Jugendliche Alltagsgestaltung und Identitätsbildung mit Fantasy-Rollenspielen – Schule öffnen für Elemente des Spiels und spielerische Aktionsformen Dissertation Zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) im Fachbereich 1 Erziehungswissenschaften/ Humanwissenschaften der Universität Gesamthochschule Kassel vorgelegt von: Roman Riedel Mainz, November 2004 1. Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld ................................1 1.1 Schule und jugendlicher Alltag..........................................................................................................................1 1.2 Erste Annäherung: Elemente, Szenen und Episoden aus der Perspektive des Jugendlichen......................3 1.3 Zweite Annäherung: Beobachtung und Selbstreflexion des Lehrers...........................................................5 1.4 Dritte Annäherung: Encoding/ Decoding als Grundformen jugendlicher Alltagsgestaltung......................8 1.5 Vierte Annäherung: Jugendliche Alltagskompetenzen und der aktuelle Bildungsbegriff .....................11 1.6 Erste Sichtung und theoretische Einordnung.................................................................................................14 1.7 Überblick und Plan zur Untersuchung............................................................................................................15 2. Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen.............................................21 2.1 Forschungsstand bei Fantasy-Rollenspielen..................................................................................................21 2.2 Theoretische Zugänge und wissenschaftlicher Bezugsrahmen ..................................................................24 2.2.1 Encoding-/ Decoding-Modell der Semiotik und Cultural Studies...................................................25 2.2.2 Bedeutungs- und Subjektkonstitution in einer mediatisierten Gesellschaft...................................39 2.2.3 Jugendliche Selbst-Sozialisation als "Produktive Realitätsverarbeitung"......................................52 2.2.4 Reflexivität und Erlebnisrationalität.....................................................................................................60 2.2.5 Psychologie der Alltagsgestaltung - Intrinsische Motivation und "Flow" .....................................77 2.2.6 Fantasy-Rollenspiele als ein Element der Ästhetisierung von Alltagswirklichkeit mittels kollektiver Fiktionalisierung...................................................................................................102 3. Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse............................................................................................................................................................127 3.1 Teilnehmende Beobachtung...........................................................................................................................130 3.2 Qualitative Interviews......................................................................................................................................139 3.3 Qualitative Analyse von Materialien.............................................................................................................146 3.4 Beschreibung der beobachteten Gruppe von Jugendlichen.......................................................................149 4. Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot .....................................153 4.1 Das Genre FRPG..............................................................................................................................................155 4.2 Formate...............................................................................................................................................................167 4.3 FRPG-Markt ......................................................................................................................................................175 4.4 Welche FRPG spielen die Jugendlichen dieser Untersuchung?...............................................................182 4.4.1 Magic: The Gathering - Collectible/ Trading Card Game ..............................................................183 4.4.2 "BattleTech" – Krieg im 31. Jahrhundert ..........................................................................................185 4.4.3 Das Schwarze Auge – Reisen in "Aventurien".................................................................................195 4.5 Das Fantasy-Rollenspiel-Angebot als erlebnisrationaler Text .................................................................199 5. Fantasy-Rollenspiele - ein Medien-, Text - und Ereignis —Arrangement in der Nutzung.................................209 5.1 Die Jugendlichen schaffen sich einen Rahmen ...........................................................................................212 5.2 Die Jugendlichen produzieren Objekte und Texte......................................................................................228 5.3 Die Jugendlichen gestalten Beziehungen: Interaktions- und Sozialformen ...........................................237 5.4 Die Jugendlichen ziehen weitere Objekte, Texte, Medien und Ereignisse hinzu..................................260 5.5 Die Jugendlichen entwickeln ein typisches Arrangement aus Objekten, Texten, Medien und Ereignissen.................................................................................................................................................302 6. Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung.........................................................................................................................................................311 6.1 Jugendliche Subjektkonstitution als erfolgreiche Selbstsozialisation .....................................................311 6.2 Reformulierung des pädagogischen Auftrags für die Schule: Vom Erziehungs- zum Dialogparadigma ..............................................................................................................................................316 6.3 Förderung von Individuation und Gestaltungskompetenzen durch eine individualisierte Lernkultur...324 6.3.1 Bereitstellung von geschützten und moderierten Kontexten (Räumen) für Formen jugendlicher Individuationsprozesse..........................................................................................................................324 6.3.2 Lernen mit Medien ................................................................................................................................330 6.3.3 Intrinsische Motivierung.......................................................................................................................336 6.3.4 Kompetenzen reflexiver Alltagsgestaltung: Bildung als kritische Selbstbildung.............................338 6.4 Praktische Perspektiven einer Implementierung bzw. Lokalisierung......................................................340 7. Verzeichnis der Abkürzungen und spieltechnischen Fachtermini......................................................................361 8. Literaturverzeichnis ....................................................................................................................................................367 9. Danksagung..................................................................................................................................................................386 10. Appendizes (CD-ROM) 1 Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 1 Jacques Prévert : Le cancre1 Il dit non avec la tête Mais il dit oui avec le coeur il dit oui á ce qu'il aime il dit non au professeur il est debout on le questionne et tous les problèmes sont posès soudain le fou rire le prend et il efface tout les chiffres et les mots les dates et les noms les phrases et les pièges et malgré les menaces du maitre sous les huées des enfants prodiges avec des craies de toutes les couleurs sur le tableau noir du malheur il dessine le visage du bonheur. Der schlechte Schüler Mit dem Kopf sagt er nein doch er sagt ja mit dem Herzen er sagt ja zu allem was er liebt er sagt nein zu seinem Lehrer er steht aufrecht man befragt ihn und alle Aufgaben sind gestellt als plötzlich ein tolles Lachen ihn befällt und er löscht alles aus die Wörter und die Zahlen die Daten und die Namen die Sätze und die Qualen Und den Drohungen des Lehrers zum Trotz unter dem Geschrei der Wunderkinder zeichnet er mit Kreiden in allen Farben auf die schwarze Tafel des Missgeschicks das Angesicht des Glücks. 1. Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 1.1 Schule und jugendlicher Alltag2 Préverts Gedicht beschreibt anschaulich, wie es einem Schüler gelingt, innerhalb des schulischen Alltags mit eigenem Handeln diesem Sinn und Bedeutung zu geben. Während die Erwachsenen und Angepassten sein Verhalten als jugendlichen Widerstand mehr oder minder bewusst fehl deuten, gelingt ihm eine kreative Gestaltung seiner Umwelt und das Erleben von Glück. Préverts Schüler kann seiner Schule zurecht nur mit einer rigorosen Feindschaft begegnen. Ihrer impliziten Aufforderungen, sich zu unterwerfen, stellt er seinen Stolz und seinen Trotz entgegen, der einem tiefen Gefühl für fremde wie eigene Würde entspringt. Dagegen sind die Kompetenzen und das Wissen, aus denen Schule ihre Legitimität zu schöpfen glaubt, schon deshalb untauglich, weil sie allein dazu dienen, Menschen zu disziplinieren und zu deprivieren. Gegen diese Repression mobilisiert er seine Emotionalität, seine Phantasie, seine Kreativität, mit denen er der kognitiven Rationalität der Institution begegnet und im Moment der scheinbaren Niederlage obsiegt. Das Gedicht spiegelt die Erfahrungen eines Autors, der Schule als soziales Selektionsinstrument einer Klassengesellschaft erlebt hat, in der Bildung zu einem wesentlichen Kapital wird, das Menschen benötigen, um sich erfolgreich gesellschaftlich zu etablieren. Während sich an der sozial klassifizierenden Funktion von Bildung auch in der Gesellschaft der Postmoderne nur wenig geändert hat3, hat im Verlauf der Bildungsreformen die Institution Schule und der damit von ihr mitgestaltete Alltag des Jugendlichen erhebliche Veränderungen erfahren.4 Unter der Zielvorgabe einer "Chancengleichheit"5 hat Schule mehr denn je den Auftrag, den einzelnen Schüler in einer besonderen Weise zu fördern, um ihm zumindest formell alle Voraussetzungen für eine angemessene 1 PRÈVERT 1983, 67-68 2 Schule stellt zunächst einen Teil von Alltag im Sinne eines sozial konstruierten, vorkonstituierten Kontextes dar, in dem sich u.a. das alltägliche interaktive Handeln der Jugendlichen auf der Basis intentionaler Reflexion ("alltägliches Leben") ereignet, aus dem wieder Alltag entsteht. Die in diesem Kontext Interagierenden reflektieren dieses Handeln und diesen Kontext aber auch abstrakt-distanziert und beschreiben ihn als Lebenswelt, vgl. GRATHOFF 1995, 94-112 3 Zu den Ergebnissen der PISA-Studie wie etwa der Nachweis einer Benachteiligung bestimmter Gruppen von Jugendlichen, einer Verschärfung sozialer Ungleichheit, einer desintegrativen Wirkung des bundesdeutschen Schulsystems, vgl. u.a. BACHMAIR 2002/ 03; NOVÉ/ WEIL 2004 4 HELDMANN 1990, 315-357 5 DAHRENDORF 1965, 23-24; 35-36 1 Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 2 Integration in der Gesellschaft zu verschaffen.6 Im Zuge dieses Projektes hat die Schule verschiedene Pädagogiken versucht zu realisieren, etwa kompensatorische und emanzipatorische Ansätze, und ist immer wieder auf die Herausforderungen eingegangen oder hat auf solche reagiert, welche gesellschaftliche Veränderungen mit sich bringen. Gleichzeitig veränderte sich das Bild des Schülers und Lehrers: Letzterer versteht sich heute idealtypisch als Begleiter, Berater, dessen Autorität auf seinem Fachwissen und seiner Lebenserfahrung beruht. Der Schüler wird in dieser Perspektive zu einer Persönlichkeit, deren Würde im pädagogischen Prozess stets neu reflektiert und beachtet werden muss, wird allerdings aber auch weiterhin in gewisser Hinsicht in einem paternalistischen Verständnis von Pädagogik als eigentlich defizitär begriffen. Seine im alltäglichen Handeln entwickelten Fähigkeiten und Kenntnisse werden kaum wahrgenommen bzw. als Resultate schulischen Erfolgs interpretiert. Das Verhältnis von Schüler zu Schule und Lehrer hat sich trotzdem im Vergleich zu Préverts Darstellung umfassend verändert. Zwar erleben Schüler wohl auch heute noch Friktionen, Momente gescheiterter Kommunikation und von Unverständnis, aber diese Spannungen bilden nicht mehr den fundamentalen Widerspruch zwischen Schüler und Schule ab, wie ihn Prévert noch empfindet, sondern sind alltägliche Konsequenzen menschlicher Interaktion. Mit der Konzentration auf den Schüler hat sich Schule bislang erfolgreich nicht nur gegenüber der Gesellschaft, sondern auch gegenüber den Schülern legitimieren können. Nur: während Schule sich redundant als Erfolg ihrer eigenen Reformen feiert, haben sich ihre Schüler und deren Umgang mit Schule in einem solchen Maße weiterentwickelt, dass an der pädagogischen Front, wo diese Veränderungen deutlich werden, ein wachsendes Unbehagen auftritt.7 So nehmen die Klagen der Erwachsenen über die Schüler und deren Unbeschulbarkeit ebenso zu wie die der Jugendlichen über die Ignoranz von Lehrern und Schule. Ein neues Unverständnis zwischen Pädagogen und Jugendlichen wächst mit jeder weiteren Generation von Kids, die an die Schulen kommt. Immer weniger verstehen die Pädagogen diese Jugendlichen, die ihrer autoritativen Identität von Wissen und Erfahrung nach kurzer Prüfung mit mitleidiger Ignoranz begegnen, während andererseits den Pädagogen jugendliches Alltagshandeln nur noch als ein hedonistischer Mix aus Konsum, Events und Medien erscheint, der jedem Anspruch auf Respekt von vornherein entgegensteht. Vor dem Hintergrund eines sich verändernden gesellschaftlichen Struktur – Stichworte wie Globalisierung, Informations- und Wissensgesellschaft, mediatisierte Gesellschaft, individualisierte Gesellschaft beschreiben einen säkularen Umbruch von ähnlicher Qualität wie der, dem die Schule der Moderne ihre Existenz verdankt8 – manifestiert sich jugendliche Widerständigkeit als entwicklungspsychologisches wie kultursoziologisches Phänomen auch kurz nach der Jahrtausendwende nicht nur erneut9, sondern anders, und dies besonders auch im Umgang mit Schule und Handeln in Schule. Dabei setzen die Jugendlichen offensichtlich Techniken und Methoden ihrer Alltagsgestaltung auch im schulischen Umfeld erfolgreich fort. Dieses Alltagshandeln lässt sich zunächst beschreiben als kreative Verwendung symbolischen Materials unterschiedlichster Herkunft in den Kontexten jugendlicher Identitätsfindung und sozialer Wirklichkeitskonstruktion. Dabei gelingt es den Jugendlichen, dieses Alltagshandeln weitgehend als gelingend und beglückend nicht nur zu erleben, sondern auch so zu gestalten. Obwohl Schule – schon von ihrer Konstruktion her – neben anderen attraktiveren Kontexten nicht unbedingt besonders förderlich einer selbstbestimmten Gestaltung im Sinne eines gelingenden Alltags zu sein scheint, bleibt sie aufgrund ihrer gesellschaftlichen Gravitierung ein weiterer Kontext unter vielen in einer gelingenden jugendlichen Alltagsgestaltung, in den Jugendliche ihre Handlungskompetenzen einbringen. Ziel dieser Untersuchung ist die in diesem Spannungsfeld entstehende Beziehung zwischen Schule, einem medialem Konsumangebot und dessen Nutzung durch Jugendliche – in hier vorliegenden Falle am Beispiel von Fantasy-Rollenspielern – und die sich darin abzeichnenden jugendlichen Gestaltungs- und Handlungskompetenzen als bildungsrelevant freizulegen, um Möglichkeiten der Förderung gelingender jugendlicher Alltagsgestaltung in der Schule und durch Schule zu entdecken. Jugendliche Selbstsozialisationsprozesse, wie sie sich bei den beobachteten Jugendlichen abzeichnen, entheben Bildungsinstitutionen wie Schule gerade nicht ihrer Verpflichtung und Verantwortung, sondern zwingen sie 6 Wesentliches Ziel der jetzt über 40jährigen Bildungsreform, vgl. PICHTs kritischer Begriff der "Bildungskatastrophe", PICHT 1964; vgl. angesichts evidenter Benachteiligung spezifischer Gruppen von Jugendlichen auch DAHRENDORFs Postulat "Bildung ist Bürgerrecht", DAHRENDORFF 1965 7 In der sozial-phänomenologischen Perspektive: im alltäglichen Unterrichtshandeln bzw. -verhalten ebenso wie im jugendlichen wie pädagogischen Diskurs; 8 HELDMANN 1990, 183-211 9 Vgl. dazu: MITTERAUER 1986, FARIN 2002 1 Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 3 dazu, diese Selbstsozialisation unter den Bedingungen asymmetrisch verteilter Risiken nachhaltig zu unterstützen. Voraussetzung ist dabei die Sensibilisierung und Akzeptanz scheinbar nicht-reflexiven jugendlichen Alltagshandeln in seiner spezifischen Sinngebung. In Konsequenz muss Schule die "zentralen Verhandlungen"10 des Jugendlichen mit sich und seiner Umgebung über seine Identität und ihre Ausbildung begleiten und unterstützen. Voraussetzung: ist dabei die Akzeptanz jugendlicher Kulturen als Vertrauensbasis als Voraussetzung für die Aktivierung jugendlicher Aneignungspotentiale. Schule muss von der Sinnhaftigkeit jugendkulturellen Handelns ausgehen und sensibel auch für vordergründig nicht-reflexives jugendliches Alltagshandeln werden. Ziel auf der personalen Ebene ist dabei die Stärkung der Identität auf der Basis der Expertenrollen der jugendlichen Insider, auf der gesellschaftlichen Ebene deren soziale Integration im Sinne einer kulturellen Toleranz, auch durch die Vermittlung eines ergänzenden Wissens um die Vielfalt von Traditionen und Kulturen. 11. 1.2 Erste Annäherung: Elemente, Szenen und Episoden aus der Perspektive des Jugendlichen Die folgende Darstellung von Momenten aus dem Alltag von Jugendlichen im Umfeld von Schule versucht die aktuelle Auseinandersetzung von jugendlicher Alltagsgestaltung mit schulischen Kontexten aus der Sicht des Jugendlichen deutlich werden zu lassen.12 Unterrichtsstunde: Dogfight Der Schüler wehrt sich. Der Abwehrzauber der Totemzeichen auf dem Mäppchen, in vielen Schulstunden meditierend erfahren und mit lebenshungriger Ausdauer kunstvoll auf dem Leder ausgeführt, richtet sich gegen die Bedrohung. Der Zauberkreis der eigenen Welt entsteht, an dessen Grenze Zeichen ummissverständlich auf die Unverletzlichkeit und zu wahrende Integrität dieses Territoriums hinweisen. Demonstrativ behaupten sich das "Magic-Card"-Deck und das AD&D-Kompendium gegenüber dem Lehrbuch, das geschickt den subversiven Einbruch des Fantastischen camoufliert. Aus dem Füllfederhalter wird mittels des Geo-Dreiecks in Nullzeit ein schwerer "Aero-Space-Fighter". Die "Shilone S-1"13 des "Dragonis Combine" befindet sich auf Angriffsflug über dem Pult, während sich in der Iris des Schülers die Feuerkontrollwerte seines Headup-Displays spiegeln. Mit riskanten Flugmanövern gelingt es dem "MechWarrior" im Dogfight, der Übermacht von Schule, Unterricht und Lehrer für kurze Zeit zu entkommen. Das Feuer schwerer Laser holt ihn aus einer trügerischen Sicherheit zurück. Während sein Damage-Display schwere Schäden an Fusionskraftwerk und Targetting-Computer anzeigt, nimmt er den melodischen Klang des Pausenzeichens wahr. Trotz der Schäden setzt er zu einer sauberen Landung in den Hangars seines "Aegis-Cruisers" an. Die linke Hand schiebt beim Weg aus dem Schulraum das hinter der Ohrmuschel platzierte Earphone in die richtige Position, gleichzeitig tastet die Hand zur Fernbedienung. Das rechte bleibt ausgestöpselt, um ostentativ-provokant die Unterordnung unter das generelle Verbot von Walkmen an der Schule als Protest zum Ausdruck zu bringen. Ein Druck auf die Remote- Control des Players. In der rechten Hand befinden sich ein aktuelles Fanzine und die "Magic -Card"-Box. Kritische Inspektion der Pausenverpflegung. Gespräch mit den anderen. Abgang mit dem typischen, eine unsagbare Gelassenheit ausdrückenden Schlendern. An seinem Pult spürt man auch ohne ihn noch immer den Zauberkreis, noch immer signalisieren die Gegenstände auf ihm als Amulette die Existenz des Fantastischen, weisen einen autonomen Raum inmitten einer augenscheinlich von Schule beherrschten Alltagswelt aus. Pausenhof: Magische Patience Pausenaufsicht auf Ebene 300. Aufgabe: Bringen Sie die Schüler an die frische Luft! Es ist Januar. Bei allem aggressiven Chic, warm halten die überdimensionierten Snowboardjacken und Baggie -Jeans der Jungs wohl nicht. Die allseits beliebte Wollmütze der Hip-Hop-Generation trägt man mit Vorliebe im geheizten Interieur. Ein Hauch von Bronx, Downtown Los Angeles in einer Schule im Rhein-Main-Gebiet. Die Jungs von "Fat- MTV" würden sich hier wohlfühlen. Boyz, wohin man sieht, Athleten, wenigstens dem Outfit und den Slogans 10 FRITZSCHE 2004, 22 11 MÜLLER 2004 12 Die nachstehenden Schilderungen von exemplarischen Situationen beruhen auf Interviewbeiträgen von Schülern und Feldbeobachtungen von jugendlichem Verhalten in den Jahren 1996-2003, s. Appendizes/ Interviews bzw. Feldbeobachtungen; 13 Die technischen Begriffe entstammen der fiktiven Fachsprache der Fantasy -Rollenspiele und Fantasy-Literatur, vgl. Erläuterung der Fachtermini; 1 Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 4 der Sportartikelhersteller nach, Szenenprofis, Jugendbandenatmosphäre, geheime Deals, geheime Sprache, unverständliche Gesten, Begriffe, Reaktionen. Auch das Lachen wirkt provokativ, verdächtig, fremd. Schullandschaft der Postmoderne. Vor dem Argusblick des berufsmäßigen Pädagogen verkrümelt man sich, wo man kann. Eine Gruppe hat eine der Sitznischen belegt, die von den Architekten für eine Kommunikation geplant wurden, die aus versicherungstechnischen Gründen nur in den Regenpausen hier stattfinden darf. Auf dem kleinen Tisch der Sitzgruppe liegen Karten aus. Die Schüler scheinen zu flüstern. Die Karten sind ausgelegt, verdeckt halten sie ihre Decks in der Hand, die Card-Boxes stehen neben ihnen Wegpacken bereit. Colaflaschen, -dosen, Softdrinks, überall die Folienverpackungen der Pausensnacks, kaum ein Müsliriegel. In Tupperware ökotrophologisch sinnvolles Frühstück von Zuhause: Einer löffelt trocken Vollkornflocken. Ein breiter Kreis von Zuschauern deckt das Geschehen in der Nische zur Aufsicht hin ab. Die Earphones der Walkmen versorgen die Spieler mit Musik. Zwei Schüler lesen in einem 'Fanzine', einer in einer Computerzeitschrift, ein anderer in der "PC-Games". Eine dritte Gruppe tauscht Karten. Allgemeine Klage über die Kosten und Halsabschneiderei der Booster-Pack-Hersteller. Angebot, und Nachfrage: Markt. Dazwischen immer wieder Unentwegte, die hoffen, ein letztes Lesen der fragmentarischen Aufzeichnungen in ihren Heften aus den Vorstunden möge die Götter freundlich stimmen. Läuten. Nur zögernd löst sich die Gruppe auf. Hausaufgaben: "Dungeons and Dragons" Die Liste der Hausaufgaben für morgen ist trotz aller Kürze beängstigend. Der wird bestimmt eine HÜ schreiben lassen, gerade weil sie ihn darauf hingewiesen haben, dass sie diese Woche schon drei Klassenarbeiten hatten und nächste Woche auch noch Mathe geschrieben werden soll. Ja, Bio, oder besser, Biochemie, denn das ist es ja mittlerweile leider geworden. Auch wenn man jetzt schon längere Zeit an seinem Füller nagt, fällt einem heute nachmittag nichts Rechtes ein, und fürs Büffeln fehlt jede Geduld, das hat man gerade ausprobiert mit den Lateinvokabeln. Ob mit laufender CD oder ohne Musik, da bleibt nichts hängen. Für jede Stunde zwanzig neue Vokabeln an vier Tagen macht die Woche 80 und im Monat 320. Der Lateinpauker will die Versäumnisse seines Vorgängers aufholen, der für einige Sprüche zwar gut war, aber auch nur das. Den haben sie dann letztens pensioniert. Die Klasse hat ihm das Buch von Goldhagen geschenkt: Hitlers willige Vollstrecker! Der hat sich aber nichts anmerken lassen. Und diese Mathe-Arbeit kommt wirklich völlig verquer, weil am Wochenende endlich wieder richtig gespielt werden soll. Alle Kumpels haben sich angesagt, mal sehen, wie viel dann wirklich kommen, wenn die alle Mathe pauken. Aber kommen werden sie schon. Ja, für das Spiel, da muss noch einiges vorbereitet werden. Mal den Ordner, das Sourcebook, die Unterlagen und Entwürfe holen. Im neuen Szenario treffen die Abenteurer auf Nichtspielercharaktere einer Spezies, die noch ausgearbeitet werden muss. Die Idee dazu stammt aus dem "Magic" von heute morgen. Das Vieh sieht auch wirklich gut aus, faszinierend, irgendwo steht doch auch noch diese Schwarte rum mit den Sagen. Da müsste man mal nachlesen, was dort über den Minotaurus so steht. Aber erst später. Zunächst einmal festlegen, welchen Namen und welche Charaktereigenschaften der "Minotaurus" bekommen soll. Dazu muss einiges in den Kompendien gewälzt werden. Das muss ja stimmen von der Anlage her. In der letzten Ausgabe vom "Dragon"14 war doch da ein Artikel, wo Tiermenschen vorgestellt wurden. Zuerst müssen die Kampfeigenschaften ausgewürfelt werden. Dabei hat Philipp ganz schön Glück gehabt heute morgen in der Pause, als sie ihm seinen Charakter gemacht haben. Die Orte und Dungeons, durch welche die Gruppe am Wochenende stolpern soll, sind beinahe auch schon alle fertig, ganz schön fiese Fallen, durch die man nur schwer durchkommen wird. Man wird ihnen halt helfen müssen, wenn sie sich ganz blöd anstellen. Also, welche Rüstungsklasse haben denn Tiermenschen? Der Dirk hat noch meine Diskette. Die wird er nachher endlich rausrücken müssen. Vielleicht hat er auch eine Ahnung von Bio? Wochenende: Galaktischer Imperialismus Die Con in Nürnberg ist schon seit Wochen in aller Munde. Was für eine Idee aber auch: Der Kampf um "Curse", Invasions-Chapterfights, bei denen ein ganzer Planet erobert werden kann. An diesem Nachmittag drängen sich fast dreihundert Jugendliche in das Kulturzentrum und seine Halle. Aus ganz Deutschland sind die "MechWarriors" der verschiedenen 'Häuser' angereist, um die Abkoppelung von der offiziellen Zeitschiene der FASA in die Praxis umzusetzen. Ein buntes Bild: neben martialisch anmutenden "Steiner-Chapter" im 14 AD&D Prozine, Rezension s. http://drosi.tuts.nu/rezension/hdh00133.htm [2004-06-30]; s.a. APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.8-8-10 1 Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 5 Winterkampfanzügen der US-Army und den Ninjas und Karate-Kid-Teams von "Kurita" und "Liao" auch viele, die kaum auffallen. Jungs von nebenan halt. Mädchen sieht man - szenetypisch - kaum welche. Im Vorfeld haben die Mitglieder des Veranstalters, eine "Steiner"-Einheit, über Monate hinweg den Con vorbereitet. Erhebliche Mühe bereitete es, einen Raum von der Stadtverwaltung zu bekommen, obwohl in Nürnberg ""BattleTech"" vom Jugendamt schon länger unterstützt wird: Uniformverbot, prophylaktisch, um nicht gleich in die rechte Ecke gestellt zu werden. Alkohol wird wie immer nicht ausgeschenkt, wer ihn braucht, versorgt sich selbst. Das ursprüngliche Rauchverbot ist gefallen. Man hat weiter ein 'positives' Angebot geschaffen: Softdrinks, Tee und Kaffee, von den Chapter-Angehörigen vorbereitet, belegte Brötchen und Kuchen. Geschlafen werden kann in der Halle. Im Nebenraum befinden sich Turnmatten. Aber das ist das geringste Problem, denn an Schlaf wird kaum gedacht. Wer nicht die Nacht durchspielt, geht noch in die Disco. Um das Zentrum herum gibt es eine Reihe von Gaststätten, in der Nähe auch zwei Pizzarien mit Straßenverkauf und den "McDonald", der besonders für das Frühstück am Sonntag wichtig sein wird. Die Finanzierung steht, zumindest in der Planung, wenn man die Eintritte hochrechnet. Am schwierigsten ist es, die sich rasch ändernde Liste der Chapter in den Griff zu bekommen. Viele Stunden gehen drauf, die Einheiten und ihre Offiziere zu identifizieren, den Kontakt herzustellen und die Kampfvereinbarungen in den Verträgen zu fixieren. In einem der Räume hat man ein Kommunikationszentrum eingerichtet, dort flimmert ein PC, steht ein Fax und liegt ein Handy herum. Das ist Büroalltag, Tagungsstress, von Schule ist hier nichts mehr zu spüren. 1.3 Zweite Annäherung: Beobachtung und Selbstreflexion des Lehrers Paläoelectronicum: Jugend in der Vor-Postmoderne Wie war das noch bei mir? Nur wenige Ahnungen und Erinnerungen existieren noch zum Träumen in der Bank. Ganz zu Beginn der Wilde Westen Karl Mays mit edlen Roten und Weißen und schurkischen Widersachern, später dann die martialischen Phantasien echter Männerkameradschaft der Landser-Hefte, die man sich nicht kaufte, sondern die herumgingen. Erotisches, gewiss auch, selbst die langweiligsten Latein- und Griechischbücher boten immer noch spärliche graphische Anregung. Dann natürlich Hesse und Tolkien. Und später die lange Reihe von Science-Fiction und Fantasy, wenig Gutes, vielfach grundschlecht, und doch verschlungen oft in ein, zwei Stunden. In einem alten Heft finden sich als Spuren noch einige Zeichnungen jener Zeit, surrealistisch anmutende fiktive Landschaften. Aber auch wir fanden unsere Phantasien in den Medien wieder, die uns begleiteten. Zwar fehlten technisch dazu die heutigen Voraussetzungen, aber: Der Kassetten- Rekorder, die ersten selbst abgemischten Bänder aus dem "Pop-Shop" von "ESWEEF3", die wenigen Poster aus den paar akzeptablen "Jugendzeitschriften", wie sie damals hießen. Einige hat man auch nach den vielen Umzügen immer noch. Die LPs mit ihren Cover. Ja, die Musik, häufig mangels Sprachkenntnisse ohne Wissen um die eigentliche Aussage emotional als Ausdruck eigenen Empfindens gedeutet, verwendet. Wer kennt das nicht, die Musik mal so richtig laut aufdrehen, wenn man Frust hat oder auch nur sich freute. Ab und an im öffentlich-rechtlichen Fernsehen im Dritten eine Sendung wie den legendären "Beatclub", man musste schon darum kämpfen, ihn auf dem einzigen TV-Gerät der Familie sehen zu können, hieß doch der Moderator schon Sexauer.15 Ja, die Musik ist geblieben. Sie lebt intensiv weiter in den MP3-, Minidisc- und CD-Playern, den immer kleineren und raffinierteren Walkmen und den Earphones mit ihren hochwertigen Gold-Chinch-Kabeln, jetzt auch Statussymbole, und ihr Angebot ist unbegrenzt, jeder kann gerade sein Empf inden ausgedrückt finden. Die CDs werden im Unterricht so häufig zum Kopieren getauscht wie die Disketten mit Free- und Shareware, Toolz, Warez, Crackz, Serialz, Spielen und Raubkopien. Ebenso nachlässig wird mit Ihnen umgegangen, einfach zusammengrabschen und in die Hosentasche stecken, wenn der Lehrer einschreitet oder wenn es zur Pause klingelt. Schrammen? Das muss die Abtastung des CD-Players schon aushalten, wozu hat man denn sonst HiTech? Kann man eigentlich noch träumen, wenn man so beschallt wird? Wenn jeder Traum in Ton und Bild irgendwo schon vorliegt, und man alle Töne und Bilder in diesem Irgendwo per Mausklick suchen und finden kann?16 Und doch, auch das Träumen hat sich gehalten. Wie neidisch wird man als Lehrer, wenn man sieht, mit welcher Intensität die Schüler den Tagtraum17 pflegen. Im Grunde weiß man um die Unzulänglichkeiten seines 15 "Es war die Zeit, als der Verzicht auf einen Haarschnitt noch geholfen hat [...]." PILZ 2001 16 Vgl. Editorial, in: merz, H. 2 (48. Jg.), April 2004, 8; MÜLLER 2004, 12-14 17 BLOCH 1977 1 Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 6 tagtäglichen Unterrichts, man kann ihnen eigentlich nicht böse sein, und noch hält einen das Wissen um das während des Referendariats erlernte und manchmal geleistete Optimum aufrecht. Wie hieß doch noch der ganze Katalog des 'modernen' Unterrichts: Lernzielplanung und -taxonomie, Methodik und Methodenwechsel, Arbeitsschritte und -phasen, Lernzielkontrolle, Gesprächssteuerung, Fragetechnik etc. Meine heutigen Unterrichtsvorbereitungen atmen dank der Dokumentvorlagen des PC noch immer in ihrem Aufbau den Geist jener Zeit. Wie kann es da dem Schüler als Objekt solcher Zuwendung einfallen, sich einem derartigen Unterricht zu verweigern? Man macht doch schon längst keinen Frontalunterricht mehr! Und doch dann ihre ostentative Energie, die sie dem Unwichtigen widmen, diese Kreativität in überflüssigen Details, diese exzessiven Manierismen im Peripheren. Was macht der Schüler da, der sich, offenbar nicht am Unterricht beteiligt, doch höchst aktiv zeigt. Soll man ihn aufschrecken? An probaten Mitteln fehlt es da ja nie. Aber wozu? Deutet man denn das, was geschieht auch richtig? Man wird unsicher, ist unschlüssig. Dieser Aufwand, diese Anstrengungen erscheinen doch, wenn auch einem unverständlich, so doch zielgerichtet, konsequent, notwendig. The Bronx: Jugendliche Emanzipationskulturen Der Vandalismus an der Schule nehme beängstigend zu, sagt der 'Sheriff', d.h. der A16-Mann, dem die interne Schulaufsicht obliegt. Widerspruch der Historiker, die Vandalen seien allein aus der Perspektive der Kirchenväter und anderer Gegner ins schlechte Licht gerückt worden. Übereinstimmung allerdings darin, dass mit den Schülern nichts anzufangen sei und es sowieso ständig bergab gehe, siehe Gibson's "Fall and Decline of the Roman Empire". Und im Schulhaus sehe es wieder mal aus wie im Schweinestall. Da bestehe doch eindeutig 'Handlungsbedarf'. Der Eklat bei der letzten Abi-Feier, als die Schüler ein Plakat aufgespannt hatten, auf dem die Schule als Fortress, also als Hochsicherheitstrakt US-amerikanischer Gefängnisse abgebildet war, ist längst vergessen, die wenigsten der Lehrer hatten die Pointe überhaupt verstehen wollen. Reaktionen: Da sieht man, wie wenig die begriffen haben von dem, was wir ihnen beibringen wollten. Im neuen Jahr wurde deshalb die Zahl der 'sensiblen' Zonen im Gebäude weiter erhöht, das Kollegium um Nachsicht bei der wachsenden Belastung durch Aufsicht gebeten: "Aufsicht geht vor Ablösung!" Obwohl dann, wenn man da ist, natürlich nie etwas passiert. Dann aber wieder die Zerstörung der abgehängten Decken in den Umkleideräumen durch die von einer Niederlage enttäuschte Basketball-Mannschaft des schuleigenen Vereins. Ein Schaden, der in die Tausende geht. Der Sache werde nachgegangen, heißt es, Schuld habe eine Übungsleiterin, die ihrer Aufsichtspflicht nicht nachgekommen sei. Neulich fiel ein Projektor in seine Einzelteile auseinander, als man ihn in die Hand nehmen wollte. Ein Kollege hatte ihn so geschickt zusammengesetzt, dass nicht auffiel, dass er de facto ein Totalverlust geworden war. Vandalismus? Dabei hat jeder von uns doch eine Haftpflichtversicherung. Nebenbei, die Schere im Kopierraum hat man die Kette legen müssen. Klebestifte gibt die Sekretärin, weil die 'Beine kriegen', nur noch ungern heraus. Warum denn die Schüler als Arbeitsgruppe im Gang nicht sitzen könnten, um einen Gedichtvortrag vorzubereiten? Das verstoße gegen die Schulordnung, Brandschutz, Fluchtwege sind frei zu halten, lernen könne man auch im Stehen! Wohin Freiräume führten, wisse man ja. Die Versuche, für die Oberstufe einen Aufenthaltsraum zu finden, sind angesichts des übervollen Hauses im Sande verlaufen. In den Fluren 'offizielle' Kunst der Arbeitsgemeinschaften und der regen Gruppe der 'Künstle r', in den Klassenräumen der Unterstufe Wohnzimmeratmosphäre, in denen der Mittelstufe selten mal Poster, sonst weiße Wände, aber prophylaktisch "Edding"-Verbot. Regt man einmal an, den Klassenraum zu gestalten, winken die Schüler freundlich ab, man habe das schon öfters versucht, kein Interesse. Schule soll offenbar als solche identifizierbar bleiben? Tagtraum: Jugendliche Innovation und schulischer Anspruch Dass Schule sich fortsetzt in den Nachmittag, oft auch in den Abend der Jugendlichen hinein, ist eine Erfahrung, die man als Lehrer weitgehend verdrängt hat. Wer erinnert sich noch an die erste Woche im Referendariat, als man in einer 5. Klasse eine Woche lang hospitieren durfte und dabei nur dasselbe wie die Schüler tun sollte. Nach dem ersten Tag ist man erschlagen nachmittags erst mal ins Bett gefallen, die Hausaufgaben hat man dann in guter alter Tradition abends erst vor dem laufenden Fernseher gemacht, mit entsprechenden Resultaten. Schule endet also nicht um Eins. Nach einem kurzen Verschnaufen auf dem Schulweg und beim Mittagessen geht es bei vielen gleich weiter. Und auch dann, wenn man meint, jetzt habe man Ruhe vor ihr, stimmt das nicht, denn da gibt es die Klassenarbeitstermine und die Schriftlichen Überprüfungen der Hausaufgaben, die Halbjahrestests und das obligatorische Abfragen als unbestimmte Bedrohungen, die im Alltag stehen bleiben. 1 Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 7 Man könnte nur noch an Schule denken, macht man aber nicht. Man muss also den Ansprüchen von Schule etwas entgegensetzen, will man selbst noch was vom Tag haben. Leichter noch als im Unterricht fällt der Tagtraum am Nachmittag, von dem unzählige Grafitti, Skizzen, Zeichnungen, Slogans in den Hausheften und Schulbüchern, auf den Einbänden und Schreibtischen künden. Die von den Erwachsenen mehr oder minder gewaltsam erzwungene Studienzeit wird subversiv umfunktioniert in einen selbst gestalteten Freiraum. Wenige Maßnahmen genügen, ihn zu schützen: das aufgeschlagene, gleichsam im Lern- und Arbeitsprozess erstarrte Schulbuch und Heft. Darunter die sich als Sekundärliteratur tarnende eigentliche Lektüre, in der Schublade das Fanzine, Schmierpapier, die Aura des eigenen Raumes mit dem stets weiten Blick aus dem Fenster, bei vielen auch nach vielen Kämpfen die laufende Musik. Die geschlossene Tür. Stunden kann man so zu bringen. "Ich weiß gar nicht, warum es bei ihm nicht klappt, der lernt doch jeden Tag wenigstens drei Stunden!" - eine typische Replik in Elterngesprächen. Und zugleich doch auch eine ungeheure Produktivität in dieser knappen Zeit, die sich in guten Zensuren allerdings am seltensten ausdrückt. Was da alles gelesen, gezeichnet, gedacht und geträumt wird. Wenn man da Zugang gewinnen könnte. Denn es bleibt ja nicht eingeschlossen in ihren Zimmern, sondern wird hinausgetragen, in die Welt gestellt, zu ihrer Welt gemacht und tritt mir gegenüber. Berufsmäßiger Voyeurismus des Pädagogen? Bestimmt auch, aber auch der Wunsch zu verstehen, was da vor sich geht. Manchmal blitzt ja dann doch bei einzelnen etwas davon in den Hausaufgaben durch, aber das ist untypisch, scheint unbeabsichtigt, nicht geplant. Im Unterricht ist es nicht zu finden. Leistungsträger: Erfolgreiche Gestaltung von Lebensraum in eigener Verantwortung Als Beteiligter an einem Event fällt es einem kaum auf, man nutzt die angebotenen Leistungen, als Außenstehender aber ist man von der Professionalität beeindruckt, mit der hier Jugendliche zu Werke gehen. Der Älteste im Organisationsteam ist gerade mal 19 Jahre und Abiturient, die anderen sind zum Teil wesentlich jünger. Nichts an ihnen deutet auf ihre Qualifikationen hin, die sie hier unter Beweis gestellt haben, alles dagegen in ihrem Habitus scheint ihre Unfähigkeit auszuweisen. Wer mit ihnen in der Schule zu tun hätte, würde schwerlich um ihre Fähigkeiten wissen. Jugendliche gelten doch als extrem chaotisch, unfähig, Aktionen zu planen und durchzuführen, Ordnung zu schaffen und zu erhalten, Kontrolle auszuüben und Selbstdisziplin zu wahren. Wer kann ihnen vertrauen oder etwas anvertrauen, der ihnen zugesehen hat, wie sie ihre schulische Karriere durch ihre Lethargie versieben, die SMV-Wahlen als Fetz organisieren oder die Oberstufen-Disco zum Polizeieinsatz werden lassen. "Wenn ich dann meiner Klasse sage, dass wir jetzt die nächsten beiden Stunden Freiarbeit machen und ich die Gruppen einteile..." Selbst die Projekttage, das Feigenblatt für versiegte Reformpädagogik und ganzheitliche Erziehung, laufen inoffiziell unter diesem Ansatz. Allenfalls den Cola - Automaten, vielleicht noch die Schülerhilfsbücherei und selbstverständlich die Schülervertretung kann man ihnen überlassen. Die Schülerzeitung kann aber erst nach einer Vorzensur erscheinen, und die Verlaufsprotokolle der Internetsitzungen in den Accounts der Schüler sollten doch wohl nach anstößigen Seiten untersucht werden. Öffentlich geäußert in den Abitur-Sonntagsreden ist natürlich primäres Ziel der Schule, dass man die Jugendlichen zum sozialen Handeln und Verantwortung erziehen will, doch der Teufel steckt schon im Detail, denn aus der Verantwortung wird in der Regel rasch ein Verantworten und aus dem sozialen Handeln ein Befolgen vorgegebener Handlungsanweisungen. 18 Bedeutung der Selbstreflexion für ein pädagogisches Selbstverständnis Am Anfang eines pädagogischen Wiederbemühens steht das Unverständnis, das Nicht-Mehr-Verstehen von offensichtlich alltäglichem Handeln von Jugendlichen im Umfeld von Freizeit und – für den Pädagogen besonders herausfordernd – von Schule. Einer Fülle von beunruhigenden Einzelbeobachtungen forcieren das Fragen und eine innere Ratlosigkeit angesichts fehlender Antworten und wenig überzeugender Erklärungsversuche, die von anderen stammen oder in denen man sich versucht wiederzufinden. Es geht um die Re-Konstruktion von Sinn im scheinbar Unsinnigen, denn was die Jugendlichen tun, erschließt sich so dem Außenstehenden nicht oder offensichtlich falsch. Also beginnt man zu beobachten, nachzufragen. Doch wie soll man verstehen, was man damit in Erfahrung bringt? Wo sind die relevanten Codes, mit denen man jugendliches 18 VOGELGESANG 2003 1 Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 8 Verhalten adäquat deuten kann? Und, erschließen sich denn noch dem Erwachsenen – und Berufspädagogen – überhaupt noch die Zeichensysteme dieser Codes? Angelangt an einen pädagogischen Nullpunkt, der die eigene Bedeutungslosigkeit angesichts der evident bedeutungsvollen Dynamik jugendlicher Alltagsgestaltung scharf konturiert, wird die Notwendigkeit der Reflexion und Erforschung essentieller Teil des pädagogischen Selbstverständnisses. Konnte man bislang seine Autorität noch auf einen vermeintlichen Vorsprung an Wissen und Erfahrung gründen, wird mit der Rekonstruktion jugendlicher Sinnstrukturen offensichtlich, dass auch dieser Expertenstatus nur noch bedingt dazu taugt, die Identität des Pädagogen dauerhaft zu sichern. Und diese Selbstvergewisserung wird von Schülergeneration zu Schülergeneration mühsamer. Immer weniger Stoff kann im vergleichbaren Zeitraum bewältigt werden, immer anstrengender wird die Etablierung von effizienten Lernsituationen. Immer weniger scheint das gefragt, was einem so viel bedeutet: Weltverstehen, vor dem die Schüler sich angesichts seiner unaneigbaren Übermächtigkeit bedrängt und provoziert und zugleich auch verstoßen und ohnmächtig fühlen. Angesichts der beständigen Misserfolge auf beiden Seiten flüchten sich die Lehrer in eine mit Sarkasmen definierte innere Emigration, die Schüler in ein ostentatives Desinteresse. Das bisherige Selbstverständnis des Lehrers muss sich ändern, will er das Verhalten der Schüler ändern, denn noch immer setzt er im Auftrag der gesellschaftlichen Institution wie des konkreten Lernumfelds Schule wesentliche Impulse und greift damit tief in den Alltag der Jugendlichen ein.19 In dieser Situation gewinnen alltägliche Beobachtungen im Unterricht und außerunterrichtlichen Raum exemplarische Bedeutung und lösen einen Prozess des Nachdenkens aus, an dessen Ende der Wiedergewinn pädagogischer Handlungsfähigkeit stehen soll. Dies kann allerdings nicht bedeuten, sich allein empathisch dem Handeln der Jugendlichen zu nähern. Gefragt ist der reflexive und sein Rollenverhalten ständig kritisch betrachtende, auch bei einer eventuellen Teilnahme distanzierte Beobachter. Die unverbindliche Zielbeschreibung dieser Beobachtung als ein "Bemühen um Kenntnis und Verstehen von 'jugendlichen Lebenswelten'" wird konkreter in einer Beschreibung jugendlichen Handelns als "mediale Inszenierung von Befindlichkeiten, Lebenslagen und Existentialia". 20 1.4 Dritte Annäherung: Encoding/ Decoding als Grundformen jugendlicher Alltagsgestaltung "Die Menschen integrieren Medien, Rezeptionssituationen und Medienerlebnisse sinnbezogen in ihr Alltagshandeln und ihr Alltagsleben."21 Jugendliche Alltagsgestaltung ist das Ergebnis intertextueller Ausgestaltung handlungsleitender Themen. Die Schüler betreten morgens mit dem lebensweltlichen Kontext Schule einen Bereich, in den sie ihre im Alltag entwickelten individuellen Bedeutungszuweisungen und die in spezifischen Arrangements symbolisierte Sinngebung mitbringen, die sie bis zum Beginn des jeweiligen Unterrichts, auch während des Unterrichts, in den Pausen zwischen den Unterrichtsstunden, in Freistunden und nach Unterrichtende in der Interaktion mit sich und anderen praktizieren. Die Jugendlichen bringen jeden Morgen ihr aktuelles Arrangement von Medien, Texten und Ereignissen als konstitutives Element ihrer aktuellen Alltagsgestaltung in die Schule mit. Während Schule und Lehrer dieses Arrangement richtig als Ausdruck von Individualität wahrnehmen und nach der strukturellen Logik der Institution negativ bewerten, nehmen die Jugendlichen diese Polarität nicht wahr, da für sie dieses Arrangement und seine Nutzung in tegraler Bestandteil ihres Alltags und ihrer Lebenswelt ist, zu der sie auch den Lebensraum Schule zählen. Gerade hier in der Kommunikation mit ihrer Peer Group und anderen sozialen Formationen findet ein Gutteil der Aneignungs- und Entäußerungsprozesse statt, die sie in Orientierung an ihren 19 Die unterrichtliche wöchentliche Belastung der Jugendlichen an Gymnasien beträgt in Rheinland-Pfalz (2003/ 2004) in den Klassenstufen 5-6 zunächst 28-34 Unterrichtsstunden (= 21,0 - 25,5 Zeitstunden), in den Klassenstufen 7-10 dann 30-36 Unterrichtsstunden (= 22,5 – 27,0 Unterrichtsstunden), in der Oberstufe 32-38 Unterrichtsstunden (= 24,0 - 28,5 Zeitstunden); hinzuzurechnen ist der Zeitaufwand für Hausaufgaben und das Lernen vor Prüfungen, für freiwillige Verpflichtungen etc. Quelle: http://leb.bildung-rp.de/info/nachgefragt/stundentafel/gymnasium_1.htm [2003-05-12]; http://mss.bildung-rp.de/texte/broschueren/mss/kapitel%202.htm#45 [2003-05-12)]; 20 FEIST 1999, 57 21 BACHMAIR 2001, 234 1 Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 9 handlungsleitenden Themen und den betreffenden Skripts zur Konstitution ihrer Identität benötigen. Schule als Raum wie soziale Entität vermittelt dabei Momente der Integration, der Bewährung, des Erfolgs, nicht immer auch im traditionellen Unterricht, der aber – wenn ansprechend aufgebaut und durchgeführt und aus der Perspektive der Jugendlichen an handlungsleitende Themen anzudockend – durchaus auch Spaß machen und von den Jugendlichen deshalb geschätzt werden kann. Dieser individuellen Gestaltung von Lebenswelt setzt die Schule eine im dominanten sozialen Code verankerte Konzeption von Bedeutungs- und Sinnzuweisung entgegen, die sich von den Entwürfen der Jugendlichen doch erheblich unterscheidet. Schon in der äußeren Repräsentation sind diese Unterschiede deutlich: Akustische Signale markieren einen einer anderen Logik verwurzelten zeitlichen Rhythmus, besondere Umgebungen wie Klassen- und Fachräume schaffen andere Kontexte: Ein nüchternes Ambiente fördert die Fokussie rung und Konzentration auf die de Raum dominierende Tafel, das sich davor befindende Lehrerpult verweist auf eine hierarchische Strukturierung. Die Distinktion wird in der personalen Interaktion des Unterrichts weiter verstärkt, dem Lehrenden gegenüber stehen die zu Belehrenden, deren Alltagswissen und Expertentum in diesem Momenten nur wenig zählt im Wettbewerb mit der von Schule vermittelten Allgemeinbildung. Schule behauptet denn auch immer noch sehr erfolgreich innerhalb des dominanten sozialen Codes den Mythos, eine allein angemessene und deshalb für alle verbindliche offiziöse Sinndeutung vermitteln zu können. Dieser Mythos legitimiert sich bei den Jugendlichen etwa durch die Akzeptanz, die Schule bei anderen Sozialisationsinstitutionen wie den Eltern, aber auch den anderen Mitgliedern der Peer Group, der Szene oder des Milieus findet. Zudem ist für den einzelnen offensichtlich, wie Schule durch die selektive Vergabe und Förderung der Enkorporation kulturellen Kapitals den gesellschaftlichen Erfolg und die sozialen Verortung mitbestimmt. Wenn die Jugendlichen am Nachmittag die Schule verlassen, steht neben ihrer für den Alltag und im Alltag erarbeiteten individuellen Sinngebung der autoritative Anspruch einer heteronomen, sich umfassend gebenden Bedeutungszuweisung, die vorgibt, die Wirklichkeit in einer allein richtigen Weise abzubilden. Der Totalität dieses Anspruchs entspricht die Rigorosität, mit der Schule mit Hilfe weiterer Sozialisationsinstanzen wie der Eltern erfolgreich versucht, weitere Bereiche jugendlicher Lebenswelt auch außerhalb ihres genuinen Feldes zu besetzen. Mögliche Formen der Auseinandersetzung von Jugendlichen mit Schule deutet Préverts Gedicht an, finden sich aber auch in den oben dargestellten Alltagsepisoden. Grundsätzlich stehen sie mit der Schule einem Phänomen gegenüber, das darauf drängt, allein in einer von ihm selbst bestimmten Weise verstanden zu werden und aus diesem Grund und für diesen Zweck besondere Formen der Repräsentation, Vermittlung und Rezeption gefunden hat. Eine Reihe formeller wie informeller Sanktionsmechanismen legen ihnen auch mehr oder minder massiv nahe, dieser Deutung zu folgen. Aber eine völlige Akzeptanz ist doch gerade in dieser Entwicklungsphase der Jugendlichen eher unwahrscheinlich, wo ihre Identitätsbildung zum eigenen Projekt wird. Sie können dieser Deutung aber auch nur teilweise folgen und über Umfang wie Art und Weise der Akzeptanz verhandeln, oder aber sie grundsätzlich ablehnen, sie dekonstruieren und eigene Deutungsvarianten entwickeln. Dabei können sie sich auf einen kulturhistorischen Diskurs berufen, der die im dominanten sozialen Code verankerte traditionelle Suprematie von Schule (und anderer Sozialisationsinstanzen) mehr und mehr hinterfragt und obsolet werden lässt. Gleichzeitig haben die Jugendlichen in ihrem Alltag gelernt, auf vielfältige Art und Weise Texte, Medien und soziale Situationen anzueignend in ihrer Alltagsgestaltung zu implementieren und ihnen damit sinnhafte Bedeutung zuweisen. Aus diesen selektiven Fragmenten erstellen die Jugendlichen individuelle Darstellungen ihrer Persönlichkeit und Identität. Dies gilt auch gerade auch für Elemente, die darauf angelegt sind, diese Aneignung zu kontrollieren (Werbung/ Konsum), gegenüber einer derartigen Form von Aneignung Widerstand leisten (Schule) oder sich ihr zu entziehen suchen (Eltern). Dabei werden diese Fragmente modifiziert und im Bedarfsfalle um die benötigten Inhalte und Deutungsimpulse in einem Prozess des Re-Writing ergänzt und bereichert, so dass unbewusst und unbemerkt neben das Original die gestaltende Leistung des Jugendlichen tritt und mit dem Originalmaterial eine produktive Symbiose eingeht. Dass dabei das von der Schule – in der Regel wenigstens autoritativ - vermittelte Wissen und die damit verbundenen Kenntnisse und Fähigkeiten nur von begrenztem Wert sind für das alltagsgestaltende Handeln der Schüler, erklärt die geringe Attraktivität schulischen Unterrichts gerade in der oberen Mittelstufe/ Oberstufe, wo infolge der 1 Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 10 entwicklungspsychologischen Bedingungen der Jugendliche verstärkt einer Innenorientierung folgt und den distanzierten Blick für die Notwendigkeit einer Akkumulation von Bildungskapital nur sehr begrenzt entwickelt. Der Alltag von Jugendlichen kollidiert deshalb nicht mit Schule, wie ihr Verhalten im außerunterrichtlichen wie unterrichtlichen Kontext zeigt. Sie verwenden Elemente von Schule wie die anderer Bereiche ebenfalls zur Gestaltung ihres Alltags, sie docken mit ihren handlungsleitenden Themen und Intentionen an der Institution Schule an und instrumentalisieren deren Struktur und Funktion. So stellt Schule im außerunterrichtlichen Bereich einen wesentlichen Teil von Alltagsraum bereit: Dort bzw. auf dem Weg zur Schule schon trifft man mit seine Freunde und die Peers, seiner Clique, .die Freundin und weitere Jugendliche, besteht die Möglichkeit der Face-to-face-Kommunikation eigener und fremder Anliegen22, hat man Zeit für wesentliche Dinge des Lebens, ist man den Bedingungen einer Leistungsgesellschaft mit ihrer primär ökonomisch orientierten Rationalität weitgehend enthoben. Während die jüngeren Schüler über ihre Trading Card Games ihre Welt indexikalisch in immer neuen Variationen eines begrenzten Figurariums abbilden und in redundanten Routinen kompetitiver Interaktion sich ihrer Identität vergewissern, wird ab der unteren Mittelstufe das Hören der jeweils bevorzugten Musik mittels CD-Player und MP3-Player zum wesentlichen Handlungstypus. Der Austausch von CDs, das gemeinsame Hören von Musik im altruistischen Teilen der Earphones, das fachkundige Gespräch über Bands, Titel, Videoclips und die nahe liegenden Crossover23 zu anderen Medien, Texten und Ereignissen der Jugendkulturen ermöglichen hier – und wo sonst als an der Schule böten sich so viele Gelegenheiten, so viel Zeit – dem Jugendlichen, sich seiner selbst in der Interaktion mit anderen zu vergewissern.24 Mittels des Handys können die räumlichen Grenzen dieser intraschulischen Alltagsgestaltung unschwer überwunden und abwesende Mitglieder der Gruppe unproblematisch integriert werden. Die SMS wird zum wichtigsten Kommunikationsmittel. Kommunikationsangebote der Schule wie Internet-Cafés dienen in den seltensten Fällen ihrer schulpädagogisch angedachten Bestimmung, sie bieten – falls ihre Nutzung nicht eingeschränkt wird - eher Möglichkeiten der Entspannung bei E-Sport und der Interaktion in Chatrooms, Foren und per Email. In den Gesprächen der Jugendlichen zeigen sich inhaltlich, sprachlich und nicht-sprachlich Versatzstücke ihrer Medienrezeption, insbesondere der Gesten und Habitus, wie sie in Werbung, Soap und Videoclip transportiert werden, aber auch als Resultate der Lektüre von einschlägiger Literatur, von Informationen und Meldungen aus dem Rundfunk, von Postern und nicht zuletzt der fortwährenden Kolportage in Peer Group, Szene und Milieu. 25 Die Schulpflicht als Teil des normativen Kontextes von Schule etwa erfährt damit in der Aneignung durch die Jugendlichen eine Umdeutung. Sie stellt keinen Zwang mehr dar, sondern ist wesentlicher (und akzeptierter) Bestandteil einer ordnenden Organisation von Alltag, der u.a. ihre Interaktion mit anderen als Routinen strukturiert und verstetigt. Auch der Unterricht als genuines Feld schulischer Hegemonie kann Teil des Arrangements der Jugendlichen werden, mit dem sie ihren Alltag gelingend gestalten. In die im Unterrichtsprozess sorgsam evozierte Interaktion unter Lernenden und Lehrenden wird unschwer ein Teil alltagsthematisch bestimmter Kommunikation eingebettet. An die unterrichtstypische Hierarchisierung und Gratifizierung durch Leistung schließen sich soziometrische Reflexionen der Jugendlichen über ihr Ranking in sozialen Formationen und daraus folgend Integrations- und Distinktionshandlungen unmittelbar an. Unterricht bietet auch einen Raum für den Chill, für egozentriertes, kontemplatives Handeln als Weiterführung alltagsthematischer Reflexionsprozesse und GestaltungsPhantasien. In permanenter Verhandlung wie Subversion gelingt zudem partiell auch eine Einflussnahme auf die Unterrichtsprozesse selbst und ihre Integration in Alltagsgestaltung. 26 22 Zur Bedeutung der Peers vgl. Ergebnisse der Studie "Marken und Trends - Bravo Faktor Jugend 7", nach der die befragten Jugendlichen Freunde mit 54 % als das Wichtigste in ihrem Leben bezeichnen, abgeschlagen dagegen Schule/ Beruf mit 34% und Eltern mit 34%; 23 VOGELGESANG 2000, 154: "mediale Koppelung"; 24 MÜLLER 2004; GEBEL/ WAGNER 2004; BÖHM 2004 ; BÄRNTHALER 1996 25 VOGELGESANG 2003, 65: "Jugendzeit ist Medienzeit und Jugendszenen sind vermehrt Medienszenen." 26 FEIST 1999, 58 "[...] das wohlmeinende Einräumen von Möglichkeiten, Musikstücke selbständig auszusuchen und vorzustellen, um den MitschülerInnen über Gefühle, Motivationen un d Assoziationen im Austausch berichten zu können, {schafft nicht} eo ipso einen geschützten, intimen oder gar herrschaftsfreien Raum." 1 Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 11 So nimmt heute in den Curricula die Mediendidaktik angesichts einer mediatisierten Gesellschaft sicherlich richtig einen wichtigen Platz ein. Das darin schulisch verankerte Konzept sieht im wesentlichen die Ausbildung analytisch-reflexiver Kompetenzen der Schüler nach einem emanzipatorisch bzw. kompensatorischen pädagogischen Ansatz vor. In der unterrichtlichen Umsetzung aber erreichen die Schüler in der Regel die ihnen aus ihrem Alltag als effizient bekannte konsumptive Aneignung des Mediums. D.h. ein Spielfilm wird nur selten anhand wesentlicher Passagen analysiert – was durch die Menüsteuerung der DVD heute unschwer zu leisten wäre – sondern der Film wird in einem weitgehend der cineastischen Rezeption nachempfundenen Ambiente und von Seiten der Schule mit der entsprechenden technischen Ausrüstung unterstützt (Beamer, Raumklang-Anlage) als 'Event' konsumiert. Damit ergibt sich heute also die neue Situation, dass Jugendlichen bei ihrem Projekt einer Alltagsgestaltung im Sinne einer reziproken Kolonisation27 den schulischen Raum für ihre Zwecke einsetzen. Gegen einen schwindenden Widerstand der Institution okkupieren die Jugendlichen wesentliche Symbole, gerade in Form schulischer Räume, und unterwerfen sie Formen ihrer Alltagsgestaltung im Sinne eines Negotiated bzw. Counter-hegenomic bzw. Oppositional Reading28. Diese kreative Auseinandersetzung mit dem Kontext Schule findet allerdings auch rasch seine Grenze, weil die Jugendlichen sehr wohl um die Funktion von Schule bei der Verteilung der Zugänge zu sozialem und kulturellem Kapital wissen. Die selektive Bedeutung von Bildung für ihre Biographie wie die Effizienz ihrer Vermittlung in einer Institution wie Schule scheinen heute den Jugendlichen analog zum Wandel der Gesellschaft in eine Informations- und Wissensgesellschaft unbestritten. 1.5 Vierte Annäherung: Jugendliche Alltagskompetenzen und der aktuelle Bildungsbegriff "...eine große Sehnsucht nach der Wiederverzauberung der Welt"29 Was Jugendliche zur Gestaltung eines intakten, lebenswerten und gelingenden Alltags beitragen, wenn sie das tun, was sie wollen und müssen, das wird im Zusammenleben von ihnen und Erwachsenen vordergründig nur dann deutlich, wenn es mit den Vorstellungen der Erwachsenen übereinstimmt. Daneben, oder besser, in diesem von Erwachsenen mitbestimmten Alltag aber gestalten die Jugendlichen ihre eigene Lebenswelt mit gerade den Kompetenzen und Qualitäten, die ihnen traditionelle Erziehungsinstanzen wie Schule und Elternhaus gemeinhin absprechen. Den Jugendlichen gelingt es, sich ihrer Fremdbestimmungen zu entziehen, sich ihr zu widersetzen, sie zu instrumentalisieren und zu transformieren. Der eigene Alltag bleibt damit trotz aller Einflussnahme und Widerstände individuell gestaltbar. In der Transformation des Heteronomen in Selbstbestimmung scheint der Ursprung dafür zu liegen, dass die Jugendlichen offensichtlich auch neben der Vermittlung durch Schule und andere Bildungsinstanzen Eigenschaften und Kompetenzen ausbilden, die genuin zum Wertekanon eines Erziehungssystems gehören, das sich allerdings selbst nicht mehr sicher darin ist, sie noch vermitteln zu wollen oder können. Nach den Beschreibungen der gesellschaftlichen Veränderungen durch die Soziologie können Jugendliche immer weniger damit rechnen, bei ihrem Projekt der Identitätsfindung Hilfe von den traditionellen Erziehungsinstitutionen zu erhalten. Die Differenzierung der postmodernen Gesellschaft in Szenen und Milieus hat die klassische lebensweltliche Verortung des Jugendlichen in schichtenspezifischen Kontexten und ihren Einrichtungen obsolet werden lassen. Zudem sind die herkömmlichen familialen Strukturen in einer sich individualisierenden Gesellschaft zu einem Gutteil in Auflösung begriffen. 30 In einer Welt sich entgrenzender Kindheit und Jugend31 delegieren die bisherigen Autoritäten nun ihre Erziehungsaufgabe mehr und mehr an die Jugendlichen mit dem Rekurs auf deren emanzipatorischen Streben nach Selbständigkeit. Aus dem Projekt individueller 27 Begriff der "Kolonisation der Lebenswelt" bei HABERMAS 1981 28 CHANDLER 2002, 192-193 29 Angela von GATTERBURG, zit. n. HETZEL 2002 27; vgl. dazu: BENJAMIN: "Kapitalismus ist Religion" und WEBER "[Kapitalismus ist die] schicksalsvollste Macht des modernen Lebens", zit. n. MARESCH 2002; zum Begriff der "Wiederverzauberung" vgl. BERMAN 1985 30 BECK 1986 31 BUCKINGHAM 2003 1 Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 12 Identitätsfindung wird der gesellschaftliche Auftrag, eine "Sozialisation in eigener Regie"32 durchzuführen und die Versäumnisse der Erwachsenen zu kompensieren: "Wie bewältigen Jugendliche (als Personen) die Jugend (als gesellschaftliche Anforderungsstruktur)?"33 Die oben geschilderten Beispiele zeigten sie bei der Gestaltung ihres Alltags kreativ, spontan, geistreich, auch fleißig, ausdauernd, strebsam, ebenso diszipliniert und kontrolliert, auf Ziele hin orientiert, verantwortlich für sich und andere handelnd - in vielerlei Hinsicht also vorbildlich handelnd und die Vorurteile über sie Lügen strafend. In den Gesprächen mit den Jugendlichen wie nach den Beobachtungen zeigen sie als bemerkenswerte Techniken zur Gestaltung ihres Alltags die Fähigkeit zur Ausbildung unbegrenzter Kreativitätsräume in der ästhetischen Transition des Realen in das Imaginative und umgekehrt, ein langfristiges, auf intrinsischer Motivierung beruhendes Engagement bei diesem Ästhetisierungsprozess, das an in seiner Intensität an Obsession grenzen kann, und pragmatisch entwickelte Interaktionskompetenzen in adäquaten Vergesellschaftungsformen. Intrinsische Motivierung Die Jugendlichen erhalten sich eine langfristige, intensive und selbstbestimmte intrinsische Motivierung, die es ihnen erlaubt, ihren Misserfolgs- und Ohnmachterfahrungen dominant Momente gelingender Alltagsgestaltung entgegenzustellen. Damit verbunden ist ein Rückgewinn von partieller Verfügbarkeit über Kontextbedingungen. Mittels einer fiktional orientierten Ästhetisierung von Wirklichkeit kommt es, zu einem dekonstruierenden Akt der Interpretation und zur Superposition faktisch nicht zu ändernder Kontexte. Den Jugendlichen gelingt es, ihr Handeln weitgehend selbst zu kontrollieren. Dabei werden die Anforderungen so gestaltet, dass sie einerseits anspruchsvoll genug sind, eine intensive und dauerhafte Beschäftigung mit ihnen zu provozieren, andererseits aber die Kompetenzen der Jugendlichen auch nicht durch sie überfordert werden. Die damit entstehende Synthese von Herausforderung, Anstrengung und Erfolgserlebnissen führt zu einer dauerhaften intrinsischen Motivierung des Jugendlichen. Derartige positive Flow-Erfahrungen wirken sich wiederum affirmativ auf die gesamte Alltagsgestaltung der Jugendlichen aus. Ästhetisierung Die Jugendlichen schaffen sich in der weitgehend heteronomen und institutionalisierten Umwelt von Schule und Erwachsenenwelt selbstgestaltete individuelle Räume der Kreativität. Dies gelingt ihnen mit einer stringenten, fiktional orientierten Ästhetisierung des Alltags. Dazu gehört die Schöpfung wirklichkeitsrelevanter und zugleich selbstgestalteter imaginativer Kontexte, welche diese Realität transzendieren. Dies alles im Kontext einer durch Produktions- und Konsumptionsrationalität weitgehend uniformierten Gesellschaft. Die Transzendierung des Alltags gelingt den Jugendlichen mit Hilfe einer umfassenden fiktional orientierten Ästhetisierung ihres Handelns in der Darstellung sich und anderen gegenüber. Diese Ästhetisierung zeigt grundsätzlich hohe Affinitäten zu Formen des Phantastischen. Interaktion Die Jugendlichen schaffen sich damit selbstgestaltete individuelle Räume erfolgreicher Interaktion und effizienter Sozialformen. Dazu gehört insbesondere der Rückgewinn der affektiv-wertvollen Dimension personaler Interaktion in spezifischen selbstorganisierten sozialen Netzwerken. Dagegen stehen allerdings die Entpersonalisierung bzw. Virtualisierung von Interaktion in der postmodernen mediatisierten Gesellschaft, gegenüber der sich die Jugendlichen behaupten müssen. Die Jugendlichen organisieren sich selbständig in spezifischen Sozialformen unterschiedlichster Art und Weise. Während die Jugendlichen offensichtlich sehr wohl wissen, was ihren Alltag lebenswert macht und wie sie ihn gelingend gestalten, müssen sich Schule und Elternhaus fragen, wie sie dazu beitragen können, falls sie nicht 32 HENGST 1997; 2002, 50; BACHMAIR 1999, 52 33 MÜNCHMEIER 1998, 13 1 Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 13 Gefahr laufen wollen, aus ihrer Perspektive völlig bedeutungslos zu werden.34 Gerade Schule als genuiner Raum des gesellschaftlichen Auftrags, Jugendliche auf eine soziale Integration vorzubereiten, bedarf dabei eines umfassenden Renouvrements ihrer Legitimation, wenn sie als Raum individuellen Lernens mehr als nur eine – in diesem Funktionszusammenhang durchaus akzeptierte - Institution zur Wissensvermittlung, Leistungsförderung und Qualitätsbildung in den Augen der Jugendlichen sein will: "Die Rahmenbedingungen sind klar, und dann selber produzieren."35 Bildungsbegriff Der Bildungsbegriff und –auftrag muss demnach neu formuliert werden. Was kann der Pädagoge von den Jugendlichen für die gelingende Gestaltung von Alltag lernen? Wie kann der Pädagoge den Jugendlichen dabei unterstützen? Bildung entsteht im Spannungsverhältnis der Beziehung der Menschen zu sich selber, zu seiner sozialen, gesellschaftlichen, natürlichen und kulturellen Umwelt.36 Dieses Verhältnis kann zeitgemäß sozialisationstheoretisch beschrieben werden als eine Produktive Realitätsverarbeitung mit dem Individuum an der Schnittstelle zwischen Innenwelt und Außenwelt.37 Ausgangspunkt wie Ziel dieser individuellen Konkretisierung einer Gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit ist ein Projekt von Selbstkonstitution als reflexiven individuelle Wahrnehmung einer Figuration systemischer Beziehungen des Menschen zu seiner Umwelt und deren perpetuierender Gestaltung.38 Dabei haben Medien als wesentliche Träger und Vermittler der symbolischen Materialien, welche die Individuen in ihren A/E-Prozessen nutzen, in einer Mediatisierten Gesellschaft eine dominante Funktion. Sozialisation und Individuation sind medienbasierte Projekte. In diesem Spannungsverhältnis stellt schulische Bildung mit ihren in einem dominanten sozialen Code vermittelten Zielen und den daraus resultierenden Erwartungen noch immer einen hegemonialen Mythos dar. Mit der im Zuge des grundlegenden gesellschaftlichen Projektes der Individualisierung eingetretenen Subjektivierung von Wirklichkeit kann das klassische Programm humanistischer Bildung als "Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit"39 nicht mehr zur Legitimation von Bildung und ihren Institutionen herangezogen werden. Mit ihrer Gestaltung von Alltag und Lebenswelt scheinen die Menschen heute diese Forderungen einzulösen, allerdings um den Preis des Verlustes 'objektiver' Sinngebung. "Es veraltet [...] die Hoffnung der Aufklärung, die Menschen würden sich mit der Orientierung an Sachverhalten und Ereignissen wie sie sind und nicht wegen deren emotionalen Qualitäten aus ihrer Verstrickung in Vorurteile, Halbwissen und diffuse Ängste befreien." 40 Die faktische Position von Schule im Alltag der Jugendlichen lässt sich – wie oben schon dargestellt - wohl nur vergleichen mit von Beruf und Arbeitswelt für den Erwachsenen und entspricht ihrer im Mythos verankerten Bedeutung. Damit muss der lebensweltliche Kontext Schule allein schon aufgrund seiner quantitativen Dimension Funktion und Bedeutung für die Jugendlichen bei der Gestaltung eines lebenswerten Alltags haben, auch wenn sich die ursprünglichen Formen und Strukturen der Relevanz verändert haben. Es gibt einen Zusammenhang von Identitätsfindung, jugendliche Alltagsgestaltung und schulische Bildung. Die Identitätsbildung von Jugendlichen geschieht heute weitgehend als individuelle Ausgestaltung von Lebensräumen in einer reziprok kolonisierenden Auseinandersetzung mit traditionellen Sozialisationsinstanzen. Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements sind die Grundform der Alltagsgestaltung durch Jugendliche. Schulische Bildung ist in diesem Zusammenhang mehr als eine technische und formale Medienkompetenz. 34 Wie die Ereignisse in Erfurt gezeigt haben, scheinen Schule und Elternhaus ohnehin dazu zu neigen, das schwierige Geschäft der Erziehung an die Jugendlichen selber zu delegieren; 35 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2004-02-09 AM, 91 36 BOURDIEUs Kapital-Begriffe zeichnen die Bedeutung von Investition und Akkumulation psychischer Energien in dieses Spannungsverhältnis sehr genau nach, BOURDIEU 1973; 1984; vgl. weiter: BASLEY-MURRAY 2000 37 HURRELMANN 2002 38 ELIAS 1969 39 KANT 1784, zit. n. KANT 1968, XI, 53 40 BACHMAIR 1996, 16 1 Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 14 Der aktuell zu diskutierende Bildungsauftrag der Schule greift weiter als die Vorstellungen von Bundesbildungsministerin Bulmahn: "Lehrer müssen mehr über Medien lernen; Schüler müssen mit Medien lernen!"41 Damit korrespondieren aktuelle Tendenzen, Bildung als situativ und intentional verortete Kompetenzen oder als universale Kategorien der Qualifizierung (Standards) zu definieren. Während einerseits Bildung als Konglomerat verschiedener Kompetenzen so für jeden erwerbbar und operationalisierbar wird und sich von heteronomen biologischen wie sozialen Faktoren zu lösen scheint, wird sie in dieser Perspektive um ihre lebensweltliche Dimension reduziert auf ein Frage des adäquaten Instructional Design. "Aus lernpsychologischen und kommunikationstheoretischen Gründen reicht die mediale Präsentation von Information für Lernzwecke nicht aus. Sie muss zwingend durch lernstrategische Hilfen und Übungen ergänzt werden. Lernstrategische Fähigkeiten und Erkenntnisse sind Voraussetzung für wissenschaftliches Denken."42 Schulische Bildung sollte dagegen zu einer gelingenden Gestaltung jugendlichen Alltags beitragen, indem sie sich in eine Auseinandersetzung mit jugendlichen Environments begibt und deren reflexive Gestaltung fördert. 1.6 Erste Sichtung und theoretische Einordnung Es gibt augenscheinlich für einen spezifischen Kreis von Jugendlichen eine dominante Korrelation des Phantastischen zu ihrem Alltag und ihrer Lebenswelt, wobei das Phantastische die alltagspragmatische Wirklichkeit in Ausdruck wie Erfahrung transzendiert. Ein Teil von Jugendlichen verwendet zur Gestaltung von Alltag und Lebenswelt wie zur Bedeutungs- und Identitätskonstitution symbolische Objektivationen, die allein oder fast ausschließlich in Affinität und Interdependenz zum Phantastischen (Fantasy; Science-Fiction) stehen. Die Fiktionalität der genannten Genre steht in enger Verbindung zu spezifischen Mythen der Moderne bzw. Postmoderne und damit zum gesellschaftlichen Diskurs von transzendenter Bestimmung des Menschen. Grundlegende Bedeutung für Gestaltung und Konstitution haben dabei die Medien und deren besondere Verbindung mit Text und Ereignissen: Ohne Medien ist eine Gestaltung von Alltag und Lebenswelt durch die Jugendlichen wie deren Bedeutungs- und Identitätskonstitution heute nicht mehr vorstellbar. Erst Medien ermöglichen dem Individuum bei einem sich trotz zunehmender Diversifikation mehr und mehr standardisierenden Angebot - als Folge einer kapitalistischen Produktions-, Allokations- und Konsumptionslogik - eine fast unbegrenzte Gestaltungsfreiheit im Arrangement der in den medialen Symbolarchiven bereitgestellten Elemente. Neue Formen der Medien als Folge der elektronischen und digitalen Revolution fördern diese Verfügungspotentiale in einem noch unbekannten Ausmaß. Diese Autonomieerfahrung ist wesentliches Moment aktueller Identitätsbildung. Zugleich wird sie zum Agens als intrinsische Motivation des Individuums. Die Gestaltung der Lebenswelt erfährt das Individuum als Ereignis. Das gleichartige Arrangement verschiedener Medien und Texte in sozialen Gruppen verdichtet sich zu Stilen, die der Distinktion wie Integration des Individuums dienen. Pädagogik sollte die Gestaltungsfreiheit des Individuums und besonders des Jugendlichen als Anlass, Grund wie Ziel ihrer Bemühungen mehr denn je anerkennen, will sie weiter einen Sinn haben: In einer Welt unbegrenzter Gestaltungsfreiheit scheitert das traditionelle Verständnis von Pädagogik als Anleitung und Führung an der Entropie des Informationsraumes, in dem man anleiten und führen will. Selbst ein Verständnis von Pädagogik als Begleitung setzt stillschweigend voraus, dass ein Du eine solche benötigt und begehrt. Der pädagogische Auftrag der Schule scheint nur dann noch möglich, wenn sicher ist, dass diese Begleitung die prinzipielle Freiheit des Jugendlichen anerkennt und Führung subsidiär zur Selbstkontrolle anbietet. In diesem Sinne kann Autorität von beiden Seiten kommuniziert werden. Die Praxis von Pädagogik in Gesellschaft und Schule macht es fast unmöglich, dieses partnerschaftliche Gleichgewicht über eine Statusveränderung des Pädagogen selber zu erreichen. Ansatzpunkt muss deshalb eine Veränderung des Objektstatus des Jugendlichen in Schule und Erziehung sein.43 41 BULMAHN in der Talkshow bei Sabine Christiansen am 03.09.2000, zit. n. DICHANZ 2001, 1 42 DICHANZ 2001, 9 43 In Konsequenz fordert Richard MÜNCHMEIER eine Veränderung der Jugendsoziologie zu einer "Lebenslagenforschung des Jugendalters”, MÜNCHMEIER 1998, 13 1 Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 15 Wesentliche Aufgabe der Pädagogik ist es, die Kinder und Jugendlichen bei ihren Gestaltungsbemühungen zu begleiten und zu fördern und zugleich reflexiv zu beobachten, um in einem folgenden Schritt zu einem Verständnis der Phänomene zu gelangen, die sich der Logik der Erwachsenenwelt weitgehend entziehen.. Zentrales Anliegen des Pädagogen ist es, die Rekontextualisierung medialer Angebote im schulischen Umfeld durch Kinder und Jugendliche und eine reflexive Auseinandersetzung mit diesen Integrationsleistungen als Ausgangspunkt konkreten pädagogischen Handelns wahrzunehmen. 1.7 Überblick und Plan zur Untersuchung Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Beobachtung von gelingender Gestaltung des jugendlichen, insbesondere auch schulischen Alltags durch jugendliche Fantasy-Rollenspieler als Element einer erfolgreichen Alltagsbewältigung. Die Jugendlichen bauen sich dabei mittels spezifischer Medien, Text- und Ereignisarrangements aus dem Freizeitbereich dort, aber auch innerhalb des schulischen Kontextes eine eigene Nische als eine in weiten Teilen von ihnen selbst bestimmbare Welt auf, in der sie kreativ ihre Phantasien mit großer Intensität, ja obsessiv, mittels integrativer und solidarischer Interaktionsformen und selbststeuernd und professionell ausleben. Die Analyse dieser Medien-, Text- und Ereignisarrangements zeigt Angebots- und Nutzungsformen, die sich zunächst nach dem medienkommunikativen Modell von Decoding/ Encoding bzw. als Aneignungs- und Entäußerungsprozesse beschreiben lassen. Bei der Integration dieses genuin medialen Freizeitangebots in den schulischen Kontext nutzen die Jugendlichen eine Reihe von Medien- und Interaktionskompetenzen aus ihrer Freizeit, die von Schule kaum oder nur wenig entwickelt werden. Zu beobachten ist neben einer spezifischen Medienkompetenz eine Trias alltagspragmatischer Kulturtechniken zur selbstbestimmten Gestaltung von außerschulischem und schulischem Alltag: ?? Die Strukturierung der kognitiven, affektiven und pragmatischen Interaktion als 'Flow' mittels aktiver Einflussnahme auf Herausforderung, Zielvorstellung, Feedback, Steuerung, auf die Relation von Anspruchsniveau und Kompetenzen- wie Leistungsvermögen, ?? eine fiktional orientierte, kollektive Ästhetisierung von Alltagswirklichkeit und schließlich ?? die gelingende Organisation und Praxis sozialer Interaktion. Diese Kulturtechniken stellen vor dem Hintergrund der Enkodierung und Dekodierung sozialer Codes spezifische Adaptionen von Prozessen der Bedeutungszuweisung und Subjekt- bzw. Identitätskonstitution dar. Die sie evozierenden und mit ihnen korrespondierenden handlungsleitenden Themen der Jugendlichen sind ?? der Wunsch nach Rekonstitution von Gesamtheit in einer sich fragmentarisierenden Wirklichkeit, ?? nach einer perpetuierten Affirmation von Selbstbestimmung- und Autonomieerfahrungen, ?? nach einem Erleben von Reintegration und Solidarität für das sich dissoziiert erfahrende Individuum44. Dabei kommt Medien eine Schlüsselrolle zu, denn in einer mediatisierten Gesellschaft stellen Medien die relevanten Archive symbolischer Materialien bereit, begründen Kompetenzen und Verfügungsgewalt über Medien und ihre Archive, ermöglichen Individuation- und Autonomieerfahrung, sind Kristallisationspunkte jugendkultureller Sozialwelten. Das Handeln der Jugendlichen ist Teil des fundamentalen säkularen Prozesses der Individuation. Mit ihren Versuchen selbstbestimmter Gestaltung folgen sie dem aktuellen gesellschaftlichen Auftrag der Lokalisierung dieses Prozesses in der Lebenswirklichkeit des einzelnen. Zunehmend erfasst dieser Individuationsprozess dabei auch bislang weitgehend heteronom geprägte Bereiche wie etwa den von Schule. Damit wird das Handeln der Jugendlichen zu einer Herausforderung an Pädagogik und Schule. Schule muss - wenn sie ihren eigentlichen Auftrag von Förderung gerecht werden will -, eine Sensibilität für die Eigenständigkeit von Jugendlichen entwickeln und in der Beobachtung ihres Handelns didaktische Innovationen für Lehren und Lernen entwickeln. 44 VIETTA/ KEMPER 1997 1 Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 16 Schulische Medienpädagogik muss daher auf eine Förderung des Individuationsprozesses gerade beim Lernen mit Medien abzielen, denn diese haben in den hierarchischen Strukturen von Schule eine wesentliche emanzipatorische Funktion, sie muss die intrinsische Motivierung als Voraussetzung für ein individualisiertes Lernen fördern, sie muss sich weiter jugendlichen Formen der Ästhetisierung von Wirklichkeit öffnen und den sozialen Interaktionskompetenzen der Jugendlichen vertrauen. Und schließlich muss sie muss die Vermittlung von Basis- und Mikrokompetenzen den einzelnen zu individuellen wie reflexiven Lernen befähigen. Im Eingehen auf die Bedürfnisse wie die Kompetenzen der Jugendlichen kann Schule damit ein wesentlichen Raum der Entwicklung jugendlicher Selbstbestimmung bleiben und zu einer kritischen Selbstbildung beitragen. Die Beschreibung der alltagspragmatischen Kulturtechniken von Jugendlichen basiert auf folgenden theoretischen Überlegungen: die fiktional orientierte, kollektive Ästhetisierung von Alltagswirklichkeit durch die Jugendlichen zeigt Ana logien zu Formen des kollektiven Erzählens (Collective Story Telling) mittels analoger und digitaler Medien, wie sie u.a. von Janet H. MURRAY45 beschrieben werden. Die perpetuierende Strukturierung der damit verbundenen kognitiven, affektiven und pragmatischen Interaktionen als Flow, verweist auf Ergebnisse der Motivationspsychologie von Mihalyi CSIKSZENTMIHALYI46. Beide Forschungsansätze berücksichtigen in besonderer Weise die kompetente Gestaltung und Organisation sozialer Interaktion mit spezifischen Elementen und Mitteln wie etwa denen des Rollenspiels. Resultat dieser Trias alltagspragmatischer Kulturtechniken sind weitgehend selbstbestimmte Gestaltungsprozesse von Alltag und Lebenswelt im Sinne einer Bedeutungs- und Identitätskonstitution, mit der sich die Jugendlichen sich und anderen ihre Welt erschließen. Die Beschreibung dieser Prozesse folgt den semiotischen Ansätzen der Cultural Studies wie denen der Bedeutungs- und Subjektkonstitutionsforschung, der Sozialisationsforschung und Soziologie (Kap. 2 Perspektive und Fokus – Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen). Die Erschließung dieser Phänomene erfolgte mit Methoden der qualitativen Sozialforschung: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Material- bzw. Textauswertung. Im Laufe der Zeit entstand dabei ein dem sozialen Phänomen adäquates Sample an erhobenen und gesicherten Verhaltensweisen der beobachteten Jugendlichen (Kap. 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse). Die Jugendlichen eignen sich für diese Gestaltungsprozesse einerseits Manifestationen und Verdichtungen bisheriger Bedeutungskonstitution an. Sie integrieren diese Materialen in die Präsentationen, die sich selbst und anderen anbieten. Dabei erfahren diese Materialien eine Neuinterpretation und Re-Individualisierung durch direkte Modifikation oder durch innovative Referentialität in immer anderen Zusammenstellungen (Samples; Arrangements). Ein wesentliches Archiv derartiger Materialien bildet bei den beobachteten Jugendlichen ein Medien-, Text- und Ereignisangebot, das sich thematisch wie pragmatisch um den Kern der Fantasy Role Playing Games (FRPG) herausgebildet hat (Kap. 4 Fantasy-Rollenspiele - ein Medien-, Text- und Ereignis- Arrangements als Angebot). Die Präsentation von Identität in Medien-, Text- und Ereignisarrangements tendiert andererseits als Phänomen gesellschaftlicher Interaktion zur Re-Objektivierung. Die individuelle Interaktion mit Materialien, Objekten, Texten wird über soziale Entitäten zunehmender Komplexität schließlich zu massenhaften sozialen Prozessen, individuelles Handeln geriert zu komplexen fixierten Routinen, die sich als Skripts einer Alltagsästhetisierung47 beschreiben lassen. Damit entsteht in Alltag und Lebenswelt der Jugendlichen ein signifikantes Segment FRPG als jugendliche Subkultur, die sich in verschiedenen Szenen etabliert. Das ästhetische Handeln der Jugendlichen basiert auf handlungsorientierenden Themen, die sich in einer Fundamentalen Semantik der Innenorientierung artikulieren. Ihre konkrete Ausprägung findet diese Semantik in dem Wunsch nach Rekonstitution von Gesamtheit in einer sich mehr und mehr fragmentarisierenden Wirklichkeit, nach pragmatischer Affirmation von Selbstbestimmung- und Autonomieerfahrungen, nach Erleben von Reintegration und Solidarität für den sich dissoziiert erfahrenden Jugendlichen. 45 FINE 2002 (1983), 1985; MURRAY 1997; AARSETH 1997 46 CSIKSZENTMIHALY 1985, 1991, 1997; MASLOW 1984 47 HENGST 1997, 157-169; BACHMAIR 1996, 163-203 1 Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 17 Die Jugendlichen erwerben und zeigen in den Aneignungs- und Entäußerungsprozessen dieser Subkultur umfassende Kompetenzen im Umgang mit Medien in einer zunehmend mediatisierten Umwelt. Die entropische Zunahme der ihnen dabei zur Verfügung stehenden symbolischen Objektivationen verlangt zur Beherrschung der Informationsmengen ebenso nach adäquaten Medien wie diese selbst wieder erst diese Informationsmengen erzeugen. Wie die Aneignung bedarf auch die Präsentation ebenfalls medialer Oberflächen und Plattformen. Auf den Erwerb dieser Kompetenzen und die Verfügung über Medien und Informationen gründet sich letztlich die Autonomie des Individuums (Kap. 5 Fantasy-Rollenspiele - ein Medien-, Text- und Ereignis-Arrangement in der Nutzung). Autonomie bedingt aber auch Verantwortung und schließlich auch Risiken, bei dem Projekt der selbstgesteuerten Gestaltung von Alltag und Lebenswelt wie Bedeutungs- und Identitätskonstitution zu versagen.48. Andererseits gibt es keine Alternativen: Der aktuelle gesellschaftliche Auftrag, dem das Individuum nachzukommen sucht, ist die Lokalisierung des allgemeinen kulturellen Prozesses der Individuation. Seit der Renaissance wird die Entwicklung der europäischen Zivilgesellschaften durch einen gesamtgesellschaftlichen Prozess von fortschreitender Individuation geprägt. Deren Basis ist die weitgehende Demokratisierung der Verfügungsgewalt über Information gerade mittels neuer Medien. Wie sehr Medien traditionelle hierarchische Kulturen verändern und revolutionieren zeigt die Erfindung des Buchdrucks, mit dem erstmals Informationen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich wurden. Die Verfügbarkeit und der Zugang zu Informationen, Wissen und Medien begründen Macht, Einfluss und Herrschaft und führen in restriktiven gesellschaftlichen Systemen – wie etwa der Schule - zu steilen Hierarchien. Aus der Sicht der herrschenden Eliten mindert jede Delegation der Verfügungsgewalt über Informationen und Medien die traditionelle Machtbasis. Die heutigen Medien dagegen ermöglichen die bislang weitest gehende Distribution von Wissensaneignungs- und Verwendungsprozessen. Die Konsequenzen sind egalitäre soziale Organisationsformen und ein umfassender Prozess der Individuation aller Lebensbereiche. Die Totalität dieses gesellschaftlichen Auftrags und die mit ihm verbundenen Prozesse in Alltag und Lebenswelt der Jugendlichen haben Auswirkungen auf weitere Alltagssegmente der Individuen wie Freizeit und Beruf oder wie im Falle der beobachteten Jugendlichen auf die Schule. Die bisherige Schule steht mit ihrem Menschenbild und der darauf basierenden Pädagogik in erheblicher pragmatischer Diskrepanz zu dieser säkularen Entwicklung. Es geht um eine Veränderung der hierarchischen Schulstrukturen und Lehr- wie Lernstrukturen und die Anpassung an den gesamtgesellschaftlichen und kulturell-säkularen Prozess der Individuation in demokratisch organisierten und sich entwickelnden permissiven Zivilgesellschaften. In der Alltags- und Lebensweltgestaltung der Jugendlichen zeigen sich spezifische Kompetenzen, aus denen sich die notwendigen innovativen Anregungen für den schulischen Bereich mit dem Ziel einer individualisierten Lernkultur mit selbstgesteuerten Lernprozessen ergeben: ?? Mediennutzung So kann die Förderung eines individualisierten Lernens auf der Basis jugendlicher Mediennutzungskompetenzen auf mehreren Ebenen erwartet werden: Einmal durch die Bereitstellung individueller Verfügungsmöglichkeiten über Informationen im Rekurs auf die Fähigkeiten der Jugendlichen, derartige Informationssammlungen problemlösungsorientiert zu vernetzen und zu verarbeiten, also deren Aneignung und Verwendung wie Präsentation mittels sog. neuer Medien und Instrumente wie etwa durch das Notebook oder die Nutzung des Intra- bzw. Internets. Zum anderen durch die medienorientierte und –vermittelte Präsentation der Ergebnisse heuristischer Fragestellungen im Rekurs auf gestaltende Darstellungsformen von Wirklichkeit durch Jugendliche. Und schließlich durch den Aufbau und die Entwicklung von informationellen und kommunikativen Netzwerken für individuelle partizipatorische Lernprozesse im Rekurs auf jugendadäquate Ausdrucks- und Organisationsformen sozialer Interaktion etwa durch die pädagogische Adaption von Interaktionslösungen aus dem Alltagsbereich der Jugendlichen, wie sie etwa deren Verwendung von 48 BECK 1986 1 Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 18 Whiteboards, Chatrooms, User-Foren mittels pädagogisch orientierter E-Distributions und Lern-Software- Lösungen, z.B. "Hyperwave" bzw. "Contenido" als Content-Management-Systeme; "Lo-Net" als Internet- Plattform, "Lotus Notes" bzw. "Quickplace" als Kommunikationsmanagement, darstellen. 49 ?? Intrinsische Motivierung Schule kann bei der Förderung individualisierten Lernens auch auf die Kompetenzen Jugendlicher zurückgreifen, intrinsischer Motivation als substantielles Agens individueller Selbststeuerungsprozesse zu konstituieren und zu perpetuieren. Von wesentlicher Bedeutung ist dabei die Einbindung der Jugendlichen in die Entscheidungsprozesse, wie Lernen organisiert wird, insbesondere wie ein individuell angemessenes und an den individuellen Kompetenzen orientiertes Niveau von Anforderungen entwickelt werden soll. Ein intrinsisch motiviertes individualisiertes Lernen setzt eine weitgehende Selbststeuerung voraus, die auf einer reflexiven Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit heteronomen wie eigenen Anforderungen und eigenen Kompetenzen basiert. In diesem Prozess kann das Individuum einen intensiven Zustand gelingenden Handelns erfahren. Gelingt ihm die Verstetigung dieser Erfahrung (Flux) wird es zu einer autotelischen Persönlichkeit, die sich gegenüber seiner Umwelt emanzipiert. Mit einem derart erfolgreich organisierten individuellen Lernen verändert sich aber auch die bisherige Lehrerrolle in einem Maße, das nur noch bedingt eine Steuerung dieses Prozesses durch die Institution Schule zulässt, wenn es nicht gelingt, diese Veränderungen in ihrer Dimension pädagogisch zu antizipieren. Zum entscheidenden qualitativen Kriterium dieses Prozesses wird – gerade in der entwicklungspsychologisch sensiblen Phase jugendlicher Identitätsfindung – die Erfahrung von Autonomie im Diskurs einer kollektiven Ästhetisierung von Alltag mittels einer projektiven Fiktion. ?? Ästhetisierung Während der Alltag der Jugendlichen von Formen und Ergebnissen einer fiktional orientierten, kollektiven Ästhetisierung von Wirklichkeit geprägt wird, vermittelt Schule – unter dem Vorwand einer adäquaten Heranführung der Jugendlichen an eine Lebenswirklichkeit, eben diese Wirklichkeit bislang immer noch als Reduktion auf das Analytische und Rationale.50 Der damit verbundene Dominanz des Kognitiven und Methodischen fehlt es an einer Einbindung in die sinnstiftende Ästhetisierung von Wirklichkeit und Verortung in die Identitätsbildungsprozesse der Individuen. Selbstbestimmtes Lernen mündet stattdessen in die Gestaltung von Wirklichkeit nach den konstitutiven Phantasien der Individuen ein und kehrt von der Analyse zur Poesis zurück. 51 Die gemeinsam betriebenen und erlebten projektiven Fiktionen basieren auf den Kompetenzen der Jugendlichen zu selbstbestimmten Handeln wie zur interaktiven Kommunalisierung. ?? Interaktion Die Interaktionsformen zwischen Schülern und Lehrern in unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Kontexten bilden auch da, wo sie Lernprozesse initiieren und organisieren sollen, immer noch eher hierarchische denn partizipatorische Strukturen ab. Sie sollten eher auf die der Jugendlichen rekurrieren, welche sich in den von ihnen kompetent praktizierten Interaktionsformen wie Dyade, Team und Gruppe solidarische Interaktionskompetenzen entwickeln und eine auf Partizipation gerichtete 'neue' Rollenverteilung in alltäglichen Lehr- und Lernprozessen realisieren. Das dialogische Paradigma ist – wie oben schon ausgeführt – weiter zugleich wesentliche Voraussetzung für die Öffnung von Schule und ihrer Lernprozesse für selbstbestimmtes Lernen und zur Entwicklung einer autotelischen Persönlichkeit mit der damit verbundenen gelingenden Gestaltung von Alltag und Lebenswelt. 49 Vgl. Konzeption und Resultate des bundesweiten Projektes "Netzwerk Medienschulen" (1999-2002) der Bertelsmann-Stiftung, VORNDRAN 2002; VORNDRAN/ SCHNOOR 2003 50 Zu den unterschiedlichen Dimensionen der Wirklichkeitswahrnehmung und –vermittlung vgl. die Aussagen betroffener Jugendlicher über alltägliche Kommentare ihrer Lehrkräfte zu ihrer Realität in einer Reportage zu dem Schulmassaker in Erfurt, SCHADT/ BEULICH/ HANKE-EL GHOMRI 2004 51 Exemplarisch etwa das pädagogisches Modell autobiographisches Schreibens bei FEILKE 1998 1 Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 19 Dialogische Interaktion realisiert sich im schulischen Kontext besonders dann, wenn Jugendliche und Pädagogen gemeinsam die Ästhetisierung ihres Alltags und ihrer Lebenswelt kommunizieren und kommunalisieren. Die wesentlichen Elemente einer Gestaltung von Wirklichkeit als projektive Fiktion im Sinne eines Collective Story Telling wie Grenzüberschreitung, Orientierung und Erforschung fremder Räume, Problemlösen etc. basieren auf der Integration des Individuums in soziale Entitäten mittels dialogischen Interaktionstechniken. Die von den Jugendlichen kompetent praktizierten Kulturtechniken sind individuelle Phänomene der Wirklichkeitsadaption, sie basieren andererseits aber auf den symbolischen Objektivationen, deren kulturelle Tradierung Gesellschaft und Geschichte begründen, in welche die Individuen mit ihren Bedürfnissen und Intentionen eingebunden sind. 52 Schule als eine in der Moderne begründete Institution kultureller Tradierung leistet originär bis heute immer noch die Vermittlung grundlegender und gesellschaftlich als relevant definierter kognitiver wie methodischer Kompetenzen, welche die Selbststeuerung der Lernprozesse dem Individuum erst ermöglichen.53 Diese Kompetenzen stellen - auch in einer mediatisierten Gesellschaft, die auf sie zu verzichten können glaubt und in der andere wesentlich wichtiger scheinen und heute vielfach auch außerhalb von Schule erworben werden können54, - immer noch ein Residuum der Legitimierung von Pädagogik und Schule dar. Schule gewinnt ihre Daseinsberechtigung genau da zurück, wo sie ihrer gesellschaftlichen Funktion, spezifische Schlüsselqualifikationen im Sinne einer Enkulturation zu vermitteln auch für den Jugendlichen nachvollziehbar und evident nachkommt.55 Allerdings kann eine Vermittlung eines substantiellen und systematisierten Wissens in Gestalt von Kenntnissen, Fähigkeiten und Techniken nicht mehr ihre Berechtigung in der Art und Weise propagieren, wie es etwa in Schlagwörtern wie Humanistisches Bildungsideal und Allgemeinbildung zum Ausdruck kommt, die sich jeder kritisch-reflexiven Evaluation gerade durch die Jugendlichen autoritativ zu entziehen suchen. Andererseits scheint auch die postmoderne technologische Reduktionsdefinition von Bildung als Cluster von Kompetenzen den Jugendlichen – allein schon entwicklungspsychologisch bedingt – vielleicht tragfähiger, aber eben doch in ihrem Anspruch – und damit in ihrem Leistungspotential reduziert. Ganz gleich, welchen Namen das jeweilige Bildungskonzept trägt und welche Ziele es verficht, entscheidend für seine Akzeptanz ist die Frage, ob es den Anforderungen, die im Sinne eines selbstkontrollierten Lernens an es gerichtet werden können, gerecht wird. Im Rekurs auf die oben beschriebene Trias jugendlicher Kulturtechniken kann Schule weiterhin ihren gesellschaftlichen Auftrag erfüllen, wenn sie sich zum Anwalt des Jugendlichen macht und ihn mit ihren Ressourcen, Potentialen etc. dazu befähigt, über selbstgesteuerte Lernprozesse hinaus seine Wirklichkeit zu ästhetisieren, diesen Prozess zu kommunalisieren und letztlich seine Existenz autotelisch zu transzendieren. Schule wird demnach zwangsläufig bei einem Rekurs auf jugendliche Kulturtechniken mit der Öffnung der Institution für selbstgesteuerte Lernprozesse (und Identitätsfindungsprozesse) auch Räume für die Entwicklung einer reflexiven Dimension schaffen müssen, um diesen Prozess der Transzendierung zu begleiten. Im Gegensatz zu den weitgehend kommerzialisierten Räumen jugendlichen Alltags bietet sie Umfeld, in dem die Jugendlichen besonders Fragen einer ethisch-moralische Verortung von Wissen und Handeln, der Entstehung und Vermittlung von Werten und einem inner- wie außerschulischen gesamtgesellschaftlichen Wertediskurs nachgehen können. Formen einer Annäherung an die Realisierung dieser pädagogischen Ziele werden in einer Reihe unterrichtspraktischer Projekte abschließend beschrieben (Kap. 6 Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung). 52 Begriff der Figuration, ELIAS 1969, 46 53 Zur Herausbildung der modernen Leistungsschule aus der klassizistischen Bildungskonzeption vgl. HELDMANN 1990, 183-211; 315-357 54 Kritisch zur These von Selbstsozialisation in einer mediatisierten Gesellschaft, KÜBLER 1997a 55 Vgl. dazu die nach PISA einsetzende bildungspolitische Diskussion um die "Generation kann nix", s. BORSTEL 2004 1 Die Alltagsgestaltung von Jugendlichen und deren Integration in das schulische Umfeld 20 21 2. Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 2.1 Forschungsstand bei Fantasy-Rollenspielen Die Beschäftigung von Psychologie, Soziologie, Medien- und Erziehungswissenschaften mit dem Genre der Fantasy-Rollenspiele erfolgt im Zusammenhang mit dem ethnographischen Paradigma der 'Cultural Studies' und setzt schon kurz nach der Etablierung der ersten Fantasy-Rollenspiele in jugendlichen und erwachsenen Milieus ein. 1 Dabei werden von Beginn an verschiedene Gravitierungen in der Forschung deutlich, die weit über den ursprünglichen ethnographischen Ansatz hinausreichen. Ursprünglich herrscht gerade in der US-amerikanischen Forschung ein hohes Interesse an den psycho- und gruppentherapeutischen Nutzungspotentialen von Fantasy-Rollenspielen, die in ihrer Anlage nach dem Verständnis amerikanischer Forscher auf MORENOs Psychodramen zurückgehen. 2 Vergleichbar gilt dies für die Jugend-Soziologie, die einerseits Phänomene der Jugendkultur korrekt beschreiben will (Eskapismus- Tendenzen, Freizeitverhalten), andererseits aber ebenfalls besonders sozialpädagogische Nutzungspotentiale in den Fantasy-Rollenspielen sieht. In der Tradition der Cultural Studies steht die soziologisch-ethnische Forschung mit ihrer Beschreibung des gesellschaftlichen Phänomens als Szene, Milieu, Kultur wie als Alltagsphänomen von Jugendlichen und Erwachsenen und deren Interpretation als "intertextuelle Prozesse"3. Reelle wie vermutete Affinitäten der Fantasy-Rollenspiele zur kriminellen Biographie von Jugendlichen und der von christlichen Fundamentalisten erhobene bewahrpädagogische wie normative Vorwurf des Eskapismus und Satanismus 4 führten zu einer breiten und nachhaltigen Debatte in der Öffentlichkeit und veröffentlichten Meinung. Die Aggressions- und Gewaltentstehungs- bzw. Gewaltwirkungsforschung wurde dadurch in einer gewissen Weise herausfordert, korrigierend und sensibilisierend in den Diskurs einzugreifen. Die Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklungsforschung untersucht den positiven Einfluss der Spiele auf die Identität des Jugendlichen, die Bedeutung der Selbstsimulation, aber auch Entfremdungsphänomene und negative Persönlichkeitsveränderungen. Das in den Spielen zu beobachtende 'Crossover' verschiedener Medien und die wesentliche Rolle der Spieler bei der fiktionalen Ausgestaltung und Fortentwicklung untersucht die literaturwissenschaftliche Forschung und Medienformatforschung im Zusammenhang mit Modellen des Interaktive Story Telling und der Procedural Authorship. Die sprachwissenschaftliche Soziolektforschung untersucht die Spiele auf ihr Vokabular und den verwendeten Thesaurus hin. Die Mediennutzungsforschung untersucht insbesondere das Medienverbundangebot und das Rezeptionsverhalten dieser Spiele. Fantasy- Rollenspiele als Phänomen einer weitgehend maskulinen Klientel finden das Interesse der Gender-Forschung. Die schulpädagogische Forschung beschränkte sich bislang auf das Problem einer Integration von Fantasy- Rollenspielen in den Schulunterricht. Die ökonomische Strukturierung einer Jugendkultur in einem expandierenden Erlebnismarkt mit aggressivem Marketing ist Gegenstand der makro- und mikroökonomischen Forschung. Die Tatsache, dass Fantasy-Rollenspiele eines wesentliches Element jugendlicher Alltagsgestaltung darstellen, hat sich in fast allen Forschungsdisziplinen in entsprechende Fragestellungen und Forschungsvorhaben niedergeschlagen. Grundsätzlich lassen sich der Anlage nach in den vorliegenden Untersuchungen Konzepte einer Medienwirkungsforschung von denen einer Medienrezeptionsforschung unterscheiden.5 Mehr oder minder einem quantitativen Forschungsdesign verpflichtet geht die Medienwirkungsforschung von einer linearen Kausalität und Wirkungsvermutung medialer Darstellungen auf den Rezipienten aus. Gerade daran setzt aber auch die Kritik an, wenn sie der Medienwirkungsforschung vorwirft, letztlich ein physikalisches Modell im Sinne eines positivistischen Wissenschaftsverständnisses auf hermeneutische Prozesse zu übertragen, wobei die Rezipienten auf deskriptiv Objekte reduziert würden ("Verobjektivierung"6). Die Medienwirkungsforschung 1 Zur Geschichte der Fantasy -Rollenspiele, zur Entfaltung des Genre und seine Verbreitung vgl. die entsprechenden Ausführungen in KAP 4 Angebot eines Medien-, T ext- und Ereignisarrangements; SCHICK 1991; eine erste wissenschaftliche Beschreibung einer Fantasy-Rollenspiel-Szene um das Rollenspiel "Dungeons & Dragons" findet sich bei FINE 1981 2 Vgl. SCHICK 1991, 17-34; 422-425; FINE 1981, 206 3 MIKOS 1999; CHANDLER 2002 4 Zum Dualismus von christlicher Heilsbotschaft und fiktional realisiertem gelingenden Alltag vgl. die fundamentale Kritik Kardinal Joseph RATZINGERs an Joanne ROWLINGs "Harry Potter and the Order of Phoenix", vgl. dazu: PUR-Magazin 2003; KUBY 2003; KREKELER 2003 5 DRINCK/ EHRENSPECK/ HACKENBERG et. al. 2001 6 DRINCK/ EHRENSPECK/ HACKENBERG et.al. 2001, 24 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 22 begegnet dieser Kritik u.a. mit der Integration von Ansätzen qualitativer Medienforschung, etwa mit der Berücksichtigung der Erfahrungen, wie Rezipienten ihre medialen Erfahrungen reflektieren oder welche Interdependenzen in den Strukturen objektiver Mediennutzung und individueller Medienrezeption zu erkennen sind und wie diese zu interpretieren sind. Vereinzelt geht auch heute noch die Medienrezeptionsforschung von einem auch in der öffentlichen Meinung verbreiteten linearen kausalen Wirkungszusammenhang aus7, doch kann dieser Ansatz grundsätzlich als überwunden gelten. 8 Für diese Untersuchung von besonderer Bedeutung ist das Konzept der strukturanalytischen Medienrezeptionsforschung mit seiner Orientierung am interaktionistischen Paradigma. Demnach benutzen Jugendliche Fantasy-Rollenspiele "[...] a) in Abhängigkeit von ihren kognitiven Fähigkeiten und im Zuge der Entwicklung ihrer Sachkompetenz, b) im Kontext ihrer sozialen Fähigkeiten und als Mittel der Entwicklung befriedigender Sozialbeziehungen und c) im Zusammenhang mit ihren entwicklungsbedingten Affekten und Ich- Leistungen, wobei die Ich-Struktur zugleich als Bedingung und als Entwicklungsziel der Medienrezeption angesehen wird." 9 Die Medienrezeption der Jugendlichen basiert demnach auf individuellen wie ontogenetischen handlungsleitenden Themen, die auf eine Tiefenstruktur dieses Prozesses hinweisen.10 Dieser Ansatz geht damit von einer konstitutiven bzw. konstruktiven Leistung des Rezipienten aus, bei der die Wahrnehmung von Wirklichkeit semiotisch beschrieben wird als ein Prozess des Decoding und der Intertextualität, systemtheoretisch bzw. radikalkonstruktivistisch als Kommunikatbildung und Interaktion von Kommunikaten.11 State of the Art: International Im Zuge der Cultural Studies wurden Fantasy-Rollenspieler in den USA schon relativ früh als eine jugendliche bzw. erwachsene Subkultur erkannt und beschrieben. 12 In den USA war die anfängliche öffentliche Diskussion der Fantasy-Rollenspiel-Nutzung durch Kinder und Jugendliche durch den Fall James Dulles Egbert13 geprägt, wobei insbesondere eine mögliche Suizidgefährdung im Mittelpunkt der Betrachtungen stand. Sehr rasch verlagerte sich dann die Kritik auf den Vorwurf, Fantasy-Rollenspiele förderten Okkultismus und Satanismus.14 Weniger deutlich formuliert, aber latent wurden den Spielen weiter Gewaltförderung, die Verbreitung einer fragwürdigen Ethik und ihre obsessive Nutzung angelastet. Mitte der 80er Jahre kam es in den USA zwar nochmals zu einer erneuten Diskussion einer potentiellen Suizidgefährdung, doch setzt sich ab diesem Zeitpunkt ein objektiv orientierter wissenschaftlicher Diskurs des Themas Fantasy-Rollenspiele durch. Die Kritik von christlich fundamentalistischen Gruppen und Sekten blieb allerdings weiter mehr oder minder latent bestehen, wobei eine Verlagerung der Vorwürfe weg von Satanismus/ Okkultismus auf Gewaltförderung und Kriminalisierung hin zu beobachten war. Infolge der immer wieder sich ereignenden Schulmassaker15 fanden sie stets erneute mediale Beachtung und Verbreitung. Nach einer Phase einer doch sehr ambivalenten Beurteilung der Spiele auch in der Forschung16 werden sie heute von der Forschung grundsätzlich als konstruktiv betrachtet.17 Damit rücken u.a. auch die soziotherapeutischen Potentiale stärker in die Betrachtung.18 Aktuell ist allerdings im Zusammenhang mit der Diskussion um die Gewaltdimension von Computer- und Konsolenspielen erneut auch 7 GLOGAUER 1994 8 Vgl. die Berichterstattung über das Schulmassaker von Erfurt und die folgende Diskussion um Wirkungszusammenhänge und eine Ausweitung bzw. Verschärfung der Kriterien der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, TOBRAK 2003; Pressemeldung GMK 31; SCHADT/ BEULICH 2003 9 CHARLTON/ NEUMANN 1990, 46 10 BACHMAIR 1993 11 SCHMIDT 1971; 1996a, 130-132; 136-138; 277; SCMIDT 1996b 12 FINE 1981, 1983, 1984 13 James Dallas Egbert III verschwand unter zunächst mysteriösen Umständen, die einen durch Fantasy-Rollenspiele ausgelösten Suizid vermuten ließen. Der Fall fand großes Interesse bei den Medien. Im Nachhinein stellte sich allerdings heraus, dass der Jugendliche sein Verschwinden selbst inszeniert hatte; 14 HOLMES 1980; IVINS 1980; ELSHOF 1981 15 Vgl. dazu: BITTNER 2002 16 LANCASTER 1994 17 THEUNERT/ DEMMLER/ KIRCHHOFF 2002, 142 „Eines ist unmissverständlich festzustellen: Ego-Shooter-Spiele generieren per se keine Amokläufer. Welche Macht- der Ohnmachtphantasien man auch immer am Bildschirm ausagiert haben mag, für das, was in der Realität passiert, sind die Gründe auch zuallererst in der Realität zu suchen.“ 18 SIMÓN 1998; RAGHURAMAN 2000; MACKAY 2001 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 23 eine Infragestellung der Fantasy-Rollenspiele zumindest in der populärwissenschaftlichen Literatur zu beobachten.19 State of Art: Deutschland Eine erste Bestandsaufnahme zur Situation des Fantasy-Rollenspiels in Deutschland findet sich in nach dessen Transfer und ersten Hype durch interessierte Verleger des Science-Fiction- und Fantasy-Genre.20 Eine erste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fantasy-Rollenspielen findet Ende der 80er Jahre unter sozialpädagogischen21 und geschlechtsspezifischen Fragestellungen22 statt. Gleichzeitig werden in den USA beschriebene psycho- bzw. soziotherapeutische Potentiale von Fantasy-Rollenspielen auch in Deutschland untersucht und genutzt.23 In Deutschland wurde die kritische Auseinandersetzung der 80 Jahre in den USA mit dem Genre relativ rasch rezipiert24, aber erst Werner GLOGAUER vermittelte in seiner radikal-ablehnenden Kritik jeglichen Medienkonsums durch Kindern und Jugendlichen ab 1991 die US-amerikanische Argumentation christlicher Fundamentalisten einem breiteren Publikum. 25 Dies führte zu einer bis heute andauernden wissenschaftlichen Debatte über die Folgen von kindlicher und jugendlicher Mediennutzung gerade im Hinblick auf Möglichkeiten der Gewaltprävention:26 Obwohl GLOGAUERs Thesen bis heute kontrovers diskutiert werden, erreichen sie in der pädagogisch interessierten Öffentlichkeit und insbesondere bei Eltern eine bis heute nachhaltende Wirkung und evozieren eine Vielzahl weiterer medienkritischer Werke27. Zu Beginn der neunziger Jahren dominiert bei Arbeiten zu Fantasy-Rollenspielen die medienkritische Perspektive. Bernd DÜRHOLT hinterfragt aus religionspädagogischer Sicht die Funktion der Spiele 28 und glaubt, eskapistische Tendenzen zu entdecken, die er verurteilt. Auch Markus BAUM entdeckt in den Spielen ein Gefährdungspotential.29 Von einer bewahrpädagogischen Position aus urteilt auch Birgit EBBERT.30 Erst Mitte der neunziger Jahre treten sozialpädagogische und -psychologische Fragestellungen wieder in den Vordergrund. Martina HÜBNER beschreibt den sozialpädagogischen Einsatz von Fantasy-Rollenspielen im Rahmen der Suchtprävention31; Jeanette SCHMITT untersucht in der Nachfolge von Ann Linda KRAUS32 in einer psychologischen Studie die Persönlichkeitsstruktur von Fantasy-Rollenspielern. 33 Sonja UTZ widmet ihr Interesse den Bedingungen von Persönlichkeitsentwicklung im Segment der Multi User Dungeon (MUD)- Spieler.34 Michael ANTRACKs, Aram ZIAIs und Christoph SCHMITZ' Studien dagegen haben einen mehr sozialpädagogischen Schwerpunkt auf möglichen Defiziten in der Realitätswahrnehmung von Fantasy- Rollenspielern.35 Falko BERKEMEYER dagegen steht in einer eher sozialpsychologischen Tradition mit seiner Untersuchung zum therapeutischen Potential von Live Action Role Playing Games (LARP).36 Die Tradition der religionspädagogischen Auseinandersetzung mit Fantasy-Rollenspielen setzt Tilmann KNOPF unter gewandelter Fragestellung fort, die versucht, Fantasy-Rollenspiele weniger als Gefahr denn als Ausdrucksmittel Jugendlicher zu sehen.37 19 GROSSMAN 1995; GROSSMAN/ DEGAETANO 1999; 2003 20 KAISER 1984; FRANKE/ FUCHS 1985 21 KATHE 1987; RITTER 1988 22 SALZBRUNN 1988 23 WOLF 1988 24 LEDERMANN 1988; PHILLIPS/ ROBIE 1988 25 GLOGAUER 1991-1998, 1992-1993 26 KÜBLER 1991, NAGL 1991, FAULSTICH 2001 27 Insbesondere im Zusammenhang mit der Gewaltmediendiskussion, vgl. dazu GLOGAUER als Mitherausgeber von GROSSMAN/ DEGAETANO 2003; MÖLLER 2000; TOBRAK 2003 28 DÜRHOLT 1991, 1994 29 BAUM 1993; BAUM/ PORTER 1993 30 EBBERT 1994 31 HÜBNER 1995 32 KRAUS 1986 33 SCHMIDT 1995 34 UTZ 1996 35 ANTRACK 1996; ZIAI 1996, SCHMITZ 1996 36 BERKEMEYER 1996 37 KNOPF 1996 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 24 Der Aspekt der Mediennutzung eines neuen literarischen Genres steht im Mittelpunkt von Maria HIRTHEs Untersuchung der Rolle von Fantasy-Rollenspiel-Spielbüchern.38 Hier wäre auch Tanja BRUSKEs Arbeit zur Angebotsstruktur von Rollenspielen zu nennen.39 Literaturwissenschaftlich angelegt sind die Arbeiten von Rainer NAGL zur Fachsprache der Fantasy- Rollenspiele.40 Ebenfalls literaturwissenschaftlich orientiert sind die in der Tradition von Espen J. AARSETH und Janet H. MURRAY stehende Arbeit von Michael BHATTY zum Genre des Interactive Story Telling. 41 Michael JUNKER dagegen untersucht mit seiner Arbeit zu Prozines und Fanzines ein bedeutsames Genre der Rollenspiel-Subkultur.42 Die in Studien mehrfach aufgezeigte Dominanz des männlichen Fantasy-Rollenspielers43 wird in Klaus SOMMERs Arbeit gender-spezifisch analysiert.44 Untersuchungen zur Bedeutung von Fantasy-Rollenspielen in Alltag und Lebenswelt Jugendlicher in einer schulpädagogischen Perspektive finden sich bei CARDWELLs Beschreibung des Phänomens von Fantasy- Rollenspiel-Zirkeln 45, in den Veröffentlichungen mancher Spielhersteller46 und in der Arbeit Sönke TEWS.47 Offensichtlich als Folge der spezifischen Erscheinungsform ihrer Mitglieder als normal und angepasst wirkende Jugendliche und Erwachsene, hat die Fantasy-Rollenspiel-Subkultur in der bundesdeutschen Forschung – abgesehen von einer Phase um 1995 - im allgemeinen nur eine begrenzte Aufmerksamkeit gefunden. Symptomatisch hierfür ist ihre fehlende Berücksichtigung in einigen neueren Untersuchungen zu bundesdeutschen Jugendszenen.48 Dazu beigetragen haben mag eine veränderte Fokussierung der Forschung, bei der mehr und mehr Computer- und Konsolenspiele etwa des Typus 'Ego Shooter' in den Mittelpunkt rücken. Resümee In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Genre des Fantasy-Rollenspiels und seinem jugendkulturellen Umfeld fehlt bislang eine Analyse der motivationalen Elemente und Potentiale und ihrer Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen. Ebenso vermisst man eine Analyse ihrer Alltagsästhetisierung mittels kollektiver Fiktionalisierung unter dem Aspekt der Bedeutungs- und Subjektkonstitution. Und schließlich fehlt eine pädagogische Diskussion der Folgerungen, die aus den alltagsgestaltenden Leistungen dieser jugendlichen Subkultur für die Anpassung von schulischer Pädagogik an eine sich weitgehend individualisierten Gesellschaft zu ziehen sind. 2.2 Theoretische Zugänge und wissenschaftlicher Bezugsrahmen Die hier vorgelegte Untersuchung des Phänomens einer jugendlichen Alltagsgestaltung, die sich um das Spielen von Fantasy-Rollenspielen herum organisiert und Elemente dieser Alltagsgestaltung auch in mehr oder minder fremden und teilweise auch repressiven Räumen wie etwa der Schule realisiert, basiert auf einer Reihe theoretischer Ansätze, Modelle und Konzeptionen: Das Encoding-/ Decoding-Modell der Semiotik und Cultural Studies beschreibt offensichtlich angemessen den Umgang der Jugendlichen mit den Texten und Medien der Fantasy-Rollenspiele als Prozesse der Aneignung, Entäußerung und Interpretation. Diese Basisprozesse verweisen nach dem Modell des Symbolischen Interaktionismus auf eine notwendige Beschreibung des Handelns der Jugendlichen im Sinne von Bedeutungszuweisung und Subjektkonstitution. Sozialhistorisch eingebettet und nur von dort her verständlich 38 HIRTHE 1995 39 BRUSKE 2002 40 NAGL 1993, 1996 41 BHATTY 1999 42 JUNKER 2001 43 HONEY 1988; SALZMANN 1988; ROSENTHAL 1998 44 SOMMER 1999 45 CARDWELL 1994; 1999 46 GAMA 1994 47 TEWS 1999 48 HITZLER/ BUCHER/ NIEDERBACHER 2001; SCHRÖDER/ LEONHARD 1998; FARIN 2001/ 2002 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 25 ist dieses Handeln in das Modell einer postmodernen, sich in verschiedenen Milieus ausdifferenzierenden und sich individualisierenden Gesellschaft. Dies korreliert auf der Ebene des konkreten Handelns der Individuen mit dem Konzept einer selbstgesteuerten dauerhaften intrinsischen Motivation (Flow) und der Ausbildung einer autotelischen Persönlichkeit. Die Jugendlichen der Fantasy-Rollenspiel-Szene realisieren dies mittels einer auf kollektiver Fiktionalisierung basierenden Ästhetisierung von Alltag und Lebenswelt. 2.2.1 Encoding-/ Decoding-Modell der Semiotik und Cultural Studies Denotation, Konnotation und Mythos Die Jugendlichen eignen sich in ihrem Alltag medienvermittelte Texte in besonderen Erlebnissituationen an, die sie in individuell gestalteten Arrangements benutzen, um den Phänomenen ihrer Umwelt Bedeutung für sich und andere zuzuweisen. Diese individuellen Bedeutungszuweisungen basie ren auf den denotativen und konnotativen Eigenschaften der Texte und Medien, auf welche die Jugendlichen zurückgreifen können. Denotation, die vordergründige und pragmatische Verständnisebene der Jugendlichen, wird dabei mit BARTHES verstanden als die dominante Konnotation, welche aus den von einem übergeordneten Mythos her bestimmten Codes hervorgeht. Denotation ist damit Resultat eines Prozesses der Vereinfachung, der die Komplexität und Heteronomie soziokultureller Codes kompensieren und ideologisch verbergen soll. Die Affinitäten zu den Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements der Jugendlichen, die sie in genuinen sozialen Formationen wie 'Peer Groups', Szenen und Milieus innerhalb einer mediatisierten Gesellschaft entwickeln, sind evident. Die hier angeeigneten und verarbeiteten Texte haben die Eigenschaft, eine 'natürliche' Bedeutung und Funktion vorzugeben. Als solche finden sie im Vergleich zu anderen (konnotativen) Bedeutungen im Diskurs der Interpretationen den breiteren Konsens, d.h. der soziokulturelle Code refereriert mit der individuellen Deutung, indem er deren Artikulation (Encoding) und Re-Artikulation (Decoding) in seinen Archiven symbolischen Materials bestimmt. Damit aber werden Denotation und Konnotation auch zu Phänomenen, die historischen Veränderungen unterliegen. "Signs referring to disempowered groups […] can be seen as having had far more negative denotations as well as negative connotations than they do now because of their framing within dominant and authoritative codes of their time – including even 'supposedly objective' scientific codes."49 Die Interdependenz von Denotation und Konnotation kann auch mit dem Modell der Repräsentations- bzw. Deutungsebenen beschrieben werden. Erfasst wird damit ein Prozess, bei dem das auf der einen Ebene Bezeichnete auf einer anderen, höheren Ebene zum Bezeichnenden werden kann. Zusammen produzieren Denotation (1. Repräsentationsebene) und Konnotation (2. Repräsentationsebene: expressiv) Mythen (3. Repräsentationsebene50: mythisch/ ideologisch/ weltanschaulich). Mythen verwandeln Singuläres, Historisches, kontextuell Bestimmtes in Allgemeingültiges, Zeitloses. Dabei artikuliert der Mythos die Phänomene in einer vereinfachenden Art und Weise, verschafft ihnen Legitimität und Gültigkeit, formuliert Statisches und Faktisches. Seine Funktion besteht in der Affirmation von Essenz, die der Simplifizierung Interaktion entspringt. Zeichen und Codes werden von den Mythen geschaffen und dienen deren Perpetuierung. Mythen stellen ähnlich wie Metaphern übergeordnete Deutungsstrukturen dar, welche die Interpretationsvarianz der Individuen kulturell organisiert und kanalisiert. Sie stellen einen Common Sense her, indem sie den allgemeinen Diskurs der sozialen Gruppe hegemonial verkürzen im Sinne dominanter kultureller und historischer Werte, wie etwa die Darstellung von hierarchischen Strukturen einer Gesellschaft als natürliche Folge oder Ordnung. Gerade Fantasy-Rollenspiele tendieren von Anlage wie Gestaltung her zu gesellschaftlichen Systemen mit ausgeprägten Hierarchien wie etwa sich an der Antike orientierenden Autokratien, mittelalterlichen Ständegesellschaften oder modernen, meist militaristischen Totalitarismen. Weitere Mythen der Postmoderne, die sich auch in Fantasy- Rollenspielen manifestieren, sind u.a. der Objektivismus der westlichen wie der vom Westen geprägten, globalen Kultur mit seinen Topoi wie wissenschaftliche Wahrheit, Rationalismus, methodische Genauigkeit, Unparteilichkeit in ihren szientistisch-technischen Szenarien, gleichzeitig ein Konservatismus, der im 49 CHANDLER 2003; vgl. dazu auch die Warnung von FISKE vor der Faktizität konnotativer Werturteile, FISKE 1982, 92 50 FISKE/ HARTLEY 1987, 43; O'SULLIVAN et. al. 1994, 287 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 26 Vergangenen das verlorene, aber wiedergewinnbare Ideal sieht und die Wirklichkeitswahrnehmung ihrer historischen Linearität beraubt und eschatologisch deformiert. Mythen wie diese prägen die Diskurse fast aller Dimensionen und Felder. Mythen verhindern eine kritische Auseinandersetzung mit der ideologischen Funktion von Denotation und Konnotation.51 "The semiotic analysis of cultural myths involves an attempt to deconstruct the ways in which codes operate within particular popular texts or genres, with the goal of revealing how certain values, attitudes and beliefs are supported whilst others are suppressed." 52 Die Funktionen des Mythos wie der verschiedenen Codes sind von Bedeutung bei der Analyse jugendlicher Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements, weil sie deren Genese wie Praxis, etwa in den Skripts, denen die Jugendlichen folgen, vielfältig mit beeinflussen und damit Rückschlüsse etwa auf die Gestaltungspotentiale, die den jugendlichen reell zur Verfügung stehen, zulassen. Codes Ein Code repräsentiert eine komplexe soziale Dimension, ohne ihn ist ein eigentlicher Diskurs nicht denkbar.53 Ein Code stellt ein Archiv von Interaktionshandlungen dar, mit dem die Nutzer eines bestimmten Mediums innerhalb eines kulturellen Rahmens operieren. Ein Code ist ein prozedurales System von miteinander verbundenen Konventionen der Interaktion mittels Medien in einer spezifischen Domäne. Codes organisieren einerseits aus Zeichen Bedeutungssysteme, andererseits verknüpfen sie Texte, als Resultate von Operationen mit Bedeutungssystemen, innerhalb umfassenderer Deutungsrahmen nach Kriterien der Kohärenz, Homogenität und Systematik 54. Codes benutzen Autoren und Produzenten wie die Rezipienten von Texten. Die Textproduktion beruht auf der Selektion und Kombination von Zeichen nach den im benutzten Code festgehaltenen Konventionen. Das Encoding durch den Rezipienten basiert ebenfalls auf diesem bzw. einem angemessenen Code, auf den eine Reihe von Schlüsseln hinweisen. Dazu gehören intratextuelle Zeichen wie etwa eine Überschrift ebenso wie kontextuelle Faktoren wie etwa das Medium, mit dem der Text vermittelt wird, seine Präsentationsform oder die Rezeptionssituation. Allerdings kann ohne diese Schlüssel der Rezipient nur bedingt auf den zur Deutung eines Textes notwendigen Code schließen, so dass Fehlinterpretationen möglich sind. Grundsätzlich hat der Rezipient neben dem referentiellen Code weitere textuelle und schließlich spezifische soziale Codes zu berücksichtigen. Die Cultural Studies unterscheiden folgende Formen von Codes: ?? Soziale Codes wie Sprache (phonologisch, syntaktisch, lexikalisch, prosodisch, paralinguistisch), Körpersprache (Kontakt, Nähe, Orientierung, Erscheinung, Mimik, Gestik, Habitus), Konsumption (Moden, Trends, Statussymbole), Verhalten (Protokolle, Rituale, Rollen, Rollenspiel); ?? Textuelle Codes wie Wissenschaften, Ästhetik, Genre, Rhetorik, Stilistik, Massenmedien; ?? Interpretative Codes wie perzeptionelle Codes, ideologische Codes. Obwohl Codes grundsätzlich immer einem Encoding wie Decoding zugrunde liegen, sind sie heteronome Elemente, denen sich das Individuum bedienen kann, nicht muss. Auf der einen Seite gibt es explizite, von Autor und Produzent wie Rezipient verwendete Zeichen-Text-Systeme, bei dem die Bedeutung der Texte sich ergibt auf der Basis formeller Konventionen (Codierung), auf der anderen Seite gibt es die vom Individuum auf der Basis impliziten Verstehens gestaltete Produktion und Interpretation von Texten, die in der Praxis sich zu einem individuellen System fortentwickeln und – interaktiv kommunalisiert – auf Codes Einfluss nehmen bzw. von diesen integriert werden kann (Hermeneutik). 51 Kulturgeschichtlich wie -historisch scheint dies wichtig im Zusammenhang mit der von E. Cassirer festgestellten Bedeutung einer mythisch begründeten bzw. beeinflussten symbolischen Interaktion im Rahmen des Paradigmenwechsels von der Moderne zur Postmoderne, s.a. MIKOS 1994; dagegen die SF-Theorie der 70er Jahre, die insbesondere die "positivistische" Science-Fiction zum Gegenstand ihrer emanzipatorischen Kritik machte und das Phänomen Fantasy als so lches entweder nicht wahrnahm oder der hochliterarischen phantastischen Literatur zuordnete, z.B. SUVIN 1979 52 CHANDLER 2003 53 HALL 1980, 131 54 Vgl. dazu SCHULZEs Analyse der Homologien als fundamentale Semantik, SCHULZE 1996, 348-364 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 27 Codes organisieren jede Art von Zeichen und Texten, d.h. auch alle Objekte, Handlungsweisen etc., denen Bedeutung von den Mitgliedern einer sozialen Formation zugewiesen wird. 55 Die Mitglieder einer solchen sozialen Formation weisen sich über ihr spezifisches Verständnis des Codes, seiner Bezüge und seiner Kontexte aus. Die Summe aller Codes kann demnach als (Sub-)Kultur verstanden werden: "A culture can be defined as a kind of 'macro-code', consisting of the numerous codes which a group of individuals habitually use to interprete reality." 56 Dieser Makro-Code beinhaltet nach LÉVI-STRAUSS auch ein soziales Klassifikationssystem, das in der Lage ist, soziale Distinktion zu kennzeichnen, und wie ein Code als interpretatives Netz über arbiträre Wahrnehmung fungiert. Derartige Systeme ermöglichen die Übertragung von Informationen in andere Codes wie die kumulative Deutung von Informationen verschiedener Codes. Sprachliche Codes spielen damit bei der Konstitution und Gestaltung der sozialen Wirklichkeit eine Schlüsselrolle: "What we learn is not the world, but particular codes into which it has been structured so that we may 'share' our experiences of it." 57 Die Sprache als wesentlicher Teil des sozialen Codes der Individuen bestimmt im wesentlichen auch ihre Weltsicht. Soziale Gruppen verfügen über ihre eigene Thesauren für die Bezeichnung des für sie jeweils wesentlichen Arbiträren, aus dem sie distinktiv ihre Identität herleiten. 58 Gerade die soziale Differenzierung – etwa auch in generativer Hinsicht - in einer Gesellschaft wird mittels einer Vielzahl sozialer Codes zum Ausdruck gebracht und von den Individuen aktiv codiert. Der Sprachgebrauch ist dabei eine der signifikanten Indikatoren sozialer Verortung. Gerade in Jugendkulturen, wo die Individuen nur bedingt über hochsprachliche Kompetenzen verfügen, die es ihnen erlaubten, integrative wie distinktive Elemente mehr als nur effizient zu codieren, tritt dabei integriert in die Umgangssprache dominant der Soziolekt der Gruppe, der Szene, des Milieus auf. Distinktiv wirken auch die verwendeten Fachsprachen, in welchen die Konzentration der sozialen Formation auf die ihr essentiellen Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements zum Ausdruck kommt und über die sich die Individuen als kompetente Mitglieder ausweisen.59 Ebenso wichtig sind aber auch die non-verbalen Codes.60 In den Jugendszenen von besonderer Bedeutung sind die Codes der öffentlichen Präsentation als Ausweis des sozialen Hintergrunds und von subkultureller Integration, der Lifestyle.61 Dem Außenstehenden nur vage in bestimmten rituellen Handlungen wie etwa den Begrüßungsformen ersichtlich prägen weitere implizite Codes die Formen des konkreten Kontakts (Blickkontakt, Berührungskontakt etc.) der Mitglieder untereinander und dienen der gegenseitigen Vergewisserung von Zugehörigkeit. Sie verweisen schließlich wieder auf Makro-Codes der jeweiligen Kultur, aus denen die Codes entstammen. In den Jugendkulturen verstärkt zu finden sind dabei Crossover aus verschiedenen (Sub-)Kulturen. Die Fantasy-Rollenspiel-Szene erweist sich demnach schon nach einer ersten Betrachtung als jugendliche Subkultur, deren Mitglieder sich distinktiv mittels spezifischer Codierung ihrer Identität vergewissern. Dazu gehört ein in den Jargon der Jugendsprache integrierter Soziolekt, eine sich um die Fantasy-Rollenspiele entwickelnde Fachsprache und eigene Medien-, Text- und Ereignisarrangements wie etwa besondere Organisationsformen des Spielens. Weniger deutlich als bei anderen jugendlichen Subkulturen werden bei ihnen allerdings die Codes öffentlicher Präsentation, die hier im Crossover denen anderer Subkulturen subsumiert scheinen. 55 Exemplarisch für den Textbegriff der Cultural Studies, FISKE 1989, 43: "[...] by text I mean a signifying construct of potential meanings operating on a number of levels." [Hervorhebung durch den Autor] 56 DANESI 1994a, 18; vgl. DANESI 1999, 29 57 THAYER 1982, 30 58 SCHULZE 1996, 348-364 59 Die Fachsprachen der Jugendkulturen zeigen wesentliche Eigenschaften eines elaborierten Codes wie Komplexität und Demonstration von Ich- Stärke, vgl. BERNSTEIN 1971 60 HALL 1959; HALL 1966 61 HALL/ JEFFERSON 1976 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 28 Codes variieren nicht nur sozial und kulturell, sie sind auch historischem Wandel unterworfen. FOUCAULT fasst diese Varianzen in seinem Modell des Diskurses und der diskursiven Praxis als übergreifende dominante Epistemologie. Die spezifischen Diskurse gesellschaftlicher Überbauphänomene sind Systeme repräsentativer Codes, mit denen bestimmte Bereiche von Wirklichkeit, die referentielle Relevanz besitzen, in einer ontologischen Domäne, geschaffen und gestaltet werden. In bestimmten historischen und sozialen Kontexten erlangt eine der diskursiven Formationen gesellschaftliche Deutungshoheit, die in der Regel auf Machtverhältnissen unter sozialen Deutungsgemeinschaften beruht. Die Nichtverwendung des dominanten Codes kennzeichnet den Fremden und den Außenseiter, die infolge der Distanz andererseits den dominanten Code sehr genau erkennen. Jugendkulturen wie auch die Fantasy-Rollenspiel-Szene können dem dominanten Code folgen oder ihn ablehnen, entziehen können sie sich ihm in einer mediatisierten Gesellschaft kaum. Das Decoding muss also Formen finden, in der vorgegebenen heteronomen Dominanz die Milieu-, Szenen- oder Gruppenspezifik wie auch die individuelle Identität artikulieren und gestalten zu können. Identität entsteht in der Selbstwahrnehmung als Konstanz. Da diese Selbstwahrnehmung in der Gesellschaft durch eine Reihe von Codes determiniert wird, ist Identität letztlich eine soziale Konstruktion: "Roles, conventions, attitudes, language – to varying degrees these are internalized in order to be repeated, and through the constancies of repetition a consistent locus gradually emerges: the self. Although never fully determined by these internalizations, the self would be entirely undetermined without them." 62 Dabei wissen die Individuen zunächst nicht um die gesellschaftliche Determinierung dessen, was sie als Identität wahrnehmen, weil die entsprechenden Codes implizit wirken und ihre Dominanz als Mythos mit ihrer weiten Verbreitung, als Tradition, als Gesetzmäßigkeit etc. legitimieren bzw. camouflieren. "Certain codes may [...] be so widely distributed in a specific language community or culture, and be learned at so early an age, that they appear not to be constructed – the effect of an articulation between sign and referent – but to be 'naturally' given." 63 Der Erwerb dieser Codes impliziert auch den von Werten, Urteilen, Sehweisen, ohne dass dabei normalerweise ihre Funktion bei der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit den Individuen deutlich wird. Erst die Konfrontation etwa mit Texten, die nicht den dominanten Codes folgen, verweist einerseits zurück auf die Bedingungen von Selbstwahrnehmung, andererseits erfordert es zu seinem Verständnis die Ausbildung entsprechender Kompetenzen.64 Codes sind – wie die eigene Erfahrung die Individuen lehrt – keineswegs statisch, sondern dynamische und evolutionäre Systeme. Dabei erlangen Systeme impliziter Deutung (Hermeneutik) in einem Prozess der Etablierung von Konventionen den Status von Codes. Die Bedeutung von Codes liegt in der Entlastung von Autor bzw. Produzent und Rezipient durch die Vorgabe einer Muster-Interpretation ("preferred reading"65), gerade weil Texte zu einer erheblichen Deutungsvarianz neigen. Eine besondere Rolle spielen dabei soziale Codes, welche die Deutungsvarianz und Individualität von Deutung drastisch verringern. Aber auch textuelle Codes tragen zu einer Vordeutung bei, etwa durch die Zu- und Einordnung eines Textes zu einem Genre anhand spezifischer Kriterien. Kriterien sind dabei u.a. die Unterscheidung nach fiktional bzw. non-fiktional, prosaisch und poetisch, literarisch und trivial etc., allerdings kann die Diversifikation von Texten schwerlich von derartigen Taxonomien abgebildet werden. Andererseits ist offensichtlich, dass soziale Gruppen Texte über die Zuordnung zu Genre interpretieren, die als Konsens anhand ihrer Relevanz festgelegt wurden, etwa die Zuordnung von Filmen zu Genre in TV-Magazinen oder die Systematik in Videotheken, dass also ein Genre-Code existiert jenseits aller Versuche, diesen anhand 62 NICHOLS 1981, 30 63 HALL 1980, 132 64 Hierin liegt ein entscheidender Ansatz für die pädagogische Reflexion von Jugendkulturen, s. KAP 6 Der Beitrag von Schule zu einer gelingenden Gestaltung von Lebenswelt; FRIZSCHE 2004, 22 65 HALL 1980, 134 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 29 von Eigenschaften des Textes festzulegen. Aber auch der Konsens sozialer Formationen im Genre-Code folgt den dominanten, letztlich sozialen Codes. Typisch etwa für die jugendlichen Fantasy-Rollenspieler ist ihre – oft exkulpativ disqualifizierende -Definition des Phantastischen, die sie aus der Gegenüberstellung zu 'Realität' zu gewinnen suchen. Gerade medienvermittelte Wirklichkeit scheint ihnen, obwohl sie aus den Kontexten ihres Spiels durchaus kompetent darin sind, Fiktionen zu erkennen und selbst zu gestalten, Realität als Abbild im Sinne mimetischer Rekonstruktion zu sein. Die Funktion des dominanten Codes bei der Konstruktion von Wirklichkeit ist ihnen – in Abhängigkeit vom Genre – allenfalls latent bewusst, führt aber nicht zu einer kritischen Reflexion des Mimesis-Konstrukts, dessen Wirklichkeitsdefinition sich als Resultat eines diskursiv-dynamischen Konsensus erweist. Indem die Jugendlichen medienvermittelte Abbildungen von Wirklichkeit als solche selbst betrachten, nehmen sie diese als indexikalisch wahr und folgen damit dem gesellschaftlich dominanten Mythos von Objektivität, die etwa Bilder in den Nachrichten für sich in Anspruch nehmen. 66 Da eine Reihe medialer Codes die sonstige Wahrnehmung von Wirklichkeit reproduziert oder imitiert, scheint ihre Wirklichkeitsdarstellung der Erfahrung des Individuums zu entsprechen. Werden mediale Codes internalisiert, was in einer mediatisierten Gesellschaft seit der Kindheit der Individuen vorausgesetzt werden kann, treten sie in den Hintergrund. Das Decoding wird zu einem automatischen Prozess der Rekonstruktion der in den Mythen transportierten Bedeutungen. Weiter darf angenommen werden, dass die Jugendlichen nicht nur als Rezipienten über Kompetenzen bezüglich medialer Codes verfügen, sondern diese auch in ihren eigenen Gestaltungen bewusst wie unbewusst einsetzen, etwa in ihren narrativen, d.h. gerade auch im Rollenspiel realisierten Fiktionen, die u.a. nach Konventionen eines cineastischen Editionscodes gestaltet werden.67 Völlig zu recht kann man von einer medialen Literalität der Jugendlichen ausgehen, die insbesondere umfassende Kenntnisse der visuell-auditiven Codierung etwa narrativer Fiktionen umfasst.68 Decoding wie Encoding von Texten basieren auf der kompetenten Verwendung einer Reihe von Codes, deren Zusammenspiel in der Regel eine dominante Deutung und Lesart mehrfach signalisiert und determiniert. Diese Deutung beruht nicht auf der inneren Struktur des Textes, sondern auf externen Phänomenen wie Codes, die Strukturen der Intertextualität abbilden. Encoding/ Decoding Während im klassischen Kommunikationsmodell Prozesse der Produktion wie der Performanz bzw. Perzeption wie Interpretation mit den Begriffen Enkodierung und Dekodierung bezeichnet werden, liegt in der Semiotik ein spezifischer Fokus auf der sozialen Interdependenz der in Produktion und Interpretation verwendeten Codes. Unter den Bedingungen von Intertextualität bedeuten Encoding und Decoding die Rekonstruktion eines bevorzugten bzw. maßgeblichen Textes im Rahmen eines spezifischen, gerade auch sozialen Kontexts. Beide Verfahren sind komplexe Vorgänge von Wahrnehmung, Verstehen, Interpretieren und Bewerten.69 Während klassische Kommunikationsmodelle die Kodierungsproblematik wie den sozialen Kontext von Kodierung völlig vernachlässigten70, berücksichtigen andere Modelle mehr und mehr die Bedeutung von Codes und kontextuellen Faktoren der Kodierung wie etwa den eines ausdifferenzierten Handlungskontexts in seiner situativen, normativen und attentativen Qualität oder noch weitergehend die individuellen Voraussetzungen der Interakteure wie deren Kenntnisse, Fähigkeiten und psychophysischen Faktoren, ohne allerdings systematisch die sozialen Interdependenzen dieser kontextuellen Faktoren zu problematisieren.71 Die Leistung dieser Modelle liegt darin, soziale Funktionen der Kommunikation in Relation zu ihren Kontexten zu erkennen und hier die eigentlich relevanten Inhalte zu vermuten, die eigentliche Ebene von Bedeutung und Bedeutungszuweisung. 66 HALL 1981, 241-242; eine krit ische Darstellung der journalistisch-dokumentarischen Arbeitsweise am Beispiel der Berichterstattung über den Tod eines palästinensischen Jugendlichen in der Reihe das "Das Rote Quadrat" lehnten die Jugendlichen als entlarvende Konfrontation mit den Entstehungsbedingungen von Medien-'Realität' weitgehend ab zugunsten der sich dokumentarisch gebenden Fiktion des Korrespondenten von "France II"; 67 Vgl. MURRAY 1997 68 MESSARIS 1994, 71-73: "visual literacy"; STAM 2000, 212-223 69 vgl. Differenzierung zwischen Rezeption/ Interpretation bei MIKOS 1981 70 SHANNON/ WEAVER 1949: Phonation-/ Audition-Modell; 71 JAKOBSON 1960 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 30 Stewart HALL beschreibt in seinem Essay "Encoding and Decoding in Television Discourse"72 ein Modell der Massenkommunikation, das besonders die Bedeutung der aktiven Interpretation von Seiten des Rezipienten innerhalb der für ihn relevanten, d.h. sozialkontextueller und sozialvermittelter Codes als sozial-spezifische Archive symbolischer Objektivationen betont. Enkodierung und Dekodierung werden dabei zu signifikanten kulturellen Tätigkeiten der Sprachhandelnden, so dass die Deutung gerade massenmedial vermittelter Texte nicht mehr von deren Produzenten determiniert ist ("preferred reading"), sondern durch die Rezipienten im Akt der Aneignung erstellt wird. Damit ist dieses Modell besonders zur Untersuchung und Beschreibung einer jugendlichen Subkultur wie der des Fantasy-Rollenspiels geeignet, wenn sie – wie es sich aus dem Zugang zum zu untersuchenden Feld schon ergab - aus der Perspektive der Jugendlichen vorgenommen werden soll. Gleichzeitig fokussiert dieses Modell die Jugendlichen als eigentliche Gestalter ihres Alltags und ihrer Lebenswelt. In seinem Modell bezeichnet HALL die verschiedenen Phasen des En- und Dekodierens mit dem offenen Begriff der Momente: Die Phase der Enkodierung ("moment of encoding") erfasst im Vorfeld der Textproduktion die institutionalisierten Handlungsweisen der Massenmedien wie die konkreten organisatorischen Bedingungen medialer Text-Produktion. Die Phase der Textualisierung ("moment of the text") bildet die konkrete symbolische Gestaltung des Textes und die Präsentation von Texten als Form und Inhalt der veröffentlichten und gesendeten Informationen. Die Phase der Dekodierung ("moment of decoding") schließlich beschreibt die Rezeption, auch die konsumptive Aneignung73, beim Empfänger als aktive Rekonstruktionshandlung auf der Basis relevanter Codes.74 HALL unterscheidet eine Reihe von miteinander verknüpften, aber unterscheidbaren Phasen im Kommunikationskreislauf ("circuit of communication") wie Produktion, Zirkulation, Distribution, Konsum und Reproduktion und beschreibt damit implizit die Produktions-, Allokations- und Konsumptionslogik einer Marktwirtschaft75, die – wie die Beschreibung des Angebots und der Nutzungsformen zeigt – auch die Subkultur des Fantasy-Rollenspiels entscheidend prägt. En- wie Dekodierung dürfen dabei aber nicht rein linear oder antithetisch betrachtet und auf den simplifizierten Sende- bzw. Empfangsbegriff eines einfachen Kommunikations- oder Broadcasting-Modells oder auf eine einfache ökonomische Interdependenz verkürzt werden, sondern sie müssen als Bezeichnung komplexer Phasen sozialer Interaktion gesehen werden. Codes als komplexe Archive symbolischer Objektivationen der Massenmedien, mit denen die Texte vermittelt werden, bieten nämlich den Rezipienten Identitätsentwürfe an, die von ihnen übernommen oder verworfen werden können. Werden allgemein benutzte Codes und die in ihnen vermittelten sozialen Positionen von den Rezipienten nicht geteilt, führt die Dekodierung zwangsläufig zu Abweichungen vom ursprünglich enkodierten Inhalt, zu einer "anormale[n] Dekodierung". 76 Zu unterscheiden sind offensichtlich auf der Deutungsebene geschlossenere Texte, die zu einer partikularen, aber vorher bestimmbaren Interpretation führen, von auf der Deutungsebene offeneren Texten, deren Dekodierung nicht kontrolliert werden kann.77 Angesichts der trotz aller Marktforschung unbestimmbaren Heterogenität der Rezipienten neigen Massenmedien zur Produktion geschlossener Texte für einen wenig differenzierten Kreis von Rezipienten. 78 Es scheint allerdings Rezipienten wie den Jugendlichen der Fantasy-Rollenspiel-Szene zu gelingen, diese Geschlossenheit in besonderen Nutzungsformen aufzubrechen, die Texte wieder zu öffnen und alternative Deutungsstrukturen als wenigstens teilweise selbst bestimmte Skripts zu etablieren. HALL nun forciert die Bedeutung der sozialen Positionierung des Rezipienten bei der Deutung von Texten der Massenmedien. In Anlehnung an PARKINs Modell der Bedeutungssysteme ("meaning systems") 79 unterscheidet 72 HALL 1973 73 FRIETZSCHE 2004, 22: "Produktivität auch nicht-reflexiver, selbstläufiger jugendkultureller Praktiken"; 74 CORNER 1983 75 Vgl. BACHMAIR 1996, 81-83 76 ECO 1965 77 ECO 1981 78 Typischer Adressat von Werbung ist z.B. der 14-40 jährige Konsument; 79 PARKIN 1972 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 31 HALL drei Möglichkeiten der Nutzung von Archiven symbolischer Objektivationen bei der Dekodierung medienvermittelter Texte ("interpretative codes or positions"): ?? "Dominant reading" bzw. "hegemonic reading": Der Rezipient teilt den Code mit dem Produzenten und reproduziert ohne Einschränkung das explizite wie immanente vom Produzenten fixierte und intendierte Textverständnis ("preferred reading") – der Code erscheint aus diesem Grund dem Rezipienten natürlich, angemessen und transparent. ?? "Negotiated reading": Der Rezipient teilt weitgehend den Code mit dem Produzenten und reproduziert ebenso weitgehend das explizite und immanente Textverständnis ("preferred reading"), modifiziert es allerdings anhand seiner eigenen Erfahrungen, Interessen und sozialer Position – der Code erscheint aus diesem Grund immer noch natürlich, angemessen und transparent, aber es kommt zu Widersprüchen bei der Spiegelung der Texte in der eigenen Erfahrung. ?? "Oppositional reading" bzw. "counter-hegenomic reading": Der Rezipient teilt aufgrund seiner sozialen Position den verwendeten Code in keiner Weise mit dem Produzenten, erkennt allerdings gerade deswegen im Sinne der Verrätselung eines Verfremdungseffekts trotzdem das explizite und immanente Textverständnis ("preferred reading") und verweigert dessen Reproduktion – der Code erfährt eine Dekonstruktion innerhalb eines alternativen Referenzsystems einer ideologiekritischen Rezeption. HALLs Modell basiert auf der Annahme, dass die relevante Aussage eines Textes ("preferred reading") mehr oder minder latent stets im dominanten Code enkodiert ist. Grundlage für diesen Ansatz sind HALLs Untersuchungen von Texten im Nachrichtengenre und Werbegenre der Massenmedien, die von der politischen Funktion oder von den wirtschaftlichen Interessen her ausgeprägt sich an den Rezipienten richten. Andererseits scheint angesichts der Pluralität von Rezeption und Decodierung als individuelle Interaktionshandlung in einer permissiven Gesellschaft die Durchsetzung eines "preferred reading" relativ unwahrscheinlich. Es verweist mehr auf die Vorstellungen eines 'impliziten Lesers'80 beim Produzenten als auf einen tatsächlichen Rezipienten. Die quantitative Dominanz einer bestimmten Textdeutung mag zwar auf die Qualität dieser Interpretation im Sinne eines "preferred reading" hinweisen, sie muss es aber nicht zwingend. "The openness of connotative codes may mean that we have to replace the notion of 'preferred reading' with another which admits a range of possible alternatives open to the audience."81 Ein gewisser Nachteil von HALLs Modell liegt darin, dass es analytische Konzeptionen begünstigt, welche die Bedeutung eines Typus von Rezipienten in den Vordergrund stellen und damit den Blick auf die Individualität jugendlichen Handelns im Kontext eines – gerade aus der Perspektive des Erwachsenen - dominant erscheinenden Konformismus verstellen. Andererseits greift sein Modell mit der Thematisierung der Kontextualisierung in gesellschaftlichen Codes über die Rezeptionsforschung aber auch hinaus auf die Gestaltung und Strukturierung von Alltag und Lebenswelt der Individuen und wird zum wichtigen Element der Cultural Studies. In einer Studie zur Rezeption des nationalen TV-Programms durch unterschiedliche soziale Gruppen orientiert sich MORLEY an HALLs Modell in der Weise, dass er eine deterministische Korrelation von sozialer Position und Dekodierung ablehnt und auf die Bedeutung der die Codes konstituierenden Diskurse in Anlehnung an FOUCAULT verweist. Die soziale Position korreliert demnach weniger mit den Dekodierungsarchiven als vielmehr mit den Zugangs- und Beteiligungsmöglichkeiten an sozialen Diskursen über die Dekodierung von Texten der Massenmedien. In diesen Diskursen werden verschiedene Verständnis- und Dekodierungsoptionen entwickelt.82 Auf diese Korrelation von sozialer Position und Zugang zu gesellschaftlichen Diskursen verweist BOURDIEUs Konzept der verschiedenen Formen des Kapitals, insbesondere das Kulturelle Kapital als Repertoire an Enkulturationskompetenzen wie Geschmack, Stil etc. und das Symbolische Kapital als Repertoire an 80 ISER 1964 81 MYERS 1983, 216 82 MORLEY 1980 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 32 Interaktions- bzw. Kommunikationskompetenzen. Als eine Teilmenge dieses symbolischen Kapitals identifiziert POTTER ein Interpretatives Kapital ("interpretative repertoire"), das einer spezifischen Diskursgemeinschaft ("interpretative community") – bei BOURDIEU Feld genannt - zur Verfügung steht und das die zu Enkodierung und Dekodierung von Texten verfügbaren Codes bestimmt.83 MORLEY vermutet bei Individuen wie sozialen Gruppen spezifische Dekodierungsstrategien in Abhängigkeit von handlungsleitenden Themen wie Kontexten und damit einen ambivalenten Umgang mit denselben Texten in verschiedenen Kontexten, der von unkritischer Annahme bis entschiedener Ablehnung reicht. Die Bandbreite von Enkodierung umfasst neben dem klassischen Antagonismus von Akzeptanz und Zurückweisung auch Wahrnehmung und Verstehen, Relevanz und Bedeutung wie Reiz und Erlebnis.84 Damit wird dieser Ansatz insbesondere den weitreichenden Inkonsequenzen jugendlicher Alltagsgestaltung gerecht, die den Akteuren selbst meist erst gar nicht bewusst sind bzw. in der Kohärenz ihrer Handlungslogik auch gar nicht vorhanden sind. Artikulation Semiotische, also auch die sozialen Codes differieren in ihrer strukturellen Komplexität. Semiotiker beschreiben dies mit dem Begriff Artikulation, während Linguisten das Phänomen unter dem Begriff der doppelten Gliederung fassen ("duality of patterning").85 Nach der semiotischen Forschungstradition gilt eine Nachricht dann als artikuliert, wenn sie in Elemente zerlegt werden kann, die selbst wieder Bedeutung tragen.86 In Analogie zum Sprachmodell besitzt jeder artikulierte Code demnach ein (1) Vokabular von Basiselementen, die in Befolgung (2) syntaktischer Regeln (3) die Gestaltung komplexer und umfangreicher Kombinationen erlauben. Doppelte Artikulation Man unterscheidet Codes mit doppelter, einfacher und fehlender Artikulation. Die doppelte Artikulation manifestiert sich auf einer superioren Ebene als 1. Artikulation, gebildet aus kleinsten Bedeutungseinheiten bzw. vollständigen Zeichen im Sinne eines von einem Bezeichnendem Bezeichnetes. In der sprachlichen Dimension sind dies Morpheme und Wörter, in anderen Interaktions- und Kommunikationssituationen dagegen alle Textelemente mit diesen Eigenschaften. Die Kombination wie die Unterscheidung dieser bedeutungshaften diskreten Elemente erfolgt auf einer grammatischen Ebene. Die Grammatik der Bedeutungs- bzw. Subjektkonstitution der Jugendlichen sind die Skripts, nach denen sie Medien-, Text- und Ereigniselemente arrangieren, und die sie ihrem Alltag und Ihrer Lebenswelt mittels spezifischer sozialer Codes entnehmen. Die inferiore Ebene besteht als sog. 2. Artikulation aus kleinsten funktionalen Einheiten ohne Eigenbedeutung, in der Sprache wären dies etwa die Phoneme, analog dazu in anderen Zeichensystemen Grapheme jeder Art.87 Die Unterscheidung kleinster Einheiten geschieht auf der phonologischen Ebene. Angesichts der Komplexität von Medien-, Text- und Ereigniselementen können diese selbst noch nicht als solche kleinste Einheiten gelten, sondern müssen als übergeordnete Systeme verstanden werden, die zudem auf weiteren Systemen basieren. Nichtsdestotrotz kann eine weitgehende Ausdifferenzierung dieser Elemente in Untereinheiten auch bei komplexen sozialen und psychischen Phänomenen wie etwa dem Ereignis als zentralem Moment im Alltag gelingen.88 83 GRAYSON 1998, 40; zu BOURDIEU vgl. die Darstellungen seiner Theorie bei BE ASLEY-MURRAY 2000, DAUER 2003, WEINHOLD 2001 84 Grundsätzlich lassen sich Enkodierung und Dekodierung auch darstellen im klassischen Modell von MORRIS mit drei semiotischen Bereichen, indem man die Syntax als die distinktive Wahrnehmung eines Zeichens unter anderen Zeichen versteht, in der Semantik das Verstehen der in dem Zeichen intendierten Bedeutung sieht und die Pragmatik als Deutung des Zeichens in kontextuellen Bezügen als Zustimmung, Relevanz etc. begreift. 85 FIGGE 1999 86 GUIRAUD 1975, 32 87 ECO 1976, 231-233; HJELMSLEV 1968: "Figurae"; 88 Vgl. die Erfassung alltagsästhetischer Handlungsdetails, SCHULZE 1996, 594-608 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 33 In den alltäglichen und lebensweltlichen Konstitutionsprozessen von Jugendlichen manifestieren sich Artikulationen 1. Ordnung, deren Organisation und Struktur in ihren Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements deutlich wird. Auch für die Fantasy-Rollenspiel-Szene können in der Gestaltung des Alltags durch die Jugendlichen eine Reihe derartige Artikulationen aufgezeigt werden, die als Elemente der jeweiligen Arrangements identifiziert werden können. Problematischer erweist sich der Versuch, in diesen Elementen Artikulationen 2. Ordnung zu finden, da ja gerade im Prozess der Aneignung und Entäußerung die Jugendlichen diesen Elementen Bedeutung zuweisen und der Beobachter allenfalls aus den Entäußerungshandlungen auf ursprünglich funktionale Einheiten ohne Eigenbedeutung rückschließen kann. Semiotische Ökonomie Die doppelte Artikulation ermöglicht es dabei den Jugendlichen (wie jedem Individuum), mit einer eng begrenzten Anzahl von kleinsten funktionalen Einheiten eine unbegrenzte Zahl von bedeutungshaften Kombinationen zu generieren. Der Begriff der Semiotischen Ökonomie verweist auf die Eigenschaft von Zeichensystemen wie Sprache hocheffiziente Systeme auf der Basis einer sehr geringen Anzahl von Elementen zu bilden. Die komplexen Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements basieren auf einfachen, in stets neuen Kombinationen verwendbaren Elementen und entlasten u.a. das Individuum bei seinem Gestaltungshandeln durch eine effiziente Verwaltung der knappen Ressource Aufmerksamkeitszuwendung. 89 Die semiotische Ökonomie ist weiter wesentliche Grundlage für die erfolgreiche dynamische Adaption von Sprache und anderer Zeichensysteme an die individuelle Erfahrung, welche deren unterscheidende Sicherung ermöglicht und die Basis von Aneignung und Beherrschung bildet. Die grundsätzliche Kombinationsfreiheit scheint allerdings graduell eingeschränkt durch eine Reihe sozial kontrollierter Regularien: So entziehen sich besonders die distinktiven Potentiale der Arrangements sehr weit der individuellen Gestaltung, weil die sozialen Dispositionen (Habitus) und deren Konkretisierung im sozialen Feld durch den sozialen Code bestimmt werden.90 Auch andere Kombinationspotentiale sind restriktiv beschränkt durch eine Reihe von Konventionen wie eine den verschiedenen Zeichensystemen eigene Semantik und Syntax, die Produktion komplexer Texte orientiert sich an Stereotypen und Genre-Spezifika. In diesem Zusammenhang wären auch codeinterne Hierarchisierungen von Bedeutungszusammenhängen etwa in formellen und informellen Skripts zu nennen, welche den einzelnen in seinem Encoding wie Decoding beeinflussen. Andererseits ist das Individuum aber stets in der Lage, gegen vorgegebene Bedeutungszusammenhänge zu opponieren und in der Gestaltung im Rahmen des sozialen Codes interpretatorisch frei zu handeln.91 Die oben geschilderte Problematik der Differenzierung von Artikulationen 1. und 2. Ordnung in den Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements der Jugendlichen der Fantasy-Rollenspiel-Szene gilt ähnlich für die komplexen Strukturen von Codes der Architektur, der Fotografie, des Films, anderer Zeichensprachen und narrativen Fiktionen, die ebenfalls nur eingeschränkt nach dem Modell von Artikulation beschreibbar sind. Es sind dort zwar größere Einheiten in Elemente ausdifferenzierbar, offen bleibt aber, ob diese Elemente unabhängige und bedeutungshafte Elemente im Sinne eines Vokabulars darstellen. "A symbolism with so many elements, such myriad relationship, cannot be broken up into basic units."92 Wie jede Analogie findet auch die von sprachlicher zu medialer Artikulation hier eine Grenze. Es fehlen beiden zwar nicht die Konventionen zur Steuerung und Kontrolle der Kombinationen wie Kombinatorik, die bedeutungshaften Untereinheiten sind so aber nicht identifizierbar, weil sie selbst wieder komplexe Systeme sind. Die Frage stellt sich deshalb, ob nicht die konstatierten Konventionen sich häufig als linguistische Projektionen einer Syntax erweisen, die mit der Realität des Gestaltungshandelns der Individuen nur die evidente Strukturierung gemein hat. 89 CSIKSZENTMIHALYI 1991, 30-33 90 BOURDIEU 1983, 40: "System der organischen und mentalen Dispositionen und der unbewussten Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata"; zur Multifunktionalität des 'Habitus' bei BOURDIEU s.a. DAUER 2003 91 CHANDLER 2003, 175-179 92 CHANDLER 2001, 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 34 Einfache Artikulation bzw. modellierende Systeme Eine Lösung bietet sich an, die Alltagsästhetisierung der Jugendlichen wie eine Reihe anderer Codes nur als eine einfache Artikulation zu deuten, d.h. diese Systeme bestehen aus bedeutungshaften Elementen, deren nicht- bedeutungshafte Basis-Elemente nicht vorhanden bzw. nicht erkennbar sind. Beispiele für derartige Artikulationsformen sind Verkehrszeichen, deren Untersymbole identisch mit den Funktionselementen sind93, aber auch komplexere Systeme wie filmische bzw. fotografische Codes, die auf Motivated Signs basieren: "It is impossible to break up the signifier without getting isomorphic segments of the signified." 94 Für eine derartige Deutung der Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements der Jugendlichen spricht gerade ebenfalls deren Komplexität. Auch die oft geringe Referentialität des Gestaltungshandelns von Jugendlichen könnte auf eine Nutzung des meist medien- bzw. marktvermitte lten Angebots an bedeutungshaften Elementen im Sinne einfacher Artikulation hinweisen. Einer reziproken analogen Begrifflichkeit folgt der Ansatz "Modellierender Systeme" nach CULLER. Hier wird die sekundäre Ebene als Meta-Struktur einer primären Ebene begriffen: Die primäre Ebene bilden hier die Zeichensysteme selbst, auf der sekundären Ebene entstehen aus ihnen neue, komplexere Zeichensysteme.95 Der Ansatz der Modellierenden Systeme wurde erfolgreich in der Analyse von Medien und Mediennutzung angewendet. So werden etwa literarische Texte als Systeme 2. Ordnung zu linguistischen Systemen und filmische Texte als Systeme 2. Ordnung einer "graphischen Sprache" betrachtet.96 Es bietet sich damit an, in den Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements jugendlicher Subkulturen ebenfalls Systeme 2. Ordnung zu sehen, die auf einem Basissystem symbolischer Objektivationen beruhen, die sich die Jugendlichen im Sinne einer fundamentalen Semantik 97 aneignen und nutzen. Aus der Re-Interpretation der Resultate dieses Prozesses entsteht demnach die Vorstellung einer grammatischen Struktur, der die Jugendlichen folgen, wohingegen diese Strukturierung eher Folge von genrespezifischer Konventionalisierung und code-interner Hierarchisierung von Bedeutungszuweisungen scheint, die als Skripts mit den von den Jugendlichen verwendeten symbolischen Objektivationen mit vermittelt werden. Die sich in dieser Semantik manifestierende Erlebnisrationalität verweist auf zentrale Funktionen des Habitus der Jugendlichen als "geometrischer Ort der Determinismen und Entscheidungen"98 und als "generative Grammatik der Handlungsmuster"99, also als Vermittlung zwischen Struktur und Praxis.100 Für die Bedeutungs- und Subjektkonstitution mittels medienvermittelten symbolischen Materials akzentuiert BACHMAIR diese Interdependenz: "Die Sprache der Jugendlichen sind ihre Ereignisse."101 Intertextualität Das Konzept der sozialen Codes ermöglicht damit ein semiotisches Verständnis komplexer jugendlicher Medien-, Text- und Ereignisarrangements. Der Strukturalismus tendiert dazu, Texte als voneinander unterscheidbare und getrennte Einheiten in ihren internen Strukturen zu betrachten. Strukturalisten scheinen stets in einem ersten analytischen Schritt die Grenzen eines Systems wie von Texten zu beschreiben und begeben sich damit der ontologischen Dimension der Phänomene. Die von Julia KRISTEVA (1980) konzipierte "Intertextualité" dagegen beschreibt eine Interdependenz von Autor und Leser (Horizontale Achse) und eine Interdependenz des Textes zu anderen Texten (Vertikale Achse). Grundlage dieser Interdependenzen sind eine gegenseitige Integration ermöglichende soziale Codes (Prior Codes). Sie sind – in Anlehnung an FOUCAULT – die Resultate der dominanten gesellschaftlichen Diskurse. 