Fortsetzung.). In: GL, 16/ 22/ 31.10.1906/ 154. Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland (Fortsetzung.). In: GL, 16/ 23/ 14.11.1906/ 161-163. Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland (Fortsetzung.). In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169-170. Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland (Schluß.). In: GL, 16/ 25/ 12.12.1906/ 178 [die gesamte Artikelreihe erschien zuerst im „Neue Welt-Kalender“ für 1906, Hamburg: Auer & Co.]. Dorsch, Hanna: Weihnachten – Sonnenwendfest! In: GL, 16/ 26/ 26.12.1906/ 186. Dienstmädchenbewegung 1848. In: GL, 17/ 05/ 06.03.1907/ 38-39/ N Dienstbotenfrage. [Ledebour, Georg?] G. L.: Märzgedanken. In: GL, 17/ 06/ 20.03.1907/ 41/ L. Luxemburg, Rosa: Die Maifeier. In: GL, 17/ 09/ 01.05.1907/ 71/ L. Wir pfeifen darauf! In: GL, 18/ 03/ 03.02.1908/ 19/ L. Geschichtliche Zeichen. In: GL, 18/ 07/ 30.03.1908/ 59/ L. Katzenstein, Simon: Wesen und Entstehung des Rechts. In: GL, 18/ 15/ 20.07.1908/ 135. Katzenstein, Simon: Die Entstehung des geltenden bürgerlichen Rechtes. In: GL, 18/ 17/ 17.08.1908/ 152-153. Wendel, Hermann: Die Frau im 18. Jahrhundert. I. In: GL, 19/ 01/ 12.10.1908/ 5-6. Wendel, Hermann: Die Frau im 18. Jahrhundert. II. In: GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 18-20. Blos, Anna: Hexenglauben und Hexenprozesse. In: GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 24-25. Blos, Anna: Hexenglauben und Hexenprozesse (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 03/ 09.11.1908/ 40-42. Blos, Anna: Hexenglauben und Hexenprozesse (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 04/ 23.11.1908/ 56-57. Blos, Anna: Hexenglauben und Hexenprozesse (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 05/ 07.12.1908/ 72-73. Korn, K.: Ein Weihnachtsgeschenk des Marxismus. In: GL, 19/ 06/ 21.12.1908/ 81-83/ L. Blos, Anna: Hexenglauben und Hexenprozesse (Schluß.). In: GL, 19/ 06/ 21.12.1908/ 86-88. [Alexander, Getrud] G. G.: Die Prometheussage. In: GL, 19/ 07/ 04.01.1909/ 103-104. [Alexander, Getrud] G. G.: Die Prometheussage (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 08/ 18.01.1909/ 119-121. [Alexander, Getrud] G. G.: Die Prometheussage (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 09/ 01.02.1909/ 134-136. [Alexander, Getrud] G. G.: Die Prometheussage (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 10/ 15.02.1909/ 146-147. [Alexander, Getrud] G. G.: Die Prometheussage (Schluß.). In: GL, 19/ 11/ 01.03.1909/ 166-167. Der Geschichte ew‘ges Muß. In: GL, 19/ 12/ 15.03.1909/ 177-178/ L. Hausenstein, Wilhelm: Der Tiroler Aufstand im Jahre 1809. In: GL, 19/ 22/ 02.08.1909/ 339-341. Hausenstein, Wilhelm: Der Tiroler Aufstand im Jahre 1809. In: GL, 19/ 23/ 16.08.1909/ 356-358. Hausenstein, Wilhelm: Der Tiroler Aufstand im Jahre 1809. In: GL, 19/ 24/ 30.08.1909/ 372-374. Oberholzer, Ernst (Zürich): Die Entwicklung der zivilrechtlichen Stellung der Frau bis zur Gegenwart. In: GL, 20/ 01/ 11.10.1909/ 6-8. Dies Buch gehört den Massen. In: GL, 20/ 06/ 20.12.1909/ 81-83/ L. K.: Frauennot und Frauenarbeit im Mittelalter. In: GL, 20/ 07/ 03.01.1910/ 102-103. Ueber den März hinaus. In: GL, 20/ 12/ 14.03.1910/ 177-179/ L. Jäckel, H[ermann?]: Vom Spinnen und Weben in alter Zeit. I. In: GL, 20/ 19/ 20.06.1910/ 295-296. Jäckel, H[ermann?]: Vom Spinnen und Weben in alter Zeit. II. In: GL, 20/ 20/ 04.07.1910/ 309-310. Jäckel, H[ermann?]: Vom Spinnen und Weben in alter Zeit. III. In: GL, 20/ 23/ 15.08.1910/ 360-361. Jäckel, H[ermann?]: Vom Spinnen und Weben in alter Zeit. IV. In: GL, 20/ 24/ 29.08.1910/ 375-376. 789 LITERATUR Eckstein, Gustav: Das Weib als Kulturträgerin. In: GL, 21/ 01/ 10.10.1910/ 3-4. Eckstein, Gustav: Das Weib als Kulturträgerin (Schluß.). In: GL, 21/ 02/ 24.10.1910/ 19-21. Mehring, Franz: Eine feudale Ruine. In: GL, 21/ 04/ 21.11.1910/ 50-51 [aus der „Neuen Zeit“]. Kollontay, Alexandra: Der erste Mai im Zarenreich. In: GL, 21/ 15/ 24.04.1911/ 228-229. [Möhring, Henry] Roland: Sedan! In: GL, 21/ 24/ 28.08.1911/ 376. Sommer, B.: Aus der Geschichte der menschlichen Unwissenheit. In: GL, 22/ 01/ 09.10.1911/ 6-8. Sommer, B.: Aus der Geschichte der menschlichen Unwissenheit. In: GL, 22/ 02/ 23.10.1911/ 20-22. Sommer, B.: Aus der Geschichte der menschlichen Unwissenheit. In: GL, 22/ 04/ 15.11.1911/ 54-55. Mehring, Franz: Ein aufgeklärter Despot? In: GL, 22/ 10/ 05.02.1912/ 150-152 [aus der „Neuen Zeit“]. Luxemburg, Rosa: Märzenstürme. In: GL, 22/ 13/ 18.03.1912/ 193-194/ L. Aus der Geschichte des Kampfes um das Frauenwahlrecht in England. In: GL, 23/ 11/ 19.02.1913/ 176/ N Frauenstimmrecht. Hahnewald, Edgar: Vom Ursprung der Arbeit. In: GL, 23/ 12/ 05.03.1913/ 181-182. Mehring, Franz: Ein Parteijubiläum. In: GL, 23/ 13/ 19.03.1913/ 194-195 [aus der „Neuen Zeit“]. Hahnewald, Edgar: Vom Ursprung der Arbeit (Schluß.). In: GL, 23/ 13/ 19.03.1913/ 196-197. Fünfzig Jahre. In: GL, 23/ 18/ 28.05.1913/ 273-275/ L. Erdmann, August: Frauenarbeit im Mittelalter. In: GL, 24/ 09/ 21.01.1914/ 135-137. Erdmann, August: Frauenarbeit im Mittelalter (Schluß.). In: GL, 24/ 10/ 04.02.1914/ 147-148. Diederich, Franz: Der Saint-Simonismus und die Frauenwahlrechtsbewegung. In: GL, 24/ 13/ 18.03.1914/ 195-197. a.e.: Eine Frauenzeitung im Jahre 1848. In: GL, 24/ 16/ 29.04.1914/ 245-246. A demi mort ... Halb tot. Wie die Pariser Damen 1871 zu einer neuen Modefarbe kamen. In: GL, 24/ 18/ 27.05.1914/ 277. l. ch.: Wie es zu Kriegen kommt. In: GL, 25/ 07/ 21.12.1914/ 33-35. Der internationale sozialistische Frauentag. In: GL, 25/ 13/ 19.03.1915/ 73-74/ L. Röttcher, Fritz: Zur Soziologie des Krieges. In: GL, 25/ 23/ 06.08.1915/ 150-152. Röttcher, Fritz: Zur Soziologie des Krieges. In: GL, 25/ 24/ 20.08.1915/ 160-161. Röttcher, Fritz: Zur Soziologie des Krieges (Schluß.). In: GL, 25/ 25/ 03.09.1915/ 167. Ein Blatt Geschichte. I. In: GL, 26/ 22/ 21.07.1916/ 165-166/ L. Ein Blatt Geschichte. II. In: GL, 26/ 23/ 04.08.1916/ 171-172. Ein Blatt Geschichte. III. In: GL, 26/ 24/ 18.08.1916/ 177-178. Pax Romana. In: GL, 26/ 26/ 15.09.1916/ 189-190/ L. Blos, Anna: Friedensvorkämpferinnen im Altertum. In: GL, 27/ 20/ 06.07.1917/ 137-138/ F. Lensch, Paul: Zum Luthertag. In: GL, 28/ 02/ 26.10.1917/ 9-10/ L. Blos, Anna: Die Stellung der Frauen im Zeitalter der Reformation. In: GL, 28/ 03/ 09.11.1917/ 21-22/ F. Blos, Anna: Die Stellung der Frauen im Zeitalter der Reformation (Schluß.). In: GL, 28/ 04/ 23.11.1917/ 29-30/ F. Rausch, Bernhard: Drei Jahre Weltrevolution. In: GL, 28/ 08/ 18.01.1918/ 57-58/ L. ***: Das Frauenwahlrecht in aller Welt. In: GL, 28/ 16/ 10.05.1918/ 121-122/ L. Blos, Anna: Glückliche Ehen. In: GL, 28/ 17/ 24.05.1918/ 133-135. Zehn Jahre Reichsvereinsgesetz. In: GL, 28/ 23/ 16.08.1918/ 177-178/ L. Heilbut, Kurt: Die Urform der Ehe. In: GL, 29/ 45/ 46/ 27.12.1919/ 357-358. Sommer, Br.: Die Anfänge der Töpferei. In: GL, 29/ 03/ 08.11.1918/ 21-23/ F. Zepler, Wally: Die Frauen und die Zukunft des Sozialismus. In: GL, 29/ 07/ 03.01.1919/ 51-53. Blos, Anna: Alt-Weimarer Tage. In: GL, 29/ 14/ 11.04.1919/ 109-111/ F. Kähler, Wilhelmine: Einst und jetzt. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 122-123. 790 6.1 AUSWAHL DER GESCHICHTLICHEN ARTIKEL IM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“ Blos, Anna: Der Einfluß der Frauen auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 124-125. Heilbut, Kurt: Gretchen und wir. In: GL, 29/ 19/ 20.06.1919/ 147-148/ F. Heilbut, Kurt: Kommunismus oder Sozialismus. In: GL, 29/ 24/ 02.08.1919/ 187-188. Heilbut, Kurt: Zur Wiederkehr des Revolutionstages. In: GL, 29/ 38/ 08.11.1919/ 303-304. Juchacz, Marie: Einst und Jetzt. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 332. Soldes, Wilhelm: Sozialisierung der Frau oder sozialistische Ehe? In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 340-341. Heilbut, Kurt: Mutterrecht. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 342-343. Weiß-Rathenau, Liesbeth: Die Schätze der Berliner Museen. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 344. Heilbut, Kurt: Die Ehebrecherin. In: GL, 30/ 04/ 24.01.1920/ 29-30/ F. Heilbut, Kurt: Eine berechtigte Forderung I. In: GL, 30/ 15/ 10.04.1920/ 110-111. Heilbut, Kurt: Eine berechtigte Forderung II. In: GL, 30/ 16/ 17.04.1920/ 115-116. Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus. In: GL, 30/ 19/ 08.05.1920/ 146-148/ Beilage. Müller, Louise: Vor 25 Jahren. Erinnerungen einer Genossin. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 176-178. Soldes, Wilhem: Die bürgerliche Frauenbewegung und das Wahlrecht. