Höxter Geschichte einer westfälischen Stadt Bandl Höxter und Corvey im Früh- und Hochmittelalter von Andreas König, Holger Rabe und Gerhard Streich herausgegeben im Auftrag der Stadt Höxter 2003 VERLAG HAHNSCHE BUCHHANDLUNG HANNOVER Die Publikation entstand mit maßgeblicher finanzieller Unterstützung der Volksbank Paderbom-Höxter eG. Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-7752-9580-1 © 2003 Verlag Hahnsehe Buchhandlung Hannover Gesamtherstellung: poppdruck, Langenhagen Inhalt Zum Geleit ............... .................. .................. ... ... ....... ... ..... ....... .. ... ..... ... .......... ..... ... ....... ....... .. ..... .. .. 9 Vorwort............................................................................................................................................. 11 Warum eine Stadtgeschichte? ..................................................................................................... 13 Topographie und Ethnographie .................................................................................................. 15 Höxter und Corvey in der historischen Überlieferung .................. ......................... ....... ....... .. 17 Die Besiedlung des Weserberglandes in ur- und frühgeschichtlicher Zeit (Daniel Bhenger) ............................................................................................................................ 21 Die Anfänge der Stadt Höxter ..................................................................................................... 35 Frühe Besiedlungsspuren im Bereich der Altstadt ........................................................... 35 Die Sachsenkriege Karls des Großen (772-804) und die Schlacht am Brunsberg im Jahre 775 ................................................................... 40 Mission, Christianisierung und Aufbau der Kirchenorganisation ................................. 46 Der karolingerzeitliche Vorgängerbau von St. Kilian ................. ....... .......... .... ................ 48 Menschen vom frühmittelalterlichen Friedhof um St. Kilian in Höxter - eine paläopathologische Untersuchung (Wolf-Rüdiger Teegen und Michael Schultz) ...... 55 Höxter vor der Gründung der Reichsabtei Corvey .......................................................... 76 Die Reichsabtei Corvey- Geschichte und Archäologie (Hans-Georg Stephan)......... 80 Von der Gründung der Reichsabtei Corvey (822) bis in das 11. Jahrhundert .................. 121 Der karolingische Markt an der Weserfurt des Hellweges ............................................. 121 Eine erste Befestigung der villa Hucxori ............................................................................ 133 Das 10. Jahrhundert: Corvey unter der ottonischen Königsherrschaft ........................ 138 Die karolingisch-ottonische Zeit im Spiegel der archäologischen Funde ................... 140 Das 11. Jahrhundert: Das landfremde Königshaus der Salier - Die Sachsenkriege Heinrichs IV. und der Investiturstreit- Hirsauer Reform .............................................. 144 Archäologische Beobachtungen zur Siedlungsexpansion, zum Hausbau und zum Handwerk ................................................................................................................ 145 Der Brückenmarkt im 12. Jahrhundert ..................................................................................... 154 Forum, quod adiacet ponti in Hugseli- Höxter als Marktort ....................................... 154 "Brückenmarkt" und ,,Alter Markt" - zwei Märkte 1115? .............................................. 158 Die Weserbrücke ... ... ... ... .. ..... .... ....... ... .... ... .. ... ... .. . .... .. .. ... .. .. ... ... .. ... . . ... . . .. . ..... .. ... ... . . .. .. . .... .. .. . . 160 Der Brückenmarkt im archäologischen Befund ............................................................... 161 Handelsgüter und Waren im Spiegel schriftlicher Überlieferung .................................. 