93 ECO 1976, 232 94 METZ zit. n. NOETH 1990, 469 95 CULLER 1985, 122 96 ALTMAN 1999, 175; CHANDLER 2003, 233-234 97 SCHULZE 1996, 348-363 98 BOURDIEU 1983, 40 99 BOURDIEU 1983, 150 100 Vgl. dazu: KAP 2.2.4 Erlebnisrationalität und Erlebnisgesellschaft 101 BACHMAIR 1998-05-07 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 35 Der Analyse-Fokus einer zeitgemäßen Textanalyse muss sich also auf die Strukturierung als Ergebnis eines Konstruktionsprozesses innerhalb sozialer Kontexte richten, nicht unbedingt auf die Struktur des Textes selbst, der sich damit als eine Transformation "within the totality of previous or synchronic texts"102 darstellt. Die Horizontale Achse: die Dekonstruktion von Autor und Rezipient Die poststrukturalistische Kritik dekonstruiert damit ideologiekritisch das die europäische Moderne beherrschende Singularitätspostulat und -ideal des Autors bzw. Produzenten (Originalität, Kreativität, Expressivität, Genialität) als historisches Konstrukt und emanzipatorische Ideologie des Bürgertums, das allerdings in seiner trivialisierten Form immer noch den aktuellen ästhetischen Diskurs dominiert. Autorschaft als ein historisches Konstrukt der Moderne basiert auf der Überlegung, dass das Subjekt 'immer schon' verortet und generiert durch semiotische Systeme sei, bevor es ein Bewusstsein von sich selbst entwickeln könne. Im Autor realisiert sich die Sprache selbst, nicht der Autor.103 Intertextualität führt zwangsläufig zur Infragestellung von Autorschaft. Nach BARTHES gibt sich der Autor nur den Gestus des Schöpfers und fungiert eigentlich als Kompilator: "A text is [...] a multidimensional space in which a variety of writings, none of them original, blend and clash. The text is a tissue of quotations."104 Hinzu kommt, dass Kommunikation vorhandenen Routinen und Konventionen folgt, d.h. neben Inhalte und Intentionen treten deren Kontexte, welche die Zuordnung der Bedeutungszuweisung als genuin intentionales Handeln eines Autors (wie eines Rezipienten) nicht mehr erlauben. Letztlich verändert jede Rezeption im Sinne eines Rekonstruktiven Schreibens die ursprüngliche Intention des Autors. Nach BACHTIN gestalten damit die Rezipienten den Autor und sein Werk, indem sie ihn aus seinen Texten rekonstruieren. Die produktive Aneignung von Texten durch Rezipienten wird damit zu dem wesentlichen konstitutiven Handeln der Individuen. In Konsequenz führt allerdings das Konzept der Intertextualität dazu, dass auch der Rezipient keine genuine Rezeption vornimmt, sondern aus dem Fundus vorhandener Rezeptionen105 einen Text kompiliert: "Texts come before us as the always-already-read; we apprehend them through the sedimented layers of previous interpretations, or [...] through the sedimented reading habits and categories developed by those inherited interpretative traditions."106 Die Dekonstruktion von Autor und Rezipient ermöglicht bei der Beschreibung und Untersuchung eines jugendkulturellen Phänomens wie der Fantasy-Rollenspiel-Szene eine dem konstitutiven Handeln der Jugendlichen angemessene Perspektive. Einerseits wird einer unzulässigen Dämonisierung heterogener Faktoren wie etwa der kommerziell begründeten Dominanz der Produzenten mit dem Hinweis auf die Bedeutung des Re-reading durch die jugendliche Konsumenten begegnet, andererseits aber auch der Blick geöffnet für die produktive Rezeption symbolischer Objektivationen durch die Jugendlichen etwa mittels kollektiven Formen einer fiktiona len Ästhetisierung. Die Rezeption von Texten erfolgt immer vor den Kontexten, in denen die Rezeption eingebunden ist. Diese Kontexte bilden den grundsätzlichen Rahmen jeder Rezeption. Die Vertikale Achse Texte existieren stets und nur allein in der Interdependenz zu anderen Kontexten, aus deren Rahmung sie ihre Prägnanz gewinnen. 102 KRISTEVA zit. n. COWARD/ ELLIS 1977, 52 103 BARTHES 1977, 143 104 BARTHES 1977, 146 105 vgl. den Begriff der "Sedimentbildung" nach HUSSERLs "Sedimentierung" bei BERGER/ LUCKMANN 2001, 72-76 106 JAMESON zit. n. RODOWICHK 1994, 286 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 36 Bei dieser Rahmung kommt den Genre ein besondere Bedeutung zu. Sie stellen genrespezifisch formale Rahmen bzw. Formate zur Verfügung, welche Produktion wie Verstehen einzelner Texte im Sinne einer grundsätzlichen Orientierung erleichtern, sie aber auch weitgehend dominieren. Die Zuordnung eines Textes zu einem Genre mit Hilfe von textuellen und sozialen Codes verschafft dem Produzenten wie Rezipienten einen grundsätzlichen kontextuellen Deutungsrahmen. In der semiotischen Perspektive stellen damit Genre Zeichensysteme bzw. Codes dar, welche das Verhältnis von Texten zu Kontexten organisieren. Jugendliche nutzen aufgrund ihrer umfassenden Medienerfahrung die Formate gerade der Genre mit einer hoher Affinität zu Elektronik und Digitalisierung recht kompetent für ihr Aneignungs- und Entäußerungshandeln. Von ebenso großer Bedeutung für intertextuelle Interdependenzen sind aber auch gerade Prozesse, bei denen die Genre-Grenzen überschritten werden bzw. Genre in sich verstetigenden Crossover neu definiert werden, wie etwa das Edutainment, das Docudrama, die Faction, das Infomercial, das Advertorial und die Reality Soap in den audiovisuellen Medien. Hierzu zählen aber neben diesen Phänomenen eines kommerziellen Mainstream auch die individuellen Experimente etwa der Jugendlichen mit ihren Genre-Mix in den Medien-/ Text- und Ereignisarrangements der Peer Groups, der Szenen und Milieus. Die Interdependenzen unter Texten werden allerdings fast nie konkret ausgewiesen, können aber in unterschiedlicher Intensität in Text und Kontext angedeutet werden, z.B. als Remake, als Zitat, als Extended Version etc. Derartige Andeutungen sind eine partiell sich selbst wahrnehmende Form von Intertextualität mit distinktiver wie motivationaler Wirkung, da sie einen besonders geschulten Rezipienten verlangt, der mit dem Wiedererkennensprozess und –erleben belohnt wird.107 "Instant identification of the appropriate interpretative code serves to identify the interpreter […] as a member of a exclusive club, with each act of interpretation serving to renew one's membership." 108 Die mehr oder minder konkrete Andeutung wird damit zu Technik der Verfremdung, welche einerseits Intertextualität thematisiert und zugleich die domin ierende fiktionale Tradition, die darauf abzielt, den Rezipienten in seinem Glauben an die Realität des Narrativ-Fiktionalen zu bestärken, problematisiert. Die Suche nach den Zitaten ist aufgrund der Medienerfahrung vieler Jugendlicher ein beliebter Wettbewerb unter den Experten, die in der Community auch noch die abgelegensten Analogien finden und diskutieren. Weniger bewusst und sensibel für die Intertextualität der verwendeten Elemente erfolgt die Verwendung des Zitats im eigenen Gestaltungshandeln. Eine in dieser Richtung kritische Reflexion kann als identitätsbedrohend empfunden und abgelehnt werden, da sie die Selbststilisierung jugendlicher Gestaltung im Sinne einer auktorialen Produktion als Fiktion zu entlarven scheint. Weitere Formen der jugendkulturellen Crossover sind Verknüpfungen auf der thematisch-inhaltlichen Ebene, z.B. die miteinander korrespondierenden Bereiche des HipHop (Rapping, Breakdance, Graffiti und DJing) 109 oder Skateboarding als eine zentrales Thema der Street-Sport-Szene in Film, Dokumentation, Nachrichten, PC- Spiel etc.110 Grundsätzlich problematisiert das Konzept der Intertextualität traditionelle Überlegungen zu Textgrenzen und eine Differenzierung von Texten nach Text und Kontext, nach textinterner und – externer Deutung. Intratextualität Das Modell der Intertextualität muss auch auf den einzelnen Text selbst angewendet werden. Als Intratextualität bezeichnet man die Interdependenzen der einzelnen Textelemente zueinander, die darüber hinaus aber weiterhin auch in intertextuellen Relationen stehen. Gerade die Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements der Jugendlichen stellen damit komplexe Systeme gegenseitiger Kontextualisierung dar. Am Beispiel der Interdependenz von Bildelementen zu Textelementen kann man das Phänomen der Intratextualität beschreiben. Nach BARTHES können linguistische Elemente die bevorzugte Lesart und 107 CSIKSZENTMIHALYI 1997, 116-157 108 CHANDLER 2001, 6 109 BÄRNTHALER 1998; MÜLLER 2004 110 SCHWIER 1997 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 37 Interpretation eines Bildes verankern oder erzwingen. 111 Ähnliche Anker sind auch für die Deutung komplexer Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements von und durch Jugendlichen zu vermuten. Dies besonders auch deshalb, weil sie zu einem erheblichen Teil der Affirmation von Kohärenz zwischen Vorstellung und Sein dienen. 112 Die Jugendlichen vergewissern sich so der gültigen, d.h. intentional gewünschten und im situativen wie sozialen Kontext angemessenen Deutung der von ihnen im Arrangement zusammengestellten Texte. Eine intensivere Form der Bild-Text-Beziehung ist das Relais, mit dem BARTHES eine von ihm noch unidirektionale komplementäre Funktion des Textes in Bezug auf das Bild zu fassen sucht. Der Text liefert dabei die unabdingbare hieratische Deutung des Bildes. Während im kultur- und sozialhistorischen Kontext der 50er/ 60er Jahre der Text stets dominant-interpretierend gegenüber dem Bild angelegt ist, müssen aktuell schon aufgrund der ikonographisch geprägten bzw. geschulten Wahrnehmung der Jugendlichen diese Prozesse auch umgekehrt gedacht werden, d.h. auch Bilder bzw. andere symbolische Elemente bieten Verankerung bzw. Weiterschaltung für Texte an. Das Phänomen der Intratextualität beeinflusst also ebenfalls die Analyse von Medien-, Text- und Ereignis- Arrangements in der Weise, dass nicht allein deren spezifische Codes betrachtet werden müssen, sondern deren kompositorische Interdependenz als multiple Codes. Multiple Codes METZ sieht in diesen Interdependenzen der Codes gerade im Bereich der audiovisuellen Medien die Ursache für die Entstehung sog. Multipler bzw. Integrativer (Meta-)Codes: "[Codes] are organized, articulated in terms of one another in accordance with certain order, the contract unilateral hierarchies […]. Thus a veritable system of intercodical relations is generated which is itself, in some sort, another code." 113 Die spezifischen Codes in Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements tragen auf unterschiedliche Art und Weise in einer eigenen Dynamik zur Deutung maßgeblich bei. Dabei darf man nicht von abschließend optimierten Systemen ausgehen, sondern Interdependenz kann sich sehr unterschiedlich darstellen. In den Arrangements muss deshalb mit Inkohärenzen, Ambiguitäten, Widersprüchen und Gegensätzen gerechnet werden, die mögliche Interpretationsräume erst öffnen. Die Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements der Jugendlichen sind aus diesen Gründen weniger systematischen Überlegungen entspringende Konstruktionen als vielmehr Improvisationen, bei denen der Autor bzw. Rezipient die in dem ihm aktuell vorliegenden Material Strukturen in seinem gestaltenden Handeln zum Vorschein bringt.114 Allerdings korrespondiert die Kreativität des Arrangements mit der Verkürzung der verwendeten Texte auf Fragmente eines ursprünglich gesellschaftlichen Diskurses und der spezifischen Codes. Der Jugendliche konstruiert aus dem vorhandenen Bezeichneten neue Arrangements, bei denen aus dem Bezeichneten nunmehr Bezeichnendes wird. Er artikuliert sich in und mit Objekten, die er einem begrenzten, weil vordefinierten Möglichkeitsraum mit Basisoperationen wie Hinzufügung, Löschung, Substitution und Übertragung115 entnimmt.116 "The first aspect of bricolage is [...] to construct a system of paradigms with the fragments of syntagmatic chains."117 111 BARTHES 1977, 38-40 112 HALL 1981, 229: HALL weist die von BARTHES konstatierte ideologische Funktion der textuellen Verankerung bei Pressefotos nach, wo sie der Affirmation von Neutralität/ Objektivität und Evidenz dienen; 113 METZ 1974, 242 114 LÉVI-STRAUSS 1974, 16-33; 35-36; 150; LÉVI-STRAUSS 1964: Begriff des "Bricoleurs" und der "Bricolage", ein von den Cultural Studies auf viele andere Bereiche übertragenes Modell von Aneignung und Entäußerung, s.a. den in Anlehnung entstandenen Begriff Patchwork-Identität; 115 NÖT H 1990, 341 116 Vgl. Begriff der "Symbolischen Objektivierung"; 117 LÉVI-STRAUSS 1974, 150 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 38 Die Analyse der Komplexität des Phänomens versucht GENETTE mit seinem Modell von "Transtextualität" in einer Typologie möglicher Interdependenzen zu ermöglichen.118 Die Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements der Jugendlichen stellen demnach unterschiedliche Verweisungszusammenhänge dar. Zitat, Plagiat und Anspielung sind Formen von konkreter Intertextualität. Paratextualität besteht in der Beziehung der Texte zu ihrer Rahmung, bei den Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements der Jugendkulturen etwa in den ritualisierten Formen der Interaktion oder in spezifischen Environments, in denen die Interaktion sich gestaltet. Die Interdependenzen, die eine Identifikation der Texte als Teil eines oder mehrerer Genres ermöglichen, stellen die Ebene der Architextualität dar.119 Damit verbunden, aber auch unabhängig davon sind Formen der expliziten und impliziten Kommentierung von Texten durch Texte (Metatextualität). Es bestehen weiter Interdependenzen von Texten und Genres zu ihren 'archetypischen', in der aktuellen Verwendung nunmehr aber vielfach modifizierten Basistexten (Hypotextualität), z.B. in Retro-Designs. Und schließlich erlauben die elektronischen Medien eine Just-in-time-Verlinkung von Texten wie etwa in den Chat- und Foren-Kulturen der jeweiligen Community und eine Auflösung der traditionellen Linearität120 von Texten etwa in der Hypertextualität von Online-Browser-Spielen. In einem weiteren analytischen Verfahren untersucht CHANDLER Abstufungen und Grade von Intertextualität. Intertextualität kann nicht allein begriffen werden als Texteigenschaft, sie wird als gemeinsames Projekt von Autor und Rezipient zu einer Funktion, die nach ihrer Intention, Finalität und in ihrer Qualität unterschieden und beschrieben werden kann. Die Intertextualität der Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements zielt demnach etwa auf Reflexivität ("reflexivity") als Beschreibung von Intensität und Umfang der Selbst-Wahrnehmung, die durch Intertextualität erzeugt wird. Sie lässt sich aufzeigen nach der Kategorie der Veränderung ("alteration"), d.h. in welchem Umfang die Ausgangstexte eine Modifikation erfahren. Auch Intensität und Umfang der Eindeutigkeit ("explicitness"), mit der die Interdependenz zu anderen Texten sich zeigen soll, sind Teil des Projekts von Autor und Rezipient. Eine weitere Funktion liegt in der Intensität bzw. dem Umfang der Bedeutung der erkennbaren Intertextualität für das Verständnis des Textes selbst ("criticality to comprehension") oder in der Form der Übernahme intertextueller Elemente, etwa als Anspielung, als Einbindung, als Verweis ("scale of adoption"). Schließlich signalisiert Intertextualität auch in der Partizipation an größeren Strukturen wie Genre, Serie, Serial, Magazin, Ausstellung etc. eine strukturelle Offenheit ("structural unboundedness").121 Das Modell der Intertextualität ermöglicht letztlich eine kritische Umkehrung des Mimesis-Modells von der Funktion der Ästhetik als Abbildung von Wirklichkeit. Wirklichkeit wird zur Konstruktion auf der Basis von Erfahrungen, die auf der kontextuell bestimmten Aneignung und Entäußerung von Texten durch das Individuum beruhen. Lebenswirklichkeit, Lebenswelt und Alltag sind - realiter heteronom wie fiktional autonom - in einem hohen Maße kontextuell und im wesentlichen durch die an ihnen partizipierenden Individuen bestimmt. "We are living in a society in which our perception is directed almost as often to representations as it is to 'reality'." 122 In diesem Sinne gibt es keine Erfahrung ohne Texte. Die Welt, wie wir sie kennen, ist hauptsächlich ihre aktuelle Darstellung. Resümee Mit dem von den Cultural Studies entwickelten semiotischen Ansatz eines Encoding bzw. Decoding liegt ein schlüssiges Modell für die Beschreibung der Aneignungs- und Entäußerungsprozesse der Jugendlichen in ihren (Sub-)Kulturen wie etwa der Fantasy-Rollenspiel-Szene vor. Die Jugendlichen greifen bei ihrem Bemühen, ihren Alltag und ihre Lebenswelt zu gestalten, auf symbolisches Material zurück, das ihnen insbesondere in und von Medien, in Texten verschiedenster Formate und Genre und in spezifischen Erlebniskontexten geboten wird und das sie, gerade auch wegen der intertextuellen Bezüge, zu Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements 118 GENETTE 1997 119 "'Kulturelles Gedächtnis", MIKOS 2003 120 BACHMAIR 1997, 243-257 121 CHANDLER 2001, 11 122 LASH 1990, 24 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 39 verdichten. Derartige Arrangements dienen einerseits der integrativen Affirmation sozialer Interaktion einer bestimmten sozialen Gruppe untereinander, andererseits der distinktiven Abgrenzung gegenüber anderen Szenen und Kulturen. Gerade bei der Integration ihrer alltäglichen Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements wie etwa von Fantasy-Rollenspiele in vergleichsweise weitgehend heteronom bestimmte Bereiche wie Schule zeigt sich weniger ein auf Konfrontation angelegtes distinktive Verhalten als vielmehr eine von den Jugendlichen erfolgreich gestaltete Neuinterpretation des dominanten sozialen Codes im Sinne eines Negotiated Reading. Bedeutungszuweisung und Identitätskonstitution sind demnach Leistungen eines in vielfacher Hinsicht kompetenten Individuums (Literacy), dem es vor dem Hintergrund dominanter sozialer Codes und gesellschaftlicher Mythen, in denen es seine soziale Verortung findet, gelingt, alternative Dekodierungen als Manifestation von Identitätsentwürfen zu entwickeln und auch in primär heteronom strukturierten Kontexten wie etwa Schule zu behaupten. 2.2.2 Bedeutungs- und Subjektkonstitution in einer mediatisierten Gesellschaft Soziale Codes Encoding und Decoding basieren auf sozialen Codes, welche die soziokulturellen Kontexte und die Sozialisation der Individuen entscheidend dominieren. Mit der Habitualisierung von Codes erwerben die Individuen Beschreibungsmöglichkeiten ihrer Identität als Erfahrung von Selbstkonsistenz, die sich – als Überlagerung der Kodierungsprozesse miteinander korrespondierender Codes - letztlich als eine gesellschaftliche Konstruktion darstellt.123 Codes haben die Tendenz, dass ihre deterministische Funktion nicht offensichtlich ist, sondern hinter der Kodierungspragmatik zurücktritt. Die mit dem Begriff der Identitätsfindung konnotativ angelegte Betonung autonomer bzw. autogener Persönlichkeitsentwicklung beruht durchaus richtig auf der Erkenntnis der Konstitutionsleistungen des einzelnen Individuums, verstellt aber auch den Blick auf die Bedeutung der dabei verwendeten sozialen Codes und führt im gesellschaftlichen Bewusstsein zu einer verzeichnenden Wahrnehmung dieser Prozesse: "Society depends upon the fact that its members grant its founding fictions, myths or codes a taken-for- granted status."124 Die dominanten Codes125 als Phänomene bzw. Resultate gesellschaftlicher Diskurse sind in der jeweiligen Kultur so allgegenwärtig und so weitgehend internalisiert, dass sie als evident, a priori gegeben und universell ihren Nutzern gelten, wenn diese nicht ihren Gebrauch explizit reflektieren.126 Mit den sozialen Codes erwirbt das Individuum aber weit mehr als einfache Beziehungssysteme von Zeichen und Bezeichnetem, sondern umfassende symbolische und mediale Archive der Weltdeutung mit Wertvorstellungen, Zielvorgaben, Interpretationsperspektiven: Weltbilder. Kennzeichen der heutigen individualisierten und fragmentarisierten Gesellschaft ist die individuelle Konstitution von Alltag mit Hilfe der im gesellschaftlichen Kontext zur Verfügung stehenden symbolischen Objektivationen als Material der intra- und interspezifischen Auseinandersetzung des Individuums mit sich und seiner Umwelt im Sinne einer Bedeutungskonstitution. "Die Brüche der Industriegesellschaft tragen den Menschen die individuelle Sinnkonstitution auf. Die individuelle Sinnkonstitution wird, veranlasst durch die Brüche [der Industriegesellschaft], die Form der individuellen Bedeutungskonstitution in intertextuellen Medienarrangements und alltagsästhetisch verknüpften Szenen haben."127 123 Vgl. dazu: BERGER/ LUCKMANN 1967 124 NICHOLS 1981, 30 125 Zur Bedeutung dominanter Codes in Rahmen der Diskursanalyse ("Wissensregime") vgl. FOUCAULT 1977, 27: "We should admit […] that power produces knowledge (and not simply by encouraging it because it serves power or by applying it because it is useful); that power and knowledge directly imply one another; that there is no power relation without the correlative constitution of a field of knowledge, nor any knowledge that does not presuppose and constitute at the same time power relations." 126 HALL 1980, 132 127 BACHMAIR 1996, 14 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 40 Mediatisierte Gesellschaft Wirklichkeit existiert demnach als "gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit"128, d.h. Wirklichkeit wird als gestaltete Konstruktion von Objektivationen, also von systematischen Beziehungen von Zeichen und Bezeichneten, zum Resultat menschlicher Subjektivität in der Interaktion bzw. Kommunikation dieser Objektivationen. Deren Kommunizierbarkeit bleibt den Symbolcharakter der Objektivationen gewährleistet, denn Symbole sind als Zeichen auch sprachlich vermittelbar. Eine "intersubjektive" Wirklichkeit bedeutet deshalb auch Integration des Individuums in der Wirklichkeit mittels des Dialogs. Wirklichkeit wird durch den Vorgang der Interaktion selbst konstituiert. Jede Gesellschaft entwickelt demnach in den Diskursen ihrer Subjekte im jeweiligen historischen, sozialen, politischen und kulturellen Kontext spezifische Objektivationen. In den postmodernen Gesellschaften verläuft dieser Konstitutionsprozess fast ausschließlich als Medienkommunikation. Die Bedeutung der Medien beruht dabei zum einen auf ihrer technischen Transferfunktion als Instrumente des Datentransfers innerhalb von Kommunikation- und Interaktion, dann weiter auf ihrer sozialen Funktion als Grundlage symbolischer Interaktion und schließlich auf ihrer kulturellen Funktion als Archive von Deutungsschemata.129 "Die neuen Angebote Multimedia [sind] für alle Lebensbereiche und gesellschaftliche Institutionen in gleicher Weise wichtig." 130 Die Individuen agieren miteinander in einer mediatisierten Gesellschaft mittels medienspezifischer Aneignungsprozesse und den ihnen genuinen symbolischen Darstellungen in individuellen Ausdrucksformen, geleitet von individuellen Interpretations- und Handlungsmustern, etwa nach handlungsleitenden Themen, nach medial vermittelten Erlebnissen und Symbolik und in Korrelation zu den jeweiligen Handlungskontexten. Der durch technologische wie ökonomische Impulse ausgelöste informationelle Globalisierungsprozess führt einerseits zu synergetischen Effekten im Sinne des McLuhan'schen Global Village, andererseits stellt er eine Herausforderung für menschliche Kommunikations- und Interaktionsfähigkeiten dar. Seine prinzipielle Offenheit ist Resultat und Manifestation einer zunehmenden Individualisierung der Lebenswelten seiner Akteure. Sie garantiert freie Informationsvermittlung für alle Interakteure und deren Botschaften. Die Strukturen von Kommunikation werden allein schon durch quantitative Entwicklungen wie die Zunahme der Anzahl der Kommunikatoren, der Informationsmengen, der Kanäle etc. erheblich komplexer als sie es heute sind. Anstatt multikultureller Empathien bringt die Globalisierung ebenso leicht Antipathien und Friktionen hervor: In den neuen Medien finden sich als deren Ausdruck Texte, die Ethno- und Xenophobien, Totalitarismen, Sexismus und Gewalt thematisieren.131 In der pädagogischen Perspektive ergibt sich angesichts der Komplexität einer mediatisierten globalen Kommunikation (und Gesellschaft) die Notwendigkeit, gerade Kindern und Jugendlichen mittels geeigneter pädagogische Programme, aber auch mittels rechtlicher Bestimmungen Orientierungshilfen zu geben. Die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft führt zu einer Veränderung bisheriger unidirektionaler Medienkommunikation des Broad Casting zu interaktiven Formen, die nunmehr in erheblichen Maß von den Rezipienten und deren Alltagskontext anstatt von den klassischen Medienproduzenten her bestimmt werden. Damit einher geht eine offensichtliche Abnahme der Face-to-face-Interaktion in Folge der Mediatisierung von Kommunikation und Interaktion in den neuen Informationswelten ("Distanzkommunikation"132). SCHWIERs Beobachtungen zur Bedeutung der Körpererfahrung bei Jugendlichen der Streetsport-Szene könnte demnach neben ihrer Funktion als internalisierte Transzendierung jugendlicher Existenz auch als kompensierende Reaktion auf eine fortschreitende Mediatisierung jugendlicher Interaktionsformen verstanden werden.133 Weiter lassen sich bei den Begrüßungsritualen der Jugendlichen (auch außerhalb der eigentlichen Szenen) vermehrt 128 BERGER/ LUCKMANN 2001 (1964) 129 BACHMAIR 1990, 57 130 BAACKE 1997, 26 131 Vgl. dazu: Phänomen und Begriff der 'Entropie' nach CSIKSZENTMIHALYI 1991, 36-39 132 BAACKE 1997, 27 133 SCHWIER 1997 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 41 Formen finden, die – in Anlehnung an Vorbilder aus der US-amerikanischen Hiphop-Szene – neben komplexen bedeutungshaften Gesten gerade auch auf körperlicher Berührung beruhen und mit der Ernsthaftigkeit des klassischen Händeschüttelns betrieben werden. Signifikant in dieser Beziehung ist auch die anhaltende Bedeutung, welche die Mitglieder der Fantasy-Rollenspiel- und PC-Spiel-Szene dem personalen Zusammentreffen und der Face-to-face-Kommunikation zuweisen.134 Das Epochentypische an diesen Szenen ist ein Crossover traditioneller mit modernen Interaktionsformen, fokussiert um Medienereignisse und –erlebnisse, das als gestaltendes Handeln erfahren wird. Mit diesen Sozialformen schaffen sich Kinder und Jugendliche offensichtlich auf personaler Interaktion basierende effiziente Eigenwelten und Reservate in der Auseinandersetzung mit der den Informationswelten eigenen wachsenden Technisierung menschlicher Interaktion. Kontext kindlicher und jugendlicher Selbstkonstitution ("biographische Selbstkonstruktion"135) sind damit heute komplexe Informationswelten, deren Ausdifferenzierung auf der Vernetzung der Inhalte, der simultanen Verwendung unterschiedlicher Medien und einer (abnehmend) bi- und (zunehmend) multi- bzw. meta- direktionalen Kommunikation der Individuen basiert. Dieser Prozess mündet zwangsläufig in die Aufhebung heute noch bestehender Abgrenzungen der einzelnen Medien (Printmedien, AV-Medien etc.) und in die Innovation von Gesamtmedien ein, die sich der traditionellen intentionalen Beschreibung etwa als Unterhaltungselektronik oder einer nutzungsorientierten Differenzierung nach Spiel und Beruf entziehen und zu einer "Mediatisierung der Kommunikation"136 führen. Medienkommunikation und Identität In einer Welt, deren Individuen als dominanten sozialen Code Medien und Medienarchive für Encoding und Decoding, für Produktion, Perzeption, Rezeption und Interpretation nutzen, interpretieren die Jugendlichen ihr Handeln, indem sie sich an medial vermittelten Symbolen und Erlebnissen orientieren. Die Jugendlichen verwenden das symbolische Material der Medien zu einem sinnvollen Handeln und zu ihrer Interaktion. 137 Im Prozess der gesellschaftlichen Konstruktion von Sein und personaler Konsistenz wird die Medienkommunikation zum dominanten sozialen Code einer Kultur. "Die Menschen verbinden auf der Basis individueller Relevanz komplexe Bildgefüge, die für sie die Funktion sozialer Realität gewinnen. Da die Individualisierung mit der Massenkommunikation fortschreitet, entwickeln sich aus diesen Bilderwelten soziale Figurationen, die leicht veränderbar sind und trotzdem die Funktion individueller Realität behalten." 138 In der Medienkommunikation bilden sich die Dynamik und Struktur des (kultur-)industriellen Produktionsprozesses, der marktwirtschaftlichen Distribution und Allokation und der Konsumption als wesentliche Manifestation individueller Konstitutionsprozesse ab. "Diese dynamische Entwicklungsfunktion von Medienkommunikation ist möglich, weil sie in das Subjektivitätsmodell der Industriegesellschaft passt, das Individualität und Gleichheit verbindet, dazu Alltagsleben und Lebenswelt der Menschen zum zentralen gesellschaftlichen Ort macht. Medienkommunikation integriert die traditionellen Formen der Kommunikation [...] mit der Logik und den wesentlichen Formen von Technologie, insbesondere mit industrieller Arbeitsteilung, industrieller Produktion, individuellem Konsum im Alltagsleben. Mit der Medienkommunikation verbinden sich gerade Familienleben, Erziehung, Sozialleben von Kindern [= Kultur; RR], subjektive Themen und Perspektiven der Menschen [= Alltag; RR] mit der Produktionsweise der Industriegesellschaft."139 134 Vgl. Organisation und Ablauf von Spiel-Séancen der Fantasy -Rollenspiel-Szene und von LAN-Partys, Kap. 5.3 bzw. 5.4 135 BAACKE 1997, 27 136 BAACKE 1997, 26 137 BACHMAIR 1996, 22 138 BACHMAIR 1993, 43 139 BACHMAIR 1996, 32 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 42 Dabei strukturieren und organisieren soziale Codes, dominant die Medienkommunikation, die Interdependenzen der Jugendlichen untereinander wie mit ihrer Umwelt.140 Grundsätzlich handelt es sich dabei um einen kulturellen Prozess des Wandels von Subjektivität und Individualität, die sich definiert als das vom Individuum mittels symbolischer Objektivationen gestaltete und erfahrene Verhältnis von Innen- und Außenwelt.141 "Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsbildung finden in einem sich wandelnden gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld statt, das von rasanten Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Medien und ihren vielfältigen Produkten stark beeinflusst ist. Damit treten neben traditionelle, für die Identitätsbildung relevante Instanzen wie Familie oder Schule auch vielfältige mediale Texte." 142 "Von da ab ging es nicht mehr darum, Kinder und Jugendliche an vorgegebene Bildungsziele, Lebensaufgaben und Lebensformen heranzuführen [...]." 143 Der Jugendliche erfährt sich in der Postmoderne nach diesem Code auf der subjektiven Ebene als Resultat einer schon weitgehenden und sich noch steigernden Individualisierung. Auf kultureller Ebene manifestiert sich dieser Sachverhalt in einer umfassenden Pluralisierung und Permissivität. Auf sozialer Ebene dagegen als Tribalisierung bzw. Ethnisierung, in denen der einzelne Beheimatung sucht und findet. Die Möglichkeiten zur Emanzipation von traditionellen Formen der Interaktion wachsen dabei in dem Maße, wie Objekte erscheinen, die traditionellen Zuordnungen nicht unterworfen sind und die von den Individuen angeeignet und, wesentlich gewichtiger, als Angeeignetes in den Symbolen entäußert und kollektiv zu symbolischen Objektivationen werden, die erneut den Aneignungsprozess beeinflussen. Dieser Prozess einer "kulturellen Differenzierung" und der daraus resultierenden Individuation darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Code immanent auf einer globalen Kultur marktwirtschaftlicher Produktions-, Allokations- und Konsumptionslogik basiert. Konsum Obwohl Resultat weitgehend vom Individuum unbeeinflussbarer wirtschaftlicher Prozesse öffnet die Medienkommunikation als dominanter Code gerade dem Jugendlichen ein Fenster autonomer Sinngebung in der Bedeutungszuweisung mittels Encoding und Decoding. Eine jedem Individuum offen stehende, weil marktkohärente Form der Interpretation144 von sich und Umwelt ist die Verwendung und Nutzung symbolischen Materials der Medienarchive als Konsum. Moderne Medien haben notwendigerweise Teilhabe an der utilitaristischen "Zweckrationalität"145 der Marktwirtschaft. Dem gegenüber steht die bürgerliche Fiktion einer "kulturellen Autonomie" mit scheinbar zweck- und wertfreien Räumen und Reservaten des Privaten und Gesellschaftlichen, wie etwa Schule und Universität als 'pädagogische Provinz', die sich einer utilitaristischen Ökonomisierung als Waren zu entziehen und zu widersetzen glauben.146 Spätestens im Konsum werden beide Bereiche wieder zusammengeführt. Die Integration des Medien- und Konsumangebots in die Gestaltungsprozesse des Individuums aus der "subjektive[n] Sinnperspektive" der Konsumenten strukturiert dieses Angebot in einer spezifischen Art und Weise, manifest als individuelle Auswahl, Kanalisierung, Gliederung etc. Die hohe Affinität des Angebots an medialen symbolischen Objektivationen und individueller Gestaltung erklärt sich aus deren antizipativen Strukturierung durch die Medienproduzenten: "Dies führt zur inhaltlichen und dramaturgischen Entsprechung von Medien, Handeln und Erleben. Individuell handelnde Rezipienten integrieren Medien der industriellen Massenkommunikation, die 140 Zum Begriff der "Figuration" vgl. ELIAS 1969, 23; BACHMAIR 1996, 91-93 141 Zur Unterscheidung von "Innenwelt" und "Außenwelt" vgl. HURRELMANN 2001 142 Pädagogische Hochschule Zürich/ Pestalozzianum 2003 143 BACHMAIR 2001, 234 144 BAACKE 1997, 29: "Durchkapitalisierung" 145 BAACKE 1997, 28 146 HABERMAS 1990 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 43 entsprechenden Rezeptionssituationen und ihre Medienerlebnisse interpretierend in die thematischen Perspektiven ihres Lebenslaufs und ihrer Lebenswelt." 147 Obwohl dieses medienkommunikative Material weitgehend standardisiert ist, wird der Akt von Aneignung und Nutzung für die Individuen selbst aus ihrer Perspektive zum Ausweis individuellen Handelns und in seiner Perpetuierung zur identitätsstiftenden Vergewisserung von Selbstkonsistenz: "Der Mechanismus der Individualisierung der Medienkommunikation eröffnet und sichert dem Rezipienten die Chance, als Subjekt sinnvoll und integrierend zu handeln." 148 Die Thematisierung derartiger Identitätsstiftung über Konsumption dient dabei zunächst der Distinktion, nicht allein von Erwachsenen gegenüber Jugendlichen, welche letzteren stereotyp einen im Gegensatz zu ihnen unreflektierten bzw. hedonistisch orientierten Umgang mit dem Warenangebot unterstellen149, sondern auch von den Jugendlichen gegenüber den Erwachsenen, die im Konsum konkret erlebbare Befriedigung ihrer Bedürfnisse und dessen Potentiale für die selbst zu leistende Transzendierung erfahren. Aber auch in den einzelnen Jugendszenen führt die Beobachtung des Konsumverhaltens außerhalb wie innerhalb der Szene zu wichtigen Unterscheidungen wie etwa der zwischen Reals und Posern.150 Die Individuen strukturieren und organisieren ihre Interdependenzen mit sich selbst, untereinander und ihrer Umwelt, indem sie diesen Interaktionen Bedeutung und Sinn mittels der En- und Dekodieren unter Verwendung der medienkommunikativen Archive zuweisen. Dies gelingt, wenn die spezifischen Strukturen dieser Archive kompatibel mit den Interaktionen der Individuen sind oder diese ihre Interaktionen den spezifischen Strukturen dieser Archive anpassen.151 Diese Kompatibilität ist im Konsum vielfach verwirklicht. Der Prozess der Individuation in Form einer konsumptiven Gestaltung von Alltag und Lebenswelt hat für die Jugendlichen damit die traditionelle Erziehungsaufgabe einer weitgehend heteronom bestimmten Sozialisation durch die Trias von Schule – Staat – Familie weitgehend obsolet werden lassen. Signifikantes Phänomen für diesen Prozess ist u.a. die Entkoppelung der öffentlich-rechtlichen Medienorganisation mit einem den traditionellen Erziehungszielen affinen redaktionellen Anspruch von Bildungsvermittlung als Mixtur aus Information und Unterhaltung von den kindlich-jugendlichen Individuationsprozessen. Diese Koppelung gibt es allenfalls noch für die spezifische Phase einer Schul- Kindheit. Ansonsten präferieren Kinder und Jugendliche die für ihr Gestaltungshandeln wesentlich adäquateren Genres und Formate des kommerziellen Medienmarktes.152 Medien werden in spezifischen sozialen Situationen des Alltags in die Gestaltungsprozesse des Individuums integriert. Medienkommunikation beruht einerseits darauf und verstärkt zugleich damit die Bedeutung von sozialen Formationen wie etwa der Jugendszene für diese Integration, weil diese die Medien und Medien wiederum diese als Interaktionsanlässe und Kristallisationspunkte nutzen und zugleich über sie ihre Objektivierung als Kommunalisierung von Gestaltungshandeln ihrer Individuen fördern. Soziale Formationen wie etwa jugendkulturelle Szenen strukturieren damit Medienkommunikation, indem sie das Angebot symbolischer Objektivationen zu gemeinsamen (integrativen) oder unterscheidbaren (distinktiven) Interpretationsmustern verdichten, die nun den Konstitutionsprozessen der Mitglieder zur Verfügung stehen und auf die jeweilige soziale Formation in der gruppenspezifischen Interaktion als spezif isches Set rückwirken. "Das konkrete und erfahrbare Sozialsystem des Alltags strukturiert Medienkommunikation." 153 Von besonderer Bedeutung für die Medienkommunikation sind weiter die Möglichkeiten, die sich dem Individuum durch die Intertextualität des medialen symbolischen Materials bei Aneignung und Integration in seine Konstitutionsprozesse ergeben.154 Dabei findet gerade der jugendliche Konsument einerseits antizipierte 147 BACHMAIR 1996, 35 148 BACHMAIR 1993, 44; vgl. auch BACHMAIR 1996, 33 149 FRITZSCHE 2004, 22 150 MÜLLER 2004, 10 151 BACHMAIR 1996, 34 152 Vgl. BACHMAIR 1991, 234-235 153 BACHMAIR 1996, 35 154 Vgl. dazu die Darstellung von Intertextualität bei CHANDLER 2003 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 44 Arrangements von Medien, Texten und Ereignissen in einem Angebot vor, andererseits kann er diese Arrangements modifizieren oder sich selbst aus dem fast unbegrenzten Fundus derartige Arrangements zusammenstellen. 155 Operationalisierung Mit dem Fokus auf der identitätsstiftenden Leistung des Individuums kann Medienkommunikation beschrieben werden als die Realisierung individueller meta-situativer Intentionen (handlungsleitender Themen) und ihre (reflexive wie soziale) Kommunikation in spezifischen situativen Kontexten mittels des dominanten sozialen Codes, der auf den Symbolarchiven der Medienkommunikation basiert. Die bisherige Dominanz der sprachlich- schriftlichen Zeichen tritt zugunsten neuer integrativer Zeichen zurück, in denen sich die Individuen selbst symbolisch vermitteln. Die "Tiefenstrukturen"156 von Individuum und medialer Kommunikation korrelieren dabei auf der Ebene des dominanten sozialen Codes. Die reflexive wie soziale Kommunikation der realisierten Intentionen erweist sich in der biographischen Perspektive der Individuen als Trias von "Erlebnis, Erfahrung, Wahrnehmung"157. Symbolischer Interaktion erfährt damit eine prozedurale qualitative Veränderung von der Aneignung an sich über die Strukturierung des Angeeigneten hin zur Veränderung der Aneignung durch das Angeeignete. Da marktwirtschaftlich organisierter Konsum eine wesentliche Operationalisierung von Medienkommunikation darstellt und pragmatisch gleichzusetzen ist mit individuell gestalteter Befriedigung von Bedürfnissen und Intentionen, manifestieren sich als Resultate eines komplexen Aneignungs- und Entäußerungsprozesses Individualität und in der reflexiven Perpetuierung dieser Prozesse Identität - in der Massenkommunikation und der mit ihr vermittelten Symbolik ebenso wie in den daraus resultierenden symbolischen Objektivationen wie Rezeptions- und Interaktionspattern – Lebensstil: "Die Identitätsarbeit von Kindern und Jugendlichen findet heute in einem Kontext statt, in dem Erlebnisse mit Medien der Populärkultur eine wichtige Bedeutung zukommt, da sie Normen, Werte und Rollenbilder zur Verfügung stellen." 158 Zum entscheidenden Kriterium identitätsstiftender und erfolgreicher intertextueller Bedeutungs-zuweisung durch das Individuum wird seine "Erlebnisrationalität"159. Den Individuen kommt im Vergleich mit klassischen Modellen der Massenkommunikation eine zentrale aktive Rolle zu, indem sie mittels intertextueller Relationen zwischen den in der Massenkommunikation vermittelten Symbolen komplexe und bedeutungshafte Figurationen herstellen und somit individuell symbolische Objektivationen generieren, die sie zusammen mit dem dominanten sozialen Code zur erfolgreichen Interpretation alltäglicher Interaktion einsetzen. Die Standardisierung der in den Medien vermittelten handlungsleitenden Themen sorgt dabei bei aller Individuation ("[...]individuelle Figurationen, in denen Medienerlebnisse, Mediensymbolik und Handlungsstile eine innere flexible Einheit bilden") doch für eine relative Homogenität in Form von Lebensstilen ("Integrationsfunktion von Massenmedien"160). In diesem Prozess der Identitätsbildung verlieren traditionelle Formen und Institutionen zunehmend an Bedeutung zu Gunsten mehr der Verfügung des Individuums zugänglicher und kurzfristiger, dynamischer Phänomene wie Cliquen, Szenen und Milieus. Neue Kindheit und Jugend Von besonderer Bedeutung ist weiter die Entgrenzung der Begriffe Kindheit und Jugend. Ellen Kays Vision von einem "Jahrhundert des Kindes" aus dem Jahr 1902 scheint heute zu Beginn des 3. Jahrtausends mehr denn je illusionär. Eine Entwicklung wird dagegen sichtbar, die offensichtlich zur Verkürzung und absehbaren 155 RESEARCH & MEDIA MARKETING 2002, 11 156 BACHMAIR 1993, 45 157 BACHMAIR 1993, 45 158 Pädagogische Hochschule Zürich/ Pestalozzianum 2003 159 SCHULZE 1992, 40-42 160 BACHMAIR 1993, 51 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 45 Auflösung von Kindheit führt161, indem das "kulturelle Feld der Individualität setzenden Konsumgesellschaft"162 heute schon für Kinder am Ende der Grundschulzeit die wesentlichen Orientierungen liefert163. "Heute zeigt sich deutlich, dass sich Kinder nach dem Grundschulalter an den Formen, auch an den Medien, des Jugendlebens orientieren und sich diese Formen aneignen, nicht zuletzt mit den dafür typischen Medien." 164 Die gesetzliche Festlegung der Grenze der Kindheitsphase auf das 13. Lebensjahr erweist sich damit als überholt. Kinder sind zu diesem Zeitpunkt schon längst Jugendliche, die sich – nun nicht mehr im Schutzraum von Familie und Schule 165 – weitgehend selbstständig mit den Anforderungen der Gesellschaft auseinander zu setzen haben. In einer umfassend mediatis ierten Gesellschaft sind Medien zwar essentielle, aber nicht mehr unbedingt dominante Elemente in den "Kulturinszenierungen" - als makrosoziologische Beschreibung der Angebots- Dimension von Aneignung - und "persönlichen Ereignisarrangements" - als mikro-soziologische Beschreibung der Nachfrage-Dimension von Entäußerung.166 "Kulturinszenierungen" und "persönliche Arrangements" fungierten als "soziale Räume", die von den Kindern und Jugendlichen pragmatisch im Alltag genutzt werden und wegen der obsolet empfundenen oder auch nicht mehr angebotenen traditionellen kulturellen Kontextualisierung reflexiv von ihnen auch in ihre Lebenswelt integriert werden müssen.167 Die "Enttraditionalisierung"168 gerade auch traditioneller sozialer Räume, die als symbolisches Material in den "Kulturinszenierungen" und "persönlichen Arrangements" aufgehen, stellt letztlich einen Prozess der fortschreitenden Dekontextualisierung des Individuums dar. Individualisierung erweist sich damit als ein Projekt einer vom Individuum zu leistenden umfassenden Rekontextualisierung, die einerseits dem individuellen Sein Sinn geben und andererseits eine Vergesellschaftung sicherstellen soll. 169 Kinder und Jugendliche betrieben deshalb mehr und mehr eine "Sozialisation in eigener Regie"170. Eine derartige Individuation bedeutet sozialisationsbezogen notwendigerweise eine Re-Definition von Integration und Distinktion, die ebenfalls in die Verantwortung des Individuums fällt und von ihm generiert werden muss. Der Verlust sozial-verbindlicher traditioneller und universeller Entscheidungskriterien wie Werte, Leitbilder, Ziele führt als korrelierende Kompensation zu einer Wahrnehmung von gesellschaftlicher Realität allein aus Blickwinkel individueller Alltagserfahrungen und vor dem Hintergrund erfolgreicher wie misslungener Alltagsbewältigung, die medial als "Human Interests"171 vermittelt werden. Dennoch erweist es sich als schwierig, aus diesen individuellen Erfahrungen der Alltagsbewältigung universellere Alltags-Konzeptionen zu entwickeln, die eine Transzendierung des Alltags zulassen. Erlebnisrationalität Als eine dieser neueren Formen der Transzendierung des Alltags erweist sich die Subjektivierung der Weltwahrnehmung mittels einer fast ausschließlichen Orientierung am Erlebnis. Während die Aufklärungsepoche das Problem der Transzendierung von Alltag in einer säkularisierten Welt über eine Orientierung an Idealen wie eines Arbeitsethos zu lösen suchte und die Moderne durch eine Orientierung an pseudo-wissenschaftlichen Systemen bzw. Ideologien, erfolgt in der Postmoderne auch die Transzendierung des jugendlichen Alltags auf der Basis eine "Erlebnisrationalität"172 als reflexive und strukturierende Durchdringung 161 Nach ARIÈS stellt 'Kindheit' eine gesellschaftliche Konstruktion der europäischen Moderne dar, ARIÈS 1988, 47-48; 92-111; 503-555 162 BACHMAIR 2001, 235; zur Entgrenzung von Jugend vgl. auch HENGST 2003 163 Vgl. dazu als Initiationsritual bzw. –symbol den Wechsel der Schultaschentypen vom klassischen Einschulungs-'Ranzen' etwa der Marke "Scout" mit weitgehend kindlichen Bildmotiven beim Übergang zur weiterführenden Schule zum 'Daypack' der Marken "Eastpak" bzw. "4You", die etwa schon genderspezifische Lifestyles symbolisieren; "Felix Hase"-Designs werden allenfalls noch in der 1./ 2. Klasse akzeptiert und dann zunehmend als Kindheitsentwurf der Eltern peinlich empfunden; 164 BACHMAIR 2001, 235 165 ARIÈS 1988, 47: "Quarantäne"; 166 BACHMAIR 2001, 235 167 BECK 1986, 25: "Logik der Risikoverteilung in der entwickelten Moderne"; 168 BECK 1986, 113 169 BECK 1996, 217-218 170 HENGST 1991, 22 171 BACHMAIR 1999, 55 172 SCHULZE 1996, 40; 418-421; 429-436; 736: "Routinisierung der Erlebnisorientierung in Form von Ziel-Mittel-Schemata. In Erlebnisgesellschaften bilden sich Typen der Erlebnisrationalität heraus [...]". 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 46 der "Erlebnisorientierung"173. Die medial gestalteten und vermittelten "Kulturinszenierungen" liefern dazu den Individuen vordergründig Handlungsanweisungen, "Skripts"174. Mit deren individuellen Ausgestaltung in persönlichen Arrangements von Medien-, Texten- und Ereignissen weisen ihnen die Jugendlichen Bedeutung zu und erfahren mit ihnen Konsistenz. Gerade in der konkret-individuellen Umsetzung dieser Skripts zeigt sich bei Kindern und Jugendlichen eine wachsende Akzentuierung und Wendung zu sensitiv-haptischer Erfahrung. Es entsteht damit eine (dialektische) Antithetik von medial-virtuellem und konkret-sensitiv erfahrenem Erlebnis. Sozialer Raum dieser konkret-sensitiven Erfahrung sind noch die Familie und zunehmend die Gruppe der Peers175, sozialer Raum der virtuellen Erfahrung sind Szenen, Subkulturen, Milieus. "Damit bekommt der Alltag als die vorrangige Wirklichkeit des heutigen Lebens mit der körperlichen Erfahrung seinen zweiten Brennpunkt neben dem Brennpunkt des Virtuellen. Dies ist einer der Gründe, warum Szenen und deren Stile die Familie und die Peers als sozialen Bezugsrahmen ergänzen." 176 Mythos Der Erfolg einer individuell konzipierten und realisierten Identitätsbildung beruht zum einen auf der Individualisierung von Aneignung und Entäußerung mittels intertextueller Medienkommunikation, zum anderen aber auf der Integration individuellen Handelns mittels einer "Fortschreibung mythischer Erzählungen und Figuren"177, die dem individuellen Handeln des De- und Enkodierens eine transzendente Perspektive verschaffen. "Die scheinbar unzeitgemäße Textform der Mythen verbindet sich mit Informationstechnologie und bildet den gemeinsamen kulturellen Rahmen bei fortschreitender Individualisierung." 178 Eine Ästhetisierung des Alltags mit mythischen Fiktionsformaten, wie sie typisch für die kollektiven Fiktionalisierungen der Jugendlichen etwa der Fantasy-Rollenspiel-Szene, aber auch einer Vielzahl weiterer Jugendszenen ist, dient der Transzendierung des Alltags, etwa in den Welten des Horrors und der Utopie, von Ohnmacht und Macht. Deren Einbindung in die Medienkommunikation erzeugt damit weitere und neue symbolische Objektivationen, die wiederum die Medienkultur prägen. Der Mythos prägt den dominanten sozialen Code, hier: die Medienkommunikation, als diachrone Beschreibung, Strukturierung und Organisation der Interdependenz von Individuum zu sich selbst, dem anderen und zu seiner Umwelt. Mythos ist die kreative Gestaltung einer Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Wirklichkeit mittels eines Theorems. Er sieht sich selbst als die Auseinandersetzung mit Wirklichkeit und versteht sich dynamisch. Seine Dynamik ist diskursiv, antagonistisch und eschatologisch konzipiert. Der Mythos führt die Auseinandersetzung mit Wirklichkeit auf kognitiver wie affektiver Ebene. Beide Wahrnehmungs- und Erklärungsformen sind gültig und stehen zueinander in einem dialektischen Verhältnis, das in einer Hyper- Rationalität Ausdruck findet. Mythos ist Handeln, nicht Reflexion. Er bildet die soziale Wirklichkeit seines Kontextes als Projektionen ab und integriert aufgrund seiner eschatologischen Dynamik Tod und Leben. Der Mythos konstituiert eine spezifische Perzeption von Wirklichkeit. Entscheidend ist dabei die Vermischung evidenter bzw. logischer wie rationaler, kausal-konditionaler Verknüpfungen zwischen den Figurationen mit final strukturierten Interdependenzen.179 Das Erlebnis der Grenzüberschreitung, d.h. einer an sich unzulässigen Verknüpfung von hyper-rationalen Mythos und kausal-rationalen Medien, wird zur konstituierenden Moment individueller Identitätsbildung. Die Medienkommunikation ermöglicht den Zugang zu einem ubiquitär wie unbegrenzt scheinenden Archiv an 173 SCHULZE 1996, 34-40; 232-234; 736: Situationsübergreifende Tendenz eines Menschen, sein Handeln an dem Ziel auszurichten, vorübergehende psychophysische Prozesse positiver Valenz ("schöne Erlebnisse") bei sich selbst herbeizuführen (Synonym: Innenorientierung). "[...] Mit der Vermehrung der Möglichkeiten ist Erlebnisorientierung zur normalen existentiellen Problemdefinition geworden." 174 HENGST 1990, 191-209 175 RESEARCH & MEDIA MARKETING 2003, 15: "Die Freunde sind die wichtigste Bezugsgruppe für Jugendliche – noch vor den Eltern." 176 BACHMAIR 1991, 236 177 BACHMAIR 1993, 52 178 BACHMAIR 1996, 36 179 DUPRÈ 1973, 948-956; PAETZOLD 1994, 1-20 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 47 Symbolen, in dem die handlungsleitenden Themen des Individuums ihre Analogie in denen des Mythos finden und individuell variabel und zugleich komplex in den Alltag integriert werden können. Der Mythos ermöglicht darüber hinaus die für Medienkommunikation typische Intertextualität, da er sich in verschiedenen Texten konkretisieren kann, was wiederum im Spannungsfeld von individuellen Aneignungs- und Entäußerungsakten und deren Verknüpfung mit den medial vermittelten symbolischen Objektivationen eine Vielzahl von Figurationen entstehen lässt. Meta-situative handlungsleitende Themen des Mythos und biographische Konstellationen von Individuen treffen als individuelle 'Tiefenstruktur' auf die Themen und Darstellungsweisen von Medienkommunikation. Resultat sind eine Reihe von "wechselseitigen Interpretationsfolien", welche die Rezipienten zu individuellen Interpretationsmustern dekodierend modifizieren können: "Bilderwelten". 180 Bildwelten und Skripts Die Jugendlichen folgen bei der Realisierung von den Mediendarstellungen den Inszenierungsvorgaben sog. "Scripts"181, die ihnen bezogen auf aktuelle Konsumobjekte komplexe und auf Totalität zielende Interaktionsmuster medialer Intertextualität anbieten. Die Konsistenzerfahrung des eigenen Selbst als Grundlage einer Identitätsbildung ergibt sich aus dem an diesen medialen Interaktionsmuster sich orientierenden, re- interpretativen wie modifizierenden Selbst-Handeln in einer nach eben diesen medialen Interaktionsmustern selbst- wie fremdinszenierten Konsum- und Medienwelt. Skripts entlasten den Jugendlichen bei der Auswahl relevanter Elemente aus einem sich medienkommunikativ ständig erweiterndem Angebot und der damit verbundenen Zunahme der Optionsmöglichkeiten. 182 Mit dem Individualisierungsschub einher geht ein Verlust an Orientierung mittels verbindlicher Entscheidungskriterien. Und: ein Zuwachs an Optionen bedeutet zugleich auch einen an Reversibilität. "[Entscheidungen] werden wir zunehmend mit einer gewissen Beliebigkeit und Zufälligkeit, nach kulturellen Zeitklimata, zufällig sich ergebenden Anregungen, momentanen Gestimmtheiten Entscheidungen treffen." 183 Eine Verdichtung der Optionen erfolgt in medien- und – nach Abschluss des Aneignungs- und Entäußerungsprozesses - milieuspezifischen Skripts, die, zunächst als individuelle Arrangements von Medien, Texten und Ereignissen entwickelt, über den Prozess der Objektivierung ("Sedimentierung"184) auch wieder in der ökonomische Produktions- und Konsumptionslogik Eingang finden und als symbolische Objektivationen Material der individuellen Selektion werden. An die Stelle der durch Autoritäten und Sachzwänge eingeschränkter Auswahlmöglichkeiten tritt weniger Beliebigkeit als vielmehr ein sozial vermittelter und kontrollierter Optionsrahmen.185 Zu beobachten ist allerdings die Diffusion der Verbindlichkeit von Entscheidungen, die in dem Maße abnimmt, in dem sich das Individuum von den sozialen Bindungen der Moderne emanzipiert bzw. an der Risikoverteilung Teilhabe hat. Ihre pragmatische Legitimierung erfahren Skripts - analog zu der von sozialen Codes - durch ihre Sedimentierung als massenhafte Phänomene, hinter deren Evidenz ihre Artifizienz verschwimmt. Skripts führen zu einer Generalisierung und Kommunalisierung von ursprünglich individuellen, massenkommunikativ realisierten und nunmehr vermittelten Erlebnissen als "Erlebnisband". Ihre ideologische Legitimierung erhalten Skripts durch ihre Evidenz, die auf den in und mit ihnen vermittelten mythischen Strukturierung der Interdependenzen von Figurationen basiert. Ein äußeres Merkmal des Einflusses mythischer Strukturierung sind etwa die redundant-sequentiellen, iterativen Inszenierungen der Fantasy- Rollenspiele als Ausdruck einer archaischen Zeitstrukturierung, in denen die Individuen in Anlehnung an die Skripts intertextueller Medienkommunikation ihren Alltag als ihre soziale Wirklichkeit gestalten. Der Erfolg 180 BACHMAIR 1993, 53; analoge Prozesse der individuell-modifizierenden Adaption lassen sich in den Textcodes konkret -sprachlicher Kommunikation etwa für die Funktionsweise von Stilfiguren und Stereotypen in Argumentationsstrukturen aufzeigen; 181 HENGST 1990, 191-209 182 Vgl. dazu: Begriff der 'psychischen Entropie' bei CSIKSZENTMIHALYI 1990, 36-39; s.a. TRIMMEL 2003 183 BAACKE 1997, 29-30 184 BERGER/ LUCKMANN 2001, 72-76 185 Zu dem auf diese Weise entstehenden intertextuellen Skript der Fantasy-Rollenspiele vgl. die Darstellung des Marktangebots in Kap. 4 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 48 dieser selbst gestalteten sozialen Wirklichkeit beruht auf einer angemessenen Reduktion und Trivialisierung der Komplexität einer als Bedrohung empfundenen faktischen Realität. Aneignung bzw. Interaktion (produktive Auseinandersetzung) basieren in der mediatisierten Gesellschaft der Postmoderne weniger auf einer Orientierung an Sachverhalten, Fakten, Ereignissen als vielmehr auf deren Inszenierung. Die Individuen trivialisieren bzw. operationalisieren eine komplexe Realität durch eine simplifizierende, letzten Endes eigentlich mythische Restrukturierung. Neben den Apologien eines szientistisch- naturwissenschaftlichen Kausalnexus oder eines ideologischen Finalnexus findet sich weiterhin auch die Fiktionalisierung des Alltags als Gestaltungsprinzip. Wie die Fantasy-Rollenspiel-Szene zeigt, re-interpretieren die Jugendlichen dabei medienvermittelte Interaktionsmuster, so dass Interaktion und Interaktionsobjekte paradigmatisch als Individuelles sich verknüpfen. Die in diesem gestaltenden Handeln individuell wieder und wieder erlebte Fiktionalisierung eigenen Handelns in sozialen Bezügen verkehrt die Subjekt-Objekt-Relation: "Die Wahrnehmung der Objekte ist dabei vorrangig über Selbstdarstellung vermittelt, die von der Massenkommunikation bestätigt wird. Zudem unterstützen die Medien eine intime Sichtweise der Dinge, welche die eigene Person in den Mittelpunkt der Wahrnehmung stellt. Auf diese Weise entsteht eine Verbindung von unmittelbarem Erleben und Inszenierungen der Medien."186 Die Aneignung der von den Medien bereit gestellten symbolischen Objektivationen durch die Individuen verdrängt dabei die, welche ursprünglich der personalen Kommunikation und Interaktion entnommenen werden. Mediendarstellungen und -bezüge dominieren die Gestaltung von Alltag und Lebenswelt. Die Gestaltung erfolgt in kommunikativen Kontexten mehr und mehr als eine virtuelle Interaktion des Menschen mit seinem Umfeld, nicht in den Handlungskontexten konkret-realer Interaktion. 187 Ein Indiz für diese Entwicklung könnte der Boom digitaler Formen des Fantasy-Rollenspiels und anderer Spielgenres in den letzten Jahren sein, welche die ursprüngliche massive Ablehnung in der Szene inzwischen weitgehend überwunden haben.188 Dazu trägt erheblich auch die formale Geschlossenheit der medial vermittelten und initiierten Inszenierungen bei, die ästhetisch, funktional, pragmatisch überzeugend subjektive "Erklärungen und Darstellungsweisen"189 verdrängen, auch wenn letztere in den Inszenierungen weiterhin erkennbar bleiben. Die in den Mediendarstellungen vermittelten Skripts orientieren sic weitgehend noch an traditionellen fiktionalen, d.h. narrativen bzw. dramatischen Strukturen, etwa in antagonistischen und komplementären Charakter- und Rollenbeziehungen, in komplexen, aber in der Regel hierarchisch oder rollentypisch strukturierten Personenkonstellationen, in – oft Genre bedingten - Handlungsroutinen und in vielfältigen Formen der Zeitgestaltung wie Retrospektive, Antizipation, Montage, Retardation und Dynamisierung. Sie referieren dabei auf eine Literalität der Rezipienten, die ihrer intertextuellen Erfahrung entspringt. Allerdings zeigen die Skripts der Jugendkulturen auch typische Formen einer postmodernen jugendlichen Semantik, die auf aktiver Aneignung basiert. Moderne Medien erlauben ein 'Sampling' symbolischen Materials nach vorgegebenen interaktiven Prozeduren zu individuell gestalteten Ensembles und Arrangements.190 Wesentliche Form der Integration von symbolischem Material ist das Zitat.191 Das Zitieren von medial vermittelten, vorab optimierten (perfekter) Inszenierungen als alleinige Form und Möglichkeit der Gestaltung von Wirklichkeit reduziert quantitativ erheblich den Anteil der Eigengestaltung in diesem Handeln und damit auch die Problematik individueller Kompetenzpotentiale wie etwa in Bereichen der Kreativität (Fiktionalisierung) oder technischen Handhabe. Qualitativ wird in der Postmoderne das Zitieren selbst zum Ausweis individuellen Handelns. Werden Zitate zur fast gänzlich alleinigen Sprache der Individuen, wie gerade bei Jugendlichen, wird Gestaltung von Alltag und Lebenswelt zur selbstinitiierten, aber skriptmäßig verorteten Parataxe (Sampling) medial vermittelter symbolischer Objektivationen mit mythischer und fiktional-dramatisch 186 BACHMAIR 1993, 55 187 In einer Werbung für den "Nintendo Gamecube" findet diese Introversion Ausdruck in der Darstellung des Spielers als Fötus, APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.5-6 188 Besonders Online-Browser-Games mit ihren nach Tausenden zählenden Communities basieren allein auf digitaler Interaktion und Kommunikation und entwickeln virtuelle Sozialformen wie Players' Associations oder Clans, dagegen dominiert auf den Multi-User-Dungeons der LAN-Partys noch die Face-to-face-Kommunikation, s. Kap. 5.4 189 BACHMAIR 1993, 56 190 ROTHER macht dies deutlich am Beispiel der Transformation autoritativer Film- in partizipatorische DVD-Produktionen, ROTHER 2001, 29 191 Differenzierung von Hommage/ Zitat: In der Moderne dient die Hommage der verfremdenden und kritischen Überwindung struktureller Wirklichkeit, in der Postmoderne ist das Zitat konstitutives Element von inszenierter Wirklichkeit; 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 49 bzw. -narrativer Strukturierung in den jeweiligen Interaktionssituationen. Auf der Angebotsseite der Medien lässt sich dieser Prozess als rasante Zunahme von Veränderungen bezüglich der Einstellungsgrößen, Einstellungslängen, Perspektiven, Schnitt etc. beim Videoclip und Film und in der aktuellen Musikszene aufzeigen, wo insbesondere die Zeitstruktur zur Perpetuierung und Redundanz wie beim Serial oder in Rap und Techno tendiert. Zudem entwickeln sich interaktive Konstruktionen, deren Komplexität mit der zunehmenden Verfügungsgewalt des Rezipienten über das Material bzw. die Texte anwächst. Die Bandbreite reicht dabei etwa vom Zapping über die komplexe Menüsteuerung elektronischer Medien wie DVDs bis zu den speziellen Steuerungsgeräten bei PC- und Konsolen-Spielen. Im kompetenten (und von Erwachsenen kaum noch nachvollziehbaren) Umgang mit diesen Ressourcen über die jeweiligen Eingabegeräte (Fernbedienungen, Handy-Tastaturen, Joysticks etc.) verwirklichen sich Aspekte der Interaktiv ität.192 Daneben treten weitere durch Medien wie soziale Formationen vermittelte Skripts wie etwa der Körperinszenierung und –kultur oder von Gender-Rollen. VOGELGESANG verweist richtig auf eine auf einer Reihe von Kompetenzen beruhende Medienliteralität der Jugendlichen. Diese befähigt sie, im Rahmen der spezifischen jugendkulturellen sozialen Formation adäquat mit Medien und Genre umzugehen, dabei aber auch fremde Medien und Genre zu beobachten und gegebenenfalls zu integrieren, ihre Kompetenzen ständig weiter aus- und fortzubilden und insbesondere Rahmungskompetenzen zu entwickeln. Gleichzeitig dient diese Literalität den Jugendlichen zur Distinktion gegenüber anderen sozialen Formationen und der Welt der Erwachsenen.193 Alltagsästhetisierung Die gesellschaftlichen Anforderungen sind mit dem Auftrag an den einzelnen, sein Leben umfassend kompetent zu gestalten, im Vergleich zur Moderne gestiegen. Es reicht eben nicht mehr aus, sich in vorhandene Strukturen einer hochkomplexen Industriegesellschaft einzugliedern, sondern im Zuge der Individuation müssen diese Strukturen von Alltag und Lebenswelt vom Individuum selbst erst geschaffen werden.194 "Alltag ist die Art und Weise, wie die Menschen sich tagtäglich und direkt erfahrbar in ihrer Lebenswelt einrichten. Die Lebenswelt bauen sich die Menschen zunehmend mehr mittels industriell produzierter Medien und der ihnen entsprechenden subjektiven Erlebnisse und Handlungsweisen als soziale Interpretationswelt. Sinn und Handeln werden von der Organisation des Alltags strukturiert. So wird Alltag zur Erlebnisperspektive und zur Lebenswelt, und damit zur prägnanten und wesentlichen Wirklichkeit des heutigen Lebens. In unserer Gesellschaft haben die Menschen die Aufgabe, sich ihren Alltag als individuelle Lebenswelt in Abstimmung mit ihrer sozialen Umgebung, mit den für sie wichtigen Institutionen, mit ihrem jeweiligen Lebensplan und mit den allgemeinen Lebensformen und den symbolischen Formen aufzubauen. [...] Alltag als Ereignisse und Situationen, die Bedeutung des Alltags für die Menschen sowie die Strukturen des Alltags machen Kultur aus und werden von Kultur als dem allgemeinen Deutungs- und Handlungsrahmen integriert bzw. werden selber zum allgemeinen Deutungs- und Handlungsrahmen. Der Alltag des Menschen und die Massenkommunikation sind nun eine Einheit eingegangen, aus der sich ein spezieller kultureller Typ, die 'Medienkultur' herausbildet." 195 Das aktuelle Versagen traditioneller Sozialisationsinstitutionen bzw. -instanzen (wie etwa von Schule) hat hier seinen Ursprung, denn eine derartige, heteronom begründete und vermittelbare "Lebenskompetenz"196 existiert so nicht mehr. Ihre Desiderate können zwar noch vermittelt werden, erweisen sich aber der zentralen Anforderung gegenüber, eine eigene Lebenswelt aufzubauen, als nicht-praktikabel und ineffizient und verlieren damit zusammen mit den sie propagierenden Institutionen im eigentlichen Sinne ihre Legitimierung und Legitimität.197 192 Vgl. APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.5-5 193 VOGELGESANG 2000, 154: "Genrekompetenz ,...] mediale Koppelung [...] selbstsozialisatorisch-reflexive Medien- und Lernkarriere [.. ] spielerische Off- und Online-Wechsel [...] asymmetrische Wahrnehmungskulturen"; 194 Vgl. BECK 1983; 1986 195 BACHMAIR 1996, 23; zur Differenzierung von Alltag und Lebenswelt vgl. auch: GRATHOFF 1995, 92-103 196 BACHMAIR 2001, 237 197 Zur Legitimierung sozialer Codes vgl. BARTHES' Begriff der "Naturalisierung", BARTHES 1977, 45-46; vgl. dazu auch BOURDIEUs Begriff der "sozialen Disposition" im Habitus des Subjekts, DAUMER 2000; zur Krise einer auf Institutionen basierenden Sozialisierung s. ZULEHNER 1998, 17 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 50 Die traditionelle Konzeption von Lebenskompetenz in der Moderne wurde stark von industriellen Arbeitsprozessen und einem spezifischen individuellem Arbeitsethos dominiert, das sich im immer noch aktuellen Begriff der Leistungsgesellschaft und ihren Werten und Normen spiegelt. Das Individuum definierte sich in seiner Innen- wie Außenperspektive über seine Arbeit.198 Diesem individuellen Leistungsbereich entsprechen heute die individuellen Gestaltungsprozesse und ein spezifischer Kulturbegriff, der Lebenskompetenz zur Konstitutionskompetenz werden lässt. Eine derartige kompetente Nutzung all der kulturellen Interferenzphänomene bezeichnet man auch als "Alltagsästhetisierung"199. "Die Menschen müssen sich in der brüchig riskanten Welt der Industriegesellschaft, gerade auch deshalb, weil sie eine individuell verfügbare Konsumwelt ist, ihren Lebenssinn im Alltag erarbeiten. Es ist ein individueller Prozess, der natürlich ganz und gar nicht die Form von Arbeit hat. Es ist ein Prozess der individuellen Bedeutungskonstitution in einem komplex verflochtenen Medienfeld."200 Gerade an Kinder und Jugendliche werden heute die Erwartung und Anforderung gerichtet, diese Konstitutionskompetenz zu erwerben und anzuwenden. In der expliziten Formulierung dieser Erwartungen und Anforderungen allerdings erweisen sich die traditionellen Sozialisationsinstanzen einmal mehr ihre Untauglichkeit, denn sie haben kaum eine Vorstellung von den Prozessen, die sie initiieren wollen. Fast zwangsläufig fallen sie deshalb auf einen reduzierten, mechanistischen Kompetenzbegriff der Moderne zurück. Notwendig für das Überleben dieser Institutionen in der Gesellschaft wäre es aber, diese Konstitutionsarbeit ähnlich erfolgreich wie dies in der Konsumgesellschaft geschieht, zu transzendieren. Postmoderne Konstitutionsprozesse greifen auf medial aufbereitetes und vermitteltes symbolisches Material zurück, auf ein präkontextualisiertes Angebot ursprünglich dekontextualisierten symbolischen Materials, auf "Kulturinszenierungen"201. Die Medien entwickeln bei der Vermittlung dieses Angebots fortwährend neue Medienformaten und Medienangebote, deren komplexe Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements Präkontextualisierungen darstellen, die sich den traditionellen Bewertungskriterien der Erwachsenen normalerweise entziehen, von Kindern und Jugendlichen aber ohne weitere Probleme in ihre Alltagsästhetisierung integriert werden können. Diese Rekontextualisierung erfolgt nun bei Kindern und Jugendlichen in weitgehend individueller Deutung, da gesamtgesellschaftliche Diskurse über deren Integration in Alltag und Lebenswelt entweder fehlen oder es ihnen an Verbindlichkeit gebricht. "Der hinlänglich ausgewiesene Trend zur Separierung und Segregation von Gruppen als immer bedeutungsvoller werdende informelle Sozialisationsinstanzen setzt sich in den Medienspezialkulturen nicht nur fort, sondern findet dort eine stilgebundene Steigerung."202 Kompensatorisch entwickeln Kinder und Jugendliche statt dessen spezifische Diskurse der sozialen Verortung ihrer Alltagsästhetisierung, in die sie kreativ ihren Umgang mit den Angeboten einbringen.203 "[Die Kinder und Jugendlichen bauen sich] mit dem symbolischen, ästhetischen Material der Massenkommunikation ihre voneinander abgegrenzten Milieus und Szenen auf. Die Medien als abgegrenzte [und distinktive] Dinge und Ereignisse lösen sich in Life-Style -Konglomerate auf, welche die Menschen ständig neu in Prozessen individueller Bedeutungskonstitution arrangieren." 204 Allerdings tragen die Kinder und Jugendlichen der Medienkultur auch die Risiken des gesellschaftlichen Auftrags zur individuellen Gestaltung ihres Alltags und ihrer Lebenswelt. Die spielerische Leichtigkeit, mit der Kinder und Jugendliche den technischen Möglichkeiten mediatisierter Kommunikation begegnen, täuscht oft darüber hinweg, dass sie "[...] in einem Raum kommunikativer Risiken [...]"205 leben. Im Falle ihres Scheiterns finden sie kein soziales Netz mehr vor, das ihnen helfen könnte, ihre fragmentarische Identität zu kitten, 198 WEBER 1981 199 BACHMAIR, 2001, 237 200 BACHMAIR 1996, 13 201 BACHMAIR 2001, 237 202 VOGELGESANG 2000, 153 203 Diese Diskurse finden sich in den sozialen Figurationen der Kinder- und Jugendlichen wie Peer Groups, Szenen, Milieus in einer Vielzahl von Plattformen wie Jugendzeitschriften; TV-Formate, Soaps, Filme; Internet -Foren; Werbung; etc. 204 BACHMAIR 1996, 13 205 BAACKE 1997, 32 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 51 stattdessen erleben sie eine "Undichte lebensweltlicher Milieus"206. Nur allzu bereitwillig haben die bisherigen Institutionen wie Elternhaus, Schule und Kirche sich ihres genuinen Erziehungsauftrags unter dem Vorwand einer falsch verstandenen Modernisierung entledigt. Die Alltagästhetisierung von Kindern und Jugendlichen muss deshalb zum wesentlichen Gegenstand einer Reformulierung des pädagogischen Auftrags werden.207 Medienkultur Die Medien-Arrangements strukturieren die Wirklichkeitswahrnehmung, d.h. die Ästhetik der Individuen, und sind signifikante Indikatoren einer entstehenden Medienkultur. In dieser verändert sich die symbolische Interaktion zwischen Innen- und Außenwelt der Individuen durch Medienkommunikation, denn an der Schnittstelle von Innen- und Außenwelt konstituiert sich das Subjekt bzw. die Identität eines Individuums nunmehr dominant mittels der durch die Medien bereitgestellten symbolischen Objektivationen. Gleichzeitig wird die soziale Wirklichkeit der Menschen, der von ihnen gestaltete Alltag, über die Medienkommunikation zu einer Medienwelt, die den Individuen als Resultat ihres gestaltenden Handelns wirklicher scheint als die Realität.208 Erkennbar wird ein Trend, bei dem das von den Medien bereitgestellte Material symbolischer Objektivationen das Material der Wahrnehmung, Erfahrung und der Objektwelt entnommene mehr und mehr zurück drängt und substituiert. Ursache ist der Individualisierungsprozess, der die Sinnperspektive notwendigerweise auf die Konstitution von Alltag selbst-referentiell im Erlebnis reduziert.209 Medienkommunikation unterstützt diese Egozentrik, indem sie die Entäußerungen der Individuen symbolisch objektiviert und damit das der Interaktion zu Verfügung stehende Symbolmaterial egozentrisch strukturiert. "Medien werden zum neuen Typ sozialer Wirklichkeit, die nicht mehr auf der Erfahrbarkeit von Ereignissen und Sachverhalten aufbaut."210 Gleichzeitig substituiert zunehmend eine von Medienkommunikation her strukturierte soziale Interaktion in den spezifischen sozialen Formationen, gerade auch bei Jugendlichen etwa die Peer Groups mit genuinen, von Medien mitgenerierten Interpretationsmustern als symbolischen Objektivationen, die traditionelle soziale Interaktion. Interaktion und Kommunikation lösen sich vom klassischen Handlungskontext zugunsten eines Medienkontextes. "Gruppen repräsentieren somit einerseits Identitätsmärkte, wo Jugendliche frei vorn Routine- und Anforderungscharakter ihrer sonstigen Rollenverpflichtungen Selbstdarstellungsstrategien erproben und einüben, sich gleichsam im Gruppen-Spiel und Gruppen-Spiegel ihrer personalen wie sozialen Identität vergewissern können. Andererseits sind aber auch Kompetenzmärkte, auf denen eine spezifische Sozialisierung und Formierung des Mediengebrauchs stattfindet."211 Die evidente und ubiquitäre Perfektion der Medienkommunikation infolge ihrer technologischen und industriellen Logik und Produkte unterstützt diese Entwicklungen, indem sie die individuelle Interpretation und Verwendung symbolischer Interaktionselemente der Bedeutungskonstitution mehr und mehr auf das Sampling abgegrenzter Textelemente zu minimalisieren scheint, denn dahinter steht eine ausgeprägtes "medienkulturelles Kapital" an "Aneignungs- und Gebrauchsmustern", das sich in der Semiotik eben dieser Leistungsgesellschaft artikuliert.212 "Gerade die Zeitverdichtung, die die Vielzahl der Medien, Kanäle und szenischen Aktionsräume nach sich zieht, unterstützt eine Handlungsdramaturgie sich überlagernder Hektik." 213 206 BAACKE 1997, 30 207 Vgl. Kap 6.2 208 Vgl. BACHMAIR 1996, 36 209 SCHULZE 1999, 67-71 210 BACHMAIR 1996, 37 211 VOGELGESANG 2000, 153 212 VOGELGESANG 2000, 154 213 BACHMAIR 1996, 37 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 52 Schulze beschreibt als Folge dieser Prozesse die Genese sozial offener Milieus auf der Basis der nun individuellen Medien- anstatt gesellschaftlichen Alltagswelten, welche die traditionelle horizontale Gliederung der Gesellschaft214 in vertikale Segmente transformieren215: "In den Prozessen der Bedeutungskonstitution schaffen sich die Rezipienten individuelle Medien- Arrangements, die mittels alltagsästhetischen Symbolmaterials die Verbindung zu offenen sozialen Szenen ermöglichen."216 Medien fungieren damit ähnlich wie andere von der industriellen Produktions- und Konsumptionslogik strukturierte Phänomene wie etwa Waren und Dienstleistungen, die ebenfalls alltagsästhetische Material für die Konstitutionsprozesse der Individuen für die Bereiche Bedeutungszuweisung, Subjektfindung, Alltags- und Lebensweltgestaltung bereitstellen. Damit wird erklärbar, wie es in einer Medien-Kultur und den Medien- Arrangements der Individuen zwangsläufig zum Medien-Mix kommen muss. Resümee Das Modell der Bedeutungs- und Subjektkonstitution stellt die gestaltende Leistung des Jugendlichen bei der Konstitution von Alltag und Lebenswelt innerhalb einer mediatisierten Gesellschaft in den Mittelpunkt und ist von daher besonders geeignet, das Verhalten von Jugendlichen in Kulturen wie z.B. der Fantasy-Rollenspiel- Szene zu beschreiben. Neben den traditionellen Institutionen transportieren heute in der Hauptsache Medien die dominanten sozialen Codes und Mythen der Gesellschaft. Auch die Jugendlichen interpretieren die Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt, indem sie sich an medial vermittelten Symbolen und Erlebnissen orientieren und dieses Material zu einem sinnvollen Handeln und zu ihrer Interaktion verwenden. Sie können dabei auf ein spezifisches Angebot zurückgreifen, mit dem sie sich, ihrem Handeln wie ihrer Umwelt Bedeutung zuweisen. Aus der reflexiven Wahrnehmung der Konsistenz dieser Prozesse entwickeln die Jugendlichen ihre Identität. Medienkommunikation ist weitgehend marktwirtschaftliche organisiert. Nach der Semiotik des Marktes besteht die Nutzung des symbolischen Materials im Konsum. Dabei wird der Akt von Aneignung und Nutzung selbst zum Ausweis individuellen Handelns und in seiner Perpetuierung zur identitätsstiftenden Vergewisserung von Selbstkonsistenz. Die Jugendlichen folgen bei diesen Prozessen einer innenorientierten Erlebnisrationalität, die sich in den in der Aneignung mitvermittelten jugendkulturell spezifischen Skripts konkretisiert und ihnen hilft, dem gesellschaftlichen Auftrag, ihr Leben umfassend kompetent zu gestalten und im Zuge der Individuation diese Lebensstrukturen zu schaffen, nachzukommen. Dies gelingt ihnen mittels individuell gestalteter Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements, mit denen sie ihren Alltag gelingend gestalten. Es ergibt sich damit das Bild des Jugendlichen als individuell handelndes und gestaltendes Subjekt, das sich aktiv mit seiner Umwelt auseinandersetzt und in ihr Bereiche eigener Gestaltungsmöglichkeiten erschließt. Eingebettet in die sozialen Interdependenzen des Individuums dienen diese Arrangements zugleich auch Prozessen der Integration und Distinktion. Als symbolische Objektivationen werden sie Teil der Archive, derer sich die Jugendlichen bei der Aneignung symbolischen Materials bedienen. Die Konsistenzerfahrung basiert damit entscheidend auch auf der affirmativen Koinzidenz von individueller Gestaltung und relevanten bzw. dominanten Code. Dessen Autorität liegt in seiner Evidenz begründet, welche das individuelle gestaltende Handeln subsumiert, und zugleich transzendiert. 2.2.3 Jugendliche Selbst-Sozialisation als "Produktive Realitätsverarbeitung"217 Aneignung und Entäußerung, die Interaktion des Individuums mit der Welt, sind letztlich selbst Objekte in dieser Welt. Ihre permanente Wiederholung erweist sich Lernprozess, in dem der Mensch den Bereich seiner Autonomie-Erfahrung in der Welt zu vergrößern sucht. Während historisch, soziologisch und biologisch zunächst diese Interaktion weitgehend heteronom bestimmt ist, emanzipiert sich das Individuum in der permanenten Wiederholung dieses Lernprozesses so weit, dass es ihn selbst zum Gegenstand seiner Bemühungen um Autonomie macht. 214 SCHELSKYs Theorem der Nivellierten Mittelstandsgesellschaft, SCHELSKY 1953, BOLTE 1984 215 NOWAK/ BECKER 1985; GLUCHOWSKI 1987; vgl. SCHULZE 1996, 335-393 216 BACHMAIR 1996, 37 217 HURRELMANN 2001, 63-64 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 53 Obwohl schon Kleinkind und Kind mit der aktiven Erschließung seiner Umwelt aneignend handeln und damit erste Erfahrungen von Autonomie gewinnen, werden sie noch weitgehend durch Autoritäten und Institutionen beeinflusst. Erst mit dem Übergang von Kind zu Jugendlichen kommt es eigentlichen Emanzipationsprozessen. Sie gehen einher mit einem sprunghaften Zuwachs an Gestaltungskompetenzen und –potentialen. Pubertät und Adoleszenz sind die entscheidenden Abschnitte in einer Entwicklung, in welcher sich die Identität des Individuums konstituiert. 218 "Den neueren theoretischen Ansätzen der Persönlichkeitsentwicklung liegt die Annahme zugrunde, dass gesellschaftliche (Umwelt-)Faktoren und psychische (Person-)Faktoren gemeinsam die Persönlichkeitsbildung beeinflussen. Die Beziehungen zwischen Person und Umwelt werden als komplexe Wechselwirkungsbeziehungen gesehen. Vorstellungen der gesellschaftlichen Determination der Persönlichkeitsentwicklung sind damit ebenso überwunden wie solche der naturgesetzlich bestimmten organischen und psychischen Reifung. Statt dessen werden Kinder, Jugendliche und Erwachsene als produktive Verarbeiter der äußeren und der inneren Realität und als Gestalter ihrer Beziehungen zur sozialen und dinglichen Umwelt verstanden. Die Konzepte der Bildung und Entwicklung werden auf die gesamte Lebensspanne angewandt und stehen für den lebenslang anhaltenden Prozess der Auseinandersetzung eines Menschen mit seinen Lebensbedingungen und mit seiner eigenen Person."219 Eine derartige Beschreibung der Phänomene rekurriert dabei einerseits offensichtlich auf die Erkenntnisse der Systemtheorie, wonach dieser Prozess an den Grenzen des Individuums nach innen (und damit seiner Psyche) wie nach außen (Gesellschaft) geschieht220, andererseits aber auch auf den symbolischen Interaktionismus 221, wonach diese Prozesse als individuelle Aneignung und Entäußerung symbolischer Objektivationen verlaufen. 222 Gesellschaft als wesentlicher Teil der Außenwelt repräsentiert sich in den sozialen und materiellen Lebensbedingungen, in Sozial- und Wertstrukturen, die innere Realität als komplexe Vielfalt biologischer, physischer und psychischer Faktoren. "Persönlichkeit" manifestiert sich schließlich als Bündelung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, die das Individuum während dieser Austauschprozesse entwickelt: "[...] die Persönlichkeit oder Persönlichkeitsentwicklung, verstanden als die individuelle, durch Interaktion und Kommunikation mit Dingen wie mit Menschen erworbene Organisation von Merkmalen, Eigenschaften, Einstellungen, Handlungskompetenzen und Selbstwahrnehmungen eines Menschen auf der Basis der natürlichen Anlagen und als Ergebnis der Bewältigung von Entwicklungs- und Lebensaufgaben zu jedem Zeitpunkt der Lebensgeschichte."223 Dieser Begriff von Persönlichkeit lässt sich seiner Beschreibung nach in die bisher herangezogenen Konzeptionen von Subjektkonstitution und Identitätsbildung unschwer integrieren. Von Bedeutung für eine angemessene Analyse und Beschreibung postmoderner Identitätsbildung ist die Akzentuierung der Leistungen des Individuums ("individuelle [...] Organisation"224). Diese Leistungen werden handhabbar als Kompetenzen beschrieben. Mit dem Bezug zu Objekten zeigt dieser Ansatz auch eine Öffnung für die Bedeutung von Texten und Medien und deren Archive. Auch dem neueren sozialhistorischen Modell einer Gesellschaft, die wesentliche Aufgaben an ihre Mitglieder delegiert, wird Rechnung getragen. Und schließlich wird ein biographisches Konzept von Persönlichkeitsbildung berücksichtigt. Andererseits zeigt der Begriff auch Interdependenzen zu traditionellen Sozialisationstheorien mit dem Vorteil, dass er den soziologischen Fokus auf Kindheit und Jugend wahrt, welcher der (Medien-) Pädagogik abhanden zu kommen droht.225 218 Vgl. die Darstellung kognitiver Entwicklung und Geschlechtsidentität bei PIAGET, TILLMANN 1994, 85-88, 91-94; auch das Modell der Entwicklung eines moralischen Bewusstseins nach KOHLBERG, TILLMANN 1994, 222-229; besondere Bedeutung gewinnt in diesem Zusammenhang der aktuelle Prozess einer "Entgrenzung von Kindheit", HENGST 2003; BACHMAIR 2001, 235 219 HURRELMANN 2001, 9-10; mit der Aufnahme systemtheoretischer wie interaktionistischer Positionen gelingt HURRELMANN eine den aktuellen Entwicklungen angemessene Beschreibung von Kindheit und Jugend als selbstbestimmter Sozialisationsprozess. Damit verbunden ist eine neue Bewertung der individuellen Entwicklung des Jugendlichen vor dem Hintergrund sich wandelnder gesamtgesellschaftlicher wie schichtenspezifischer Strukturen. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses steht jetzt weniger die Herausbildung einer Rollenidentität als vielmehr der als individuelle Ästhetisierung gedeutete Prozess einer Persönlichkeitsentstehung und Persönlichkeitsentwicklung; 220 Vgl. dazu: Konzept der "Interpenetration" autopoietischer Systeme nach LUHMANN, Konzept der "strukturellen Koppelung" nach MATURANA; SCHMIDT 1996, 5-10 221 O'SULLIVAN et al. 1994, 313-314 222 CHARLTON/ BACHMAIR 1990 223 HURRELMANN 2001, 71 224 HURRELMANN 2001, 71 225 Vgl. dazu: von KÜBLER am Begriff einer "Sozialisation in eigener Regie" in einer mediatisierten bzw. individuadisierten Gesellschaft, KÜBLER 1997, aber auch die Forderung von HENGST, Medienpädagogik verstärkt in der Sozialisationsforschung und –theorie zu integrieren, HENGST 2003-06-20 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 54 Persönlichkeitsentwicklung Persönlichkeit ist das Resultat eines Prozesses der Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Umwelt. Ihre Entstehung und Entwicklung basiert auf den Interdependenzen zwischen dem Individuum, seiner objektiven Wirklichkeit und der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit. Dieser Prozess führt zu einer dynamisch-diskursiven Integration des Individuums als Persönlichkeit in den sozial-vermittelten wie objektiven Kontext seiner Existenz. Diese Integration konkretisiert sich seiner Biographie. "Sozialisation bezeichnet den Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten und dinglich-materiellen Umwelt." 226 HURRELMANN integriert einerseits den innovativen Konstitutionsansatz von BERGER/ LUCKMANN in seinem Sozialisationsbegriff zu integrieren ("gesellschaftlich vermittelte [...] Umwelt"), rekurriert andererseits aber weiter auf objektive Sozialisationsfaktoren ("dinglich-materiell[e] Umwelt"); BERGER/ LUCKMANN argumentieren dagegen (mit bewusster Ausklammerung der ontologischen Dimension) auf einer phänomenologischen Ebene, die allein zwischen einer individuell bewussten und einer Wirklichkeit der Alltagswelt unterscheidet.227 HURRELMANNs Persönlichkeitskonzept ist damit nicht strikt systemisch oder konstruktivistisch, sondern eher phänomenologisch, d.h. das Individuum ist in der Lage, Außenwelt als solche ("dinglich-materiell") wahrzunehmen bzw. zu verstehen, andererseits wird die evidente Beeinflussung des Individuums in seiner Persönlichkeitsentwicklung durch soziale Faktoren nicht vernachlässigt. Analyse-Ebenen wie –Begriffe bilden dabei ein Modellkontinuum, das von der Interdependenz ("Wechselwirkung") der beobachteten und beschriebenen Phänomene ausgeht. Äußere und innere Realität als Interdependenzphänomen Die Persönlichkeitsentwicklung lässt sich nun einerseits beschreiben als ein Prozess, der über das Individuum auf die Gesellschaft und ihr Realitätskonstrukt hinausgreift. Die Beschreibung und Analyse dieses Prozesses der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit folgt den epistemologischen Kriterien der Soziologie.228 Andererseits aber ist Persönlichkeitsentwicklung auch ein Prozess, in dem Kontextuelles über das Individuum auf seine Psyche und Physis einwirkt. Dessen Beschreibung erfolgt mittels der theoretischen Konstruktionen der Individual- und Entwicklungspsychologie.229 "Berührungspunkte zwischen verschiedenen theoretischen Konstruktionen im Bereich von Entwicklungspsychologie und Sozialisationsforschung lassen sich besonders gut auf den Punkt bringen, wenn man zwei große Analyseeinheiten voneinander unterscheidet. Zum einen die Analyseeinheit Gesellschaft, repräsentiert durch Sozial- und Wertstruktur und soziale und materielle Lebensbedingungen, hier vereinfacht auch als 'äußere Realität' bezeichnet. [...] Zum anderen die Analyseeinheit menschlicher Organismus, analog auch als 'innere Realität' bezeichnet. Im Zentrum jeder der beiden Analyseeinheiten steht die Persönlichkeit oder Persönlichkeitsentwicklung, verstanden als die individuelle, durch Interaktion und Kommunikation mit Dingen wie mit Menschen erworbene Organisation von Merkmalen, Eigenschaften, Einstellungen, Handlungskompetenzen und Selbstwahrnehmungen eines Menschen auf der Basis der natürlichen Anlagen und als Ergebnis der Bewältigung von Entwicklungs- und Lebensaufgaben zu jedem Zeitpunkt der Lebensgeschichte."230 Die Interdependenz der beiden Dimensionen beruht systemisch auf dem Phänomen der strukturellen Koppelung231 bzw. Interpenetration232, demnach die operationelle (autopoietische) Geschlossenheit von Systemen an ihren (gegenseitigen) Grenzen überwunden wird. 226 HURRELMANN 2001, 70 227 BERGER/ LUCKMANN 2001, 23-31 228 HURRELMANN 2001, 70: "äußere Realität"; 229 HURRELMANN 2001, 71: "innere Realität"; 230 HURRELMANN 2001, 71 231 MATURANA 1987; SCHMIDT 1996, 6 232 LUHMANN 1984, 290-291 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 55 Der Begriff einer inneren und äußeren Realität stellt eine Kompilation verschiedener Modelle von Wirklichkeit dar: zum einen der konstruktivistischer Systemtheorie mit ihrem Koppelungstheorem, zum anderen der Wissenssoziologie mit ihren Theorem einer konstruktiven und konstitutiven Aneignung, Entäußerung und Objektivierung. Wirklichkeit stellt sich außerdem dar als ontogenetisches Phänomen eines gesamtgesellschaftlichen Diskurses wie als philogenetisches Phänomen einer individualpsychologischen Persönlichkeit 233. Die Interdependenz der dinglich-materiellen und sozial-vermittelten Welt ähnelt weiter einem (vereinfachten) Basis-Überbau-Modell. Subjektmodell Die Entwicklung der Persönlichkeit bedeutet demnach im weitesten Sinne eine Interaktion und Kommunikation des Individuums mit seiner Umwelt. Diese Umwelt erscheint einerseits pragmatisch als Innenwelt der Psyche, andererseits als Außenwelt von Objekten und Menschen. Dabei erwirbt das Individuum Fähigkeiten, sich und seine Umwelt wie auch die Interdependenz zwischen diesen Entitäten zu strukturieren ("Organisation").234 Diese Strukturierung ermöglicht dem Individuum zugleich auch eine selbstreferentielle Differenzierung und Ausbildung von Identität.235 Agens dieses Prozesses sind auf Seiten des Individuums sein Bedürfnis, sich seiner Identität in der Iteration eines distinktiv- wie integrativ-orientierten Aneignungs- und Entäußerungshandeln zu versichern.236 Der gesellschaftliche wie historische Prozess der Sedimentierung dieser individuellen Akte in symbolischen Objektivationen führt andererseits von Seiten des sozialen Kontextes auch zu alters-, entwicklungs- und kontextspezifischen Erwartungen, die sich in heteronomen, dann internalisiert als autonom empfundenen An- und Aufforderungen konkretisieren: Persönlichkeitsentwicklung wird zur Lebensaufgabe des Individuums. Die lebenslange Interaktion des Individuums mit seinem sozialen Kontext auf dem Weg zu seiner Identität manifestiert sich in seiner Biographie als Ausweis einer permanenten "produktiven Realitätsverarbeitung"237. Äußere Realität Die klassische Sozialisation (als Teil dieser Persönlichkeitsentwicklung) findet gerade in der Interaktion des Individuums mit der "äußeren Realität" statt. Hier wirken gesellschaftliche Überbauphänomene – konkretisiert in ausdifferenzierten Subsystemen und ihren Instanzen und Institutionen wie etwa Familie, Erziehungseinrichtungen, Kleingruppen in fast ausschließlich heteronomer Weise auf das Individuum ein. Diese Institutionen fungieren als Agenturen238 hochkomplexer und sich der rationalen Durchdringung des einzelnen weitgehend entziehender sozialer Te ilsysteme. In wissenssoziologischer Perspektive repräsentieren diese Agenturen als Sedimentierungen einen wesentlichen Teil des gesellschaftlichen Konstrukts von Wirklichkeit und nehmen massiven Einfluss auf die Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt, entweder durch die direkte Vermittlung von Bedeutungszuweisungen in der Realitätswahrnehmung des Individuums oder weniger auffällig durch eine Steuerung der Subjektkonstitution mittels der von Ihnen bereit gestellten Archive und Bibliotheken symbolischer Objektivationen. "Um eine Analyse der Beziehung zwischen Persönlichkeitsentwicklung und äußerer Realität vorzunehmen, ist eine systematische Untersuchung der Beschaffenheit der sozialen und materiellen Lebensbedingungen notwendig. [...] Erziehungseinrichtungen, Familien und Kleingruppen fungieren als direkte Vermittler und Erschließer der äußeren Realität, stehen aber dabei in Beziehung zu den übrigen gesellschaftlichen Teilsystemen, die ihre Entfaltungs- und Aktionsmöglichkeiten stark beeinflussen."239 233 Zu HURRELMANNs Konzeption einer "inneren" und "äußeren Realität" vgl. auch FREUDs Auffassung, die Relation Umwelt – Ich stelle einen eigentlich intrapsychischen Antagonismus dar zwischen den biologischen, d.h. körperlichen-emotionalen essentiellen Strukturen wie etwa amorpher Libido-Impulse einerseits und den internalisierten sozialen, d.h. rational-emotionalen Strukturen wie das zensurierendes Über-Ich andererseits, vgl. TRIMMEL 2000 234 HURRELMANN verwendet den offenen Begriff der "Organisation", der mit seiner autonomen Komponente auf Einflüsse der Systemtheorie verweist, s. HURRELMANN 2001, 71; vgl. dazu MATURANAs Konzept der Autopoiesis; vgl. dazu aber auch die stabilisierende Funktion sog. "Weltdinge" für die Identitätskonstitution bei ARENDT 1981, 125 235 HURRELMANN beschreibt einen Prozess zunehmender Komplexität und Selbstreferentialität: "Merkmale, Eigenschaften, Einstellungen, Handlungskompetenzen und Selbstwahrnehmungen", HURRELMANN 2001, 71 236 Bei HURRELMANN weniger komplex als "natürliche Anlagen" bezeichnet, HURRELMANN 2001, 71 237 HURRELMANN 2001, 77 238 HABERMAS 1992, 444 239 HURRELMANN 2001, 73-74 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 56 Neben die makroökonomischen und –sozialen Systeme treten z.B. im Bereich der Erziehung und Pädagogik mehr oder minder mikroökonomische und -soziale Subsysteme wie etwa das Schulsystem und weiter ausdifferenziert soziale Kleinformationen wie Gruppe und Familie . Die Interdependenzen der Makro- wie Mikrosysteme mit einer historischen Dynamik lassen sich beispielhaft aufzeigen am Phänomen bürgerlicher Erziehung. Die Entstehung und Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft als Folge des Übergangs von grundherrschaftlichen (feudaler) zu kapitalistischen Wertschöpfungs-prozessen führt über die Emanzipation der bürgerlichen Familie zu einem spezifischen Ausdifferenzierungsprozess des Bereichs der Erziehung, der einerseits wesentliche Aufgabe der bürgerlichen Klein-Familie wird, andererseits in einem erheblichem Umfang mit der sog. schulischen Bildung an staatliche Institutionen delegiert wird und zu einem bedeutendem Teilsystem generiert.240 Die Dynamik der makroökonomischen und –sozialen Strukturen führt allerdings dazu, dass sich neue Phänomene beobachten lassen, die diese bis heute ungebrochenen Tendenz begleiten und sie künftig eventuell obsolet werden lassen wie etwa die mit der Verbreitung der Massenmedien einhergehende individualisierende Streuung von Sozialisation in der Gesellschaft. Soziale Interaktion Das traditionelle Konzept einer weitgehend heteronom bestimmten Sozialisation wird allerdings durch eine Neubewertung der sozialen Interaktion des Individuums in einem Aneignungs- und Verarbeitungsprozess modifiziert und dem Individuationstheorem der Postmoderne angepasst. Das Individuum erscheint nicht mehr primär als Objekt sozialer Institutionen, sondern als handelndes Subjekt. Gleichzeitig erlaubt diese Modifikation auch die Einbeziehung aktueller gesellschaftlicher Prozesse wie die fortschreitende Auflösung einer nivellierten Mittelstandsgesellschaft der Moderne in die sich in Milieus ausdifferenzierende Risiko- bzw. Erlebnisgesellschaft der Postmoderne.241 "Unter jeweils sich historisch verändernden Bedingungen vollzieht sich der menschliche Aneignungsprozess der äußeren Realität maßgeblich in der unmittelbaren sozialen Interaktion. [...] In der Form und Ausprägung der Aneignung und Verarbeitung drücken sich gruppenspezifische Arten der Auseinandersetzung mit der äußeren Realität und zugleich die zurückliegende Geschichte dieser Auseinandersetzung aus."242 Eine besondere Bedeutung kommt damit der direkten Interaktion des Individuums mit sog. sozialisationsrelevanten Subsystemen wie etwa Familie, Peer Groups, Szenen und Milieus wie anderen institutionalisierte sozialen Formationen zu, die als Mediatoren ("Medien"243) bei der Vermittlung der in den gesellschaftlichen Archiven gelagerten symbolischen Objektivationen fungieren. Diese stellen Resultate gerade dieser Aneignungs- und Entäußerungsprozesse und bilden in ihren institutionalisierten Formen die genuinen Eigenschaften wie Historie dieser Subsysteme mit ab. Das konstitutive Handeln des Individuums ist also nur zu einem geringeren Teil der eigenständige Zugriff auf diese Archive, zum Großteil dagegen ein Aneignungs- und Entäußerungsprozess innerhalb sozialer Interaktion in Subsystemen der Gesellschaft.244 In der Postmoderne erhalten dabei die Massenmedien eine wesentliche Funktion, über die das Individuum direkt und weitgehend unter Ausschaltung der klassischen Sozialisationsinstanzen Zugang zu den Medienarchiven erhält und damit seine Interaktion über die Mediennutzung grundsätzlich als individuelles Handelns organisieren und wahrnehmen kann. Mit der Rolle der Massenmedien als zentrale Mediatoren gelingt HURRELMANN zwar der Einbezug eines wesentlichen zeitgenössischen Phänomens, von ihm nicht thematisiert wird als interaktive und der ökonomischen Logik kohärente Nutzungsform dagegen der Konsum.245 240 HENTIG 1988 241 NOWAK/ BECKER/ GLUCHOWSKI 1987 242 HURRELMANN 2001, 74-75 243 HURRELMANN 2001, 74-75 244 Vgl. dazu die Funktion Sozialer Codes und von Mythen beim Encoding/ Decoding bei BARTHES, CHANDLER 2002, 144-145; O'SULLIVAN 1994, 192 245 s. Kap. 4 Fantasy-Rollenspiele – das Angebot; 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 57 Handeln Soziale Interaktion geschieht als Handeln und setzt Handlungskompetenzen voraus.246 HURRELMANNs Handlungsbegriff stellt eine besondere Form von Verhalten dar247: "[ein] (zumindest teilweise) bewusstes, auf ein Ziel gerichtetes, geplantes und beabsichtigtes Verhalten"248. Eine modale Konkretisierung dieses Handlungsbegriffs ergibt sich in seiner Beschreibung als "interaktives und kommunikatives Handeln "249. Dieses Handeln lässt sich weiter diskursiv ausdifferenzieren in eine Abfolge von Handlungsschritten. Als notwendige Kompetenzen zeigen sich einerseits handlungsstrukturierende Fähigkeiten wie eine reflexive Intentionalität, Orientierung, Antizipation, Entwicklung von Alternativen, Präferierung und Selektion wie heuristisches Denken, andererseits handlungspragmatische Fähigkeiten wie Enkodierung und Dekodierung. "Die Kompetenz zum Handeln und insbesondere auch zum interaktiven und kommunikativen Handeln ist Voraussetzung dafür, dass sich ein Mensch mit den Erfordernissen und Anforderungen der Umwelt arrangieren und dabei die eigenen Motive, Bedürfnisse und Interessen berücksichtigen und einbringen kann."250 HURRELMANN unterscheidet dabei zwischen Codes und Informationen ("Sinngehalt") 251, die Kommunikation von Interaktion definieren sollen, doch jede Interaktion ist an Zeichen- und Symbolsysteme gebunden wie auf Informationsvermittlung angelegt, wenn sie denn als solche überhaupt erkennbar sein soll. Auf entwicklungspsychologische Modelle wie etwa bei PIAGET oder ERIKSON verweist HURRELMANNs Konzept, das sich mit den die Persönlichkeitsbildung erweiternden Handlungskompetenzen beschäftigt. Ebenfalls individualpsychologisch angelegt ist die Konstruktion eines permanenten Antagonismus zwischen innerer und äußerer Realität, wobei dem Individuum die Aufgabe zukommt, diese Interdependenz zu moderieren. Eine ähnliche Konzeption kennt die Psychoanalyse, wo das Ich als Moderator fungiert für die Reaktionen von Über-Ich (internalisierte Sedimentierung von Kontexten) und Es (libidinöse Anlage) auf Umweltreize. "Im Verlauf der Persönlichkeitsbildung kommt es zum Aufbau von Handlungskompetenzen für die Auseinandersetzung mit der äußeren und der inneren Realität, wobei ein Spannungsverhältnis zwischen beiden Bereichen dauerhaft bestehen bleibt."252 Selbstregulation Der Prozess der Persönlichkeitsbildung hat auch eine ontologische Dimension und kann zumindest teilweise253 in seiner phylogenetisch-anthropologischen (Entwicklungsphysiologie, -psychologie) wie sozialen Determinierung (Rollentheorie) mit dem aktiv gestaltenden Individuum hinterfragt werden. Die biographische Dimension dieses Prozesses ist mit ERIKSONs Konzept der Persönlichkeitsbildung als einer lebenslangen Aufgabe schon inkludiert.254 HURRELMANN beschreibt die "[...] spezifische Organisation von Handlungen im Entwicklungsprozess" als einen "Prozess der Selbstregulation durch Rückkopplung"255. Das Handeln des Jugendlichen beruht demnach auf Orientierungen, die er der inneren und äußeren Realität im Zuge der Aneignungs- und Entäußerungsprozesse (anthropologische, ontologische und soziologische Kontexte) entnimmt. Die Handlungskonzeption wird damit 246 Vgl. dazu auch: HABERMAS' Begriff der Handlungskompetenz in der Darstellung bei TILLMANN 1994, 140 247 Weitere Formen sind reaktives, unterbewusstes und affektives Verhalten; 248 HURRELMANN 2001, 75; Hervorhebung Vf.; 249 HURRELMANN 2001, 76; Hervorhebung Vf.; 250 HURRELMANN 2001, 77 251 HURRELMANN 2001, 76 252 HURRELMANN 2001, 76, 76-77 253 In Anlehnung an SILBEREISEN setzt HURRELMANN Freiheitsräume als Grundbedingung für Bedeutungs- und Subjektkonstitution voraus, die in bestimmten soziokulturellen Kontexten so nicht gegeben sein müssen. Gleichzeitig wird mit SILBEREISEN deutlich, dass jugendliche Bedeutungs- und Subjektkonstitution in der Multioptionalität auch Risiken beinhaltet (BECK 1993). Und schließlich beruht sie auf einer ambivalenten Mischung von rationalen und emotionalen Impulsen (SCHULZE 1996), s. SILBEREISEN 1986 254 TILLMANN 1994, 204-214 255 HURRELMANN 2001, 77 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 58 um das gesamte Spektrum menschlicher Kontextualität erweitert, d.h. Handeln gilt nicht allein kognitiv-reflexiv kontrolliert, sondern auch und gleichermaßen bedeutsam durch Kontextfaktoren vielfältiger Provenienz, durch das Unterbewusstsein und durch Affekte beeinflusst. Hier sind die Quellen von Erwartungen, die auf der kognitiv-reflexiven Ebene als handlungsleitende Themen formuliert werden und mittels adäquater Handlungen realisiert werden sollen. Als problematisch erweist sich dabei das Lag zwischen Handlungsimpuls und Handlungsfeedback sowie komplexe kontextuelle Einflüsse der äußeren wie inneren Realität, die eine permanente Feinsteuerung und schließlich auch eine stete Modifikation der ursprünglichen Erwartungen notwendig machen. "In allen Kontexten dieser Art laufen Sozialisationsprozesse immer nach einem ähnlichen Muster ab: Die interpersonale Interaktion erfordert Prozesse, welche die Aufmerksamkeit formieren. Diese Prozesse bewirken zugleich eine Stabilisierung und einen Wandel des Systems durch Formung der Person unter Konstanthaltung ihrer Ziele." 256 Diese Selbstregulationsmechanismen basieren notwendigerweise auf zeitlicher Entwicklung und Strukturierung (Lags). Ihr Prozesscharakter mit seinen Kausal-, Konditional-, Finalnexus verlangt zwingend eine Differenzierung der Zielbeschreibung in Haupt- und Unterziele zur Organisation der notwendigen Arbeitsschritte. Die systemimmanente Unschärfe der Rückkopplung infolge der faktischen Inhomogenität von Impuls und Reaktion führt zu einer rasch wachsenden Komplexität der Organisation und Strukturierung und erzwingt Selektion, Präferierung, aber auch Vernachlässigung und Verzicht. HURRELMANN sieht nun bei diesen Prozessen eine zeitliche, d.h. biographische, und qualitative, d.h. entwicklungsphysiologisch-psychologische, Strukturierung. Aus der biographischen Struktur dieses Prozesses folgert er die Notwendigkeit ausreichend langer Sequenzen, in denen die Handlungsprozesse des Individuums im Zuge der Persönlichkeitsentwicklung sich selbstregulierend stabilisieren. Die dabei entwickelten Handlungskompetenzen ermöglichen es dem Kind und Jugendlichen, auf folgende und veränderte Orientierungen, die seinen Kontexten entstammen, angemessen zu reagieren. "Mit voranschreitender Persönlichkeitsentwicklung im Kindes- und Jugendalter wird die Aneignungs- und Verarbeitungsfähigkeit eines Menschen normalerweise immer weiter gesteigert, so dass es zu einem wachsenden individuellen Verständnis der äußeren Realität, einer komplexeren gedanklichen Rekonstruktion situativer Begebenheiten und einer effektiveren Verarbeitung von Wahrnehmungen und Interpretationen kommt." 257 Der Kindheits- und Jugendphase kommt bei diesem lebenslangen Prozess allerdings besondere Bedeutung zu, werden doch in diesen Lebensaltern die substantiellen Interaktionskompetenzen und die Grundlagen einer reflexiven wie selbstreferentiellen Eigenwahrnehmung von Entwicklung und Persönlichkeit gelegt. Die Sedimentierung und Internalisierung der bei diesem Prozess gewonnenen Handlungskompetenzen bildet die Basis für die Ausbildung einer Identität. Identität Identität ist demnach mehr als nur die individuelle Beherrschung von Interaktionsformen. Wesentlich ist vielmehr die Fähigkeit, von sich selbst ein Bild zu entwickeln, das einerseits der Wirklichkeit, also auch der Begrenztheit der Handlungsmöglichkeiten des Individuums in seinen anthropologischen, ontologischen wie sozialen Kontexten entspricht, andererseits aber auch als Leitbild dazu taugt, die Interaktion des Individuums mit seinen Kontexten zu transzendieren. "Der Mensch wird nicht nur wegen des Aufbaus der grundlegenden interaktiven und kommunikativen Handlungskompetenzen, sondern auch wegen des Aufbaus eines reflektierten Selbstbildes zu einem handlungsfähigen Subjekt. [...] Ein nicht nur realistisches, sondern zugleich auch identitätsstiftendes 256 CSIKSZENTMIHALYI/ ROCHBERG-HALTON 1989, 26 257 HURRELMANN 2001, 77-78 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 59 Selbstbild muss als die Voraussetzung für die Fähigkeit flexiblen und situationsangemessenen sozialen Handelns im Verlauf des Lebens gesehen werden." 258 Damit entsteht ein harmonisches Ideal-Bild von stabiler Identität als Resultat einer "Kontinuität von Selbsterleben [...] auf der Basis des Selbstbildes"259. "Selbsterleben" wird an anderer Stelle als "Sich-Selbst- Gleichsein" beschrieben. Beides sind - a priori gesetzte wünschenswerte - Zielpunkte individueller Entwicklung als Ontogenese. Unterscheiden kann man dabei zwischen einem realistischen und einem identitätsstiftenden Selbstbild, es genügt demnach nicht, sich selbst im konkreten Fall im Hinblick auf die Handlungsmöglichkeiten adäquat einzuschätzen, sondern es bedarf weiter einer fortgesetzten Beobachtung und Erfahrung des eigenen Handelns und seiner Folgen für das Selbstbild über die Gesamtheit der individuellen Entwicklung hinweg. "Störungen in der Identitätsbildung haben in dieser theoretischen Konzeption ihren Ausgangspunkt im wesentlichen in einer mangelnden Übereinstimmung zwischen den von einem Menschen erworbenen Handlungskompetenzen – die das Ergebnis der inneren Abstimmung zwischen Bedürfnissen, Motiven und Interessen sowie Umwelterfahrungen sind – einerseits und den in aktuellen Lebenssituationen real werdenden Handlungsweisen andererseits."260 Systemtheoretisch stellt Identität damit die Summe an Grenzerfahrungen des Systems an seiner Außenfläche dar, d.h. die Definition des Selbst ist eine Definition des Heteronomen in seinen distinktiven wie integrativen Formen, aus der das Autonome erwächst und erschlossen wird. Die hier als Auslöser eines gestörten Identitätsentwicklungsprozesses angeführte Diskrepanz zwischen Handlungskompetenzen und Anforderungen, welche die Handlungssituationen stellen, beeinflusst negativ insbesondere auch Motivierung des Individuums, diesen Prozess fortzuführen und die in ihm liegenden Gestaltungspotentiale als Chancen auch wahrzunehmen. Gerade Jugendliche empfinden diese Diskrepanz in besonderer Weise, weil sie die ihnen zur Bewältigung heteronomer Herausforderungen zur Verfügung stehenden Kompetenzen – schon aufgrund ihrer geringeren Erfahrung – eher als gering und ungenügend einschätzen und auf ihr antizipiertes Versagen mit einer Reihe von Kompensationshandlungen reagieren. In Konsequenz führt diese Diskrepanz, falls es nicht gelingt, sie aufzuheben, zu einem absehbaren Versagen jugendlicher Identitätsbildung. 261 Resümee HURRELMANNs sozialisationstheoretischer Ansatz verbindet Erkenntnisse der klassischen Rollensoziologie und Entwicklungspsychologie mit neueren Forschungen zur Bedeutungs- und Subkonstitution und zu Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen. Ziel seiner Synthese von Forschungsansätzen ist eine aktuell adäquate Beschreibung von Pubertät und Adoleszenz, die einerseits berücksichtigt, dass viele Bereiche jugendlicher Lebenswelt weiter von traditionellen Mechanismen und deren Institutionen in Übereinstimmung mit dem dominanten gesellschaftlichen Diskurs beherrscht werden. Wenn auch die Bedeutung dieser Institutionen mit dem Wandel gesellschaftlicher Strukturen abnehmen mag, so zeigen sie doch ein Beharrungsvermögen, das bei den Jugendlichen Beachtung finden muss.262 Dies korrespondiert auch mit der aktuellen Situation der beobachteten Jugendlichen der Fantasy-Rollenspiel- Szene. Sie stammen zum Großteil aus dem Bildungs- und Besitzbürgertum und müssen sich mit den dort noch weitgehend verankerten Vorstellungen von Tradition und Sozialisation auseinandersetzen. So besuchen die meisten von ihnen mit dem Gymnasium eine der wichtigsten Institutionen dieses Konzepts von Sozialisation und scheinen gerade unter vor dem Hintergrund einer zunehmenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und sich anbahnender säkularer Katastrophen deren Selektions- und Leistungskriterien unreflektiert zu übernehmen. Nicht ohne Grund wirken die meisten Mitglieder der Szene in vieler Hinsicht unauffällig, ob nun in ihrem Äußeren oder in ihrem Handeln. Sie scheinen erfolgreich in dieses Konzept integriert zu sein. Dieser Erfolg lässt sich beschreiben als Resultat von Prozessen der expliziten und impliziten Anpassung an formelle 258 HURRELMANN 2001, 79 259 HURRELMANN 2001, 79 260 HURRELMANN 2001, 79-80 261 CSKSZENTMIHALYI 1985, 181-202 262 Vgl. dazu: KÜBLER 1997; HENGST 2003 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 60 wie informelle heteronom entwickelte Rollenerwartungen und deren Internalisierung durch die Jugendlichen. Bezeichnenderweise sind sie bei der Wahrnehmung eigenen Handelns schnell bereit, ihre Medien-, Text- und Ereignisarrangements zunächst als Regression oder Eskapismus zu diffamieren, während es ihnen schwer fällt, in ihnen mehr zu sehen als das von den Sozialisationsinstanzen kompensatorisch gedeutete Spielen. Das Modell der "produktiven Realitätsverarbeitung" im Spannungsfeld von "Außen- und Innenwelt" ermöglicht allerdings auch eine angemessene Berücksichtigung konstruktivistischer und konstitutiver Forschungsansätze, die insbesondere eine Beschreibung jugendlichen Handelns vom Individuum her vornehmen und seine Sozialisation als gemeinsames Projekt von Individuum und Gesellschaft zu begreifen suchen. Sozialisation wird dabei zu einem vom Individuum moderierten Prozess der Ausbildung von Identität. In dieser Perspektive werden die komplexen Arrangements der Fantasy-Rollenspieler zum Ausweis individueller Gestaltung von Alltag und Lebenswelt in der kreativen Verarbeitung eines weitgehend medial und ökonomisch vermittelten symbolischen Materials und der mit ihm implizit transportierten Skripts. 2.2.4 Reflexivität und Erlebnisrationalität Paradigmenwechsel der Sozialisationsforschung Von erheblicher Bedeutung für die Interpretation der Materialien die ser Studie, in deren Mittelpunkt Jugendliche in Pubertät und Adoleszenz stehen, sind die Ergebnisse der Sozialisationsforschung. Zusammen mit den Forschungsschwerpunkten der Entwicklungspsychologie hat die Sozialisations-forschung gerade für dieses Lebensalter empirisch wie theoretisch in einer Reihe von exemplarischen Untersuchungen wesentliche Erklärungsansätze formuliert, die zur Deutung des vorhandenen Materials herangezogen werden können und deren Gültigkeit am hier diskutierten Material überprüft werden kann. In der Sozialisationsforschung scheint heute ein Paradigmenwechsel vom Bild einer heteronom geprägten Persönlichkeitsformung zu dem einer autonom gestaltenden Identitätsbildung konsequent vollzogen zu sein. 263 Dabei werden die früher dominanten Vorstellungen von Tradierung und Integration etwa im Sinne einer strukturfunktionalen Rollentradierung bzw. Rollenidentität durch eine Orientierung an einer vom Individuum zu leistenden Identitätsbildung abgelöst: Die traditionelle Differenzierung des Sozialisationsprozesses durch die Forschung in Enkulturation, Sozialisation und Personalisation264 wird dabei nicht aufgehoben, sondern erscheint aus einer das handelnde Individuum in den Mittelpunkt stellenden Perspektive in einem anderen Wirkungszusammenhang. HEINZ etwa weist in der Rezeption des Ansatzes der "gesellschaftlicher Konstruktion von Wirklichkeit" von BERGER/ LUCKMANN auf die Bedeutung des Aneignungsprozesses innerhalb einer gerade nicht affirmativ gedachten Sozialisation hin: "Fasst man S. als Aneignungsprozess, als aktive Verwirklichung des Subjekts im Rahmen vergesellschafteter Produktions- und Reproduktionsbedingungen, dann ist mit der Aneignung auch das Potential der Veränderung verknüpft." 265 Die aktuelle gesellschaftswissenschaftliche Forschung stellt das Individuum und seine Intertextualität in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Diesen Paradigmenwechsel beschreibt BACHMAIR als einen Fokus, "[...] das Alltagsleben der Menschen als die vorrangige Wirklichkeit der entwickelten Industriegesellschaft [...]"266 zu begreifen. Ähnliche Überlegungen stellt HENTIG in seiner Einführung zu ARIÈS' "Geschichte der Kindheit"267 an.268 Kindheit und Jugend erscheinen nach ARIÈS zunächst als eine im Wesentlichen gesellschaftliche Konstruktion des sich als historischer Prozess emanzipierenden Bürgertums.269 Kindheit und Jugend werden dabei zu eigenständigen biographischen Phasen, die besonders der Tradierung des neuen,bürgerlichen Selbstbewusstseins 263 Vgl. dazu: KÜBLER 1997; deutlich auch HURRELMANN 1986 vs. 2001 264 Vgl. Art. "Sozialisation" und "Personalisation" in Herder Lexikon Pädagogik 1981 265 HEINZ, 1980, 412 266 BACHMAIR 2001, 232 267 ARIÈS, 1988; während das Werk schon 1964 ins Englische übersetzt wurde und insbesondere in den USA aufmerksam rezipiert wurde, erschien es erst 1975 erstmals in deutscher Sprache; 268 HENTIG, 1988 269 Vgl. dazu HABERMAS 1990 (1966) 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 61 und der ihm entspringenden sozialen Verhaltensweisen im Rahmen eines Erziehungsprozesses dienen. Mittelpunkt und zugleich Ziel einer bürgerlichen Anthropogenese ist das mit Vernunft begabte, rational handelnde Individuum. Sozialisationsinstitute sind die Familie und – als ihre Fortsetzung – die Schule. Über einen Zeitraum von drei Jahrhunderten garantiert dieser Prozess die adäquate soziale Integration der Menschen und die erfolgreiche Reproduktion der bürgerlichen Gesellschaft. Die Entstehung der modernen demokratischen und industriellen Massengesellschaft macht die Familie und Schule vollends zum Ort der Identitätsbildung. Die Entfernung des Kindes aus der Welt der Erwachsenen und die Konstruktion der Lebensphasen Kindheit und Jugend wird allerdings erkauft als ein Prozess zunehmender Unfreiheit, sozialer Abschließung und Repression durch Erwachsene. Das Bildungsideal der Aufklärung und sein Auftrag an das Individuum, seine Identität selbst zu entwickeln, mündet ein in der bürgerlichen Realität der patriarchalischen Kleinfamilie und den rigiden Lernghettos der Schule. In einer ausgeprägten Sensibilität für historische und soziale Wandlungen weist HENTIG auf die Gemeinsamkeiten bürgerlicher wie antibürgerlicher Pädagogik in ihren Mythos einer heterogen zu entwickelnden Identität im Sinne szientistisch-technizistischer Machbarkeitsphantasien hin und äußert massive Zweifel an Sinn, Zweck und Form zeitgenössischer Erziehung. "[...] an der Vorstellung, menschliche Schicksale und Verhältnisse seien herstellbar; [....] ; an der Vorstellung, je größer unsere Probleme und je umfangreicher und bedeutender unser Wissen, um so länger müsste die Schule dauern, und weil die Schule eine Wohltat ist und Arbeit eine Mühsal, müssten wir auch noch froh darüber sein – selbst dann noch, wenn erwiesen ist, dass sie vor allem die Personen absorbiert, die durch den gleichen Fortschritt von Wissenschaft und Technik keinen Platz mehr in der Arbeitswelt finden; an der Vorstellung, Lernen sei tunlichst vorn Leben zu trennen [...]; an der Vorstellung, im Lernen der Kinder und Jugendlichen lasse sich eine falsche Welt in Ordnung bringen; es gehe z. B. darum, in ihm möglichst all das unterzubringen, was die heutigen Erwachsenen selber nicht können [...] oder es lasse sich in der Schule die ungerechte Verteilung der Chancen korrigieren [..]; an der Vorstellung, Lehrer mit bürgerlicher Bildung, auf ein Fach spezialisiert, mit Lehrtechniken ausgestattet und von alledem weder tief überzeugt noch beunruhigt könnten Heere von Kindern aus kleinbürgerlich gesonnenen Arbeiterfamilien zu einem neuen, nicht entfremdeten Selbst-, K1assen- und Kulturbewusstsein führen; an der Vorstellung, die Familie – und womöglich sie allein - ermögliche Geborgenheit, Identifikation und damit soziales Glück, während im Gegenteil eben durch diese Vorstellung übertriebene und zum Scheitern verurteilte Erwartungen genährt werden [...]." 270 Den erkennbaren Defiziten von Sozialisation durch Familie und Schule und in Antizipation essentieller Veränderungen von Kindheit 271 stellt HENTIG ein Konzept der Reintegration der Kinder und Jugendlichen in die Welt der Erwachsenen gegenüber mit einer Reihe gerade heute sehr aktuell klingenden Forderungen, etwa nach der Integration von Lernwelten in Lebenswelten, nach persönlich gestalteten Interaktionsformen, nach Pluralität, nach wirklicher Zuwendung.272 Ursache dieser Defizite ist eine Fortentwicklung der Gesellschaft zu einer "pluralistischen Wohlstandsgesellschaft"273 mit der Folge einer alle Lebensbereiche erfassenden marktwirtschaftlichen und spätkapitalistischen Produktions-, Allokations- und Konsumptionslogik. Der zunehmenden Ausdifferenzierung des Angebots steht dabei eine zunehmende Individualisierung des Konsums gegenüber, die zur Dekonstruktion der klassischen bürgerlichen Sozialisation führt. In der historischen Konsequenz führt dies zu den gesellschaftlichen Situationen der Postmoderne, in welchen die Subjekte die Prozesse der sozialen Verortung weitgehend selbst zu gestalten suchen. In der entstehenden "mediatisierten Gesellschaft"274 spricht man von einer "Sozialisation in eigener Regie"275. In diesem Sinne spricht HURRELMANN auch von der "produktiven Verarbeitung der äußeren und der inneren Realität", kurz auch "produktiven Realitätsverarbeitung"276 durch das Individuum. 270 HENTIG 1988, 39-40 271 HENTIG 1988, 33: "Fernsehkindheit"; 34: "Pädagogische Kindheit"; "Schulkindheit"; "Zukunftskindheit"; "Stadtkindheit"; 35: "Kinder-Kindheit; Auflösung der Familienstruktur; 37: Kinder als künftige gesellschaftliche Minderheit; Entgrenzung von Kindheit etc. 272 HENTIG 1988, 39-40; aktuell: GASCHKE 2001 273 BOLTE 1990, 27-50 274 BAACKE 1997, 33 275 HENGST 1997 276 HURRELMANN, 2001, 62-63 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 62 Reflexive Moderne Paradigmenwechsel der Historischen Sozialwissenschaften Während die Konzeptionen einer an individueller Identitätsbildung orientierten Sozialisationsforschung und eine sie begleitende emanzipatorischen Pädagogik in den 80er Jahren ihren Weg durch die pädagogischen Institutionen antreten und - langfristig die pädagogische Perspektive bestimmend - in den Niederungen pragmatischer Pädagogik wie Schule und Elternhaus ankommen, beobachtet Ulrich BECK Ende der 80er Jahre parallel zum Wandel der Sozialisation eine sukzessive Auflösung traditioneller und von den historischen Sozialwissenschaften ihren Erklärungsmodellen zugrundegelegten sozialen Strukturen.277 Gleichzeitig widersprechen empirische Untersuchungen der im Zusammenhang mit der Adoleszenzkrise prognostizierten Zunahme der Konflikte zwischen Elternhaus ("etablierte Erwachsenengesellschaft") und Jugendlichen ("nachwachsende 'kritische' Generation") 278, weil sie unreflektiert die polit ischen und sozialen Dispositionen der späten 60er Jahre extrapolieren. Damit wird aber auch der ideologiekritisch-emanzipatorische Ansatz von Pädagogik obsolet, der in einer "heftigen Lösungskrise" die unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Identitätsentwicklung sieht, ausgewiesen in einem "postkonventionellen" Bewusstsein.279 Auch die gesamtgesellschaftliche Prognose von zunehmenden "Legitimitätsproblemen" der "spätkapitalistischen Klassengesellschaft" infolge der Disparitäten von allgemeinem Wohlstandsversprechen und gesellschaftlicher Realität scheint keine Bestätigung zu erfahren. So wird etwa durch die seit den 70er Jahren herrschende Dauer- wie Massenarbeitslosigkeit die Loyalität der Bürger und besonders auch der Jugend gegenüber dem Gesellschaftssystem und seinen Institutionen keineswegs wirklich infragegestellt.280 Von der "entwickelten Industriegesellschaft" zur "Risikogesellschaft" BECK geht dagegen von einem säkularen Prozess gesellschaftlicher Umwälzung aus. Nach mehreren "Modernisierungsschüben" hat die bundesdeutsche Gesellschaft zum Ende des Säkulums hin den Status einer "Industriegesellschaft" überwunden.. Die Entwicklung mündet aktuell ein in den Übergang von einer "entwickelten Industriegesellschaft auf hohem Niveau"281 der Moderne zur postmodernen "Risikogesellschaft"282. BAACKE erklärt diesen Vorgang mit der Totalität der kapitalistischen Produktions- und Konsumptionslogik, welche die tradit ionellen sozialen Strukturen wie etwa eine spezifische Schichtenzugehörigkeit egalisiert, indem sie grundsätzlich alles einer Warenästhetik unterwirft. Statusattribute und Statuszuweisungen sozialer Klassen traditioneller Art werden dabei obsolet, weil sie Warencharakter annehmen und tauschbar werden.283 Die traditionellen Schichten diffundieren. BAACKE spricht in diesem Zusammenhang von der "Undichte lebensweltlicher Milieus".284 Deutlich wird dies an einer mehr und mehr totalen Flexibilisierung der gesellschaftlichen Interdependenzen wie etwa in der Auflösung traditioneller Milieus, z.B. dem der Industriearbeiterschaft. Die Bedeutung der Milieus liegt in ihrer Wahrnehmung durch ihre Angehörigen als grundsätzlicher Orientierungsrahmen mit der Intention einer identifizierenden Integration und durch Außenstehende als Distinktion erzeugende soziale Formation: "Typisch für solche Milieus ist, dass mit der Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Klasse bzw. Schicht zugleich ein relativ festgefügtes Netz von sozialen Beziehungen in Nachbarschaft, Verwandtschaft und Bekanntschaft verbunden ist. In solchen ständischen bzw. klassenspezifisch geprägten Lebenswelten sind Traditionen eingelagert, die sich nicht zuletzt auf die 'Normalität' von biographischen Abfolgen beziehen." 285 277 DÖBERT/ NUMMER-WINKLER 1982 278 TILLMANN 1994, 253 279 DÖBERT/ NUMMER-WINKLER 1982; DÖBERT 1986, 86-125; vgl. weiter zum Begriff des "postkonventionellen Bewusstseins" KOHLBERG 1974; KOHLBERG/ BOYD/ LEVINE 1986, 205-240 280 ILLIES 2001 281 TILLMANN 1994, 256 282 BECK 1986 283 Vgl. CSIKSZENTMIHALYI/ ROCHBERG-HALTON 1989, 107; s. dazu auch BOURDIEUs Begriff des Sozialen Kapitals, BEASLEY-MURRAY 2000, DAUER 2003 284 BAACKE 1997, 30 285 BECK 1986, 115 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 63 Die Flexibilisierung der Gesellschaft initiiert eine Emanzipation des Individuums aus den Milieus, das damit aber nicht nur von Zwängen, sondern auch von kollektiv vermittelten Orientierungen befreit wird: Dieser "Individualisierungsschub" wird zur dominanten gesellschaftliche Entwicklung286 und führt wegen der damit verbundenen potentiellen Unsicherheiten für die Individuen zur Entwicklung einer "Risikogesellschaft". "Auf dem Hintergrund eines vergleichsweise hohen materiellen Lebensstandards und weit vorangetriebenen sozialen Sicherheiten wurden die Menschen in einem historischen Kontinuitätsbruch aus traditionalen Klassenbedingungen und Versorgungsbezügen der Familie herausgelöst und verstärkt auf sich selbst und ihr individuelles Arbeitsmarktschicksal mit allen Risiken, Chancen und Widersprüchen verwiesen."287 BECK entwickelt den Begriff des Risikos einmal von den Konsequenzen der Individualisierung her, bei der Eigenverantwortung und gestaltendes Handeln von Scheitern bedroht sind, wenn die bisherigen milieuspezifischen Orientierungen des Individuums mit den sozialen Formationen erodieren. Eine tiefe Verunsicherung der Individuen ist Folge dieses Prozesses.288 Er verweist zum anderen auf die Sensibilität gerade von Jugendlichen für globale Bedrohungen wie Auf- bzw. Wettrüsten und ökologische Katastrophen oder strukturelle Krisen der bundesdeutschen Gesellschaft wie Massenarbeitslosigkeit und Reformstau, angesichts derer die eigene Gestaltung von Alltag und Lebenswelt nicht nur bedroht, sondern von vornherein zum Scheitern verurteilt scheint. Die Folgen dieser Prozesse für das Jugendalter sind nun unübersehbar: Die klassischen schichtenbezogenen Standardbiographien verschwinden, an ihre Stelle treten "Lebensformen, Lebens-stile, Problemlagen": Es kommt – parallel zu weiteren gesellschaftlichen Dekonstruktions-phänomenen289 – zu einer "Entstrukturierung der Jugendphase".290 Die Ursachen des die Gesellschaft transformierenden Modernisierungsprozesses sieht BECK zunächst in einer expansiven "Beschleunigung" des kapitalistischen Produktions- und Konsumptionssystems mit regressiven Auswirkungen auf Berufswelt und Arbeitsmarkt ("Der Arbeitsmarkt erweist sich [...] als ein Motor der Individualisierung von Lebensläufen."291). Als weiteren Faktor identifiziert er eine zunehmende Verfügbarkeit höherer Bildung ("Mit der Verlängerung schulischer Bildung werden traditionale Orientierungen, Denkweisen und Lebensstile durch universalistische [...] Wissensinhalte und Sprachformen relativiert oder verdrängt."292). Schließlich verweist er auf die ebenfalls zunehmende Mobilität, ob nun räumlich, beruflich oder sozial ("Die Lebenswege der Menschen verselbständigen sich gegenüber den Bedingungen und Bindungen, aus denen sie stammen oder die sie neu eingehen (Familie, Nachbarschaft, Freundschaft, Kooperation), und gewinnen diesen gegenüber eine Eigenständigkeit und Eigenrealität."293). BECKs Analyse geht dabei von einer kompetitiven Schichten- bzw. Klassengesellschaft aus, in der hierarchische Distinktionsstrukturen durch die Flexibilisierung nicht aufgehoben sind, sondern sich bei weitaus verbesserten allgemeinen materiellen Lebensverhältnissen erneut etabliert haben294. Wie später SCHULZE konstatiert er eine Zunahme von Entfaltungsmöglichkeiten – etwa in Konsum und Mediennutzung - und eine Entgrenzung des Individuums aus seiner traditionellen Milieubindung. 295 Andererseits sind die Individuen aber weiterhin und in oft noch größerem Ausmaß als zuvor von ihnen anonym scheinenden und einer ihnen fremden Rationalität folgenden Institutionen abhängig. Diese erzwingen von ihnen mittels im Verteilungskampf benachteiligender Sanktionen biographische Entscheidungen, ohne dass die Individuen auf traditionelle Muster milieutypischer Biographien zurückgreifen könne. 286 vgl. HALLs Begriff des 'dominanten sozialen Codes' oder BARTHES' Begriff des 'Mythos', s. CHANDLER 2002 287 BECK 1986, 116 288 Vgl. dazu SCHULZE 1996, 60-71; das Phänomen der Verunsicherung und Desorientierung auch bei: SATRE 1977, 7-51 289 Vgl. JAMESON 1993, 45-102 290 OLK 1985, 290-301 291 BECK 1983, 46 292 BECK 1986, 128-129 293 BECK 1983, 46 294 BECK 1986, 124: "Fahrstuhl-Effekt"; 295 SCHULZE 1996, 54: "Vermehrung der Möglichkeiten"; 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 64 "Individualisierung bedeutet in diesem Sinne, dass die Biographie der Menschen vorgegebenen Fixierungen herausgelöst, offen, entscheidungsabhängig und Aufgabe in das individuelle Handeln jedes einzelnen gelegt wird."296 Damit aber verändert sich auch mittelfristig die noch von BECK als kompetitive Schichten verstandene Gesellschaftsstruktur 297 zu sozialen Clusters neuen Typs. BECKs Untersuchungen laufen parallel zu Bemühungen der Sozialforschung, die postmoderne Realität der bundesdeutschen Gesellschaft adäquat zu beschreiben. Signifikant ist die Abkehr von Klassen- und Schichtenmodellen zu neuen gesellschaftlichen Formationen, die allenfalls nur noch sehr allgemein in den klassischen Modellen lokalisierbar sind.298 Neben die bisherigen Kriterien Gehalt, Bildung etc. treten solche, die besonders die Eigenwahrnehmung und -projektion der Individuen berücksichtigen. Die individualisierte Jugendbiographie Obwohl BECKs Argumentation weder Kategorien innerpsychischer Zustände noch subjektive Entwicklungsprozesse berücksichtigt, liefert er für das Verständnis aktueller Jugendphänomene einen entscheidenden kultursoziologischen Ansatz.299 Dabei erweist sich die Fokussierung seiner Analyse auf die Perspektive der handelnden Subjekte mittels des Begriffs der Individualisierung als besonders innovativ und weiterführend: "[...] [mit dem Individualisierungsbegriff] lassen sich also sowohl gesellschaftstheoretische Diskurse führen als auch sozialisations- und identitätstheoretische Fragestellungen bearbeiten. Und gerade diese Lokalisierung an den Verbindungslinien zwischen subjektiven Lebensplänen, Sichtweisen und Kompetenzen der Individuen und gesellschaftlich verfassten Gelegenheitsstrukturen macht ihn auch für die Jugendforschung so relevant."300 BECK erkennt damit die Folgen fundamentaler Veränderungen von makro- und mikroökonomischen Strukturen für den Alltag und die Lebenswelt von Jugendlichen. Die bisherige "Statuspassage"301 Jugend erfährt eine grundlegende Entstrukturierung: ?? Die zeitliche Ausdehnung und strukturelle Ausdifferenzierung der Ausbildung führt zu einer Verlängerung der Jugendphase und zu einer gestiegenen Bedeutung der Sozialisations-institution Schule.302 Jugendliche erhalten dadurch zusätzliche Möglichkeitsräume und Zeit für individuelle Subjektkonstitution ("Persönlichkeitsentwicklung"303). ?? Die Stabilität von Milieus und ihrer Biographien basierte zum Großteil auf einer stetigen positiven wirtschaftlichen Entwicklung (Wirtschaftswunder; Vollbeschäftigung). Der seit Mitte der 70er Jahre beginnende Übergang zur digitalen Informationsgesellschaft führte zu einer Reihe von Strukturkrisen in klassischen Wirtschaftszweigen und scheint heute unter dem Stichwort Globalisierung an Dynamik noch zuzunehmen. Symptomatisch dafür ist der Übergang vom Konzept einer Globalsteuerung nationaler Volkswirtschaften zum aktuellen neoliberalen Monetarismus 304. Das Arbeitsmarktrisiko steht damit den neu geschaffenen Entfaltungsmöglichkeiten der Informationsgesellschaft gegenüber: "Weil berufliche Einmündungen immer seltener direkt und problemlos erfolgen, weil immer häufiger Wartezeiten und Umwege zwischengeschaltet werden (müssen), werden die Lebenswege immer differenzierter, immer verwickelter. [...] Auf diese Weise entstehen zwischen dem 16. dem 25. Lebensjahr 296 BECK 1983, 58 297 SCHELSKYs Begriff der Nivellierten Mittelstandsgesellschaft erfährt als einer der dominanten Mythen bundesrepublikanischer Gesellschaftsforschung und -politik letztlich erst mit den Ergebnissen der PISA-Studie zur gescheiterten Förderung von Jugendlichen aus sozial deprivierten Schichten seine Widerlegung, vgl. BACHMAIR 2002-2003 298 GLUCHOWSKI 1987 299 BECK bezeichnet seine Analyse strikt als "historisch-soziologisch[], als gesellschaftsgeschichtlich[]", Beck 1998, 207 300 HEITMEYER/ OLK 1990, 12 301 BEHNKEN/ ZINNECKER 1992, 127 302 HENTIG 1988, 34 303 TILLMANN 1994, 264 304 KEYNES 1936; FRIEDMAN 1997 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 65 hochindividualisierte Beschäftigungsbiographien; diese zu einem Erfolg (sprich: Einmündung in dauerhafte Berufstätigkeit) zu führen, verlangt von vielen Jugendlichen eine erhebliche Handlungskompetenz." 305 ?? Die Formen des Übergangs von Jugend zum Erwachsenenalter haben sich im Vergleich zu früher erheblich ausdifferenziert. In den 60er Jahren markiert die Gründung der eigenen Familie deutlich diesen Übergang: In ihr fließen Emanzipation, ökonomischer Autarkie und Reproduktionshandeln zusammen. Symptomatisch für die aktuelle Entwicklung ist dagegen die Dekonstruktion von Ehe zugunsten individueller Lebensformen und nichtehelicher Lebensgemeinschaften306. Neben den verlängerten Ausbildungszeiten trägt auch dies zur Ausdehnung der Jugendphase als Moratorium bei. 307 Die jugendlichen Lebensformen zeigen dabei schon eine Reihe von Autarkiesymbole der Erwachsenenwelt, es fehlt ihnen aber die eigentliche ökonomische Autarkie. Der Status des Erwachsenen lässt sich so von außen nicht mehr eindeutig bestimmen, er rückt in den Bereich der Selbstdefinition durch das Individuum: "Selbständigkeit in den verschiedenen Bereichen (Ausbildung, Finanzen, Partnerschaft) kann im Einzelfall zu sehr unterschiedlichen Zeiten erreicht werden – und beinahe jede Kombinations-möglichkeit ist inzwischen möglich. Damit wird die Frage, ob jemand erwachsen ist, zunehmend davon abhängig, ob er (sie) sich selbst schon dafür hält."308 Jugend als Lebensphase erfährt damit eine Dekonstruktion. Dabei steht der frühen Selbständigkeit eine lang andauernde ökonomische Unselbständigkeit gegenüber. An die Stelle der Jugend als "Statuspassage" mit einer Normalbiographie, die sich als "Terminierung und Sequentialisierung von Lebensereignissen und Lebensphasen"309 beschreiben lässt, ist eine "individualisierte Jugend-biographie"310 getreten. Der Jugendliche wird dabei zwingend aufgefordert, seine Biographie selbst zu gestalten. Die damit verbundenen Entscheidungszwänge führen angesichts fehlender bzw. neu zu entdeckender Orientierungen311 zu einer "ständige[n] latente[n] Unsicherheit"312. BECK vermutet, dass sich Individualisierung klassen- und schichtenspezifisch unterschiedlich konkretisiert: bei arrivierten und elitären Schichten mehr als expandierendes Moratorium, bei den deprivierten mehr als ein Positionierungszwang auf dem Arbeitsmarkt.313 Wie handeln nun Jugendliche in diesem sich verändernden Kontext ihrer Lebensphase. BECKs Analyse stellt zwar die Subjektorientierung in den Mittelpunkt der Untersuchung, notwendig ist aber eine Fokussierung des Problems aus der Perspektive der davon betroffenen Jugendlichen. Integraler Ansatzpunkt einer derartigen Fokussierung ist eine Interpretation von Jugend als Identitätsfindungs-prozess, der damit zur "Kernaufgabe der Jugendphase"314 wird: "Es kommt eben alles darauf an, wie die Individuen unter diesen Bedingungen die Erfahrung der eigenen Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit machen und gegen widrige äußere Bedingungen durchsetzen können. Auf der Ebene der Rekonstruktion und Beschreibung sowohl der Sozialstruktur als auch der kulturellen Infrastruktur individualisierter Gesellschaften allein ließe sich jedenfalls nicht entscheiden, ob diese Individualisierungsmöglichkeiten genutzt oder verfehlt werden. Zu diesem Zweck bedarf es zusätzlich einer Theorie der Genese des (jugendlichen) Subjekts, einer Theorie also, die die je individuellen Strategien der Herstellung und Sicherung von Einzigartigkeits- und Nicht-Austauschbarkeitserfahrungen spezifiziert und analysiert." 315 305 TILLMANN 1994, 266 306 LINNSEN/ LEVEN/ HURRELMANN 2002 307 ZINNECKER 1985, 38 308 BEHNKEN/ ZINNECKER 1992, 141; zur Entgrenzung der Lebensphasen Kindheit und Jugend vgl. auch BUCKINGHAM 2003 309 BUCHMANN 1984, 276 310 FUCHS 1983 311 HEITMEYER/ OLK 1990, 27 312 LIEBAU 1985, 112 313 Für BECKs Vermutung spricht konkret das Unbehagen der beobachteten Jugendlichen, die Schule in absehbarer Zeit verlassen zu müssen. In der aktuellen Diskussion um die Verkürzung der Ausbildungszeiten stehen großbürgerlich-liberale Positionen, die diese Zeit als Verschwendung taxieren, kleinbürgerlich bzw. bildungsbürgerlich-liberalen Idealen eines für die Persönlichkeitsbildung notwendig von der Realität separierten Raumes wie linksliberal-sozialistischen emanzipatorischen Ansätzen einer als Kompensation für sozial Benachteiligte notwendigen längeren Ausbildungszeit ("Chancengleichheit") gegenüber; 314 HEITMEYER 1987, 77; HEITMEYER greift dabei auf den schon bei von HABERMAS bei der Konzeption der Adoleszenzkrise verwendeten Identitätsbegriff zurück; 315 HEITMEYER/ OLK 1990, 21 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 66 Unter Beibehaltung eines von HABERMAS in seinem Konzept der Adoleszenzkrise entwickelten ontogenetischen Verständnisses von Identität ermöglicht die Gesellschaftsanalyse BECKs eine realistische Darstellung von jugendlichem Handeln unter den Bedingungen der "pluralistischen Wohlstandsgesellschaft"316. Dabei wandelt sich eine soziologisch orientierte Pädagogik zu einer "Lebenslagenforschung des Jugendalters" hin und entwickelt als zentrale Fragestellung: "Wie bewältigen Jugendliche (als Personen) die Jugend (als gesellschaftliche Anforderungsstruktur)?"317 In der Summe führt die Flexibilisierung des Gesellschaftssystems auf der Ebenen der Individuen zu einem grundlegenden Problem, innerhalb wenig durchschaubarer Kontexte und ohne die klassischen Orientierungshilfen ("Überkomplexität"318) im Sinne der Identitätsfindung erfolgreich handeln zu müssen. Unter den Bedingungen einer expandierenden Individualisierung erscheint der Alltag den Jugendlichen als ein nicht auflösbares System "neuer Widersprüche"319: "Das zentrale Problem besteht nun gerade darin, dass diese Widersprüche, die gewissermaßen fernab der eigenen Lebenswelt entstehen, gerade aber in dieser Lebenswelt verarbeitet werden müssen. [...] Dies führt zu Überforderungen." 320 Die Reaktion der Jugendlichen auf diese Veränderungen ist der Wunsch nach Orientierung, Simplifizierung, Ordnung, welcher angesichts der Unsicherheit und realer Statusbedrohung besonders von Jugendlichen aus deprivierten Schichten artikuliert wird. Mittels "regressiver Bewältigungsversuche"321 entscheiden sich diese Jugendlichen dann für eine konventionelle Rollenidentität innerhalb einer die Erfahrung von Kontinuität sichernden 'Peer Group' bzw. Szene. Die Auflösung traditioneller sozialer Milieus führt damit zu einer reflexiven Konstruktion alternativer sozialer Formationen, die in der Lage sind, eindeutige, ostentative Kriterien einer Orientierung zu vermitteln. Gleichzeitig führt die Auflösung der jugendlichen Normalbiographie wegen der Gefahr von Desorientierung, Unsicherheit und Statusbedrohung zur Aneignung kompensatorischer Gewissheiten wie Normen, Symbolen, Ritualen und Hierarchien. Zudem steigert "Überkomplexität" Ohnmachterfahrungen und führt zu deren Überwindung in Machterfahrungen wie Gewalthandlungen, aber auch übersteigerten Distinktionsverhalten, gerade in repräsentativen Symbolen. Die Individualisierung der Spätmoderne verschlechtert demnach laut HEITMEYER gerade die Chancen für die Entwicklung einer emanzipierten Persönlichkeit und führt zu einer Zunahme regressiver Bewältigung: "Es spricht einiges für die Erklärungsfigur, dass einerseits die Individuen innerhalb der hochkomplexen Industriegesellschaft über eine eigenständige Identität verfügen müssen, um autonom handlungsfähig zu sein; dass andererseits die (spät)kapitalistische Produktionsweise immer stärker die Basis für identitätsstiftende Lebenswelten zerstört."322 Der Paradigmen-Wechsel von der Moderne zur Postmoderne führt zu einer Auflösung traditioneller jugendlicher Sozialisation infolge der Diffusion und Ausdifferenzierung traditioneller sozialer Klassen in neue soziale Formationen. Damit einher geht eine Individualisierung von Sozialisation ohne die bisherige soziale Absicherung durch traditionelle Institutionen ("Risikogesellschaft") und eine Internalisierung dieses Prozesses als Reflexivität der Betroffenen ("reflexive Moderne"). Die Untersuchungen von Gerhard SCHULZE zum Freizeitverhalten und zur Freizeitnutzung in den frühen 90er Jahren ergänzen die Erkenntnisse, die BECK gewonnen hat. SCHULZE beschreibt den Paradigmen-Wechsel von der Moderne zur Postmoderne als Phänomen einer Individuation im Sinne erlebnisrationaler Lebensbewältigung wie anhand der Ausformung der differenzierten individualisier-ten Gesellschaft mit Stilen, Schemata, Milieus, Medien- und Erlebnismarkt, Szenen.323 316 BOLTE 1990, 27-50 317 MÜNCHMEIER 1998 318 HEITMEYER 1987, 92 319 BAACKE/ HEITMEYER 1985 320 HEITMEYER 1985, 191 (Hervorhebung durch den Autor); 321 HEITMEYER 1987, 93 322 HEITMEYER 1987, 95 323 Vgl. parallele Untersuchungen spezifischer Jugendkulturen wie VOGELGESANG/ WINTER 1997 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 67 Erlebnisrationalität und Erlebnisgesellschaft Erlebnisgesellschaft Der von BECK erkannten und beschriebenen Individualisierung der modernen bzw. postmodernen Gesellschaft werden die bis zu Beginn der 90er Jahre tradierten klassischen Modelle zur Beschreibung der bundesdeutschen sozialen Realität nicht mehr gerecht. So spricht BOLTE in der Fortführung seiner seit den 60er Jahren durchgeführten umfassenden Studien zu sozialer Ungleichheit nun von einer "Pluralistischen Wohlstandsgesellschaft", in deren Brennpunkt er die Biographien der Individuen sieht324, und modifiziert damit entscheidend sein Modell einer schichtenbasierten "Nivellierten Mittelstandsgesellschaft". Während sich die traditionellen Schichten und die mit ihnen verbundenen sozialen und kulturellen Phänomene in der Beliebigkeit der postmodernen Gesellschaft aufzulösen scheinen, zeigen sich doch auch in dieser Gesellschaft die Individuation und Mediatisierung als personenübergreifende soziale Phänomene, zu deren Beschreibung und Erklärung es neuer Modelle bedarf, die einerseits der Individuation als säkularem Prozess gerecht werden, andererseits aber die neu entstehenden sozialen Gruppen, ihre Relationen und Interdependenzen adäquat beschreiben. Dabei treten neben die klassischen Kriterien der Beschreibung von sozialer Einordnung und Hierarchisierung wie Herkunft, Einkommen, Vermögen, Bildung, Tradierung jene, die aus dem Bemühen der Individuen entnommen werden, ihren Alltag und ihre Lebenswelt zu gestalten. Die Berücksichtigung der Kulturationsphänomene als entscheidende Kriterien aktueller sozialer Gliederung und Strukturierung führt einerseits zur Neudefinition bzw. Neuinterpretation traditioneller Status-Kriterien wie z.B. von Vermögen325 bzw. zur Einführung neuer Parameter und Kriterien wie Lebensphilosophie etc., die zur Beschreibung von neuen sozialen Formationen, etwa von Milieus, führen. In Fortführung der von BECK konstatierten Auflösung der modernen Gesellschaft gelingt es Gerhard SCHULZE anhand seiner umfassend angelegten Untersuchungen zur individuellen Gestaltung von Alltag und Lebenswelt ein neuartiges Bild des Einzelnen in der Gesellschaft zu zeichnen, das mittlerweile – vielfach auch missinterpretiert – als "Erlebnisgesellschaft" zum Standardmodell postmoderner Gesellschaft geworden ist. Die schon von BECK konstatierte und in weiteren Untersuchungen bestätigte zunehmende soziale Ausdifferenzierung von Kindheit und Jugend326 kann mit traditionellen Kriterien angesichts der veränderten sozialen Wirklichkeit nur noch unzulänglich beschrieben werden. Die für die Moderne typische Normalbiographie des Kindes und Jugendlichen lässt sich allenfalls gerade noch bei einem Fünftel der Jugendlichen aufzeigen. 327 Alltag und Lebenswelt des heutigen Jugendlichen bestehen - zumindest in der Perspektive des Außenstehenden - aus der Teilhabe an einer Unzahl von Stilen, Gruppen und Szenen, die neben die traditionellen Erziehungsinstitutionen Elternhaus, Schule und Kirche getreten sind und sie zu ersetzen scheinen.328 Die Jugendlichen agieren weiter innerhalb einer ausgeprägten und sich stetig weiter expandierenden Waren-, Medien- und Konsumwelt, in der es weitgehend ihnen überlassen bleibt, eine Identität zu entwickeln. 329 Für den Außenstehenden und Erwachsenen scheint jugendliches Handeln vielfach unzusammenhängend, widersprüchlich, unerklärlich und chaotisch. 330 Der von SCHULZE konsequent durchgeführte Perspektivwechsel, bei dem die soziologischen Phänomene als Resultate des gestaltenden Handelns der Individuen begriffen werden, ermöglicht gerade für die Sozialisationsprozesse des Jugendlichen eine spezifische Wahrnehmung jugendlicher Intentionen und Pragmatik und deren Einbindung in einen objektiven Erklärungszusammenhang. Systematisierung der Erlebnisorientierung Identität entsteht in der Reflexion des Individuums über die Grenzen seines Ichs zu seiner Umwelt. Nur in der Auseinandersetzung mit dem Außen ist das Selbst erkennbar und bestimmbar. Daher die Suche des Menschen der Postmoderne, besonders der Jugendlichen, nach Grenzerfahrungen, dem "Living on the edge"331, dem 324 BOLTE 1990, 27-50 325 BOURDIEUs Differenzierung von Kapital, s. BEASLEY-MURRAY 2000, DAUER 2003 326 BEHNKEN/ ZINNECKER 1992; Deutsche SHELL 2000, Deutsche SHELL 2002 327 FRITZSCHE 2000, S. 328 HENGST 1997: "Sozialisation in eigener Regie"; 329 SANDERS 2001, 94 330 FRITZSCHE 2004, 22 331 AEROSMITH 1993 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 68 besonderen Kick, nach Situationen, in denen das Ich Grenzen erfährt, mit ihnen experimentieren kann, sie auslotet. In der postmodernen Gesellschaft befinden sich allerdings weit mehr Menschen in dieser Situation als nur die Jugendlichen. Die sukzessive Aufhebung der Verbindlichkeit von Wertorientierungen, Institutionen, Strukturen überträgt jedem die Aufgabe, seine Identität individuell zu entwickeln und sie in Lebenswelt und Alltag zu integrieren und zu behaupten. Neben traditionelle Außenorientierungen der Individuen, etwa an Beruf- und Arbeitswelt, an Prestige und Einkommen, und damit korrespondierenden psychosozialen Dispositionen wie Leistungsbereitschaft, Konkurrenzverhalten, Aszese und aufgeschobene Bedürfnisbefriedigung tritt mehr und mehr eine Innenorientierung, in der das Selbst, in der Risikogesellschaft auf sich zurückgeworfen und sich selbst verantwortlich, sich selbst im Projekt des ge lingenden Lebens zum zentralen, handlungsleitenden Thema macht. Es kommt zu einer Umkehrung der bisherigen Funktionalität, welche die psychosozialen Dispositionen des Individuums der Außenorientierung unterwarf. SCHULZE spricht von "Erlebnisrationalität"332 als dem neuen Grundmuster von individuellem und gesellschaftlichen Handeln, nach dem die Individuen sich systematisch bemühen, die Kontexte, in denen sie sich befinden, zur Gestaltung einer Lebenswelt heranzuziehen und zu nutzen, die ihrer Innenorientierung entspricht, nach der ihr Selbst zum Zentrum allen Handelns wird. Denn nur aus der Innenorientierung heraus kann das Individuum sich selbst noch definieren. Der Moment der Grenzerfahrung kulminiert im Phänomen und im Begriff des Erlebnisses. Moderne Bedürfnisgesellschaft – postmoderne Erlebnisgesellschaft Außenorientierung Voraussetzung für diesen Paradigmen-Wechsel und den Übergang von der "Bedürfnisgesellschaft" der Moderne zur heutigen "Erlebnisgesellschaft" ist die Lösung der grundsätzlichen existentie llen und materiellen Probleme in den Überflussgesellschaften des industriellen Nordens der Welt. In der Moderne richtet sich die Aufmerksamkeit des Individuums zunächst auf die materielle Sicherung seiner Existenz. Das setzt die Integration des Individuums in extra-individuelle Strukturen voraus, die insbesondere dem wirtschaftlichen Kontext entsprechen. Das Individuum unterwirft sich (und damit seine psychosozialen Dispositionen) dabei der Produktions- und Konsumptionsrationalität des jeweiligen Gesellschaftssystems. Im Mittelpunkt stehen Überlegungen, die den Erwerb und Besitz von Waren, Güter und Dienstleistungen, aber auch Fertigkeiten und Kompetenzen betreffen. Man nimmt am gesamtgesellschaftlichen "Steigerungsspiel"333 teil. Es geht darum, die zur Verfügung stehenden Ressourcen so zu erweitern, dass möglichst viele an ihnen Teilhabe erhalten können. Um diese Teilhabe entwickelt sich eine spezifische Rationalität der Individuen mit einer ihr eigenen Semantik. Dazu handelt das Individuum, wie von der Soziologie der Moderne richtig beschrieben, in Rollen, welche die Gesellschaft definiert und von ihm abverlangt.334 Das Individuum findet seine Identität damit grundsätzlich in der Gesellschaft vorformuliert, Individuation vereinfacht sich zur Partizipation und zur Adaption gesellschaftlicher Rollen, die soziale Integration wie Distinktion garantieren und manifestieren. Der Prozess der Identitätsfindung in Form der Außenorientierung verläuft allerdings nicht ohne eine Auseinandersetzung des Individuums mit den heteronomen Ansprüchen, denen es folgen soll. Gerade Jugendliche haben auch in der Moderne immer wieder zu neuen und dem gesellschaftlichen Wandel adäquaten Formen des Widerstands und Individuation gefunden.335 Angesichts existentieller Notwendigkeiten sind diese Formen alternativer Identitätsfindung in der Moderne in fast allen Fällen nach einer gewissen Zeit erfolgreich von der Gesellschaft kolonisiert worden. 336 Ihre Anfälligkeit für die Integration in gesellschaftliche Institutionen beruht insbesondere auf der auch in ihnen grundlegend wirksamen Rationalität einer Bedürfnisbefriedigung, die nur in überindividuellen Strukturen verwirklichbar schien. 332 SCHULZE 1996, 73 333 SCHULZE 1999 334 DAHRENDORF 1970 (1959) 335 Jugendbewegung; Swing-Jugend; Rock 'n Roll; Hippie-Bewegung; APO; 336 Jugendbewegung/ paramilitärische, staatliche, kirchliche Jugendorganisat ionen; Kommerzialisierung der Rock- und Pop-Szene etc., zum Begriff der "Mediatisierung" bzw. "Kolonisierung der Lebenswelt" vgl. HABERMAS 1981, II, 447-593 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 69 Saturierung Die Überwindung des klassischen Pauperismus und die materielle Saturierung der westlichen Industrienationen führt zu der historisch neuen Situation, dass ganze Gesellschaften - und nicht wie bisher allein spezifische Eliten - materieller Existenzsorgen enthoben sind. Mit der Überwindung dieser grundlegenden existentiellen Problemdefinition ändert sich notwendigerweise auch das zentrale handlungsleitende Thema der Menschen: "Auf das Ausgangsproblem des Habens und Könnens folgt das Anschlussproblem des Seins."337 Gleichzeitig wird die bis dahin vorherrschende gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit unter der Ägide einer Bedürfnisrationalität obsolet. Die Außenorientierung der Individuen mit dem Ziel, im gesellschaftlichen Verteilungskampf existentieller materieller Waren, Güter und Dienstleistungen erfolgreich bestehen zu können ("Überlebens-orientierung"), wandelt sich unter dem Aspekt einer schier unerschöpflichen Fülle.338 Möglichkeitsräume Die "Vermehrung der Möglichkeiten"339 zeigt sich als expansives Phänomen. Die Komplexität und Totalität des Angebots beruht auf einer umfassenden Diversifikation nach erlebnis-ästhetischen Kriterien zum "Erlebnismarkt"340, bei gleichzeitiger zunehmender Reduktion des Gebrauchswertes zugunsten des Erlebniswertes. Gleichzeitig erweitert sich die Nachfrage durch die Zuwächse an Einkommen und Zeit. Weiter fallen weitgehend die in den Verteilungskämpfen der "Bedürfnisgesellschaft" von den sozialen Eliten errichteten Zugangsbeschränkungen und Nutzungsrestriktionen. Aber auch die Gestaltungsräume expandieren in Bereiche, die früher weitgehend einer individuellen Gestaltung entzogen waren. Signifikant hierfür sind soziale Phänomene wie die Dissoziation von Ehe und Partnerschaft in andere dyadische Formen, die grundsätzliche Dynamisierung sozialer Interaktion und Beziehungen und die Dominanz der Identitätsfindungsprozesse. Die Konstitutionsorientierung (als auf der Situationsebene angelegte Form der Innenorientierung) erfasst zunehmend alle Bereiche von Alltag (Psyche, Körper, Beziehung, Familie, Beruf, Biographie, Identität): "Entscheidend ist, dass immer mehr Menschen ihre Existenz in einem umfassenden Sinn als gestaltbar ansehen. Dadurch eröffnen sich Möglichkeitsräume, die vorher durch kognitive Barrieren (Fatalismus, Schicksalsbegriff, Vorstellung der Gottgegebenheit) verschlossen waren." 341 Die Autonomie des individuellen Handelns findet hier allerdings Grenzen in den Kontexten selbst, die gestaltet werden sollen. Nicht selten erweist sich die Gestaltung als im eigentlichen Sinne ruinös, die neue (Un-)Freiheit zeigt sich auf der Ebene der Individuen als anankastisches Syndrom eines "Gotteskomplexes", auf der Ebene der Kontexte als "Entscheidungssog"342. Für heutige Jugendliche ist eine existentielle materielle Beschränkung im eigentlichen Sinne überhaupt nicht mehr vorstellbar. Wie die Diskussion und Wahrnehmung des Phänomens "Neue Armut" zeigen, haben sie zwar Kenntnis von Randgruppen in unserer Gesellschaft, deren Lebenslage Anzeichen einer existentiellen materiellen Bedrohung aufweist, grundsätzlich sind sie auch bereit, sich dem Phänomen empathisch zu nähern und sich mit diesen Gruppen zu solidarisieren, aber eine eigentliche Vorstellung von der Befindlichkeit der Individuen, die diesen Mängeln ausgesetzt sind, kann nicht vorhanden sein. Noch fremder scheinen ihnen Gesellschaften, die in ihrer Entwicklung weit zurückgeblieben sind wie die Länder der Dritten und Vierten Welt.343 Projekt Gelingendes Leben/ Innenorientierung Mit dem Wandel der gesellschaftlichen Strukturen verliert das Individuum allerdings auch die bislang vorhandene heteronome Bestimmung seiner Identität. In einer Gesellschaft, in des es alles für jeden gibt, können Erwerb und Besitz für sich allein nicht mehr zur Identität des Individuums beitragen, der reflexiven 337 SCHULZE 1999 338 HABERMAS 1981, I, 114-152 339 SCHULZE 1996, 58 340 SCHULZE 1996, 57 341 SCHULZE 1996, 57 342 SCHULZE 1996, 58 343 SCHILDT 2004; GEISSLER 2004; BRITTEN 2000; HERTLER/ SAUER 2000 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 70 Betrachtung des Selbst fehlt die bislang durch die Knappheit und Verfügbarkeit materieller Güter vorhandene Differenzierung an der Grenze von Ich und sozialem Kontext. Der Prozess der Identitätsfindung individualisiert sich, in das Zentrum der Überlegungen der Individuen rückt das Subjekt: "Innenorientierung, wie sie hier verstanden wird, hat nichts mit Introversion zu tun. Gemeint ist, dass sich ein Mensch vornimmt, Prozesse auszulösen, die sich in ihm selbst vollziehen." 344 Grundlegende Bewertungskategorie der Individuen für den Erfolg ihrer Bemühungen ist die Totalität, also in wie weit es gelingt, möglichst alles Handeln aus der Perspektive der Innenorientierung zu gestalten. Damit formuliert sich der kategorische Imperativ der "Erlebnisgesellschaft", demnach grundsätzlich alles der Innenorientierung unterworfen wird. In Konsequenz wirkt sich dieses Handeln der Individuen nicht allein auf die Kontexte aus, sondern wirkt auf die eigene Person zurück, etwa wenn der Körper seiner biologischen Grundfunktionen (Arbeit, Kampf, Fortpflanzung) enthoben wird und als Medium von Erlebnissen (Work Out, Competition, Waschbrettbauch, Tattoing/ Piercing; Promiskuität) neu definiert wird.345 Dies gilt weiter für die Psyche des Individuums wie seine soziale Interaktion, ob nun als Teilnehmer oder Initiator (Ehegatten – Lebensabschnittsgefährten; Gruppe/ Schicht – Szene, Milieu). Aus dem Projekt "Wohlstand" wird nun das Projekt "Schönes Leben"346, wobei die Kategorie des Schönen im eigentlichen Sinne eine ästhetische Qualität darstellt. Schönheit stellt sich dar als Grad an erfolgreichen individuellen Gestaltung der Kontexte des Indiv iduums, letztlich als erfolgreicher (biographischer) Prozess der Identitätsfindung. Dessen Realisierung wirkt als Ästhetisierung des Alltags in die Gesellschaft unmittelbar zurück. Weitgehend alle gesellschaftlichen Bereiche erfahren dabei eine Umwidmung bzw. Modifikation: soziale Klassen und Schichten als Milieus, die Arbeitszeit wird zur Freizeit, wesentliche Alltagsbereiche werden in die Lebenswelt integriert, der Élan Vitale 347 der Individuen der Postmoderne ist die Erlebnisorientierung.348 Steigerung - Aufenthalt Die Fortführung des "Steigerungsspiels"349 infolge der Beibehaltung einer materiell-ökonomischen Semantik hat seine Ursache in der hauptsächlichsten Form, wie Menschen Innenorientierung zu realisieren versuchen: in der Einwirkung auf situative Kontexte. Dabei werden ihnen selbst ihre individuellen konstitutiven Potentiale nur sehr bedingt bewusst. Anders dagegen die Reaktionen der Kontexte. Erlebnisorientierung hat einen mittlerweile mehr und mehr dominanten Erlebnismarkt geschaffen. Sie findet ebenfalls zunehmend Anerkennung in den politischen und administrativen Institutionen und erfährt in einem hohen Maße eine Professionalisierung. Die Expansion hat damit eine heteronome Bedeutung gewonnen, die dem eigentlichen Ziel, dem Erlebnis des Selbst, der Entwicklung der eigenen Identität schon wieder widerspricht. Gegenüber ihrer Dynamik scheint es aussichtslos, die für die Reflexion notwendige Kontemplation überhaupt erst zu versuchen. Erlebnisrationalität Neben die weiterhin vorhandene, aber in ihrer Bedeutung für die Identitätsfindung des Individuums abnehmende, ja vernachlässigbare Außenorientierung tritt im Übergang von der Moderne zur Postmoderne die Innenorientierung der Individuen. Dabei kommt es in der Pragmatik menschlicher Interaktion zu einer weitgehenden "Systematisierung der Erlebnisorientierung", die SCHULZE als "Erlebnisrationalität"350 bezeichnet. Die Verlagerung der Aufgabe und Verantwortung von Identitätsfindung in den einzelnen erweist sich – wie auch schon bei BECK aufgezeigt351 - eher als eine Belastung denn als eine Befreiung. Ohne verbindliche Orientierung liegt die Entscheidung beim Individuum, auf welche Weise es die gewünschten psychophysischen Prozesse, die das Selbst und seine Reflexivität in den Mittelpunkt stellen, evozieren will. In der alltäglichen 344 SCHULZE 1996, 37 345 Vgl. zur Ästhetisierung von Sexualität und Körper durch Jugendliche, STÜVEL 2000 346 SCHULZE 1996, 40 347 BERGSON 1967 348 SCHULZE 1996, 59 349 SCHULZE 1999 350 SCHULZE 1996, 40-41 351 BECK 1983, 1986, 1993 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 71 Praxis folgt deshalb das Individuum einem Arrangement selbst erarbeiteter und heteronom vermittelter Routinen, aus denen in der Summe gesellschaftlich relevante "Rationalitätstypen"352 entstehen. Basis der dazu notwendigen Reflexion ist die von den Individuen grundsätzlich beibehaltene und noch aus der Phase der Bedürfnisorientierung stammende materiell-ökonomische Semantik, mit deren Hilfe die Individuen versuchen, mit sich selbst und anderen über die gewünschten Prozesse zu kommunizieren. Nach SCHULZE fehlt es grundsätzlich an einer der Erlebnisorientierung adäquaten Semantik, was u.a. zu der an sich widersprüchlichen Situation führt, dass sich das "Steigerungsspiel" der Moderne auch in der "Erlebnisgesellschaft" weiter fortsetzt. "Zum einen dient das Spiel eigentlich der Überwindung der Knappheit, aber es erzeugt zusätzliche Knappheit und begünstigt die Wohlhabenden. Zum anderen bringt diese Begünstigung die Wohlhabenden in ihrem existentiellen Grundanliegen gar nicht weiter." 