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 178-179. Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus II. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 181-191/ Beilage. Essig, Olga: Dokumente des Kampfes der Sozialdemokratie um die Befreiung der Frau. In: GL, 30/ 23/ 05.06.1920/ 186. Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus III. In: GL, 30/ 24/ 12.06.1920/ 194. Soldes, Wilhelm: Der Siegeslauf des Frauenwahlrechts in der Welt. In: GL, 30/ 24/ 12.06.1920/ 194-195. Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus IV. In: GL, 30/ 25/ 19.06.1920/ 202-203. Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus V. In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 214. Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus VI. In: GL, 30/ 27/ 03.07.1920/ 222. Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus VII. In: GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 234-236. Schöfer, Sophie: Die Quäker. In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 242-243. Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus (Schluß). In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 246-247. Schwann-Schneider, Rosa: Die Internationale des Geistes. In: GL, 30/ 34/ 21.08.1920/ 274-275. Röhl, Elisabeth: Die moderne Frau. In: GL, 30/ 35/ 28.08.1920/ 285-286. Radtke, Elli: [Rezension zu: Klühs, Franz: Der Aufstieg]. In: GL, 31/ 02/ 15.01.1921/ 13/ F Blos, Anna: Leibeigene – Dienstmagd – Hausangestellte. In: GL, 32/ 05/ 01.03.1922/ 44-46. Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. I. [fehlt im Bestand der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung: GL, 32/ 07/ 01.04.1922/ ?]. Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. II. Die Zeit der geheimen Bünde. In: GL, 32/ 08/ 15.04.1922/ 70-71. Baader, Ottilie: Die erste Maifeier. In: GL, 32/ 09/ 01.05.1922/ 83-84 / F [aus Baaders Autobiographie „Ein steiniger Weg“]. Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. III. Waffenschmiede im Exil. In: GL, 32/ 09/ 01.05.1922/ 84-85. Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. IV. [fehlt im Bestand der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung: GL, 32/ 10/ 15.05.1922/ ?]. Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. V. Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein. In: GL, 32/ 11/ 01.06.1922/ 103-104. Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. VI. Die Eisenacher Partei. In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 111-112. [Heilbut, Kurt] K. H.: Ist die Frau weniger begabt als der Mann? In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 115-117. Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. VII. Charakterköpfe aus der Frühzeit. In: GL, 32/ 14-15/ 15.07.1922/ 135-137. Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. VIII. Attentatshetze und Sozialistengesetz. In: GL, 32/ 16/ 15.08.1922/ 148-149. Juchacz, Marie: Das geistige Leben in unserer Frauenbewegung 1921. In: GL, 32/ 17-18/ 01.09.1922/ 159-160. Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. Eine neue Epoche. In: GL, 32/ 19-20/ 01.10.1922/ 178-179. 791 LITERATUR Kampffmeyer, Paul: Karl Marx und die Märzrevolution. In: GL, 33/ 05/ 01.03.1923/ 34-35. Sender, Tony: Das Klassenbewußtsein als Quelle unserer Kraft. In: GL, 33/ 06/ 15.03.1923/ 41-42/ L. Blos, Anna: Die Frauen des Jahres 1848. In: GL, 33/ 06/ 15.03.1923/ 44-45/ F. Reitze, Hanna: Maienhoffnung auf die Internationale. In: GL, 33/ 09-10/ 01.05.1923/ 66-67/ L. Agnes, Lore: Die Frauen und die Internationale. In: GL, 33/ 09-10/ 01.05.1923/ 67-68. Kautsky, Luise: Mai-Erinnerungen. In: GL, 33/ 09-10/ 01.05.1923/ 71-79/ F. 792 Von „weiblichen Vollmenschen“ und Klassenkämpferinnen – Frauengeschichte und Frauenleitbilder in der proletarischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ (1891-1923) Inaugural-Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften (Fachgebiet Geschichte) der Universität Kassel vorgelegt von: Mirjam Sachse Erster Gutachter: Prof. Dr. Jens Flemming Zweiter Gutachter: Prof. Dr. Hans-Joachim Bieber Datum der Disputation: 03.02.2010 ANHANG I 7 Anhang 7.1 Gedichtauswahl.............................................................................................................V 7.2 Tabellen................................................................................................................XXVII 7.3 Bildmaterial...............................................................................................................XLI III 7.1 Gedichtauswahl (nach Erscheinen in der „Gleichheit“ geordnet) 1. H[ofmann], M[arie]: Aufruf! (1890)........................................................................VII 2. Rückert, Friedrich: Auf das Mädchen aus Potsdam, Prohaska (1892)....................VIII 3. Dehmel, Richard: Die Magd (1898).......................................................................VIII 4. Keller, Gottfried: Die Spinnerin. (1899)....................................................................IX 5. Negri, Ada: Seid gegrüßt. (1900)................................................................................X 6. Krille, Otto: Maria Lwowna Berditschewskaja. (1905)............................................XI 7. Märten, Lu: Frauenbewegung (1905).......................................................................XII 8. Bohm, Klara: Rosen (1906)......................................................................................XII 9. Holz, Arnold: Weltgeschichte (1907)......................................................................XIII 10. Freiligrath, Ferdinand von: Nach Johanna Kinkels Begräbnis (1908)...................XIV 11. Döltz, Emma: Wir rufen Euch. (1911)...................................................................XVII 12. Döltz, Emma: Wir können euch doch schlagen! (1912)......................................XVIII 13. Scherz, Betty: Wir Frauen. (1915)..........................................................................XIX 14. Fürth, Henriette: Die rote Fahne (1919).................................................................XIX 15. Stahl, Artur: Frauenwahlrechts-Marseillaise (1919)................................................XX 16. Müller-Jahnke, Klara: Den Frauen. (1919).............................................................XXI 17. Heilbut, Kurt: Zwei Mütter. (1919).......................................................................XXII 18. Fürth, Henriette: Den Frauen. (1919)....................................................................XXII 19. Heilbut, Kurt: An Bebel (1919)............................................................................XXIII 20. Negri, Ada: Mutterliebe (1920)............................................................................XXIII 21. Bohm-Schuch, Klara: Zum 9. November 1918. (1920)........................................XXV 22. Bohm-Schuch, Clara: [Und wieder wehet …] (1922).........................................XXVI V 1.H[ofmann], M[arie]: Aufruf! (1890) Wir lebten hier in Dämm’rung tief, In unser’m Haupt das Denken schlief. Wir schaffen spät, wir schaffen frühe, Bei hartem Zwang, mit schwerer Mühe. Man hat von jeher uns gelehrt, Daß wir nicht haben eig’nen Werth. Nichts darf für sich die Frau erstreben, Für Mann und Kind nur soll sie leben. So war’s gelehrt, so war’s geglaubt, So ward der Frau das Recht geraubt; Das Recht zu wollen und zu denken, Das eig’ne Schicksal selbst zu lenken. Doch plötzlich sind wir aufgewacht, Die bitt’re Noth hat es vollbracht. Sie pocht an uns’res Hirnes Schranken: Heraus Ihr schlummernden Gedanken! Sie spricht: Ermanne Dich, o Frau, Der Kraft im eig’nen Busen trau. Wirf ab der Ketten schwere Bürde und fühle Deine Menschenwürde. Im Lichte steh’n wir, frei und frank, O herbe Noth, Dir werde Dank! Du hast zu denken uns gelehrt, Du gabst die Kraft, die Dich zerstört. Nicht mit dem Mann, der unser Feind, Der uns’re Rechte schroff verneint; Nur mit Genossen gleichen Strebens Geschlossen sei der Bund des Lebens. Dieselbe Pflicht, dasselbe Recht Führt Mann und Weib nun in’s Gefecht; Mit gleicher Kraft, mit gleichen Waffen Ein schönes Leben uns zu schaffen. In Ost und West, in Nord und Süd, Arbeiterinnen, hört das Lied! Erwacht und folget unser’n Bahnen Und führt zum Siege uns’re Fahnen. So laßt uns wirken, dicht geschaart, Uns Frauen neuer echter Art, Daß siegesfroh der Ruf erschalle: Freiheit und gleiches Recht für Alle!1 1 