168 5 Corveyer Münzen des Mittelalters (Peter Ilisch) ............................................................... 170 Höxter und sein Umland im 12. Jahrhundert .................................................................... 185 Auf dem Weg zur ummauerten Rechtsstadt ............................................................................. 187 Das älteste Stadtsiegel ............................................................................................................ 187 Bewegte Zeiten: Der Kampf um die Stadtherrschaft ....................................................... 191 Höxter brennt ........................................................................................................................... 197 Der romanische steinerne Wohnbau ............................ .... .................................. .. .. .... ......... 200 Der Marktort in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts ................................................. 203 Haustierhaltung im früh- und hochmittelalterlichen Höxter (Monika Doll) .............. 211 Paläoethnobotanische Untersuchungen an pflanzlichen Makroresten (Gisela Wolf) .. 232 Wiederaufbau nach der Zerstörung durch die Grafen von SchwaJenberg .................. 257 Die Brandschatzung Höxters 1178 ...................................................................................... 261 Grundlagen der Stadtwerdung Höxters: Abt und Ministerialität .................................. 262 Die Befestigung der Stadt (oppidum) durch Wall und Graben um 1150 .................... 265 Hochvogtei, Teilvogtei, Stadtvogtei ..................................................................................... 268 Das Stadtzentrum in der zweiten Hälfte des 12. und im 13. Jahrhundert ................... 276 Grundzüge der Entwicklung Corveys vom Markt zur Stadt vom 11. bis zum 13. Jahrhundert (Hans-Georg Stephan) ............................................... 281 Die Kirchengeschichte Höxters .................................................................................................. 306 Die Ffarrseelsorge .................................................................................................................... 306 Die Verlegung des Stifts Niggenkerken an die Petrikirche in Höxter 1266 ................ 312 Die Stiftsschule ..................................................................................... .. ................................. 319 Der Archidiakon von Höxter .................................................................... ............................ 319 Die mittelalterliche Stadtkirche St. Kilian in Höxter (Heiko Seidel) ............................. 322 Das Heiliggeist-Hospitalund die Deutschordenskommende ........................................ 345 Das Franziskanerkloster St. Maria ...................................................................................... 352 Die Propstei tom Roden ......................................................................................................... 354 Gründung und Frühzeit des Zisterzienserinnenklosters Vallis Dei in Brenkhausen unter besonderer Berücksichtigung der Höxterschen Ägidienvorstadt (Margit Mersch) ........................................................................................... 357 Höxter-Corvey im politischen Kräftespiel und der Kampf um die Hegemonie an der Oberweser im 13. Jahrhundert ....................................................................................... 378 Die "Rebellion" der Bürger von Höxter und die Brandschatzung Corveys 1265 ...... 388 Höxter als entwickelte Stadt im Rechtssinn ..................... ............ ........................................ .... 396 Die verfassungsgeschichtliche Entwicklung der Stadt Höxter im 13. Jahrhundert ... 396 Die Ratsverfassung 1225 ........................................................................................................ 397 Stadtgraf und Richter .............................................................................................................. 