353 In der Praxis läuft dies darauf hinaus, mittels einfacher Ziel-Mittel-Prozeduren diese Prozesse und Effekte über die Beeinflussung der Kontexte und Situationen auszulösen. Dabei gehen allerdings die konstitutiven Elemente dieses Prozesses zumindest in der Perspektive und im Bewusstsein des Individuums (wie seiner Umwelt) weitgehend verloren. Gestaltung von Alltag und Lebenswelt erscheint so zunächst weiter nichts anderes als Konsum zu sein, stellt aber im Sinne des zentralen handlungsleitenden Themas – Erlebnisorientie rung - eine anderes Phänomen dar als die bislang dominierende Bedürfnisorientierung. Der Konsum dient der Innenorientierung des Individuums, des Erlebens des eigenen Selbst. Weiter geschieht der Einsatz von Gütern, Waren und Dienstleistungen weniger konsumtiv, sondern er stellt - ein allerdings weitgehend restringiertes - konstitutives Handeln des Individuums dar, in dem es seine Identität letztlich zu manifestieren sucht. Diese sensible Differenzierung von Konsumverhalten geht bei der weitgehend pauschalis ierenden und letztlich diskriminierenden Beurteilung gerade des Konsumverhaltens von Jugendlichen in der öffentlichen Diskussion fast vollständig unter. Symptomatisch scheint in diesem Zusammenhang der Vorwurf von Erwachsenen gegenüber Jugendlichen zu sein, nur zu konsumieren und nichts Eigenständiges zu schaffen. Erwachsene befleißigen sich der Kritik jugendlichen Verhaltens als Ausweis eigenen Missverstehens seit Horaz' "O tempora, o mores". Auch das Geschäft der Elternberatung ist von derartigen Plattit uden nicht frei, wie Susanne GASCHKEs pauschalisierende Kritik an kindlichem und jugendlichem Handeln in der mediatisierten Gesellschaft der Postmoderne zeigt, kulminierend im Schreckgespenst einer neuen Barbarei, die vom "schmatzenden Kaugummikauen mit ha lbgeöffnetem Mund im überfüllten Zugabteil, aus dem niemand flüchten kann" herrühre: Wenig pädagogisch sensibel gegenüber der Handlungsperspektive der Kinder und Jugendlichen auch die Beschreibung "Wer neben einem Spielplatz lebt, hört, wie sie schreien (um fröhliches Jauchzen geht es nicht): Was ertönt, sind Fernsehgeräusche. Was man sieht, sind die eckigen Bewegungen der Trickfilmfiguren."354 In einer von der marktwirtschaftlichen Produktionslogik bestimmten Welt müssen jugendliche Formen der individuellen Alltags- und Lebensweltgestaltung zwangsläufig in einem hohen Grad konsumorientiert sein. Allerdings dient der Konsum weniger der Außendarstellung (etwa im Sinne traditioneller Statussymbole) als vielmehr der Gestaltung von Kontexten und Situationen, die psychophysische Prozesse möglich machen, in deren Mittelpunkt das Selbst und seine Sinnperspektive stehen. Die Jugendlichen entnehmen dazu dem sie umgebenden Angebot an Texten diejenigen Materialien, mit deren individuellen konstitutiven Kombination sie sich ihren Alltag und Lebenswelt gestalten in der Hoffnung, damit "Erlebnisse" zu evozieren. Mit dieser inneren Perspektive korreliert selbstverständlich auch eine äußere, bei der es um Integration und Distinktion und auch weiterhin um Rollen geht, allein entscheidend aber für das Handeln ist der Aspekt des Erlebnisses: Die Sprache der Jugendlichen sind ihre Erlebnisse!355 Typen erlebnisorientierten Handelns Erlebnisorientierung geschieht im alltäglichen Handeln der Menschen. Im Rahmen spezifischer Kontexte, die das Individuum antrifft, aufsucht, evoziert oder gestaltet, werden. Die marktwirtschaftlich organisierten 352 SCHULZE 1996, 41 353 SCHULZE 1999 354 Zit. n. LAU 2001. Miriam LAU erfasst die sich selbst exkulpierende Tendenz der neueren "Eltern"-Literatur präzise in der Überschrift ihrer Rezension: "Kinder machen alles falsch!" s.a. FRITZSCHE 2004, 22 355 BACHMAIR 2000-05-08 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 72 Routinen der Erlebnisorientierung bilden dabei eine den Alltag der Menschen weitgehend strukturierende "Erlebnisnachfrage"356, der im "Erlebnismarkt"357 ein entsprechendes Angebot in Form von Waren, Gütern und Dienstleistungen gegenübersteht. Produktion, Allokation und Konsum finden dabei mehr und mehr medial statt. Aber auch Einzelentscheidungen von großer persönlicher Tragweite werden mehr und mehr von einer Erlebnisorientierung her bestimmt. Eindruck und Verarbeitung Der Versuch der Individuen über eine Gestaltung der Kontexte ihres Handelns sich der eigenen Identität in einer verstetigten Erfahrung des Selbst zu vergewissern, beruht auf der analogischen Umkehrung der bisherigen Funktionalität durch die Innenorientierung: Waren bislang die psychophysischen Dispositionen der materiellen Bedürfnisorientierung unterworfen, soll nun das im Überfluss vorhandene Materielle der Evokation bestimmter psychophysischer Dispositionen dienen. In der reziproken Interpretation des Modells wie in der alltäglichen Pragmatik geht allerdings die Komplexität dieser Prozesse fast vollständig verloren, so dass das häufige Scheitern ihres Bemühens von den Individuen nur schwerlich erfolgreich reflektiert werden kann. Die Summe der in einer bestimmten Situation mobilisierten materiellen Ingredienzien ist allein noch kein konstitutives Handeln. Dies setzt nämlich Aneignungs- und Entäußerungshandeln 358 voraus, die "Verarbeitung": "Er lebnisse werden nicht vom Subjekt empfangen, sondern von ihm gemacht. Was von außen kommt. wird erst durch Verarbeitung zum Erlebnis. Die Vorstellung der Aufnahme von Eindrücken muss ersetzt werden durch die Vorstellung von Assimilation, Metamorphose, gestaltender Aneignung."359 In Anlehnung an Modelle der klassischen Psychoanalyse wie der Systemtheorie lassen sich Innen- und Außenwelt360 unterscheiden, deren Interdependenzen die wechselseitige Interaktion das Individuum zu moderieren hat. Dabei konstituiert sich die Außenwelt in erster Linie aus der Perspektive des sie wahrnehmenden Individuums in Abhängigkeit von Kontext und psychophysischer Disposition. Erlebnisse existieren demnach allein in der Wahrnehmung und Verarbeitung durch das Individuum ("Subjektbestimmtheit"361). Sie haben damit zunächst singulären Charakter. Mit diesem Prozess der Aneignung von Wirklichkeit 362 korreliert der Prozess der Entäußerung. An seiner Oberfläche zeigt das Individuum sich und anderen unbewusst wie bewusst die Ergebnisse des Aneignungsprozesses. Als evidentes gesellschaftliches Phänomen ergibt sich daraus Intersubjektivität363, die partiell die Singularität des individuellen Handelns aufhebt. Identität stellt ein lebenslanges Projekt des Menschen dar.364 Soll Identität entwickelt werden, muss sie gegen die Erosion durch das Vergessen geschützt und behauptet werden. Diese Perpetuierung in seiner Biographie gelingt dem Individuum in der beständigen Reflexion seiner Aneignungs- und Entäußerungshandlungen. Es entstehen dadurch neben den Erlebnissen, die sich auf ursprüngliche Impulse zurückführen lassen, solche, die in den Handlungsformen der Reflexion ("Erinnern, Erfinden, Interpretieren, Bewerten"365) fortgesetzt und fortentwickelt werden. Einher damit geht zugleich eine qualitative Veränderung der Interaktion des Individuums mit sich und anderen, denn die Selbstbeobachtung wird zur wesentlichen Voraussetzung der Reflexion. In der weitgehend individualisierten Gesellschaft der Postmoderne wird am Ende der vollständigen Dekonstruktion über-individueller Kriterien die Reflexivität zur alleinigen Hermeneutik des Individuums. Gelingendes Leben heißt aus der Perspektive der Erlebnisorientierung gerade nicht allein konsumptive Inbesitznahme des materiellen Kontextes, wie besonders Jugendlichen unterstellt, sondern Entwicklung und 356 SCHULZE 1996, 41 357 SCHULZE 1996, 417-458 358 Vgl. die Gestaltung der Beziehung zwischen Innen- und Außenwelt durch das Individuum in der Dialektik der Basisaktivitäten "Externalisierung", "Objektivierung" und "Internalisierung", BERGER/LUCKMANN 2001, 65: "Gesellschaft ist ein menschliches Produkt. Gesellschaft ist eine objektive Wirklichkeit. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Produkt." [Hervorhebung durch Vf.]; 359 SCHULZE 1996, 44 360 Vgl. HURRELMANN 2001 361 SCHULZE 1996, 44 362 Vgl. dazu: HURRELMANNs Begriff des "realitätsverarbeitenden Individuums", HURRELMANN 2001 363 Vgl. dazu den Begriff der "Sedimentierung" bei BERGER/ LUCKMANN 2001; weiter die Bedeutung des "dominanten sozialen Codes" beim En- und Decoding, HALL nach CHANDLER 2002 364 Vgl. ERIKSONs "Lebenszyklen" nach TILLMANN, 1994, 206-212 365 SCHULZE 1996, 45 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 73 Behauptung von Identität. Dazu dient einerseits die weitgehende Funktionalisierung der Kontexte, die vom Individuum allein deswegen vorgenommen wird, um sich selbst (als letztes Relikt der Vergewisserung in einer dekonstruierten Welt) erleben zu können. Andererseits sucht das Individuum diese Prozesse zu verstetigen. Dies gelingt ihm mittels der Reflexivität, in der permanenten Beobachtung des Selbst. Der Verarbeitungscharakter beider Varianten der Erlebnisorientierung zeigt sich in Aneignungs- und Entäußerungshandlungen. Die Intentionalität des individuellen Handelns verweist dabei weniger auf eine affektive, denn auf eine rationale Steuerung dieser Prozesse, etwa in den logischen-syntaktischen Nexus, mit welchen die Individuen Innen- und Außenwelt verknüpfen. Subjekt Die Aneignungs- und Entäußerungshandlungen des Individuums müssen, um den Veränderungen menschlichen Interaktion beim Übergang von der Moderne zur Postmoderne gerecht werden zu können, zunächst vornehmlich als Konstitution von Wirklichkeit, Alltag und Lebenswelt begriffen werden. "Situation ist alles, was sich außerhalb von Bewusstsein und Körper befindet, jedoch damit in Beziehung steht [...] Dieser Situationsbegriff ist aus der Perspektive des einzelnen heraus konstruiert; er meint denjenigen Ausschnitt der objektiven Wirklichkeit, mit dem es ein gegebener Mensch zu tun hat [...]." 366 Erst aus dieser Perspektive erschließt sich ein adäquates Bild gesellschaftlicher Wirklichkeit, die auf der Innenorientierung der Individuen aufbaut und sich mittels einer – von den Individuen wie der Forschung noch zu entdeckenden und beschreibenden - psychophysischen Semantik artikuliert367. Andererseits richten sich die Bemühungen der Individuen um Erlebnisse auf die Gestaltung ihrer sich in einer hochkomplexen materiellen Welt und ihrem fast unerschöpflichen Angebot konkretisierenden Situationen. Dabei zeigt sich in den Entäußerungshandlungen der Menschen als Indikatoren der Wirkung, welche vergleichbare Situationen auf sie gehabt haben, vielfach ein hohes Maß an Übereinstimmung: analoge Situationen (und das in ihnen mobilisierte Materielle) führen offensichtlich zu zumindest ähnlichen Handlungen der Individuen368. Dem Angebot an relevantem Material zur Gestaltung erlebnisorientierter Situationen bzw. Kontexte kommt in der Welt der Erwachsenen wie Jugendlichen und Kinder damit eine entscheidende impulsgebende und evokative Bedeutung zu, mit der Erlebnisse ausgelöst werden.369 Gleichzeitig spiegeln Nachfrage und Markt die Routinisierung der individuellen Aneignungs- und Entäußerungshandlungen.370 Schon die Aufmachung eines Game Set, einer CD oder eines sonstigen Produktes wie das Product Placement geben den Individuen Anregungen zu einer von den Produzenten des Materials antizipierten konstitutiven Verwendung. Weiter kommt es dabei zur Überschneidung verschiedener Logiken und Semantiken, etwa derjenigen der Produktionsrationalität einer globalisierten Marktwirtschaft mit der individuellen Erlebnisrationalität, die beide weitgehend, aber nicht deckungsgleich sich der neuen psychophysischen Semantik bedienen. 371 Das bedingt ein hohes Maß an Diversifikation und Differenzierung des Materialangebots zur potentiellen Wahrnehmung von Individuation bei gleichzeitiger struktureller Homogenität, denn die Individuen müssen in der Lage sein, das Material anhand mitgelieferter Handlungsroutinen zu Konstitutionszwecken auch verwenden zu können372: Im Angebot- und Marktsegment der Fantasy-Rollenspiele erscheinen als Impulse zur routinierten Gestaltung von Erlebnissituationen die Regelwerke und Kompendien, die Zirkel der immer wieder verwendeten narrativen Formen, die stilbildenden graphischen Gestaltungen, die weitgehend vorhersehbaren Fiktionen der Erzählungen. Daneben steht ihre hochkomplexe Ausdifferenzierung im gestaltenden Handeln der Jugendlichen. 373 366 SCHULZE 1996, 48-49; vgl. weiter SCHULZE 1996, 237-242 (Subjekt und Wirklichkeit); 367 SCHULZE 1996, 249-257 (Von außenorientierter zu innenorientierter Semantik); 338-347 (Komplexität und Einfachheit); 348-363 (Homologien); die Menschen benutzen immer noch weitgehend Begriffe der ökonomisch-materiellen Semantik zur Artikulation ihrer psychophysischen Disposition der Erlebnis-/Innenorientierung und scheinen damit zwangsläufig immer wieder auch Handlungsroutinen der Moderne zu verfallen; 368 SCHULZE 1996, 125-168 (Alltagsästhetische Schemata in Deutschland); 369 Zu Umfang und Komplexität vgl. die Darstellung in Kap. 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements als Angebot; s.a. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung FRPG-Angebot-Überblick 2003; Bilder/ Bild 1.13-1 FRPG-Angebot-Überblick.bmp 370 Begriff des "Script" bei HENGST 1990 371 vgl. ECOs Begriff des "Consumismo", ECO 1984 372 Begriff des "Script" bei HENGST 1990; Begriff des "Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements" bei BACHMAIR 1996 373 Vgl. dazu: Kap. 5 Fantasy -Rollenspiele –ein Medien-, Text- und Ereignisarrangements in der Nutzung; 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 74 Subjekt - Situation Während in der Moderne der Kontext als die den Menschen und sein Handeln hauptsächlich bestimmende Größe gesehen wird, führt der Paradigmen-Wechsel der Postmoderne zu einer Rückbesinnung auf das gestaltende Handeln des Individuums und zum Verständnis einer in der Forschung unterschiedlich gewichteten Korrelation zwischen Innen- und Außenwelt.374 In der Perspektive des Individuums verdichtet sich der Kontext, je näher er sich dem Individuum zu nähern scheint und zu seinem Handlungsraum wird. "Dieser Situationsbegriff ist aus der Perspektive des einzelnen heraus konstruiert; er meint denjenigen Ausschnitt der objektiven Wirklichkeit, mit dem es ein gegebener Mensch zu tun hat."375 Die großen Systeme und Strukturen der Gesellschaft erfahren die Individuen in konkret von ihnen beeinflussten Bereichen wie Beruf, Alltag und Lebenswelt376. Dabei entstehen relativ dauerhafte Relationen zwischen der Innen- und Außenwelt der Individuen, die gerade an der dieser Nahtstelle ihre Identität sich und anderen zeigen und erfahren können. Diesen Relationen kommt eine für die Individuen essentielle Bedeutung zu. 377 Die autonomen und heteronomen Aspekte der Beziehung des Individuums zum Kontext – in der Perspektive des Individuums ein Aneignungs- und Entäußerungshandeln - lassen sich als einfaches Regelkreissystem mit dem ihm typischen Rückwirkungseffekten modellieren. Ein spezifischer Kontext evoziert eine Reaktion des Individuums, die nun wiederum auf den Kontext einwirkt oder vice versa ein vom Individuum vorgenommener Impuls wirkt auf den Kontext ein und zugleich zurück auf das Individuum. Der Einfachheit des Modells entspricht natürlich nicht die Komplexität der Realität. Zwar versucht das Individuum, die Wirkung seines Impulses abzuschätzen, muss aber davon ausgehen, dass es sehr wenig über die Wirkungszusammenhänge des Kontextes weiß. Das Lag zwischen Impuls und den verschiedenen Phasen des Feedback erschwert das Steuerungsbemühen des Individuums und kann dazu führen, dass es sein Handeln konterkariert oder es sogar kontraproduktiv ausfällt. Regelkreismodelle, die versuchen, dynamische Interdependenzen temporärer, sozialer oder auch psychischer Natur in Systemen abzubilden, erweisen sich in ihrer Aussage besonders dann als problematisch, wenn sie versuchen, Entwicklungen zu interpolieren oder zu antizipieren. Betreffen Die Individuen erfahren die Wirkung ihrer Kontexte zunächst als ein Begrenzen. Grundsätzlich gilt, dass die den Individuen zur Verfügung stehenden Ressourcen knapp sind. Neben die daraus resultierenden faktischen Zwänge treten im Zuge der Verteilungskämpfe weitere Zugangsbeschränkungen, Nutzungsvorschriften, Effizienzüberlegungen: eine Vielzahl von Normierungen. Kontexte legen weiter dem Handlungsimpetus der Individuen kontextspezifische Alternativen nahe. Die Individuen sind aufgefordert, in Trial-and-error-Verfahren herauszufinden, welche dieser Alternativen in welcher Weise geeignet sind, ihrer Intention der Innenorientierung zu entsprechen. Diese Erfahrungen fließen in das weitere Handeln der Individuen ein, es findet ein Lernen statt. Situationen evozieren und stimulieren konkretes Handeln der Individuen. Diese Erfahrung legt den Individuen nahe, so weit wie möglich den Kontext in einem aus der Perspektive der Innenorientierung relevanten Sinn beeinflussen und gestalten zu wollen. Handeln Das Einwirken der Individuen auf die Kontexte ist allerdings aufwendig und stets von Misserfolg bedroht. Gerade die Begrenzung, die von den Kontexten ausgeht, ist oder scheint vielfach vom Individuum gar nicht oder doch nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand überwindbar. Neben die notwendige Bereitstellung 374 HURRELMANN 2001, 73; Begriff der "Intertextualität" nach CHANDLER 2002, 194-196 375 SCHULZE 1996, 48 376 Schon die klassische Kommunikationstheorie unterscheidet zwischen normativem und situativem Kontext und ergänzt diese Differenzierung durch einen konstitut iven Aspekt, das sog. partnertaktische Programm der Individuen, vgl. MEESE/SEIVERTH 1974, 9, 19-21 377 SCHULZE 1996, 49: "Existenzformen"; 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 75 psychischer Energie 378 als Aufmerksamkeitszuwendung tritt als ebenso knappe Ressource der Zeitaufwand, mit dem zu rechnen ist. Die Veränderung der Kontexte setzt deshalb als essentiell bzw. existentiell empfundene Bedürfnisse des Individuums voraus, wenn es diesen Versuch wagen soll.379 Eine weniger aufwendige Form des Handelns der Individuen mit Kontexten ist deren symbolische Repräsentation in Zeichen: "Symbolisieren ist die Verwendung von Komponenten der Situation als Zeichen und/oder der Hinweis auf Aspekte der Situation durch Zeichen."380 Damit wird die eigentliche Aneignung des Kontextes vermieden, trotzdem aber steht der Kontext als symbolisches Material nun dem Individuum zur Verfügung. Im Arrangement der Symbole erfährt sich das Individuum als konstitutiv Handelndes, was ihm eine Realisierung seiner Innenorientierung auch in Kontexten ermöglicht, die zunächst nicht veränderbar scheinen. Wichtig ist dabei, das die Erstellung der Symbole und deren Verwendung vom Individuum geleistet werden muss. Mit der Überwindung und Aufhebung des Mangels in der Wohlstandsgesellschaft und der Bereitstellung eines fast unerschöpflichen Kontinuums an Alternativen381 wird ein weiterer Modus, wie Individuen in Kontexten handeln, mehr und mehr wichtig: das Wählen: "Wählen ist das Verändern der Situation durch Umorganisation von Verknüpfungen (situative Komponenten, mit denen das Subjekt verknüpft ist, sind beispielsweise Waren, Ambientes, Fernsehprogramme, Institutionen, berufliche Umwelten, Personen)."382 In der gegenseitigen Einflussnahme von Kontext und Individuum zeigt sich dabei auch eine säkulare Veränderung. Die "Bedürfnisgesellschaft" thematisiert den Mangel und die Begrenzung der Konstitutionspotentiale des Individuums: "Das Einwirken auf die Situation war darauf ausgerichtet, sich in ihr zu arrangieren oder ihre Grenzen zu erweitern, den Mangel zu verwalten oder zu lindern. Unter solchen Umständen kam es zur Entstehung geschichteter Gesellschaften mit einer fundamentalen ökonomischen Semantik [...]. Erlebnisse blieben für den größten Teil der Bevölkerung Nebensache; die Rationalität des Handelns war typischerweise außenorientiert (situationsbezogen)."383 Unter den Bedingungen einer pluralistischen Wohlstandsgesellschaft wird eine Erlebnisorientierung der Individuen überhaupt erst möglich. Gleichzeit verschieben sich die bisherigen Koordinaten des Systems gegenseitiger Einflussnahme von Kontext und Individuum: Der generellen Verfügbarkeit von Waren, Gütern und Dienstleistung entspricht nun eine fast alleinige Evokationsfunktion der Kontexte, - signifikant in einem dem Individuum zur Verfügung gestellten Angebot -, mit der weitgehenden Innenorientierung der Individuen korreliert eine Rationalität, deren Handeln sich weitgehend als eine konstitutive Selektion manifestiert. Erlebnisgesellschaft Die säkulare soziale Veränderung von Alltag und Lebenswelt führt zu einer "[...] Gesellschaft, die im (historischen und interkulturellen Vergleich) relativ stark durch innenorientierte Lebensauffassungen geprägt ist. Die Untersuchung der Erlebnisgesellschaft zielt auf Gemeinsamkeiten ab, die sich unter dem Einfluss innenorientierter Lebensauffassungen entwickeln."384 378 CSIKZENTMIHALY; ROCHBERG-HALTON 1989 379 Vgl. dazu: die Fokussierung des Zeitaufwands und der Begriff des Sozialen Kapitals bei BOURDIEU nach BEASLEY-MURRAY 2000 380 SCHULZE 1996, 50 (Hervorhebung Vf.); vgl. dazu auch: CSIKZENTMIHALY; ROCHBERG-HALTON 1989, 35; Begriff des 'Symbols' bei PEIRCE nach SEBOEK 1979, 20-25; 112-116 381 SCHULZE 1996, 51, 58-60 382 SCHULZE 1996, 50 383 SCHULZE 1996, 51, 249-258 (Von außenorientierter zu innenorientierter Semantik); 384 SCHULZE 1996, 54 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 76 In ihr erhalten zwar die Individuen ihre Würde zurück, indem sie als zumindest partielle Gestalter ihrer Wirklichkeit, ihres Alltags und ihrer Lebenswelt auftreten und nicht mehr allein heteronom bestimmte Objekte ihrer Einflussnahme sich entziehenden Institutionen sind. Andererseits wird damit die adäquate Gestaltung der Kontexte als wesentliches Instrument einer der Innenorientierung verpflichteten Identitätsbildung zur Lebensaufgabe des Menschen. Wie schon BECK aufzeigt385, erhöht sich dadurch die Lebensqualität des Individuums nur sehr bedingt, denn der mit sich und in sich selbst durchgeführten Reflexion fehlt es an objektiven Kriterien für die aus ihr abzuleitenden notwendigen Entscheidungen. Das Phänomen einer nach innen gerichteten Modernisierung als Jahrhundertprojekt der Menschheit führt nach der Dekonstruktion der bisherigen transzendenten und extra-individuellen Normen zur Orientierungslosigkeit. Die Individuen als Gegenstände der Selbstbeobachtung erfahren die allen Wahrnehmungsprozessen eigene hermeneutische Problematik der Rückkoppelung von Wahrnehmung, Deutung und Erkenntnis.386 "Reflexion kann Ursprungserlebnisse nicht wiederholen; vielmehr besteht sie gerade darin, Ursprungserlebnisse auf eine Weise zu betrachten, die etwas Neues entstehen lässt. Was für die Anschauung der Welt durch das Subjekt gilt, muss auf die Anschauung des Subjekts durch das Subjekt ausgedehnt werden: Das Ergebnis der Beobachtung ist durch die Art und Weise beeinflusst, wie man beobachtet."387 Der bei diesem reflexiven Prozess drohenden Regression entgehen die Individuen, indem sie einmal die Reflexion nicht systematisch, sondern innen- und erfolgsorientiert betreiben. Zum anderen orientieren sie sich an – in ihrer Perspektive – erprobten und durch ihre soziale Repräsentanz Effizienz versprechenden Handlungsroutinen. "Dies ist die Stelle, wo sich das Subjekt in der Erlebnisgesellschaft kollektiven Schematisierungen öffnet, fast immer, ohne es zu merken. Man übernimmt intersubjektive Muster."388. Das Phänomen der Intersubjektivität lässt sich systemtheoretisch modellieren als Interdependenz selbstreferentieller Systeme, an deren Grenze Prozesse struktureller Koppelung stattfinden389. Im Individuum kommt es demnach zunächst zu einer (selbstreferentiellen) Verknüpfung der "Differenzierung in Bewusstsein, Körper und Situation"390 . Diese Verknüpfung kann sich einerseits intrasubjektiv verstetigen und stabilisieren, andererseits kann sie intersubjektiv bei verschiedenen Individuen auftreten. Auch dieses Phänomen kann sich durch Verstetigung – "Wiederholungen" – stabilisieren: "Verbindungen von Zeichen und Bedeutungen sind Beispiele für Gemeinsamkeiten. [...] Alltagsästhetische Schemata, die im dritten Kapitel analysiert werden, sind zusammengehörige Mengen solcher Zeichen-Bedeutungs-Verbindungen." 391 Der Prozess von Aneignung und Entäußerung allerdings führt zwangsläufig dazu, dass bei aller evidenten Gemeinsamkeit in Orientierung und Handeln die Konstitutionsleistungen trotzdem immer in der Perspektive des Individuums weitgehend als autonom betrachtet werden und damit zum Projekt eines gelingenden Lebens beitragen. Neue Bedürfnisgesellschaft Die Realisierung der Innenorientierung in Form eines auf Kontexte bezogenen Gestaltungshandelns der Individuen bewirkt in der Erlebnisgesellschaft eine permanente Expansion der Möglichkeiten. Dabei folgen die Kontexte offensichtlich einer anderen Rationalität als die Individuen. Während in der Moderne die Rationalität beider Entitäten noch gleich war und in einer gemeinsamen ökonomischen Semantik ihren Ausdruck fand, folgen die Individuen nun einer psychophysischen Semantik in dem Bemühen, ihr Projekt Gelingendes Leben zu realisieren, die Kontexte aber sind weiter – und mehr denn je – der marktwirtschaftlichen Produktions- und Konsumrationalität und ihrer Semantik verhaftet. Mit ihrem auf die Gestaltung der Kontexte zielenden Handeln kommen die Individuen nicht umhin, sich mit dieser Form von Rationalität auseinandersetzen zu müssen und an dem "Steigerungsspiel" teilzunehmen. Der Erfolg der marktwirtschaftlichen Produktions- und Konsumrationalität lässt sich unschwer an ihrer mittlerweile globalen Institutionalisierung ablesen. Neben die 385 BECK 1989, 220-253 386 GUDJONS 1999, 58-62 387 SCHULZE 1996, 52 388 SCHULZE 1996, 53: 389 Vgl. dazu: Konzept der "Interpenetration" autopoietischer Sy steme nach LUHMANN, Konzept der "strukturellen Koppelung" nach MATURANA; SCHMIDT 1996, 5-10 390 SCHULZE 1996, 53 391 SCHULZE 1996, 53 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 77 traditionellen Bedürfnisse, deren Befriedigung noch immer für mehr als zwei Drittel der Menschheit nicht ausreichend möglich ist, treten die Waren, Güter und Dienstleistungen neuer Bereiche wie Informationstechnologien oder Human Sciences, die den Gewinnern dieser Entwicklung, den westlichen Industriegesellschaften und ihren Individuen, neue Möglichkeitsräume verschaffen. Über die Kontexte nun dringt in die Innenorientierung der Individuen auch die Rationalität und Semantik der Ökonomie ein: "Eine Form der Rationalität, die zur Optimierung von Maschinenleistungen taugt, sollte nun auch zur Optimierung von Gefühlen, Erlebnissen, Eindrücken, Einsichten, Projekten der Selbstverwirklichung, ästhetischen Ereignissen und körperlichen Empfindungen herhalten."392 Resultat ist ein neuer Überfluss, die Produktion und Akkumulation von Nicht-Notwendigen, von Noch- Wünschbarem, ohne das damit das grundsätzliche Problem eines "subjektiv sinnvollen Auskostens" gelöst wird. Zwar liefern die Kontexte ein Mehr an Orientierungen, sie entheben aber das Individuum gerade nicht seiner Aufgabe, sich selbst zu erleben und seine Identität zu entwickeln und zu behaupten: "Aber die Steigerungslogik verfehlt ihr Thema, wenn Selbsterkenntnis, Annäherung an Werte, Ankunft und Verweilen können gefragt sind. Sie täuscht Kalkulierbarkeit und Objektivität vor, wo es um die reflexive Entfaltung des Ich geht. Die Steigerungslogik entfesselt die Verschiedenartigkeit der Menschen, aber sie kann ihr nicht gerecht werden. An die Stelle von Sinn tritt eine Sinnillusion - die bloße Vermeidung von Desorientierung." 393 Resümee BECK und SCHULZE beschreiben auf der Grundlage eines Datenmaterials der späten 80er bzw. frühen 90er Jahren den Übergang von der Gesellschaft der Moderne zur Postmoderne und kommen zu Erkenntnissen, welche insbesondere die aktuelle gesellschaftliche Situation von Jugendlichen und jugendlichen Subkulturen weiter adäquat beschreiben. Ulrich BECK richtet den Fokus seiner Analyse auf die veränderten Bedingungen von Pubertät und Adoleszenz als entscheidende Entwicklungsphasen des Jugendlichen und betont neben den erweiterten Möglichkeiten einer sich individualisierenden Gesellschaft besonders die Risiken dieses Prozesses für die Jugendlichen, die sich aus weitgehenden Delegation von Entscheidung und Verantwortlichkeit an sie durch die bisherigen Sozialisationsinstanzen ergeben. Von der Anlage der Untersuchung her berücksichtigt Gerhard SCHULZEs Perspektive zwar mehr die Alltagsgestaltung von Erwachsenen, doch lassen sich seine Erkenntnisse, besonders die von ihm erarbeitete fundamentale Semantik einer Innenorientierung und Erlebnisrationalität, mit Gewinn auf Jugendkulturen übertragen. Besonders seine Neudefinition des Erlebnisses als zentrale reflexive Wahrnehmung des Individuums in der Postmoderne ist geeignet, einer im Umgang mit Phänomenen von Jugendlichen üblichen disqualifizierenden Betrachtung ihres Handelns entgegenzuwirken und als sinngebende Prozesse von Auseinandersetzung mit Umwelt und Identitätsfindung zu verstehen. 2.2.5 Psychologie der Alltagsgestaltung - Intrinsische Motivation und "Flow" Objekte Nach dem Ende der wegweisenden Großen Erzählungen orientiert sich in den heutigen westlichen Gesellschaften die Gestaltung von Alltag und Lebenswelt an einer neuen Pragmatik: "Man lebt nur einmal. Fangen Sie doch einfach damit an."394 Gerade für Jugendliche, die im Zuge der gesellschaftlichen Modernisierung nicht mehr eine traditionelle Sozialisation durch Institutionen erfahren, sondern bei der Gestaltung ihres Alltags und ihrer Lebenswelt und besonders bei der Transzendierung ihres Handelns auf sich 392 SCHULZE 1999 393 SCHULZE 1999; VOGELGESANG 2001, 153: "Nicht mehr die Fetische Inhalt und Wirkung und ihre isolierte Betrachtung bilden mithin den paradigmatischen Fokus unserer Jugend- und Medienforschungen, sondern der Rezeptionsvorgang und die Analyse der in ihm vollzogenen Prozesse voll Interpretation, Sinngebung und Konstruktion der Realität." 394 Nach einer Anzeige der Firma Peugeot besteht das Leben des heutigen Menschen aus 40 Jahren Arbeit, 25 Jahren Schlaf und 8,3 Jahren Fernsehen, TV-Spielfilm, 10 05.-22.05.1998, 79 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 78 selbst zurückgeworfen sind, verweist der Werbeslogan und seine immanente Aufforderung zum Erwerb von Konsumgütern auf die heute dominante Lösung der Sinnfrage. In der Aneignung und Nutzung von Gegenständen und deren Bedeutung erfährt das Individuum sich in einem gewissen Maße autonom handelnd und seine Umwelt gestaltend. Das Objekt und die in ihm verdichteten symbolischen Objektivationen stiften im Umgang mit ihm Sinn in Alltag und Lebenswelt. Im Konsum der Objekte versichert sich das Individuum der Eigenschaften, die in ihnen abgebildet sind. Objekte haben für den Gestaltungsprozess der Lebenswirklichkeit eine grundlegende Bedeutung: "Die Faktizität des gesamten Bereichs menschlicher Angelegenheiten hängt davon ab, einmal dass Menschen zugegen sind, die gesehen und gehört haben und darum erinnern werden, und zum Anderen davon, dass eine Verwandlung des Nichtgreifbaren in die Handgreiflichkeit eines Dinghaften gelingt. Ohne Erinnerung und die Verdinglichung, die aus der Erinnerung selbst entspringt, weil die Erinnerung der Verdinglichung für ihr eigenes Erinnern bedarf (warum sie denn auch, wie die Griechen sagen, die Mutter aller Künste ist), würde das lebendig Gehandelte, das gesprochene Wort, der gedachte Gedanke spurlos verschwinden, sobald der Akt des Handelns, Sprechens oder Denkens an sein Ende gekommen ist; es würde sein, als hätte es sie nie gegeben."395 Die "Verdinglichung unserer westlichen Kultur"396 beruht auf der Instrumentalisierung von Objekten zur aktiven wie reflexiven Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt, das sich in ihnen diese aneignen und zugleich diese Aneignung auch sich selbst und anderen gegenüber ausweisen kann. "Objekte beeinflussen die Möglichkeiten des Menschen entweder durch Erweiterung oder durch Einengung des persönlichen Horizonts von Denken und Handeln. Und weil jemandes Tun zu weiten Teilen seine Persönlichkeit ausmacht, kann man sagen, dass Objekte einen determinierenden Einfluss auf seine personale Entwicklung haben. Deshalb ist es so entscheidend, die zwischen Menschen und Dingen existierende Art von Beziehung zu verstehen." 397 Der Umgang des Individuums mit Objekten hat also neben der sozialen gerade auch eine individualpsychologische Dimension. Als Entäußerungshandlung lässt sich dieses Interagieren des Individuums mit seiner Umwelt über Objekte beschreiben als eine Subjektivierung von Welt, in der Aneignung dagegen erfolgt komplementär eine Objektivierung der Person.398 Damit verläuft parallel zur Auseinandersetzung des Menschen mit den Subjekten seiner Umgebung als Sozialisationsprozess eine Auseinandersetzung des Menschen mit den Objekten seiner Umwelt und situativen Kontexts als ein Prozess der "Kultivation"399. Damit wird menschliche Interaktion mit der Umwelt als intentionales Handeln beschrieben in dem Sinne, "[...] dass die Sinn- und Bedeutungswahrnehmung einen Prozess der aktiven, zielgerichteten Interpretationstätigkeit impliziert." Im Zuge dieser Interpretationstätigkeit entwickeln die Individuen für die Objekte und das handeln mit ihnen eine hohe Varianz an Bedeutungsinhalten, welche die Gestaltung der Umwelt im Aneignungs- und Entäußerungsprozess individualisiert und als – zumindest begrenzt - autonomes Handeln erfahren lässt. "[Die] potentielle Bedeutsamkeit von Dingen [wird] in einem Prozess der aktiven Kultivation eines Bedeutungsuniversums realisiert [...]; dieses reflektiert die existentiellen Ziel-Werte eines Menschen und fördert zugleich ihre Hervorbringung."400 Mit diesem Ansatz greifen ROCHBERG-HALTON bzw. CSIKSZENTMIHALYI Aspekte der phänomenologischen Diskussion von HUSSERL und SCHÜTZ401 auf, aber auch Elemente der intentionalen Interaktionstheorie und des symbolischen Interaktionismus.402 Grundlegende Bedeutung erhält deshalb der 395 ARENDT 1981, 87-88 396 LANG 1989, 8 397 CSIKZENTMIHALY; ROCHBERG-HALTON 1989, 62 398 Vgl. die Triade "Externalisierung", "Objektivation" und "Internalisierung" bei BERGER/ LUCKMANN 2001, 65 399 ROCHBERG-HALTON 1979a; ROCHBERG-HALTON 1979b 400 CSIKZENTMIHALY; ROCHBERG-HALTON 1989, 14 401 SCHÜTZ 1991; GRATHOFF 1989 402 HEINZ 1980, 415 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 79 Symbolbegriff von PEIRCE, demnach das physische Ding "[...] wesentliche[r] Bestandteil des interpretativen Zeichenprozesses [ist], welcher Bedeutung konstituiert [...]."403 Die ontogenetische Entwicklung des Menschen lässt sich damit beschreiben als fortgesetzter Kultivationsprozess, der sich in der Gestaltung von und mit Objekten in wachsender Anzahl und Komplexität manifestiert. Allein diese quantitative wie qualitative Progression, die unserem Empfinden nach sich zusätzlich noch zu beschleunigen scheint404, zwingt angesichts der Beschränkungen der menschlichen Wahrnehmungs- und Interaktionspotentiale die Individuen zu Techniken der Nachhaltigkeit und Verstetigung. Sie haben deshalb Fertigkeiten entwickelt, die ihnen den Umgang mit den Objekten langfristig ermöglichen.405 Im Sinne des symbolischen Interaktionismus kommt den Objekten im Umfeld der Individuen Zeichencharakter zu. Sie müssen wahrgenommen und gedeutet werden. In Aneignung und Entäußerung erfahren die Objekte als Zeichen im Gestaltungsprozess durch die Menschen eine Wandlung hin zu symbolische Objektivationen, die auf die Personen zurückverweisen, von denen sie herstammen: "Physische Dinge 'verkörpern' Ziele, machen Fertigkeiten manifest und gestalten die Identität ihrer Benutzer. [...Deren] Persönlichkeit stellt in großem Ausmaß eine Widerspiegelung der Dinge dar, mit denen er agiert. Also produzieren und nutzen auch Objekte ihre Produzenten und Nutzer." 406 Die Bedeutung von Objekten gerade für die Gestaltung von Alltag und Lebenswelt durch Jugendliche scheint evident und wird für die Mitglieder der Fantasy-Rollenspiel-Szene besonders deutlich in dem umfangreichen Angebot an Texten verschiedenster Art und Formate, die ihnen zur Verfügung stehen und von ihnen genutzt werden. Dabei wird deutlich, das zu diesen Objekten nicht allein dem Fantasy-Rollenspiel genuine bzw. spezifische Materialien zu zählen sind, sondern weiter der gesamte Komplex von Konsumption, der in seiner Strukturierung mit der Subjektkonstitution des einzelnen wie mit den distinktiv-integrativen Vergesellschaftungsformen korreliert. Der Objektbegriff muss, schon um der Intertextualität der von den Jugendlichen geschaffenen Medien-, Text- und Ereignisarrangements gerecht zu werden, dabei auf Texte jeder Art und jeden Formats erweitert werden.407 Die Person als Objektbeziehung408 Den Objekten gegenüber steht der Mensch, dessen Individualität als eigentliches Humanum sich in seinem intentionalen Handeln bestimmt. Dies setzt Autonomie voraus, soll der Mensch "[...] nicht nur seiner Existenz bewusst [sein], sondern auch Kontrolle über seine Existenz ausüben [...], indem er diese auf gewisse Ziele ausrichtet."409 Das Persönlichkeitsmodell der Moderne geht von einem Selbst aus, das seine Wahrnehmung, seine Erkenntnis und sein Wissen als Ausweis einer subjektiven Aufmerksamkeitszuwendung versteht, andererseits aber um die Interferenz zwischen wahrnehmendem Subjekt und wahrgenommenen Objekt weiß. Diese Interferenz ergibt sich einerseits aus äußerer Täuschung der sensitiven Wahrnehmung bzw. physischen wie psychischen Defiziten des menschlichen Wahrnehmungsapparates410, andererseits aus innerem Fehlschluss bzw. der Integration der rational-logischen Analyse in die Gesamtpsyche411. Trotz dieser Einschränkungen kann sich das Selbst anhand distinktiver Ideen als intentional handelndes Subjekt von seiner Existenz bzw. Umwelt unterscheiden. Nicht hinterfragt wird dabei die Annahme, "[...] dass [...] vom Selbst unmittelbar Kenntnis erlang[t werden kann] und dass [das Selbst] sich als subjektives und privates Selbstbewusstsein darstellt."412 403 PEIRCE zit. n. CSIKZENTMIHALY; ROCHBERG-HALTON 1989, 15; 66 404 Vgl. dazu: VIRILIO 1995; SOUTIF 1999; ZENTRALSTELLE BILDUNG DER DEUTSCHEN BISCHOFSKONFERENZ 2001 405 Andererseits scheinen trotz der Bedeutung dieser Kompetenzen im Umgang mit Objekten für die Gestaltung von Alltag und Lebenswelt wie Identitätsbildung diese bislang in der Forschung vernachlässigt, CSIKZENTMIHALY; ROCHBERG-HALTON 1989, 13: "Denn trotz der großen Bedeutung von Dingen wissen wir kaum, warum Menschen sich an Dinge binden und wie diese Bindungen in die Zielsetzungen und aktuellen Erfahrungen von Personen eingehen." 406 CSIKZENTMIHALY; ROCHBERG-HALTON 1989, 21; vgl. dazu auch die Auffassung des Symbolischen Interaktionismus von Objekten als 'Rollenmodelle' bzw. 'sozialisationsrelevante Zeichen', BLUMER 1969, 12 407 FISKE et. al. 1994, 208: "The object, which may be a thing, event or concept [...]." 408 LYON 2002, 30 409 In Anlehnung an FREUDs Begriff der Objektbeziehung: "psychische Aktivitätsstruktur" bei CSIKZENTMIHALY; ROCHBERG-HALTON 1989, 22 410 Vgl. dazu: OESER/ SEITELBERGER 1995, 91-106 411 Zu Defiziten bzw. Bedingungen von Wahrnehmung in system-theoretischer Perspektive auch: SCHMIDT 1969 412 CSIKZENTMIHALY; ROCHBERG-HALTON 1989, 23 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 80 Aber auch distinktive Ideen sind letztlich Prozesse in Raum und Zeit, d.h. also Interaktionsvorgänge von Subjekt und Objekten, denn Selbstaufmerksamkeit setzt voraus, gerade auch das Selbst zum Objekt von Reflexion zu machen und damit der Interferenzproblematik zu unterwerfen. Da sich das Selbst uns nicht unmittelbar, sondern sich unserer Selbstaufmerksamkeit allein in Zeichen bzw. Symbolen darstellt, welche ein autonomes Selbst repräsentieren, werden allein diese Zeichen und Symbole zum Gegenstand unserer Aufmerksamkeit. Damit wird weiter die Möglichkeit ausgeschlossen, die Gesamtheit des Selbst als Resultat seiner konstituierenden Gefühle, Erinnerungen und Gedanken erfahren zu können. Allein die Repräsentationen in den Objekten bzw. Symbolen sind unserer Reflexion zugänglich. 413 Selbstaufmerksamkeit ist als ein dynamischer Prozess zu denken, der in der Auseinandersetzung mit den Objekten zu Korrekturen, zu Modifikationen, zu Weiterentwicklungen in der Wahrnehmung des Selbst führt. In dieser pragmatischen Interaktion des Selbst mit den Objekten bzw. Symbolen, die es selbst wie seine Umwelt repräsentieren, gelingt dem Individuum das Zusammenführen414 von Zeichen und Bedeutungen. Das Finis, die mit einem Ziel verbundene Absicht, wird das entscheidende, das Selbst im Prozess der Selbstaufmerksamkeit steuernde Element. Das Selbst vergewissert sich seiner Autonomie und damit seiner Identität in seinen Interpretationsakten gegenüber den Objekten beständig neu. Begriff und Bedeutung von Psychischer Energie In seinen frühen Arbeiten beschreibt Freud die konstruktiven Prozesse der intentionalen Selbststeuerung des Individuums als Resultate von "bewegliche[r] Aufmerksamkeit" und als eigentliche "psychische Energie" des Menschen mit dem Ziel, einen Zustand der Homöostase zu erreichen.415 "Kultivation ist eine psychische Aktivität, welche aufgrund der menschlichen Fähigkeit zur selektiven und fokussierten Aufmerksamkeitszuweisung bei der Verfolgung von Zielen möglich ist. Weil das Medium der Durchführung intentionaler Akte die Aufmerksamkeit ist, ist es angemessen, sich diese als 'psychische Energie' vorzustellen." 416 Freud unterscheidet einen Primärprozess als einen Vorgang im Unbewussten, in welchem in Verbindung mit der Libido Psychische Energie frei fließen kann, sich in ihren affektiven Verknüpfungen weder an Raum- und Zeitkategorien zu halten braucht und Befriedigung auf direktem Weg anstrebt, von einem Sekundärprozess als einen Vorgang im Vorbewussten und Bewussten, in welchem - dem Realitätsprinzip gehorchend - die Psychische Energie nicht zur direkten Befriedigung führt, sondern später in kontrollierter Form abgeführt wird. Der Prozess ist gekennzeichnet durch eine temporäre Askese gegenüber Bedürfnisansprüchen, die in einer rationalen Durchdringung deutlich wird, etwa durch eine zeitliche Strukturierung als Ablauf und Phasen, ein Ergänzen und Ausfüllen von Defiziten und die Einführung eines legitimierenden Kausalnexus.417 In der Adaption des Energieerhaltungssatzes von HELMHOLTZ sieht FREUD in der Psychischen Energie des Menschen eine begrenzte Ressource. Die Aufmerksamkeit des Individuums richtet sich deshalb auf Objekte seiner Bedürfnisbefriedigung. Psychische Aktivität zeigt sich demnach in den Intentionen, welche die Aufmerksamkeit des Individuums steuern, und letzteres selektiert und verarbeitet entsprechende Informationen im Bewusstsein. Wenn wir etwas aufmerksam betrachten, so geschieht dies, um eine Intention zu realisieren. Und weil die psychische Aktivität das dynamische Geschehen der Selbstreflexion steuert, bestimmt sie auch durch Konstituierung des Selbst die Persönlichkeit des Menschen. "In der Außenwelt-Ordnung gibt es Millionen von Items, die meinen Sinnen zur Verfügung stehen, die aber nie eigentlich in meine Erfahrung Eingang finden. Warum? Weil sie für mich ohne Bedeutung sind. Meine Erfahrung besteht aus Sachverhalten, denen ich bewusst Aufmerksamkeit zuweise. Nur die von mir wahrgenommenen Dinge formen meinen Geist - und ohne selektive Aufmerksamkeit wird Erfahrung zu einem ausgesprochenen Chaos."418 413 MEADs Definition und Differenzierung des Selbst in "Me" und "I", MEAD 1934, 135-214; PIERCE's triadisches Modell s. CHANDLER 2002, 32-36 414 PETSCHENIG 1971, 50: *co-agito; agito als Frequentativum zu ago; 415 TRIMMEL 2000; LYON 2002, 7 416 CSIKZENTMIHALY; ROCHBERG-HALTON 1989, 24 417 DOBLHAMMER 1998 418 JAMES 1950, 402 (Hervorhebung durch den Vf.); 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 81 Das Potential an Aufmerksamkeit, welches das Individuum zur Verwirklichung von Intentionen zum Einsatz bringen kann, ist mehrfach begrenzt. So scheint Psychische Energie generell eine knappe und limitierte Ressource. Ebenso sind ihm von der Quantität der notwendigen Aufmerksamkeitsakte her Grenzen gesetzt. Deshalb muss das intentionale Handeln vom Individuum strukturiert und effizient gestaltet werden, was wiederum auf die Bedeutung der Intentionen wie ihrer Ziele in diesem Prozess hinweist, die damit zu Kriterien der Steuerung werden. Die Fokussierung als wesentliches endogenes Element von Aufmerksamkeitssteuerung wirkt damit notwendigerweise selektiv, d.h. letztlich muss das Individuum anhand der verschiedenen Kriterien Präferenzen vornehmen. Obwohl die Kriterien dieser Fokussierung und Selektion exogen an das Individuum herangetragen werden, intertextuell über die Objekte oder interpretativ über dominante Codes, werden sie zumindest in der Selbstwahrnehmung diese Akte zum Ausweis autonomen Handelns. Das Individuum andererseits transferiert mittels der Fokussierung seiner Aufmerksamkeit auf ein Objekt - als notwendige Strukturierung seines Aufmerksamkeitspotentials nach endogenen wie intertextuellen Kategorien - einen Teil seines Selbst in das Objekt. Ziel dieses Transfers ist die Realisierung der diesem Akt zugrunde liegenden Handlungsintention mit der Erwartung eines positiven Feedbacks und der Bestätigung der in der Gesamtstruktur der Intentionen angelegten Entwicklungsperspektive. Dabei wirkt es sich positiv aus, wenn dem Individuum eine Hierarchisierung von Intentionen und Zielen gelingt, etwa in Form einer Differenzierung nach kurz- und langfristigen Realisierungschancen oder nach Abwägung von Aufwand- und Risikofaktoren. Damit lassen sich psychische Konflikte als Folge von divergenter Aufmerksamkeitsfokussierung bei rivalisierenden Intentionen mit den daraus notwendig resultierenden Interferenzen und Friktionen vermeiden, deren Kennzeichen Angst, Frustration, Entfremdung, Langeweile sind. "Ein für das Individuum optimales Befinden ist dann gegeben, wenn seine Intentionen sich nicht in konflikthaftem Widerstreit befinden. In einem solchen Zustand innerer Harmonie kann der Mensch seine psychische Energie in freier Entscheidung auf Ziele richten, die sich im Einklang mit seinen übrigen Intentionen befinden. Subjektiv wird dies als ein Zustand erhöhten Energieflusses oder gesteigerter Situationsbeherrschung empfunden. Diese Erfahrung wird als anspornend und freudvoll erlebt. Wir haben diesen Zustand vitaler Aktiviertheit und Orientierung in früheren Publikationen ausführlich als das Flow- Erlebnis beschrieben."419 Diese Übereinstimmung in den Intentionen und Zielen herzustellen, erweist sich gerade für Jugendkulturen mit ihrer pubertierenden bzw. adoleszenten Klientel als problematisch. Ihre Mitglieder müssen einerseits das Projekt einer Identitätsfindung bzw. Subjektkonstitution betreiben, andererseits sehen sie sich den heteronomen Vorgaben der Sozialisationsinstanzen im besonderen Maße gegenüber. Die Realisierung von Intentionen und Zielen, in denen primär im Sinne der Subjektkonstitution der Aufmerksamkeitsprozess optimal fokussiert und in Folge zum intrinsisch wirkenden Flow-Erlebnis wird, gerät so in Widerspruch zu den Forderungen und Erwartungen eines immer noch dominanten Teils des sozialen Umfelds. Die Mitglieder der Fantasy-Rollenspiel- Szene lösen diesen Konflikt, indem sie nach Abwägung von Aufwand- und Risikofaktoren zunächst vordergründig und augenscheinlich diesen Forderungen und Erwartungen nachkommen, etwa in ihrem äußeren Erscheinungsbild oder in der Anpassung an Interaktionsmuster konventioneller Kontexte wie Elternhaus und Schule. Da für sie eine Reihe dieser heteronomen Intentionen im Gegensatz zu den sie einfordernden Erwachsenen und deren Institutionen keine essentielle Bedeutung im Rahmen ihrer Subjektkonstitution zu haben scheinen, führt ein Eingehen auf sie auch zu keinen Konflikten. Stattdessen gewinnen die Jugendlichen damit Raum für die Realisierung ihrer eigentlichen Intentionen, indem ihr Verhalten von Seiten der Erwachsenen als Subordination interpretiert wird. Die eigentliche Ebene der Realisierung dieser Intentionen – hier in einer kollektiv betriebenen Fiktionalisierung, mit der Alltag und Lebenswelt gestaltet werden, bleibt der Wahrnehmung der Erwachsenen weitgehend verborgen. Hier ergeben sich für die Jugendlichen der Fantasy- Rollenspiel-Szene wichtige Flow-Potentiale. Individuum und Objekt In der Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt konkretisiert sich das Objekt als 419 CSIKSZENTMIHALYI/ ROCHBERG-HALTON 1989, 29 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 82 "eine bestimmte Informationseinheit [...], die sich mit erkennbarer Identität im Bewusstsein abbildet, ein Informationsmuster, dessen hinreichende Kohärenz oder Binnenstruktur ein konsistentes Bild oder Sprachschema evozieren kann." 420 Diese Beschreibung verweist auf den von PEIRCE entwickelten Begriff des Zeichens und auf einer seiner Unterklassen, auf das Symbol.421 Er definiert das Zeichen als triadische Darstellungs- und Verweisungsrelation: das Zeichen an sich, also die Form, die es annimmt, die Aussage, die das Zeichen produziert und schließlich das Objekt, auf welches das Zeichen sich bezieht und das es repräsentiert.422 Die Interaktion des Individuums mit den Objekten seiner Umwelt führt zu einer spezifischen Form ihrer Interpretation als Symbole. "A sign which refers to the object that it denotes by virtue of a law, usually an association of general ideas, which operates to cause the symbol to be interpreted as referring to the object." 423 Objekte besitzen als Symbole daraus resultierend die besondere Eigenschaft der Objektivität, d.h. sie sind in hohem Maße abgelöst von Zeit und Raum, sie wirken konkret und permanent und eröffnen als Abstraktionen affektiver und emotionaler Erfahrungen die Möglichkeit einer distanzierten und reflektierten Kontrolle und Lenkung des Individuums und seiner Kontexte. Intentionale Objekte implizieren diese Intentionen auf zweifache Weise: zum einen unterliegen sie wie jedes Ding der Interpretation des Subjekts im Aufmerksamkeitsprozess, zum anderen repräsentieren sie Psychische Energie, die im Entstehungsprozess in sie eingeflossen ist. Zu bedenken ist dabei noch, dass sich Objekte allein im Aufmerksamkeitsakt als solche konkretisieren. "[...] die Weltdinge [haben] die Aufgabe, menschliches Leben zu stabilisieren, und ihre 'Objektivität' liegt darin, dass sie der reißenden Veränderungen des natürlichen Lebens [...] eine menschliche Selbigkeit darbieten, eine Identität, die sich daraus herleitet, dass der gleiche Stuhl und der gleiche Tisch den jeden Tag veränderten Menschen mit gleichbleibender Vertrautheit entgegenstehen. Mit anderen Worten, das, was der Subjektivität des Menschen entgegensteht, und woran sie sich misst, is t die Objektivität, die Gegenständlichkeit der von ihm selbst hergestellten Welt, und nicht die erhabene Gleichgültigkeit einer von Menschenhand unberührten Natur. [...] Ohne eine solche Welt zwischen Mensch und Natur gäbe es ewige Bewegtheit, aber weder Gegenständlichkeit noch Objektivität." 424 Objekte repräsentieren aufgrund ihrer Einbettung in den Aufmerksamkeitsprozess des Individuums dessen Intentionen und Ziele und sind deshalb nicht nur Ausdruck, sondern Teil der Identität, die nur als Zeichen sich dem Bewusstsein in Form des Objekts darstellen und erfahren werden kann. "Dinge tragen zur Kultivation des Selbst bei, wann immer sie helfen, bewusstseinsmäßig Ordnung zu stiften auf der Ebene des Individuums, der sozialen Gemeinschaft und der naturgegebenen Strukturen. [...] Die uns umgebende physische Umwelt kann demzufolge kaum je neutral sein. Entweder fördert sie die Entropie bildenden Faktoren mit dem Effekt der Beliebigkeit und Desorganisiertheit des Lebensablaufs oder aber sie unterstützt die zielbindungs- und ordnungsstiftenden Faktoren."425 Objekt-Symbole der Identität Symbolisch interpretierte Objekte spielen in der Organisation des individuellen wie sozialen Lebens eine wesentliche Rolle als Repräsentanz von Identität. Im dinghaften Objekt repräsentie rt sich symbolisch eine interaktive Beziehung zu dem Individuum, das sich seiner intentional bedient, um sein Selbst zum Ausdruck zu bringen. Die dem Objekt physikalisch eigenen bzw. kulturell oder sozial zugewiesenen Eigenschaften gehen dabei auf das Individuum gerade in der primär haptischen Aneignung des Objekts über426. Dabei repräsentieren sie einerseits reflexiv Realität, andererseits antizipieren sie auch Realität.427 Das Dinghafte als entscheidende 420 CSIKSZENTMIHALYI/ ROCHBERG-HALTON 1989, 32-33 421 Vgl. hierzu die Darstellung der von PEIRCE entwickelten Klassen in der Ätiologie bei SEBEOK 1979, 24 422 PEIRCE in der Darstellung bei CHANDLER 2002, 32-35 423 PEIRCE 1931-58, 2249, zit. n. CHANDLER 2002, 38 424 ARENDT 1981, 125 425 CSIKSZENTMIHALYI/ ROCHBERG-HALTON 1989, 35 426 Vgl. dazu die Vorstellung einer kinetischen Energie bei FREUD, s. TRIMMEL 2000 427 GEERTZ 1973; vgl. dazu die Vorstellung der Kathexis mit dem Objekt als Projektionsfläche des Libidinösen und Vorbewussten bei FREUD, s. TRIMMEL 2000 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 83 Qualität von Objektsymbolen wird deutlich bei der Übertragung physischer und metaphysischer Energie, die interaktiv von den Objekten auf das Individuum übergehen soll. Für den Beobachter ist dabei nicht absehbar, inwieweit die von den Objekten präsentierten Symbolwerte einfach nur die Persönlichkeit repräsentieren oder ob sie diese Persönlichkeit vorwegnehmen bzw. sogar konstruieren. "Nun ist aber der Einfluss der unbelebter Objekte auf den Selbstwerdungsprozess weitaus gewichtiger als man aus der wissenschaftlichen Vernachlässigung dieses Vorgangs schließen würde. Auch Gegenstände 'sagen' uns, wer wir sind, zwar nicht mit Worten, jedoch durch die Verkörperung unserer Intentionen."428 Im Alltag der Jugendlichen der Fantasy-Rollenspiel-Szene finden sich zahlreiche Objekte, deren subjektkonstitutive Bedeutung unschwer ersichtlich wird aus der Intensität des Umgangs, den die Jugendlichen mit ihnen pflegen, und der Exklusivität der Positionen, die sie ihnen einräumen. Sie haben, wie etwa selbst gestaltete Miniaturen oder bestimmte Ereignisse und Erlebnisse, einen auch von den Jugendlichen selbst in ihrer biographischen Retrospektive wahrgenommenen hohen Stellenwert bei der Ausbildung ihrer Identität. Sie repräsentieren als Gegenstände mit Kultstatus die einzelnen Phasen der Identitätsentwicklung und sind oft die letzten Spuren ehemals komplexer Medien-, Text- und Ereignisarrangements, in denen sich die Ausformung jugendlicher Identität abbildete. Objekt-Symbole des sozialen Status/ Distinktion Die Statusfunktion symbolischer Objekte stellt eine weiter entwickelte Form von Machtrepräsentation dar, die sich von der vergleichsweise archaischen einer kinetischen Energie abhebt. Sie entspringt sozialen und reflexiven Prozessen der Interaktion: einerseits wird der Status von sozialen Formationen zugewiesen und gespiegelt, andererseits prägt der Statusinhaber die Standards und Normen, welche die soziale Formation mit einem Status verbindet. Status ist dabei die Kontrolle über die psychische Energie anderer, deren Aufmerksamkeitszuwendung dauerhaft durch die Objektrepräsentation eines Selbst hierarchisch gebunden wird. Während des zivilisatorischen Prozesses haben sich die Möglichkeiten der Symbolhaftigkeit von Objekten zunehmend ausdifferenziert. Wesentliche Objekteigenschaften, die Status vermitteln, sind eine eingeschränkte Verfügbarkeit, also Mangel bzw. Seltenheit, damit verbunden der Wert, die Kosten, der Aufwand auf der Basis der ökonomischen Verfügbarkeit und nach den Bedingungen des Marktes.429 Ebenfalls von Bedeutung als Wertkriterium ist die Aufmerksamkeitszuwendung durch andere bzw. vergleichbare Statusinhaber. Derartige Statuszuweisungen können, müssen aber nicht mit anderen Statusfaktoren korrespondieren, d.h. sie wirken allein durch den Gebrauch einer spezifischen sozialen Elite stilbildend und standardisierend. In diesem Zusammenhang bedeutsam wird die Trennung von Statusfunktion und Objekteigenschaften, d.h. Status wird mehr und mehr zu einem vom konkreten Objekt gelösten Symbol, das für sich selbst steht. Es verweist als solches weiter auf die dem Selbst eigene Macht (in der Kontrolle über die Aufmerksamkeitszuwendung anderer), dies heißt aber nicht, dass diese Macht aber wirklich und konkret ist, solange sie nicht beständig ausgewiesen und realisiert wird. Statusinhaber sind zur Demonstration von Macht ständig herausgefordert und neigen dazu, diese Demonstrationen aus Gründen von Effizienz und Stabilisierung bzw. Verstetigung zu ritualisieren bzw. in Meta-Symbolen zu verlagern.430 Objekt-Symbole des sozialen Status/ Integration Individuelle Differenzierung und Distinktion über symbolische Objekte dieser Art in sozialen Formationen können andererseits auch verstanden werden als Elemente eines dialektischen Prozesses der Vergesellschaftung, der neben der Distinktion schließlich auf Integration zielt. So etwa die Erfahrung von Kontinuität oder gemeinsames Erleben konstituenter Situationen in sozialen Formationen. Besondere Bedeutung hat dabei die Einbindung des Individuums in gemeinsames, meist ritualisiertes und affektiv positiv empfundenes Handeln in spezifischen Situationen des Erlebens, in denen das Individuum in der Gemeinschaft aufzugehen meint und das seine Emanation in Objekten wie komplexen Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements finden kann. 428 CSIKSZENTMIHALYI/ ROCHBERG-HALTON 1989, 107 429 Vgl. dazu: die Darstellung von Merchandising-Strategien in Kap. 4.2 Formate/ Neue Formen von Board Games: Clix; 430 Vgl. BOURDIEUs Darstellung des Sozialen Kapitals, BEASLEY-MURRAY 2000, DAUER 2003 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 84 Die Repräsentationsebenen von Objekt-Symbolen Die wesentliche Funktion von Objekten als Symbolen liegt darin, die Relationen zwischen Mensch-Mensch (Selbst-Referentialität), Mensch-Gesellschaft (Fremd-Referentialität) und Mensch-Kosmos (Transzendenz) aufzuzeigen. Symbol-Objekte als "präsentative Symbolformen"431 dieser Relationen sind dialektisch angelegt, im Identitätsfindungsprozess vermitteln sie dem Individuum die Wahrnehmung seiner Singularität wie seiner Gleichheit, in sozialen Formationen dienen sie der Unterscheidung wie der Einbindung des Individuums. Gerade in der Fantasy-Rollenspiel-Szene dienen Objekte der distinktiven Ausdifferenzierung wie der Integration der Szene. Das Who-is-who kulminiert u.a. im Besitz bestimmter wertvoller Raritäten, welche ihre Inhaber als Angehörige der Szenen-Elite ausweisen. Der Grad an Rarität bzw. Wert der Objekte korreliert dabei mit der sozialen Position ihrer Besitzer im Ranking der Szene und Peer Group. Dies führt zu einer äußerst fein abgestimmten Differenzierung in der Szene, zu der allerdings neben den Statusobjekten auch andere Kriterien wie Erfahrung, Interaktionskompetenz etc. beitragen. In der Szene wie in ihren Peer Groups zeigen sich deutlich hierarchische Strukturen im Verhalten der Eliten, etwa von Experten wie den Spielleitern der Fantasy- Rollenspiele gegenüber den normalen Mitgliedern und Rookies. Zugleich herrscht ein erheblicher Aufstiegs- und Anpassungsdruck unter den Peers. Andererseits sind die wenigsten Statusobjekte der Szene wie etwa Rares am Markt direkt erwerbbar, sondern setzen umfangreiche und langwierige Bemühungen des einzelnen voraus, der ihrer habhaft werden will. Die Intensität dieses Bemühens nun wieder legitimiert den Besitz dieser Objekte und den Status ihrer Besitzer. Von erheblicher Bedeutung dürfte für Umfang und Bedeutung des sozialen Ranking auch sein, dass die Szene fast ausschließlich aus Jungen besteht, in deren Entwicklung Statuspositionen eine besondere Bedeutung bei der Ausbildung von Identität haben.432 Während Dingobjekte eher eine differenzierende Funktion in der Szene zu haben scheinen, dienen Objekte wie bestimmte Interaktionssituationen und die sich in ihnen konkretisierenden Ereignisse der Integration der Szeneangehörigen wie der Vergewisserung eines gemeinsamen Identität. Strukturen von Alltag Das Individuum wird durch zahlreiche Faktoren heteronom bestimmt wie etwa durch biologische (Instinkte; Grenzen der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung), kulturelle (Tradierung) und soziale Determinanten (Sozialisation). Den heteronomen Determinanten menschlicher Existenz stehen andererseits autonome Elemente gegenüber, etwa die menschliche Entscheidungsfreiheit auf der Grundlage psychischer Reaktionen (Emotionen) und Reflexionen (Gedanken) und das stochastische Chaos, der Zufall, die das Individuum nutzen kann, Freiräume im Heteronomen zu entdecken und neue zu schaffen, um sein Leben im Sinne einer Selbstbestimmung zu optimieren. Diesem Ziel eines weitgehend selbstbestimmten Handelns scheint der Alltag des Menschen entgegenzustehen. Seine zyklische Organisation in Phasen von Ruhe, Arbeit, Konsum und Interaktion ist Folge heteronomer Determinanten, denen menschliches Leben im Alltag unterworfen ist. Insbesondere die organisch-physisch bedingte Beschränkung menschlicher Aufmerksamkeitszuwendung bzw. Wahrnehmung erfordert eine seriell- diskursive Organisation von Wahrnehmung und Erfahrung. So dienen gerade die aktiven Phasen des Alltags der produktiven Sicherung des Lebensunterhaltes, dem Erhalt der dafür notwendigen Grundlagen wie der Wiedergewinnung physischer und psychischer Energien und der nachhaltigen Nutzung der dem Menschen zur Verfügung stehenden Ressourcen, deren knappste die Zeit ist. Gerade die Kontrolle über die Verwendung von Zeit wird zum signifikanten Indiz für die Macht des Individuums über seine Kontexte und damit zum Ausweis des Grades seiner Autonomie.433 Im produktiven wie dem lebenserhaltend-funktionalen Bereich des Alltags scheint also Selbstbestimmung nur sehr begrenzt möglich zu sein. Beruf und Hausarbeit etwa werden weitgehend von außen her bestimmt. Zu 431 MIKOS 1994, 27 432 BIDDULPH 1998 433 Vgl. dazu die Bedeutung von Zeit im Konzept des Gebrauchswerts bei MARX und BOURDIEU, s. BEASLEY-MURRAY 2000, 4 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 85 diesen produktiven Bereichen sind auch Bildung und Ausbildung zu rechnen. Die Jugendlichen sollen gerade in dieser Lebensphase dem gesellschaftlichen Auftrag nachkommen, eine eigene Identität selbst zu entwickeln, müssen aber trotz der pädagogischen Reflexion dieses Auftrags und des daraus resultierenden Gedankens der Notwendigkeit, sie zu einer emanzipatorischen Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt zu befähigen, weiter mit einer Dominanz heteronomer Strukturen rechnen, mit der die Effizienz von Sozialisation unter den Bedingungen einer Leistungsgesellschaft gesichert werden soll: "However, for young people still in school, learning might be included among these productive activities, because for them education is the equivalent of adult work, and the first will lead into the second."434 Um so größere Bedeutung gewinnt auch für die Jugendlichen die mit der aufschiebenden Askese erworbene Freizeit. Ihre Gestaltung liegt mehr in der Verfügungsgewalt des Menschen und scheint sie zum wesentlichen Teilbereich menschlichen Alltags zu machen. Intuitiv gewinnen die Individuen die Einsicht, dass der Mensch allein in der von produktiven wie funktionalen Tätigkeit freien Zeit sein eigentliches Humanum im musischen, schöpferischen und interaktiven Lernen ausbilden kann.435 Heutige Formen der Freizeitgestaltung stimmen mit diesem Ideal allerdings nur bedingt überein. Lernen selbst etwa zählt im Alltag der modernen Industriegesellschaft im Zuge einer ökonomisierten Logik zu einer wichtigen produktiven Tätigkeit, Bildung wird zum Kapital. Freizeit andererseits wird zu einem erheblichen Teil als Aktivität definiert, etwa als Hobby und Sport, oder als personale wie mediale Kommunikation und Interaktion, deren aktive und gestaltende Komponenten hinter ihren konsumptiven Formen der Verwirklichung wenig deutlich werden. Alltag ist schließlich intertextuell eingebettet in einen sozialen Kontext aus gradueller Öffentlichkeit, in der das Individuum Solidarität, Konkurrenz und Wertung erfährt, etwa in der Familie als im weitesten Sinne soziale Organisation von Verantwortung und Sicherheit und oder schließlich auch in der Einsamkeit als eine wesentliche Erfahrung des Individuums in modernen Gesellschaften. Wahrnehmung und Bewusstsein Das Modell der Bedeutungskonstitution beschreibt die Relation zwischen Individuum und Kontext als einen Prozess der gestaltenden Aneignung der Objekte und damit der Welt durch das Individuum. Damit verbunden ist zunächst die Erfahrung, in der Bedeutungszuweisung Macht über die Dinge zu gewinnen. Schon in der Genesis definiert sich der Mensch durch den Auftrag Gottes, allen Tieren Namen zu geben. Er gewinnt mit der Aneignung der Dinge und – in einem nächsten Schritt - ihrer Entäußerung Teilhabe am Schöpfungsakt, ohne selbst Schöpfer zu sein. Inmitten einer ihn durch ihre biologischen, kulturellen und sozialen Strukturen heteronom bestimmenden Welt erschließt sich ihm damit ein Stück Autonomie in der Aneignung und Verwendung von Texten jeder Art. Erfahrungen dieser Art provozieren zunächst Emotionen als psychische Reaktion. Ihrem Charakter nach arbiträr werden Emotionen zur Grundlage menschlicher Entscheidungsprozesse. Der Mensch hat die den grundsätzlichen Lebenserfahrungen entsprechenden Emotionen durch Gefühle ergänzt, indem er die Emotionen von ihren archaischen Auslösern entkoppelte und diese durch künstlich geschaffene Impulse ersetzte. Die Ausschließlichkeit oder auch schon ein Mehr an positiven Emotionen beschreiben Menschen in ihrer Eigenperspektive als Zustand bzw. Erfahrung von Glück, und dies trotz eines objektiv weitgehend heteronom bestimmtem Alltags, in den diese Erfahrungen eingebettet sind. Die Aufhebung der Diskrepanz zwischen einer euphemisierenden Eigenwahrnehmung und den tatsächlichen Kontextbedingungen beruht darauf, dass die Darstellungen der Menschen, mit denen sie sich und anderen ihre Interaktion mit ihrer Umwelt vorstellen, nicht eine Realität wiedergeben, sondern fiktionale Repräsentationen derselben darstellen, die sich im Sinne von Objekten symbolisch auf sich selbst beziehen. 434 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 9 435 Zum Begriff der s???? vgl. DEMONT 2003; vgl. dazu auch die Ausführungen von SCHILLER zur Bedeutung des Spiels: SCHILLER 1993 (1795) 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 86 "Michel Foucault and the postmodernists have made it clear that what people tell us does not reflect real events, but only a style of narrative, a way of talking that refers only to itself." 436 Emotionen sind damit nicht an die objektiven materiellen und faktischen Bedingungen des Alltags gebunden, da sie Reaktionen des Individuums auf dessen Erfahrungen aus seinen Aneignungs- und Entäußerungsprozessen sind, sondern sie rekurrieren auf Kontexte wie die physische Kondition, die psychische Disposition, die soziale Integration und die transzendentale Determination des einzelnen Individuums, indem sie über die konkrete Alltagssituation mittels symbolischer Objektivationen hinausweisen. Negative Emotionen führen zu einem Zustand "psychischer Entropie"437, d.h. zur Desorganisation und Fragmentarisierung des Selbst. Die Wahrnehmungsfähigkeiten des Individuums werden in dem Maße beeinträchtigt, wie sich seine Aufmerksamkeitszuwendung aufsplittet. Positive Emotionen dagegen führten zur Neg-Entropie, zur Fokussierung der Aufmerksamkeitszuwendung und zielgerichteten Reorganisation der Kontexte. Aus den Emotionen als psychische Reaktionen entwickeln sich Intentionen und Zielvorstellungen als psychische Reflexionen des Aneignungs- und Entäußerungsprozess. Sie bündeln psychische Energien, setzen Prioritäten, ordnen und organisieren das Bewusstsein. Emotionen, Intentionen und Zielvorstellungen werden zu intrinsischen und extrinsischen Motivationen individuellen Entscheidens und Handelns.438 Die Verstetigung von Intentionen in langfristige Zielvorstellungen organisiert den Wahrnehmungsprozess des Individuums und zeigt sich ihm als vorhersagbares Handeln, Fühlen, Wählen. Zielvorstellungen erzeugen Redundanz und werden damit entscheidend für die Herausbildung von Persönlichkeit im Sinne einer Identität als langfristiges Sich-Wiedererkennens ("coherent self"439). Zielvorstellungen bestimmen damit auch das Selbstwertgefühl des Individuums. Wiederkennen (also die Herausbildung einer Identität) beruht letztlich auf der Vorhersagbarkeit eigener Interaktion mit den Kontexten seiner Umgebung. Selbstwertgefühl entsteht im Verhältnis zum Erfolg des Individuums, seine Zielvorstellungen in diesen Kontexten zu verwirklichen, aus der aktiven Verringerung der Diskrepanz zwischen Erwartung und Erfolg. Selbstwertgefühl kann demnach auch erzielt werden, wenn die Erwartungen reduziert werden, und es wird sich nicht einstellen, wenn die Erwartungen zu hoch geschraubt werden. Allerdings garantiert ein hoch entwickeltes Selbstwertgefühl auf der Basis qualitativ leicht zu erringender Erfolge nicht unbedingt auch der Eindruck erfüllender Befriedigung. Ebenso kann sich trotz eines Scheiterns angesichts überzogener Zielvorstellungen ein Gefühl dieser Befriedigung einstellen. Der Erwerb von Kompetenzen im Umgang mit den eigenen Zielvorstellungen ist deshalb entscheidend für die Bewältigung von Alltag. Notwendig sind Fähigkeiten zur Selbstanalyse von Motivation und ihrer Entstehung, zur Akzeptanz der Ambivalenz von Zielvorstellungen, zur Relativierung von Zielvorstellungen im Hinblick auf die Kontexte. Derartige Kompetenzen setzen zudem kognitives Denken als Grundlage von Wahrnehmung voraus. Wahrnehmung wird damit zum Resultat einer Interdependenz von Emotionen, welche die Aufmerksamkeitszuwendung auf der Grundlage positiver oder negativer Erfahrung primär fokussieren, von Zielvorstellungen, welche die Aufmerksamkeitszuwendung (zeitlich, inhaltlich) durch Erwartungen verstetigen, und Denken, das die Aufmerksamkeitszuwendung in Sequenzen referentieller Bilder, Metaphern und Symbole organisiert und konzentriert ("cognitive mental operations"440). Diesen offensichtlich synergetischen Potentialen steht allerdings die Erfahrung entgegen, dass im Alltag diese Interdependenz gerade zu gegenteiligen Effekten und zu psychischer Entropie führt, wenn es dem Individuum nicht gelingt, sich auf diese Prozesse zu konzentrieren. 436 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 20; vgl. dazu: CHANDLER 2002, 32-35 437 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 22; der Vf. benutzt den Begriff offensichtlich in einem psychoanalytischen Verständnis bzw. metaphorisch und in keinem Fall in seiner eigentlichen physikalischen Bedeutung; allerdings geht FREUDs Entropie-Begriff auf dessen Rezeption ab 1892 physikalischer Erkenntnisse in Felix Auerbachs "Die Weltherrin und ihr Schatten. Ein Vortrag über Energie und Entropie" und Hermann von Helmholtz' "Vorträge und Reden" zurück, vgl. dazu: TRIMMEL 2000 438 Vgl. den Begriff der Handlungsleitenden Themen, CHARLTON/ NEUMANN 1990, BACHMAIR 1994; DRINK 2001 439 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 23 440 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 25 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 87 "Even daydreaming – that is, the linking together of pleasant images to create some sort of mental motion picture – requires the ability to concentrate, and apparently many children never learn to control their attention sufficiently to be able to daydream." 441 Flow Im Alltag erlebt das Individuum diese synergetischen Potentiale immer wieder vereinzelt und in bestimmten Momenten als eine harmonische Balance von Fühlen, Wollen und Denken: als Erfahrungen von Flow442. Menschen, die diesen Zustand erlebt haben, beschreiben ihn als Moment völliger Konzentration, ein Gefühl von Ekstase, von innerer Klarheit über Wege und Ziele, vom Wissen um die Durchführbarkeit angesichts der Angemessenheit der Herausforderung, von einer Gelassenheit, die dem Bewusstsein von einem wachsenden, sich verändernden Selbst entspringt, von Zeitlosigkeit, von intrinsischer Motivierung. Diese Erfahrungen bedürfen zu ihrer Entstehung eine Reihe spezifischer Voraussetzungen: Klare Zielvorstellungen erst führen zu einfachen und angemessenen Handlungsanweisungen und erlauben eine vereinfachte Fokussierung psychischer Energie auf Aufgabe, Methode und Ziel. Ein unmittelbares Feedback ermöglicht die sofortige Erfolgskontrolle des Handelns und eine eventuell notwendige unverzügliche Modifikation. Die Fähigkeiten des Individuums sind vollkommen in die Herausforderung und Aufgabe eingebunden, die gerade noch lösbar und zu bewältigen scheint. Eine anspruchsvolle Aufgabenstellung erzwingt die Auslastung der individuellen Fähigkeiten, ohne aber das Individuum zu überfordern. Im Idealfall gelingt es, ein fragiles Gleichgewicht der Fähigkeiten eines Menschen unter den vorliegenden Bedingungen für sein Handeln zu etablieren. Die Flow-Erfahrung des Individuums lässt sich beschreiben als Zustand völliger Konzentration, gesteigerten Selbstbewusstseins, veränderter Zeitwahrnehmung und totaler Selbsterfahrung, eine positive Erfahrung, die nach Verstetigung verlangt und das Individuum motiviert. Fantasy-Rollenspieler scheinen nach den Beobachtungen ihres Verhaltens besonders in Spielsituationen, aber auch außerhalb von ihnen wie auch nach der in den Interviews zum Ausdruck kommenden Selbstwahrnehmung diesen Zustand vergleichsweise oft zu erfahren.443 Im Alltag sind derartige Erfahrungen, gerade auch in dieser Intensität, nur selten zu machen: Das Individuum kann hier z.B. nur bedingt das Anforderungsniveau mit beeinflussen. Gewöhnlich in Alltagssituationen unterfordert, stellt sich eine unsägliche Langeweile ein. 444 Aber auch hohe, nicht erfüllbare Anforderungen stellen ein Bedrohungspotential dar, das zu Angst und Stress führt. Denn im Falle eines Scheiterns reagiert eine Gesellschaft, deren Logik ein Versagen nicht kennt, mit Sanktionen. "A typical day is full of anxiety and boredom. Flow experiences provide the flashes of intensive living against this dull background." 445 Im Spannungsfeld zwischen Angst (Herausforderungen) und Langeweile (Routinen) existieren als weitere Reaktionen des Individuums auf ein unangemessenes Verhältnis von Anforderungen und Fähigkeiten eine Desorientierung446 oder auch Apathie, bei einer positiven Relation dagegen ein Bogen, der über Erfahrungen von Entspannung, Kontrolle, "Fruchtbare Momente"447 bis zu Flow reicht. Klassische Beispiele für eine erfolgreiche Kombination der für das Erreichen eines Flow-Zustands notwendigen Kriterien bieten Sport und Spiele mit ihren einsichtigen Zielvorstellungen und einfachen Handlungsanweisungen, ihrem unmittelbaren Feedback über Erfolg und Misserfolg, mit ihren Modifikations- und Optimierungsmöglichkeiten, letztlich mit dem Gleichgewicht von Aufgabe und den mit ihnen korrespondierenden und zu erwerbenden motorischen, emotionalen und kognitiven Kompetenzen. 441 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 26-27; vgl. dazu den Begriff des Tagtraums bei BLOCH 1977, I, 49-394 442 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 29; zur Aktualität des Ansatzes von CSIKSZENTMIHALYI s. KHASCHEI 2004a; 2004b; eine kritische Darstellung bei VOIGT 2000; grundlegend zum Phänomen weiter: COPEI 1969 (1930) 443 Vgl. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19, 32-36; APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg 1996-09-28, 3 444 Vgl. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2004-02-09, 91 445 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 30-31 446 FARMER 2003 447 COPEI 1969 (1930) 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 88 "It is easy to enter flow in games such as chess, tennis, or poker, because they have goals and rules for action that make it possible for the player to act without questioning what should be done, and how. For the duration of the game the player lives in a self-contained universe where everything is black and white."448 Fantasy-Rollenspiele erfüllen in jeder Hinsicht ebenfalls diese Voraussetzungen, und der durch sie vermittelte Flow kann unschwer anhand des Verhaltens der Spieler und ihrer intensiven Beschäftigung mit dem Spiel erkannt werden: "There is no space in consciousness for distracting thoughts, irrelevant feelings. Self-consciousness disappears, yet one feels stronger than unusual. The sense of time is distorted: hours seem to pass by in minutes. When a person's entire being is stretched in the full functioning of body and mind, whatever one does becomes worth doing for its own sake; living becomes its own justification. In the harmonious focusing of physical and psychic energy, life finally comes into its own." 449 Die Flow-Erfahrung entsteht allerdings nicht während des konkreten Handelns, der als Moment völliger Konzentration eine Reflexion und Interpretation des Geschehens durch das Individuum nicht erlaubt, sondern in der Retrospektive des Individuums. Flow-Erfahrungen sind damit ein Element der fiktionalen Spiegelung der Individuen ihrer selbst und damit offen für die Reflexivität des Individuums. Die Bedeutung der Flow- Erfahrung liegt darin, dass sie autonomem Handeln des Individuums entspringt. "The happiness that follows flow is of our own making, and it leads to increasing complexity and growth in consciousness." 450 Flow-Erfahrungen können schließlich als letztlich fiktionale Objektivationen des Individuums offensichtlich auch ohne konkrete Kontexte reproduziert werden, um die Befindlichkeiten von Individuen für sich und andere zu beschreiben. Werbung, Serials, Soaps und andere Formen des Trivialen demonstrieren fortwährend medienvermittelt erfolgreiches, d.h. Flow erzeugendes bzw. bestimmtes Handeln und Flow-Erfahrungen ihrer Protagonisten, mit denen die Rezipienten weniger gelungene Erfahrungen ihrer Alltagsgestaltung in der reflexiven Eigendarstellung fiktional kompensieren können. Flow-Erfahrungen stellen damit weiter eine wesentliche Stimulans für Lernprozesse des Individuums dar und können zur Weiterentwicklung individueller Fähigkeiten führen. Besondere Bedeutung gewinnt dabei einmal mehr die Einflussnahme des Individuums auf die Bedingungen, unter denen Flow entsteht, gerade in der prekären Adaption eigener Kompetenzen zu den von ihm gewählten Herausforderungen. Es ist deshalb wenig hilfreich, diese Versuche der Individuen innerhalb einer mediatisierten Gesellschaft als ein sich im Konsum von Produkten einer Kulturgüterindustrie erschöpfenden Handelns kulturpessimistisch zu disqualifizieren ("readymade, prepackaged stimulation of the video shelf or some other kind of professional entertainment"451) anstatt sich für die ästhetischen Potentiale dieses Handelns offen zu zeigen. Förderung von Flow-Erfahrungen durch bestimmte Kontextfaktoren Auch der Jugendliche sucht und entwickelt individuelle und dem jeweiligen Kontext angepasste Interaktionsformen, um sich mit seiner Umwelt angemessen auseinander zu setzen. Entscheidend für ihn ist es dabei, Misserfolgs- und Ohnmachterfahrungen weitgehend zu vermeiden. Denn trotz all seiner Emanzipationsversuche und –erfolge besteht die grundsätzliche heteronome Bestimmung seines Lebens ja weiter und bedarf nicht einer expliziten Demonstration. In einem selbstbestimmten Lernprozess sucht das Individuum derartige negative Erfahrungen gerade auszuschließen, indem es den Schwierigkeitsgrad seiner Aneignung von den Dingen geradeso zu gestalten sucht, dass diese Versuche als Erfolge erlebt werden. Voraussetzungen hierfür sind klare und eindeutige Absichten und Zielvorstellungen, Handlungen, die unmittelbar ein Feedback erfahren lassen und die notwendige Ausgewogenheit von Anforderung bzw. Aufgabe und individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen. 448 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 29 449 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 31-32 450 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 32 451 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 33 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 89 "Psychologisch interessant sind diese Entwicklungsstadien vor allem deshalb, weil aus der Tatsache, dass Individuen stets Problemlösungen vorziehen, die dem höchsten ihnen erreichbaren Niveau entsprechen, und dass Schemata, die einer überholten Stufe entstammen, im allgemeinen gemieden werden, gefolgert werden kann, dass die Entwicklungslogik kein bloß äußerlich konstruiertes und imputiertes Ordnungsschema darstellt, sondern einer psychologischen, auch motivational bedeutsamen, Realität entspricht." 452 Offensichtlich ist, dass die Kriterien für Flow-Erfahrungen durchaus auch in heteronom dominierten Kontexten realisiert werden können wie etwa der Berufs- und Arbeitswelt, ohne dass sie aber von den Individuen in ihrer reflexiven Retrospektive als solche bewertet werden. Eine heteronom bedingte, extrinsische Motivierung schließt ein als autonom empfundenes Handeln nicht aus, doch erzeugt es nicht unbedingt auch ein Bewusstsein davon. 453 Andererseits können produktive und lebensfunktionale Aktivitäten auch mit relativ prosaischem aktiven Handeln wie z.B. Auto fahren Flow-Erfahrungen ermöglichen. Auch ein konsumtives Handeln führt als gestaltende Interaktion des Individuums mit Medienangeboten zu Motivierung und Erfahrungen von Erfolg und Gelingen. Angesichts der Dominanz heteronomer Strukturen in der Alltagswelt des Individuums scheint diese Form zunehmend eine der wesentlichen Möglichkeiten zu sein, Flow-Erfahrungen zu realisieren. Von entscheidender Bedeutung ist, dass dem Individuum in der reflexiven Retrospektive sein adaptives Arrangement seiner Kompetenzen an Herausforderungen als autonomes Handeln erscheint. Diese Retrospektive ist allerdings als Reflexion und Eigenwahrnehmung fiktional und besitzt zugleich auch eine narrative Struktur. Offen bleibt zunächst, ob also diese Erfahrung wirklich gemacht wird oder ob sie allein der Selbst-Erzählung des Menschen und seiner Reflexivität entspringt. Andererseits ist diese Differenzierung in einer phänomenologischen Perspektive zunächst ohne Belang, doch werden derartige Fiktionen im Entäußerungsprozess als symbolische Objektivationen Teil der Lebenswelt des Menschen und können damit erneut zur Interpretation von Welt herangezogen werden. So fragwürdig mithin Echtheit einer Erfahrung von Autonomie ist, einmal errungen, gilt sie als selbstverständlich. Die positiven psychischen Erfahrungen, die der Mensch im Flow erfährt, veranlassen ihn, bewusst auf seine Lebenswelt so einzuwirken, dass die Voraussetzungen für weitere Flow-Erfahrungen immer wieder geschaffen werden. Obwohl diese Voraussetzungen auch heteronom gegeben sein können, wird langfristig der Mensch erfolgreich einen wachsenden Anteil seines Alltags selbst damit bestimmen und als Lebenswelt entwickeln. Der vom Individuum selbst bestimmte Lernprozess zielt also langfristig auf eine Überwindung der immanenten Redundanz biologischer, sozialer und historischer Strukturen, um Autonomie in der Auseinandersetzung mit Heteronomie als steten Prozess erfahrbar werden zu lassen. Kann dieser Prozess langfristig stabilisiert werden, gelingt dem Individuum eine dauerhafte und positiv empfundene Gestaltung seiner Lebenswirklichkeit, deren Energie einer beständigen intrinsischen Motivation entspringt, die vom Individuum selbst erzeugt, erlebt und perpetuiert wird.454 Als besonders geeignete Ansatzpunkte für diese Anstrengungen des Individuums zeigen sich ästhetischen Potentiale sozialer Interaktion, spezifischer Environments und von Tagesplanungen. Die soziale Interaktion des Individuums ist besonders geeignet, Flow-Erfahrungen zu evozieren. Im intentionalen Sprechakt manifestieren sich Zielvorstellungen des Individuums; Rede und Replik stellen ein offensichtliches Reiz-Reaktionsmodell dar mit synchronem Feedback und der Möglichkeit von Modifikation und Optimierung. Jede soziale Interaktion stellt eine Aufgabe dar, welche spezifische Kompetenzen des Individuums erfordert. Die vielfältigen Formen sozialer Interaktion erlauben dem Individuum die an seinen Fähigkeiten orientierte Auswahl aus einem Set von Interaktionsangeboten und –plattformen graduell unterschiedlicher Intensität. Auf die Bedeutung sozialer und insbesondere personaler Interaktion als ästhetische Potentiale verweist die Relevanz, die ihr die Jugendlichen der Fantasy-Rollenspiel-Szene zuweisen. Die wesentlichen Momente ihrer Alltagsgestaltung, d.h. also die Spiele und das Spiel selbst, basieren auf unmittelbarer Interaktion miteinander. Diese Form des Erlebens scheint den Jugendlichen unabdingbar. Die 452 Vgl. dazu: DÖBERT/ NUMMER-WINKLER 1982, 22 453 vgl. dazu die marxistische Theorien zu Entfremdung, Gebrauchs- und Warenwerten, BEASLEY-MURRAY 2000 454 STRAKA 1998, 27-31 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 90 Szene erweist sich heute zwar weitgehend weniger ablehnend gegenüber Versuchen der virtuellen Gestaltung von Spiel, letztlich aber mit ihren hohen Erwartungen und Ansprüchen an aktuelle digitale Spielformen doch im eigentlichen Sinne resistent, wenn sie auf eine adäquate Qualität der Interaktion dringt.455 Räume als symbolische Verdichtung von Determinationen unterschiedlichen Grades und als Kontexte haben offensichtlich ebenfalls Einfluss auf psychische Erfahrungen des Menschen und können Flow-Erfahrungen evozieren. Räume können insbesondere zu Refugien von Handlungen werden, die Flow-Erfahrungen begünstigen und provozieren, wenn sie – etwa als Environments - den spezifischen Bedürfnisse dieser Aktivitäten entgegenkommen. Die Aufmerksamkeit, die Jugendliche der Ausgestaltung bestimmter Räume, etwa ihres Zimmers, zu einem Gesamtarrangement widmen, beruht auf der Einsicht, dass dort in einem kontrollier- und gestaltbaren Raum Flow-Erfahrungen am ehesten möglich sind. Im Zusammenhang mit der Einrichtung von Räumen sind auch bestimmte Texte und Objekte wie Medien, PC u.a. von Bedeutung, da sich im Umgang mit ihnen einerseits die Kriterien von Flow unschwer realisieren lassen bzw. in ihnen immanent schon angelegt sind, andererseits aber auch in der retrospektiven Wertung ihre Bedeutung durch besondere Eigenschaften wie etwa die Möglichkeit der Immersion gegeben scheint.456 Ebenfalls von Bedeutung für psychische Erfahrung ist die Tageszeit und ihr Einfluss auf die individuelle Disposition des Menschen. Der Komplex aus heteronomen Determinanten und autonomen Entscheidungen führt zu einer Rhythmisierung des alltäglichen Lebens, die in der Regel mit der von Aktivitäten, Interaktionen und Räumen korrespondiert. Gelingt es dem Individuum, seine auf Flow gerichteten Aktivitäten in den weitgehend durch heteronome Faktoren bestimmten Tagesplan dauerhaft zu integrieren, erfährt sein Handeln eine – gerade auch in der Argumentation gegenüber Versuchen, diese Zeiträume zu okkupieren -, selbst referentielle Legitimation, die sich auf Symbole autoritativer Strukturen wie Plan, Organisation etc. berufen kann.457 Flow-Erfahrung in der Arbeitswelt Schule "However, for young people still in school, learning might be included among these productive activities, because for them education is the equivalent of adult work, and the first will lead into the second."458 Arbeit zeigt sich den Jugendlichen in Bezug auf Flow und Befriedigung als eine ambivalente Erfahrung: Einerseits bereitet sie wesentliche Momente von Genugtuung und Befriedigung, sie fördert Selbstbewusstsein und Identitätsbildung, andererseits nehmen die Jugendlichen sie in dieser Perspektive kaum wahr, ja, man sucht ihr weitgehend zu entgehen. Der Begriff Arbeit entspricht durchaus der Eigenwahrnehmung von Ausbildung und Schule aus der Perspektive des Jugendlichen. Arbeit in einem engeren Sinne als Arbeitsverhältnis wird dagegen von ihnen als Job bezeichnet. Primäres Kennzeichen des Jobs und Kriterium seiner Unterscheidung von Arbeit ist es, dass er – wie auch immer der konkrete Kontext des irregulären oder regulären Arbeitsverhältnisses aussehen mag – er von den Jugendlichen als selbstgewählt betrachtet wird. Von vornherein hat er damit eine andere Qualität als Ausbildung und Schule, die als weitgehend heteronome Bestimmungen des Alltags von den Jugendlichen begriffen werden, gegenüber denen ihre Verfügungsgewalt eingeschränkt ist. Diesen prinzipiellen Vorbehalt ändert auch nicht die Tatsache, dass Ausbildung und Schule heute in vielen Fällen dem Jugendlichen erheblich weitere Frei- und Gestaltungsräume einräumen als die für Jugendliche typischen Erwerbsmöglichkeiten wie etwa im Dienstleistungssektor. Hier unterwerfen sich Jugendliche häufig Bedingungen, die in Ausbildung und Schule zu erbittertem Widerstand führen würden.459 Letztlich steht hinter dieser Differenzierung zwischen Job und Arbeit ein sozio-kultureller wie historischer Prozess, bei dem das ursprünglich feudale Distinktionssymbol Freizeit in der sich ausdifferenzierenden bürgerlichen Wohlstandsgesellschaft der Distinktion neuer hedonistischer Eliten und Milieus gegenüber traditionellen Schichten wie denen der Arbeiterschaft, des Kleinbürgertums und Mittelstands dient, deren 455 Vgl. APPENDIZES/ Feldbeobachtung/ Feldbeobachtung 2002-04-02 456 Vgl. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 91-100; s.a. Bedeutung des eigenen Zimmers für die jugendliche Identität nach RESEARCH & MEDIA MARKETING 2002, 11; RESEARCH & MEDIA MARKETING 2003, 10-13 457 Vgl. APPENDIZES / Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 59-80 458 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 9 459 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2004-02-09 AM: Diskussion in einer 10. Klasse zur Bedeutung von Jobs und zu deren unterschiedlicher Reputation; 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 91 Arbeitsethik als asketischer Aufschub von Befriedigung vor dem Hintergrund einer Aufstiegsorientierung erfolgreich desavouiert wird. 460 Das Agenda Setting dieser neuen Milieus in fast allen gesellschaftlichen Bereichen hat das Phänomen der autotelischen Arbeit wie das einer im beruflichen Ethos begründeten Leistung in der individuellen Wahrnehmung bei Jugendlichen und Erwachsenen weitgehend obsolet werden lassen. 461 Folge davon ist, dass Arbeit sich im traditionellen Sinne kaum noch legitimieren kann und insbesondere Formen einer internalisierten intrinsischen Motivierung kaum noch möglich scheinen und durch solche äußerer Gratifizierung abgelöst werden.462 Jugendliche lernen offensichtlich frühzeitig mit zehn, elf Jahren zwischen Arbeit und Spiel zu unterscheiden. Zwar bietet Arbeit von ihrer Struktur her durch die ihr immanenten Anforderungen Voraussetzungen für Flow- Erfahrungen, es gelingt aber nur dem in der Regel weniger anspruchsvollen Spiel, sich im Bewusstsein der Jugendlichen in der retrospektiven Wahrnehmung als Vorbedingung von Flow abzubilden. "The interesting thing is that whenever adolescents are doing something they label as work, they typically say that what they do is important for their future, requires high concentration, and induces high self- esteem. Yet they are also less happy and motivated than average when what they do is like work. On the other hand, when they are doing something they label as play, they see it as having low importance and requiring little concentration, but they are happy and motivated.""463 Die pädagogische Frage ist, ob diese Ambivalenz geschlossenen werden kann, um mittels zweckfreier Arbeit intrinsisch motivierte Lernprozesse zu initiieren und zu ermöglichen. So hat Arbeit häufiger Elemente, die man in einem Spiel vermuten sollte, als andere menschlichen Alltagshandlungen des produktiven und funktionalen Sektors: klare Zielvorstellungen, strukturierte Erscheinungsformen; ein unmittelbares und erkennbares, oft quantifizierbares oder personal-vermitteltes Feedback; explizite Konzentrationsanforderungen; eigenverantwortliche, zumindest delegierte Erfolgskontrolle; eine erprobte und angemessene Diskrepanz von Anforderungen und Fähigkeiten. Die fast jeder Arbeit immanenten Zielvorstellungen und Herausforderungen disziplinieren und fokussieren Psychische Energie und erleichtern damit eine dem Flow fördernde psychische Erfahrung. "Thus work tends to have the structure of other intrinsically rewarding activities that provide flow, such as games, sports, music, and art.""464 Arbeit scheint damit prädestiniert für Flow-Erfahrungen. Allerdings erschweren häufig Kontextfaktoren von Arbeit - etwa die objektiven, mitunter kontraproduktiven Arbeitsbedingungen, die fehlende oder geringe Partizipation des Arbeitenden bei der Gestaltung von Arbeit und ihren Arbeitsbedingungen - die Wahrnehmung ihrer ästhetischen Potentiale. Erfahrungen dieser Art führen tradiert und internalisiert zur Anschauung, von Arbeit grundsätzlich keinen Impuls für intrinsische Motivation, Befriedigung und Gelingen zu erwarten. Obwohl in jeder Form von Arbeit die Möglichkeit besteht, die Lebensqualität zu verbessern, sind intrinsische Wirkungen am ehesten doch in hoch-individualisierten Tätigkeitsfeldern mit weitgehender individueller Kontrolle von Zielvorstellung, Aufgabe und Lösung zu erwarten. Stimmen diese Voraussetzungen, dann wird Arbeit durch die Verstetigung der Flow-Erfahrung zu einem integralen Bestandteil von Identität und Alltag.465 Es stellt sich damit die pädagogische Herausforderung, Formen gerade autotelischer Arbeit auch in schulischen Bildungsprozessen neu zu evozieren und den Jugendlichen als sinnvoll zu vermitteln wie erfahrbar zu machen. Da Motivation im Individuum selbst entsteht, kann Schule zunächst nur auf die Kontextbedingungen von Arbeiten Einfluss nehmen und muss Bedingungen schaffen, die fördern und weniger kontraproduktiv sind. Grundsätzlich geht es darum, einerseits die Strukturen von Arbeit wieder deutlicher zu berücksichtigen, da auf ihnen letztlich die Erfahrung von Erfolg und Gelingen beruhen, andererseits aber auch Störungen und 460 Zur Herausbildung des bürgerlichen Arbeitsethos als emanzipatorisches und distinktives Symbol gegenüber dem Feudalismus vgl. WEBER 1981 461 DIE WELT 2004-06-11, 5 462 BECK 1996, 220-248 463 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 54-55 464 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 59 465 CSIKSZENTMIHALYI 1997b 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 92 Hemmungen zu beseitigen, die in der Regel auf einer weitgehend ausgeschlossenen oder doch einer heteronom dominierten Partizipation des Jugendlichen beruhen. Flow-Erfahrung in der Freizeit Entgegen der populären Meinung, dass der Genuss von Freizeit ohne den Erwerb spezifischer Kompetenz leicht möglich ist, scheint Freizeit doch schwieriger positiv erfahrbar als Arbeit und der effiziente Umgang mit ihr bedarf eines komplexen Lernprozesses von Seiten des Individuums. Diese Problematik hat ihre Grundlage in den weitgehend fehlenden oder wenig präzisen Zielvorstellungen von Freizeithandlungen wie in einer gesellschaftlichen Überbewertung von Freizeitaktivitäten als Voraussetzung von Motivation und Befriedigung. In der sich ausdifferenzierenden Gesellschaft der Postmoderne kann Freizeit zwar weiterhin wie schon in der Moderne massenhaft organisiert und ritualisiert strukturiert werden, um Individuen ein positiv empfundenes Erleben integrativer Zugehörigkeit zu ermöglichen, andererseits erfährt sich das Individuum gerade auch mehr und mehr im distinktiv-intensiven Handeln. 466 Freizeit muss deshalb auch Kriterien ausweisen, die Flow- Erfahrung ermöglichen. Wie alle psychischen Prozesse benötigten Flow-Erfahrungen eine Investition Psychischer Energie: "[...] each of flow-producing activities requires an initial investment of attention before it begins to be enjoyable. One needs such disposable "activation energy" to enjoy complex activities. "467 Die reflexive Fiktionalität als eine wesentliche Eigenschaft von Flow-Erfahrungen ermöglicht es aber auch, konsumtiv sich Texte anzueignen, die für diese Form des Erlebens stehen und mit weniger Aufwand und Risiko sich dieses Erleben sekundär, insbesondere medial vermittelt, zu verschaffen. Der mögliche Verlust an Intensität bedeutet nicht notwendigerweise auch ein Defizit an Motivation und Befriedigung. Die aktuellen Formen medienvermittelter Freizeitgestaltung geben deshalb gegenüber Jugendlichen vor, ohne die notwendige Anfangsinvestition Psychischer Energie auszukommen und weisen diese Anstrengung als eigentlich überflüssig aus mit ihrer Reduktion der wesentlichen Texte jugendlichen Alltagsgestaltung auf komplexe Konsum-Arrangements, etwa in den Fun Sports auf ein Konglomerat aus Kleidung, Outfit, Werbespot und Musik; mit den elektronischen Surrogaten für Kunst und Design, mit der Pseudo-Interaktivität gerade elektronischer Medien, der autoritativen Pseudo-Komplexität medialer Konsumgüter trotz evident redundanter Strukturierung.468 In ähnlicher Weise gilt dies allerdings auch für die traditionellen Formen von Freizeitangeboten für Erwachsene, ohne dass dies dort wie bei Jugendlichen grundsätzlich problematisch gesehen wird. Bei den Jugendlichen stehen Formen der aktiven wie passiven Freizeitgestaltung gleichberechtigt nebeneinander und ergänzen sich,469 auch wenn es aus der Perspektive schulischer Pädagogik problematisch zu sein scheint, wenn die konsumtiven Formen dominant werden. "Passive leisure becomes a problem when a person uses it as the principal [...] strategy to fill up free time. As these patterns turn into habits, they begin to have definite effects on the quality of life as a whole." 470 Die traditionelle bewahrpädagogische Darstellung von jugendlichem Medienkonsum als passivem Freizeitverhalten kann angesichts aktueller Untersuchungen zu Jugendszenen, die sich um Medien und ihre Nutzung bilden, so nicht gehalten werden. 466 Vgl. SCHULZEs Milieu-Beschreibungen und die Divergenz der Bedeutung sozial-integrativer Massen-Veranstaltungen, SCHULZE 1996, 635-651 467 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 68 468 Vgl. BÄRNTHALER 1996; SCHWIER 1997; WINTER 1998; MÜLLER 2004; FRITZSCHE 2004 469 Vgl. APPENDIZES/ INTERVIEWS/ Interview 2004-02-09 AM, 61 470 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 68-69 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 93 "Ihre [= die der Jugendlichen; RR] Stilsprache ist Ausdruck von szenenspezifischen Darstellungs- und Distinktionsformen und Kristallisationspunkt für jugendeigene kleine Lebenswelten, die sich durch einen hohen Freiheitsgrad im Selbstentwurf und in der Handlungsdramaturgie ihrer Mitglieder auszeichnen. Ihre vielfach demonstrativ-provokativen Praktiken und Embleme signalisieren exklusive Identitätszeichen und Symbolautonomie, letztlich besetztes Terrain, in dessen szenischen Rahmen die Insider einerseits als eigenständige Gestalter lebensweltlicher Bezüge und Ordnungen in Erscheinung treten, andererseits aber auch eine sichtbare und expressiv-ausdrückliche Abgrenzungs- und Absetzbewegung auf sozio-kultureller Ebene vornehmen." 471 Jugendliche Interaktion zeigt sich hier als dialektischer Prozess: einerseits manifestiert der Jugendliche seine Individualität sich und anderen gegenüber und versichert sich in ihrer reflexiven Wahrnehmung seiner Identität, andererseits begründet Distinktion auch mittels positiver und negativer Symbole die Integration in soziale Formationen. Grundlage dieser Prozesse ist die Vermittlung dieser Reflexivität mittels symbolischer Objektivationen. Dies verweist wiederum auf persönliche Stile als subjektive Aneignungs- und Verarbeitungsformen der von verschiedensten Institutionen, vornehmlich aber den 'Peer Groups' vermittelten und damit legitimierten symbolischen Objektivationen. Persönlicher Stil aber heißt (in der Selektion und Variation des zur Anwendung kommenden symbolischen Materials) auch zumindest partiell autonomes Handeln. Damit aber wird von den Jugendlichen ein für die intrinsische Motivation wichtiger Kontext geschaffen, der insbesondere Flow-Erfahrungen ermöglicht. Die gestaltenden Tätigkeiten der Jugendlichen in diesen sich um Medien und ihre Nutzung fokussierenden Szenen gehören zu den Bereichen von Hobby, Sport und Spiel, denen schon strukturell ein hohes Flow-Potential zukommt und die gewiss keinen passiven Konsum darstellen. Hinzu kommen entwicklungspsychologische Überlegungen, nach denen die Nutzung von Flow-Potentialen generativen Veränderungen unterliegt und altersspezifische Ausprägungen findet. "[…] young people are always more dependent for enjoyment on artificial risk and stimulation. But it is almost certain that these normal differences are magnified in communities undergoing social and economic transition. In such cases the older generations still find a meaningful challenge in traditional productive tasks, whereas their children and grandchildren, increasingly bored by what they see as irrelevant chores, turn to entertainment as a way of avoiding psychic entropy. "472 Es stellt sich damit aber die Frage, ob Flow als Erleben zwangsläufig nur in den Arbeitsprozessen archaischer und statischer Szenen und Milieus oder in der Regression auf sie möglich ist oder ob auch moderne und dynamische Lebensstile denkbar sind, die dies ermöglichen. In der Leistungsgesellschaft der Moderne konstituiert sich die Identität der Individuen als Handeln in Arbeit. Dem entspricht die Organisation des sozialen Umfeldes, das Verantwortlichkeit gegenüber der Gesellschaft einfordert, wie auch das soziale Ethos, das als Entäußerung vom Individuum innerhalb seiner sozialen Gruppe mitgestaltet wird. Die postmoderne Freizeitgesellschaft definiert das Verhältnis von Individuum und seiner Umwelt nach den Grundsätzen einer Erlebnisrationalität473 zunächst außerhalb der traditionellen Koordinaten Arbeit und Beruf in Alltag und Freizeit. Das ästhetische Handeln der Menschen einer mediatisierten Gesellschaft führt in einer kulturpessimistischen Perspektive zur Konsequenz einer abnehmenden Fähigkeit der Individuen, sich kreativ den technologischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen zu stellen, indem sie sich einer kapitalistischen Produktions-, Allokations- und Konsumtionslogik unterwerfen. "Music, movies, fashion, and television bring in hard currency from all over the world. Video stores mushroom on practically every block, reducing the ranks of the unemployed. Our children look to media celebrities as models to steer their lives by, and our consciousness is filled with information about the doings of athletes and movie stars. How can all this success be harmful? If we assess trends only from the 471 VOGELGESANG 2000, 153 472 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 74 473 SCHULZE 1997, 40-42; 417-458 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 94 point of view of a financial bottom line, then there is nothing wrong. But if one counts also the long-term effects of the generations addicted to passive entertainment, the rosy picture will look grim indeed." 474 Andererseits zeigen sich im Umgang der Individuen mit den in der mediatisierten Gesellschaft bereitgestellten Materialien andere und neue Formen von Kompetenzen und Kreativität. Die Jugendlichen nutzen offensichtlich diese Texte, um mit ihnen sich und anderen ihre Identität zu präsentieren. Dabei erfahren diese Texte in Aneignung und Entäußerung eine Re-Interpretation.475 Die komplexen individuellen Arrangements von Medien, Texten und Ereignissen stehen für die Kreativität, die bei aller Konventionalisierung einer globalisierten Kultur weiter sich Bahn bricht. Es bilden sich offenbar Lebensstile heraus, die Arbeit und Freizeit integrieren, etwa in der Orientierung an exemplarischen Biographien476, oder Freizeit aktiv gestalten als Erfahrungsraum für Flow und damit als Selbstkonstitutionsraum des Individuums. Damit einher geht die Aufforderung, der Freizeit letztlich dieselbe Aufmerksamkeit zu widmen wie der Arbeit und ihr ihre ursprüngliche Rechtfertigung als Raum für Experimente und Versuche wieder zu verschaffen.477 Dazu gehört gerade auch ihre Reintegration in schulische Räume. Schule kann der Freizeit gerade jene Freiheit verschaffen, an der es ihr oftmals in der konsumorientierten "pluralistischen Wohlstandsgesellschaft"478 gebricht.479 Flow-Potentiale der sozialen Interaktion von Jugendlichen Erfolgreiches soziales Handeln von Individuen basiert auf einer kongruenten Strukturierung ihrer Psychischen Energien. 480 Sie geht auf eine weitgehende Übereinstimmung von persönlichen und sozialen Intentionen und ihrer Stellung in der Zielhierarchie zurück. Aufgrund von neg-entropischen Effizienzüberlegungen besteht eine Tendenz zur Herausbildung von Kongruenz zwischen personalen und kollektiven Intentionen. In der Praxis läuft dies aber nicht auf eine homogene Gesellschaft hinaus, sondern die Kongruenz wird eher erzielt über eine Orientierung und Restrukturierung von Aufmerksamkeit auf überindividuelle Intentionen hin, wobei die Ausgestaltung dieser Restrukturierung vom Individuum im Rahmen seiner Kultivation individuell vorgenommen wird. D.h., die soziale Integration der Gruppe beruht auf der gleichzeitigen Divergenz der individuellen Interaktionsperspektive, die sozialen Relationen sind im Sinne Hannah ARENDTs "pluralistisch"481. Dyade Der personale Interaktionsraum stellt innerhalb der Alltagsbereiche Arbeit und Freizeit einen hochdynamischen Erlebnisraum mit erheblichen Flow-Potentialen dar. So erfordert die Interaktion in den komplexen sozialen Strukturen der postmodernen Mediengesellschaft eine erhebliche Zuwendung an Aufmerksamkeit von Seiten des Individuums. Damit verbunden ist einerseits die Vorstellung einer partiellen und temporären Übereinstimmung in den Zielen der Interakteure und andererseits die Bereitschaft, der Beschäftigung mit den Intentionen und Zielen der Interakteure ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit zu schenken. "Soziale Systeme verdanken also die Organisation ihrer Ziele Aufmerksamkeitsprozessen. Diese Ziele strukturieren ihrerseits die Aufmerksamkeit der beteiligten Systemangehörigen, indem sie deren Selbst gestalten."482 Gerade dyadische Beziehung zeigen oftmals derart positiven Konstellationen, basieren sie doch meist schon bei ihrer Begründung auf einer Zielkompatibilität der Interakteure, auf der gegenseitigen Unterstellung von Gleichwertigkeit, auf der Erwartung gegenseitiger Vorteile und ermöglichen zugleich Interaktion als von den 474 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 77; vgl. dazu auch das Verwahrlosungstheorem Ulrich BECKs, BECK 1986, 205-219 475 BACHMAIR 2002/ 2003 476 Vgl. dazu die exemplarischen Biographien kreativer Menschen: CSIKSZENTMIHALYI 1997b 477 DEMONT 2003;: CSKSZENTMIHALYI 1997a, 75: "All folk art [...] is the result of common people striving to express their best skill in the time left free from work and maintenance chores. " 478 BOLTE 1990, 27-50 479 Vgl. dazu auch die politische Dynamik der Ganztagsschule als Folge der Diskussion um die Resultate der PISA-Studie wie des Erfurter Schulmassakers; 480 CSIKSZENTMIHALYI/ ROCHBERG-HALTON 1989, 30 481 ARENDT 1970 482 CSIKSZENTMIHALYI/ ROCHBERG-HALTON 1989, 26-27 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 95 Individuen steuer- und kontrollierbaren Prozess. Die wesentliche Bedeutung dyadischer Beziehungen von Jugendlichen liegt dabei in der Öffnung eines statischen Raumes, in dem das Individuum seine Subjektkonstitution unter weitgehend reduzierten und mitbestimmbaren sozialen Druck vornehmen kann. In diesen dyadischen Beziehungen kann das Individuum grundsätzlich auch Flow erleben, etwa im gemeinsamen Spiel oder bei der gemeinsamen Ausarbeitung und Gestaltung von Texten und Materialien, bei denen die Jugendlichen auf die zum Erfolg notwendige Anstrengung ebenso verweisen wie auf die motivierende Wirkung des Miteinander und das gemeinsam erlebte Glücksgefühl. 483 Familie/ Peers Die Familie ist bei allen Veränderungen, die sie in der postmodernen Gesellschaft erfährt, immer noch ein wesentlicher Interaktionsraum der Jugendlichen, wenn auch nicht mehr der wichtigste.484 Die Jugendlichen erleben die Familien als einen hochkomplexen Raum individueller Interaktion, in der die einzelnen Familienmitglieder nach ihrer jeweiligen Disposition handeln und sich dyadische Beziehungen auf engem Raum begegnen. Der Erfolg von Familie beruht auf ihren integrativen Fähigkeiten, die individuelle, d.h. emanzipatorische Entwicklung der Familienmitglieder einerseits zu begünstigen, sie gleichzeitig affektiv zu binden, die Interaktion auf der Basis eines intra-familiären Diskurses (Negotiations) zu regeln und zu disziplinieren485 und damit effizient und zielgerichtet zu gestalten. "Growing up in a complex family, children have a chance to develop skills and recognize challenges, and thus are prepared to experience life as flow. "486 Für den Jugendlichen bildet die Familie damit einen Interaktionsraum, der in gewisser Weise konsequent auf die Vermittlung von Flow-Erfahrungen hin angelegt ist. Ihm werden einerseits – meistens adäquat auf seinen Entwicklungsstand hin transformiert – Herausforderungen präsentiert, mit denen er sich auseinandersetzen muss, ohne dass er um eine Überforderung fürchten muss. Andererseits fördert die Familie grundsätzlich auch die dazu notwendige Ausbildung seiner Kompetenzen, etwa in der gegenseitigen sozialen Interaktion oder durch die Freistellung für schulische oder berufliche Bildung. Die Bedeutung der Peer Group für den Jugendlichen beruht auf vergleichbaren Strukturen. Auch in der Gruppe der Gleichaltrigen bilden die soziale und personale Interaktion der Mitglieder einen Raum ab, der grundsätzlich die Möglichkeit der Flow-Erfahrung offen hält. Allerdings bewegt sich der Jugendliche in diesem Raum zumindest formell wesentlich freier als in der Familie und hat damit noch weitgehendere Möglichkeiten der Mitgestaltung von Anforderungen. Auch die Peer Group drängt auf die Entwicklung spezifischer szenen- bzw. milieuorientierter Kompetenzen, mit denen der Jugendliche den Anforderungen begegnet, doch scheint sie weniger repressiv bei der Verfolgung dieser Forderung. Monade Einsamkeit und Isolation sind nicht nur Erfahrungen des Erwachsenen in der postmodernen Gesellschaft, sondern auch des Jugendlichen. Sie stellen Erfahrungen dar, die archaische Kulturen zu vermeiden suchen, da die Psyche des isolierten Individuums von Depressionen und irrationalen Ängsten bedroht wird, denn in der Interaktion teilen wir mit anderen unsere Wahrnehmung von Realität und vergewissern uns unserer Realität und Identität. Während also grundsätzlich Isolation als Zustand negativ Folgen zeitigt, erlaubt sie andererseits als eine temporäre Technik u.a eine Verstärkung der Konzentrationsfähigkeit. Gerade die komplexen Herausforderungen der postmodernen Gesellschaft lassen kaum eine Entscheidungsfreiheit, ob wir interagieren 483 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1997-07-18 PA-REJ-RES; vgl. dazu auch: CSIKSZENTMIHALYI; LARSON 1984 484 Die Jugendlichen dieser Studie stammen zum Großteil aus einem aufstiegsorientierten bildungsbürgerlichen Milieu mit weitgehend noch intakten Familienstrukturen und überdurchschnittlichem pädagogischen Engagement der Eltern, s. KAP 3; s.a. RESEARCH & MEDIA MARKETING 2003, 15 485 KÜBLER 1997, 4-8 486 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 90 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 96 oder einsam sein wollen, da das Erlernen ihrer komplexen Strukturen ein Höchstmaß an Konzentration erfordert, die wiederum die Isolation voraussetzt, mit der man folgerichtig den richtigen Umgang zu lernen hat. "Thus we find adolescents who feel that they must always be with friends – and these are usually youngsters whose families provide little emotional support – tend not to have the psychic energy necessary for complex learning. Even with superior metal aptitude, the dread of solitude prevents them from developing their talents."487 Gerade in der Intensivierung und Fokussierung der Aufmerksamkeitszuwendung liegt das Flow-Potential einer monadischen Situation begründet, das von den Jugendlichen durchaus erkannt und genutzt wird. 488 Dabei bilden die Zimmer der Jugendliche wirksam zu schützende Rückzugsräume gegenüber anderen und Erwachsenen und werden u.a. auch auf ein monadisches Handeln hin ausgelegt. Mittels Medien wie etwa dem CD-Player sind die Jugendlichen aber auch in der Lage, sich ad hoc derartige Räume zu schaffen, indem sie ostentativ ihr Desinteresse an jeder Interaktion präsentieren. Öffentlichkeit Die Zunahme an Öffentlichkeit in der postmodernen Mediengesellschaft stellt für die Erfahrung von Flow ebenfalls Potentiale bereit. Grundsätzlich kann das Fremde ein Faszinosum darstellen, eine Herausforderung, die Stimulans positiver Erfahrung werden kann. Diesen Fremden findet man nicht in der sozialen Organisation von Dyade und Familie, sondern in der Öffentlichkeit. Zwei Trends perpetuieren und verstärken das Element des Fremden in der Gesellschaft, der institutionelle Pluralismus westlicher Gesellschaften wie ihre Permissivität und die Entwicklung einer globalen Kultur. Über die Medien kommt es zu einer Invasion von Öffentlichkeit auch in sich abgrenzende Räume wie z.B. der Familie. Gleichzeitig bilden sich neue Formen von Öffentlichkeit in den Szenen oder Milieus (Communities; Players' Associations) heraus, aus denen sich weitere soziale Räume potentieller Flow-Erfahrung ergeben wie etwa die Peer Groups der Jugendlichen als "safe yet stimulating social environment[s]"489. Veränderung von Alltag und Lebenswelt Um Flow-Potentiale zu nutzen sind offensichtlich manche Transformationen bisheriger Strukturen in Alltag und Lebenswelt notwendig. Eine besondere Bedeutung erhält dabei die gestaltende Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Umwelt, um negative Kontextfaktoren entscheidend zu verändern oder auszuschließen, auch wenn diese als strukturelle Phänomene zunächst übermächtig scheinen mögen. "A deprived childhood, abusive parents, poverty, and a host of other external reasons may make it difficult for a person to find joy in everyday life. On the other hand, there are so may examples of individuals who overcame such obstacles that the belief that the quality of life is determined from the outside is hardly tenable."490 Gerade für Jugendliche mit ihren beschränkten Einflussmöglichkeiten auf die sie mitbestimmenden situativen und normativen Kontexte können derartige Veränderungen durchaus auch entweder in solidarischen Sozialformationen oder auch von zunächst heteronomen, von ihrer Zielsetzung her aber auf die Unterstützung von Jugendlichen angelegten Institutionen wie Elternhaus und Schule geleistet werden. Dies gerät dann nicht in Widerspruch zu der für Flow notwendigen selbständigen Bestimmung der Kontexte, solange der Jugendliche diese extrinsischen Faktoren in seiner Reflexivion ihrer vermeintlichen Bedeutung nach vernachlässigen oder seinem eigenen Handeln internalisierend subsumieren kann. Das angestrebte Ziel all dieser Bemühungen, eine 487 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 91 488 Vgl. APPENDIZES/ Interviews/ 2003-03-19, 31-34; eine Reihe weiterer Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit Fantasy -Rollenspielen stehen, wie etwa die Lektüre und Entwicklung von Zusatzmaterialien oder der Bau von Miniaturen finden ebenfalls als monadisches Handeln statt; 489 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 94 490 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 98 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 97 dauerhaft gelingende Gestaltung von Alltag und Lebenswelt, basiert also im wesentlichen darauf, dass der Jugendliche den 'Eindruck' hat, diesen Prozess zu steuern und zu kontrollieren ("integrated regulation").491 Schule Eine der dazu notwendigen wesentlichen Transformationen der Kontexte betrifft gerade auch bei Jugendlichen Beruf und Arbeit, also den Bereich von Schule, Ausbildung und Lernen, die ohne eine den Jugendlichen evidente Effizienz und an ihnen orientierte motivierende Arbeitsformen und Ziele als langweilende Routinen oder aber als Stress und Überforderung empfunden werden. Eine Lösung bietet nun bei Jugendlichen eine grundsätzliche Veränderung des schulischen Umfelds nach einem pädagogischen Konzept, das mit der Persönlichkeitsstruktur des jugendlichen Individuums und seiner Entwicklung wie mit den Kriterien einer gelingenden Alltagsgestaltung im Sinne von Flow koinzidiert. Derartige Konzepte liegen besonders aus dem Bereich der Reformpädagogik vor: Sie beschreiben Formen selbständigen Lernens, die einen eingehenden Reflexionsprozess des Individuums voraussetzen und zur Entwicklung genuin eigener Ziele und damit korrespondierender alternativer Arbeitsmethoden führen. Lernen erhält damit eine Dimension der Selbststeuerung und erfährt damit eine qualitativ neue Bedeutung in der reflexiven Betrachtung durch das Individuum ("a memorable performance"492). Jugendlichen der Fantasy- Rollenspiel-Szene gelingt es offensichtlich intuitiv, die für das Spielen notwendigen Lernprozesse wie das Spielen selbst in diesem Sinne zu gestalten. 493 Die Einführung in die schulische Alltagspraxis gestaltet sich dagegen weniger überzeugend. Zwar haben sich mittlerweile Formen des Arbeitsunterrichts oder selbständigen Lernens wie der Wochenplan in der Regelschule etablieren können, 494 sie scheitern jedoch häufig – trotz des hohen Engagements aller Beteiligten und ihrer unstrittigen Erfolge an nicht oder wenig modifizierbaren strukturellen Bedingungen der Regelschule.495 Stress Kontexte wie Schule erweisen sich in der Perspektive der Jugendlichen in ihrer eigenartigen Mischung von Unter- und Überforderung als weitgehend Flow-restriktiv. Die Mehrheit der Jugendlichen fühlen sich dort – im deutlichen Gegensatz zu ihren Freizeitaktivitäten – überfordert, empfinden Schule als Stress und weniger als Beanspruchung und Herausforderung (Strain). Eine Reihe von Jugendlichen fühlt sich an Schule aber auch unterfordert.496 Dabei führen externe Stressfaktoren wie Aufgabenkomplexität und Leistungsdruck nicht unbedingt zu einem reflexiv wahrgenommenen internen Stress-Gefühl, denn in ihnen verkörpern sich oft grundsätzliche institutionelle Anforderungen, die nur dann in der individuellen Wahrnehmung zu Stress werden, wenn sie die Fähigkeiten des Individuums in einem Maße überfordern, das zu Angstzuständen führt. Dies aber scheint für einen Teil der Jugendlichen an den Schulen zuzutreffen. Schule gelingt es offensichtlich nicht, alle Jugendlichen in einer Weise zu befähigen, dass ihre erworbenen Kompetenzen ausreichen, den an sie gestellten Anforderungen nachzukommen. 497 Eine Lösung des Problems zielt zunächst auf eine Veränderung äußerer Stressfaktoren. Dazu zählt u.a. eine konsequent an Prioritäten orientierte Durchsicht und Hierarchisierung der erkennbaren Stressfaktoren und der in ihnen angelegten Anforderungen gerade auch im Hinblick auf die von ihnen vorausgesetzten Kompetenzen. Entlastend erweist sich auch eine Ritualisierung des Handelns in konkreten Stress-Situationen, die dem Individuum das Gefühl von Kontrolle vermittelt. Allerdings muss die externe Ordnung chaotisch und bedrohend empfundener Kontextstrukturen durch eine selbstkritische Betrachtung der individuellen Fähigkeiten in Bezug auf die Herausforderungen durch den Jugendlichen ergänzt werden, was zunächst bedeutet, ihn zu dieser Analyse zu befähigen. Erst dann können 491 DECI/ RYAN 1985 zit. n. STRAKA 1998, 30 492 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 103 493 Vgl. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2004-02-09 AM, 86 494 Vgl. MEYERs Konzept der Lernenden Schule, MEYER 1997, I, 203-288; MEYER 1997, II, 243-260 495 Vgl. dazu: die Bereitstellung spezifischer schulischer Environments oder der Einsatz neuer Medien wie des Notebook und die Entwicklung selbstgesteuerten Lernens in der Schule, Kap. 6.6 Praktische Perspektiven einer Implementierung bzw. Lokalisierung; 496 Vgl. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2004-02-09 AM, 91 497 Zum Versagen des deutschen Schulsystems bei der Förderung gerade sozial deprivierter Jugendlicher vgl. BAUMERT/ ARTEL/ KLIEME u.a. 2003; FUCHS 2002; BACHMAIR 2002/ 2003 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 98 weitere Lösungsmöglichkeiten wie etwa Formen der Delegation, der konkreten Aneignung und des Lernen (in adäquaten Zeiträumen), der Anforderung fremder Hilfe und Unterstützung, der Möglichkeiten der Fragmentierung und Transformierung für ihn und von ihm initiiert werden. Beziehungen Die personale Interaktion in der Fantasy-Rollenspiel-Szene stellt für die Jugendlichen einen hochdynamischen Erlebnisraum dar, der deutlich sich abhebt vom sonstigen Alltag, wo die meisten personalen Beziehungen statisch angelegt sind und sich damit als Flow-restriktiv erweisen. Dies gilt besonders für den schulischen Bereich. Hier wirken externe Faktoren wie Formen sozialer Kontrolle, die von ihrem Ansatz her im Chaos menschlicher Interaktion Effizienz und Ordnung schaffen wollen, dabei aber die Offenheit von Interaktion den Hierarchien und Ritualisierungen opfern. Gerade in einem solchen Umfeld bedarf der Komplex der Interaktion einer erhöhten Aufmerksamkeitszuwendung des Individuums, sollen hier weitere Flow-Potentiale erschlossen werden. Interaktion basiert auf einer partiellen Gemeinsamkeit von Interessen und Zielen der Interakteure. Das Scheitern von Interaktion beruht in der Regel auf der Unfähigkeit seitens der Interakteure, einerseits diese Interessen und Ziele angemessenen darzustellen, andererseits auf diese Interessen und Ziele des anderen angemessen einzugehen. Eine Reihe von Kommunikations- und Rollenkompetenzen498 sind vonnöten, um sich mit anderen über die gerade verfolgten Ziele und die damit verbundenen individuellen Erfahrungen auszutauschen. Je mehr es gelingt, Beziehungen in dynamische, selbstkontrollierte Interaktion zu transformieren, um so häufiger kann Interaktion einerseits ein auf Flow-Erfahrung zielendes Handeln unterstützen, andererseits selbst als gelingender sozialer Kontakt zum Flow-Erlebnis werden. An Schule als wesentlichem Teil des Alltags von Jugendlichen finden sich derartige Formen der Interaktion grundsätzlich im außerunterrichtlichen Bereich. Hier gelingt es den Jugendlichen – oft auch gegen schulische Strukturen oder in deren Re-Interpretation – miteinander erfolgreich zu kommunizieren, was u.a. die Attraktivität von Schule als Erlebnisraum für die Jugendlichen erklärt. Im Unterricht (und anderen Manifestationen schulischer Strukturen) dagegen findet sich weiterhin ein hierarchisch bestimmter Monolog des Lehrenden, euphemistisch Unterrichtsgespräch genannt, der in keiner Weise dazu angetan ist, Flow-Potentiale zu entwickeln. Schule und besonders der Unterricht müssen deshalb den Dialog neu entdecken und sich dem Dialog öffnen, soll auch Unterricht zu einer gelingenden Gestaltung von Alltag beitragen. Subjektkonstitution mit dem Ziel der autotelischen Persönlichkeit Ein wesentliches Kriterium, an dem sich Quantität und Qualität Flow-orientierten Handelns zeigen, ist ein signifikantes Mehr an autotelischem Handeln in Alltag und Lebenswelt des Individuums. Autotelisch meint hier eine Verselbständigung von Handeln, indem es selbst zum Gegenstand der Aufmerksamkeitszuwendung wird. "An autotelic activity is one we do for its own sake because to experience it is the main goal." 499 Unschwer erkennt man in dem oft obsessiv wirkenden Handeln der Jugendlichen der Fantasy-Rollenspiel-Szene wie auch anderer Jugendkulturen diese Konzentration auf das Handeln an sich, den zunächst völligen Ausschluss extrinsischer Motivationsfaktoren wie Gratifikation, Reputation, Erwerb und Akkumulation sozialen wie kulturellen Kapitals. Gerade die soziale Akzeptanz, die Jugendliche bei diesem Handeln in ihren Vergesellschaftungsformen erfahren, fördert die Verstetigung ihrer Projektion des eigenen Ich und die Ausbildung einer Identität. Autotelisches Handeln kann zum Leitbild einer erfolgreichen Subjektkonstitution und Identitätsbildung von Jugendlichen werden. Die vielen Jugendlichen, die in ihren Szenen und sozialen Einheiten uneigennützig handeln, stehen für die Attraktivität und den Erfolg dieses Identitätsmodells. "Applied to personality, autotelic denotes an individual who generally does things for their own sake, rather than in order to achieve some later external goal." 500 498 vgl. dazu: HABERMAS' Grundqualifikat ionen des interaktionistischen Rollenhandelns: Empathie, sprachliche Kompetenz, Frustrationstoleranz, Ambiguitätstoleranz, Rollendistanz, TILLMANN 1994, 138-143 499 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 117 500 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 117 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 99 Infolge des Flow, den eine autotelische Persönlichkeit in ihrem Handeln erzielt, ist sie in einem höheren Maße von externen positiven und negativen Sanktionen ihres Alltagskontextes unabhängig und erzielt eine positive, sich selbst verstärkende Qualifizierung des Prozesses der Subjektkonstitution. "Because such persons experience flow in work, in family life, when interacting with people, when eating, and even when alone with nothing to do, they are less dependent on the external rewards that keeps others motivated to go on with a life composed of dull and meaningless routines. They are more autonomous and independent, because they cannot be as easily manipulated with threats or rewards from the outside. At the same time, they are more involved with everything around them because they are fully immersed in the current of life.""501 Ausgangspunkt für autotelisches Handeln ist eine Flow-Erfahrung, bei dem in einer gegebenen Situation das Individuum angemessen anspruchsvollen Anforderungen mittels seiner Fähigkeiten auf einem hohen Niveau genügen und dieses Anforderungsniveau im Fortgang der Entwicklung seiner Fähigkeiten bestimmen und entwickeln kann, um den Flow zu verstetigen. Autotelische Personen zeigen ein aktives, gestaltendes, produktives Handeln in Arbeit, Freizeit und Interaktion. Sie nehmen dabei im Gegensatz zu exotelischen Individuen in ihrer reflexiven Betrachtung die Erfahrungen, die mit einem solchen Handeln verbunden sind wie Konzentration, Selbstwahrnehmung, Bedeutungsantizipation und Sinngebung, Freude, Befriedigung erheblich intensiver wahr und können diese Erfahrungen auch konkreter benennen. Autotelische Individuen zeigen weiter höhere soziale Kompetenzen durch ein altruistisches, d.h. weniger utilitaristisches, opportunistisches und instrumentalisierendes Handeln, da Flow weniger den Menschen selbst in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit rückt ("self-centeredness") als vielmehr das Handeln selbst: "Autotelic persons […] have more free psychic energy to experience life with."502 Kulturelle wie soziale Transformations-Kompetenzen zeigen sie auch, indem es ihnen gelingt, ihr Handeln entgegen den exogenen Strukturen endogen und autonom zu organisieren und effizient zu gestalten, etwa durch angemessene Differenzierung nach Präferenzen und Prioritäten; durch eine effiziente Selektion und Fragmentierung, durch eine angemessene Delegation etc. Die damit verbundene Entlastung ermöglicht ihnen die Investition dieses Surplus an Aufmerksamkeitszuwendung als Kreativität auch im Umgang mit scheinbar trivialen Handlungen, deren Qualität dadurch entscheidend verändert wird.503 Insgesamt gelingt dem autotelischen Individuum damit ein Zugewinn an Realitätserkenntnis in der Mensch- Objekt-Beziehung: "Only if attention is to a certain extent free of personal goals and ambitions do we have a chance of apprehending reality in its own terms." 504 Von besonderer Bedeutung sind für die autotelische Persönlichkeit ihre selbst-organisatorischen und selbst- kontrollierenden Kompetenzen, die ihr über die Steuerung der Aufmerksamkeitszuwendung eine umfassende Transformation von Alltagshandeln ermöglichen: zunächst die Handlungsroutinen mittels einer erhöhten Aufmerksamkeitszuwendung erneut zu intensivieren, dann passive Handlungen zu entdecken, diese zu eliminieren oder in aktive umzuwandeln und schließlich neue Handlungsmöglichkeiten zu entdecken und auszugestalten. "Instead of waiting for an external stimulus or challenge to grab our attention, we must learn to concentrate it more or less at will. This ability is related to interest by a feedback loop of mutual causation and 501 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 117-118 502 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 123 503 CSIKSZENTMIHALYI gibt an, dass die vom initiierte Flow-Forschung anhand des von ihm entwickelten einheitlichen Untersuchungsdesign bis 1999 ca. 250 000 Untersuchungen durchgeführt habe und damit die von ihm aufgezeigten psychischen Veränderungen einer autotelische Persönlichkeit auch quantitativ nachweisbar seien, s. FARMER 2003 504 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 125 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 100 reinforcement. [...] As one focuses on any segment of reality, a potentially infinite range of opportunities for action – physical, mental, or emotional – is revealed for our skills to engage with." 505 In diesem Zusammenhang sind auch medienkommunikative Kompetenzen zu sehen. Die Fähigkeit des Individuums mit komplexen Symbolsystemen, gerade auch denen der Mediengesellschaft, produktiv und kreativ umzugehen, erhöht seine Chancen, auf die Prozesse von Encoding wie Decoding mittels eines reflektierten Aufmerksamkeitszuwendung transformativ Einfluss nehmen zu können, etwa durch die Entwicklung von Medien., Text- und Ereignis-Arrangements. Der Grad an Autonomie eines Individuums zeigt darin, dass es ihm gelingt, die Aufmerksamkeitszuwendung zu steuern und sich nicht nur gegenüber exogenen wie heteronomen Bestimmungen zu behaupten, sondern diese mittels der Produktion von "Memen"506 zu verändern. Wie oben aufgezeigt, scheinen zahlreiche Jugendliche in den Szenen der Jugendkulturen Qualitäten einer autotelischen Persönlichkeit bei ihrer Identitätsbildung zu entwickeln und intuitiv auch die Potentiale wahrzunehmen und nutzen, die damit verbunden sind. Angesichts der evidenten Affinität der Eigenschaften einer autotelischen Persönlichkeit zu den Zielen von Pädagogik und der Situation von Jugendlichen in den Schulen scheint es wichtig, die Möglichkeiten eines positiven Beitrags und Anteils von Schule und Unterricht an einer derartigen Entwicklung von Identität zu bestimmen. Grundsätzlich zeigen auch Unterrichtssituationen die für eine Flow-Erfahrung notwendigen Kriterien: Im Idealfall einer realisierten Binnendifferenzierung erhält der Jugendliche genau die Anforderungen, die seinen Kompetenzen entsprechen, einen motivierenden Lernwiderstand auslösen und von ihm erfolgreich in einem weitgehend selbständigen, aber weiterhin vom Pädagogen moderierten Lernprozess bewältigt werden können. Um diesen Erfolg zu ermöglichen, schaffen Schule wie Pädagoge entsprechende Kontexte wie etwa Räume, Zugangsmöglichkeiten, Organisationsformen für Arbeit und Präsentation. Andererseits können auch diese Kontexte selbst zum Gegenstand des Lern- und Arbeitsprozesses werden. Eine Verstetigung der intrinsischen Motivation und damit auch selbstgesteuerten Lernens versucht der Unterricht zunächst über eine Sicherung der entwickelten Kompetenzen an analogen Anforderungen und weiter durch die Konfrontation mit neuen, qualitativ schwierigeren zu erreichen, wobei im Idealfall diese Initiative vom Schüler entwickelt wird. Neben dem Fachunterricht, in dem die oben skizzierten Flow fördernden Kriterien leider oft nicht realisiert werden können, bietet Schule mit den Arbeitsgemeinschaften eine Form von selbstgesteuertem und zugleich moderiertem Unterricht, der den Jugendlichen in der Regel größere Autonomie bei der Gestaltung einräumt. Diese Autonomie, aber auch die weiter gewährleistete klare Strukturierung machen Arbeitsgemeinschaften für Jugendliche sehr attraktiv. Schule bietet weiter neben dem von weitgehend kognitiven Lernzielen bestimmten Fachunterricht und den Arbeitsgemeinschaften eine Reihe von Möglichkeiten zu altruistischem Handeln auf verschiedenen Ebenen der sozialen Interaktion mit zum Teil erheblichen Freiheiten für die Jugendlichen, ihr Handeln selbst zu bestimmen. Klassische Bereiche dieser Gestaltung sind etwa die Mitwirkung in den Selbstverwaltungsgremien der Jugendlichen oder das soziale Engagement für inner- wie außerschulisch gesellschaftlich Benachteiligte. Schule kann also ebenfalls einen Beitrag zu einer gelingenden Subjektkonstitution und Identitätsentwicklung im Sinne einer autotelischen Persönlichkeit beitragen, wenn es ihr gelingt, die Flow fördernden Potentiale freizulegen. Dies scheint im Widerspruch zu ihrer gesellschaftlichen Funktion zu stehen, denn dass sie letztlich eine heteronome Größe im pädagogischen Prozess darstellt, ist unbestritten. Es geht darum, diese prekäre Ambivalenz so zu justieren, dass im Mittelpunkt des pädagogischen Bemühens die gelingende Entwicklung des einzelnen Jugendlichen steht und weniger das, was an Schule von außen herangetragen wird. 505 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 127-128 506 CSIKSZENTMIHALYI 1997b, 9-37 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 101 Gelingendes Leben Die Extrovertierung als wesentliches Kennzeichen des autotelischen Individuums erlaubt ihm eine angemessene Wahrnehmung der Wirklichkeit, indem es seine Aufmerksamkeit auf seine Umwelt richtet. Damit verbunden ist eine transzendierende Sinngebung von Leben: einerseits als Einsicht in die Notwendigkeit, die von den Dingen, mit denen wir interagieren, ausgeht507 und andererseits als den bewussten und freien Wahlakt des Individuums, sich mit diesen Determinationen auseinander zu setzen und sie zu gestalten. 508 "An active responsibility for the rest of humankind, and for the world of which we are part, is a necessary ingredient of a good life." 509 Grundlage ist einerseits eine stetige selbstkritische und produktive Analyse des eigenen Ichs und der von ihm besetzten Domänen510 des Lebens mit dem Ziel einer 'Objektivierung' des Ich511, zum anderen eine Bestimmung eindeutiger, konkreter Ziele möglichst durch das Individuum selbst, die eine Wahrnehmung von Steuerung und Kontrolle vermitteln. Letztlich besteht angesichts der Dominanz des Heteronomen im Alltag des Menschen nur die Möglichkeit einer möglichst umfassenden Transformation des Heteronomen in Autonomes über dessen Re-Organisation als verstetigte Flow-Erfahrung. Der Akt der Wahl und der Entscheidung als Ausdruck autonomen Umgangs mit der Umwelt wird damit zum signifikanten Handeln. Pädagogik muss also darauf zielen, dem Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, wesentliche Entscheidungen treffen zu können, deren Relevanz in der Notwendigkeit der Objekte und der durch sie konstituierten Umwelt begründet ist, um Erfahrung von Autotelos 512 zu vermitteln, die wiederum intrinsische Motivationsprozesse generiert. Resümee Der Mehrwert der Flow-Konzeption für die Analyse jugendlicher Gestaltung von Alltag und deren Integration in der Schule liegt in einer angemessenen Würdigung der mit den Jugendlichen in einer sinnhaften Interdependenz stehenden vielfältigen Texte und den aus ihnen entwickelten Arrangements, die sie zur Gestaltung ihres Alltags heranziehen und verwenden. Objekte repräsentieren Identitätsentwürfe als im Handeln entäußerte und in das Objekt übertragene symbolische Darstellungen des Ich. Weiter kann die immense intrinsische Motivierung, die an diesem gestaltenden Handeln der Jugendlichen dem Außenstehenden deutlich wird, mit dem Flow-Konzept erklärt und als dessen genuines Element bestimmt werden. Schließlich beschreibt das Konzept der autotelischen Persönlichkeit einen realistischen wie realisierbaren Entwurf von Identität, der – wenn auch nicht allen- so doch zahlreichen Jugendlichen in unterschiedlicher Intensität gelingt. Flow basiert auf einem vom Individuum, aber auch von seiner Ungebung operationalisierbaren Gleichgewicht von Anforderungen und Kompetenzen. Ein Maximum an motivierender Erfahrung gelingt dann, wenn auf einem möglichst selbstgewählten qualitativ hohen Niveau die Kompetenzen des Individuums unter Beweis gestellt werden müssen. Dies scheinen die Jugendlichen in ihrem Alltagshandeln immer wieder zu erreichen. Da auch Schule grundsätzlich Bedingungen schaffen kann, die Flow ermöglichen, ergibt sich daraus eine pädagogische Perspektive, nach der es möglich sein sollte, entweder schulische Kontexte dieser Art zu schaffen oder vorhandene zu fördern. Schule kann damit konkret zu einem gelingenden Leben der Jugendlichen beitragen. 507 vgl. dazu: NIETZSCHEs 'Amor fati', NIETZSCHE 1908 (1888) KGW VI-3.294 - 3.295 508 vgl. dazu ROGERS' Konzept einer 'fully functioning person', ROGERS 1999 (1962) 509 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 133 510 CSIKSZENTMIHALYI 1997b, 337-450 511 CSIKSZENTMIHALYI lehnt z.B. eine Selbstreflexion mittels der psycho-analytischen Anamnese als letztlich affirmativ ab, s. CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 136 512 s. dazu: MORENOs Begriff der 'Autotele', BLOMKVIST 2004 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 102 2.2.6 Fantasy-Rollenspiele als ein Element der Ästhetisierung von Alltagswirklichkeit mittels kollektiver Fiktionalisierung Bei der Analyse von Fantasy-Rollenspielen zeigen sich unschwer Parallelen zur Struktur multimedialer wie kollektiver narrativer Fiktionen. Ihre Grundlage haben diese Parallelen wohl in der historischen Entwicklung der Genre513. Demnach steht am Beginn der Entwicklung derartiger Ästhetisierungsformen die auch heute immer wieder feststellbare Adaption von Inhalten und narrativen Elementen traditioneller und klassischer Medien wie Figuration, Aufbau, Plot bzw. Handlungselemente und Interaktionsstrukturen. In einem Prozess der Abbildung werden diese Elemente und ihre Interdependenzen algorithmisch beschrieben und zu einem Basistext geformt, der einerseits die Interaktion mit dem Text selbst, andererseits die der Besucher und Nutzer untereinander ermöglicht, fördert, reguliert und kontrolliert. Die wachsenden Möglichkeiten, die Nutzer derartige Texte miteinander zu vernetzen, führen zu neuen kollektiven Formen der Fiktionalisierung und Ästhetisierung von Alltag.514 Fantasy-Rollenspiele 515 stellen dabei offensichtlich einen Zwischenschritt dar. Einerseits greifen auch sie auf Ästhetik und Technik traditioneller Medien zurück. Der Prozess der mimetischen Umformung allerdings verläuft weiterhin analog, d.h. die dabei entwickelten Algorithmen bedürfen zu ihrer Realisierung der aktiven Aneignung durch die Nutzer in einem Decoding bzw. Encoding. Andererseits ermöglichen sie wie ihre digitalen Varianten ein kollektives Handeln und Gestalten. Die Reichweite der Vernetzung ist wegen der Beschränkungen psychisch-physischer menschlicher Interaktion relativ gering, andererseits als 'Face-to-face'- Kommunikation aber auch sehr intensiv. Dies alles öffnet den Nutzern erhebliche Potentiale der Gestaltung, welche die kollektive Beschäftigung mit der gemeinsamen Fiktion und ihre Weiterentwicklung sehr attraktiv machen. Andererseits stellt die Beschränkung auf mündliche, schriftliche und bildliche Interaktion auch hohe Anforderungen an das Imaginationsvermögen der Nutzer. Gleichzeitig fordern diese Formen der Interaktion auch erhebliche Ressourcen an Aufmerksamkeitszuwendung, Interaktionskompetenz und Zeit, und sie sind weiter durch situative wie normative Kontextfaktoren wie etwa räumliche Nähe und soziale Hierarchien restringiert. Digitalisierte Formen kollektiver Fiktionalisierung versuchen diese Einschränkungen zu kompensieren und zu überwinden. Während dies zunächst aufgrund informationeller wie technischer Probleme nur in Ansätzen gelang und heutige Dimensionen nur erahnen ließ, stehen aktuell den Nutzern digital produzierte und kommunizierte Texte mit sehr mächtigen Instrumenten der Präsentation, Kommunikation und Weiterentwicklung zur Verfügung.516 Deutliches Kennzeichen der Reife dieser Produkte ist die Anzahl der intertextuellen Crossover zu anderen Medien wie die Schnelligkeit und Perfektion der Adaption.517 Als bislang erfolgreichste Form digitaler kollektiver Fiktionalisierung erweisen sich neben den PC-Spielen rein netzbasierte Varianten spielerischer Interaktion.518 Wie die anderer multimedialer bzw. audiovisuellen Medien auch ist die Ästhetik kollektiver Fiktionen geeignet, die Identitätsbildung gerade von Jugendlichen in deren Konstitutionsprozessen von Alltag und Lebenswelt zu beeinflussen. Folgt man dem Ansatz, dass die dort präsentierten und kommunizierten Oberflächen als Resultate eines Aneignungs- und Entäußerungshandelns zu verstehen sind, verweisen die in diesen Fiktionen von den 513 Zur Entstehungsgeschichte der Fantasy -Rollenspiele vgl. SCHICK 1991, 17-34; WIECHMANN 2000, 8-9 514 Zur alltagsästhetischen Bedeutung weiterer Medien: BACHMAIR 1997 (Fernsehen); VOGELGESANG 1991 (Video); WINTER 1998 (Musik) u.a.; 515 Fantasy -Rollenspiele werden hier verstanden als Tabletop- bzw. Paper-and-Pen-Spiele und von den eventuell vorhandenen PC-Spiel-Varianten bewusst abgegrenzt. Die Spieler sind sich durchaus bewusst, dass sie sich mit der Präferierung dieser Spielvariante deutlich vom digitalen Mainstream absetzen, was als Distinktionsmechanismus den Reiz dieser Spielform nicht unerheblich beeinflusst; vgl. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-15 BC, 62 516 Einen wesentlichen Schritt stellte neben einer deutlich gesteigerten Vernetzung die Offenlegung der Quellcodes bestimmter Programme (Engine) wie etwa "Half-life" dar, womit den Nutzern die Möglichkeit geboten wurde, die Fiktionen selbständig zu variieren und weiterzuentwickeln; 517 Ein Blick auf das Genre Film verdeutlicht diese Entwicklung. Parallel etwa zu den vielfältigen Adaptionen klassischer "Marvel"-Comics durch die Filmindustrie und deren Merchandising, wie etwa "Spiderman" (2002), "X-Men" (20001) "Batman" (1989); "Batman Retuns" (1992) "Batman: Mask of the Phantasm" (1993) "Batman Forever" (1995); "Batman & Robin" (1997), oder auch literarischer Werke wie TOLKIENs " The Lord of the Ring"-Trilogie (2001; 2002, 2003) werden heute die entsprechenden PC-Spiele angeboten. Mittlerweile kommt es immer mehr auch zur Adaption von PC-Spielen durch die Film-Industrie oder die Auflösung beider Genre in digitalen Pro-duktionen wie etwa "Final Fantasy" (USA/ Japan 2001) oder "Shrek" (USA 2001) etc. Typisch auch das intertextuelle Angebot japanischer Produktionen wie "Beyblade" (http://www.beyblade.com/) [2004- 06-16] oder "Yu-Gi-Oh" (http://www.yugiohkingofgames.com/ [2004-06-16]); 518 Online-Browser-Games; MMORG etc.; 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 103 Jugendlichen geschaffenen Erzählungen519 auf sie selbst wie auf das von ihnen verwendete Material symbolischer Objektivationen zurück. 520 Die Ästhetik kollektiver Fiktionen, die quantitativ wie qualitativ als von den Jugendlichen bevorzugt rezipierte bzw. konsumierte Genre gelten können, beeinflusst damit auch deren fiktional entwickelten und – im weitesten Sinne - narrativ präsentierten Identitätsentwürfe bzw. sind deren mehr oder minder partielle Manifestationen. 521 In der Ästhetik von Fantasy-Rollenspielen und audiovisuellen bzw. multimedialen kollektiven Fiktionen lassen sich demnach Analogien aufzeigen, die sich weiterführend ebenso in jugendlichen Aneignungs- und Entäußerungsprozessen abbilden. Damit kann das Spiel mit und in Fantasy-Rollenspielen auf grundsätzliche Bedingungen jugendlicher Konstitution von Lebenswelt und Alltag hinweisen, die nach ästhetischen Kategorien multimedialer kollektiver Fiktionen beschreibbar sind. Basiseigenschaften Multimediale kollektive Fiktionen besitzen eine Reihe von grundsätzlichen Eigenschaften: Sie sind intertextuelle Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements ('Environments') mit prozeduraler Organisation, sie ermöglichen bzw. setzen eine aktive Teilhabe ihrer Rezipienten und Nutzer voraus, sie entwickeln komplexe Räume und strukturieren Wirklichkeit in ihrer fiktionalen Ästhetik indexikalisch und enzyklopädisch. Prozeduren Multimediale kollektive Fiktionen folgen strikten, für den Rezipienten nachvollziehbaren Regeln und Prozeduren. Der Aspekt der Nachvollziehbarkeit ist bei anderen Formen des Fiktionalen wie etwa in den Genres von Buch oder Film spezifisch ausgeprägt und organisiert und rekurriert auf die Literalität der Rezipienten. Während sich aber die Fiktionen traditioneller Medien eher bemühen, das Prozedurale zu verbergen oder zu sublimieren, basieren multimediale kollektive Funktion auf deren ostentativen Repräsentanz. Grundsätzlich stellen Prozeduren Algorithmen dar, in denen Handlungsabläufe strukturell organisiert werden, z.B. in dem Kausal- und Konditionalnexus der Aussagen- bzw. mit den Attributen der Prädikatenlogik oder in den Variablen heuristischer Verfahren. Diese Form einer Rationalisierung von Fiktion erweist sich als säkulare Kompensation, die sich der Mensch der Postmoderne anstelle der verlorengegangen Koinzidenz von Transzendenz (Vormoderne) und Ideologien (Moderne) geschaffen hat.522 Symptomatisch ist in diesen Zusammenhang die Vermischung archetypischer Interaktionsmuster einer evident-manifestativen Handlungslogik und szientistischer Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster mit algorithmisch-heuristischer Handlungslogik wie etwa in den Fantasy-Rollenspielen.523 Ihre Legitimation und Akzeptanz beziehen diese Prozeduren aus der von ihnen behaupteten Koinzidenz in der effizienten Abbildung von Prozessen der Realität mittels und innerhalb der multimedialen kollektiven Fiktion und der Evidenz-Erfahrung des Rezipienten im re- interpretativen Wiederkennen und in der analogen Anwendung dieser Prozeduren in seiner Realität, konkret in seiner Gestaltung von Alltag und Lebenswelt. Notwendigerweise wird dabei keine Realität, sondern eine den Konstitutionsprozessen des Alltags entspringende und dem Konstituierenden bewusste Fiktionalität reproduziert, d.h. das Imitat weist sich als solches durch in der Regel hyperbolische Eigenschaften aus und wird gerade deswegen anerkannt: es ist als Typus von Handeln – im Gegensatz zur Alltagserfahrung - vorherseh- und vorhersagbar und damit wiedererkennbar bzw. verlässlich reproduzierbar. Autoren wie Rezipienten nutzen in stiller Übereinkunft diese hyperbolische Analogie von multimedial- konstitutiver und real-konstitutiver Fiktion im Sinne eines "kollaborativen Erzählens"524. Grundsätzlich gilt also, dass Handlung und Problemlösung Regeln folgen müssen, denen eine Evidenz- bzw. Deutungsqualität in der Fiktion wie im vom Individuum gestalteten Alltag bzw. seiner Lebenswelt zuerkannt wird. 519 Begriff der Erzählung nach LYOTARD 1994, 14-15; BENHABIB 1993 (1984), 103-127; Begriff der Autobiographischen Erzählung bei FEILKE 1998 520 Modell der Aneignung/ Entäußerung nach BERGER/ LUCKMANN 2001; BACHMAIR 1993, 1996 521 DEUTSCHE SHELL 2002, 194-212 522 Vgl. die ideologische Funktion des Mythos nach BARTHES 1970 523 BARTHES nach CHANDLER 2002 524 MURRAY 1997, 73 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 104 Eine Vielzahl von multimedialen kollektiven Fiktionen orientiert sich deshalb dabei weiter an der Evidenz tradierter archetypischer Handlungsmuster wie etwa ödipaler Konfliktszenen, der formalen und Prädikatenlogik, der Heuristik und schließlich aber auch an situativen, kontextuellen bzw. pragmatischen Handlungskontexten. Mit letzteren fließen nun allerdings auch Kriterien postmoderner Konstitution von Alltag und Lebenswelt wie Reflexivität, Dialektik, Reversibilität, Verhandlung und Vereinbarung, Temporalität etc. in diese Fiktionen ein. Prozeduren stehen in multimedia len kollektiven Fiktionen für das Bemühen, die Wirklichkeitserfahrung der Rezipienten analogisch abzubilden und zu übertragen. Akzeptanz, Relevanz und Legitimierung erhält diese Spielart der Mimesis durch die pragmatische Evidenz der Prozeduren, die dem alltäglichen Konstitutionshandeln der Rezipienten entsprechen und damit Wirklichkeit und Fiktion miteinander verbinden. Fantasy-Rollenspiele basieren ebenfalls auf ausgeprägten Regularien und den mit ihnen definierten Prozeduren. Teilhabe Als ein weiteres wesentliches Element multimedialer kollektiver Fiktion gilt die Interaktion, d.h. derartige Environments sind nicht nur und allein Folge algorithmischer Regelwerke und Prozeduren, sondern sie sind gleichzeitig auch Resultate der von den Rezipienten in Interdependenz mit ihnen eingebrachten Impulse: "They are responsive to our input."525. Allerdings unterliegen die Formen und Möglichkeiten der Einflussnahme ebenfalls der grundsätzlichen Regelung durch Prozeduren ("[...] the codified [R.R.] rendering of responsive behaviors."526), die Teilhabe reduziert sich deshalb in vielen Fällen auf eine mehr oder minder offene wie qualitativ wie quantitativ beschränkte Teilnahme. Mit diesen Einschränkungen definiert sich Interaktivität demnach als Teilnahme an Prozeduren im Sinne einer prozedural organisierten Teilhabe. Partizipatorisch strukturierte und organisierte multimediale kollektive Fiktionen weisen damit eine grundlegende Antithetik auf: Die dem Rezipienten zugesprochene und wahrnehmbare Freiheit ist, zumindest von der Anlage her, stets prozedural und damit auch heteronom bestimmt. Fantasy-Rollenspiele stehen auch hier deutlich an der Schnittstelle zwischen traditionell produzierten multimedialen kollektiven Fiktionen und ihrer digitalen Fortentwicklung. Die Autoren bzw. Produzenten sehen eine konkrete Teilnahme der Teilnehmer nicht nur vor, sondern die Spielanlage selbst basiert gerade auf der Interaktion der Nutzer untereinander mit dem Spiel als Medium. Dabei antizipieren die Spiele in ihren aufwändigen Regularien das mögliche Handeln der Spieler ausgehend von den Kontextbedingungen, welche die Spiele definieren. Die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit der Spieler ist demnach eher eine Auswahl, die sie unter einem begrenzten Vorrat an dem Regelwerk kohärenten Handlungsalternativen treffen können. Stellvertretend für die Autoren bzw. Produzenten wacht die Gemeinschaft der konkurrierenden Mitspieler wie ein Master über deren penible Einhaltung. Die Interaktivität der digitalen Varianten multimedialer kollektiver Fiktionen hat ihren Ursprung in der technischen Weiterentwicklung der anfänglich für den Nutzer grundsätzlich vorhandenen, aber im Vergleich zu den Möglichkeiten des Autors doch recht eingeschränkten Kommunikation zwischen ihm und der die Hardware steuernden Software. Noch bis Ende der 90er Jahren waren Quantität und Qualität der Interaktion in PC-Spielen im Vergleich mit den Möglichkeiten der Fantasy-Rollenspiele indiskutabel. Aus diesen primitiven Formen der Navigation und Selektion haben sich wesentlich komplexere Möglichkeiten entwickelt. Den aktuellen State of Art demonstrieren die Multiplayer-Modi bei PC-Spielen und ihren medialen Derivaten aber auch die Steuerungsmöglichkeiten bei Fernsehen, Video und DVD, was signalisiert, dass der bislang unidirektionale Mainstream von Kommunikation, wie ihn klassische und traditionelle Medien und ihre Institutionen wie Buch, Presse, Theater, besonders auch Radio, Film, TV als 'Broadcasting Systems' präsentieren, in der Gesellschaft abgelöst wird durch ein bi- bzw. multidirektionales und damit auch konstitutives rezeptionsästhetisches Verständnis von Kommunikation. Dies wiederum rekurriert auf die sich verändernden Gestaltungsprozesse von Lebenswelt und Alltag in der postmodernen Gesellschaft und spiegelt sich in den Produktionen und Präsentationen der Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements der Individuen wie ihrer spezifischen Milieus und Kulturen. Wesentliches Motiv der Rezipienten für die Teilnahme an multimedialen kollektiven Fiktionen ist deshalb das Austesten der Potentiale wie Grenzen, welche die Prozeduren der Teilhabe setzen. 525 MURRAY 1997, 74; vgl. dazu die gestaltende Rolle des Rezipienten in Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements, BACHMAIR 1996, 23-24; 75-78 526 MURRAY 1997, 74 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 105 Den Konstitutionsprozessen der Teilnehmer, die einerseits Autonomie begründen wie von dieser beeinflusst werden, und den damit erodierenden und entropisch anwachsenden Konsequenzen für das Gesamtsystem einer kollektiven Fiktion stellen Autoren bzw. Produzenten einen auktorialen527 Gesamtentwurf des Systems entgegen, der grundsätzlich in der Lage sein soll, alle Handlungsentwürfe der Teilnehmer zu antizipieren, zu integrieren und damit letztlich doch heteronom zu bestimmen. Legitimation und Akzeptanz partizipatorisch strukturierter und organisierter multimedialer Fiktion beruht darauf, dem teilnehmenden Individuum mit einem Minimum an heterogener Bestimmung ein Maximum an autonomer Konstitution zu ermöglichen, mithin also positive Bedingungen für eine erfolgreiche Erfahrung von Flow zu schaffen.528 Dies gelingt insbesondere durch die Überwindung der traditionell am Handlungsablauf orientierten und linear strukturierten Diskursivität klassischer Fiktion mittels einer Orientierung der Teilhabe an Objekten. Dabei werden Einzelobjekte etwa des Plots oder der Kontexte im Rahmen eines universellen, komplexen und enzyklopädisch strukturierten Regelsystems frei gestaltbar und entwicklungsfähig angelegt. Im Hintergrund überwachen Autoren bzw. Produzenten wie die kollaborierenden Rezipienten ständig die Kompatibilität der von den Rezipienten an den Objekten angesetzten Impulse mit dem Handlungskontext anhand eines komplexen Regelwerks und führen in Konfliktfällen Entscheidungen anhand der Anwendung und Interpretation von Prozeduren herbei. 