H[ofmann], M[arie]: Aufruf! In: Arbeiterin, 01/ 01 (Probenummer)/ 20.12.1890. VII 2.Rückert, Friedrich: Auf das Mädchen aus Potsdam, Prohaska (1892) Ich müßte mich schämen, ein Mann zu heißen, Wenn ich nicht könnte führen das Eisen, Und wollte Weibern es gönnen, Daß sie führen es können! Wer ist der Gesell, so fein und jung? Doch führt er das Eisen mit gutem Schwung. Wer steckt unter der Maske? Eine Jungfrau, heißt Prohaska Wie merkten wir’s nur nicht lange schon Am glatten Kinn, am feineren Ton? Doch unter den männlichen Thaten Wer konnte das Weib errathen? Aber es hat sie getroffen ein Schuß; Jetzt sagt sie’s selber, weil sie muß. Wundarzt, geh‘ bei Leibe Nicht unsanft um mit dem Weibe! Zum Glück traf dich die Kugel nicht eh’r, Als bis du dir hattest gnügliche Ehr‘ Erstritten in Mannesgeberden, Jetzt kannst du ein Weib wieder werden. Doch ich müßte mich schämen, ein Mann zu heißen, Wenn ich nicht wollte können führen das Eisen, Und wollte Weibern es gönnen, Daß sie führen es können!2 3.Dehmel, Richard: Die Magd (1898) Maiblumen blühten überall, Er sah mich an so trüb‘ und müd‘ – Im Faulbaum rief die Nachtigall: Die Blüthe flieht! Die Blüthe flieht! Von Düften war die Nacht so warm, Wie unser Blut so warm, wie unser Blut, Und wir so jung, so freudearm – Und über uns im Busch das Lied, Das zuckende Lied: Die Gluth verglüth! Und Er so treu und mir so gut … In Knospen schoß der wilde Mohn, Es sog die Sonne unsern Schweiß, Es wurden roth die Knospen schon, Da wurden meine Wangen weiß. Ums liebe Brot, ums theure Brot Floß doppelt heiß im Korn sein Schweiß; Der wilde Mohn stand feuerroth – Es war wohl fressendes Gift der Schweiß – 2 Rückert, Friedrich: Auf das Mädchen aus Potsdam, Prohaska. In: GL, 02/ 08/ 20.04.1892/ 72. VIII Es ward auch sein Wange weiß; Und die Sonne stach im Korn ihn todt … Die Astern schwankten, bleich am Zaun, Im feuchten Wind die Traube schwoll; Im Hofe zischelten die Frau’n, Der Apfelbaum hing schwer und voll. Es war ein Tag so regensatt, Wie einst sein Blick so blaß und matt; Die Astern standen braun und naß, Vom gelben Blatt der Nebel troff, da stieß man sie voll Hohn und Haß, die sündige Magd, hinaus vom Hof … Nun blüht von Eis der kahle Hain, Die Thräne friert im schneidenden Wind; Aus flimmernden Scheiben glüht der Schein Des Christbaums auf mein wimmernd Kind. Die hungernden Spatzen bettelnd schrei’n, Vom blanken Dach die Krähe krächzt; Am schlaffen Busen zitternd ächzt Mein Kind und Keiner läßt uns ein; Wie die Worte des Reichen, so scharf und weh Knirscht unter mir der harte Schnee. So weh – oh, bohrt es mir ins Ohr: Du Kind der Schmach! Du Sündenlohn! Und dennoch beten sie empor zum Sohn der Magd, zum Jungfrau’nsohn?… Oh, brennt mein Blut – was that denn ich? War’s Sünde nicht, daß sie gebar? – Mein Kind, mein Heiland – weine nicht: Ein Bett für Dich – Dein Blut für mich. Vom Himmel rieselt’s silberklar: Wie träumt es sich so süß im Schnee. Was that denn ich? – wie müd‘ und weh! War’s Liebe nicht –? war’s – Liebe – nicht?3 4.Keller, Gottfried: Die Spinnerin. (1899) Nur diesen letzten Rocken Noch spinnt der Mädchenfleiß, Dann schmiegt euch, meine Locken Dem grünen Myrtenreiß! Ich habe lang‘ gesponnen Und lange mich gefreut; Zum Bleichen an der Sonnen Liegt meine Jugendzeit. Hat er wohl auch das Seine Mit treuem Muth gethan? Betreten schon die Eine 3 Dehmel, Richard: Die Magd. In: GL, 08/ 11/ 25.05.1898/ 86. IX Des Mannes Ehrenbahn? Hat innig er begriffen Die Arbeit seiner Zeit? Hat er sein Schwert geschliffen, Zum letzten Kampf bereit? Weh ihm, wenn er nicht rechten Für unsre Freiheit will! Weh ihm, wenn er nicht fechten Für sein Gewissen will! Dann mag mein Liebster minnen Nur auf und ab im Land, – Und dies mein bräutlich Linnen Wird dann ein Grabgewand.4 5.Negri, Ada: Seid gegrüßt. (1900) Der Kämpfer denk‘ ich, die in Händen tapfer Die Schaufel halten, trotzend Gluth und Sturmgruß, Abringend den gequälten, dürren Schollen Ein elend Brotstück. Der Kämpfer denk‘ ich, die im finstern Schachtgrund Die Haue führen mit den magern Fäusten, Die keuchend in den schwarzverruchten Schatten Ruhlos sich abmühn. Ein heimlich Sausen schleicht da – das erschüttert mit niederstürzendem Gekrach die Wölbung, Und Staub ist Alles, Finsterniß und langes Geseufz des Todes … Doch den zerfetzten Schooß des großen Berges Siegreich der Dampf zerspaltet und durchschreitet. Ihn grüßt am Ausgang leuchtenden Triumphes Der Sonne Lichtstrahl. – Der Kämpfer denk‘ ich, die mit edler Seele In fieberhafter Müh‘ Gedanken weben, Führer und Märtyrer, den Wissensarmen Zum Zeitkampf donnernd. Des Wachen denk‘ ich, der sich quält und hingeht Einsam, verkannt … es bricht aus meinem Busen Ein Schrei mit weitem Widerhall auf Erden: Euch grüß‘ ich Helden! Euch grüß‘ ich ehern hemdenlose Brüste, Ihr rauhen Leiber, muskulösen Arme, Ihr unermüdlichen, im brüllenden Schlachtlärm Der Riesenwerkstatt. 4 Keller, Gottfried: Die Spinnerin. In: GL, 09/ 04/ 15.02.1899/ 28. X Euch grüß‘ ich, die der heil’ge Stolz der Arbeit Durchflammt, euch, die der Tod beim Schaffen hinrafft, Eich, wack’re Kämpfer des Gedankens und des Geschwung’nen Hammers. Vor mir vorüberziehn, in strengen Bildern, Der bleichen Mädchen unglücksel’ge Schaaren; Vorüberziehn in der Fabriken Schraubstock Gepreßte Frauen. Und müde Kinder und vergrämte Stirnen, Zerissne Glieder und entstellte Mienen, Und eine wegemüde, ungeheure Erdfahle Volkschaft. Von ferne hör‘ ich ein Getös von Stimmen, Der Aexte, Hämmer und der Pickel Schläge, Ich aber singe frei durch dieser Erde Verworrnes Lärmen: Dir sing‘ ich, o zerstreute, arbeitsame, O große menschliche Familie! Vorwärts! Kämpfe und siege! Schließe dich zusammen Zur Glückseinheit. Auf Arbeitshelden, auf! Zu Siegers Häupten Und der Gefallnen letztem Todesringen, Mit mildem Auge schöne Zukunft spendend Leuchtet die Sonne.5 6.Krille, Otto: Maria Lwowna Berditschewskaja. (1905) (Erschossen von der Soldateska beim Barrikadenbau am Petersburger Blutsonntag, 22. Januar 1905) Die Welle will ich preisen, die im Sand verrinnt, Der trägen Flut das Erdreich zu erweichen. Ruhmloser Tod, wenn Sonne oder Wind Die Knospe streift vom Baum, dem blüthenreichen! Es mag der Schmerz um jedes Schicksal weinen, Um jedes Leben, grabbedroht, Doch tränenlose Ewigkeit für deinen, Für solchen Rettertod. In jenes Mordes frechem Bacchanale War deine Tat ein leuchtendes „Erkennt!“ Die Barrikade ward zum Rächermale, Worauf des Rechtes ew’ge Flamme brennt. Du Mädchen von der Helden großem Stamme, Dein Blut verraucht, dein stürmisch Herz versinkt, An deiner Asche noch entzündet sich die Flamme, Die Rußlands Freiheit bringt.6 5 Negri, Ada: Seid gegrüßt. In: GL, 10/ 09/ 25.04.1900/ 65. 6 Krille, Otto: Maria Lwowna Berditschewskaja. In: GL, 25/ 22/ 01.11.1905/ 132. Entnommen aus: Krille, XI 7.Märten, Lu: Frauenbewegung (1905) (aus dem Zyklus “Nachtbilder”) Ins Dunkel stieß man uns zurück. Nicht achtend unsrer Leiden, ohne Licht und Freiheit galt das Wort: “Weib sein und Mutter, sei euch alles Um der Kinder willen, die ihr leiblich sollt gebären, bleibt verborgen!” – Ha, in Nacht und Stille wähnte man uns sicher, doch in Nacht und Stille wurden wir zum andern Male Mütter! Unterm Schmerzensschrei der halben Menschheit, aus der Kraft des Leidens haben wir ein Kind zum Licht getragen. Königskind! Geboren zu befreien und zu siegen! So ziehe hin denn, Kind! Erfülle deiner Mütter Wollen und lebe ihrem Traum; In deine Rechte nimm das Schwert, und in deine Linke halt’ die Fackel. Dein Herz sei stark ob Todeswunden; dein scharfes Auge laß von trügerischem Licht nicht täuschen. Geh vorbei an Thronen und Palästen, werfe deinen Schein und wecke Leben; Eile hin zu jenen Stätten, wo der Schrei des Hungers durch die Lüfte braust, wo die Arbeit man entheiligt, wo man Leiber zwingt, die Seelen zu vergessen. – Und eine nie gekannte Liebestat, die keine Zeit vor dir Getan – du sollst sie tun. Steig hinunter in die Tiefen, leuchte mit der Liebesfackel in das Elend, das Welt das Laster nennt. Beuge deine Knie vor dem tiefsten Leid des Weibes, Drücke deinen reinen Kuß auf sünd’ge Lippen, Denke, daß noch nie ein Weib g e f a l l e n , daß nicht vorher ward zertreten. So stürze Schranken, sprenge Fesseln, und reife stark und froh zur Mutter einer neuen Zeit. Geh siegreich hin durch alle Welt, halt treue, heil’ge Wacht; Ein wildes, schönes Sturmlied sei, ein Blitz aus tiefer Nacht!7 8.Bohm, Klara: Rosen (1906) Rosen hängen um dein Fenster und kränzen es ein. Heute Morgen sah ich, daß sich die erste Blüte erschlossen hatte. Es regnet leise und heimlich, und ein paar glitzernde Tropfen hängen wie Diamanten in den feinen Blumenblättern. – Und wie ich hinsehen muß, wieder und immer wieder, und der Regen so weich und träumend in mein Gesicht sprüht, da ist es mir, als hingen die ganzen Ranken voll zarter, weißroter Blüten. Wie weiße Arme umschlangen sie dein Fenster, als ob die Sehnsucht und die Schönheit Einlaß zu dir Otto: Welt und Einsamkeit. Berlin: Johann Sassenbach, 1905. 