401 Die wachsende Emanzipation Höxters und anderer größerer Städte .......................... 403 Die Stadtrechtseinholung von Dortmund nach 1256 ...................................................... 405 Die Bursehaften und die "Weisheit" .................................................................................... 408 Städtisches Wohnen ..................... ..... ............................................. ........................................ 411 Kloaken - Fundgruben des städtischen Alltagslebens ........................... .......................... 423 Keramik ................................................................................................................................... .. 430 Adel, Ministerialität, Bürger, Ratsherren und Gemeinde ................................................ 436 6 Ludwig und Adelheid von Uslar .......................................................................................... 438 Die frühen Ratsherren ................. .. ....................................................................................... .. 442 Frei- und Lehnshöfe des Adels in der Stadt ..................... ......... .................. ..................... .. 447 Und erneut brennt Höxter ... ....... .... .. .... ........ ......................................................................... 450 Rück- und Ausblick - Geschichte als Rekonstruktion oder die Grenzen der Erkenntnis ...................................... 455 Höxter und Corvey - zwei Städte und zwei Brücken nebeneinander ......................... 455 An der Schwelle vom Hoch- zum Spätmittelalter- Quo vadis Höxter? .......... ..... ..... 461 Literatur ........................................................................................................................................... 463 Orts- und Personenregister ............. .. ........................................................................................... 497 Abbildungsnachweis .. ..................................................... ......... ... ............................................ .... ... 511 Die Autoren .................................................................................................................................... 512 7 Gründung und Frühzeit des Zisterzienserinnenklosters Vallis Dei in Brenkhausen unter besonderer Berücksichtigung der Höxterschen Ägidienvorstadt von Margit Mersch St. Ägidienkirche und -vorstadt Im Mittelalter war der Stadt Höxter am östlichen Weserufer eine Vorstadt vorgelagert, die heute völlig verschwunden ist. Eine dem hl. Ägidius geweihte P!arrkirche und eine zugehö- rige Siedlung von unbekannter Größe, die als villa sancti Egidii ante pontem Huxariensem bezeichnet wurde, 1 haben jenseits der Höxterschen Brücke, im sogenannten Brückfeld gele- gen. In einer Urkunde von 1231 wird die Kirche erstmals etwähnt, 2 etwa 300 Jahre später findet sich ihre letzte Spur in einer Urkunde vom 19. Januar 1522,3 und auf den ältesten Ab- bildungen Höxters aus dem 17. Jahrhundert sind bereits keine baulichen Überreste von Kir- che oder Siedlung mehr zu erkennen. Die wenigen Hinweise der schriftlichen Quellen bie- ten keine ausreichende Grundlage für eine Rekonstruktion ihrer Geschichte. Und da auch zu archäologischen Forschungen bisher keine Gelegenheit bestand, können selbst die zen- tralen Fragen nach den Daten von Gründung und Auflassung des Ortes noch nicht mit Si- cherheit beantwortet werden. Das betont auch Hans-Georg STEPHAN, der im östlich gelegenen Brückfeld wie auch im Westen der Stadt um die ehemalige Petrikirche Zentren eines Höxterschen Siedlungsaus- baus im 11. Jahrhundert annimmt.4 Heinz Sroos hat vermutet, daß die Ägidienkirche zu- sammen mit der Petrikirche in salischer Zeit (1024-1125) vom Corveyer Abt gestiftet wur- de, um an den Eingängen des Hellweges in die Stadt die geistliche und karitative Versor- gung der Pilger und anderer Reisender auf diesem wichtigen west-östlichen Handelsweg zu gewährleisten.5 Demgegenüber hält der Ausgräber von St. Petri, Wolfgang NIEMEYER, diesel- be für eine Eigenkirche des Paderborner Bischofs Meinwerk (1009-36) aus dem zweiten Jahrzehnt des 11. Jahrhunderts.6 Die Ägidienkirche auf der anderen Seite der Stadt wird aber keine bischöfliche Gründung gewesen sein, da sie unter Corveyer Patronat stand,7 was bedeutete, daß die Besetzung bzw. Vergebung dieser Ffarrerstelle durch den Corveyer Abt 1 WUB IX, Nr. 1, 1-3 von 1301. 