529 Damit aber erhält die Interaktion eine über die klassische Fiktion hinausreichende Qualität und schafft eine neue Dimension von Interaktion, da die Interpretation der Anwendungskompatibilität von Prozeduren einen Dialog der Rezipienten mit den Autoren bzw. Produzenten voraussetzt. Dieser Dialog kann von Autoren bzw. Produzenten antizipiert werden, indem sie etwa die Rezipienten zum Sachwalter der Prozeduren erheben530 oder mittels Master, Demons bzw. Softbots531 sich selbst als Autoritäten in der kollektiven Fiktion etablieren. Man kann diesen Dialog auch auf formeller wie informeller Ebene gerade mittels multimedialer Medien interaktiv wie kommunikativ initiieren und organisieren.532 Er kann weiter mittels reflexiver, selbstlernender und sich selbst modifizierender Regelwerke vereinfacht werden. Die Orientierung an Objekten führt zu einer mehr an die Offenheit einer Mind map erinnernden Baumstruktur des Plots, an deren Knoten unschwer prozedural vorstrukturierte Alternativen von den Nutzern angeschlossen werden können (Dungeon), wodurch der Eindruck echter Teilhabe beim Rezipienten erweckt bzw. verstärkt wird: "The Zork dungeon rooms form a branching structure, but the magical objects within the dungeon each behave according to their own set of rules. And the interactor is given a repertoire [R.R.] of possible behaviours that encourage a feeling on inventive collaboration. "533 Der Erfolg partizipatorisch angelegter multimedialer Fiktionen beruht auf der Tatsache, dass die Rezipienten ein scheinbar angemessenes und autonom zu nutzendes, in eigentlichen Sinne aber heteronom begrenztes "Appropriate repertoire"534 an Impulsen durch das immanente, aber explizit formulierte Regelsystem des 527 Begriff der Auktorialen Perspektive nach STANZEL 1979; vgl. dazu auch: LUBBOCK's Begriff des External View Point, POUILLON's Vision par derrière und TODOROVs Sicht von oben; 528 CSIKSZENTMIHALYI 1997, 29-31, FRITZ 1997, 210-213 529 Signifikanterweise ist mittlerweile ein Großteil traditioneller Kinder- und Jugendlektüre in der in Fantasy -Rollenspielen als typischem Format des Adventure entwickelten spezifischen Form des Spielbuchs erhältlich und ergänzt bzw. ersetzt die eigentliche Lektüre. Einen ebenso beliebten sekundären Zugang stellt das in diesem Literaturbereich weitverbreitete Hören von Audiokassetten dar; vgl. BLYTON 1996 (1988); bei diesem Titel verweist das "Du" demonstrativ auf den impliziten und strukturell dominanten Interaktionsanspruch; zum Spielbuch in Fantasy -Rollenspiel-Angebot vgl. Kap. 4.2 Formate; 530 Der Autor bzw. Produzent kann dabei grundsätzlich eine konservativ-restriktive Auslegung seines Regelwerks voraussetzen; die typische Literalität der Rezipienten schließt u.a. folgende Elemente ein: die Vorstellung vom den Autor als prinzipielle Autorität im Sinne des Genie-Gedankens der deutschen Klassik bzw. des deutschen Idealismus; verbunden damit die Vorstellung des künstlerischen Produkts als 'Originalkunstwerk', eine von den Print- wie Broadcasting-Medien weitgehend geförderte passive Rezeption und fehlende Praxis im Umgang mit interaktiven Medien; dagegen bildet sich in jugendlichen Subkulturen eine neue Literalität aus, einerseits als Ausdruck des distinktiven Emanzipationsverhalten der Jugendlichen, andererseits auch als Ausdruck der Aufwertung individuellen Gestaltungshandelns in der Postmoderne; 531 Neologismen der PC-Fachsprache: Virtuelle, animierte Figuren mit helfender und beratender Funktion etwa im E-Commerce, bei Software (Office- Klammer) oder in PC-Spielen; 532 Vgl. die vielfältigen Kommunikationsplattformen jugendlicher Subkulturen wie Chat -Räume/ Foren/ Boards/ FAQs/ ICQ; vgl. Kap. 4.3 Zusatzangebote zu FRPG; 533 MURRAY 1997, 78 534 MURRAY 1997, 79 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 106 interaktiven Mediums erhalten. Einschränkungen, denen die Rezipienten bei ihrer Teilhabe unterliegen, werden meist als eine dem Teilnehmer angebotene und wahrzunehmende Funktion (Rolle) oder durch den situativen und normativen Handlungskontext der zu gestaltenden Objekte verborgen und kompensiert: Eine derartige präkonfigurierte Integration der Teilhabe in das Prozedurale verweist auf den Begriff des Skript: "[...] the first step in making an exticing narrative world is to script the interactor"535. Eine Beteiligungsmöglichkeit des Rezipienten an der Entwicklung und Fortführung der Fiktion sehen auch klassische Medien und ihre Genre vor, realisieren sie aber sehr unterschiedlich nach Umfang und Intensität. Mittels einer an Objekten strukturierten und organisierten Teilhabe dagegen werden für Autoren bzw. Produzenten wie Rezipienten die möglichen Impulse und die aus ihnen resultierenden Handlungsvariationen antizipierbar und erlauben eine weitergehende Teilhabe. Bedingung dabei ist, dass die Regelsysteme in der Lage sind, immer angemessen auf die gestaltenden Impulse der Rezipienten zu reagieren. Die Organisation der Teilhabe als Objektorientierung ermöglicht dabei ein Verstetigung der konstitutiven Leistung auf Seiten des Rezipienten, unter dem Eindruck, autonom handeln zu können, indem die 'Leerstellen' des Regelsystems individuell gefüllt werden können, solange eine essentielle Kohärenz gewährleistet ist: "But if the key to compelling storytelling in a participatory medium lies in scripting the interactor, the challenge for the future is to invent scripts that are formulaic enough to be easily grasped and responded to but flexible enough to capture a wider range of human behaviour than treasure hunting and troll slaughter." 536 Raum Multimediale kollektive Fiktionen bilden im Gegensatz zu klassischen Medien den Raum nicht einfach nur mimetisch ab537, sondern schaffen Repräsentationen von Raum, in denen der an der Fiktion partizipierende Rezipient mittels der von ihm mitgestalteten Objekte – etwa in Form eines Character oder Atavar 538 navigiert, um den Raum als solchen wahrzunehmen und zu erfahren: "The computer's spatial quality is created be the interactive process of navigation."539 Der Raum und damit ein Teil des situativen Kontextes werden damit selbst zum Objekt und dem gestaltenden Handeln des Rezipienten geöffnet, so weit es die prozedurale Strukturierung und Organisation zulassen.540 Erste Ansätze einer derartigen Raumgestaltung zeigen sich auch schon in den klassischen, meist trivialliterarischen Medien, wo ausführliche Beschreibungen des Raumes und beigefügte Karten den Raum der Fiktion abzubilden suchen.541 Die Leistung des Rezipienten bei der Erschließung dieses Raumes liegt auch schon hier in seiner Imagination, mit deren Hilfe es ihm gelingt, aus den oft spärlichen Andeutungen der Vorlagen einen konkreten fiktionalen Raum entstehen zu lassen. Eine neue Qualität erhält dieser Vorgang, wenn dieser Raum interaktiv durch die Bewegung der Figuren in ihm navigierend erschlossen werden muss. Der Rezipient trägt also zur Gestaltung dieser Räume durch seine Imaginationen bei, mehr aber noch durch sein Handeln in diesen Räumen, mit denen er sie sich sukzessive erschließt. Typisch dafür ist die Ausblendung des Unbekannten, das sich erst durch die Bewegung in diesen unbekannten Raum etabliert, in den Fantasy- Rollenspielen die sich anschließende, aber bislang nur dem Master bekannte Karte oder wie in den PC-Spielen ein weiterer sich öffnender Dungeon. Weiter auch die virtuell-realistische Verkürzungen der Wahrnehmung 535 MURRAY 1997, 79; vgl. dazu: Skript-Begriff bei HENGST 1990, 1997, 165-168, wonach die Teilnehmer Skripts multimedialer Angebote folgen und sie dabei weiter entwickeln; 536 MURRAY 1997, 78 537 Art. Mimesis, MÜLLER-RICHTER 2001 538 Bedeutung: Artifizielle (oft humanoid gestaltete) Person in digitalen Kontexten in unterschiedlicher Komplexität, z.B. elaboriertes Pseudonym in Chat -Räumen, Softbot im E-Commerce. Der Begriff und seine Herkunft sind nur bedingt wissenschaftlich untersucht. "An avatar is a handle or appearance used to represent (yourself). In the Hindu religion, an avatar is an incarnation of a deity; hence, an embodiment or manifestation of an idea or greater reality. An atavar is a confusing wordplay on avatar, 'atavistic' meaning reappearance of a remote ancestral characteristic, throwback; reversion to an earlier type. Also, as ata-variable, a shape shifter (latin plural -ata as phenotypes from genotype). So, in short, an avatar relates to a higher/future dimension, while atavar to lower/past, maybe also as light/darkness and other traditional mythological dichotomies." (http://noemata.net/1996-2002/574.html [2004-05-12]) 539 MURRAY 1997, 80 540 Die Offenlegung der Quellcodes erlaubt gerade für Ego-Shooter und andere PC-Spiele den Spielern, eigenständig Karten (Maps) oder Habitus (Skins) zu entwerfen, zu programmieren und zu kommunalisieren, vgl. dazu APPENDIZES/ Materialien/ MUDs/ cs_aldi2k.zip [Aldi] bzw. de_mcdonalds.zip [McDonald]; 541 Vergleichbare exzessive Landschaftsschilderungen finden sich z.B. bei Karl MAY, ergänzt in den Originalausgaben durch Karten auf den Einbandinnenseiten, s. MAY 1992; weiter TOLKIENs Raumbeschreibungen und die paradigmatisch sich auf das gesamte Science-Fiction/ Fantasy - Genre sich auswirkende Karte von 'Mittelerde', s. TOLKIEN 2002 (1955) 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 107 durch Dunkelheit, Nebel, Regen. Eine Reihe von Cheats, wie etwa solche, die eine Transparenz von Wänden erzeugen, zielen darauf ab, diese Defizite zu kompensieren. Das Handeln im Raum wird zu dessen Wahrnehmung. Die Objekteigenschaft der Räume, die eben neben der Gestaltung möglicher Objekte auch die des Raumes und damit des Kontextes durch Handlungsimpulse des Rezipienten ermöglichen soll, erzwingt eine Offenheit in der Anlage der Fiktion, die über die notwendige Antizipation durch Autoren bzw. Produzenten notwendigerweise zur Entwicklung von Labyrinthen paralleler Welten führt. Typische Raumorganisationen sind neben dem klassischen eindimensionalen Irrgarten der mehrdimensionale Dungeon und das multidimensionale Rhizom: "Das Labyrinth wie der Text ist ein abstraktes Modell des Folgerns und Schließens, der Konjektur. [...] Anschließend beschreibt er [i.e. ECO; R.R.] drei Arten von Labyrinth. [...] Die dritte Art Labyrinth ist das 'Netzwerk, oder, um den Begriff von Deleuze und Guattari aufzunehmen, (das) Rhizom'. Es ist so angelegt, 'dass jeder Gang sich unmittelbar mit jedem anderen verbinden kann. Es hat weder ein Zentrum noch eine Peripherie, auch keinen Ausgang mehr, da es potentiell unendlich ist." 542 Im mittels Navigation zu erschließenden Raum verorten sich die Basiseigenschaften Prozeduralität und Partizipation multimedialer kollektiver Fiktion. Deutlich wird eine Traditionslinie zu trivial-literarischen Vorläufern, deren Ansätze mittels multimedialer Potentiale realisiert bzw. optimiert werden konnten. Legitimität, Akzeptanz und Integration wie Relevanz derartiger Räume basieren auf einer vordergründig autonomen, nach kontextlogischen, -schlüssigen Kriterien vorgegebenen pragmatisch-evidenten Navigation in diesen Räumen durch den teilhabenden Rezipienten: "The interactor's navigation of the virtual space has been shaped into a dramatic enactment of the plot."543 Enzyklopädik Die Notwendigkeit der Antizipation potentiellen gestaltenden Handelns durch die partizipierende Rezipienten führt auf Seiten der Autoren bzw. Produzenten zum Problem einer entropisch wachsenden Komplexität multimedialer kollektiver Fiktionen. Um eine Kontrolle der Kohärenz der auktorialen wie partizipatorischen Entwicklung der Fiktion zu gewährleisten, müssen zur Begründung, Ausgestaltung und Entwicklung der Storyline umfangreiche und hochdetaillierte Informationssammlungen aufgebaut werden, deren Tendenz durch die offene Anlage der Fiktion zwangsläufig auf das Totale, mithin Enzyklopädische zielt.544 Auch hierzu gibt es eine Reihe trivial-literarischer Vorbilder, die versuchen, die Evidenz und immersive Wirkung der Storyline mittels kontinuierlicher wie diskontinuierlicher Zusatztexte zu steigern; etwa als komplementäre Dokumentation in Form expositorischen Materials, wie sie sich als journalistisches und media les Format der Reportage wie Dokumentation im heutigen Infotainment zeigt. Überdies manifestiert sich in der besonderen Affinität dieses Verfahrens zu Science-Fiction und wissenschaftlicher Fantasy deren immanentes Ideologem von Wissenschaftlichkeit. Eine parallele Entwicklung ist die Herausbildung einer fiktionalen Sekundärliteratur in Form von Pseudo-Lexika, Kompendien, Illustrationen, Dokumentationen.545 Als Konsequenz einer partizipatorischen Fiktion müssen diese Informationssammlungen auch den Rezipienten zur Verfügung gestellt werden, sollen sie in ihrer Eigenschaft als kollaborierende Autoren bzw. Produzenten ernst genommen werden. Gleichzeitig verlagert sich damit partiell auch die Kontrolle der Kohärenz auf die Rezipienten und wird zu einem weiteren partizipatorischen Element. Diese Form der Kontrolle organisiert sich als formeller wie informeller Diskurs von Autoren, Produzenten und Rezipienten mittels aller zur Verfügung stehender Interaktions- und Kommunikationsformen. Die damit hergestellte diskursive Reflexivität beeinflusst permanent die aktuelle und zukünftige Präsentation der Fiktion, in den Eigenproduktionen der Szene wie den Fanzines ebenso wie in den offiziellen und formellen Versionen der kommerziellen Produktionen.546 Im Idealfall stehen dem Rezipienten einer multimedialen kollektiven Fiktion universelle Bibliotheken und Archive zur Verfügung, deren Informationen durch Studium und Anwendung mehr und mehr zum individuellen 542 LAURETIS 1986, 262 543 MURRAY 1997, 83 544 Zum Begriff des Enzyklopädischen vgl. Jäger 1999 545 vgl. HERBERT/ McNELLY 1984; HERBERT 1999-2004 546 APPENDIZES/ Materialien/ Bilder/ Bild 1.2-52 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 108 kognitiven Wissen des Rezipienten werden und seine konstitutive und partizipatorische Kompetenz stetig vermehren. Trotz der Divergenz von Anspruch und Wirklichkeit und auch angesichts der oft chaotischen und fragmentarischen Struktur dieses Informationskosmos bleibt beim Rezipienten der Eindruck eines jederzeit möglichen, wiederholbaren und unmittelbaren Zugriffs auf alle notwendigen Informationsquellen haften, der Eindruck einer spezifischen Omniszenz. Ein entscheidendes Argument für den Konstitutionsprozess ist die Vorstellung einer indexikalischen Beherrschung der fiktionalen Welt durch die Summe der Informationen. 547 Dieser Eindruck verfestigt die in multimedialen kollektiven Fiktionen mehr als in anderen Formaten vorhanden scheinende Ubiquität548 der Informationen im Format des Hypertextes549. Als Hypertext können Präsentationsoberflächen von Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements bezeichnet werden, bei denen proprietäre wie additive Informationen durch Vernetzung mit Datenbanken etwa durch Links, Hot Spots, Softbots, Demons etc. bereit gestellt werden; der Aufruf der Informationen kann interaktiv und auf Anforderung, als Angebot während der Navigation auf der Präsentationsoberfläche, aber auch automatisch erfolgen, etwa als Reaktion des Systems auf einen Befehl des Rezipienten. Diesem Verfahren fehlt zwar die klassische Stringenz und Abstraktion traditioneller heuristischer und wissenschaftlicher Vorgehensweisen bei der Erschließung von Wissen, doch erfährt der zu erschließende Wissensraum seine Ordnung hier mittels fortwährender Vernetzung der Items und kann damit gleichermaßen spontan, assoziativ wie rational organisiert und durchdrungen werden.550 Von Bedeutung ist weiter, dass eine derartige Vorgehensweise gerade auch mit der Mentalität der Postmoderne korrespondiert, systematisch entwickelte Lösungen zu hinterfragen und zu destrukturieren. Zugleich ergibt sich ein heuristisches Verfahren, in der Adventiure oder Quest in das Unbekannte aufzubrechen, im scheinbaren Chaos Orientierung zu finden und sich unbekannte Ressourcen zu erschließen und zu kolonisieren.551 Der Eindruck potentieller Vollständigkeit der Information wie der ihrer unbegrenzten Verfügbarkeit führt bei der partizipatorischen Entwicklung multimedialer kollektiver Fiktionen zur Vorstellung beim Rezipienten, parallele Realitäten gestalten zu können. Das Wissen um den fiktionalen Charakter des Geschaffenen bleibt virulent und kann nur partiell und temporär in spezifischen Kontexten ausgeblendet werden, andererseits scheint die Realität dieser Fiktionen doch so sehr evident, dass sie als Simulation von Realität empfunden und gewertet werden552. Diese Ambiguität wird im Begriff der Virtualität deutlich553. Die Faszination der virtuellen Welt für den Teilnehmer beruht affektiv-emotional auf einer Autonomieerfahrung, die dieses Erlebnis deutlich von anderen Alltagserfahrungen abgrenzt. Pragmatisch scheint die virtuelle Welt es dem Rezipienten zu ermöglichen, diverse Persönlichkeits- und Handlungsentwürfe in selbstgestalteten experimentellen Kontexten spielerisch zu erproben und seine Erfahrungen auf die Realität zu übertragen. Grundsätzlich werden im gesellschaftlichen Diskurs alle Phänomene prozedural und systemisch interpretiert und als Simulation modelliert. Biologische, technische und soziale Systeme basieren demnach auf der Interdependenz von Kausal- und Konditionalkonnexen, die Rückkoppelungseffekte provozieren, die sich wiederum als Regelkreise modellieren lassen. Die Entwicklung der damit geschaffenen Systemmodelle reicht dabei von zunächst stetigen Modellen ("Constant model") über rückkoppelnde dynamische Modelle ("responsive systems modeled a dynamically changing world"554) zu komplexen Netzwerken mit parallelen Hierarchien ähnlich der von Sozialsystemen. 547 Begriff des Indexikalischen in Anlehnung an die Zeichenmodi nach PEIRCE, vgl. CHANDLER 2002, 41-42 548 VIRILIO 1993, 11 549 Die Idee eines Associational Indexing geht auf Vannemar BUSH's MEMEX-Konzept zurück, BUSH 1945; der Begriff wird von Theodor Holm NELSON in seinem Konzept von Literary Machines in den 60er Jahren entwickelt, NELSON 1992 550 Vgl. dazu: veränderte, an Medienformaten angelehnte Aneignungsformen bei Kindern/ Jugendlichen, BACHMAIR 2001, 235 551 VIRILIO 1993 552 Zum Begriff der Simulation vgl. VOSS 1986, 236-248 (Postmoderne Perspektiven von Kunst und Literatur: Die Rücknahme von imaginativen zugunsten performativer Impulse); 244: "Die Kunst stellt sich [...] der 'condition postmoderne' dann am kraftvollsten, wenn ihr struktives Zentrum sich von imaginativen Impulsen, die in den Stand von Materialen geraten [Sampling von Zitaten, R.R.], auf performative Impulse verschiebt, wenn sie also von der Tiefenkonstruktion des Bildraums zur 'new kind of flatness' eines operativen Ereignisraumes fortgeht. [...]Die Kunst mit performativer Dominante ist sicherlich nicht jenseits der Simulation zu situieren. Sie ist wahrscheinlich deren ausdrücklichster Bereich." Die Entwicklung von Simulationen als repräsentative Abbildung von komplexer Wirklichkeit in dynamischen Systemen hat ihren Ursprung in Norbert WIENER's Cybernetics, WIENER 1961 553 Zum Begriff des Virtuellen, vgl. RHEINGOLD 1995; KLEIN 1998; BACHMAIR 2001, 236 554 MURRAY 1997, 92 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 109 Nicht zuletzt trägt das Verständnis von Virtualität als Simulation und Modell zur Akzeptanz multimedialer kollektiver Fiktionen in einer grundsätzlich szientistisch sich verstehenden Gesellschaft bei. 555 Die Möglichkeiten einer fast vollständigen Detaillierung als Qualitätsmerkmal der Simulation führt zu einer Fokussierung auf den Ausschnitt. Dessen Verhältnisses zum perspektivischen Überblick ist für die Entwicklung einer Fiktionalität von besonderer Bedeutung. In der partizipatorischen Praxis multimedialer kollektiver Fiktionen ergeben sich aus der Dominanz individuell hoch detailliert ausgestalteter Ausschnitte individuelle Wahrnehmungsperspektiven, die mit denen anderer Rezipienten konkurrierend kommunizieren und die kollaborative Fiktion zu einem dynamischen Netz gestalten. Die enzyklopädische Grundlegung der Weltwahrnehmung wie des Weltverstehens etabliert sich für multimediale kollektive Fiktionen als hermeneutisches Verfahren der Rezipienten. "It [i.e. the encyclopaedic capacity] offers writers the opportunity to tell stories from multiple vantage points and to offer intersecting stories that form a dense and wide-spreading web." 556 Ein derartiger hermeneutischer Diskurs zeichnet sich u.a. auch ab in den Interdependenzen zwischen Medienformaten und –produktionen wie TV-Soaps und TV-Serials und ihren formellen wie informellen Fankulturen. Ein wesentliches Resultat einer derartiger diskursiver Vernetzung ist die Entstehung einer dynamisch sich entwickelnden und verstetigenden Storyline mit langfristig angelegten und multiplen Erzähl- und Handlungsbögen, bei denen die einzelnen Episoden im Sinne der Objektorientierung zu Elementen autonomer Gestaltung durch die Rezipienten werden, indem sich diese mit anderen über die Objekte und ihre (notwendigerweise schon in der Aneignung) individuelle Gestaltung verständigen. Derartige Teilhabe konkretisiert sich dann auch als Einflussnahme auf die 'Storyline' und die Medienpräsenz der Formate selbst. Auf den beschriebenen Basiseigenschaften multimedialer narrativer Fiktionen wie Prozedur, Teilhabe, Raum und Enzyklopädisierung basieren am konsequentesten Formate aktueller PC-Spiele (Ego-Shooter; Simulationen etc.) und ihre sozialen Interaktionsformen wie Multi-User Dungeon (MUD), Multi-User Relay Kingdom557 (MURK), Massive Multi-User-Online-Roleplaying Game (MMORG) und Online-Browser-Games (OBG).558 In ihnen werden die gesellschaftliche Interaktion der Spieler als das wesentliche Element traditioneller Tabletop-, Board- und Paper-and-Pen-Spiele und der durch Befehle gesteuerte, oberflächenorientierte Spielablauf des klassischen PC-Spiele mit den 3-D-beschleunigten Raumvisualisierungen zusammengeführt. Hinzu treten akustische und nun auch haptische Potentiale von Wahrnehmung559. Die Teilnehmer sind dabei durch die als Open Source zur Verfügung gestellte relativ einfachen Programmiersprachen zudem in der Lage, vorhandene Prozeduren zu modifizieren (Mods), Objekte und die sie nutzenden virtuellen Figuren zu verändern (Characters, Skins) und Räume weiter auszugestalten oder neu zu erfinden (Maps). Sie kommunizieren ihre Resultate in den Foren der jeweiligen Communities und Players' Associations. Dabei bilden sich dort weitere umfassende Datenbanken, Archive und Bibliotheken, die ebenfalls auf kollektive Fiktion rückwirken. Derartige Fiktionen zeigen damit eine mehrfache Offenheit in ihrer Anlage. Zunächst als kollektiv und sozial interaktiv gestaltete Objekte. Hinzu kommt ihre enzyklopädische Anlage, die letztlich alles thematisch Mögliche subsumiert. Die Kommunalisierung des Enzyklopädischen führt zur Aufhebung des Widerspruchs von individuell gestalteter Fiktion und notwendiger Kanonisierung. Die enzyklopädische Dimension erlaubt mittels der hypertextuellen Vernetzung die Konstruktion von Fiktionen mit multiplen, sich schneidenden Handlungslinien ("Multithreaded stories composed of many intersecting plots"560). Hinzu kommt die 555 BARTHES nach CHANDLER 2002 556 MURRAY 1997, 83 557 Eine relativ frühe Beschreibung von MUDs bei MUSFELD 1997 558 Zum Angebot vgl. http://dmoz.org/Games/ [2003-02-05]; Murray 1997, 86 559 Die revolutionäre Weiterentwicklung der PC-Audiokarten findet weniger öffentliche Aufmerksamkeit als die der PC-Graphikkarten: fast alle PC- Games unterstützen mittlerweile die 5.1 Dolby -Surround-Technik und erlauben damit ein sehr immersives Raumhören; eine haptische Wahrnehmungskomponente ermöglichen insbesondere Eingabe- und Steuerungsinstrumente wie 'Joy-Sticks', 'Steering Wheels' etc., die Vibrationen, Lenk-Widerstände etc. übertragen ( oder andere spezifische Formen von Eingabegeräten wie Pistolen, Skateboards, Angeln, Golfschläger etc.; vgl. dazu: COMPUTERBILD 26/2002, 134-135; aktuelles Extrem des 'State of Art' immersiver Technik scheint der mikromotorisch bewegte und per Programmierung oder per Internet im Multiuser-Modus online gesteuerte Dildo (http://www.silicone-dreams.de [2002-12-30]); 560 MURRAY 1997, 86 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 110 intertextuelle Überlagerung fiktionaler Handlungselemente mit Versatzstücken der Realität mit den Techniken der Montage (Moderne) und des Sampling (Postmoderne), etwa in der Form der Imitation bzw. Adaption von Objekten der Realität (Dokumente, Zeitungsartikel, Bildmaterial etc.) oder mit reellen realen Objekten, die damit für die Fiktion instrumentalisiert und adaptiert werden (Video-, Audiomaterial; Dokumente; Personen etc.). Die Fiktion expandiert damit über ihre hyper- bzw. intertextuelle Struktur in die Realität und erweitert damit stetig und grenzenlos die der Fiktion zur Verfügung stehende enzyklopädischen Text-, Symbol- und Ereignis-Bibliotheken. Die enzyklopädische Eigenschaft multimedialer kollektiver Fiktionen unterstützt eine Position des partizipierenden Rezipienten als Autor bzw. eine vom Rezipienten her mitgestaltete auktoriale Perspektive. In der damit verbundenen Erfahrung autonom gestaltenden und gestalteten Handelns liegt eine wesentliche Ursache der Faszination für den Rezipienten, der hierin seine Machtphantasien verwirklichen kann: "[...] the player's sense of omniscient awareness of consequences and omnipotent control of resources is part of the allure of such games." 561 Neben der Konstitution und ihren Aspekten als autonomes Handeln als Folge der auktorialen Perspektive tritt auch eine Erlebensperspektive des Rezipienten hinzu562, bei welcher er nicht nur Subjekt, sondern auch Objekt seines Handelns und seiner Entscheidungen wird. Das wesentliche strukturelles Element multimedialer kollektiver Fiktion ist damit der Hypertext. Der Anspruch einer umfassenden Abbildung von Welt führt zur Simulation als grundsätzliche thematische Struktur. Allerdings sind multimediale kollektive Fiktionen keineswegs immer so enzyklopädisch angelegt, wie sie es vorgeben. Die Datenbanken erlauben zwar individuelle Entscheidung innerhalb eines gewissen Rasters von Variablen an Objekten, Kontexten, Szenarien und auch Verhaltensweisen563, die grundsätzliche Handlungsanlage wie etwa die 'Storyline' oder auch die Regularien stehen dagegen nur partiell zur Disposition. Die den Rezipienten zur Verfügung gestellte und abgerufene Datenmenge verbirgt oft dieses grundsätzliche Manko. Andererseits zeigt die Fortentwicklung und Erweiterung der Enzyklopädien durch die Rezipienten auch eine Möglichkeit auf, die von Autoren bzw. Produzenten vorgenommenen Einschränkungen rezeptionsästhetisch zu überwinden und dauerhaft aufzuheben: "[…] we need to learn to pay attention to the range of possibilities offered us as interactors in the seemingly limitless world of digital narrative."564 Intensität des Erlebens Drei wesentliche funktionale Eigenschaften einer multimedial gestalteten kollektiven Fiktion zeigen sich in der Interaktion mit dem Rezipienten: die Immersion, das gestaltende Handeln bzw. die Mitwirkung, die Umformung bzw. Umwandlung und Reversibilität565. Immersion Die Intensität, mit der Rezipienten Medien nutzen, ist gerade bei den Jugendlichen, die sich mit Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements wie Fantasy-Rollenspiele beschäftigen, eine auffallende Erscheinung.566 Dass dies schon für traditionelle Medien des Gutenberg-Zeitalters gilt, zeigt ironisch der Schöpfer des modernen Romans, CERVANTES, an seinem Protagonisten, der sich dem Zauber des damals neuen Mediums Buch nicht mehr entziehen kann und sich unaufhaltsam in den fiktionalen Räumen und Welten seiner geliebten Ritterromane verirrt.567 Dass diese Erfahrung auch noch heute mit diesen traditionellen Medien gemacht werden, zeigt die gerade gegenüber einer übermächtig scheinenden Konkurrenz elektronischer Medien behauptete Beliebtheit von fiktionaler Lektüre bei Kindern und Jugendlichen wie Erwachsenen oder eben auch die Vitalität der Fantasy- 561 Macht-/ Ohnmachterfahrungen vs. –phantasien: MURRAY 1997, 88; HENGST 1997, 162 562 Begriff der Erlebnisrationalität bei SCHULZE 1997, 40-42, vgl. BACHMAIR 2001, 236 563 Weitgehend binär-oppositionelle Struktur der Isotopie: Aggressivität vs. Toleranz; Archaik vs. Expansion bzw. Perfektionierung; Militarismus vs. Zivilgesellschaft, vgl. dazu LINK 1979, 79 564 MURRAY 1997, 89 565 MURRAY 1999: Immersion (97-125), Agency (126-154), Transformation (155-182) 566 Vgl. FRITZ 1997, 211-213 567 CERVANTES 1975; vgl. dazu: SCHÜTZ 1972, FOUCAULT 1997, 78-82 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 111 Rollenspiel-Szene.568 Mit dem aktuellen State-of-the-arts der multimedialen elektronischen und digitalen Medien und der Unterhaltungsindustrie sind deren Potentiale zur Generierung fiktionaler Räume nochmals erheblich gewachsen.569 Sie treffen auf eine im Zuge dieser Entwicklung eher noch gewachsene latente Bereitschaft der Rezipienten, die Grenze von der Realität zur Fiktion dauerhaft zu überschreiten. Diese Grenzüberschreitung mit der Option des vollständigen Eintauchens570 in fiktionale Räume und Welten, beschreibt sehr anschaulich der Begriff Immersion.571 Der Moment des Zugangs Multimediale Medien an sich schon üben eine hohe Faszination auf Rezipienten aus, scheinen sie doch eine Überwindung oder zumindest Kompensation psychischer wie physischer Grenzen menschlicher Wahrnehmung und Erfahrung zu ermöglichen.572 Mit ihnen öffnen sich bekannte wie neue und fremde, auch bislang verborgene oder tabuisierte Räume. Ihre Nutzung ist weiter fast uneingeschränkt möglich. Sie erlauben einen mehr oder minder anonymisierten Gebrauch, Präsentation bzw. Publikation. Sie sind in einem hohen Maße individuell konfigurierbar und verwendbar. Multimediale Medien, auch in der eher primitiven Form von Tabletop-, Board oder Paper-and-pencil-Spielen der Fantasy-Rollenspiel-Szene, sind demnach entscheidende Mittel der Grenzüberschreitung und der Gestaltung: "[...] liminal objects, located on the threshold between external reality and our own minds."573 "The term liminal is an anthropological term taken from the Latin word for 'threshold.' It is used to describe mythopoetic experiences in which an object, a ritual, or a story [R.R.] occurs somewhere between the world of ordinary experience and the world of the sacred […]. I am using the term to indicate the threshold between the world we think of as external and real and the thoughts in our mind that we take for fantasies. "574 Neben die liminale Qualität des Mediums tritt nun aber weiter die des im Medium präsentierten Fiktionalen, die auf dem ambiguitären Charakter seiner transitorischen Objekte575 beruht. Fiktionen basieren auf Objekten, die einerseits in der Symbolwelt 576 des Physisch-Realen existieren, andererseits aber mit einer Reihe von affektiven und metaphorischen Eigenschaften auf eine Essenz in der Symbolwelt des Fiktionalen verweisen. Diese Essenz entstammt der Projektion der Individuen, die den Objekten damit Bedeutung verleihen; gleichzeitig erfahren die Objekte damit eine Transzendierung und Legitimierung.577 Da diese Vorgänge von ihnen ausgehen und in sie einmünden, vermitteln sie den Individuen ein Erleben von Autonomie, Intensität und Authentizität. Fiktionale Konstitution wird zur Condition humaine. Die Menschen trachten danach, dieses Erleben der Immersion, das sich oft nur in wenigen fragilen Momenten ereignet, zu verstetigen, indem sie das Fiktionale in die Realität ihres Alltags und ihrer Lebenswelt zu integrieren suchen. Der in der Postmoderne dominante Auftrag an das Individuum, seinen Alltag eigenständig zu gestalten, führt angesichts der im Zuge der allgemeinen Dekonstruktion desavouierten Großen Erzählungen zwangsläufig zu einer sich am Fiktionalen orientierenden Alltagskonstitution und zur Interferenz wie Interdependenz der konstitutiven Prozesse in Realwelt wie Fiktionalwelt. 578 568 STIFTUNG LESEN 2001 569 Dazu nur einige Stichworte: Neue Formen von Spielkonsolen wie "X-Box", "Playstation II", "Cube" integrieren Elemente wie den CD-/ DVD-Player und den Internetzugang; signifikant auch der Einstieg des Marktführers Microsoft in den PC-Spiele/ -Konsolen-Markt auf dem Hard- wie Software- Segment ("X-Box"; "Age of Epire" etc.); hinzu kommt dynamische Erweiterung der Potentiale durch die technische Weiterentwicklung und den rapiden Preisverfall bei CPUs, RAMS, Graphikkarten, Audiokarten, Massenspeicher; Internetzugänge per DSL mit Volumen-/ Zeit -Flatrates ermöglichen uneingeschränkten Zugang und neue Formen der Mediennutzung etwa als Vernetzte Interaktivität, Streaming Video/ Audio, Online- Browser-Games etc.; 570 FRITZ 1997, 211 571 MURRAY 1997, 97 572 Vgl. dazu die Thematisierung der Mensch-Maschine-, Cyborg- und KI-Problematik im Science-Fiction-/ Fantasy -Genre, s. dazu: HARAWAY 1984; KRÄMER 1994; KLEIN 1998; FREYERMUTH 2000 573 MURRAY 1999, 99; vgl.: MATURANAs systemtheoretisches Konzept der strukturellen Kopplung autopoietischer Systeme und die intermittierende Funktion von Medien: MATURANA nach SCHMIDT 1996; dazu auch: HURRELMANNs Identitätskonzept als Spiegelung einer Innenwelt in der Außenwelt, HURRELMANN 2001 574 MURRAY 1997, 291-292 575 Vgl. dazu: CSIKSZENTMIHALYI/ ROCHBERH-HALTON 1998, 20-53 576 Begriff der Symbolwelt bei ELIAS 1969 577 Eine Darstellung des Prozesses der Bedeutungskonstitution bei CHARLTON/ BACHMAIR 1990 578 LYOTARD 1994, 87-95 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 112 Während dies heute im wesentlichen Aufgabe des Individuums ist, förderten traditionelle Medien die Verstetigung der Immersion durch eine Beschränkung der Teilhabe des Rezipienten auf eine passive Wahrnehmung, um den Zauber des grenzüberschreitenden Moments nicht zu brechen, der medial inszeniert, an Berufene delegiert und von diesem dem Publikum zelebriert wird. Mit zunehmender Kompetenz, die sich der Rezipient durch eine adäquate Nutzung erwirbt, kann seine Partizipation am Fiktionalen dann ausgeweitet werden.579 Mit dem Bild des sich im Fiktionalen Verirrenden und Verlierenden werden gleichzeitig die Gefahren thematisiert, die von solcher Teilhabe auszugehen scheinen. Noch heute dient es im Zusammenhang mit der Bewertung der intensiven Nutzung multimedialer Medien in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung der Denunziation derartigen Rezeptionsverhaltens.580 Die Verstetigung des Momentes der Grenzerfahrung und damit die der Immersion ist heute allerdings zum zentralen Projekt des Rezipienten geworden, das Neverwake581, die Interferenz von Fiktionalität und Alltag, ist konstitutives Element des Alltags gerade jugendlicher Rezipienten. Grenzüberschreitung Mit Rücksicht auf gesellschaftliche Strukturen und deren Institutionen, die auf eine möglichst vollständige Präsenz ihrer Mitglieder abheben, diesen Übergang - gerade auch wegen seiner individuellen Erlebnisqualität - als gefährlich empfinden und ihn als Eskapismus und Suchtverhalten denunzieren, haben Autoren und Produzenten sich darum bemüht, den Rezipienten und Nutzern das Überschreiten dieser Grenze deutlich zu machen und sie möglichst nur kontrolliert jenseits dieser Grenze zu lassen. Wie die Literatur haben auch alle anderen Medien dazu verschiedene Instrumente entwickelt, die Grenzüberschreitung ihrer Rezipienten zu thematisieren, zu steuern und zu kontrollieren582, etwa mittels einer Meta-Kommunikation über das Fiktionale zwischen Autoren bzw. Produzenten und Nutzern. Üblich ist auch eine sequentiell bzw. finale, partielle oder auch totale Dekonstruktion des Fiktionalen, am augenscheinlichsten in Gimmicks zur direkten Kontrolle des Fiktionalen als Sonderfall von Dekonstruktion. Eine weitere Technik besteht in der Herstellung von Anschließbarkeit des Fiktionalen an die Realität oder in der stilisierenden Dramatisierung der Grenzüberschreitung. In den traditionellen Medien erleben die Rezipienten und Nutzer diese Steuerung und Kontrolle seitens der Produzenten eher passiv, sie werden ihnen vorgeführt. Anders verlaufen diese Prozesse bei multimedialen kollektiven Fiktionen, die eine handelnde und gestaltende Aktivität des Rezipienten nicht nur ermöglichen, sondern voraussetzen.583 Klassisches Format moderner Fiktionen ist die Organisation der Partizipation in Form des explorativen Besuchs einer multimedialen kollektiven Fiktion, einer virtuellen Parallelwelt des Realen. Typisch und zugleich wesentlich für dieses Format sind Elemente wie ein stets erkennbarer Eingang und Ausgang, eine an klassische literarische Kompositionen angelehnte Klimax orientierte Spannungsdynamisierung und eine antagonistische Figurenkonstellation584, eine immersive Wirkungssteigerung durch die sorgfältig konstruierte temporäre und perspektivische Verdichtung und eine mehr oder minder vom Rezipienten steuerbare, mit spezifischen instrumentellen Medien verknüpfte Interaktion mit der multimedial-narrativen, fiktionalen (virtuellen) Umgebung zur Kontrolle der immersiven Wirkung. Die Organisation dieser Elemente zeigen exemplarisch Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements wie etwa das des Ride oder der Fantasy-Rollenspiele. 579 Zur Herausbildung einer bürgerlichen Rezeptionskultur in Aufklärung und Moderne vgl. HABERMAS 1990 (1966) 580 Vgl. dazu die Disqualifizierung intensiven Lesens als emanzipatorisches Handeln bei Mädchen und Frauen im 19. Jahrhundert, ZSCHOKKE 1821; HÄNTZSCHEL 2000, 57-59; der Begriff der 'Lesesucht' erfährt eine Renaissance in der Auseinandersetzung mit der Lektüre von Trivialliteratur in den frühen 60er Jahren, ULSHÖFER 1961 581 MEISSNER 2001 582 Insbesondere das mit dem Aufstieg des Bürgertums sich herausbildende Medium des modernen Romans hat unter dem kritischen Blick autoritativer sozialer Institutionen eine Fülle von Varianten der Distanz- und Grenzüberschreitungskontrolle entwickelt, vgl. dazu HABERMAS 1990 (1966); MURRAY 1997, 104: "Computer-based narratives are already showing the same tendency to emphasize the border, celebrate the enchantment, and test the durability of illusion."; Jugendliche betonen im Gespräch in der Auseinandersetzung um die Wirkungsmöglichkeiten moderner Medieninszenierungen, gerade auch im Hinblick auf die aktuelle Gewaltentstehungsdiskussion, zum Ausweis ihrer Literalität ihre Rahmungskompetenzen, vgl. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-02, 4; Interview 2003-03-19, 118, 120; FRITZ 1997, 245-246; "intermediale Kompetenz", HENGST 1997, 167 583 MURRAY 1999, 106 584 Binäre bzw. ternäre Isotopien nach LINK 1979, 71-80 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 113 Die weltweit überaus erfolgreichen Amusements Park Fun Houses können als Prototypen virtueller fiktionaler Kompositionen gelten und entwickeln grundlegende fiktional-kollektive Strukturen: der Ride wird dabei zum Paradigma einer vororganisierten, im Kollektiv erlebbaren und kommunizierten Quest in einen semi-virtuellen Raum mit multimedial höchst möglich erzeugbarer Authentizität, die u.a. noch auf sensorischen, haptischen und olfaktorischen Eindrücken basiert, aber auch auf sozialen Formen des gemeinsamen Erlebens, die nur bedingt mit elektronischen bzw. digitalen Techniken nachzubilden sind. 585 Gleiches gilt für Fantasy-Rollenspiele. Auch bei ihnen sind Zugang und Ausgang zu den von den Spielern und ihren Repräsentationen zu erforschenden virtuellen Räume deutlich erkennbar, mit dem Vordringen in diesen Raum erleben die Protagonisten eine sich steigernde Kette alternierender Momente des dynamischen Handelns und der Ruhe, begegnen ihnen Figuren als Helfer wie Gegner, die zusammen mit ihnen einen komplexen sozialen Raum bilden. Ihr Handlung unterliegt einer selbst in der Auseinandersetzung mit fremden Kontexten entwickelten Rhythmisierung und Fokussierung und basiert auf dem Einsatz spezifischer Texte wie Instrumente, Objekte, Dialoge etc. Der Besuch virtueller Parallelwelten als grenzüberschreitendes Handeln des Teilnehmers führt zu einer immersiven Dominanz dieser Welten, die über das eigentliche Handeln hinaus anhält. Grundsätzliches Agens bleibt das Faszinosum, das vom Aufenthalt in der multimedialen kollektiven Fiktion und der virtuellen Parallelwelt ausgeht, eine spezifische Aura, die sich von deren Anlage her bestimmt und die durch das Instrumentarium, mit dem man sich in dieser Welt allein schon als scheinbar passiver Beobachter bewegt, weiter und entscheidend verstärkt wird. Dabei geht es weniger um die technische, als vielmehr um eine fiktionale Perfektion, die es dem Rezipienten erlaubt, dieses Erlebnis als individuelle Herausforderung und Aufgabe zu sehen. Teilnehmer multimedialer kollektiver Fiktionen können Einwendungen, die etwa die Primitivität oder Unprofessionalität des Virtuellen in ihren Fiktionen thematisieren, zwar nachvollziehen, im eigentlichen Sinn aber nicht verstehen. Ein Großteil ihres spielerischen Engagements besteht ja gerade darin, diese Defizite mittels ihrer Imagination zu kompensieren. 586 Ein weiteres wesentliches Moment der Immersion ist das der Vorfreude, wenn die Rezipienten künftiges Geschehen auf der Basis ihrer bisherigen Erfahrungen imaginieren, dann das einer attentativen Aszese, ein Hinauszögern des Moments stillen Staunens angesichts der Wunder einer neuen oder bislang unbekannt Welt, oder schließlich das lang nachhaltende Echo der Erfahrungen im Alltag in Form der – oft unvermittelten – Reminiszenzen. 587. In Konsequenz kann deshalb die immersive Wirkung fiktionaler Welten durch eine weitergehende Partizipation der Rezipienten verstärkt werden. Legitimierung durch Partizipation Grundsätzlich kann man die immersive Wirkung multimedialer kollektiver Fiktionen als Folge eines Prozesses von aktiver und gestaltender Partizipation der Rezipienten beschreiben. In der gestaltenden individuellen Teilhabe verliert das Fiktionale sein Unglaubwürdiges und wird als Basis wie Resultat von Gestaltung Authentisches. Jede Rezeption muss deshalb als eine aktive und gestaltende Auseinandersetzung mit dem Wahrgenommenen und seinen Medien begriffen werden. "We bring our own cognitive, cultural, and psychological templates to every story as we assess the characters and anticipate the way the story is likely to go." 588 Eine besondere Affinität zur Authentizitätserfahrung besteht dabei bei jenen enzyklopädisch angelegten multimedialen kollektiven Fiktionen, die eine spezifische Durchdringung der Fiktion mittels einer vom Rezipienten her betriebenen Detaillierung und Indexikalisierung evozieren und institutionalisieren. Die zur eigentlichen Rezeption parallel verlaufende Detaillierung und weiter dadurch notwendige permanente Indexikalisierung der Items erzeugt dabei eine intensivere Authentizität des Fiktionalen als etwa die Darstellung der Details in der Fiktion selbst. 585 MURRAY 1999, 106-108; zum Übergang traditioneller zu modernen Formen des multimedialen Fiktionalen s.a. die Bedeutung des Vaudeville- Theater bei der Entstehung des frühen Films etwa in den autobiographischen Erinnerungen Charles Spencer Chaplins, CHAPLIN 1964, 139-141 586 vgl. die Weiter- und Eigenentwicklung des Spielmaterials, Kap. 5.2 Die Jugendlichen produzieren Objekte und Texte; 587 APPENDIZES/ Feldbeobachtung/ Feldbeobachtung 1995-12-16, 3 588 MURRAY 1999, 110; BACHMAIR 2001, 232 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 114 Die immersive Wirkung von gestaltender Teilhabe beruht nicht zuletzt auf der Aneignung des symbolischen Materials durch den Rezipienten und seiner individuellen ästhetischen Verwendung in dessen Entäußerungshandlungen als sich selbst legitimierender Akt. "The great advantage of participatory environments in creating immersion is their capacity to elicit behaviour that endows the imaginary objects with life. […] As the digital art medium matures, writers will become more and more adept at inventing such belief-creating virtual objects and at situating them within specific dramatic moments that heighten our sense of immersed participation by giving us something very satisfying to do." 589 Distanzierte Partizipation: Figur, Character, Skin, Mask, Role, Personality Fantasy-Rollenspiele müssen zwar im Vergleich zu PC-Spielen auf die immersive Wirkung digitaler Effekte bei der Realisation virtueller Räume verzichten, dennoch spielt auch bei ihnen die. Visualisierung, wenn auch in technisch weniger komplexen und mehr partizipatorisch als Imagination gestalteten Form eine wesentliche Rolle. Von Bedeutung wird dabei die immersive Struktur des Schauspiels, das schon in seiner traditionellen Form darauf angelegt ist, die Aufmerksamkeitszuwendung der Zuschauer mittels partizipatorischer Erfahrung zu verstetigen. Wesentliches Merkmal der Teilnahme wird dabei das Kostüm oder die Maske, die insbesondere neben der Grenzüberschreitung auch die notwendige Distanz der Teilnehmer zum Geschehen zum Ausdruck bringt: Sie wissen, sie handeln nicht wirklich reell, sondern in Rollen im Rahmen einer kollektiv gestalteten Fiktion. Gerade in Fantasy-Rollenspielen, aber auch in allen Formen jugendkultureller Medien-, Text- und Ereignis- Arrangements wie z.B. Disco- und Konzertbesuche; Partys, und schließlich auch in PC-Spielen des Typus Ego Shooter oder Online Browser Game sind diese Maskierungen als Figur, Character oder Skin wesentliches Interaktionsmittel der Teilnehmer. Derartige Mittel der Selbstrepräsentanz werden damit zu einem essentiellen Element jugendlicher Teilhabe an Gestaltungsprozessen, ihre Entwicklung und Ausarbeitung verweist als Entäußerungshandeln indirekt auf die Identität der Jugendlichen zurück, die mittels zunehmend komplexer, detaillierter und manieristischer Oberflächen ihre Persönlichkeit demonstrieren und über fiktives Handeln hinaus auch in konkrete soziale Interaktionen einbringen oder auf ihre Objekte übertragen. Projektionsflächen dieser Art werden den Teilnehmern in der Regel angeboten, d.h. sie können auf ein dem Handlungsverlauf eigenes, komplexes Figurarium zurückgreifen. Die Teilnehmer können und werden diese Figuren als Schablonen nutzen und weiter in Interdependenz zu Handlungskriterien und eigener Person ausgestalten.590 In der Interaktion mit anderen Figuren und den hinter ihnen stehenden Individuen entstehen dabei in den Spielen wie um die Spiele soziale Organisationen, im klassischen Schauspiel etwa die einer Familie, aktuell die jugendlicher Erfahrungsräume, also Peer Groups, Szenen, Spezialkulturen, Milieus 591. Die zunehmende Mediatisierung der Spielwelten ermöglicht dabei die Entstehung neuer, zahlenmäßig teilweise riesiger Nutzergemeinschaften mittels Netzwerken, die eine parallele fiktionale soziale Struktur im jeweiligen narrativ- fiktionalen Rahmen abbilden592. In multimedialen kollektive Fiktionen wird damit ein soziales Agieren in Rollen zu einem weiteren wesentlichen Element der Strukturierung. Mit der Übernahme und Ausgestaltung einer als Figur angelegten Rolle beginnt auch die Interaktion mit den ebenfalls auf diese Weise partizipierenden anderen Rezipienten. 589 MURRAY 1999, 112 590 Eine vergleichbare ästhetisierende Präsentation von Identität mit Texten aus der Medien- und Warenwelt beschreibt in den jugendkulturellen Szenen ein Begriff wie Personality. Die ästhetische Dimension dieser schützenden wie camouflierenden Oberflächen zeigt sich etwa in der Bedeutung von Kleidung und anderen Objekten als wesentliche Elemente einer Skin oder noch direkter in der Faszination von Peircing oder Body-Shaping, also der direkten Einflussnahme und Gestaltung des Körpers, wenn es um die Entwicklung von spezifischen Präsentationen individueller Identität geht; s. a. Kap. 5.4 Die Jugendlichen ziehen weitere Objekte, Texte, Medien und Ereignisse hinzu; s.a. APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-43; Bild 1.4-9-10; zu diesem Gesamt-Arrangement der Identitätspräsentation gehört auch die Akkumulation subsumierter weiterer Skins - etwa visueller Form wie Handy- Schalen, spezielle Displays (Logo; Skins) oder etwa auditiv von Klingeltönen und Erkennungssignalen, weiter auch als individuelle Wahl einer Oberfläche aus einer Kollektion von Skins bei PC-Spielen oder anderen digitalen Medien; s. Kap 4 Fantasy Rollenspiele– ein Medien-, Text- und Ereignisarrangements als Angebot bzw. Kap. 5 Fantasy Rollenspiele– ein Medien-, Text- und Ereignisarrangements in der Nutzung; 591 Im Bereich der Fantasy -Rollenspiel-Szene finden sich Vergesellschaftungsformen unterschiedlichster Komplexität und Differenzierung: Adventure Teams beim klassischen Fantasy-Rollenspiel; Lances, Chapters, Houses, bzw. Stars und Clans bei Battletech; bei PC-Spielen wie Ego Shooter ("Quake", "Counterstrike") oder Online-Browser-Spiele ("Destiny Sphere", "Dragonball Z") Clans und Players' Associations; 592 Vgl.: bei einem privaten MUD kommen bis zu 12 Spieler zusammen, kommerzielle bzw. professionelle MUD haben mehrere hundert Teilnehmer, an Online-Browser-Spielen und MMORG nehmen Tausende von Spielern teil; 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 115 Dabei erfolgt eine stetige und langfristige Sicherung der immersiven Wirkung des Handelns im fiktionalen Raum, die oft über diesen selbst noch hinausreicht und auch außerhalb virulent bleibt. Emotionalitätskontrolle Multimediale kollektive Fiktionen achten zur Sicherung ihrer immersiven Wirkung besonders auf eine Steuerung und Kontrolle der emotionalen Reaktionen der partizipierenden Rezipienten. Unerwünscht sind dabei durch die Fiktion ausgelöste exzessive emotionale Reaktionen, welche die Immersion stören, beeinträchtigen oder aufheben könnten. Es gilt deshalb, die emotionalen Reaktionen in sozialen Konventionen aufzufangen, Frustrationen und unangemessenes Verhalten zu vermeiden. Dafür stellen schon die traditionellen Formen narrativer Fiktion eine Reihe von Instrumenten bereit, etwa die distanzierende und objektivierende Wirkung der Perspektive, aus der das Geschehen dem Rezipienten sich erschließt, die Ritualisierung von emotional und affektiv aufgeladener Interaktionshandlungen593, die Instrumentalisierung derartiger Handlungen für den Spielverlauf, was zu deren Rationalisierung und Objektivierung führt. "The abstractly presented action can be exploited for the immersive pleasure of role-playing […] as a game strategy independent of the player's enjoyment of the scene." 594 Wesentliches Kennzeichen multimedialer kollektiver Fiktionen ist ihre immersive Wirkung, deren Erhalt und Verstetigung die Teilhabe der Rezipienten erfordert. Diese Teilhabe erfolgt in der Regel als Ausgestaltung einer Rolle in einem fiktionalen Rollenspiel, womit der Rezipient Funktionen des Erzählers wahrnimmt. Die Fortentwicklung dieser Medien führt zu einer neuen Qualität partizipatorischer Rezeption kollektiver Fiktionen. Die Rezipienten entwickelten dabei in Abhängigkeit vom Grad der Virtualität Fähigkeiten, innerhalb dieser Räume authentisch emotional zu reagieren. Die aktuelle Entwicklung der PC-Spiele, MUD und LRPG lassen den Schluss auf ein Publikum zu, das Verkörperung und Darstellung ("Impersonation"595) als fiktionale Kompetenz und mediale Kulturtechnik beherrscht. Damit gelingt den Rezipienten die Vertiefung und Verstetigung der immersiven Wirkung multimedialer narrativer Fiktionen. Gerade die Steuerung bzw. Regelung von Kampfszenen wird von den Regelwerken der Fantasy-Rollenspiele ausführlich und minutiös dargestellt und den Spielern oktroyiert; daraus ergibt sich für Spieler auch das internalisierte Argument, ihr Spielhandeln sei trotz aller demonstrativen Gewalt ein konventionelles Regelverhalten zur Steuerung von Aggressionen etwa vergleichbar dem Sport.596 die Klientel von 'Counterstrike' beschreibt und erfasst denn auch ihr Handeln mit Ego-Shooter als "E-Sport". 597 Gerade Spiele, die thematisch sich an bewaffneter Konfrontation und Kampf orientieren und damit potentiell erhebliche emotionale wie affektive Reaktionen der Teilnehmer auslösen können, produzieren wie etwa "Battletech" deshalb umfangreiche Regelwerke, deren Pflege und Ausgestaltung mitunter zum Hauptgegenstand der Gestaltung wird, wie der Quantität und Qualität des klientelintern geführten Diskurses zeigen.598 Beteiligung als Einflussnahme Als weiteres neues ästhetisches Kriterium von Fiktionen in multimedialen Environments zeigt sich das Erlebnis der Einflussnahme ("Agency") als Folge einer aktiven Beteiligung innerhalb einer immersiven Umgebung. Dabei erhält der Rezipient das Gefühl bzw. macht die Erfahrung von Einwirkung, indem sein Handeln, Entscheiden, Wählen Bedeutung für die kollektive Fiktion erhält. Einflussnahme bedingt einerseits Intensität, andererseits trägt sie zur Verstetigung und weiteren Steigerung der Intensität des Erlebens bei. "When the things we do bring tangible results, we experience the second characteristic delight of electronic environments – the sense of agency. Agency is the satisfying power to take meaningful action and see the results of our decisions and choices." 599 593 MURREY 1997, 122: "Mechanics"; 594 MURREY 1997, 123 595 MURRAY 1997, 125 596 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-02, 4, 6; Video Convention Nürnberg, 27-29; 597 BERTUCH 2000 598 vgl. die fast jeder Ausgabe des verbandseigenen 'Fanzine' "Mech Warrior" beigelegten Modifikationen des Regelwerks und ihre Diskussion, APPENDIZES/ Material-BT/ Materialliste; 599 MURRAY 1997, 126 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 116 In den Fiktionen traditioneller Medien sind Formen der Einflussnahme entweder nicht vorgesehen oder sie beschränken sich auf wenige, in der Regel stark formalisierte und ritualisierte Aktionen, etwa die Akklamation von Theaterbesuchern nach und während der Vorstellung, die Auswahl eines belletristischen Werkes etc. Multimediale Environments haben in ihren Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements dagegen weitere Formen der Einflussnahme unterschiedlichster Qualität ausgebildet, um die Beteiligung der Rezipienten zu ermöglichen, zu steuern und zu koordinieren. In multimedialen Umgebungen geht das Handeln des Rezipienten über eine Affirmation des Kontextes hinaus und führt zur Veränderung bzw. einer Umgestaltung der fiktionalen Kontexte. Erst dadurch entsteht das Gefühl, in seiner Verstetigung dann die Erfahrung der Einwirkung i.S. einer Handlungs- und Gestaltungsvollmacht600. Folgende Voraussetzungen müssen von Seiten der Fiktion und des multimedialen Environment erfüllt sein, um diese Erfahrung machen zu können: ?? ein weitgehend selbstbestimmtes Handeln des Nutzers, in der Regel als Entscheidung für eine Interaktionsvariante; ?? ein umfangreiches Repertoire bzw. ein Vorrat an Interaktionsvarianten und –alternativen; ?? eine determinierende Wirkungsqualität der Handlung und ein konkreter konstitutiver Bezug zum Handlungskontext der Fiktion. Grundsätzlich weisen kollektive Fiktionen in Form von Spielen mehr von diesen Möglichkeiten auf als andere. Grund dafür sind zwei wesentliche Handlungstypen, die in den Spielen Einflussnahme ermöglichen, das Navigieren und das Problemlösen. Navigieren Die Navigation in fiktionalen Räumen ist in infolge der virtuellen Intensität multimedialer Medien eine der dominanten Einflussmöglichkeiten, die dem Rezipienten zur Verfügung stehen. Navigieren besitzt eine Reihe der für die Erfahrung von Einwirkung notwendigen Kriterien: Teilhabe vermittelt sich hier unmittelbar mit den Bewegungsmöglichkeiten im Raum, besonders in den Labyrinthen der Spielwelten, ihren Dungeons und Maps, in der Erkundung und Kartierung der unzähligen neuen Räume, in der Suche nach dem Weg und im Staunen angesichts wahr gewordener Phantasien und von noch nie Gesehenem. Die traditionelle Form eines solchen Raumes ist das Labyrinth, das weitgehend auch noch die Gestaltung von kollektive Fiktionen in multimedialen Environments bestimmt, sein Urtyp ist die Höhle des Minotauros. Labyrinth Der Handlungsaufbau und -ablauf der klassischen Sage symbolisiert im Labyrinth die Geschichte eines Menschen, der durch Ausfahrt, Prüfung, Errettung zum Helden wird. In der Konfrontation mit dem Unbekannten überwindet der Held sich selbst und seine Ängste mittels kognitiv-rationaler Problemlösung und bestätigt zugleich damit seine affektiv-transzendente Heilsgewissheit. Deutlich wird dabei, dass der Navigation im Raum eine über die reine Bewegung hinaus reichende symbolische Bedeutung zukommt. Wirkung und Erfolg des Handlungstyps Navigation beruht auf den Elementen Orientieren, Problemlösen und Erleben. Partizipatorisch organisierte Fiktionen lassen nicht nur eine imaginative Identifikation des Rezipienten mit dem Helden zu wie schon in traditionellen Medien wie Erzählung und Film601, sondern sie machen aus dem Rezipienten selbst den Protagonisten, wie etwa im Vergnügungspark, beim PC-Spiel oder Fantasy-Rollenspiel, 600 Die immersive Wirkung eines erfolgreichen selbstbestimmten und selbstbestimmenden Handelns lässt sich am besten mit dem Flow-Konzept erklären, vgl. dazu CSIKSZENTMIHALYI 1997; FRITZ 1997, 207-215 601 Dagegen: Brechts Verfremdungstheorie, die auf eine Emanzipation des sich mit Handlung und Figur identifizierenden Rezipienten dringt, BRECHT 1982 (1948) 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 117 indem sie ihm den mehr oder weniger distanzierten Besuch des in ihnen geschaffenen Raumes ermöglichen. Dazu dienen reelle oder virtuelle Plattformen: etwa eine Identifikation fördernde Gestaltung des Protagonisten, der als Jeep gestaltete gemeinsame Sitzplatz, der sich anbietende und gestaltbare Character oder Atavar. Repräsentiert in diesen Objekten folgt der Teilnehmer einem Auftrag, der sein Handeln legitimiert. Im Fantasy- Rollenspiel wie PC-Spiel findet eine Interaktion des Atavars mit Non-Player-Characters, Objekten oder, zunächst nur im Rollenspiel möglich und erst später im Multiplayer-Mode oder MUD, mit den Atavaren anderer Spieler des Labyrinths statt, die zur Lösung des Problems notwendig ist. Entscheidungen müssen getroffen werden. Ihre Bedeutung erhalten sie unmittelbar aus ihrer Relevanz für das weitere Spielgeschehen. Wie die klassischen Labyrinthe haben auch ihre modernen Formen ein Zentrum, ein Problemziel. Erst nach dessen erfolgreicher Erledigung darf der Ausgang gesucht werden. Grundsätzlich vermittelt die multimediale Gestaltung eines Irrgartens die Erfahrung von Einwirkung ("The feeling of enacting"602), weil hier ein hoher Konnex von Handlung und Bewegung im Raum besteht. Teilhabe entsteht dabei allein schon durch die Vorwärtsbewegung des Atavars, durch das vom Teilnehmer gestaltete zielgerichtete Handeln etwa als Suchen, welches aus der Perspektive des Atavars wahrgenommen stets schon dadurch Bedeutung erhält, dass auf den Akt der Wahl unabdingbar die oft überraschenden Konsequenz folgt, die wieder Folgehandeln evoziert. "As I move forward, I feel a sense of powerfulness, of significant action, that is tied to my pleasure in the unfolding story. In an adventure game this pleasure also feels like winning. But in a narrative experience not structured as a win-lose contest the movement forward has the feeling of enacting a meaningful experience both consciously chosen and surprising." 603 Rhizom Als eine Weiterentwicklung des klassischen Labyrinths zeigen sich in den multimedialen kollektiven Fiktionen der Postmoderne dynamische, nicht-hierarchische Netzwerke, exemplarisch ausgebildet in den unbegrenzten Fantasieräumen der Rollenspiele, der Computer-Netzwerke und in den Hypertextstrukturen der PC-Spiele und des Internets. Für diese Form labyrinthischer Netze prägte DELEUZE den Begriff des Rhizoms: "Let us summarize the principal characteristics of a rhizome: unlike trees or their roots, the rhizome connects any point to any other point, and its traits are not necessarily linked to traits of the same nature; it brings into play very different regimes of signs, and even nonsign states. The rhizome is reducible neither to the One nor the multiple […]. It is composed not of units but of dimensions, or rather directions in motion. […] Unlike the tree, the rhizome is not the object of reproduction, neither external reproduction as image- tree nor internal reproduction as tree-structure. The rhizome is an antigenealogy. It is a short-term memory, or antimemory. The rhizome operates by variation, expansion, conquest, capture, offshoots. Unlike the graphic arts, drawing, or photography, unlike tracings, the rhizome pertains to a map that must be produced, constructed, a map that is always detachable, connectable, reversible, modifiable, and has multiple entryways and exits and its own lines of flight. It is tracings that must be put on the map, not the opposite. In contrast to centered (even polycentric) systems with hierarchical modes of communication and preestablished paths, the rhizome is an acentered, nonhierarchical, nonsignifying system with a general and without an organizing memory or central automation, defined solely by a circulation of states."604 Bei der fiktionalen Umsetzung des Rhizoms verändert die nicht-hierarchische Struktur dieses Labyrinths die klassische Aufgabenverteilung zwischen Produzent und Rezipient von Texten ebenso wie die eigentliche Produktion und Rezeption: "Seen from the viewpoint of textual theory, hypertext systems appear as the practical implementation of a conceptual movement that rejects authoritarian, 'logocentric' hierarchies of language, whose modes of operation are linear and deductive, and seek instead systems of discourse that admit a plurality of meanings where the operative modes are hypothesis and interpretative play."605 602 MURRAY 1997, 132 603 MURRAY 1997, 132 604 DELEUZE/ GUATTARI 1986, 21 605 MOULTHROP 1988, 1 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 118 Hypertexte als fiktionale Umsetzung des Rhizoms verstehen sich demnach als prinzipiell offene Texte mit dem Anspruch, einerseits die auktoriale Rolle der Autoren und Produzenten aufzuheben und andererseits die Interpretationsfreiheit der Rezipienten zu bestärken. In der Praxis zeigt sich allerdings das Problem, dass die dazu entwickelten Instrumente der Aneignung und Navigation nicht unbedingt überzeugen können und zur Wiedereinführung genuin hierarchischer Werkzeuge traditioneller Navigation führen, etwa zu Lesemarken, die ein 'Retracing' ermöglichen, die Farbmarkierung besuchter Hyperlinks und anderes. Der Reiz des Rhizoms liegt in seiner Dynamik und Offenheit. Im Gegensatz zur Linearität der Bewegung im klassischen Labyrinth ermöglicht es die Navigation mittels Hyperlinks als Sprung in andere Räume und die Aufhebung der Irreversibilität von Zeit und Raum in der fiktionalen wie realen Welt 606. Diese Offenheit allerdings gibt dem Rhizom zugleich einen ambiguitären Charakter. Einerseits fasziniert den Rezipienten die Navigation in immer neuen sich öffnenden Räumen, andererseits aber verängstigt ihn die Sorge um das Verlorensein in der Unendlichkeit des Netzwerks.607 Fantasy-Rollenspiele verbinden beide Labyrinthformen, das begrenzte Labyrinth wie das offene Rhizom, erfolgreich miteinander, indem durch den Master wie durch die immanenten Spiel-Kontexte bei einer fast unbegrenzten relativen Offenheit der Struktur des virtuellen Raumes und der in ihm möglichen Navigation Hyperlinks (Gates, Levels) markiert werden und wieder aufgesucht werden können. Mit ihrer finalen Ausrichtung auf ein konkretes Handlungsziel hin ähneln andererseits Fantasy-Rollenspiele doch wieder sehr dem klassischen Irrgarten. Angstevokation und -kompensation In der Evokation von Angst und deren Sublimierung in Spannung mittels Steuerung und Kontrolle der Bewegung durch den Rezipienten zeigt sich ein entscheidendes Element der Navigation in Labyrinthen. Die Ängste können einfachere (Überraschung, Angriff etc.) oder komplexere (tragische Verknüpfung etc.) Formen annehmen, sie stellen immer eine Herausforderung dar, der man nicht ausweichen kann, und werden nach ihrer rationalen Durchdringung zu Aufgaben, zu deren Lösung man sich im fiktionalen Raum bewegen muss. Ihre erfolgreiche Bewältigung ist aber eine Erfahrung, die grundsätzlich vom jedem Rezipienten gemacht werden kann, der sich im Labyrinth bewegt. Problemlösen Die Bewegung im Raum als Möglichkeit partizipatorischer Rezeption verbindet sich in multimedialen kollektiven Fiktionen mit einem weiteren grundsätzlichen Handlungstypus, der Lösung von Problemen. In exemplarischer Weise zeigen literarische Reiseabenteuer (Journey Stories) diesen produktiven Konnex von Raumexploration und Heuristik. 608 Zum Handlungstypus wird die Problemlösung in scheinbar unlösbaren Problemsituationen, von dessen Miterleben eine starke immersive Wirkung für den Rezipienten ausgeht, da hier die Beherrschungs- und Machtfantasien des Nutzers in überzeugender Weise befriedigt werden. "One of the consistent pleasures of the journey story in every time and every medium is the unfolding of solutions to seemingly impossible situations." 609 606 Vgl. dazu: Meißners Begriff des Neverwake, MEISSNER 2001, oder das von Barral beschriebene Verhalten der japanischer Intensivspieler, der Otaku, BARRAL 1999, s, dazu auch: FRITZ 1997, 211-213 607 Vgl. Val SCHAFFNERs Essay-Sammlung "Lost in Cyberspace", SCHAFFNER 1993 608 MURRAY 1997, 137; In der Literaturgeschichte und den Gattungstheorien der Germanistik subsumiert der Begriff Reiseliteratur non-fiktionale und fiktionale Werke, die unterschiedlichsten Genre zugeordnet werden können, in deren Themen- und Handlungsmittelpunkt aber stets das Motiv des Aufbruchs und der Reise steht: die mittelhochdeutsche Adventiure, der barocke (und moderne) Abenteuer-, Schelmenroman bzw. pikarischer Roman, die verschiedenen Formen der Utopie, der Entwicklungsroman etc., vgl. dazu WILPERT 1979, 669-671 609 MURRAY 1997, 138 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 119 Wenn die Art und Durchführung der Problemlösung zudem den Eindruck des partizipatorischen Rezipienten der Fiktion verstärkt, einer potentiellen Realität zu entstammen, sichert sie die Konsistenz der Fiktion. Im Idealfall ist das Problemlösungshandeln des Rezipienten in Realität und Fiktion nicht mehr unterscheidbar, sondern identisch. Multimediale kollektive Fiktionen intensivieren dieses Erleben durch die dramatische Strukturierung der Bewältigungsarbeit als Sequenz von interdependenten Handlungsschritten, als Lösungsprozess. Spiele als Typus des Fiktionalen Die Affinität von Spielen wie etwa von Fantasy-Rollenspielen zu dieser Form multimedialer kollektiver Fiktion als Kombination aus explorativer Bewegung in virtuellen Räumen und problemlösenden Handeln ist hoch. In Spielen interagieren die Teilnehmer wie die Protagonisten der Fiktionen auf der Basis ihrer kognitiven und instrumentellen Fähigkeiten, aber die fiktionale Wirklichkeit wird in Modellen schematisiert und damit ihre Komplexität reduziert. Die Interaktion der Teilnehmer ist prozeduralen Einschränkungen unterworfen und wird damit – im Gegensatz zu den Erfahrungen aus der Realität, berechenbar und planbar. Die chaotische Struktur des Rhizoms wird aufgehoben in einer finalen Orientierung, in der sequentiellen Anordnung der Diskursivität, in einer manichäischen Antithetik von Gut und Böse und der Verortung der Teilnehmer nach Kompetenzen und Leistungen. Spiele als symbolische Dramen Spiele als fiktionaler Typus stellen weiter eine symbolische Objektivation von Realität dar, in der das Handeln der Protagonisten eine dramatische Gestaltung erfährt. Die Teilnehmer begegnen in ihren Protagonisten einer Herausforderung (Encounter), die es zu bewältigen bzw. zu überwinden gilt. Das problemlösende Handeln hängt in Spielen allerdings sehr häufig weniger von den Leistungen und Kompetenzen des Spielers als vielmehr auch von Zufallentscheidungen ab. Bei der Adaption der Spielstruktur in multimediale kollektive Fiktionen symbolisieren die Zufallsentscheidungen die realen Ohnmachterfahrungen des einem Fatum unterworfenen Individuums und deren dialektisch-transzendentale Entgegnung nach dem Patmos-Prinzip 610 und verstärken damit das dramatische und tragische Element der Fiktion. Als weiteres dramatisches Element erscheint Handeln in einer als Spiel organisierten Fiktion ritualisiert, wodurch dieses Handeln Bedeutung erhält und zugleich Einwirkung, Kontrolle und Beherrschung für den das Ritual Ausführenden möglich werden.611 Multimediale Fiktionen, die Spielstrukturen adaptieren, gewähren dem Rezipienten nicht nur aktive Teilhabe und Erfüllung seiner Beherrschungsphantasien, sie stellen damit auch pragmatische Interpretationen von Alltag und Lebenswelt bereit: Mit den dramatischen Elementen des tragischen Helden, der schicksalhaften Verstrickung, der Heilsgewissheit und Ritualisierung kommt diesen Fiktionen aus der Sicht der Rezipienten Evidenz zu, scheinen sie individuelle Erfahrungen zu Allgemeingültigem zu verdichten. Multimediale kollektive Fiktionen dieser Art sind damit wichtige, in gewisser Weise geschützte Erfahrungs- und Experimentalräume des Individuums. Der Agon als Urtypus des Spiels Die kulturhistorisch-anthropologische Schnittstelle zwischen multimedialer kollektiver Fiktion und Spiel verdeutlicht der Agon-Gedanke: der Zweikampf 612. In der Auseinandersetzung zwischen den Präsentationen zweier Individuen konkretisiert sich das dramatische Konzept der Herausforderung und Infragestellung durch die Person des Gegners und der von ihm repräsentierten Eigenschaften, Fähigkeiten, Kompetenzen. 610 Begriff des 'Patmos-Prinzips' nach HIDDEMANN 1999, 32; vgl. Friedrich Hölderlin "Patmos. Dem Landgrafen von Homburg." In: HÖLDERLIN 1969, 1 [Gedichte, Hyperion], 176-196 611 SOEFFNER 1995 612 Vgl. dazu: MURRAY 1982, 63-64 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 120 In multimedialen kollektiven Fiktionen entwickelt der Agon dabei ähnlich wie in anderen Medien spezifische ästhetische Darstellungsformen: besondere Bedeutung gewinnen u.a. Perspektive und Fokussierung, aus denen der Spieler das Geschehen verfolgen kann, und damit verbunden, die Erfahrung der Unmittelbarkeit von Handlungsimpuls, virtueller Realisation und Reaktion613. Grundlegend wirkt dabei die symbolische Bedeutung, die den virtuellen Objekten zukommt, über die sich der Handlungsimpuls in der Fiktion realisiert. "Ideally, every object in a digital narrative, no matter how sophisticated the story, should offer the interactor as clear a sense of agency and as direct a connection to the immersive world […]." 614 Die oft martialische Thematik der Spiele koinzidiert deshalb eher mit der spezifischen Bedeutung von Waffen als symbolischen Objekten mit direkt erfahrbarer Wirkung als mit dem tatsächlichen Gewaltpotential der Spieler, wie es eine simplifizierende Gewaltentstehungsdiskussion suggerieren möchte. Gerade Fantasy- Rollenspiele kennen neben Waffen ein umfangreiches Arsenal weiterer Objekte direkter und reaktiver Handlungsimpulse. Die handlungslogische Einblendung der Objekte615 verstärkt die immersive Wirkung, da man das Objekt in Aktion und die Wirkung, die mit dem Objekt erzeugt wird, unmittelbar sensitiv erleben kann. In Fantasy- Rollenspielen geschieht dies in der individuellen und kollektiven Imagination dieser Wirkungen, der die Akteure nachkommen. In den PC-Spielen treten im Augenblick neben die visuelle die auditive und Ansätze einer haptischen Wahrnehmung etwa mittels Dolby-Surround-Technik für PC und Spielekonsolen.616 Trotz der Simplizität, mit welcher der Agon in vielen multimedialen Fiktionen umgesetzt wird, sind unschwer komplexere Formen vorstellbar und üblicherweise auch in Fantasy-Rollenspielen realisiert: Die Interaktion zwischen den Kontrahenten kann unschwer über die Eindimensionalität des klassischen kumulativen Show- down und seine digitale Verkürzung im Shoot-down hinausgeführt werden, etwa durch komplexe soziale Interdependenzen in der Fiktion. Die Wahrnehmungsperspektive des Rezipienten kann mit der seines Character oder Atavars weiter so eng verknüpft werden, dass sich daraus auch eine affektive Identifikation ergibt: es tut psychisch und physisch weh, was er in der Auseinandersetzung erleidet. Dramatik und Spannung ergeben sich auch aus Inhalten, Handlung und Kontexten, nicht allein aus dem simplen Vergleich der Fähigkeiten von Kontrahenten. Gerade darin zeigt sich der immer noch bestehende Vorsprung der Fantasy-Rollenspiele gegenüber ihren digitalen Derivaten. MUD als elaborierte Form multimedialer kollektiver Fiktion Der Multi User Dungeon realisiert allerdings auch auf digitaler Ebene die Fortentwicklung des ästhetischen Konzeptes der Einwirkung zu komplexeren multimedialen kollektiven Fiktionen, wie sie den Fantasy- Rollenspielen eigentümlich ist. Die immersive Wirkung des Fantasy-Rollenspiels wie des MUD, die auf ihrem Potential an Vermittlung von Einwirkungserlebnissen beruht, ist Folge der grundlegenden Interaktion der Spieler in einer Chat- Kommunikation, die für die Nutzer oft größere Bedeutung hat als das Spiel selbst. Denn hier im Chat findet der Diskurs über die prozedurale Gestaltung der Fiktion statt. Fantasy-Rollenspiel und MUD führen deswegen auch zu einem intensiveren Rollenspiel, in dem sich die immersive Wirkung der Kommunikation spiegelt, und zu einem gesteigerten Gestaltungswillen bei der Konstruktion virtueller Räume. 613 Produktbeschreibung "Belkin Nostromo n30 GameMouse", zit. n. Conrads Multimedia-Magazin, H. 2 (2002), 37: "Die TouchsenseTM Technologie [...] eröffnet Ihnen neue Welten, in denen Ihre n30 Game Mouse digitale Daten spürbar macht. Bei ihren Computerspielen erhalten sie realistische Reaktionen. Fahrbahnunebenheiten werden ebenso spürbar wie die Bodenberührung ihres Motorrads nach dem Sprung oder der Kontakt ihres Rennschlittens mit der Wand. Auch ihr Desktop wird greifbar, denn die verschiedenen Desktop-Ebenen, Menüs, Dokumente und Webseiten werden in Vibrationen umgesetzt." Der Name "Nostromo" dieser Serie von Eingabegeräte ist identisch mit dem des Raumschiffes aus dem Film "Alien" (SCOTT 1979) und führt wie deren Farbe und Design zu entsprechenden Konnotationen beim Nutzer; 614 MURRAY 1997, 146 615 Vgl. Gewehrlauf- bzw. Visiereinrichtung als Spieler-Perspektive in einem Ego Shooter wie "Counterstrike"; die Verwendung von Objekten in den PC-Versionen von Fantasy -Rollenspielen wie "Diablo II" etc. 616 vgl. Produktbeschreibung "Logitech Z-560", zit. n. Conrads Multimedia-Magazin, H. 2 (2002), 37: "Die Tage des Donners sind angebrochen." Man beachte den intertextuellen Verweis auf den Film "Days of Thunder", SCOTT 1990 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 121 "The constructivist pleasure is the highest form of narrative agency the medium allows, the ability to build things that display autonomous behaviour. The goal of the MUDders seems to be to be able to represent every activity from real life and fantasy fiction within the virtual world." 617. Die Zukunft multimedialer kollektiver Fiktion scheint die diskursive Konstruktion und Konstitution virtueller Räume zu sein, bei der die im Augenblick die Spiele dominierende martialische Wettkampfstruktur zugunsten einer sozial-orientierten, kommunikativen und konstruktiven Wettbewerb orientierten Interaktion aufgegeben wird, wie sie etwa die Battles im HipHop darstellen. 618 Fantasy-Rollenspiel und MUD ermöglichen die konstitutive Teilnahme an kollektiven Phantasien, wobei die traditionelle Differenzierung in Rezipienten und Produzenten aufgehoben wird. 619 Prozedurale Erzähler Trotz der umfangreichen Möglichkeiten, die multimediale kollektive Fiktionen dem Rezipienten einräumen, auf die Fiktion Einfluss zu nehmen, er bleibt Rezipient, so lange er nicht an der Produktion der Prozeduren beteiligt ist, die der Fiktion zugrunde liegen. Trotz der kollektiven Kollaboration lassen sich hier der Autor als eigentlicher Schöpfer der Fiktion und der Rezipient als kreativer Mitspieler in einer vom Autor geschaffenen Welt unterscheiden: mithin also Autorschaft und Einwirkungserlebnis. Die Mitspieler agieren trotz teilweise großer Gestaltungsfreiheit weiter innerhalb der Grenzen, die ihnen der Autor durch Thema, Inhalte, Handlung, Räume und schließlich durch deren Operationalisierung in Prozeduren gesetzt hat. Die ingeniöse Leistung des Autors liegt insbesondere in der möglichst umfassenden Antizipation des Verhaltens möglicher Rezipienten in seiner Fiktion. Davon abzugrenzen ist der partizipatorische Rezipient, der die ästhetischen Potentiale der vom Autor geschaffene Fiktion im Sinne seiner Interpretation nutzt. "The interactor is not the author of the digital narrative, although the interactor can experience one of the most exciting aspects of artistic creation – the thrill of exerting power over enticing and plastic materials. This is not authorship but agency."620 Andererseits stellt die Leistung des Rezipienten grundsätzlich einen Aneignungs- und Entäußerungsprozess dar: aus dem Angebot symbolischen Materials eignet sich das Individuum das für seine Deutungsprozesse von Selbst und Welt notwendige an und präsentiert sein Deutungs-Arrangement seiner Umwelt. Vor dem Hintergrund eines Konzeptes von Encoding/ Decoding und Intertextualität scheint sich eine qualitativ- bewertende Unterscheidung zwischen den konstitutiven Leistungen von Produzent und Rezipient aufzuheben, denn letztlich realisiert sich die Konstitution des Produzenten erst im hermeneutischen Aneignungs- und Verstehensprozess des Rezipienten. Gerade in den multimedialen kollektiven Fiktionen wie etwa im Fantasy- Rollenspiel oder in den aktuellen Formen der Multip layer-PC-Spiele wird diese Differenzierung mehr und mehr obsolet, lassen sich Produzent und Rezipient kaum noch unterscheiden621. Umwandlung, Veränderung und Reversibilität Eine weitere deutliche Steigerung selbstbestimmter Interaktion in und mit multimedialen kollektiven Fiktionen stellt deshalb die Veränderung und Verformung der fiktiven Kontexte durch den partizipierenden Rezipienten dar. Gegenüber der eine immersive Wirkung auslösenden Form des mehr oder minder passiven, mittels Plattformen Distanz lassenden Besuchs eines fiktionalen Environments stellen vorgegebene bzw. antizipativ von Autoren bzw. Produzenten bereitgestellte Formate, die ein aktives Handeln im Rahmen des fiktionalen Environment ermöglichen, eine Steigerung dar. Eine weitere Stufe partizipatorischer Teilhabe wird mit der Veränderung und 617 MURRAY 1997, 149 618 BÄRNTHALER 1996, MÜLLER 2004 619 MURRAY 1997, 152: "procedural authorship"; 620 MURRAY 1997, 153 621 Der Begriff des Kunstwerks im Kontext und Zeitalter der digitalen Reproduktion erfährt eine völlige Umdeutung, die schon BENJAMIN 1974, 435- 469 thematisiert: etwa eine dominierende Stellung von Zitat, Link, Sampling oder Faking als künstlerische Ausdrucksformen; die zunehmende Bedeutung von Interaktivität, die Offenheit der Produktionen für Modifikation mit den vielfältigen Formen der Ver-, Be-, Nachbearbeitung; 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 122 Verformung des fiktionalen Environments selbst erreicht. Die Transformation wird damit zu einer wichtigen ästhetischen Kategorie, die das Gestalthandeln der Rezipienten prägt und als Kriterium der qualitativen Einschätzung seiner Partizipation dient. Multimediale kollektive Fiktionen erlauben dem Rezipienten in einem bislang unbekannten Ausmaß, auf Form und Erscheinungsbild der in ihnen dargestellten und vermittelten fiktionalen Environments Einfluss zu nehmen. Die mit der multimedialen Präsentation notwendigerweise verknüpfte Rekonstruktion der Objekte und Texte aus zuvor fragmentarischen imaginierten Elementen verweist auf das Transformationspotential und dessen hohe immersive Wirkung auf Produzent wie Rezipient. Objekte und Texte erhalten gerade wegen ihres Variationspotentials in hervorragender Weise eine transitorische Eigenschaft. Die Offenheit der Rekonstruktion erlaubt neben der Variation auch stets die Reversibilität und löst so das Objekt aus der temporär-linearen Kausalität reeller Objekte: mit der Transformation als universales gestaltendes Handeln des rezipierenden Produzenten korrespondiert die Mannigfaltigkeit und Deutungsoffenheit als hermeneutisches Handeln des produzierenden Rezipienten: "Just as we need to define new narrative conventions for entering the immersive world and for exercising agency within it, so too do we need a new set of formal conventions for handling mutability." 622 Kaleidoskopisches Erzählen Der Begriff eines Kaleidoskopischen Erzählens623 verweist auf die ästhetische Dimension der Mitgestaltung durch den Rezipienten, die aus dessen Fokus (s??pe?? ) heraus mit dem Ziel einer Transformation von Wirklichkeit (?a??? e?de??) vorgenommen wird. Eine Möglichkeit für Produzenten, diese Mannigfaltigkeit und Deutungsoffenheit im Sinne des Rezipienten zu organisieren und zu strukturieren, bieten Montage und Sampling. Gerade Jugendliche können mit diesen offenen Formen der Darstellung und ihrer Wahrnehmung kompetent als Teil heutiger Literalität umgehen. 624 Die Vieldeutigkeit und Offenheit der komplexen Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements, wie digitale Medien heute multimediale fiktionale Environments präsentieren, erfährt eine nicht-reale, aber die Rezeption oft erst ermöglichende Strukturierung besonders durch die antithetische Gegenüberstellung simultanen bzw. 'ander'- logisch interdependenten Geschehens mittels der Montage. Multimediale kollektive Fiktionen verwirklichen erstmals eines des wesentlichen Potentiale der Montage und des Sampling, das Handeln der Figuren multiperspektivisch in seiner Simultaneität darzustellen. 625 Diese grundsätzliche Offenheit der Struktur erfordert allerdings einen darin geschulten Rezipienten. 626 Während der Erwachsene auf der Basis einer internalisierten Dominanz extern-reeller Handlungslogik mühsam versucht, die vertraute lineare Diskursivität aus der Flut der Wahrnehmungen zu rekonstruieren infolge, koppelt der partizipierende jugendliche Rezipient seine Navigation an das Handeln der Figuren, mit denen er die vielfältigen Bühnen und Szenen der multimedialen kollektiven Fiktion betritt, einer Dominanz der immanent-fiktiven Handlungslogik folgend. Unbekümmert um die reale Kohärenz seiner Rezeption folgt er der inneren Kohärenz im Handeln seines Character und Atavars. "The story line of such a multistage narrative will have to be structured in such a way that it arouses readers' curiosity, enticing them from one set to the next." 627 622 MURRAY 1997, 155 623 MURRAY 1997, 155 624 Zur Entstehung, Funktion und Leistung von Montage vgl. KUCHENBUCH 1978, 39-45, VIETTA/ KEMPER 1997 625 Experimente der Darstellung simultaner Handlung mit klassischen Medien finden sich bei der literarischen und filmischen Avantgarde: z.B. ROBBE- GRILLET 1970; WADLEIGH 1970; KUCHENBUCH unterscheidet als wahrnehmungsästhetische Prinzipien der Montage das Prinzip der Abwechslung, das Prinzip der Kontrastierung, das Prinzip der Rhythmisierung, in den spezifischen Formen drei Großgruppen der narrativen Montage (erzählend-szenisch), die der Gegenstandsbeschreibung (Repräsentation im Raum) und die der abstrakten Relationen (Vergleich, Symbol, Metapher etc.), s. dazu: KUCHENBUCH 1978, 39-41; dort auch eine Aitiologie von Montage-Syntagmen nach Christian METZ, KUCHENBUCH 1978, 42-44 626 Vgl. die Möglichkeiten interaktiver Nutzung digitalen Fernsehens bzw. von DVD mit wählbaren P erspektiven oder der Aufbau eines MTV-Formats mit der simultanen Projektion eines Hintergrundbildes, zweier bzw. dreier Frames, On- und Off-Ton und Musik etc.; 627 MURRAY 1997, 157; Zur Begriff und Entwicklungsgeschichte der Bühne vgl. Art. "Bühne", WILPERT 1979, 115-116; vgl. weiter als Entwicklungsprozess multiperspektivischer Darstellungsformen die Überwindung der seit der Renaissance dominanten Guckkastenbühne durch 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 123 Morphosis der Erzählräume Technik und Begriff des Verformens (Morphing) sind Innovationen der Computer-Ära.628 Die neuen Medien erlauben eine bislang unbekannte Freiheit in der Veränderung von Texten. Der Unterscheidung von Original und seinem Derivat als Folge der Metamorphis (Fake) kommt keine grundsätzliche Bedeutung mehr zu.629 In multimedialen kollektiven Fiktionen kann damit das gestaltende Handeln des Rezipienten auch zur Konstruktion und Performanz eigener Erzählungen führen, wobei sich die Leistung des prozeduralen Produzenten darauf beschränkt, den Rezipienten ein Angebot an fertigen und weiter gestaltbaren Bausteinen zur Verfügung zu stellen wie etwa Raumelemente. Die fortwährende Veränderung die ser Elemente scheinen dem Rezipienten oft wichtiger als die etwa der Handlung der eigentlichen Fiktion, die gerade dem Außenstehenden oft repetetiv und redundant scheint. Während also der jugendliche Fantasy-Rollenspieler sich in seiner Perspektive kreativ und innovativ ständig neue fiktionale Welten erschließt, scheint sein Handeln dem Erwachsenen unverständlich, in gewisser Weise monoton und stupide. Fantasy-Rollenspiele wie PC-Spiele zeigen diese Verselbständigung des Erzählraums in ihren redundanten wie repetitiven Strukturen wie in der Dominanz der Indizes. Derartige Formen von Gestaltung scheinen typisch in der pubertären Phase männlicher Jugendlicher.630 Mit der Zunahme des Gestaltungspotentials wächst allerdings auch der Aufwand, den eine derartig intensive Partizipation an Zeit und Aufmerksamkeit erfordert. Ein derartiges Engagement ist für die meisten Erwachsenen aufgrund ihrer beruflichen und sonstigen Verpflichtungen oft kaum mehr möglich, es ist eine Domäne der Jugendlichen. 631 Andererseits übertrifft die intrinsische Motivation, die von einem derartigen Gestaltungspotential ausgeht, die von Immersion, Navigation und Problemlösung bei weitem. Die Bedeutung der Gestaltung des Erzählraumes für den Rezipienten liegt in dem Potential, das sich ihm eröffnet, seine handlungsleitenden Themen und individuellen Tiefenstrukturen mittels multimedialer kollektiver Fiktionen sich und einer Außenwelt zu präsentieren. Die spezifische Gestaltung des Erzählraumes (in den Fantasy-Rollenspielen genretypisch als Dungeon oder Map) erlaubt die publizierbare und kommunizierbare Imagination auch von des bislang undenkbaren, oft auch verbotenen Handeln wie etwa in den Gewaltfantasien in virtuellen Räumen. 632 Dabei lassen sich zwei Entwicklungsstufen unterscheiden: Zeigt sich der vom Rezipienten gestaltete Raum als eher normativ konstruiert, basierend auf Prozeduren einfacher Ordnung, sich entfaltend allein im Indexikalischen, verfestigt sich die Handlung in redundanten und repetitiven Routinen. Variation und Modifikation betreffen allein die indexikalischen Repräsentationen virtueller Phänomene, nicht die Strukturen633. Arena- und Raumbühnen, etwa durch Anne-Marie Mnouchkine und das "Theatre du Soleil", exemplarisch präsentiert in der Performance "1793" (THÉÂTRE DU SOLEIL 1972); 628 Der Neologismus Morphing erscheint nicht in klassischen Großwörterbüchern wie Muret -Sanders; er fehlt auch in einem Fachwörterbuch zur Computertechnik aus dem Jahr 1989 noch, SCHULZE 1989; Ein neueres Computer-Fachlexikon definiert den Begriff wie folgt: "Morphing Subst. (morphing). Abkürzung für Metamorphosing. Ein Vorgang, bei dem ein Bild stufenweise in ein anderes Bild umgestaltet wird. Dabei wird die Illusion einer Metamorphose erweckt, die sich in einem kurzen Zeitraum abspielt. Morphing ist ein häufig verwendeter Trickeffekt, der in zahlreichen fortgeschrittenen Programmen für Computeranimationen enthalten ist." MICROSOFT PRESS 1997 629 Zum Mythos der Objektivität als dominante Erscheinungsform von 'Naturalisation' s. BARTHES 1970 (1956), 229-233; BARTHES 1977, 45-46; CHANDLER 2002, 144-146 630 Vgl. MURRAY 1997, 164: "Branwell [Bronte] was intensely involved with the military strategy of his heroes and their ever-repeating, never- resolved combat [...]." 631 In japanischen jugendkulturellen Szenen mit dem Fokus Fantasy gibt es unter den exzessiven Spielern auch Erwachsene, BARRAL 1999 632 Der Prozess der Kommunikation der Imaginationen findet bei Fantasy -Rollenspielern etwa als Vorbereitung oder Nachbereitung von Spielen auch außerhalb des eigentlichen Spielgeschehens statt und ist Anlass und Grundlage vielfältiger sozialer Situationen und Kontexte (Gespräche, Treffen, analoge und digitale Foren wie Fanzines oder Chat, ), s. APPENDIZES, Interviews, Interview 1996-11-15 BC, 66-68; 104-108; man denke auch an die Kommunalisierung kompletter fiktionaler Rahmen und deren Fortentwicklung wie etwa der Timeline bei "Battletech", s. APPENDIZES/ Material-BT/ FASA-BT-Timelines.htm [2000-07-30]; A Time Line of the Inner Sphere and the Republic; 633 Gilt für manche Fantasy-Rollenspiele wie etwa auch "Battletech", mehr aber für den Großteil der PC-Derivate von Fantasy-Rollenspielen, etwa des Typus Ego Shooter: Die Vielfalt der Variationen und Modifikationen mittels Mods, Skins, Maps kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die strukturellen Prozeduren davon unberührt bleiben. Es muss andererseits gefragt werden, ob angesichts der umfassenden Algorithmisierung gerade von PC-Spielen überhaupt offenere Formen der Variation und Modifikation denkbar und möglich sind. 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 124 Diese Iteration und Regression von Handlungspotentialen in spezifischen Erzählräumen scheinen mit jugendlichen Entwicklungsphasen zu korrespondieren.634 Erst in den Räumen multimedialer kollektiver Fiktionen, die einer spekulativ-simulativen Intention folgen und multiperspektivisch wie multidimensional635 angelegt sind, kann sich eine komplexe Handlung entfalten, die wiederum die immersive Trance des Rezipienten konstituiert und verstärkt. Rollenspiel als Veränderungserfahrung Multimediale kollektive Fiktionen erlauben über die Gestaltung der Erzählräume hinaus eine mit anderen Medien oft nur schwer zu realisierende aktive Teilnahme an der Fiktion. Damit einher geht eine weitere Intensivierung der Erfahrung von gestaltender Veränderung ("Transforming"), denn durch die konkrete individuelle Erfahrung der aktiven Teilnahme erhält die Fiktion den Charakter eines Erlebnisses.636 Rollenspiele haben nun, wie ihr Einsatz in der Psychotherapie zeigt637, grundsätzlich dieses intensivierende Potential. Ihre Realisation in multimedialen kollektiven Fiktionen erlaubt ähnlich wie dort die Antizipation, Reflexion und Modifikation kontextspezifischen Verhaltens. Allerdings ermöglichen sie in virtueller Qualität eine Optimierung des Schwellencharakters, der es einerseits erlaubt, das Virtuelle als zureichend reell zu empfinden und zu akzeptieren, andererseits um die schützende Distanz zur Realität zu wissen.638 Die aktive Teilnahme an ihnen kann deshalb den Transfer der im virtuellen Raum geübten sozialen Verhaltensformen vorbereiten. Als Rollenspiele präsentieren sie - wie TV (Soaps, TV-Shows) und Film (Action; Drama) - Probleme sozialer Interaktion und deren interaktive Lösung. Sie unterstützen die Vermittlung und Aneignung kognitiver, affektiver und pragmatischer Kompetenzen sozialer Interaktion und ermöglichen die interaktive Simulation, Reflexion und Übung sozial-interaktiver relevanter Handlungsroutinen in spezifischen bzw. exemplarischen Kontexten. Neverwake Multimediale kollektive Fiktionen tendieren im Stadium der verändernden Gestaltung durch den Rezipienten dazu, sich zu entgrenzen und dadurch insbesondere den Abschluss zu verweigern ('Neverwake'639). Notwendigerweise organisieren sich derartige Fiktionen zumindest partiell als Rhizom, schon von daher ist eine Endlosigkeit strukturbedingt vorhanden. Aber auch scheinbar auf Problemlösung zielende 'Dungeon' überfordern mit ihren immer weiter sich erschließenden Räumen und repetierenden, oft zunehmend komplexeren Problemen den Rezipienten und erzeugen so ein permanentes Moment des Widerstands, aus dem sich eine verstetigende immersive Wirkung ergibt. Grundsätzlich neigt der Produzent dazu, dem Rezipienten eine finale Klimax zu verweigern, letzterer gibt zwar vor, diese zu suchen, sistiert aber andererseits auf einer steten Retardation, um sich die Partizipation an der Fiktion zu erhalten.640 Ein Ende wird oft erst erreicht durch Erschöpfung: Die psychisch-physischen Kompetenzen des partizipierenden Rezipienten stellen eine wesentliche Schranke dar. Allein durch die zeitliche Länge der Fiktionen werden die Rezipienten in ihren instrumentellen, kognitiven und affektiven Fähigkeiten erheblich belastet, was zu Erschöpfungszuständen führt, die zunächst mit Pausen kompensiert werden, dann aber im weiteren Verlauf auch zum Abschluss der Fiktion führen können. Fantasy-Rollenspiele zeigen eine erhebliche Diskrepanz zwischen Spielzeit und gespielter Zeit, die selbst kleine Handlungseinheiten zu langwierigen Prozessen werden lässt. Die penible Beachtung der Regularien und die umfassende Detaillierung erfordern eine hohe kognitive Aufmerksamkeit. Gleichzeitig agieren die Jugendlichen in oft anstrengenden Interaktions- und Kommunikationssituationen, u.a. mit oft wenig bekannten oder auch fremden Spielern. Auch PC-Spiele 634 MURRAY 1997, 166-169 635 Überwindung der Indexikalisierung, vgl. MURRAY 1997, 92-98 636 SCHULZE 1996, 58-60 637 MORENO 1959; PSYCHODRAMA HELVETIA 2002; TREADWELL, Mark: Grundausbildung im Psychodrama. (http://www.moreno- institut.com/Artikel/Grundausbildung.html [2004-01-13]); zum Einsatz der Soziometrie in der medienpädagogischen Forschung, AUFENANGER 2003; s.a. Kap. 2.1 Literaturbericht; 638 Vgl. dazu: Konzept der Rahmung bei HENGST 1997; weiter das Konzept der Rahmungskompetenz bei FRITZ 1997; das Konzept der Transferebenen bei GIESELMANN 2000 639 MEISSNER 2001 640 Vgl. dazu: BARRAL 1999, 25-31 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 125 belasten die Spieler schon rein körperlich durch eine komplexe Joystick- bzw. Maus- und Tastatursteuerung wie durch die mehrstündige Arbeit an in den wenigsten Fällen ergonomisch optimal aufgestellten Bildschirmen und Tastaturen in oft ungünstigen Arbeitsplatzkontexten (Aufstellung; Sitzmöglichkeiten etc.); hinzu kommen teilweise handlungsbedingte Erschwernisse wie eine visuelle Miniaturisierung der virtuellen Objekte, Detaillierung, labyrinthische Räume, Szenen in Nacht und Dunkelheit, Komplexität der Interaktionen im MUD etc., die hohe Anforderungen an die Konzentration der Spieler stellen; klassische Fantasy-Rollenspiele dagegen entlasten und lassen erheblich mehr Spielräume für Interaktion wie etwa eine Face-to-face-Kommunikation. 641 Ein Ende ist oft Folge von Langeweile: Schon vor dem vom Produzenten bzw. Autor geplanten Schluss können multimediale kollektive Fiktionen von den Rezipienten beendet werden, wenn diese etwa die prozedurale Struktur der Fiktion durchschauen und als intellektuell oder affektiv zu wenig herausfordernd einstufen. Allerdings neigen Rezipienten dazu, dieses Ende hinauszuzögern oder zu verdrängen, weil sie damit gleichzeitig die immersive Trance des Flow, den z.B. repetitive Problemlösungen mit sich partiell steigernden Ansprüchen (Komplexität etc.) auslösen, unterbrechen.642 Die Verweigerung des Schlusses als gemeinsames Projekt von Autor bzw. Produzent und partizipierendem Rezipient verweist in der anthropologischen Dimension auf eine Condition humaine, nämlich auf den Wunsch des Menschen nach Aufhebung der biologischen bzw. ontologischen Linearität in der selbstgestalteten Reversibilität. "The never-ending, ever morphing cyberspace narrative is a place to revel in a sense of endless transformations […]." 643 Der Prozess als neue Form der Finalität Multimediale kollektive Fiktionen entwickeln notwendigerweise andere und neue Formen von Finalität, um dem Rezipienten die Erfahrung von Abschluss und Vollständigkeit zu vermitteln. Die kla ssischen Fiktionen folgen in der Anlage ihrer Finale denen der Tragödie. "[…] a story of a single worthy individual's fall from a worthy life to a desperate ending through some choice or flaw of his own, a story that focuses on this irretrievably loss, arousing our feelings of pity and terror and leaving us at the end in a state of purged emotion and heightened understanding. "644 Der tragische äußere Fall des Helden korrespondiert mit seinem symbolischen Sieg und löst kathartische Effekte aus. Multimediale kollektive Fiktionen mit ihren Potentialen für Transformation und Shape-Shifting müssen sich darin zwangsläufig unterscheiden. Das Ende ist hier der weiterlaufende Prozess, das in immer neuen Handlungsbögen hinausgezögert wird. Allerdings müssen die partiz ipierenden Rezipienten die neuen Formen von (Trans-)Finalität erst wahrnehmen, erfahren und genießen lernen. Dazu zählen der Umgang mit Multiperspektivität und Reversibilität.645 Beide gehen in multimedialen kollektiven Fiktionen weit über das hinaus, was die Rezipienten aus klassischen Fiktionen kennen. Selbst in deren avantgardistischen Werken wird die potentielle Intensität, wie sie bislang partiell in einigen Produktionen schon erscheint, nur selten erreicht, wenn auch schon angedeutet.646 Die Rezipienten müssen weiter lernen, mit diesen Möglichkeiten, angeleitet durch Instrumente, welche von den Produzenten und Autoren zur Verfügung gestellt werden, umzugehen647. In den offenen Raum- und Handlungsstrukturen des Rhizoms wie des Dungeon gibt es keine statische Finalität, eine multiperspektivisch bzw. reversibel angelegte Partizipation des Rezipienten kann nur zu einer dynamisch generierten Finalität führen, bei welcher der Rezipient entscheidet, wann Vollständigkeit erreicht ist: gewiss 641 FRITZ 1997, 209-210 642 MURRAY 1997, 174: Entwicklungspsychologische Interdependenz zu den enzyklopädisch bzw. indexikalisch organisierten Fiktionen der Pubertät und frühen Adoleszenz; 643 MURRAY 1997, 175 644 MURRAY 1997, 175: Analyse und Reflexion digitaler Medienproduktionen führen immer wieder auf Komponenten einer aristotelisch geprägten traditionellen Ästhetik zurück; 645 Vielfältige Möglichkeiten der 'Wiederbelebung', des Positionswechsels etc. 646 Vgl. dazu in der Literatur: BORGES 1965; JOYCE 1987 (1922); DOS PASSOS 1979 (1930); KOEPPEN 1979 (1930); ROBBE-GRILLET 1970; in den audiovisuellen Medien Schnittsequenzen wie in "The Rock" (BAY 1996) oder "The Matrix" (WACHOWSKI/ WACHOWSKI 1999, 2003, 2003) oder Multi-Channal-Produktionen in den Videoclips und TV-Features der Musik-Fernsehkanäle; 647 Typische Angebote und Instrumente für den Spieler und Nutzer: Atavare, Skins, Mods, Maps, transistorische Objekte etc.; 2 Perspektive und Fokus - Literaturbericht und wissenschaftlicher Bezugsrahmen 126 kaum mehr im kathartischen Moment der Läuterung und höheren Einsicht, sondern eher in einer perpetuierten intrinsischen Motivation durch eine individuelle Justage von Anforderungen und Fähigkeiten, im Flow. Resümee Janet MURRAYs Analyse multimedialer und besonders digitaler narrativer Fiktionen erfasst in einer besonderen Weise Strukturen jugendlicher Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements, zu denen auch Fantasy- Rollenspiele gehören. Deutlich werden Entstehung und Wirkungsweisen spezifischer Qualitäten wie der Immersion als Folge eines transitorischen Aktes und dem Operieren mit liminalen Objekten, weiter typische Formen der Beteiligung entweder als Navigation in fiktionalen Räumen oder als Problemlösungshandeln und schließlich Möglichkeiten einer grundsätzlich individuellen Gestaltung von Erzählung und Fiktion. Die Modelle einer Procedural Authorship wie des Collaboral Readers korrespondieren mit dem Identitätsfindungsauftrag des Jugendlichen in sozialen Formationen der Jugendkulturen, bei dem die kommunalisierte Fiktionalisierung ein wesentliches Element der Verarbeitung äußerer und Präsentation inner Realität darstellt. 127 3. Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse Die Erkundung einer jugendlichen Alltagskultur stellt den Beobachter vor manche Schwierigkeit. Die distinktiven Intentionen wie integrativen Funktionen jugendlicher Alltagsgestaltung schließen ihn als Erwachsenen in der Regel zunächst einmal aus. Als weitere Schwierigkeit kommt hinzu, dass nicht nur er den Jugendlichen fremd ist, zumal er es darauf anlegt, sie in sehr bedeutsamen Momenten ihrer Lebenswirklichkeit zu beobachten, sondern dass auch ihr Handeln ihm fremd und unverständlich scheint.1 Andererseits sehen die Jugendlichen im erwachsenen Beobachter eine Möglichkeit und eine Herausforderung, ihr Handeln in einer verstehenden Öffentlichkeit zu präsentieren und zugleich reflexiv darzustellen. Sie suchen in der Zulassung und gar Einbindung des erwachsenen Beobachters Affirmation und Legitimierung ihres Handelns. Entscheidung für den qualitativen Forschungsansatz2 Bei der Erforschung sozialer Phänomene hat sich das "quantitative Paradigma"3 als überaus erfolgreich erwiesen. Grundsätzlich sind mit ihm Aussagen und Erkenntnisse zu gewinnen, die insbesondere statistischen Qualitätsstandards wie der Objektivität, der Reliabilität und Validität genügen. Gegen quantitative Verfahren kann allerdings eine Prädeterminierung der Ergebnisse und ihrer Interpretation angeführt werden, etwa durch die bei der Entwicklung des Untersuchungsverfahrens notwendigen apriorische Thesen- und Modellbildung, weiter durch eine das Forschungsfeld zu sehr fokussierende Terminologie, durch die unvermeidbare Interdependenz von Design und Auswertung und durch die Dominanz deduktiver Analyse. Diese Einschränkungen gewinnen besonders bei der Beschreibung eines soziologischen Phänomens an Bedeutung, das sich einem Außenstehenden nicht nur schwer erschließt, sondern von seiner Anlage her hermetisch sich versteht wie etwa jugendkulturelle Szenen. Die Wiederentdeckung der konstitutiven und reflexiven Leistungen des Individuums – etwa im interaktionistischen Wirklichkeitsmodell von G.H. MEAD oder in der phänomenologischen Allgemeinen Soziologie des Alltags von Alfred SCHÜTZ – ermöglicht die Durchführung von soziologischen Beobachtungen nach einem "interpretativen Paradigma"4, das besonders in die Perspektive einer ethnografisch oder pädagogisch orientierten Soziologie tritt. Im Mittelpunkt steht dabei ein Diskurs von Beobachteten und Beobachter. Die Abbildung von sozialer Wirklichkeit (Alltag und Lebenswelt) wird zum Resultat eines konstitutiven Prozesses nach Maßgabe der Relevanzsysteme der daran beteiligten Individuen. "Vom 'subjektiven Sinnzusammenhang' der individuellen Handlungsmotivation, der auf seine Typik (Konstruktion ersten Grades) untersucht werden kann und diese im Rückgang auf die 'Wir-Beziehung' der konkreten Handlungserfahrung freigibt, gibt es keinen widerspruchsfreien Übergang, keine Transformation in schlichte 'Regel' oder 'Übersetzung' in die Systematik einer wissenschaftlichen Theorie." 5 Der Begriff von "Strukturen einer Lebenswelt" als Resultate einer Analyse von Alltag verweist darauf, dass die wissenschaftliche Beschreibung in ihren Begriffen und Begriffssystemen erst diese (gerade in den sog. exakten Naturwissenschaften) systemisch begriffene Struktur konstruiert, letztlich aber weiterhin auf konkretem alltäglichen Handeln beruht, das zwar typologisch erfasst, aber in seiner Individualität nicht systematisiert werden kann, d.h. die Resultate soziologischer Analyse sind letztlich deskriptive Typologien, deren systemisches Erscheinen ein Konstrukt ist. 1 Zu den Problemen einer Beobachtung jugendkultureller Szenen vgl. FEIST 1999, 57-58 2 LAMNEK 1995, II, 239: "Die Zielsetzung einer Rekonstruktion 'der Erklärungen, Handlungsgründe und Absichten von Handelnden ... durch kommunikative Interaktion mit den Handelnden' (Köckeis-Stangl 1980, S. 348) kann als 'methodisch kontrolliertes Fremdverstehen' (Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen 1976a, S. 433f.) bezeichnet werden und qualitative Forschung im Sinne einer Construction Of Reality versucht, die Sinnstrukturen der Feldsubjekte situativ zu erschließen." 3 LAMNEK 1995, II, 60 4 LAMNEK 1995, II, 35; 61-64 5 GRATHOFF 1995, 107 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 128 Der Primat einer Berücksichtigung der Relevanzsysteme der beteiligten Individuen fordert neben methodischer Flexibilität die Wahrung der zentralen Position des Individuums im gesamten Untersuchungsprozess. Erhoben werden deshalb die hermeneutischen Reflexionen sozialer Wirklichkeit durch iterative Explikation seitens der handelnden Individuen. Für den Beobachter bedeutet dies eine umfassende Reflexivität von Gegenstand und Analyse. Als Maximen des qualitativen Paradigmas gelten: Offenheit, Kommunikativität6, Naturalistizität7, Interpretativität. Offenheit Gerade in der explorativen Phase der Untersuchung muss im Hinblick auf die Generierung theoretischer Konzepte und der Durchführung der Erhebung (Sample, Kontexte) größtmögliche Offenheit herrschen, um "[...] ein kontrolliertes Fremdverstehen der von den Kindern und Jugendlichen verwendeten Alltagskonzepte"8 zu ermöglichen. Unabdingbar ist der Verzicht auf eine prädeterminierende selektive Differenzierung der Präsentationen nach dem Kriterium des Manifesten.9 Gegen diese Offenheit sprachen in Bezug auf den Interviewer zunächst der Status des Erwachsenen wie der des Lehrers. Vieles von dem, was bei den Jugendlichen beobachtet werden konnte, wäre leicht nach Kriterien und Kategorien beider Rollen a priori als negativ beurteilbar gewesen, wie es ja gerade im Schulalltag immer wieder vorkam, dass derartige Vorurteile die Wahrnehmung jugendlichen Alltags belasten. Die weit verbreitete Ignoranz von Lehrerkollegien gegenüber der pädagogischen Forschung schien ebenfalls nicht angetan, die verlangte Offenheit zu fördern. Andererseits war sie gerade der Anlass, sich mit dem Phänomen jugendlicher Alltagsgestaltung zu befassen und, angesichts der eigenen Ratlosigkeit, auf innovative Ansätze einer theoretischen Durchdringung einzulassen mit dem Ziel wieder pädagogischen Handlungsspielraum zu gewinnen. Eine besondere Bedeutung gewannen dabei theoretische Ansätze, welche jugendliches Alltagshandeln als Ausdruck von Individualität und Autonomie interpretierten und ihnen zugleich grundsätzlich die Kompetenzen zubilligten, ihr Leben gelingend gestalten zu können. Gleichzeitig zeigten die von diesen Ansätzen her inspirierten Untersuchungen Möglichkeiten des Forschungsdesigns, in tendenziell hermetischen jugendkulturellen Szenen jugendliche Alltagsgestaltung adäquat mittels des qualitativen Paradigmas zu beschreiben und auszuwerten. Hinzu kam die Faszination des untersuchten Gegenstands selbst, in den einzutauchen hieß, sich auf Unbekanntes einzulassen und insbesondere überkommene Interpretationsmuster aufzugeben und nach angemessenen neuen zu suchen. Kommunikativität Die Interakteure besitzen ein "[...] latentes und manifestes Wissen [...] von der Struktur und dem Handlungspotential [...] [der] Alltags- und Handlungswelt [...]"10, dessen sie sich in der alltagsweltlichen Kommunikation vergewissern. Allein diese Kommunikation ist wissenschaftlich beobachtbar und damit Voraussetzung. Nur die (teilnehmende) Beobachtung versucht eine direkte Sicherung der Interaktionshandlungen unter der Vorgabe, dass die beobachtbaren Bedeutungszuschreibungen seitens der Interakteure in einer zur Interaktion parallel geführten Kommunikation den eigentlichen Bedeutungszuschreibungen entsprechen. Da in den anderen Fällen einer Erhebung eine derartige Meta-Kommunikation der Interakteure erst retrospektiv bzw. fiktiv erfolgt bzw. erhoben werden kann, soll dies auch für die dort formulierten Bedeutungszuweisungen gelten. Deren Sicherung erfolgt explikativ-analytisch als Interpretation der Kommunikationsinhalte. Das qualitative Paradigma zielt also nicht auf potentielle Bedeutungszuweisungen, die in den Manifestationen angelegt sind, sondern auf konkreten Bedeutungszuweisungen durch die Interakteure. 6 LAMNEK 1995, II, 62 7 LAMNEK 1995, II, 201 8 LAMNEK 1995, II, 199 9 FEIST 1999, 58 10 SOEFFNER 1983, 13 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 129 In dieser Formulierung greift dieser Ansatz zu kurz. Grundsätzlich ist es zwar richtig, die parallel zur Interaktion geführte Kommunikation als eine von den Interakteuren intentional angelegte Bedeutungszuschreibung zu sehen, doch lässt sie sich einerseits nicht darauf reduzieren, wie ja auch schon die Zulassung kommunikativer Reflexion als gleichwertige Bedeutungszuschreibung zeigt, noch kann die strikte Trennung von Interaktion und Kommunikation angesichts der vielfältigen Formen, die Interaktion auch nicht- sprachlich einnehmen kann, durchhalten. Jugendliche interagieren und kommunizieren mit sich und anderen in komplexen, aus Medien, Texten und Ereignissen zusammengestellten "persönlichen Arrangements" vor dem Hintergrund szenen- wie milieutypischer "Kulturinszenierungen", die als symbolische Objektivierungen einerseits Folge und Resultat, andererseits auch Quelle und Archiv jugendlicher Subjektkonstitution sind. Notwendigerweise führen denn auch die Bedeutungszuweisungen der Jugendlichen, wenn sie denn von ihnen explizit vorgenommen werden, zu einer tiefer liegenden Bedeutungsebene, auf der sie als handlungsleitende Themen erkennbar werden.11 Dieser universalere Begriff von Kommunikation liegt auch dieser Untersuchung zugrunde. Neben den expliziten Bedeutungszuweisungen der Jugendlichen galt das Interesse ebenso der von ihnen geführten reflexiven Betrachtung von Interaktion wie Kommunikation. Naturalistizität Das qualitative Paradigma erhebt den Anspruch, Beobachtung und Sicherung der kommunikativen Bedeutungszuweisung in einem weitgehend authentischen Kontext vorzunehmen, d.h. eine Beeinflussung des Handlungskontextes von Beobachtung und Sicherung grundsätzlich zu vermeiden. Das Prinzip der Naturalistizität zielt auf die Koinzidenz der kommunizierten Inhalte mit den alltagsweltlichen und erhofft sich davon Validität.12 Da die teilnehmende Beobachtung der Fantasy-Rollenspiele in deren genuinen Kontexten stattfand, war grundsätzlich zunächst das Kriterium der Naturalistizität gegeben, insbesondere dann, wenn auf eine technische Aufzeichnung der Beobachtung verzichtet wurde oder diese nicht möglich war. Der Beobachter war in diesem Fall faktisch der Mitspieler, allerdings zu Lasten der Beobachtung, da angesichts der situativen und normativen Erwartungen an den Beteiligten eine parallele Beobachtung kaum möglich oder im Falle der qualitativen Interviews unmöglich war. Einschränkend muss aber auch darauf hingewiesen werden, dass zumindest in der Anfangsphase noch allein das Erscheinen und die Beteiligung eines erwachsenen Fremden die Authentizität des Kontextes beeinflusst haben muss. Dies gilt auch in der Phase der Akzeptanz, wenn die Beobachtung in bestimmten Situationen manifest wurde. Die Durchführung qualitativer, Interviews ließ sich in den genuinen Kontexten der Fantasy-Rollenspiel-Szene nur bedingt bewerkstelligen, fast unmöglich waren problemorientierte Interviews, in den Spielpausen und vor und nach dem Spiel selbst waren narrative bzw. rezeptive andererseits initiierbar oder wurden auch von den Jugendlichen an den Beobachter herangetragen. Im Rahmen des in diesen Situationen üblichen Chillen gehörten sie faktisch zu dem damit verbundenen Smalltalk und waren unauffällig. Auch die Erhebung von Texten und Materialien für eine qualitative Analyse gelang durchaus in deren authentischen Kontexten, denn Tausch und Leihen wie der Erwerb von Anekdotischem und Souvenirs stellen typische Handlungsweisen auch der Jugendlichen dar, so dass das Interesse des Beobachters kaum auffiel. Andererseits zeigten sich die Jugendlichen außerhalb der konkreten Kontexte wesentlich bereiter, auch sensibles Material zur Verfügung zu stellen, da hier der Beobachter mehr als Forscher denn als Konkurrent erschien. Da dies in der Regel in Form eines allein spiellogisch strukturierten, auf den Außenstehenden chaotisch wirkenden Konvoluts geschah, war aber hier ein gewisser Grad an Naturalistizität gewahrt. Interpretativität Grundsätzlich unterscheidet sich alltagspragmatisches Fremdverstehen nicht von wissenschaftlichem, denn alle Realität ist eine gesellschaftliche Konstruktion, deren Sinn mittels Bedeutungszuweisung und Interpretation 11 BACHMAIR 2001 12 LAMNEKs Begriff zeigt gewisse Parallelen zur naturalistischen Kunsttheorie, vgl. dazu: ZOLA 1971, 59: "Dans mes études littéraires, j'ai souvnt parlé de la méthode expérimentale appliquée au roman et au drame. Le retour à la nature, l'évolution naturaliste qui emporte le siècle, pousse peu à peu toutes les manifestations de l'intelligence humaine dans une même voie scientifique. Seulement, l'idée d'une littérature déterminée par la science, a pu surprendre, faute d'être précisée et comprise. Il me paraît donc utile de dire nettement ce qu'il faut entendre, selon moi, par la roman expérimental.." 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 130 geschaffen wird.13 Das qualitative Paradigma strebt nach einem "Nachvollzug der alltagsweltlichen Deutungen und Bedeutungszuweisungen [...]"14 und einer typologischen Systema-tisierung. Methoden der qualitativen Erkundung Als Mittel der Annäherung an Phänomene in jugendlichen Ethnien und Milieus haben sich – gestuft nach dem Grad der direkten Konfrontation – folgende Methoden bewährt15: ?? Die teilnehmende Beobachtung: eine wissenschaftlich-strukturierende Erkundung und Beschreibung jugendlicher Alltagsgestaltung, die für die Jugendlichen offen sichtbar unter aktiver Beteiligung des Beobachters an ihrer konkreten Interaktion und Lebenswirklichkeit abläuft. ?? Das qualitative, narrativ oder problemzentrierte Interview mit dem Jugendlichen, das ihm die Möglichkeit gibt, sein Handeln reflexiv einem Beobachter gegenüber darzustellen. ?? Die quantitative wie qualitative Inhaltsanalyse von Texten16: eine weitgehend indirekte bzw. rezeptive Erforschung jugendlicher Alltagsgestaltung mittels der Untersuchung von Resultaten bewusst- intentionaler wie unbewusster jugendlicher Entäußerungshandlungen. 3.1 Teilnehmende Beobachtung Mit der Entscheidung, am Fantasy-Rollenspiel der Jugendlichen aktiv teilzunehmen, öffnete sich eine weit über die Analyse ihrer symbolischen Objektivationen hinaus reichende Dimension von Erkundung. Trotz des deutlich sichtbaren Altersunterschiedes akzeptierten die Jugendlichen den Beobachter, gerade weil er sich ihrem bedeutsamen Handeln nicht entzog, sich vergleichbar intensiv im Kontext der Fantasy-Rollenspiele engagierte und - als ein entscheidendes Kriterium - mit ihnen über ihre wie eigene Interaktionserfahrungen kommunizierte. Mit der Transformation des distanzierten Beobachters zum beobachtenden Interakteur gewann die Erkundung weitere und notwendige Erfahrungsdimensionen hinzu. 17 Allerdings kann sich die teilnehmende Beobachtung nicht darin erschöpfen, dass der Beobachter am Alltag der Jugendlichen als einem grundsätzlich schwer zugänglichem Forschungsfeld partizipiert.18 Seine Aufgabe ist es, im Alltagshandeln die interaktive Konstitution von Wirklichkeit durch die Jugendlichen in ihren Kontexten interpretativ zu erschließen. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass neben die kognitiv-betrachtende Perspektive des Beobachters ein pragmatisch-emotionales Verstehen des Teilnehmers ergänzend und korrigierend tritt: "Fremdverstehen"19. Erst ein Verständnis gewährleistet einen reflexiv-distanzierten, auf das kontextuelle Sinnverständnis abhebenden Umgang mit ethnografischen Beobachtungen. 13 LAMNEK 1988, 41; BERGER/ LUCKMANN 2001 14 LAMNEK 1995, II, 202 15 LAMNEK 1995, II, 240: "Unstrukturierte oder wenig strukturierte Beobachtung unterschiedlichster Dauer und Intention; qualitative Interviews unterschiedlichster Dauer, Intention und Involvements des Interviewers; Erhebung und Analyse von Dokumenten bzw. Quellen und Materialien jedweder Art." Vgl. dazu die Methodenvielfalt bei Winter: Teilnehmende Beobachtung, Narrative Interviews; Gruppendiskussionen; Analyse von Fanzines; Analyse von Filmen; Analyse von Videomaterial; Workshop; s. WINTER 1998, 33; WINTER, 1995, 123-125 16 Zum Begriff des Textes vgl. FISKE 1989, 43 17 BONSS 1982, 44: "Soziale Wirklichkeiten, so lässt sich von Mead lernen, verweisen nicht auf eine naturhaft-objektive, sondern auf eine gesellschaftlich-intersubjektive Welt, die symbolisch vermittelt und kommunikativ bedingt ist und von den Handelnden unter kognitiven, expressiven und normativen Gesichtspunkten aktiv hergestellt wird. Ihr Realitätsgehalt ist dementsprechend nicht subjektunabhängig, sondern die symbolisch vermittelte Empirie basiert auf einem grundsätzlich subjektbezogenen Modus der Erfahrungsverarbeitung, der in Abgrenzung zu scientistischen Strategien zu begreifen ist." 18 Vgl. den Vorwurf von Edelmann gegenüber Fine, dessen Untersuchung – in der ethnographischen Tradition der Chicago School of Social Studies - lasse eine interpretatorische Schärfe vermissen, EDELMANN 1999: "[...] Although Fine is aware of and comments on these realities, he fails to develop a coherent critical understanding of the types of class, racial and gendering practices that are at work throughout the gaming subculture […]." Zum Problem des Anekdotischen s.a. HASEMANN 1964, 816: "[...] naive anekdotische Verhaltensbeschreibungen, die das Ergebnis methodisch unkontrollierbarer Beobachtungen darstellen und gewöhnlich weit mehr eine Niederschrift dessen sind, was der Beobachter glaubt, im Verhalten einer Person als charakteristisch bemerkt zu haben, als die eines objektiven Sachverhalts." 19 SCHÜTZE/ MEINEFELD/ SPRINGER/ WEYMANN 1973, 433-435 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 131 Methodologische und methodisch-technische Aspekte der teilnehmenden Beobachtung Gegenstand der Beobachtung Beobachtet werden konnten im Laufe dieser Untersuchung konkrete soziale Verhaltensweisen der Jugendlichen in ihren kontextuellen Bezügen. Die Qualität dieser Beobachtungen war allerdings abhängig von der Anzahl der zu erfassenden Interaktionen und konnte naturgemäß detaillierter und vollständiger in kleinen Gruppen vorgenommen werden.20 Auch dass vom Alltag der Jugendlichen nur sehr spezifische Szenen und Kontexte, nicht aber dessen Gesamtumfang beobachtet werden konnte, muss berücksichtigt werden.21 Und zuletzt erschließt sich aus der Beobachtung von jugendlichen Verhaltensweisen – auch wenn dem Beobachter die betreffenden Situationen zugänglich sind – nicht ohne weiteres die sich in ihr manifestierende Einstellung des Individuums. Problematisch ist etwa das am Verhalten von Medienstars orientierte Agieren der Jugendlichen vor Kamera und Mikrophon ebenso wie Interaktions- bzw. Artikulationshemmungen angesichts der ungewohnten Situation. Die Komplexität und Interdependenz sozialer Phänomene verlangt eine permanente kritische Reflexion der Reichweite und Effizienz teilnehmender Beobachtung und führt in Konsequenz zum Einsatz alternativer Methoden.22 Formen der Beobachtung Beobachtung neigt als nachgeordnete Strukturierung von Wahrnehmung dazu, deren ursprünglichen Charakter als individuell-subjektive Konstitution von Wirklichkeit zu perpetuieren, gerade um auch, wenn die Wahrnehmung von der Intention evoziert wird, die wahrgenommenen Phänomene zu verstehen.23 Mit einer Reihe von methodischen Überlegungen kann dieser Tendenz entgegengewirkt werden.24 Grundsätzlich ist diese Untersuchung trotz der mit der Beobachtung wahrgenommenen affektiven Dimensionen auf Erkenntnisgewinn ausgerichtet. Die Beobachtung orientiert sich an Kriterien von Wissenschaftlichkeit wie systematisch-reflexiver Planung und Organisation der Beobachtung, systematischer Aufzeichnung und iterativer Kontrolle auf Objektivität, Reliabilität und Validität. Zur Optimierung des Beobachtungsprozesses wurde dieser strukturiert angelegt, dieser hat aber auch offene Phasen, um auf die bei Jugendlichen häufigen und kaum vorhersehbaren, spontanen Veränderungen von Verhalten und Kontexten angemessen reagieren zu können25. Andererseits zeigten sich gerade die Spielséancen mit ihren Interaktionsritualen als zumindest oberflächlich weitgehend standardisierte Kontexte, die es erlaubten, eine graduelle Standardisierung der Beobachtung zu erreichen.26 Zur Objektivität der Beobachtung trug auch bei, dass die Beobachteten um diese Tatsache wussten bzw. in Fällen, wo dies nicht offensichtlich wahr, explizit darauf aufmerksam gemacht wurden.27 Der Nachteil einer möglichen Verfälschung von Verhalten und Kontext wird durch die Stabilisierung der Vertrauensbasis zwischen Beobachter und Jugendlichen mehr als ausgeglichen. Aus demselben Grund musste die Beobachtung aus einer teilnehmenden Perspektive geführt werden, da erst so eine Initiation des Beobachters in die Kontexte der Jugendlichen möglich war als Vorbedingung für ein Eindringen auch in sensiblere Bereiche jugendlicher Selbstdarstellung wie biografischer Reflexion. Partiell kam es dabei auch zu einer weitgehenden Identifikation 20 Auf Conventions ist mit bis zu 2000 Teilnehmern zu rechnen; am "Kampf um Curst" in Nürnberg nahmen ca. 500 Personen teil, s. APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg, 16 21 Die signifikante Divergenz von beobachteter Zeit und zu beobachtender Zeit konnte nur in wenigen besonderen Situationen annähernd aufgehoben werden, vgl. Video-Aufzeichnungen Nürnberg (ca. 4,5 h Material/ 36 h Event-Dauer), Video-Aufzeichnung DSA-Spiel (4,5 h Material/ 4,5 h Event- Dauer), APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg bzw. Video DSA Mainz; 22 Z.B. Reflexion des beobachteten Events durch die Jugendlichen im qualitativen narrativen Interview, s. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1997- 07-18 PA-REJ-RES; 23 Deutlich wird dies u.a. in einer evaluativen statt einer deskriptiven Semantik oder in einer unreflektierten Extrapolation von Beobachtetem und Formulierung als Selbstverständliches, s. LAMNEK 1995, II, 248 24 LAMNEK 1995, II, 255: "Die prototypische qualitative Form der Beobachtung ist unstrukturiert (nicht standardisiert), offen, teilnehmend, tendenziell aktiv teilnehmend, direkt und im Feld." 25 Methodenvielfalt; Auszeichnungsvielfalt, z.B. Wechsel von der technischen Sicherung zum nachträglich erstellten Protokoll in sensiblen Situationen; 26 Zur Problematik einer Standardisierung der Beobachtung und deren schwierigen Umsetzung in der Beobachtungspraxis vgl. FRIEDRICHS/ LÜCKE 1971, 25 27 Immer wieder reagieren die beobachteten Jugendlichen besonders auf die Präsenz der Videokamera, s. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2003-11-26 YU-GI-OH-Turnier Mainz, 8, 10 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 132 des Beobachters mit dem sozialen Feld, insbesondere in Momenten intensiven Spiels 28, grundsätzlich aber konnte die Position eines Teilnehmers mit erkennbarer Beobachterrolle durchgehalten werden. In schulischen Kontexten musste der Beobachter allerdings zwangsläufig als distanzierter Beobachter erscheinen. Dies beeinträchtigte andererseits das aus schulexternen Kontexten gewachsene gegenseitige Vertrauen in keiner erkennbaren Weise. Auch unter diesen Bedingungen genügte eine geringe Schwächung des formellen Rahmens, um diese Distanz zu verringern oder aufzuheben. 29 In einer nachträglichen hermeneutischen Reflexion erwiesen sich die Phasen von Identifikation aufgrund ihrer unmittelbaren Nähe30 zum Beobachtungsgegenstand als durchaus produktiv. Schon von der Anlage der Untersuchung her kann eine Beobachtung von Alltagshandeln von Jugendlichen nur vor Ort und im sozialen Feld erfolgen.31 Teilnehmende Beobachtung als qualitative Methode Die detaillierte und deskriptive Darstellung von Angebots- und Nutzungsformen der Jugendlichen dient deshalb der explorativen Sicherung dieses sozialen Feldes mit dem Ziel, Verstehen als offenen Prozess der Hypothesenbildung zu ermöglichen, und nicht, Apriorisches zu verifizieren. In diesem Zusammenhang muss auch betont werden, dass die vorliegende Beobachtung der Jugendlichen auf einer grundsätzlichen Akzeptanz und Toleranz ihres sozialen Verhaltens beruht. Einmal abgesehen von einer völlig deplazierten kulturpessimistischen Perspektive, zu der die Inhalte und Präsentationen der Spiele provozieren mögen, die aber nur ein eigenes Selbstverständnis apologetisch manifestiert muss Pädagogik, wenn sie denn eine sein will, zunächst von dem uneingeschränkt ausgehen, was sie bei den Objekten ihrer Begierde vorfindet. Das bedeutet, dass man die Resultate jugendlicher Interaktion per se zunächst akzeptieren, aber selbstverständlich nicht unbedingt bejahen muss. Der Vorzug einer derartigen Deskription liegt besonders in der Erfassung und Vermittlung weitgehend authentischer Informationen aus einem ansonsten nur schwer beobachtbaren sozialen Feld, eine Authentizität, die durch die teilweise sehr intensive personale Beziehung von Beobachter und Beobachteten zusätzlich bestärkt wird. Andererseits wird dieses Verfahren den besonderen hermeneutischen Bedingungen von Wahrnehmung und Beobachtung in sozialen Feldern überhaupt erst gerecht, indem eben nicht eine vermeintliche Objektivität reiner Datenerfassung und die Absolvenz des Beobachters behauptet wird, sondern Wahrnehmung und Beobachtung als selbstreferentielle Interaktionsphänomene begriffen werden. Da jede Wirklichkeit sich erst in der Interaktion des Beobachters mit dem Beobachteten konstituiert, kann erst nach einer sorgfältigen hermeneutischen Reflexion von Procedere und Kontexten von Objektivität gesprochen werden.32 Interaktion wird demnach zum beobachteten Phänomen wie zur schlüssigen Methode, etwa beim Eintritt in das soziale Feld und bei der Kommunikation im Feld. Wenn nun aber jedwede Interaktion auch ein interpretativer Prozess ist33, so ist soziale Wirklichkeit durch Interpretationshandlungen konstituierte Realität.34 Verstehen als Resultat teilnehmender Beobachtung wird damit zur deutenden Rekonstruktion der in den beobachteten Interaktionen angelegten konstitutiven Interpretation von Welt. Die Rolle des Beobachters Die Position des Beobachters ist während der teilnehmenden Beobachtung in erheblicher Weise von kontextuellen Bedingungen abhängig, begrenzt und nur bedingt von ihm selbst frei wählbar und gestaltbar.35 Der erwachsene Beobachter fällt in einer Jugendszene zwangsläufig auf. Erwachsenen begegnen Jugendliche instinktiv mit Vorsicht, wenn nicht gar Misstrauen. Um Zugang und das für die Beobachtung notwendige 28 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg, 37 29 Gespräche in Pausen, auf dem Schulhof, in der Bibliothek, nach dem Ende von Unterrichtsstunden, vgl. Appendizes/ Interviews/ Interview 1996-07- 01 BC SF-Lektüre; 30 vgl. KÖNIG 1967, 124 31 Eine Reihe von Arbeiten zu FRPG beschäftigt sich mit dem Ziel einer soziotherapeutischen bzw. klinisch-therapeutischen Nutzung mit der Konstruktion/ Konstitution spezifischer Spielsituationen, s. dazu (in Auswahl): KATHE 1987, RITTER 1988, ANTRACK 1996; KALLAM 1980; RAGHURAMAN 2000 32 BERGER/ LUCKMANN 2001, 62-64 33 MATTHES 1973, 201 34 LAMNEK 1988, 43; LAMNEK 1995, II, 262 35 Vgl. dazu: FEIST 1999, 57 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 133 Vertrauen zu gewinnen, war es notwendig, zunächst einmal formelles Mitglied in verschiedenen sozialen Formationen dieser Szene zu werden.36 Sehr genau achteten dabei die Jugendlichen auf die Ernsthaftigkeit der Teilnahme an ihren sozialen Interaktionen und forderten insbesondere Engagement wie Solidarität ein. Auf einer eher unverbindlichen Ebene konkretisierte sich dieser Anspruch in der Teilnahme am intraszenischen Diskurs bei Treffen, Gesprächen etc., formeller bei der Aufstellung zu einem Chapterfight und bei Einladungen zur Teilnahme an Fantasy-Rollenspiel-Treffen. Gerade in der Phase der ersten Begegnungen konnte (und wollte) man sich dieser Forderung nur schwer entziehen. Andererseits hatte man darauf zu achten, auch nicht mit seinen Identifikationsleistungen zu übertreiben, denn bei aller von beiden Seiten demonstrierter Gemeinsamkeit blieb man sich doch meistens der Tatsache bewusst, dass hier ein eigentlich Fremder in einem ungewohnten Feld agierte.37 Latent zu spüren bei den Jugendlichen aus dem schulischen Umfeld war weiter das Wissen um die Lehrerrolle aus dem Schulalltag. Für jene allerdings, welche diese Fakten nicht kannten, musste der Beobachter, solange er sich nicht durch den exzessiven Gebrauch von Beobachtungstechniken zu erkennen gab38, als vollwertiges, wenn auch überraschend altes Mitglied der Szene gelten. Angesichts der Altersbandbreite der Fantasy-Rollenspieler, die ja weit über die Endzwanziger hinausreicht, konnte man demnach als jung gebliebener Akademiker gelten39. Gegen ein solches Vorgehen sprach allerdings ethisch, dass den Beobachteten bekannt sein sollte, dass hier eine Beobachtung ihres sozialen Verhaltens vorgenommen wurde. Deshalb wurde gerade in den vielen Situationen individuell-personaler Interaktion immer auf diese Tatsache explizit hingewiesen. Bei Großveranstaltungen war dies allerdings kaum möglich, so dass hier neben der offenen auch partiell eine nicht intendierte, aber faktisch verdeckte Beobachtung stattfand.40 Die Kontextbedingungen beeinflussten erheblich die Rollenpositionierung des Beobachters: In kleinen Gruppen (4-8 Jugendliche) mit deren eigenen sozialen Interaktionsformen z.B. eines Fantasy-Rollenspiel-Treffens operierte der Beobachter mehr oder weniger als Teilnehmer mit massivem Trend zur Identifikation ("Going native"). Es war hier teilweise praktisch nicht möglich, sich weiter vom Geschehen zu distanzieren und die Beobachtungsaufgabe angemessen als "Participator as observer"41 durchzuführen. In diesen Fällen sollte die bis auf wenige Basisoperationen ungesteuerte und -kontrollierte Aufnahme des Treffens per Videokamera diese Defizite kompensieren und zum Korrektiv des Distanzverlustes auf Seiten des Beobachters werden. 42 Kamen größere Gruppen zusammen wie bei Chapterfights oder Fantasy-Rollenspiel-Kampagnen war es wegen der von der Spielanlage her immer wieder auftretenden Pausen- und Leerzeiten43 möglich, die Beobachterrolle zumindest partiell verstärkt als "Observator as participator"44 wahrzunehmen, etwa durch eine aktive Videokameraführung oder Fotografie. Durch die Einbindung ins Spielgeschehen blieb gleichzeitig der enge Kontakt zu den Mitgliedern erhalten, gerade auch weil diese um das Beobachtungsvorhaben wussten. Eine aktive Beobachtung führte allerdings immer wieder auch zu Momenten der Selbstinszenierung von Mitgliedern, die im Bewusstsein, beobachtet zu werden, spezifische Verhaltensweisen entweder betont ausagierten, etwa in Interaktionssituationen wie das Ritual des einleitenden Briefing-; Rollen wie die eines Egg Head, Old Wise Man, Experten; Schiedsrichters, Bürgerschrecks, oder zu vermeiden und zu verbergen trachteten wie latente oder offene Konflikte; egozentrisches Handeln etc. Eine vollständig rezeptive Beobachtung ohne jede soziale Interaktion fand sehr selten und wenn, oft vom Kontext vorgegeben da statt, wo die Jugendlichen den Beobachter als solchen erst gar nicht wahrnehmen konnten, etwa den Lehrer bei der Pausenaufsicht, mittels Kameraschwenks und Zoomfahrten bei Events; durch den Einsatz von Teleoptik etc. 36 Mitgliedschaft in NICE-DICE e.V. und in verschiedenen BT -Chapter; 37 Die Gruppe formulierte sehr offen, dass man als Kompensation für das Zugeständnis, beobachtet zu werden, Unterstützung etwa im Bereitstellen eines PKW für die Fahrten an auswärtige Spielorte erwartete, Appendizes/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg, 1 38 Technische Beobachtungsmittel wie Fotoapparat/ Blitzlicht, Videokamera/ Videoleuchte/ Stativ waren bei Großveranstaltungen wenig auffällig, da auch die Gruppen im allgemeinen ihre Aktivitäten medial dokumentieren; nach kurzem Zögern wurde auch das Diktiergerät akzeptiert, so lange es unauffällig eingesetzt wurde. 39 Zur Altersstruktur des Klientels bzw. der FRPG-Szene s.u. die Beschreibung der Untersuchungsgruppe; s. APPENDIZES/ Klientel-Übersicht 40 Vgl. auch Reaktionen auf Video-, Foto- und Bandaufnahme in Nürnberg, APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg, 18 41 LAMNEK 1995, II, 264 42 Mit dem Einsatz einer Weitwinkeloptik gelang eine vollständige Erfassung sozialer Interaktion mittels Videokamera auch in kleinen Räumen; als problematisch dagegen erwies sich durchweg die schlechte Tonaufnahmequalität von Videoaufnahmen ohne externes Mikrophon; 43 Vgl. Hinweise zum Spielablauf KAP 4.3 Formate 44 LAMNEK 1995, II, 265 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 134 Das Beobachtungsfeld Die Beobachtung erfolgte in einem räumlich45 wie sozial beschreibbaren Feld 46: Die Räume waren zunächst reale Räume mit individuellem Charakter wie die Zimmer der Jugendlichen bzw. mit teilöffentlichem Charakter wie Räume in Jugendzentren, Schulräume, Pausenräume, Aulen und Hallen etc.; dann aber auch Raststätten, Restaurants, Lokale und Kneipen; daneben fand die Beobachtung aber auch in fiktionalen Räumen statt, im Labyrinth (Dungeon), und Rhizom (Maps, Mods, Skins)und virtuelle Interaktionsräume wie den Plattformen der Community, also faktisch in fast allen von Jugendlichen gestalteten Räumen ihres Alltags und ihrer Lebenswelt. Das soziale Feld der Beobachtung manifestierte sich zunächst in dyadischen Beziehungen, dann dominant in der Peer Group als prägnanteste gesellschaftliche Fokussierung jugendlicher sozialer Interaktion und schließlich in der Szene als Summe, aber auch als eigener Bereich jungendlicher Interaktion. Die Beobachtungsräume der Untersuchung zeichneten sich durch eine relative Geschlossenheit und geringe Komplexität47 aus: Naturgemäß ist dyadische Interaktion zunächst hermetisch: Die Einbeziehung eines Dritten setzt das Einverständnis der Interaktionspartner voraus. Fantasy-Rollenspiel-Treffen als Interaktionsrahmen von Peer Groups dagegen sind im Vergleich anderen Manifestationen jugendkultureller Szenen wie etwa des Street Sports relativ geschlossene Veranstaltungen von Insidern: der Zugang zum Raum wird erschwert durch eine Reihe von Faktoren wie den privaten Charakter der Treffpunkte, durch aufeinander eingeschworene Spielergruppen, die Fokussierung auf bestimmte Master-Persönlichkeiten und das für eine Beteiligung als notwendig vorausgesetzte enzyklopädische Basis- und Insiderwissen. Relativ offene Räume sind allerdings wieder Spielsituationen mit Trading Card Games, die gerade in Pausenbereichen (Pausenhof, Bus/ Bahn, Bibliothek etc.) quasi öffentlich gespielt werden; andererseits sind Chapterfights dagegen wieder, trotz offiziöser Elemente wie Anmeldung etc., mehr Insider-Veranstaltungen; dies gilt auch für die in der Öffentlichkeit stattfindenden Cons, deren formelle Öffentlichkeitselemente (Veranstaltungsort, Werbung- und Marketing, offener Zugang) nicht wirklich über die eigentliche Szene hinauswirken. Die Komplexität der Beobachtungsfelder scheint durch die von den Spielen her gegebene und vorstrukturierte weitgehende Ritualisierung der Interaktionen relativ gering. Auch von der Zahl der Teilnehmer her stellen Fantasy- Rollenspiel-Treffen mit 4-8 Jugendlichen keine komplexen Veranstaltungen dar. Allerdings agieren bei Chapterfights schon bis zu 20 Jugendliche miteinander, wobei aber ebenfalls die Spielanlage letztlich strukturierend und vereinfachend sich auswirkt. Die soziale Situation als Beobachtungseinheit Obwohl die teilnehmende Beobachtung als qualitative Methode nicht Beobachtungseinheiten im Sinne quantitativer Studien kennt, vermag der Begriff der "sozialen Situation"48 als aus der Beobachtungsökonomie entwickelte Ausdifferenzierung bzw. Systematisierung komplexer Beobachtungsfelder zur Strukturierung der Beobachtung positiv beitragen. Wesentliches Kriterium für ihre Bestimmung ist in der Beobachtungspraxis ihre Redundanz. Als derartige soziale Situationen kann man für Fantasy-Rollenspiele signifikant unterscheiden: ?? Vorfeld-/ Vorbereitungssituationen, die mehrere Wochen oder Tage vor dem eigentlichen Treffen liegen und ein wesentliches Element des Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements Fantasy-Rollenspiel bilden; ?? Expositorische Situationen der konkreten Treffen wie Kontaktphase, Briefing, Einführungserzählung, Chapterfight-Protokoll, Auswahl der Maps, Präsentation der Miniaturen, Gimmicks, Objekte etc. ?? Spielsituationen: Entwicklung der Charaktere; Aufstellung der Einheiten, Spielbewegungs-/ Kampfprocedere; ?? Erfolgs-/ Misserfolgskommentierung; ?? Finale Situationen: Beurteilung, Kommentierung, Fiktionalisierung; ?? Nachbereitungs-/ Interimsituationen. 45 Vgl. dazu: Definition der Szene mit dem Hauptkriterium des Ortes, an dem spezifisches soziales Handeln stattfindet, SCHULZE 1996, 459-494 46 Zum Begriff des sozialen Feldes vgl. LEWIN 1963, 273 47 Offenheit: Zahl der Interaktionen, die auf außerhalb des eigentlichen Beobachtungsfeldes gerichtet sind, bei gleichzeitig niedrigem Grad räumlicher Trennung. Komplexität: Situationsvarianz und Anzahl der im Feld agierenden Personen, s. LAMNEK 1995, II, 271, 273 48 "[...] ein Komplex von Personen, anderen Organismen, materiellen Elementen, der zumeist an einen bestimmten Ort und Zeitraum gebunden ist und als solcher eine sinnlich wahrnehmbare Einheit bildet." FRIEDRICHS/ LÜDTKE 1971, 45 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 135 Diese sozialen Situationen bilden im Tages-, Wochen- und Monatsplan des Jugendlichen einen zyklischen Ablauf, der seinen Alltag wesentlich strukturiert.49 Das Verhalten im Feld Subjektivität vs. Objektivität Die festgefügten kontextuellen und interaktionalen Strukturen der Fantasy-Rollenspiel-Szene lassen eine mehr als partielle oder vorübergehende Veränderung durch den Beobachter wenig wahrscheinlich scheinen. Nicht auszuschließen ist allerdings zu Beginn der Beobachtung gerade in bislang unbeobachteten sozialen Feldern eine gewisse Verhaltensreaktion bzw. -adaption der Beteiligten an die für sie neue Situation, etwa in Form von (im eigentlichen Kontext) unerwarteten bzw. unkonventionellen Inszenierungen. Typisch ist so z.B. als Reaktion auf die Videokamera das unmittelbare und unvermittelte Herangehen an das Objektiv bis auf haptische Fühlung, die Inszenierung mittels grotesker und verzerrender Mimik und Gestik oder mittels eines an Vorbilder aus TV und Film orientierten und imitierten Gestus, Sprachduktus, etwa das Victory-Zeichen. Diese Handlungen lassen sich grundsätzlich als Distinktions- und Abwehrverhalten gegenüber dem in die Gruppe eindringenden Fremden in der Phase der Annäherung und Orientierung verstehen. Mit der erfolgreich verlaufenden Init iation des Beobachters werden diese Reaktionen sehr rasch weniger und schwinden schließlich ganz. Teilnehmende Beobachtung setzt (wie unter Rollenverhalten aufgezeigt) ein mehr oder minder starkes Involvement des Beobachters voraus, der ja gerade nicht unbeteiligt sein will. Von daher muss der Beobachter schon vom methodologischen Ansatz seines Forschungsvorhabens her auf Objektivität i.S. eines quantitativen Paradigmas verzichten: Auch eine noch so große Anzahl von beobachteten Situationen, Interaktionen, Subjekten wird Kriterien von Objektivität im strengen Sinn nicht genügen können. Der Vorwurf der Selektion als solcher kann allerdings im Zusammenhang mit qualitativer Forschung nicht verfangen: Im Umkehrschluss verlangt eine vom Selektionsbegriff ausgehende Kritik an der teilnehmenden Beobachtung bzw. qualitativen Forschung als Gegenpol nach einer totalen Objektivität von Wahrnehmung, eine Forderung, die gerade nicht sich mit einem empirischen Forschungsverhalten, das um seine Begrenztheit weiß, in Übereinstimmung bringen lässt.50 Von daher ist es legitim, unter steter Reflexion der methodischen Bedingungen und Beschränkungen gerade in schwierigen sozialen Feldern mittels teilnehmender Beobachtung zu arbeiten. Wissenschaftlichkeit kann dem Vorhaben demnach so lange nicht abgesprochen werden, als dass sich der teilnehmende Beobachter um eine korrektes und systematisches Vorgehen und eine ebensolche Sicherung und Darstellung seiner Beobachtung wie eine reflexive, hermeneutische Interpretation der ermittelten Fakten bemüht. Äußeres Zeichen dieser Intention ist eine Systematisierung der Aufzeichnung und die detaillierte Beschreibung des sozialen Feldes und Situationen. Phasen im Feld Beim Zugang zu dem beobachteten Feld lassen sich verschiedene Phasen unterscheiden, in denen der Beobachter auf an ihn herangetragene Rollenzuweisungen mit unterschiedlichem Verhalten reagiert: Während der Annäherung muss sich der Beobachter mit dem impliziten Vorwurf, ein Eindringling zu sein, auseinandersetzen, in der Orientierungsphase gilt er als Neuling, der seinen Wert für die Gruppe noch zu beweisen hat. Erst mit der Initiation wird er zum Novizen, der in immer wiederkehrenden Prüfungen darum kämpft, sich schließlich als Mitglied dauerhaft zu assimilieren. Einen Rückzug aus dem beobachteten Feld muss er sensibel gestalten, um nicht als Utilitarist, wenn nicht gar als Deserteur zu gelten.51 Gerade das Bemühen des Beobachters um eine für die Beschreibung der Phänomene notwendige Distanz kann so interpretiert werden. 49 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 88 50 OTTO 1983, 28 51 Phasenstrukturierung in Anlehnung an: WEINBERG/ WILLIAMS 1973, 86 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 136 Während sich etwa in der Battletech-Szene mit ihrer pseudo-militärischen Hierarchie der Prozess einer sich entwickelnden Assimilation in den Dienstgraden, den zur Verfügung stehenden Ressourcen an Material, den Kommandostrukturen, den Aufstellungskonstellationen etc. gewissermaßen an der Oberfläche spiegelt, ist dieser Prozess subtiler, aber dennoch ebenso dominant, in den mehr fiktionalen und informeller organisierten DSA-Szene zu finden. Hier manifestiert sich der Involvement-Prozess des Beobachters in der Weiterentwicklung seines Charakters, insbesondere dem Zugewinn an Kompetenzen und Entscheidungsmöglichkeiten, der Zuweisung und Akzeptanz von Autorität im und um das Spiel. Wie schon bei der Rollenbeschreibung angedeutet ist es dabei sehr schwierig, einerseits den Ansprüchen des beobachteten Feldes entgegenzukommen, andererseits die Beobachterrolle zu behaupten. Ziel muss primär aber dabei immer sein, die Akzeptanz des Beobachters im Feld zunächst zu erreichen, dann zu sichern und auszubauen. Als diesem Ziel förderlich zeigt sich ein Verhalten des Beobachters, das sich an gruppenspezifischen und alltagsüblichen Sozial- und Interaktionsformen des beobachteten Feldes orientiert und eine Mischung aus Konformität und Nonkonformität darstellt. Allerdings sollte die Intensität des Involvement nach erfolgreicher Integration wieder gemindert werden, um eine angemessene Beobachtung möglich zu machen. Dies erwies sich als relativ schwierig angesichts der doch sehr tiefen persönlichen Bindungen, wenn man die Mitglieder der Gruppe nicht enttäuschen wollte. Der Beobachter vertrat seine Rolle in solchen Fällen argumentativ gegenüber den Rollenerwartungen des sozialen Feldes durch betonte Transparenz und Verdeutlichung der Wichtigkeit und Notwendigkeit des Forschungsvorhabens: Dass in der Öffentlichkeit das Fantasy-Rollenspiel-Fandom nach Ansicht seiner Mitglieder weitgehend missverstanden oder gar unbekannt ist, war ein wesentliches Motiv, die Beobachtung zu unterstützen, von deren Ergebnissen man eine Änderung dieses Zustandes erhoffte. Immer wieder versicherte man sich auch deshalb der Intention des Beobachters, aufrichtig und objektiv zu berichten. Die Akzeptanz der Beobachtung beruhte auch auf der Erfahrung des Feldes, dass der Beobachter zu solidarischem Handeln in Krisen- und Konfliktsituationen fähig und willens war. Allerdings stößt man dabei oft sehr rasch an ethische bzw. auch juristische Grenzen, etwa bei den in der Szene üblichen Copyright- Verletzungen oder Verletzungen der Jugendschutzbestimmungen. Gerade in der Initiationsphase stellt eine Tolerierung derartiger Grenzüberschreitungen ein wesentliches Kriterium für die Ernsthaftigkeit des Engagements des Beobachters dar und entscheidet über Akzeptanz und Integration. 52 Besonders wichtig schien es, mit den Beobachteten auch außerhalb der eigentlichen Beobachtungssituationen zu interagieren und ihnen zu zeigen, dass das Interesse an ihnen über den eigentlichen Forschungsansatz hinausgeht und um ihren Selbstwert zu betonen. Gelegenheit dazu bot sich bei zusätzlichen Treffen in der Freizeit der Jugendlichen, entweder in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Spielen oder im weiteren Umfeld, etwa durch ein Gespräch an der Schule oder durch den gemeinsamen Besuch thematisch interessanter Kinofilme. Das Beobachtungsschema Eine Strukturierung der Beobachtung ergab sich zunächst aus den Einzelphasen des Spielgeschehens, die begleitet werden sollten. Unterscheiden kann man einen iterativen Zyklus von ?? Vorbereitungs- bzw. Interimsphase vor/ zwischen den Spielsitzungen; ?? Spielsitzungen; ?? Nachbereitungsphase. Die Vorbereitungs- bzw. Interimsphasen konnten, gerade weil sie in nicht nur selten öffentlich sind, sondern auch im privaten Bereich von den Jugendlichen meist spontan gestaltet werden, direkt nur vereinzelt 52 Neuralgische Bereiche sind etwa: der Einsatz nicht lizenzierter und gecrackter Software und illegal kopierter Medien und Materialien; die Nutzung indizierter Materialien, besonders bestimmter Spiele-Varianten; aggressive bzw. polemische Diskurse; Nichtbeachtung von Jugendschutzbestimmungen, Drogenmissbrauch, Kleinkriminalität; 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 137 teilnehmend beobachtet werden53, in der Regel mussten sie mittels qualitativem Interview oder indirekt aus der Auswertung von Texten versucht werden zu rekonstruieren. Die eigentlichen Spielsitzungen wurden grundsätzlich mittels teilnehmender Beobachtung erfasst. Die interne Logik des Spielgeschehens gab dabei der Beobachtung eine Gliederung vor, die mit einem geregelten Ablauf von Spielphasen und den korrelierenden Interaktionsprozessen der Spieler rechnen konnte.54 Die in der Regel relativ kurze Nachbereitungsphase konnte teilweise mittels teilnehmender Beobachtung oder aber auch als konkrete Reflexion im qualitativen Interview gesichert werden. Ein weiteres Strukturierungsschema ergab sich aus der jeweiligen Interaktionsebenen, auf denen die Spieler agieren: Intraludiale Interaktion (spielintern, auf das Spiel bezogen): Konkrete Kommunikation Vorbereitungsphase: Handeln als Spieler, z.B. Kreation eines Nicht-Spieler-Charakter (NSC) auf dem "Heldenbrief" für DSA; Spielphase: Handeln als Charakter, z.B. die Fluchattacke eines Zauberers; Nachbereitungsphase: Handeln als Spieler, z.B. Verteilung der erhaltenen Gratifikationspunkte auf die Eigenschaften des Charakters; Interludiale Interaktion (spielextern, auf das Spiel bezogen): Meta-Kommunikation Vorbereitungsphase: Handeln als Spieler, z.B. Lektüre eines Fanzine; Spielphase: Handeln als Spieler, z.B. Kommentierung von Spielzügen; Nachbereitungsphase: Handeln als Spieler, z.B. Reflexion von Spielereignissen; Extraludiale Interaktion (spielextern, ohne konkreten Bezug zum Spiel): Hyper-Kommunikation Vorbereitungsphase: Handeln als Jugendlicher, z.B. Planung eines Samstagabend mit den Mitgliedern der Peer Group; Spielphase: Handeln als Jugendlicher, z.B. Unterhaltung über eine Musikgruppe, Medientrends, Elektronik; Nachbereitungsphase: Handelns als Jugendlicher, z.B. weitere Gestaltung des Tages oder Wochenendes; Organisation eines neuen Treffens; Diskussion von Alltagsproblemen wie Schule etc. Aus diesen Kriterien lässt sich eine Matrix aus den Elementen Spielphasen, Interaktionsebenen und beobachtete Spielen ("Magic: The Gathering"; "Battletech"; "DSA") erstellen, welche die teilnehmende Beobachtung strukturiert. Der Feldzugang Der Zugang zum sozialen Feld gelang mit Hilfe von Schlüsselpersonen der Szene55, denen glaubhaft ein tiefes Interesse an ihrer Alltagsgestaltung vermittelt werden konnte. Dabei koinzidierten wie oben schon angedeutet 53 Eines der wenigen Beispiele: die Rekrutierung, Einweisung und Schulung von Master- bzw. Chapter-Führungsnachwuchs, s. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 1995-12-16 BT-Schulung WG 54 Zwar lassen sich grundsätzlich bei allen Spielen die einer allgemeinen Handlungslogik entspringenden typischen Ablaufphasen feststellen (in der Sprache von Schach: Eröffnung; Mittelspiel; Endspiel), doch zeigt sich auch eine jeweils spieltypische Feingliederung, für DSA (intraludial) eine Vorbereitungsphase (Charakterentwicklung/ -adaption); Initiationsphase (Imagination des Handlungskontextes; Challenge und Task; Teamzusammenstellung); Spielphase (Bewegungs-, Handlungs-, Kampfrituale), Klimaxphase, Schlussphase (Auswertung; Gratifizierung); 55 Typische soziale Positionen der Kontaktpersonen waren in der DSA-Szene: Master, bei "Battletech" Chapter-Führer, später auch Leitungsmitglieder von NICE-DICE e.V., in der "Magic"-Szene (mit ihrer informellen Struktur) erfahrene Spieler; 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 138 die Absicht des Beobachters, die Szene adäquat darzustellen, mit der dieses Personenkreises, der gerade eine positive Darstellung als korrigierende Präsentation ihres Alltags in der Öffentlichkeit wünschte. Die beabsichtigte Initiation verlangte selbstverständlich auch eine engagierte Beteiligung, entscheidend aber war, dass mittels dieser Kontaktpersonen, die als Bürgen für die Integrationsfähigkeit des Beobachters auftraten56, das gegenüber dem Fremden zu erwartende Misstrauen rasch abgebaut werden konnte57. Der Rolle des lernwilligen Rookie entsprach die grundsätzliche Bereitschaft des Beobachters, die Mitglieder der Szene als Experten und Routiniers zu betrachten und ihre Fachautorität zu betonen und anzuerkennen. Verbunden mit der ostentativen Bereitschaft, sich auf die – nicht nur aus der Sicht der Jugendlichen – hochkomplexe Welt der Spiele einzulassen, ermöglichte dies eine relativ rasche Integration und den Aufbau einer Reihe personaler Beziehungen. Bei dieser Integration mögen allerdings auch andere Motive noch mitgespielt haben. Der schon erwähnte Aspekt einer korrigierenden Darstellung von jugendlichem Alltag rekurrierte durchaus auch auf eine Kompensation von Macht- und Ohnmachterfahrungen im Lehrer-Schüler-Verhältnis und Umkehrung der Rollenhierarchie. Weiter sahen die Jugendlichen im Status des Beobachters als Lehrer auch eine Chance, den Schulalltag mehr für ihre Formen von Alltagsgestaltung öffnen zu können58. Im Laufe der Zeit trugen die Jugendlichen dem Beobachter in Bezug auf die Schulhierarchie die Rolle eines Lobbyisten an, der ihre Interessen in den schulischen Gremien (Schulleitung, Kollegium, Schulelternbeirat) informell vertreten sollte (und auch vertrat). Offene oder verdeckte Beobachtung Zur Akzeptanz des Beobachters trug weiter bei, dass die teilnehmende Beobachtung grundsätzlich offen verlief. Neben pragmatischen Überlegungen wie der Vereinfachung der Aufzeichnungsmöglichkeiten war für diese Entscheidung ausschlaggebend, dass nur so das Vertrauensverhältnis zwischen Beobachter und Beobachteten langfristig Bestand haben konnte. Dass eine offene Beobachtung für die Jugendlichen auch eine Belastung darstellte, machen die vielfachen Abwehrreaktionen deutlich, mit der sie besonders auf die explizite Aufzeichnung von Situationen reagierten.59 Die Aufzeichnung der Beobachtungsdaten So weit wie möglich wurde die teilnehmende Beobachtung in einer parallel erfolgenden (passiven) Videoaufzeichnung gesichert.60 In einem Transkript, das Zeitablauf, handelnde Personen und Interaktionshandlungen festhält, wurde die Aufzeichnung in Sequenzen und Szenen gegliedert61. Ausgewählte Passagen der Aufzeichnung wurden zusätzlich phonetisch transkribiert. Im Laufe der Untersuchung zeigte sich, dass ohne die Verwendung externer bzw. zusätzlicher Mikrophone nur mit einer relativ schlechten Tonqualität der Aufnahmen zu rechnen war. War eine Videoaufzeichnung nicht möglich (u.a. auch aus technischen Gründen wie schlechter Lichtverhä ltnisse) wurde eine Tonaufzeichnung angefertigt, die ebenfalls zunächst sequentiell und anschließend 56 Den eigentlichen Zugang kontrollieren nicht unbedingt erkennbare Repräsentanten der Szene, auf die man sich bei der Suche nach Kontaktpersonen zunächst konzentriert, sondern Gate-Keeper, die aus dem noch undurchschaubaren Feld der Gruppe operieren. Ihre soziale Position ist nicht gleich erkennbar, häufig ein Expertenstatus hinter einer Camouflage als das einfache Mitglied, mit dem bewusst gegen repräsentative Mitglieder opponiert wird, vgl. dazu: LAMNEK 1995, II, 289; APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 1997-10-18 BT-Chapterfight; 57 LAMNEK 1995, II, 287; s.a. BERK/ ADAMS 1979, 95f. 58 Auf Versuche einer Integration von FRPG in den Unterricht reagierten die Schüler allerdings kaum, akzeptierte Formen der Öffnung waren die Bereitstellung von Räumlichkeiten, die Organisation von FRPG-Spiel-Events auf Projekttagen, s. APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.18-18, die Durchführung von LAN-Partys (mit Nutzung der schulischen Medienausstattung), s. Appendizes/ Bilder/ Bild 1.5-17-23, oder auch nur die Bereitstellung der PCs in der Bibliothek für Chatting, Mailing und Gaming in den Pausen, s. APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.5-7; 1.5-27-34; ein Beispiel für eine erfolgreiche Adaption des FRPG-Konzeptes, LIENERT/ LIENERT 2003; s. auch: Unterrichtsreihe "Der kleine Hobbit" Klasse 06A, 2001/ 2002, APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.6-21, 1.6-22, 1.6-23 59 Kaum Widerspruch weckte die Verwendung des Camcorders, an den man sich nach kurzer Zeit wohl gewöhnte, problematischer erwies sich der spontane und unangekündigte Einsatz des Fotoapparates (mit Blitzlicht) trotz vorangehenden Vereinbarung mit den Anwesenden; s.a. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2003-11-26 YU-GI-OH-Turnier Mainz, 8 60 BOGDAN/ TAYLOR 1975, 60: "Systematic and analytic participant observations depends upon the recording of complete, accurate, and detailed field notes.” 61 Vgl. APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung bzw. APPENDIZES/ Feldbeobachtung 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 139 szenisch gegliedert wurde. Zusätzlich wurden in diesen Fällen auch Fotos in bestimmten Interaktionsphasen aufgenommen. Auch hier wurden wesentliche Passagen phonetisch transkribiert. War eine technische Aufzeichnung überhaupt nicht möglich, erfolgte die Sicherung der Beobachtung im reflexiven Protokoll, möglichst unterstützt durch Fotoaufnahmen von Kontexten und Texten (Materialien). Eine wesentliche Hilfe stellte die Sicherung von Eindrücken direkt vor und nach der teilnehmenden Beobachtung mittels eines Diktiergeräts dar. Für eine direkte Aufzeichnung der Interaktion gerade auch größerer Gruppen eignen sich die Geräte leider wegen ihrer schlechten Aufnahmeeigenschaften nur sehr bedingt. Zur Auswertung Neben der (auch durch die diskursive Struktur der Videoaufzeichnung evozierte) chronologischen Ordnung der Beobachtungsresultate ist auch eine sich an systematischen Aspekten orientierende Durchdringung möglich. Daraus ergibt sich als Folgerung, die beiden Verfahren sukzessive anzuwenden: (1) Detaillierte Sicherung des Kontextes der sozialen Situation; (2) Chronologische Aufzeichnung (Darstellung); (3) Systematische Durchdringung (Interpretation). In der Praxis wurden deshalb die Video- wie anderen Transkripte um eine Exposition erweitert, die den situativen wie normativen Ausgangskontext festhielt. Veränderungen der Kontextfaktoren wurden auch während der chronologischen Sicherung vermerkt. Interpretatorisch wurden die Aufzeichnungen nach Items, die sich an den Schwerpunkten der Untersuchung orientierten, codiert, um die dort gesicherten Inhalte für Analyse und Deutung zu erschließen. Wissenschaftlicher Charakter der Untersuchung Die Vorteile der teilnehmenden Beobachtung liegen gerade in der vermeintlichen Unstrukturiertheit ihres methodischen Ansatzes, der mit der des beobachteten Feldes korreliert. Qualitative Forschung zielt auf eine soziologisch-theoretische Position und Perspektive des Verstehens in der Personalunion von Beobachter und Forscher. Die qualitative Beobachtung kennt kein apriorisches Beobachtungsschema, sondern entwickelt sich in der flexiblen Gestaltung der Teilnahme. Im Gegensatz zu standardisierten Methoden wird kein Vorverständnis entwickelt (Second Order Concepts), sondern Theorieentwicklung wie -überprüfung verlaufen parallel zur Beobachtung (First Order Concepts). Erwünscht ist ausdrücklich ein Going Native, eine partielle Identifikation (Role-taking), um insbesondere der biografischen Dimension des Handelns für die beobachteten Individuen gerecht zu werden. Dies bedarf allerdings der Kontrolle einer laufenden Rollenreflexion, um beim Verlassen des Feldes wieder die Forschungsidentität zurückzugewinnen (Role -making). In der Beobachtungsphase wird eine Systematisierung phänomenologisch-methodologisch ausgeschlossen62. Begleitend wie anschließend aber erfolgt eine sensibilisierte Beschreibung auf abstrakterer, d.h. kontextueller Ebene, d.h. die Protokollierung der Beobachtung von sozialer Interaktion und deren Interpretation der sozialen Wirklichkeit im kontextuellen Bezug der sozialen Situation. Abschließend kommt es zu einer erneuten Auswertung der beobachteten Phänomene auf der Ebene einer Meta-Theorie, aus der im Transfer Impulse für eine sich an der Alltagsgestaltung von Jugendlichen orientierenden Pädagogik gewonnen werden. 