7 Märten, Lu: Frauenbewegung. In: GL, 15/ 08/ 19.11.1905/ 48. XII begehrten. Und ich denke an all das süße duftende Leben, welches so eine kleine Knospe und Blüte in sich schließt. Ich denke an das kurze Leben und an das schnelle Vergehen. Da öffnest du das Fenster und siehest hinaus in den jungen Tag. In deinen schimmernden Augen liegt noch der Traum der Nacht, mit halbgeöffneten Lippen atmest du die reine frische Morgenluft, und deine Arme strecken sich hinaus in den weichen Sommerregen. Da siehst du die erschlossene Rose. Schnell beugst du dich nieder, deine Hand hebt die Blüte wie zum Licht empor, und scheu und leise küssen deine Lippen die glitzernden Tropfen aus dem zarten Blütenhauch. Wie du wieder aufblickst, ist der Traum aus deinen Augen verschwunden, aber ein Leuchten ist in ihnen, wie das Ahnen des kommenden Sommertags. Du hast mich nicht gesehen. Dein leuchtender Blick ging in ewige Fernen. Und du sollst mich nicht sehen. – Leise gehe ich vom Fenster zurück. Wenn die erste Rose am Morgen erblüht und ein junges Menschenkind zum erstenmal das Glück durch die Welt schreiten ahnt, dann darf niemand den heiligen Augenblick stören. – Morgen werden an allen Ranken Rosen blühen.8 9.Holz, Arnold: Weltgeschichte (1907) Heimlich durchwandert die Nacht den Tann, Duftend im Vollmond schwanken die Gräser; Alles schläft! Nur ein steinalter Mann Putzt sich geschäftig die Brillengläser. Nimmt sich ein Prischen und sagt: Hätschi! Ich bin der achte der sieben Weisen! Ach, und er merkt es nicht einmal, wie Ueber ihm leuchtend die Sterne kreisen! Sehnsüchtig harft durch die Zweige der Wind, Blüten erschließen sich, Knospen schwellen; Alles still! Nur der Nachttau rinnt Und von den Bergen her rauschen die Quellen. Raune nur traumhaft, du dunkle Natur, Raune das Rätsel der Elemente, Hat doch der alte Graukopf nur Sinn für Bücher und Pergamente! Wenn er nur schnüffeln und büffeln kann, Mag dreist dies Sonnensystem erkalten; Ihm ist’s schon recht, denn was geht es ihn an, Daß sich die Welten wie Blumen entfalten? Festgeleimt an den Stuhl das Gesäß, Fängt er sich Grillen und mästet sich Motten, Hüstelt und schreibt gelehrte Essays Ueber Assyrer und Hottentotten. 8 Bohm, Klara: Rosen. In: GL, 16/ 13/ 27.06.1906/ 90. XIII Tintenfässer bilden Spalier, Goldstreusand und Radiermesser blinken, Ganze Ballen von Schreibpapier Liegen bekritzelt ihm schon zur Linken. Säuberlich hat er drin aufnotiert Jede Schlacht und jedes Gemetzel, Neben Napoleon figuriert Kaiser Tiber und der Hunnenchan Etzel. Ekelerregend mit jedem Band Schwillt das Gemengsel von Blut, Fleisch und Knochen; Leute wie Sokrates, Shakespeare und Kant Werden nur so nebenbei besprochen. Weltharmonie und Sphärenmusik Können ihm vollends gestohlen bleiben; Interessanter ist schon die Rubrik, Wie sich die Kaiser von China entleiben! Also sitzt er und schmiert und schmiert Tote Zahlen und trockne Berichte, Bis er dann endlich „Schluß“ drunter kliert Und auf das Titelblatt: „Weltgeschichte“. Weltgeschichte! O blutiger Hohn! Uralter Hymnus auf die Borniertheit! Wann, o wann kommt des Menschen Sohn, Der dich erlöst aus deiner Vertiertheit? Immer noch brütet die alte Nacht Grauenvoll über den Völkern der Erde, Aber schon seh‘ ich rotlodernd entfacht Flammen des Geistes auf ewigem Herde. Freiheit und Gleichheit und Brüderlichkeit Jubelt die neugeborene Trias! Freu dich, mein Herz, denn die goldene Zeit Dämmert und predigen wird der Messias: Lebt in Frieden und baut euer Zelt, Viel, ach, müßt ihr noch lehren und lernen; Ein Herz schlägt durch die ganze Welt, Ein Geist flutet von Sternen zu Sternen. Ruft drum als Losung von Land zu Land: Eins sei die Menschheit von Zone zu Zone! Erst wenn sie staunend sich selbst erkannt, Dann erst ist sie der Schöpfung Krone!9 10.Freiligrath, Ferdinand von: Nach Johanna Kinkels Begräbnis (1908) 20. November 1858. Zur Winterszeit in Engelland, Versprengte Männer, haben Wir schweigend in den fremden Sand Die deutsche Frau begraben. Der Rauhfrost hing am Heidekraut, 9 Holz, Arno: Weltgeschichte. In: GL, 17/ 23/ 11.11.1907/ 204. XIV Doch sonnig lag die Stätte, Und sanften Zugs hat ihr geblaut Der Surreyhügel Kette. Um Ginster und Wacholderstrauch Schwang zirpend sich die Meise,- Da wurde dunkel manches Aug', Und mancher schluchzte leise; Und leise zitterte die Hand Des Freundes, die bewegte, Die auf den Sarg das rote Band, Den grünen Lorbeer legte. Die mutig Leben sie gelehrt Und mut'ge Liederweisen, Am offnen Grabe stand verstört Das Häuflein ihrer Waisen; Und fest, ob auch wie quellend Blut Der wunden Brust entrungen, Ist über der verlaßnen Brut Des Vaters Wort erklungen. So ruh' denn aus in Luft und Licht! Und laß uns das nicht klagen, Daß Drachenfels und Ölberg nicht Ob deinem Hügel ragen! Daß er nicht glänzt im Morgentau, Noch glüht im Abendscheine, Wo durch Geländ' und Wiesenau Die Sieg entrollt zum Rheine! Wir senken in die Gruft dich ein, Wie einen Kampfgenossen; Du liegst auf diesem fremden Rain, Wie jäh vorm Feind erschossen; Ein Schlachtfeld auch ist das Exil - Auf dem bist du gefallen, Im festen Aug' das EINE Ziel, das EINE mit uns allen! Drum hier ist deine Ehrenstatt, In Englands wilden Blüten; Kein Grund, der besser Anrecht hat Im Sarge dich zu hüten! Ruh' aus, wo du gestritten! Für dich kein stolzer Leichenfeld, Als hier im Land der Briten! Die Luft, so dieses Kraut durchwühlt Und dieses Graseswellen, Sie hat mit Miltons Haar gespielt, Des Dichters und Rebellen; Sie hat geweht mit frischem Hauch In Cromwells Schlachtstandarten; Und dieses ist ein Boden auch, Drauf seine Rosse scharten! Und auf von hier zum selben Bronn XV Des goldnen Lichtes droben Hat Sidney, jener Algernon, Sein brechend Aug' erhoben; Und oft wohl an den Hügeln dort IHR Aug' ließ Rahel hangen, - Sie, Russels Weib, wie du der Hort Des Gatten, der gefangen! Die sind's vor allen, diese vier! Dies Land, es ist das ihre! Und sie beim Scheiden stellen wir Als Wacht an deine Türe! Die deinem Leben stets den Halt Gegeben und die Richtung, - Hier stehn sie, wo dein Hügel wallt: Freiheit und Lieb' und Dichtung! Fahr wohl! und daß an mut'gem Klang Es deinem Grab nicht fehle, So überschütt' es mit Gesang Die frühste Lerchenkehle! Und Meerhauch, der dem Freien frommt, Soll flüsternd es umspielen, Und jedem, der hier pilgern kommt, Das heiße Auge kühlen!10 10 Freiligrath, Ferdinand von: Nach Johanna Kinkels Begräbnis. 20. November 1858. Entnommen aus: Schwering, Julius (Hrsg.): Freiligraths Werke. Dritter Teil. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart: Deutsches Verlagshaus Bong & Co., o.A., S. 9-11. Vgl. auch: Blos, Anna: Auch eine Heldin. In: GL, 18/ 10/ 11.05.1908/ 89. XVI 11.Döltz, Emma: Wir rufen Euch. (1911) Heraus, ihr Frauen, aus Haus und Fabrik, Jetzt gilt’s, euer Recht zu erringen. Aus dumpfer Stube, aus gift’gem Betrieb, Aus des Alltags ehernen Schlingen, Heraus zum Kampf. Weh‘ über die Frau’n, Die heute nicht mit uns gehen; Nur stumpfen Sinn’s auf sich selber schau’n, Doch sich und die Zeit nicht verstehen. Jahrtausende lasten auf unsrem Geschlecht, Und der freie Geist schien zu schlafen. Mit Füßen getreten ward unser Recht Und gelobt nur die Tugend der Sklaven. Doch ein Ende hat auch die finsterste Nacht, Nun gilt es, den Morgen zu schauen. Heraus, ihr Frauen der Arbeit, erwacht, Und helft uns die Zukunft bauen. Wen kümmert’s, wie schwer unser Leben verrinnt? Man sagt uns: dulde und liebe. Und reißt von der säugenden Brust uns das Kind, Stößt hinein uns ins Wirthschaftsgetriebe. Wenn nachts der Lärm der Maschine schweigt, Erloschen des Herdes Flammen, Dann sitzen wir noch, vornübergebeugt, Und flicken die Lumpen zusammen. Mit unsrem geknechteten, harten Los Bezahlen die Herrn ihre Schulden. Wir ziehen dem Staate die Kinder groß Und sollen doch schweigen und dulden. Wir schaffen mit flinken Händen die Pracht, Mit der sich die Reichen umgeben. Nun wollen wir aus des Elends Nacht Unsre fordernde Stimme erheben. Sie stellen Gesetze und Rechte auf, Wir sollen vor ihnen uns beugen. Sie halten die Hand an des Schwertes Knauf, Um