2 WUB IV, Nr. 204, 133-135. 3 LEESCH 1961, 520. 4 STEPHAN 1973, 121. 5 STOOB 1970, 142. 6 NIEMEYER 1997, 147. 7 LEESCH 1966, 43 f. et passim, zu St. Ägidien S. 53. 357 vorgenommen wurde. Ob überhaupt ein zeitlicher oder darüber hinausgehender, kausaler Zusammenhang zwischen den beiden Kirchengründungen existiert, muß offen bleiben. Die Ersterwähnung der Ägidienkirche geschah im Zusammenhang mit der Neueinteilung der Archidiakonate im Paderborner Bistum im Jahr 1231, als alle Ffarrkirchen mit ihrer Sprengelzugehörigkeit aufgelistet wurden. St. Petri ist übrigens in dieser Liste der Ffarrkir- chen nicht enthalten, weil das Stadtgebiet von Höxter noch als eine ungeteilte Ffarre unter der Leitung des Dekans von Niggenkerken angesehen wurde. Die Bewohner der Gegend um die Petrikirche waren in die Kilianipfarrei eingebunden, während die Bewohner der Ägi- diensiedlung ihre eigene Ffarrei hatten. Ob bereits vor Errichtung der Ägidienkirche eine Siedlung an der Weserfurt bzw. an der vor 1115 gebauten Brücke entstanden war, oder ob die Siedlung sich um eine ältere Corveyer Besitzzelle mit Hof und Eigenkirche entwickelt hatte, ist zur Zeit schwer zu beurteilen. Geographisch war der Siedlungsplatz durchaus gün- stig, da hier - ebenso wie auf der städtischen Uferseite, in Corvey und bei tom Roden - eine Flußkiesinsel sicheren Schutz vor Hochwasser bot.8 Wir wissen aber, daß dieses Areal im Frühmittelalter noch nicht zu der Höxterschen Mark, der marca Huxeri gehörte, die Ludwig der Fromme 822 von dem sächsischen Grafen Bemhard erwarb, um sie dem neu gegründeten Kloster Corvey zu schenken. Denn diese Mark wurde nach Osten hin durch die Weser begrenzt; die östliche Uferseite blieb uner- wähnt.9 Weiter schweigen die Quellen über einen Erwerb des Corveyer Besitzes im Brück- feld. Solche Hinweise wären jedoch zu erwarten, wenn das Kloster dort innerhalb einer be- reits bestehenden Siedlung nachträglich Land erworben hätte. Adel oder Ministerialadel, der sich nach der Ägidiensiedlung benannt hätte, ist ebenfalls nicht bekannt. Einige Wahr- scheinlichkeit hat die These für sich, daß Corvey im Zusammenhang mit dem ersten Brük- kenbau, der sicher vom Abt unterstützt oder zumindest genehmigt werden mußte, mit der Ägidienkirche einen eigenen Außenposten am Brückenkopf etablierte. Generell ist durch den Brückenbau mit dem Einsetzen oder einer wesentlichen Verstärkung der Siedlungstä- tigkeit im Brückfeld zu rechnen. Einen Anhaltspunkt für das Alter der Kirche bietet ihr Patrozinium. Der Kult des hl. Ägi- dius, eines Abts und Klostergründers des 8. Jahrhunderts, und die Wallfahrt zu seinem Grab in St. Gilles in der Provence breiteten sich seit dem späten 11. Jahrhundert bis nach Deutschland und Polen aus und erreichten um die Mitte des 12. Jahrhunderts eine erste Blütezeit. Der früheste Nachweis für eine Verehrung des hl. Ägidius in Deutschland stammt aus Münster/Westfalen, wo 1087 ein Kapellenaltar der Stiftskirche Liebfrauen (Überwas- ser) neben anderen Heiligen dem Ägidius geweiht wurde. 10 SO Jahre später, 1137, erhielten die Münsteraner Domkanoniker von ihrem Bischof eine jährliche Weinspende zum Festtag des Ägidius (1. September); 11 und um 1180 entstand in der Stadt eine neue Ffarrkirche zu seinen Ehren, die bald darauf den ersten Zisterzienserinnenkonvent Westfalens beherber- gen sollteY Weitere frühe Beispiele für die Wahl dieses Heiligen als (Kloster-) Kirchenpa- tron sind in Braunschweig (1146, evtl. schon 1115) und Nürnberg (1120er Jahre bzw. um 1150) zu finden. Die prominente Darstellung des Braunschweiger Klosterpatrons Ägidius im Widmungsbild des Evangeliars Heinrichs des Löwen und die Gründung eines Tochter- klosters von St. Ägidien in Lübeck (1177) sind als Hinweise auf die besondere Bedeutung des Kults im Einflußbereich des sächsischen Herzogs angesehen worden,13 der bis 1180 die Corveyer Schutzvogtei inne hatte. Das Ägidienpatrozinium war allerdings um die Mitte des 8 KRÜGER 1931, 45 f. und Karten im Anhang. 