3.2 Qualitative Interviews Methodologische und methodisch-technische Aspekte des qualitativen Interviews Als Ergänzung zur teilnehmenden Beobachtung basiert die vorliegende Untersuchung auf einer Reihe von Interviews, die nach Kriterien der qualitativen Methode erhoben und ausgewertet wurden. 62 GIRTLER 1980, 6: "[...] [da] das Individuum häufig Handlungen vollzieht, die nur aus der Sicht seiner biographischen Identität verstanden werden können. Dies impliziert auch, dass die jeweilige Bezugsgruppe den Maßstab liefert, mit dessen Hilfe die eigene Stellung in dieser Situation abgeschätzt wird." 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 140 Die Vorteile des qualitativen Interviews liegen in seiner besonderen Befähigung, auch in Subkulturen, Milieus und Ethnien durchgeführt werden zu können, zu denen sich der Zugang problematisch gestaltet. Wesentliche Grundlage dafür ist die prinzipielle Bereitschaft des qualitativen Interviews, dem befragten Individuum eine zentrale Funktion bei der Erhebung des Befundes zuzuerkennen. Die Intention der Befragung liegt neben der Ermittlung von Fakten seitens des Befragenden eben auch und primär in der reflexiven Vermittlung dieser Fakten durch den Befragten, der als Experte Informationen gibt oder als Zeuge und Repräsentant für soziale Realitätsphänomene steht. Damit einher geht eine tendenzielle Aufhebung der dem Interview eigentümlichen asymmetrischen Kommunikationssituation und Annäherung an Alltagssituationen, insbesondere durch den Rekurs auf die empathischen Kommunikationskompetenzen des Interviewers. Zwar lässt sich die Asymmetrie der Interaktion nicht vollständig aufheben, aber durch eine Reihe von Maßnahmen kompensieren, in deren Mittelpunkt eine Stärkung der Position des Interviewten steht63. Eine Erforschung von Sachverhalten aus der Perspektive der Relevanzsysteme der Befragten sichert dem Befund ein hohes Maß an Authentizität. Das qualitative Interview kann folgendermaßen beschrieben werden: eine mündlich-persönliche, nicht- standardisierte Einzelbefragung im weichen, d.h. empathischen Interviewstil, aufbauend auf einem Vertrauensverhältnis und der Intention der Vermittlung, mittels offener, den Erzählstrom des Interviewten stimulierenden Fragen. Weitere Kennzeichen sind im Sinne einer "Kommunikativität"64 die Verwendung einer den kommunikativen Kompetenzen des Befragten adäquaten Alltagssprache bzw. auch eines spezifischen sozialen Idioms bzw. die grundsätzliche Bereitschaft, sich auf die Sprache und kommunikativen Kompetenzen des Interviewten einzulassen und ihm in der konkreten Gesprächssituation als Experten ein positives Feedback seiner Interaktion zu geben. Der Interviewer benötigt ein zumindest in der Anfangsphase seiner Untersuchung rudimentäres Sach- bzw. Insiderwissen, um angemessene Gesprächsimpulse setzen zu können. In der Praxis der Untersuchung wurde in den Interviews deutlich, dass wenigstens gewisse Kenntnisse der Fachterminologie von den Befragten beim Interviewer vorausgesetzt wurden. Zwar ist es durchaus auch ein positiver Stimulus, sich unbekannte oder konnotativ anders besetzte Begriffe und Zusammenhänge von dem Jugendlichen erläutern zu lassen, es fiel andererseits ihnen auch nicht immer leicht, die wie selbstverständlich gebrauchten Termini zu erklären, was für deren tiefe – und unreflektierte - Integration in die jugendlichen Symbolwelten spricht. Der Interviewstil will möglichst zusammenhängende Erzählpassagen beim Interviewten evozieren. Stimulierend sollen dabei offene Fragen wirken, aber auch Techniken wie die Verständnisfrage, die Spiegelung der Aussage oder eine resümierende Explikation (Konfrontation) sind möglich. Zur Narratio als angestrebte Replikform trägt ebenfalls ein vertraulicher und stressfreier Handlungskontext bei. Die selbst gestaltete Erzählung wirkt mit ihrer Darstellung des alltäglichen Bedeutungshorizontes zudem intrinsisch motivierend. Die vom Interviewer erwartete Eigenleistung des Befragten rekurriert weiter auf komplexe kognitive und kommunikative Kompetenzen und wirkt motivierend. Derartige Interviews können deshalb ungleich länger als Alltagskommunikationssituationen andauern, wenn sie zu gelingenden Interaktionssituationen werden. An den Interviewer sind aus diesen Gründen Anforderungen zu richten, die dessen Interaktionskompetenzen berühren: der Aufbau einer offenen, permissiven Gesprächssituation mittels eines sachkundigen, verständnisvollen und anteilnehmenden Interesses. Das Verhalten im Feld In der vorliegenden Untersuchung können folgende Formen des qualitativen Interviews unterschieden werden: ?? das problemorientierte Interview; ?? das narrative Interview; ?? das rezeptive Interview. 63 LAMNEK 1995, II, 54-55; 64 LAMNEK 1995, II, 62; 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 141 Problemorientiertes Interview Wie im Forschungsalltag üblich, bereitet sich der Forscher auf seine Untersuchung auch wissenschaftlich vor, etwa durch Literaturstudium, Expertenbefragung, Erkundung etc. Aus diesen Informationen entwickelt er ein mehr oder minder komplexes theoretisches Konzept. Dies trifft auch für diese Untersuchung zu. In diesem Falle waren dies primär Konzepte wie das des Encoding bzw. Decoding, der Intertextualität, der Bedeutungs- und Subjektkonstitution, weiter das Flow-Konzept zur Analyse intrinsischer motivationaler Prozesse, die mit dem Spiel von Fantasy-Rollenspielen verbunden sind, und schließlich das Konzept der kollektiven Fiktionalisierung65. Daneben standen weiter kultursoziologische wie –historische Forschungsansätze, um das Handeln der Jugendlichen adäquat im zeitgenössischen Kontext verorten zu können. Mit dem Rekurs auf diese Konzepte ging allerdings ein Teil jener Offenheit verloren, der qualitative Methoden gemeinhin auszeichnet, andererseits gewann man damit den für eine erfolgreiche Gesprächsführung notwendigen substantiellen Hintergrund, vom Interviewten als Kompetenz wahrgenommen, und mehr noch eine das Forschungs- und Gesprächsinteresse leitende Perspektive, die sich direkt wie indirekt dem Interviewpartner vermittelte und das Gespräch konstruktiv beeinflusste. Immer wieder übernahmen dabei auch die Interviewpartner die logische Fortentwicklung des Interviews aus den Impulsen, die sie beim Interviewer zu erkennen glaubten. 66 Grundsätzlich erhalten bleibt auch bei problemorientierten Interviews der Fokus auf der Erzählung, d.h. auf der selbständigen Darstellung der "Bedeutungsstrukturierung der sozialen Wirklichkeit" durch den Befragten. Die wissenschaftliche Konzeption floss zwar in die Interviews ein, wurde dem Interviewpartner aber nicht expliziert, um eine Reaktivität i.S. einer Social Desirability von vornherein unmöglich zu machen. Aus der Dialektik von unvoreingenommener Rezeption der Narratio des Befragten und ihrer Verortung in dem antizipativ entwickelten wissenschaftlichen Konzept ergibt sich ein wesentliches Moment von wissenschaftlicher Dynamik, solange die Offenheit des Konzepts gewährleistet bleibt. Narratives Interview Auch ohne explizite Aufforderung von Seiten des Interviewers entwickelten sich aus der prinzipiellen Intention der Befragung, eine zusammenhängende Argumentation zu evozieren, immer wieder Phasen eines narrativen Interviews.67 Anlass für die Befragten, ihre Anschauungen explizit und illustrativ darzustellen, war ihr Bedürfnis, sich dem Interviewer umfassend mitzuteilen und zugleich reflexiv das Mitgeteilte in der narrativen Fiktion wieder zu erleben und retrospektiv zu interpretieren. Die Befragten gestalteten dadurch das eigene Erleben als Anekdotisches, das als Paradigma auf Typisches verweisen sollte. 68 Die Notwendigkeit der Detaillierung infolge eines immanenten Plausibilitätsanspruches der Erzählung führte auch zur Nennung tabuisierter, verdrängter und unangenehmer Informationen. In dieselbe Richtung wirkte die mit der fiktionalen Gestaltung einhergehende Distanzierung des Erzählers vom Erzählten.69 Die Narratio ermöglichte den Befragten auch, die Ereignisse in Gesamtzusammenhänge zu integrieren und zu explizieren und kontextuellen Relationen wieder herzustellen ("Komplexe rekonstruktive Deutung"70). Andererseits öffnete sich dem Interviewer dabei ein Zugang zu den Relevanzsystemen des Befragten und zu dessen Biografie und Lebenslauf als Resultat von reflexiv entwickelten Konzepten und selbststrukturierten wie selbstsystematisierten Handeln.71 Und schließlich schien Erzählen eine zwar sozial differenzierte, aber trotzdem allen mögliche interaktive Kompetenz zu sein, die es insbesondere weniger eloquenten Jugendlichen erlaubte, komplexe Zusammenhänge darzustellen. 72 Allerdings durfte man die Erzählkompetenz der Jugendlichen gerade bei der Darstellung 65 Zu weiteren wissenschaftliche Konzeptionen in dieser Untersuchung vgl. die Darstellung in Kap. 2 Theoretische Grundlegung. Angeführt werden können: Aneignungs-/ Entäußerungshandlungen; Bedeutungs- und Identitätskonstitution; Individuation und Risiko-Delegation; Erlebnisorientierung, -rationalität; Gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit; Mediatisierung; 66 vgl. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 115-120 67 Vgl. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2004-02-09 AM, 86-91 68 Vgl. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-02 BS 02, 4 69 Vgl. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-15 BC, 3-12 70 LAMNEK 1995, II, 72 71 Zur Selbstorganisation, vgl. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 105-114 72 Vgl. Interaktionsverhalten von PA, APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1997-07-18 PA-REJ-RES 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 142 komplexer Zusammenhänge auch nicht überfordern. Im Interview war es deshalb immer wieder notwendig, den Gesprächsfluss mittels affirmativen Stimuli aufrechtzuerhalten. Quantität und Qualität zusammenhängender Darstellungen differierten auch sehr nach Erfahrung und Alter.73 Rezeptives Interview Die oben dargestellten Interviewformen setzen in der Regel genuine Interviewsituation voraus. In zahlreichen Interaktionssituationen war während dieser Untersuchung diese kontextuelle Bedingung so nicht gegeben. Es handelt sich dabei oft um spontane, sich im Alltag entwickelnde Gespräche, die sich mit dem Thema Fantasy Role Playing Game beschäftigten, bei denen aber der Interviewcharakter nicht deutlich wurde. Dabei war keineswegs ein verdecktes Vorgehen intendiert, das im Zusammenhang mit einer qualitativen Untersuchung in einem subkulturellen sozialen Feld von Jugendlichen wegen der Gefährdung des notwendigen gegenseitigen Vertrauens als sehr problematisch gilt.74 Setzt man voraus, dass auch in der zur Alltagsituation tendierenden Interviewsituation einer qualitativ angelegten Untersuchungen reaktive bzw. prädeterminierende Momente nicht auszuschließen sind, erhalten non-intendierte Gesprächssituationen in Bezug auf die Authentizität des dort Dargestellten eine besondere Bedeutung. Gerade die diesen Situationen eigene Varianz der situativen und normativen Kontexte, der Interaktionspartner, der Performanz und Perzeption sollte über deren Summe einen gewissen Grad an Objektivität, Reliabilität und Validität ermöglichen. In der offenen Atmosphäre dieser Gesprächssituationen engagieren sich auch in anderen Kontexten eher gehemmte oder sich verschließende Menschen, dadurch gelingt die Erhebung von Daten auch in sehr sensibel auf äußere Störungen reagierenden Subkulturen und Milieus. Rezeptive Interviewsituationen ergaben sich u.a. bei den vielen Gesprächen mit den Jugendlichen im Anschluss an Schulstunden, noch im Klassenraum oder während der Pausenaufsicht, in den Freistunden in der Schulbibliothek oder bei einer zufälligen Begegnung in der Stadt.75 Die Tatsache der aktiven Teilnahme an Fantasy-Rollenspielen bot vielfach den Gesprächsanlass.76 Oft wurde erst im Nachhinein, also nach dem Ende des Gesprächs, der informative Wert für die Untersuchung deutlich, den Gesprächen lag also primär kein Konzept zugrunde. Da kein verstecktes Mikrophon zum Einsatz kam, konnten die dabei erhaltenen Informationen nur nachträglich in einem retrospektiven Bericht bzw. Protokoll als Feldbeobachtung gesichert werden. Zwar erfüllten gerade Spieltreffen bzw. -sitzungen als spezifische Environments die Forderung, Interviews möglichst in den entsprechenden Alltagssituationen durchzuführen, allein, die Organisation dieser Events ließ eine eigentliche Interviewsituation (gerade im Sinne des narrativen Interviews) nicht zu, denn eine Separierung von den Teilnehmern kam, zumindest in der eigentlichen Spielphase, nicht in Frage. So wurde das rezeptive Interview, vordergründig der bei solchen Anlässen übliche Smalltalk der Teilnehmer, zur notwendigen Ergänzung der teilnehmenden Beobachtung. Als besondere Form des non-intendierten rezeptiven Interviews erwiesen sich Audiomitschnitte von Gesprächen, die neben oder hinter der laufenden Videokamera stattfanden, deren Präsenz aber den Teilnehmern nicht bewusst war. Hier liegt die Schwierigkeit der Auswertung besonders darin, dass der ursprüngliche Kontext der Aussagen nur sehr bedingt rekonstruierbar ist. Die Auswahl der zu Befragenden Die methodologische Grundlage der Auswahl der Interviewpartner in Zusammenhang mit einer qualitativ orientierten Untersuchung geschah als ein Theoretical Sampling, nach dem ein "möglichst zutreffendes Set der 73 Vgl. Kommunikationskompetenzen gleichaltriger Jugendlicher, APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-15 BC; Interview 1997-07-18 PA- REJ-RES; 74 KLEINING sieht als Voraussetzung einer weitgehenden Vermeidung von Reaktivität ein Verschweigen der Interviewabsicht als notwendig vor, vgl. KLEINING 1988, 1 75 Vgl. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 1999-07-29 Deutschunterricht10A; Bilder/ Bild 1.5-27 76 KLEINING verweist auf eine Reihe weiterer rezeptive Erforschung ermöglichende Gesprächsanlässe wie plötzliche situative, psychische, soziale Veränderungen, die potentiellen Erzähler dazu veranlassen, dem Gespräch eine expressive, karthetische oder orientierende Funktion zu geben; ebenfalls stimulierend wirken Vergemeinschaftungssituationen, und schließlich kann asymmetrisches Sprechen auch explizit in autoritativen Strukturen verwendet bzw. eingefordert werden, vgl. KLEINING 1991 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 143 relevanten Handlungsmuster in einer sozialen Situation"77 zusammengestellt werden soll. Ziel ist also Repräsentativität, nicht Repräsentanz im quantitativ-statistischen Sinne. Der meist informelle Zugang zu mehr oder minder hermetisch sich gerierenden Subkulturen als eines der spezifischen Untersuchungsfelder qualitativer Forschung erschwert allerdings häufig ein akzeptables Theoretical Sampling. In dieser Untersuchung konnte dies gelöst werden. Die Auswahl der Interviewpartner orientierte sich in dieser Untersuchung zunächst einmal an der Verfügbarkeit und Mitwirkungsbereitschaft der Jugendlichen. Befragt werden sollten Jugendliche, die sich nach Alter und Schulstufe, dominantem bzw. präferiertem Spiel, Spielerfahrung und Funktion unterschieden. Daraus ergab sich eine typologische Matrix 78, in die einerseits Befragte eingeordnet werden konnten, die andererseits auch in ihren Leerstellen Profile von Jugendlichen aufzeigte, die noch zu befragen waren und die davon ausgehend gezielt angesprochen werden konnten. Auf diese Weise konnten mehr als 80 Jugendliche persönlich in diese Untersuchung eingebunden werden. Die Datenerhebung Das Ideal, die Datenerhebung in der Lebenswelt der zu untersuchenden Menschen vorzunehmen, war mittels Interview, wie schon oben angedeutet, nur sehr selten möglich. Räume im schulischen Umfeld gehören zwar zum Alltag des Jugendlichen, erzeugen aber gewiss nicht die Atmosphäre, die z.B. Jugendzimmer auszeichnen und einer Interviewsituation förderlicher wären. Zudem setzt auch die Sicherung mittels technischer Instrumente wie Camcorder der Generierung eines vertrauten situativen Kontexts weitere Grenzen. Diese Nachteile waren jedoch relativ leicht zu kompensieren. Die Zuweisung eines Expertenstatus an den Befragten als Mittel extrinsischer Motivierung erwies sich als unproblematisch, ähnlich stimulierend wirkte oft schon die Einladung zum Gespräch. Motivierend erwies sich weiter die Umkehrung der asymmetrischen Verteilung der Interaktionsmacht im Interview: Die Jugendlichen reagierten sehr positiv auf die Aufhebung, ja Umkehrung der in der Unterrichtssituation typischen hierarchischen Lehrer-Schüler-Beziehung bzw. alltäglichen Rollenverteilung von Erwachsenen und Jugendlichen bei der Darstellung ihrer individuellen Relevanz- und Wirklichkeitsstrukturierung in Bericht und Erzählung. Bemerkenswert waren die Anstrengungen, welche die Befragten unternahmen, um den für diese Situation ihnen angemessen scheinenden Interaktionsstandards zu entsprechen.79 Die Dominanz des Anekdotischen in den Erzählungen der Jugendlichen war teilweise übermächtig. Nicht immer gelang es, sie zu einer reflexiven Durchdringung ihrer Narratio auf das Alltägliche, Selbstverständliche zu bewegen, um eine Einordnung ihrer Erlebnisse in ihr Relevanzsystem in Erfahrung bringen zu können. Gerade bei der Erörterung grenzüberschreitender oder tabuverletzender Themen80 konnte erfolgreich eine grundsätzliche Permissivität und Toleranz zur Sicherung der Gesprächsbereitschaft den Jugendlichen vermittelt werden. Andererseits blieb weiter deutlich eine gewisse Vorsicht der Interviewpartner zu spüren, die sich u.a. darin äußerte, derartiges Handeln anderen zuzuschreiben. 81 Die Aufzeichnung der Interviews erfolgte in der Regel mit einem Diktiergerät. In einem Contracting wurden die Interviewpartner über das Vorhaben informiert, es wurde explizit ihre Einwilligung eingeholt, eine vollständige Anonymität zugesichert und das Aufnahmegerät gezeigt wie exemplarisch eine kurze Sicherung vorgestellt.82 Die Sicherung geschah vereinzelt auch mit dem Camcorder.83 Dem Vorteil, so auch die nonverbale Kommunikation erfassen zu können, stehen eine Reihe von Nachteilen entgegen, u.a. Probleme mit der Tonqualität der Ausnahmen oder einer nur sehr bedingten Varianz in der Kameraführung. 77 LAMNEK 1995, II, 91 78 Alter: 10-12 (OS); 13-16 (SEK I); 17-19 (SEK II); 19-27 (UNI); 27- (Erwachsene); Spiel: Magic: The Gathering; Battletech, DSA; Spielerfahrung: Rookie, Novize, Player, Experte; Funktion: Spieler; Master, Funktionär; 79 Indikatoren waren u.a. Wortwahl und elliptische Syntax wegen fehlender Übung im elaborierten Code, vgl. Sprachduktus von RES, APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1997-07-18 PA-REJ-RES, 67 80 Derartige kritische Themen waren u.a. der Umgang mit indizierten Spielen, Gewaltphantasien, Sexualität; 81 Vgl. Appendizes/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD 82 Den meisten Befragten war z.B. der Klang der eigenen Stimme völlig unbekannt; 83 Relativ hohe Belastung der Interviewsituation, vgl. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1997-07-18 PA-REJ-RES, 1-10 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 144 Je mehr die Erhebung offiziösen Charakter hatte, etwa durch eine Einladung oder das Contracting, um so eher kam es nach Abschluss des Interviews zu Gesprächen, die auf einer weniger formellen Ebene die gerade geäußerten Statements kommentierten und u.a. auch die persönlichen Empfindungen des Interviewten thematisierten. Eine direkte Aufzeichnung war dann in der Regel leider nicht mehr möglich, weil das Ausschalten des Aufzeichnungsgerätes ja den Beginn der informellen Phase signalisiert hatte. So weit diese Gesprächspartien von Relevanz waren, wurden sie in einem nachträglichen Protokoll gesichert. In einer Exposition oder im Postskript wurde weiter der Interaktionskontext festgehalten. Eine besondere Bedeutung erhielt dies in dem Fall, wenn das Interview im privaten Umfeld des Jugendlichen durchgeführt werden konnte, das als symbolische Objektivation seiner individuellen Relevanzsysteme von sozialer Wirklichkeit gelten kann. Gesichert wurden auch Informationen zur individuellen Disposition des Befragten und Besonderheiten des Gesprächsablaufs. Insgesamt sollte mit der Erfassung und Darstellung der Kontextbedingungen des Interviews, insbesondere auch durch die Dialektik von Fremd- und Eigenwahrnehmung, es dem Rezipienten erleichtert werden, die Deutung nachzuvollziehen und sich der Authentizität der Datenerhebung zu vergewissern. Die Interviewsituation Eine Durchführung der Interviews in der "natürlichen Feldsituation"84, gerade um die Authentizität der Relevanzsysteme und der Bedeutungskonstitution des Befragten zu gewährleisten, konnte zumindest im sozialen Feld dieser Untersuchung wohl nur mit rezeptiven Interviews realisiert werden. Da gleichzeitig die Auswahl der Befragten anhand einer repräsentativen Typologie erfolgte, hätte man derartige Interviewsituationen sorgfältig planen und evozieren müssen, um die angestrebte Bandbreite an Informationen zu erhalten. Immerhin ergaben sich am Rande von Spielsitzungen immer wieder Möglichkeiten für rezeptive Interviews, die auch genutzt wurden. 85 Ebenfalls sehr nahe zur Alltagssituation standen Gespräche mit Jugendlichen, welche Pausen oder Freistunden für das Fantasy-Rollenspiel nutzten. 86 Weitere Gespräche dieser Art fanden etwa im Kfz oder während des Besuchs von Gaststätten statt. Andererseits war aufgrund der Entscheidung, die Befragung offen durchzuführen, um die Vertrauensbasis nicht zu gefährden, eine Entscheidung für narrative bzw. problemorientierte Interview getroffen worden. Derartige Interviewsituationen sind immer latent außergewöhnliche und damit nie Alltagssituationen, von denen sie sich in der Rollengestaltung, ihrer Zeitdauer, der Länge der Interaktionsphasen und in Bezug auf informationelle Offenheit und Direktheit deutlich unterscheiden. Das einleitende Contracting und das Vorhandensein von Aufzeichnungsgeräten sind im Alltag unüblich. Trotzdem unterstützten sie eine weitgehende Kompensation der Asymmetrien der Gesprächssituation und eine tendenzielle Annäherung an Alltagssituationen das Gesprächsverhalten des Befragten. Problemzentrierte bzw. narrative Interviews mit Jugendlichen der Schule fanden in der Regel nach dem Ende des Unterrichts in der Schulbibliothek statt. Als Ort wurde eine Nische gewählt, die einerseits die Möglichkeit bot, eine intime und vertrauensfördernde Atmosphäre zu schaffen, andererseits aber den Befragten auch nicht zu sehr vom Schulalltag separierte, da der Bibliotheksbetrieb weiter lief. Als Aufzeichnungsgerät diente ein Diktiergerät, dessen Leistungen wie Defizite dem Befragten demonstriert wurden. 87 Ein Leitfaden, der flexibel und offen gehandhabt wurde88, sollte eine gewisse Kontinuität in der Berücksichtigung von Themen während der Befragung sichern. Er wurde allerdings nur in der Vorbereitung des Gesprächs, nicht während des Interviews selbst eingesetzt, um die Dialogsituation nicht zu beeinflussen. Befragter und Interviewer saßen nicht frontal, sondern diagonal über Eck einander gegenüber. Unter Berücksichtigung des Handlungskontexts erforderte das methodische Ziel der Befragung, eine Verlängerung des Redeflusses beim Befragten zu erreichen, eine Reihe kommunikativer Impulse und Mittel: 84 LAMNEK 1995, II, 103: "[...] dass die Interviewsituation einer Alltagssituation gleichen sollte [Hervorhebung im Original]." 85 Beispiel für ein (rezeptives) Interview bei Spielsitzung: APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 1996-11-02 BT-Chapterfight; 86 Beispiel für ein (rezeptives) Interview auf dem Weg zum Pausenhof: APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-07-01 BC; Interview 2003-02-25 KC 87 Sehr deutlich wurde dabei u.a. die Notwendigkeit einer gewissen Artikulationsdisziplin, die dann die Befragten auch einzuhalten suchten; 88 s. APPENDIZES/ Leitfaden für Interviews; 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 145 Zunächst wurde in der Expositionsphase des Interviews dem Befragten (in einem angemessenen und realistischen Umfang89) die Rolle eines Experten attestiert. Damit korrespondierte der Interviewer in der Rolle des interessierten Zuhörers mit marginaler Selbstdarstellung und Vermittlung einer neutralen, distanzierten, sachlichen Position. Die Passivität und Zurückhaltung des Interviewers durfte beim Befragten natürlich nicht den Eindruck von Desinteresse hervorrufen. Gerade auf affirmative Impulse wie die vom Befragten häufig eingeforderte Solidarisierung musste der Interviewer positiv reagieren. Evokation und Kontrolle des Gesprächsflusses erfolgten über Mittel wie eine affirmative Stimulation, durch Spiegelung von Statements, durch die Aufforderung zur Explikation und Differenzierung. Weitere Techniken waren die offene bzw. relativierende Formulierung oder auch abschnittsweise Zusammenfassung durch den Interviewer, verbunden eventuell mit einer expliziten evokativen oder gar provokativen Interpretation, das Zugeständnis, offensichtlich unangenehme, aber auch unzureichend beantwortete Items zurückzustellen, wie deren späteres, als gemeinsamer Entschluss gefasstes Wiederaufgreifen. Hinzu kam ein sparsames, inhaltlich wie methodisch begründetes Re- Enforcement. Der Vertraulichkeit des Gesprächs geschuldet war auch der Ausschluss einer negativen Sanktionierung der Antworten. Die Verwendung eines dem Befragten adäquaten Sprachstils war selbstverständlich. Hier galt es, einerseits den fachkundigen Zuhörer zu markieren, andererseits aber auch nicht mit einer übertriebenen Verwendung des jugendlichen Jargons unglaubwürdig zu werden. Gerade beim problemorientierten Interview galt es auch, nicht schon in der Gesprächsführung durch die Verwendung wissenschaftlicher Terminologie und der ihnen zugrundeliegenden Verstehensmodelle suggestiv eine Prädeterminierung in der Darstellung der Phänomene beim Befragten zu evozieren. In meta-kommunikativen Phasen des Interviews wurden besonders auch Elemente autonomer Erfahrung des Befragten thematisiert, etwa seine Leistungen in der Gravitierung und Strukturierung der Darstellung. Auswertung und Analyse qualitativer Interviewdaten Die Auswertung der Interviewdaten erfolgte in einem inhaltlich-reduktiven Verfahren der Darstellung und Interpretation. 90 Ausgangspunkt war die korrekte, auch nonverbale Elemente berücksichtigende Transkription des phonetischen Textes, die Anonymisierung personenrelevanter Informationen und die Zuordnung relevanter biografischer bzw. statistischer Daten. Im weiteren Fortschritt der Auswertung kam es zu einer Verdichtung der Interviews anhand thematischer Überbegriffe, denen entsprechende Interviewpassagen zugeordnet wurden.91 Nach Durchsicht der in den Interviews indizierten thematischen Oberbegriffe konnte eine Matrix erstellt werden, aus der einerseits thematische Bandbreite wie thematische Schwerpunkte ablesbar waren. In Verbindung mit der per Theoretical Sampling erarbeiteten typologischen Auswahl der Befragten konnten Präsentationen von Typen als Verdichtung vielfältiger Erscheinungsformen nach übergreifenden Kriterien festgehalten werden, etwa in der Beschreibung der Angebots- und Nutzungsformen. Die weitergehende Analyse der durch die thematischen Überbegriffe lokalisierten handlungsleitenden Themen führte einerseits zur Deutung der alltagskonstitutiven Prozesse (Flow; kollektive Fiktionalisierung), andererseits mit der Identifikation konkreter thematischer Relationen zwischen Medienelementen und symbolischer Interaktion zur Beschreibung einer fundamentalen Semantik als "Tiefenstruktur"92 der in den Interviews von den Befragten geschilderten Interaktionsprozesse. 89 Die Befragten sahen ihre Kompetenzen durchaus kritisch-reflexiv und verwiesen in Bereichen, in denen sie sich nicht kompetent fühlten, auf andere Experten, vgl. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA 90 Vgl. dazu das Verfahren der strukturellen Beschreibung nach HERMANNS 1991 91 Im Gegensatz zu der Forderung LAMNEKs nach weitgehender Offenheit des Analyseprozesses erfolgte eine erste Kodierung des Interviewmaterials mittels "MaxQDA" schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt, vgl. LAMNEK 1995, II, 189, 197 92 Vgl. BACHMAIR 1993, 47; CHOMSKY 1973 (1957); 1969, 165-167; DRINK/ EHRENSPECK/ HACKENBERG 2001 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 146 3.3 Qualitative Analyse von Materialien Methodologische und methodisch-technische Aspekte der qualitativen Analyse von Materialien Alttagspraktische Interaktion beschränkt sich nicht allein auf verbale Kommunikation, sondern basiert – in einem vielfach größeren Ausmaß – auf Performanz, Präsentation und Perzeption wie Rezeption non- sprachlicher Interaktionsinhalte in Form verschiedenartiger Texte.93 Als Text sind demnach alle Zeugnisse menschlicher Interaktion und menschlichen Handelns zu sehen, die dieses Handeln vollständig und als Prozess wiedergeben, also neben den üblichen Tonbandprotokollen auch z.B. ein Jugendzimmer, die gestaltende Bemalung eines Mäppchens durch Schüler etc.94 In einer jugendlichen Subkultur wie der Fantasy-Rollenspiel- Szene sind die Bedeutungen, die diesen Texten zukommen, in der Regel nicht manifest und müssen von den Interaktionspartnern, mehr noch aber vom fremden Beobachter erschlossen werden. Eine Analyse der Interaktionsinhalte zielt dabei auf die "[...] Interpretation symbolisch-kommunikativ vermittelter Interaktion [...]"95. Während der Angehörige der Peer Group wie der Szeneninsider über die notwendigen Kenntnisse aus den zur Anwendung kommenden Symbolräumen bzw. –archiven verfügt, bereitet eine adäquate Bedeutungszuweisung dem Außenstehende erheblich mehr Probleme. Unterstellt man den Texten, dass sie in einem sinnhaften und intentionalen Zusammenhang zu Bedeutungszuweisungen und Interaktenden stehen, so geben sie manifest wie latent Auskunft über die Dispositionen der interagierenden Personen.96 Im Alltag erschließen sich die Jugendlichen die Bedeutungen der Texte in einem hermeneutischen Prozess, der darauf abzielt, "[...] Sinngehalte als solche überhaupt zu erkennen und adäquat [zu] erfassen [...]"97. Eben dieser Prozess muss auch vom Beobachter durchgeführt werden, der allerdings vor der Schwierigkeit steht, als nicht-intendierter Rezipient mit diesen Texten konfrontiert zu werden und deren Bedeutung aus der Beobachtung der Interakteure erschließen zu müssen. Dabei muss er neben manifesten eben auch "latente Sinnstrukturen"98 vermuten, wenn – wie in einer jugendlichen Subkultur üblich – gerade szenenferne Beobachter durch eine spezifische symbolische Gestaltung der Texte mehr oder minder distinktiv ausgegrenzt bleiben sollen. Die Sinnhaftigkeit der hier untersuchten Texte für die Jugendlichen ergab sich schon aus der Intensität ihres Umgangs mit ihnen. Allerdings kann auch eine reflektierende Betrachtung dieser Texte durch die Jugendlichen selbst nicht unbedingt garantieren, dass die eigentlichen Bedeutungen benannt und erkannt werden. Den Jugendlichen fehlte dazu manchmal ein Vokabular und eine Terminologie, oder die Texte eigneten eine Intimität, die eine Verbalisierung nicht zuließ. Die Erhebung der Texte erfolgte schon aufgrund der kontextuellen Bedingungen in sehr unterschiedlicher Weise: Gerade in den Beobachtungsphasen wurden die Texte weitestgehend rezeptiv erfasst, in der teilnehmenden Beobachtung geschah die Präsentation der Texte z.B. in wenig vorhersehbaren Situationen, und auch eine reflektierende Nacherhebung war nur selten möglich. Die Texte, die so empirisch unintendiert erhoben werden konnten, stehen gleichwohl für eine wesentliche und manifeste Interaktion der Jugendlichen in ihren Alltagskontexten.99 In einem Versuch, ihrer Vielfalt wie ihrer individuellen Gestaltung und Bedeutungszuweisung Ausdruck zu verleihen, beschreibt sie BACHMAIR auch als Medien-, Text- und Ereignisarrangements100, die konstitutive Elemente jugendlicher Identitätsfindung und Alltagsgestaltung sind. 93 Noch engführend LAMNEK 1995, II, 369: "Daher ist ein Text ganz allgemein jede Form aufgezeichneter sprachlicher Kommunikation." Dagegen: FISKE 1989, 43; CHANDLER 2002, 157-172; 244-245 94 Vgl. BACHMAIR 1993, 49; BACHMAIR 2001, 235 "persönliche Ereignisarrangements"; 95 LAMNEK 1995, II, 173 96 BUDE differenziert dabei einen latenten, unbewussten sinnstiftenden Einfluss der Lebenskonstruktion auf das konkrete Alltagshandeln ("[...] die verborgene, aktuell nicht zur intentionalen Verfügung stehende Erzeugungsweise subjektiven Lebensgeschehens [...]") von einem Alltagshandeln, das sich seines referentiellen Sinns in der konkreten Erfahrung vergewissert ("[...] die erfahrungsmäßige Vergewisserung der sinnhaften Relationen der subjektiven Lebensäußerungen [...]"; BUDE 1984, 11), d.h. neben die bewussten, individuell wahrgenommenen Sinnstrukturen treten objektiv weitere, unbewusste des Individuums; 97 LAMNEK 1995, II, 175 98 LENSSEN/ AUFENANGER 1986, 125 99 ATTESLANDER 1975, 72: "Akzidentale Dokumente"; zu denken sind insbesondere Texte, die nur mittelbar Fantasy-Rollenspielen zuzuordnen sind, aber zugleich Identität repräsentieren: Musik-CDs und deren Cover, Handy (Schale, Logo, Klingeltöne), Habitus, Medienrezeptionserlebnisse etc.; 100 BACHMAIR1996, 36: "Medien-Arrangement"; BACHMAIR 2001, 235: "persönliches Ereignisarrangement"; 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 147 Andererseits konnten diese Texte durchaus auch gerade in der Befragung der Jugendlichen systematisch thematisiert und reflexiv betrachtet werden, etwa indem eine Auseinandersetzung mit ihnen implizit wie explizit beim Interviewpartner evoziert wurde.101 Bei der Erhebung und Analyse von Texten stimmen quantitatives und qualitatives Paradigma in Gegenstand und wissenschaftlichen Kriterien wie Objektivität und Systematik weitgehend überein. Lange vor der wissenschaftlichen Rezeption des symbolischen Interaktionismus MEADs operiert auch die quantitativ dominierte Soziologie mit einem offenen Textbegriff. BERELSON spricht von "[...] (verbalen, musikalischen, bildlichen, plastischen und geistigen) symbolischen Bedeutungen [...]"102 und fasst damit den Gegenstand weiter als mancher Vertreter des qualitativen Paradigmas.103 Wird weiterhin der intersubjektive Nachvollzug zur Kontrolle der explizierten und operationalisierten Begriffe ermöglicht und der Erhebungs- wie Analyseprozess systematisch gestaltet, werden wichtige Anforderung an Wissenschaftlichkeit erfüllt. Selbst eine auf "Repräsentativität"104 zielende Reduktion des Erhebungsbefundes kann in beiden Paradigmen beobachtet werden. Zwar besteht eine quantitative Analyse grundsätzlich auf das Manifestative der Phänomene, andererseits leugnet man nicht die Existenz latenter Sinnstrukturen und ist sich bewusst, dass z.B. wesentliche strukturelle Voraussetzungen der Interaktion mit Texten nicht manifest werden. Eine quantitative Textauswertung wurde u.a. herangezogen zur thematisch bzw. genre-orientierten Sichtung von Fanzines105. Ebenfalls quantitativ konnte die Entwicklung und Ausweitung des Fantasy-Rollenspiel-Angebots aufgezeigt werden.106 Die Grenzen derartiger Verfahren werden allerdings auch schnell deutlich, wenn sie z.B. Evidentes nur bestätigen oder aber zwar signifikante Veränderung markieren, aber keinen Einblick in die hinter der Faktizität stehende Handlungskontexte gewähren. Zu deren Erschließung bedarf die quantitative Analyse der qualitativen Ausweitung besonders bei der interpretativen Auswertung des Befundes. Allerdings bleibt bei einem derartigen Vorgehen der quantitative Primat gewahrt.107 Qualitative Analyseverfahren kamen besonders bei Texten zur Anwendung, die sich traditionellen Materialzuordnungen entziehen, also etwa unkonventionelle Objekte des Fantasy-Rollenspiel-Angebots wie Spielboxen, Miniaturen, Spielpläne, weiter deren individuellen Ausgestaltungen und Weiterentwicklungen wie Bemalung und Modifizierung der Miniaturen, Skizzen für Non-Player-Character (NPC), Szenarien, Landschaften und Orte als Planskizzen oder Diaramen etc. Texte dieser Art dienen den Jugendlichen zur Präsentation ihrer Identität sich und anderen gegenüber und besitzen deshalb eine intime Affinität zu ihrer Persönlichkeit. Diese Funktion nehmen auch weitere Texte aus dem weiteren Feld jugendlicher Subkulturen wahr, besonders deutlich dann, wenn sie an die Grenzen heteronomer Ansprüche an den Jugendlichen markieren wie etwa die individuell gestalteten Schüleretuis oder Buch- und Heftmalereien, dann aber auch Präsentation und Nutzung privater elektronische Medien, die ostentative Darstellung eines distinktiven Musik- und Stilgeschmacks oder die vielen Signale, die der Kleidung und dem Habitus des Jugendlichen zu entnehmen sind. Zu dieser Gruppe von Texten gehören auch die komplexen Arrangements von Kontexten durch Jugendliche. Für die Analyse und Interpretation derartiger Texte bieten sich u.a. hermeneutische Verfahren der Sprach- und Literaturwissenschaft wie der Geschichte an, die diese Disziplinen gerade für unkonventionelle Formen von Texten ausgearbeitet haben: Verfahren der Film- und Medienanalyse108, der Quellenanalyse und –interpretation in der Alltags-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte. 109 101 Vgl. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-02 NS 102 BERELSON 1954, 488 103 LAMNEK z.B. operiert mit einem Text-Begriff, der sich an den Quellendefinitionen der Historiographie zu orientieren scheint ("Dokumente, Akten, Zeitungsartikel") (LAMNEK, II, 1995, 184) bzw. mit SCHÜTZEs Einschränkung auf Texte: "[...] als schriftliches Protokoll alltagsweltlicher sprachlicher Kommunikation." (SCHÜTZE 1977, zit. n. LAMNEK, II, 1995, 184) 104 LAMNEK 1995, II, 182: Der Begriff zielt auf eine Beschreibung der Phänomene als Manifestationen eines Typus, im Gegensatz zur Repräsentanz als Manifestation eines statistisches Mittels oder Durchschnitts; 105 Vgl. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung MechWarrior 1999-14-QuantAnalyse, Feldbeobachtung MechWarrior 1999-14-QualAnalyse; 106 Frequenzanalyse bzw. Dokumentenanalyse nach intervallskalierten Variablen; s.a. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung Neuerscheinungen FRPG 1975_2002 107 LAMNEK verwahrt sich gegen eine derartige Abwertung qualitativer Analyse als Hilfswissenschaft, LAMNEK 1995, II, 198 108 KUCHENBUCH 1978; OEVERMANN 1979 109 Dagegen: LAMNEK 1995, II, 181: "Weil die Geschichts- und Literaturwissenschaft mit den hermeneutischen Methoden der Inhaltsanalyse dem heutigen methodischen Standard in der Soziologie – auch qualitativer Inhaltsanalyse – nicht gerecht werden kann [...]"; 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 148 Die Bedeutung rezeptiv und auch unintendiert erhobener Texte für eine Interpretation jugendlicher Alltagskonstitution muss wie oben aufgezeigt recht hoch eingeschätzt werden: "Objekte beeinflussen die Möglichkeiten des Menschen entweder durch Erweiterung oder durch Einengung des persönlichen Horizonts von Denken und Handeln. Und weil jemandes Tun zu weiten Teilen seine Persönlichkeit ausmacht, kann man sagen, dass Objekte einen determinierenden Einfluss auf seine personale Entwicklung haben. Deshalb ist es so entscheidend, die zwischen Menschen und Dingen existierende Art von Beziehung zu verstehen." 110 Rezeptiv erhobene Texte aus dem Alltagshandeln von Jugendlichen der Fantasy-Rollenspiel-Szene lassen demnach Rückschlüsse auf deren Bedeutungszuweisungen und damit auf deren Sinnstrukturen und letztlich Identität zu. In ihnen repräsentiert sich auch die Biografie ihrer Besitzer, indem die sie prägenden Ereignisse in den Texten kondensiert und archiviert werden.111 Texte sind neben anderen Elementen wie Medien und Ereignissen die Grundlage eines "kulturellen Gedächtnisses"112, indem die Identitätsfindung einerseits geschieht und das andererseits als Resultat eines Kultivationsprozesses entsteht. Im Gebrauch dieser Texte lä sst sich – eventuell authentischer als in einer reflexiven Kommunikation mit den Jugendlichen – ebenfalls eine Tiefenstruktur entdecken, die ihrer Alltagspragmatik zugrunde liegt. Die Anwendung im Feld Die Fülle dieser Texte wie ihre komplexen Arrangements verlangen nach einem Theoretical Sampling. Dieses orientiert sich am Grad personaler Affinität (etwa als ästhetische Gestaltungen der Jugendlichen wie Schüleretuis, Charakterbögen, NPC- bzw. Kontextkonstruktionen, Miniaturen) vs. Texte des weiteren bzw. kommerziellen Angebots (Illustrationen, Fantasy-Rollenspiel-Materialien, CDs, CD-Cover etc., am Grad der Verbreitung (individuelle vs. allgemeine Nutzung) und der Häufigkeit (Unikate bzw. Rares vs. Massentexte) und zielt darauf, die Bedeutung dieser Texte für die Aneignungs- und Entäußerungshandlungen der Jugendlichen repräsentativ-typologisch aufzuzeigen. Als Texte wurden insbesondere zu einer Auswertung herangezogen eine Reihe von Schüleretuis, die ein pragmatisches Gestalten von Objekten im Alltag demonstrieren.113 Analysiert wurden, soweit sie zur Verfügung gestellt wurden, auch Charakterbögen und NPC-Konstruktionen, welche teilweise doch sehr private Einblicke in die fiktionalen Konstruktionen und die Bedeutungs- und Subjektkonstitution der Jugendlichen ermöglichten. 114 Naturgemäß waren diese Materialien denn auch relativ selten zu erhalten. In den Interviews wurden die Jugendlichen auch gebeten, ihre Zimmer als Environment zu beschreiben. Allerdings fielen diese Schilderungen oft meist wenig plastisch aus, weil die Jugendlichen eben ihre Bude praktisch nutzen und nicht analysieren. So fiel ihnen die Beschreibung dessen, was sie als normal, d.h. alltäglich empfanden, doch oft schwer.115 Ebenfalls Beachtung fanden die vielfältigen Materialien, welche geeignet schienen, die Imagination der Jugendlichen zu beeinflussen, also Illustrationen auf Spielboxen, im Spielmaterial, auf CD-Cover etc.116 Parallel zur Untersuchung der Charakterbögen wurden auch die weitgehend selbst gestalteten Mech-Miniaturen der "Battletech"-Szene und ihre Bindung an die Jugendlichen untersucht. Im Datenerhebungsverfahren wurden die Materialien– so weit wie möglich – zunächst fotografisch gesichert, in einigen Fällen konnten sie auch als Exponate erworben werden. In einer ausführlichen Beschreibung ("Verschriftlichung"117) wurden ihre Inhalte und Sinngehalte dann erfasst. Angesichts des Umfangs der vorliegenden Materialien wurde dieser Vorgang an weiteren Materialen wiederholt, um Referenzen und Typisches zu ermitteln. 110 Vgl. dazu: CSIKSZENTMIHALYI/ ROCHEBERG-HALTON 1998 (1981), 62; 20-54; CHARLTON 1993, 18 111 ARENDT 1981, 87-88 112 MÜLLER 2004, 11; MIKOS 2003 113 Vlg. APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.3-4 – 1.3-20; Feldbeobachtung 3050-15-Mäppchen 114 Konvolut Materialien BC, z.B. APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.8-11; /Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 1996-12-13 BC Minotaurus-RS- Monsterbogen 115 Vgl. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 91-100 116 Vgl. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung BT Battlespace Game Set; Feldbeobachtung Sepultura Chaos AD Analyse; 117 BACHMAIR 1993, 50 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 149 Die Analyse erfolgte teils quantitativ, z.B. als Frequenz- oder Intensitätsanalyse, teils qualitativ, zunächst in einer Auswertung der evidenten symbolischen Objektivationen. Diese konnten in bestehenden wissenschaftlichen Theorien verortet werden. Demnach stellen diese Texte, und dies weitgehend unabhängig davon, ob sie eigenständig geschaffen, aus einem kommerziellen oder informellen Angebot erworben oder weiter gestaltet worden sind, wesentliche Elemente jugendlichen Entäußerungshandelns dar, indem sie sich und anderen nicht allein Bedeutungszuweisungen, sondern auch Identitätskonzepte vorstellen. 118 Diese Resultate wurden dann mit Kommentaren der Jugendlichen und ihren Bedeutungszuweisungen verglichen. Allerdings gelang es den Jugendlichen nur selten, das Selbstverständliche, das ihnen in den Materialien angelegt schien, auch explizit sprachlich zum Ausdruck bringen zu können. In vielen Fällen ergaben sich Allgemeinplätze bzw. auch Banalitäten. Bei einem zu forcierten Nachfragen drohte andererseits die suggestive Vorgabe von Interpretationen durch den Interviewer.119 Die Deskription des Erhebungsbefundes stellt methodologisch eine weitere wichtige Reflexionsstufe dar. Aus der Trias Deskription, Interpretation und Referenz bzw. Typologisierung ergaben sich dann Hinweise auf latente Tiefenstrukturen, die zur Explikation des alltagspragmatischer Handelns der Jugendlichen beitrugen. Insbesondere konnten handlungsleitende Themen erkannt werden, welche - den Jugendlichen weitgehend unbewusst - konkret ihre Gestaltung von Alltag und Lebenswelt beeinflussen.120 3.4 Beschreibung der beobachteten Gruppe von Jugendlichen Die Untersuchung basiert auf konkreten und gesicherten Beobachtungen zu insgesamt 86121 Personen. Diese Personen waren über das Vorhaben und die mit der Beobachtung verbundenen Absichten informiert, zugleich wurde ihnen Anonymität zugesichert. Die Einwilligung in die Aufzeichnung der Beobachtung wurde stets explizit erbeten. Infolge der Untersuchungsbedingungen konnte das Verhalten einer Reihe von Jugendlichen nur rezeptiv aufgezeichnet werden.122 Theoretical Sampling Die Auswahl der Untersuchungsgruppe erfolgte als Theoretical Sampling123. Ziel war dabei eine möglichst wirklichkeitsadäquate Erfassung eines mehr oder minder hermetischen sozialen Phänomens in seinen typischen Repräsentanten. Dabei rekurrierte die Untersuchung auf Peer Groups von pubertären bzw. adoleszenten männlichen Jugendlichen, die sich auf das Spiel von Fantasy-Rollenspiel konzentrierten bzw. sich um dieses Spiel organisierten. Grundlage des Theoretical Sampling waren zu Beginn persönliche Kontakte zu einzelnen Jugendlichen, deren Affinität zu Fantasy-Rollenspielen bekannt war. Mit dem Bekanntwerden der Untersuchung im Beobachtungsfeld kam es auch immer wieder zu einer Kontaktaufnahme seitens der Jugendlichen. Aus den Gesprächen mit den Jugendlichen ergaben sich dann weitere, oft persönlich vermittelte Kontakte, insbesondere zu Spielern mit besonderen Kompetenzen wie etwa Experten und Spielleitern. Die Vermittlungsbemühungen der Jugendlichen entsprangen oft sich selbst attestierten Unzulänglichkeiten und Defiziten im Bezug auf Sachkenntnis und Spielpraxis, die durch den Kontakt mit Autoritäten der Szene kompensiert werden sollten. Mit Beginn der teilnehmenden Beobachtung konnte das Sampling auch von meiner Seite auf Treffen und Veranstaltungen vorgenommen werden. Auch hier war das Ziel, eine angemessenen Vertretung der unterschiedlichen jugendlichen Lebensformen innerhalb des jeweiligen Fantasy-Rollenspiel-Segments zu finden. Aus der laufenden Feldbeobachtung ergaben sich als relevante Fantasy-Rollenspiele - neben einer großen Zahl weiterer - in der Alltagspraxis der im Laufe der Untersuchung beobachteten Jugendlichen die Spiele "Magic: 118 CSIKSZENTMIHALYI/ ROCHEBERG-HALTON 1998 (1981), HENGST 1997 119 Vgl. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-02 GS 120 CHARLTON/ BACHMAIR 1990 121 Vgl. APPENDIZES/ Klientel-Übersicht 122 Rezeptiv gesichert wurde das Verhalten von 44 Jugendlichen; 123 LAMNEK 1995, I, 238-239; LAMNEK II, 1995, 92: "Das Ziel qualitativer Forschungsarbeit [ist], im Gegensatz zur quantitativen Methodologie nicht die Häufigkeit bestimmter Handlungsmuster, sondern ein möglichst zutreffendes Set der relevanten Handlungsmuster in einer sozialen Situation herauszufinden [...]." 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 150 The Gathering", "Battletech" und "Das Schwarze Auge"124. Erfolgte die Auswahl der Klienten zunächst noch unintendiert nach zufälligen Auffälligkeiten, wurde im weiteren Verlauf gezielter nach Jugendlichen gesucht, die eines dieser drei oder auch mehrere Spiele spielten und bereit waren, den Beobachter dabei teilnehmen zu lassen und, wenn möglich, weiter auch im Interview das eigene Spielverhalten zu reflektieren. Die spielinterne hierarchische Struktur ließ es weiter dann sinnvoll erscheinen, nach Repräsentanten der verschiedenen Kompetenzebenen zu suchen: Novizen bzw. Rekruten (Rookies), Spieler (Gamer/ User), Spielmeister (Master). Das Sample näherte sich dabei den klassischen Rollenverteilungen der Spielsitzungen an. Die Affinität der beobachteten Spiele zu den psychischen Entwicklungsstufen der Jugendlichen führte zu einer bewussteren Auswahl von Jugendlichen bestimmter Altersgruppen: in der Pubertätsphase dominierte "Magic: The Gathering"; beim Übergang zur frühen Adoleszenzphase "Battletech", in der eigentlichen Adoleszenzphase "Das Schwarze Auge"), zum anderen zur Beobachtung der Fortentwicklung der betreffenden Jugendlichen über ihr anfängliches Entwicklungsstadium hinaus als sich entwickelnde (Spieler-) Biografien. Von den Jugendlichen agierten 2 auf einer bundesweiten Funktionärsebene, 13 waren primär als Spielleiter in FRPG tätig, 35 von ihnen stellen den Typus des normalen Gamer vor. 19 Jugendliche kann man wegen ihrer außergewöhnlichen fachlichen Kompetenzen zudem als Experten bezeichnen. Von den Jugendlichen wurden folgende weiteren Spiele betrieben (Mehrfachnennungen möglich): "Adventures of Dungeons and Dragons" (AD&D): 22125, "Das Schwarze Auge" (DSA): 17, "Shadowrun": 19, "Middle Earth Role Playing" (MERP): 1, "Battletech" (BT): 19, PC-Fantasy-Rollenspiele: 8; "Magic: The Gathering": 11; Ego-Shooter mit Halflife-Engine (Mods wie etwa "Counter-Strike" etc.): 16126, "Warhammer 40 K": 2; "Life Action Role Playing" (LARP): 1; da eine explizite Nachfrage gerade in rezeptiven Situationen der Datenerhebung nicht möglich war, muss man die individuelle Kenntnis einer Vielzahl weiterer, nicht genannter Spiele annehmen. Aus diesem Sample können und sollen weder Rückschlüsse auf die Gesamtheit der Fantasy-Rollenspieler gezogen, noch irgendwelche Zusammenhänge statistisch bestimmt werden, da es sich nicht um eine repräsentative Auswahl handelt. Evidente Korrelationen bestehen bei einer Betrachtung der untersuchten Gruppe wohl zwischen der Anzahl der genannten und betrieben Spiele und dem Kompetenzstatus des jeweiligen Spielers: Wer viel spielt, kennt sich auch aus.127 Andererseits gibt es auch den einseitig auf ein Spiel fixierten Spezialisten, besonders auch unter den PC-Spielern. Ein hoher Kompetenzstatus führt weiter nicht unbedingt zu einer autoritativen Position etwa als Spielleiter, viele Spieler mit vergleichbaren Kompetenzen lehnen eine derartige Aktivität ab, sind allerdings bereit die Spielleiter mit ihrem Fachwissen zu unterstützen. In der untersuchten Klientel dominieren immer noch - angesichts der Attraktivität von PC-Derivaten und PC-Spielen128 überraschend - die genuinen Fantasy- Rollenspiele (44) vor den eine Action fokussierenden Spielvarianten (29), doch muss dabei bedacht werden, dass es üblich ist, in beiden Domänen zu spielen. Gender Wie in anderen Subkulturen (Streetsport-Szene; Rap/ HipHop; PC-Spiele) ist auch in der Fantasy-Rollenspiel- Szene eine geschlechtsspezifische maskuline Eindimensionalität zu beobachten. Wie aber die Beispiele anderer Subkulturen zeigen, kommt es auch dort im jugendlichen Alltag durchaus zu geschlechtsspezifischen Monokulturen. 129 Die Fantasy-Rollenspiel-Szene zeigte sich denn auch generell in der Alltagswelt als maskulin dominiert130. 124 Zum Angebot an Fantasy -Rollenspielen s. KAP 4 FRPG – Angebot eines Medien-, Text- Ereignisarrangements; 125 Die hohe Zahl der Nennungen von AD&D beruht auf einem Projektangebot für Anfänger anlässlich von Projekttagen und ist damit wenig typisch, denn in der Regel bevorzugen die Jugendlichen das wesentlich komplexere und auch deutschsprachige DSA; 126 Ego-Shooter bzw. 3-D-Shooter basieren auf verschiedenen Quellcodes, sog. Engines, wie "Halflife", ursprünglich ein Konsolenspiel, das im Augenblick selbst in den Versionen "Halflife" und "Halflife 2" wie in 5 Mods auf dem Markt ist: "Counter-Strike", "Team Fortress", "Opposing Forces", "Day of Defeat", "Blue Shift"; 127 Korrelationskoeffizent: 0,3966; 128 Vgl. KAP 4 .3 Formate; 129 SCHWIER 1997; BÄRNTHALER 1998; VOGELGESANG 2003 130 Vgl. DOUSE/ MCMANUS 1993, 505: "Most players were male." 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 151 Aus der Typik des Sets ergibt sich auch der Verzicht, gezielt nach weiblichen Teilnehmern in der Fantasy- Rollenspiel-Szene zu suchen, die etwa im universitären Bereich für Fantasy-Rollenspiele und Life-Action- Rollenspiele in einer höheren Zahl zu finden sind als etwa im schulischen Bereich. Auch auf den diversen Veranstaltungen konnten weitere Mädchen bzw. Frauen als Fantasie -Rollenspielerinnen bzw. Begleitung von Fantasy-Rollenspielern beobachtet werden, sie bildeten allerdings immer eine deutliche Minderheit. Bei dem engeren Kreis der beobachteten Personen handelt es sich um 81 männliche und 1 weibliche Jugendliche bzw. junge Erwachsene. Mit 2 Müttern von Jugendlichen wurden ebenfalls Gespräche geführt. Alter Das Alter der Jugendlichen beträgt zwischen 13 und 26 Jahren. In der eigentlichen Beobachtungsphase waren die meisten Jugendlichen (auch in Konkordanz zum praktizierten Spiel) zwischen 13 und 19 Jahren alt. Nach den bisherigen Studien zur Fantasy-Rollenspiel-Szene scheint die an der Schule beobachtete Fantasy- Rollenspiel-Szene in gewisser Weise weniger typisch in ihrer Altersstruktur zu sein, weil vergleichsweise jung. 131 Fantasy-Rollenspiele haben eine ausgedehnte post-adoleszente Klientel insbesondere an den Universitäten, in welche die Spieler auch dieser Untersuchung mittelfristig hineinwachsen. Dort existieren neben der klassischen Fantasy-Rollenspiel-Szene auch eine Life-Action-Rollenspiel-Szene und weiter spezielle Cliquen für textorientierte Fantasy-Rollenspiel-PC-Spiele mit einer entsprechend hoher Affinität zu Informatik. 132 Typisch scheint auch die relativ hohe Anzahl von Studenten der Naturwissenschaften in der Szene zu sein. Bei der Konzentration von Fantasy-Rollenspielern an den Universitäten spielt natürlich auch die freiere Zeitgestaltung der Studenten im Vergleich zu ihren sich noch in der Schule und Ausbildung befindlichen bzw. berufstätigen Altersgenossen eine gewisse Rolle. Bildung und Soziale Herkunft Bis auf wenige Ausnahmen streben die beobachteten Jugendlichen in der Regel eine höhere bzw. gymnasiale Schulbildung an oder haben eine solche schon erworben bzw. befinden sich in einem Studiengang. Auch hierin stimmt die untersuchte Gruppe der Jugendlichen mit den Erkenntnissen anderer Untersuchungen überein133. In der rezeptiven Beobachtung auf Events im Zusammenhang mit "Battletech" konnten allerdings auch andere Bildungsabschlüsse und Sozialbiografien wahrgenommen werden: Manche Chapter hatten einen erheblich höheren Anteil an Jugendlichen in einer Berufsausbildung bzw. an Berufstätigen. Inwieweit Bildungswege wie –abschlüsse sich distinktiv bzw. integrativ innerhalb der Subkultur auswirken, kann nicht beantwortet werden, die grundsätzliche sozialbiografische Mischung der Gruppen spricht für eine integrative Wirkung mit Vernachlässigung von Statuskennzeichen, die vom Gegenstand, den Spielen, selbst wohl ausgeht; die faktische Dominanz bildungsbürgerlicher Ausbildungswege dagegen spricht eher für eine distinktive Funktion. Eine Reihe weiterer, neutraler Faktoren mögen allerdings ebenfalls zu diesen Strukturen beitragen: Die zeitliche Freistellung des Schülers bzw. Studenten im Vergleich zum Berufsanfänger bzw. Berufstätigen, das auf interpersonalen Beziehungen basierende Casting von Eleven und Rekruten mit einer Tendenz zur Perpetuierung der Gruppenstrukturen, die in schulischen und universitären Freiräumen eher möglichen Momente des Rückzugs und der Intrakommunikation etc. Eng mit den Bildungsaspekte verbunden ist die soziale Herkunft der Jugendlichen. Für den überwiegenden Großteil von ihnen ist ein bildungsbürgerlicher bzw. kleinbürgerlicher Hintergrund zu vermuten.134 Allerdings 131 Vgl. dazu: HONEY 1988; SALZMANN 1988; ROSENTHAL 1998; SOMMER 1999; zur Abgrenzung von Kindheit und Jugend vgl. BACHMAUR 2002; HENGST 2003; SCHULZE 1996, 366-372 132 2002/ 2003 werden z.B. am Fachbereich 18 Physik der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz: in der klassischen FRPG-Szene "Magic", DSA, AD&D, "Midgarth", "Shadowrun" gespielt; eine Gruppe von ca. 20 Studenten trifft sich an Wochenenden zum LARP "Vampire – The Masquerade"; vgl. dazu auch: DOUSE/ MCMANUS 1993, 506: "Fantasy games often use computers extensively, and it is therefore not surprising that players tend to be male since 'computer addiction' is primarily a male preserve." 133 Vgl. DOUSE/ MCMANUS 1993, 506; SCHULZE beobachtet bei seinen Bemühungen, konsistente Kollektive zu erkennen und zu beschreiben u.a. zwei Formen von Inkonsistenz: eine sozialisationsbedingte mit einer Orientierung an Stiltypen älterer Milieus, hier etwa das Niveau- bzw. Integrationsmilieu des bildungsbürgerlichen Elternhauses, und eine aufwärtsorientierte Orientierung an Stiltypen bildungshöherer Milieus, hier etwa ebenfalls das Niveau- und Integrationsmilieu des kleinbürgerlichen Elternhauses, SCHULZE 1996, 382-386 134 Die meisten der Jugendlichen sind Schüler eines privaten katholischen Gymnasiums. Im Gegensatz zu staatlichen Schulen haben in Rheinland-Pfalz Privatschulen trotz ihres Status als "staatlich anerkannte Ersatzschulen" das Recht, Schüler nach ihren eigenen Kriterien auswählen und eventuell auch mit geeigneter Schullaufbahnempfehlung und gegen den Elternwillen ablehnen zu können. Dies führt, auch wenn explizit bestimmte soziale 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview und qualitative Materialanalyse 152 sind auch in dieser sozialen Schicht mittlerweile Normalbiografien eher seltener geworden, eine Reihe von Jugendlichen entstammt Rumpffamilien mit allein erziehenden Müttern mit entsprechenden Konsequenzen für sozialen und materiellen Status wie familiale Pädagogik. Dennoch werden bürgerliche Traditionen und Zielprojektionen von den Jugendlichen praktisch kaum hinterfragt. Indiz dafür ist die hohe Konformität der beobachteten Jugendlichen etwa in Umgangsformen und Kleidung an die Forderungen von Elternhaus und Schule. Selbst emanzipatorische Akte wurden von den Jugendlichen eher als vorübergehende, identitätsfördernde Phasen verstanden, die um so schneller wieder die Reintegration in eine traditionelle Biografie ermöglichen. Konstellationen (z.B. alleinerziehende Mutter; Krankheitsfälle etc.) besonders berücksichtigt werden, zu einer letztlich doch sehr homogenen Eltern- und Schülerklientel, s. http://www.willigis-online.de/wghome (Schwerpunkte) [01.03.2004] 153 4. Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text- und Ereignis-Arrangement als Angebot "Welch eine herrliche Gabe ist nicht die Phantasie, und welchen Genuss vermag sie zu gewähren!" 1 Zentrales Ereignis jugendlichen Alltags: Fantasy Role Playing Games (FRPG) Bei ihrer Gestaltung von Alltag und Lebenswelt entwickeln Jugendliche ein "persönliches Ereignisarrangement"2 aus Medien bzw. Medienangeboten, Texten jeder Art und Ereignissen, mit dem sie sich mit sich selbst und anderen über ihre Subjektkonstitution verständigen. Das zentrale Ereignis, das die Arrangements der hier untersuchten Jugendlichen dominiert, ist das Spiel mit einem besonderen Genre: den Fantasy-Rollenspielen. Dieses Spiel scheint für eine Reihe von Jugendlichen von solcher Attraktivität, dass es nicht nur zum Fokus eigenen gestaltenden Handelns wird, sondern in der Summe des Entäußerungshandelns zu einem gesellschaftlichen Phänomen, das sich als jugendkulturelles Segment, als Szene, manifestiert. Auf dieser Stufe entwickeln sich im gemeinsamen Handeln der Jugendlichen Strukturen, die einerseits wie z.B. Skripts auf ihr individuelles Handeln zurückwirken und es beeinflussen, andererseits aber auch über die engere soziale Formation hinausreichen und sie gesamtgesellschaftlich in unterschiedlicher Form etablieren. Unter anderem kommt es über die Beobachtung dieser jugendlichen Subkultur auch zu Prozessen einer Antizipation jugendlicher Bedürfnisse durch den Markt, die ebenso auf deren Befriedigung wie deren Evokation zielen. 3 Die Jugendlichen können deshalb bei diesem Gestaltungsprozess aus einem umfassenden, hochkomplexen und ausdifferenzierten Angebot4 die ihnen dazu notwendig scheinenden Elemente entnehmen, sich individuell aneignen und nutzen. Gleichzeitig nehmen sie mit der Verwendung und Präsentation dieser so modifizierten Angebote auf die Entwicklung des Angebots selbst wieder Einfluss5. Die Angebotspalette FRPG stellt für die Jugendlichen dieser Untersuchung die zentrale Bibliothek für ihre Konstitutionsprozesse dar. Im folgenden wird versucht, dieses Angebot darzustellen und zu strukturieren, um im sich anschließenden Kapitel die jugendlichen Nutzungsformen dieses Angebots zu untersuchen. Was ist unter (Fantasy) Role Playing Games (RPG) zu verstehen? Mitte der 60er Jahre werden als ein Element der neuen Jugendbewegung (Flower-Power-Generation) in den USA an den Universitäten und Hochschulen kollektive sozio-psychotherapeutische Verfahren populär.6 Bei MORENO z.B. sind Rollenspiele wesentlicher Bestandteil seines Konzeptes einer Gruppenpsychotherapie, deren besondere Wirkung auf einer antizipativen Aufarbeitung potentieller realer Konfliktsituationen in Interaktionskollektiven beruht.7 In den 70er Jahren werden dann Elemente vom MORENOs Triade mit fiktionalen Inhalten kombiniert bzw. zusammengeführt. Es entstehen dabei erste (non-therapeutische) Role Playing Games. Im RPG interagieren die Beteiligten mit fiktionalen, d.h. von ihnen gestalteten Identitäten (Rollen) in ebenso gestalteten Räumen und Kontexten. Mit dieser Interaktion generieren sie selbstreferentielle und dynamische Handlungen (Fiktionen). Räume und Kontexte sind zunächst offen, verdichten sich dann aber mit der Entwicklung der Fiktion zu mehr oder minder ausgearbeitete Szenarien. Sie können dabei jeder nur denkbaren Thematik entspringen. Situativ wie normativ regulieren sie die Interaktion und die Ausgestaltung der beteiligten 1 MANN 1985, 15 2 BACHMAIR 2001, 235 3 Zum Begriff des Arrangements vgl. BERGER/ LUCKMANN 2001, 24; BACHMAIR 1996; BACHMAIR 2001, 235: "Kulturinszenierungen" (makrosoziologische Angebotsdimension/ Aneignung) und "Persönliche Ereignisarrangements" (mikrosoziologische Nachfragedimension/ Entäußerung); 4 Vgl. SCHULZE 1996, 417: "Erlebnismarkt"; 5 Vgl. SCHULZE 1996, 417-457; BERGER/ LUCKMANN 2001, 72-76: "Sedimentbildung und Tradition"; CHARLTON/ BACHMAIR 1990 6 In der Auseinandersetzung mit Tradition und Reaktion – Stichworte: kulturelle Dominanz der White Anglo -Saxon Protestants; retardierende Modernisierung der US-Gesellschaft in der Phase der Johnson-Administration; Eskalation der Rassenproblematik; Ausweitung des Vietnam-Kriegs - entsteht erstmals in einer modernen Gesellschaft der Übergang zur Beziehungswahl als Grundlage von jugendlichen Existenzformen (SCHULZE 1996, 277). Damit einher geht eine umfassenden Trivialisierung und Popularisierung vieler Spielarten individueller wie kollektiver psychotherapeutischer Verfahren (u.a. FREUD, JUNG, ROGER, MORENO), die im eigentlichen Sinn zu Autotherapien werden. Einen vergleichbaren zeitgenössischen Prozess der Suche nach individueller gelingender Lebensgestaltung kann man in der Attraktivität östlicher und fernöstlicher Religionen oder aber im Konsum sog. bewusstseinserweiternder Drogen sehen, vgl. GILCHER-HOLTEY 2001 7 MORENO unterscheidet eine triadische Aktionsmethode von Psychodrama, Soziometrie und Gruppenpsychotherapie, vgl. dazu: PSYCHODRAMA HELVETIA 2001 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 154 Rollen. Räume und Kontexte verändern und entwickeln sich weiter in der Interdependenz mit der Interaktion den fiktionalen Identitäten der beteiligten Spieler. Diese fiktionalen Identitäten können zu Beginn des Spiels noch mehr oder minder frei gestaltet werden, erfahren aber dann durch ihr Handeln im RPG zunehmend eine spielinterne, determinierte Weiterentwicklung. Mit den RPG verfolgen die Spieler offensichtlich Ziele verschiedener Dimensionen, grundsätzliche Gültigkeit hat aber wohl der Aspekt einer kollektiven antizipatorischen Aufarbeitung von Problemen und Konflikten, welche die Teilnehmer sich und anderen in Form narrativ ausgearbeiteter bzw. auszuarbeitender Fiktionen präsentieren, in die ihre Phantasien einer zu gestaltenden Wirklichkeit ebenso einfließen wie ihre Identitäts- und Interaktionsentwürfe. Unschwer zu erkennen ist das Bedürfnis und die Suche nach Erfahrungen von Kontrolle, Beherrschung, Kompensation von Ohnmacht, aber auch Kreativität und Konstitution mit der ihnen eigenen intrinsische Motivierung. Die Dominanz des Phantastischen in einer Reihe von RGP stellt weniger eine thematische Verengung als vielmehr eine im Sinne der genuinen Fiktionalität des Genre naheliegende Fokussierung dar. In den FRPG erfahren Räume und Kontexte eine spezifische, auf der literarisch-medialen Tradition des Phantastischen beruhende Gestaltung. Dahinter aber verbirgt sich die mentale Struktur des Menschen der postmodernen Gesellschaft: Phantasie in seiner Ausformung als Fantasy und seiner Manifestation in den FRPG ist ein Genre der Postmoderne, das sich von den technischen Utopien bzw. Anti-Utopien der Moderne wie etwa im Science Fiction deutlich unterscheidet.8 Ursprünglich ist das Phantastische als Spielart der Romantik eine Gegenbewegung zum Fortschrittsoptimismus rationaler Ideologien wie Aufklärung und Klassik. 9 Nach Phasen der Stagnation erfährt es durch den Prozess einer stetigen und sich akzelerierenden Durchrationalisie rung der Gesellschaft im Zuge der technisch-szientisch- industriellen Revolution immer wieder eine Revitalisierung. Den Dissoziationserfahrungen in der industriellen Gesellschaft10 der Moderne setzen die Menschen die Gewissheit der Utopie entgegen, welche die Jetztzeit in den Fiktionen einer vergangen bzw. meta -weltlichen (Fantasy) oder zukünftigen Welt (Science Fiction) transzendiert. Dabei spiegeln die Phantasien letztlich die kollektiven Ängste der jeweiligen Epoche. In der fiktionalen Narratio wandelt sich die Ohnmacht des Individuums in heroisches Handeln, die ethische Intransigenz der moderneren Produktionslogik in Tugend, die Konsumptionsarithmetik seines Alltags in einen Prozess der Bewährung und Bestätigung, die tragische Isolation des Individuums in der Massengesellschaft in archetypische Formen der Vergesellschaftung, seine Fremdbestimmung in autotelische Existenz. 11 Die Geschichte der modernen bzw. post-modernen Gesellschaft ist gleichzeitig eine Erfolgsgeschichte des Phantastischen. In seinen trivia lisierten und mediatisierten Erscheinungsformen von Fantasy und Science Fiction wird es vielfach zur Grundlage gerade jugendlicher Transzendierungsprozesse. In ihrer Wirkung ist es vielleicht vergleichbar mit den kollektiven religiösen Phantasien des Mittelalters. Nachdem die Phantastik12 bis in die 70er Jahre von einem dominanten Hochkulturschema als triviales Kulturphänomen abqualifiziert noch um Anerkennung kämpfen musste, expandiert sie heute unter dem Etikett Fantasy in fast alle Bereichen des aktuellen kulturellen Mainstream13 und ist selbst längst schon wesentlicher Bestandteil der Kulturindustrie. Seit ihrem Entstehen Mitte der 70er Jahre stellen FRPG im Kosmos von Fantasy ein signifikantes Angebot für ein spezifisches Segment von Konsumenten14 dar. FRPG lassen sich als ein spezifisches Arrangement u.a. nach 8 SUVIN 1979 9 Zu Geschichte und Entwicklung phantastischer Literatur vgl.: THOMSEN/ FISCHER 1980; wie die Märchen und Gothic Novels der Romantik oder die Anti-Utopien der Moderne stellen die zeitgenössischen Phantasien der Fantasy -Rollenspiele und PC-Spiele einen trivialisierten Teilbereich des medien- wie genreübergreifenden bzw. -verbindenden Phänomens der Fantasy dar, vgl. dazu: TODOROV 1975, 7-24 10 VIETTA 1997 11 SMITH 2001, 25-27 12 Begriff nach: THOMPSEN/ FISCHER 1980 13 Gerade an den Investitionskapital am intensivsten bindenden Filmproduktionen wird die Dominanz von Fantasy besonders deutlich, Fantasy 2003: 92 Film-Produktionen, 44 TV-Spielfilme bzw. Serien, 36 PC-Spiele, Science Fiction; 2003: 67 Film -Produktionen, 50 TV-Spielfilme bzw. Serien, 19 PC-Spiele; Fantasy 01-06/2004: 31 Film-Produktionen, 12 TV-Spielfilme bzw. Serien, 4 PC-Spiele; Science Fiction 01-06/2004: 29 Film - Produktionen, 16 TV-Spielfilme bzw. Serien, 3 PC-Spiele, s. http://pro.imdb.com/search/ [2004-06-24]; 14 Zur alters- und geschlechtsspezifischen Charakterisierung vgl. KAP 3.3: FRPG-Spieler sind männlich, weiß, ältere Jugendliche/ junge Erwachsene (14-35 Jahre) mit höherer Schulbildung/ besitz-, bildungsbürgerlicher Mittelstand; 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 155 ihren genuinen Themen, nach typischen Interaktionsstrukturen und nach ihrer Spielanlage beschreiben und stellen sich dem Nutzer auch auf diese Weise dar, wie die Displays der einzelnen Fachgeschäfte zeigen.15 4.1 Das Genre FRPG Fantasy-Rollenspiele (FRPG) generieren eine Angebotspalette im allgemeinen Erlebnismarkt16, die sich in Texten unterschiedlichster Art konkretisiert17: Objekte, Formate, Events, Orte etc. Im Folgenden soll dieses Angebot wenigstens in seinen Umrissen aufgezeigt werden. Dabei ist es unerlässlich, zum Verständnis dieses jugendkulturellen Phänomens dessen interkulturelle Bezüge, seine Themen und Spielanlagen wie auch die Geschichte der Fantasy-Rollenspiele zu betrachten. Die Entwicklung des Genre als ein gemeinsamer Gestaltungsprozess von Produzenten und Nutzern Am Anfang der Entwicklung von RPG stehen die US-amerikanischen Wargames, Simulationen historischer Schlachten und militärischer Feldzüge 18 auf als geographische Karten gestalteten Spielfeldern mit Platzhaltern unterschiedlichster Art für die eingesetzten Einheiten, auch schon als Miniaturen.19 Um diese Board Wargames entsteht in den 50er und 60er Jahren rasch ein erstes kleines, aber sehr intensives Fandom. 20 Bis 1970 haben sich dort eine Reihe von bis heute gültigen Spielkonventionen etabliert, etwa die Rolle des Master21, die direkte Zuordnung von taktischen Einheiten zu Spielern, die narrative Verknüpfung von einzelnen Spielséancen zu Kampagnen und die Überwindung der ursprünglich rein auf unmittelbare Konfrontation fokussierten Handlung zugunsten taktischer und strategischer Plots.'22 Die Geschichte der FRPG im eigentlichen Sinne beginnt 1971 mit Dave Arneson's "Barony of Blackmoore", einem RPG im Stil der Heroic Fantasy, bei dem die Spieler - per Timewarp in die Vergangenheit versetzt - zu Spielcharakteren werden. Arneson begründet das Format des Paper-and-pen-FRPG, als er beginnt, auf ein vorgefertigtes Board grundsätzlich zu verzichten und ein rein fiktional gestaltetes, von den Spielern kollektiv zu entwickelndes23 Labyrinth zu gestalten.24 Weitere Innovationen sind die Einführung von NPC25 (in starker Anlehnung an Tolkien's Bestiarium) und die Integration von Kampfregeln (Single Figure Combat System) wie magischer Figuren und Elemente aus dem Spiel "Chainmail"26. Im Zuge der umfassenden Rezeption, die das Werk J.R.R. Tolkien's seit den frühen 70er Jahren zunächst im angelsächsischen Raum, dann aber davon ausgehend auch weltweit erfährt27, entsteht neben einer Reihe apokrypher Literatur und Medienangebote mit gleicher Thematik28 auch eine umfassende, pseudowissenschaftliche, die eigentliche Belletristik begleitende sekundäre Literatur. In ihren Anfängen lässt sie sich schon auf Tolkien's Sprach- und Kulturstudien wie Karten29 zurückführen. Diese Ergänzung, Ausweitung 15 Fachgeschäfte wie "Merlin", "Games Unlimited" oder "Orkish Outpost" folgen bei der Anordnung der Displays für Materialien der FRPG funktionalen Elementen wie etwa der Spielanlage der Spiele, während dagegen die Präsentation von Spielkonsolen-Archiven nach Gerätetyp und Thema erfolgt, APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.3-25; 1.3-28 16 SCHULZE 1996, 417-457 17 Zum offenen Text-Begriff, vgl. FISKE 1989, 43 18 SCHICK 1991, 13: "Campaigns"; 19 Vorgänger der RPG finden sich auch in Trainingsmaterialien der militärischen Offiziersausbildung verschiedener Staaten, etwa auch Preußens, vgl. dazu: EDELMANN 1999; COSTIKYAN 1994; ein Vorläufer ziviler Rezeption dieser Spielidee ist (der überzeugte Pazifist) H.G. Wells mit seinen "Little Wars" und "Floor Games", WELLS 1913; Abbildung der Buch-Cover etc. http://zeitcom.com/majgen/98lwars.html [2004-01-31]; 20 Bsp.: Roberts, Charles S.: Tactics (1953); Tactics II (1958); Calhamer, Allan: Diplomacy (1958; 1960) – seit 1963 existiert "Diplomacy" auch als Snail bzw. Email-MUD (s. http://diplomacy-archive.com/resources/postal/ushobby.htm [2003-03-15]) Vgl. dazu weiter: SCHICK 1991, 13; EDELMANN 1999; DUNNIGAN, James F.: History of Wargames. In: Ders.: The Complete Wargame Handbook, 3. Aufl., 2001 (http://www.hyw.com/books/WargamesHandbook/5 -histor.htm [2003-03-15]); 21 Dave Wesley's "Braunstein", ein Wargame der napoleonischen Epoche, führt den Desinterested Referee ein; Wesley ist noch heute in Minneapolis in der subkulturellen Kunstszene aktiv, vgl. http://www.sursumcordia.com [2003-02-12]; 22 Korn, Michael J.: Modern War in Miniature (1968); erstes spielübergreifendes Standardregelwerk, vgl.: EDELMANN 1999 23 Begriff des Storytelling, vgl. zu kollektiven Formen fiktionaler Narratio ARSETH 1997, MURRAY 1999, EDELMANN 1999 24 Die Bezeichnung Dungeon geht auf das gleichnamige Board-Game Dave Megarry's zurück, vgl. SCHICK 1991, 19 25 Non-Player-Character, vom Spielleiter geführte (und oft auch entwickelte Handlungsfigur), s. dazu: APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.8-11 26 Gary Gygax/ Jeff Perren entwickeln 1971 das im Mittelalter angesiedelte Miniaturenspiel; in der zweiten Ausgabe 1972 integriert Gygax seine Vorlieben für Howard's "Conan" und "Toth-Amon" wie Tolkien's "Lord of the Rings", vgl.: SCHICK 1991, 19 27 s. u. Belletristische Tradition; 28 Unzählige Adepten Tolkien'scher Provinienz, vgl. dazu: SCHNEIDER 2003 29 Tolkien 2002 (1954), III, 353-468; zur pseudo-wissenschaftlichen Vertiefung von Science Fiction- und Fantasy-Belletristik vgl. auch die Appendizes bzw. Sekundärliteratur etwa zu Frank Herberts "Dune"-Trilogie, FRANK/ MCNELLY 1984 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 156 und Ausgestaltung des ursprünglichen Sujets wird von den Epigonen und Fans Tolkien's und anderer SF- bzw. Fantasy-Literatur vorgenommen, die sich zunächst noch ohne, später mit den Kommunikationsmöglichkeiten elektronischer Medien30 sehr effizient an Schulen und Hochschulen organisieren.31 Diese Zirkel zeigen rasch die typischen Strukturen von Fan-Gemeinden: lokale Peer Groups kumulieren zu einer Szene mit regionalen und landesweiten Organisationen. Nach außen manifestiert sich die Szene in vielfältigen Fanzines und Cons 32. Die Schul- und Hochschulzirkeln rezipieren auch die ersten Formen von FRPG, zunächst als Paper-and-pen- Versionen, später auch die aus adaptierten und modifizierten Kartenwelten entwickelten Tabletop- bzw. Board Game-Versionen33, Kampagnewerke34 und Liferollenspiele 35. Die weitere Zusammenarbeit von Arneson und Gygax36 führt 1974 zum stil- und genrebildenden "Dungeons and Dragons"37. Kennzeichen von D&D ist ein Class-and-level-System: Die Spieler wählen aus einer Kollektion vorkonfigurierter Charaktere mit spezifischen Kennzeichen und Fähigkeiten eine Figur, die in einem einfach zu handhabenden System vordefinierter Handlungs- und Interaktionsroutinen operieren. Die Charaktere unterscheiden sich dadurch, dass sie einen sozial-fiktiven Typus (Class) repräsentieren, etwa einen Kämpfer, Magier, Dieb etc., mit einem bestimmten Niveau (Level) spezifischer Kompetenzen (Skills). Dieses Niveau kann das im Verlauf des Spieles von einer untersten Entwicklungsstufe aus mittels eines Bonussystems, das einen Zuwachs an Erfahrung und Wissen abbildet wie Leistungen honorieren soll, sukzessive gesteigert werden. Die Offenheit der Spielanlage von D&D fördert die Entstehung unzähliger Modifikationen und Varianten in der Nutzung durch Master und Spieler und trägt zu einer weiten, aber informellen Verbreitung des FRPG und dem Transfer seines Spielsystems auch auf andere Themen und Spiele bei. Kommerzielle Autoren wie Produzenten bemühen sich, an dieser Entwicklung zu partizipieren: einmal durch eine Folge von ständigen Überarbeitungen des Spiels, welche die vielfältigen Inkohärenzen des Regelwerks zu beseitigen versuchen, weiter durch eine Einflussnahme auf das Storytelling des Fandom mittels Ergänzungen, die weitere Charakterklassen, Regelergänzungen, NPC oder auch fertige Szenarien anbieten38. TSR39 etabliert mit seinem Fanzine "Strategic Review" ein Forum für den Diskurs im Fandom, erfolgreicher aber bei der Erschließung des sich andeutenden Merchandising-Potentials sind unabhängige Unternehmen wie etwa Bob Bledsaws "Jugdes Guild Journal", das - ohne sich um die Lizenzrechte zu kümmern - das Fandom mit selbst entwickelten 'Supplements'40, News- und Forumsplattformen und Materialanzeigen versorgt. Mitte der 70er Jahre kommt es zu einem ersten FRPG-Boom, gleichzeitig aber wächst in der Fan-Gemeinde auch die Kritik an den Unzulänglichkeiten von D&D, aus der neue Innovationen entstehen. Steve Jackson's "Melee"41 revolutioniert mit Hexagon-Karten und einem Punktesystem für Angriff-, Verteidigung- und Bewegungsaktionen die Tabletop- bzw. Board Game-Szene. Seine Ideen werden u.a. in "BattleTech" und 30 Sehr früh existieren auch schon TELNET basierte Formen von FRPG-Online-MUD, vgl. MURRAY 1999, 74-79, "ZORK"; 31 Vgl. dazu: anhaltende Attraktivität von textbasierten FRPG in den TELNET-Netzen mit speziellen TELNET-Browsern an den Hochschulen, s. Auflistung bei: www.dmoz.org/Games [2003-02-05] 32 Szenenbegriffe: Fanzine (= Fan + Magazine), Prozine (= Producer + Magazine), Con (= Convention);, zur US-amerikanischen Tradition der Convention, vgl. US-Parteisystem bzw. US-Verbände, s. dazu: FAULENBACH/ WASSER 2000 33 Brettspiele mit Spielfiguren, Kartenreitern oder Miniaturen; Brettspiele an sich stellen noch kein RPG dar, sie können allerdings zur spieltechnischen Grundlage eines RPG werden; 34 Fiktionale Sequenzen, die auf der Handlungs- und Kontextebene narrativ zu Epen verknüpft werden; die einzelnen Sequenzen selbst werden algorithmisch mittels Kausal- und Konditionalnexus strukturiert und schaffen im Epos mit den darin implizierten Retrospektiven wie Antizipationen eine Vorform von Hypertextstrukturen; 35 Life Action Role Playing (LARP), US-amerikanisch auch (Re-)Enactments, haben in den USA eine lange Tradition und stellen eine besondere Form der historischen Tradierung, besonders der Revolutions- und Bürgerkriegsgeschichte, dar; die fehlende bildungsbürgerliche Fokussierung der US- Popularkultur im 19. Jahrhundert führt zur faktisch unreflektierten Integration theatralischer Gestaltungsformen wie etwas des Vaudeville und, mit Verweis auf die symbolische Integrationsfunktion der Technik, auch des Vergnügungsparks (Ride); hinzu kommt die Formulierung des American Dream of Life als symbolhaftes Handeln im selbstgestalteten Erlebnis; vgl. dazu KESSLER 2000; zu der Bedeutung des Ride in der Popularkultur der Postmoderne s. MURRAY 1999, 106 36 Entscheidend wird die gemeinsame Arbeit im "Tactical Study Research"-Club, aus dem später die Firma TSR, Inc. hervorgeht; 37 Anderson, Dave; Gygax, Gary: Dungeons & Dragons. Rules for Fantastic Medieval Wargames Campaigns Playable with Paper and Miniature Figures. (Tactical Study Rules) TSR, Inc., 1974: gegr. 1973 Lake Geneva, Wisconsin als War Games Production von Gary Gygax/ Don Kaye; 1974 Beitritt von Dave Arneson, Brian Blume; 1975 neugegründet als TSR Hobbies, Inc., 1997 dann Erwerb durch WotC (Wizards of the Coast, Inc., Renton, Washington, USA, begr. 1990 durch Peter Adkinson; 1999 Kauf durch HASBRO, Inc., Pawtucket, Rhode Island, USA); 38 1974: "Greyhawk"; 1975: "Blackmoor"; 39 TSR: Tactical Study Research, Inc.; 40 1976: "City-State of the Invincible Overlord" -Kampagne, vgl. SCHICK 1991, 23 41 Jackson, Steve: "Melee. Basic Fantasy Combat Rules.". 5th Ed., Austin, Texas, USA: Metagaming, Inc., 1986 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 157 "Demonworld" wieder aufgegriffen. Mit "Chivalry & Socery"42 erscheint ein erstes Full-scale-FRPG mit komplexem, semi-historischem und pseudo-wissenschaftlichem Kontext, das der Forderung des Fandom nach Realismus gerecht zu werden sucht. Als besondere Herausforderung an Autoren, Produzenten wie Master erwiesen sich insbesondere Science Fiction-RPG, nach denen das Publikum im Zuge des ersten Star-Wars-Hype ab 197743 zunehmend verlangte. Den faszinierenden Potentialen eines sich in die Zukunft öffnenden Storytelling standen massive Probleme gegenüber, wie dies antizipativ zu regulieren sei. Deutlich wurden dabei auch die Grenzen des Class-and-level- Systems mit seinen archetypischen Figuren.44 In Spielen wie "Traveller"45 konnten erste Erfahrungen gewonnen werden, wie man diese Probleme lösen konnte, etwa durch eine rigide Begrenzung potentieller Komplexität der Kontexte durch eine möglichst kurze Extrapolation und durch erste Versuche eines Skill-and-level-Systems der Charakterkonfiguration. Trotzdem erwies sich der Vorbereitungsaufwand für den Master als abschreckend hoch, was der Verbreitung des FRPG allerdings keinen Abbruch tat. TSR reagiert auf die Kritik an D&D mit einem umfassenden Renouvrement seines Marketing. Mit der Vereinfachung der Spielanlage zu einem "D&D Basic Set", das eine breite, nun auch deutlich jüngere Käuferschicht anspricht, gelingt 1977 ein großer Verkaufserfolg. Der nachhaltige Erfolg von D&D in der klassischen Variante bewegt allerdings TSR, das FRPG weiter als "Original D&D" neben dem neuen "Basic Set" weiter zu produzieren. Gleichzeitig wird als Ergänzung dieses Sets ab 1977 sukzessive "Advanced D&D" mit einem komplexeren und elaborierten Class-and-level-System eingeführt46. AD&D nimmt in der Folge eine Entwicklung, die es mehr und mehr von D&D trennt. Konsequent ergänzt man deshalb 1987 das "Basic Set" erneut durch ein "D&D Expert Set". Am Ende dieses für FRPG typischen Diversifikationsprozesses, der zu einer Hierarchisierung die Nutzer nach dem Grad ihrer spielerischen Kompetenzen führt, teilen sich folgende Spiele das FRPG-Fandom: "Original D&D" nebst seinen Modifikationen und Varianten; "Advanced D&D" und eine Reihe neuerer, in Konkurrenz entstandener Spiele mit Skill-and-level-Systemen. Innovatives Highlight dieser Newcomer ist "RuneQuest"47, das erstmals alle Elemente eines modernen FRPG beinhaltet: ein voll ausgebautes Skill-and-level-System zur Charakterkonfiguration wie zur Charakterentwicklung, vollständige Integration von Kampf- und Interaktionsregeln in Würfel-Duellen, in denen sich die Character mit ihren Fähigkeiten begegnen, und die Einführung magischer Elemente durch die Mischung von Historie und Mythologien. 48 Das anderen Spielen überlegene Spielsystem von "RuneQuest" wird sofort von einer Reihe weiterer Spiele übernommen. Es entsteht so schon nach kurzer Zeit eine eigene Domäne der Skill-and-level-System basierten FRPG49, deren Komplexität50 allerdings auch viele Spieler nach ersten Versuchen auch wieder abschreckt. Ähnlich wie bei der D&D-Rezeption entstehen auch hier zahlreiche Supplements. Die Komplexität dieser neuen Dungeons erhöht gleichzeitig die Nachfrage von Master und Spielern nach vorkonfigurierten Szenarien und Serien, der die Autoren und Produzenten mit immer neuem Material nachkommen.51 42 Zimbalist, Ed; Backhaus, Wilf K.: Chivalry & Socery, 1st Ed., Gilbert, Az, USA, Fantasy Games Unlimited, 1977 (1983, 1996, 1999, 2000): gegr. 1975 von Scott Bizar als 'War Games Production'; aktiv 1976-1987; noch immer Lizenzinhaber zahlreicher Spiele; 43 LUCAS 1977 44 SMITH 2001, 28 45 Miller, Marc: Traveller. Game Designers Workshop, 1977; gegr. 1973 von Frank Chadwick als War Games-Production; 1992-1994 Lizenzstreit mit TSR; 1996 Einstellung der Geschäfte; 46 1977: "Monster Manual"; 1978: "Player's Handbook"; 1979: "Dungeon Master's Guide"; 47 Perrin, Steve; Stafford, Greg; Henderson, Steve; Willis, Lynn: RuneQuest, Oakland, CA, USA: Chaosium, Inc., 1978 (1979, 1984); gegr. 1975 von Greg Stafford; 48 SCHICK 1991, 27: "The result is the personalized character like no other's player." 49 Die Offenheit der Skill-and-level-Systeme ermöglicht die Ausweitung des FRPG-Spiels auch auf andere Abenteuer-Genre wie Mystery, Spionage, Krimi, Military, Geschichte, Comic-Helden, Humor, Horror etc., vgl. dazu z.B.: SCHICK 1991, 238-249 50 Allein schon die Initiationsphase des Spiels kann mehrere Stunden dauern, vgl. dazu: Phase Spielbeginn mit Charakterkonfiguration, APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video DSA-Mainz, 00:00-01:58 51 Ergänzt werden die Spielsysteme durch eine Reihe mittlerweile legendärer Supplements wie die "Giants Trilogy" und "Drow Trilogy" (TSR/ 1978); "Cults of Prax" (RuneQuest/ 1979), "Thieves Guild" (Gamelord/ 1980), "Iron Wind" (Iron Crown/ 1980); "World of Greyhawk" (TSR/ 1980); "Blade"-Serie: "Citybook", "Grimtooth's Traps" (Flying Buffalo/ 1980); "Islandia"-Serie: "The Curse of Hareth" (The Companions/ 1982); "Thieves- World"-Serie (Chaosium/ 1981, 1982): "Griffin Mountain"; "Borderlands"; "Trollpak"; 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 158 Die Marktimpulse der späten 70er Jahre wirken sich positiv auf Qualität der FRPG-Produktion aus, Fantasy- Rollemspiele werden mehr und mehr professionell entwickelt, gestaltet und vermarktet. Gleichzeitig wächst mit dem wirtschaftlichen Erfolg auch das Interesse der öffentlichen Meinung und der Medien an diesem Phänomen. Es zeigen sich von Beginn an die bis heute typischen Formen der Desinformation und Fehlinterpretation, die im Vorwurf der Bedrohung und Gefährdung von Jugendlichen kulminieren. Exemplarisch ist der Fall des Verschwindens von James Dallas Egbert III vom Michigan College University im Jahr 1979. Die Medien suggerierten als Ursache dessen FRPG-Obsession, was zu einer dauerhaften Denunziation von D&D als eine Form modernen Satanismus und Okkultismus führt. Als weitere negative Folgen werden den Spielen eine geistige Verwirrung bei den Jugendlichen und die Förderung von Eskapismus, Gewaltbereitschaft und Suizid unterstellt.52 Mitte der 80er Jahre wird mit dem Scheitern einer Reihe von Marketing-Aktionen53 der Produzenten deutlich, dass die Grenzen des FRPG-Marktes offensichtlich erreicht sind und eine Erweiterung der Nachfrage über das Fandom allein nicht möglich ist. In Konsequenz wenden sich die Autoren und Produzenten wieder dem ambitionierten Fan und einer vorhersehbar limitierten Rekrutierung neuer Spieler zu. In dieser Selbstbeschränkung auf eine engere Klientel erwiesen sich FRPG damit als distinktive Manifestationen der Gestaltung pubertärer und adoleszenter Existenzformen und deren sozialen Kollektivierung im Raum einer quantitativ überschaubaren jugendkulturellen Szene. Auch die Konzentrationsprozesse auf dem Feld der Produzenten deuten auf die Begrenzung des genuinen FRPG-Marktes hin. Zahllose kleinere Anbieter fallen bis heute dem Mergering größerer Firmen zum Opfer und selbst diese werden häufig in multinationale Medienunternehmen integriert.54 Andererseits sind immer wieder auch expansive Tendenzen in der Spielentwicklung zu beobachten. Im Zuge des Erfolgs von Dark- und Cyber-Punk-Science Fiction55 etablieren sich z.B. thematisch ähnlich angelegte FRPG wie FASA's "Shadowrun"56, eine re-magisierte Welt der nahen Zukunft. Die Entwicklung der FRPG in den neunziger Jahren steht schon in harter Konkurrenz zum Siegeszug der PC- Spiele. Die über Jahre hinweg doch recht gleichmäßige Zahl der Neuerscheinungen beider Genre zeigt allerdings, dass sich die FRPG behaupten können. Am Beginn der 90er Jahre steht erneut die wegweisende Adaption eines literarischen Erfolgs: Angelehnt an Anne Rice's "Interview with a Vampire"57 begründet das FRPG "Vampire: The Masquerade"58 das erfolgreiche Sub-Genre der Gothic -Punk-Spiele 59. Der Erfolg beruht auch auf einem Storytelling-Spielsystem, bei dem alle Spieler gleichberechtigt die Storyline weiterführen und über die Entwicklung ihrer Charaktere entscheiden. Wie die Cyber-Punk- Spiele stellen auch die des Gothic -Punk eine das Fandom faszinierende Alternative zur Heroic Fantasy dar. In der Weiterführung des Cyber-Punk etabliert sich auch das Genre der Dark-Fantasy mit eigenen Spielen in der FRPG-Szene.60 Triviale und populäre Themen als Grundlage des Genre Die Tendenz, zur Sicherstellung von Akzeptanz und ökonomischem Erfolg literarische und filmische Vorlagen zu adaptieren, ist weiter ungebrochen. Aktuelle FRPG basieren heute auf erfolgreichen Science Fiction TV- 52 vgl. dazu: Kap 2.1: Forschungsstand bei Fantasy-Rollenspielen; s.a. "Studies About Fantasy Role Playing Games" (http://www.rgpstudies.net/ [2003- 03-15]), zur medialen Aufarbeitung US-amerikanischer Schulmassaker vgl. BOK 1999; eine Übersicht über die Medienreaktionen zum Erfurt -Schul- Massakers findet sich bei: Heise-Online vom 14.05.2002 (http://www.heise.de/newsticker/data/tec-14.05.02-000/ [2003-03-15]); 53 Ab 1984 kreierte man beim Marktführer TSR eine Reihe von Basic-FRPG, bei denen der schnelle Spielspaß wieder im Vordergrund stehen sollte und die sich an populärere Genre anlehnten wie Comic und Comedy; 54 Der Konzentrationsprozess ist bis heut e ungebrochen, wie die Mergering-Politik von Firmen wie Hasbro/ Wizards of the Coast (WotC) oder Vivendi Universal Publishing/ Sierra zeigt; 55 GIBSON 1994 (1984) 56 IPPOLITO/ MULVIHILL 1989 57 RICE 1986 (1976); JORDAN 1978 58 RHEIN-HAGEN 1991 (1992; 1998); auch als LARP erfolgreich; weitere Gothic-Punk-FRPG: RHEIN-HAGEN 1992; ACHILLI/ SKEMP 1977; WIECK 1993 (1995); BRUCATO 1998; weitere FRPG-Reihen des Herstellers: Demon, Dark Ages, Exalt (angekündigt: The Abyssal), Hunter, Mind's Eye; Sword & Sorcery; 59 Man beachte die Koinzidenz mit dem Aufschwung von Horror bzw. Splatter; 60 GORDON/ PROSPERI 1993 (1994), 2001 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 159 Serien wie "Babylon 5", "Buffy – The Vampire Slayer" und "Dark Angel"61 oder auf Filmen wie der "Harry Potter"-Trilogie.62 Daneben sind immer wieder auch Neuauflagen bzw. Wiederentdeckungen von Klassikern unter den Spielen erfolgreich, wenn sie sich mit aktuellen Entwicklungen jugendlicher Kultur besonders mit Kultstatus in Verbindung bringen lassen.63 Die klassische Definition des Phantastischen, aus der hochliterarischen Analyse entwickelt, ist dagegen wenig geeignet, Fantasy als aktuelles massenkulturelles Genre mitsamt seinen Erscheinungsformen adäquat zu beschreiben. Fantasy-Rollenspiele thematisieren alle nur denkbaren Stoffe, soweit sie über weitgehend von ökonomischen Überlegungen bestimmte Prozesse der Trivialisierung und Popularisierung Teil des kollektiven Bewusstseins geworden sind.64 Aufgrund ihres experimentellen und simulativen Charakters besteht seit Beginn ihrer Entwicklung eine hohe Affinität zu historischen Themen, besonders zu der Militärgeschichte verschiedenster Epochen65. Beliebt sind deshalb u.a. als Themen in Europa die Napolèonischen Kriege, in den USA naturgemäß der amerikanische Unabhängigkeits- und Sezessionskrieg, in beiden Hemisphären der Erste und der Zweite Weltkrieg, neuerdings auch der Krieg in Vietnam oder der 1. und 2. und auch schon der 3. Golfkrieg. Verbunden sind damit weitere thematische Verdichtungen wie etwa die Spezialisierung auf eine bestimmte Waffengattung, auf spezifische Metiers wie Spionage oder Kommandounternehmen oder ein konkretes historisches Ereignis. In vergleichbarer Weise haben FRGP den Spuren trivialer Literaturformen folgend in eine Reihe weiterer Themen expandiert und sukzessive Elemente trivialliterarischer Genre wie Krimi, Western, Mystery, Horror, Fantasy und Science Fiction mit deren Themen okkupiert. Die dabei erfolgende Diversifikation der einzelnen Genres in vielfache Unterformen lässt sich anhand der jeweiligen Themenkreise beschreiben: In der Fantasy kommt es etwa zu einer integrativen Verarbeitung so konträrer Themen wie der gesamten Artus-Epik, der Pulp-Fiction des 19. bzw. 20. Jahrhunderts und Tolkien's Mittelerde. In der Science Fiction treffen das Weltraumabenteuer und die Zeitreise aufeinander, die Roboter- und Cyborgs, und schließlich die schmutzigen Welten einer Dark Future und des Cyberspace. Nicht zuletzt fließen auch das Genre dekonstruierende Formen in das FRPG-Angebot ein wie Comedy, Satire und Groteske.66 Die Palette der Themen zeigt an, dass das Genre grundsätzlich in der Lage ist, entweder selbst neue Themenbereiche zu kolonialisieren oder in anderen Genre subsumiert zu werden.67 Mecha - die japanische Tradition magischer Transzendierung Im Japan der Nachkriegszeit manifestieren sich bedingt durch das Trauma der erlebten wie in der Zeit des Kalten Krieges antizipierbaren globalen atomaren Bedrohung in den 50er Jahren Phantasien einer von den dämonischen Schöpfungen des Menschen bedrohten Welt und ihrer erfolgreichen szientistischen bzw. technizistischen Abwehr. Neben dem "Godzilla" als tragische Verkörperung dieser Bedrohung, ein Wesen, das durch die Folgen atomarer Strahlung mutiert, treten, in der Tradition des japanischen Shintoismus angelegt68, auch Mensch-Tier- bzw. Mensch-Maschine-Wesen als Urheber wie Retter vor dem Bösen auf. Dabei kommt es zu einer Reihe weiterer intertextueller Überschneidungen, etwa durch die Einbeziehung von Figuren und Plots des japanischen Mittelalters bzw. der Shogunat-Ära und Elementen des Horrors und der Mystery. Die Protagonisten dieser Fiktionen erscheinen zunächst in den Manga und bilden dort im Kosmos der thematischen Segmente des japanischen Comic wichtige Genre (Science Fiction, Mecha, Mystery, Horror, Samurai/ Ninja etc.). Ab Mitte der 70er Jahre erscheinen auch an diesen Themen und Protagonisten orientierte Animé, als 61 COMPTON 1993; GREEK 1998; TREVINO 1998; VEJAR 1998; VEJAR 1999; STRACZINSKY 1999; VEJAR 2002; STRACSINSKY 1994-1998; WHEDON 1997-2003; KUZUI 1992; CARELLA 2002, CAMERON 2000-2002; CAMERON 2002 62 SCHNEIDER 2003 63 Eine der aktuellen Adaptionen in Verbindung mit der Splatter-Welle: Call of Cthulu – Dark Corner of the Earth. Haedfirst Productions, 2002 (21.10.2002), nach dem FRPG von Chaosium, Inc. aus dem Jahr 1981, vgl. SCHICK 1991, 23-245; zum Bezug des Spiels auf die Romanen H.P. Lovecraft's, s. http://www.frictionlessinsight.com/PC_Previews/CallofCthulhu/CallofCthulhu.htm [2004-05-03]; 64 BARK 1976, 11-13 65 Ihre direkten historischen Vorläufer sind militärische Planspiele zur Schulung von Generalstäben im Vorfeld des 1. Weltkriegs, s. SCHICK 1991, 17; EDELMANN 1999 66 Aktuelle FRPG wie "Shadowrun" vereinigen Elemente der Fantasy, der Science Fiction und der Groteske; mit "Tunnels & Trolls" (1975) entstand schon früh eine Parodie des FRPG, s. SCHICK 1991, 222-231 67 Zur Problematik der Typologie vgl. auch SUVIN 1979 68 OSSMANN 2004, 11 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 160 Videoproduktionen und in Kinofilmen69, und treten, nicht zuletzt als Elemente des sich entwickelnden Merchandising, in Spielzeugrobotern (Mecha) und Actionfiguren ("Powerrangers") ihren Siegeszug in die Kinderzimmer an. 70 In den Mecha-Manga und Animé wie in den Assembling-Kits von Firmen wie Tamya und Bandai71 werden dabei die späteren Konstruktionen der "BattleMech" und die narrativen Fiktionen einer erst in den 80er Jahren im Westen entwickelten Dark Science Fiction vorgegeben, in der jugendliche Peer Groups mit einer mehr oder minder magisch gestalteten Transzendierung ihres Alltags diese Welt vor sich selbst retten und ihre Identität finden. 72 Schon vor den Produkten der 90er Jahre wie "Powerrangers", "Pokémon", "Digimon", "Ranmo ½" erreichen Erzeugnisse dieser kulturellen Tradition die USA (und später auch Westeuropa)73 und gewinnen auf die Ästhetik von Fantasy und 'Science Fiction'74, und damit auch auf die der Fantasy-Rollenspiele einen erheblichen Einfluss75. Die Bedeutung der japanischen Populärkultur 76 im globalen Mainstream nimmt dabei aktuell weiter zu77. Eine Reihe aktueller PC- und Online-Browser-Spiele basiert auf Manga bzw. Animé, am bekanntesten wohl "Dragonball Z" mit einer überaus großen und agilen Community. 78 Belletristische Quellen Phantastik findet sich ebenfalls in einer Reihe hochkultureller Genre und Formate und spielt gerade in der Literatur eine bedeutende Rolle mit zahlreichen bekannten Autoren.79 Allerdings haben eher die triv ialen Formen des Genres die Entwicklung der FRPG beeinflusst. Andererseits sind sich die Produzenten der Bedeutung und Funktion literarisch anspruchsvoller phantastischer Fiktionen für das Angebot und seine Akzeptanz im Fandom durchaus bewusst: "Es ist unsere Strategie, die besten Autoren zu bekommen. Also auch aus dem Drehbuchsektor. An 'Spiderman 2' war beispielsweise Alvin Sargent beteiligt, der für seine Bücher zu 'Julia' und 'Eine ganz normale Familie' Oscars erhielt. Für ein anderes Projekt, das wir gerade entwickeln, soll wiederum ein weiterer Pulitzerpreisträger das Skript schreiben." 80 Heroic Fantasy/ Sword and Scorcery Die Wiederentdeckung der amerikanischen Pulp-Fiction der Vorkriegszeit ab den späten 50er Jahren81 hat die Ausbildung von Fantasy in einem hohen Maß geprägt. R. E. Howard's (1906-1936)82 in "Weird Tales"83 erscheinende Phantasien um "Conan" bilden u.a. die unmittelbare Grundlage für FRPG der ersten Stunde. Howard entwickelt den Typus des barbarischen Krieger-Helden und mit dem fiktiven Hyboräischen Zeitalter den ersten Dungeon. Damit begründet er das trivialliterarische Genre der Heroic Fantasy84. 69 Genre-Klassiker: Chôjikû yôsai Macross, TV-Serie, Regie: Noburu Ishigoru, Japan, 1982; Shin Seiki Evangelion, Regie: Hideaki Ano, Japan, 1995, [Neon Genesis Evangelion, USA, 1998]; Shin seiki Evangelion Gekijô -ban: Shito shinsei, Regie: Hideaki Anno, Japan, 1997 [Neon Genesis Evangelion: Death and Rebirth, USA, 2002]; Shin seiki Evangelion Gekijô -ban: Air/Magokoro o, kimi ni, Regie: Hideaki Anno, Kazuya Tsusrmaki; Japan, 1997, 89' [Neon Genesis Evangelion: The End of Evangelion, USA, 2002]; 70 Grundlegend: VOLLBRECHT 2001; BARRAL 1999; Godzilla, Regie: Ishirô Honda. Japan 1954, 98' u.a.; 71 Vgl. Abb. der Verpackung eines Mecha-Bausatzes der Fa. Tamya in KIMPEL/ HALLENBERGER 1984, 189 72 KLAUSNER 1996, 2614: "Den aggressiven Kräften der technologisch hochgerüsteten Stadt kann nur durch mechanische Nachrüstung der eigenen Körper begegnet werden. [...] Das Leben ist nur noch Maschinen möglich." 73 VOLLBRECHT 2001, 43 74 SCHICK 1991, 292; vgl. dazu: die Ausweitung des Figurariums von Science Fiction und Fantasy bzw. FRPG durch Cyberpunk-Figuren wie den Streetsamurai oder Cyberpunk-Yakuza-Plots wie in den Romanen von Neill Stephenson und deren Adaption in "BattleTech" oder "Shadowrun", z.B. STEPHENSON 1994, DELRIO 2003; grundsätzlich zur japanischen RPG-Szene: BARRAL 1999 75 OSSMANN 2004, 27-29; vgl. dazu Spielkonzeptionen wie "Warhammer 40000"; "BattleTech"-Kosmos; "Shadowrun"-Kosmos etc.; 76 Eine sensible Darstellung findet sich u.a. in: BENSE/ BENSE 2000 77 Vgl. dazu: VOLLBRECHT 2001, 44-49; BARRAL 1999, 259-311; man beachte auch aktuell die Zunahme des Programmangebots an Animé auf RTL II und anderen Privatsendern, s. Online/ Internet-Fanzine von "Animè no Tomodachi – Verein zur Förderung japanischer Populärkultur in Deutschland" http://www.tomodachi.de/ bzw. http://www.tomodachi.de/html/ant/service/tv_planer.html [2004-03-01] ; ein Standardwerk zur japanischen Spielkultur: BARRAL 1999 78 http://www.dragonballz.com/ [2004-03-01]; 79 THOMPSEN/ FISCHER 1980 80 Avi Arad, Produzent und Chef der Marvel Studios, STURM 2004 81 WÖLFEL 2004 82 Howard, Robert Ervin, 1906 – 1936, US-amerikanischer Schriftsteller, seine Œvre umfasst ca. 160 Pulp-Stories; 83 Weird Tales: Science Fiction/ Horror P ulp Magazine, Erstausgabe März 1923, produziert von J.C. Henneberger. Erster Herausgeber ist Edwin Baird. Sein Assistent Farnsworth Wright löst nach 14 Ausgaben Baird ab und gibt der Zeitschrift ihr einzigartiges Profil. Wright entdeckt Autoren wie H.P. Lovecraft, Seabury Quinn ("Jules de Grandin") und R.E. Howard ("Conan"). Weitere Autoren sind Robert Bloch und Clark Ashton Smith. Die Zeitschrift kämpft von Beginn an mit einer starken Konkurrenz von Comics, Radioproduktionen und billigen Pulp-Paperbacks. Nach dem Tod von Lovecraft und dem Ausscheiden von Wright besteht die Zeitschrift noch bis 1954 84 Von der Vielzahl seiner seinen Epigonen sollen hier nur M.A.R. Barker und Alan Burt Akers angeführt werden. Barker's "Tékumel"-Zyklus stellt ein hochkomplexes, sich an mittelamerikanischen Indianerkulturen wie an fernöstlichen Kulturen orientierendes Szenario dar: "M.A.R. BARKER is a 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 161 Middle-Earth Die Bedeutung des Werks von J.R.R Tolkien für die Entwicklung von Fantasy und damit auch der FRPG steht außer Frage.85 Das erste Spie lmodul von Arne Gygax zu D&D aus dem Jahr 1974 bezieht sich ausdrücklich auf diese literarische Vorlage. Ohne das Figurarium und Bestiarium Tolkien's wären die Landschaften der FRPG heute weitgehend unbevölkert. Während im angelsächsischen Raum die Rezeption des Werks nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzt, wird für die bundesrepublikanische Rezeption der Entschluss der Verlagsgemeinschaft Ernst Klett/J.G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger signifikant, unter dem Label "Hobbit Press/Klett-Cotta" eine eigene Verlagsabteilung für das Fantasy-Segment zu begründen, das damit erstmals hoch-literarische Qualität zugesprochen bekam.86 Auf den bis heute andauernden Boom von Fantasy- Literatur im Bereich der Taschenbuchverlage sei hier nur hingewiesen, ebenso auf die Adaption des Genres durch deutschsprachige Autoren wie Wolfgang Hohlbein u.a.87 Nachdem über lange Jahre hinweg Fantasy- bzw. Science Fiction als Jugendliteratur – man denke etwa an Hans Dominiks faschistoide szientistischen Weltraumabenteuer - oder als reines Trivialgenre wie Comics ("Nick, der Weltraumfahrer") oder Groschenroman ("Perry-Rhodan") gegolten hat, erhält Fantasy damit eine für eine weitergreifende gesellschaftliche Akzeptanz notwendige intellektuelle Qualifizierung. Zumindest der Versuch, das umfangreiche Werk Tolkin's zu lesen, kann spätestens ab der 10. Klasse bei den Jugendlichen dieser Untersuchung als allgemein gelten - trotz der immer wieder von den Jugendlichen geäußerten Leseschwierigkeiten88. Auch die Verfilmung des Werks scheint seine Lektüre nicht unbedingt gefördert zu haben. Noch immer berichten Jugendliche, angesichts der narrativen Komplexität die Lektüre abgebrochen zu haben. Weiter kann das Werk in vielen Partien die Spannungsorientierung der Jugendlichen nicht mehr adäquat befriedigen, besonders dann, wenn die Rezeption der action-orientierten Filme der Lektüre vorausgeht. Die Aufwertung von Fantasy von einem Nischen- zu einem Phänomen des kulturellen Mainstream hat offensichtlich auch negative Folgen für die Attraktivität des Genres bei der distinktiv angelegten Identitätsgestaltung in der FRPG-Szene, die ihre Symbole vom Mainstream zusehends kolonisiert sieht und nun andere Formen der Abgrenzung suchen muss.89 Horror/ Mystery/ Gothic/ Gothic -Punk H.P. Lovecraft's Visionen90 des Einbruchs chtonischer Kräfte in die nur oberflächlich geordnete Welt der 30er Jahre spiegeln die Konflikte und Probleme der US-amerikanischen Gesellschaft der Roaring Twenties, der Weltwirtschaftskrise und des New Deal. In der populärliterarisch-journalistischen Tradition eines Edgar Allen Poe stehend produziert Lovecraft eine ebenfalls ab den 50er Jahren wiederentdeckte faszinierende Pulp-Fiction, welche neben Horror und Mystery auch Momente des investigativen Kriminalromans wie der Science Fiction beinhaltet. Gothic, ursprünglich im engeren Sinne für den trivial-romantischen Schauerroman der Viktorianischen Epoche stehend, wird in den 90er Jahren zu einer subsumierenden Bezeichnung für das genreübergreifende Erscheinen von Horror und Mystery in der Spielart des Vampirismus 91 und Gothic-Punk. Im retired professor of Urdu and South Asian Studies. In his youth, he created the world of Tekumel, a fantasy world based on Ancient India, the Middle East, the Aztecs and Mayans, and other non-European sources. Tekumel has spawned three professionally -published roleplaying games over the course of the years ("Empire of the Petal Throne", "Swords & Glory" and "Gardasiyal: Adventures in Tekumel"), as well as fan-produced rules ("Tirikelu" and others). A brand-new roleplaying game set in Tekumel is due to be published in the summer of 2003 by Guardians of Order, currently titled "Tekumel: Empire of the Petal Throne". Currently resides in Minneapolis, MN, USA." (http://explanation-guide.info/meaning/M.-A.-R.- Barker.html [2004-03-01]). Alan Burt Akers, eigentlich Henry Kenneth Bulmer, geboren 1921, kann als Begründer des Sword-and-sorcery gelten. Nach der Veröffentlichung der SF-Romane "Space Treason" 1952 und "Cybernetic Controller" 1952 wendet sich Bulmer 1972 unter seinem Pseudonym der Fantasy zu. "Transit nach Scorpio" eröffnet den Zyklus um den Seefahrer "Dray Prescot", den es in die fremde Welt 'Krengen' verschlägt. Der 53. (und bislang letzte) Band erscheint 1998 85 In den Spielanleitungen wird dabei die wichtige Funktion sekundärer Literatur eigenes hervorgehoben: "Wird Mittelerde als Welt benutzt, sollte der Spielleiter als erstes die Werke J.R.R. Tolkiens lesen [...]. Diese Romane bieten eine reichhaltige, beschreibende Schilderung des aufregenden Schauplatzes [...]. Sie stellen eine enorme Vielfalt an Charakteren und Wesen vor [...]. Und selbstverständlich sind die Romane durch eine Handlung wahrhaft epischen Ausmaßes verbunden [...]." In: CHARLTON 1994, 40 86 Die hochkulturelle Tradition deutscher Fantasy/ Science Fiction aus den 20er/ 30er Jahren (Alfred Kubin, Alfred Döblin, Murnau, Fritz Lang/ Thea von Harbeau), die u.a. auch auf den Expressionismus/ Futurismus der ersten Nachkriegszeit zurückging, war mit dem NS-Faschismus abgebrochen, s. VIETTA 1997, 123-132 87 Werk und Marketing Wolfgang Hohlbeins stellen in der deutschen Jugend- und Fantasy-Literaturszene eine nur mit US-amerikanischen Autoren vergleichbares Phänomen dar , s. http://www.hohlbein.de/ [2004-03-01]; 88 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2000-08-11 RH, 3 89 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 12; 44 90 Lovecraft, Howard Phillips, 1890 – 1937, US-amerikanischer Schriftsteller, veröffentlicht seit 1917 Horror und Pulp-Fiction; zu Werk und zur Bedeutung Lovecraft's vgl. ROTHENSTEINER 1984, in Deutschland wird Lovecraft durch die Edition seiner Werke im Insel Verlag durch Kalju Kirde bekannt, vgl. KIRDE 1983 91 RICE 1986 (1976); JORDAN 1978; PROYAS 1994; NORRINGTON 1998 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 162 Subgenre des Splatter wird der Horror zu einem wesentlichen Element bei der fiktionalen Gestaltung des jugendlichen Alltags.92 Mit den Überschneidungen mit anderen literarischen und medialen Traditionen entsteht eine gewollte ironische Brechung des Genres, allerdings mit der Tendenz, nach der Etablierung auf dem Markt diese ironische Distanz zu verlieren. Dark Science Fiction Einen weiteren wesentlichen Impuls für die Ausbildung von FRPG stellen die Phantasien und Produktionen der Dark Science Fiction dar, welche in der Tradition der anti-utopischen Science Fiction93 den positivistischen und optimistischen Szientismus der Erzählungen und Romane der 50er und 60er Jahre hinterfragen und sich bislang vernachlässigten Themen und gerade auch künftigen gesellschaftlichen Entwicklungen kritisch zuwenden.94 Diese Veränderung des kollektiven Bewusstseins, die Entwicklung vom szientistisch-optimistischen Science Fiction zum reflexiv-kritischen Szenario lässt sich besonders deutlich anhand genrebildender Kino-Filme beschreiben: den optimistischen Märchenwelten von "Star Trek"95 und "Star Wars"96 steht die düstere Interpretation von Dick's Novelle durch Ridley Scott in "Bladerunner"97 gegenüber, die "Mad Max"-Trilogie 98 zeichnet in der Tradition Ballard's das Bild einer ökologische Katastrophe; in der "Alien"-Tetralogie 99 wandelt sich das Bild des First Contact im Vergleich zu der optimistischen Darstellung in Kubrick's "2001: A Space Opera"100, basierend auf der gleichnamigen Novelle Arthur C. Clarke's zur Xenophobie 101; Terry Gilliam's "Brazil"102 und Filme wie die "Terminator"-103 und "Matrix"-Trilogie 104 akzentuieren auf unterschiedliche Weise die kryptototalitären Strukturen einer nahen Zukunft. Cyberpunk Mit der Veröffentlichung seines Romans "Neuromancer"105 begründet William Gibson das Fantasy-Subgenre des Cyberpunk. In den von einem rigiden Kapitalismus geprägten multikulturellen Sprawls einer allzu nahen Zukunft gelingt es allein den jugendlichen Cyber-Cowboys sich mit Hilfe ihrer Desks und subversiver Programmiertechniken der alles kontrollierenden Matrix zu entziehen. Gibson's Helden sind nonkonformistische junge Menschen, Außenseiter, die sich aktiv gegen eine Fremdbestimmung zu wehren suchen, sich allerdings ihrer Grenzen dabei stets bewusst sind. Dieser Tragik begegnen sie mit einem ebenso coolen wie ironischen Fatalismus, der für die Identitätsentwürfe der jugendlichen Rezipienten faszinierend sein dürfte. Ein besonderer Reiz geht auch von der ironisch gebrochenen Darstellung gesellschaftlicher Strukturen aus, etwa der Mafia als ehrenwertem amerikanischen Unternehmen, dessen Kerngeschäft in der Auslieferung von Pizzen besteht.106 Belletristische Quellen haben eine wesentliche Funktion bei der Ausbildung kollektiver Phantasien im Bereich von Fantasy und Science Fiction. Entweder begründen Autoren mit ihren Werken innovative thematische wie formale Kreationen oder aber im Rückgriff auf ihre Werke entsteht in der epigonalen Rezeption deren Ausgestaltung. Eine weitere Bedeutung liegt im Aspekt kultureller Wertigkeit. Belletristische Wurzel geben dem Genre ein hochliterarisches Prestige, was seine Rezeption legitimierend fördert, gerade auch in der Argumentation von Jugendlichen gegenüber Erwachsenen. Zu beobachten ist aber auch, dass es zur Umdeutung 92 Fred Krueger-Zyklus, CRAVEN 1984 und öfter; Scream I-III: CRAVEN 1996 und öfter; JACKSON 1992; RAIMI 1993; RODRIGUEZ 1996; Scary Movie I-III: WAYANS USA 2000, 93 Begriff der Anti-Utopie nach BARMEYER 1972 94 Neben den klassischen Anti-Utopien von George Orwell's "1984" and Aldous Huxley's "Brave New World" gelten als Ursprung des Genre besonders die Science Fiction von Philip K. Dick ("Do Androids Dream of Electric Sheep?"), Thomas Disch ("Camp Concentration") und James G. Ballard ("Drownded World"), s. NAGULA 1988, STERLING 1994 95 RODDENBERRY 1966-1969; RODDENBERRY 1973-1975; RODDENBERRY 1987-1994; BERMAN 1993-1999; BERMAN 1995-2001, diverse Kinofilme; 96 LUCAS 1977; von den 6 geplanten "Episodes" sind mittlerweile 5 realisiert, "Episode III" soll unter der Regie von Georg Lucas 2005 den Zyklus abschließen; 97 SCOTT 1982 98 MILLER 1979; MILLER 1981; MILLER 1985; MILLER 2005 99 SCOTT 1979; CAMERON 1986; FINCHER 1992; JEUNET 1997 100 KUBRICK 1965 101 Vgl. dazu: REUTER 2003 102 GILLIAM 1985 103 CAMERON 1984; CAMERON 1991; MOSTOW 2003 104 WACHOWSKI/ WACHOWSKI 1999; WACHOWSKI/ WACHOWSKI 2003; WACHOWSKI/ WACHOWSKI 2003 105 GIBSON 1994 (1984) 106 STEPHENSON 1994 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 163 des Trivialen als Phänomen eines ästhetischen Kults und zur Integration in die Medienarchive der Populärkultur kommt. Wie entstehen FRPG? Den Verfassern und Produzenten von Fantasy Rollenspiele liegen – wie oben skizziert - in vieler Hinsicht detailliert ausgearbeitete Fiktionen unterschiedlichster Provenienz vor. Die Umsetzung dieser komplexen Vorlagen in ein Spielsystem verlangt eine Modellbildung, bei der die Interdependenzen von Inhalt, Plot und Figurenkonstellation als Vernetzung in einer umfassenden algorithmischen Struktur 107 dargestellt werden. Wie in den traditionellen Medien, wo diese Interdependenzen anhand der in der Fiktion eingearbeiteten Hinweise vom Rezipienten erschlossen, wenn nicht erst geschaffen werden müssen, haben auch die Spieler der FRPG den immanenten Auftrag, diese zu rekonstruieren, soweit sie nicht explizit ausgewiesen sind. Allerdings verengt ihre Abbildung in logischen Strukturen im Spiel die interpretatorische Offenheit der Vorlage. Auch gewinnen Raum und Zeit als zentrale Oberflächen dieser Vernetzung von Inhalten, Handlungselementen und Figuren eine erheblich größere Bedeutung. Beide Dimensionen ermöglichen die Orientierung und Verortung dieser Elemente, etwa als Karte oder als Timeline. FRPG lassen sich nicht bestimmten Handlungstypen zuordnen, allerdings wird im Vergleich zu anderen Formaten der Fantasy, insbesondere zu PC-Spielen, deutlich, dass die Anlage der Handlung als Campaign, also als eine sequentielle Gliederung einer umfassenden Fiktion, für FRPG typisch ist. In deren Handlungsabschnitten folgen die Spieler einer sich ständig ausweitenden Quest. Das Tournament, das konkrete Duell der Charaktere und Spieler gegeneinander, hat dagegen eher eine marginale Funktion, ganz im Unterschied z.B. zum Ego Shooter, dessen Handlung sich allein aus einer Abfolge von Duellsituationen zusammensetzt und dessen Storyline eine mehr illustrative Funktion hat und mehr oder minder marginal wirkt. In einem ersten Entwicklungsschritt geht es darum, diese Elemente aus den Vorlagen zu kompilieren und mit den Algorithmen eines bekannten Spielsystems zu kombinieren.108 Dabei erfährt die fiktionale Vorlage weitere Modifikationen und Ergänzungen, bleibt aber – schon zur Wahrung der Effekte, die man sich aus ihrer Bekanntheit erhofft - vom Rezipienten und Spieler positiv identifizierbar. Es entsteht dabei ein das Spiel tragendes Szenario. Seine immersive Attraktivität beruht auf der Ambivalenz von Vertrautheit und Fremdheit: die fiktionale Verfremdung einer normativen, intra-logischen Struktur korrespondiert mit der normativen, intra- logischen Strukturierung einer innovativen Fiktion. Diesen Prozess unterstützt u.a. die in der Regel wenig komplexe Darstellung der Figuren.109 Sie ermöglicht eine vereinfachte identifizierende Aneignung wie die Ausgestaltung als Charakter im Rollenspiel. Dies gilt auch für die ebenfalls oft wenig ausdifferenzierte Figurenkonstellation. Weit verbreitet in diesem Genre ist deshalb als epische Struktur ein schlicht wirkender, auf einen mythologischen Manichäismus rückführbarer Antagonismus von Gut und Böse. Daraus resultiert weiter die relativ einfache Konstruktion des Plots im Sinne eines Aventiûre bzw. einer Quest110, bei der es darauf ankommt, sich seiner Identität in Ausfahrt und Bewährung zu versichern. Die Welt eines FRPG spiegelt im großen und ganzen stets den Grad der Komplexität der in der fiktiven Vorlage konstituierten Perspektive von Welt. FRPG setzen also - wie alle Medienformate - eine gewisse Kenntnis literarischer bzw. anderer künstlerischer Vorlagen, Formate und Techniken voraus (Literacy), auf die Autor, Produzenten und Spieler rekurrieren. Beide streben danach mit Charakteren und mit ihnen realisierten Handlungen den Kontexten des Spiels möglichst weitgehend zu entsprechen. Ihre Intention zum Spiel entspringt dem Wunsch nach Teilhabe an den Fiktionen bekannter Autoritäten und der damit verknüpften Vorstellung von immanent paradigmatischen Wert und Wahrheit. "Diskursive Erkenntnis und ästhetische Erfahrung als Lesemodell korrespondieren mit dem [...] künstlerischen Autonomieanspruch der Literatur, einen Text zu produzieren, eine symbolische Form zu finden, also sinnlich wahrnehmbares Sprachmaterial zu formen, um Schönes bzw. Wahres darzustellen." 111 107 WIRTH, Datenstrukturen, 1984, 46-48 108 GIBSON 1994 (1984), 76: "'Die Matrix hat ihre Wurzeln in primitiven Videospielen..."; 109 EDELMANN 1999 zu weitgehend maskulinen Stereotypen der Fantasy; s.a. Smith' Analyse mythologischer Figuren als Archetypen, SMITH 2001, 27 110 Vgl. dazu: Darstellung von Standardplots bei MURRAY, 1999, 186-187 111 GRAF 2001, 220 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 164 Die Teilnahme an FRPG erzwingt damit ebenso oft auch die Rezeption ihrer Vorlagen durch die Spieler. Deshalb genügen oft schon die Andeutung und das Zitat aus den fiktionalen Kontexten, um eine eigenständige Reproduktion wie Konstruktion von Kontexten, Handlungselementen und –segmenten und Figurengestaltung durch die Spieler auszulösen. Die strukturelle Öffnung der fiktionalen Vorlage in einer grundsätzlich epischen Anlage erlaubt Autoren wie Spieler die Entwicklung von parallelen Fiktionen einer denkbaren Wirklichkeit unterschiedlichster Struktur.112 Das voluminöse Regelwerk bedeutet dabei Freiheit und Grenze zugleich, da die dort verankerte strenge Algorithmik jedweder Interaktion einerseits die Extrapolation der Vorgaben der Vorlage erlaubt, andererseits aber auch ihre Bedingungen mitformuliert. Diese von Autor bzw. Produzent und Spieler gemeinsam geschaffene Anderwelt erfährt nun in ihren über Jahre hinweg entwickelten und redigierten Szenarien und Regelwerken, in denen praktisch alle denkbaren Interaktionsformen kondensieren, die mit der literarischen Vorlage korrelieren, nebst ihren Kontextbedingungen eine zunehmende Verdichtung in konkreten Spielvorschlägen, -anweisungen und -regeln 113. Haben Autoren bzw. Produzenten und Spieler dieses Konvolut erst einmal internalisiert, können sie spontan in unterschiedlichsten neuen Szenarien, die sich in Anlehnung an ihre fiktionalen Vorbilder zyklisch entfalten, immer wieder aufs Neue die von ihnen geschaffenen Figuren agieren lassen. Die Spieler tragen zur Neuausbildung von Szenarien und Zyklen und zur Fortentwicklung des Handlungsstrangs ständig informell wie formell mit bei.114 Signifikant ist z.B. das Aufgreifen und die Adaption aktueller sozialer und kultureller Prozesse durch die Spieler in eigenständigen Entwürfen oder durch die Autoren und Produzenten kommerzieller Szenarien, die allerdings in ständigem und engen Kontakt mit ihrer Nutzer- und Fangemeinde stehen.115 Dem versierten Rollenspieler wie dem Adepten stehen also ständig neue, aktuelle und stimmige (d.h. individuell-thematisch116 wie Jugendkultur adäquate117) Szenarien verschiedenster FRPG zur Verfügung118, an deren Produktion und Gestaltung er direkt wie indirekt Anteil hat. In einer vergleichenden Darstellung der Spielanlage von FRPG mit anderen Subgenre der Fantasy, besonders den digitalen Formaten wie Echtzeitstrategiespielen und Ego Shooter, werden nochmals die besonderen Eigenschaften des Genres deutlich. Die Spielanlage von FRPG zeichnet sich durch Orientierung am Team und komplexen und durativen Aufgabenstellung aus. Die Spieler, auch schon die Anfänger, haben die Möglichkeit zur weitgehend autonomen Ausgestaltung ihres Charakters, der sie im Spiel (und darüber hinaus) repräsentiert. Die Intensität dieses Gestaltungsprozesses führt zu einer affektiven und langfristigen Bindung, die bei Ausscheiden des Charakters zum Problem werden kann, da der Verlust in der Regel endgültig ist. Ein weiteres Handicap ist auch die damit verbundene Passivität des Spielers, der in einem langwierigen Prozess zwar einen neuen Charakter entwickeln kann, aber damit rechnen muss, wegen Integrationsproblemen in dieser Kampagne den neugeschaffenen Charakter nicht mehr einsetzen zu können. Für die Gestaltung fast grenzenlos offen sind weiter für die Spieler, besonders in der Funktion als Meister, die fiktiven situativen und normativen Kontexte des Spiels. Anfänglich eher beschränkt wie die Räume heutiger Ego Shooter bilden die aktuellen Kontexte sehr variable Labyrinthe (Dungeons) und Netze (Mazes bzw. Rhizome). Die Suggestion des Spiels beruht insbesondere gerade auf der 112 Vgl. JEHMLICH 1980 113 Zur Implosion derartiger kollektiver Phantasien vgl. Materialübersichten zu BT und DSA, APPENDIZES/ Material-DSA/ DSA Angebot Deutschland Übersicht; 114 Direkte Aufforderung von Seiten der Autoren und Produzenten zur Mitarbeit bzw. Kommentierung von Szenarien und Spielsystemen sind durchaus üblich; überaus lebendig ist die Kommentierung in den Szene-Foren, den Fanzines und 'Prozines'; dort finden sich auch zahlreiche Eigenproduktionen des Fandom, s. z.B. Angebot der Fa. Fantasy Productions, Erkrath, http://www.fanpro.com [2004-07-03]; 115 Diese Prozesse lassen sich beispielhaft aufzeigen an William Gibsons "Cyberpunk"Trilogie, die richtungsweisend für die Entwicklung einer Reihe von Spielen und Zyklen in den 80er Jahren in den USA wie "Aftermath" (1981), "Year of the Phoenix" (1986), "GURPS Cyberpunk (1985)", "Cyberpunk" (1988), "Cyberspace" (1989) und "Shadowrun (1989)" wurde. Zumindest das letzte FRPG hat mittlerweile mit dem üblichen lag beim Transfer auch in Deutschland eine wachsende Aufnahme gefunden; 116 BACHMAIR 1990; 1993 117 HENGST 1990, 1997, 165-169 118 MIKOS 1994, 27: "präsentative Symbolformen"; zum Angebotsumfang vgl. Auflistung in APPENDIZES/ Feldbeobachtung/ Feldbeobachtung Neuerscheinungen FRPG 1975-2002 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 165 ästhetischen Partizipation der Spieler und erzeugt eine interne imaginative Dynamik, die sich dem Außenstehenden nur selten erschließt. Die Kohärenz der kommunalen Fiktion sichert ein diskursives, von Spielern und – nachgestellt – auch Autoren und Produzenten modifizierbares Regelwerk. Die Spieler finden sich in losen Cliquen, es gibt daneben aber auch erheblich formellere Organisationsformen119. FRPG haben sehr lange Spielsequenzen, in der für die Szene üblichen Dauer eines Treffens von 5 bis 7 Stunden kann meistens nur eine Sequenz des Abenteuers durchgespielt werden. Als weiteres Subgenre der Fantasy haben sich Derivate von Strategie - und Simulationsspiele etabliert. Besonders in ihrer digitalen Variante als sog. Echtzeitstrategiespiele haben sie zahlreiche Anhänger aus dem Fandom gefunden. Da hier der Spieler mehrere Einheiten steuert, gibt es kaum eine persönliche Bindung an Charaktere seiner Truppe, zumal Einzelverluste durch die Möglichkeit des Nachbaus bzw. der Nachrüstung sich weniger gravierend auswirken. Die Figuren verfügen über bestimmte Kompetenzen und können aus einem Fundus gewählt werden. Allerdings führt auch hier die Niederlage des Spielers zum Ausschluss bis zum Beginn eines neuen Spiels und damit zu einer oft mehrstündigen Wartezeit. Zwischen Handlungsimpuls und Realisierung der darin formulierten Intention im Spiel liegen gerade bei Echtzeitstrategiespielen auch längere Zeiträume, um an der Realität orientierte Bewegungs-, Konstruktions- und Produktionsphasen als heteronome Kontexte zu simulieren. Ziel des Spiels ist es, orientiert an der Erfüllung einzelner Tasks den (oft militärischen) Sieg über den Gegner120 bzw. möglichst viele Ressourcen zu erringen, um im offiziellen Ranking einen besonderen Platz einzunehmen. Die immersive Wirkung des Spiels beruht auf der kognitiven Leistung taktisch wie strategisch angemessener Entscheidungen als Reaktion auf die von den Mitspielern bzw. vom Programm generierten Impulse zu treffen. Das Spiel wirkt durch die Handlungsmöglichkeiten am PC als liminalem Objekt dynamischer als das traditionelle FRPG. Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich für die Spieler durch die Navigation in vielen verschiedenen Levels und durch den Einsatz von Tools, mit denen man Maps kreieren, Units generieren und modifizieren und Eventpoints setzen kann. Die Spieler können sich mit ihren Kräften auch zu – unterschiedlich formell und komplex gestalteten – sozialen Formationen im konkreten Spiel und natürlich auch außerhalb des Spiels zusammenschließen.121 In der Praxis ist es, gerade für die Spieler von Echtzeitstrategiespielen, um überleben zu können, auch notwendig, Angehöriger einer Player Association mit entsprechender Community zu sein. Das Zusammenspiel erfolgt online, etwa über das Internet über Plattformen wie "Battlenet"122 oder über ad-hoc hergestellte LAN-Verbindungen. Die Länge einer einzelnen Spielsequenz reicht von einer halben bis zu fünf Stunden. An einem Treffen von 5 bis 7 und mehr Stunden können damit üblicherweise mehrere Runden gespielt werden. Als neueste Entwicklung sind die Ego Shooter'123 in Erscheinung getreten. In der Anlage ähneln sie durch ihre Orientierung an Teams und Tasks den FRPG, allerdings existiert keinerlei emotionale Bindung an den Charakter, den der Spieler führt und anhand besonderer Kompetenzen ebenfalls aus einem Fundus wählt und ihn – je nach Maßgabe seiner verfügbaren Ressourcen – ausstattet. Es fehlt weiter an einer Integration der Einzelaufgabe in eine dynamisch sich in Echtzeit-Sequenzen entwickelnde übergreifende Fiktion. Stattdessen findet eine mehr oder minder begrenzte Anzahl von Handlungsvariablen in vordefinierten Kontexten als ein Prozess von "Hide, detect and shoot" statt. Attraktiv für die Jugendlichen sind besonders die sehr kurzen Spielsequenzen von 2 bis 5 Minuten Dauer. Sie erlauben immer wieder den erneuten Spieleintritt auch bei Verlust eines Charakters im sog. Respawn(ing) 124. Die immersive Wirkung geht von den sehr hohen sensumotorischen Anforderungen (Bildschirmwahrnehmung, Informationsdichte, PC-Tastatur, PC-Maus) infolge einer rasanten Spieldynamik auf verschiedenen Schwierigkeitsebenen aus. Ziel des Spiels ist ein Maximum an Frags als Resultat aus Enemykills, Teamkills und Deaths wie Teamscore. Der normale Nutzer hat zunächst nur geringe Gestaltungsmöglichkeiten, aber die Spiele bieten einen relativ leichten Einstieg in vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten als Programmer auf der Basis der Graphic -Engines, d.h. des sog. Quellcodes, von "Quake" und "Halflife": Hier entstehen in der Szene zahllose Spielvarianten (Mods), 119 Die Spieler können dabei auf eine Reihe offizieller Angebote zurückgreifen, mit denen die Produzenten das Fandom organisieren, oder informelle Möglichkeiten nutzen, die auf das Engagement von privater Seite zurückgehen, vgl. dazu die Präsenz z.B. der Fa. Fantasy Productions, Erkrath, auf den Cons der Szene, u.a. durch "Alveraniare", Spiele-Meister, die offiziell ermittelt werden und als Ansprechpartner für das Fandom installiert werden, http://www.fanpro.com/dsa/displayIFrame.php?lang=&file=./irdisch/alveran/Inhalt [2004-07-03]; 120 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-24 SCHT 121 vgl. "Starcraft - Intense Real-Time Strategy"; im "Team-Melee" spielen mehrere Spieler eine Species, http://www.blizzard.com/starcraft/ [2004-07- 03]; APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD 122 s. http://www.battlenet.com [2003-05-15]; 123 Zum Begriff und zur Entwicklung dieses Genre vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Ego -Shooter [2004-07-03]; LOWOOD 2004a 124 Begriff in Anlehnung an "Spawn", DIPPÉ 1997 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 166 Figurenentwürfe (Skins), räumliche Texturen (Maps) und die unverzichtbaren Waffen (Objects). Entgegen ihrer ursprünglichen Anlage sind Ego Shooter keine Einzelspiele mehr 125, sondern weisen zunehmend komplexere Formen innerer126 und äußerer127 Kommunikation und Interaktion auf. Die Spieler agieren in den Spielen in Squads, die sich – zumindest von der Spielidee her – gegenseitig unterstützen sollten. Die Jugendlichen dieser Sub-Szene organisieren sich ebenfalls in einem hohen Grad virtuell in Player Associations. In den Clans führen die Erfolge des einzelnen wie des Teams auch zu einem besseren Ranking. Damit verbessert sich auch die Performance des Clans und seine Attraktivität für potentielle Interessenten. Die Kohärenz der Spielanlage sichert das in der Software fixierte, rigide Regelwerk, das allenfalls von Produzenten wie von Programmers modifiziert werden kann, die dann sich allerdings einer vehementen Kritik des traditionell recht konservativen Fandom stellen müssten. Beliebt wie berüchtigt sind wie bei anderen PC-Spielen auch hier Cheats, Programmelemente, die ursprünglich zur Entwicklung der Spiele eingesetzt wurden und die Beschränkungen des Regelwerks oder Programms aufheben können, mit denen die Spieler sich Vorteile zu verschaffen suchen. Trotz der Kürze der Spielrunden dauern auch Ego Shooter-Treffen, ob nun als professionell-kommerzielle Tournaments128 oder als privat-organisierte MUD129 oft ebenfalls bis zu 7 und mehr Stunden. Mainstream Fantasy – das Ende der FRPG? Aktuell (2004) scheint sich die FRPG-Branche einmal wieder in einer Baisse-Phase zu befinden130. Die distinktive Funktion von FRPG scheint aufgrund der vielfältigen und kommerzialisierten Integration von Fantasy in den kulturellen Mainstream gerade durch die Filmserien von "Lord of the Rings" und "Harry-Potter" in den letzten Jahren weniger ausgeprägt, was sich offenbar auch in einem nachlassenden Interesse von Jugendlichen an FRPG zeigt und mittlerweile auch auf das Interesse von Newbies, die Rekrutierung von Rookies wie auf den Absatz durchschlägt. Die Produzenten reagieren auf diese Entwicklung mit einer Simplifizierung der FRPG-Spielsysteme und –Regelwerke ("Clix"131), aber auch mit der Integration auch in anderen Genre erfolgreicher Varianten des Merchandising wie der von den Sammelkarten übernommenen Collectibility oder mit der Einrichtung von professionell organisierten bzw. unterstützten Tournaments vor Ort in den Szenen-Shops, um jugendliche Interessenten und Nutzer zu binden. Auch die sich sprunghaft erhöhende Einführung neuer Spiele und das gleichzeitige ausgeprägte Revival älterer Spiele könnten einen Versuch darstellen, mittels Diversifikation in einem begrenzten Markt weiter zu reüssieren.132 Trotz der Beschränkung auf ein überschaubares Fandom beeinflussen andererseits FRPG als eine immer noch deutliche jugendkulturelle Szene auch den kulturellen Mainstream. Dessen aktuelle Kolonisierung von Genre- Texten im Kino-Film und den Konsolen- bzw. PC-Spielen spricht für eine ungebrochene Attraktivität von FRPG und ihres Angebots. Seit den beginnenden 80er Jahren haben so FRPG immer wieder z.B. Filmproduktionen evoziert, neben ihrer Affinität zu Comic und Konsolen-/ bzw. PC-Spielen zeigen Produktionen wie "Matrix", "Final Destiny", "X-Men", "Starship Troopers" etc. deutlich auch Anklänge an Rollenspiele.133 Dies gilt um so mehr für Filme, die genuin der Fantasy zuzuordnen sind wie etwa "Lord of the Rings" und "Harry Potter"134. FRPG haben weiter die Welt der Spielzeuge nachhaltig beeinflusst. Oft dienen sie 125 KÜBLER 2003, 6: "solipsistische Täter"; 126 Spielintern: Chat bzw. Predefined Messages oder Voice-Communication, oder via Battlecom; 127 Metakommunikation auf LAN-Partys, vgl. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD; 128 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.5-1; Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 106-114 129 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD; Bilder/ Bild 1.5-8-26 130 Fantasy wird als Marktsegment nicht eigens statistisch ausgewiesen, so dass verlässliche Zahlen zur ökonomischen Entwicklung fehlen. So steht die Zahl der neu auf den Markt kommenden FRPG im Gegensatz zu Anzeichen eines deutlichen Rückgangs, wie etwa das Ende mancher Szene-Läden oder deren Umgestalt ung auf ein allgemeineres Angebot an Spielen bzw. auf Comic/ Manga hin bei gleichzeitiger Reduktion von FRPG-Artikeln, vgl. APPENDIZES/ Bilder/ 1.3-23-33; Feldbeobachtung/ Feldbeobachtung 2003-02-01 Merlin Clix-Systeme: "Markant ist der fast völlige Zurückbau der FRPG-Displays im Laden: Es fehlen mittlerweile gänzlich die klassischen unbemalten Zinnminiaturen der BattleTech-Serie, parallel dazu ist die Auswahl an Emailfarben drastisch verringert worden. Warhammer-40K-Boxen mit Miniaturen sind noch vorhanden, aber ebenfalls sehr verringert. Das früher deckenhohe Display für FRPG-Sourcebooks und Manuals hat sich auf drei Regalschrägdisplays verringert, FRPG-Boxen sind offenbar überhaupt keine ausgestellt." 131 Collectable Minature Games, vgl. Kap. 4.3 Neue Formen von Board-Games: "Clix"; 132 Vgl. dazu: Entwicklung der Neuerscheinungen 2003 und 2004, s. RGP -Encyclopedia: 2003 (http://www.darkshire.net/~jhkim/rpg/ encyclopedia/byyear/2003.html [2004-06-29]; RGP-Encyclopedia: 2004, http://www.darkshire.net/~jhkim/rpg/encyclopedia/byyear/ 2004.html [2004-06-29]; 133 Ein Vergleich zwischen literarischer Vorlage und cineastische Realisierung etwa bei Frank Heinlein's "Starship Troopers" zeigt deutlich eine Akzentuierung auf das Team hin, das sich auf einer FRPG ähnlichen Quest befindet und in Dungeons eindringt, s. HEINLEIN 1981, Verfilmung s. VERHOEVEN 1997; Starship Troopers (PC-Spiel), Blue Tongue (Entwicklung), Hasbro Interactive, USA 2000 134 Die cineastischen Modifikationen der ursprünglich als sakrosankt geltenden Vorlagen nehmen im Laufe der Verfilmungen zu und simplifizieren dabei narrative Strukturen der Vorlagen im Sinne der Literalität der Rezipienten, wie sie u.a. auch von FRPG vermittelt werden; vgl. Cloutier 2003, Erfahrungsberichte jugendlicher Zuschauer (http://www.ciao.de/Harry_Potter_und_der_Gefangene_von_ 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 167 auch als Vorlage für TV- und Comic-Produktionen. Neue Buchformate wie das Spielbuch als ein Solo- Abenteuer-System oder die Shared Worlds als Anthologien eines Consensus storytelling in der Fantasy- und Science Fiction-Literatur gehen direkt auf den Einfluss der Fantasy-Rollenspiele zurück. Den größten Einfluss haben FRPG aber wohl auf die Entwicklung der Konsolen- und PC-Spiele, etwa durch die dort realisierte Adaption ihres komplexen Skill-and-level-Systems 135 oder durch die Öffnung der Spiele für eine weitere Gestaltungen durch die Rezipienten selbst.136 Hier zeigen sich, vorerst trotz aller technischen Fortschritte immer noch beschränkt, erste Ansätze eines digitalen Storytelling. 137 Der Aufschwung der digitalen Formate der FRPG mag auch dazu beitragen, dass klassische FRPG weniger gespielt werden. Im Fandom interpretiert man dies aber eher gelassen. In den PC-Varianten der FRPG sehen viele Spieler ein faszinierenden Zusatzangebot, das sie gerne nutzen.138 4.2 Formate Paper-and-pen Die klassische Form des FRPG hat sich aus der direkten Face-to-face-Kommunikation der Mitspieler in militärischen Simulationsspielen entwickelt.139 In der Rollenspielversion des FRPG agieren die Spieler weitgehend in einem Raum, der als kollektive Phantasie auf ihren Erlebnissen und Erfahrungen beruht. Die Koordination und spielgerechte Transformation dieser Shared Fantasy140 ist die wesentliche Aufgabe des Master. Manche Relikte der ursprünglichen Wargames sind weiter vorhanden: die suggestiven Abbildungen auf den Gameboxes, Maps fiktiver Landschaften und die unverzichtbaren Dices, doch das eigentliche Geschehen findet im Dialog unter den Mitspielern und dem Master statt. Am Beginn des Spiels steht die Entscheidung der Spieler für eine bestimmte Spezies bzw. Rolle als Charakter und deren Entwicklung und Konfiguration durch die Ermittlung von Eigenschaftswerten anhand von sog. Charakterbögen und häufig konsultierten Regelwerken. Dabei können die Spieler aus einem Katalog figuren- bzw. typenspezifischer Eigenschaften im Rahmen des Regelwerks individuell auswählen. Diese Auswahl wird in der Regel aber durch parallel ermittelte Würfelwerte eingeschränkt. Ebenso können die Parameter der gewählten Eigenschaften durch Würfeln ermittelt werden. In den Charakterbogen werden alle Anfangswerte, dann aber auch alle weiteren im Spiel erfolgenden Modifikationen, an dessen Ende auch die abschließenden Leistungsbewertungen eingetragen.141 Besondere Bedeutung haben die Eigenschaften und Fertigkeiten, die Ausgangspunkte für Modifikation und Entwicklung sind. So muss z.B. für eine spätere Auswahl von Waffen auf die Wahl einer geeigneten physischen Konstitution der Figur ebenso geachtet werden wie auf ihre Geschicklichkeit und auf die ihr zum Erwerb der Waffen zur Verfügung stehenden notwendigen finanziellen Mittel. Askaban_2004__1433486/TabId/2 [2004-06-24] den Prozess einer zunehmenden Angleichung der Medienwelten über medial inszenierte Bildstereotype erfasst Uwe Pörksen in seinem Begriff des "Visiotyps", PÖRKSEN 1997 135 Eine der aktuelle Adaptionen: Call of Cthulu – Dark Corner of the Earth. Haedfirst Productions, 2002 (21.10.2002), nach dem FRPG von Chaosium, Inc. aus dem Jahr 1981, vgl. SCHICK 1991, 23-245 136 Kollektive Gestaltung z.B. per Email oder auch ICQ-Chat findet u.a. statt in den Player's Associations bzw. der Communities der Online-Browser- Spiele vom Typ Echtzeit-Simulationsspiele; Strategiespiele; FRPG bzw. der Ego Shooter; 137 Vgl. dazu die Leistungen von Content Management System-Software, MURRAY 1999, 208-213: "frame based authoring system"; 138 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 40, 52; Interview 2004-02-09 AM, 63 139 Die Tradition militärischer Simulationen geht zurück bis auf das indische Schachspiel. Dessen militärische Rekonkretisierung erfolgte 1666 in "The King's Game"; 1824 entwickelt der preußische Offizier von Reisswitz das "Kriegsspiel" für die Stabsausbildung; 1876 führt Oberst Verdy du Vernois den Schiedsrichter ein. H.G. Well's "Little Wars" von 1913 deutet eine Popularisierung dieser Spiele bis in die Kinderzimmer an. Militärische Simulationen bilden das Rückgrat eines ausgeprägten Fandom in den USA der 50er und 60er Jahre., vgl. EDELMANN 1999; das von Gary Gygax und Jeff Perren 1971 veröffentlichte "Chainmail" -Regelwerk für mittelalterliche miniaturbasierte militärische Simulationen sah unterirdische Aktivitäten wie Minenbau vor, die auf dem Spielfeld nicht darstellbar waren und auf Papier protokolliert wurden. Dave Arneson adaptierte diese Regeln für sein mittelalterliches FRPG "Blackmoor". Die Spieler mussten dabei ihre Wanderung durch einen Dungeon und ihre geplanten Aktionen niederschreiben. Auf diese Art und Weise entstand das Paper-and-pen-Format, vgl. dazu: EDELMANN 1999 140 FINE 1985 141 Material APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung DSA Vorlage Heldendokument 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 168 Die Komplexität der Figurenentwicklung scheint zwar ein Nachteil des klassischen FRPG gegenüber den Board Games wie den Card-Trading-Systemen zu sein, doch liegt gerade in der Komplexität des Kreationsprozesses von Figuren mit dem Ziel fiktiv-virtueller sozialer wie individueller Ausgestaltung (Rollen), ein wesentliches Motiv der Spieler für ihr Engagement. Die Gruppe der Spieler entwickelt zunächst innerhalb des vom Spiel und Spielleiter vorgegebenen Kontextes individuell Figuren (Characters), bringt diese aus früheren Spielsequenzen ein oder adaptiert sie eventuell aus einem anderen FPRG. In einer eigens gestalteten expositorischen Spielphase finden sich diese Figuren dann zu einem Team zusammen142 und interagieren nun wiederum innerhalb des sich weiter fortentwickelnden Szenarios untereinander bzw. mit sog. Nichtspieler-Charakteren (NSC)143, um individuelle, gruppenspezifische wie übergeordnete Ziele zu realisieren. Diese Form des Spiels setzt notwendigerweise einen Master voraus, der das Spiel initiiert und mittels Handlungsimpulsen leitet, seine Regelkonformität kontrolliert und bei Regelverstößen oder -problemen eingreift und weiter für die angemessene Integration der Spielsequenz in übergeordnete Handlungs- wie Spielstrukturen verantwortlich zeichnet.144 Üblich bei den Masters ist z.B. eine fragend-entwickelnde Gesprächsführung, in der nach Vorgabe rudimentärer Informationen zum Kontext entweder spielerkonzentriert, häufig aber auch spielleiterkonzentriert der Kontext im Fragen vervollständigt und weiter entwickelt wird.145 In der nur auf den ersten Blick einfachsten Form folgt der Master dabei einem kommerziell erworbenen Regiebuch (Campaign, Sourcebook, Adventure)146, das in die Handlung und ihre Figuren einführt, expositorisch die Handlung begründet und das Verhalten der Figuren substantiell anlegt und motiviert, den Handlungsstrang entwickelt und an entscheidenden Punkten in Alternativen weiter verzweigt und individuelle wie generelle Ziele den Figuren vorgibt. Die Spielleiter streben allerdings danach - unter Berücksichtigung der vom Spiel her angelegten thematischen wie spieltechnischen Vorgaben - eigene Szenarien zu entwickeln, in denen sich diese Figuren bewegen. Dazu müssen die Master erhebliche Vorarbeiten leisten, indem sie Kontexte entwerfen, Handlungslinien entwickeln, NPC schaffen und schließlich auch das potentielle Verhalten der Spieler antizipieren. Dabei entstehen umfangreiche Sammlungen von Unterlagen, Dokumenten, Zeichnungen etc., welche die Master für die Leitung des Spiels heranziehen oder den Spielern auch als motivationale Impulse zur Verfügung stellen. Damit nähert sich das Spiel einem von den Spielern gewünschten Ideal von kollektiver Fiktion. Gute Spielleiter sind deshalb rar und gesucht und haben in der Szene Namen und Renommee. Der Spieler benötigt wegen der notwendigen Beachtung einer Unzahl von detaillierten Regeln, Bestimmungen und Ausnahmen ebenfalls elaborierte spieltechnische Kompetenzen. Umständlich müssen – wie dargestellt - in zeitintensiven Vorarbeiten die Eigenschaften der Figur nach den Kompendien und durch Würfeln ermittelt werden. Agieren dann endlich die Figuren, ist deren Interaktion, gerade weil man sich um eine möglichst präzise pragmatische Adaption147 fiktiver reeller Verhaltensweisen bemüht, minutiös geregelt.148 So müssen die dabei zu treffenden notwendigen Entscheidungen auf ihre Kongruenz mit den kontextuellen und figurspezifischen Eigenschaften anhand des Regelwerks überprüft werden. Danach wird ihr Handeln in 142 Die Teams sind nicht vorgegeben, sondern müssen gewissermaßen in eigenen Handlungssequenzen selbst erforscht und gebildet werden. Typischerweise handeln die Spieler zunächst allein und treffen sich dann in einem Sozialraum, in dem sie wichtige Kontextinformationen erfahren, noch ohne voneinander (auf der Spielebene) zu wissen. Häufig übernimmt dann eine Figur mit Auftrag dann die Rekrutierung der Gruppe, wobei sie von den neu hinzutretenden Spielern unterstützt wird. Die Gruppe entscheidet dabei in aller Regel einvernehmlich über die Aufnahme von Mitgliedern und auf Anweisung des Spielleiters. In MUD/MUCK allerdings können diese Prozesse sich langwieriger gestalten, weil die Interaktion der Spieler anonymisiert verläuft. 143 CHARLTON 1994, XXII 144 Die Institution eines unabhängigen Schiedsrichters wurde von Dave Wesley in Anlehnung an Charles Tottem's "Strategos: The American Game of War" (ca. 1880) wie auch von Michael Korn, unabhängig von Wesley, eingeführt, vgl. dazu: SCHICK 1991, 18; EDELMANN 1999 145 Das MERS-Regelwerk widmet dieser Funktion immerhin unter dem bezeichnenden Titel "Das System der Welt und die Aufgaben des Spielleiters" ein eigenes Kapitel, s. CHARLTON 1994, 40-52 146 APPENDIZES/ Feldbeobachtung/ Feldbeobachtung DSA Angebot Deutschland Übersicht; MATERIAL-AD&D/ DnD-Adventures01.jpg; DnD- CoreRules01.jpg; DnD-SupportProducts01.jpg; Electronic Games - Dungeon & Dragons Products01.jpg; vergleichbar stehen für alle FRPG eine Reihe weiterer Mittel wie sog. Ressourcen- und Quellenbücher, Romane, Module, Kurzabenteuer, Abenteuerschauplätze zur Verfügung; 147 EDELMANN 1999: "[...] often recreating with near-obsessive accuracy [...]"; 148 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video DSA-Mainz, 48-81 UT 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 169 Entscheidungs und Kampfsituationen noch im genretypischen Würfeln bestimmt, das angesichts der Häufigkeit wie Komplexität dieser Situationen dominant werden und auch beim gutwilligsten Spieler eine Schmerzgrenze erreichen kann. Erfahrene Spielleiter übernehmen deshalb oft diese Validitätsprüfung, um die Motivation ihrer Spielergruppe zu erhalten, und präsentieren ihnen die Ergebnisse gewissermaßen als Faktum bzw. Fatum. Die damit verbundene Mehrbelastung der Master kann sich allerdings ebenfalls negativ auf das Spiel auswirken, da ihnen so weniger Raum und Zeit bleibt, das Spielgeschehen, wie oft notwendig, spontan kreativ weiter zu entwickeln. Das Spielen erzeugt - selbst in der nüchternsten Umgebungen wie etwa einem Schulraum – wegen seiner Komplexität und den damit verbundenen Anforderungen an die Spieler eine grundsätzlich immersiv wirkende Imagination der Beteiligten, die in entscheidenden Phasen durch episodische Erzählungen, Zeichnungen, Pläne fiktiver Orte und anderes Material verstärkt wird, andererseits aber auch Phasen der Unterbrechung wie den üblichen Chill ohne Einbußen übersteht. Man fährt ohne ersichtliche Probleme gewissermaßen aus dem Stand an der Stelle fort, wo man unterbrochen hat.149 Durch die Verwendung der Charakterbögen auch in weiteren Séancen und anderen Kampagnen des FRPG bzw. eines seiner Modifikationen und Varianten erhalten die Charaktere eine auf dem Sheet dokumentierte pseudo- biographische Entwicklung. Am Ende eines Spiels entscheidet der Master über die Vergabe von Erfahrungspunkten, mit denen der Spieler entweder Defizite seines Charakters ausgleichen oder dessen Stärken ausbauen kann. 150 Komplexe Spielsysteme wie AD&D oder DSA führen diese Fortentwicklung als Stufen zu ausgefeilten hierarchischen Strukturen fort, die Autorität begründen und einen wesentlichen Anreiz dafür bieten, Figuren zu erhalten und zu pflegen. Erst ab bestimmten Entwicklungsstufen sind etwa Magier überhaupt erst in der Lage, spezifische Flüche und Zauber (Spells) aussprechen zu können. Dieser Zuwachs an Kompetenzen manifestiert sich auch in einem der Autorität unter den Beteiligten, der schließlich auch die konkrete Spielhandlung prägt151. Das Spiel erreicht unter versierten Spielern qualitativ höhere Ebenen, die tendenziell Anfänger oder schwächere Spieler ausschließen. In den archivierten Aufzeichnungen der Spieler wie der Master dokumentiert sich in der Permanenz des Spiels das von ihnen gemeinsam entwickelte Universum. Paper-and-pen-FRPG werden schon sehr früh wegen ihrer Affinität zu textorientierten Informationsaustauschverfahren in den Hochschulnetzen mittels TELNET elektronisch-digital adaptiert und ermöglichen so bis heute FRPG-MUD, die auf verschiedenen, relativ einfachen Programmiersprachen und TELNET-Browsern beruhen.152 Im Paper-and-pen-Format des FRPG agieren die Spieler in einer von ihren 'Charakteren' her konstituierten Realität und begründen und erfahren dabei eine 'virtuelle' Identitätsentwicklung. Sie haben sich fast völlig von der haptisch-visuellen Ebene des Brettspiels und seiner begrenzten Möglichkeiten von Fiktionalität gelöst und gelangen im Rollenspiel zu einer interaktiv wie kollektiv konstituierten fiktiven Realität, die aus der Perspektive des Beobachters virtuell, in der Selbstwahrnehmung und im Eigenverständnis aber als Folge der mit der Konstitution verbundenen Autonomieerfahrung quasi-reell scheint153. Zugleich verändert sich in dieser Perspektive das ursprünglich durch die normativen Strukturen des Spiels geprägte und heteronom bestimmte Handeln der Spieler zu einer ausschließlich vom Individuum her gestalteten Interaktion und 149 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video DSA-Mainz, 64-95 RES, RC 150 "BattleTech" kennt nur ein relativ einfaches System der Entwicklung von Fähigkeiten, ausgedrückt im Piloting bzw. Gunnery Skill, s. IPPOLITO et al. 1995, 17. MERS dagegen bietet ein ein er charakterlichen Entwicklung adäquat -komplexes System des Erwerbs von sog. Erfahrungspunkten, s. CHARLTON 1994, 22-27 151 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video DSA-Mainz, 68-79 RES 152 Die jeweiligen Fandoms sind schon wegen der Netzwerkstruktur und technischen Konditionen des TELNET geschlossene Usergruppen, die sich nur bedingt öffentlich im WWW präsentieren. Sie lassen sich anhand der verwendeten Programmiersprachen und/ oder thematischen Schwerpunkten unterscheiden: DIKU/ Multiclass MUD; DUM/ DUM II; LP/ LPC (Lars Pensjö), etwa 'Ancient Anguish'; MajorMUD; MOO (Diversity University); Mordor (Brooke Paul/ John Freeman/ Brett Vickers); MUCKs (Multi-User-Chat-Kingdoms/ MUF/ MPI-Programmierung); MUSH (Multi-User- Hallucinations); RGP-MUD; Tiny-MUD (James Aspnes), etwa DragonMud, vgl. dazu: http://www.dmoz.org/Games [2003-02-05]; die Offenheit der Programm-/ Quellcodes ist auch ein Merkmal von Online-Browser-Formaten, etwa zur Gestaltung von Maps und Skins bei Ego Shooter; 153 Der literarische Begriff der Fiktion bzw. der einer Fiktionalität wird der im Rollenspiel möglichen Interaktion (die über die in der Literatur möglichen Autor-Figur-Rezipient-Relation hinausreicht) nicht gerecht. Analog zur Performanz, Perzeption und Rezeption neuerer auditiv-visueller Medien bietet sich der Begriff einer "virtuellen Realität" an. Vgl. zum Begriff bzw. zur Begriffsgeschichte: RHEINGOLD 1995; zur Kritik an diesem Begriff s.a. PÖRKSEN 1997, 27; KÜBLER 1997a, 4; zum Begriff der Fiktion s.a.: WARNING 1979 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 170 Realitätskonstitution mit einer erheblichen immersiven Wirkung, die weit über die konkrete Spielsituation hinauswirkt und sich im Alltag in umfangreichen und intensiven vor- und nachbereitenden Aktivitäten manifestiert. Gerade in der Begrenzung der Mittel, die über das Schriftliche bzw. Zeichnerische nicht hinausreicht und sich mit der Plastizität und Dynamik technisch-virtueller Medien nicht messen kann, liegt ein wesentliches Agens für die Jugendlichen, diese Defizite imaginativ zu kompensieren und damit aktiv-konstitutiv zu handeln. Innerhalb eines festen normativen Rahmens erhalten sie sich die Freiheit, weitgehend selbständig zu handeln und insbesondere ein angemessenes Verhältnis zwischen den von eigenen Intentionen, dem Spiel und Mitspielern formulierten Anforderungen und den zur Verfügung stehenden Kompetenzen herzustellen. 154 Die Bedeutung der Charaktere liegt insbesondere in der Möglichkeit, eigene Identitätsentwürfe zu transzendieren und in fiktionale Kontexte einzustellen, die gemeinsam mit anderen Jugendlichen als dynamische Konstruktionen entwickelt werden und als schützende Rahmen fungieren, in denen man angstfrei und aus sicherer Distanz auch scheiternde Interaktion positiv erleben kann.155 Trading Card Systems/ Collectible Card Games Die vielen Kartenspielversionen des FRPG-Genre sind gerade bei jüngeren Jugendlichen wegen ihres leichten 'Handling', durch ihre visuelle Darstellung phantastischer Themen und die Herausforderung, die Karten systematisch zu sammeln, sehr beliebt.156 Faktisch jede Variante von Fantasy und SF ist auch als Kartenspiel erhältlich, besonders fällt die Reihe von Produktionen auf, die parallel zu laufenden TV-Serien wie bei "Dragonball Z", "Pokémon", "Digimon", "Star Wars", "Star Trek", "Babylon 5", "Buffy" etc. auf den Markt im Zusammenhang mit teilweise global angelegten Merchandising-Konzepten kommen und auf die intertextuellen "persönlichen Arrangements"157 der Jugendlichen rekurrieren. Daneben gibt es genuine Fantasy-Kartenspiele wie z.B. das von den Jugendlichen dieser Beobachtung präferierte "Magic – The Gathering"158. Wie der Name schon besagt ist ein wesentlicher Aspekt der Kartenspiele das Sammeln von Rares und Uniques und das Komplettieren von Serien und Desks. Informelle wie formelle Formen von Kauf und Tausch gehören deshalb unabdingbar auch zum Angebot. Zwar muss man zum Einstieg eine erste, ein Spiel auch erst ermöglichende Kartensammlung (Starter-Pack) erwerben, doch stellt man schnell fest, dass Erfolge sich damit nur schwer einstellen, weil besonders wirkungsvolle Karten fehlen. Dies führt zum Nachkauf von Karten, etwa in den vielfältigen Formen von Booster-Packs (mit einer hohen Zahl von Dubletten), oder zum Erwerb von Einzelkarten in reellen wie digitalen Spezialshops, in Internetauktionen, an Ständen auf den Cons oder von Privat an Privat. Trading Card Games erscheinen auf dem Markt auch unter den Bezeichnungen Customizable Card Games. Hier liegt die Betonung auf den Gestaltungsmöglichkeiten durch den Spieler, welche die im Spiel verwendeten Karten zu einem Deck (60 Spielkarten) als Auswahl aus ihrem Kartenfundus zusammenstellen; der Rookie hat dabei gegenüber dem Experten erhebliche Nachteile wegen der ihm zur Verfügung stehenden geringeren Auswahl an Karten und der jeweiligen spieltechnischen Qualität der Karten. Erst nach längerem Sammeln hat man Chancen, Kartenraritäten mit besonders wichtigen oder mächtigen Eigenschaften zu erwerben. Diese stellen dann die Grundlage von sog. tödlichen Decks.159 Die Bezeichnung Collectible Card Games legt dagegen den Akzent auf die Sammelaspekte des Spiels. Die Spieler erwerben dazu besondere Plastikhüllen, um ihre wertvollen Karten zu schützen, ebenso besondere Alben und machen sich mit einem erheblichen Aufwand an die fast unlösbare Aufgabe, die im jährlichen Abstand neu erscheinenden Serien vollständig zu erwerben.160 Table Top-Games/ Board Games/ Miniature Games Schon von ihrem Ausgangspunkt als militärische Simulationsspiele her haben FRPG auch eine hohe Affinität zum klassischen Format des Brettspiels, das im Fandom als Tabletop-Game, Board Game oder Miniature-Game bezeichnet wird. 154 CSIKSZENTMIHALYI 1985, 203-236 155 HENGST 1997, 157-158; CSIKSZENTMIHAYI 1997a, 122: "protective environment"; 156 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.6-15 157 BACHMAIR 2001, 235 158 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.6-1; ein vollständiges aktuelles Verzeichnis des Angebots s. http://www.dmoz.org/Games [2003-02-05]; 159 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.6-2 160 vgl. ähnliche Marketing-/ Aneignungsformen für Fußballstars, NBA-Spieler etc., neuerdings auch bei Tabletop orientierten Spielen/ FRPG ("Mech Warrior Dark Age"; "Knight Move" etc.), die nun ebenfalls sammelfähig in Starter-/ Boosterpacks verkauft werden; APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.6-13 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 171 Board Games werden in der Regel als Game Sets in aufwändig illustrierten kartonie rten Boxen angeboten, deren Inhalt ohne weitere Ergänzungen schon das Spiel ermöglicht. Neben Figuren bzw. Miniaturen finden sich dort die Genre-üblichen (Spezial)Würfel, Spielanleitung- und Regelwerke, oft weitere Gimmicks wie ein Poster und das obligatorische Spielfeld. In den wenigsten Fällen ist allerdings an eine traditionelle Spielfläche wie ein Schachbrett zu denken, sondern eher an Karten, die fiktive Landschaften und Räume in mehr oder minder abstrahierender Form abbilden. 161 Auf diesen bewegen die Spieler dann in den frühen Versionen der FRPG zunächst Kartenreiter oder Chips, die sie über kurz oder lang gegen ästhetisch wie handwerklich anspruchsvolle Miniaturen austauschen.162 Spezialfirmen bieten hierfür in der Regel Bausätze an. Über die Miniaturen entwickelt sich dabei bei einem begrenzten Angebot und für Jugendliche auch teure Anschaffungskosten sehr schnell ein eigener Markt für Kaufen, Sammeln und Tauschen. Auf diesen Karten bewegen die Spieler ihre Miniaturen nach komplexen Regeln, in deren Mittelpunkt erneut das Würfeln steht. Sie simulieren dabei Verteidigungs-, Angriffs- und Bewegungshandlungen militärischer Einheiten, wobei die Resultate ihrer Operationen einerseits auf der Karte direkt abgebildet, andererseits aber auch notwendig oder ergänzend in Record Sheets163 protokolliert werden. Gerade das Operieren von mehreren Spielern oder auch mit mehreren Einheiten führt das Board Game recht schnell in die Nähe des FRPG, wenn taktische und strategische Überlegungen der Spieler in der Vorbereitung und während des Spiels ausgetauscht und in konkreten Spielzügen realisiert werden.164 Auch Board Game entwickeln sich über die genreüblichen Supplements und Expansions in Form neuer Sourcebooks etc., hinzu kommt ein breites Angebot an sekundärem Material wie Kartensätze, Nachschlagewerke, (z.B. Technical Readouts), Belletristik etc. 165 Die Brettspielversion können auch als Vorstufe bzw. Propädeutikum wie als Begleitung für die auch in der Perspektive der Spieler wesentlich komplexeren und schwieriger zu spielenden Rollenspielformate des Paper- and-pen gesehen werden. Doch auch schon in der Brettspielversion stehen den Spielern ein spielweltlicher Fundus in Form "präsentativer Symbolformen"166, eines umfassenden und komplexen Szenarios und eines minutiös ausgearbeiteten Regelwerkes zur Verfügung, unter dessen Verwendung die Spieler Fiktionen von Realität konstituieren. Neue Formen des Board Game: Clix Gerade die Komplexität der Formate wird von den Produzenten immer wieder als Begründung dafür angesehen, dass der FRPG-Markt trotz aller Bemühungen nicht über das Fandom hinaus ausgeweitet werden kann.167 Weiter zeigt das Genre ein hohes Maß an Diversifikation in seinen Formaten. Hinzu kommt eine stark steigende Konkurrenz für die analogen Formate durch diverse digitale Varianten. Dies führte zu neuen Marketing- Überlegungen und daraus resultierenden Angebotsformen, welche die Vorteile verschiedener klassischer Formate miteinander kombinieren und damit für die Spieler attraktiver werden sollen. 