uns seine Schärfe zu zeigen. Sie sprechen heuchelnd, mit lüsternem Trug: “Die Freiheit des Weibes ist sündig.” Wir aber sagen: Nun ist es genug. Und sprechen uns selber mündig. Wir wollen in längst überlebten Brauch Uns nicht mehr geduldig fügen. Und steht eine Welt von Feinden auf: Wir wollen kämpfen und siegen. Wir werden siegen. Das Rad der Zeit Läßt sich nicht rückwärts drehen; Und über die Hindernisse von heut Wird morgen donnernd es gehen.11 11 Döltz, Emma: Wir rufen euch. In: GL, 21 (1911)/ „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ 11/ 41. XVII 12.Döltz, Emma: Wir können euch doch schlagen! (1912) Es braust ein Sturm durchs deutsche Land, Der bricht das Morsche nieder. Das Volk erhebet hoch sein Haupt Und reckt die kräft’gen Glieder. Sein Zorneslied durchschallt die Welt In diesen Kampfestagen, Wie Donner klingt’s – und nur wir Frau’n: Wir haben nichts zu sagen. Wohl hat man uns, dem Manne gleich, In harte Fron geschmiedet, Mit flinken Händen schaffen wir, Was euch das Leben bietet. Für uns die Qual durchwachter Nacht, Ums Brot das bange Zagen. Wir bauen an der Zukunft, doch: Wir haben nichts zu sagen. Was immer man zum Leben braucht, Ihr sucht’s uns zu verteuern, Nehmt unsrer Kinder letztes Brot Durch Zölle und durch Steuern. Doch wollen wir: “Wo bleibt das Geld?” Mit lauter Stimme fragen, Lacht ihr uns höhnisch ins Gesicht: Wir haben nichts zu sagen. Ihr pochet wohl auf die Armee Und rasselt mit den Spießen, Doch sind es unsre Jungen nur, Die die Kolonnen schließen. Die Mutter zog den Jüngling groß, Der sich im Feld soll schlagen, Doch welchem Feind die Kugel gilt: Das hat sie nicht zu sagen. Ihr hämmertet ein neu Gesetz, Verziert mit alten Stücken, Damit ihr mit dem Schein des Rechts Uns tiefer könnet drücken. Wenn Witwen und wenn Waisen um Betrogene Hoffnung klagen, Euch kümmert’s nicht! Es sind nur Frau’n: Die haben nichts zu sagen. Doch Not und Elend trieb auch uns Empörung in die Wangen. Wir wollen unser gutes Recht Im rauhen Kampf erlangen. Und dürfen wir im Parlament Nicht unsre Meinung sagen, So zeigen wir durch die Partei: Wir können euch doch schlagen!12 12 Döltz, Emma: Wir können Euch doch schlagen! In: GL, 22/ 08/ 08.01.1912/ 122. XVIII 13.Scherz, Betty: Wir Frauen. (1915) Wir Frauen in des Alltags Joch, Wir hoffen doch, wir harren doch – Ist sie auch weit, es kommt die Zeit Der freien, frohen Menschlichkeit. Noch lastet schwer auf uns die Not, Die Sorg‘ ums Brot, – die Not ums Brot, Doch tragen w i s s e n d wir das Joch – Und hoffen doch! Und kämpfen doch! Und wissen, daß nach Kampf und Leid Erstrahlt das Licht der Menschlichkeit!13 14.Fürth, Henriette: Die rote Fahne (1919) Wir lagen am Boden und ächzten schwer, Und über uns brauste das Wetter her. Voll Feinde die Welt. Die setzten uns auf den Nacken den Fuß Und sandten uns grimmigen Hohn zum Gruß. Unser Wehruf gellt. Da rauschte empor unsres Herzens Blut, Da loderte unseres Zornes Glut. Wir machten uns frei. Zersprengten die Fesseln, die uns umkrallt; Da war der Fürsten Herrschergewalt Zerspellt und vorbei. Hoch flattert die Fahne. Die Fahne ist rot. Die färbte mit Herzblut Gevatter Tod. Die Farbe hält. Die rote Fahne geht uns voran. Wir folgen der Fahne, Weib und Mann, Und zwingen die Welt.14 13 Scherz, Betty: Wir Frauen. In: GL, 25/ 08/ 09.01.1915/ 43. 14 Fürth, Henriette: Die rote Fahne. In: GL, 29/ 7/ 03.01.1919/ 49. XIX 15.Stahl, Artur: Frauenwahlrechts-Marseillaise (1919) Eilt an die Urne, Arbeitsschwestern, Die Freiheit ruft, der Sieg ist nah! Er muß so allgewaltig werden, Wie ihn die Welt noch niemals sah! Auf euch ist heut in allen Gauen Der Blick des Volkes hingewandt, Drum reicht uns schwesterlich die Hand Und habt in eure Macht Vertrauen! Der Geist der neuen Zeit, Er finde euch bereit! Wohlan, es ruht in eurem Schoß Der Menschheit Zukunftslos! Traut nicht der List, die euch umgarnet Und nachher spottet eurer Not! Sie sucht die Sinne zu betören und bietet Steine nur für Brot! Der Sozialismus ist das Zeichen, Das keine Winkelzüge liebt Und euch das Licht des Lebens gibt, Vor dem die Dunkelmänner weichen! Der Geist der neuen Zeit, Er finde euch bereit! Wohlan, es ruht in eurem Schoß Der Menschheit Zukunftslos! Wer gab euch denn die Menschenrechte, Die ihr jetzt endlich üben sollt? Des feilen Mammons schnöde Knechte, Die münzten nie dies lautre Gold! Sie brachten Elend und Verderben Und Krieg nur unserm Vaterland, Nun wir dies Schreckgespenst gebannt, Versuchen Sie uns zu enterben! Der Geist der neuen Zeit, Er finde euch bereit! Wohlan, es ruht in eurem Schoß Der Menschheit Zukunftslos! Drum helft die Freiheit uns beschützen Und macht euch selber wahrhaft frei! Nicht ziemt’s, das Alte noch zu stützen, Schafft, daß der Sieg vollkommen sei! Mag sich die Reaktion auch spreizen, Die nur um eure Stimmen buhlt, Ihr seid fürwahr genug geschult, Um Spreu zu scheiden von dem Weizen! Der Geist der neuen Zeit, Er finde euch bereit! Wohlan, es ruht in eurem Schoß Der Menschheit Zukunftslos!15 15 Stahl, Artur: Frauenwahlrechts-Marseillaise. In: GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 64. XX 16.Müller-Jahnke, Klara: Den Frauen. (1919) Den Frauen einen Frühlingsgruß! Euch allen, die in Fron und Mühen Ihr dornenreiche Pfade geht, Euch sollen Maienrosen blühen! Greift lachend in die rote Pracht: Ein Morgen glüht, den keine Wolke In schwarze Schatten hüllen wird, Ein Festtagsmorgen allem Volke! Den Frauen einen Maiengruß! Ihr tragt die Zukunft unterm Herzen, Ihr säugt die Freiheit an der Brust, – Das ist ein heilig Recht der Schmerzen: Das ist ein göttlich Frauenrecht, Das haltet fest mit starkem Wollen … Und eure rote Blume blüht, Wenn rings umher die Wetter grollen. Und ob ihr wohnt am Seinestrand, An Skandinaviens Felsentoren, Ob Londons Nebel euch umspinnt, Ob Rußlands Steppe euch geboren, Ob euch Italiens Sonne scheint, Ob euch Germaniens Eichenstärke Die Muskeln spannt: ich rufe euch Zu einem großen Maienwerke! Den Haß, der die Nationen trennt, Soll eure Liebe überwinden, Wenn schwesterlich die Hände sich Zum letzten großen Kampfe finden. Des Sturmjahrhunderts Morgenschein Soll eurer Rechte Sieg verklären: Erst müßt ihr freie Menschen sein, Um freie Menschen zu gebären! Aus märchenblauen Zeiten klingt Ein Segenswort: den Fluch des Bösen, Der auf das Haupt der Menschheit fiel, Wird einst die Hand des Weibes lösen. Aus Lügenschlamm und Gassenstaub Wird sie den Schatz der Wahrheit heben Und segnend ihn als Hort des Rechts Den kommenden Geschlechtern geben. Den Frauen einen Segensgruß! Aus alter Kindermärchen Klarheit Lacht hell in all den Sonnenglanz Das heilige Angesicht der Wahrheit. Kein Traumglück mehr, kein Sehnsuchtslaut. Es gilt der Kampf! auch euch, den Frauen. Und eure Kinder werden einst Der Freiheit Maitag feiernd schauen!16 16 Müller-Jahnke, Klara: Den Frauen. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 122. XXI 17.Heilbut, Kurt: Zwei Mütter. (1919) Wie ich so unter den Bäumen lag, Sah ich zwei Mütter. – Die erste sprach, Den Blondkopf stolz gen Himmel gewandt: „Drei Söhne gab ich dem Vaterland! Der erste fiel stürmend in vorderster Reihn, Dem zweiten zerriß die Granate das Bein, Der dritte kämpft in Berg und Tal – Teil der Mauer von Eisen und Stahl. Und ob auch ihn der Tod einst küßt: Wenn nur die Heimat gerettet ist!“ Die zweite senkte weinend das Haupt: „Drei Söhne hat der Krieg mir geraubt! Der erste ruht auf dem Meeresgrund, Der zweite heimkehrte weh und wund, Der dritte, der jüngste, der Heimat verbannt, Lebt noch, gefangen in Feindesland. – Mich freut kein Lenz mehr, mich freut kein Sieg: Drei Söhne nahm mir der Moloch Krieg! Drei – dem schaffenden Leben geboren, Ums Leben betrogen, der Freude verloren. …“ Und wie sie still vorüber ging, War mir’s, als flocht der Sonne Licht Dicht um ihr Haupt einen goldenen Ring. Ich aber neigte mich, da sie ging, Tief vor dem heiligen Angesicht.17 18.Fürth, Henriette: Den Frauen. (1919) Frauen! Mütter! Es ward unser Tag! Nun möge kommen, was komme mag. Nun müssen Mut und Kraft wir spenden Und Segen und Sonne mit Mutterhänden, Daß unserm Volk in des Todes Nacht Noch einmal die Sonne des Lebens lacht. Lasset uns aufrecht zum Tode gehen. Das wir lebten, das Sein war schön. Es war der Arbeit, der Sorgen voll, Und doch von Segen es überquoll. Nun ist es vorbei. Wir klagen nicht. Es trifft uns schuldlos ein schwer Gericht. Wir bleiben aufrecht, wie tief es auch traf, Und sterben so. Lieber tot als Sklav.18 17 Heilbut, Kurt: Zwei Mütter. In: GL, 29/ 17/ 23. 05.1919/ 130. 