9 KRÜGER 2001,207 und 260f. 10 WUB I, 1, Nr. 134, 105-107. 11 WUB I, 2, Nr. 224, 21-23. 12 HENGST 1994, 64-68. 13 LEXIKON DES MITTELALTERS I, Sp. 176. 358 12. Jahrhunderts schon allgemeiner geläufig. So stand Abt Wibald von Corvey 1157 in Brief- kontakt mit einem Kanoniker von St. Ägidius in Lüttich, 14 und insbesondere der Benedikti- nerorden beförderte den Kult des Abts und Klostergründers. Auch in Corvey haben die Mönche im 12. Jahrhundert die Kapelle ihres Konventshospitals dem Ägidius geweiht. Wann genau dies geschah, ist unklar; erstmals erwähnt wird die Infirmariumskapelle im Jahr 1194 (altare beati Egidii, quod est in capella infirmorum) und ein weiteres Mal 1198 (beato Egidio infirmarie nostre capelle patrono) . 15 HoLSCHER und STOOB hielten diese urkundlichen Nennungen für einen möglichen frü- hen Nachweis der Ägidienkirche im Höxterschen Brückfeld. 16 Eine solch große räumliche Trennung zwischen Klausur und Mönchshospital wäre aber ganz ungewöhnlich und un- wahrscheinlich; auch ist bei der Formulierung infirmarie nostre an das Konventshospital und nicht an ein eigenständiges, öffentliches Hospital zu denken. Dementsprechend gibt es auch keinen Quellenhinweis auf eine Hospitalsfunktion der Ägidienkirche. Zudem belegt eine Nachricht aus dem Jahr 1429, daß die Corveyer Ägidienkapelle im Spätmittelalter am Kreuzgang des Klosters gelegen hatY Es ist also davon auszugehen, daß die Ende des 12. Jahrhunderts erwähnte Hospitalkapelle und die zu 1231 genannte Prarrkirche nicht identisch sind, sondern daß es spätestens zu Beginn des 13. Jahrhunderts im Bereich Corvey I Höxter zwei Kirchbauten mit dem Ägidiuspatrozinium gab. Auf eine frühzeitige volkssprachige Verehrung des hl. Ägidius in diesem Raum könnte ein ganz besonderer Quellenfund hinweisen, den der bedeutende Regionalhistoriker Paul WIGAND schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts machte. Er entdeckte in einer Privatbiblio- thek in Höxter ein Pergamentblatt aus dem späten 12. Jahrhundert mit einem Ausschnitt aus einer in deutschen Reimen verfaßten Legende des hl. Ägidius. Nur ein einziges weiteres, ebenfalls nicht vollständiges Exemplar dieser Ägidiuslegende ist in einer Trierer Pergament- handschrift überliefert, die ebenfalls aus dem späten 12. Jahrhundert stammt. Die Entste- hung der Legende wird für etwa 1160 angenommen. 18 Wigand übermittelte das für die Me- diävistik wichtige Höxtersche Fragment damals an Jakob Grimm, weshalb es sich heute im Grimm-Nachlaß der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu Berlin befindet. Wie es zuvor in Höxterschen Privatbesitz gekommen war, ist nicht bekannt. Vielleicht stammt es aus der Ausstattung der Ägidienpfarrei, deren Auflösung wohl im frühen 16. Jahrhundert unter un- geklärten Bedingungen vonstatten ging. Der Ägidienkapelle des Corveyer Mönchshospitals ist der Text nicht zuzuordnen, da der Konvent für den innerklösterlichen Gebrauch sicher die lateinische Fassung der Legende des Heiligen benutzt hat. Es bleibt festzuhalten, daß die zwischen etwa 1080 und den 1150er Jahren zunehmende Ägidienverehrung und die Existenz eines Ägidius-Altarpatroziniums in Corvey vor 1194 so- wie einer deutschen Ägidiuslegende aus der Zeit nach 1160 in Höxter für die Ägidienkirche im Brückfeld ein Gründungsdatum zwischen dem Ende des 11. und der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts nahe legen. Über die Weiterentwicklung St. Ägidiens im 12. Jahrhundert ist nichts bekannt; erst im 13. Jahrhundert häufen sich wieder die Quellennachrichten. In jenem Jahrhundert ist das Geschick von Ägidienkirche und -siedlung jedoch eng mit der Geschichte des Zisterzienser- innenklosters in Brenkhausen verknüpft und wird deshalb weiter unten in jenem Zusam- menhang noch einmal eine Rolle spielen. 