168 161 BattleTech-Karten zeigen z.B. ein über eine relativ rudimentär gestaltete Landschaft gelegtes Hexagonmuster, das mit den Hexagon-Standflächen der BattleTech-Miniaturen korrespondiert und deren Ausrichtung festlegt; hinzu kommen noch Höhenlinien, die für die Festlegung der Line-of-Sight wie Cover und Partial cover beim Feuer wichtig sind; Varianten der Hexes erscheinen in einer Reihe weiterer Board-Games wie z.B. auch "Warhammer 40 K"; diese Form der Map-Gestaltung geht zurück auf Steve Jackson's: "Melee. Basic Fantasy Combat Rules", 5th ed., Metagaming, Inc., 1986; APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-2 162 Ein typisches Board-Game/ Miniature-Game wie "Warhammer 40 K" erfordert für das Spiel und die Darstellung der verwendeten Einheiten einen recht großen Fundus an Miniaturen mit einem hohen Zeit- und Materialaufwand für dessen Herstellung, vom finanziellen Aufwand erst einmal ganz abgesehen, der bei der Anschaffung von Rares wie speziellen Figuren, Kreaturen und Fahrzeugen sich ins Abenteuerliche steigern kann. BattleTech- Fans könnten da mit ihren wenigen Mech-Miniaturen sich erheblich unbelasteter ihrem Spiel widmen, wenn es nicht fatalerweise unter den FRPG- Spielern üblich wäre, verschiedene Spielsysteme gleichzeitig zu spielen; APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.10-1 163 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-14 164 Vgl. Briefing-Szene, Appendizes/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg, 4; Feldbobachtungen/ Feldbeobachtung 1996-01-12 BT - Schulung WG 165 Kap. 4.4.2 "BattleTech" 166 MIKOS 1994, 27 167 Einen ersten frühen und erfolglosen Versuch einer szeneüberwindenden Expansion unternahm TSR, Inc. 1984 mit Basic-FRPG aus dem Comic- /Comedy-Genre, SCHICK 1991, 32 168 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2003-02-01 Merlin "Clix"-Systeme 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 172 In den neu geschaffenen Collectable Miniature Games, nach dem typischen Spielgeräusch, das beim Drehen des Combat Dial169 entsteht auch "Clix" genannt, werden das Board Game, das TCG und FRPG zu einem Formatmix zusammengeführt, der sich durch ein sehr einfaches Regelwerk, sehr schnelle s Spiel wie eine haptisch- ästhetische Erfahrungsdimension auszeichnet.170 Ursprünglich für ein mittelalterliches Miniature Game namens "Mage Knight" als Spielsystem entwickelt171, haben auch bekannte Spiele das neue System sehr rasch übernommen. Mittlerweile gibt es neben einer der Erweiterung "Mage Knight Dungeon" weitere, an Kult-Comic- bzw. Cartoon-Serien orientierte Spiele 172 und auch weitere FRPG wie "Mech Warrior Dark Ages" (MWDA)173 und "Shadowrun: Duells"174 mit dem neuen System. Mit der Merchandising-Welle zu den Verfilmungen von Tolkien's "Herr der Ringe" erschien ebenfalls ein Set mit den zentralen Figuren in dem neuen Spielsystem.175 Die Spieler können nun vergleichbar zu den Spielkarten der Trading Card Games fertig bemalte Miniaturen in Starter- und Boosterpacks erwerben. Schon der Umfang des bislang erschienen Fundus an Miniaturen stellt für die Spieler eine Herausforderung dar, gilt es doch allein für MWDA 116 Miniaturen176 zu erwerben177. Von besonderer Bedeutung für die Sammler sind natürlich die gesuchten Rares und Uniques, um die sich schnell ein eigener Markt gebildet hat.178 Der Verzicht auf die klassischen Hex-Karten ermöglicht ein Spiel auf jeder Fläche. Die konsequente Adaption des Materials an den Maßstab 1:160 (N) erlaubt einen relativ leicht zu bewerkstellenden Aufbau von Diaramen mit Material des Modelleisenbahnbedarfs. Hier erschließen sich neue Spielwelten, besonders wenn es gilt, innovativ mit diesem Material eine ferne Zukunft darzustellen.179 Ebenfalls überflüssig werden mit dem Combat Dial die bisherigen Record Sheets, in die insbesondere die Trefferschäden und andere Handicaps wie etwa die fiktive Erwärmung des Mech akribisch eingetragen werden mussten. Man benötigt zum Spiel nunmehr lediglich ein Maßband für die Entfernungsmessung zwischen den Miniaturen, Würfel, ein recht schmales Regelheft und eine Karte mit technischen Informationen. Alle anderen Informationen befinden sich auf dem Combat Dial. Grundsätzlich kann auch mit dem neuen System nach den komplexen Regeln der bisherigen Ausgabe gespie lt werden, doch liegen die Vorteile eines schnelleren Procedere gerade beim Spiel mehrerer Spieler auf der Hand. WizKids als Produzent unterstützt die Verbreitung des neuen Systems weiter mit dem offiziellen Online-Prozine "Dark Tower", für alle neuen Spie le wurden eigene Homepages mit den jeweils typischen Elementen der Community-Interaktion eingerichtet: dort finden sich neben Foren auch offizielle Interpretationen und Weiterentwicklungen der Regelwerke. Neu sind sog. Botschafter oder Envoys, die nach einer entsprechenden Ausbildung allein berechtigt sind, offizielle Tournaments zu begleiten und insbesondere den Kontakt zur Szene halten sollen.180 169 "What are Combat Dial Wheels?", s. http://www.wizkidsgames.com/mwdarkage/mw_article.asp?frame=howtoplay&cid=36766#dial [2004-07-03]; 170 Erfinder des Spielsystems ist Jordan Weizmann, ehemaliger FASA-Mitarbeiter und Gründer von WizKids LLC; 171 , Kevin; Weizman, Jordan: Mage Knight. 1st release October 2000; Bellevue, WA, USA: WizKids LLC, 2000; eine Hommage an die Anfänge von FRPG in den Tagen von Gygax, Perren und Arneson, vgl. dazu: SCHICK 1991, 19; EDELMANN 1999; FINE 2002 (1983); "Mage Knight" erhielt den Deutschen Rollenspiele Preis 2002; 172 "DC Heroclix" [dccomics mit Stars wie Superman, Batman etc.], "Marvel Heroclix" [Spiderman, Hulk, The Avengers]; "Creepy-Freaks", "Crimson Skies"; vgl. http://www.wizkidsgames.com [2003-02-10]; 173 http://www.wizkidsgames.com/mwdarkage/ [2004-07-03]; 174 17.02.2003: "Shadowrun: Duells": fertig bemalte, detaillierte Aktionfiguren/ Unikate ("First Action Figure Game") zum Sammeln (http://www.wizkidsgames.com/wk_article.asp?cid=37454&frame=Ourgames [2003-02-18]); 17.02.2003: "Creepy Freeks": Gespenster-Comic im Schulmilieu; 10.02.2003: "Crimson Skies", Adaption eines in einer fiktiven Roaries Twenties angesiedelten FRPG (http://www.wizkidsgames.com/wk_article.asp?cid=37438&frame=Ourgames [2003-02-18]; die Häufigkeit der Releases spricht für den Erfolg des jeweiligen Spielsystems; 175 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2003-02-01 Merlin Clix-Systeme 176 Stand 2003-02-01 177 Preise: Starterpack 25,00 €, Boosterpack 11,95 € [Stand: 2003-02-01]; rechnet man die notwendigerweise vielen Dubletten in den Packs ergeben sich horrende Summen für den passionierten Spieler; "'Mage Knight" umfasst im Augenblick etwa 721 Miniaturen; 178 s. http://search.ebay.de/MWDA [2004-07-03]; 179 Beispiele APPENDIZES/ Material-BT/ MechWarriorDarkAge DEUTSCHLAND 180 http://www.wizkidsgames.com/wk_article.asp?cid=36285&frame=community [2004-07-03]; 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 173 Für die "MechWarrior"-Gemeinde gibt es z.B. einen eigenen Nachrichtendienst: "Comstar's Interstellar News Network – INN", der besonders zur Homologisierung der "BattleTech"-Time-/ Storylines beitragen soll, das Regelwerk "Rules of Warfare", "Special Equipment Cards 1&2", Turnierunterlagen, Karten- und Geländeskizzen. 181 Auch die Tradition einer sekundären begleitenden Belletristik wird fortgesetzt.182 Ebenfalls neu ist die Marketing-Unterstützung des Endhandels mit einem vom Produzenten organisierten und gesponserten regelmäßigen landesweiten Event, einer jeweils einen Monat währenden Strategie - und Kampfsimulation mit einzelnen Gefechten als Tournaments, die in den Geschäften vor Ort ausgerichtet werden und deren Ergebnisse in das Gesamtresultat eingehen. Organisatorisch werden auch Promotion-Aktionen wie Airbrushing oder Präsentationsstände in Shops und auf Cons gefördert. PC-Spiele Eine Reihe von Spielen erscheint - parallel zu der Ausgabe in traditionellen Formaten oder von Idee und Spielanlage her auf diesen beruhend183 - als elektronische Versionen für den PC oder die Spielkonsolen. Ihre Entwicklung scheint von der grundsätzlich algorithmischen Struktur der FRPG her naheliegend, allerdings erweisen sich die Skill-and-level-Systeme der FRPG infolge der Komplexität der Variablen als relativ schwierig beim Prozess der Digitalisierung184. Die Computerspiele der neuesten Generation haben als extrem aufwändige multimediale Produktionen zu einem umfassenden Innovationsschub und Nachrüstungsprozess im Bereich der Hardware geführt, der Spielkonsolen und besonders PCs qualitativ auf ein bislang unbekanntes Niveau hob. Gerade die auf der Hardware-Ebene hemmend wirkenden technischen Beschränkungen konnten durch den Einsatz sehr schneller CPUs, großer RAMs, neuentwickelter Graphik-Beschleuniger-Karten und eine massive Ausweitung der Massenspeicherpotentiale überwunden werden185. Die Entwicklungen auf der Software-Ebene führten mit Real- Time-Standards, Multi-user/ LAN-Modi, ausgefeilter 3-D-Graphik und neuem 3-D-Raumklang wie interaktiven Desktops und Eingabegeräten mehr und mehr zur Schwelle einer "Virtual reality"186, die in erfolgreiche Konkurrenz zur immersiven Wirkung traditioneller narrativer Fiktion tritt. Die Einbindung bzw. Abbildung von digitalen Kommunikationsmöglichkeiten und damit sozialer Interaktion via Netzwerkkarten bzw. Internet und die damit möglichen Spielarten der Multi User Dungeons (MUD) haben weiter dazu beigetragen, die anfängliche Reserviertheit der FRPG-Spieler gegenüber dem neuen Format zu überwinden und die Akzeptanz der PC-Spiele im FRPG-Fandom zu fördern 187. Insgesamt nähert sich auch die digitale Kommunikation der PC- Spiele schnell den Standards der aktuellen Medien-Interaktion von Jugendlichen, die mittels ähnlichen Techniken wie Internet-Relay-Chat (IRC, ICQ), Short-Messages-Service (SMS) etc. realisiert wird und eine sehr starke Faszination auf die Jugendlichen ausübt.188 Gleichzeitig erreicht die visuelle, auditive und haptische Qualität der Produktionen in der Darstellung der Handlungssequenzen eine Dimension, wie sie bislang in dieser Intensität nur narrativ-interaktiv erreicht werden konnte.189 PC-Spiele ermöglichen eine Vielzahl verschiedener Spielmodi und sind damit im Gegensatz zu klassischen FRPG auch in sehr unterschiedlichen situativen und sozialen Kontexten spielbar. Grundsätzlich kann man dabei einen Single-User- von verschiedenen Formen des Multi-User-Modus unterscheiden. Einfache Formen des Multi-User-Modus basieren auf der gemeinsamen Nutzung des Spiels auf einem PC oder einer Konsole. Der Vorteil einer Vernetzung lokaler PCs mittels eines lokalen Netzwerkes liegt darin, dass jeder Spieler mit seine 181 Auflistung nach: www.mwda.de [2003-02-01]; 182 STACKPOLE 2002; COLEMAN 2003; VARDEMAN 2003; DELRIO 2003 183 Aktuelles Beispiel der PC-Adaption eines traditionellen FRPG ist: "Call of Cthulhu", Headfirst Productions, Canwell, UK, 2003 (http://www.headfirst.co.uk/ [2003-02-18]), urspr. PETERSEN, Sandy et al. (ed.): Call of Cthulhu. Illustrations by Gene Day. Chaosium, Inc., 1981- 1989; ausführliche Beschreibung bei SCHICK 1991, 239-245; weitere Adaptionen: auf der Basis von DSA etwa: "Sternenschweif", "Schicksalsklinge", "Schatten über Riva", auf der Basis von AD&D: "Baldur's Gate I, II"; "Neverwinternights"; 184 Zur Frühgeschichte der PC-Games und ihrer Entwicklung vgl. EDELMANN, 1999b; FINE 2002 (1983); POEPLAU 1992, 15-16 185 Signifikant für diesen Prozess ist u.a. der Einsatz eines nach dem gleichnamigen Ego Shooter benannten Quake-3-Quaver-Standard-Tests beim Ranking von Graphikkarten, vgl. PC Professionell 2, 2003, 180 [Grafikchips/ 3D-Leistung]; 186 Begriffsgeschichte u.a. bei RHEINGOLD 1995; aktuell der Begriff: "Visibilität" nach PÖRKSEN 1997, 27 187 Aktuelle Nutzungsformen APPENDIZES/ INTERVIEW 2003-02-27 HA 188 Die Jugendlichen nutzen insbesondere die meta-kommunikativen Potentiale einer parallelen Interaktion auf mehreren Kanälen, APPENDIZES: Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD 189 In neueren Produktionen üblich ist die Integration von comput ergenerierten Videosequenzen (Rendering), die auf einer ursprünglichen Darstellung durch Schauspieler beruhen. Zur Entwicklung des computergestützten- und generierten Films/ Videos vgl. FREYERMUTH 2000; FREYERMUTH 2001 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 174 eigenen System (und dessen Kapazitäten) sich am Spiel beteiligen kann. Diese Form des Multi-User-Dungeon (MUD) kann mittels Internet weiteren und komplexeren Stufen ausgebaut werden. Eine Reihe von Spielen, die ursprünglich für den Single -User-Modus konzipiert wurden, erlauben mittlerweile ebenfalls das Zusammenspielen in einem Massive Multi-User Online Role Playing Game (MMORG), andere sind als Online- Browser-Game (OBG) eigens für diesen Zweck entwickelt worden und existieren nur im Internet. Der Zugang zu ihnen ist in der Regel frei, partiell gibt es aber auch kostenpflichtige Angebote 190. Die Zahl der Spieler in diesen MMORG geht in Tausende. Angesichts des Fundus an FRPG191 überrascht es, dass bislang doch nur eine relativ kleine Zahl von klassischen FRPG digita lisiert sind. Andererseits wurde als rein digitales FRPG z.B. "Diablo I, II"192 entwickelt. Nach Erwerb der CD-ROM können bei diesen Spielen die Spieler in einem in Abhängigkeit vom erreichten Level limitierten Umfang an Rollen in einem "Battlenet" per WWW miteinander spielen. Rollen, Objekte und Materialien sind exportierbar und können im Internet getauscht oder käuflich erworden werden193. Von den FRPG nur schwer zu unterscheiden und mit fließender Abgrenzung sind die vielfältigen Echtzeitstrategie - und Simulationsspiele. Entscheidendes Kriterium ist die weniger offene Anlage der Spiele und ihrer Szenarien, auch wenn Szenarien und Figuration auf der thematischen Ebene und die rudimentären Ansätze eines Skill-and-level-Systems wie die Multi-User- bzw. MUD-Möglichkeiten auf der spielpraktischen Ebene eine Ähnlichkeit zu FRPG suggerieren mögen. Dies gilt in vergleichbarer Weise für das Genre der Ego Shooter, auch ihnen fehlt als entscheidendes Kriterium die Offenheit der Spielanlage des klassischen FRPG. Eine FRPG-ähnliche Partizipation der Spieler ermöglichen hier Modifikationen und Variationen des Spiels in der Entwicklung von Mods, Skins, Maps 194 und die strikte Orientierung in der Spielanlage an Teams. Enactment/ Life Acting Role Playing Als ein weiteres Format des FRPG hat sich Life Acting Role Playing (LARP)195 etabliert, bei dem die Spieler mittels Habitus und Kleidung in ihre Rollen schlüpfen und Face-to-face miteinander innerhalb eines phantastischen Szenarios interagieren. LARP stellen deshalb hohe Anforderungen auch an die Interaktionskompetenzen der Spieler. Auch der Authentizitätsgrad, den die Spieler in der Schaffung der Kontexte und bei der Gestaltung ihres Habitus anstreben, erfordert neben erheblichem finanziellen Aufwand auch eine hohe Identifikation mit der gewählten Rolle. Ursprünglich ist das LARP in den USA als Enactment beheimatet, dort gibt es besonders historisch orientierte Gruppen, welche Ereignisse der nationalen Geschichte reinszenieren als Pilgrim Fathers oder Soldaten der American Revolution und des Sezession War.196 Von dort ausgehend hat sich 1991 mit "Vampire: The Masquarade"197 ein erstes genuines FRPG-LARP entwickelt und internationale Verbreitung gefunden. Fantasy-LARP gehören in der BRD zu einer umfangreichen Enactment-Subkultur, die neben phantastischen besonders geschichtliche Themen favorisiert, etwa mit Mittelalter-, Vorzeit- und Western-Gruppen.198 190 Eine kommerzielle Vermarktung ist z.B. geplant für das bislang freie "Final Fantasy" in der Version 10-2; vgl. dazu APPENDIZES/ Interviews/ INTERVIEW 2003-02-25 KC 191 Vgl. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung Neuerscheinungen FRPG 1975-2002 192 s. http://www.blizzard.de/diablo/ [2004-07-03]; http://www.blizzard.de/diablo2/ [2004-07-03]; 193 Etwa über die entsprechenden Kategorien bei Ebay (vgl. http://www.ebay.de/diablo [2003-02-15]); 194 Alle Ego Shooter basieren auf den offenen Sourcecodes der Graphic Engines von "Quake" und "Halflife"; 195 Vgl. dazu: http://www.dreywassern.de; zur Terminologie: Live Role Playing Game/ Live Action Role Playing s.a. WIECHMANN 2001 196 ROSENTHAL 1998; KESSLER 2000 197 MYHRE 1998 198 An der Universität Mainz existiert aktuell eine Vampire-LARP-Gruppe, die sich wöchentlich trifft. Zur LARP-Szene in der BRD vgl. KUHN 1997; WIECHMANN 2001 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 175 4.3 FRPG-Markt Shops: Merchandising-Agenturen Das konkrete FRPG-Angebot, also die Spiele selbst, ihre Zusatzmaterialien und weitere Utensilien findet der Jugendliche meist in einigen wenigen Shops, die sich auf dieses Marktsegment spezialisiert haben. Da von FRPG allein schwerlich ein Ladengeschäft in einer Innenstadt überleben kann, umfasst das Sortiment dieser Läden die ganze Produktpalette von Fantasy, geht also über Fantasy-Rollenspiele hinaus, die damit oft nur ein an die Nachfrage angepasstes Segment des Gesamtangebots darstellen. Andererseits ist es doch offensichtlich so interessant, dass z.T. auch Kaufhäuser und große Spielzeugläden derartige Abteilungen eingerichtet haben. Viele der kleineren Läden haben sich zusätzlich auch auf weitere jugend- oder erwachsenenkulturelle Szenen spezialisiert und verkaufen etwa Comic oder Manga oder bieten generell Spiele jeder Art an.199 Eine weitere gängige Sparte in ihrem Angebot stellen die Merchandising-Artikel der gerade aktuellen Kinofilme oder von Kultfilmen dar. Obwohl man sie dort vermuten könnte, ergänzen recht selten PC-Spiele das Angebot dieser Läden. Die findet man eher in Geschäften, die sich auf PC- und Konsolenspiele spezialisiert haben.200 Durchaus üblich ist andererseits aber ein Angebot an esoterischen und okkulten Gegenstände wie Runen-Zeichen, Emblemen und Mineralien. Das Angebot für Fantasy-Rollenspiele im Laden umfasst zunächst einmal die Spielsysteme der einzelnen Spiele. Als Hartkarton-Boxen und mit ihrer Aufmachung vermitteln sie dem potentiellen Käufer den Eindruck, ein wertvolles und auch wertbeständiges Produkt zu erwerben.201 Die Boxen enthalten eine für das Spiel notwendige Grundausstattung und eventuell weitere Gimmicks, etwa wenn sie im Rahmen besonderer Editionen erscheinen. Die nächste Angebotsgruppe umfasst die Regelwerke, Szenarien und Sekundärliteratur zu den verschiedenen Spielsystemen.202 Hier findet der Master wie der Spieler die notwendigen Informationen zu den komplexen Regelwerken, zu ihrer fachgerechten Interpretation und zu den Szenarien, d.h. ihren geographischen, politischen, sozialen und kulturellen Kontexten bis zu ihrer Flora und Fauna, ihren Figuren, ihrer Historie. Eine wesentliche Unterstützung für die Spieler bilden auch die Supplements mit vorkonfigurierten Spielsequenzen, ob nun als Solo-Abenteuer, als Session oder als Campaign. Sie vereinfachen besonders die Vorbereitung der Master auf Spieltreffen, entweder als einfacher Nachvollzug der Vorlage, als modifizierende Adaption oder als manieristische Variation. 203 Zahllose belletristische Fortführung des Spielgeschehens und seiner Timeline ("Novelizations") ergänzen dieses Angebot.204 Spielsysteme, die als Board Game operieren, benötigen zahllose Miniaturen, die in der Regel als Bleigussteile in Blister-Verpackungen angeboten werden. Ihr Zusammenbau und ihre realistische Gestaltung erfordert eine Reihe weiterer Produkte wie Farben, Kleber, Sticker etc.205 Unbedingt notwendig für den ernsthaften FRPG- Spieler, der seine Miniaturen selbst aufbaut, ist Sekundärliteratur mit Informationen über die einzelnen Rassen oder technische Daten206, aus denen er Anregung für eine möglichst authentische Gestaltung der Miniatur gewinnt207. Hinzu kommen Gebäude- und Landschaftsmodelle zur Gestaltung vollständiger Diaramen.208 Schließlich führen diese Läden noch eine Reihe weiterer Artikel für das Fantasy-Rollenspiel wie etwa verschiedene Würfeltypen in unterschiedlichsten Ausführungen oder Merchandis ing-Artikel, die sich auf die Spiele beziehen und als Rares oft in Glasvitrinen gesichert ausgestellt werden. Angesichts des im Vergleich zu den USA in Deutschland doch recht beschränkten Rollenspiel-Marktes sind viele Materialien dieses Bereichs 199 Vgl. APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.3-24, 26, 28 200 Vgl. APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.4-2 201 Vgl. APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.3-30 202 Vgl. APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.3-31 203 Vgl. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2003 DSA Angebot Deutschland Übersicht; Feldbeobachtung 2004 BT Angebot Deutschland Übersicht 204 In der "Novelization" werden ursprünglich von einem non-literarischen Medium wie z.B. Film gestaltete Texte belletristisch wiedergegeben ("Das Buch zum Film"), s. JUSTIN 2004 205 Vgl. APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.3-28, 29, 33 206 z.B. FASA Corporation Staff (Hg.): BattleTech - Technical Readout 3025, FASA Corporation Chicago, IL, U.S.A, 1986 207 Vgl. APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-13, 16; Bild 1.10-3 208 Das neue CLIX-System der Firma WizKids arbeitet mit dem Maßstab 1:160 (Maßstab N) und ermöglicht damit den Zugriff auf eine Fülle zusätzlicher, die Authentizität steigernder Materialien aus dem Sortiment des Modelleisenbahnbaus der Firmen Faller, Arnold, Kibri, Preisser, Wiking ua.; 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 176 wie etwa fiktive Militaria (Rangabzeichen, Einheitslogos und –flaggen) oft nur als durch Versandkosten und Verzollung überteuerte Importe zu erwerben und dementsprechend in den Läden auch selten. Für die Szene der LARP-Spieler gibt es neben der Möglichkeit, die benötigten Kleidungs- und Ausrüstungsstücke selbst herzustellen, als Alternative auch ein – noch überschaubares – Angebot an Handwerks- und Industrieware in besonderen Läden209. Die Shops stellen in den Merchandising-Konzepten der Produzenten zunehmend wichtige Agenturen dar, mit deren Hilfe man den Zugang zu der Szene als potentiellen Markt erhalten will und zugleich neue Kunden gewonnen werden sollen. Dazu will man eine personale Beziehung zum Kunden aufbauen, die zu einer affektiven Bindung führen soll. "WizKids wants to work with your store to establish a community of WizKids gamers. By hosting events in your store you will increase your player base and sell more WizKids merchandise. However, you cannot run Wizkids events until you become a registered venue." 210 Erste Schritte in diese Richtung stellen die Angebote der Läden dar, Treffen für Fantasy-Rollenspiele regelmäßig zu organisieren und fachtechnisch zu moderieren. Damit sollen einerseits bekannte Rollenspiele neuen Spielern präsentiert werden, andererseits auch Neuproduktionen in die Szene eingeführt werden. Die Attraktivität dieses Angebots basiert auch auf dem stets akuten Mangel an Spielern, die sich als Master zur Verfügung stellen und kompetent Spiele initiieren und leiten. Die Inhaber der Läden sind in der Regel Experten für eine Reihe von Spielen und wegen ihrer fachlichen Kompetenz überaus geeignet, derartige Events ansprechend durchzuführen. Ein weiterer Anreiz besteht in dem für diese Veranstaltungen zur Verfügung gestellten Material, mit dem man neue Spiele kostenfrei testen kann, gerade für jüngere Jugendliche ein wichtiges Argument für die Teilnahme. "11.06.2004 13:28 KURZFRISTIG, aber auch in Germany: Pre-Release Turnier Marvel Ultimates. Am 19./20. Juni finden auch in Deutschland Pre-Release Turniere für die neue Serie von Marvel HeroClix Ultimates statt. Jeder Spieler erwirbt 3 Booster für das Turnier und bekommt einen Booster geschenkt! Austragungsorte sind bis jetzt der Magestore in Düsseldorf, der Kupferkessel in Hannover und Gandalph in Kiel. Mitspielen!" 211 Die Läden sind auch gehalten, auf lokalen und regionalen Treffen und Cons der Szene präsent zu sein und eventuell auch als Sponsoren aufzutreten bzw. ein Sponsorship der Produzenten zu vermitteln. Hier treten auch die von den Produzenten bestellten Envoys auf, die als Experten die Spieler in Sachfragen und Konflikten unterstützen. Wie oben gezeigt wird dieses Konzept auf der Angebotseite weiter unterstützt durch eine vorsichtige Veränderung der Angebotsstruktur und der Produkte. Dazu gehört die Orientierung neuer Produktserien an aktuellen jugendkulturellen Trends, das expansive Ökonomisierung der jugendlichen und spezifisch maskulinen affektiven Fixierung auf das Sammeln von Objekten, eine Ausweitung der Zusammenarbeit mit den Laienautoren der Szene und nicht zuletzt durch eine – optionale Vereinfachung des Regelwerks die Verringerung der Zugangsschwierigkeiten zu den Spielen. Versandhandel/ Internet-Auktions-Börsen: Event-Shopping Neben den oft nur Insidern bekannten Ladengeschäften können die Spieler dieses Angebots aber auch über den Versandhandel erwerben. Eine Reihe unabhängiger Anbieter aus der Spielzeugsparte oder aus dem Buchhandel halten ein begrenztes Angebot an Fantasy-Rollenspielmaterial vor, daneben gibt es im Versandhandel auch zahlreiche Unternehmen, die sich ganz auf diese Produkte spezialisiert haben. Auch die Produzenten selbst betreiben in der Regel einen Verkauf ihrer Artikel. Die Produktinformationen erhalten die Kunden über Werbematerial wie Prospekte und Kataloge oder mehr und mehr auch über das Internet. Mittlerweile betreiben 209 LARP-Ausstattung z.B. bei "Der Ritterladen": "Das beliebte Samtkleid mit Fledermausärmeln – jetzt auch in Grün." (http://www.ritterladen.de [2003-03- 07]); für einen Überblick s. Homepage der LARP-Gruppe "Die Wanderer zu Dreywassern" (http://www.dreywassern.de/links/trade.html [2003-03-07]); 210 http://www.wizkidsgames.com/register_form_venue.asp?ut=4&vs=1 [2004-07-07]; Vgl. dazu: Art. "Merchandising" In: GABLER Wirtschaftslexikon 1988, Bd. 4, 366 211 http://www.heroclix.de/ [2004-07-07]; 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 177 fast alle Versender auch Inter-Shops. Auf den Cons der Szene kann man zahlreiche fahrende Händler antreffen, die ähnlich wie in den Fußgängerzonen der Städte ihre mobilen Stände aufbauen und für die Dauer der Veranstaltungen ihr Angebot an Fantasy-Rollenspielmaterial anbieten. Zu einer weiteren Plattform für FRPG-relevantes Material haben sich mittlerweile die Internet-Auktions- und Verkaufsbörsen212 entwickelt. Neben dem Weiterverkauf eigener, aber uninteressant gewordener Objekte, wie etwa veralteter Versionen der Spiele gilt hier das Interesse besonderen Schnäppchen jeder Art, mit denen man seine Sammlung ergänzen und vervollständigen will. Gehandelt wird dabei neben eigentlichen Objekten wie Boards, Literatur, Miniaturen etc. auch Virtuelles wie Accounts, Rollen, Waffen und Objekte etwa für Online- FRPG.213 Neben der Möglichkeit, hier eventuell günstig Material erwerben zu können, das schon lange nicht mehr im Handel zu finden ist, übt das Steigern der Gegenstände selbst schon eine Faszination auf die Jugendlichen aus, sich in einem faktisch anonymen Wettbewerb als der taktisch Geschicktere und letztlich Cleverere zu beweisen. Der Auktionsprozess selbst mit seiner Zuspitzung auf das letzte Gebot hin kurz vor Auktionsende ist für sich schon ein spannendes Event. Mit dem Zuschlag erhält der Bieter unverzüglich einen Nachweis seiner Überlegenheit, grenzenlos dagegen die Enttäuschung, wenn man in dieser Schlussphase noch geschlagen wird. Oft nimmt das Überbieten groteske Züge an, wenn etwa deutlich höhere Summen für Objekte als der Marktpreis gezahlt werden. Die wachsende Komplexität dieses Marktes erfordert zunehmend auch ausgeprägtere Kompetenzen, um das Angebot einstellen, kritisch bewerten und den Auktionsvorgang erfolgreich abschließen zu können.214 Internet-Tauschbörsen: Digitaler Graumarkt Eine bei Jugendlichen weit verbreitete Form des Erwerbs von Texten ihres Lifestyle -Arrangements sind Peer-to- peer-Netzwerke, die ohne zentrale Server auskommen und deren Datenfluss damit von interessierter Seite wie der Industrie wesentlich schwerer nachverfolgt werden kann. Dabei stellen die Nutzer von ihnen verwendete Software in der Regel in komprimierter Form anderen zum Download zur Verfügung und können im Gegenzug auf die Bestände anderer zugreifen.215 Tools stellen dabei nicht nur die Verbindungen her, sondern vereinfachen Suche und Download durch Suchroutinen und Einstellmöglichkeiten erheblich. So werden gleichzeitig eine Vielzahl von Quellen ermittelt und auf ihre Verfügbarkeit hin abgefragt. Unterbrochene Downloads werden automatisch wieder neu aufgenommen und fortgesetzt. In Verbindung mit High-Speed-Verbindungen ins Internet (DSL) können damit große Datenmengen schnell und sicher geladen werden. Dies macht diese Tauschbörsen auch für die Verbreitung datenintensiver Software, besonders von komprimierten Musikdateien und gerippten216 Kinofilmen interessant. Auf diesen Tauschbörsen findet der interessierte Jugendliche alle aktuellen Neuerscheinungen wie die Klassiker in Musik und Film, zahlreiche Spiele, Bilder, Software etc. Auch die Jugendlichen der FRPG-Szene finden hier zahlreiche Texte, die in enger Verbindung zu ihrem zentralen Ereignis stehen, in erster Linie wieder Musik und Kinofilme, aber auch digitalisie rte Aufnahmen von TV- Sendungen und Serien, die in der Szene Kult-Status genießen. In erster Linie sind dies Produktionen aus dem Fantasy- und Science Fiction-Genre wie etwa "Xena", "Stargate" und die Derivate aus "Star Trek"-Kosmos. Die Verbreitung von Software mittels dieser Tauschbörsen ist auch in Peer-to-peer-Netzen in aller Regel wegen Verletzung von Urheber- und Nutzungsrechten illegal217, aber die Unwahrscheinlichkeit von Ausspähung und Strafverfolgung und das Gefühl, ähnlich wie die Cyberpunks die Rechte der Community gegenüber den Markt beherrschenden Großfirmen zu verteidigen, mit dem die Rechtsübertretung konnotiert, fördern bei den jugendlichen Usern die Bereitschaft, intensives File Sharing zu betreiben. 218 Eindeutig als illegale Quellen von Lifestyle-Materialien werden auch von den Jugendlichen dagegen die besonders den kleinen Cliquen der Insider 212 Mittlerweile fast konkurrenzlos: Ebay (http://www.ebay.de), daneben auch noch kleinere wie etwa Ricardo (http://www.ricardo.de); 213 Beispiel für ein Auktionsangebot: "Diablo II Classic" LVL 95 Barbar # 10 EU-Leiter; € 81,00; (http://www.ebay.de/ws/eBayISAPI.dll?ViewItem&item=3008129439&category=21962 [2003-02-18, 16:10 Uhr]); 214 Vgl. z.B. den Heftschwerpunkt "Ebay-Verkauf" in: Computerbild Nr. 12, 2004-06-01, 48-58 215 Software wie: BEARSHARE (Free Peers; www.bearshare.com); MORPHEUS (Musiccity Networks; http://www.musiccity.com); WIN MX (Frontcode Technologies; http://winmx.com); 216 Als Ripping/ Rippen bezeichnet man das Auslesen von CD-, CD-ROM- und DVD-Dateien mittels spezieller Software zu Kopierzwecken; 217 PURSCHE 2002, 73: "Mit dem Download, aber vor allem durch das Anbieten zum Upload machen sich Nutzer von File-Sharing-Tools strafbar." Mittels einer Novellierung des Urhebeschutzrechtes soll illegales Kopieren ab Sommer 2003 weiter eingeschränkt werden, zur aktuellen Diskussion s. KNUPFER 2003 218 Zum Cyberpunk vgl. GIBSON 1994 (1984); PURSCHE 2002, 72-83; der Vf. gibt einen recht guten Überblick über die aktuellen Möglichkeiten des File-Sharing und die rechtlichen Konsequenzen; s.a. HIMMELSBACH/ PURSCHE 2002, 202-203 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 178 bekannten Hacker-Seiten im Intranet eingestuft. Hier werden unter szenentypischen Genre- Bezeichnungen219 grundsätzlich Raubkopien von hochwertiger Software bzw. illegale Zugangstools zu dieser Software und Schlimmeres angeboten.220 Der gerade auf privaten LAN-Partys erkennbare souveräne Umgang einzelner mit diesen Web-Seiten zeigt die Bedeutung dieses Angebotssektors für die Jugendlichen und deren Bereitschaft, sich auch dort zu versorgen. Gerade auf diesen Treffen ist das umfassende File Sharing ein übliches Procedere, hier werden während der mehrstündigen Vernetzung grundsätzlich die Festplatten der anderen Spieler gesaugt und hinterher zuhause auf Brauchbares gesichtet. 221 Soziale Events als Konsumangebot Ursprünglich eine weitgehend autonome Domäne des Fandom im Sinne eines wesentlichen Rituals distinktiver kollektiver Selbstvergewisserung rückt die formelle Organisation von Events der Szene mehr und mehr in den Fokus der Produzenten der FRPG, die sie als ein Element ihrer Corporated Identity behutsam instrumentalisierten. Typischerweise ist das Fantasy-Rollenspiel die gemeinschaftliche Interaktion einer Spielgruppe, des Adventure Team, und eines Master.222 Die Szenarien sehen in ihrer Exposition fast immer einen situativen Kontext vor, in dem diese Interaktion der Spieler und ihrer Charaktere initiiert wird mit dem Ziel, dieses Team zu konstituieren. Aber auch im weiteren Verlauf der Spiele erzwingen die Krisensituationen der Szenarien diese Kooperation. Szenetypisch ist nun die über das eigentliche Spiel hinaus reichende Perpetuierung der Integrationsleistung des Individuums im Spielerkollektiv, die in der Summe zu größeren sozialen Entitäten führt, die sich selbst als Player Associations oder Clans bezeichnen.223 Im Bereich der klassischen FRPG führt dies zu einer Selbstorganisation der Spieler in Teams, Chapters, Clans, Player Associations mit regelmäßigen Treffen, gegenseitigen Besuchen zu Sessions, Fights und Tournaments, dem gemeinsamen Besuch von Cons, eigenen Fanzines etc. Derartige Formen der Vergesellschaftung werden mittlerweile von Seiten der Hersteller durch spezifische Internetplattformen unterstützt, die private Interaktionsformen ergänzen. Dieselben Phänomene zeigen sich auch bei den elektronischen Varianten von Fantasy-Rollenspielen. Hier entstehen auf den formellen wie informellen Internetplattformen Chatrooms, Foren, Newsgroups, Online-Gaming-Räume etc. mit ähnlicher sozialer (und marketing-unterstützender) Funktion. In Konsequenz mündet diese Entwicklung dann in die Ausbildung einer komplexen Community ein, die sich regional, national und supranational ausdifferenziert. Mit der Zunahme des Organisationslevels verringert sich naturgemäß der informelle Charakter dieses Angebots zugunsten des formellen, den die Hersteller als eigentliche Akteure dann mehr oder weniger offen zeigen.224 Die Verlage und Hersteller unterstützen die klassischen Conventions des Fandom wie etwa den "GenCon", "FeenCon" oder "Tukayyid"225 bei Organisation und Durchführung durch Werbemaßnahmen wie Links, Wettbewerbe, Sponsoring und durch ihren Con-Auftritt selbst, oft verbunden mit einem besonderen Rahmenprogramm mit speziellen Events wie etwa dem Demonstrationsspiel eines legendären Master, der Präsentation in der Szene bekannter und beliebter Autoren und mit Auftritten bekannter Bands.226 219 Begriffe wie: Serialz, Gamez, Warez, Appz, Crackz, Videoz, Moviez, Picz; die Bezeichnungen gehen zurück auf die stilbildende Figur des "Cyperpunk" als moderner Outlaw und dessen Szenensprache ("warez", "sprawl") in William Gibson's Romanen, z.B. GIBSON 1994 (1984) 220 Der Besuch einschlägiger Seiten im Internet ist nicht risikolos und erfordert einige Kompetenzen, denn die Refinanzierung der meisten dieser Seiten über Banner und Links von meist sehr zweifelhafter Herkunft macht eine Reihe von Vorsichtsmaßnahmen wie Virenschutz, Firewall, Dialing- Warner, Pop-Up-Killer etc. notwendig; zudem muss immer mit sog Fakes und Hacker-Angriffen gerechnet werden; 221 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD 222 Die auf Ego Shooter aufbauenden Mods besitzen im Gegensatz zu FRPG- und Echtzeitstrategie-PC-Spielen immer Multiplayer-Modi wie etwa den "Teambot" in "Counterstrike"; obwohl nicht genuin, ermöglichen dagegen Fantasy -Rollenspiele fast immer den Single-User-Modus, aus dem sich mittlerweile das Genre der Fantasy-Spielbücher verselbständigt hat und in den Bereich des klassischen Jugendbuchs vorgedrungen ist, vgl. BRUSKE 2002; HIRTHE 1995 223 Vgl. SCHULZE 1996, 464-466 224 Vgl. dazu: SCHULZE 1996, 439-443 225 z.B. "GenCon" Europe, 18.04.-21.04.2003, London; "GenCon" USA, 24.-27.07.2003, Indianapolis, IN, USA; "DragonCon", 29.08.-01.09.2003, Atlanta, GA, USA; "FeenCon" 2004, Bonn-Bad Godesberg, 310.07-01.08.2004: "Mehr als 2200 Besucher benutzten die Angebote von mehr als 200 vorangemeldeten Rollenspiel- und Demorunden und über 60 Ausstellern." (http://www.feencon.de/indextest.html[2004-07-08]); Nice-Dice e.V. Con "Tukayyid", 11.-13.06.2004, Anröchte (http://www.tukayyid.com/ [2004-06-05]); 226 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA; Monika Felten liest auf dem FeenCon 2004 aus dem letzten Band ihrer "Elfenfeuer"-Trilogie, s. FELTEN 2001-2004; mit "Cathain" (http://www.cathain.de/cathain/index.html[2004-07-08]) und "Die Galgenvögel" (http://www.galgenvoegel. org/start.html [2004-07-08]) treten in der Szene bekannte Bands auf; 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 179 Obwohl die Organisation von Sessions und Tournaments weitgehend über verschiedene Player Association und andere informelle Gruppen verläuft, bieten die Verlage und Hersteller doch auch zahlreiche Hilfsmittel an, welche die Spieler bei der Organisation solcher Treffen unterstützen. Neben Kontaktbörsen und ähnlichem z.B. auch Volunteers, erfahrene Spieler, die man als Master oder Referee kontaktieren oder für Events verpflichten kann. Von großer Bedeutung für die beteiligten Jugendlichen ist die korrekte Protokollierung der Resultate von Teams und Spielern im Ranking der jeweiligen Player Association oder Clan und deren Präsentation in der Öffentlichkeit. Eine virtuelle, sehr intensive Kommunikationsplattform bieten die Produzenten mit ihren Foren und Chat-Räumen auf ihren Firmenseiten. Viele Produzenten von Fantasy-Rollenspielen bieten eigene Organisationen für die Ausrichtung und Durchführung der Tournaments für ihre angemeldeten Spieler an.227 Weiter unterstützen die Hersteller zahlreiche inoffizielle Plattformen der Szene mittels Werbung und Lizenzen.228 Dabei handelt es sich in der Regel um Chatrooms und Foren für angemeldete User229. Auch in den Newsgroups sind FRPG vielfach vertreten.230 Eine Innovation stellt der Versuch der Hersteller dar, Sessions einer auf einem Monat angelegten Campaign in den Händlerläden laufen zu lassen und den Spielern der lokalen Community neben dem vorkonfiguriertem Szenario damit auch eine Verortung für ihr Spiel anzubieten.231 Die Verlage und Hersteller stellen Materialien für diese Produktpräsentationen bereit oder führen ihr Angebot selbst vor. Auch diese Veranstaltungen sind häufig mit besonderen Ereignissen und Aktionen, welche Fans interessieren können verbunden. 232 Eigenproduktionen Trotz aller Regelung sind Fantasy-Rollenspiele von ihrer Anlage als kollektiv gestaltete Fiktionen her nicht nur offen für Adaptionen, Modifikationen, Variationen und Innovationen, sondern basieren geradezu auf einem virilen Fort- bzw. Ausgestalten durch die Spieler. Diese Eigenproduktionen der Spieler haben zwar zunächst nur einen individuellen Bezug und gelten für konkrete Kontexte, können und werden aber mittels der sozialen Interaktion in der Szene auch zum Angebot für andere Spieler. So findet etwa Material, das die Spiele modifiziert und variiert, sie adaptiert und supplementiert, relativ rasch eine weite Verbreitung im Fandom. Dies gilt gerade auch für die fast immer notwendige interpretierende Präzisierung und Konkretisierung der Regelwerke bis hin zu selbstverfassten additiven Kompendien, welche bestehende oder vermeintliche Defizite kompensieren sollen. 233 Die kreative Arbeit der vielen Master bei der Ausgestaltung konkreter Spielsequenzen, etwa mit der Entwicklung von weiteren NPC, neuen Dungeons und Maps, Adventures und Campagnes wird ebenfalls im Netzwerk der Fantasy-Rollenspielszene verbreitet und anderen Spielern – meist auf den einschlägigen Internet- Seiten - zur Verfügung gestellt.234 Dies gilt weiter auch für die von den Spielern gestalteten Objekte, etwa durch die Präsentation oder Publikation bestimmter, exemplarisch empfundener Charaktere, von Objekten wie z.B. Waffen, veränderten oder neuen Handlungsroutinen bzw. –elementen wie Zaubersprüche etc. Auch die Miniaturen und deren Arrangement in Diaramen geben dem Fandom weitere Anregung für eigene Gestaltungsversuche.235 Verbreitungsmedium des von den Spielern selbst geschaffenen Angebots sind neben der direkten Interaktion auf Sessions und Cons die vielen analogen wie digitalen Pro- und Fanzines, die für sich auch schon natürlich ein 227 z.B. "MechForce Germany" (http://www.mechforce.de/ [2004-03-01]); 228 Vgl. die Copyight- bzw. Lizenzbestimmungen etwa bei Blizzard (http://www.blizzard.de/legalfaq.shtml [2004-07-08]); 229 http://www.batchall.de/information.php?mac=QDowOjA6MTowOjA6MDowOjA6MDow&show=anmelden [2004-07-08]; 230 http://groups.google.de/groups?hl=de&lr=&ie=UTF-8&group=rec.games [2004-07-08]; 231 MWDA-Aktion Februar 2003: "Die Schlacht um Ronel", März 2003 "Schlacht um Archenor", vgl. (http://www.mwda.de [2003-02-01]) Magestore- Turniere als Qualifikationsspiele zur Deutschen Meisterschaft am 12.04.2003/ 19.04.2003; urspr. waren derartige Aktionen Marketing-Ideen der jeweiligen Händler; 232 MWDA-Aktion mit Airbrush-Demonstration in Düsseldorf, Magestore, 08.12.2002, vgl. (http://www.mwda.de [2003-02-01]); 233 Beispiel: AMELIZADEH 2000c; TRAMPEDAH 2004 234 Beispiel: HARTMANN/ HÄGE 2004 235 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-5, 8, 9; 23; s. weiter Frank Sandners Diaramen auf der Homepage von MWDA (http://www.mdwa.de/index.php?tpl=galerie01 [2003-03-01]); 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 180 weiteres Angebot mit ihren informativen Artikeln zur Szene, der belletristischen Weiterführung der Time-/ Storyline und den künstlerischen Illustrationen darstellen.236 Zusatzangebote im Lifestyle -Kontext: Marketing und die Arrangements der Jugendlichen Das Angebot des Genre Fantasy-Rollenspiele beschränkt sich nun nicht allein auf Objekte mit konkretem Bezug, sondern umfasst auch eine Reihe von Angeboten, deren Bezug zum Genre weniger eindeutig und offensichtlich ist, aber trotzdem zu seiner Stringenz beiträgt. Dabei verdichten sich Texte unterschiedlichster Provenienz zu einem Gesamtarrangement auf der Angebotsseite, das über das Genre hinaus in andere hineingreift und schließlich auch Elemente des Lifestyle der Jugendlichen integriert. Zu diesem erweiterten Angebot muss zunächst das weite Feld sonstiger Fantasy- und Science Fiction-Literatur gezählt werden, die immer wieder als Anregung, Quelle und Archiv von Fantasy-Rollenspielen im Sinne einer sekundären Literatur subsumiert wird, andererseits aber auch Teil anderer Segmente des persönlichen Arrangements des Jugendlichen sein kann und damit das Fantasy-Rollenspiel mit anderen, thematisch parallelen Szenen verbindet wie etwa der "Star Trek"-Szene. Zu dieser Literatur gehören auch die Prozines und Fanzines anderer jugendkultureller Szenen, die Fachzeitschriften und die Lifestyle -Magazine. So sind viele der jugendlichen Rollenspieler auch Computerfreaks und gehören wegen ihrer umfangreichen Kenntnisse zu den dortigen Experten. Grundsätzlich gehören weiter alle Computerspiele zu diesem erweiterten Angebot, wobei von den Jugendlichen die dynamischen Ego Shooter wie die Echtzeitstrategiespiele gleichermaßen goutiert werden. Mit den PC-Spielen entsteht neben den sozialen Events der eigentlichen Rollenspielszene in den informellen und formellen Multi-User-Dungeons und LAN-Partys ein weiteres Feld sozialer Interaktion im jugendlichen Alltag. Aber auch traditionelle Spiele jeder Art müssen zu diesem erweiterten Angebot zugerechnet werden. Viele Jugendliche besitzen umfangreiche Sammlungen hochwertiger Spiele und verfolgen aufmerksam diesen Markt und die jährlichen Bestenlisten. Über Miniaturen und Diaramen ergeben sich weiter die oben schon angedeuteten Verbindungen etwa zur ambitionierten Modellbauszene. Noch weniger direkt mit dem Genre Fantasy-Rollenspiele verbunden, aber dennoch von hoher Bedeutung für die Ausformung der persönlichen Arrangements der jugendlichen Spieler sind Angebote aus dem Lifestyle - Kontext wie Musik, Film, Fernsehen, Literatur. Das Angebot muss also als ein intertextuelles Arrangement begriffen werden237, das Autoren und Produzenten in Interdependenz mit Konsumenten gestalten, indem sie einerseits versuchen, deren Bedürfnisse und Konsumverhalten zu antizipieren, andererseits aber auch den konkreten Konsum und seine Formen rezipieren und insbesondere auf Veränderungen oder Abweichungen bei der Gestaltung ihrer Produkte reagieren.238 Mit der Einbindung dieser Produkte in intertextuelle Relationen referieren sie auf andere Texte, die so in das Angebot integriert werden, ohne dass dies in seinen konkreten Formen von den Produzenten intendiert sein muss. Die Produkte erhalten damit ein über das Preferred Reading hinausreichendes Potential möglicher Interpretationen, das im für die Produzenten günstigen Fall das Preferred Reading affirmativ unterstützt bzw. legitimiert. Andererseits ermöglichen diese Interpretationsspielräume selbst dann noch eine Nutzung, wenn die eigentliche Intention und Funktion des Produktes vom Konsumenten nicht erkannt oder abgelehnt wird.239 Musik Eine Affinität von Musikgenre wie Hardrock, Heavy Metal, Grunge und neuerdings auch von Old-style HipHop/ Rap für bestimmte Segmente der Fantasy-Rollenspielszene wie etwa "BattleTech" lässt sich unschwer beobachten.240 Hier koinzidieren die pubertäre bzw. früh-adoleszente Außendarstellung der Jugendlichen einer Emanzipation von der kleinbürgerlichen Ästhetik der Elterngeneration mit der direkten Artikulation emotionaler Befindlichkeit und einer utopisch-fantastischen Wahrnehmungsperspektive. Hinzu tritt die Wirkung der 236 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 1999 Warriors Guide 14 QualAnalyse; Feldbeobachtung 1999 Warriors Guide 14 QuantAnalyse; weiter: AD&D-Prozine "Dragon", APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.8-8, 9 10; DSA-Prozine "Der Adventurische Bote", APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.11-56 237 Avi Arad: "Die Comics sind profitabel. Der Schlüsselfaktor sind die Filme und Fernsehserien. Sie treiben das wichtige Geschäft mit Lizenzrechten, etwa für Spielzeuge und Videospiele, an. Wie Sie wissen, war Marvel Anfang der 90er Jahre, bevor ich einstieg, bankrott. Erst durch das Engagement im Kino- und TV-Sektor gelang uns der Umschwung.", STURM 2004 238 SCHULZE 1996, 416 239 CHANDLER 2002, 194-205 240 Vgl. APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg; /Bilder/ Bild 1.4-3, 4, 5, 6 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 181 Frontmen und Mitglieder der Bands, die von den Jugendlichen authentisch und damit als exemplarische Persönlichkeiten und Repräsentanten einer innovativen Lebensführung empfunden werden., deren Biographie die Jugendlichen als Imagination eigenen Erlebens sehr berührt.241 Bevorzugt werden dabei Gruppen, die sich vom Mainstream aus der Sicht der Jugendlichen abgrenzen und damit weniger kommerziell orientiert wirken. Weiter demonstrieren die genannten Musikstile ein spezifisch maskulines Musikerleben, was mit der geschlechtsspezifischen Einseitigkeit eines Spielsystems wie "BattleTech" korrespondiert. Aber auch andere Segmente der Szene haben ihre genuine Musik, etwa bei Spielern von DSA eine gewisse Vorliebe für – oft keltisch beeinflussten – Ethnorock oder meditativ-kontemplative Musik. Die mittlerweile auf dem Markt vorhandenen spezifischen Musikproduktionen für eine weichere Fantasy-Rollenspielszene deuten auf weitere, allerdings nicht unbedingt so deutlich manifeste Affinitäten wie bei "BattleTech" zwischen Spielern und Musik auch in anderen Segmenten des Fandom hin. 242 Eine wesentliche Aufgabe besteht in der distinktiven wie integrativen Wirkung dieser Musikstile als Elemente einer Präsentationen jugendlicher Vergesellschaftungsformen.243 Insbesondere die mit der Musik transferierten und (vor-)interpretierten Texte stellen für die Jugendlichen ein Archiv dar, auf das sie bei ihren Gestaltungsphantasien zurückgreifen. Wohl noch wichtiger sind die Illustrationen, die sie auf den CD-Cover als Anregung für eine Verbildlichung der eigenen Phantasien finden. 244 Film/ Fernsehen Als ein weiteres Text-Archiv werden von den Jugendlichen Film- und Kinoproduktionen zur Gestaltung von Fantasy-Rollenspielen ebenso wie zu der ihres Alltags herangezogen. Grundsätzlich gilt dies zunächst für alle Produktionen, die sich dem Genre Fantasy zuordnen lassen. Dazu gehören konkrete Fantasy-Filme wie z.B. die Trilogie von 'The Lord of the Rings', Science Fiction- Produktionen wie "The Day After Tommorow" und Mystery-Filme wie "Minority Report". Szenenübergreifend zählen zum Angebot im Lifestyle -Bereich auch Teenie -Filme aus dem Horror- und Splatter-Genre und des Sword-and-sorcery. Zu denken ist aber auch an Filme, die Jugendkultur an sich thematisieren.245 Die zahlreichen Crossover der Genre führen zu einer umfassenden Ausdifferenzierung des Angebots.246 Große Bedeutung im Alltag der Jugendlichen der Szene haben auch die an die Kinoproduktionen anknüpfenden serialen Fernsehproduktionen aus den oben angeführten Genre, deren Ausstrahlungstermine Tag und Woche der Jugendlichen mit strukturieren. Die cineastischen bzw. televisionalen Texte benötigen aber keineswegs eine Affinität zu Fantasy, um für die jugendlichen Fantasy-Rollenspieler relevant zu sein. Gerade Produktionen mit einer allgemein hoher Affinität zu jugendlichen Subkulturen wie etwa aus dem Bereich der Comedy247 stellen paradigmatisch Interaktionsroutinen dar, die von den Jugendlichen rezipiert und reproduziert werden. Printmedien Wie oben schon gezeigt steht die Belletristik der Genre Horror, Sword-and-sorcery; Science Fiction und bestimmter Autoren wie Lovecraft, Howard, Tolkien und ihrer unzählbaren Epigonen in engem Kontext zu Fantasy-Rollenspielszene. Symptomatisch für die Bedeutung von Literatur in der Szene ist der Erfolg der Werke Wolfgang und Heike Hohlbeins, die weite Verbreitung gefunden haben und stilbildend die phantastischen 241 Vgl. die Biographie des Rapper Eminem, s. http://www.sing365.com/music/lyric.nsf/Eminem-Biography/477207149EEBF9A648256888000DC259 [2004-03-31]; Verfilmung s. HANSON 2002 242 Marktübersicht Musik s. http://www.ork-express.de/terrasystems/servlet/shop/vm.artikeltabelle_full/cid.138/search./sort.0,25 [2004-07-11] 243 BÄRNTHALER 1998; FARIN 2002 244 Vgl. exemplarische Auswertung der CD-Cover, APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2003 Man O'War Fighting the World Analyse; Feldbeobachtung 2003 Man O'War Kings of Metal Analyse; Feldbeobachtung 2003 Sepultura Chaos AD Analyse 245 BOYLE 2000; HANSON 2002 246 Die Internet-Datenbank und –suchmaschine "International Movie Data Base" verzeichnet unter dem Genre Fantasy 3403 (3729) Titel, unter Mystery 3679 (3999) Titel, unter Horror 5731 (5827) Titel, unter Sci-Fi 3962 (4623) Titel (inklusive TV-Produktion), s. http://www.imdb.com/Sections/Genres/ [2003-03-07]; 247 Traditionelle anglosächsische Unterhaltungsformate wie "American Pie I/ II" (WEITZ/ WEITZ 1999; ROGERS 2001) und neue Formate und Formen der Comedy als Idiocy wie"'Beavis & Butthead" oder etwa "Jackass" (Verfilmung: TREMAINE 2002.; s.a. die Ausstrahlung der gleichnamigen TV- Serie (KNOXVILLE/ JONCE/ TREMAINE 2000-2001) in MTV-Deutschland; 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 182 Imaginationen ihrer Rezipienten beeinflussen.248 Bei den Printmedien ist weiter an das große Angebot des klassischen Comic und den kleinen, stark diversifizierten, aber ebenfalls wachsenden Markt für hochwertige Comic und Manga zu denken, die teils ebenfalls auf die Gestaltung von Fantasy-Rollenspielen einwirken, teils von ihnen beeinflusst werden und sie spiegeln. 249 In diesem Genre subsumiert finden sich auch die Versuche einer Fantasy-Kunst wie etwa in den Bildbänden und Posters eines Luis Royo, dessen Bilder nachhaltige Wirkung in den Phantasien des Fantasy-Rollenspiel-Fandom haben.250 Resümee Die Bedeutung des Lifestyle -Angebots für FRPG-Spieler beruht auf der seiner Multi-Dimensionalität und Ambivalenz. Die Allgegenwart von Fantasy, besonders in den narrativ-fiktionalen Angeboten der Medien, wird zur Alltagserfahrung des Jugendlichen der nachindustriellen Gesellschaft. Fantasy führt zu einer Trivialisierung eines ehemals singulär-elitären Konzeptes von Transzendierung von Welt. Dieser kulturelle Prozess erlaubt es dem Jugendlichen, die Welt für Ordnung und Harmonisierung offen zu halten. Mit der Omnipräsenz von Fantasy erfährt deren distinktive Funktion weiter aus der Perspektive der Jugendlichen ein Re-Enforcement. Allerdings droht diese distinktive Funktion mit der fortschreitenden Vermarktung des Genre und seines Aufgehens im kulturellen Mainstream verloren zu gehen. Andererseits ermöglicht Fantasy die Integration eines jugendlichen Submilieus mit korrespondierenden Subkulturen und eine weitgehende Verortung des Individuums. 4.4 Welche FRPG spielen die Jugendlichen dieser Untersuchung? Unter den vielen Spielen, welche die Jugendlichen dieser Studie spielen251, wurden "Magic: The Gathering", "BattleTech" und "Das Schwarze Auge" als besonders signifikant ausgewählt, weil sie deutlicher als andere den Alltag der Jugendlichen fokussieren und von diesen auch deutlich präferiert werden. Das Alter der Jugendlichen dieser Studie liegt unter dem Durchschnittsalter des Fantasy-Fandom, so dass naturgemäß die mehr der Einführung in die Welt der FRPG dienenden Spiele im Vordergrund stehen. "Magic: The Gathering" stellt einen dieser typischen Zugänge zur Welt der Fantasy und der FRPG für die Jüngeren dar. In der Selbstwahrnehmung der Jugendlichen stellt sein Spiel eine wichtige Entwicklungsstufe dar, mit dem man sich von Spie len der Kindheit wie "Pokémon" oder auch "Yo-Gi-Oh" abgrenzt.252 "BattleTech" dagegen fasziniert durch seine technischen Phantasien, durch den direkten Konfrontationscharakter seiner Spielanlage und durch seine über das Spiel hinausgreifenden pseudo-militärischen Organisationsformen besonders Jugendliche in der frühen Adoleszenzphase. "Das Schwarze Auge" nun spricht mit seinen deutlich komplexeren Strukturen, die wesentlich größere Gestaltungsmöglichkeiten in und außerhalb des Spiels bieten, vermehrt ältere Jugendliche an. An die Bedeutung von DSA als genuines Fantasy Rollenspiel in der FRPG-Klientel wie auf dem deutschen Markt reicht kein anderes Spielsystem heran. Die Tatsache, dass diese Spiele alle auf Deutsch angeboten werden, ist ein kleiner, aber doch wichtiger Faktor, der angesichts der doch oft rudimentären Sprachkenntnisse der männlichen Jugendlichen253 für ihre Verbreitung von Bedeutung ist. Die relativ hohe Nachfrage beeinflusst weiter den Umfang des Angebots, das an diesen Spielen im Vergleich etwa zu ausländischen Produkten recht gut aufgezeigt werden kann. Dieses Angebot muss man sich allerdings, um die Bedeutung von Fantasy und der FRPG richtig einschätzen zu können, angesichts der Tatsache, dass die meisten Jugendlichen mehrere 248 Als Oevre des Autorenteams verzeichnet das VLB 359 Titel, davon sind aktuell noch 237 Werke lieferbar (http://vlb2.buchhandelshop.de/ [2003-03- 07]); s.a. Wolfgang Hohlbeins Internet-Auftritt ("Alles über Deutschlands erfolgreichsten Autor phantastischer Literatur"): http://www.hohlbein.org/ [2003-03-07]; Hohlbein schrieb zunächst für den Heftromanbereich von Bastei-Lübbe in den Genres Horror-, Mystery-, "Jerry Cotton", "Gespenster- Krimi", Western, bevor ihm 1982 mit "Märchenmond" der Durchbruch bei Verlag Carl Uebereuter gelang; 249 STURM 2004: "Comics sind unsere heilige Schrift." 250 Vgl. Luis Royos Homepage (http://www.luisroyo.com [2003-03-07]); insbesondere Royos softpornographische Frauen-Darstellungen in necromorphen Kontexten wirken tief auf die dominant-maskulinen Phantasien des FRPG-Fandom, vgl. dazu: BC "Skizze einer Heroine", APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 1996-12-13 BC Konvolut; s.a. FINEs Beobachtungen zum Sexismus; EDELMANN 1999; weniger offensichtlich und vermittelt als cineastische Ästhetik etwa mit der "Alien"-Tetralogie wie andere Filmproduktionen ("Dune"; "Poltergeist II") oder auch durch Plattencover die necromorphe Ästhetik des Schweizer Surrealisten Hans Rudi Giger (http://www.hrgiger.com/ [2003-03-07]; http://hem.passagen.se/h2/giger [2003-03-07]); Firmen wie z.B. Blizzard Entertainment Inc. unterhalten im Internet Galerien für künstlerische Produktionen, die an ihre Produkte anschließen (http://www.blizzard.com/inblizz/fanart/ [2004-07-10]; 251 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA 252 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2003-06-08 OJ Magic-Novize 253 BAUMERT et al. 2003 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 183 Spielsysteme und Spielformate spielen bzw. auch besitzen, entsprechend erweitert und in seiner Dominanz für den Alltag der Jugendlichen vorstellen. Ihnen stehen damit umfassende Archive symbolischer Objektivationen zur Verfügung, auf die sie bei der Gestaltung von Alltag und Lebenswelt zurückgreifen können. Der Totalität des Angebots entspricht nicht notwendigerweise auch eine der Nutzung, dennoch muss man allein von seiner Quantität wie von seiner zunehmenden Qualität und Diversifikation auf eine spezifische Beeinflussung jugendlicher Alltagsgestaltung in dieser Szene schließen. 4.4.1 Magic: The Gathering - Collectible/ Trading Card Game Bei den beobachteten Jugendlichen stellt ein Card Trading Game wie "Magic: The Gathering"254 üblicherweise den vom Alter der Schüler her frühesten und in der Altersstufe weit verbreiteten Zugang zu FRPG dar.255 Im Mittelpunkt des Interesses steht bei den Spielern von "Magic" zunächst einmal der Sammelaspekt. Es gilt ca. 350 Karten der aktuellen "Classic"-Serie 256 zu erwerben, die auf dem Markt mit unterschiedlicher Häufigkeit vertreten sind. Ausgehend von einem Starter-Set257, das gerade ein Spiel zweier Spieler ermöglicht258, erweitern sich die Sammlung und die Spielmöglichkeiten durch den Kauf weiterer Booster-Packs259, um ersehnte Raritäten (Rares) und sehr viele weniger wertvolle Karten und Dubletten. Für die Ungeduldigen gibt es Dual-Player-Sets (2 * 60 Karten) und Turnier-Sets mit 75 Karten im speziellen Layout. Mit immer neuen Auflagen (Editions) und Erweiterungen (Expansions)260 wird nicht nur die Anzahl der sammelbaren Karten erhöht, sondern auch die Halbwertszeit des bestehenden Fundus verringert. Dies zwingt die Spieler einerseits zum ständigen Nachkaufen, nicht nur mit der Absicht zu aktualisieren, sondern auch um überhaupt an den Interaktionen der Szene partizipieren zu können. Gleichzeitig erhöht sich durch das Auslaufen der Serien auch der Wert der bisherigen Raritäten im Tausch und im Spiel, denn gerade bei der üblichen nachträglichen Integration von Serien in Two- Player261- und Turnier-Packs262 bleiben diese Raritäten außen vor. Mit dem Erscheinen einer neuen Basis-Edition werden für offizielle Turniere alle alten ungültig, um auch Rookies und Newbees eine wirkliche Gewinnchance zu geben; dies gilt nicht für die Vielzahl der informellen Spiele und Turnie re, wo Anfänger fast nie sich gegen die qualitativ hochwertigen Decks aus Rares der Cracks durchsetzen können. Das Sammeln der Karten geschieht durch Kauf in einschlägigen Läden, aber auch in den Spielwarenabteilungen der Kaufhäuser (Starter-/ Booster-Packs), in Internet-Auktionen (Rares, Uniques) und im direkten Tausch. 254 Anbieter Wizards of the Coast Inc. gehört zu den ganz Großen im Marketing und Merchandising des Fantasy -Marktes. Gegründet 1990 übernahm die Firma das Marketing der TCGs "Pokémon" und 1993 das von "Magic: The Gathering". 1997 kaufte man die traditionsreiche TSR, Inc. (OD&D; AD&D) wie Five Rings Publishing Group, Inc. und begann mit dem Aufbau eines Händler-/ Shopnetzes in den USA und Kanada; die Bedeutung von WotC auf einem expandierenden Spezialmarkt verdeutlicht der Erwerb durch Hasbro, Inc. 1999; vgl. dazu die Firmendarstellung in APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2003 Hasbro; Feldbeobachtung 2003 Wizards of the Coast Inc 255 "Pokémon" verwendet ebenfalls das bewährte Spielsystem eines Collectibel Card Games wie "Magic" und andere Card Trading Games, so dass Kinder schon in der Grundschule derartige Spielsysteme beherrschen lernen; neben den Spielkarten gibt es bei "Pokémon" immer noch auch reine Sammelkarten; 256 Magic: The Gathering. 6 th Edition, / 7 th Edition; 257 "Magic® Starter Trading Card Game: includes two decks, two 15-card packs, a collectible premium card, two play guides, a rulebook, and two playmats, along with a CD-ROM loaded with information about every aspect of Magic." 258 Die folgende Zusammenstellung zeigt den Bedarf an Material an, der nach Meinung des Produzenten für das Spiel notwendig ist: ? Two decks featuring illustrated cards of creatures and spells ? Two 15-card packs with more advanced cards for expanded game play ? A collectable premium card featuring exclusive art ? Two play guides to take you and your opponent through the game step by step ? An easy-to-read rulebook for complete rules reference ? Two playmats with scorekeeping disks ? A CD-ROM loaded with exciting mini-games that cover every aspect of Magic play: Introduction to Magic; 4 Test Games; Instructional Video; Rules; Documents; Strategy PDF; Screensaver and Wallpaper; Classic Interactive Cardlist; 259 Grundedition (ab 4 th); "15 Card Booster Packs - Classic Sixth Edition booster packs bring added strategy to your decks with 15 additional game cards. Round out your collection, add new combos to your advanced-level decks, or build a deck of your own creation!" 260 Bsp.: Nemesis-Thema-Expansion: 143 Karten; Randomized 15-Karten-Booster-Packs; Preconstructed Theme-Decks (60 Karten + 1 Foild/ Rares): Mercennaries, Breakdown, Eruption, Replicator; Novel Guide: "Edge out the competition ...with the Nemesis expansion for the Magic: The Gathering trading card game. Check out the Laccoliths, a new creature type that hacks apart the weak links in your opponent's defense. Blocking them is only the start of your opponent's troubles. And then there are fading cards, a fine assortment of card types that give you the edge - ahead of schedule. Featuring 143 all-new, black-bordered cards, the Nemesis set is sold in four theme decks, and 15-card booster packs." 261 "Two Player Game - The Classic Sixth Edition game has everything you need to step up to advanced-level Magic play. Players familiar with starter- level products will find new strategies and play options in the Classic game. You can play these decks right out of the box or combine them with other Magic: The Gathering cards." 262 "75 Card Tournament Packs - Classic Sixth Edition tournament packs contain 75 randomly assorted game cards and are specifically designed for sealed-deck play. Each deck contains both land and random cards for deck building." 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 184 Ab November 2003 ergänzt eine Konsolen-Version des Spiels ("Magic The Gathering: Battlegrounds") für die Xbox von Sony das Angebot. Allerdings weicht diese elektronische Version des Spiels durch ihre überaus knappen Spielsequenzen von der klassischen Spielanlage erheblich ab263. Die Spielanlage Die Karten des Spiels repräsentieren Handlungsorte und –routinen einer phantastisch-magischen Welt. Diese besteht aus fünf Basis-Länder-Typen: Ebene ("Plain"), Berg ("Mountain"), Sumpf ("Swamp"), Insel ("Island") und Wald ("Forest"). Hinzu kommen Zusatzländer wie z.B. "Watchtower" und Gegenstände (Artefact bzw.Artefact Creature). Die Handlung erfolgt über Zaubersprüche (Spells) oder besondere Fähigkeiten (Abilities) der ausgespielten Karten. Die Zaubersprüche lassen sich in verschiedene Kategorien einteilen: Sorcery (Hexerei), Summoning (Beschwörung von Kreaturen), Enchantmant (Verzauberung). Diese Sprüche können nur während des eigenen Spielzugs erfolgen. Immer mögliche Routinen (Instants) sind dagegen z.B. Counterspells. Jeder Spieler besitzt zu Beginn des Spiels 20 Lebenspunkte. Spielpraxis Die Spieler benutzen in der Regel eine individuell zusammengestellte Kartenauswahl mit je 60 Karten (Selfconstructed Deck). Sie ziehen alternierend, beginnend mit sieben Anfangskarten, die zufällig aus dem verdeckt abgelegten Deck gewählt werden. Jeder Zug beginnt mit der Herstellung der Ausgangslage (Untap). Es folgen die Aktivierung der gewünschten Handlungsroutinen mittels Zahlung von "Mana"-Punkten (Upkeep), dann das Aufnehmen einer weiteren Karte aus dem verdeckten Deck (Draw); der eigentlichen Spielzug (Turn), d.h. das Ausspielen einer Landkarte und der gewünschten Spells, und schließlich die Endphase, in die spezifische Regelanwendungen fallen.264 Das Spielziel ist die Vernichtung des Gegners durch Verlust seiner Lebenspunkte mittels des Angriffs von Spells und Creatures. Das Spiel ist zu Ende, wenn der Gegner keine Lebenspunkte mehr hat bzw. sein verdecktes Deck aufgebraucht ist. Die Spiele dauern etwa zwischen 15 Minuten und einer Stunde. Interaktions-/ Sozialformen "Magic” kann man zwar wie Schach auch solo (gegen sich selbst) spielen, doch spannend wird es erst zu zweit oder auch zu mehreren. Das Spiel ist nicht alles. Besonders zur Präsentation der Sammlung gehören Sammelboxen und Schutzhüllen für die wertvollen Karten. Sammeln aber heißt auch: Betrachten, Fragen, Diskutieren, Bewerten, Tauschen, so dass also mit dem Sammelaspekt eine Reihe weiterer Interaktionsformen angelegt sind. Dazu gehören nicht nur Kompetenzen, das Material und seinen Wert richtig beurteilen zu können – nur allzu oft werden gerade Anfänger übervorteilt -, sondern auch Fähigkeiten, den Tauschvorgang angemessen und erfolgreich abschließen zu können. 265 Lifestyle Ähnlich wie klassische Kartenspiele ist "Magic" wegen seiner Größe fast überall unterzubringen. Ein Trading Card Game gehört wie etwa ein Gameboy oder der Walkman in die 4-You-Schultasche eines jüngeren Jugendlichen. Vor- und nach Unterrichtsbeginn, in den Pausen und natürlich zu Hause ermöglicht es fast überall ein Spielen, wo genügend Fläche zur Verfügung steht, die Karten auszubreiten und die Zeit für eine Spielrunde ausreicht.266 263 Vgl. Computerbild Spiele, 2003, H. 10, 22 264 http://www.wizards.com/magic/starter/Starter/welcome.asp [2004-03-01]:"Grab a friend. Open a deck. Everything for two players is in the Magic Starter Trading Card Game. You each get one of the illustrated decks. No board. No spinner. Just you, your opponent, the cards, and some ingenuity. The action hits fast and furious as you fight to reduce your opponent's score from 20 to 0 using powerful creatures and spells." APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.6-18 265 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.6-14 266 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.6-15, 19, 26 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 185 Medien Auf den Webpages von WotC kann man sich umfassend über das Spiel informieren. Hier findet man Informationen über die einzelnen Editionen, die jeweiligen Karten, Neuerscheinungen und eine – im Vergleich zu anderen FRPG doch eher rudimentäre - Storyline. Auch "Magic" kennt alle Elemente einer entwickelten und vom Produzenten professionalisierten Community, etwa Foren oder News und insbesondere die Organisation nationaler wie internationaler 'Tournaments' und die Erstellung von Ranking-Listen. Das Internet wird auch hier – wie bei anderen FRPG – zur zentralen Kommunikationsplattform auf der Angebotseite.267 4.4.2 "BattleTech" – Krieg im 31. Jahrhundert Rollenspielsysteme haben sich schon recht früh der Fantasy und Science Fiction bemächtigt.268 Eine Untergruppe bilden diejenigen, die Roboter thematisieren. Ihren Ursprung haben sie in japanischen Mangas und den daraus weiter entwickelten Animé269, die in den frühen 80er Jahren Eingang in die TV-Channel der USA (und mit dem üblichen Lag erheblich später in die TV-Landschaft Europas und schließlich auch Deutschlands) finden.270 In Japan werden die in ihnen agierenden Mensch-Maschinen-Einheiten Mecha genannt, im pseudo- militärisch bzw. maskulinen Jargon des BattleTech-Fandom spricht man von [Battle]Mech[anic]s271. Vorgeschichte Die Bedeutung der Medien für ein erfolgreich vernetztes Merchandising zeigt deutlich das Scheitern von "Mechnoids"272, des ersten US-amerikanischen Mecha-RPG. Trotz einer hervorragenden Ausstattung und seiner spieltechnischen Qualitäten bleibt dieses RPG ohne Erfolg, weil japanische Mecha-Animé im TV-Angebot US- amerikanischer Sender zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgestrahlt werden. Dies beginnt erst 1983/84. 273 Von Bedeutung dürfte weiter sein, dass sich die Roboter- und Cyborg-Thematik nach Ablösung der stets vom Golem-Motiv geprägten literarischen Tradition274 erst Mitte der 80er Jahre im gesellschaftlichen Diskurs der westlichen Kultur etabliert hat275, während sie in Japan wesentlich früher aufgegriffen und mit erheblich weniger ethisch-moralischen Restriktionen diskutiert wurde.276 1983 zeigt sich einigermaßen erfolgreich "Droids"277 auf dem Markt - ein FRGP, dessen Charaktere ausschließlich Roboter sind - nachdem die japanischen Zeichentrickfilme ausgestrahlt werden. Die Adaption der 267 Weiterführende Informationen auf der "Magic"-Homepage (http://www.wizards.com/default.asp?x=mtgcom/welcome [2003-02-15]); 268 Vgl. EDELMANN 1999; SCHICK 1991, 292; 301-302 269 Eines der frühesten Animé dieser Thematik: "Macross", KAWAMORI 1984 270 Original japanische Animé sind keine Sache des öffentlich-rechtlichen "Kinderkanal", - dort werden allenfalls in Japan produzierte Zeichentrickfilme europäischer literarischer Vorbilder wie z.B. "Biene Maja" oder "Hanni und Nanni" gezeigt -, für eine internationale Vermarktung geeignete japanische Fiktionen wie "Pokèmon" und "Digimon" und neuerdings weitere Animé finden sich bei privaten TV-Sendern wie RTL II ("Mini- Göttinen"; "Hamtaro"; "Jeanne, die Kamikaze-Diebin", "Ranma", "Dragon Ball"), SuperRTL ("Bob der Flaschengeist"), TELE 5 ("Ein Supertrio") oder ab und an im Nachtprogramm von VOX, etwa "Shin Seiki Evangelion" (1995; Japan) Regie/Buch: Hideaki Anno; VOX 28.11.2000, 00:20 Uhr – 02:20 Uhr; "Jin-Roh", XXP 08.02.2003, 22:00-22:40 Uhr; vgl. dazu: Anime TV Planer von Anime no Tomodachi (Verein zur Förderung japanischer Populärkultur in Deutschland e.V.) im Internet (http://www.tomodachi.de [2003-02-10]). Wie die Diskussionen um "Power Rangers", "Pokémon" und "Digimon" zeigen, sind japanische Ästhetik und Fiktion nicht ohne Probleme in den USA und Europa zu vermitteln, u.a. wegen der kulturell unterschiedlichen Bewertung von Gewalt-, Sex-, Machismo-Darstellungen, der Rolle von Technik, der gesellschaftlichen Ängste, der Symbole, auch wenn die japanischen Produzenten im Zuge der weltweiten Globalisierung und Amerikanisierung (s.a. "McDonalization") zunehmend fiktionale und narrative Elemente besonders angelsächsischer Provenienz ("American Way of Life") in ihre Animé integrieren: etwa im Habitus der Figuren, ihren Interaktionsritualen, den Figurenkonstellationen etc.; 271 Die Idee des "BattleMechanic" basiert weniger auf der Konzeption eines Cyborg (Cybernetic Organismen) als vielmehr auf der Entwicklung von Industrierobotern und Exoskeletten; eines der ersten Beispiele einer literarischen Gestaltung mit frappierender Ähnlichkeit zur späteren Gestaltung bei "BattleTech" bei LEM 1989; weitere Beispiele sind etwa das marginale Exoskelett des Protagonisten in "Mad Max II", auch den finalen Kampf zwischen "Alien" und "Ripley" in "Alien II"; weitere Hinweise auf die Genese der Mech in "BattleTech" finden sich auch in "Technical Readout 3025", APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.1-9, 10, GEODE 2004 272 Palladium Books Inc., 1981 273 Zur Geschichte der Mecha-RGP, vgl. SCHICK 1991, 292 274 Die Schaffung von künstlichen und Maschinenwesen gilt in der Phantastik wie in der Science Fiction bis in die Moderne stets als Akt menschlischer Hybris und Tabu-Verletzung, s. WOLLSTONECRAFT-SHELLEY 1985 (1818); HARBOU 1926 275 Vgl. dazu: Veröffentlichungen zu Cyborgs/ Feminismus: GEHRKE 1999; POSENER 2000 276 In der japanischen Kultur sind z.B. die im Westen als Grenzverletzungen geltenden Tier- bzw. Mensch-Maschine-Wesen unproblematisch, vgl. dazu: "Oh Gott, es lebt! Das Jahrhundert der Roboter." Ein Film von Matthias Kremin und Walter Filz. Redaktion: Heribert Schwan. WDR 04.04.2001, 23:30 Uhr; SCHNEIDER 2003; s.a. Sony's Erfolge mit "Aibo", einen künstlichen Hund, der in Japan auch zu therapeutischen Zwecken in der Senioren-Betreuung eingesetzt wird (http://www.aibo-europe.com/2_2_event.asp?language=de [2004-03-01]); im westeuropäischen Kulturkreis gilt dagegen immer noch die Tabuisierung des Chimären; 277 "Droids. The Cybernetic Role-Playing Game." Neill Patrick Moore. Integral Games, 1983; SCHICK 1991, 297 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 186 japanischen Vorlagen beschränkt sich dabei von Beginn an auf das Design der Figuren, weniger auf die eigentlichen Handlungsabläufe, die amerikanisiert werden. Immerhin lässt "Droids" mit seinem Szenario eines durch die Menschen verschuldeten Weltuntergangs, dem allein die Maschinen entrannen, die spezifisch japanischen Traumata der Vorlage noch spüren. Erstes kommerziell wirklich erfolgreiches Mecha-FRPG ist "Mekton"278, ein Gameset, das mit der Verknüpfung von Rollenspielmaterial (Eingangsszenario; fiktive Geschichte der Welt von "Algol") und seinem additiven Board Game richtungsweisend wirkt.279 1985 beginnt dann die Erfolgsgeschichte von FASA's "BattleTech", zunächst als ein reines Tabletop bzw. Board Game mit Paper-and-pen-Elementen, dem ein Jahr später mit "MechWarrior" die erste reine FRPG-Version folgt.280 Die Kombination eines sehr komplexen Regelwerkes mit elaborierten Kontexten und Szenarien und einem Board Game ("cross-media integrated series"281) erweist sich in der Szene als überaus attraktiv. Obwohl eigentlich kein genuines FRPG erlangt "BattleTech" in den USA schnell Kultstatus unter den Mecha-FRGP und löst "Mekton" sofort in der Beliebtheit ab. Weitere Ursache für den Erfolg ist die Adaption des "Robotech"- Systems282 durch FASA, bei dem die Charaktere, beim Tabletop-Spiel, also die Mech mit ihren Piloten, in einem Class-and-level-System283 verwaltet werden. In "MechWarrior" dagegen findet sich die klassische Anlage der FRPG mit einem Skill-and-level-System. Der Erfolg der Mecha-Spiele führt zu weiteren Neuerscheinungen. Neben "Robotech" erscheint im selben Jahr noch "Robot Warriors"284. Dem Trend der Mecha-FRPG folgt 1987 "Living Steel"285, das in seiner paramilitärischen Spielanlage schon auf die heutigen Ego Shooter bei den PC-Spielen verweist.286 Mit dem Gewinn des "Gamers Choice Award" 1987 für das beste Science Fiction- Strategie-Spiel ze igt sich "BattleTech" auf seinem ersten Popularitätshöhepunkt in den USA. Auch das Folgejahr demonstriert, dass sich die Mecha-FRPG auf hohem Niveau in der Spielerszene etabliert haben. Es erscheinen zwar keine weiteren Spiele auf dem Markt, die bestehenden werden allerdings umfassend ausgebaut und weiterentwickelt und die Mecha-Thematik mischt sich mit der anderer FRPG des Science Fiction-Genres. Als Konkurrent und Ergänzung erweist sich besonders die Entwicklung der Cyberspace-FRPG im Zuge der Adaption der Werke Gibson's und Sterling's287 wie die Integration der etwas älteren Dark Future- FRPG. Schon 1989 folgt auch FASA diesem neuen Trend mit "Shadowrun"288, das 1990 ebenfalls den "Gamers Choice Award" in der Rubrik "Best Science Fiction Role Playing Game" erhält. Mit "Rifts"289 erscheint dann 1990 ein erster echter Mix aus Mecha- und Cyberspace-FRPG. Das "BattleTech"-Angebot umfasst alle marktüblichen Formate des FRPG: Board Game, FRPG und PC-Spiele. Das Angebot ist sehr vielfältig und nur schwer zu überschauen.290 Zur weiten Verbreitung des Spiels und seiner 278 "Mekton: The Game of Japanese Robot Combat." Mike Pondsmith; Mike Jones; R. Talsorian Games, 11984; 21986 279 SCHICK 1991, 292 280 Zur Firmengeschichte APPENDIZES/ Firmen/ FASA; http://www.wordiq.com/definition/FASA [2004-07-15] 281 SCHICK 1991, 34 282 "Robotech Book One: Macross", Kevin Siembieda, Palladium Books, 1986. "Robotech" geht zurück direkt auf die "Robotech"-Zeichentrickfilme ("animated shows"); "Robotech" wurde in den Folgejahren durch eine Reihe von Game-, Source- und Campaignbooks fortgeführt; vgl. dazu: SCHICK 1991, 299-300 283 Die Kompetenzen der Figuren sind hierarchisch vorgegeben, wobei die Entwicklung der Figuren Auf- und Abstieg in verschiedene Niveaus erlauben; 284 "Robot Warriors", Steve Perrin, George MacDonald; Jim Holloway (Illustrationen); Hero Games/Iron Crown Enterprises, 1986; vgl. dazu: SCHICK 1991, 300 285 "Living Steel" bzw. "Rhand: Morningstar Missions", hrsg. von Barray Nakazono; Robert Calvet. Leading Edge Games, 1985; dann erneute Vermarktung als: "Living Steel High-Tech Pole Playing System", Barry Nakazono; David McKenzie; Steve Huston (Cover); Leading Edge Games, 11987 (Box mit drei Gamebooks: "World Book" mit sozio-historischen Informationen zu "Rhand", "High -Tech Weapon Data Supplement", "Data Tables", Charakter-Bögen, Landkarte, Würfel). Militärisch orientiertes Science Fiction "Combat Armor"-RPG mit hochkomplexen Regelwerk; das "realistische" Szenario führt bei den Charakteren in kürzester Zeit zum Tod; 286 Ego Shooter sind hochrealistische – und wegen der damit verbundenen Darstellung expliziter Gewalt häufig auch indizierte – Computerspiele, bei denen der Spieler (oft online/ LANs/ WWW in MUD) Platoon oder Squad-Einheiten in militärischen/ anti-terroristischen Szenarien kontrollieren; stilbildend der Kosmos der "Quake"/ "Halflife"–Szenarien wie: "Unreal Tournament", "Counterstrike", "Opposing Forces", "Team Fortress", "Sudden Strike"; vgl. dazu BERTUCH 2000 287 Vgl. Kap. 4.2 Belletristik; 288 IPPOLITO/ MULVIHIL 1989; Kurzbeschreibung bei SCHICK 1991, 279 289 "Rifts", Kevin Siembieda, Keith Parkinson (Cover), Palladium Books, 1990; kruder Mix aus Science Fiction-, Cyberspace-, Dark Future- und Mecha- Elementen, bei dem Palladium de facto seine vorhandenen Spielserien kombinierte; vgl. dazu: SCHICK 1991, 278-279 290 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2004 BT Angebot Deutschland; 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 187 thematischen Inhalte haben insbesondere auch die PC-Versionen wie die Übernahme des "Mage Knight"- Spielsystems erheblich beigetragen. Spielszenario Im Gegensatz etwa zu "Magic: The Gathering" kommt der Gestaltung der Kontexte bei "BattleTech" aufgrund seines Anspruchs, ein Full-scale-Spiel'291 mit komplexem, pseudo-historischem Szenario zu sein, erhöhte Bedeutung zu. 292 "BattleTech"293 spielt in einem Szenario, das in den späten 90er Jahren des 20. Jahrhunderts beginnt und mit dem Jahr 2750 in die eigentliche Handlungsepoche eintritt.294 Mit dem Zerfall einer "Star-League" genannten menschlichen interstellaren Zivilisation scheinen grundlegende zivilisatorische, wissenschaftliche und technische Kenntnisse für immer verloren. Allein das militärisch-technische Know-how mitsamt dem industriell-militärischen Komplex haben diese Krisenjahre überdauert und stehen unter der erodierenden Kontrolle einer Zentralregierung ("ComStar"), deren Autorität auf dem Monopol interstellarer Reisen beruht.295 In den "Succession Wars" kämpfen fünf Mächte ("Pentagon") um die verbliebenen natürlichen und technischen Ressourcen des ehemaligen Siedlungsraumes, der "Inner Sphere". Im "Clash of Civilizations"296 der fünf konkurrierenden, mehr oder minder militarisierten Gesellschaftssysteme ("Houses")297, werden "[Battle- ]Mechs", humanoid gestaltete gigantische Kampfroboter und weiteres militärisches Gerät zu Land, zu Wasser und in der Luft eingesetzt. Sie werden von einer Kriegerelite, den "MechWarriors", gelenkt und kommandiert.298 Die Mächte unterhalten weiter ein umfangreiches konventionelles Arsenal, dessen Kampfwert im Vergleich zu dem der Mechs allerdings relativ gering ist. Die Frontstaaten setzen ihr gesamtes wirtschaftliches Potential ein, um den Stand der Waffentechnik zu halten bzw. zu erhöhen, naturgemäß zu Lasten ihrer sozialen Infrastruktur.299 Im Laufe der ersten Dezennien dieses interstellaren Konfliktes hat sich gegen 3025 ein labiles Kräftegleichgewicht mit einer Regionalisierung der Konflikte herausgebildet, u.a. auch durch das Unvermögen, technisch zu den noch immer unerreichten Standards der ehemaligen "Star-League" aufzuschließen und so die entscheidende Überlegenheit zu gewinnen. Die Vereinigung zweier "Houses" ("Lyran Commonwealth", "Federated Suns") führt ab 3028 zu einem 4. "Succession War", der bis zur Invasion der "Clans" 3050 noch nicht beendet ist. Diese Invasion verändert die politische und militärische Lage von Grund auf. Obwohl die Heimatwelten der "Clans" wie ihre Geschichte zunächst unbekannt bleiben, handelt es sich offensichtlich um Kräfte der "Inner Sphere", die sich aus dem bekannten Universum während des Zerfalls der "Star-League" zurückgezogen haben. Ihr Ziel ist es, nach den Jahren des freiwilligen Exils die als dekadent empfundenen Nachfolgestaaten auszulöschen und eine neue menschliche Zivilisation im Universum zu begründen. Die Überlegenheit der "Clans" beruht zum einen auf der Ausstattung ihrer Streitkräfte mit weiterentwickelter Technologie der "Star- League". Zum anderen auf den im Laufe des Exils ausgeformten neuen Gesellschaftsstrukturen, die auf der konsequenten Anwendung von Gentechnologie beruhen. Die durch Breeding und Cloning modifizierten "MechWarriors" der "Clans" bilden elitäre Sippenverbände mit archaisch-hierarchischen Herrschaftsformen, Ritualen und Ehrenkodices. 291 Erstes Full-scale-RPG ist "Chivalry & Sorcery", vgl. SCHICK 1991, 24 292 Die offizielle Story-/ Timeline wurde in bislang 61 Romanen der "BattleTech"-Serie zum augenblicklichen Szenario fortentwickelt, vgl. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2004 BT Angebot Deutschland; 293 WEISMAN/ BABCOCK/ LEWIS 1992 294 Vgl. "Mech Warrior Timeline" auf "INN – Interstellar News Network: Chronicles" (http://www.wizkidsgames.com/mwdarkage/comstar/cs_article.asp?frame=chronicles&cid=36782 [2003-02-10]); 295 Vgl. die politische und soziale Funktion der "Raumgilde" ("Guild") in Frank HERBERT s "Der Wüstenplanet", HERBERT 1979 296 HUNTINGTON 1996 297 Vgl. "Lyran Commonwealth" unter der Führung der "Archon-Designate Melissa Steiner": proto-faschistische Militärdiktatur; vgl. HEINRICH 1968, s.a. den Film "Cross of Iron", PECKINPAH 1977; 'Draconis-Combine': vordemokratische japanische Militärdiktatur mit Analogien zur Shogunat -Ära und zur der seit 1937/ 1941 vom japanischen Faschismus angedachten Großjapanischen Wohlstandssphäre; 298 William Gibson kommt mit seiner Darstellung des Ursprungs einer Mensch-Maschinen-Symbiose der "BattleMech"-Realität recht nahe: "Die Matrix hat ihre Wurzeln in primitiven Videospielen«, sagte der Sprecher, »in frühen Computergrafikprogrammen und militärischen Experimenten mit Schädelelektroden.« Auf dem Sony verblassten ein zweidimensionaler Weltraumkrieg hinter einem Wald mathematisch konstruierter Farne, die die räumlichen Möglichkeiten logarithmischer Spiralen demonstrierten. Stahlblaue militärische Maßangaben in Fuß glimmten auf. Versuchstiere, an Testreihen angeschlo ssen, Helme, die Feuerkontrollschaltungen von Panzern und Kampfflugzeugen speisten." s. GIBSON 1994 (1984), 76; vgl. die Entwicklung von Exoskeletten für militärische wie medizinische Nutzung, GEODE 2004 299 "'Life is cheap. BattleMechs are expansive.' - Advertising slogan, Irian BattleMechs Ltd." s. IPPOLITO et al. 1995 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 188 Angesichts der Invasion finden sich die fünf "Houses" zu einer Koalition zusammen, der es gelingt, unter hohen Verlusten das Eindringen der "Clans" zunächst zu stoppen und unter Verwendung eroberter Technologie wie eigener Innovationen ab 3059 ein fragiles militärisches Gleichgewicht als "New Star League" herzustellen. Die scheinbare Entspannung nutzen die Mächte ab 3063 allerdings sofort auch zur Fortführung ihrer internen Intrigen und Konflikte. Die politische Situation ist infolge wechselnder Koalitionen in hohem Maße instabil, Krieg in all seinen Formen ist als politisches Instrument an der Tagesordnung. Innerhalb des "Federated Commonwealth" kommt es zu einem erbitterten Bürgerkrieg. Es wird offensichtlich, dass das System der "New Star League" sich allein mit der Bedrohung durch die "Clans" legitimieren konnte und diese Rechtfertigung zunehmend verliert. Das politische System geht dann in einer alle Welten erfassenden Rebellion, in "Blake's Djihad", vollkommen unter. Die Flucht Devlin Stones aus einem Umerziehungslager 3071 markiert den Beginn einer neuen Ära. Nach einem mehr als zehnjährigen Kampf gelingt dem charismatischen Politiker 3081 die Gründung der "Republic of The Sphere". Dem ökonomischen Aufschwung folgt eine massive militärische Abrüstung, Die Mech verlieren ihre militärische Funktion und werden zu antiquierten Statussymbolen des Adels. Stone zieht sich 3130 aus der Politik zurück. Eine umfassende Zerstörung interstellarer Kommunikationseinrichtungen, deren Urheber nicht identifiziert werden kann, führt allerdings schon 3132 zum Zusammenbruch der "Republic", als es infolge der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieses Black Out zu Spannungen unter ihren Mitgliedern kommt. In Ermanglung klassischer Mechs beginnen die Konfliktparteien mit der militärischen Umrüstung von Industrierobotern und dem Aufbau konventioneller Streitkräfte. Das so vorgegebene offizielle Szenario 300 wird von der Spielergemeinde als Basis einer Vielzahl eigener Gestaltungsbemühungen genutzt, für die innerhalb der "Inner Sphere" trotz aller detaillierten Vorgaben des kommerziellen Angebots noch genügend Lichtjahre an Raum und Zeit verbleiben. "Die durch Romane usw. vorgegebene Storyline wurde auf den verschiedenen Zeitschienen zu unterschiedlichen Stichtagen abgekoppelt und die Fortsetzung der Geschichte den Chaptern und ihren Invasion-Chapterfight-Ergebnissen überlassen. Damit erhielt das BT-AG-Mitglied nun direkten Zugang zur Storyline - die Chapter wurden aktiver Teil des Rollenspieluniversums, das sie nicht mehr nach irgendwelchen Vorgaben nachspielen mussten, sondern das sich nach den Handlungen der überall spielenden BT-AG-Chaptern ständig fortentwickelte. Viele Chapter bereicherten die Storyline zudem durch eigene Rollenspielgeschichten, die in der Vereinszeitung, der WARRIORS GUIDE, veröffentlicht wurden." 301 Format 1: Board Game "BattleTech" "BattleTech" gibt es in vier verschiedenen, teilweise sich ergänzenden Formaten: "BattleTech” ist konzipiert als "Board/ Miniature Combat System"302. Es ist also technisch gesehen zunächst ein Brettspiel, bei dem die Spieler in der Regel eine Figur bzw. eine Kampfeinheit auf einer abstrahierten Landschaftskarte oder in einem Diarama bewegen. Über den Karten liegt ein Gitternetz aus Hexagonen. Als Hexagone sind ebenfalls die Basisplatten der Miniaturen ausgeformt. Damit sind Bewegung und Ausrichtung der Einheiten auf der Karte zweifelsfrei darstellbar.303 Bewegung und Aktion orientieren sich weiter an der technischen Ausstattung und Möglichkeiten der Kampfeinheit (Mech, Fahrzeug, Infanterie), den Fähigkeiten und Kenntnissen der Piloten ("Gunnery Skill") und werden durch Würfe mit einem oder zwei Würfeln bestimmt. Alle Werte und ihre Veränderungen werden auf Record Sheets dokumentiert. Die technischen Eigenschaften der Einheiten und die Ausführung ihrer Aktionen folgen minutiös einem komplexen Regelwerk. Dies erlaubt den Verzicht auf einen Master und ermöglicht eine kollektive Spielführung. Die Mechs befinden sich im Privatbesitz der Spieler, die sich allerdings im Spiel zu größeren Einheiten ("Lances", "Chapters") – oft nach taktischer Aufgabe - 300 Gralshüter der Storyline sind aktuell die Webpages von "Mech Warriors Dark Ages" (http://www.wizkidsgames.com/mwdarkage/ comstar/cs_article.asp?frame=chronicles&cid=36782 [2003-02-10]) und "Classic BattleTech" (http://www.classicBattleTech.com/ [2004-03-01]); 301 Wegen Problemen mit den von Fantasy Productions GmbH gehaltenen Copyrights und zur besseren Integration der im eigenen Verband durchgeführten Invasion-Chapterfights (mit der daraus resultierenden konkreten Fortführung der Zeitlinie durch Ergebnisse militärischer Auseinandersetzungen) kommt es z.B. 1997 zur Abspaltung der Nice Dice e.V. Story-/ Timeline und zu einer separaten Weiterentwicklung, vgl. http://www.nice-dice-ev.de/ [2004-03-01]; http://www.BattleTech-ag.de/ [2004-03-01]; APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2004 Zeitschienenpapier 3025 ab 01.01.2004 302 SCHICK 1991, 292 303 Erstmals verwendet Steve Jackson's "Melée" aus dem Jahr 1977 Hexagone, SCHICK 1991, 24, 154-155 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 189 zusammenschließen. Ziel des Spiels ist es, bei möglichst geringen eigenen Beschädigungen und Verlusten alle feindliche Einheiten zu zerstören oder massiv zu beschädigen.304 Obwohl von der Anlage her ein Board oder Tabletop Game führt das Spiel in "BattleTech" grundsätzlich auch zu Momenten, die an ein FRPG erinnern, da die Einheiten von Piloten gesteuert werden, in deren Rolle die Spieler immer wieder hineinschlüpfen, wenn sie mit Freund oder Feind interagieren. "BattleTech" steht damit in der Tradition der Wargames, aus denen sich die FRPG entwickelt haben.305 Die Komplexität des Spiels mit seinem ausufernden Regelwerk versucht man neuerdings mit der Übernahme des "Mage Knight"-Spielsystems ("Clix") aufzuheben und den Spielablauf damit zu dynamisieren. Die Spieler führen dabei vorgefertigte Miniaturen, bei denen es ein "Combat Dial Wheel" ermöglicht, die notwendigen Werte direkt auf der Basis der Figur einzugeben. Durch eine konsequente Vereinfachung der Spielregeln ist ein Hexagon-Spielfeld nicht mehr notwendig. Man kann praktisch überall sofort spielen, wenn man natürlich auch selbst aufgebaute Diaramen bevorzugt. Die vorgefertigten Minia turen befriedigen gleichzeitig die ästhetischen Bedürfnisse durch ihr realistisches Aussehen und ermöglichen auch dem handwerklich unbegabten Spieler den Besitz überzeugend gestalteter Miniaturen. Mit dem Verkauf dieser Miniaturen im szenebekannten Pack-System erhält das Spiel mit der damit integrierten kommerziellen Form des Sammelns ein weiteres immersives Element.306 Seit 2002 existiert mit "Megamek" auch eine PC-Variante des Board Game einschließlich eines Campaign-Clients.307 Format 2: FRPG "MechWarrior" "MechWarrior"308 stellt in der Terminologie der Insider ein Battlesuit Science Fiction-RPG-Spielsystem mittlerer Komplexität in Anlehnung an das "BattleTech" Board Game dar.309 Die Charaktere des FRPG agieren als Soldaten innerhalb einer sog. Mech Unit ("futuristic military groups whose members wear huge powered combat suits"310). Das Regelwerk dient in erster Linie der Koordination der Kämpfe zwischen den Juggernauts. Das Gamebook gibt insbesondere weitere Informationen zur Hintergrundgeschichte, zur Gestaltung der Charaktere auf der Basis von Eigenschaften und Fähigkeiten (Class-and-level-System), zum Aufbau und zur Finanzierung einer Mech Unit, zur Ausrüstung und zum Kampfgeschehen und Kampfverlauf. Mit 16 hochwertigen und farbigen und einer Reihe weiterer schwarzweißer Illustrationen werden Spieler und Master zur weiteren selbständigen Ausgestaltung der Storyline und der Szenarien motiviert.311 Wie auch andere FRPG weist "MechWarrior" einen hohen Komplexitätsgrad auf: Die Charaktere können aus Charakterklassen ausgewählt, aber auch sehr frei gestaltet werden. Als problematisch erweist sich bei dieser Spielanlage der naheliegende Wunsch der Spieler, das FRPG mit dem Tabletop bzw. Board Game zu kombinieren. Dabei kommt es einerseits zu nicht kompensierbaren Ungleichgewichten zwischen den Charakteren - was kann ein Spieler in der Rolle eines Infanteristen dem Piloten einer 50-Tonnen-Maschine schon entgegensetzen - andererseits auch zu langdauernden Spielunterbrechungen wegen des Echtzeit-Spiels auf dem Board. Format 3: PC-Spiel "MechWarrior" – "MechCommander" Die Autoren von "BattleTech" erkannten schon sehr früh die Möglichkeiten des PC-Spiel-Formats für Mecha- Spiele. Von Vorteil ist dabei sicherlich die zwar komplexe, aber dennoch mehr oder minder statische Struktur der Mech wie der Handlungsroutinen, die eine relativ einfache digitale Abbildung erlauben. 304 Verluste, Reparatur- und Ausfallzeiten werden in Echtzeit berechnet, in welcher der Spieler nicht über sein Gerät verfügen kann; 305 Vgl. Entwicklung der FRPG aus den Wargames und Miniatur Wargames durch Wesley, Gygax, Perrish und Anderson, vgl. SCHICK 1991, 17-21 306 Kap. 4.2 CCG/ Trading Card Systems; 307 http://megamek.sourceforge.net/ [2004-01-07]; www.megamek.com [2004-01-07]; 308 BABCOCK 1986 309 SCHICK 1991, 292 310 SCHICK 1991, 292 311 SCHICK 1991, 292-293 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 190 "MechWarrior"312 ist angelegt als eine Variante bzw. Hybride des Ego Shooter-Genres. Die Spielidee ist der direkte Schlagabtausch zwischen den Mechs. Den spezifischen Reiz dieses Formats macht einerseits die Echtzeit basierte digitale Umsetzung der Tournament-Spielstruktur des Board Game aus, was zu einem ungleich dynamischerem Spielablauf führt. Andererseits fasziniert die virtuelle Realisierung der Mech-Bewegung und Steuerung und die Wahrnehmung des Kampfgeschehens aus der Perspektive des Piloten. 313 Als weitere Elemente mit immersiver Wirkung sind die umfangreiche und detaillierte Umsetzung des Szenarios, das mit interaktiven Elementen zu einer tieferen Erkundung einlädt, wie die akkurate Anbindung an die offizielle Time- bzw. Storyline zu nennen. Allerdings kann das Spiel wegen der Schwerfälligkeit der zu steuernden Mechs keine dem Ego Shooter vergleichbare Rasanz entwickeln. "MechCommander"314 dagegen ist eher angelegt als ein Echtzeit-Strategie-Spiel, vergleichbar etwa mit dem Szene-Klassiker "Command & Conquer"315. Das Spiel ist primär orientiert an Missionen, ermöglicht aber auch die weitere konstruktive Ausgestaltung des Szenarios wie etwa in "Warcraft", "Diablo I-II" oder "Starcraft"316. In den verschiedenen Versionen des PC-Spiels wurden sukzessiv Verbesserungen und Erweiterungen integriert wie Mehrspielermodus, Verbesserung von Graphik bzw. Sound und immer neue Mech- und Ausrüstungsvarianten. 317 Format 4: Trading Card Game Als letztes Format kam ab 1996 ein Trading Card Game hinzu, das bis zu seiner Einstellung 1998 in mehreren Editionen auf den Markt erschien und in seiner letzten Ausbaustufe ca. 1000 Sammelkarten umfasste. Das Spielsystem ähnelt dem von "Magic: The Gathering" mit einigen Modifikationen. Elemente Die Firma FASA318 breitet diese Formate in einem beeindruckenden Produktangebot aus.319 Als "Game Systems" erscheinen die klassischen, mehr taktisch orientierten Tabletop bzw. Board Games "BattleTech", "Battlespace", "Citytech" und "Aerotech", die eher strategisch orientierten Spiele "Battleforce" und "Battletroops" und das reine Rollenspiel "MechWarrior".320 Daneben erscheinen die "Supplements & Expansions", besonders das wichtige "BattleTech Compendium" mit den "Rules Of Warfare", als Regel- und Handbücher und die "Source- Books" mit politischen, historischen und sozialen Hintergrundinformationen, mit denen die Spieler eigene Kampagnen entwerfen können. Die "Technical Readouts" mit immer neu konzipierten Mechs folgen dem durch die "Clan"-Kriege expandierenden technischen Fortschritt, die "Adventures" und "Scenarios" spinnen mit ihren Rollenspielkontexten die Geschichte des 31. Jahrhunderts beständig weiter. Hinzu kommen weitere "Game- 312 "MechWarrior 2: 31st Century Combat", Activision/ Activision, 1995; "MechWarrior 2: Ghost Bear's Legacy", Activision/ Activision, 1995; "MechWarrior 2: Mercenaries", Activision/ Activision, 1996; "MechWarrior 2", Activision/ Quantum Factory, 1997; "MechWarrior 3", Atari/ Zipper Interactive, 1999; "MechWarrior 3: Pirate Moon's Extension Pack", Hasbro/ Zipper Interactive, 1999; die aktuellen Lizenzen sind heute bei Microsoft Game Studios: "MechWarrior 4: Mercenaries", "MechWarrior 4: Vengeance"/ "MechWarrior 4: Mechpaks", "MechWarrior 4: Black Knight" s. http://www.microsoft.com/games/pc/default.aspx [2004-03-01]; 313 "Test. Spiel des Monats: Mech Commander 2." In: Computerbild Spiele, H. 10, 2001, 32-37: "Die Darstellung der heißen Blechschlachten ist erstklassig. Raketen ziehen einen Rauchschweif hinter sich her und bringen getroffene Blechkameraden äußerst effektvoll zur Explosion. Über das Gefechtsfeld zuckende Laserstrahlen kommen besser als in der abgesagtesten Disco, und jeder getroffene Treibstofftank verabschiedet sich in einem eindrucksvollen Feuerball." 314 "MechCommander", Atari/ FASA Studios, 1998; "MechCommander Gold", Atari/ FASA Studios, 1999; aktuelle Version: "MechCommander 2", Microsoft/ Microsoft, 2001; s.a. GERYK 2001 315 "Command & Conquer", Vergin Interactive/ Westwood Studios, 1995; "Command & Conquer: Red Alert", Westwood Studios, 1996; "Command & Conquer: Tiberian Sun", Westwood Studios, 1999; "Command & Conquer: Red Alert 2", Electronic Arts/ Westwood Studios, 2000; "Command & Conquer: Yuri's Revange", EA Games/ Westwood Studios, 2001; "Command & Conquer: Renegade", EA Games/ Westwood Studios, 2002; "Command & Conquer: General", EA Games/ EA Pacific, 2003 316 http://www.blizzard.com [2004-03-01]; 317 Activision (Hg.): BattleTech - The Crescent Hawk's Inception; The Crescent Hawk's Revenge; MechWarrior. Ed. by Activision. Los Angeles, Cal.: Activision, Inc., o.J.; Activision (Hg.): MechWarrior 2 - 31st Century Combat. Ed. by Activision. Los Angeles, Cal.: Activision, Inc., 1995; MechWarrior 2 – 31st Century Combat. "Clan Ghost Bear" - Expended version. Ed. by Activision. Los Angeles, Cal.: Activision, Inc., 1996; "Mercenaries" - Ed. by Activision. Los Angeles, Cal.: Activision, Inc., 1997; "Mech Commander 2", Microsoft 2001 318 FASA Corp., Chicago, Illinois, USA; "Freedonian Air and Space Agency", SCHICK 1991, 30; s.a. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2003 FASA Firmengeschichte 319 s. Verzeichnis des Spielmaterials zu "BattleTech" bei SCHICK 1991, 292-297; APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2004 BT Angebot Deutschland 320 NYSUL et al. 1999; ungeachtet der Insolvenz von FASA kommt im Frühjahr 2003 mit "Mechkrieger 3. Edition" eine weitere Version auf den Markt, s. 'BattleTech Deutschland OnlineShop' (http://shop.BattleTech.info/index.php?sid=47d136b2d440de578f3419208e01a258&tpl=prod_detail&item=8 [2003-02-15]); Diverse Anbieter vertreiben weiter Lagerbestände von "BattleTech"-Materialien, s. "BattleTech Deutschland Online-Shop" (http://www.BattleTech.de [2003-02-15]); 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 191 Aids", in denen u.a. das Regelwerk minutiös ausgearbeitet und weiterentwickelt wird321. Weitere Produkte im Angebot sind fiktive Baupläne von Mech, Kriegsmaterial und Fahrzeugen wie militärischen Anlagen (Blue Prints), diverse Landkarten-Sets und, beim Heyne-Verlag mittlerweile in mehreren Auflagen verlegt, eine Taschenbuchreihe.322 Die anfängliche trotzige Ablehnung der Computerversionen des Spiels ist bei den Spielern nach einer Phase stiller Duldung einer mittlerweile ausgeprägten Zustimmung gewichen, zumal die neuesten Versionen auch ein Spiel via Netzwerkkarte und Modem und damit das Spiel im Multi User Dungeon ermöglichen, was der Neigung der Spieler zu spielerischer und sozialer Interaktion in taktischen Einheiten wie zur technizistischen Gestaltung des Spiels gleichermaßen entgegenkommt. Die Angebotspalette von FASA wird durch eine Reihe von Merchandising-Produkten ergänzt. Für "BattleTech" finden sich besonders weitere Ausstattungsdetails für die "Game Systems" auf dem Markt: Blei-Miniaturen fast aller Mech-Modelle 323, die entsprechenden Farben, Lacke, Pinsel und Abziehbilder, fiktive Militaria wie Rangabzeichen, Einheitslogos und -flaggen etc. Unbedingt notwendig für den ernsthaften "BattleTech"-Spieler, der seinen Mech selbst aufbaut, ist Computersoftware zur Erstellung von spezifischen Record Sheets. Wie schon oben dargestellt werden durch die Übernahme des "Mage Knight"-Spielsystems die Sammelaspekte auf eine neue Art und Weise akzentuiert. Bislang bestand für den Spieler kaum die Notwendigkeit, mehr als die Miniaturen zu besitzen, welche die von ihm geführten Mech und Einheiten präsentierten.324 Allerdings mussten diese Miniaturen erst gestaltet werden. Mit den "Clix" erwirbt der Spieler fertig bemalte, teilbewegliche Miniaturen. Ihr Marketing-Display als Collectible Game System suggeriert weiter den Wunsch, die einzelnen Serien vollständig zu besitzen. Spielpraxis "BattleTech" Von der Anlage her ein Board Game vereinigt "BattleTech" beide Spielweisen, die des Brettspiels und des FRPG, und wird trotz der unbestrittenen Dominanz des Boardgaming zumindest phasenweise in unterschiedlicher Intensität als Rollenspiel gespielt. Beim Spiel treffen wenigstens zwei Spieler, in der Regel aber Spielergruppen aufeinander, die sich spontan bilden können oder aber schon einen gewissen Organisationsgrad besitzen. 325 Einen eigentlichen Master wie bei den reinen FRPG gibt es bei "BattleTech" nicht, die Spielleitung wird kollektiv durch erfahrene Spieler in den Gruppen wahrgenommen. Ihnen kommt für die Ausgestaltung des Szenarios wie die Spieldurchführung eine wesentliche Rolle zu. Sie stellen im Vorfeld nach den Combat Values der Mech bzw. anderer Units eine ausgewogene Konstellation der sich bekämpfenden Einheiten her, suchen nach Räumlichkeiten, in denen die Session stattfinden kann, kontaktieren 'freie' Spieler und die Leiter der Chapter und organisieren den logistischen Rahmen des Treffens. Die Szenarien sehen eine Auseinandersetzung zwischen einem Angreifer und Abwehrkräften vor. Die Spieler führen im Board Game dann ihren Mech als Gerät, in den Rollenspielphasen dagegen stellen sie konkret die jeweiligen Piloten ("MechWarrior") dar. Die Mechs operieren in der Regel in einer "Lance", die mit vier Mechs die kleinste taktische Einheit im Spiel bildet. Der Erfolg der Einheit im Kampf hängt insbesondere davon ab, inwieweit die Spieler im parallelen bzw. additiven Rollenspielhandeln die Voraussetzung für eine effiziente gegenseitige Unterstützung und damit für ein erfolgreiches Vorgehen schaffen: dazu gehört die grundsätzliche Verständigung über die Gefechtsziele, die taktische Aufstellung oder die Zuweisung von Aufgaben und Funktionen, etwa in einem einführenden Briefing. 326 Spätestens jetzt wird die Leitung der "Lances" einer Partei an einen erfahrenen Spieler delegiert. Kollektiv wachen er, seine Mitspieler, die Gegenspieler auf der anderen Seite und eventuelle Beobachter über die Einhaltung der Regeln wie die Konformität von Szenario, Rollenhandeln und Spielhandeln. 321 FASA Corp. (Hg.): 1994 Catalogue. Ed. by FASA Corporat ion. Chicago, Ill.: FASA Corp., 1994; FASA Corp. (Hg.): 1997 Catalogue. Ed. by FASA Corporation. Chicago, Ill.: FASA Corp., 1997 322 Aktuell [2004-07-06] sind in dt. Übersetzung bei Heyne 61 Bände aus dem "BattleTech"-Zyklus erschienen. Der Umfang der Reihe spricht für die offensichtlich starke Nachfrage auf dem deutschen Markt. Die Romane stellen ein wichtiges Reservoir für die Fortführung der Time-/ Storyline und die Entwicklung individueller FRPG-Szenarien dar und werden insbesondere auf der Führungsebene – oft auch im englischsprachigen Original - intensiv genutzt; APPENDIZES/ Feldbeobachtung/.Feldbeobachtung 2004 BT Angebot Deutschland; 323 Ral Partha Corp., APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2004 Ral Partha; Feldbeobachtung 2003 FASA Firmengeschichte 324 Innerhalb von Spielerorganisationen wie etwa Nice Dice e.V. ist die Anzahl und Varianz der den Spielern zur Verfügung stehenden Einheiten zudem restriktiv limitiert. Pro Mech sind als Jahresbeitrag immerhin 24 € als Vereinsbeitrag fällig; 325 Vgl. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 1995-12-16 BT-Spiel 326 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg, 4 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 192 Von einer Ausgangssituation ("Lage") ausgehend führen die Spieler dann ihre Mechs, dem jeweiligen Auftrag gemäß und sich als Einheit gegenseitig unterstützend, in den Kampf. Die Bewegungs- und Kampffähigkeiten der Mechs sind mit ihren baulichen Eigenheiten in Record Sheets genauestens spezifiziert (Class-and-level- System). Eine Reihe von Handicaps, die so weit wie möglich Realismus vermitteln sollen, müssen dabei ständig dem Regelkatalog entsprechend berücksichtigt werden.327 So hat das Gelände Einfluss auf die Bewegung, Bewegung selbst erschwert oder verhindert gar den Einsatz der eigenen Waffen, macht den Mech aber auch zu einem schwerer zu treffenden Ziel. Jede der Waffen hat unterschiedliche Reichweiten, Treffgenauigkeiten und Wirkungsgrade, die im konkreten Fall durch Würfeln bestimmt und anhand von Tabellen ermittelt werden müssen. Energieintensive Aktionen heizen den Mech auf und verringern ab einer kritischen Grenze seine Leistungsfähigkeit. Treffer vernichten den äußeren Panzer, zerstören wichtige innere Baugruppen und können zu einem Totalverlust des Mech führen. Sie werden akribisch auf den Protokollbögen vermerkt.328 Gerade in "BattleTech" sind durch glückliche Serien beim Würfeln überraschende und vernichtende Treffer möglich ("Kritischer Treffer!" – "Wollen wir mal [in die innere Struktur des Mech] reinschauen?"), die ja nicht nur den Mech und damit den Spieler aus diesem Spiel hinauskatapultieren, sondern ihn aufgrund der Reparaturdauer in Echtzeit auch für die nächsten Spiele sperren. Bei Totalverlusten, die nicht repariert werden können, muss der Spieler sogar auf die Zuweisung eines neuen Mech aus dem Beutepool des Chapter warten und muss während dieser Zeit pausieren. Entsprechend ärgerlich reagieren die Spieler deshalb auf solche Treffer.329 Die Szenarien werden in einer fiktiven Echtzeit gespielt, d.h. die fiktiven Einzelaktionen des Piloten wie etwa die Positionierung des Mech, die Zielerfassung und das Abfeuern der Waffen dauern eigentlich nur wenige Sekunden. 330 Da aber im konkreten Spielverlauf für jeden Handlungsschritt umfangreiche Regeln zu beachten sind und die jeweilig aktuellen Werte ermittelt werden müssen, kann eine solche Einzelaktion für einen Mech und seinen Spieler durchaus mehrere Minuten dauern. Hinzu kommen Rollenspielpassagen wie etwa die Nachahmung von Funkverkehr und Befehlsübermittlung und weiter natürlich die unter den Spielern ausführlich gepflegte Diskussion der Spielzüge und ihrer Varianten. In der Spielpraxis orientiert sich deshalb das Spiel an Runden. Bis eine Runde, d.h. die Aktionen aller Mech auf dem Spielfeld in einer Spielphase, abgeschlossen sind, vergehen bei vielen Te ilnehmern durchaus Viertelstunden. Die Spiele dauern deshalb ohne weiteres mehrere Stunden und müssen oft zum Leidwesen der Spieler vor Erreichen der taktischen oder strategischen Ziele abgebrochen werden. Der Erfolg der einzelnen Mech und der "Lance" zeigt sich in der Beschädigung bzw. Vernichtung des gegnerischen Materials, ausgedrückt im Verlust an Combat Value. In den organisierten Spielervereinigungen werden diese Ergebnisse in Ranking-Listen eingetragen, dort können Mechs des Gegners auch als Beute erobert werden. "BattleTech" kennt nur ein relativ einfaches System der Entwicklung von Fähigkeiten des Mech-Piloten, ausgedrückt im "Piloting Skill", d.h. seiner fahrtechnischen Geschicklichkeit, und dem "Gunnery Skill", d.h. seiner Treffgenauigkeit. Die Skills beeinflussen als Handicaps die Manövrierfähigkeit in kritischen Situationen wie die Zielgenauigkeit des Waffenfeuers.331 "BattleTech" wird damit den Anforderungen eines FRPG nur bedingt gerecht, wo üblicherweise eine komplexe Persönlichkeitsentwicklung des Charakters stattfindet. Im eigentlichen Rollenspiel "MechWarrior" ist dieses System auch so eingeführt. In "BattleTech" behelfen sich die Spieler, indem sie eine fiktive, an die Szenarien und Kontexte angelehnte und in ihrem Mech auch repräsentierte Personality über die Spiele hinweg beibehalten und behutsam ausbauen und pflegen. Spielpraxis "MechWarrior" Im Gegensatz zu "BattleTech" hat das auf derselben Story-/ Timeline und denselben Szenarien aufbauende FRPG "MechWarrior" weit weniger Verbreitung gefunden. Das Spiel basiert auf einem eigenen Regelwerk, doch fließt der gesamte "BattleTech"-Hintergrund in die Missionen ein, welche die Charaktere zu erfüllen 327 Mit einer "near-obsessive accuracy" (EDELMANN 1999] werden z.B. Faktoren wie Erhitzung beim Waffeneinsatz, Panzerungsverluste oder Zentrifugalkräfte bei Richtungsänderungen berücksichtigt und in Anschlag gebracht; 328 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-14 329 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg, 29 330 Ein Turn des Brettspiels (bestehend aus sieben Einzelphasen) dauert in Echtzeit 10 Sekunden, in der Praxis aber durch die notwendigen Figurenbewegungen und das Würfeln leicht fünf und mehr Minuten; 331 IPPOLITO et al. 1995, 17 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 193 haben. "MechWarrior" besitzt ein klassisches Skill-and-level-System, das den Spielern eine angemessen freie Gestaltung und Entwicklung der Charaktere ermöglicht. Als Rollen möglich sind alle Figuren des "BattleTech"- Kosmos. Wie fast alle FRPG bietet auch "MechWarrior" zur Vereinfachung des Einstiegs in das Spiel modifizierbare Vorschläge für Charaktere an. Problematisch für das Spiel ist die Tendenz, Kampf-Szenen als Board Game-Sequenzen zu integrieren, einmal wegen der damit erhöhten Gefahr des Totalverlustes des Charakters, zum anderen wegen des Ausschlusses all jener Mitspieler, die sich für Nicht-Kombattanten als Charaktere entschieden haben. Interaktions- und Sozialformen "BattleTech" suggeriert von der Angebotsseite her zwei unterschiedliche Sozialformen. In den USA, Großbritannien und Skandinavien dominiert das Spielgeschehen das Tournament mit dem finalen Show Down, also ein Duell zweier Mech. Die von den Spielern geschaffenen und von den Produzenten unterstützten organisatorischen Einrichtungen der dortigen Szene etwa wie im Internet zielen in erster Linie auf Hilfestellung beim Contracting der Einzelspieler, auf die Organisation der Duelle auf verschiedenen kompetitiven Levels, in einem lokalen, regionalen und nationalen Angebot und bei Protokollierung der Ergebnisse in Ranking-Listen.332 Im deutschsprachigen Raum dagegen betonen die Jugendlichen die FRPG-Elemente des Spiels mehr. Die Spiele stellen nun Kämpfe bzw. Schlachten zwischen taktischen Einheiten dar, beinhalten aber weiter auch das Element des Show Down, in dem letztlich das Spiel kulminiert. Die Integration der Spieler in taktische Formationen wie die Realisierung der Rollenspielelemente hat zur Folge, dass sich die Spieler hier mehr als Mitglieder formeller Gruppen und Verbände organisieren, welche diese Einheiten abzubilden suchen (Chapter). FASA hatte zunächst die Fan-Organisationen nicht aktiv zu beeinflussen gesucht, sondern mehr oder minder als Nutzungsform toleriert. Mit dem Anwachsen der Fan-Gemeinde erkannte die Firma auch die ökonomischen Potentiale und nahm 1996 einige Querelen zum Anlass, der ursprünglich unabhängig entstanden Fan- Organisation "MechForce" (mit diversen selbständigen Verbänden in den Einzelstaaten) die Lizenz zur Wahrnehmung der Trademark zu entziehen. Nach dem Zusammenbruch des bisherigen Verbandes begründete man von der Firmenzentrale her den Verband neu als offizielle Fan-Organisation: "MechForce". 333 In Deutschland hat die Lizenz für die Nutzung der Trademark die Firma Fantasy Productions, Erkrath (FANPRO)334 erworben. Nach dem erfolgreichen Restart präsentiert sich die offizielle Fan-Organisation in Deutschland "MechForce Germany" im Internet in professioneller Gestaltung. Der Spieler findet hier besonders Anleitungen und Regeln wie Termine für Tournaments und andere Events der Szene. Die Mitgliedschaft ist kostenpflichtig 335. Nationale Organisationen wie die "MechForce Germany" führen auch nach dem Ende von FASA im Jahr 2000 den Spielbetrieb weiter. Eine Reihe ehemaliger Mitglieder und Gruppen der ursprünglichen "MechForce" hat die offizielle Auflösung und Umorganisation nicht akzeptiert und sich unabhängig von den Produzenten und Vermarktern organisiert. Das Bewusstsein, gewissermaßen in Analogie zu einigen bekannten "BattleTech"-Szenarien als Renegaten das ursprünglichere Forum der Spieler zu vertreten und deren Freiheit gegen die sinistren Kräfte eines Konzerns zu verteidigen, trägt dabei nicht unwesentlich zur Motivation bei. Seit 1996 haben sich diese Gruppen auch in einem eigenen Verein organisiert und gehört mit um die 1300 Mitglieder zu einer der größten Fan-Organisation der Szene.336 Innerhalb von "Nice Dice e.V."337 z.B. stellen die "BattleTech"-Spieler wohl die stärkste Fraktion und sind zunächst nach "Houses", "Clans" oder "Mercenaries" und dann nach Chapter organisiert. Vor Ort sind manche Chapter ihrer fiktiven Tradition verpflichtet und (para)-militärisch nach Dienstgraden und Kampferfahrung aufgebaut, andere pflegen eine gewisse Desorganisation als ihr Profil. Zur offiziellen Fan- 332 http://www.classicBattleTech.com/cbt_home.html [2004-03-01]; http://www.battlecorps.com/ [2004-03-01]; http://www.BattleTech.ru/main.php [2004-03-01]; http://www.solaris7.net/battlenet[2004-03-01]; 333 "MechForce"-Verbände gibt es in praktisch allen europäischen Staaten: http://www.ralparthaeurope.co.uk/mechforce_uk_mechs.htm [2004-03-01]; http://greyhawk.sincretech.it/BattleTech/Mechforce/indexmf.html [2004-03-01]; http://www.mechforce.de/ [2004-03-01]; 334 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2003 Fanpro-Firmengeschichte 335 Der aktueller Preis beträgt 24 € (http;//www.mechforce.de [2004-09-26]); 336 Weitere Fan-Organisationen sind in Deutschland u.a.: Sternenbund e.V. (http://www.sternenbund.de/ [2004-03-01]); Batchall/ Team Trueborn (http://www.batchall.de/information.php?mac=QDowOjA6MTowOjA6MDowOjA6MDow&show=trueborn [2004-03-01]); 337 http://www.nice-dice-ev.de/ [2004-03-21]; 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 194 Organisation gehört ein regelmäßig erscheinendes Fanzine "Warrior's Guide", das von den einzelnen Spielgruppen vor Ort um Chapter-Zeitungen ergänzt wird.338 Die Fanzine bemühen sich insbesondere um die Intensivierung der Kontakte unter den Gruppen und versorgen die Spieler mit neuesten kontextbezogenen Nachrichten und Informationen wie das wichtige Ranking der Einheiten und ihrer Mitglieder.339 Die neue, restriktive Firmenpolitik gegenüber unabhängigen Spieler-Organisationen, dazu Nachlässigkeiten, Versäumnisse und Widersprüche bei Pflege und Entwicklung des Regelwerkes und die Einstellung ganzer Reihen bewährter Mech-Modelle 340 führten dazu, dass sich "Nice Dice e.V." 1997 von der offiziellen Zeitschiene der FASA mit dem Jahr 3028 bzw. 3050 absetzte und seitdem die Geschichte des 31. Jahrhunderts selbständig in den zwischen den "Houses" und ihren Chapter ausgetragenen Kämpfen weiter entwickelt.341 Mit dem neuen "Clix"-Spielsystem hat die "BattleTech"-Community einen neuen Impuls erhalten. Parallel zu der Welt des "Classic BattleTech" entsteht ein fast ebenso ausdifferenziertes Feld der Dark Ages.342 Lifestyle Ein wesentliches Lifestyle -Element der "BattleTech"-Spieler ist ihre Vorliebe für Metal- und Gothic-Rock bzw. Grunge und harte Formen des Hip-Hop bzw. Rap.343 Die Jugendlichen sehen in deren provokanten, gewaltbetonten Auftreten und ihrer aggressiven Musik Formen von Authentizität, die auf einer umfassenden Emanzipation vom Mainstream basiert. Die von Bands präsentierten Themen individueller Distinktion werden von den Jugendlichen zu Darstellung eigener Identitätsfindung benutzt. Zu dieser Darstellung gehört nicht allein die Rezeption dieser Musik, sondern auch der Besitz der entsprechenden CDs. Die in den Jugendszenen gängige Praxis des illegalen Kopierens hat allerdings die früheren CD-Stapel, die man auf Chapterfights bewundern konnte, doch schrumpfen lassen. Die Vorliebe der Spieler für bestimmte Musikrichtungen und ihre Gruppen zeigt sich auch immer wieder in den T-Shirts mit Gruppenlogos oder der Adaption von CD-Cover in die Gestaltungen der Jugendlichen. Unter den Jugendlichen kommt es dabei zu informellen Tradierungsprozessen. Über mehrere Spieler-Generationen hinweg hat sich so offensichtlich die Gruppe "Blind Guardian" ihre Attraktivität erhalten können. Nur selten tragen einzelne Spieler auch im Alltag Kleidung mit direkten Hinweisen auf "BattleTech"344, im allgemeinen unterscheiden sie sich nicht von ihren Altersgenossen, ja, manchmal wirken sie sogar in ihrem Erscheinungsbild noch erheblich konservativer als diese. Die Affinität zu Fantasy gibt natürlich weiteren Medienproduktionen dieses Genre eine besondere Bedeutung auch für "BattleTech"-Spieler. Dies drückt sich u.a. auch aus in der bevorzugten Auswahl genretypischer Filme in Kino, im Verleih, auf dem TV und beim Download und der Lektüre genretypischer Belletristik. Medien Im Internet hat sich in diversen News Groups wie in den Chat Rooms auch eine unabhängige Spielerkultur etabliert. Eine Reihe von Spielern thematisieren auf ihren privaten Homepages oder auf denen von Player Associations auf das Spiel und bieten Kommunikationsforen an, auf denen man die Regelentwicklung, 338 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung BT Fanzine 5th Sword of Light; Feldbeobachtung BT Fanzine Dragon Press 339 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung MechWarrior 1999-14-QualAnalyse; Feldbeobachtung MechWarrior 1999-14-QuantAnalyse; Bilder/ Bild 1.2-58, 59; Ranking-Listen der Chapter und freies Ranking verwalten auch andere Spielerorganisationen wie etwa Team Trueborn, http://www.batchall.de [2004-03-01]; 340 Ursache waren Rechtsansprüche japanischer Kläger durch Copyright-Verletzungen von Seiten FASA; in den 70er Jahren erschienen erstmals Assembling Kits für Mech bei bekannten Modellbaufirmen, u.a. Bandai und Tamiya, die ohne Wahrung der Copyrights in die "BattleTech"- Konstruktionen von FASA einflossen. 1997 stimmte dann FASA nach einem Rechtsstreit einem Vergleich zu, musste deswegen aber eine Reihe von Mech-Modellen sehr zum Ärger der Spieler aufgeben oder ändern, so dass deren Record Sheets, Miniaturen etc. nicht mehr den traditionellen Standards entsprachen; NICE -DICE e.V. hat dagegen diese Modelle nicht verboten; 341 In den halbjährlich erscheinenden Ausgaben des "MechWarrior" werden die Resultate dieser Invasion-Chapterfights auf der Sternenkarte der 'Inneren Sphäre' akribisch notiert und damit deren Geschichte fortgeschrieben; ähnlich auch das Vorgehen jetzt auf der professionellen Seite von Wizkidsgames mit den oben dargestellten Monatskampagnen; 342 s. http://www.wizkidsgames.com/mwdarkage/ [2004-03-01]; 343 Zur Differenzierung dieser Musikstile vgl. BÄRNTHALER 1998; zum Angebot APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung Man O'War Fighting the World Analyse; /Bilder/ Bild 1.4-3, 4, 5, 6 344 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-51 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 195 Szenarien, Bauformen etc. diskutieren kann.345 Online-Gaming ermöglichen die Internet Communities "Lordprotector" und "Batchall"346. Auch "Nice Dice e.V." ist mit einer Homepage im Netz zur Verbesserung des Nachrichtenaustausches und der verbandsinternen Kommunikation vertreten.347 4.4.3 Das Schwarze Auge – Reisen in "Aventurien" Während US-amerikanische FRPG wie der Klassiker AD&D nur unter Insidern in Deutschland Verbreitung gefunden haben348, hat sich das deutschsprachige und auch vom Ursprung her deutsche Rollenspielsystem "Das Schwarze Auge" in der deutschen FRPG-Szene auf breiter Front durchgesetzt. DSA ist damit eines der wenigen Spielsysteme in der FRPG-Szene, das sich gegenüber denen US-amerikanischer Provenienz erfolgreich behaupten konnte.349 DSA geht wie alle FRPG auf das D&D-Spielsystem zurück, insbesondere auf die Solo-Abenteuer-Spielbücher seiner parodistischen Variante "Tunnels & Trolls", deren Erfolg in den 80er Jahren350 die Verlage Droemer&Knaur351 und Schmidt Spiele zu einem Joint Venture veranlassten, das (neben "Midgart") zu einem deutschen Rollenspiel führen sollte. Allerdings stellten die Lizenzforderungen des D&D-Produzenten Tactictal Strategic Rules, die für eine Verwendung des D&D-Spielsystems gefordert wurden352, für die Verlage ein nicht zu überwindendes Hindernis dar, so dass sie nach Alternativen suchten. Ulrich Kiesow, der an der Übersetzung von D&D beteiligt gewesen war, konnte ihnen dies mit seinem "Aventuria"-Konzept bieten. Die Autorengruppe um Kiesow orientierte sich an Vorstellungen, die zu einem qualitativ hochwertigen FRPG führen sollten. 353 So dachte man bei der Zielgruppe an junge Erwachsene, besonders Studenten, und wollte einen akzeptablen, stimmigen und glaubwürdigen fiktiven Kontext auf der Basis der "Lesefreude"354 der Spieler schaffen ("Hintergrundwelt "). Das Spiel selbst als personale Interaktion sollte im Vordergrund stehen, nicht ein dominantes Regelwerk, sondern ein hermeneutischer Prozess des Verstehens und Durchdringens von Spielern und Spielleiter. Spielanlage und -szenario DSA ist ein Skills-and-level-Spielsystem mit genuinem Regelwerk, das den Spielern schon bei der Gestaltung der Charaktere weitgehende Freiheit gibt. Die wenigen Beschränkungen entstehen für ihn durch die konsequente Anwendung einer inhärenten fiktiven Logik. Im Verlauf des Spie ls nehmen die Charaktere an einer Entwicklung teil, die sie auf immer höhere Kompetenzstufen führen kann. Andererseits ist es auch durchaus möglich, den Charakter im Verlauf des Spiels zu verlieren. Die Charaktere erfahren in einem sehr intensiven Prozess355 zu Beginn schon eine hochkomplexe Ausgestaltung. 356 Typischerweise werden sie dann viele Spielséancen hinweg weiter entwickelt. In DSA wird diese Entwicklung durch ein Erreichen höherer "Heldenstufen"357 zum Ausdruck gebracht. Die so geschaffenen 345 Vgl. Link-Liste der "MechForce Germany" (http://www.mechforce.de/links/links.php3 [2003-03-26]); http://www.thoregon.de/sff/ frameset.php?BattleTech/wasistbt.html [2004-03-21]; 346 http://lordprotector.de [2003-03-26]; http://www.batchall.de [2003-03-26]; 347 http://www.nice-dice-ev.de [2003-02-10]; 348 Immerhin 22 Jugendliche dieser Untersuchung hatten Spielerfahrung mit AD&D, 6 Jugendliche sahen sich als Experten; 349 Einige wenige private Fan-Webpages versuchen, das Spiel im anglo-amerikanischen Bereich zu etablieren (http://server2042virtualave.net/bbraden/realm s.htm [2003-03-10]); die Veröffentlichung der DSA-PC-Games auf dem amerikanischen Markt unter dem Phantasietitel "Realms of Arkania" (1992, 1994, 1996) führte nicht zur Einführung des Spielsystems; in Frankreich hat sich unter "L'Oeil Noir" eine kleine Spielergemeinde gefunden (http://oeilnoir.jdr.free.fr [2003-03-10]); 350 HIRTHE 1995 351 FRANKE/ FUCHS 1985 352 Der FRPG-Hype der 80er Jahre führte zu einer konsequenten Lizensierungspolitik von Seiten TSR gegenüber jedweder Konkurrenz, etwa Bob Bledsaw's Prozin e "Jugdes Guild Journal", vgl. SCHICK 1991, 30; dem ASS Verlag war mit dem späteren Erwerb der Lizensen dann kein Erfolg beschieden; 353 Vgl. KIESOW 1995 354 KIESOW 1995, 302 355 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video DSA Mainz, 1-155 356 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.11-20, 21; s.a. vorgefertigte DSA-"Heldenbriefe" bzw. "Talentbriefe" zum raschen Spieleinstieg (http://www.fanpro.de/dsa/displayIFrame.php?lang=de&exec=download/showDownloads.php&art=2 [2004-03-01]; 357 DSA unterscheidet dabei: Stufen 1, 2, 3, 4: Einsteiger; Stufen 11, 12-: Erfahren; Stufen 17-: Experte; KLEIN 2004: "Ein neu erschaffener Held beginnt auf Stufe 1 und kann je nach Geschick des Spielers ein sehr langes Leben führen. Ab der 20. Stufe wird allerdings die Luft sehr dünn, was Abenteuer angeht - denn irgendwann, wenn man schon alles erreicht hat, was zu erreichen war, wird es langweilig. Dann sollte man den Helden zur Ruhe setzen oder ihm einen Heldentod gönnen." 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 196 Charaktere sind innerhalb von DSA (und mit geringen Änderungen auch in anderen Spielsystemen) grundsätzlich immer einsetzbar. Mit der Intensität ihrer Verwendung nimmt die Bindung der Spieler an ihre Charaktere naturgemäß zu. Ausdruck findet dies in teilweise sehr pe rsönlichen (und manchmal auch skurrilen) Gestaltungselementen, in welche die Spieler sich ernsthaft oder auch selbst parodierend einbringen. In selbst gestalteten Miniaturen, die zum eigentlichen Spielen nicht notwendig sind, können sich diese Entwürfe weiter manifestieren. Die Charaktere agieren in einem sehr detailliert ausgestalteten und umfassenden Gesamtszenario, einem fiktiven Kontinent "Aventurien". Ursprünglich orientierte sich das Szenario an einer mittelalterlichen Feudalwelt, in der weiteren Entwicklung adaptierte man neben dem Magischen die phantastischen und utopischen Entwürfe unterschiedlichster Sagenkreise europäischer und außereuropäischer Kulturen.358 Die Universalität des Szenarios verdeutlichen die vielfältigen Schauplätze mit Kontinenten, Ländern, Regionen, die verschiedene Rassen der Charaktere wie der NPC, die unterschiedlichen Sozial- und Gesellschaftssysteme, die Mannigfaltigkeit der Kulturen, Religionen und Traditionen.359 Elemente DSA-Spiele basieren zunächst auf kompletten Spielsystemen (Boxen), die neben einer Beschreibung, Schilderung und Illustration eines wichtigen Basis-Szenarios (Karte, Kurzbeschreibung) und einer dort angesiedelten Handlung ("Abenteuer") das Basis-Regelwerk umfassen. Je nach Ausstattungsvariante können auch die typischen Würfel (20D) und weitere Gimmicks wie etwa ein Sichtschirm für den Spielleiter beigefügt sein. In zahlreichen Spielhilfen oder Regelbüchern werden dann die Basis-Szenarien fortentwickelt und detailliert ausgearbeitet. Das Angebot reicht dabei über aufwändige Sachinformationen – etwa zu der Götterwelt von DSA – bis zu einer Sammlung von Zaubersprüchen und einer magischen Kräuterkunde. Spielanregungen (gerade für Spielleiter) geben die unzähligen "Abenteuer"-Hefte, in denen man bezogen auf bekannte Basis-Szenarien weitere Gestaltungsvorschläge in ausgearbeiteten Plots erhält. Man hat DSA auch in verschiedene PC-Spiele umgesetzt, dieses Format allerdings in neuerer Zeit nicht mehr weiter entwickelt. Die nur unter DOS laufenden Spiele erfreuen sich trotzdem immer noch einer großen Beliebtheit im Fandom. 360 Zu DSA sind weiter bei verschiedenen Verlagen zahlreiche Romane und Kurzgeschichten-Anthologien erschienen, die ebenfalls eine wichtige Quelle für Spieler und Spielleiter bei der Entwicklung von Charakteren, Szenarien und Plots sind. 361 Seit 1994 gibt es weiter ein Trading Card Game "Dark Force" mit Starter- und Booster-Packs. Neben dem offiziellen Prozine "Der Adventurische Bote"362 gibt es im Fandom noch zahlreiche Fanzines.363 Mit zunehmender Verbreitung des Internet sind neben die klassischen Organisationsformen zur Pflege der Community digitale getreten. Der aktuelle Lizenzinhaber und Produzent unterstützt das Fandom durch einen eigenen Webbereich mit Informations-, Kommunikations- und Download-Angeboten. Von den vom Fandom produzierten Webpages sind die des "DSA-Rings" (mit Links zu ca. 200 weiteren Seiten) und die von "Vinsalt" und "Gareth" die bekanntesten.364 358 Nordeuropa (Wikinger), Kelten, Antike (Griechenland, Rom), Afrika etc.; 359 Vgl. die "Regelmodule", "Regionalmodule" und "Spielhilfen", APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2003 DSA Angebot Deutschland Übersicht, 147-201 360 "Schicksalsklinge", Attic Entertainment, 1992 (Amiga), 1996 (DOS), "Sternenschweif", Attic Entertainment, 1994/ 1997 mit zug- bzw. rundenbasierter Interaktion, Rezension s. http://www.x-zine.de/xzine_rezi.id_1796.htm [2004-03-21]; "Schatten über Riva", Topware, 1997 erlaubt basierend auf einer Map eine freiere Interaktion und erinnert an ein 3-D-Shooter-Design, Rezension s. http://www.x-zine.de/xzine_rezi.id_1797.htm [2004-03-21]; 361 Vgl. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 1993 DSA Angebot Deutschland Übersicht, lt. Verlagsverzeichnissen gibt es neben den eigentlichen Spielmaterialien (Boxen, "Abenteuer", Spielhilfen), die bei Droemer-Knaur und Moewig erscheinen, seit 1995 bislang 73 Romane der Reihe "Das Schwarze Auge – Aventurien" beim Heyne-Verlag, s. WIESLER 2003 362 "Der Aventurische Bote", hrsg. von Fantasy Productions, Redaktion: Mechthild Henschel, Hamburg: VKG, 32 Seiten, 6 Ausgaben/ Jahr/ 1-107 [2004-03-01], Rezension s. MUNDT 1999 363 Vgl. "Thorwal Standarte" mit dem Motto: "Vaterländisch, Kriegerisch, Traditionsbewußt, Zupackend, Treu, Tapfer", http://www.thorwal-standard.de/ [2004-03-01]; eine Liste von online erscheinenden Fanzine bei: http://www.dsa-seiten.de/dsa-seiten/katgorie.php? Hoehe=&Breite=&KatID=22&KatName=k [2004-03-15]; 364 http://www.dsa-ring.de [2003-03-15]; http://www.vinsalt.de [2003-03-15]; http://www.gareth.de [2003-03-15]; 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 197 Bei allen Materialien achtet man bei DSA auf umfangreiche und an den ästhetischen Bedürfnissen der Rezipienten orientierte Illustrationen, die den traditionellen Vorstellungen einer Genre-Malerei folgt. Ebenso wichtig ist die qualitativ hochwertige Aufmachung der Materialien wie ihre solide Verarbeitung. Zur Stimmigkeit der Angebotspräsentation trägt nach Ansicht der Spieler auch eine sich mittelalterlich gebende Sprache bei, in der die Materialien abgefasst sind und die im Spielalltag auch von den Spielern reproduziert wird. 365 Erst seit wenigen Jahren existieren als eine neue Produktgruppe an DSA-Spielsysteme thematisch angelegte Musikproduktionen von semi-professioneller Provenienz. Die Produktionen versuchen das Rollenspiel in seiner Vorbereitung wie Durchführung begleitend zu unterstützen. Die Musik ist, sieht man von Trinkliedern ab, in der Regel instrumental und hat den Charakter von meditativ-esoterischer bzw. Filmmusik.366 Das vollständige Angebot von DSA ist heute nach vier Editionen (und dem neuen Spielsystem "Myranor") kaum noch zu überblicken. 367 Der Wunsch nach Vollständigkeit der eigenen Sammlung an Materialien stellt deshalb für die Spieler einen weiteren wesentlichen Anreiz dar, sich mit dem Spiel zu beschäftigen und mit anderen in der Szene zu kommunizieren.368 Spielpraxis DSA ist ein klassisches Paper-and-pen-FRPG. Außer dem Charakter-Bogen benötigt man zum Spiel allein noch den typischen 20-Augen-Würfel. Zur Entscheidung in Problem- und Konfliktfällen steht eine umfangreiche Sekundärliteratur zur Verfügung. Obwohl auch Solo-Abenteuer möglich sind, operieren die Spieler in DSA in der Regel als Team von Abenteurern, das in der Expositionsphase des Spiels - im Idealfall vom Spielleiter als Spielhandlung initiiert – sich findet, um eine Aufgabe zu lösen. Die Aufgabe kann explizit als Auftrag formuliert sein, sie kann aber auch sich aus der Spielhandlung als Reaktion auf Handlungsimpulse ergeben. In der Regel ist das Ziel der Quest nur durch den gemeinsamen Einsatz aller Charaktere zu erreichen, die nach ihren Charakterbögen unterschiedliche und sich ergänzende Eigenschaften und Fähigkeiten besitzen. Der Spielleiter stellt den Spielern Szenario wie Handlungsimpulse narrativ (teilweise auch medial unterstützt) zur Verfügung und entscheidet über die Qualität und Konsequenzen ihrer Reaktionen. In Entscheidungs-, Konflikt- und Kampfsituationen werden die Spieler aufgefordert, ihre Befähigung zu angedachten Aktionen mittels einer Höchstzahl von Augen auf dem Würfel nachzuweisen oder der Spielleiter nimmt diese Würfe (oft verdeckt) für sie vor. Nach einem erfolgreichen bzw. ausreichenden Wurf kann der Spieler seine Aktion dann realisieren. Über die Konsequenzen belehrt ihn erneut der Spielleiter, der zugleich neue Handlungsimpulse setzt. In Kampfsituationen würfelt der Spieler gegen den Spielleiter, der den NPC führt. Beim Kampf wie bei Aktionen kann der Charakter des Spielers Schaden nehmen. Dies kann dazu führen, dass er in seinen Handlungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt wird oder gar stirbt. Am Ende eines Spielabschnitts oder eines Spieltages erhalten alle Charaktere der Spieler einen Bonus, der die Kompensation erlittener Schäden durch eine Ruhe- und Schlafpause zum Ausdruck bringen soll. Je nach Eigenschaften, Fähigkeiten und materieller Ausstattung können die Charaktere ihre Chancen, bestimmte Aufgaben zu lösen, durch zusätzliche Mittel verbessern oder auch Defizite in eigener Regie egalisieren. Selbstverständlich soll die Solidargemeinschaft der Abenteurer sich auch gegenseitig unterstützen. Die Charaktere können weiter während des Spiels ihre Eigenschaften, Fähigkeiten wie ihre materielle Ausstattung zu verbessern suchen. Viele Objekte werden vom Spielleiter benannt, deren Erwerb zunächst nicht wesentlich scheint, sich aber für die Lösung der Aufgabe später entscheidend erweist. Häufig muss zur 365 Verwendung von im Alltag ungebräuchlichen semantischen und syntaktischer Strukturen wie antiquierte bzw. historisierende Namen, Begriffe, Stilformen, elaborierte Codierung, rhetorische Stilmittel und sprachliche Stereotype, die an die frühneuhochdeutsche Sprachverwendung im ausgehenden Mittelalter erinnern sollen, aber eher eine Kanzleisprache des 18. Jahrhunderts imitieren; 366 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2003-03-29 DSA Musik 367 Vgl. Auflistung der Materialen in APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung DSA Angebot Deutschland Übersicht 368 Eine aktuelle Recherche in Angebot der Internet Auktionsplattform Ebay für DSA ergab über 780 Artikel, http://search.ebay.de/DSA [2004-07-06]; 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 198 Durchführung einer Aufgabe auch Material erst erworben werden, eine angesichts der zu Beginn oft dürftigen finanziellen Ausstattung der Charaktere keine leichte Sache. Die Spiele stellen unterschiedliche Anforderungen an die Kompetenzen und damit die Entwicklungsstufen der Charaktere.369 Damit vermeidet das Spiel in der Regel eine demotivierende Überforderung der Spieler, die auch der Spielleiter in seinen Überlegungen zur Handlungsdynamik berücksichtigt.370 Eine besondere Herausforderung stellen für die Spieler auch explizit formulierte Rätsel dar, welche zu ihrer Lösung oft die kognitiven Leistungen der gesamten Gruppe erfordern.371 Eigentümlich wirkt auf den Außenstehenden auch die Sprache der spielinternen Kommunikation der Gruppe. Die Verwendung einer Reihe von antiquierten bzw. historisierenden semantischen und syntaktischen Formen soll eine dem Szenario adäquate Interaktion abbilden und orientiert sich – wie oben schon gezeigt - an der Sprache der Materialien und anderer Vorbilder in der Szene. Der distinktive Sprachgebrauch soll die Authentizität des Spielens erhöhen, wie das Spiel als solches signifikant gegenüber Alltagshandeln markieren, oft dient er auch einer metareflexiven Ironisierung des Spielhandelns. Das Spiel endet – in der Regel nach einer mehrstündigen Séance – entweder an einem signifikanten Zwischenschritt oder mit dem Enderfolg. In einer abschließenden Bewertung beurteilt der Spielleiter die Leistungen der einzelnen Charaktere und vergibt dafür Bonuspunkte, die von den Spielern zur Optimierung ihrer Rolle eingesetzt werden können. Interaktions- und Sozialformen Das Angebot sieht neben den wenigen Soloabenteuern in der Tradition der Spielbücher als dominante Interaktionsform der Spieler das Gruppenabenteuer. In der Spielanlage ist deshalb stets eine kollektive Lösung der jeweiligen Aufgabenstellung angedacht, zu der die Kompetenten aller Charaktere benötigt werden. Spielvorgabe wie auch Spielleiter drängen auf einen regen sprachlichen Diskurs der Teilnehmer. Der jeweilige Interaktionsstil, den die Spieler über ihre Charaktere praktizieren, wird dabei weitgehend von der gewählten Rolle, ein Priester spricht und handelt anders als ein Bürger oder ein Dieb, und ihrer individuellen weiteren Ausgestaltung her vorgegeben. Andererseits sind die konkreten Spiele und ihre Charaktere weitgehend individuelle Entwürfe der beteiligten Jugendlichen, die Organisation der Spiele bewegt sich deshalb weit mehr als bei den Miniatur Board Games im privaten, informellen Raum einer spezifischen, sich um das Spiel konzentrierenden Peer Group. Letztlich antizipiert das DSA-Angebot ebenso wie das anderer Spiele mit seiner Betonung des Teams diese alters- und szenentypische Sozialform und vermittelt diesen Gruppen praktikable Skripts einer Interaktion nach innen und außen.372 Aus organisatorischen Gründen, etwa als Legitimation zur Belegung von Räumen in einem Jugendzentrum, können neben den informellen auch formelle Gruppierungen entstehen, die über den privaten Rahmen hinausreichen. Im DSA-Fandom werden, mit Unterstützung der Produzenten und Anbieter relevanten Materials, so auch soziale Events wie lokale, regionale und landesweite Cons angeboten bzw. bei der Durchführung unterstützt. Organisatoren dieser Veranstaltungen sind mehr oder minder formell organisierte Spielergruppen. 373 Die Produzenten nutzen diese Foren zum Merchandising, sehen in ihnen aber auch wichtige Räume einer szeneinternen Interaktion, die der Entwicklung und Tradierung eines kulturellen Gedächtnisses dient.374 Neuerdings versuchen die Produzenten auch über Mediatoren auf die Interaktion in der Szene zwischen diesen Events Einfluss zu nehmen. Diese sollen Ansprechpartner bei Regelproblemen, aber auch als letzte Instanz bei 369 Die "Abenteuer"-Hefte geben dazu den jeweiligen Schwierigkeitsgrad explizit an und unterscheiden nach Erfahrung ("Einsteiger 4-6"; "Erfahrene 8- 12" etc.) und Komplexität für Spielleiter und Spieler ("Einsteiger"; "mittel" etc.), z.B. HLAWATSCH 1995 370 FRPG-Master sind immer sehr sensibel für Probleme, die aus einer Überforderung entstehen, APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1997-07-18 PA- REJ-RES, 35-76; bei öffentlichen Veranstaltungen wie einem Con werden schon einmal auch Einsteigerrunden für Anfänger angeboten, s. Einladung zum "Morpheus 23", 20.03.-22.03.2003, Herne (http://www.dsa-ring.de [2003-03-15]); 371 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video DSA Mainz 372 HENGST 1990, 1997 373 Eine Reihe von Spielergruppen haben als eintragene Vereine gute Kontakte zu kommunalen sozialpädagogischen Inst itutionen wie Jugendzentren und –häusern; 374 MIKOS 2003 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 199 Regelkonflikten dienen und weiter auch Szenen-Events initiieren. Damit bietet sich für einen engen Kreis von Experten und Engagierten die Möglichkeit, die Strukturen des Spiels mit beeinflussen zu können. Die Etablierung dieser Gruppe ist zugleich auch ein Element der Hierarchisierung in einer Szene, die im Gegensatz etwa zu der von "BattleTech" kaum ein formelles Ranking kennt.375 4.5 Das Fantasy-Rollenspiel-Angebot als erlebnisrationaler Text "Erlebnismarkt" Das Fantasy-Rollenspiel-Angebot ist Teil eines Gesamtangebots an Produkten, die auf einem "Erlebnismarkt" getauscht werden und den Individuen dazu dienen, mittels "erlebnisrationaler Handlungsroutinen"376 ihre Bedürfnisse nach Erlebniserfahrung zu befriedigen und zugleich diese Befriedigung zu perpetuieren. Das Streben der Individuen nach Perpetuierung von Erlebnissen bei gleichzeitiger Kompensation von Unsicherheit und von Risiken führt zu einer stetigen Mobilisierung dieser Erlebnisrationalen Handlungsroutinen und der von ihnen zum Einsatz gebrachten Ressourcen wie Geld, Zeit, Aufmerksamkeitszuwendung und Interaktion. 377 Um die Risiken dieses Einsatzes zu mindern und den Erfolg sicherzustellen, delegie ren die Individuen wesentliche Aktivitäten, mit denen sie eine Befriedigung ihrer Erlebnisbedürfnisse realisieren könnten. An dieser Stelle kommen nun "Erlebnisanbieter" ins Spiel, welche die innenorientierte Erlebnisrationalität der Konsumenten zu antizipieren und mit ihren Produkten zu befriedigen suchen. Sie folgen allerdings einer außenorientierten, d.h. ökonomischen, organisatorischen, politischen Zweckrationalität.378 Damit entsteht eine antagonistische wie interdependente Dynamik zwischen Anbieter ("Erlebnisangebot") und Verbraucher ("Erlebnisnachfrage"). Demnach korrespondieren auf dem Erlebnismarkt die "Rationalitätstypen"379 des Erlebnisangebots und der Erlebnisnachfrage. "[Eine] kollektive Interaktion zwischen Erlebnisproduzenten und Erlebniskonsumenten [...], die sich dem Einfluss einzelner Akteure immer mehr entzieht, gleichwohl aber tief in die persönliche Existenz eingreift. Die gebündelten Rationalitäten von Anbietern und Nachfragern auf dem Erlebnismarkt reagieren mit einer besonderen, nicht kontrollierbaren Eigendynamik aufeinander." 380 Strukturen des Erlebnisangebots Strategisches Ziel der Produzenten ist die Realisierung außenorientierter Zielkategorien wie Profitmaximierung, Umsatz, Wachstum, Marktposition, Status etc. über Erfolg und Akzeptanz beim Publikum ("Publikumswirksamkeit"381) auf einem expandierenden Markt in Konkurrenz mit anderen Anbietern. Von den drei Größen – Produkteigenschaft, Absatz und Publikum – kann der Anbieter nur die ersten beiden objektiv wahrnehmen und beeinflussen und aus ihrer Dynamik auf seine Konsumenten schließen. Aus der steten Beobachtung lassen sich Rückschlüsse ziehen, die in strategische und taktische Überlegungen der Angebotsgestaltung und Absatzförderung eingehen. Letztlich führt der Konkurrenzdruck auf dem Erlebnismarkt dazu, dass sich kollektive Strategien der Anbieter herausbilden. Grundsätzliche streben die Anbieter deshalb danach, die Texteigenschaften ihrer Produkte so zu gestalten, dass das in ihnen immanente Preferred Reading von den Konsumenten akzeptiert wird und die Rezeption der Textcodes als natürlich bzw. evident von ihnen wahrgenommen und bewertet wird (Dominant Reading). Andererseits können auch andere Rezeptionsformen der Konsumenten in die Effizienzüberlegungen der Produzenten einfließen und in der Gestaltung der Produkte mitbedacht werden. So können auch eine teilweise oder völlige Uminterpretation des Preferred Reading durch den Konsumenten durchaus zur Effizienz des Produktes auf dem Markt beitragen, insbesondere wenn es gelingt, die Interdependenz zwischen Konsumenten 375 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2004 DSA Alveraniare; http://www.fanpro.de/dsa/displayIFrame.php? lang=&file=irdisch/alveran/Inhalt [2004-07-06] 376 SCHULZE 1996, 420 377 Vgl. dazu: Differenzierung des Kapital-Begriffs bei BORDIEU, DAUER 2003 378 Vgl. BACHMAIR 1996a, 60-62 379 SCHULZE 1996, 425 380 SCHULZE 1996, 416 381 SCHULZE 1996, 425 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 200 und Produzent im Sinne einer Interaktion so zu strukturieren und zu organisieren, dass das Negotiated oder Oppositional Reading der Konsumenten als Feedback den Produzenten wieder erreicht und von ihm zur Modifikation der Produktgestaltung eingesetzt werden kann. Von daher erklärt sich das hohe Interesse und Engagement der Produzenten von Fantasy-Rollenspielen in der Szene und in den entsprechenden Communities, etwa mittels Prozines als Foren diese Dekodierungen zu evozieren.382 Die Produzenten folgen in ihrem Bemühen, die Akzeptanz ihrer Produkte und des in ihnen vermittelten latenten Dominant Reading mit bestimmten Strategien zu steigern.383 Schematisierung Erlebnisbedürfnisse sind bei aller Individualität der Nachfrager letztlich doch bestimmten alltagsästhetischen Schemata (Hochkultur-, Trivial- und Spannungsschema) zuordenbar, welche Kollektive von Konsumenten mit vergleichbaren Bedürfnissen und einer daraus resultierenden Nachfrage nach bestimmten Typen von Erlebnisprodukten abbilden. Marktkonform und damit erfolgreich verhält sich nun der Anbieter, der seine Produkte mit spezifischen semantischen Codes ausstattet, die mit diesen alltagsästhetischen Schemata korrespondieren und den Individuen ein akzeptables Preferred Reading vorschlagen, das aus der Eigenwahrnehmung des Konsumenten weitgehend mit ihren Intentionen und Kriterien einer Bedürfnisbefriedigung übereinzustimmen scheint und weitgehend akzeptiert wird, gerade weil es in seiner kollektiven Präsenz (Niveau-, Harmonie-, Integrations-, Selbstverwirklichungs- und Unterhaltungsmilieu) Evidenz zu eignen scheint. Grundsätzlich vermeiden die Produzenten dabei Grenzüberschreitungen, um keine Irritationen beim Konsumenten zu evozieren. Dagegen sind sensitiv wirkende Verstärker, spezifische Signale und Kontextualisierungen wie Intertextualisierungen üblich, um die Schematisierung identifizierbar werden zu lassen. Das Fantasy-Rollenspiel-Angebot verwendet allerdings nicht wie vielleicht erwartet wegen der weitgehend jugendlichen Klientel ausdrücklich die semantischen Kodierungen etwa des Spannungsschemas, sondern es muss, da sich Individuen in einem dreidimensionalen Raum der Schemata384 verorten, variable semantische Kodierungen verwenden. die entweder so allgemein sich darstellen, dass sie für größere Kollektive von Konsumenten in einem Dominant Reading nachvollzogen werden können, oder diesen Kollektiven in einem Prozess des Negotiated Reading eine möglichst weitgehende Adaption ermöglichen. Dies gilt besonders für jugendliche Konsumenten, da der Prozess der persönlichen Stilbildung bei ihnen nicht oder nur temporär abgeschlossen ist und ihre Zuordnung zu alltagsästhetischen Schemata wie sozialen Milieus deshalb weniger als bei Erwachsenen eindeutig scheint.385 Nach den persönlichen Stilpraktiken zeigen die Jugendlichen der Fantasy- Rollenspiel-Szene mehr oder weniger disparate Verhaltensweisen, auf welche das Angebot rekurriert. So werden von den Spielern eine Reihe von Kompetenzen erwartet, die dem Hochkulturschema zugeordnet werden, wie etwa eine spezifische Literalität, explizite Formen der Konzentration, Ausdauer und Geduld beim Erwerb kognitiven Wissens wie beim Spiel und damit Formen von Aszese und aufgeschobener Befriedigung und schließlich angemessene Interaktionsqualifikationen. Dies sind alles Kriterien einer intellektuellen Wahrnehmung und Erfahrung von Wirklichkeit. Spannung geriert hier zu einer "Dramaturgie von Aufbau, Höhepunkt und Ausklang"386, im Mittelpunkt des Interesses stehen formale Strukturen und ihre Variation: "[Das] Vergnügen des Dekodierens: Entdecken von Mustern, Erkennen, Wiedererkennen, Herstellen einer komplexen kognitiven Verbindung von Subjekt und ästhetischem Gegenstand. Die intensive, introvertierte Zuwendung zum Zeichen ermöglicht sowohl besonders tiefe Ich-Erfahrung als auch Ich-Überschreitung [...]"387 382 Zu ähnlichen Prozessen der Interdependenz von Nachfrage und Angebot, VOLLBRECHT 2001, 22 383 CHANDLER 2002, 192-193 384 SCHULZE 1996, 157-162 385 SCHULZE 1996, 382-386 386 SCHULZE 1996, 155 387 SCHULZE 1996, 145 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 201 Dies korrespondiert mit dem Bewusstsein, einer gewissen Elite zuzugehören und sich von der Masse der Jugendlichen positiv zu unterscheiden. Die Distinktionsparameter entwickeln sich dabei entlang einer Argumentationslinie, nach der das Ich bestimmten idealen Vorstellungen von Identität und Sein zu entsprechen hat, was sich in der Zielvorstellung von Perfektion manifestiert. 388 Andererseits lassen sich aber durchaus auch Elemente des Trivialkulturschemas entdecken: Fantasy- Rollenspiele zeigen eine für den Außenstehenden irritierende Tendenz zur perpetuierten Redundanz, die für die Suche der Jugendlichen nach Sicherheit steht: "Nach außen ist der Topos der Gemütlichkeit abgeschlossen: räumlich abgegrenzt, sozial auf die Sphäre des Bekannten reduziert, zeitlich gegen die Zukunft abgeschirmt. [...] Im Inneren der Räume, der sozialen Gruppen, der vergegenwärtigten Traditionen lebt das Subjekt in einer Welt des Friedens, des Angenommenseins durch die anderen und der Befriedigung aller körperlichen Bedürfnisse."389 In der abgeschlossenen Welt der Spiele können die Jugendlichen wesentliche Ängste kompensieren: in der Verlässlichkeit der Peer Group das Misstrauen gegenüber anderen, in den auf das Spiel allein beschränkten Fähigkeiten und Kenntnissen ihr Misstrauen gegen sich selbst und die eigenen Fähigkeiten, in der ritualisierten Interaktion ihre Angst vor unbekannten, nicht standardisierten Situationen. Hier artikuliert sich ihre "Sehnsucht nach Sicherheit, Anlehnung, Heimat."390 Auf der Homologie gleicher Sicherheits- und Unsicherheitserfahrung verständigen sich die Jugendlichen über die Zugehörigkeit zur Szene. Ihre Unauffälligkeit etwa im Habitus korrespondiert dabei mit der Vorstellung vom Aufgehen in der sozialen Klientel der Gleichen. "Antiexzentrische Distinktion wird von der Vorstellung einer Gemeinschaft her gedacht, der man sich selbst zugehörig fühlt, wie wenig eine solche Gemeinschaft im Alltagsleben noch erfahrbar sein mag. Umso wichtiger ist die Beschwörung der Gemeinschaft wenigstens in der symbolischen Praxis." 391 Diese Gemeinschaft steht für die Integration des Einzelnen in eine Ordnung, die sich den Phobien vor dem Neuen, Unbekannten, Problematischen wirksam entgegenstellt und es dem Jugendlichen erlaubt, der Wirklichkeit auszuweichen in "Szenarien des irdischen Glücks".392 Ähnlich lassen sich Parallelen von Jugendlichen der Fantasy-Rollenspiel-Szene zum sog. Spannungsschema aufzeigen. So präsentieren sie als Jugendliche schon per se eine "antikonventionelle"393 Attitüde gegenüber einer Welt der Erwachsenen, deren Verhalten sie als Konformismus diffamieren. In ihrer Eigenwahrnehmung dagegen vertreten sie unter dem Symbol Jugend Individualität und Nonkonformismus, sehen sich als Singularität, Faszinosum, Novum, Stimulans. Ihre Auseinandersetzung mit Wirklichkeit basiert auf der Intensität sensitiver Wahrnehmung und Erfahrung und äußert sich im Ausagieren, in der Suche nach Abwechslung, nach Neuem, in einer permanenten Unruhe und dem Bedürfnis nach ständiger Stimulation. Spannung geriert bei ihnen zu einer "Dramaturgie des An- und Ausschaltens". 394 Im Zentrum steht bei ihnen das eigene Ich, das es reflexiv zu erfahren gilt in Formen der Selbstdarstellung und Entfaltung. In der Produkt-Diversifikation des Fantasy-Rollenspiel-Angebots mit seinen spezifischen Produktklassen nach Themen, Genres und Medien manifestiert sich das Bemühen der Produzenten, dieser Komplexität auf Seiten der Nachfrage zu begegnen. Profilierung Da alle Anbieter von Fantasy-Rollenspielen mögliche alltagsästhetischen Schemata bei ihrer Produktion berücksichtigen, benötigen ihre Produkte andererseits auch die notwendige Distinktion, um sie am Markt von denen der Konkurrenz unterscheidbar zu machen. Entscheidend für den jugendlichen Konsumenten sind dabei nur sehr bedingt die außenorientierten Kriterien des Produktes wie Gebrauchswert, Qualität, Haltbarkeit, Preis- 388 SCHULZE 1996, 149-150 389 SCHULZE 1996, 151 390 SCHULZE 1996, 152 391 SCHULZE 1996, 152 392 SCHULZE 1996, 153 393 SCHULZE 1996, 156 394 SCHULZE 1996, 155 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 202 Leistungsverhältnis, sondern neben der Basiskonnotierung zu dem Raum seiner alltagsästhetischen Schemata das Image des Produktes. Die Anbieter geben deshalb ihren Produkten symbolische Distinktionselemente mit, die zu ihrer Profilierung beitragen und als "markenspezifische Erlebnisversprechen" für den Konsumenten erkennbar und akzeptabel sind: "Erlebnisszenarien, die dem Produkt durch Werbeimpulse als symbolische Eigenschaft beigegeben werden, prägen innerhalb des allgemeinen Schemas spezifische Codes für spezifische Marken. Objektiv gleiche Angebote werden auf diese Weise subjektiv unterscheidbar." 395 Das Produktimage von Fantasy-Rollenspielen zeigt sich explizit in Angebotsform und Aufmachung der Produkte. Dabei folgen diese in der Regel konventionellen Techniken der Aufmachung: Die Vorderseite der Produktverpackung oder des Produktes selbst trägt eine den Inhalt präsentierende Illustration, die bei FRPG meist in der Tradition der Genre-Malerei auf ein entscheidendes Element des Inhalts verweist, etwa auf eine Szene wie Aufbruch, Gefährdung und Kampf.396 Photorealistische Illustrationen des Inhalts finden sich eher bei PC-Spielen, mit einer zunehmenden Professionalisierung der Illustration nach einer an Kino-Displays angelehnten Ästhetik, etwa einer Komposition der Darstellung von Protagonisten in typischer Handlungspose, Handlungselementen als Szenenimages und Texturen. Die Frontabbildung zielt auf eine sich dem Insider erschließende möglichst umfangreiche Kontextualisierung und Einbindung in weitere Produktzusammenhänge wie die grundlegende Spielanlage oder Storyline etwa als Fortsetzung oder Ergänzung. Bei Materialien steht auch der auch Funktionswert, oft durch eine symbolisch-metaphorische Titelung nur angedeutet und mit stimulierender Wirkung auf den Eingeweihten, im Vordergrund. 397 Grundsätzlich folgt das Produktdesign den Vorgaben des Gesamtdesigns im Sinne einer Corporated Identity und enthält eine Reihe unverwechselbarer Wiedererkennungssymbole (Firmenlogo; Figurentypen; Fonttype etc.). Das Produktimage partizipiert erheblich auch von dem der gesamten Angebotspalette und von dem der Firma selbst auf dem Markt.398 Deren Gestaltung erfolgt einerseits über die Präsentation von Firma und Produkten im Internet, andererseits durch ihre Präsenz und durch ihr Engagement innerhalb der Community. Abwandlung Neben die Profilierung tritt als weitere Strategie zur Steigerung der Effizienz des Angebots die Variation, mit der die Orientierung an alltagsästhetischen Schemata und die produktspezifische Profilierung um den "Stimulus des Neuartigen" erweitert werden. Erhalten bleibt damit beim Konsumenten einerseits die Sicherheit in und für seine Wahlentscheidung, andererseits erfährt er in seinen Konsum einen wesentlichen psychophysischen Reizeffekt. Variation betrifft in Zeiten einer innenorientierten Erlebnisrationalität nicht mehr den Gebrauchswert der Produkte ("Schneller, besser, günstiger"), sondern deren symbolischen Gebrauchswert. "Worauf es ankommt, ist unter diesen Bedingungen allein das Wachrufen neuer Erlebniserwartungen, während die objektive Produktveränderung irrelevant ist. Es zählt zur Rationalität des Erlebnisangebots, auf subjektive Relevanz zu setzen." 