18 Fürth, Henriette: Den Frauen. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 141. XXII 19.Heilbut, Kurt: An Bebel (1919) Wir Frauen – ein minderwertig Geschlecht, Verhöhnt, verachtet, ohne Recht. Man sagte uns stets: die Geschichte lehrt, Daß dem Mann allein die Herrschaft gehört. Daß die Frau nichts versteht von des Lebens Nöten Als das Haus zu hüten und höchstens – zu beten. Du aber rissest der Weltgeschicht‘ Die verlogene Maske vom Gesicht: Daß auch die Frau bestimmt sei Als Mensch zu leben, geachtet und frei. Daß wir nimmer die Menschheit zur Freiheit führen, Eh‘ nicht die Frau’n ihre Ketten verlieren. Daß wir von allen am meisten verehren Die Mütter, die uns dem Leben gebären! Arbeiter und Frau – Beide entrechtet, Beide geknechtet – Du wiesest ihrem suchenden Blick Den Weg in die Freiheit, den Weg zum Glück! Freund und Führer, dein Wort noch besteht, Wenn du schon längst im All verweht. Wir tragen dich in uns gleich einem Panier, Arbeiter und Frau – wir danken dir!19 20.Negri, Ada: Mutterliebe (1920) In der Fabrik, bei rauher Wollarbeit, Wo lauter Lärm den weiten Raum durchklingt! Und kreischend Rad um Rad sich schwingt! Und tausend Frau’n hinwelken vor der Zeit, Müht sie sich ab schon mehr als ein Jahrzehnt; Die Schiffchen fliegen leicht durch ihre Hand, Und das Geräusch, das unverwandt Gleich einem Ungewitter um sie dröhnt, Sie merkt es kaum. – So müde ist sie meist, So müde, daß sie fast zusammenbricht; Und doch die bleiche Stirne spricht Von Festigkeit und ungebeugtem Geist; Sie scheint zu sagen: Vorwärts! … Welch‘ Geschick, Würf‘ Krankheit eines Tages zu Boden sie Und die Unsel’ge könnte nie, Ach nie auf ihren Posten mehr zurück! … Sie darf und kann es nicht. – Ihr einz’ger Sohn, der große Stolz in ihrer Dürftigkeit, Auf dessen Stirne ernst und breit 19 Heilbut, Kurt: An Bebel. In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210. XXIII Des Genius Götterflug sie ahnet schon, Ihr Sohn studiert. – Und bei der Arbeit ringt Sie unermüdlich und gibt tropfenweis Ihr Leben hin bei Müh‘ und Schweiß, Indem sie stumm sich selbst zum Opfer bringt; Und gibt ihr Alter jetzt so freudig hin, Wie einstmals ihre schöne Jugendzeit, Gesundheit und die Süßigkeit Der Ruhe auch, die heil’ge Dulderin; Allein ihr Sohn studiert. – In hellem Licht Steht seine Zukunft groß vor ihrem Blick, Und um sein braunes Haupt das Glück Von Gold und Lorbeer reiche Kränze flicht! … … In nied’rer Hütte, die kein Sonnenlicht Erreicht, studiere tapfer nur, du Sohn Des Volkes, dem aus den Augen schon Des Genius tief Geheimnis spricht. O wahre dir die starken Muskeln nur, Die frische Energie, das warme Blut Den stolzen ungebeugten Mut Der reinen, ungezähmten Volksnatur. Um dir den Weg zu bahnen, stirbt sie arm Die gute Mutter, wirf noch einen Kuß Der Toten zu und einen Gruß, – Und stürz‘ entgegen dich dem Feindesschwarm. Zum Kampf mit Wort und Feder sei bereit, Zeig‘ neue Horizonte, licht und schön Und ungeahnte Strahlenhöh’n Der alten, matt und stumpf geword’nen Zeit. Und ehrlich, unverdorben sei und rein, Es setzte deine Mutter voller Qual, Im lärmend lauten Arbeitssaal, Ihr Leben ja als Opfer für dich ein.20 20 Negri, Ada: Mutterliebe. In: GL, 30/ 32/ 07.08.1920/ 257 (Titelblatt). XXIV 21.Bohm-Schuch, Klara: Zum 9. November 1918. (1920) Blutumrauschet und tränenschwer Zogen die Jahre, Hart und leer War unser Leben, Todumdroht Gingen wir hin Durch all die Not. Männer starben, Kinder verdarben, Wir schafften ums Brot. Bis unser Tag kam! November war es voll Frühlingsluft, Voll Lerchenschlag und Veilchenduft, November, wie kaum ihn Menschen gesehn Voll Drängen und Werden und Auferstehn. Aus all den Strömen von jungen Blut Wuchs eines Volkes Verzweiflungsmut. Es rüttelt hart an der Zwingburg Tor, Und siehe, Menschen strömten hervor, Zur Freiheit, zur Sonne, zum Menschensein! Klirrend zersprangen Ketten und Schein. Opfer fielen mit jauchzendem Schrei Auf sterbenden Lippen: Unser Volk ist frei! Frei wurden auch wir, wir geknechteten Frau’n! Wir dürfen froh auf zur Sonne schau’n. Dürfen lieben das heilige Leben. Rein ist die Seele, Flammendurchloht. Irrtum und Fehle, Schmerz und Not Läßt der Liebe heiligen Schein Heller nur leuchten, welthinein! Tag der Erlösung aus schmachvoller Qual Wir grüßen dich heut zum zweiten Mal. Du bist der Wahrstein der wollenden Kraft Die in den Tiefen des Volkes schafft, – Das Land voll Freiheit und Erdenglück Du zeigest es dem umflorten Blick. Wegleuchte der Zukunft auf dunkelem Pfad – Du Tag des Wollens, du Tag der Tat!21 21 Bohm-Schuch, Klara: Zum 9. November 1918. In: GL, 30/ 45/ 06.11.1920/ 365 (Titelblatt). XXV 22.Bohm-Schuch, Clara: [Und wieder wehet …] (1922) Und wieder wehet linde Frühlingsluft, Und wieder sprießt um uns das neue Leben. Millionen Keime sprengen ihre Gruft Und wollen sich empor zum Lichte heben. Die alten Linden treibt’s mit wilder Kraft, Bald werden über Nacht die Knospen springen, Aus schlanken Birken quillt der Lebenssaft Und durch die ganze Pracht ein jubelndes Klingen. Durchs Herze aber geht mit wildem Schrei Die Sehnsucht nach dem Neugeborenwerden, Ein einzig lautes, wildes „Mach uns frei“, Komm zu uns, Glück, komm zu uns schon auf Erden! Die Sehnsucht stille hier, wir trachten nicht Vermessen nach den lichten Aetherhöhen, Zeig uns nur hier dein holdes Angesicht, Und laß uns nicht in Elendsqual vergehen. Sind wir nicht alle Kinder jenes Lichts, Das Knospenträume weckt und Früchte reifet? Und von dem goldnen Glanze ward uns nichts Als daß die Sehnsucht unsre Seelen streifet! Auch uns gehört der Erde Blütenpracht, Auch unser sei des Lebens Schönheitsfülle, Der Sehnsucht Flamme ist in uns entfacht, An ihr erstarke unser trotz’ger Wille. Wir wollen freigebor’ne Menschen sein! Wir woll’n kein Trugglück in des Himmels Höhen, Wir wollen hier der Sonne goldnen Schein! Wir wollen hier dem Glück ins Antlitz sehen! Wir wollen! Treu und fest sei dieser Schwur! Hört ihr den Jubelklang auf allen Wegen? Ein Rauschen geht durch Wald und Feld und Flur. Stolz schreiten wir dem Sonnentag entgegen.22 22 Bohm-Schuch, Clara: [Und wieder wehet …]. In: GL, 32/ 08/ 15.04.1922/ 69. XXVI 7.2 Tabellen 1. Aufstellung früher regionaler proletarischer Frauenorganisationen.........................XXVIII 2. Entstehung und Entwicklung von Frauenorganisationen 1865 – 1908 in Anzahl der Verbände................................................................................................XXIX 3. Die dargestellten Frauenzeitschriften im Vergleich......................................................XXX 4. Die wichtigsten Zeitschriften der deutschen Frauenbewegung...................................XXXI 5. Geschäftsjahresabrechnungen der „Gleichheit“1902-1913......................................XXXIII 6. Zuschüsse an zentrale Parteiorgane im Jahre 1921 in Mark.....................................XXXIV 7. Abonnentinnen der “Gleichheit” 1902-1923 ....................................................................35 8. Preisentwicklung der „Gleichheit“ (in Mark)...........................................................XXXVI 9. Zahl der weiblichen Vertrauenspersonen (bis 1907) und Vorstandsmitglieder (ab 1909) 1901-1912 .............................................................XXXVII 10. Die Berufe führender Sozialdemokratinnen, ihrer Ehemänner und Väter.............XXXVIII 11. Mitglieder der sozialdemokratischen Frauenbewegung 1901-1907 ........................XXXIX 12. Übersicht über die Fluktuation weiblicher SPD-Mitglieder 1906-1931..........................XL XXVII 1.Aufstellung früher regionaler proletarischer Frauenorganisationen23 Ort Vereinsname Grün- dungs- jahr Mitglieder insgesamt Altona Frauen- und Mädchen-Verein für Ottensen und Umgebung 1887 91 Berlin Allgemeiner Arbeiterinnen-Verein Frauen- und Mädchenbildungs-Verein für Berlin und Umgegend Verein der Plätterinnen und verwandten Berufsgenossen Verein der in der Hutfabrikation beschäftigten Arbeiterinnen Verein der Arbeiterinnen an Buch- und Steindruck- Schnellpressen Freie Vereinigung der in der Blumen- und Putzfedern- Branche beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen Verein der gewerblichen Hilfsarbeiter und Arbeiterinnen Berlins und Umgegend Verein der Arbeiter und Arbeiterinnen der Buch-, Papier- und Lederwaren-Industrie 1888 1892 1890 ? 1890 1891 1890 1892 270 (vier Filialen) 112 700 100 1.100 67 (58 Frauen) 120 541 (70 Frauen) Bernau Textil-Arbeiter und Arbeiterinnen-Verein 1890 300 (100 Frauen) Bernburg Bildungs-Verein für Frauen und Mädchen ? 