14 }AFFE 1864, Nr. 457, 589f. 15 WUB I, 2, Nr. 545, 240 und Nr. 574, 257. 16 HOLSCHER 1881 , 120; STOOB 1970, 142. 17 Staatsarchiv Münster, Corvey Urk. 368; vgl. STEPHAN 2000a, 387. 18 GEITH 1978. 359 Brenkhausen, Ort und Kloster Der Ort Die Geschichte des etwa zwei Kilometer nordöstlich von Höxter in einem weiten Talkessel am Schelpebach gelegenen Ortes Brenkhausen geht bis in das Frühmittelalter zurück. Brenkhausen war im Besitz Kloster Corveys, seitdem Kaiser Ludwig der Fromme die Mark Höxter von dem sächsischen Grafen Bemhard erhalten und 822 dem neugegründeten Kloster geschenkt hatte. Die sogenannte "Markbeschreibung", die im Wohltäterkatalog des Corveyer Liber Vitae aus dem 12. Jahrhundert und in einer Herforder Handschrift aus dem 13. Jahrhundert überliefert ist, wurde am Ende des 9. oder Anfang des 10. Jahrhunderts ver- faßt.19 Sie gibt Brenkhausen (Beringison bzw. Berinchusen) zusammen mit Albaxen als nördliche Begrenzung der Höxterschen Mark an. Erneut scheint Brenkhausen unter der Be- zeichnung Birngise, die dem Namen Beringison aus der Markbeschreibung ähnelt, in einer Corveyer Heberolle des frühen 11. Jahrhunderts aufzutauchen, in der die Mönche über ihr Villikationssystem, d. h. das grundherrschaftliche System ihrer Haupthöfe mit den davon abhängigen Bauernstellen, Buch führten. Der dortige Besitz wird der Villikation Lütmarsen (Livimareshuson, verschrieben aus Liutmareshuson?) zugeordnet.20 Diesem Eintrag zufolge lebten damals drei Hörigenfamilien in Brenkhausen, von denen zwei jeweils jährlich 52 Scheffel Hafer, drei Scheffel Roggen und zwei Schafe, die dritte hingegen nur 44 Scheffel Hafer zu den drei Scheffeln Roggen und zwei Schafen an Kloster Corvey liefern mußten. Ganz gesichert ist die Deutung dieser Quelle jedoch nicht, zumal es sich um eine unvoll- ständige Liste der Corveyer Villikationen handelt und die Ortsnamen nicht alle bestimmt werden konnten bzw. teilweise unterschiedliche Identifikationen zulassen. Der Corveyer Besitz in Brenkhausen wurde im 12. Jahrhundert wahrscheinlich von ei- nem Ministerialen verwaltet, der sich nach dem Ort de Berinchusen nannte. Allerdings hatte diese Ministerialenfamilie offensichtlich keinen besonders hohen Status und war nur selten in der Nähe des Abtes zu finden. Während bedeutendere Ministerialenfamilien mit mehreren Generationen die Zeugenlisten der Corveyer Äbte füllen, ist nur dreimal ein Jo- hannes de Berinchusen als Zeuge in den Urkunden Abt Widekinds (1189-1203/5) nachzu- weisen.21 Weder vorher noch später ist dieses Geschlecht überliefert. Zu jener Zeit waren auch die von Amelunxen, eine wichtige Corveyer Ministerialenfamilie, in Brenkhausen be- gütert und übertrugen den Mönchen von Corvey eine Abgabe von 8 Solidi aus ihrer dortigen Mühle. Dieselbe Mühle konnte 1198 der Verwalter der Corveyer Caritas, Mönch Albertus, für 6 Mark erwerben.22 Auch eine Ffarrkirche gab es in Brenkhausen. Wie im Falle der Ägidienkirche und vieler anderer Pfarrkirchen im Corveyer Gebiet, stammt die älteste Information über ihr Bestehen aus der Archidiakonatsliste von 1231; ihr Alter jedoch ist unbekannt. Bei den archäologi- schen Grabungen, die im Zuge der Heizungsumbauten in der Brenkhausener Kirche statt- fanden, konnte jener 1231 erwähnte Vorgängerbau nicht erlaßt werden. Allerdings fand sich im östlichen Teil des Kirchengebäudes unter den Bauschichten der heutigen Kirche ei- ne auffällige Planierung aus kleinteiligem Abbruchschutt, der von einem mit Kalkputz ver- sehenen Fachwerkgebäude stammte. Sollten dies Reste der alten Ffarrkirche sein, so wäre der Bau im Osten des heutigen Kirchengebäudes zu suchen, da sich die Schuttschicht dort konzentriert und nach Westen hin ausdünnt. Für einen Standort unter dem heutigen Chor- bereich oder östlich von ihm sprechen auch die Bestattungen, die aufgrund ihrer Ausrich- 19 KRÜGER 2001, 217. 20 I