399 Typisch für den Einfluss dieser Strategie auf Fantasy-Rollenspiele sind etwa die fortwährenden Veränderungen von Figuration, Handlungselementen und Kontexten auf der Grundlage der allgemeinen Spielanlage mit ihrem statischen Basisszenario ("Aventurien", "Zeitschiene 3028") und dem wesentlich vorsichtiger modifizierten Regelwerk: Bei "Magic" erscheinen so ständig neue Kartensätze in thematisch sich neu gerierenden Kontexten mit einem expandieren Bestiarium, "BattleTech" schafft ständig neue Mech-und Geräte-Typen wie -Varianten; auch dort gibt es eine Fortentwicklung der Storyline bei Beibehaltung des grundlegenden Szenario - entweder semi-formell im NDV-Spielerverband durch die Kampfergebnisse der Chapter beim Kampf um die Besetzung von Planenten oder durch Impulse der Autoren und Produzenten. Bei DSA regt der ständige Strom von Neuerscheinungen an Abenteuern und Materialien zu neuen Spielen an. Verbreitet ist neben dem Stimulus des 395 SCHULZE 1996, 441 396 Vgl. Frontcover zu Neuveröffentlichungen von FANPRO, APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.11-57-64 397 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.11-6-7 398 RESEARCH & MEDIA MARKETING 2004 399 SCHULZE 1996, 442 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 203 Novum auch der der sinnvollen Ergänzung und Vervollständigung, indem etwa schon begonnene Reihen um Sequel ergänzt werden oder gar schon länger vergriffene Produkte neu aufgelegt werden, um Lücken in den Sammlungen zu schließen. Neuauflagen bekannter Produkte erhalten oft zusätzlich Kult-Aspekte, etwa als besonders hochwertig ausgestattete Sondereditionen, der Erwerb zu einem Muss in der Szene wird. Suggestion Da sich die Produkte im eigentlichen Sinne nicht ändern dürfen, müssen ihre profilierenden und variierenden Eigenschaften als symbolische Qualitäten dem Konsumenten suggeriert werden. Die Suggestion wird zu einem gerade auch aus der Perspektive des Konsumenten legitimen und nachgefragten Instrument, das den Konsumenten von Erlebnisangeboten hilft, die Qualität des Angebots im Sinne einer Integration als "subjektive Konstruktionen"400 zu bestimmen. Suggestion ist demnach keine Täuschung, sondern wesentliches Element der Produkte selbst im Sinne eines innenorientierten Konsums, der auf das Erlebnis als Befriedigung zielt, ohne dass die Konsumenten in der Lage oder bereit sind, autonom Handlungen und Kontexte zu gestalten, welche dieses Produkt zum Erlebnis und damit zur intendierten Befriedigung werden lassen.401 Die Suggestion der Anbieter korrespondiert dabei mit der Auto-Suggestion der Konsumenten, auf beiden Seiten besteht ein Konsens über die Notwendigkeit, Produkte des Erlebnisangebots und der –nachfrage zu Erlebnissen zu gestalten: "Suggestion gehört zum Service. [...] je wirksamer die Suggestion, desto besser das Produkt. Der Glaube der Abnehmer an zugesicherte Eigenschaften der Ware lässt die zugesicherten Eigenschaften überhaupt erst entstehen."402 Derartige relevante Qualitätskriterien des Erlebnisangebots, die in Produkten des Fantasy-Rollenspiel-Angebots suggestiv vermittelt werden, sind zunächst ihr Charakter als Novum oder 'Essential' und ihr Funktionswert als liminale Objekte zur Realisierung der Transition. Suggestiv wirkt weiter ihre Homogenität und Orientierung an spezifischen Milieus (jugendliches Unterhaltungs- bzw. Selbstverwirklichungsmilieu), die beim Konsumenten affirmative Wirkungen zeitigt, die richtige Wahl und Entscheidung mit dem Erwerb und der Nutzung des Produkts getroffen zu haben. Suggestiv vermittelt werden auch mit den Produkten verbundene Arten und Formen des Genusses, etwa als intellektuelles Collective Storyte lling, als redundant-ordnendes Strukturieren von Welten in Hierarchien oder als intensives Ausagieren in selbst gestalteten Strain-Situationen. Im dem von ihnen aufgespannten Raum des Fandom ermöglichen sie die integrative bzw. distinktive Vergewisserung von Identität in jugendkulturellen sozialen Formationen wie Peer Group und Szene. In ihnen stehen dem Jugendlichen spezifische Lebensphilosophien und existentiellen Anschauungen wie das Streben nach Perfektion, die Suche nach Sicherheit oder auch ein emanzipatorischer Nonkonformismus zur Wahl. Letztlich repräsentieren sie Elemente einer fundamentalen, an Homologien orientierenden Semantik: auf der kognitiven Ebene eine Tendenz zu Komplexität, auf der pragmatischen eine zu Ordnung.403 Bedeutungs- und Subjektkonstitution Im Zuge ihrer Versuche, die erlebnisorientierten Intentionen der Jugendlichen zu erfassen und mittels Produkten zu befriedigen, antizipieren die Produzenten mehr oder minder bewusst auch Bereiche jugendlicher Bedeutungs- und Subjektkonstitution. Im Prozess der Aneignung und Entäußerung symbolischer Objektivationen, mit denen die Jugendlichen sich mit sich selbst und anderen über die Deutung der sie umgebenden und von ihnen gestalteten Phänomene verständigen, stellt das Fantasy-Rollenspiel-Angebot, wie die Intensität des Spiels zeigt, ein wesentliches Archiv dar, auf das Fantasy-Rollenspieler zurückgreifen können. Dies setzt natürlich die Anschlussfähigkeit des dort archivierten symbolischen Materials an die Sinnhorizonte der Jugendlichen voraus, die erst ein Decoding und Encoding ermöglichen. Jugendliche orientieren sich nun bei der Verwendung symbolischer Objektivationen an spezifischen Intentionen, die in Relation zu ihrem entwicklungspsychologischen Status stehen, d.h. die symbolischen Objektivationen erfahren eine genuine Re- Interpretation, die in Relation steht zu den handlungsleitenden Themen des Jugendlichen. Die Produzenten 400 SCHULZE 1996, 443 401 vgl. HENGST 1997, 165-168 402 SCHULZE 1996, 443 403 SCHULZE 1996, 338 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 204 rekurrieren nun bei der Gestaltung ihrer Produkte auf diese Themen in der Weise, dass sie versuchen, deren Verwendung als Textelemente zu antizipieren und sie entsprechend symbolisch aufladen: ?? "Magic, The Gathering" steht für die Antizipation von Ordnungsphantasien der jugendlichen Rezipienten durch die Autoren und Produzenten. Diese setzen offensichtlich voraus, dass gerade die jüngeren Jugendlichen ihren Alltag und ihre Lebenswelt als Räume erfahren, in welche das Chaos und das Numinose einbricht und die bisherige transzendente Ordnung der Welt aufgehoben scheint oder gar zerstört wird. In der Indexikalisierung dieser Welt mittels eines Systems von hierarchisierenden Verweisungen und ritualisierter Konflikte bieten sie Techniken an, wieder Sinn zu finden und ihn zu stiften. Das Numinose erhält in den vielfältigen Abbildungen von chthonischen Wesen und Landschaften auf den Karten ein Aussehen, das es identifizierbar und mittels magischer Interaktionsformen beherrschbar macht. Andererseits spiegelt sich die Totalität der Gefahr durch den Einbruch des Chaos und Numinosen in der nicht enden wollenden Zahl der Ungeheuer, die es gebiert, so dass ständig neue Serien notwendig sind, um es zu bannen. ?? In "BattleTech" formulieren die Autoren und Produzenten Unverletzlichkeits- und Beherrschungsphantasien der Jugendlichen. Dabei werden insbesondere Erfahrungen körperlichen Ungenügens und körperlicher Verletzlichkeit der Pubertät in überdimensionierten Waffen, titanischen Kräften und undurchdringbaren Panzern technischer Exoskelette kompensiert. Die Hände des Jugendlichen, mit denen er im Alltag nichts anzufangen weiß, werden zu gezielt und effizient einsetzbaren manipulativen Trägern von mächtigen Waffensystemen, die sich entwickelnden Kräfte finden Unterstützung in unerschöpflichen Energiequellen, der sich als verletzbar und verändernd erfahrene Körper erfährt in der Panzerung Fixierung und Schutz. Der gemeinsame Kampf in soldatischen Männergemeinschaften kompensiert noch fehlende soziale Interaktionskompetenzen und trägt zu einer entlastenden Vereinfachung komplexer Kontexte bei. In Koinzidenz mit den Erfahrungen der Jugendlichen integrie rt das Angebot in seinen Manifestationen aber auch das Bewusstsein der Verwundbarkeit trotz aller Vorsorge und prohibitiver Technik. Im konkreten Duell gibt es den Stärkeren, den Schnelleren, den Geschickteren. Die Technik reicht weit, aber auch sie ist begrenzt. Im Kern des Mech droht mit dem Plasma seiner Fusionsreaktoren stets auch die völlige Vernichtung des Piloten selbst.404 An die oben beschriebenen Ordnungsphantasien erinnern noch Elemente wie die Strukturierung der Handlung in Routinen von Angriff und Abwehr, die manichäische Gegenüberstellung von Gut und Böse und die Indexikalisierung der Welt, nun in den verschiedenen Modellen der Mech und Geräte. Andererseits eröffnen Rollenspielelemente und Variationsmöglichkeiten neue Handlungs- und Interaktionshorizonte. ?? In den unbegrenzten Welten "Aventuriens" spiegelt das Angebot die kreative Suche der Jugendlichen nach Identität in den vielfältigen Formen eines alternativen Sich-selbst-seins, das sich im Handeln mit sich und anderen in wechselnden und anspruchsvollen situativen Kontexten findet. In den durch das eigene Handeln mitgestalteten und weiter entwickelten Fiktionen von hoher Komplexität agieren die Jugendlichen weitgehend autonom. Sie können dabei Nähe und Distanz zu ihrer Rolle ebenso bestimmen wie deren Gestaltung und Verhalten im Spiel. Zwar ermöglichen ihnen Typologisierungen immer noch eine Orientierung, doch sind sie implizit wie explizit aufgefordert, den Rahmen dieser Vorgaben zu sprengen. In der Komplexität der Aufgaben begegnen die Jugendlichen Formen der Problemlösung, die auf ihren Alltag verweisen. Neben individuellen Kompetenzen werden soziale gefordert, etwa die effiziente, antizipierende Mitarbeit in einem Team oder entsprechende Qualifikationen in Leitungsfunktionen wie die Delegation und Koordination von Aufgaben und Realisierung von Konfliktlösungen. Mit ihrem Handeln in komplexen Kontexten der von ihnen geschaffenen kollektiven Fiktionen gelingt ihnen erfolgreich eine transzendierende Verweigerung des Konformitätsdrucks aus ihrer Alltagsrealität. 404 Balzer 1996, 44: "Die Leiden des jungen Cyborg [sind] auch eine wohlfeile Metapher für die Widrigkeiten der Pubertät. Gleichzeitig jedoch, typisch japanisch, eine Technikkritik ohne unnötigen Defätismus. Denn läuft alles zufriedenstellend, haben die Helden am Ende begriffen: Selbst mit ein paar Mikrochips im Hirn und mit einem Turbo-Raketenwerfer als Armersatz geht das Leben irgendwie weiter. Man muss nur lernen, die unvertrauten Kräfte unter Kontrolle zu halten." 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 205 Jugendliche Selbst-Sozialisation Persönlichkeit als Resultat eines Prozesses der Auseinandersetzung des Jugendlichen mit seiner Umwelt rekurriert damit auch auf das Angebot des Erlebnismarktes und des Marktsegmentes Fantasy-Rollenspiele als institutionalisierte Formen der äußeren Realität. Dessen Angebot zählt damit zu ausdifferenzierten Subsystemen, die als Konkretisierung gesellschaftlicher Überbauphänomene in fast ausschließlich heteronomer Weise auf das Individuum einwirken und massiven Einfluss auf die Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt nehmen insbesondere mittels der von ihnen in Gestalt der Produkte bereit gestellten Archive und Bibliotheken symbolischer Objektivationen und der an sie geknüpften Bedeutungszuweisungen. Das Angebot tritt demnach neben die Interaktion des Individuums mit sog. sozialisationsrelevanten Subsystemen wie etwa Familie, Peer Groups, Szenen und Milieus als ein weiterer Mediator bei der Vermittlung der in ihm archivierten symbolischen Objektivationen. Der Konsum der Produkte des Fantasy-Rollenspiel- Angebots durch den Jugendlichen ist also nur zu einem geringeren Teil der eigenständige Zugriff auf diese Archive, zum Großteil dagegen ein Aneignungs- und Entäußerungsprozess innerhalb sozialer Interaktion in Subsystemen der Gesellschaft.405 Andererseits ermöglicht gerade dieses Angebot den weitgehend direkten Zugang des Individuums zu diesem Archiv symbolischer Objektivationen und damit die Möglichkeit, seine Interaktion über den Konsum grundsätzlich als individuelles Handelns organisieren und wahrnehmen zu können. Das Handeln des Jugendlichen als ein "Prozess der Selbstregulation durch Rückkopplung"406 beruht demnach gerade auch auf Orientierungen, die er der äußeren Realität und damit dem Marktangebot an Erlebnisprodukten im Zuge von Aneignungs- und Entäußerungsprozessen entnimmt und die auf der kognitiv-reflexiven Ebene Erwartungen jene handlungsleitende Themen mitformulieren, die mittels adäquater Handlungen realisiert werden sollen. Identität beruht nun auf der Fähigkeit, von sich selbst ein Bild zu entwickeln, das einerseits der Wirklichkeit, also auch der Begrenztheit der Handlungsmöglichkeiten des Individuums in seinen Kontexten von Alltag und Lebenswelt entspricht, andererseits aber auch als Leitbild dazu taugt, die Interaktion des Individuums mit seinen Kontexten zu transzendieren. Identität wird damit zum Resultat einer "Kontinuität von Selbsterleben [...] auf der Basis des Selbstbildes"407 als Ziel jugendlicher Ontogenese. Diesem Ziel widerspricht allerdings die im Alltag vom Jugendlichen oft erfahrene Diskrepanz zwischen Handlungskompetenzen und Anforderungen, welche die Handlungssituationen stellen. Sie beeinflusst negativ insbesondere die Motivation des Jugendlichen, diesen Prozess fortzuführen und die in ihm liegenden Gestaltungspotentiale als Chancen wahrzunehmen. Jugendliche empfinden diese Diskrepanz umso mehr, weil sie die ihnen zur Bewältigung heteronomer Herausforderungen zur Verfügung stehenden Kompetenzen – schon aufgrund ihrer geringeren Erfahrung – eher als gering und ungenügend einschätzen. An dieser Stelle bieten Institutionen wie das Erlebnismarktsegment Fantasy-Rollenspiele in der in ihnen angelegten ritualisierten und wenig komplexen Form des Handelns als Konsum notwendige Sicherheit und Garantie erfolgreichen Handelns. Im Produkt manifestiert sich zunächst eine dem Jugendlichen schlüssig erscheinende Interdependenz von Bedürfniserwartung und -befriedigung. Produkte bieten zunächst Orientierung und erlauben eine auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmte Auswahl, gleichzeitig vermitteln sie Skripts, nach denen diese Auswahl vorgenommen und auf welche Weise die Produkte funktional effizient eingesetzt werden können. Mit Produkten kann dieser Erfolg mit hoher Wahrscheinlichkeit wiederholt werden. Sicherheit resultiert letztlich auch aus der kollektiven Affirmation, die Konsum vermittelt. Das Angebot der Fantasy-Rollenspiele korrespondiert demnach in besonderer Weise mit den Bedingungen der Identitätsfindung von Jugendlichen und bietet ihnen im Konsum eine angesichts ihrer Aufgabe der Sozialisation 405 Vgl. dazu die Funktion sozialer Codes und von Mythen beim Encoding/ Decoding bei BARTHES, CHANDLER 2002, 144-145; O'SULLIVAN et al. 1994, 192 406 HURRELMANN 2001, 77 407 HURRELMANN 2001, 79 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 206 in eigener Regie sichere Form der Interaktion mit ihrer Umwelt und der Erschließung von Archiven symbolischer Objektivationen. Intrinsische Motivation und Flow Die Produkte des Fantasy-Rollenspiel-Angebots sind wie oben aufgezeigt grundsätzlich geeignet, den Jugendlichen gerade im Konsum eine effiziente und letztlich erfolgreiche Interaktion mit ihrer Umwelt zu ermöglichen. Im einzelnen erfüllt gerade die Produktklasse des genuinen Fantasy-Rollenspiels Kriterien, welche eine Förderung intrinsischer Motivation evozieren. Die Spiele formulieren auf unterschiedlichem Anforderungsniveau explizit klare Zielvorstellungen und angemessene Handlungsanweisungen, zu denen das Handeln der Spieler führen soll. Zum Teil weisen die Spiele diese Niveaus über Kompetenz und Schwierigkeitsstufen und Angaben, welche Kenntnisse und Fähigkeiten sie voraussetzen, explizit aus, um Enttäuschungen vorzubeugen. 408 Andererseits verweisen Autoren auch immer auf Möglichkeiten, wie das Anforderungsniveau der Spiele erhöht werden kann. 409 Selbst PC-Spiele können den vorhandenen Kompetenzen mehr oder minder sensibel mit dafür vorgesehenen Justierungsmöglichkeiten oder informellen Cheats angepasst werden. Der Jugendliche behält dabei Aufgabe, Methode und Ziel im Überblick, auf die er psychische Energie fokussieren kann. Das Spielgeschehen vermittelt mit dem Agieren mittels Repräsentationen wie Objekten (Karte, Miniatur, Sheet etc.) und dem Handeln in Echtzeit ein unmittelbares Feedback und ermöglicht so die sofortige Erfolgskontrolle des Handelns wie eine eventuell notwendige unverzügliche Modifikation. Auch deren Folgen wirken sich unmittelbar und erkennbar aus. Hinzu kommt die von den Autoren her vorgesehene moderierende Funktion der Spielleiters bzw. der kollektiven Spielleitung, die Misserfolge nur in einem pädagogischen Umfang zulassen, um den Erfolg des Spielens nicht zu gefährden. Die Fähigkeiten des Jugendlichen sind vollkommen in eine Herausforderung und Aufgabe eingebunden, die gerade noch lösbar und zu bewältigen scheint. Gerade eine angemessen anspruchsvolle Aufgabenstellung erzwingt die Auslastung der individuellen Fähigkeiten, ohne aber das Individuum zu überfordern. Im Idealfall gelingt damit eine Balance der Fähigkeiten des Jugendlichen mit den vom Spiel vorgegebenen Anforderungen, die zu den bei Fantasy-Rollenspielern immer wieder zu beobachtenden Flow-Erfahrung des Individuums führt: ein Zustand völliger Konzentration, gesteigerten Selbstbewusstseins, veränderter Zeitwahrnehmung und totaler Selbsterfahrung, eine positive Erfahrung, die nach Verstetigung verlangt und das Individuum motiviert.410 Für den Erfolg der Produktkonzeption spricht auch die in der Regel positive Reflexion des Spielgeschehens durch die Spieler nach Spielende und die gelöste, heitere Stimmung, die für die tiefgehende Befriedigung steht, die erfolgreiches zielorientiertes Handeln hinterlässt.411 Der Jugendliche sucht und entwickelt in seinem Identitätsfindungsprozess individuelle und dem jeweiligen Kontext angepasste Interaktionsformen, um sich mit seiner Umwelt angemessen auseinander zu setzen. Entscheidend für ihn ist es dabei, gerade Misserfolgs- und Ohnmachterfahrungen möglichst wegen ihrer demotivierenden Wirkung zu vermeiden. Dass trotz all seiner Emanzipationsversuche und –erfolge die grundsätzliche heteronome Bestimmung seines Lebens weiter besteht, bedarf nicht einer expliziten Demonstration. In einem selbstbestimmten Lernprozess sucht das Individuum derartige negative Erfahrungen gerade auszuschließen, indem es den Schwierigkeitsgrad seiner Aneignung von den Dingen geradeso zu gestalten sucht, dass diese Versuche als Erfolge erlebt werden. Flow-Erfahrungen entstehen nicht per se, sondern die Individuen bewerten in ihrer reflexiven Retrospektive die Umstände ihres Handelns in diesem Sinne. So schließt etwa eine heteronom bedingte Motivierung ein als autonom empfundenes Handeln nicht aus, doch erzeugt es nicht unbedingt auch ein Bewusstsein davon. Andererseits können auch produktive und lebensfunktionale Aktivitäten, die vordergründig allzu prosaisch wirken, durchaus Flow-Erfahrungen ermöglichen. 408 APPENDIZES/ Material-DSA/ DSA-Produktübersicht-Phileasson-Saga; 409 IPPOLITO/ TURNER MULHIVIL (Hg.) 1994 410 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19, 32-36; APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg 1996-09-28, 3 411 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 1995-12-16 BT-Fight WG; 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 207 Immerhin besitzt ein konsumtives Handeln grundsätzlich den Charakter einer gestaltenden Interaktion in der Eigenwahrnehmung des Individuums und birgt damit ein Element von Autonomie, was zur Motivierung und Erfahrungen von Erfolg und Gelingen beiträgt. Von entscheidender Bedeutung ist, dass dem Individuum in der reflexiven Retrospektive sein adaptives Arrangement seiner Kompetenzen an Herausforderungen als autonomes Handeln erscheint. Als Resultat reflexiver Eigenwahrnehmung mag die Echtheit einer Erfahrung von Autonomie ein Konstrukt des Individuums sein, doch gilt sie ihm als selbstverständlich und evident. Von daher scheint es ihm sinnvoll, bewusst auf seine Lebenswelt in einer solchen Weise einzuwirken, dass die Voraussetzungen für weitere Flow- Erfahrungen geschaffen werden. Der Erlebnismarkt bietet hier ihm die Möglichkeit, im redundanten und expandierenden Konsum diese Voraussetzungen immer wieder neu zu schaffen, solange ihm Ressourcen für den Tausch auf dem Markt zur Verfügung stehen. Wie die Eigenproduktionen der Fantasy-Rollenspieler zeigen, bleiben die Jugendlichen aber nicht auf dieser Stufe heteronom produzierter Motivationsimpulse stehen, sondern sie streben danach, langfristig einen wesentlichen Anteil ihres Alltags auch non-konsumtiv zu bestimmen und als Lebenswelt entwickeln. Die Produkte des Fantasy-Rollenspiel-Angebots sind denn häufiger auch Initialimpuls zu ausgedehnten Phasen intrinsisch motivierten Handelns. Der vom Jugendlichen selbst bestimmte Lernprozess zielt also langfristig darauf, Autonomie in der Auseinandersetzung mit Heteronomie als steten Prozess erfahrbar werden zu lassen. Kann der Jugendliche diesen Prozess langfristig stabilisieren, gelingt ihm eine dauerhafte und positiv empfundene Gestaltung seiner Lebenswirklichkeit, deren Energie einer beständigen intrinsischen Motivation entspringt, die vom Individuum selbst erzeugt, erlebt und perpetuiert wird.412 Zu den besonderen Eigenschaften der Produkte des Fantasy-Rollenspiel-Angebots gehört ihre Affinität zur sozialen Interaktion, die besonders geeignet scheint, Flow-Erfahrungen zu evozieren.413 Fantasy-Rollenspiele sind als Einzelspiel genuin nicht möglich, auch wenn in einer bestimmten Phase fehlender technischer Möglichkeiten etwa PC-Spiele als solche Spielformen entwickelt worden sind. Rudimentär ist aber auch im PC als Gegner eine dyadische Struktur immer noch vorhanden. Interaktion und Kommunikation realisieren alle als Voraussetzungen für Flow-Erfahrungen bekannten Kriterien. Auf die Bedeutung sozialer und insbesondere personaler Interaktion als ästhetische Potentiale verweist die Relevanz, die ihr die Jugendlichen der Fantasy- Rollenspiel-Szene zuweisen und worin sie von den Produkten auch unterstützt werden. Die wesentlichen Momente ihrer Alltagsgestaltung, d.h. also die Spiele und das Spiel selbst, basieren auf unmittelbarer Interaktion miteinander. Diese Form des Erlebens scheint den Jugendlichen unabdingbar.414 Fantasy-Rollenspiele evozieren reale wie fiktionale Räume, die zu Refugien von Handlungen werden, die Flow- Erfahrungen begünstigen und provozieren, da sie – etwa als Environment - den spezifischen Bedürfnissen der Jugendlichen entgegenkommen. Die Aufmerksamkeit, die Jugendliche der Ausgestaltung bestimmter Räume, etwa ihres Zimmers, zu einem Gesamtarrangement widmen, beruht auf der Einsicht, dass dort in einem kontrollier- und gestaltbaren Raum 'Flow'-Erfahrungen am ehesten möglich sind. Wesentliche Symbole dieser Qualität erwerben die Jugendlichen mit kommerziellen Angeboten. Im Zusammenhang mit der Einrichtung von Räumen sind gerade auch bestimmte Texte und Objekte wie Medien, PC u.a. von Bedeutung, da sich im Umgang mit ihnen einerseits die Kriterien von Flow unschwer realisieren lassen bzw. in ihnen immanent schon angelegt sind, andererseits aber auch in der retrospektiven Wertung ihre Bedeutung durch besondere Eigenschaften wie etwa die Möglichkeit der Immersion gegeben scheint.415 Kollektive Fiktionalisierung Die im Fantasy-Rollenspiel-Angebot angelegten intrinsischen Motivationspotentiale basieren in erster Linie auf der Struktur der Spiele und weiterer Elemente des Angebots als Formen kollektiver Fiktionen. So fördern die Produkte zunächst den für die Konstitution der Fiktion unabdingbaren Prozess der Grenzüberschreitung mittels liminaler Texte, Materialien und Objekte wie Titelformulierungen, Abbildungen und Illustrationen, Karten, Miniaturen. Auch die Aufmachung der Produkte etwa in einem historisierenden oder 412 STRAKA 1998, 27-31 413 Kap. 2.2.5 Förderung von Flow-Erfahrungen durch bestimmte Kontextfaktoren; 414 Vgl. APPENDIZES/ Feldbeobachtung/ Feldbeobachtung 2002-04-02 415 Vgl. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 91-100; s.a. Bedeutung des eigenen Zimmers für die jugendliche Identität nach RESEARCH & MEDIA MARKETING 2002, 11; RESEARCH & MEDIA MARKETING 2004, 10-13 4 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement als Angebot 208 szientistischen Stil (Font, Sprache etc.) verstärkt diese Funktion. Die besondere Bedeutung des Marktes liegt dabei in dem für jeden Konsumenten offenen Zugang zu teilweise sehr komplexen und elaborierten Formen liminaler Objekte, die es – einzig eingeschränkt durch die zur Verfügung stehenden Ressourcen – einem jeden mit einer hohen Wahrscheinlichkeit erlauben, diese Transition vorzunehmen und den Aufenthalt zu verstetigen und zur Immersion zu steigern. Gleichzeitig organisieren die Produkte durch konkrete Vorgaben in Szenario, Figuration und Plot auch die kollektive Form ihres Konsums und bereiten damit die gemeinsame Gestaltung der Fiktion vor. Das Angebot trägt weiter dazu bei, die Teilnahme als weiteres wesentliches Element der immersiven Wirkung zu ermöglichen, indem es die sich labyrinthisch und sukzessive öffnenden Räume skizziert bzw. in der Phantasie der Jugendlichen evoziert, die nach Orientierung, Navigation und Erschließung verlangen. Diese Räume werden nicht allein kartographisch von den Spielmaterialien aufgespannt, sondern in verschiedenen Dimensionen wie etwa der Zeit, der gesellschaftlichen Strukturen, der Überbauphänomene etc., d.h. die Multidimensionalität der Fiktionen ist wesentliche Folge von Impulsen der Produkte und erweitert den fiktionalen Raum zum Rhizom. Mit der Einflussnahme auf die Bewegungen in den Räumen und schließlich auf die Gestaltung der Räume und Bewegungen selbst öffnen sich weitere und anspruchsvollere ästhetische Potentiale, die im Sinne der Motivationspsychologie stimulierende Herausforderungen darstellen. 209 5. Fantasy-Rollenspiele - ein Medien-, Text- und Ereignis— Arrangement in der Nutzung Einführung1: Dieses Wochenende ist schulfrei2. Die Gruppe der Jugendlichen trifft sich um 11:00 Uhr am Hauptbahnhof in W., um nach L. zu fahren. Ein Chapterfight gegen ein befreundetes Chapter steht an. Die Gruppe fällt auf dem Parkplatz neben dem Bahnhofsgebäude ein wenig auf, weil die Einheit aus dem Haus "Kurita" in der Tradition der japanischen Ninja -Samurai Schwarz als Standardfarbe ihrer Kleidung bevorzugt. So erscheint einer der Jugendlichen mit schwarzem Barett, das "Kurita"-Emblem mit dem roten Drachen im schwarzen Feld auf der Stirnseite, weiteren Orden und Schulterabzeichen. Der rote Drachen als Symbol des Hauses prangt auch auf Rückseite der schwarzen Lederjacke, dazu weiter eine Totenkopfgürtelschnalle, Springerstiefel etc., kurzer Stoppelhaarschnitt. Zur vollständigen Ausstattung nach dem der einschlägigen Literatur entnommenen Vorbild eines "Streetsamurai"3 bzw. "Cyberpunks"4 fehlt nur noch das Katana5. In der Hand hält er allerdings einen zu seinem martialischen Outfit überhaupt nicht passenden Aluminium-Koffer, in dem er seine Mech-Miniaturen aufbewahrt. Nach und nach treffen die anderen der Gruppe ein. Nach einer knappen Begrüßung und einem kurzen Austausch, man kennt sich offensichtlich von vielen Treffen, schart man sich um den "Hausoffizier", um weitere Informationen zu erhalten. Die Videokamera, mit der das Treffen aufgenommen wird, wird nicht als Problem empfunden. Man posiert zunächst noch mehrmals absichtlich vor der Linse, dann wird sie nicht mehr wahrgenommen. Auf dem Parkplatz ist das Chapter nicht die einzige Gruppe von Jugendlichen, die sich an diesem Wochenende zum Auftakt eines Events trifft. Zwei Sportgruppen in "Adidas"-Sportswear und mit Sporttaschen beobachten verstohlen die Mechkrieger6. Reservierte Blicke auch anderer Passanten. Nach längerem Small Talk dann unvermittelt die Aufteilung auf die Fahrzeuge und die Abfahrt. Während der Fahrt stellt man Radio FFH für die neuesten Staumeldungen ein, dazwischen spielt im Hintergrund Musik, die keinen interessiert, da sich alle im Wagen unterhalten. Standardthemen sind die letzten Fights und die eigene Rolle, die man dabei spielte. Nach einer Stunde dann Ankunft in L. und das Treffen mit den Mitgliedern des gegnerischen Chapter in einem Privathaus. An diesem schönen Sommermorgen sitzen alle auf der Terrasse und im Wohnzimmer bei einem späten Frühstück. Neben leeren und noch halb gefüllten Kaffeetassen eines Sammelservices finden sich überall auf den Tellern Essensreste und Zigarettenkippen. Der Raum ist wegen der durch die Verandaverglasung einfallenden Sonne sehr warm. Dicke Luft, denn fast alle rauchen, die Aschenbecher sind überfüllt. An der einen Wand im Wohnzimmer eine Stollenwand aus den 80er-Jahren, dazu ein passender Couchtisch und eine Sitzgruppe aus drei Sesseln in grün-grauem Plüsch. Im Regal der Stollenwand links ein Fernsehgerät mit 70- Zentimeter-Röhre, ein SAT-Receiver, ein Videorecorder. Auf weiteren Regalböden befindet sich eine quantitativ wie qualitativ beeindruckende Sammlung von Fantasy-Videos, Table Top-Spielen, Game Sets, PC- Spielen, eine Wanduhr mit dem "Suzuki"-Motorrad-Logo und zwei große, etwa vierzig Zentimeter hohe Drachen-Miniaturen aus Zinn, welche bösartig die Szene vom Regal her beäugen. Das an das Wohnzimmer angrenzende Esszimmer ist ausgeräumt und offen zu einer Küche hin, die in 'Eiche hell' gehalten ist. Die Wände zieren Reprints der Werke von Luis Royo7 auf großformatigen Postern. Auf dem Teppich vor der TV-Konsole wie auf dem Couchtisch befinden sich zwischen Resten des Frühstücks und den Aschenbechern die Verpackungen mehrerer Assembling-Kits von "Warhammer 40K"-Einheiten8. Auf dem Fußboden vor dem 1 Die folgende Darstellung basiert auf APPENDIZES/ FELDBEOBACHTUNGEN/ Feldbeobachtung 1997-10-18 BT -Chapterfight; 2 Mit dem Schuljahr 1998/99 erfolgte an den letzten Schulen in Rheinland-Pfalz der Übergang zur 5-Tage-Woche; aktuell beginnen die Events der FRPG-Szene wie die anderer Jugendszenen auch üblicherweise an Freitag Nachmittagen; 3 Figur/ Typus aus dem FRPG "Shadowrun", IPPOLITO/ MULVIHILL et al. 1989, 1992, 1998, 1999 4 Figur/ Typus aus William Gibson's genre- und stilbildenden Roman "Neuromancer", GIBSON 1994 (1984) 5 Traditionelles Langschwert des japanischen Samurai; zusammen mit dem Kurzschwert "Wakizashi" bildete es dessen Standardbewaffnung und war zugleich (neben Kleidung und Haartracht) Symbol seines sozialen Status im Japan der Shogun-Ära; in der persönlichen Perspektive ihrer Besitzer erfahren die Schwerter eine im "Bushido"-Ehrenkodex und der konfuzianischen Familientradition verwurzelte religiöse Bedeutung für ihren Träger, vgl. dazu FÖRSTER 1997 6 Im "BattleTech"-Jargon Eindeutschung von "MechWarrior'' Bezeichnung der Piloten von "BattleMech(anics)", i.e. Kampfrobotern in den Spielmaterialien, Kompendien und Romanen der FRPG, vgl. APPENDIZES/ Materialien/ Bilder/ Bild 1.1-15-20 7 Luis Royo: Kurzbiografie, Werkverzeichnis s. APPENDIZES/ Personen/ Luis Royo Biografie; Bilder s. APPENDIZES/ Materialien/ Bilder/ Bild 1.12-1-16 8 Rundenbasiertes Table Top-Spiel mit zahlreichen Miniaturen; einen guten Überblick bietet http://www.games-workshop.de/warhammer 40000/index.shtm [2004-07-15], ab September 2004 auch als Real Time Strategy PC-Spiel "Dawn of War", http://www.dawnofwar-game.de/ [2004- 07-15]; Beispiele für Miniaturen und Spielpraxis s.a. APPENDIZES/ Materialien/ Bilder/ Bild 1.10-1-16 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 210 Couchtisch sind als kleines spontanes Diarama "Wood Elfes Knights"9 aufgestellt, sorgfältig verarbeitet und akkurat bemalt. An der Stirnwand des Raumes läuft im Hintergrund ein PC. Jemand arbeitet an dem Rechner und versucht, so weit man es auf dem Monitor und seinen Kommentaren entnehmen kann, die Festplatte des PC wieder zugr iffsfähig zu machen. Sie ist – typisch für den Besitzer - nach seinem Mech, einem "Marauder'"10, benannt. Der PC-Experte spielt während seiner Reparatur gleichzeitig auf einem "Gameboy" "Super Mario". Das Piepsen der kleinen "Nintendo"-Konsole konkurriert mit dem Fiepen des sich im Scan-Modus befindlichen Laufwerks. Über den Flur - ein Architektur-Ensemble der 60er Jahre aus Parkettfußboden, Glasbausteinen und Alu-Haustür - geht es in den eigens neben dem Wohnraum eingerichteten Spielraum von ca. 15 m². An der Decke beflügelt ein fragiles, selbst entworfenes und gebasteltes Modell eines "Jumpship"11 mit seinem Photonensegel die Phantasie der Spieler. In der Mitte darunter befindet sich eine aus vier Einzeltischen zusammengesetzte quadratische Spielfläche, auf der eine Sammlung von Karten mit den typischen Hexagonen12 ausgebreitet ist. An den Wänden eine Reihe von Setzkästen, in denen eine umfangreiche Sammlung von Mech-Miniaturen präsentiert werden. Von der Tür aus gesehen hinten rechts in der Ecke eine Art Aktenrollschrank zur Aufbewahrung von Spielbüchern und weiteren Unterlagen. Wegen der Größe der Spielfläche gibt es keinen Platz für Stühle. Die Spieler stehen am Tisch.13 Zwischen Wohnraum und Spielraum herrscht ein beständiges Hin und Her. Die Offiziere der gerade am Zug befindliche Partei planen ihre nächsten taktischen Manöver und konkreten Züge. Die Piloten der betroffenen Mech positionieren ihre Maschinen nach ihren Anweisungen. Während dieser langwierigen Prozedur diskutieren diejenigen, die schon fertig sind und auf die Feuer-Phase warten, wie die, die noch ihre Miniaturen zu bewegen haben, im Spielraum mit oder chillen im Wohnraum. Hier ersetzt das Fernsehgerät offensichtlich die Musikanlage. Es läuft permanent im Hintergrund. Immer wartet irgend jemand auf eine bestimmte Sendung, ständig sitzen die Spieler, die gerade keinen Zug zu führen haben, in der Polstergruppe oder auf dem Boden vor dem Gerät. An dem inzwischen reparierten PC beschäftigen sich weitere Jugendliche mit PC-Spielen, man hört die typischen Geräusche aus den Boxen des PC wie die sich überschlagende Kommentierung des Spielgeschehens durch den Spieler und weitere interessierte Zuschauer. Und doch scheint keiner der Jugendlichen an diesen Medien wirklich interessiert, denn parallel dazu laufen ständig Diskussionen und Gespräche, die sich nur um FRPG drehen. Ab und zu muss man sich mit Wirklichkeit auseinandersetzen, etwa wenn der Getränkehändler kommt und bezahlt werden muss. Persönliche Themen wie etwa ein verloren gegangener Job werden auch besprochen. Aber all das scheint nicht wirklich wichtig zu sein verglichen mit dem Problem, wie nun die Waldelfen richtig zu bemalen sind, dass morgen eine "Shadowrun"- Séance gespielt werden soll und man noch Mitspieler sucht und dass der eigene Kampfroboter, im Jargon der Veteranen "Wanne" genannt, sich letztens gegen "Infernos"14 behaupten konnte. Während die Beschreibung bisher einen privaten Kontext von FRPG in den Vordergrund darstellte, folgt nun ein Bericht über die Gestaltung einer partiell öffentlichen Großveranstaltung15: Die Convention16 findet in einer städtischen Einrichtung statt. Am Eingang der Kultur- und Mehrzweckhalle erhält man gegen einen Unkostenbeitrag von zehn Mark Unterlagen und als Kontrollmittel einen Stempelaufdruck auf den Handrücken. Schon im Vorraum weisen Schilder darauf hin, dass Uniformen wie 9 Eine Rasse von "Warhammer 40K" in Anlehnung an die Waldelfen in J.R.R. Tolkien's "Lord of the Rin gs"; 10 Die korrekte Aussprache der englischen Vokabel ist den meisten Spielern nicht bekannt, verbreitet ist stattdessen die französisch-deutsche; Unkenntnis besteht auch in Bezug auf die pejorative Bedeutung von "Marodeur"; 11 "Jumpship": im "BattleTech"-Universum ein Raumschiff für interstellaren Verkehr; 12 APPENDIZES/ Materialien/ Bilder/ Bild 1.2-2 13 APPENDIZES/ Materialien/ Bilder/ Bild 1.2-32 14 "BattleTech"-Jargon für einen Mech; der Begriff "Wanne" bezeichnet technisch den unteren Teil eines Panzer-Chassis und ist ein deutsches Äquivalent aus dem Landserjargon zu engl. "hull", "Infernos" stellen eine unkonventionelle, aber sehr effiziente Munition dar, deren Gebrauch in regulären Gefechten eigens zwischen den Kontrahenten vereinbart werden muss; "Kurita"-Chapter sehen darin eine Verletzung des Bushido- Ehrenkodexes und lehnen den Ersteinsatz deswegen grundsätzlich ab, erlaubt ist allerdings der Einsatz gegen unehrenhafte Gegner, die derartige Munition verwenden; 15 APPENDIZES/ Materialien/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg; 16 Conventions (Cons) sind wie bei anderen Jugend- und Erwachsenen-Szenen die eigentlichen Groß-Events und eine Mischung aus Jahrmarkt, Messe, Wettkampf- und Präsentationsveranstaltungen, Catwalk der Mitglieder etc. und tragen wesentlich zur reflexiven Identifikation der Szenemitglieder etwa auch im Sinne eines "kulturellen Gedächtnisses" bei; vgl. MIKOS 2003; einer der bekanntesten bundesdeutschen Cons der FRPG-Szene ist der jährlich in Nordrhein-Westfalen veranstaltete "Feen-Con" mit über 2000 Besuchern und ca. 50 Ausstellern (http://www.feencon.de [2004-04-30]). Europäische Cons sind allerdings mit den Events in den USA oder Japan kaum vergleichbar: den japanischen "G-Con" besuchen ca. 150.000 Menschen an zwei Tagen (http://www.gcon.fromc.jp [2004-04-30]); 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 211 Alkohol nicht erwünscht sind. Der Führer unserer Gruppe, im Range eines "Tai-Sho"17, steckt, um jedes Aufsehen zu vermeiden, kurz sein schwarzes Barett weg, andere tragen über ihrer militärischen Vorbildern nachempfundenen Kleidung schwarze Jacken. In einer langen Reihe warten die Besucher diszipliniert auf den Einlass mit ihren Taschen, Schlafsäcken und Aluminium-Koffern. Drinnen treffen sich die Führer der Gruppe mit Offizieren anderer Chapter zu einer ersten Kontaktaufnahme. Bekanntschaften werden erneuert, Wiedersehen gefeiert, denn die Convention hat ein bundesweites Einzugsgebiet. Im Foyer des Kulturzentrums hat ein Händler einen Stand mit einem beeindruckenden Angebot an "BattleTech"-Materialien aufgebaut. Er findet großes Interesse bei den Besuchern, denn hier kann man lang gesuchte Rares wie etwa wegen eines Copyright-Konflikts von FASA18 schon lange nicht mehr erhältliche Mech-Miniaturen noch erwerben. Kleinere Gruppen bewundern die weitere Auslage, mancher ergänzt sein Equipment und einen guten Absatz finden auch die T-Shirts mit den aufgedruckten Motiven von Heavy-Metal-Bands. Fanzines der einzelnen Chapter wie des Verbandes werden verteilt. In einer Ecke des Foyers hockt eine Gruppe um einen Mini-TV herum und folgt der Berichterstattung der Fußballbundesliga. In anderen Ecken finden auch schon improvisierte Freundschaftskämpfe statt. Man flaniert herum, schaut sich um. Immer mehr Teilnehmer treffen mittlerweile ein, jetzt ein martialisch aussehendes "Steiner"-Chapter in Winterkampfanzügen der US-Army. Offensichtlich werden die Bestimmungen über das Verbot von Uniformen großzügig ausgelegt. Militärische Kleidung gibt es ja auch als Szenenkleidung, die sich an Vorbildern in Videoclips orientiert.19 Chapter des Hauses "Kurita" orientieren sich bei ihrem Outfit an der Ninja -Tradition20 oder an "Karate-Kid"-Filmen21, aber viele der Jugendlichen sind auch völlig unauffällig gekleidet. Nur wenige Mädchen sind zu sehen. Im Hauptsaal werden jetzt mit vereinten Kräften die vorhandenen Konferenztische zu Spielflächen für die Hexagon-Karten zusammengestellt. Währenddessen verhandeln im Organisationsbüro die Offiziere der Chapter miteinander die Combat Values22 und Regelbedingungen23. Am frühen Nachmittag sind auch die letzten eingetroffen, etwa 300 Jugendliche bevölkern jetzt das Areal und gruppieren sich um die Kartentische24. An den Tischen richten sich die Spieler ein und bemühen sich um die Gestaltung der von ihnen gewünschten Atmosphäre im denkbar nüchternen Interieur der Halle. Große Mengen an mitgebrachten Knabbergebäck wie Nüsse, Chips, Tacco Shells, Dips etc., an Süßigkeiten und an Getränken wie Softdrinks in PET-Flaschen und Dosen werden unter den Tischen und an den Wänden deponiert. Die Organisatoren haben ebenfalls für ein Angebot an Softdrinks, Brötchen, Kaffee und Kuchen gesorgt. An den mitgebrachten Mehrfachsteckdosen werden die Akkulader und Trafos angeschlossen, die Energie für die unzähligen Musikwiedergabegeräte liefern. Türme von CDs stapeln sich auf Stühlen und füllen die Taschen. Fast jeder Tisch hat seine Kleinlautsprecher aufgebaut, die den Raum mit Musik füllen. An dem Tisch, der uns zugewiesen worden ist, beginnt der Chapterfight zu den Klängen von "Man O'War". Jeder legt auf, was er für gut findet oder bei den anderen entdeckt, die Verständigung gelingt ohne Probleme. Dann findet die Einsatzbesprechung mit der Vorstellung der taktischen und strategischen Überlegungen der Chapter-Leitung statt. Jetzt zählt allein das Abschneiden gegenüber den konkurrierenden Einheiten und seine Dokumentation im Ranking. Manchen Gegner, auf den man treffen wird, kennt man schon, gegen manche hat man noch eine Rechnung offen. Alle hören interessiert und konzentriert den Ausführungen des "Tai-Sho" zu, sachlich werden Nachfragen gestellt, zum Abschluss der befreiende Witz des "Hausoffiziers". 25 Nach einer weiteren halben Stunde sind dann an allen Tischen die Fights organisiert und im 17 Offizier im Rang eines Obersten der Truppen des "Draconis Combine" (Haus "Kurita"); 18 FASA Corp., Chicago, Ill., USA: ehemaliger Inhaber weltweiter Lizenzrechte an Board Games und FRPGs wie "BattleTech", "Shadowrun", "Earthdawn", "Crimson Skies", "VOR The Maelstream", s.a. APPENDIZES/ Firmen/ FASA; 19 US-amerikanische/ globale Hiphop-Kultur, vgl. BÄRNTHALER 1996; MÜLLER 2004 20 Ninja: Schwarz gekleidete und maskierte Kämpfer eines japanischen Kriegergeheimbundes, der nicht dem Bushido-Kodex der Samurei folgt, sondern subversive bzw. terroristische Waffen und Kampftechniken gebraucht, populär u.a. durch die Verfilmung von Clavell's Roman "Shogun", CLAVELL 1993 (1975)/ LONDON 1980 21 Die Serie der filmischen Umsetzungen beginnt mit John G. AVILDSEN 1984, es folgen bislang die Teile II (1986), III (1989), IV (1994); 22 Um eine gewisse Ebenbürtigkeit der kämpfenden Chapter zu erreichen, darf jedes Chapter nur eine bestimmte Menge an Maschinen zu einem Gefecht aufstellen, deren Wert in Combat Value Points bemessen wird. Da jedes Gerät einen spezifischen Kampfwert hat, der genau festgelegt ist, ergibt sich daraus eine erhebliche Einschränkung bei der Auswahl der Mech, die zum Einsatz kommen, und damit auch der Spieler, von denen manche nicht bei allen Spielen zum Zug kommen dürfen. Es bedarf eines erheblichen Geschicks der Chapter-Offiziere, diese Entscheidungen dem einzelnen Spieler gegenüber transparent zu machen und gleichzeitig dessen Motivation zu erhalten. Eine Teilnahme stellt somit zugleich auch eine Auszeichnung eines Spielers durch die Chapter-Leitung dar; 23 Das komplexe Regelwerk muss permanent auf seine Zuverlässigkeit hin überprüft werden. Hinzu kommt die Integration zusätzlicher Waffensysteme wie Luftraumjäger, Vertical Take) Off and) Landing Vehicles (VTOL) wie Hubschrauber und "Gunships", Artillerie, Fahrzeuge wie "Hoovers" und "Tanks", von Infanterie als "Platoons" mit und ohne Raketenwerfer und von Spezialmunition. Weiter der muss der Einsatz offizieller und individueller Varianten der Mech-Modelle berücksichtigt werden, und das alles schließlich auf zwei Zeitschienen und zuletzt nochmals differenziert zwischen "Houses" und "Clans'". Nicht geringer komplex, wenn auch weniger technisch belastet, zeigen sich die Regelsysteme anderer FRPG; 24 APPENDIZES/ Materialien/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg; 25 Die Jugendlichen reproduzieren damit bis in die Details genau die Briefing-Rituale zur Einweisung von Kampfflugbesatzungen vor ihrem Einsatz, die sie aus Mediendarstellungen kennen, s. APPENDIZES/ Materialien/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg, 4 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 212 Gange. In der Halle spürt man trotz der kakophonen Geräuschkulisse gespannte Konzentration. Hier hat das 3. Jahrtausend mit seinen interstellaren Schlachten begonnen und wird ohne Unterbrechung bis lange nach Mitternacht, an manchen Tischen bis zum nächsten Mittag währen. 5.1 Die Jugendlichen schaffen sich einen Rahmen Diese Beobachtungen konkreter Gestaltung aus der Welt von "Battletech" machen deutlich, dass die Jugendlichen mit Fantasy-Rollenspielen mehr tun als nur zu spielen. Ganz offensichtlich gestalten sie mit ihrer Hilfe und einem erheblichen Aufwand an weiteren Ressourcen einen wesentlichen und bedeutenden Teil ihres Alltags, indem sie ihn in wichtigen Elementen formen und damit zu einem Teil ihrer Lebenswelt machen. Dazu nehmen sie Einfluss auf den Kontext der Spielsituationen, auf die Spiele und den Spielverlauf selbst, weiter auf die soziale Interaktion und schaffen sich schließlich ein an ihren individuellen wie gruppenspezifischen Themen und Interessen orientiertes Arrangement aus den ihnen zur Verfügung stehenden Texten, Materialien, Objekten, Beziehungen, Medien und Ereignissen. Gestaltung des Handlungskontextes Von großer Bedeutung für das Spielen und seinen die Spieler zufriedenstellenden Verlauf ist die Gestaltung der Rahmenbedingungen und des situativen Kontextes, unter denen das Spiel sich entfalten soll. Dabei orientieren sich die Jugendlichen bei den zu schaffenden Rahmen zunächst an Kriterien, die sich aus dem Spiel selbst ergeben: die grundlegende Spielsituation (etwa als Dungeon, Quest oder Battle Field), die vorgesehenen Interaktionsformen (Adventure Team, Lance, Squad), der Zeitaufwand und die voraussichtliche Dauer des Spiels. Diese Kriterien kollidieren zwangsläufig häufig mit anderen Bedingungen, die den Handlungskontext der Jugendlichen bestimmen. Raum und Zeit sind auch für die Jugendlichen knappe Ressourcen.26 Hinzu kommen weiter ihre individuellen und gruppenspezifischen Wünsche, welche der situative Kontext des Spiels berücksichtigen soll und die in ihn einfließen: beim einzelnen Spieler etwa der Wunsch nach Intimität und erfolgreiche Integration, nach Distinktion, nach Möglichkeiten der Selbstdarstellung und Inszenierung. Bei der Spielergruppe der Wunsch nach Öffentlichkeit, Repräsentation und Anerkennung, nach Aufrechterhaltung von Traditionen und Ritualen, nach Abgrenzung und Profilierung. Hauptaufgabe für die Spieler ist es deshalb, zunächst den Handlungskontext für ihr Spielen erst einmal herzustellen. Die auf diese Weise gestalteten Kontexte reichen dann weiter in den Alltag der Spieler hinein, formen diesen mit und werden aufgrund der Intensität des Spielens dort häufig zu einem entscheidenden Element der Alltagsgestaltung. Die räumliche Struktur des Environment Der konkrete Raum, in dem das Spielgeschehen stattfindet, entspricht in der Regel den Vorstellungen der Spieler nur sehr bedingt oder überhaupt nicht, wenn nicht gerade das eigene Zimmer oder das eines Mitspielers diesen Kriterien gerecht wird. Das eigene Zimmer kann als Spielort für Fantasy-Rollenspiele wegen der dort meist vorhandenen FRPG adäquaten Ausstattung und einem rasch zu gestaltenden Ambiente recht einfach angepasst werden. Poster, bequeme Möbel, Modelle und Miniaturen, die oft gewünschte Verdunkelung und Beleuchtung mit Kerzen, weiter Duftkerzen und Duftstäbchen, der leichte Zugriff auf den Computer und seine Peripherie, auf das Internet wie auf die vorhandene Medienausstattung, in erster Linie die Musikanlage, dann auch das Fernsehgerät und nicht zuletzt die Nähe zu Speisekammer und Kühlschrank machen das eigene Zimmer zu einem Ort erster Wahl für die Jugendlichen. Zudem gilt die eigene Bude nicht nur als ein Raum, auf den Eltern nur noch sehr bedingt Einfluss nehmen können, sondern ist es in den meisten Fällen auch.27 Gegen diesen Raum spricht allerdings der Wunsch der Spieler nach komplexeren Spielsituationen, bei denen sich komplexere Konstellationen der Charaktere oder größere Spielergruppen für eine längere Zeit wie etwa ein ganzes Wochenende treffen. Derartige Treffen werden von den meisten als Höhepunkte und entscheidende Events in ihrer Freizeitgestaltung empfundenen. Wenn nicht schon die Kapazität der meisten Jugendzimmer damit überfordert wird, so doch dann oft die Toleranz der Eltern. Derartige Events stellen deshalb für die 26 APPENDIZES/ Materialien/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 68, 70, 80 27 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-11-22 Zimmer BT; 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 213 Jugendlichen erhebliche organisatorische Probleme dar. Für die meisten Jugendlichen ist es nicht einfach, Räume für ein Spiel zu organisieren, das von der Teilnehmerzahl (etwa maximal 5 Personen) wie vom zeitlichen Rahmen (Wochenende) her eine gewisse Grenze überschreitet. Das Raumproblem verschärft sich in den letzten Jahren zusätzlich durch die Attraktiv ität der MUD28, bei denen die Spieler mit ihrer teilweise umfangreichen Hardware anrücken, um über schnell eingerichtete LAN29 miteinander zu spielen. Der Raumbedarf zum Aufbau des Netzwerkes ist dabei nicht unerheblich, da die Jugendlichen die Geräte im Idealfall in einem Kreis aufstellen, entweder mit dem Rücken gegeneinander mit Betonung des Turniercharakters des Treffens im Ausschluss direkter Face-to-face-Kommunikation oder mit direktem Blickkontakt, wodurch sie ohne größere Probleme über die Bildschirme hinweg miteinander kommunizieren können.30 In den beobachteten Altersgruppen sind Laptops auch nach mehreren Jahren elektronischer Ausstattungsoffensive der Discounter immer noch die Ausnahme31, erst in Studentenzirkeln werden mit ihnen MUD organisiert. Die erheblichen leistungstechnischen Probleme, welche 3-D-Shooter-Spiele wie Quake32 verursachen, führen regelmäßig zu verbissenen Diskussionen unter den Teilnehmern, auf welchem technischen Niveau eigentlich gespielt werden soll, und haben schon manchmal zur Spaltung der Gruppen in 2- D bzw. 3-D-Zirkel oder zum Rückgriff auf den guten alten PC geführt. Für den Einzelspieler mittlerweile eine echte Alternative zum klassischen Fantasy-Rollenspiel sind die internetbasierten Derivate des MUD wie MMORG und generell Online Browser Games33, deren Verbreitung mit sinkenden Internetkosten, die von den meisten Jugendlichen ja selbst getragen werden müssen, zunimmt34. Bei letzteren stellt sich ein Raumproblem, da auf virtueller Interaktion basierend, nicht mehr. Geht man außerhalb der elterlichen oder eigenen Wohnung auf die Suche nach Räumen, konkurriert man mit einer Reihe weiterer Gruppen von Jugendlichen, die ebenfalls Raumbedarf haben wie Bands, Battles und Partys, Video- bzw. DVD-Cliquen etc. Die wenigen nicht-privaten Möglichkeiten beschränken sich auf Räume, die öffentliche oder kirchliche Institutionen und Träger wenigstens zeitweise bereitstellen. In fast allen Großstädten kommen die Jugendämter und Jugendzentren der FRPG-Szene mit einem frei nutzbaren oder durch ein in eigene Veranstaltungen eingebundenes Raumangebot etwas entgegen.35 FRPG gehören mittlerweile zum Fundus der regelmäßigen Spiele -Events. Auch an den Schulen bieten sich mehr und mehr Möglichkeiten für das Spielen. Mit zu dieser Öffnung beigetragen hat insbesondere die Organisation von MUD in Zusammenarbeit mit diesen Institutionen oder durch die Initiative ihrer Mitarbeiter. Die offene Struktur der FRPG-Szene, wenn man 28 M(ulti) U(ser) D(ungeon): PC-Spiele mit Mehrspielermodus; per lokalem Netzwerk und Workstations werden dabei die Teilnehmer miteinander im Spiel verbunden. Die Organisation derartiger MUDs gehört heute notwendigerweise zur Selbstdarstellung eines FRPG-Spielers, der sich vor seinen Mitspielern auszeichnen und von ihnen abheben will. Die erfolgreiche Überwindung der damit verbundenen technischen und organisatorischen Probleme und der Widerstände seitens der Eltern oder anderen Institutionen trägt erheblich zum Prestige des Organisators bei, vergleichbar der Rolle des Master in den FRPG oder der von Organisatoren von privaten und semi-privaten Hip -Hop- oder Techno-Events; s.a. APPENDIZES/ Bilder/ BILD 1.5-13 29 L(ocal) A(rea) N(etwork), nur noch vereinzelt mit BNC-(10 MBit/S)-Vernetzung, Standard jetzt Twisted Pair-(100 MBit/S)-Vernetzung über Hub/ Rooter mit der Möglichkeit, in zufriedenstellender Form auch die großen Datenmengen von 3-D-Spielen zu bewältigen, aktuell im Kommen sind W(ireless)LAN; 30 Auf MUD-Großveranstaltungen verwendet man wohl aus organisatorische Gründen eine traditionelle PC-Aufstellung an langen Tischreihen, bei der die Spieler nebeneinander sitzen, s. BERTUCH 2000, 38; In den Game Shops dagegen favorisiert man als Lösung den Round Table mit teilweise (halb) versenkten Bildschirmen, womit man direkt und frontal miteinander neben dem Spiel kommunizieren kann, s. dazu: APPENDIZES/ Bilder/ BILD 1.4-2 31 Trotz fallender Preise sind Laptops in vergleichbarer Ausstattung wie PCs immer noch etwa doppelt so teuer; erst an wenigen Schulen (Vorreiter: Evangelisch Stiftisches Gymnasium Gütersloh; Gymnasium Ottobrunn; Gymnasium am Kaiser-Friedrich-Ufer, Hamburg) existieren Laptop-Klassen, vgl. dazu: VALLENDOR 2003; zudem werden nur Laptops mit einer qualitativ hochwertigen und damit sehr teuren Ausstattung den Anforderungen der Spiele-Software (CPUs der 3./ 4. Generation, Graphikkarten mit 3-D-Beschleuniger etc.) überhaupt gerecht; 32 Quake I-III, Echtzeitszenario -3-D-PC-Game mit bei der Einführung extrem hohen Anforderungen an die Hardware, bei mehreren PC-Magazinen (c't, PC-Professionell) technische Referenz beim Test von 3-D-Beschleunigern und –Graphikkarten; revolutionärer Vorgänger von "Half Life" und Mitbegründer des Ego Shooter-Formats, s. http://www.planetquake.com/quake1/q1guide/gameinfo.shtml [2002-04-08]; http://www.planetquake.com/quake2/q2guide/gameinfo.shtml [2002-04-08]; http://www.planetquake.com/quake3.q3aguide/gameinfo.shtml [2002- 04-08]; zur Indizierung s. Pressemitteilung der USK vom 06.07.1998 (http://www.usk.de/sec2/item1.htm [2002-04-09]); 33 Elektronische, oft das Internet benötigende Derivate von (teilweise traditionellen) Fantasy -Rollenspielen als eine Mischung aus FRPG, MUD und Online-Chat; die Spiele werden vernetzt bzw. online ausgetragen, sie kombinieren positive Elemente des elektronischen Mediums wie virtuelle Kontexte und Perspektiven (Authentizität), Dynamik und Ästhetik des Cartoon oder Films, Action, Datenbanken, Anonymität bzw. Fiktionalität der Spieler-Charaktere etc. mit den Vorzügen der traditionellen Formate wie Erzähltradition, Entwicklungsgesetze, Regelwerke etc.; Beispiele s.a. Kap. 4 Fantasy -Rollenspiele – ein Medien, Text und Ereignisarrangement als Angebot; vgl. weiter: APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 50-64 34 Allerdings können die Jugendlichen manchmal auch auf die Begeisterung der Eltern, besonders des Vaters, für IT-Anwendungen setzen und kommen umsonst in den Genuss eines High Speed-Zugangs oder einer Flatrate; 35 Mittlerweile bieten die Jugendzentren der Kommunen durchweg Räume und Termine für Trading Card-, Table Top- und P&P-Spiele an; z.B. in Mainz das Kinder- und Jugendzentrum AKK, Am Rheinufer/ In der Reduit, 55252 Mainz-Kastel; Haus der Jugend, Mitternachtsgasse 8, 55116 Mainz; 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 214 von den "BattleTech"-Chapter einmal absieht, erleichtert aber auch unter solch günstigen Bedingungen nicht unbedingt eine Lösung der Raumfrage, wünschen sich doch diese Institutionen in der Regel verlässliche Ansprechpartner. Auch können sie häufig den Wünschen der Jugendlichen nach längeren und zusammenhängenden Nutzungszeiten nicht entsprechen, da die Räume multifunktional angelegt und mehrfach belegt sind. Ähnliche Probleme haben aber auch "BattleTech"-Chapter, die als permanente Organisationsform vergleichbar den Gruppen der kirchlichen, sozialen und politischen Jugendorganisationen wie diese einen selbstgestalteten und ausschließlich von ihnen benutzten Raum anstreben. Für Großveranstaltungen der Szene (Con) werden in der Regel öffentliche Räume von den Organisatoren angemietet. Dabei ergeben sich Probleme nicht allein wegen der Finanzierungskosten, die üblicherweise als geringe Eintrittsgebühren an die Jugendlichen weitergegeben werden, sondern auch wegen der teilweise rigiden Auflagen der um ihre Einrichtungen sich sorgenden Verwaltungen und Besitzer. Dass diese Hürden erfolgreich zu nehmen sind, zeigen eine Reihe von Veranstaltungen, die seit Jahren in immer denselben Räumen stattfinden. 36 Private, temporär genutzte Räume Das eigene Zimmer - Atmosphäre im Rückzug ins Private Das eigene Zimmer bildet also im Regelfall den Raum, in dem Fantasy-Rollenspiele gespielt werden. Die Restriktionen im Hinblick auf die mögliche Zahl der Mitspieler, welche die Zimmergröße verursacht, werden mehr als kompensiert durch die Installationen, die es für das Spielen von FRPG bereitstellt. Wie oben schon angedeutet entsprechen sein Ambiente und seine Atmosphäre meist schon ohne weitere Anstrengungen den vom Spiel und den Spielern gesetzten Kriterien. Von besonderer Wichtigkeit für Fantasy-Rollenspieler ist die Verdunkelung und adäquate Beleuchtung des Raumes mittels Kerzenlicht oder gedämpftem Licht. Bett, Teppichboden und Matratzen als Sitzgelegenheiten verbinden sich mit der Lichtgestaltung zu einer von der Außenwelt sich abschließenden Höhle und der ihr eigenen Magie. Die Poster an Wand und Tür und Objekte wie Nippes, bestimmte Spielsachen, Figuren und Miniaturen, Modelle, Fotos und Souvenirs, Reliquien und Totemzeichen stehen in der Perspektive des Jugendlichen in einer konkreten Verbindung mit dem Spiel(en) und bilden zusammen einen Teil seiner Biografie ab. Ihnen gilt ein Gutteil der Aufmerksamkeitszuwendung37. Ergänzt wird dieses Set durch weitere Einrichtungsgegenstände, deren ehemals funktionale Bestimmung mittels konsequenter Bearbeitung einer affektiven Bedeutung weicht38. Wesentlicher Vorzug des eigenen Zimmers ist seine Abgeschlossenheit und Privatheit ("For Kids Only"39), auch die "Unordnung" des Zimmers, d.h. seine Gestaltung ohne bzw. auch entgegen einer bei Erwachsenen vermuteten oder von diesen propagierten funktionalen Ästhetik: Es steht für den Anspruch auf Autonomie.40 Für die Interaktion der Jugendlichen besonders von Bedeutung ist der gemeinsame Konsum von Lebens- und Genussmitteln. Eine Softdrink-Generation ist auf die Nähe des Kühlschranks und dessen permanente Allokation durch die Eltern angewiesen. Auch die Bereitstellung von Süßigkeiten oder der Variationen von Salzgebäck geschieht oft schon vorsorglich durch die Eltern, die sich davon Vorbeugung gegen den gefürchteten Alkohol- und Drogenmissbrauch versprechen. Dieses Angebot wird, wenn es auch vielleicht nicht immer zu dem gewünschten Resultaten führt, von den Jugendlichen gerne wahrgenommen. Der Vorzug des eigenen Zimmers besteht also auch darin, von dort aus ungehindert (und ohne finanzielle Belastung) Exkursionen in die Küche durchzuführen, dann aber die Beute wieder von den Erwachsenen getrennt gemeinsam konsumieren zu können. 36 Zum Beispiel: "Feen-Con", Stadthalle Bonn/ Bad-Godesberg; "Nice-Dice-Con", Stadthalle Anröchte; 37 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 92; vgl. dazu: CSIKSZENTMIHALYI/ ROCHBERG-HALTON 1989, 173-196 38 Gestaltung der Schreibtischplatten mit Graffiti; Poster an Schranktüren etc., zur innenorientierten Umdeutung von Gebrauchsgegenständen s.a. SCHULZE 1996, 422, 445 39 Zit. n. "Kidzone"-Magazin-Trailer im TV als Sponsor von "Pokémon": eine etwa 8jährige hatte ein Schild mit diesem Hinweis an der Tür zu ihrem Zimmer, das zusätzlich die folgende Aufforderung enthielt: "Nicht stören!!! 3 x klopfen!!!" 40 Zur Intensität der Korrelation von jugendlichem Ich und dem eigenen Zimmer vgl. Research & Media Marketing (Hg.) 2002, 11; das eigene Zimmer gehört demnach nach dem Kriterium der Wichtigkeit reflexiv für die Jugendlichen zu den wesentlichsten Möglichkeiten der Selbstvergewisserung bzw. Präsentation von Identität neben Freund bzw. Freundin, Clique, Musik und zweckfreier Unterhaltung; 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 215 Häufig ist das eigene Zimmer auch der einzige Raum, in dem geraucht werden kann. Die Zigarette als wesentliches Initiationssymbol (männlicher) Jugendlicher fehlt auch beim Spielen von Fantasy-Rollenspielen nicht. Dagegen spielt Alkohol, wohl auch bedingt durch die Nähe der Eltern, beim Spiel im eigenen Zimmer kaum eine Rolle. Allerdings kann die Situation bei den Jugendlichen auch schnell umschlagen in ein gemeinsames Zelebrieren von Männlichkeitsritualen41. Hinweise auf den Gebrauch leichterer Drogen wie Haschisch gibt es. Auch für den Drogengebrauch scheint das eigene Zimmer ein Refugium zu bieten.42 Wesentlicher Aspekt all dieser Elemente im Hinblick auf die Bedeutung von Fantasy-Rollenspiele für die Gestaltung des Alltags ist die von den Jugendlichen praktizierte gemeinsame Gestaltung der Spiele und der gemeinsame Konsum in einer von heteronomen Einflüssen weitgehend geschützten Umgebung mit einer Atmosphäre des Privaten. Das eigene Zimmer als Medienraum Ein weiteres wesentliches Element des eigenen Zimmers stellen die vielfältigen Formen der Mediennutzung dar, die in dieser Dichte nur dort zu realisieren ist. Sie verläuft sehr häufig zum Spiel parallel und komplementär. Der Stolz des Eigentümers ist die eigene Hifi-Anlage, welche die Hintergrundmusik bei der Vor- und Nachbereitung der Spiele liefert, bei Fantasy-Rollenspielen dann aber auch oft ausgeschaltet wird, um die Konzentration nicht zu stören. In den oft langen Spielunterbrechungen (Chillen) wird aber auch bewusst Musik von den Spielern ausgewählt, ausprobiert und gehört. CD-Player und MD-Player ergänzen individuell die stationären Musikmedien. Hinzu kommen die umfangreichen und notwendigen Archive an CD, CD-ROM, MC und weiterer sekundärer Medien, die mit Musik korrespondieren wie Musikinstrumente, Noten, Literatur zu Bands, Poster und Eintrittskarten etc. Musik bietet stets einen Interaktions- und Kommunikationsanlass. Bei den jüngeren, aber auch bei älteren Jugendlichen immer noch von Interesse sind 'Gameboy' und Spielkonsolen. Die Spielkonsole leistet bei elektronischen Spielen oft mehr als mancher Computer und wird wie der PC gern in den Spielpausen oder im Umfeld der Spieltreffen benutzt.43 Der "Gameboy" ist oft Regalinhalt und gehört in der Phase der Adoleszenz schon zu den Reminiszenzen einer jugendlichen Biografie. Wohl gerade deswegen wird auch er immer mal wieder in die Hand genommen und kurz genutzt. Beide Medien stellen, da sie häufig die ersten von den Jugendlichen selbst erworbenen bzw. besessenen Mediengeräte sind, wichtige Objekte im eigenen Zimmer dar. Von ebenso großer Bedeutung in der Nutzung und wesentliches Ausstattungselement ist der Computer und seine Peripherie. Im Spiel ergeben sich vielfältige spielbezogene Nutzungsmöglichkeiten, etwa der Ausdruck von "Charakterbögen" und Record Sheets44, bei der Auswertung von Spielergebnissen und ihrer Darstellung im Ranking. Den Internet-Anschluss nutzt man für die Vorbereitung und Nachbereitung der Spiele, aber auch für Ad-hoc-Informationen zu Kampagnen und Szenarien aus Kompendien und Nachschlagewerken und zur Diskussion von Streitfragen und Problemen in den FAQ-Seiten45 und Game-Chatrooms der Community46. Eine weitere Nutzungsform bilden mit zunehmender Bedeutung die PC-Spiele, entweder als digitale Varianten der Spiele selbst oder als parallel betriebenes anderes Spiel. Mit den Fantasy-Rollenspielen korrespondiert auch die Nutzung des PCs in MUD oder aber ohne reelle Mitspieler in dessen Derivaten. Als Nutzungsformen ohne primären Bezug zu den FRPG kann man die Teilnahme an IRC47, Email48 und das Verschicken von SMS49 auf die Handys (und zunächst Pager50) der Freunde und Bekannten, die Einrichtung und Aktualisierung von 41 Auslöser können sein : fehlende oder aussetzende Kontrolle ("Meine Alten sind heute nicht da!"), Reproduktion von Eventverhalten Erwachsener etwa bei Sportgroßveranstaltungen im TV etc.; 42 Zur zunehmenden Bedeutung von Drogen wie Tabak und Alkohol s. RESEARCH & MEDIA MARKETING (Hg.) 2002, 12; s. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1997-06-21 RES, 86 43 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 24, 43, 44 44 vgl. Hinweise zu den Spielen s.o. 45 F(requently) A(sked) Q(uestions): Glossare bzw. technische Problemlösungsroutinen zur Beantwortung von Anfragen von Hard- und Softwarenutzern; 46 Chat, Kurzform von (engl.) "chatter": Geplapper, Geplauder, Geschwätz; im militärischer Slang auch (onomatopoetisch): Flak-MG; (ironische) Bezeichnung für Online-Kommunikation, Chatten ist eine der häufigsten und intensivsten Nutzungsformen des Internet durch Jugendliche; 47 I(nternet) R(elay) C(hat): Basis des Chats ist die ICQ-Software, die permanent verfolgt, welche Kontakte im Augenblick online sind; 48 E(lectronic) Mail; 49 S(hort) M(essages) S(ervices): zentrale jugendliche Kommunikationsform mit Handys; dazu heute: M(Multimedia) M(esagges) S(ervices); 50 'Pager' stellten zunächst ein wichtiges Kommunikationsinstrument dar, weil sie SMS darstellen können, sie wurden aber im Zeitraum der Untersuchung als Statussymbol von den Handys abgelöst und sind mittlerweile faktisch verschwunden, vgl. KAP 5.4; 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 216 Channels 51, der 'Download' und der Tausch von MP3-Files52 via Internet-Tauschbörsen53, das 'Saugen' der "Warez"54 genannten Pirateriesoftware, die Teilnahme an diversen Wettbewerben, an Aktionen und an Internet- Auktionsbörsen55; der Besuch von favorisierten Webpages, etwa die der Lieblingsband, die CD-Produktion (Zusammenstellung der Titel zu individuellen Samplern, Brennen der CD-ROMs, Layout der Cover) u.s.f. nennen. Fernsehen und Film sind von großer Bedeutung für den Aufbau und die Entwicklung der Archive an Symbolen, welche die Jugendlichen nutzen, um ihre Lebenswelt zu gestalten und sich zum Ausdruck zu bringen. Spätestens mit dem 16. Lebensjahr setzen die meisten Jungen das eigene TV-Gerät in ihrem Zimmer bei den Eltern durch. Es wird fast immer durch einen Videorecorder ergänzt. Die Geräte entsprechen von Ausstattung und Preis meist den Zweitgeräten, über welche viele Haushalte verfügen. Neuerdings besitzen auch die Standard-PCs der Handelsketten TV-Karten und können als TV und Videorecorder genutzt werden. Die Interdependenzen zum Spiel mit Fantasy-Rollenspielen ergeben sich zunächst auf der thematischen Ebene bei TV- und Filmproduktionen aus den Genre Science Fiction, Fantasy und Mystery. Die hier von den Jugendlichen rezipierten Impulse fließen fast unverändert in ihre Spielentwürfe und ihr Sprechen und Handeln ein. Weniger offensichtlich ist die Verknüpfung zu anderen Programmelementen, doch werden von den Jugendlichen z.B. die Interaktions- und Kommunikationsrituale von Game-Shows, Sportmagazinen, Kult-Cartoons und Comedys als Zitate in den Spielzusammenhang wie auch andere alltägliche Bereiche eingebracht.56 Üblich ist, wie bei anderen Medien auch, ihre zum Spiel (oder anderen Tätigkeiten) parallele Nutzung, wobei Spiel und Medium ihre Bedeutung fließend wechseln können. Die Gründe für das Interesse der Jugendlichen sind nicht eindeutig. So kann die Rezeption bekannter oder in ihrem Ablauf vorhersehbarer Sendungen und Filmabschnitte genauso zu einer gelangweilten Abwendung vom Medium wie zu gesteigerter Aufmerksamkeit auf die schon mehrmals erlebte Pointe führen. Auch die Rezeption durch einen im Augenblick nicht beschäftigten Spieler, etwa seine Kommentare, kann die Verlagerung herbeiführen. Oft genügt auch schon eine im Augenwinkel wahrgenommene Veränderung der Mattscheibe, um kurzfristig oder länger, mit einem Bonmot oder intensiverer Kommunikation vom Spiel zum Fernsehbild zu wechseln. Da das eigene Zimmer verschiedenen Zwecken dienen muss, wird seine Prägung durch die Fantasy- Rollenspiele auch vom Engagement des Spielers abhängen. Während bei manchem nur einem sensibilisierten Auge versteckte Hinweise auffallen, die hinter dem Ambiente anderer lebensweltlicher Bezüge zurücktreten, wirkt in anderen die Fantasy-Rollenspiel-Ausstattung dominant und verdrängt geradezu Hinweise auf andere Aktivitäten.57 Öffentliche, temporär genutzte Räume Das Hauptziel aller Beteiligten bei der Nutzung eines nur temporär zur Verfügung stehenden Raumes ist die möglichst rasche und überzeugende Realisierung eines qualitativ mit stationären Environments vergleichbaren, Fantasy-Rollenspiel adäquaten oder wenigstens freundlichen Ambiente. Dabei kommt es nicht so sehr auf die Perfektion der Ausgestaltung an, vielmehr werden im Raum von den Spielern und Beteiligten eine Reihe von 51 Automatisch sich beim Einloggen ins WWW aktualisierende kommerzielle Webpages und Portale; 52 Vom Fraunhofer Institut München entwickelter Komprimierungsstandard/ -codec für Audio-Dateien, der die Übertragungszeiten spürbar beschleunigt; 53 Nach dem juristischen Scheitern von "Napster" und anderer Server-basierter Systeme heute in der Regel Software für (kaum von der Musikindustrie zu verfolgende) 'Peer-to-peer'-Verbindungen, bei denen jeder PC mit seinen Multimedia-Beständen als Server für fremde Nutzer fungiert, um MP3- Dateien wie anderes Datenmaterial, auch für Video-CD/ S-Video-CD (AVI, MPEG) und DIVX (MPEG2, 4) Film -Dateien (erstmals in erheblichen Umfang vor der Premiere von "Star Wars: Episode 1") und neuerdings für fast alle DVD zu finden und zu kopieren; die Diskussion und der Rechtsstreit um die Legalität derartiger Software ist nunmehr im Sinne der Industrie entschieden, wodurch die Nutzer sich de facto bei jedem digitalen Kopieren strafbar machen, HIMMELSBACH/ PURSCHE et.al. 2002; diese Programme stellen aber weiter ein wesentliches Beschaffungsmittel von Medien für die Jugendlichen dar, mit denen sie die kommerziellen Strukturen des Marktes weitgehend unterlaufen; 54 Wie so viele andere Begriffe der jugendlichen Computerszene aus William Gibson's "Neuromancer", GIBSON 1994 (1984); der Held der Erzählung dringt aus eigenem Interesse oder als Auftragsarbeit in fremde Computernetze ein und stiehlt die sog. "Warez", die dem Auftraggeber zugestellt oder auf dem Schwarzmarkt angeboten wird; als Held-Typus aktuell aufgegriffen mit der Figur des "Neo" im ersten Teil der "Matrix"-Trilogie, WACHOWSKI/ WACHOWSKI 1999, 2003a, 2003b 55 Internet -Auktionsbörsen sind ein weiteres wichtiges Beschaffungsforum für elektronische Medien und Konsumartikel; beliebt ist die Mischung aus Spiel, ökonomischen Verhalten, Zufall und Glück, Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Waren und Markt, E-Auktionen finden meist über den Marktführer "Ebay" statt (http://www.ebay.de); 56 In Interviews genannte Titel (Genre/Format/Medium): Stargate (Science Fiction/ Serial/ TV), Space 2063 (Science Fiction/ Serial/ TV), Star Trek (SF/ Serial bzw. Spielfilm/ TV bzw. Film), Deep Space Nine (SF/ Serial/ TV), X-Files (Mystery/ Serial/ TV), Gargoyles (Fantasy/ Cartoon-Serial/ TV), South Park (Comedy/ Cartoon-Serial/ TV); 57 APPENDIZES/ INTERVIEWS/ Interview 2003-03-19 HA, 91-100 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 217 Objekten installiert, deren Symbolgehalt die Imagination der Spieler dahin beflügelt, das Ambiente für das Spiel hinreichend fiktional zu vervollständigen. Die folgenden drei Beispiele zeigen, wie wenig genügt, um von Seiten der Jugendlichen Räume fremder Bestimmung in Besitz zu nehmen und nach ihren Wünschen effizient zu gestalten. "Magic" im Schnee – Spielgruppe auf dem Pausenhof Die Attraktivität eines Trading Card Game wie "Magic: The Gathering"58 beruht u.a. auf seinen fast ubiquitären Einsatzmöglichkeiten. Unschwer können für das Spiel fast alle Räume im Alltag der Jugendlichen nutzbar gemacht werden wie etwa in der Schule ein Schulraum, die Sitzecke im Treppenaufgang, ein überdachter Vorraum oder der Pausenhof59, aber auch andere Bereiche wie etwa Haltestellen und Fahrzeuge des ÖPNV, Spielplätze und Jugendtreffs etc. Der Einsatz eines Trading Card Game wird allerdings durch die Notwendigkeit eingeschränkt, relativ viele Karten auf einer Fläche auslegen zu müssen. Greift man nicht auf an die Sammelquartette angelehnte (und wenig befriedigende) Spie lweisen des gegenseitigen direkten Stechens zurück, fallen damit für Jugendliche Räume wie fahrende Busse und Bahnen, in denen sie einen Gutteil an Zeit verbringen müssen, fast immer aus.60 Dabei beeinflussen die äußeren Umstände und Gegebenheiten kaum die eigentliche Organisation und den Verlauf der Spiele. Der Raum, in dem das (fiktive) Spiel stattfindet, im Jargon von "Magic" "Country" bzw. "Land" genannt, existiert sichtbar allein auf den kleinen Abbildungen besonderer Spielkarten, die diese Räume symbolisieren und ihnen ein besonderes Fluidum ("Mana") verleihen, das sich auf die Handlungspotentiale der "Creatures" im Spiel überträgt und in den Vorstellungen der Spieler und Beobachter. Diese wenigen liminalen Imaginationsimpulse reichen aus, die Spieler selbst und die Gruppe von Beobachtern dauerhaft aus dem Raum-Zeit-Kontinuum des Alltags zu transferieren. Der Ring der Beobachter um die Spieler schafft dabei zusätzlich eine Form der Intimität und Privatsphäre und schirmt sie und den gewonnenen Raum gegenüber dem hier schulischen Alltag ab. Erst massive Gegenimpulse - wie das Pausenläuten - holen die Jugendlichen wieder in die 'Wirklichkeit' zurück61, teilweise mit sichtbar körperlichen Reaktionen eines Erwachens wie einem kurzen Schütteln des Kopfes, eine offensichtliche Pause zur Neuorientierung in der Interaktion. Der Übergang erfolgt allerdings bei den Spielern nicht völlig abrupt. Schon auf dem Weg zum Treffen werden im Diskurs über Möglichkeiten und Aussichten thematisch die Bedingungen für eine Fortsetzung des Spiels geschaffen. Wenigstens in den nächsten Minuten noch nach der Rückkehr, auf dem Weg zurück zum Klassenraum und oft bis zum Beginn der nächsten Unterrichtsstunde oder nach dem Einsteigen in den Bus wird weiter über das Spiel gesprochen, und auch danach bleibt der Spieler grundsätzlich weiter offen für erneute Transitionssituationen und -handlungen. "Dungeons and Dragons" auf Schulprojekttagen In diesem Beispiel musste die Unpersönlichkeit und Nüchternheit eines während der Projekttage zugewiesenen Klassenraumes von 12- und 13jährigen Spielern überwunden werden, die als zwei Gruppen Game-Sets von DSA und Sword&Socery, ein AD&D-Derivat62, also genuine Fantasy-Rollenspiele, spielen wollten. Als ein erster Schritt wird der Raum verdunkelt, wobei die angestrebte völlige Verdunkelung zur Enttäuschung der Spieler nicht gelingt. Eine weitere wichtige Maßnahme ist das Abschließen der Klassenraumtür, die nur auf bestimmte Klopfzeichen hin geöffnet wird, um Störungen auszuschließen. Wesentliche visuelle Stimulans neben der Verdunkelung wird die Beleuchtung mit Kerzen, ergänzt durch Duftkerzen bzw. Duftstäbchen. Der Nüchternheit der Pulte begegnet man mit von Zuhause mitgebrachten Tüchern, die über die Tische drapiert werden. Der Teppichboden des Raumes trägt glücklicherweise zum Ambiente positiv bei. 63 Auf Musik wird verzichtet, obwohl ein CD-Player vorhanden ist, um die Intensität des Spiels nicht zu stören. Weitere immersive Stimuli für die Spieler bilden die Abbildungen und das Material der Game-Sets64 als liminale Objekte, welche im Kerzenlicht eine fast magische Wirkung erhalten und immer wieder von Hand zu Hand gehen. Von besonderer Bedeutung ist auch das Kartenmaterial der Sets, das von den beiden 'Meistern' um eigene Entwürfe 58 Zu "Magic: The Gathering" s. Kap. 4.4.1 Magic: The Gathering - Collectible/ Trading Card Game; 59 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.6-15-17, 26-27 60 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2003-11-26 YU-GI-OH-Turnier Mainz, 1 61 OTAKU-Syndrom vgl. ARTE Themenabend 26.07.2000, weiter: BARRAL 1999 62 Urspr. hrsg. von TSR, dann WoTC, Lizenzrechte und Neuauflagen des Klassikers jetzt bei White Wolf Publishing Inc. (http://www.white- wolf.com/home2.html [2004-06-30], zum Angebot s. http://www.legendgames.co.uk/acatalog/Ravenloft_Campaign_ Setting.html [2004-06-30]; offizielle Homepage auf http://www.swordsorcery.com/ravenloft [2004-06-30]; 63 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.8-12-20 64 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.11-40-46 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 218 bereichert worden ist und oft minutenlang von einzelnen Spielern betrachtet wird. Auch der Spielleiterschirm65 schafft ebenfalls fortlaufend Imaginationsanreize. Auch hier gelingt es den Jugendlichen mittels einfacher Modifikationen des situativen und normativen Kontextes (Klassenraum!) einen sinnvollen Rahmen für ihr Spielen zu schaffen, in dem sie immerhin für drei Tage mehrere Stunden täglich zubrachten. 'Battlefields' auf Schulprojekttagen Einen gänzlich anderen Weg beschritt eine Gruppe, welche die Projekttage zum "BattleTech"-Spielen benutzte. Die 15-16jährigen organisieren das Spiel ebenfalls in einem Klassenraum, allerdings ohne für einen außenstehenden Beobachter dessen Nüchternheit wesentlich zu mildern. Der Raum wird nur leicht abgedunkelt, um eine direkte Sonneneinstrahlung zu vermeiden, die Saalbeleuchtung eingeschaltet und in seinem Zentrum wird als Spielfläche und eigentliche Attraktion eine 3-D-Landschaft auf zusammengerückten Pulten aufgebaut.66 Um diese herum wird eine Anzahl Stühle gestellt. Hinter den Stühlen dienen die anderen, zur Seite gerückten Schülerpulte als Ablagefläche für die 'Record-Sheets' ihrer Mech und Geräte, private Kompendien und Literatur, CDs, Getränke und Nahrungsmittel. Das Lehrerpult wird zur Abstellfläche für die Alu-Cases der beiden Projektleiter, in denen ihre Miniaturen gelagert sind, für deren Regelwerke, Kompendien und Sammlungen an Record Sheets. All das spricht für ihre Professionalität. Da seine Position nicht verändert wird, okkupieren beide damit dessen symbolische Bedeutung als Machtsymbol des überwiegend hierarchisch strukturierten Schulbetriebs und betonen so ihre Autorität innerhalb der Spielerrunde. Das Ambiente ergänzt in der Lautstärke moderater Heavy Metal Rock aus einem CD-Player und ein individueller Vorrat an Softdrinks, Salzgebäck und Süßwaren. In dieser für den Außenstehenden karg wirkenden Atmosphäre unter Neonlicht verbrachten die Jugendlichen an drei Tagen jeweils 4-6 Stunden mit pausenlosem Spiel. Allein die Schließung des Gebäudes zur Mittagszeit konnte die Schüler dazu bewegen, ihr Spiel vorübergehend zu beenden. In diesem Fall genügte den Spielern als Stimulus die Bewegung ihrer Mech in einer verglichen mit den Ansprüchen von Modelleisenbahnern oder Liebhabern von Diaramen67 bescheidenen realistischen 3-D-Modelllandschaft, was die meisten von ihnen trotzdem als überwältigend neue Erfahrung und ungewohnten 'Realismus' empfanden, wie die Initiatoren berichteten68. Eine intellektuelle Herausforderung für Veterans wie Rookies war gerade auch der Transfer des komplexen "BattleTech"-Regelwerks von den üblichen Hexagonkarten auf die 3-D-Landschaft. Hier wurde denn auch mit Zirkel, Lineal, Maßband und Schnur akribisch an der konsequenten Auslegung von Waffeneinsatz, Feuerkraft, Bewegung, Entfernung, und "Line of Sight" gearbeitet. 69 Den Jugendlichen gelingt es auch hier mit bescheidenen Mitteln einen nüchternen Zweckraum zum Imaginationsraum werden zu lassen. Im gegenseitigen Einverständnis konzentriert man sich auf das Diarama und eine an ihm angedockte kollektive Fantasie, verdrängt damit die Wirkung kontraproduktiver Raumelemente oder 'kolonisiert' sie zur Realisierung des Spielkontextes. "BattleTech"-Chapterfight im Jugendzentrum Ähnlich unbeheimatet wie die Spieler auf den Projekttagen nomadisiert auch das "Kurita"-Chapter "5th Sword of Light" in einem vom Jugendamt der Stadt wenigstens an den Wochenenden zur Verfügung gestellten Raum und veranstaltet dort seine Chapterfights mit den Gegnern aus anderen Städten. Auch hier können nur sehr bedingt Veränderungen am Raum vorgenommen werden und ein dem Spiel zuträgliches Ambiente geschaffen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass der Raum als Mehrzweckraum gedacht ist und in allen Ecken Material wie Systemtische, Stapelstühle und Klappbühnenteile lagern. Die Spieler begegnen dieser Nüchternheit, indem sie zunächst wie immer in der Mitte des Raumes Tische als Unterlage für ihre Hexagon-Karten zusammenrücken. Gespielt wird normalerweise auf 3 x 3 Karten mit einer Fläche von ca. 3 m², die von den Chapter-Leitungen abwechselnd aus einem Kartenstapel gezogen und gelegt werden; der Kartensatz wird zuvor von den Gegnern paritätisch beschickt. Allerdings geht das aufgrund der 65 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.11-26-28 66 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-23, 26-28 67 Vgl. WILLE 2004 68 APPENDIZES/ Feldbebachtungen/ Feldbeobachtung 1997-07-21 Projekttage 1996_1997 69 Eine Anregung für diese Form des Spiels findet sich als aufwendige Fotobeilage im "BattleTech"-Kompendium unter dem Titel "Battletech Miniature Conversion", s. IPPOLITO/ TURNER MULVIHILL/ PIRON-GELMAN et. al. 1995; mit dem "Clix"-Spielsystem werden viele Elemente dieser Spielform zum neuen Standardformat von "BattleTech", s. KAP 4.4.2 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 219 Raumverhältnisse nur im hinteren Teil des Raumes, so dass an diesem Herbsttag schon früh Licht benötigt wird, um das Schlachtfeld auszuleuchten. Gleichzeitig gerät durch den geringen Wirkungskreis der zentralen Leuchte die Peripherie des Raumes in den Schatten, wo weitere Utensilien der Spieler - wo auch immer gerade Platz ist – abgelegt werden. Dabei schaut jeder, wie er gerade zurecht kommt, eine einheitliche Gestaltung gibt es dort schon nicht mehr. Die Lichtverhältnisse und Schreibmöglichkeiten sind so schlecht, dass die Record Sheets bei Bedarf für kurze Zeit an den Kartentisch geholt werden müssen. Die Spieler stehen für mehrere Stunden nun um den Kartentisch herum und grenzen so das Spiel zusätzlich gegen den Raum und das dort ablaufende parallele Geschehen der momentan unbeteiligten Spieler ab. Erst mit dem Herantreten an den Spieltisch wird der einzelne wieder in das Spie l ad hoc integriert.70 Trotzdem ist damit der Raum für ein vom späten Nachmittag bis Nahe Mitternacht dauerndes Spiel hinreichend gestaltet. Die zeitliche Struktur des Environment Zeitaufwand Alle Fantasy-Rollenspiele verlangen von den Jugendlichen erhebliche zeitliche Investitionen. Auch der nur an einer einzelnen Kampagne teilnehmende Spieler muss einen mehrwöchigen Zeitraum in Rechnung stellen, den es bedarf, um in mehreren Sequenzen die Kampagne vollständig abzuspielen. Für jede einzelne Sequenz kann dabei ohne weiteres ein Wochenende veranschlagt werden mit einer täglichen Spielzeit von 4 bis 6 Stunden. Engagiert sich der Spieler dann weiter für Fantasy-Rollenspiel, wächst damit auch naturgemäß der zeitliche Aufwand für die Vor- und Nachbereitung des von ihm mitgestalteten Spiels: jetzt gelten seine Bemühungen besonders einer möglichst realistischen Ausgestaltung des vom Spieler selbst geführten Charakters und seines kontextadäquaten Verhaltens71, etwa in der Abstimmung auch mit den anderen Mitgliedern des Teams. Für den das Spiel und die Kampagne betreuenden Meister wächst dieser Aufwand entsprechend weiter an, da er ja die Handlungskontexte entwickeln und mögliche alternative Handlungsweisen der Spieler mitbedenken und voraussehen muss. Hinzu kommen Überlegungen motivationaler Art, wie dem Spiel und seinen Spielern angemessene Impulse gegeben werden können. Da dies alles schriftlich und zeichnerisch festgehalten wird und auf einer gründlichen Recherche im Regelsystem beruhen muss, will man peinliche Situationen vermeiden, in denen die Sachautorität der Spieler die des Meisters zu übertreffen scheint, muss in diese Studien sehr viel Aufwand gesteckt werden72. Nicht zu vergessen ist dann noch die konkrete mehrstündige Leitungstätigkeit während der einzelnen Séancen und die organisatorische Vorbereitung des Events. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Fantasy-Rollenspiele die täglichen und wöchentlichen Schemata der Zeitverwendung der Jugendlichen prägen und ein geschicktes Zeitmanagement notwendig machen, wenn Spiel, Alltag und Lebenswelt in Einklang gebracht werden müssen. Nach den Aussagen der Jugendlichen umfasst der auf Fantasy-Rollenspiele bezogene Zeitaufwand eine tägliche Nutzung des PC und die tägliche Lektüre von Sekundärliteratur, wöchentlich an wenigstens einem Tag die konkrete Arbeit an der Vorbereitung eines Spiels, dann die im zweiwöchentlichen Turnus an Wochenenden stattfindenden Fantasy-Rollenspiel-Séancen, im Quartal wenigstens einmal Besuch oder Organisation einer privaten LAN-Party und schließlich etwa halbjährlich den Besuch einer Convention oder eines offiziellen MUD-Turniers. 73 Eine exzessive Beschäftigung mit Fantasy-Rollenspielen kann deshalb bei Versagen eigener und sozialer Kontrolle durchaus in das "Otaku"- Syndrom74 einmünden, d.h. der jugendliche Spieler scheint das von ihm selbst geschaffene "univers fictif"75 praktisch nicht mehr zu verlassen. Andererseits geht mit einem hohen Zeitaufwand für Fantasy-Rollenspiele keineswegs die immer als Gefahr geschilderte Vereinsamung des Jugendlichen einher, der sich ja weiter dabei in der kollektiven Phantasie und im sozialen Netzwerk seiner Peer Group und der FRPG-Szene bewegt. Das 70 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-44-50 71 Die FRPG stellen hierzu eine Reihe von Sekundärliteratur (s.o. Beschreibung des Angebots; Lit.-Verzeichnis) bereit. Schon die einfache Lektüre dieses Materials und die Verknüpfung bzw. Fokussierung der Inhalte erfordert vom Spieler einen hohen Zeitaufwand. 72 Vgl. als Beispiel die Entwicklung eines NSC durch BC, s. APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.8-11; Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 1996-12-13 BC Minotaurus-RS-Monsterbogen; Interviews/ Interview 1996-11-15 BC 01, 69-80; Interviews/ Interview 1997-06-21 RES, 60-68 73 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 68, 80; 106 74 Vgl. hierzu: Kinder des Konsums - Japans Jugend. Themenabend, zusammengestellt von Hans Peter Kochenrath, ZDF, 183 Min., Mittwoch, 26. Juli 2000, 21.35 – 01.45 Uhr; "Otaku" steht im Japanischen für die virtuellen Welten der PC-Spiele (im engen Medienverbund zu Manga und Animé) und wird dort von der Sozialforschung und Pädagogik auch als Bezeichnung für einen exzessive Nutzungstypus von PC-Spielen im Rahmen der Beschreibung von Jugendkulturen benutzt. Während in den Interviews mit den Jugendlichen im Verlauf des TV-Features die konstitutive Nutzung dieser Medien für ihren Alltag und ihre Lebenswelt überaus deutlich wird, beschreiben die japanischen Forscher und Autoren des Beitrags das Phänomen allein unter dem Aspekt der Gefährdung in einer bewahrpädagogischen Perspektive; vgl. dazu auch: BARREL 1999; VOLLBRECHT 2001, 36-38 75 BARREL 1999, 23 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 220 "Otaku"-Syndrom kann deshalb als eine pathologische Form von Identitätsfindung betrachtet werden, die allerdings im Zuge kultureller Globalisierung zu einer spezifischen jugendlichen Lebensform werden kann.76 Zeitpunkt/ Zeit-Management Ohne Frage sind die Jugendlichen in der Lage, Fantasy-Rollenspiele auch zu in den Augen von Erwachsenen unmöglichsten Zeitpunkten zu spielen, etwa als TCG direkt vor Schulbeginn und nach Unterrichtende beim Warten auf den Bus, beim Auswürfeln von Charakter-Eigenschaften in den kurzen Pausen am Schulvormittag oder bei der technischen Modifikation eines Mech beim Fast-Food-Essen in der Mittagszeit. Andererseits bevorzugen sie doch bestimmte Zeiten für ihr Spielen. Typischer Zeitraum für Vor- und Nachbereitung der Fantasy-Rollenspiele sind an den Nachmittagen die schulischen Nachbereitungszeiten, wobei vielfach alternierend zwischen Hausaufgaben als notwendiger Pflicht und Fantasy-Rollenspiel als verdiente Entspannung abgewechselt wird.77 Nachmittags tritt die Beschäftigung mit den Fantasy-Rollenspielen häufig auch in Konkurrenz mit der TV-Nutzung und weiteren Freizeitaktivitäten.78 Da die Arbeit an Fantasy- Rollenspielen ein hohes Maß an Aufmerksamkeitszuwendung beansprucht, eine mehr oder minder schriftliche Sicherung der Arbeitsergebnisse verlangt und zugleich mittels der kollektiven Phantasie und der ihr eigenen liminalen Objekte und Texte eine starke immersive Wirkung hat, kommt es kaum zu simultanem Handeln mit anderen Aktivitäten, die hier nur stören können. In der Regel erstellt sich deshalb der Jugendliche – auch unter Berücksichtung weiterer fixer Termine - einen Wochenplan aller Verpflichtungen, bei dem in Konkordanz mit dem TV-Programm und anderen Veranstaltungen und Terminen dem Fantasy-Rollenspiel angemessen Raum gegeben wird. Die Jugendlichen berichten dabei immer wieder von einer positiven Zusammenarbeit mit den Eltern. Sind sich offensichtlich ihrer nur wenig ausgebildeten Fähigkeiten zum Zeit-Management bewusst, das sie – gerade auch was die Einhaltung und Durchführung angeht - den kompetenteren Erwachsenen überlassen. Zugleich delegieren Sie damit ein Gutteil an Verantwortung, die aus der Einhaltung der Termine entspringt, an die Eltern.79 Wie bei den Erwachsenen beeinflusst auch bei den Jugendlichen der berufliche Lebensraum, die Schule, ihre Alltagsorganisation und unterwirft sie seiner Rationalität und Logik. Die Spielséancen selbst können deshalb grundsätzlich nur für die Wochenenden langfristig vorgesehen werden. Dabei überschneiden sie sich mit anderen Wochenendaktivitäten meist unproblematisch. Häufig plant man auch sonst schon ein Treffen der engsten Freunde oder der Peer Group mit Übernachtungen, bei dem das Spiel eines oder mehrerer Fantasy- Rollenspiele Anlass und Mittelpunkt sein kann, genauso gut kann es neben anderen Events stehen, die man gemeinsam besucht oder selbst gestaltet.80 Aus der Anzahl der Freunde und dem Umfang der Peer Group wie aus der Verpflichtung zur Gegeneinladung ergibt sich unschwer ein Turnus, dem Ablauf und Spiel einer Kampagne angepasst werden kann. Als weniger befriedigend werden deshalb FRPG-Séancen empfunden, die nur an einem Tag und deshalb unter Zeitdruck stattfinden. Das Spiel an Wochenenden beginnt üblicherweise am späten Nachmittag oder frühen Abend und geht – mit Pausen und auch längeren Unterbrechungen - bis weit in die Nacht oder gar zum frühen Morgen. Dafür gibt es eine Reihe kontextueller Gründe, wie oben gezeigt, gehört zum optimalen Ambiente eines Fantasy-Rollenspiels Dunkelheit, Dämmerung, verhaltenes Licht. Die Dauer, welche die Spiele erfahrungsgemäß benötigen, macht einen recht frühen Beginn notwendig, denn es kommt hinzu, dass die dynamische Entwicklung des Handlungs- und Spannungsbogens erst nach einigen retardierenden Momenten vom Meister oder der Vorlage her angelegt ist, so dass die eigentlichen Höhepunkte erst zu einer späten Stunde zu erwarten sind und früher auch gar nicht erreicht werden können. Wichtig gerade auch für jüngere Spieler ist das Gefühl, die Nacht zum Tage zu machen und damit Konventionen der Erwachsenen zu überwinden bzw. sich anzueignen. Damit aber stellt sich das 76 Interessanterweise sind die viele der "Otaku" nach BARRAL auch (männliche) Erwachsene, die in ihrer Verweigerung auf die dezidierten Leistungs- und Konformitätsanforderungen der japanischen Gesellschaft reagieren. Dieselbe Ursache hat wohl das für Japan ebenfalls typische Problem einer verweigerten Ablösung aus dem (mütterlich dominierten) Elternhaus durch junge Männer, BARRAL 1999, 272-283, 309-311 77 Die untersuchte Gruppe der Jugendlichen hat ein ausgeprägtes Gefühl für die Notwendigkeit einer Rhythmisierung von Arbeitsprozessen gerade auch im Spiel, wobei auf Intensivphasen mit hoher Aktivität stets Chill-Phasen folgen, vgl. die Organisation von LAN-Partys, APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD; 78 Eine Reihe der älteren Jugendlichen führt akribisch einen Terminplaner oder elektronischen Organizer, um die vielfältigen Aktivitäten zu koordinieren; 79 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA 68, 80 80 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA 102-104 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 221 Spielen von FRPG in die Reihe weiterer (Wochenend-)Aktivitäten wie den Besuch von Musik-Events, Feten, Kneipenszene etc., in denen sich die Jugendlichen das der Erwachsenenwelt entnommene 'Wochenende', das sich dort ja legitimiert als verzögerte und aufgeschobene Belohnung für die Askeseforderungen der Arbeitswelt, auf eine ihnen eigene Art und Weise aneignen. Damit stellen sie ihre 'Wochenarbeit', deren Belastung von den Erwachsenen bei allem Verständnis immanent doch häufig bezweifelt wird, jener der Erwachsenen gleich. Die Akzeptanz ihres Verhaltens erkaufen sich die Jugendlichen aber auch durch eine gewisse äußere Konformität, d.h. mit der Reproduktion erwachsener Verhaltensweisen, die schlüssig in die Verhandlungen mit den Eltern eingebracht werden können.81 Organisation Bei der Organisation der Spielsituationen zeichnet sich ein ambivalentes Bild ab: spontane Absprachen und Verabredungen wie täglichen Partien eines Trading Card Game etwa in den Unterrichtspausen stehen neben förmlichen Einladungen und lang geplanten Wochenenden, neben den turnusmäßigen wöchentlichen Treffen der Chapter und Fantasy-Rollenspiel-Zirkel und den Jahresgroßereignissen wie den Cons und Messen. Die Möglichkeit, die potentiellen Mitspieler täglich zu treffen oder kurzfristig benachrichtigen zu können, fördert das Spiel an Nachmittagen und Wochenenden im privaten Rahmen. Formeller strukturierter Spielbetrieb wie ein größeres Treffen, die Fahrt zu einem Chapterfight oder das Ausrichten eines Event wie etwa eine LAN- Party dagegen bedingt eine gründliche organisatorische Planung und ein kommunikatives Netzwerk. Auf einer weiteren höheren Ebene finden sich Organisationsformen für semi-professionelle und formelle Veranstaltungen der Community. Dabei nutzen die Jugendlichen virtuos die Möglichkeiten der modernen Kommunikationsmedien wie Handy, Email, Foren und Chat.82 Fehlende Professionalität gleichen sie durch eine ausgeprägte Toleranz gegenüber den zwangsläufig eintretenden organisatorischen Mängeln und durch ein bemerkenswertes Geschick im Improvisieren aus. Hinzu kommt eine ausgeprägte Bereitschaft, spontan zu handeln, Planungen kurzfristig zu ändern und schon getroffene Entscheidungen zu canceln. Dabei wechseln Phasen scheinbarer Lethargie mit hektischer Betriebsamkeit.83 Organisation soll und muss auch einen Fun-Wert haben. Das heißt, man darf sich, die Planung und die Events auch nicht allzu ernst nehmen. Es gilt 'locker' und 'cool' zu bleiben. Das Vertrauen in die Macht des Faktischen, demnach die Organisation, hat man sie erst einmal begonnen, auch zu einem erfolgreichen Ende kommt, ist bei Organisatoren wie den Spielern stark ausgeprägt und unterscheidet sie von den Erwartungshaltungen der meisten Erwachsenen. Resümee: Gestaltung eines Rahmens Die Gestaltung der Handlungskontexte für das konkrete Spielen stellt eine wesentliche Aktivität der beteiligten Jugendlichen dar und ist zugleich Teil ihrer Alltagsgestaltung. Die Nutzung des Fantasy-Rollenspiel-Angebots setzt zum einen Räume voraus, in dem das Spiel realisiert werden kann, zum anderen müssen die Jugendlichen auch Zeit dafür einplanen und zur Verfügung stellen. Dabei treffen die Jugendlichen nur bedingt von vornherein auf optimale Bedingungen. In den meisten Fällen müssen dieser Handlungskontext erst in oder auch gegen heteronome Felder geschaffen und behauptet werden, woraus sich wesentliche Momente der interaktiven Auseinandersetzung mit ihrer alltäglichen Umwelt ergeben. Räume als Texte Den Jugendlichen gelingt in der Auseinandersetzung mit den in den Räumen manifesten Vorgaben situativer und normativer Kontexte eine in der Regel erfolgreiche Re-Interpretation vorhandener wie impliziter Bedeutungen mittels eines komplexen Aneignungs- und Entäußerungsprozesses, letztlich als ein Negotiated oder auch Oppositional Reading. 84 81 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1997-06-21 RES 10, 16, 28, 58, 70, 86 82 "Selbst-Professionalisierung", vgl die Beschreibung der Qualität jugendlicher Organisationstätigkeit im Zusammenhang mit MUD bei VOGELGESANG 2003, 71-73 83 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg, 11-16 84 HALL nach CHANDLER 2003, 157, 192-194 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 222 Bei der Instrumentalisierung privater Räume wie des eigenen Zimmers ist der dafür benötigte Aufwand naturgemäß vergleichsweise gering, da dieser Raum heute auch aus der Perspektive der Erziehungsberechtigten als private Sphäre des Jugendlichen gilt. Das Einflussvermögen der Eltern wird zumeist dadurch beschränkt, dass sie akzeptieren, eine potentielle Einflussnahme als Verhandlung mit dem Jugendlichen zu gestalten.85 Vielfach besteht ja auch ein Konsens in den Interessen beider Seiten, etwa wenn es um die Multifunktionalität des Raumes geht, der eben nicht nur Bühne jugendlicher Selbstdarstellung und Identitätsfindung, sondern auch Arbeitsraum des Jugendlichen ist. Konfrontationen entwickeln sich denn auch leicht, wenn dieser Konsens etwa durch bestimmte Ausstattungswünsche oder durch 'disfunktionales' Verhalten wie Unordnung oder Medienkonsum gefährdet scheint. Grundsätzlich aber gilt – wenn nicht das Spiel mit Fantasy-Rollenspielen generell von den Eltern abgelehnt wird86 - dass eine Gestaltung des eigenen Zimmers als Handlungskontext für Fantasy-Rollenspiele unproblematisch ist, zumal sich die konkreten Veränderungen oft auf die Installation einiger weniger Objekte beschränkt und zum Teil auch nur temporär vorgenommen werden.87 Das eigene Zimmer bildet damit den idealen Rahmen für die intertextuellen Arrangements der Jugendlichen, in die Fantasy-Rollenspiele und ihr Angebot in zentraler Funktion integriert sind und mit denen sie sich und anderen ihre Identitätsentwürfe präsentieren.88 Wie oben schon aufgezeigt eignen sich die Jugendlichen aber auch weitgehend heteronom bestimmte Räume gestaltend an, indem ihnen auch hier Re-Interpretationen gelingen, welche diese Räume für ihre Interessen nicht nur handhabbar machen, sondern auch in Bereichen erschließen, die nicht unbedingt zu ihrem Alltag zählen. 89 Mehr als bei privaten Räumen, die individuell gestaltet werden können, gilt es dabei, die zunächst gegebene und nur bedingt veränderbare Kontraproduktivität des Raumes entweder zu kompensieren oder in der Umgestaltung zu integrieren. Letztlich repräsentieren auch diese Räume ja Intentionen und Funktionen, die in der Regel mit denen der Jugendlichen wohl kaum übereinstimmen dürften, sieht man einmal von davon ab, dass auch sie auf eine Interaktion abzielen. Öffentliche Räume haben als Folge ihrer Funktionen auch Vorteile wie etwa den der zentralen Lage, der angemessenen Größe, der vorhandenen Einrichtungsgegenstände etc. Wer die penetrante Funktionalität öffentlicher Räume kennt, weiß um den Umfang der Aufgabe, die zu bewältigen ist. Eine grundsätzliche Technik der Jugendlichen ist, die ursprüngliche Raumfunktion zu ignorieren und sie erst gar nicht wirksam werden zu lassen. Dies gelingt etwa, indem man sie möglichst verbirgt (Entfernung, Abdeckung, Lichtregie u.a.) oder sie ostentativ nicht beachtet.90 Ist der hindernde Kontext auf diese Weise ausgeschaltet, etablieren die Jugendlichen in seinem Innern den eigentlichen Spielraum mit Hilfe einiger weniger Objekte und Materialien und der intensiven Konzentration auf das Spiel und die kollektive Fiktion. Letztlich wird der äußere Raum von ihnen als solcher nicht mehr wahrgenommen. Seine Elemente wie etwa Einrichtungsgegenstände können nun unschwer für das Spiel instrumentalisiert werden. Wesentliche Eigenschaft des Raumes für Fantasy-Rollenspieler scheint eine 'osmotische' Abgeschlossenheit gegenüber der Alltagswelt zu sein, d.h. für das Spielen selbst wird eine Abgrenzung geschaffen, die aber von den Spielern selbst oder durch von ihnen akzeptierte Impulse und Medien immer wieder durchbrochen werden kann. Diese Membran bildet sich schon durch einige wenige Objekte, die die Spieler zur Imagination eines fiktionalen Nukleus veranlassen und ihren Gestus und Habitus wie ihre Interaktion beeinflussen.91 Die von den Jugendlichen mitgebrachten Texte (Materialien, Objekte, Medien, Habitus etc.), mit denen ihnen die Ausblendung der Kontraproduktivität gelingt, dienen aber ebenso der Präsentation von Bedeutungszuweisungen und Identitätsentwürfen, d.h. auch in öffentlichen Räumen entstehen intertextuelle Arrangements, die angesichts des Öffentlichkeitscharakters der dort stattfindenden Interaktion von besonderer Bedeutung für die Verortung der Jugendlichen in subkulturellen Formationen wie Peer Group und Szene sind. Von daher erklärt sich wohl auch die Beliebtheit derartiger Treffen in an sich ungünstigen Orten, die aber Formen einer partiellen und zugleich kontrollierten Öffentlichkeit darstellen. 85 Begriff der "Negotiation Society" bei KÜBLER 1997a 86 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1997-06-21 RES; 87 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA; 88 RESEARCH & MEDIA MARKETING 2004, 10, 12-13 89 Zur Aneignung schulischer Räume vgl. SAUERWEIN-WEBER 2004, s.a. Kap. 6 Der Beitrag von Schule zur jugendlichen Gestaltung von Lebenswelt; 90 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-27; Bild 1.6-16, 26-27, 19; Bild 1.7-4 91 MURRAY 1997, 99 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 223 Zeitmanagement als Negotiated Reading Zeit stellt eine der knappsten Ressourcen dar, über welche die Jugendlichen verfügen. Zeit ist nicht nur ein quantitativer Faktor, sondern als Äquivalent zu Aufmerksamkeitszuwendung auch eine entscheidende qualitative Größe, in der sich die Intensität von Handeln spiegelt. Wenn also wie bei den Jugendlichen verschiedenste Institutionen Ansprüche auf das Zeitkontingent erheben, manifestieren sich darin heteronome Beeinflussungen einer intendierten Paternalisierung. Andererseits kann der Jugendliche mittels der Zeitverwendung auch selbst Interaktion für sich selbst und für andere qualifizieren und diese Bewertung deutlich machen. "Der Full-Time-Job Jugend mit seinen fast unendlichen Möglichkeiten zwingt Jugendliche einfach dazu, pragmatisch Prioritäten zu setzen, und das machen sie sehr erfolgreich." 92 Aus der Perspektive der Jugendlichen unterteilt sich ihr Zeitkontingent zunächst nach fremdbestimmter Zeit ('Arbeit') und verfügbarer Zeit ('Freizeit'). Erstere scheint dominant zu sein: die Zeit in Schule und Ausbildung, für Hausaufgaben und die Pflichten im Haushalt. Hinzu kommt der zeitliche Aufwand für eine Reihe 'offiziöser' Hobbys wie Instrumentalunterricht etc., die mehr als Belastung denn als Erholung gesehen werden. Kennzeichen von 'Arbeit' ist die latent immer spürbare Fremdbestimmung, an der auch Phasen selbstbestimmten Arbeitens nur graduell etwas ändern, da es, wie etwa in unterrichtlichen Zusammenhängen, letztlich doch fremde Intentionen sind, denen man folgt. 'Freizeit' bezeichnet ein Zeitkontingent für Tätigkeiten, die zweckfrei oder selbstbestimmt sind, und stellt von daher schon einen Wert und eine Ressource an sich dar, die es zu behaupten und wenn möglich zu erweitern gilt. Eine Umdeutung der Zeitansprüche von Institutionen wie Schule und Arbeitsplatz ist angesichts der Rigidität, mit der sie realisiert werden, in der Praxis nur selten möglich. Als Stunden- oder Tagesplan ordnen sie auch schon den Alltag der Jugendlichen in einem festen Schema im Rhythmus der 'Arbeitswochen': 5 'Arbeitstage', 2 Tage Wochenende. Soweit wie möglich bemühen sich die Jugendlichen, diese Strukturierung in ständigen Verhandlungen ihren Intentionen anzupassen, sie subversiv zu unterlaufen oder auch gegen sie zu opponieren, doch in der Regel haben sie hier nur sehr geringe Gestaltungsmöglichkeiten. 93 Umso mehr gilt deshalb ihr Bemühen einer möglichst optimalen Gestaltung ihrer 'Freizeit', was angesichts der vielfältigen und teilweise divergierenden Interessen nicht unproblematisch ist und einige Aufmerksamkeit verlangt. In dieser Vielzahl von Interessen und Intentionen muss nun ein zeitintensives Hobby wie das Fantasy- Rollenspiel integriert werden, das ja nicht nur im Spiel selbst, sondern auch in der Vor- und Nachbereitung besteht und unterschiedliche Formen der Intensität wie der organisatorischen Komplexität annehmen kann. Jugendliche Fantasy-Rollenspieler fokussieren deshalb eine Reihe weiterer Aktivitäten unter dem Aspekt der Fantasy-Rollenspiele und schaffen damit parallele Bezüge, die es ihnen erlauben, ähnliche und vergleichbare, aber auch scheinbar divergierende Tätigkeiten auf der Basis einer immanenten Logik zu verbinden. Solche deutlichen Interdependenzen bestehen bei Fantasy-Rollenspielern natürlich zu thematisch ähnlichen Inhalten in anderen Medien wie Fernsehen oder Film. Doch können auch andere Inhalte an das Spiel 'andocken', wenn etwa die beliebten Szenen der Fun- bzw. Krawall-Reality-Formate94, die man im Internet sammelt, während der Chill- Phase eines MUD untereinander begutachtet und getauscht werden.95 Die Jugendlichen optimieren ihr Zeitmanagement weiter durch eine konsequente Auswahl und Beschränkung auf Aktivitäten, die auf diese Weise zueinander in Relation gebracht werden können und synergetische Effekte erwarten lassen (Sampling/ Surfing) 96. Schließlich ermöglicht auch eine sich am Zeitaufwand von Aktivitäten orientierende realistische Planung von Zeitkontingenten und konsequente Durchführung eine erfolgreiche Ressourcenverwendung wie etwa bei der Erstellung eines Wochenplans oder bei der Gestaltung der Wochenenden als Event. 92 RESEARCH & MEDIA MARKETING 2002, 48 93 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA; 94 BUSCHE 2003 95 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD; 96 TFACTORY 2004, 4 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 224 Den Jugendlichen gelingt es, das ihnen als 'Freizeit' zur Verfügung stehenden Budget an Ressourcen in gewisser Weise optimal für ihre Interessen einzusetzen und gegenüber Beeinflussungsversuchen fremder Institutionen zu behaupten. Darin liegen einerseits Momente einer Verstetigung und Stabilisierung, andererseits aber kontrollierter Gestaltung und komplexer Heuristik. Zur repräsentativen Funktion von Räumen Räume sind zunächst Tableaus für die Selbstinszenierung jugendlicher Identitätsentwürfe, in denen sie sich mit sich und anderen über ihre Persönlichkeit verständigen und vergewissern, und werden dadurch zu wesentlichen, weil graduell selbstgestaltbaren und gestalteten Rahmen. Gerade private Räume mit einem hohen Potential an Gestaltungsmöglichkeiten spiegeln in ihrem Arrangement verschiedenster Texte als umfassendes Environment Entwicklungsgeschichte und aktuellen Stand der Identitätskonstitution des Jugendlichen. Diese Texte eignen sich die Jugendlichen in erster Linie aus den Medien, aber auch aus anderen Quellen an, um mit ihrer Hilfe den Phänomen ihrer Innen- wie Außenwelt Bedeutung zuzuweisen und sich zu artikulieren.97 Dieser Prozess konkretisiert sich u.a. in einer Reihe von Subjekt-Objekt-Beziehungen98, die den Raum zur Lokalisierung benötigen und ihn gleichzeitig dabei verändern, in dem er ebenfalls aneignet und in der Entäußerung zu einer symbolischen Objektivation wird. Die daraus erwachsende zentrale Bedeutung etwa eines Raumes wie des eigenen Zimmers und seiner Gestaltung für den Jugendlichen ist zu vergleichen mit der, welche der beste Freund oder die Clique in seinem Alltag haben.99 Der Identitätsprozess als Erfahrung und Bewusstsein von Stetigkeit und Stabilität in der Redundanz der Beziehungen des Individuums zu seiner Innen- und Außenwelt erfährt eine weitere Unterstützung in der 'musealen' Funktion gerade privater Räume und bildet sich dort zugleich auch ab. Typisch dafür sind die Relikte, die als vorige Produktklassen und Objekte aus dem Erlebnisangebot dafür stehen, dass ihre jugendlichen Eigentümer mit spezifischen Formen der Interaktion mit ihnen den Versuch unternahmen, Identität zu entwickeln. Indem sie die Texte demonstrativ aufbewahren, versuchen die Jugendlichen, Momente ihrer Biografie dauerhaft in ihrer Erinnerung zu sichern.100 Das eigene Zimmer als Rahmen von Fantasy-Rollenspielen fügt dem persönlichen Arrangement weitere Texte in Form spezifischer Objekte, Materialien und Veranstaltungen zu und intensiviert dessen Potentiale im Identitätsfindungsprozess der Jugendlichen. Die im Raum deutlich werdende Repräsentation von Individualität basiert auf eine Reihe weiterer, vom Spielmaterial und seinem Umfeld ausgehender Akzente und Konturen und verweist zugleich über die Verwendung szenetypischer Texte auf die Einbindung dieses Prozesses in jugendliche Subkulturen. Andererseits aber erlaubt die Privatheit des Raumes dem Jugendlichen auch eine von ihm bestimmbare graduelle Öffnung gegenüber Fremden und einer Öffentlichkeit wie etwa der Peer Group und eben auch den Rückzug in einen 'geschützten Rahmen'. Aber auch weitgehend öffentliche Räume als Rahmen von Fantasy-Rollenspielen können im Grunde vergleichbare Funktionen im Zusammenhang der Identitätsfindungsprozesse der Jugendlichen wahrnehmen und sie zu wichtigen Elementen im Alltag werden lassen. Der höhere Grad an Öffnung ermöglicht eine Präsentation eigener Identitätsentwürfe vor einem größeren Publikum und ein realistisches Austesten ihrer Tragfähigkeit. Die alleinige oder zumindest dominante Anwesenheit von Jugendlichen mit vergleichbaren Interessen und Aktivitäten ermöglicht eine Interaktion innerhalb eines geschützten Rahmens, zuma l man sich in derartigen Räumen in der Regel auch nicht allein bewegt, sondern als Mitglied einer Gruppe und sich auf deren integrative Funktion verlassen kann. Der Schutz, den die Räume bieten, basiert weiter auf den im Raum und seinen Kontexten manifesten institutionellen Symbolen, die eine disfunktionale und störende Einflussnahme von Außen weitgehend ausschließen oder nicht zulassen. In dominant fremdbestimmten Räumen konzentriert sich das intertextuelle Arrangement auf die vom einzelnen Jugendlichen präsentierten Texte und seine Interaktion mit den anderen, in den Mittelpunkt treten nun die Objekte und Materialien, der Habitus und der Gestus als im Gegensatz zum Raum gestaltbare Elemente der Identitätskonstruktion. 97 RESEARCH & MEDIA MARKETING 2004, 13 98 CSIKSZENTMIHALYI 1989, 32-33; 40; 43-50 99 RESEARCH & MEDIA MARKETING 2002, 11 100 CSIKSZENTMIHALYI 1989, 54; MIKOS 2003 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 225 Zeitraum, Zeitmanagement und Identität Die Jugendlichen nehmen die eigene Lebenszeit mit dem Bewusstsein und der Erfahrung einer sich beschleunigenden Zeit als unverhältnismäßig kurz gegenüber der historischen und kosmischen Zeit wahr. Ein "Lebenszeit-Weltzeit-Dilemma" prägt als elementares Koordinatensystem die Biografie des Jugendlichen. 101 Innerhalb dieser Antithetik sind Identität und Individualität überhaupt nur noch erfahrbar in einer Intensivierung des eigenen Lebens angesichts der drohenden Bedeutungslosigkeit des Ichs und der damit verbundenen Existenzängste. Die mit dieser Intensivierung verbundene 'Erlebnisrationalität', unter deren Prämissen das Individuum seinen Alltag gestaltet, betrifft auch die Differenzierung von Zeit in Arbeitszeit und Freizeit und das Zeitmanagement, in dem der Jugendliche sich bemüht, die für seine Bedeutungs- und Identitätskonstitution notwendigen zeitlichen Ressourcen gegenüber dem Ansprüchen heteronomer Institutionen zu erwerben, zu verteidigen und auszuweiten. Davon betroffen sind bei den hier beobachteten Jugendlichen in erster Linie Elternhaus und die schulische Ausbildung, wobei gerade letztere mit zunehmendem Lebensalter immer mehr Einfluss auf die zur Verfügung stehende Freizeit nimmt, etwa durch die Ausdehnung der Unterrichtszeit in den Nachmittag.102 Der Faktor Zeit gewinnt damit eine dem Raum vergleichbare Präsentationsfunktion: Nur wer Herr seiner Zeit ist, demonstriert seine Individualität und verdeutlicht sich und anderen seinen Identitätsentwurf. Während man dies durch ein ostentatives Zuspätkommen oder die Nichteinhaltung von Terminen gegenüber heteronomen Ansprüchen unschwer zeigen kann, ist man andererseits verpflichtet, eine eigene Konzeption von Zeitnutzung zu entwickeln. Wie die Jugendlichen beim Spiel zeigen, zielt diese Konzeption auf eine Abfolge von dynamisierenden und retardierenden Momenten, bei denen insbesondere Phasen affektiver bzw. emotionaler Dichte eine Delation oder Aufhebung von Zeit erfahren sollen, während Phasen, deren Bedeutung allein in ihrem Beitrag zur Funktionalität von Diskursivität liegt, möglichst rasch überwunden oder gar ausgelassen werden sollen. Dabei ist die Interpretation dessen, was nun rein funktional sein soll, offen, wie die für den Erwachsen unsäglich langatmigen, von den Jugendlichen aber mit Ausdauer betriebenen Spielsequenzen zeigen, in denen etwa Charaktere entwickelt werden. Die Gewichtung erfolgt von der Innenorientierung der Jugendlichen her, die eben hier ein bedeutsames Handeln sehen. Dies erklärt auch die Redundanz vieler Spielhandlungen, die eben nicht als solche empfunden wird, sondern deren für den Außenstehenden kaum erkennbare Modifikationen einen perpetuierten Reiz ausüben, das Handeln wieder und wieder zu repetetieren. Dies koinzidiert mit der Erlebnisrationalität der Jugendlichen und findet Ausdruck auch in den Skripts, die gleichzeitig auch die Validität dieses Konzeptes mit seiner Verortung in jugendkulturellen Szenen zeigen. Raum und Flow Da Räume grundsätzlich zur Gestaltung auffordern, stellen sie einen wesentlichen motivationalen Anforderungsimpuls für die Jugendlichen dar. Dieser Effekt wird durch die Fokussierung auf Fantasy- Rollenspiele verstärkt, insbesondere dann, wenn als Raum das eigene Zimmer zum Gegenstand von Gestaltung wird. Die Eindeutigkeit der Zielvorgaben erleichtert dabei die Orientierung über die zur erfolgreichen Bewältigung notwendigen Maßnahmen und die dafür benötigten Kompetenzen. Die während der Gestaltung mögliche sofortige visuelle, auditive und haptische Kontrolle der Wirkung der realisierten Maßnamen ermöglicht ein unmittelbares Feedback und öffnet den Blick für Modifikationen und Variationen. Eigene Kenntnisse und Fähigkeiten können ebenso wie das Anforderungsniveau aneinander angepasst werden. Dabei spielt auch eine Rolle, dass einerseits schon mit einfachen Maßnahmen Wirkung erzielt werden kann, andererseits der Prozess für komplexere Lösungen offen gehalten wird. Auch das Erreichen der angestrebten Raumwirkung bzw. Raumfunktion stellt nicht unbedingt den Schlusspunkt des Gestaltungsprozesses dar, denn aus der Nutzung ergeben sich weitere Überlegungen zur Optimierung oder zur Adaption an weitere Anforderungen, die zu einer Perpetuierung der dynamischen Relation von Anforderungen und Kompetenzen führen und letztlich Flow ermöglichen. Nicht zuletzt die Anerkennung, die der einzelne für seine Gestaltungsbemühungen aus der Peer Group erfährt, tragen im reflexiven Prozess der Auseinandersetzung des Jugendlichen mit Anforderungen, Leistungen und Erfolgen zu einer Verstetigung des positiven motivationalen 101 BLUMENBERG 2001 (1986) 102 Der von vielen ausgeübte Job ist mehr 'Freizeit' denn 'Arbeitszeit', dient er doch ebenfalls dem Projekt der eigenen Identitätsentwicklung; 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 226 Moments bei. In der Gestaltung des eigenen Zimmers nutzen die Jugendlichen die Chancen, aus einem langfristigen ästhetischen Prozess fortwährend Befriedigung zu erfahren.103 Wegen der eher begrenzten Gestaltungsmöglichkeiten stellen sich in öffentlichen Räumen die motivationa len Bedingungen etwas anders dar. Da eine Veränderung des eigentlichen Raumes kaum zu bewerkstelligen ist, gelten die Anstrengungen besonders der kollektiven Etablierung eines fiktionalen Raumes auf der Basis der imaginativen und narrativen Kompetenzen der Jugendlichen. Motivationale Impulse gehen dabei zwar auch von der Gestaltung des Raumes aus, mehr aber noch von diesen Prozess initiierenden und realisierenden Interaktion der Teilnehmer, die eine Reihe von Kriterien eignet, die Flow-Erfahrungen möglich machen. Auch hier treffen die Jugendlichen auf relativ klare Aufgaben- bzw. Fragestellungen, deren Lösung ihre Kompetenzen zwar heraus-, aber nicht überfordert und wo die Resultate evident und das Feedback verlässlich und unmittelbar erfolgt. Gerade für die engagierten Jugendlichen unter den Spielern stellen auch die organisatorischen Probleme, die mit der Nutzung öffentlicher Räume verbunden sind, eine fortwährende Herausforderung und in ihrer Inangriffnahme eine weitere stete motivationale Quelle dar. Ein weiteres motivationales Moment stellt dabei das dabei geforderte solidarische Handeln der Jugendlichen zur Vorbereitung von Wettkampfsituationen dar, da Interaktionsprozesse an sich ebenfalls Kontexte darstellen, die Flow-Erlebnisse ermöglichen und in die Flow- Erfahrung einmünden können. Schließlich dienen auch öffentliche Räume der Selbstdarstellung und – inszenierung, so dass auch die Verwirklichung von Elementen des Identitätsfindungsprozesses zu positiven motivationalen Impulsen werden kann. Zeit, Zeitmanagement und Flow Die Begrenztheit der für das Handeln der Jugendlichen zur Verfügung stehenden Zeit kann im Hinblick auf motivationale Prozesse sich positiv wie negativ auswirken und verweist gleichermaßen auf Anforderungen wie Kompetenzen. Steht für die Lösung eines Problems nicht genügend Zeit zur Verfügung, ergibt sich anstatt des gewünschten Strain sehr schnell Stress. Die Anforderung muss deshalb so definiert werden können, dass sie die zur ihrer Erledigung notwendigen Zeitkontingente auch erhält. "One must invest attention into the ordering of tasks, into the analysis of what is required to complete them, into the strategies of solution. Only by exercising control can stress be avoided."104 Die Jugendlichen neigen deshalb dazu, die Zeit, die von dem Spielen direkt oder indirekt in Anspruch genommen wird, als zusammenhängende Phasen zu organisieren und in Serien redundanter Events zu strukturieren. Andererseits kann gerade aus der Knappheit der Ressource auch ein wesentliches Handlungsmoment entspringen. Die Jugendlichen sind zunächst aber einmal grundsätzlich nicht bereit, diese Begrenztheit von Zeit und die damit verbundene Leistungsaufforderung, die in ihrer Perspektive eher einer Berufs- und Arbeitswelt zuzuordnen ist, zu akzeptieren. Vor- und Nachbereitung wie das Spiel selbst sind in Hinblick auf den Zeitverbrauch bei ihnen offene Prozesse, im intensiven Spiel vergessen die Jugendlichen die Realzeit. Zeit erfährt dabei auf der Ebene des Spielens eine Delation, welche die Bedingungen der Wirklichkeit zu überwinden scheint und als bewusste Intention105 den Jugendlichen dieser Wirklichkeit auch enthebt.106 Grenzenloser Raum Schon die Tatsache, das gemeinsames Handeln eines Ortes bedarf, weist auf die Bedeutung des Raumes für die Produktion kollektiver Fiktionen hin. Das gemeinsame Spiel und seine Fortentwicklung in weiteren Spielsequenzen, wie es typisch für Fantasy-Rollenspiele ist, basiert auf der Face-to-face-Kommunikation und Interaktion seiner Mitspieler. Der ideale Kontext für dieses Handeln ist ein Raum, wo diese Prozesse möglichst ungestört ablaufen können. Im Idealfall bilden die Räume ein transitorisches Ambiente bzw. Environment, das die kollektive Fiktionalisierung ermöglicht und unterstützt. Besondere Bedeutung haben dabei Raumelemente, welche die Imagination der Anwesenden provozieren und fördern, insbesondere visuell und auditiv wahrnehmbare Objekte 103 CSIKSZENTMIHALYI 1985, 1989, 1997a 104 CSIKSZENTMIHLAYI 1997, 107 105 MEISSNER 2001: "Neverwake"; 106 "Otaku" benutzen u.a. Inkontinenzmaterial, um den Spielfluss nicht unterbrechen zu müssen, s. BARRAL 1999 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 227 und Materialien, die einzeln wie in ihrer Gesamtheit auf die Anwesenden wirken.107 Sie selbst werden in dieser Fiktionalisierung nicht zwingend thematisiert, können aber jederzeit als liminale Objekte die Transition auslösen oder zu ihrer Aufrechterhaltung beitragen, etwa als Miniaturen, Diaramen oder Bilder. Damit wirken die kollektiven Fiktionen der Jugendlichen auf die Räume, in denen sie stattfinden, zumindest dort zurück, wo die Jugendlichen überhaupt wie in ihren Zimmern Gestaltungsmöglichkeiten haben, und beeinflussen ihre weitere Ausgestaltung mit. Räume ermöglichen kollektiven Fiktionen ihre dominante Latenz in den Zeiten außerhalb des konkreten Spielens. In ihnen – und eigentlich nur dort – kann der Jugendliche ständig, sofort und ohne Anstrengung wieder an die gemeinsame Fiktion anknüpfen Zwar genügen dazu auch schon einfachste Objekte des Alltags, welche entweder direkt auf die Fiktionen wie etwa Miniaturen verweisen oder erst nach einer Umwidmung wie die Geo-Dreieck-"Shilone" Elemente der Fiktion repräsentieren. Doch im Gesamtarrangement eines Raumes erhöht sich die liminale Potenz dieser Objekte schon durch den Freiraum, in dem sie installiert sind. Angesichts der Dominanz, die Spielvorbereitung wie Nachbereitung und das Persönliche Ereignisarrangement, das sich um die Spiele fokussiert, im Alltag der Jugendlichen haben, kann man davon ausgehen, dass diese Räume in erheblichen Umfang zur sinnstiftenden Transzendierung ihres Alltags beitragen. Manche dieser kontextuellen Qualitäten besitzen auch die virtuellen Räume der Players' Associations und Communities. Gerade ihre graphische Realisierung, ihre Interaktionsformen und nicht zuletzt die Tatsache, dass sie in gewisser Weise ubiquitär nutzbar sind, machen sie für die Jugendlichen sehr interessant. Andererseits benötigen die PC als die Interaktionsmedien der meisten Jugendlichen immer noch einen festen Raum, dessen Ambiente im übrigen auch das Spielen von OBG unterstützt, in dem er Möglichkeiten schafft, die Phantasien dieser Spiele weiterzuführen. Wesentliche Voraussetzung auch dieses Spielens ist die Bedingung, sich ganz auf das Spiel konzentrieren zu können, d.h. in öffentlichen Räumen können angesichts von tatsächlichen wie vorhersehbaren Störungen allenfalls einfache Spielzüge durchgeführt werden. Komplexe Prozeduren erfordern den Rückzug in die Privatheit des eigenen Raumes. Vordergründig scheint dieser Raum genau das Gegenteil der endlosen Labyrinthe und Rhizome, welche der Jugendliche in seinen Spielen durchstreift. Zwar stellt er auch Heimat und Ausgangspunkt dar, wird jedoch besser begriffen als ein Knoten, in dem die vielen Räume der kollektiven Fiktionen zusammenfinden und von wo aus jeder von ihnen betreten werden kann. Grenzenlose Zeit Die Produktion kollektiver Fiktionen ist sehr zeitintensiv. Zeit muss eigentlich unbegrenzt zur Verfügung stehen, soll die Fiktion sich in einer akzeptablen Qualität entwickeln können. Angesichts der heteronomen Einflüsse auf die den Jugendlichen zur Verfügung stehende Zeit scheint ihre Orientierung am "Neverwake" ihrer belletristischen Vorbilder illusorisch. Andererseits gelingt es ihnen, in verschiedenen Zeitdimensionen parallel zu handeln. Während die Time- bzw. Storyline der kollektiven Fiktion im Hintergrund weiterläuft und man etwa in wirklicher Echtzeit auf die Reparatur und erneute Einsatzbereitschaft seines Mech wartet, agiert man in anderen Zeitdimensionen. Die Jugendlichen besitzen eine Fähigkeit, zwischen diesen Dimensionen zu switchen. Dabei schalten sie keineswegs den Zeitstrom der kollektiven Fiktion ab, sondern blenden ihn nur vorübergehend aus, um Anforderungen aus der Wirklichkeit nachkommen zu können. Im Idealfall gelingt es ihnen, diese Wirklichkeitskontexte in ihre Partizipation an der kollektiven Fiktion zu integrieren und sie letzter zu subordinieren, etwa wenn die Aufforderung der Eltern zu einer 'sinnvollen' Freizeitbeschäftigung mit Handlungen koinzidiert, die der Beschäftigung mit der kollektiven Fiktion des Spiels entspringen wie die Lektüre bestimmter Belletristik oder die Rezeption qualitativ hochwertigen Medienmaterials. Das vorübergehende Ausblenden aus der Time- bzw. Storyline geschieht in dem Bewusstsein, dass diese damit auf keinen Fall beendet wird, sondern in der Zwischenzeit weiterläuft und weiterentwickelt wird. Eine Omnipräsenz des einzelnen ist wie auch im Leben nicht möglich, es genügt, mit einer angemessenen Intensität zu partizipieren, da Zeit auch in kollektiven Fiktionen aufgezeichnet wird und zur Historie geriert, die man nachträglich sich aneignen kann, um Lücken wenn notwendig zu füllen. 107 MURRAY 1997 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 228 Nirgendwo spürbarer ist diese Historizität, die eigenem Handeln entspringt, als in den virtuellen Kosmen der Online Browser Games, wo Kollektive von teilweise vielen Tausenden von Spielern ihre gemeinsame Fiktion unentwegt und völlig gelöst von heteronomen Zeitbedingungen fortentwickeln. Die Jugendlichen finden in dieser Zeit all das, was sie in der ihrer in der Wirklichkeit erlebten Zeit vermissen: Hier sind die Ereignisse unmittelbar miteinander verknüpft, zeigt sich in ihnen eine Kohärenz, welche auf die Stringenz des Handelns logisch verweist. Die menschlich nachvollziehbare Struktur der Zeit ist der Zyklus, den die Jugendlichen in ihren Fiktionen wieder und wieder gestaltend erleben. Die Diskursivität von Zeit ist nicht aufgehoben, sondern sinnvoll geworden. Die Sinnhaftigkeit eines Handelns in Zeit ergibt sich aus ihrer teleologischen bzw. eschatologischen Finalität, in der die Zyklen schließlich aufgehen werden. Die Gestaltung des äußeren Rahmens für die Spiele ist eine der wesentlichsten und intensivsten Aufgaben, denen die FRPG-Spieler nachkommen. In erster Linie geht es dabei darum, das Spiel in den Alltag auf eine Art und Weise zu integrieren, die möglichst nicht zum Konflikt mit Institutionen führt, aber andererseits die notwenig empfundene Distanz zum Alltag schafft, die das Spielen erst ermöglicht. Diese Räume stellen als weitgehend autonome Residuen ein wichtiges Element jugendlicher Lebenswelt dar, deren Existenz in ein prekäres Gleichgewicht von Anpassung und Emanzipation eingebunden ist. Sie stehen damit für erfolgreiches Handeln der Jugendlichen, die in den Räumen ihre Kompetenz manifestieren, Territorien zu besetzen und zu behaupten. 5.2 Die Jugendlichen produzieren Objekte und Texte Situation Das Angebot an Objekten, Materialien und Literatur, also generell an Texten, das der Fantasy-Rollenspiel- Markt bietet, erweist sich als äußerst umfangreich und so komplex, dass es fast jeden Wunsch zu befriedigen scheint.108 Überraschenderweise aber ist eine der wesentlichen Nutzungsformen der Jugendlichen bei diesem differenzierten Angebot nicht allein der Konsum, sondern die kreative Auseinandersetzung und die Produktion individueller Texte in Form von additiven Objekten, Materialien und Literatur, die auch quantitativ die kommerziellen Angebote weit übersteigt. Neben den Kauf tritt damit die Produktion eigener Materialien und deren adaptive oder modifizierende Montage als wesentliche Form der Aneignung und Nutzung. Die Jugendlichen begründen dieses Verhalten mit folgenden Sachverhalten: Konträr und herausfordernd auf die Jugendlichen wirkt die hinter der Oberfläche des korrespondierenden Marketing doch sehr deutlich erkennbare Marktdominanz der Verlage. Die mittlerweile umfassende Sicherung und Durchsetzung der Urheber- und Nutzungsrechte und ihre Konzentration und Verwertung bei einigen wenigen Verlagen und Unternehmen109 wird von den Jugendlichen als Einflussnahme und Beschränkung der Potentiale ihrer Alltagsgestaltung empfunden und abgelehnt. Neben den rein materialen Interessen wie Befürchtungen über eine Einschränkung bzw. Veränderung bei der Verfügbarkeit des Angebots und die Gefahr eines Preiskartells (Kommerzialisierung), welche die Jugendlichen bei ihrer Kritik leiten, steht auch die instinktive Abwehr jedweder Versuche von Paternalisierung durch heteronome Institutionen. Die Kritik wird allerdings naturgemäß wenig systematisch und argumentativ vertreten110, formuliert wird meist eine Ausbeutungsvermutung, welche Verlage und Firmen gegenüber Autoren und Kunden praktizierten. Als Kinder des Konsums denken die Jugendlichen allenfalls bei - oft in den Medien vermittelten - Einzelschicksalen an eine grundsätzliche Kritik der Marktwirtschaft. In der Perspektive der Jugendlichen steht damit das vermeintliche Monopol der Verlage gegen die (unterstellten) altruistischen Intentionen der Autoren, das kollektive Gewissen der Szene und die Autonomie der Spielerindividuen. Durch die zunehmende Kosten- und Preisentwicklung wie Prozesse des expandierenden Merchandising und der Marktkonzentration fühlen sich die Jugendlichen in ihrer Auffassung bestätigt, zumal ja auch die eigene finanzielle und materielle Ausstattung in der Selbstwahrnehmung der Spieler mit diesen Entwicklungen nicht Schritt halten kann und die vermuteten Befürchtungen evident werden lässt.111 Oft 108 Darstellung des Erlebnismarktes und seines Angebots, s Kap. 4 Fantasy -Rollenspiele – ein Medien-, Text- und Ereignisarrangement als Angebot; 109 Im Augenblick (Juli 05) ist eine Welle an rigider Copyright-Sicherung unter den Firmen zu konstatieren, ausgelöst durch die Kopiermöglichkeiten mittels elektronischer Medien und der Verbreitung von Raubkopien im Internet, vgl. hierzu: HIMMELSBACH/ PURSCHE et. al. 2002; zum Konzentrationsprozess s. APPENDIZES/ Firmen/ Wizards of the Coast Inc.; Hasbro.com - History of Hasbro Inc.; Fanpro-Firmengeschichte; 110 SCHULZE 1996, 423, 437 111 Auf Nachfrage sind die Jugendlichen allerdings gerne bereit, die Ebbe ihrer Kasse realistisch durch die Vielfalt der Wünsche, die sie sich erfüllen wollen, zu erklären, s. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1997-06-21 RES, 43-44 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 229 stilisieren die Jugendlichen deshalb ihr kritisches Verhalten und seine praktischen Folgen wie unerlaubtes Kopieren und Verletzung der Copyr ights legitimierend analog zu fiktionalen Vorlagen der Fantasy-Rollenspiele und der Science Fiction-Literatur als Auseinandersetzung in der Art eines "Cyberpunk" mit den multinationalen Konzernen in den "Sprawls" einer nahen Zukunft.112 Eine weiteres argumentatives Feld der Auseinandersetzung mit dem kommerziellen Angebot ist der Vorwurf mangelnder Fachkompetenz an die Verlage und Firmen. Vorwürfe dieser Art werden von den Firmen als Angriff auf ihre Professionalität und das Image der Produkte sehr ernst genommen113, die schon immer in den unabhängigen Fanzines diese Kritik aufmerksam verfolgt bzw. in eigenen Publikationen evoziert haben. 114 Beschleunigt durch die Präsenzformen des Internet stellen alle namhaften Firmen (wie auch bei anderen Segmenten des Jugendmarktes) Plattformen für Kritik und Diskussion bereit und reagieren mit raschen Modifikationen des Regelwerks und Veröffentlichung der Errata.115 Die vielfältigen Spiellinien können mittlerweile adäquat und kompetent nur betreut werden, wenn die Spieler selbst diese Aufgabe übernehmen. Wie oben gezeigt folgt die Industrie dieser Entwicklung nur allzu bereitwillig, auch aus Effizienz- und Rationalisierungsüberlegungen, doch noch mehr zur Wahrung der Authentizität ihrer Produkte und einer Partizipationssuggestion der jugendlichen Konsumenten.116 Angesichts der Komplexität der Regelwerke können aber auch dann Fehler keineswegs ausgeschlossen werden. Die Professionalität der Meister und Spieler wird deshalb stets Möglichkeiten finden, die eigene Kompetenz der des Angebots gegenüberzustellen und insbesondere eine Gewichtung des erkannten Problems und Konfliktes vorzunehmen. Zu beobachten ist dabei ein 'Mücke-Elephant'-Syndrom: die Leidenschaft, mit der selbst kleinste Abweichungen oder Mängel von Seiten der Spieler diskutiert und angeprangert werden, ist angesichts der Erwartungen an Toleranz, die diese Jugendlichen von ihren Mitspielern bei eigenem Fehlverhaltens einfordern, verblüffend.117 Eine wichtige Aufgabe der Meister und Spieler ist weiter die Adaption kommerziellen Materials an traditionelle bzw. an von ihnen selbst entwickelte Spielstrukturen. Die Fantasy-Rollenspiel-Szene erweist sich gegenüber den Autoren und Produzenten der Spiele selbst als ausgesprochen konservativ. Veränderungen von Seiten der Anbieter wie die Einführung weiterer Figuren und Handlungslinien, der Regeln und Spielweise werden von der Szene zunächst sehr kritisch gesehen. Der stillschweigenden Aufforderung, das Material (mit erheblichen Mehrkosten) zu ergänzen, begegnet man einerseits mit völliger Ablehnung. Andererseits aber auch mit einer intensiven Adaption, die in zwei Richtungen gehen kann: der Anpassung der bisherigen Materialien an das neue Design, um so für dessen langfristig kaum zu verhindernde Einführung im eigenen wie in fremden Spielzirkeln gewappnet zu sein, das bisherige Material behutsam zu modernisieren und die Halbwertszeit der bisherigen Investitionen in das Spielmaterial zu erhöhen, oder der aufwändigeren Modifikation des neuen Designs an bestehende Spielstrukturen. Dem Reiz des Neuen als suggestive Aufladung von an sich bekannten Produkten kann sich der Fantasy-Rollenspieler wie auch andere Fans jugendkultureller Szenen nur schwer entziehen. 118 Die Attraktivität des kommerziellen Materials entsteht schon dadurch, dass der einzelne Master oder Spieler ja kaum wirklich die Ressourcen hat, um völlig neue Kampagnen oder gar Welten zu entwickeln. Auch die graphische wie inhaltliche Qualität der Umsetzung sprengt trotz aller Findigkeit der Jugendlichen bei der Entwicklung eigener Texte letztlich deren Möglichkeiten. Im Allgemeinen ist deshalb die Adaption ein sinnvoller Weg, das bisherige Geschick im Entwickeln von Szenarien in neuen Kontexten auszuprobieren und Erprobtes wie Handlungs- und Spannungssequenzen oder Charaktere dabei mitzunehmen und zu integrieren. Die Adaption wird dabei durch die durchgängig ähnlichen Strukturen der Fantasy-Rollenspiele als kommunalisierte Fiktionen erleichtert.119 112 Zum Beispiel: "Shadowrun", IPPOLITO/ MULVIHILL (Hg.) 1999; GIBSON 1994 (1984) 113 SCHULZE 1996, 441 114 Fan(atic) (Maga)zine: von Fans einer Szene erstellte Zeitschriften, Produkte, welche in ihrer Aufmachung Fanzines ähneln, aber von den Produzenten erstellt werden, nennt man analog Prozines, Beispiele : APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-59; 1.8-10; Bild 1.11-56; Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung MechWarrior 1999-14-QualAnalyse; Feldbeobachtung MechWarrior 1999-14-QuantAnalyse; 115 Beispiele für die Diskussion und Durchführung von Regelmodifikationen finden sich auf den offiziellen Webpages der Fantasy-Rollenspiel-Verlage, den Webpages informeller Fantasy-Rollenspiel-Organisationen und einzelner Spieler; in Prozines und Fanzines, zum Beispiel: APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2004-04-01 NDV-AeroTech-Regeln; Feldbeobachtung 2004-04-01 NDV-Artillerieregeln; 116 SCHULZE 1996, 444 117 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video DSA Mainz, 55-76 118 FRPG-Spieler neigen zu einer ersten theatralisch inszenierten Ablehnung, auf Dauer aber wird sich ihre ausgeprägte Sammelleidenschaft und ihr Hang zur Vervollständigung ihrer Sammlung durchsetzen, bei der mit dem Erwerb der Produkte eine Befriedigung des Erlebnisbedürfnisses intendiert wird, APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2000-09-06 SCHTH 02; SCHULZE 1996, 431-435; zur Bedeutung der Suggestion/ Auto-Suggestion s. SCHULZE 1996, 435-436, 442-445 119 Es gehört trotzdem zum guten Ton eines Master mit Bedauern und entschuldigend auf die Verwendung eines kommerziellen Materials zu verweisen, s. SCHT zur Eröffnung der Spielsequenz, s. APPENDIZES/ Video/ Video DSA Mainz, 2 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 230 Ein weiterer Anlass der kreativen Auseinandersetzung mit den kommerziellen Materialien sind die Möglichkeiten der Selbstdarstellung und Profilierung. Die Autorität eines Master wie die Reputation eines Spielers beruhen auf ihren fachlichen und sozialen Kompetenzen. Allein schon der Aufwand, der zur sachgerechten Anpassung oder Modifikation des angebotenen Materials benötigt wird, profiliert den sich diesen Mühen unterziehenden Fantasy-Rollenspieler in den Augen seiner Klienten und Mitspieler. Zugleich führt diese Tätigkeit zu einem Zuwachs an zunächst spielinternen, in der Spielpraxis dann auch spie lexternen Kompetenzen wie Interaktionsqualifikationen in der Spielteilnahme, -leitung und Diskursfähigkeit, welche positiv die Reputation im konkreten Spielzirkel wie in der Szene verstärken. Typisch sind etwa Experten, welche die Spielleitung wohlwollend bei der Regie der Spiele als kommentierende Autoritäten unterstützen und auf die Meister gerne gerade in Problem- und Konfliktfällen rekurrieren.120 Hinzu kommt, dass ab einem bestimmten Grad an Erfahrung und dem damit verbundenen Status von anderen Spielern auch ein Erwartungsdruck besteht, der eine intensive und kreative Beschäftigung mit Materialien voraussetzt, u.a. auch als eine Delegation der notwendigen sachlichen Kritik gegenüber Autoren und Produzenten und Kommerzialisierungstendenzen, von der man sich die Wahrung der Authentizität der Spiele erwartet. Die Wahrnehmung dieser Rolle führt ebenfalls zu einer Steigerung von Reputation und Autorität und verstärkt die Profilierung des einzelnen Spielers im Kreis der Spieler und der Szene. Es gehört demnach auch zu den Traditionen des Fantasy-Rollenspiels, sich als Master in diesen Aufgaben zu engagieren, was andererseits dazu führt, dass diese Schlüsselfunktionen auch von den Produzenten erkannt werden und zu Versuchen führen, auf sie Einfluss zu nehmen.121 Korrektur, Adaption, Modifikation: Variation und Montage von vorhandenen Textelementen Das im Handel erhältliche Material wird von den Spielern in vielen Bereichen als verbesserungswürdig und unzulänglich empfunden. Diese Unzulänglichkeiten ergeben sich zwangsläufig schon aus der Struktur, Komplexität und Varianz der Fantasy-Rollenspiele und der die Spielwelten konstituierenden fiktiven Kontexte, Handlungsverläufe und Figurenkonstellationen. Hinzu kommen die ausufernden Regelwerke, welche die algorithmisch organisierten Interdependenzen und die Interaktion der Spielweltelemente akribisch zu regeln suchen. Ein wesentliches Motiv der kreativen Auseinandersetzung mit dem Material der Fantasy-Rollenspiele ist deshalb zunächst ein Streben nach Kohärenz, welche die Spieler in der Spielpraxis zu wahren suchen.122 Will man sich den Zugang zu dem zur Verfügung stehenden Kosmos an Spielwelten erhalten, müssen die Grundstrukturen der Spiele gewahrt und gegen erodierende Tendenzen verteidigt werden.123 Andererseits aber leben die Spiele auch von der Variation und implementieren diese allein schon durch die permanenten Zufallsentscheidungen per Würfel wie bei der Festlegung und Entwicklung der Charaktere oder bei der Gestaltung von Konflikt- und Entscheidungssituationen. Weiter werden die Szenarien bewusst von den Autoren offen gehalten und fordern zur aktiven Weiterführung und Ergänzung, aber auch zur Korrektur oder präziseren Adaption z.B. an literarische Vorlagen heraus.124 Immer wieder fordern die Autoren und Produzenten in Kenntnis der Szene zum kreativen Umgang mit den Materialien auf.125 Die Spieler sind deshalb fast ständig (und das reell in ihrer Freizeit mit mehreren Stunden die Woche) damit beschäftigt, die vorhandenen Materialien ihrem konkreten Spiel anzupassen. Für den einfachen Teilnehmer heißt das, auf der Ebene der Entwicklung der Charaktere tätig zu werden, sich bei Mitspielern oder durch die Lektüre einschlägiger Werke kundig zu machen und die Authentizität des gespielten Charakters ständig zu 120 APPENDIZES/ Teiln ehmende Beobachtung/ Video DSA Mainz, 68-79 121 Promotion von 'Experten' als Berater oder in Gremien durch Verlage wie FANPRO, s. Kap 4.4.3 122 Die Kohärenz der Fantasy -Rollenspiele wird auf der Anbieterseite meist durch Autorenkollektive gewährleistet, die ein spezifisches Szenario betreuen, ähnlich wie bei der Produktion von Serien-(Trivial-)Romanen (z.B. "Perry Rhodan"), wo Autoren (-kollektive) jeweils ganze Zyklen produzieren; diese permanente Betreuung und die damit verbundene Spezialisierung führen auf der Produktionsseite zu einer konsequenten Protokollierung aller Tätigkeiten und Veränderungen. Diese Protokolle fließen dann z.B. in Form spezieller Kompendien wieder in die Fantasy - Rollenspiele ein; ein ähnliches Procedere verfolgt auch Nice-Dice e.V. mit den eigenen Zeitschienen-Kontexten, die auf akribisch geführten Protokollen der einzelnen Chapterfights basieren, APPENDIZES/ Material-BT/ Zeitschienenpapiere 2004; Bilder/ Bild 1.2-60-61 123 Zur Entropie als Interaktionskontext des Individuums vgl. hierzu: CSIKSZENTMIHALYI/ ROCHBERG-HALTON 1989, 30 124 Bsp.: DSA-Abenteuer "Die Phileasson Saga", eine Adaption von Jules Verne`s "In 80 Tagen um die Welt", s. APPENDIZES/ Material-DSA/ DSA Angebot Deutschland Übersicht; die Spieler kennen die literarische Vorlage und verzichten deshalb u.a. auf den Einsatz von Technologien des 20. Jahrhunderts, um so weit wie nur möglich die Authentizität der Romanvorlage zu wahren; der autoritative Status der literarischen Vorlage und die Wahrung ihrer Authentizität im Spiel stellt auch ein wichtiges Qualitätskriterium und einen wesentlichen Motivationsimpuls dar, etwa bei der Entscheidung zu MERS wegen dessen größerer Affinität zur literarischen Vorlage, die als Herausforderung empfunden wird, s. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2000-08-11 RH, 1 125 CHARLTON 1994, 40 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 231 verbessern.126 An engagiertere Spieler wie Meister und "Hausoffiziere" treten entsprechend komplexere und diffizilere Aufgaben heran. Typischer Ausdruck davon sind im Sinne der veränderten Spielanlage modifizierte "Charakterbögen" oder Record Sheets, neu oder weiter entwickelte Zauber- und Bannsprüche, komplementär erstellte Zeichnungen, Skizzen und Karten, neu entwickelte oder weiter ausgestaltete NSC127 usw. Teilweise erfolgen diese Modifikationen nicht nur in der Vorbereitung auf die Spiele, sondern während des Event selbst, wenn die Teams nach Lösungen für die vom Spiel evozierten Probleme und Konflikte suchen. Als ebenso notwendig erweist sich die Korrektur offensichtlicher Mängel in den Regelwerken, ob nun von direkten Fehlern oder von versäumten oder nachlässig gestalteten Regeln.128 Fiktionalität/Virtualität (Szenarien) In einer Reihe von Fällen geht der kreative Umgang mit dem Materialangebot über die Korrektur, Adaption und Modifikation hinaus, nämlich dann, wenn die Spieler spezifische eigene Spielwelten konstruieren und gestalten. Dabei werden entweder vorhandene Entwürfe durch den ständigen Prozess der Adaption und Modifikation so weit verändert, dass sukzessive eine von der ursprünglichen Vorlage sich lösende neue Spielwelt entsteht, - ein häufig auch dem Spieler zunächst unbewusster Prozess, der oft dann erst deutlich wird, wenn Spieler verschiedener Spieltraditionen zusammenkommen und feststellen müssen, wie weit man sich schon voneinander entfernt hat -, oder aber eine neue Spielwelt entsteht gewissermaßen am Reißtisch und wird dann in ständiger Erprobung in Spielséancen getestet und weiter entwickelt.129 Der konstruktive Vorgang entspricht dabei dem auch in den Videoclips oder im Techno bzw. HipHop üblichen Sampling (Montage) vorhandener und bekannter Textversatzstücke (Zitate).130 Die klassischen Formen der Montage sind so angelegt, dass die Elemente ihre kontextuellen Bezüge wahren, da sie über sich hinaus verweisend die Gesamtheit der Aussage repräsentieren. Sie werden weiter diskursiv wie etwa in der Filmsprache zusammengestellt und orientieren sich dabei an linearen Strukturen.131 Die semiotischen Einheiten beim 'Sampling' dagegen sind so klein gewählt, dass sie zwar noch den Zusammenhang andeuten, dem sie entstammen, tatsächlich aber aus diesen herausgerissen sind und damit erst aus ihrer Gesamtheit eine Aussage entsteht, die gewissermaßen unvermittelt vom Produzenten angelegt und entdeckt wird. Die innovative Leistung liegt dabei zum einen in der permanenten permutierenden Modifikation im Arrangement der Elemente, weiter in der zyklischen Variation der Anordnung dieser Textelemente zu einem Gesamten und der Aufhebung der einer letztlich chronologisch orientierten linearen Diskursivität zugunsten alternativer Formen der Simultaneität. Im Gegensatz zu Musik und Video, wo entsprechende elektronische Medien den Autoren zur Verfügung stehen, um ihre Ideen zu realisieren, arbeiten die Fantasy-Rollenspieler bei der Ausarbeitung ihrer Entwürfe zumeist mit klassischen Printmedien, die auch als elektronische Derivate ihnen schon von ihrer Verwendung her eine Linearität als diskursive Grundstruktur nahe legen.132 Hinzu kommen von den Spielen her die dort dominierenden klassischen fiktionalen Handlungskompositionen und Figurenkonstellationen. Einer völlig freien und neuartigen Bearbeitung der Stoffe steht zudem auch der oben erwähnte Konservatismus der Spieler entgegen. Es entwickelt sich deshalb eine auch aus der Trivialliteratur wie anderer populärer Medienformate bekannte Form des Document Recycling, für das die Werke etwa Steven King's oder Michael Chrichton's stehen. Versatzstücke von erfolgeichen Werken werden dabei zu immer 'neuen' Fiktionen zusammengestellt. 133 In einer vergleichbaren Weise stellen die Spieler aus den ihnen bekannten Versatzstücken von Fantasy- Rollenspielen ständig in ihrer Perspektive 'neue' Szenarien und Kampagnen zusammen. Bemerkenswert ist dabei die Analogie zu der Gestaltung von Alltag und Lebenswelt durch die Jugendlichen, wo ja auch die 126 Mit den jeweils bei Ende einer Kampagne verliehenen 'Erfahrungspunkten' kann der Spieler seinen Charakter weiter ausgestalten, etwa durch weitere Fähigkeiten oder Kenntnisse, s. APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.11-20-21 127 NSC (Nicht-Spieler-Charakter), auch: NPC (Non-Player-Character): Komplementäre Ergänzung der von den Einzelspielern geführten Charaktere durch weitere vom Master geführte Protagonisten/Antagonisten; 128 Ein wesentliches Thema der Fanzines sind Regelkonkretisierung bzw. – auslegungen, die durch die offiziellen Kompendien nicht oder nicht eindeutig genug geklärt sind, s. BT -Fanzine "Warrior's Guide", APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung MechWarrior 1999-14-QuantAnalyse; 129 Vgl. hierzu: Rollenspielexposition zu BT, APPENDIZES/ Feldbeobachtung/ Feldbeobachtung 1996-01-12 BT -Schulung WG; Feldbeobachtung 1996-12-13 BC Minotaurus-RS-Monsterbogen; Feldbeobachtung 1996-12-13 BC Konvolut; Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 68, 70; typisch z.B. auch bei der Entwicklung von OBG, s. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2004-02-09 AM, 31 130 '"DJing", s. dazu auch: MIKOS 2003 131 KUCHENBUCH 1978 132 Vgl. dazu: BACHMAIR 1996, 243 133 Vgl. dazu: KING 2000; zum Verhältnis von Innovation und Tradition s.a. SCHULZE 1996, 440-442 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 232 Authentizität der Entwürfe in einer von kommerzialisierten symbolischen Objektivationen dominierten Erfahrungswelt allein mit der Individualität ihres Arrangements und ihrer thematischen Relevanz manifestiert werden kann.134 Figuren/Miniaturen/Modelle Miniaturen gehen zurück auf die Entstehungszeit der Fantasy-Rollenspiele, wo man wie bei manchen Tabletop- Spielen noch heute durch Kartenreiter, farbige oder bedruckte Buttons oder simple Spielsteine Repräsentationen der Charaktere auf den Spielplänen platzierte, um ihre Existenz wie Position zu dokumentieren. 135 Obwohl sie eigentlich für genuine Fantasy-Rollenspiele nicht notwendig sind136, die in der Regel als Paper-and-pen-Modus gespielt werden, stellen die Produzenten selbst137 oder andere Unternehmen138 Miniaturen fast aller Spielrassen, NSC, Streitkräfte, Einheiten und technischen Geräte und Fahrzeuge, als auch der Mech her.139 Die Miniaturen bestehen in der Regel aus Blei und sind entweder unbemalt und teilweise in Einzelteilen zerlegt in Blister-Verpackungen oder Boxen (mit farbig gestaltetem Deckel-Layout als Anregung zur Ausgestaltung140) oder auch gebrauchsfertig im Handel - Spezialgeschäft vor Ort oder Retail in Fanzines und Internet - erhältlich. Vom Maßstab her sind sie innerhalb des Game Sets, im Rahmen einer Serie untereinander, aber auch mit anderen Spielen kompatibel. Neben Einzelminiaturen kann man für manche Spiele auch ganze Einheiten als Bausätze erwerben.141 Nach dem Kauf beginnt dann bei unfertigen Modellen zu Hause die eigentliche Arbeit. Das Modell muss entgratet und grundiert werden, an seinem Habitus werden notwendige Veränderungen vorgenommen, um die Miniatur den Kontextbedingungen des Spiels und eigenen Ideen und Vorstellungen anzupassen, etwa eine Veränderung der Arm- und Beinstellung, eine Körperdrehung oder eine korrigierende Modifikation von Waffen und Ausrüstung. Dabei or ientieren sich die Spieler auch an Abbildungen auf den Covers der Spielboxen und in der Literatur.142 Es folgt die Montage auf einer Grundplatte, die ebenfalls in Anlehnung an die gewünschte Geländeform gestaltet wird. Das Modell wird dann fertig koloriert, dabei gilt neben dem korrekten, d.h. den fiktionalen und individuellen charakterlichen Vorgaben entsprechenden Äußeren ein Hauptaugenmerk den kleinen und kleinsten Details: Haar- und Augenfarbe, Schwärzung der Waffen- und Düsenmündungen, Kleidungsdetails, Abnutzung etc. Hierfür scheint kein Aufwand an Material und Technik zu hoch.143 Die Fertigstellung der Miniaturen erfolgt sukzessive, allein die notwendigen Pausen zum Trocken der Farben bremsen den Arbeitsfortschritt. Der Arbeitsaufwand ist auch bei einfachen Miniaturen erheblich und summiert sich, wenn ganze Einheiten zusammengestellt werden sollen. Um die erheblichen Kosten, die mit der Beschaffung und Ausstattung von Miniaturen verbunden sind, zu reduzieren144, und besonders auch um über nicht mehr aufgelegte 145 oder nur selten im Handel befindliche Modelle zu verfügen, fertigen die Jugendlichen Matrizen an, mit deren Hilfe sie die Bleiminiaturen gießen. 134 BACHMAIR 2001, 235: "Kulturinszenierungen" und "persönliche Ereignisarrangements"; 135 SCHICK 1991, 18-19; in den PC-Spielen sind derartige Repräsentationen zur Visualisierung zwingend notwendig; 136 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-15 BC 02 137 z.B. BattleTech. A Game Of Armored Combat. 3 rd revised Edition. Chicago, Ill., FASA Corp., 1994 (ISBN 1-55560-004-2) mit einem Satz von 14, allerdings minderwertigen Mech aus Plastik, die beim ersten Einsatz durch den Vf. von den Insidern mit hochgezogenen Augenbrauen zur Kenntnis genommen wurden. Schon beim nächsten Treffen stellte man ihm eine qualitativ sehr gut gearbeitete Blei-Miniatur eines "Thunderbolt TDR-5S" zur Verfügung, DSA-Miniaturen von FANPRO, APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.11-47-55 138 Am bekanntesten die US-Firma Ral Partha Enterprises, Inc., jetzt: Iron Wind Metal, USA, s.a. "Battletech Paint Kit No. 77-742 AXM-2N Axeman": APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-13; weitere Firmen: Minifigs, GB; Jeux Descartes, F; Queen Games, Troisdorf, BRD (Alleinvertrieb für "Mithril" - Miniaturen aus GB) etc. 139 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.3-28 140 Vgl. die Funktion der Cover-Abbildungen bei Modellbausätzen oder die zur Nachahmung auffordernden und stilbildenden fotografischen Arrangements in Jugendzeitschriften, etwa im Bereich des Product Placement für Mode und Konsumgüter, APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.13-2 141 "Warhammer 40000", s.a. APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.10-1 142 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung BT Battletech Game Set; 143 Etwa die Verwendung von Air Brush -Techniken oder die Anfertigung von Einheitsabzeichen, Beschriftungen und anderer Details unter der Lupe mit Feinpinseln oder als Folienobjekte mit dem PC etc.; 144 "BattleTech"-Miniaturen ab ca. 4 € aufwärts, FRPG-Miniaturen nach Größe ab ca. 4 €, Miniaturensets ab 10 € aufwärts, Farben ab ca. 1,5 €, "Clix"- Sets ab 10 € aufwärts, bis zu 250 € für fertig bemalte Vitrinen- und Sammlermodelle etwa der "Terry-Pratchett"-Reihe; 145 Infolge von Copyright-Querelen zwischen FASA und japanischen Spielzeugfirmen wie BANDAI (Action-Figuren, Manga-Figuren, Animé-Figuren) mussten der US-Hersteller wie die Firmen mit assoziiertem Material eine Anzahl ihrer Modelle vom Markt nehmen; die verbandsinterne Abkoppelung von der offiziellen Zeitschiene und ihre interne Fortentwicklung durch NICE DICE e.V. (als größte "BattleTech"-Spielervereinigung führte dazu, dass der Pool der Mech-Modelle hier stagniert (bei einer ebenfalls genau regulierten Vielzahl individuellen Varianten der Standardtypen). Viele dieser Standardtypen werden aber nicht mehr produziert und sind nur selten und zu Liebhaberpreisen im Handel noch erhältlich. Hinzu kommt, dass Importe von Händlern aus Ländern außerhalb der Euro-Zone, die derartige Materialien vielleicht weiter anbieten, schon wegen der Versandkosten, Zölle und Steuern für die Jugendlichen zu teuer sind und u.a. eine Kreditkarte voraussetzen. Manche Miniaturen wie die der "Terry- Pratchett"-Reihe sind auch nur als fertigbemalte Sammlerstücke zu entsprechenden Preisen erhältlich; 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 233 Die Präsentation der selbst angefertigten Miniaturen ist ein wesentliches Element des öffentlichen Auftretens des Spielers und verweist insbesondere auf die Ernsthaftigkeit seines Engagements. Der Besitz zahlreicher und außergewöhnlicher Miniaturen (Rares bzw. Uniques) trägt in der Außenbeziehung erheblich zum Status des Spielers in Kreis der Spieler und der Szene bei. Aluminiumkoffer, in denen die Miniaturen sorgfältig geschützt aufbewahrt werden, sind äußere Symbole von eigener wie fremder Wertschätzung.146 Ebenso bedeutsam ist das bastlerische Geschick des Spielers, das ihn als Experten ausweist. Miniaturen und ihre Gestaltung werden damit auch oft zum Anlass szeneninterner Interaktion, etwa indem erfahrene Spieler den Anfängern Hilfestellung geben und gemeinsam mit ihnen an den Miniaturen arbeiten – ein Beitrag, der von der Gruppe auch erwartet wird. Weiter gibt es auch formelle Workshops und Wettbewerbe auf den Conventions. Besondere Leistungen finden sich auch im Internet in den spezifischen Foren oder sogar als motivierendes Beispiel auf der Homepage des Produzenten.147 Die Beiträge der einzelnen Spieler stärken natürlich auch die Reputation der gesamten Gruppe, also etwa eines Chapter, das über einen außergewöhnlichen Bestand an Miniaturen verfügt.148 In den Interviews149 wie in der Beobachtung ihres Gebrauchs wird deutlich, welchen Stellenwert die Jugendlichen ihren Miniaturen in den Spielen, aber auch außerhalb des Spiels beimessen. Eine wichtige Funktion haben sie zunächst als Imaginationsimpulse für Tagträume und Fantasien, mit denen den Jugendlichen eine Distanzierung zu Alltagssituationen und die Immersion in fiktionale Kontexte gelingt. Miniaturen gehören damit zu den "liminalen"150 Objekten, welche eine Grenzüberschreitung überhaupt erst ermöglichen, sind aber aufgrund ihrer Praktikabilität auch Objekte des Alltags und seiner Gestaltung bleiben. Während andere Objekte der Jugendlichen den von ihnen beanspruchten und gestalteten Raum auch in heteronomen Kontexten markieren151, erlauben sie die Transition in die kommunalisierte Fiktion als selbst gestaltendes Handeln und damit die Erfahrung von Autonomie. Weiter stehen die Miniaturen symbolisch für Identitätsentwürfe der Jugendlichen, bei denen die – in der Mehrzahl männlichen - Spieler insbesondere ihre Deutungen von Wirklichkeit und wie man sich mit ihr integrative auseinandersetzen kann präsentieren. Mittels der Miniaturen kommunizieren sie mit sich und anderen über diese Entwürfe von Identität ähnlich wie mit ihren Charakteren, die auf den Bögen entwerfen.152 Auch unter motivationalen Gesichtspunkten hat der Umgang mit Miniaturen eine wichtige Funktion. Er bietet in den Spielpausen die Möglichkeit zur zielorientierten intensiven Stillbeschäftigung bzw. konzentrierten interdependenten Partnerarbeit und erfüllt damit eine Reihe von Voraussetzungen für Flow-Erlebnisse. Wichtig ist dabei auch das hohe Distinktionspotential gegenüber dem Alltag und seinen Anforderungen und die Möglichkeit, die Tätigkeit wegen ihrer ausgeprägten Legitimation durch Arbeitsprozess und Arbeitsergebnis erfolgreich im Alltag integrieren zu können. Wie bei der für männliche Jugendlichen dieses Alters ebenfalls typischen Beschäftigung mit Assembling Kits dient diese Tätigkeit der reflexiven Selbstdarstellung von fachlich-handwerklichen (Sorgfalt, Maltechniken), spielerischen (Korrektheit, Detailgenauigkeit, Angemessenheit der Modifikationen) und interaktiven Qualifikationen. Webpages/ Kompendien/ Fanzines/ Prozines Neben den offiziellen durch die Produzenten, Verlage und Lizenznehmer der Spieler initiierten und kontrollierten Medien (Literatur, Publikationen, Materialien, Internetpräsenzen153) belebt die Fantasy- Rollenspiel-Szene die Reihe der von den Spielern selbst produzierten organisierten Publikationen und Präsentationen. Das beginnt mit der persönlichen Homepage eines Spielers, auf der er u.a. sein Hobby thematisiert.154 Schon professioneller wirkt die Organisation und Betreuung einer informellen Webpage zu einem bestimmten Spiel durch einen oder mehrere Enthusiasten155 mit zahlreichen Einrichtungen einer medialen 146 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-11 147 APPENDIZES/ Material-BT/ MechWarriorDarkAge DEUTSCHLAND; (http://www.mwda.de/galerie01/Mechwarrior01.jpg [2004-07-15]); 148 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-4 149 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-02 GS; 150 MURRAY 1999, 99 151 Vgl. hierzu: Totem-Funktion der Abbildungen auf den Schüler-Heften und -Etuis; Markierung von Grenzlinien zur Außenwelt, s.a. APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.3-1-20 152 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg, 18; Interviews/ Interview 1996-11-02 BS 02, 8 153 Vgl. die entsprechenden Webangebote von WotC (http://www.wizards.com/magic/ [2004-08-15]) oder FANPRO (http://www.fanpro.com/etc [2004- 08-15]; http://www.classicbattletech.com/cbt_home.html [2004-08-15]) und anderer Verlage; 154 Bsp.: Tolpans DSA-Homepage (http://www.geocities.com/Area51/Vault/1103/dsa.htm [2000-07-30]; Martins und Stephanies DSA-Links (http://www.chizuranjida.de/dsa/dsa_bm.html [2005-07-15]); 155 Bsp.: Der Bund der Drachenritter (http://www.drachenritter.de/ [2004-07-15]; 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 234 Community wie etwa Foren. Einen ebenso hoch entwickelten Grad der Auseinandersetzung mit den Spielen zeigt die Erstellung eigener Kompendien zur Ergänzung, Adaption, Modifikation und Korrektur offizieller Werke an.156 Zahlreiche Fanzines, die mehr oder weniger regelmäßig erscheinen, dienen der internen Kommunikation von Spielern bzw. Spielergruppen in der Szene.157 Daneben erscheinen – je nach Organisationsgrad der Szene – auch verbandsinterne Publikationen, die von Beiträgen ihrer Mitglieder leben. 