100 Bielefeld Freier Verein für Frauen und Mädchen 1890 50 Bremen Arbeiterinnen-Verein Freie Vereinigung der Kistenbekleberinnen 1888 1890 50 60 Breslau Arbeiterinnen-Verein aller Berufszweige 1892 152 Dessau Frauen- und Mädchen-Verein Unverdrossen 1890 42 Elberfeld Bildungs-Verein für Frauen und Mädchen des arbeitenden Volkes 1892 210 Forst Textil-Arbeiterinnen-Verein 1891 280 Frankfurt a. M. Allgemeiner Arbeiterinnen-Verein 1891 119 Freiburg Arbeiterinnen-Verein 1892 25 Hamburg Zentral-Verein der Näherinnen Zentral-Verein der Frauen und Mädchen Zentral-Verein der Plätterinnen 1891 1892 1889 99 85 100 Hanau Arbeiterinnen-Verein 1891 260 Herford Freie Vereinigung der Frauen und Mädchen 1890 32 Köln Frauen- und Mädchen-Bildungsverein 1892 98 Leipzig Fachverein der in Buchbindereien beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen ? ? Liegnitz Bildungsverein für Frauen und Mädchen 1892 27 Mainz Frauen und Mädchenverein 1891 80 Mannheim Verein sozialistischer Mädchen und Frauen 1892 235 München Bildungsverein für Frauen und Mädchen 1891 80 Netzschkau Arbeiter- und Arbeiterinnen-Verein ? ? Nürnberg Frauen- und Mädchen-Bildungsverein 1892 65 Offenbach Allgemeiner Frauen- und Mädchen-Verein 1891 135 Rostock Frauen- und Arbeiterinnen-Verein 1891 44 Sagan Frauen- und Mädchen- Bildungs-Verein 1892 50 Sorau Textil-Arbeiterinnen-Verein 1890 140 Stuttgart Verein der in Buchbindereien und verwandten Berufszweigen beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen ? 75 Frauen Wandsbek Frauen- und Mädchenverein Gleichheit 1892 50 23 Tabelle erstellt nach: Ihrer, Emma: Die Organisation der Arbeiterinnen in Deutschland, ihre Entstehung und Entwicklung, Berlin 1893 (ausgenommen der überregionalen Verbände), S. 8-15. Vgl. auch: Zorn, Proletarische Frauenbildung, S. 297f. XXVIII 2.Entstehung und Entwicklung von Frauenorganisationen 1865 – 1908 in Anzahl der Verbände24 Gründungsjahr Allgemeine Frauen- organisationen Berufliche Organisationen Soziale Organisationen Karitative Organisationen Bildungs- organisationen Politische Organisationen * R L O R L O R L O R L O R L O R L O vor 1865 - - - - - - - - 4 1 5 35 1 - 2 - - - 1866-1880 1 - - 3 - 4 - - 9 - 3 25 1 - 17 - - - 1881-1890 - - 3 3 1 26 1 1 5 2 1 17 - 1 3 - - - 1891-1900 4 3 55 9 5 69 5 1 55 4 5 34 4 - 27 - - 1 1901-1905 3 7 122 8 8 87 2 1 56 1 10 35 1 1 20 2 2 2 1906-1908 1 4 95 5 26 104 2 1 44 - 4 14 2 1 12 1 5 16 unbekannt - - 12 - 1 99 1 - 5 2 34 21 - - - - - 1 zusammen 9 14 287 28 41 389 11 4 178 10 62 181 9 3 81 3 7 20 * R= Reichsverbände; L = Landes- und Bezirksverbände; O = Ortsvereine 24 Entnommen aus: Kerchner, Beruf und Geschlecht – Berufsverbände in Deutschland 1848-1908, S. 103. 3.Die dargestellten Frauenzeitschriften im Vergleich „Frauen- Zeitung“ „Die Staatsbürgerin“ „Die Arbeiterin“ „Die Gleichheit“ Erschei- nungs- zeitraum 1849-1852 1886 1890-1891 1891-1923 Redak- teurin Louise Otto-Peters Gertrud Guilleaume- Schack Emma Ihrer Clara Zetkin (Dez. 1891-Mai 1917) In Vertretung: Johanna Buchheim (Aug. 1915-Okt. 1915) Marie Juchacz und Heinrich Schulz (Juni 1917-April 1919) Clara Bohm-Schuch (April 1919-Jan. 1922) Elli Radtke-Warmuth (Feb. 1922-Nov. 1922) Elli Radtke-Warmuth und Mathilde Wurm (Nov. 1922-Sept. 1923) Verlag Theo Haffner (Großenhain) Carl Ulrich (Offenbach) E. Jensen (Jan.-April) Fr. Meyer (April-Dez.) (Hamburg) J.H.W. Dietz (Dez. 1891-Juli 1897) (Stuttgart) J.H.W. Dietz Nachf. G.m.b.H. (Juli 1897-Dez. 1904) (Stuttgart) Paul Singer (Jan. 1905-April 1911) (Stuttgart) J.H.W. Dietz Nachf. G.m.b.H. (April 1911-Juni 1919) (Stuttgart) Buchhandlung „Vorwärts“ Paul Singer G.m.b.H. (Juli 1919-Sept. 1923) (Berlin) Preis pro Einzel- nummer Keine Angabe Keine Angabe 10 Pfennig 10 Pf. (1891-Okt. 1918) 15 Pf. (Okt. 1918-Juli 1919) Weitere Preisentwicklung siehe Tabelle 8 Preis im Viertel- jahres- abon- nement 15 Reichs- groschen 75 Pfennig 1 Mark 55 Pf. (1891-Okt. 1918) 95 Pf. (Okt. 1919-Juli 1919) Weitere Preisentwicklung siehe Tabelle 8 XXX 4.Die wichtigsten Zeitschriften der deutschen Frauenbewegung25 Titel Erscheinungs- jahre Herausgeberin [bzw. Redaktion] Organisation Demokratische Zeitschriften um 1848 Frauen-Zeitung 1848 M.F. Anneke Der Freischärler 1848 L. Aston Frauen-Zeitung 1849-1852 L. Otto-Peters Soziale Reform 1849 L. Dittmar Proletarische Frauenbewegung Die Staatsbürgerin 1884-1886 G. Guillaume- Schack Verein zur Wahrung der Interessen der Arbeiterinnen Die Arbeiterin [1890-1891] E. Ihrer Die Gleichheit 1891-1917 1917- [1919] [1919-1922] [1922-1923] C. Zetkin [in Vertretung: J. Buchheim] M. Juchacz [und H. Schulz] C. Bohm-Schuch [E. Radtke- Warmuth und M. Wurm] Deutsche sozialdemokratische Frauenbewegung Arbeiterinnenzeitung 1892 A. Popp Österreichische sozialdemokratische Frauenbewegung Gewerkschaftliche Frauenzeitung 1916 G. Hanna Deutsche gewerkschaftliche Frauenbewegung Bürgerliche Frauenbewegung ALLGEMEINE ZEITSCHR. DER GEMÄSSIGTEN Neue Bahnen 1866-1919 L. Otto-Peters A. Schmidt E. Krokenberg G. Bäumer E. Altmann- Gottheiner Allgemeiner Deutscher Frauenverein Centralblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine 1899-1900 1900-1913 J. Schwerin M. Stritt Bund Deutscher Frauenvereine Die Frauenfrage 1913-1920 M. Stritt Bund Deutscher Frauenvereine Die Frau 1893-1944 H. Lange G. Bäumer FRAUENBILDUNG UND FRAUENERWERB Der Frauenanwalt 1870-1876 J. Hirsch Lette-Verein Deutscher Frauenanwalt 1878-1881 J. Hirsch Lette-Verein 25 Entnommen und ergänzt aus: Weiland, Geschichte der Frauenemanzipation in Deutschland und Österreich, S. 100f. XXXI Frauenberuf 1887-1892 H. Kettler Frauenverein Reform Deutsche Hausfrauenzeitung 1874- L. Morgenstern Berliner Hausfrauenverein ALLGEMEINE ZEITSCHR. DER RADIKALEN Frauenwohl 1893-1895 M. Cauer Verein “Frauenwohl” Die Frauenbewegung 1895-1919 M. Cauer (L. Braun) Verein “Frauenwohl” Dokumente der Frauen 1899 R. Mayreder M. Lang A. Fickert Deutsche Arbeiterinnenzeitung 1904 Verband fortschrittlicher Frauenvereine Mutterschutz 1905-1907 H. Stöcker Bund für Mutterschutz und Sexualreform Die neue Generation 1908-1919 H. Stöcker Bund für Mutterschutz und Sexualreform FRAUENSTIMMRECHTS- BEWEGUNG Radikal: Zeitschrift für Frauenstimmrecht 1907-1912 A. Augspurg Deutscher Verband für Frauenstimmrecht Frauenstimmrecht 1912-1914 A. Augspurg Deutscher Verband für Frauenstimmrecht Zeitschrift für Frauenstimmrecht 1912-1918 M. Cauer Verein “Frauenwohl” Gemäßigt: Die Staatsbürgerin 1914-1919 A. Schreiber- Krieger Deutscher Reichsverband für Frauenstimmrecht Frauen und Staat 1912-1916 I. Dehmel Vereinigung für Frauenstimmrecht SITTLICHKEITS- BEWEGUNG Der Abolitionist K. Scheven Deutsche Sektion der Internationalen Föderation zur Bekämpfung der staatlich reglementierten Prostitution FRIEDENSBEWEGUNG Die Frau im Staat 1919-1933 A. Augspurg L.G. Heymann Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit XXXII 5.Geschäftsjahresabrechnungen der „Gleichheit“1902-191326 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 Einnahmen Abonnements 4.682,04 9.416,56 8.080,06 20.683,34 39.332,62 62.243,25 76.144,30 73.139,26 76.386,18 79.590,10 85.168,25 90.829,38 Ausgaben Satz, Druck, Falzen 2.688,49 3.337,05 2.608,25 6.221,60 8.555,75 14.433,14 19.485,40 21.853,00 22.776,45 24.032,20 25.915,00 26.929,70 Papier 931,00 1.667,70 1.430,70 3.587,25 7.756,85 15.364,78 23.486,28 24.500,40 25.964,40 29.309,40 33.271,20 35.382,00 Redaktion 3.000,00 3.000,00 2.250,00 3.225,00 3.175,00 6.875,00 7.200,00 7.870,00 7.400,00 8.500,00 8.500,00 15.155,76 [inkl. Mitarbeiter] Mitarbeiter 644,55 736,00 801,00 1.623,00 4.330,00 5.128,64 5.227,00 5.976,70 5.972,22 5.930,49 5.459,74 Porto und sonstige Unkosten 348,70 843,40 790,00 1.659,60 2.522,18 4.018,60 4.119,45 4.226,70 [vermutl. in Satz, Druck usw. enthalten] [vermutl. in Satz, Druck usw. enthalten] [vermutl. in Satz, Druck usw. enthalten] [vermutl. in Satz, Druck usw. enthalten] Remittenden 79,74 214,27 125,41 370,74 409,05 721,75 1.236,57 1.147,48 Drucksachen, Int. Frauen- konferenz - - - - - - - - 1.033,60 - - - Gesamt- Ausgabe 7.692,48 9.798,42 8.005,36 16.687,19 26.784,83 46.541,91 60.754,70 65.574,28 63.146,67 67.772,09 73.145,94 77.467,46 Gesamt- Einnahme 4.682,04 9.416,56 8080,06 20.683,34 39.332,62 62.243,25 76.144,30 73.139,26 76.386,18 79.590,10 85.168,25 90.829,38 Verlust/Gewi nn -3.010,44 -381,86 +74,70 +3.996,15 +12.583,79 +15.701,34 +15.389,60 +7.564,98 +13.239,51 +11.818,01 +12.022,31 +13.361,92 26 Leicht vereinheitlicht erstellt aus den Angaben in dem jeweiligen Bericht des Parteivorstandes an den Parteitag. In den Protokollen über die Verhandlungen der Parteitage Dresden 1903 (S. 36), Bremen 1904 (S. 27), Jena 1905 (S. 45), Mannheim 1906 (S. 48), Essen 1907 (S. 50), Nürnberg 1908 (S. 53), Leipzig 1909 (S. 46), Magdeburg 1910 (S. 47), Jena 1911 (S. 45), Chemnitz 1912 (S. 43), Jena 1913 (S. 32) und Würzburg 1914 (Anhang des Parteitagsprotokolls Würzburg 1917, S. 25). 6.Zuschüsse an zentrale Parteiorgane im Jahre 1921 in Mark27 Titel Fehlbetrag Gewinn „Die Gleichheit“ 125.377,55 „Arbeiter-Jugend“ 80.532,22 „Freie Lehrer“ 65.790,60 „Kommunale Praxis“ 50.491,45 „Arbeiter-Bildung“ 7.202,62 „Die Neue Zeit“ 61.310,00 „Der wahre Jacob“ 17.299,02 Gesamtzuschüsse 197.935, 74 27 Entnommen aus: Ressmann, Strukturprobleme sozialdemokratischer Medienunternehmen, S. 82. Quelle: Protokoll des SPD-Parteitages in Görlitz 1921, S. 41. XXXIV 7.Abonnentinnen der “Gleichheit” 1902-1923 28 Jahr Auflage 1902 4 000 1903 9 500 1904 12 000 1905 23 000 1906 46 000 1907 70 000 1908 85 000 1909 82 000 1910 85 000 1911 94 500 1912 107 000 1913 112 00029 1914 124 000 1915 46 500 1916 35 500 1917 19 000 1918 28 000 1919 33 000 1920 13 000 1921 25 000 1922 33 000 1923 22 000 28 Entnommen aus: Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus, S. 75. 29 Für das Jahr 1913 gibt der Verein Arbeiterpresse in seinem Handbuch eine Auflage von 113.500 Exemplaren an (vgl. Handbuch des Vereins Arbeiterpresse, 3.1914, S. 125). 35 8.Preisentwicklung der „Gleichheit“ (in Mark) Heft, in dem die Änderung eintritt Einzel- nummer Viertel- jahres- abon- nement Kreuz- band Jahres- abon- nement Monat- liches Abon- nement Inserate Jg. 2, Probenummer (28.12.1891), S. 1 30 0,10 0,55 31 0,85 - - 0,20 32 Jg. 6, Nr. 22 (28.10.1896), S. 0,10 0,55 0,85 2,60 - 0,20 Jg. 29, Nr. 1 (11.10.1918), S. 1 0,15 0,95 1,45 - - - Jg. 29, Nr. 20 (05.07.1919), S. 153 0,30 33 3,60 4,25 - 1,20 - Jg. 30, Nr. 24 (12.06.1920), S. 193 - 3,60 34 - - - 1,50 35 Jg. 31, Nr. 1 (01.01.1921), S. 1 0,30 36 3,60 - - - 1,50 Jg. 31, Nr. 2 (15.01.1921), S. 9 0,30 2,70 - - - 2,- Jg. 31, Nr. 13 (01.07.1921), S. 121 0,30 3,- - - - 2,- Jg. 31, Nr. 18/19 (15.09.1921), S. 173 D: 0,30 3,- - - - 3,- Jg. 31, Nr. 22 (15.11.1921), S. 213 0,30 3,- - - - 3,- 37 Jg. 31, Nr. 3 (01.02.1922), S. 21 0,30 3,30 - - - 6,- Jg. 32, Nr. 8 (15.04.1922), S. 69 0,30 3,30 - - - 6,- 38 Jg. 32, Nr. 13 (01.07.1922), S. 121 0,30 6,- - - - 10,- Jg. 32, Nr. 17/18 (1./15.09.1922), S. 157 - 6,- - - - 36,- Jg. 32, Nr. 19/20 (1./15.10.1922), S. 173 D: 8,- - - - - 36,- Jg. 32, Nr. 21 (01.11.1922), S. 189 6,- 24,- 39 - - - - Jg. 32, Nr. 23 (01.12.1922), S. 205 15,- 24,- - - - - Jg. 33, Nr. 1 (01.01.1923), S. 1 30,- - - - 60,- - Jg. 33, Nr. 3 (01.02.1923), S. 17 40,- - - - 80,- - Jg. 33, Nr. 5 (01.03.1923), S. 33 130,- - - - 260,- - Jg. 33, Nr. 9/10 (1./15.05.1923), S. 65 D: 260,- - - - 260,- - Jg. 33, Nr. 11 (01.06.1923), S. 85 150,- - - - - - Jg. 33, Nr. 13 (01.07.1923), S. 101 350,- - - - - - Jg. 33, Nr. 15 (01.08.1923), S. 177 1.200,- - - - - - Jg. 33, Nr. 16 (15.08.1923), S. 125 2.000,- - - - - - Jg. 33, Nr. 17 (01.09.1923), S. 133 40.000,- - - - - - 30 Die Probenummer weist zwar im Titelblatt die entsprechenden Preisangaben auf, wurde aber gratis verteilt. 31 Per Post und ohne Bestellgeld. Soweit durch Fußnote keine Änderung angegeben ist, treffen jeweils die vorhergehenden Vertriebs- und Preisbedingungen zu, wie sie den Titelköpfen der „Gleichheit“ entnommen wurden. 32 2 gespaltene Petitzeilen. 33 Wöchentliches Erscheinen. 34 Ohne Postbezug. 35 5 gespaltene Nonpareillezeilen und bei Wiederholung Rabatt. 36 Vierzehntägliches Erscheinen. 37 Plus 30% tariflicher Teuerungszuschlag. 38 6 gespaltene Nonpareillezeilen. 39 Monatlich zweimal und durch die Post bezogen. XXXVI D: Doppelnummer 9.Zahl der weiblichen Vertrauenspersonen (bis 1907) und Vorstandsmitglieder (ab 1909) 1901-1912 40 Jahr Vertrauenspersonen 1901 25 1902 54 1903 78 1904 100 1905 190 1906 325 1907 407 1909 257 1910 557 1911 570 1912 646 40 Entnommen aus: Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus, S. 73. XXXVII 10.Die Berufe führender Sozialdemokratinnen, ihrer Ehemänner und Väter41 Beruf der Frauen selbst der Ehemänner der Väter Zahl % Zahl % Zahl % Arbeiter und Handwerker 87 66,92 38 46,34 53 63,10 Bauern und Landarbeiter - - - - 2 2,38 Angestellte, auch der Partei und Gewerkschaft 18 13,85 9 10.98 4 4,76 Beamte, Lehrer, Ärzte, freie Berufe 23 17,69 31 37,80 10 11,90 Kaufleute, Gastwirte 2 1,54 4 4,88 10 11,90 Adel und Militär - - - - 5 5,95 Summen 130 100,00 82 100,00 84 100,00 41 Entnommen aus: Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus, S. 217. XXXVIII 11.Mitglieder der sozialdemokratischen Frauenbewegung 1901-1907 42 Jahr Weibliche Partei- mitglieder Freiwillige Beiträgerinnen Spalte 1 + 2 Abonnentinnen der “Gleichheit” Mitglieder der Frauen- bildungsv. Spalte 1 + 2 + 5 1901 4 000 1902 9 500 1903 11 000 1904 28 700 1905 4 000 1 000 5 000 44 000 3 000 8 000 1906 6 460 4 933 11 393 67 000 8 890 20 283 1907 10 943 8 751 19 694 75 000 10 500 30 194 Spalte 1 2 3 4 5 6 42 Entnommen aus: Evans, Sozialdemokratie und Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich, S. 192. XXXIX 12.Übersicht über die Fluktuation weiblicher SPD-Mitglieder 1906-193143 Jahr Parteimitglieder weibliche Parteimitglieder % Frauen absolute Veränderung gegen Vorjahr 1906 384 327 6 460 1,7 + 2 460 1907 530 446 10 943 2,1 + 4 483 1908 527 336 29 458 5,6 + 18 515 1909 633 309 62 259 9,8 + 32 801 1910 720 038 82 642 11,5 + 20 383 1911 836 562 107 693 12,9 + 25 051 1912 970 112 130 371 13,4 + 22 678 1913 982 850 141 115 14,4 + 10 744 1914 1 085 905 174 754 16,1 + 33 639 1915 515 898 ? ? ? 1916 432 618 107 336 24,8 - 67 418 1917 243 061 66 608 27,4 - 40 728 1918 249 411 70 659 28,3 - 4 059 1919 1 012 299 206 354 20,4 + 135 695 1920 1 180 208 207 000 17,5 + 646 1921 1 221 059 192 485 15,8 - 14 515* 1922 1 174 105 ? ? ? 1923 1 261 072 130 000 10,3 - 62 485 1924 940 078 148 125 15,8 + 18 125 1925 844 495 152 693 18,1 + 4 568 ∗ 1926 823 520 165 492 20,1 + 12 799 ∗ 1927 866 671 181 541 20,9 + 16 049 1928 937 381 198 771 21,2 + 17 230 1929 949 306 201 000 21,2 + 2 229 1930 1 037 384 228 278 22,0 + 27 278 1931 1 008 953 230 331 22,8 + 2 053 43 Entnommen aus: Thönnessen, Frauenemanzipation, S. 131 (die mit ∗ gekennzeichneten Zahlen sind von Evans, Sozialdemokratie und Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich, S. 195 übernommen, da die Angaben von Thönnessen an dieser Stelle rechnerisch nicht korrekt waren.). XL 7.3 Bildmaterial 7.3.1 Titelblätter der „Frauen-Zeitung“, „Staatsbürgerin“, „Arbeiterin“ und „Gleichheit“ XLI XLII XLIII XLIV XLV XLVI XLVII XLVIII XLIX L LI LII LIII LIV LV 7.3.2 Porträt- und Szenenbilder aus der „Gleichheit“ (nach Erscheinen geordnet) LVI LVII LVIII LIX LX 7.3.3 Bildnachweis Titelblattauswahl: GL, 02/ 01/ 11.01.1892/ 1. GL, 17/ 01/ 09.01.1907/ 1. GL, 21/ 12/ 13.03.1911/ 177. GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117. GL, 29/ 20/ 05.07.1919/ 153. GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 249. GL, 33/ 05/ 01.03.1923/ 33. GL, 33/ 07/ 01.04.1923/ 49. GL, 12/ 09/ 23.04.1902/ 65. GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 57. GL, 31/ 18-19/ 15.09.1921/ 173. Porträt- und Szenenbilder: „Louise Michel als Kommune-Kämpferin“ (GL, 03/06/22.03.1893/ 44) „Louise Michel 1892“ (GL, 03/06/22.03.1893/ 45) „Madame Roland“ (GL, 04/01/ 10.01.1894/ 4) „Madame Roland verläßt das Gefängnis“ (GL, 04/ 01/ 10.01.1894/ 5) „Maria Lwowna Berditschewskaja“ (GL, 15/ 05/ 08.03.1905/ 25 (Titelblatt)) „Esther Riskind“ (GL, 16/ 02/ 24.01.1906/ 7 (Titelblatt)) „An den Eisenstäben sinkt die Liebe blutend nieder“ (Struve > GL, 18/ 02/ 20.01.1908/ 14) „Emma Ihrer“ (GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 61) „Emma Ihrer“ (GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 61) „Dr. med Hope Bridget[sic] Adams-Lehmann“ (GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 62) „Ottilie Baader-Diedrichs“ (GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 62) LXI Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Dissertation selbständig und ohne unerlaubte Hilfe angefertigt und andere als die in der Dissertation angegebenen Hilfsmittel nicht benutzt habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus veröffentlichten oder unveröffentlichten Schriften entnommen sind, habe ich als solche kenntlich gemacht. Kein Teil dieser Arbeit ist in einem anderen Promotions- oder Habilitationsverfahren verwendet worden. Kassel, den LXIII