158 Und schließlich haben auch die von Verlagen und Herausgebern kommerziell betreuten Prozines einen teilweise hohen Anteil an von Spielern produziertem Material. 159 Viele Fantasy-Rollenspieler engagieren sich neben dem eigentlichen Spielen und seiner Organisation also in einer oft umfangreichen Produktion journalistischer und literarischer Texte bzw. in der ästhetischen Gestaltung von Publikations- und Präsentationsmedien. Nicht zuletzt tragen sie mit dieser Produktion zum spezifischen Erscheinungsbild dieser jugendkulturellen Szene bei. 160 Mit der zunehmenden Verfügbarkeit und den Möglichkeiten, die digitale Medien161 bieten, hat sich insbesondere auch die äußere und ästhetische Qualität der informellen Publikationen und Präsentationen in den letzten Jahren sukzessive professionalisiert.162 Damit reagieren ihre Autoren auf die gestiegenen Erwartungen ihrer Rezipienten, die auch den Eigenproduktionen gegenüber ein sehr kritisches Publikum darstellen, das sich in Leserbriefen und Emails artikuliert.163 Das Raisonement führt allerdings allzu selten auch zu einem weitergehenden Engagement. Die Folgen der bei allem Umfang der Produktion doch geringen Bereitschaft, zu den Publikationen und Präsentationen beizutragen, zeigen sich zum Beispiel in den immer wieder verschobene Erscheinungsdaten oder im schlichten Verschwinden der Medien aus der Szenenöffentlichkeit. Die redaktionelle Arbeit an Publikationen und Präsentationen bleibt allzu oft an den schon durch die sonstigen Tätigkeiten in Anspruch genommenen Führungseliten und einigen wenigen Enthusiasten hängen. Neben den redaktionellen Arbeiten wie der Betreuung des offiziellen Ranking, der Termine, Nachrichten und Informationen, müssen sie auch publizistische wie Textproduktion, Lektorat und Gestaltung des Layout und schließlich auch ökonomische wahrnehmen.164 Immerhin ist das Bedürfnis nach Darstellung doch so groß, dass eine ganze Reihe von Spielern auch schriftstellerisch tätig wird und damit zumindest Inhalte für die Redaktionsarbeit zur Verfügung stellt. Beliebt sind die reflexive fiktionale Verarbeitung der Erlebnisse aus dem Spielgeschehen, die Ausarbeitung der Geschichte des eigenen Team oder Chapter, die Fortentwicklung der eigenen Charaktere und Rollen in vielfältigen Abenteuern, die Skizzierung und Ausgestaltung eines Szenarios, die Weiterentwicklung der Zeitschiene oder einer Spielwelt u.s.f. 165 Typisches ästhetisches Element dieser Fiktionen ist der Versuch mittels eingestreuter 'realistischer' Informationen, Fakten und Daten, deren Authentizität und Verlässlichkeit durch ihre Herkunft von offenbar objektiven Autoritäten und Institutionen weiter gesteigert wird, die Fiktionalität des Textes in eine Virtualität zu verwandeln. Die jugendlichen Autoren greifen dabei auf die von ihnen rezipierten Erzähltechniken und ästhetische Muster der Science-Fiction-, Fantasy- bzw. Mystery-Literatur 166 wie auf narrative Techniken in den PC-Spielen167 zurück. Auch ohne 156 Bsp.: DSA-Club: Die Reisenden (http://www.die-reisenden.de [2004-07-15]); 157 Bsp.: Chapter-Publikationen des "5th Sword of Light/Jinjiro's Revenge"; Haus-Publikation "Neue Atreische Zeitung - Hauszeitung des Hauses Marik"; Inhalte: aktuelles Ranking, Resultate von Chapterfights, Hinweise auf kommende Events, Ausgestaltung der Zeitschiene und der Geschichte des Chapter oder Hauses mit fiktiven Meldungen, Stories etc., APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung BT Fanzine 5th Sword of Light; Bilder/ Bild 1.2-64-65 158 Bsp.: "Warrior's Guide" bislang 33 Ausgaben [2004], hrsg. v. NICE DICE e.V.; mit Informationen, fiktiven Nachrichten aus den Spielwelten und Zeitschienen, Rankings, Regelkorrekturen, FRPG-relevanter Werbung etc., s. APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-58-59; Feldbeobachtung MechWarrior 1999-14-QuantAnalyse; 159 Bsp.: WotC "Dragon Magazine" (http://www.wizards.com/dragon/ [2004-07-15]; APPENDIZES/ Firmen/ Wizard of the Coast Inc. 2002 Dragon Magazine; Bilder/ Bild 1.8-10 160 In anderen jugendkulturellen Szenen sind ähnliche Formen der Textproduktion und –präsentation – besonders im Internet – ebenfalls zu beobachten. Eine aktuelle Übersicht [2004-04-29] über Fanzines verschiedener Szenen und 'Fandoms' hat das Archiv Soziale Bewegungen unter dem Titel "Kultureller und subkultureller Protest" erstellt (http://www.soziologie.uni-freiburg.de/asb/zeitsch/10.html [2004-08-15]; 161 Letzter Qualitätssprung: digitale Fotografie, Miniaturisierung der Speichermedien und technische Crossover wie "Ipod", USB-Stick/ MP3-Player, Fun-Handys; 162 Bsp.: Entwicklung eines Fanzine wie "Warrior's Guide" 1996 bis 2004; 163 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung MechWarrior 1999-14-QualAnalyse; 164 Bei Nice-Dice e.V. ist im Mitgliedsbeitrag der Bezug des Fanzines mitberücksichtigt; allerdings ist die Zahlungsmoral der Mitglieder wenig ausgeprägt, so dass doch permanent eine Finanzkrise droht; einem Antrag der Vereinsleitung, die Beträge per Einzugsverfahren zu erheben, erteilte die Vollversammlung 1998 eine Abfuhr; 165 Bsp.: APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung BT Fanzine 5th Sword of Light; Material-BT/ Nice-Dice 2004 Zeitschienenpapier 3025 ab 01.01.2004; "Warrior's Guide", 25, 2002, 34-36 166 Die Verwendung 'authentischen' Materials wird in den 20er Jahren in hochliterarischen Werken entwickelt, wie etwa in John Dos Passos' Amerika- Trilogie (DOS PASSOS 1979 (1930)) oder – aktuell im Zuge der Aufarbeitung des 1. Weltkrieges wieder entdeckt – Edlef Koppens "Heeresbericht" (KOEPPEN 1979 (1930)), und in der Folge auch von zahlreichen SF-Autoren wie Ballard, Dick und Disch adaptiert. Beispiele aus der Bundesrepublik für die Adaption dieser Technik sind Michael Weisers Science-Fiction-Romane "Syn-Code 7", "Digit" und "Offshore" (WEISSER 1982, 1983, 1987). Wie Reality Soaps und Infotainment-Produktionen etwa im Stile Guido Knoops zeigen, gehört die Einbindung 'realistischen' Materials inzwischen zum Standardrepertoire von 'ernsthafter' Medienunterhaltung; 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 235 derartiges 'dokumentarisches' Material sind die Erzählungen in ihrer Faktizität hoch detailliert z.B. mit ausführlichen technischen Beschreibungen, akribischen Schilderungen militärischer und sozialer Hierarchien, kultureller Interaktionsrituale, Sprachen verschiedener Ethnien, Fachsprachen, Soziolekten usw. Ziel der Autoren ist es offensichtlich, ein Höchstmaß an Authentizität zu vermitteln. In ihrer erzählerischen Qualität sind die Texte allerdings nicht immer gleich überzeugend. Erzähltechnisch überwiegen traditionelle Instrumente: etwa der auktoriale bzw. Ich-Erzähler, ein linearer Handlungsaufbau, 'realistische' Zeit- und Raumstrukturen, ein klassischer Spannungsaufbau etc. Vereinzelt gibt es allerdings auch avantgardistisch orientierte Versuche mit Innerem Monolog, Stream of Consciousness, Formen der Montage etc. Resümee: Kreative Aneignung von Texten als Form individueller Lebensweltgestaltung Objekte als Texte Neben dem Konsum als eine Form der Aneignung wesentlicher Texte aus den meist medienvermittelten Archiven des Angebots stellt deren kreative Adaption und Modifikation an die Bedingungen der Fantasy- Rollenspiele und die Alltagsgestaltung eine weitere wichtige Form der Artikulation der Jugendlichen dar. Hinzu tritt die Kreation von neuen Texten in den Strukturen vorhandenen Materials oder auch die Innovation gänzlich neuer Texte und Textformate durch die Jugendlichen, mit denen sie Lücken und Defizite des kommerziellen und medialen Angebots kompensieren und zugleich dessen Weiterentwicklung initiieren.168 Die von den Jugendlichen konstatierten Defizite betreffen zunächst im engeren Sinne die Spiele und das Spielen selbst. Hier gilt es interaktiv-pragmatisch wie inhaltlich-thematisch eine Viabilität zu sichern oder wiederherzustellen. Da Fantasy-Rollenspiele aber als ein Fokus auf die grundsätzliche Alltagsgestaltung der Jugendlichen verweisen, wird deutlich, dass diese Viabilität auch in den alltäglichen und lebensweltlichen Bezügen des Jugendlichen ein Problem darstellt.169 Ihr Verstehen wie ihre Darstellung dieser Bezüge beruht auf der Verwendung adäquater Texte. Genügen sie diesen Ansprüchen nicht oder fehlen sie gänzlich, müssen sie von den Jugendlichen erzeugt werden. Neben die Formen eines Negotiated oder Oppositional Reading treten damit solche eines expliziten Rewriting, das als kreativer Prozess über eine aktive Rezeption hinausgeht und insbesondere die individuelle wie kollektive Kreation von Texten darstellt.170 Die Jugendlichen eignen sich deshalb nicht allein nur Texte in einem aktiven und selbstbestimmten Prozess von Auswahl, Deutung und Gewichtung an, um die Phänomene ihres Alltags wie sich selbst artikulieren zu können, sie schaffen auch mittels verschiedener Verfahren auf der Basis der Intertextualität neue Texte, um bisher Nichtfassliches zum Ausdruck bringen zu können. Das Fantasy- Rollenspiel bietet dazu wegen seiner Ambivalenz von hermetischen Strukturen und offenen Flächen – wie die Kulminationspunkte anderer Szenen auch – ein ideales Feld, sich und die eigene Weltsicht mittels konkreter Objekte zunächst innerhalb eines begrenzten Raumes artikulieren zu können. Bedeutung von Objekten im Rahmen der Identitätskonstruktion Erobern sich die Jugendlichen zunächst die Territorien, die sie zum Spielen benötigen, widmen sie sich anschließend der Ausgestaltung dieser Räume zu einem ihnen konvenierenden Ambiente. Dabei verwenden sie weitgehend das ihnen auf der Angebotsseite zur Verfügung stehende Material und adaptieren es überraschend selbständig für ihre eigenen Entwürfe. Mit der Produktion von eigenen Texten als Objekte und Materialien verweisen die Jugendlichen weiter auf eine individuelle Gestaltung ihres Alltags und ihrer Lebenswelt, denn diese repräsentieren ihre Intentionen, in ihnen manifestieren sich ihre Kompetenzen und formen ihre Identität entscheidend mit. Sie spiegeln die Persönlichkeit des Jugendlichen, der mit ihnen agiert, bilden eine von ihm wie von anderen beobachtbare Oberfläche. Angesichts der von den Jugendlichen quantitativ wie qualitativ als hoch komplex empfundenen Umwelt und ihres Wissens um die Begrenztheit ihrer psychisch-physischen Ressourcen und Kompetenzen führt die Aneignung, mehr aber noch die Modifikation und Innovation von konkreten Texten zu einer stabilisierenden Fokussierung und Selektion in der Interaktion mit 167 Bsp.: Screenshots "MW II Archive Hologramm"; "MW II Archive Hologramm – Society" aus: Activison Publishing Inc. (Hg.): Mechwarrior II, 1995-05-30 (DOS/ WIN), 1997-02-28 (Playstation), APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-66-67; Material-BT/ Activision Mechwarrior 2 168 Zur Interdependenz von Angebot und Nachfrage auf dem Erlebnismarkt s. SCHULZE 1996, 443-451 169 SCHÜTZ nach MAROTSKI 2004 170 Roland BARTHES' Interpretation von Rezeption als aktive individuelle Rekonstruktionshandlung (BARTHES 1977, 148) muss unter den Bedingungen einer mediatisierten Gesellschaft zu einem Modell interaktiver Konstitution fortgeführt werden, CHANDLER 2003, 197-198 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 236 Umweltphänomenen. Objekte ermöglichen die notwendige Konsistenz und reflexive Selbstorganisation bei der Verfolgung der den handlungsleitenden Themen entspringenden Intentionen. 171 "In der Außenwelt-Ordnung gibt es Millionen von Items, die meinen Sinnen zur Verfügung stehen, die aber nie eigentlich in meine Erfahrung Eingang finden. Warum? Weil sie für mich ohne Bedeutung sind. Meine Erfahrung besteht aus Sachverhalten, denen ich bewusst Aufmerksamkeit zuweise. Nur die von mir wahrgenommenen Dinge formen meinen Geist - und ohne selektive Aufmerksamkeit wird Erfahrung zu einem ausgesprochenen Chaos." 172 Objekte und Materialien der Jugendlichen repräsentieren demnach als partielle Realisationen individueller Intentionen die Person, die mit ihnen in den reflexiven Prozessen der Aneignung wie Entäußerung als Kultivation ("Kultivation als komplementäre Objektivierungen der Person und Subjektivierungen der Welt"173) und Sozialisation Aspekte ihrer Persönlichkeit vermittelt und erfährt.174 Gerade sensitiv erfassbare und damit evidente Texte wie die von den Jugendlichen geschaffenen Objekte und Materialien ermöglichen als Emanationen des Individuums eine Vergewisserung des Selbst angesichts der wahrnehmbar unaufhaltsamen Veränderung des Individuums und der sich dynamisch entfaltenden Welt. "[...] die Weltdinge [haben] die Aufgabe, menschliches Leben zu stabilisieren, und ihre 'Objektivität' liegt darin, dass sie der reißenden Veränderungen des natürlichen Lebens [...] eine menschliche Selbigkeit darbieten, eine Identität, die sich daraus herleitet, dass der gleiche Stuhl und der gleiche Tisch den jeden Tag veränderten Menschen mit gleichbleibender Vertrautheit entgegenstehen. Mit anderen Worten, das, was der Subjektivität des Menschen entgegensteht, und woran sie sich misst, ist die Objektivität, die Gegenständlichkeit der von ihm selbst hergestellten Welt [Hervorhebung: RR], und nicht die erhabene Gleichgültigkeit einer von Menschenhand unberührten Natur. [...] Ohne eine solche Welt zwischen Mensch und Natur gäbe es ewige Bewegtheit, aber weder Gegenständlichkeit noch Objektivität." 175 Unter den Bedingungen einer reflexiven Moderne verfügen die Jugendlichen der Fantasy-Rollenspiel-Szene nicht nur über die Möglichkeit, Bedeutungen zuzuweisen und Identität entwickeln zu können, sondern sind gezwungen im Sinne einer Sozialisation in eigener Regie durch die Kultivation ihres intentionalen Handelns eine Persönlichkeit - und damit auch ein Selbstkonzept – zu entwickeln. 176 In den Objekten und Materialien der Jugendlichen bilden sich diese Verweisungszusammenhänge ab, in ihnen manifestieren und verdichten sich zeichenhaft individuelle Gewohnheiten wie soziale Lebensstile. Produktion von Objekten Aus den oben beschriebenen Nutzungsformen lassen sich unschwer die für ein Flow-Erleben und eine Flow- Erfahrung essentiellen Faktoren erkennen: Objekte und Materialien stellen klare und eindeutige Aufgabenstellungen dar, die von den Jugendlichen in ihrer Komplexität und Schwierigkeit unschwer an die vorhandenen Kompetenzen so angepasst werden können, dass einerseits der Herausforderungscharakter erhalten bleibt, andererseits ein Erfolg absehbar ist. Zudem geben die Resultate ein sensitiv fassbares und konkretes Feedback. Die Serialität bzw. Periodizität der Objekte und Materialien erlauben weiter eine fortgesetzte und sich steigernde Auseinandersetzung mit den ihnen immanenten Anforderungen, die zur Stetigkeit des Erlebens beiträgt. Die Gestaltungsprozesse sind weitgehend vom Jugendlichen selbst zu organisieren und zu kontrollieren, so dass wesentliche Erfahrungen wie Autonomie und Authentizität gemacht werden. Flow als Resultat reflexiver Selbstbeobachtung integriert auch die gesellschaftliche Wirkung der sich in den Objekten und Materialien manifestierenden Kultivation. Sie werden zu Präsentationen von fachlich-handwerklichen (Sorgfalt, Maltechniken) und spielerischen (Korrektheit, Detailgenauigkeit, Angemessenheit der Modifikationen) Kompetenzen des einzelnen Jugendlichen und vermitteln in der sozialen Interaktion der Jugendlichen als intensive Beschäftigungen neben einem hohen Distinktionspotential zugleich auch eine hohe 171 CSIKSZENTMIHALYI/ ROCHBERG-HALTON 1989, 21 172 JAMES 1950, 1, 402 173 CSIKSZENTMIHALYI/ ROCHBERG-HALTON 1989, 9 174 CSIKSZENTMIHALYI/ ROCHBERG-HALTON 1989, 7-8 175 ARENDT 1981, 125: 176 CSIKSZENTMIHALYI/ ROCHBERG-HALTON 1989, 28 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 237 Legitimation durch Arbeitsprozess und Arbeitsergebnis. Neben die motivationalen treten damit die Identität fördernden und stabilisierenden Effekte.177 Objekte als liminale Instrumente Objekte repräsentieren die Erfolge bisheriger kollektiver Fiktion und dienen einer unterstützenden Konstruktion von Raum, Zeit und sozialer Interaktion. Ihre Funktion besteht in erster Linie darin, die Partizipation an der kollektiven Fiktion der Spiele latent zu sichern und einen erneuten Zugang vorzubereiten bzw. zu ermöglichen. Die Fähigkeit der Jugendlichen, Wirklichkeit vorübergehend wie konsequent ausblenden zu können wie andererseits die Partizipation an der kollektiven Fiktion temporär zu verlassen ("spielerische Off- und Online- Wechsel"), basiert letztlich auf den liminalen Potenzen der Objekte, mit denen der Zugang gesteuert wird. "Rahmungskompetenz " heißt gerade nicht, zur Wirklichkeit zurückzukehren und Fiktion von ihr unterscheiden zu können178, sondern steht für die Fähigkeit, Wirklichkeit neben der Fiktion und ihrer immersiven Wirkung auch noch in einem Grade wahrnehmen zu können, dass eine angemessene Reaktion auf Anforderungen meist heteronomen Ursprungs möglich ist. "In den Kontext der Optimierung von Lernstrategien und Medienwissen gehört auch der spielerische Umgang mit der Differenz zwischen Medialität und Realität. [...] Sie sind vielmehr kompetente Pendler und Grenzgänger zwischen primären (physischen) und sekundären (medialen, visuellen) Räumen. [...] was sie jenseits aller stilistischen Besonderheiten eint, ist der spielerische Umgang mit dem Unterschied zwischen Phantasie- und Alltagswelt. Die entsprechende Differenzwahrnehmung ist nachgerade konstitutiv für ihren Medienhabitus und wird auch sehr gezielt eingesetzt, um Inszenierungsstrategien und Ich-Entwürfe auszutesten."179 Sieht man einmal von existentiellen Zwängen ab180, geht es bei der Rückkehr in die Wirklichkeit letztlich darum, möglichen Störungen der kollektiven Fiktionalisierung präventiv zu begegnen, um möglichst rasch wieder dort eintauchen zu können. Objekte stehen dabei für das 'Hintergrundrauschen' der Fiktion im Alltag der Jugendlichen. Zugleich bilden Objekte aber vielfach auch die bisherigen Leistungen ab und sind Aggregationen des gestaltenden Handelns der Jugendlichen. In ihnen findet er in nuce jene Imaginationen wieder, die sich mit dem Objekt dauerhaft verknüpft haben. Objekte dienen deshalb nicht nur einer Selbstvergewisserung des Individuums in seiner Biographie, deren Stationen sie manifest werden lassen, sondern sie speichern und archivieren auch große Teile der Fiktion in komprimierter Form und erlauben damit die Wiederaufnahme wie die Entwicklung weiterer Seitenlinien zum Plot der generellen Time- und Storyline. 5.3 Die Jugendlichen gestalten Beziehungen: Interaktions- und Sozialformen Situation In ihrem Alltag treffen die Jugendlichen auf eine Reihe weitgehend heteronom bestimmter Sozialformen, in deren Rahmen sie überdies explizit geforderten Interaktionshandlungen nachkommen sollen. Der Umfang und die Intensität, mit der die Lebenswelt Schule etwa das Interaktionsverhalten der Jugendlichen zu beeinflussen sucht, ist Gegenstand einer permanenten pädagogischen Diskussion (unter den Lehrern und Eltern). Sie konkretisiert sich in den einschlägigen Bestimmungen von Dokumenten wie Schul- und Hausordnung, in der Unterrichtsgestaltung, der Gestaltung der Klassenräume etc. und fließt sogar in die archetektonischen Überlegungen zur Planung sog. Interaktionszonen ein. Aber auch in vielen anderen Bereichen finden sich ähnliche Erwartungen und Anforderungen der Erwachsenen, zu Hause und bei den Freunden mag das eigene Zimmer immerhin etwas Schutz bieten, in der Öffentlichkeit die Ignoranz, letztlich aber sind die Verhaltenserwartungen latent wie ubiquitär vorhanden. Angesichts dieser Regelungsdichte nimmt es nicht Wunder, dass die den Jugendlichen angebotenen wie von ihnen eroberten Freiräume deshalb umso intensiver für selbst gestaltete Interaktionen und für den Aufbau selbstbestimmter sozialer Organisationsformen genutzt werden. Dies gilt umso mehr für die Bereiche, die außerhalb der Phantasie von Erwachsenen liegen und in denen die Möglichkeiten, den Alltag zu gestalten, wesentlich umfassender und intensiver nutzbar sind. Dabei 177 Konzept der autotelischen Persönlichkeit, CSIKSZENTMIHALYI 1997, 117-130 178 FRITZ 1997c 179 VOGELGESANG 2000, 154-155 180 Gleichwohl tragen japanische Otaku Inkontinenzwindeln, BARRAL 1999 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 238 leisten die Fantasy-Rollenspiele für einen Teil der Jugendlichen einen wesentlichen Beitrag zur individuellen Gestaltung ihres Alltags, die sich insbesondere in vielfältiger sozialer Interaktion manifestiert.181 Im Wesentlichen sind dies zunächst die vielen informellen und formellen Peer Groups, die sich um bestimmte Spiele mit einem relativ festen Kern an Mitgliedern bilden. Soziale Formierungen wie Peer Groups sind zwar typische Erscheinungsformen der sozialen Mikro-Organisation jugendkultureller Szenen in der Pubertät und Adoleszenz182, sie werden aber interessanterweise auch von der Struktur der Spiele her notwendig angelegt. Dabei spiegeln die Fantasy-Rollenspiele die integrativen und egalitären Strukturen und Funktionen jugendlicher Peer Groups in ihren Adventure Teams ebenso wieder wie deren distinktiven und hierarchischen in den Master und dem üblichen Ranking der Mitglieder. Die sich so formierenden Spielergruppen sind über lange Zeiträume – auch in der Perspektive der Jugendlichen - existent und stabil. Zwar kommt es durchaus in und um die Spielgruppen zu einer Fluktuation der Mitglieder, z.B. zum Beitritt oder Rückzug aufgrund persönlich bedingter Sympathien bzw. Antipathien, zum Wechsel in versiertere Gruppen bei wachsender Kompetenz, Fachkenntnis und Spezialisierung, eine permanente Rekrutierung neuer Mitglieder aus dem Kreis interessierter Jugendlicher hält aber die Größe der Gruppen in etwa konstant.183 Mit zunehmenden Alter der Spieler nimmt auch die Lebensdauer der Spielergruppen zu. Die Zirkel um die diversen Trading Card-Spiele der 10-12jährigen sind relativ schnelllebig und im hohen Maße auch abhängig davon, was gerade als Trend sich auf dem Markt neu etabliert. Komplexere Spiele wie "Magic" allerdings können zu einer Passion werden und den Spieler immer noch faszinieren, auch wenn er schon zu genuinen Rollenspielen gewechselt hat.184 Typisch ist, dass sich die Spielergruppen nicht allein um ein Spiel, sondern auch um eine Persönlichkeit oder einen Nukleus an Spielern bildet, die entweder als Initiatoren oder wegen ihres Kenntnisvorsprungs eine gewisse Autorität genießen und diese in der Regel ausbauen können. Wechseln nun diese Spieler zu komplexeren Spielen, folgen ihnen im allgemeinen die bisherigen Mitglieder zunächst ebenfalls. Eine zusätzliche Rekrutierung neuer Spieler kompensiert dabei auftretende Verluste. Auf diese Weise halten sich manche dieser so strukturierten Fantasy-Rollenspiel-Gruppen bei relativ geringer Fluktuation bis weit in die Studienzeit, insbesondere dann, wenn ein engagierter Meister diese Kontinuität begründet. Die Gruppen zeigen sich beim Prozess der Rekrutierung, der über das Ansprechen von möglichen Kandidaten durch Gruppenmitglieder, manchmal aber auch über die Organisation eines Event verläuft, als relativ offen. Letztlich liegt die Entscheidung zur Partizipation bei dem Interessierten und weniger bei der Gruppe selbst. Die Spielergruppen erweisen ebenfalls sehr anpassungsfähig an sich ändernde Kontexte und kompensieren gerade auch Störungen, die in der Gruppe entstehen. Allein schon die individuelle physisch-psychische Entwicklung der jugendlichen Spieler verändert fortgesetzt die Interaktion der Gruppe. Interne Friktionen ergeben sich z.B. auch aus dem Autoritätsanspruch des Master oder anderer Experten und den Identitätskonzepten einzelner Spieler. Hinzu kommen Kontextfaktoren wie Schule und Eltern, die z.B. massiv die Organisation der Freizeit in einer für die Spiele negativen Weise beeinflussen können. 185 Ritualisierte Interaktion Die Stabilität der sozialen Beziehungen in der Spielergruppen beruht u.a. auf einer Reihe sich aus der Praxis ergebender und durch Tradierung standardisierter Interaktionshandlungen während des eigentlichen Spielens wie in seinem Umfeld. Diese Interaktionshandlungen zielen grundsätzlich auf eine Integration der Akteure und stellen sich dar als Formen egalitären Handelns zur Deeskalation in Konflikt- und Entscheidungssituationen, als 181 Der Anteil engagierter bis obsessiver Fantasy-Rollenspieler kann nur geschätzt werden und könnte bei etwa 10% der Jugendlichen dieses Jungen- Gymnasiums liegen; weitere 10-20 % kennen zumindest die Spiele in den Grundzügen; hinzuzurechnen wären wegen thematischer und sonstiger Affinitäten auch die Jugendlichen, die sich mit PC-Spielen, MUDs und OBG-Spielen beschäftigen, wobei es hier natürlich auch eine Reihe von Überschneidungen anzunehmen sind. Trotzdem dürfte wenigstens die Hälfte der Jugendlichen von dem Phänomen Fantasy -Rollenspiele auf irgendeine Weise berührt sein. 182 OERTER 1987; SCHRÖDER/ LEONHARDT 1998; BAACKE 1999; HURRELMANN 1999; AUFENANGER 2004 183 Gruppengröße in Abhängigkeit zu Intention und Ziel vor dem Hintergrund des spezifischen FRPG: 2-8 "Magic"-Cliquen; 4-8 DSA-Cliquen, 4-15 BT - Cliquen; 184 Die Beliebtheit der Spiele gerade bei nachpubertären (männlichen) Jugendlichen könnte auf eine im Vergleich zu anderen sozialen Kontexten ausgedehntere Adoleszenzphase hinweisen, s.a. COMPUTERBILD-SPIELE 2002; mögliche Ursachen wären zu suchen in Kontextfaktoren wie einer sich spezifisch entwickelnden Geschlechterrolle von Jungen in der Schulform Gymnasium (mit der reformierten Oberstufe) und im Proprium einer Schule als non-koedukative Einrichtung mit Privatschulklientel, s.a. Studie FH Koblenz; 185 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1997-06-21 RES; 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 239 Empathie und Ambiguitätstoleranz in der direkten Interaktion, als Frustrationstoleranz und Ich-Distanz in der Aufarbeitung von gescheiterten Interaktionsversuchen. Einher gehen damit Handlungen, die auf Distinktion zielen wie der Aufbau und teilweise rigide Durchsetzung von Hierarchien, die in den vielfältigen Formen der Selbstdarstellung und Selbstinszenierung, der Ausgrenzung und instrumentellen Intoleranz zum Ausdruck kommende Distanzierung und Egozentrik. Rebellischer Konventionalismus Unkonventionelles Verhalten zählt in einem gewissen Umfang zu einem integrationsfördernden Element unter den Jugendlichen. Ostentativ versichert man sich gegenseitig seine Gemeinsamkeit in der Ablehnung 'bürgerlicher' Verhaltensweisen und sogenannter Sekundärtugenden wie Disziplin, Konzentration, Zielgerichtetheit usw., indem man die dafür in der Welt der Erwachsenen reservierten Symbole zurückweist, uminterpretiert oder durch neue ersetzt. Mehr noch als die spürbare Ablehnung und Infragestellung eigenen Verhaltens verunsichert Erwachsene die Ambiguität und fehlende Stringenz dieses Prozesses, etwa bei den Grußformen und –ritualen der Jugendszene, wo der Händedruck, der dem Erwachsenen verweigert wird, in einer spezifischen Variante notwendiger Bestandteil der Begrüßung wird, bei Ambivalenzen im äußeren Erscheinungsbild wie der Kleidung, wo teures Design zum Ausdruck emanzipativen Befindens wird, oder bei der Gestaltung jugendlicher Environment, wo demonstrative Unordnung in der Bude konterkariert wird durch eine penibel geführte CD-Sammlung.186 Dieser Vorgang der ambiguitären Re-Interpretation betrifft auch zahlreiche von mit dem Spiel verbundene Interaktionsformen, die unter dem Aspekt von Erfolg und Effizienz gerade jener sekundären Tugenden bedürfen, die man als 'bürgerliche' außerhalb des Kontextes von Fantasy- Rollenspielen ablehnt. Während man also die Unordnung auf den Schreibtisch und im eigenen Zimmer dem als sinnentleert empfundenen Ordnungs-Fetischismus der Erwachsenen entgegensetzt und in diesem Chaos eine spezifische und der eigenen Individualität entsprechende symbolische Darstellungsform sieht, legit imiert man die von den Fantasy-Rollenspielern geforderte und von ihnen praktizierte Akkuratesse bei der Beachtung von Regeln und Fakten als notwendigen Aufwand, um die immersive Wirkung der Detaillierung und die Authentizität der zu gestaltenden Virtualität sicherzustellen. Ordnung muss in der Eigenwahrnehmung der Jugendlichen wie andere Schlüsselbegriffe der Erwachsenenwelt auch sich durch ihre Funktionalität begründen.187 Zwar erweist sich in der Konkretisierung dieses Ordnen als die Schematisierung fiktionalen Agierens in vielfältigen Formen der Protokollierung (Sheets, Ranking) und ist nur bedingt für den Außenstehenden als Gegenentwurf zu deren bürgerlichen Formen erkennbar, für den Jugendlichen aber gestaltet er hier einen bedeutsamen Wirklichkeitsbereich als finiter Sinnbereich mittels gleichermaßen evidenter wie effizienter Bewältigungsprozeduren. Ebenfalls widersprüchlich wirkt der Nonkonformismus der Jugendlichen in Bezug auf die Spiele selbst und die mit ihnen verbundenen Gestaltungsbemühungen von Autoren und Produzenten wie Spielern. Hier lassen die Jugendlichen kaum eine Veränderung zu, sondern insistieren auf die Fortführung von Traditionen. Sie scheinen eine grundsätzliche Auflösung der Ordnung, die in den Spielen angelegt ist und die sie sich im Spiel aneignen, zu fürchten. Sie befürworten deshalb redundante Formen der Modifikation und Variation, die sich auch auf die Interaktionsformen des Spiels beziehen mit seinen permanent sich wiederholenden Handlungsroutinen. Dieser Stringenz in dem durch das Spiel geregelte Handeln stehen dann aber auch wieder überraschende Interaktionsabbrüche und –wiederaufnahmen im Umfeld der Spiele gegenüber, das hohe Ansprüche an die Toleranz der Interakteure und Mitspieler stellt. Es dient neben der Durchsetzung von Intentionen und Interessen auch der Distinktion und Behauptung in der Gruppe und richtet sich als Vergewisserungsritual von Autonomie innerhalb der Gruppe gegen eine allzu ausgeprägte Paternalisierung durch andere Spieler.188 Gerade von daher erschließt es sich für die betroffenen jugendlichen Akteure als sinnvoll. Teilen und gemeinsamer Konsum 186 Distinktionstypus Nonkonformismus, s. SCHULZE 1996, 156 187 Kriterium der Viablität, s. MAROTSKI 2004 188 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtungen/ Video DSA Mainz, 110-113, 118-119 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 240 Eine weitere Form der standardisierten Interaktion unter den Jugendlichen ist das Teilen von Gebrauchs- und Konsumgütern. Der gemeinsame Konsum zielt auf gegenseitige Versicherung von Partizipation und symbolisiert auf affektiver Ebene den Interaktionsprozess in der Gruppe. Eine dieser vielen kleinen, die Beziehungen stabilisierenden Handlungen ist zum Beispiel das Weiterreichen und Teilen der Earphones eines Walkman, CD- oder MP3-Players. Erwartet wird dabei vom Gegenüber in der Regel eine die eigene Kompetenz - hier bei Auswahl von Musik - bestätigende Kommentierung und ein Re- Enforcement ("Cool!"). Daran lassen sich unschwer weitere Interaktionssequenzen anschließen, welche Lifestyle-Elemente der Jugendlichen thematisieren. Ähnliche Prozesse laufen ab, wenn die Jugendlichen in der mitgebrachten CD-Sammlung der Mitspieler oder in den Musikbeständen eines Zimmers oder auf einem Rechner stöbern. In diesem Zusammenhang gewinnt auch das gegenseitige Kopieren der Medienbestände der anderen eine symbolische Funktion, die einerseits Anerkennung und Respekt erkennen lässt, also distinktive Erwartungen befriedigt, andererseits im Tausch auch zur Reintegration des anderen beiträgt und in ihn etwa der Gruppe der Peers verortet.189 Für die Interaktion der Jugendlichen besonders von Bedeutung ist auch der gemeinsame Konsum von Lebens-, Genussmitteln und Drogen. Lebensmittel Ähnlich den Vergesellschaftungsformen der Erwachsenen lieben es die Jugendlichen, im abgeschlossenen Kreis unter sich und miteinander zu essen und zu trinken. Die Jugendlichen bringen dazu ein Angebot an Nahrungsmitteln mit zu den Spielen, das in etwa dem in den von ihnen präferierten Werbespots propagierten entspricht. Es handelt sich dabei um nichtalkoholische Getränke wie Mineralwässer, Softdrinks und Fruchtsaftgetränke, alkoholische wie Alcopops und Bier und Party- und Szenengetränke wie "Red Bull" etc. Dazu gibt es als Chips und Snacks als Kartoffel-, Getreide und Maisprodukte unterschiedlichster Provenienz zuzüglich diverser Dips und Saucen. Ein weiteres wichtiges Segment sind natürlich Süßigkeiten jeder Art und in vielfältiger Form.190 Etwas ausgefallener sind schon Milchprodukte wie Joghurts, Desserts etc.191 Die Darreichungsform der mitgebrachten Lebensmittel unterstützt schon vom Produktdesign her ein Teilen in der Gruppe, wie ja auch die Mehrzahl der entsprechenden Werbespots, wenn sie Jugendliche beim Verzehr der Produkte zeigen, von einem Teilen untereinander ausgehen und diesen Vorgang stilbildend darstellen. Wie sehr entsprechende Werbespots wirken, obwohl die Jugendlichen angeben, ihre intellektuelle Bescheidenheit und ihre Manipulationsabsicht durchschaut zu haben, wir deutlich, wenn die Interaktionsformen der von ihnen in diesem Zusammenhang genannten Produkte wie "Pringles", "Ferrero-Küßchen", "KitKat" nicht nur ironisch imitiert werden, sondern unbewusst reproduziert werden. Wenn die Jugendlichen also ähnlich wie in der "Pringles"-Werbung auf den Verpackungszylindern trommeln ("Einmal gepoppt..."192) oder das Brechen des "Kit-Kat"-Riegels vornehmen. 193 In der Regel werden deshalb die mitgebrachten Leckereien für alle zugänglich aufgebaut, ihre Menge dient u.a. der Selbstdarstellung des Spenders. In dieselbe Richtung wirkt ein Angebot bislang nicht zur Verfügung gestellter oder auch besonders begehrter Nahrungsmittel. Mit manchen Jugendlichen verbinden sich auch durch Redundanz geprägte – in der Regel positive – Erwartungen, mit was der Einzelne zum Gelingen des Treffens beitragen wird.194 Mit der Aufforderung zum gemeinsamen Konsum kann der einzelne Spieler auch in der Gruppe und beim Spieltreffen Impulse setzen und die Gruppeninteraktion akzentuieren. Situationen, in denen man derartig reagiert, sind z.B. entstehende Konflikte unter den Mitspielern, Belohnung und Affirmation von Verhalten der Mitspieler, Kommunalisierung eigener Erfolge und Schwächen, Abwendung drohender Langeweile usw.195 189 SCHMUNDT 2004 190 Nach der "Bravo"-Studie präferieren die Jugendlichen Süßigkeiten weit vor Alkohol und Zigaretten, RESEARCH & MEDIA MARKETING (Hg.) 2002, 11 191 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.5-14; 1.5-20 192 Die sexuellen Konnotationen des Begriffs verweisen auf die libidinöse Grundstruktur von Nahrungsaufnahme und gemeinsamem Nahrungsverzehr, s. ZÖLLNER 2004 193 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video DSA Mainz, 64-74; Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 56; im Rahmen des "Join Multimedia"-Wettbewerbs hat sich eine Arbeitsgemeinschaft, der eine Reihe von Fantasy-Rollenspielern angehörten, mit der Analyse des "Kit -Kat"-Werbespots beschäftigt, APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 1999-10-22 Siemens Join Multimedia AG; 194 Zur Problematik jugendlicher Ernährungsgewohnheiten vgl. CURRIE/ ROBERTS/ MORGAN u.a. (Hg.) 2004, 110-129 195 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video DSA Mainz; 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 241 Derartige Handlungen gewinnen natürlich besondere emotionale Bedeutung in den Augen der Interaktionspartner und der Gruppe, wenn etwa dem Morgen zu die Vorräte besonders an den Getränken und Zigaretten knapp zu werden beginnen und man auf die Ressourcen anderer angewiesen ist.196 Von der Gruppe her ist zwar vollkommener Altruismus eine gern in Anspruch genommene Eigenschaft, aber es trägt nicht unbedingt zum Status in der Gruppe bei, wenn die Selbstlosigkeit ohne weitere Intentionen praktiziert wird. Der Betreffende gerät schnell in den Geruch des 'nützlichen Idioten'.197 In der Praxis verbindet man also diesen Altruismus zumindest verbal mit Gegenforderungen und Gegenleistungen ("tit for tat"), um den Status in der Gruppe zu bewahren. Man bietet damit auch dem Gegenüber die Chance der Profilierung in den nun notwendigen Negotiations, und erwartet nun von ihm eine möglichst geistreiche, schlagfertige oder witzige Argumentation und Interaktion bei der Gestaltung der Bitte.198 Bei größeren Treffen ohne die Intimität der Kleingruppe verbleiben die Nahrungsmittel im optischen und haptischen Verfügungsbereich des Spenders, der so immer neu und ad-hoc entscheidet, mit wem er den Genuss teilt. Allerdings erwartet man auch hier von ihm, dass er auf eine angemessene Bitte hin andere partizipieren lässt. Andererseits zeigt man aber auch Verständnis, wenn der Spender angesichts knapper Ressourcen nach vorausgegangener Verteilung das Angebot verringert zurückzieht oder auf aufdringliche und ausnutzende Bittsteller abweisend reagiert. 199 Da das Mitgebrachte an Lebensmitteln und Getränken auch schon bei kürzeren Treffen oft nicht ausreicht, wird es durch die gemeinsame Bestellung oder den organisierten Kauf von Fast Food wie von Pizzen, Hamburgern oder Pommes Frites ergänzt. Welche Bedeutung die Communio in der Wahrnehmung der Jugendlichen für die Stabilisierung der Gruppenidentität hat, sieht man daran, dass sie einem Mitspieler, der - aus welchen Gründen auch immer, also auch, wenn er nun wirklich nichts will - nichts bestellt, entweder eine Mahlzeit auslegen oder ihn solange zum Zulangen auffordern, bis er mehr oder minder gezwungen sich an der Mahlzeit beteiligt. Die Gruppe erwartet dann als Dank für ihre Mühe zumindest eine Anerkennung, etwa für den Organisator oder über die Qualität des Essens, oder ein indirektes Einräumen der Sinnlosigkeit des vorausgegangenen Widerstandes.200 Diese mit Essen und Trinken verbundenen Rituale wiederholen sich angesichts der Länge der Spieltreffen in regelmäßigen Zeitabständen. 201 Der Aufwand an Nahrungsmitteln und ihre Menge gelten häufig auch als Kriterium für die Qualität des Treffens und werden auf den folgenden Zusammenkünften zusammen mit den Anekdoten, die sich auch um das Essen und Trinken ranken, immer wieder kolportiert. Die Jugendlichen beobachten die Ess- und Trinkgewohnheiten der anderen auch als Ausdruck von Individua lität und werten oder benutzen sie in ihrer Interaktion distinktiv, wie Bezeichnungen wie "Brötchen", "Chip", "Ditsch" (i.e. Name einer bekannten Bäckereikette) oder Nomes de Guerre wie "Biervernichter" anzeigen. 202 In ähnlicher Weise achtet man auch sehr genau auf Gestus und Habitus, mit der in den Medien besonders beworbene Produkte zitierend genutzt werden, etwa das Aufreißen einer Cola -Dose, das Brechen eines Schoko- Riegels, das Ansetzen einer Getränkeflasche etc. Auch diese Informationen fließen in die gegenseitige Bewertung und Verortung in der Gruppe mit ein. Obwohl die Jugendlichen ihre Imitation in der Außendarstellung parodistisch verstanden haben wollen, zeigt die Redundanz dieses Verhalten die Bedeutung, die ihm beigemessen wird. Tabak 196 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 45-46 197 WEBER 2000 198 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 47-48 199 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg; 200 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video DSA Mainz, 78-80 201 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD; 202 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 51 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 242 Die Zigarette als wesentliches Symbol erfolgreicher Initiation (männlicher und zunehmend auch weiblicher) Jugendlicher fehlt auch beim Fantasy-Rollenspiel nicht.203 Auch um die Zigarette reiht sich eine Anzahl von Interaktionsritualen, die allerdings nicht in spezifischer Beziehung zu dem Fantasy-Rollenspiel stehen, sondern allgemein in Alltag und Lebenswelt der Jugendlichen gefunden werden können. Sie ähneln auch in vielem den Ritualen bei den Nahrungsmitteln, vielleicht mit dem Unterschied, dass Zigaretten eine sehr knappe Ware unter den Jugendlichen sind und damit einen erheblich höheren Stellenwert als etwa Nahrungsmittel haben, dass sie weiter sehr eng mit der Initiation der Jugendlichen innerhalb der Peer Group und jugendkulturellen Szenen verknüpft sind und ihnen und dem Umgang mit ihnen damit eine hohe Bedeutung zukommt204, dass sie schließlich wie kaum ein Produkt erfolgreich beworben werden und mit den hierbei vermittelten Verhaltensweisen in erheblichen Maße die Interaktion und die Selbstdarstellung wie die Gestaltung der Lebenswelt der Jugendlichen prägen. Als wichtig hat sich die Teilhabe an Zigaretten in folgenden Spielsituationen herausgestellt. Das gemeinsame Rauchen nach erfolgreichem Abschluss eines Planungsgespräch mit einer für alle Beteiligten annehmbaren Entscheidung symbolisiert die gegenseitige Verpflichtung zur Einhaltung der getroffenen Vereinbarungen, z.B. beim Aushandeln der Spielbedingungen der Wettkampfbedingungen für Chapterfights.205 Wie überhaupt im Alltag ist das Rauchen auch ein Mittel, der Nervosität bei problematischen Spielzügen und einem kritischen Spielverlauf Herr zu werden. Die immersive Eigenschaft der Fantasy-Rollenspiele, mit der diese Spannung dauerhaft aufrecht erhalten wird, führt zu expliziten Strain- und bei einem Ungleichgewicht von Anforderungen und Kompetenzen auch zu Stress-Situationen, die manchen Spieler im Sinne einer suggestiven Beruhigung zur Zigarette greifen lassen.206 Eine weitere typische Spielsituation, wo man zur Zigarette greift, ist, wenn ein Spieler, der anderen eine bestimmte Entwicklung aufzwingen will und ihnen etwa eine Falle stellt. Nach außen dokumentiert dabei die Zigarette den Gestus eines gelangweilten Interesses und camoufliert die Anspannung des Spielers, der auf den Erfolg seiner Pläne wartet. 207 Es gehört zum guten Ton der Spiele, die eigenen Erfolge bescheiden und distanziert zu betrachten und die Misserfolge der anderen empathisch zu begleiten. Insbesondere das direkte Verhältnis von Sieger und Besiegtem in einem Show Down verlangt zur Deeskalation und Stabilisierung der ja weiterlaufenden Interaktionen im Spiel und der Gruppe eine Kompensationshandlung des Überlegenen. Das Angebot der Zigarette an den Verlierer unterstützt dabei die verbale Exkulpation des 'Versagens' durch die Kommentare des Sieger und der anderen Spieler. Umgekehrt ergänzt und vollendet das Angebot einer Zigarette an den Sieger in einer solchen Auseinandersetzung das Exkulpationsritual als Einverständnis des Unterlegenen in die gruppenspezifische Konfliktlösung in Form eines Affirmations- wie Unterlegenheits- und Partizipationsgestus. 208 Nicht selten gerät der Abschluss einer Spielphase zu einem Tabakkollegium, wenn alle Spieler mittels des Gestus eines demonstrativen Genussrauchens ihre Zufriedenheit über den Verlauf und Erfolg des Spiels zum Ausdruck bringen und das Spiel selbst damit zu einem harten Stück sinnvoller Arbeit stilisieren, das nur im asketischen Verzicht auf eigene Wünsche vollbracht werden konnte. 209 Wie im Alltag ist das Anbieten einer Zigarette ein verbreiteter Interaktionsimpuls, der unter den Jugendlichen wegen der notorischen Knappheit der Ware hohe Bedeutung hat. Rauchen, ohne eine Zigarette mit den anderen 203 CURRIE/ ROBERTS/ MORGAN u.a. (Hg.) 2004, 63-72 204 Zwar sollen nach der "Bravo"-Studie Alkohol und Zigaretten in ihrer Bedeutung für die Jugendlichen am wenigsten wichtig sein, dagegen sprechen aber ihre tatsächliche Verbreitung und die Zuwachsraten unter Jugendlichen. Das Ergebnis der Studie könnte durch den Versuch der befragten Jugendlichen, sich positiv darzustellen, beeinflusst worden sein, RESEARCH & MEDIA MARKETING (Hg.) 2002, 11; CURRIE/ ROBERTS/ MORGAN u.a. (Hg.) 2004, 63-72, 73-83 205 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg, 9-10 206 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg, 27-29 207 Den Gestus der Lässigkeit findet man verstärkt auch als Zitate aus TV, Film und Werbung, die von den Jugendlichen zur Gestaltung dieser Situation eingesetzt werden; APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg, 11-14 208 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg, 29 209 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-54-56 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 243 zu teilen, ist ein Zeichen von bewusster Distinktion, nicht selten wird dieser Intention von den anderen mit einem provokativen "Haste ´mal ´ne Zigarette für mich?" aggressiv begegnet. Alkohol Alkohol scheint beim Fantasy-Rollenspiel kaum eine Rolle zu spielen. Softdrinks bestimmen – ganz im Gegensatz zur allgemeinen Situation210 - die Szene.211 Wer unbedingt darauf steht, wird nachsichtig belächelt.212 Im privaten Umfeld mag ein Grund für diese Abstinenz vielleicht auch die Nähe der Eltern sein, wodurch sich die Möglichkeit eines exzessiven Alkoholgenusses auf Gelegenheiten außer Haus – das Spielen ist ja häufig nur ein Element der Wochenendgestaltungen - oder nach der Heimkehr in später Nacht reduziert. Bei Veranstaltungen in der Öffentlichkeit drängen die Leiter und Organisatoren auf eine umfassende Alkoholabstinenz, zum einen, um mögliche Vorurteile in der Öffentlichke it nicht zu evozieren oder zu bestätigen, zum anderen um die Räume wegen 'guter Führung' beim nächsten Mal wiederzubekommen. Bis auf wenige Ausnahmen halten sich die Jugendlichen bei solchen Gelegenheiten von selbst an dieses Verbot. Der Sinn der Maßnahme ist allen nur zu einsichtig. 213 Allerdings kann die Situation wie in anderen jugendkulturellen Szenen auch einmal schnell in ein gemeinsames Zelebrieren etwa von Männlichkeitsritualen, die mit Hilfe von Alkohol gestaltet werden, umschlagen. Zur Selbstdarstellung der Fantasy-Rollenspieler gehören deshalb natürlich Anekdoten, in denen der Erzähler seine Männlichkeit in vielfältigen alkoholischen Exzessen beweist. Bei seinen Rezipienten gilt grundsätzlich die Wahrscheinlichkeitsvermutung, mit der man derartigen Erzählungen begegnet, was nicht eindeutig als unwahr widerlegt werden kann, gilt trotz aller Unwahrscheinlichkeit als glaubhaft. Die Stabilität der Beziehungen unter Jugendlichen hängt demnach also auch davon ab, dass man im Kern dem Gegenüber stets Wahrhaftigkeit attestiert. Mögliche Widersprüche sind entschuldbar als dichterische Freiheit und Überschwang. Wesentlich ist die oft wenig erprobte, sondern per se zugeschriebene Authentizität, worin sich die Jugendlichen von den Erwachsenen prinzipiell zu unterscheiden meinen. Drogen Die seltenen Hinweise auf den Gebrauch von Drogen wie Haschisch oder Ecstacy erlauben keine Aussagen, wieweit der Drogenkonsum verbreitet ist und der gemeinsame Drogenkonsum mit zu den Beziehungen beiträgt.214 Immerhin erwähnen manche Jugendlichen in (rezeptiven) Einzelgesprächen mehrfach der Gebrauch von Drogen, allerdings nicht im Zusammenhang mit Fantasy-Rollenspielen, sondern als rekreativer Rückzug vom Alltag bei bestimmten Events wie Konzerten und Partys oder in anderen Zusammenhängen wie einer Suizidgefährdung einer Freundin. Auch auf Cons war der Gebrauch von Drogen vereinzelt wahrnehmbar. Grundsätzlich ist wie bei Alkohol und anderen tabuisierten Bereichen auch ein Omerta-Syndrom in den Gesprächen gegenüber dem erwachsenen Beobachter und Interviewer zu vermuten. Entscheidungsfindung und Konfliktlösung: kollektive Autorität Eine ständige Diskussion unter den Spielern ist ein erster Eindruck, den man bei Fantasy-Rollenspiel-Treffen erhält. Unter den Spielern und zwischen ihnen und Autoritäten wie dem Master findet ein permanenter Dialog statt, der sich zum Großteil um Fragen der Spieltaktik und Regelauslegung dreht.215 Da von diesen Fragen fast alle sich auf das Handeln der Charaktere der Spieler im Spiel beziehen, spiegeln sie die jeweiligen Spielsituationen und stellen zum einen Entscheidungs- und Konfliktlösungsprozesse dar. Daneben dienen natürlich viele dieser Dialoge auch der Information und Motivation der Spieler, die auf diese Weise weitere Impulse erhalten, sich in den Spielwelten zu integrieren und diese fortzuentwickeln. 210 CURRIE/ ROBERTS/ MORGAN u.a. (Hg.) 2004, 73-83 211 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video DSA Mainz; Video Convention Nürnberg; Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD 212 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 51 213 Vgl. Angebot der Organisatoren (http://www.battletech-ag.de/forum/showthread.php?s=5fbcffe15fb86380237b1541a06a4418&threadid=2358 [2004-06-08]); 214 CURRIE/ ROBERTS/ MORGAN u.a. (Hg.) 2004, 84-89 215 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-32 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 244 Von der Spielanlage her sind die Fantasy-Rollenspieler ja zunächst in eine hierarchische und normative Beziehung eingebunden. Das Spiel folgt einem Regelwerk von Algorithmen, die in schriftlicher Form vorliegen und deren Einhaltung und Auslegung von formellem wie informellen Institutionen überwacht wird. Dazu zählen neben dem explizit vorgesehenen Spielleiter (Meister; Master) weitere, das Spiel organisierende, an ihm teilnehmende oder es beobachtende erfahrene Spieler und natürlich auch das Kollektiv der Spielenden selbst. Wesentliches Kontrollmittel und Grundlage dieses normativen Systems ist zunächst der Common Sense der Spieler, sich den normativen Bestimmungen des Spiels zu unterwerfen. In einer für Jugendliche ansonsten wenig zu beobachtenden Selbstverständlichkeit folgen die Spieler dabei den akribischen normativen Details eines komplexen Regelwerks. Als Gründe für diese Bereitschaft führen die Jugendlichen besonders Aspekte der Funktionalität und Effizienz an. Sie sind insbesondere der Meinung, dass der ungeheure Aufwand, den man zur Erarbeitung der Spielwelten und ihrer Regeln benötigt, man selbst nicht leisten könnte.216 Dass dies so nicht stimmt, zeigen die vielen eigenen erfolgreich gestalteten Szenarien. Im Grunde sind die jugendlichen Spieler in gewisser Weise froh, der normativen Tätigkeit enthoben zu sein, eigene Regelsysteme zu entwickeln, und 'genießen' die Integration in ein vorgefertigtes System von Regeln und Pflichten. Eine weitere Eigenschaft, die ihnen an diesen Spielwelten gefällt, ist eine normative Geschlossenheit und Stringenz, die es zwar erlaubt, kreativ Kontexte, Charaktere und Handlungen zu verändern, den Veränderungsprozess selbst aber strikt reguliert und strukturiert.217 Diese Erfahrung von der Möglichkeit begrenzter Modifikation bei Wahrung von Stabilität innerhalb dynamischer Prozesse unterscheidet die Spielwelten deutlich vom Alltag der Jugendlichen. Das eigene Einverständnis in diese heteronome Gebundenheit durch das Regelwerk der Spiele korrespondiert mit deren durchaus individuellen Interpretation wie mit ihrer akribischen Beobachtung gerade gegenüber den anderen Spielern. So versucht jeder auszutesten, was im Rahmen der Regeln möglich ist. Die soziale Kontrolle durch die anderen Spieler ist aber allgegenwärtig und gegenüber vermeintlichen wie wirklichen Regelverstößen rigide.218 In dieser Rigorosität zeigt sich vielleicht die Anspannung, welche das grundsätzliche Einverständnis in normative Systeme gerade bei Jugendlichen fordert, die ansonsten doch eher sich von Normen zu emanzipieren suchen. Wie im 'richtigen Leben' bedarf das normative Regelwerk seiner Auslegung und Durchsetzung. Fehlt das Kollektiv oder die Autorität wie beim Spiel am PC, nimmt diese Aufgabe das Programm selbst wahr. Viele Programme der einfacheren Art kennen deshalb schon überhaupt keine Verstöße, denn diese müssten selbst im Programm als Handlungsalternativen anlegt sein. Die aktuellen PC-Spiele dagegen besitzen mittlerweile auch in diesem Bereich eine hohe Komplexität und lassen eine Reihe alternativer Aktionen zu. Fehlentscheidungen des Spielers wie Verstöße gegen die Spielregeln werden allerdings weiter geahndet und mit Sanktionen belegt, die sich auf den konkrete Spielkontext der Figur auswirken, etwa als Verlust von "Lebensenergie". Die Ambivalenz des jugendlichen Verhaltens zeigt sich sehr deutlich in der Tatsache, dass ein Großteil der Literatur zu PC- Spielen von Möglichkeiten handelt, wie man derartige Programmroutinen austricksen (cheaten) kann. In den MUD liegt die institutionelle Gewalt zunächst ebenfalls beim Programm, doch erfolgt eine sekundäre Kontrolle durch die Mitspieler. Es kann hier aber auch zu einer Solidarisierung der Spieler gegenüber dem Programm kommen, so dass man dessen Direktiven gemeinsam zu unterlaufen versucht.219 Beim klassischen Fantasy-Rollenspiel erfolgt die Leitung des Spiels anhand der Regularien und die Regelauslegung durch den Master. Kleine oder durch häufiges Spielen miteinander vertraute Spielgruppen verzichten allerdings häufig darauf, einen eigentlichen Master zu bestimmen, der ja dann auch vom Spielen selbst ausgeschlossen ist. Es finden sich dann in jeder Spielgruppe meist ein oder mehrere Spieler, deren Fachautorität von allen anerkannt wird, so dass Entscheidungen in Konfliktfällen nach dessen Vorgaben und gegebenenfalls kurzer Diskussion akklamatorisch getroffen werden. Auch ein formell bestimmter Master wird darauf achten, dass seine Entscheidungen auf den Regelwerken beruhen und deren Auslegung sachlich nachvollziehbar ist, und wird sich der Zustimmung zumindest der erfahrenen Spieler der Gruppe vergewissern. Zudem kommt dieser Verfahren der informellen Vorgabe der Spiele und der Spieler, dass alle Mitspieler im 216 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-15 BC 01, 104 217 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-15 BC 01; Interview 1997-07-18 PA-REJ-RES, 139-141 218 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video DSA Mainz, 125-136 219 Beispiele für kollektive Regelauslegung, -änderung, -missachtung, APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD; 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 245 Grunde gleichberechtigt sind, am meisten entgegen, ohne die Effizienz der Entscheidungsfindung zu mindern. Üblicherweise stellt also der Master das Problem, auch wenn er schon eine Entscheidung getroffen hat, zumindest scheinbar zur Diskussion. Die weniger erfahrenen Mitspieler überlassen dabei wie von ihnen erwartet den Experten das Wort, im Dialog zwischen ihnen und dem Master werden die Sachlage und die Problemlösungsansätze erörtert, bis ein Konsens sich abzeichnet. Abschließend setzt der Master dann die dermaßen ausgehandelte Lösung um, wobei deren Realisie rung nicht allein durch seine Autorität, sondern auch durch die der erfahrenen Spieler und der sich ihnen anschließenden anderen Spieler gegenüber dem einzelnen gesichert ist.220 'Autoritäre' Spielleiter haben auf Dauer keine Chance, Spiele zu leiten, da die Spieler darüber entscheiden, ob sie an einem Spiel teilnehmen wollen. Dagegen genießen Master mit einem autoritativen Führungsstil221 weit über den eigentlichen Zirkel hinaus hohes Ansehen. Die Meister selbst reflektieren eingehend ihr Verhalten und ihr Verhältnis zur Spielgruppe in der Vor- und Nachbereitung der Spieltreffen, verstehen dies auch als eine wichtige Schulung für die Anforderungen des Alltags und sind stolz auf die ihnen von den anderen signalisierten soziale Kompetenzen.222 Negativ empfinden die Spielern allerdings das andere Extrem, also Master, die ihre Entscheidungen zu sehr zur Disposition stellen und erkennen lassen, dass die Diskussion in der Gruppe und der Dialog mit den erfahrenen Spielern nicht als Ritual angelegt ist, sondern substantie lle eigene Mängel an Kenntnissen und Fähigkeiten kaschieren soll. Der mit einer solchen Demaskierung verbundene Autoritätsverlust des Master ist für den Spielablauf sehr hinderlich. Die Spieler reagieren darauf, indem sie manchmal bewusst diese Schwächen übersehen und gutwillig versuchen, das Spiel erfolgreich zu beenden oder indem einer der Experten informell oder auch ganz expressiv die Leitung an sich nimmt.223 Eine akklamatorische Entscheidungsfindung ist auch außerhalb des eigentlichen Spielbetriebs die Regel. Ob es nun um die Bestellung von Pizzen oder die Musikauswahl geht, nach kurzer Diskussion entscheidet man sich per Zuruf oder konkretes Handeln für den Vorschlag, welcher in der Gruppe eine Mehrheit zu haben scheint. Die integrativen Aspekte dominie ren dabei über individuelle Wünsche, allerdings bleibt es dem einzelnen unbenommen, dem Mehrheitsvotum in seinem konkreten Handeln doch nicht zu folgen. Bei unklaren Mehrheitsverhältnissen schiebt man oft die Entscheidung auf und versucht wenig später nochmals ein eindeutigeres Ergebnis zu finden. Dabei rechnet man Toleranz und Kompromissbereitschaft der anderen fest mit ein, die, nachdem sie zunächst Flagge gezeigt haben, jetzt sich verpflichtet fühlen, hoheitsvoll zuzustimmen. Auch die Position und Autorität derer, welche den Vorschlag machen oder dem Vorschlag zustimmen bzw. ablehnen, ist von Bedeutung für das Entscheidungsverfahren.224 Integrationshandlungen: kollektive Empathie Gerade in Konfliktsituationen achten die Jugendlichen sehr besorgt darauf, dass keiner der Kontrahenten sein Gesicht verliert. So gibt es feste Routinen, wie man angemessen auf Niederlage, Sieg, Konflikte bei sich und anderen reagiert. Besonders Niederlagen der Charaktere oder gar ihr Totalverlust stellen für den einzelnen wie für die Gruppe der Mitspieler komplexe und extreme Situationen dar. Alle Spielsysteme regeln die Überlebensdauer der Figuren durch die quantitative und qualitative Erfassung der Schadenswirkung, welche die Figur in den Spielsituationen erleidet. Wird dabei eine bestimmte Grenze überschritten, 'stirbt' der Charakter. Er fällt faktisch aus, und dies nicht nur für den Rest des Szenarios wie der Kampagne. Zwar erhält man am Ende jeder Spielrunde Bonuspunkte, mit denen man Schäden kompensieren kann, doch kann man damit nicht wie in den PC-Spielen und Ego Shooter einen toten Charakter revitalisieren. Die Spieler investieren neben dem zeitlichen Aufwand und der materiellen Ausstattung sehr viel an Emotionen und Affekten in die Beziehung zu den von ihnen geführten Figuren der Spielwelt.225 Es trifft sie deshalb in einer sehr persönlichen Art und Weise, wenn ihre 220 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video DSA Mainz, 108-118; Video Convention Nürnberg, 9-10 221 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-15 BC 01; Begriff nach BAUMRIND 1971 222 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-15 BC 01, Interview 1997-07-18 PA-REJ-RES 223 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2000-09-06 SCHTH 01; Teilnehmende Beobachtung/ Video DSA Mainz; 224 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video DSA Mainz; Feldbebachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 56 225 Vgl. dazu CSIKSZENTMIHALYI/ROCHBERG-HALTON 1989, 173-196 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 246 Figuren während des Spiels Schaden erleiden oder gar völlig verloren gehen.226 Zur Kompensation und Bewältigung der in solchen Situationen deutlich werdenden psychischen Reaktionen, von denen eine massive Desintegration der Gruppe ausgehen könnte, haben die Spieler eine Reihe von Handlungsweisen zur Kompensation von Frustration entwickelt, die sie bei sich selbst und bei anderen anwenden. Ein erster wichtiger Schritt ist, das Geschehen zu thematisieren und zum Gegenstand der Interaktion zu machen. Schon wenn sich der Verlust abzeichnet, gilt es, durch seine Reaktionen dem Betroffenen seine Empathie zu signalisieren und damit eine pallative Wirkung zu erzielen. Die Mitspieler erwarten dabei vom Betroffenen, dass er den Verlust und die Umstände, die zu ihm führen, kompetent kommentiert und rollenadäquat reflektiert: Der Spieler rekapituliert den Kontext der fatalen Aktion, erwägt sachkundig verschiedene Alternativen, erlebt nochmals Momente der Hoffnung und Verzweiflung. Kommunikativ gestaltet er diese Reflexion mit dem seiner fiktiven Rolle – etwa als "MechWarrior" - wie seinem tatsächlichen Status angemessenen Gestus. In der sprachlichen Konkretisierung führt das in der Regel zu einem distanziert-(selbst)ironischen Stil, der das Geschehen anekdotisch umformt und die Pointe sucht.227 Die Mitspieler unterstützen ihn dabei, indem sie interessiert zuhören, sachliche Argumente aufgreifen und diskutieren, auf die Umformung ins Anekdotische angemessen reagieren und es zum Anlass nehmen, eigene Anekdoten beizusteuern.228 Der erfolgreiche Gegenspieler ist dabei noch mehr als seine Mitspieler in die Pflicht genommen. Er muss seinen Erfolg möglichst überzeugend bagatellisieren und jeden Überlegenheitsgestus vermeiden. Von besonderem Gewicht bei der Aufarbeitung dieser Situation sind die Bemühungen von Spielern mit besonderer Autorität (Experte, Master etc.), die meist auch konkrete Hilfe anbieten können wie den Einsatz einer Ersatzfigur oder das Versprechen, sich für den Betroffenen bei der Verteilung neuen Materials einzusetzen. Danach allerdings ist der Spieler zunächst wirklich 'draußen'. Er kann sich zwar bemühen, den Spielenden mit Rat und Tat zur Seite zu stehen oder das Spielgeschehen weiter zu kommentieren, was man von ihm auch erwartet, aber so richtig mitmachen lassen will ihn eigentlich keiner mehr. Am Rande des Spielgeschehens wird er mit halben Herzen den Spielverlauf verfolgen, sich aber ansonsten auf 'Nebentätigkeiten' verlegen wie Lesen, Musik hören, Klönen etc., bis sich wieder eine Gelegenheit zum Mitspiel bietet.229 Ähnlich wie der gruppeninternen Bewältigung von Misserfolgen werden auch Erfolge in der Gruppe integrierend behandelt. Ziel ist dabei, einer möglichen distinktiven und die Gruppe verstörenden Reaktion des erfolgreichen Individuums entgegenzuwirken. Vorausgesetzt es liegen keine konträren und primären Interessen wie etwa die notwendige Aufarbeitung von Verlusten in der Gruppe vor, kommt es als erste Handlung nach einem Erfolg zu den erwarteten Glückwünschen. Nicht vergessen sollte man auch die unmittelbaren mimischen, gestischen und sprachlichen Reaktionen der Mitspieler während der zum Erfolg führenden Handlung. Schon im Vorfeld kann die Empathie der Mitspieler affirmativ wirken. Der Wert des ausgesprochenen Lobes steigt selbstverständlich mit der Reputation dessen, der das Lob ausspricht. Der Rang und die Autorität des erfolgreichen Spielers ist weiter von Bedeutung für die Länge und Intensität der Glückwunschphase. Gegen einen überlegenen Spieler zu verlieren ist zudem keine Schande und vermag die Schwere eines Verlustes zu mindern. Es ist in diesem Falle angemessen, auch als Verlierer zu gratulieren. Während man bei einem Rookie im Falle eines Erfolges Zufall und Glück unterstellt, ist er bei einem Veteran immer das Ergebnis von planvollem Handeln. Entsprechend müssen die Mitspieler die nun einsetzende Kommentierung und Umformung in die Anekdote gestalten. Die Thematisierung des Erfolgs erfolgt also durch die Umgebung, nicht durch den Spieler selbst, der so der Gefahr der Selbstüberschätzung enthoben wird. Im Laufe der Gespräche wird dann die individuelle Leistung vorsichtig, aber bestimmt mehr und mehr zugunsten des Beitrags und der Unterstützung der Gruppe relativiert werden, die sich gewissermaßen den Erfolg des einzelnen aneignet. Eine andere Form der Integration ist eine Darstellung der Konsequenzen, die sich aus dem Ereignis ergeben, wiederum primär aus der Perspektive der Gruppe 230, die so den Erfolg 'sozialisiert'.231 226 In "BattleTech" wird die Panzerung der Mech sukzessive durch Treffer vernichtet und kann während des Spiels nicht repariert werden. Ist die Panzerung erst einmal durchbrochen, drohen "kritische Treffer" den Mech schwer zu beschädigen, ihn bewegungslos zu machen oder gar zu vernichten. Doch schon zuvor können Zufallstreffer gegen empfindliche Zonen wie den Kampfstand im Kopf des Mech oder seine Munitionsdepots zu einem Totalverlust führen. Da die Mech für die Dauer der Reparatur, die in "Echtzeit", d.h. Kalendertagen, bestimmt wird, nicht geführt werden können, werden schon durch schwere Treffer die "MechWarrior" für mehrere Wochen ausgeschaltet, es sei denn, sie besitzen oder besorgen anderweitig Ersatz; 227 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg, 29 228 Zur Anekdote als generelle Form kommunizierter und kommunalisierter Fiktion: DREWERMANN 1987, 72-91 229 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg, 29-32 230 Typisch für derartige Vereinnahmung ist z.B. die Regelung in Nice-Dice eV., wo alle erbeuteten Mech zunächst in einem Chapter- bzw. "House"- Pool gesammelt werden, aus dem man per Los Ersatz zugeteilt bekommen kann; 231 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg, 37, 43 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 247 Resümee: Ritualisierte Interaktion Fantasy-Rollenspieler interagieren in typischen Spielsituationen mittels tradierter und zugleich ritualisierter Handlungs- und Kommunikationsroutinen. Diese dienen dazu, die Interaktion der Spieler zu stabilisieren und insbesondere integrativ zu gestalten. Dabei reicht die Bandbreite der Kommunalisierung von der individuellen Selbstdarstellung über die Konsumgemeinschaft bis zur Aufarbeitung traumatischer Erlebnisse. Rituale - Social Codes bzw. Signifying Practises Ritualisierte Interaktion ist eine Erscheinungsform sozialer Codes, mit deren Hilfe sich Deutungsgemeinschaften wie die Jugendlichen der Fantasy-Rollenspiel-Szene über die Bedeutung von Texten in spezifischen Situationen sozialen Handelns wie über das Handelns selbst verständigen. Da soziale Codes Ausdruck wie Instrument gesellschaftlicher Verortung und Stabilisierung gesellschaftlicher Kollektive sind, scheinen sie aus der Sicht des Individuums weitgehend dominant und unveränderbar und erlauben nur bedingt ein Oppositional Reading. Rituale sind Manifestationen einer weitgehend durch spezifische Konventionen und Regeln festgelegten Praxis der Bedeutungszuweisung ("Signifying Practises")232 und zählen als Repertoire tradierter Interaktionsformen von Individuen und Gruppen zum symbolischen Kapital.233 Entlastung/ Vergewisserung im sozialen Kollektiv Angesichts der Fragilität jugendlicher Identitätskonstruktionen sind ritualisierte Formen der Interaktion wesentliche Elemente von Sicherheit und Kontrolle sozialer Interaktion in konkreten Krisen- und Stresssituationen, die insbesondere als Folge affektiv-emotionaler Reaktionen auf eigenes wie fremdes Handeln entstehen. Derartige Situationen sind u.a. Momente der Entscheidungsfindung und Konfliktlösung. Hier agieren die Jugendlichen sehr unterschiedlich mit einer Melange aus Formen autoritativen Führung, Paternalisierung, Akklamation und basisdemokratischer Partizipation. Während einerseits es unabdingbar ist, dass der einzelne gehört wird, ist er andererseits auch stets bereit, den Argumenten von Fach- und anderen 'Autoritäten' zu folgen. Ein weiteres Moment ist die Korrektur von Fehlverhalten, das erklärt und entschuldigt werden muss, will der Jugendliche die Akzeptanz in der sozialen Formation aufrechterhalten. Die dazu notwendige Ich-Distanz mit ihren Folgen für das jugendliche Ego – abgesehen von affektiv-emotionalen Konsequenzen moralischen Versagens – wird von den Jugendlichen richtig als Ich-Stärke gespiegelt und deshalb auch nur relativ schwach durch Gesten, ironische Bemerkungen etc. negativ sanktioniert. Handlungsaufforderungen werden in der Regel positiv gesetzt, etwa durch Lob und Bewunderung für exemplarisches Verhalten einzelner Spieler, welches Autoritäten wie Master, "Hausoffiziere", Experten etc. äußern, die im Sinne eines Re-Enforcement und von Affirmation Verhaltenskorrekturen initiieren. In Spiel wie Alltag sind Verluste und Niederlagen besonders kritische Momente in der Interaktion der Jugendlichen. Gerade in ihrem erfolgreichen Handeln manifestiert sich für die Jugendlichen die Viabilität ihres Identitätsentwurfs. Grundsätzlich achten sie deshalb darauf, dessen Beschädigung möglichst gering zu halten. Dazu dienen u.a. Exkulpationsrituale im Sinne 'objektiver' Kommentierungen des Spielgeschehens durch die Spieler, wodurch Verlierer wie Gewinner in einen Reflexionsprozess eingebunden werden, der das konkrete Geschehen fiktional überhöht und für beide Seiten handhabbar macht. Die Jugendlichen verfügen dabei über ein breites Instrumentarium an Interaktionsstereotypen wie etwa die differenzierte Betrachtung des eigenen und fremden spielerischen Könnens, die Betonung der Singularität des Charakters oder Mech, der Hinweis auf Glück und Fatum, die minimalisierende Darstellung des Erfolgs und parallel die exkulpative bzw. euphemistische Bewertung der Aktionen des anderen, der Verweis auf analoge Verlustsituationen, die Herausarbeitung wertvoller Details etc. Ähnliches gilt für zugelassenen Darstellungsformen von Erfolg, Zufriedenheit und Belohnung, mit denen eine allzu große Dominanz vermieden und die weitergehende Integration des Betreffenden gewährleistet werden soll. Die Erfahrung, mittels Handlungsroutinen und ritualisierten Formen von Interaktion Stabilität innerhalb dynamischer Prozesse zu erzielen, unterscheidet das Spiel und den vom Jugendlichen gestalteten Alltag deutlich von den Bedingungen anderer Lebenswelten. Dort treffen die Jugendlichen auf eine Ambivalenz von 232 CHANDLER 2003, 154-157 233 BEASLEY-MURRAY 2000 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 248 Ohnmachterfahrung infolge rigider Durchsetzung unverständlicher weil situation- und kontext-irrelevanter Regularien und 'grenzenloser' Freiheit durch aufgezwungene Individuation mit ebenso rigider Gestaltungsaufforderung unter dem Deckmantel von Permissivität. Flow-Potentiale von Ritualisierung und Spontaneität Der positive Effekt der Entlastung der Jugendlichen in konkreten und komplexen Interaktionssituationen, den Ritualisierungen leisten, führt allerdings zu keinem Beitrag in Hinblick auf motivationale Effekte. Denn Rituale entziehen Kontexte wie Interaktionshandlungen der Kontrolle des einzelnen zugunsten sozial tradierter Formen, die nur sehr begrenzt eine individuelle Gestaltung erlauben. 234 Andererseits tragen sie zu einer erfolgreichen Bewältigung besonders von Stress-Situationen und –erfahrungen in der Interaktion bei, wo die Stressoren ebenfalls vom Individuum als wenig oder nicht kontrollierbar erlebt werden. Dies gilt besonders beim Handling affektiv-emotional aufgeladener Interaktionssituationen in den Spielen und dem Alltag wie etwa Verlust und Niederlage. In diesem Sinne konterkarieren ritualisierte Interaktionsformen nur bedingt jene kreativen Potentiale, die normalerweise Interaktion und Kommunikation eignen, denn sie ermöglichen jenseits der Standardsituationen, die sie regeln, Bereiche, in denen die Jugendlichen selbständig ihre Interaktion und Kommunikation gestalten können. 235 Ritualisierung als Strategie kollektiver Fiktionen Kollektive Fiktionalisierung basiert auf der Interaktion der beteiligten Jugendlichen. Unschwer lässt sich erkennen, dass die Ritualisierung dieser Interaktion die Jugendlichen in konkreten Handlungssituationen entlastet und damit zur Perpetuierung und zum Erfolg beizutragen vermag. Von Bedeutung ist dabei insbesondere die Konstitution autoritativer Autorität und flacher hierarchischer Strukturen, die einerseits den einzelnen von der Aufgabe befreien, die Steuerung der kollektiven Fiktion verantworten zu müssen, die an Experten delegiert werden kann, andererseits aber gerade im Akt der Delegation eine Beteiligung und Kontrolle wahren. Zudem bleibt es ihm unbenommen, ebenfalls in einer Leitungsrolle zu fungieren, wenn andere wie er seine Kompetenzen hierfür ausreichend finden. Die Jugendlichen kopieren dabei in ihrer Community Interaktionsprozeduren, die sie in den Spielen als effizient erfahren haben. Die grundsätzliche Bereitschaft zur Kooperation im Abenteuerteam oder im Squad bedarf demnach, um heuristisch erfolgreich zu sein, einer Orientierung, die der im jeweiligen Kontext Kompetenteste vornimmt. Die Entscheidung, wie weit man sich involviert, ist weniger die des Kollektivs, als vielmehr die des einzelnen, der seine Fähigkeiten einzuschätzen weiß. Die soziale Kontrolle geht nun in die Richtung, dass grundsätzlich ein verantwortlicher Umgang mit dieser Freiheit unterstellt wird, andererseits der Anspruch deutlich formuliert bleibt und auf eine negative Sanktionierung weitgehend verzichtet wird. Stattdessen findet man unzählige Affirmationen, aus denen das Mitglied leicht die Vorstellungen seiner Community von akzeptabler Interaktion entnehmen kann. Die Koinzidenz von fiktionalen und realem Sozialverhalten in der Interaktion und besonders beim Lösen von Problemen stellt eine wesentliche Erfahrung der Jugendlichen beim Umgang mit Fantasy-Rollenspielen dar und spricht für deren Viabilität. Typen Fantasy-Rollenspiel-spe zifischer Interaktion Monade: Last Man Standing Von der Anlage her sind alle Fantasy-Rollenspiel zunächst auf die Leistungen des vom Einzelspieler geführten Charakters aufgebaut, binden diesen aber in den meisten Spielen schon von der Anlage oder dem Szenario her konsequent in das gemeinsame Handeln eines Teams ein.236 Der Grad dieser Integration ist mehr oder minder vom situativen Kontext, dem Handlungsszenario und vom Master her bestimmt. Der Spieler kann sich zwar dieser 'Vergesellschaftung' in gewisser Weise entziehen und weiter eigenständig handelnd versuchen, die Ziele des Spielszenarios zu realisieren, doch nimmt er damit in aller Regel eine Reihe von Nachteilen in Kauf. 234 CSIKSZENTMIHALYI 1997, 66, 79 235 CSIKSZENTMIHALYI 1985, 53 236 Ausnahmen bilden insbesondere PC-Spiele bzw. –Versionen als sog. Ego Shooter wie "Soldiers of Fortune" oder "Opposite Force" aus dem "Half- Life"-Kosmos, s. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2000-09-06 SCHTH 01; Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2004 Ego Shooter Wikipedia; 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 249 Besonders in Konfliktsituationen (in den meisten Fällen Kampfsituationen) 237 steht er dann allein und auf sich gestellt anderen Charakteren, meistens aber den vom Master gestalteten NSC-Gegnern gegenüber, die von der Spielanlage her oft nur mit den gemeinsamen Ressourcen eines Teams erfolgreich bekämpft werden können. Es gibt allerdings Fälle, bei denen auch die Zusammensetzung des Teams die Einzelaktion verlangen kann, wenn etwa nur eine bestimmte Figur die dazu notwendigen Kompetenzen besitzt oder für eine spezifische Austragungsform der Auseinandersetzung kein anderer Charakter befähigt ist. Trotz der Einbindung in Teams erfolgt das Handeln der Charaktere in ihnen keineswegs altruistisch motiviert, sondern als komplementäres Erwartungshandeln im Sinne des Gefangenensyndroms.238 Der von den Charakteren gezeigte Gestus verdeutlicht ihre monadische Position: sie treten typischerweise auf als vereinsamte Gestalten, als Ugly Guy, Lonesome Cowboy, Ronin, Cyberpunk, Streetsamurai. Im postmodernen Typus des "Last Man Standing" und "Last Boy Scout"239 spiegeln die Jugendlichen die desillusionierenden Erfahrungen von gesellschaftlichen Deprivierungs- und Distinktionsprozessen und die Authentizität des für sich behaupteten kleinen Heldentums, das sich nicht ausmerzen lässt, oder aber sie geben sich als strahlende und zugleich tragische Heroen in der Tradition klassischer Sagengestalten oder in Adaption des Typus moderner Filmhelden der gerade aktuellen Action-Filme. In den Szenarien dieser Filme werden offensichtlich ähnlich wie in denen der Fantasy-Rollenspiele wesentliche Themen der Jugendlichen exemplarisch visualisiert und verarbeitet, die sich aus dem oft verdrängten, letztlich aber stets virulenten Wissen um die Isolation des Individuums und die ihm daraus zuwachsende Verantwortung ergeben. Alle Helden sind in entscheidenden Momenten des Lebens, in denen es um ein an ethischen Maßstäben orientiertes moralisches Handeln geht, auf sich selbst gestellt und werden im Moment ihres Handelns Entscheidungen treffen, die sie zu Opfern werden lassen. Ihre äußere Coolness ist nur mühsam aufrecht gehaltene Camouflage einer latenten Sensibilisierung. Mit ähnlicher Attitüde statten die Jugendlichen ihre Charaktere aus. Nach außen agieren die Figuren heroisch und imitieren das Interaktionsverhalten fiktionaler Vorbilder. Dabei reicht die Bandbreite der Heldentypen vom hyperboreischen Muskelpaket bis zum introvertierten Wissenschaftler und Philosophen. Gemeinsam ist ihnen stets das Wissen um das Prekäre ihrer sie letztlich isolierenden Extrovertiertheit. Dabei schließt das Heroische, das man glaubt nach außen zeigen zu müssen, die Verständigung mit anderen über das, was einen bewegt, gewissermaßen aus. Die Auszeichnung wird zur Belastung, denn jede Verständigung darüber beeinträchtigt gerade des Nimbus des Heros, selbständig und eigenverantwortlich zu handeln und zersetzt die Fiktion tragischen Heldentums, die der Selbstinszenierung und –stilisierung im Spiel und seinen Kontexten dient. Dyade: Utilitaristische Freundschaft In den Teams der Spieler bilden sich als Sub-Einheiten auch dyadische Beziehungen der Charaktere, die einmal durch "Rasse", Verständigungsmöglichkeiten240, soziale Kompetenz, Skills und typische Verhaltensweisen der Charaktere schon vorgegeben sind, zum anderen als Beziehung auch aus dem Alltag der Jugendlichen mitgebracht werden oder umgekehrt in diesen hinausstrahlen, so dass man sich auch außerhalb der eigentlichen Spieltreffen privat, häufig unter dem Anlass zur Vor- und Nachbereitung des Spiels oder unter völlig anderen Intentionen wie Schule oder Freizeitgestaltung trifft. Bei aller nach außen hin von den Jugendlichen in diesen Beziehungen gezeigten Egalität, sind ihre Dyaden während des Spiels meist hierarchisch organisiert, oft auf der Basis des Erfahrungsvorsprungs und der Sachautorität eines der Partner. Die ihnen zugrundeliegenden Intentionen sind wie bei der Genese der Teams die Erfahrung, dass die Koordination von Verhalten die Effizienz der Charaktere steigert. Kennzeichen für die Hierarchien sind eine auch den Außenstehenden kaum verborgene Paternalisierung des Partners in vielerlei Gestalt: Anfrage, Erlaubnisbitte, Diskussionsabbruch, Anweisung, ironische Kommentierung, generöses 237 Erst die Aufgabenverteilung eines Adventure Team in einer konkreten Kampfsituation ermöglicht einen Erfolg, APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.8-6; in diesem Befreiungsszenario agieren 1 Heldin und 4 Helden gegen eine mythische Kampfmaschine und ihren dunklen Herrn; derartige suggestive Illustrationen werden von den Master wie von den Spielern im Spiel 1:1 umgesetzt; 238 FEHR/ NOWAK/ SIGMUND 2002 239 In den klassischen FRPG sind die die Namen der Charaktere und Figuren wegen der Einbindung in das vom Master vorgestellte Szenario nicht immer frei wählbar und spiegeln eher indirekt die Vorstellungen des Spielers von sich und seiner Rolle; anders in PC-Spielen und OBG, wo Namen oft frei wählbar sind; bei privat organisierten MUD treten die Spieler wie in den Ego Shooter in den Namen ihrer Skins mit direkteren Anspielungen auf ihre Persönlichkeit auf, APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 51 240 Die Szenarien der FRPG sehen in Anlehnung an Tolkien's Oevre eine Reihe unterschiedlicher Völker, Rassen und Sprachen vor, etwa bei DSA eine Welt der Zwerge und ihrem Idiom "Rogolan", APPENDIZES/ Material-DSA/ DSA Angebot Deutschland Übersicht, 182; ohne angemessene 'Fremdsprachenkenntnisse' ist eine Interaktion zwischen den Charakteren praktisch nur gestisch-mimisch oder durch die Hilfe eines Dolmetschers möglich; 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 250 Zugeständnis, Affirmation etc. 241 Diese Hierarchie setzt sich im Alltag dann fort oder ist manchmal auch komplementär aufgebaut, d.h. dort beansprucht der im Fantasy-Rollenspiel paternalisierte Partner bei anderen Themen ebenfalls Sachautorität und setzt mehr oder minder ähnlich rigide seinen Führungsanspruch durch. Die Akzeptanz derartiger sozialer Interdependenzen basiert weniger auf Affekten und Emotionen als vielmehr auf Aufwand-Nutzen-Überlegungen, so zumindest in der Eigenwahrnehmung dieser Beziehungen, die bei der Formulierung in der Öffentlichkeit auch die homoerotischen Aspekte dieser Relationen berücksichtigen und tabuisieren muss.242 Die 'utilitaristische' Inanspruchnahme von Experten und der Aufbau symbiotischer Konstellationen lässt sich etwa auch bei der gemeinsamen Erledigung von Hausaufgaben, im (Street-)Sport und bei der Mediennutzung (z.B. bei der Hardware- bzw. Software-Optimierung und –Tuning) beobachten. Als tragfähige Basis solcher Dyaden zeigen sich auch Gemeinsamkeiten von Interessen und Präferenzen (etwa bei der Musik). Sie ergänzen die Beziehung um emotionale und affektive Elemente und tragen zu ihrer inhaltlichen wie zeitlichen Stabilisierung bei, ohne nun direkt notwendig zu sein. Andererseits werden innerhalb der lebensweltlichen Bezüge von den Jugendlichen derartig metakritische Überlegungen zu ihren Freundschaften auch nur selten angestellt. Erfolg wie Misserfolg der Beziehungen unter den Jungen werden als einfaches Faktum akzeptiert, ganz im Gegensatz zu den Beziehungen der Jungen zu Mädchen und besonders zu ihren Freundinnen, die Gegenstand ausführlicher und tiefgehender Reflexionen und Gespräche sind. 243 Adventure Team: Fiktionale Peer Group Die 'klassische' Form der Organisation von sozialer Formation und Interaktion der Fantasy-Rollenspiele und verwandter Spiele ist das Adventure Team.244 Schon von der Spielanlage der Fantasy-Rollenspiele her werden partnerschaftliche und gruppendynamische Beziehungen präferiert und von den Master und Spielern zustimmend aufgegriffen und umgesetzt. Als Standardsituation der Spiele, in der die Teams zusammengestellt werden, dient üblicherweise ein fiktiver Kneipenbesuch zu Beginn des Spiels, bei dem die bislang einander (zumindest in der Fiktion) unbekannten Charaktere sich begegnen, mit einem Auftrag konfrontiert werden und sich zur Lösung der Aufgabe zu einem Team mehr oder minder freiwillig zusammenfinden. Von der Fantasie der Master wie der Findigkeit der Spieler hängt es ab, wie rasch der einzelne Charakter unter den Gästen der Kneipe (und einer ganzen Reihe von neutralen und feindlichen NSC) seine potentiellen Teamkameraden erkennt. Die Bündnisse, die auf diese Art und Weise geschlossen werden, wirken zunächst, gerade wenn einander persönlich fremde Spieler zusammenkommen, aber auch, wenn die Spieler die individuellen und ethnischen Züge ihrer Charaktere voll ausspielen, rein pragmatisch und auf die Aufgabe (Task) bezogen angelegt. Andererseits spiegeln sie aber auch die sozialen Interdependenzen der Wirklichkeit der Spieler oder konterkarieren sie. Deutlich in die Fiktion hinein wirken etwa emotional-affektive Kohärenzen wie Friktionen oder autoritativ begründete Hierarchien. Stellen sich führende Charaktere quer, muss man schon gute Gründe (Fähigkeiten, Kenntnisse, Waffen, Besitztümer) finden, um in ein Team aufgenommen zu werden. Rein von der Anzahl der Mitglieder und dem Aufbau her scheinen das Adventure Team der Fantasy- Rollenspiele der "Lance" von "BattleTech" zu entsprechen, dort die kleinste taktische Einheit im Spiel mit vier Mech. Während in den fiktionalen Kontexten von "BattleTech" diese "Lances" als taktische Einheiten, mehr aber noch als eine über die militärische Funktionalität hinausreichende soziale Organisation der "MechWarrior" eine wesentliche Rolle spielen, sind im Alltag der Chapter dagegen diese selbst die zentrale Vergesellschaftungsinstitution. Die "Lances" erfüllen nur sehr bedingt die ihnen in den fiktiven Kontexten angedachte Funktion, ob nun taktisch oder sozial. Sie werden meist ad-hoc von den Hausoffizieren festgelegt und bekommen bestimmte Aufgaben zugewiesen. Ausschlaggebend ist dabei weniger die Zusammenarbeit als vielmehr das Leistungsvermögen des Materials, das man eventuell konzentrieren will oder dazu benutzt, 241 Die Paternalisierung spiegelt sich etwa in den zahllosen Ratschlägen, mit denen der dominante Partner auf den anderen Einfluss zu nehmen sucht ("Wenn ich du wäre..."), aber auch in Reaktionen auf eine Rückweisung ("Du kannst ja machen, was du willst, du bist ja dein eigener Herr!") etc., APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video DSA Mainz, 52-55 242 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-02 BS 01 243 Als rezeptive Feldbeobachtungen (ohne Sicherungsmöglichkeit): GS und KS über ihre Beziehungen zu drogenabhängigen Partnerinnen; Konflikte und Animositäten unter den männlichen Jugendlichen werden selten offen thematisiert, Hinweise auf Blaming und Mobbing finden sich manchmal in Fanzine, APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung BT Fanzine 5th Sword of Light, 1996-10-15, 1997-10 244 Selbst Ego Shooter wie "Opposing Force", "Team Fortress", "Counter-Strike" der Half-Life-Szene werden mit Vorliebe in den MUD-Modi gespielt, s. dazu: BERTUCH 2000, 38 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 251 vermutete eigene Schwächen zu kompensieren. Die Loyalität der Spieler gilt deshalb ihrem Chapter, die "Lance" wird gewissermaßen darin subsumiert: Gegenseitige Unterstützung hat im Chapter Priorität. In der utilitaristischen Intention ihrer Mitglieder ähneln sich allerdings Adventure Team und "Lance".245 Die Teams selbst sind zwar egalitär angelegt, doch entstehen in ihnen meist schon bei ihrem Zusammenfinden hierarchische Strukturen, die teilweise auf der Fach-Autorität und den Kompetenzen der Charaktere beruhen, teilweise aber auch auf der persönlichen Präsenz, welche die Spieler in die Treffen einbringen. Relativ rasch kann man dann in Entscheidungs- und Konfliktsituationen zwischen 'Anführern' und 'Geführten' unterscheiden. Nach außen hin bleibt allerdings der egalitäre Ansatz durch die von Master und Experten als Primi inter pares geleitete und um Versachlichung bemühte Diskussion gewahrt. Auch die als Entscheidungsritual übliche Akklamation gibt vor, basisdemokratische Forderungen zu erfüllen. Der Kampagnencharakter der Spielhandlung der meisten Fantasy-Rollenspiele bedingt, dass die Teams über längere Zeiträume bestehen und regelmäßig zu den Spieltreffen zusammenkommen.246 Von daher bilden sie, wenn sie nicht schon aus der primären Peer Group des Jugendlichen entstanden sind, in dessen Alltag recht genau die Gruppe der Gleichaltrigen ab, in und mit der er seinen Alltag zur Lebenswelt gestaltet. Die Genese eines derartigen Teams, das über die Spielwelt hinaus in Alltag und Lebenswelt des Jugendlichen reicht, geht häufig auf die Initiative eines einzelnen Spielers zurück, der sich als Master schon etabliert hat oder probieren will und seine Freunde oder Bekannte zum Fantasy-Rollenspiel überredet. Der Anstoß kann auch von den künftigen Adepten her erfolgen, die sich für die ihnen unverständlichen Aktivitäten eines ihrer Freunde oder Bekannten interessieren. Es gibt auch die quasi spontane Gründung, wenn eine bestehende Gruppe einem Impuls (Verhalten anderer Gruppen, Informationen und Werbung) folgend sich als Adventure Team probiert und die bisherigen gemeinsamen Themen durch die der Fantasy-Rollenspiele ersetzt. Rekrutierung Die Auswahl und Werbung künftiger Gruppenmitglieder durch einen einzelnen Spieler ist ein längerer Prozess, der eingebettet ist in den sozialen wie individuellen Kontext des Jugendlichen: Das Fantasy-Rollenspiel ist dabei Grundlage einer spezifischen Selbstdarstellung in sozialen Räumen wie etwa einer Klasse, in welcher der Werbende sich als Kenner und Eingeweihter darstellt, diese Kompetenzen zu einer Singularität ("verkanntes Genie") stilisiert und anderen als einen überlegenen Entwurf der Freizeit- und Alltagsgestaltung präsentiert. In den beobachtbaren sozialen Kontexten des Alltags geben sie sich mit dem Habitus des Master als introvertierte Einzelgänger oder Mitglieder eines Geheimzirkels von Verschworenen, objektiv scheinen sie – wie die rezeptive Beobachtung zeigt - häufig wirklich isoliert oder in bestimmten Bereichen jugendlicher Repräsentationsformen gehandicapt zu sein, z.B. im Sport bzw. der körperlichen Entwicklung, in den Beziehungen zu Mädchen, in der Kleidung, der spürbaren Präsenz elterlicher Erziehung, im Lernverhalten, - eifer etc. 247 Einher damit gegen asketische, radikale und fanatische Züge des Umgangs und Handelns mit dem zentralen Thema Fantasy-Rollenspiel, die weiter das bisherige distinktive Verhalten seiner Umgebung gegenüber erklären und legitimieren. Sein Handeln gewinnt dadurch weiter an Authentizität. Die dargestellte und gelebte Ausschließlichkeit verleiht ihm Weihe und erhebt es zum Mysterium, das den Wunsch nach Teilhabe und Initiation herausfordert. Im Schulalltag gewinnt diese distinktive Dimension des Phänomens besondere Bedeutung, weil sie sich im heteronomen Umfeld realisieren lässt, etwa in den Zeichnungen, die während des Unterrichts entstehen, im Anfertigen von Materialien, in den Ausschmückungen von Büchern und Heften, in der Lektüre spezifischer Literatur, im bewussten und zur Schau gestellter Verzicht auf 'normale' Schüleraktivitäten. Die Umgebung nimmt die deutlich akzentuierte Abgrenzung zu anderen altersspezifischen Aktivitäten wie Sport, E-Musik, Mädchen als überlegenswerte Alternative wahr. Gerade Jugendliche, die in diesen Bereichen Probleme haben, sich darzustellen und dort Identitätsentwicklungsprozesse zu lokalisieren, sehen hier Möglichkeiten, andere und weniger übliche Felder zu besetzen und gestalten, in einer Gruppe eine Heimat zu finden und sich gleichzeitig erfolgreich gegen andere abgrenzen zu können. In einem kunstvollen Interaktionsprozess versucht nun der Jugendliche, dieses erste Interesse zu intensivieren. Dabei setzt er einmal 245 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-02 BS 01, 10, 12 246 Spielkampagnen wie "Die Phileasson-Saga" kann man nur im intensiven Spiel an mehreren Wochenenden bewältigen, APPENDIZES/ Material- DSA/ DSA Angebot Deutschland Übersicht, 30 247 Bsp.: BC in der Interaktion mit Mitgliedern seiner Spielgruppe, APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-15 BC 01 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 252 auf die Faszination, die von Thema Fantasy-Rollenspielen wie seinen Materialien ausgeht, zum anderen wird er bewusst den Initiationsprozesses verlangsamen, ihn damit spannend als Wechsel von retardierenden und dynamisierenden Perioden gestalten, die eigentliche Initiation immer wieder hinauszögern und ihm damit gemeinsam mit dem Adepten Bedeutung zuweisen. Eine Fülle kleiner und kleinster Schritte der Vorbereitungen muss abgeschlossen werden: der gemeinsame Kauf einer Gamebox oder die Erstellung von Materialien, die vielfältigen Überlegungen zur Entwicklung der Charaktere, die notwendigen Recherchen, das Ausfüllen und Auswürfeln der "Charakterbögen", das erste Übungsspiel, das Abfragen von Basiswissen etc. Der Initiationsprozess findet seinen vorübergehenden Abschluss mit den ersten 'echten' Spielen, der umworbene Jugendliche wird zum Mitglied des Adventure Team und gleichzeitig der Gruppe, die sich um den Master bildet. Die Hierarchie der Gruppe beruht auf der Fachautorität der einzelnen Mitglieder, die sich als Erfahrung und damit in zeitlicher Dimension auch als Biografie manifestiert. In dieser Gestalt kann sie von den Gruppenmitgliedern nicht hinterfragt werden.248 Die Verweildauer in der Gruppe bzw. in der FRPG-Szene und ihren Gruppen entscheidet mit über den Rang und die Mobilität in der Hierarchie: Master, Experten, Veterans, Rookies. Hinzu kommen sekundäre zusätzliche Kompetenzen wie die Bereitschaft zur Aszese, zum Engagement, die Intensität der Vorbereitung, des Spiels etc. Im Prozess fortwährender Rekrutierung garantieren die bisherigen Adepten zudem die Tradierung der Rekrutierungsmechanismen. Die Faszination, die von diesen Teams und Gruppen ausgeht, ist innerhalb der sozialen Kontexte der Jugendlichen immerhin so hoch, dass auch Jugendliche, die in anderen Szenen erfolgreich sind, in der Fantasy- Rollenspiel-Szene zumindest beteiligt sein wollen oder sich dort wirklich in ähnlicher Weise engagieren. 249 Das Werben der verschiedenen Gruppen um Mitglieder und die offene Struktur der Teams erlaubt es Spielern, sich vorübergehend oder völlig vom Team zu trennen, in andere einzutreten oder, bei entsprechender Qualifikation, neue zu begründen. Anlässe für eine Trennung ergeben sich häufig aus dem Spielverlauf. In den Hierarchien der Teams kann parallel zur Paternalisierung auch die Opposition wachsen, wenn der Erfolg ausbleibt oder wenn die Ziele erreicht scheinen, zu deren Bewältigung man sich zusammengefunden hat. Zwar werden die Master meistens versuchen, ein derartiges Auseinanderbrechen zu vermeiden, schon um der Aufgabe enthoben zu sein, für zwei verschiedene Teams den Plot weiter zu entwickeln oder substantielle Verluste der Gruppe zu erleben, doch können sie nur versuchen, diese Prozesse zu steuern. Ein Kunstgriff dieser Art ist es, das Team zunächst kontrolliert zu spalten, etwa indem man einen Charakter durch positive oder negative Sanktionen separiert, um dann dem Team in einer Konfliktsituation vorzuführen, wie notwendig man der Fähigkeiten eines jeden Charakters bedarf, will man Erfolg haben. Subsozialwelt FRPG-Szene Der Übergang vom informellen Kreis einiger Freunde 250, dessen Organisation sich an Fantasy-Rollenspielen orientiert und der sich um einen Master und das eigene Zimmer sammelt, zu 'öffentlicheren' Organisationsformen ist fließend. So können die Freunde als Team mit ihren Charakteren oder Mech an offenen Spielen anderer Gruppen partizipieren, man kann sich mit anderen zu einem eigenen Treffen verabreden usw. Derartige Ereignisse bleiben singulär und haben ihre Basis weiter in den Kleingruppenfreundschaften der Peers. Werden diese Events nun häufiger, verdichten sich die bislang informellen Strukturen zu festeren Organisationsstrukturen, z.B. zu den von einigen Enthusiasten betreuten Fantasy-Rollenspiel-Ringen, zu permanenten oder periodisch organisierten MUD und LAN-Partys oder als besonderer Fall bei "BattleTech" zu einer festen Organisation als Verein. Während in den ersten beiden Fällen diese Verdichtungen temporär wie von der Tiefe der Organisation her begrenzt bleiben, sind die Chapter der "BattleTech"-Szene in mancher Hinsicht eine Ausnahme.251 Einerseits erinnern sie von ihrer Zusammensetzung her an Peer Groups, andererseits 248 Die Jugendliche neigen dazu, fachliche Kenntnisse noch vor persönlichen Fähigkeiten als 'objektive' Legitimierung von Autorität zu akzeptieren, viele Meister definieren ihre konkrete Dominanz durch ihren Vorsprung an Wissen und Erfahrung; diese entpersonalisierte Distanz wird auch deutlich im Begriffe des Master oder wie bei "BattleTech" in der militärischen Rangordnung, APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1997-07-18 PA-REJ-RES, 108, 122, 123; Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung BT Fanzine 5th Sword of Light, 1996-10-15 249 Zu Surfing und Sampling in jugendkulturellen Szenen s.a. Ergebnisse der "Timescout"-Studie (http://tfactory.com/html/timescout_41.html [2004-08- 15]); HITZLER/ BUCHER/ NIEDERBACHER 2001, 19-30 250 Zur Begrifflichkeit der Szene vgl. die ironische Namensgebung der auch politisch engagierten HipHop-Gruppe "Freundeskreis" (http://www.laut.de/wortlaut/artists/f/freundeskreis/&e=747 [2004-07-15]); 251 Die Organisation des Spielbetriebs von "BattleTech" in Chapter ist eine spezifisch Variante im deutschsprachigen Raum, in der angelsächsischen Tradition dominiert der Show Down als Kampf einzelner Spieler auf lokalen und regionalen Treffen, APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11- 02 BS 01, 10; zur Spielpraxis in Frankreich/ Belgien vgl. Interview 1997-06-21 RES, 22-38 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 253 reichen sie nicht so tief hinein in Alltag und Lebenswelt der Jugendlichen wie deren engerer Freundeskreis. Die sozialen Beziehungen unter den Jugendlichen in diesen peripheren Vergesellschaftungsformen sind anders angelegt. Es kommt zwar vor, dass man sich mit den Freunden der Peer Group an diesen Chapter beteiligt oder von einem dort eingeführt wird, viel häufiger aber ist der einzelne Jugendliche, der dort neue Beziehungen begründet. Zentrales Interesse ist dabei mehr noch als im Freundeskreis das Fantasy-Rollenspiel selbst, diese Sozialformen definieren sich quasi von dieser Funktion her.252 Auch die Fantasy-Rollenspiel-Ringe, die von einigen Enthusiasten regional und landesweit, heute besonders auch im Internet unterhalten und betreut werden253, sind aus der Perspektive der Spieler ebenfalls funktional angelegt. Sie versorgen die Spieler mit Materialien, bieten ihnen eine Präsentationsfläche, ein Forum zum Nachrichten- und Gedankenaustausch. Sie konkurrieren dabei recht erfolgreich mit den kommerziellen Seiten der Verlage und Produzenten254 und werden manchmal auch von diesen unterstützt.255 Die Spieler nutzen die Serviceleistungen dieser Einrichtungen, ohne sich ihnen weiter verpflichtet zu fühlen. Die fortlaufende Perfektionierung der PC-Spiele des Fantasy-Rollenspiel-Sektors und ihre Ausstattung mit Multi-User-Modi erweitern die Szene um eine Reihe weiterer offener Organisationsformen. So rüsten einerseits die bisherigen Fantasy-Rollenspiel-Gruppen auf, da sie sich dem Trend wie dem technizistischen Reiz des Mediums nicht entziehen können, andererseits aber benötigen Spieler in den MUD nicht mehr unbedingt derartige engere soziale Verbände zum Spiel. Es genügt die (elektronische) Verabredung oder Einladung im Netz. Die Entwicklung führt allerdings nicht so ohne weiteres zum Ende der klassischen FRPG-Spieler-Gruppe. Wie die Nutzung der Gamekonsolen zeigt, bei denen Multi User Modi schon wesentlich früher in den Jump 'n Run-Spielen in ausgereifter Form vorlagen256, favorisieren die Spieler weiter eine reale, parallele Interaktion mit Freunden neben der im Spiel an der Konsole. Da zum Spiel an der Konsole auch ein Fernsehgerät benötigt wird, kann das PC-Spiel – die zentrale Position des Mediums im Environment nutzend - sogar den Mittelpunkt familialer Interaktion werden.257 Einrichtungen in den Internet-Cafés oder Game Shops berücksichtigen beim Aufbau der Spieltische für MUD eine mögliche Face-to-face-Kommunikation der Spieler, dagegen betonen – wie sich aus dem Wettkampfcharakter ergibt – offizielle Tournaments den isolierten Status des Spielers.258 Diese Orte wie auch Contests und Cons stellen allerdings grundsätzlich sehr offene soziale Formen der Fantasy-Rollenspiel-Szene dar, wo sich die Spieler nur vorübergehend begegnen. 259 Die neuere Entwicklung der MMORPG verlagert die Aktivitäten der Fantasy-Rollenspiel-Szene fast vollständig ins Internet. Zwar konferieren die Spieler dieser Varianten von Fantasy-Rollenspielen in ihrem Alltag weiter Face-to-face mit anderen Insidern über spieltechnische Aspekte und Probleme, daneben treten aber gleichberechtigt und zunehmend dominant die elektronischen Kommunikationsmittel. Die im Vergleich zu Tabletop-Spielen oder MUD erhöhte Anonymität, in der die Spieler agieren können, entlastet die Fantasien der Spieler bei der Entwicklung von Charakteren und entzieht sie zugleich der Kontrolle der Master wie der Gruppe. Diese Offenheit mag insbesondere Spieler ansprechen, die sich in den klassischen Adventure Teams paternalisiert und in der Entwicklung eigener Spiel- und Gestaltungsideen gehemmt gefühlt haben. Die weitgehend mit den Chatrooms identische Struktur der MMORPG als offene und anonymisierte Foren erklärt die Faszination und Begeisterung der Jugendlichen für diese Spielvariante.260 252 Bsp: APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 1995-12-16 BT-Fight WG; 253 Vgl. Anm. 139-141 254 Vgl. Anm. 138 255 Links auf den offiziellen Seiten auch zu den nicht-kommerziellen Seiten des Fandom; teilweise auch die Übernahme von Artikeln und Meldungen, Szenenachrichten etc.; 256 Multi-User-Modi sind ursprünglich eine Domäne der Spielkonsolen von Firmen wie Nintendo, SEGA, SONY mit 2 bzw. 4 Joysticks. Früher erfolgte die Anzeige durch Teilung des Bildschirms, heutiger technischer Stand sind MUD mit schnellen LAN bzw. DSL-Verbindungen (http://de.playstation.com/hardware/hardware.jhtml?isConsole=true&generationId=2 [2004-08-24]) und umfangreiches Zubehör (http://de.playstation.com/hardware/accessories_list.jhtml?generationId=2 [2004-08-24]); 257 Bsp.: "Nintendo"-Nachmittage eigener und Nachbarskinder im Wohnzimmer, APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2000-09-08 LE-HS; 258 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.5-1; Bild 1.5-13 259 VOGELGESANG 2003; BERTUCH 2000; APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 106-114 260 APPENDIZES/ Interview 2004-02-09 AM, 33-51 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 254 Battletech-Chapter Einen besonderen Grad sozialer Systeme, die sich um Fantasy-Rollenspiele bilden, stellen die formell organisierten Chapter der "BattleTech"-Szene dar, in denen die "MechWarrior" Aufnahme und Unterstützung finden.261 Diese Chapter gehören zu dem zu Beginn der 90er Jahre gegründeten Nice-Dice e.V., in dem sich bundesweit "BattleTech"-Spieler zusammengefunden haben, um das FRPG eigenständig und unabhängig von kommerziellen Autoren und Produzenten zu entwickeln. 262 Die Gründung der Chapter geht auf einzelne Spieler zurück, die bislang gegeneinander spielten, denen aber dabei die "rollenspieltechnischen"263 Elemente von "BattleTech" zu kurz kamen. Erst mit dem Zusammenfassen der Mech zu einer "Lance" als taktischer und weiter zu größeren Einheiten und deren Integration in eine militärische Befehls- und Organisationshierarchie nähert man sich ernsthaft den vom zentralen Szenario vorgegebenen Kriterien von Authentizität. Ein weiterer Impuls für die Gründung der Chapter ist die Möglichkeit, nun überregional andere Spieler zu finden und auf der Grundlage eines stabilen Regelwerkes, eines ausgefeilten Hintergrundszenarios und einer soliden Basisorganisation sich mit ihnen zu messen. Im Gegensatz zum schnell vergessenen Einzelkampf und Show Down wird damit eine Geschichte und Tradition des Kampfverbandes begründet, in welche die Biografien der einzelnen "MechWarrior" einfließen, dort verortet und im kollektiven Gedächtnis von Chapter und "House" verewigt werden. Tradition und Historie als Formen eines kollektiven Gedächtnisses werden zu Ordnungsinstrumenten, mit denen die Jugendlichen der Gefahr der Vernachlässigung und des Untergangs im Chaos der Zeit begegnen.264 Sichtbar wird dieser Prozess gerade in den Erfolgen, die zum Ruhm des Chapter, aber auch zur Reputation des jugendlichen Spielers beitragen und in den ständig akribisch produzierten Ranking-Listen der Fanzines protokolliert werden.265 Die Spieler erhoffen sich mit der Gründung oder der Mitarbeit in einem Chapter weiter synergetische Effekte, die auf der Integration der Einzelspieler, deren Fähigkeiten und deren Materials in eine komplexere soziale Organisation beruhen. Konkret bedeutet dies die häufigere Möglichkeit, überhaupt spielen zu können, eine Entlastung bei der Organisation der Fights, die Teilnahme an Großkampagnen wie z.B. auf den jährlichen "Genda" und "Curse"-Cons, die Teilhabe am Pool der erbeuteten Mech, die Profilierung in den Ranking-Listen. Deutlich werden also integrative wie distinktive Intentionen der FRPG-Spieler, die sie dazu veranlassen, einen gewissen Teil ihrer Autonomie dem Chapter zu opfern. Von Bedeutung für die Spieler ist dabei einmal die Bestätigung und Versicherung, welche die Gruppe den eigenen lebensweltlichen Gestaltungsansätzen verleiht, die im Alltag prohibitiv wenig offen gezeigt werden, da man Unverständnis und Ablehnung vermutet. Die Aggregation derartiger Gestaltungsentwürfe in den Chapter und deren soziale 'Objektivierung' vergewissert den einzelnen in der Richtigkeit seines individuellen Ansatzes. Weiter wichtig ist das Moment der Verteilung der Risiken, die den Gestaltungsbemühungen folgen, und das der gemeinschaftlichen Kompensation negativer Erfahrungen. Als Residuen erlauben die Chapter den Rückzug in eine weitgehende selbst und mit Gleichgesinnten geschaffene und gegenüber der Umwelt behauptete Welt. Die Chapter erlauben die Kommunalisierung der Affekte und Emotionen. Gerade für männliche Jugendliche sind die alltäglichen Ansprüche an ihre Männlichkeit eine hohe Belastung. In den Ritualen der Gruppe ist es möglich, seine Affekte und Emotionen nach Außen dringen zu lassen, ohne die in diesem Lebensalter fragile Konstruktion der eigenen Persönlichkeit zu gefährden.266 261 Für eine Darstellung der aktuell [2004] vorhandenen Chapter s. Warrior's Guide, 32, 2004, 39-49 (Zeitschiene 3036 Inner Sphere: 42 Chapter; 3060 Inner Sphere: 32 Chapter; 3025 Clan: 32 "Cluster"; 3060 Clan 32 "Cluster'"); 262 Nice-Dice e.V., Postfach 1841, 66468 Zweibrücken (http://www.nice-dice-ev.de/ [2004-08-15]; http://www.nice-dice-ev.de/BattleTechAG.html [2004-08-15]); Ursprünglich wurde als eine private Initiative der FRPG-Spieler die "MechForce" in den USA, GB und der BRD aufgebaut, wobei FASA stillschweigend zunächst die Fremdnutzung der Copyrights duldete. Mit dem Erfolg der Institution und der weiteren Entwicklung der Szene favorisierte FASA die Gründung einer firmenkontrollierten "MechForce Germany" durch den Lizenznehmer FANPRO und versuchte, eine strikte Wahrung des Copyrights und seiner Nutzung durchzusetzen. Zumindest in der BRD wollte ein Großteil der Spieler diesen Schritt nicht mitgehen und entschloss sich 1996 zur Gründung eines Vereins, der grundsätzlich allen FRPG-Spielen offen stehen sollte und das Copyright-Problem durch eine Abkoppelung von der offiziellen Zeitschiene 1997 löste. Diese wird seit diesem Zeitpunk selbständig im Spiel der Chapter untereinander wie in eigenen Szenarien weiterentwickelt. FANPRO und WIZKIDS unterstützen weiter semi-professionelle Organisationsformen und Präsenzen wie "Classic Battletech.Com" (http://www.classicbattletech.com/cbt_home.html [2004-08-15]), die weiterhin aktive "MechForce Germany" (http://www.mechforce.de/ [2004-07-15]) oder "Battletech Deutschland" (http://www.battletech.info/?pageid=10000 [2004-08-15]); 263 Warrior's Guide, 25, 2002, 34 264 MIKOS 2003: "Kulturelles Gedächtnis"; 265 Chapter-interne Ranking-Liste, APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung BT Fanzine 5th Sword of Light; Bilder/ Bild 1.2-65 266 WINTER/ NEUBAUER 2001, 15-32 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 255 Wesentlicher Gesichtspunkt für die FRPG-Spieler bei der Wahl oder Gründung eines Chapter ist dessen Affinität zu den Vorbildern im "BattleTech"-Kosmos, die sich in Selbstdarstellung und Programmatik manifestiert. Name, Position, Geschichte und Ethos der Einheit sind wesentliche Identitätselemente des Chapter wie seiner Mitglieder und genuin mit seiner Gründung und seiner bisherigen Existenz verbunden. Hier zeigen sich zahlreiche Parallelen zur militärischen Traditionspflege, wo auch die Historiografie der Einheiten letztlich weniger eine wissenschaftliche, sondern eine reflexive und identitätsstiftende Funktion hat.267 Solange die Vorgaben des Szenarios präzise berücksichtigt und die daraus entwickelten Kriterien umfassend erfüllt werden, besteht größte Gestaltungsfreiheit bei der Ausbildung der Identität des Chapter.268 In gewisser Weise spiegelt die Charakteristik des Chapter den im situativen Kontext und in der Biografie aktuellen Identitätsentwurf des Jugendlichen. Diesen individuellen Dispositionen kommen die vielen Variationen der Chapter-Identitäten weitgehend entgegen. Zusätzlich ist die Permissivität der Chapter zu bedenken: etwa die weitgehend offene und selbst gestaltbare Positionierung des Spielers im Chapter, die relative Unverbindlichkeit der Entscheidungen, welche die individuelle Akzeptanz notwendig voraussetzen, die hohe Ambiguitäts- und Frustrationstoleranz der Mitglieder. Zwischen den Chapter existiert deshalb eine permanente Fluktuation der "BattleTech"-Spieler, die auf der Suche nach alternativen Formen kollektiver Identität sind. Unverkennbar bei Wahl wie Gründung der Chapter ist allerdings bei den jugendlichen Spielern die Faszination, welche rigide, autoritäre und extreme Fiktionen von Daseinsformen auf sie ausüben. Fast alle Fantasy- Rollenspiel-Welten sind Dungeons, die von sinistren Mächten geformt oder bedroht sind, was zur autoritären Strukturierung der Zivilgesellschaft und zur indiv iduellen 'Aufrüstung' geführt hat. Dabei weiß das Individuum um die Fragilität seiner fiktiven Umwelt und um die Tragik des eigenen Bemühens, dem Chaos die persönliche Freiheit und die Utopie einer gerechten Welt vermutlich vergeblich opfern zu müssen. Das Einverständnis in die feudalen, (staatsmonopol-) kapitalistischen, diktatorischen, totalitären Gesellschaftswirklichkeiten der Spiele wird von der tieferen Einsicht in die Unzulänglichkeit dieser Versuche getragen, der Erosion sozialer Interaktion dauerhaft Einhalt zu gebieten. Als Metaphern scheinen diese Spielwelten dabei den Alltag der Jugendlichen mit seinen vielfältigen Ohnmachterfahrungen korrekt abzubilden. Ihre fiktive Antwort in den von ihn gespielten Charakteren stellt dort einen Erfolg noch in Aussicht, der im Alltag, wie die Jugendlichen wissen, nicht mehr zu erringen ist. Sie ähneln darin den Samurai, der wie in den Filmen Kurosawas und Nakanos269 unbeirrt auch als Ronin, als deprivierte Krieger ohne Lehensherrn, dem Ehrenkodex des Bushido folgen, wohl wissend, dass ihr individuelles Bemühen um die Ordnung der Welt erfolglos sein wird. 270 Die Chapter ähneln in ihrer Binnenstruktur anderen Gruppen der Fantasy-Rollenspiel-Szene, allerdings scheinen die dort mehr oder weniger impliziten, egalitären und hierarchischen Interaktionsformen bei "BattleTech" durch die sprachliche und kontextuelle 'Militarisierung' der Szenarien erheblich deutlicher, stringenter und rigider. Die Chapter werden von einem Kommandeur und seinem Stellvertreter geführt. Die anderen Mitglieder des Chapter sind ihnen (in der Fiktion des Szenario) unterstellt. Die Rang- und Dienstbezeichnungen entsprechen dabei dem vom Chapter gewähltem 'historischen' Vorbild und seiner Tradition. Ein "Kurita"-Chapter wird demnach von einem "Tai-I" (Hauptmann) geführt. Seine Stellvertreter sind die Kommandeure der "Lances", die "Chu-I" bzw. "Sho-I" (Oberleutnant/ Leutnant).271 Als neuer "MechWarrior" erhält man zunächst den recht hohen Mannschaftsdienstgrad eines "Talon Sergeant". Eine Beförderung kann auf Vorschlag des Einheitsführers von einem höheren Offizier vorgenommen werden. Die militärische Struktur ist bis auf die Farben der Rangabzeichen und Waffengattungen genau dem Szenario entnommen und wird ständig auf ihre Korrektheit und Übereinstimmung mit dem Zeitschienen-Szenario überprüft.272 In der Praxis können die Kommandeure sich aber kaum auf ihren Dienstgrad berufen, ihre Autorität beruht auf ihren Kompetenzen im Spiel, bei der Organisation des Chapter und nicht zuletzt bei der Menschenführung. Die Entscheidungsprozesse verlaufen also 267 Im angelsächsischen und französischen Kulturraum eine ungebrochene Tradition, finden sich in der BRD aufgrund ihrer neueren Geschichte nur rudimentäre Formen wie in Kasernennamen, Traditionsverbänden wie dem "Wachbatallion" und bei Reservistenverbänden; 268 Welche Möglichkeiten der Variation bei der Gestaltung der Chapter-Identitäten bestehen, zeigt sich z.B. in internen Spielhilfen der einzelnen "Houses". Selbst ein so totalitäres Regime wie das "Draconis Combine" bietet in seinem grundlegenden Szenario des Kampfes strikt konservativer Eliten mit reformorientierten Kräften, in den komplizierten Beziehungen der "Warlords" des "Hauses" untereinander und mit den Emanzipationsbestrebungen sozialer Klassen wie ethnischer Gruppen genügend Ansätze, Loyalitäten und Wertvorstellungen zu entwickeln und zu einer Identität des Chapter zu verdichten, s. AMELIZADEH 2000a; MILÁN 1997 269 Vgl. KUROSAWA 1954; NAKANO 1998 270 Vgl. Informationen zum Status und zur Geschichte der Samurai s. http://de.wikipedia.org/wiki/Samurai [2004-08-24]; http://www.samurai- archives.com/ronin.html [2004-08-24]; 271 Die Rangbezeichnungen entsprechen denen der japanischen Kaiserlichen Armee des II. Weltkriegs, s. http://patriot.net/~jstevens/Isiu- Island/ranks.html [2004-08-24]; 272 Vgl. dazu: AMELIZADEH 2000b 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 256 ähnlich quasi-egalitär wie in anderen Fantasy-Rollenspiel-Teams und sind Resultat vielschichtiger Abstimmungs- und Verhandlungsprozesse der Chapter-Leitung mit den Mitgliedern. Der erste Eindruck täuscht also. Da die "MechWarrior" ihre Kampfmaschinen nach dem zentralen Szenario selbst erworben bzw. ererbt haben und über sie im Einsatz selbst entscheiden, steht es ihnen (mehr oder minder) frei, den Befehlen zu gehorchen oder sie als Ratschläge zu betrachten. Beim Austritt aus dem Chapter können sie jederzeit auch das von ihnen eingebrachte Material mitnehmen. Eine Eigenart der Chapter besteht allerdings darin, diese Formen des Entscheidungsprozesse mittels militärischer Rituale zu camouflieren, um eben doch noch die militaristischen Attitüden der Welt des Szenarios Wirklichkeit werden zu lassen.273 Auch in weiteren Aspekten ähneln die Chapter in ihren Aktivitäten in vielem den traditionellen Jugendgruppen.274 Man trifft sich regelmäßig zu einem bestimmten Wochentermin möglichst immer am gleichen Ort. Man kennt sich und fühlt sich wohl. Auch außerhalb der Treffen ist ein Kontakt unter den Mitgliedern immer möglich, unter der Chapter-Leitung ist dieser Kontakt zu Koordinierung ihrer Aufgaben die Regel. Die Chapter leisten auch Verbandsarbeit, sie verfolgen spezifische Intentionen und Ziele innerhalb eines Gesamtprogramms ihres Verbandes, das sie mitformen und an dem sie partizipieren, stellen eine Personalreserve für die Verbandsleitung dar und repräsentieren den Verband vor Ort auch gegenüber anderen Jugendverbänden. Convention: Manifestation einer Spezial-/ Jugendkultur Zentrale Events der Fantasy-Rollenspiel-Szene sind die übers Jahr verteilten Conventions. 275 Jedes Con der Fantasy-Rollenspiel-Szene gibt zwar vor, alle Spielarten von Fantasy-Rollenspielen zu thematisieren, in der Praxis aber haben sich die meisten Con spezialisiert und favorisieren bestimmte Spiele bzw. Spielvarianten. 276 Neben dem eigentlichen Spielbetrieb sind die Cons auch Messen und Märkte, auf denen sich die Szene über neue Entwicklungen informiert und mit Spielutensilien eindeckt. Weiter fungieren sie als Catwalks, auf denen sich Spieler und Spielergruppen präsentieren können. Gerade Mitglieder einer Szene, die mehr oder minder unauffällig im Alltag integriert ist, genießen die Con als Momente, wo man an eine Öffentlichkeit tritt und manchmal sogar von lokalen oder gar regionalen Medien wahrgenommen wird. 277 Der dort stattfindenden Diskurs der Spielergemeinde über die Fantasy-Rollenspiele macht sie zugleich zu einem wichtigen Forum der Diskussion für Varianten und Modifikationen, neue Handlungslinien und Figurenkonstellationen, Regelwerke und Neuerscheinungen. Con sind auch ein guter Anlass für Spieler und Spielergruppen, sich wieder einmal zum gemeinsamen Spiel zu treffen. Häufig wird gleich im Anschluss an das Treffen die erneute Zusammenkunft im nächsten Jahr oder auf einem anderen Con fest geplant. So kommt es, dass manche Teilnehmer die Con kontinuierlich in einem persönlichen Itinerar besuchen und damit über längere Pausen wie große Distanzen hinweg feste soziale Kontakte schaffen. Während reine Fantasy-Rollenspiel-Con mehr von Einzelspielern oder kleinen Gruppen besucht werden, reisen die "BattleTech"-Chapter zu Veranstaltungen wie "Cursed" in voller Mannschaftsstärke und mit umfangreichen Maschinenpark an.278 Trotz des nicht zu übersehenden Engagements von Produzenten und Verlagen werden die Cons von Fantasy- Rollenspiel-Enthusiasten und -Gruppen in Eigenregie organisiert und stellen auch einen Teil der jugendlichen Gegen- und Subkultur gegen die Marktmechanismen dar.279 Und ungleich schwieriger ist es, diese Gestaltung in 273 Bsp.: APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg, 4 274 Vgl. dazu: APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-44-50; Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung BT Fanzine 5th Sword of Light 275 Veranstaltungskalender 2004, s. Warrior's Guide, 33, 2004, 26-31; vergleichbare Szenen wie etwa die "Star Trek"-Szene, organisieren ähnliche Großereignisse: FED CON XII - The Lost Cruiser, 21.-23.05.2004, Bonn, Maritim Hotel (http://www.sat1.de/serien/startrek/ specials/meldung/05780/ [2004-05-17]); 276 Vgl. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung BT Fanzine 5th Sword of Light, 24.06.1996: das Fanzine verweist auf so unterschiedliche Veranstaltungen wie den "Feen-Con" in Bad Godesberg (ca. 2000 Besucher), ein Treffen aller thüringischen Chapter in Greiz ("...eine Halle...,die 150 Personen problemlos aufnehmen kann..."), die "Galedon-Games" in Neukirchen-Vluyn, "Cursed III" in Nürnberg (ca. 300 Besucher); weitere Werbung für Cons z.B. in Fanzine, Prozine und auf den Webpages der FRPG-Ringe; 277 Vgl. Berichterstattung im WDR über den "RingCon 2003" (http://www.wdr.de/themen/panorama/lifestyle/herr_der_ringe/ringcon_2003/ index.jhtml?rubrikenstyle=panorama#top [2004-07-15]); 278 Üblicherweise verständigt man sich über diverse Foren, wer einen Con besuchen will und wie Fahrt und Aufenthalt organisiert werden. Bei manchen Con wird die Zahl der einzelnen Gruppen auch begrenzt, formell etwa durch Quantitäts- und Qualitätskriterien, die auch informell Anwendung finden. Seit 1994 veranstaltet ein Chapter aus dem Haus "Steiner" in Nürnberg (Stadtteilzentrum "Quibble") einen Massen-Chapterfight benannt nach einem umkämpften Planeten in den "Succession Wars": "Operation Cursed"; die Chapter versuchen dabei, diesen Planeten zu verteidigen oder zu erobern ("Invasion-Chapterfight"); 279 Bei "BattleTech" konkurrieren die Cons von Nice Dice e.V. u.a. mit denen der offiziellen "Mechforce" von Fasa Corp.; Wettbewerbe etwa für "Halflife"-Derivate werden u.a. von PC-Spiele-Firmen wie ACTIVISION und Spielhallenketten gesponsert, s. dazu: BERTUCH 2000, 38 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 257 mehr oder minder öffentlichen Kontexten durchzusetzen. Wie die Spieltreffen sind auch die Cons als mehrtägige Ereignisse konzipiert. Im Mittelpunkt steht das Spielen, das man mit unermüdlicher Ausdauer betreibt. Die verschiedenen Spiele werden in der Regel von der Leitung des Con organisiert und werden meist im Wettbewerb ausgetragen, daneben aber bliebt auch Raum für das private Spiel mit alten und neuen Freunden. Der Kontrast aus der Nüchternheit der zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten und dem exzessiven Spiel verweist einmal wieder auf das fast grenzenlose Imaginationsvermögen der Jugendlichen. Der gemeinschaftliche Besuch des nächsten Fast-Food-Ketten-Restaurants oder das gemeinsame Catering, der Austausch der Musik-CDs und Materialien, all die kleinen Elemente der gruppeninternen Interaktion erweisen sich auch in der mit zunächst völlig Fremden als probat und erfolgreich. Cons bieten dem Einzelspieler die Gelegenheit, die in der eigenen Fantasy-Rollenspiel-Gruppe üblichen Interaktionsformen in fremden Kontexten auszuprobieren und auf ihre Funktionalität zu prüfen. Wichtig ist dabei besonders das Interaktionsverhalten anderer bei Entscheidungsfindung, Konfliktlösung und Integration wie deren Reaktion auf eigene Handlungsimpulse. Die Erfahrungen, die auf Cons gemacht werden, werden in eigenen Gruppen auch diskutiert und können das Handeln dort indirekt verändern. Indikator hierfür sind z.B. auch Modifikationen der Spielregeln und Spielweisen nach jedem großen Con. Aber auch die Bewältigung emotionaler Situationen durch gruppeninterne Rituale geht auf Anschauungslernen bei anderen Fantasy-Rollenspielern und –Rollenspiel- Gruppen zurück. Resümee: Forme n individueller und kollektiver Interaktion Fantasy-Rollenspiele haben für die Jugendlichen bei der Gestaltung ihres Alltags eine bedeutende Rolle. Sie motivieren die Jugendlichen, in ihrem Alltag Kontexte zu entwickeln, in denen das Spiel stattfinden kann. Neben der Aneignung und Gestaltung von Räumen zählt dazu besonders die sozialer Beziehungen unter den Jugendlichen in spezifischen Formen individueller und gemeinschaftlicher Interaktion. Interaktionstypen In den sozialen Codes bilden sich nicht nur Interaktionsformen der Jugendlichen wie Rituale und Konventionen ab, mit denen sie Bedeutungen zuweisen und sich artikulieren, sondern auch die verschiedenen Erscheinungsformen der Kollektive selbst als "Interpretative Communities", die eben jene Rituale und Konventionen transportieren und tradieren.280 Als Individuen, die in Peer Groups und anderen jugendkulturellen Subsozialwelten beheimatet sind, folgen die Jugendlichen deren Prefered Producing bzw. Prefered Reading von Texten und den damit verbundenen Interaktionsformen. Interaktion als Form aktiver Gestaltung von Identität Die Peer Group erweist sich dabei als die wesentliche soziale Verdichtung von Subsozialwelt im Alltag der Jugendlichen: "Die Clique wird zur neuen Heimat."281 Dabei kann die primäre Peer Group des Jugendlichen, die sich um einen sinnstiftenden Interaktionsanlass wie Fantasy-Rollenspiele bildet, in Spezialbereichen seines Interesses einerseits durch weitere (sekundäre) Peer Groups ergänzt werden, an deren fokussierender dominanter Aktivität er temporär partizipiert (horizontale Differenzierung). Die primäre Peer Group kann aber auch in eine übergeordnete soziale Organisationsform wie der Szene auf der Basis eines gemeinsamen Interesses integriert werden (vertikale Differenzierung). Damit entstehen offene und nur beschränkt verbindliche, durch temporäre Partizipation und Allianzen geprägte soziale Formationen der Jugendlichen. 282 "Der hinlänglich ausgewiesene Trend zur Separierung und Segregation von Gruppen als immer bedeutungsvoller werdende informelle Sozialisationsinstanzen setzt sich in den Medienspezialkulturen nicht nur fort, sondern findet dort eine stilgebundene Steigerung." 283 Die 'gestufte' Teilhabe an verschiedenen Peer Groups, die sich über ihre gemeinsamen Interessen definieren, ist Faktum jugendlichen Alltags.284 Die integrativen und distinktiven Funktionen der Fantasy-Rollenspiel-Gruppen 280 CHANDLER 2003, 192 281 RESEARCH & MEDIA MARKETING 2002, 13; RESEARCH & MEDIA MARKETING 2004, 15-16 282 HITZLER/ BUCHER/ NIEDERBACHER 2001, 19-30 283 VOGELGESANG 2000, 153 284 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1997-07-18 PA-REJ-RES; 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 258 zielen zwar grundsätzlich auf eine Harmonisierung ihrer Mitglieder, sie können aber natürlich nur sehr bedingt alle Interessen und Vorstellungen ihrer Mitglieder in der Symbolwelt der Fantasy-Rollenspiele subsumieren und integrieren.285 In der Praxis führt das dazu, dass die Jugendlichen an weiteren Peer Groups teilnehmen, die in ihrem persönlichen Ranking auch zu primären aufsteigen oder zur Bedeutungslosigkeit herabsinken können und die zur Bildung von weiteren Teams und Dyaden als konkrete Formen von Interaktion führen können.286 Innerhalb dieser von den Interessen der Individuen her konstituierten Subsozialwelt bildet sich als eine weitere (horizontale) Struktur die Integration von Peer Groups gleicher Interessen, hier Fantasy-Rollenspiele, zu einem informell wie formell organisierten Interesse ab. Die Ursachen hierfür sind in der Perspektive der Jugendlichen vielschichtig: Wie die einzelnen Spieler suchen auch die Gruppen danach, sich ihrer Identität in gegenseitiger Bestätigung wie in der Abgrenzung zu anderen Formen der Gestaltung von Alltag und Lebenswelt zu vergewissern. Weiter können die Gruppen ihre Interessen auf diese Weise effizienter in der Öffentlichkeit präsentieren und legitimieren. Die Jugendlichen erfahren in ihren Communities und Players' Associations im Gegensatz zum traditionellen Verein auch positive Resultate synergischen und solidarischen Handelns bei gleichzeitiger Wahrung distinktiver Individuation. Nicht zuletzt drängt auch eine Öffentlichkeit auf eine organisatorische Durchdringung dieser jugendlichen Gestaltungsversuche, um sie ihren jeweiligen Intentionen (Kommerz, Administration, Pädagogik etc.) zugänglich zu machen. Derartige Organisationsstrukturen gewinnen allerdings dann auch eine Eigendynamik, die mit wachsender Intensität des formellen Apparates zu negativen und kontraproduktiven Effekten führt wie Bürokratisierung, Vereinsmeierei und Hybris der Leitungsgremien, wie vielfach von den Spieler beklagt wird. Nicht ohne Grund weigern sich manche Communities, weiter zu wachsen, eben um ihre Authentizität zu wahren.287 Diese Ambiguität spiegeln auch die szenetypischen Treffen. Auf dem Con erfahren die jugendlichen Fantasy- Rollenspieler einerseits eine integrative Versicherung ihrer Identität, die von einer öffentlichen Präsentation der Szene ausgeht, bei der auf den ersten Blick die Uniformität zentrale Botschaft ist. Andererseits sind die Cons gleichzeitig auch Foren kaleidoskopischer Disparität, die geeignet sind, dass die Jugendliche herkömmliche Verhaltensweisen kritisch beobachten, bestätigen oder verändern. "Gruppen repräsentieren somit einerseits Identitätsmärkte, wo Jugendliche frei vorn Routine- und Anforderungscharakter ihrer sonstigen Rollenverpflichtungen Selbstdarstellungsstrategien erproben und einüben, sich gleichsam im Gruppen-Spiel und Gruppen-Spiegel ihrer personalen wie sozialen Identität vergewissern können. Andererseits sind aber auch Kompetenzmärkte, auf denen eine spezifische Sozialisierung und Formierung des Mediengebrauchs stattfindet."288 Allerdings ist auch deutlich, dass bei aller Intensität, mit denen Fantasy-Rollenspiele im Leben der Jugendlichen präsent sind, sie nicht die Gesamtheit ihres Lebensweltentwurfes ausmachen. So sehr die Jugendlichen die distinktive Fiktionalität der FRPG auch lieben, sie müssen ihren Entwurf innerhalb eines Alltags realisieren und behaupten, dessen aktueller Dynamik man sich nur schwer entziehen kann. Die Jugendlichen gestalten deshalb ihre Environment gerade auch mit dem symbolischen Material der Konsum- und Medienwelt. Gruppen stellen also die wesentliche Variante von Protected Areas dar, in denen Jugendliche weitgehend selbstbestimmt handeln und sozial interagieren können. Die Gruppe offeriert spezifische Identitätsmuster, die vom Jugendlichen (selektiv) angenommen und modifiziert werden können. Nonkonforme Modifikation wie Ablehnung führen (eventuell über Sanktionen) zu Ausschluss und zum Wechsel des sozialen Kontextes und veränderter Identitätsentwicklung. Mit der Auseinandersetzung mit einer gruppenspezifischen Identität verbunden ist der Erwerb spezifischer alltagsästhetischer und interaktiver Kompetenzen wie Pragmatik: Stilsprache, Selektions-, Modifikationsmuster im Umgang mit dem für die symbolische Interaktion notwendigen symbolischen Materials bzw. der symbolischen Objektivationen. Besonders wichtig scheint die mit den alltagsästhetischen Kompetenzen 285 Nur bedingt zu kompensierende Divergenz bestehen etwa zwischen der 'intellektuellen' Attitüde der FRPG und der 'körperlichen' von Street Sport wie Skate Boarding, Inline Skating, Basket- und Streetball (SCHWIER 1997) oder der 'emotional-affektiven' von Hip -Hop und Techno, s. BÄRNTHALER 1996; WINTER 1998, MÜLLER 2004 286 Zur Konvergenz der Szenen s.a. http://tfactory.com/html/timescout_41.html [2004-08-24]; 287 Aufnahmeverfahren bzw. -stopp bei "'Time Guardians of Alderaan Star Wars Player Association" (http://www.alderaaner.de/' index.php?go=section§ion=about [2004-08-31]; 288 VOGELGESANG 2000, 153 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 259 erworbene bzw. erwerbbare Teilhabe an Archiv und Vorrat gruppenspezifischer Zeichen, Bezeichnungen bzw. Deutungen. Kompetenzerwerb und Identitätsentwicklung bedingen einander und stärken die Bedeutung informeller Gruppen für den Identitätsentwicklungsprozess bei einer Sozialisation in eigener Regie. Die dabei erworbenen Kompetenzen können als "inkorporiertes medienkulturelles Kapital"289, verstanden werden, das sich in gruppenspezifischen und schließlich individuellen Mustern von Aneignung und Entäußerung manifestiert. Da Medien mit die wichtigsten Archive und Vermittlungsinstitutionen von symbolischen Objektivationen sind, ist eine entsprechende Genrekompetenz für den Jugendlichen unabdingbar. Bei ihrer Darstellung und Aneignung leisten jugendkulturellen sozialen Formationen wie die Fantasy-Rollenspiel-Szene mit ihren Peer Groups wesentliche Hilfe. Die dort propagierte Medienkompetenz ist zugleich offen für Rezeption und Partizipation an deren technischen, inhaltlichen und formativen Fortentwicklung, wie u.a. die Affinität der Fantasy-Rollenspieler zu anderen elektronischen und digitalen Medien, besonders zu den PC-Derivaten von Spiel und Spielen zeigt ("Mediale Koppelungen"). In der Szene wie den Peer Groups organisieren sich distinktive Hierarchien eben über die Kompetenzen, die der einzelne Jugendliche erwirbt und besitzt. In Konsequenz befasst sich der Jugendliche mit den Ursachen und Wirkungen dieser Distinktionsprozesse und erkennt dabei, dass es effizientere Formen des Kompetenzerwerbs gibt, die es zu erlernen und anzuwenden gilt, wenn man seine Identitätsentwürfe in Gruppe und Szene erfolgreich verwirklichen will ("selbstsozialisatorisch-reflexive Medien- und Lernkarriere"). Eine dieser essentiellen Kompetenzen ist der kontrollierte und bewusste Wechsel zwischen Wirklichkeit, Medialität und Virtualität in den kollektiven Fiktionen der Peer Group und der Szene ("Rahmungskompetenz"290), gerade um diese Identitätsentwürfe und ihre Performanz auf ihre Tragfähigkeit hin zu überprüfen. Auf diesen Kompetenzen beruht letztlich auch die Distinktion der Jugendlichen von den Erwachsenen in einer Welt der Entgrenzung von Jugend. Während auch der 'jugendliche' Erwachsene noch einen diskursiv-begrifflichen Modus von Wahrnehmung praktiziert und daran zu erkennen ist, benutzt der Jugendliche den die mediatisierte Gesellschaft dominierenden Modus des Visuell-Bildhaften ("asymmetrische Wahrnehmungskulturen"): "Gerade ihre Leichtigkeit und Virtuosität in der visuellen Wahrnehmung - und zwar von den Bilderspektakeln der Musikclips bis zu den Fantasy-Szenarien der Comics und Computerspiele - verdeutlichen, dass die medialen Dechiffriercodes und Aneignungsweisen immer weiter auseinanderdriften, denn selbst wohlmeinenden Erwachsenen fehlt ein entsprechendes Sensorium für ästhetische Prozesse und Produkte." 291 Interaktion als optimaler Kontext von Flow Im Hinblick auf die kontextuellen Faktoren und Kriterien, die Flow-Erlebnisse ermöglichen und in einer Flow- Erfahrung perpetuieren, ist hierfür die zwischenmenschliche Interaktion grundsätzlich in hervorragender Weise geeignet. Interaktion ist ein Prozess, der in einem hohen Maße vom Individuum kontrolliert und gestaltet werden kann, weil als intentionales Handeln die angestrebten Ziele eindeutig und die heuristische Dimension einfach erscheinen. Die dazu notwendigen Kompetenzen und Fähigkeiten sind in der Regel tradiert und können vergleichsweise einfach an Kontexte und Intentionen angepasst werden. Gleichzeitig erfährt das Individuum im Handeln mit dem anderen ein aktuell-konkretes und stetes Feedback, das ihm ermöglicht, reflexiv das eigene Verhalten zu beobachten und sich verändernden Bedingungen anzupassen.292 Die klassische Form sozialer Organisation und Interaktion der Fantasy-Rollenspiele und verwandter Spiele ist das Adventure Team.293 Schon von der Spielanlage der Fantasy-Rollenspiele her werden damit partnerschaftliche und gruppendynamische Beziehungen in Form der Dyade und auf diesen basierenden Peer Group präferiert und von den Masters und Spielern zustimmend aufgegriffen und umgesetzt. Dabei erweist sich das partizipatorische Konzept der Fantasy-Rollenspiele in mehrfacher Hinsicht als positiv. Es ermöglicht das aus der Reflexion des Jugendlichen erwachsende Flow-Erlebnis, es potenziert dieses Erleben in der Erfahrung gemeinschaftlichen Handelns und erleichtert in der Organisationsform des Teams dessen Verstetigung, Routinisierung und Intensivierung, aus denen das Handeln der Jugendlichen Orientierung und Stabilisierung erfährt.294 289 BOURDIEU 1983, 186 290 FRITZ 1997, 245 291 VOGELGESANG 2000. 155 292 CSIKSZENTMIHALYI 1997, 78-85 293 Selbst Ego Shooter wie "Opposing Force", "Team Fortress", "Counter-Strike" der Half-Life-Szene werden mit Vorliebe in den MUD-Modi gespielt, s. dazu: BERTUCH 2000, 38 294 CSIKSZENTMIHALYI 106-108 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 260 Interaktion als essentielles Bedürfnis Dem postmodernen Typus des "Last Man Standing" und "Last Boy Scout" mag das fiktive Handeln der Charaktere folgen. Die Jugendlichen spiegeln damit die desillusionierenden Erfahrungen von Deprivierungs- und Distinktionsprozessen und entwickeln dort eine authentische Konzeption eines sich behauptenden kleinen Heldentums, dessen Erfolg auf der intensiven Zusammenarbeit einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter beruht. 295 Sie setzen sich gegenüber den sinistren Mächten der Fiktion mit eben der Leichtigkeit durch, wie es in der Realität gerade nicht möglich ist. Andererseits existiert diese kleine Gruppe nicht nur in der Fiktion, sondern auch als soziale Entität im Alltag des Jugendlichen. Solange nicht ernsthaft auf die Probe gestellt, und selbst dann oft überraschend erfolgreich, gelingt es ihnen in einem solidarischen Handeln, dessen Analogien zu dem in der Fiktion unübersehbar sind, zumindest die Vorstellung zu wahren, auch Wirklichkeit auf ähnliche Weise kontrollieren und beeinflussen zu können. Aber auch das Scheitern wird in der kollektiven Fiktion schon vorweggenommen in der Selbststilisierung des Untergehenden zum tragische Heros in der Tradition klassischer Sagengestalten oder in Adaption der Typen des modernen Filmhelden.296 Nicht entscheidend anders verläuft das Scheitern im Alltag am Unverständnis einer Umwelt. Nur in den Gruppen der Peers oder in einer dyadischen Beziehung können diese negativen Erfahrungen aufgefangen werden. Die Interaktion mit den Gleichaltrigen wird für das sich selbst zurückgeworfene Ich der Postmoderne zum zentralen Mittel der Selbstvergewisserung, wenn es zu Problemen bei seiner Subjektkonstitution kommt. Die Innenorientierung des Jugendlichen bedarf einer affirmativen Spiegelung in den von ihm gewählten sozialen Formationen seiner Umgebung. Während auf der Angebotseite diesen Prozess die mit den zu erwerbenden Texten verbundenen Skripts diese Prozesse vorgeben, entwickeln die Jugendlichen in deren weiterführenden Nutzung eigene Skripts, die mit ihren kollektiven Fiktionen korrelieren und geeignet sind, Alltag sinnhaft und gelingend zu erfahren. 5.4 Die Jugendlichen ziehen weitere Objekte, Texte, Medien und Ereignisse hinzu. Die Beschäftigung der Jugendlichen mit den Fantasy-Rollenspielen steht im Gesamtzusammenhang der Konstitution und Behauptung einer im Alltag integrierter und zugleich separierter Lebenswelt, in der die eigentlichen Prozesse jugendlicher Identitätsfindung ablaufen. Die Jugendlichen eignen sich hierzu Objekte, Texte, Medien und Ereignisse aus ihren situativen Kontexten im Alltag an, die sie individuell arrangieren und nach außen als Proprium präsentieren. Damit verweisen diese Materialien über sich hinaus auf die Gestaltungsleistung des einzelnen Individuums, das in deren Konsistenz seine Identität begründet. Die FRPG spielen bei den beobachteten Jugendlichen für diese Konstitution als ein zentrales Archiv symbolischer Objektivationen eine besondere Rolle, mit denen es den Jugendlichen gelingt, ihre Lebenswelt zu definieren, sie im Alltag zu integrieren und sich mit anderen über ihre Entwürfe zu verständigen. Die Integration jugendlicher Lebenswelt in den Alltag mit seinen verschiedensten Kontexten allein macht es notwendig, weitere Archive heranzuziehen, um diese Gestaltung auch über den Rahmen der FRPG hinaus zu stabilisieren und zu schützen. Die dazu notwendigen Materialien entnehmen die Jugendlichen ihrer nächsten Umwelt und ihrem Alltag und den sich dort manifestierenden Medien. 297 Musik Situation Eine wesentliche Rolle spielt neben den Fantasy-Rollenspielen naturgemäß die Musik in der Gestaltung der jugendlichen Lebenswelt298. Neben der vielfach 'unbewusst' rezipierten Mainstream-Musik der Radio- und Videocharts299, die man 'nebenbei' mithört und an der einzig zu interessieren scheint, ob eigene Favoriten das Rennen machen, begeistern sich die Jugendlichen für ihre davon divergierenden individuellen Präferenzen besonders aus den Bereichen Hard Rock, Heavy Metal, Grunge, Techno, Hip-Hop; Acid Jazz, R&B300. Während 295 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 51 296 Zum Typus des Helden/ Heros: THEWELEIT 1987 297 Grundsätzlich zum aktuellen Stand der Verbreitung von Medien-Hardware und zur Mediennutzung, MPFS 2004 298 "Musik ist eigentlich etwas, das läuft das ganze Leben durch." APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 84 299 Aus rezeptiver Beobachtung und Interviews bekannte Musik -Quellen sind Radiosender wie SWR III, HR III, BR III, Radio FFH; BigFM und TV- Musikkanäle wie VIVA; MTV, daneben auch die Tauschbörsen im Internet; 300 Zu den einzelnen Genre und ihrer Differenzierung s. FARIN 2002, 92 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 261 auf genuinen FRPG-Treffen - wenn überhaupt - eine thematisch angemessene Musik läuft, dominieren auf den "BattleTech"- und LAN-Séancen dagegen Produktionen aus den Bereichen Hard Rock, Heavy Metal, Grunge, Techno, HipHop. Auch hier lassen sich Mainstream-Bands wie "Metallica" von unbekannteren Kultbands unterscheiden: etwa "Faith No More", "Sepultura", "Man ‘O War" oder die im Klientel überaus präsente Band "Blind Guardian"301, an den Grenzen zu anderen Musikrichtungen stehen z.B. "Rage Against The Machine", "Red Hot Chilli Peppers", "Böhze Onkelz" "Rammstein"302. Obwohl die Jugendlichen die Charts in Radio und TV als nebensächlich abtun, sind sie doch hervorragend über die dortige Entwicklungen informiert. Es scheint ein wesentliches Interaktionselement zu sein, sich auf jeden Fall mittels der an die kommerzielle Musikindustrie formulierten Vorwürfe wie "Massenware", "Konsum", "Oberflächlichkeit", "Manipulation" etc. vom Mainstream zu unterscheiden und abzugrenzen. Die permanente Einbindung von Independence-Musik in diesen Mainstream sehen die Jugendlichen ambivalent, einerseits als Bestätigung der Richtigkeit ihrer bisherigen Präferenzen und Ausweis ihres Urteilsvermögens, andererseits als (noch lange tolerierter) Anfang vom Ende der Unabhängigkeit der jeweiligen Bands. Es gehört zur Ambiguität jugendlicher Interaktion und Reflexion, dass die konsumökonomischen Strukturen des präferierten Musikbereichs zwar erkannt werden, man sich aber mit einer gewissen Hartnäckigkeit diesen Erkenntnissen gegenüber verschließt oder Formen der Exkulpation für das eigene Verhalten wie das der Bands findet.303 Ein konkretes Beispiel für die kommerzielle Integration einer ursprünglich "progessiven Subkultur"304 findet sich für die Fantasy-Rollenspiele etwa bei "Shadowrun", wo Elemente des Grunge und HipHop wie anderer 'Gegenkulturen' konsequent als Elemente der Großstadtlandschaften – in Anlehnung an Gibson's "Sprawls" genannt – in die Szenarien eingefügt werden.305 Das "Seattle -Sourcebook" verarbeitet besonders die vom Grunge und seiner Kultfigur Nick Cobain besetzten Themen jugendlicher Vereinsamung und Ohnmacht angesichts der ihnen übertragenen Risiken. 306 Die mittlerweile etablierten spezifischen FRPG-Musikproduktionen307 spielen weniger auf den eigentlichen FRPG-Séancen als vielmehr in deren Umfeld, etwa als inspirative bzw. kontemplative Impulse bei der Vorbereitung oder als verdichtete symbolische Selbstwahrnehmung eine Rolle. Die Versuche, Musik eine konkrete Funktion in den Spielen selbst zuzuweisen, gelten als wenig erfolgreich.308 Die Musik stammt zu einem sehr geringen Teil noch von MC, die dann für den Jugendlichen meist einen besonderen Status und Wert haben als Reminiszenz an besondere Ereignisse seiner Biografie oder selbst diese Reminiszenz darstellen. 309 Die Kauf-CD fast völlig verdrängt haben die selbst auf dem PC aus dem ständigen Download zusammengestellten und per CD/ DVD-Writer gefertigten CD-ROM bzw. DVD. Hinzu kommen seit einigen Jahren als weitere Medien auch MD und, stark im Kommen, MP3-Files, entweder auf CD zum Abspielen im CD-Player oder per Datentransfer auf den miniaturisierten Speichermedien von neuartigen Playern wie dem "I-Pod", USB-Sticks oder auch Handys.310 Gängig ist natürlich auch das digitale Kopieren (Rippen) kommerzieller CD auf die Festplatten und ihre 'Weiterverarbeitung' in eigenen Arrangements auf CD- ROM, MD und andere Speichermedien. Als Wiedergabegeräte sieht man nur selten noch den Walkman, fast all besitzen einer mehr oder minder coolen CD-Player311, sehr wenig verbreitet sind MD-Player und MP3-Player, die aufgrund ihres hohen Preises so etwas wie ein Statussymbol darstellen, auf das dezent die in die Earphone- Kabel integrierte Fernsteuerung hinweist und mit denen man unschwer jeden CD-Player toppen kann.312 301 Eine Reihe von Jugendlichen trägt permanent T-Shirts mit Logos dieser Band als Alltagskleidung; 302 Einzeltitel s. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2003-11-26 CD-Kartei; 303 Suggestion/ Autosuggestion-Interdependenz zwischen Autoren bzw. Produzenten und Konsumenten, s. SCHULZE 1996, 435-436; 442-443 304 SCHWENDTER 1993 (1970); zur Geschichte der Subkulturforschung s.a. FARIN 2002, 58-70 305 APPENDIZES/ Bilder/ 1.8-22-23 306 IPPOLITO/ MULVIHILL 1989, 1992, 1999 307 Vgl. Kap. 4.3 308 APPENDIZES/ Interview/ Interview 2003-03-19 HA, 88, 90 309 z.B. selbst gestaltete Cover und MCs; besondere Tondokumente wie Live-Mitschnitte der favorisierten Bands; leitmotivische Musik aus einer bestimmten Zeit der Entwicklung des Jugendlichen; 310 Die Suche und Organisation der Musikdateien erfolgt mittels File-Sharing-Software wie WINMX und MORPHEUS, der Download per DSL, zur Bedeutung und Problematik von Internettauschbörsen s. Kap. 4.3; MUDs tragen ebenfalls wesentlich zum gegenseitigen Kopieren von MP3- und Video- Datei-Beständen bei, weil innerhalb eines LAN der Datentransfer ungleich schneller als im Internet abläuft und die strafrechtlichen Konsequenzen von Copyright-Verletzungen hier nicht zu fürchten sind. Die Spieler kopieren sich dabei die relevanten Festplattenpartitionen der anderen direkt und löschen später daraus die Dateien, die sich nicht benötigen, dazu: APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD; 311 Wesentliche Kriterien der 'Coolness' sind die Marke, ausgefallenes Design, geringe Größe, Zusatz-Equipment wie Li-Ionen-Akkus, Remote Control, goldene Anschlusspins, exzellente Earphones etc., s. SCHULZE 1996, 441 312 Auf dem Markt gibt es zurzeit ein noch begrenztes Angebot von MP3-Playern mit einem Einstiegspreis von ca. 25 €; aktueller Hit [2004-08-01] ist der neue "I-Pod mini" der Firma Apple für ca. € 250; vgl. dazu: COMPUTERBILD 2004, 17, 163 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 262 Während des Spiels erfolgt die Wiedergabe zu Hause auf der eigenen Hifi-Anlage oder, wie auch in fremden Räumen, durch die vielfältigen Varianten des Ghetto-Blaster, allerdings von der Lautstärke her auf einem für die jugendliche Musikpraxis dezentem Niveau, um die Spielkommunikation nicht zu verhindern. Parallel zur der Musik im Raums hören manche Spieler auch noch zusätzlich ihre eigene Musik per Earphones, die eine intensivere Rezeption ermöglichen.313 Musik als zentraler Text im Leben der Jugendlichen Diese Zurückhaltung gilt natürlich nicht für andere Situationen, wo gerade die Lautstärke der Musik wesentliches gestaltendes Element ist. Die Jugendlichen sehen darin ebenfalls eine Möglichkeit zur Selbstdarstellung, wenn sie die diversen Vorzüge ihrer Anlagen akustisch deutlich machen, mit integrativer Funktion in der eigenen Gruppe und Szene, distinktiv gegenüber der Welt der Erwachsenen. Die in der Mehrheit männlichen Jugendlichen dieser Untersuchung zeigen ein auffällig hohes Markenbewusstsein auch im Bereich musikalischer Elektronik, wie es ja generell bei ihnen bei technischen Geräten üblich ist. Es macht einen erheblichen Unterschied, mit welchem Gerät man die Wattzahl erzeugt. Andererseits sind überzeugende Eigenbauten und clevere technische Lösungen ebenfalls Gegenstand der Bewunderung der anderen und wesentliche Elemente der Selbstdarstellung. Wie die Hörsituationen deutlich machen, wirkt die Musik mehr durch ihre Rhythmen und Melodien als durch ihre Texte und deren Inhalte. Die Rezeption von Musik zielt neben affektiven und karthatischen Funktionen314 grundsätzlich auf ein Wiedererkennen präferierter Arrangements symbolischer Objektivationen, die geeignet scheinen, den Phänomenen des Alltags Bedeutung zuzuweisen und diese sich und anderen zu vermitteln.315 Von besonderer Bedeutung ist für die Jugendlichen dabei das Kriterium der Authentizität als qualitative Dimension der von ihnen in der Musik und ihren Interpreten wahrgenommenen Identitätsmuster.316 Deshalb muss man davon ausgehen, dass die Jugendlichen sich durchaus außerhalb des eigentlichen Spielens auch mit den Texten (direkt oder in der durch die Medien kolportierten Form) beschäftigen, werden sie doch von den Jugendlichen - zusätzlich zu 'Performance' und Medieninszenierungen der Bands - als Legitimation für Auswahl und Rezeption im Sinne einer Authentic Message herangezogen. Konkrete Bezüge der Musik (Gestus der Bands, Inszenierungen, Texte etc.) zum Alltag finden sich wie bei der Nutzung von TV und anderen Medien in den vielfachen Zitaten aus der Performance und Message, die leider oft nur in rezeptiven Situationen zu beobachten und deshalb kaum zu sichern sind. Etwa als Ensemble aus Kopien und Weiterentwicklungen von Habitus und Gestus der Sänger und Bands, als Zitate symbolischer Fragmente mit der Funktionen in der konkreten Interaktion, beispielsweise als Anspielung mit implizitem Aufforderungscharakter, sein Insiderwissen im Erkennen und Fortführen auszuweisen, als Manifestation eigener Kompetenz, als Affirmation, als Re- Enforcement, als Begründung und Legitimierung etc. eigener und fremder Argumentation. Relativ deutlich wird die Aneignung der Message als T-Shirt-Cover, versteckter findet man sie aber auch auf den Schüleretuis, in dem Arrangement von Kleidung, Aussehen und Verhalten und in der jugendlichen Kommunikation.317 Die 'Botschaft' der Bands erreicht also durchaus die jugendlichen Rezipienten und findet ihren Weg in deren Alltags- und Lebensweltgestaltung als ein Negotiated Reading. Die Message einer Band ist eben die Summe der Objekte, Texte und Ereignisse, mit denen sie dem Jugendlichen gegenübertritt, und ist nicht auf die Liedinhalte beschränkt. Vehement setzen sich deshalb z.B. Fans der Gruppe "Böhse Onkelz" gegen den Vorwurf des Rechtsradikalismus zur Wehr, indem sie auf das Gesamtverhalten der Band und auf die Beschränktheit einer rein textorientierten Interpretation hinweisen. Die Deutung des Jugendlichen wird sich stattdessen als Teil des Aneignungs- und Entäußerungsprozesses von der eines Erwachsenen diametral unterscheiden und essentiell aus Projektionen auf der Grundlage seiner handlungsleitenden Themen bestehen. Musik als zentrales Skript des jugendlichen Alltags Die Jugendlichen finden in Musik mit in ihren zahlreichen Genre, Formaten und Themen einen reichen Fundus symbolischer Objektivationen und der sie begleitenden, durch die Szenen legitimierten Skripts, denen sie in 313 Wichtiger als die reine Lautstärke sind den Jugendlichen der 'Bass-Groove', der möglichst optimal von den Geräten reproduziert werden soll und die Bpm-Rate, also der von der 'Drum -Machine' erzeugte Rhythmus; APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.5-12 314 STÖVER 2004, 34-35; FRITZSCHE 2004, 20-21 315 Vgl. Müllers Beschreibung jugendlicher Identitätsfindungsprozesse als "musikalischen Selbstsozialisation", MÜLLER 2004, 9 316 HARTUNG 2004, 28 317 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-43; Bild 1.3-4 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 263 ihren Identitätsentwürfen wie in deren Performanz und Inszenierung folgen können. Fantasy-Rollenspiele korrelieren implizit deutlich mit den Themen der von den beobachteten Jugendlichen präferierten Musik und der Ästhetik ihrer Bildwelten und Interaktionsformen, wie sie die CD-Cover bzw. in den Videoclip- und Life- Präsentationen der Bands präsentieren318. Auch die Bands formulieren in ihrem Gesamttext aus Musik, Songs, Performance, Habitus etc. wie die Spiele interpretative Momente einer 'großen Erzählung', welche sich als Deutungshilfen in den konkreten Alltagskontexten den Jugendlichen anbieten und welche die Spieler eben nicht nur dort, sondern gerade auch im Fokus ihrer Alltagsgestaltung, in ihren Spielwelten, in Kontexten, Szenarien und Kampagnen wie in ihren Charakteren ausgestalten.319 So scheinen teilweise die musikalischen und bildlichen Phantasien des Heavy Metal direkt bestimmten Fantasy-Rollenspielen entlehnt, wenn jugendliche Deprivations- und Ohnmachterfahrung in Macht- und Gewaltfantasien ästhetisiert werden. Dabei scheinen die Präferierungen in beiden Genre zu korrelieren, da etwa auf BT-Treffen oder auf Ego Shooter-MUD 'aggressive' Musikrichtungen dominieren und parallel rezipiert werden.320 Die Jugendlichen unterstellen dem von den Bands präsentierten Gesamttext (in Abhängigkeit von ihren Medienkompetenzen) a priori eine Authentizität, die sie sich in ihren eigenen Inszenierungen verwirklicht wünschen. Grundlage dafür ist mithin die non-sprachliche, emotional-affektive Symbolik der Musik und ihrer Interpreten, welche die offensichtliche ökonomische Kontrolle unbeschadet und subversiv zu unterlaufen scheint. Im Gegensatz dazu können die Jugendlichen in ihrer Perspektive nur begrenzt in einer vergleichbaren Weise radikal-distinktiv mit ihrer Umwelt interagieren, etwa in der Lautstärke und Intensität der Musikrezeption, beim Tanz auf Partys, Events und Battles, in Gestus und Habitus, da in ihrem Alltag soziale Kontrolle selbst in den jugendgenuinen Sozialformen greift und eine ständige Erfahrung darstellt. Trotzdem finden gerade in der Musik die Jugendlichen das zentrale Skript, an dem sie ihre Identitätsentwürfe ausrichten können. Musik als typischer Microflow Die zunächst rezeptive Aneignungsform der von den Jugendlichen präferierten musikalischen Genre und Formate erfordert zunächst wenig Skills, bietet aber andererseits die Möglichkeit einer raschen, konkreten und intensiven Befriedigung mit offensichtlich autotelischen Potenzialen. Musiksehen bzw. –hören führt, obwohl eine Reihe grundlegender kontextueller Elemente und Faktoren zu fehlen scheinen, zu einem langandauernden motivationalen intrinsischen Impuls, der ebenfalls sich reflexiv als Flow-Erlebnis und Flow-Erfahrung darstellen kann. "[Die Jugendlichen; RR] haben gelernt, kognitive Techniken so zur Organisation von Symbolen einzusetzen, dass sie zu jeder Zeit und an jedem Ort mit ihnen 'spielen' können, und zwar in einem gewissen Ausmaß unabhängig von den Umweltbedingungen. [...] Es geht jedes Mal darum, die jeweilige Realität einzugrenzen, dadurch die Kontrolle über einen Ausschnitt zu erlangen, und auf die Rückmeldungen mit einer Konzentration einzugehen, die alles andere als irrelevant ausschließt." 321 Begreift man die Musikrezeption der Jugendlichen im Sinne ihrer Skriptfunktion als Teil eines Prozesses beständiger Flow-Strukturierung des Alltags, werden auch ihre Alltagsroutinen wie z.B. die musikalische Begleitung fast jeder Aktivität auf einer kaum noch bemerkbaren Stufe im Sinne von adäquater Anforderung und angemessener Kompetenz organisiert. Sie tragen damit wesentlich zur psychischen Stabilisierung des Alltags der Jugendlichen bei. 322 Hinzu kommen aktivere Formen der Aneignung, die mit dem Erwerb weiterer und komplexer Kompetenzen verbunden sind, etwa wie im HipHop das DJing und Breakdancing. Dort sind Flow-Effekte schon wegen der sich im Verlauf der Aneignung weiter steigernden Ziele und der damit verbundenen Notwendigkeit, fortgesetzt weitere Qualifikationen zu erwerben, mehr denn wahrscheinlich. Musik formt weiter auch die soziale Interaktion der Jugendlichen. Auch hier sind Kontexte zu vermuten, die Flow evozieren können. 318 Bsp.: http://www.manowar.com [2004-08-01]; s. dazu den Begriff der "medialen Kopplungen", VOGELGESANG 2000, 154 319 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-30, Arrangement aus BT -Mechs, Chapterfight, Musik, Man O'War –CD-Inlet: Louder than Hell; 320 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung Man O'War Fighting the World Analyse; Feldbeobachtung Sepultura Chaos AD Analyse; Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD; Bilder/ Bild 1.4-3-6 321 CSIKSZENTMIHALYI 1985, 79-80 322 CSIKSZENTMIHALYI 1985, 200-202 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 264 Musik als imaginativer Raum Die Medien, mit denen Musik rezipiert werden kann, wie Musik selbst stellen liminale Objekte und Texte im Alltag der Jugendlichen dar und ermöglichen und vereinfachen wegen ihrer fast ubiquitären Nutzungspotentiale die Grenzüberschreitung und das Einblenden in die imaginativen Räume kollektiver Fiktionen. Wie schon bei anderen Texten kann man auch hier eine Korrelation der Skripts, die im Angebot angelegt die mögliche Nutzung antizipieren, strukturieren und sozial verorten, mit den von den Jugendlichen erstellten kollektiven Fiktionen beobachten. Auch ohne genaue Kenntnis der Inhalte symbolisiert die aktuelle U-Musik der Szene wie Heavy Metal, Grunge und HipHop schon auf der Basis ihrer Gestaltung und auf einer archetypischen Ebene wie etwa im Sound der E- Gitarren, den Bass Groove oder den BPM die tendenziellen Grundaussagen ("message"), die von den Jugendlichen zu ihrer Bedeutungskonstitution herangezogen werden. Hinzu kommt ein komplexes medienvermitteltes Textarrangement, das in seiner Perfektion wie Dichte suggestiv die Imaginationsmöglichkeiten der Jugendlichen beeinflusst. Zwar hat Musik selbst in den kollektiven Fiktionen der Fantasy-Rollenspiel-Szene kaum eine genuine Rolle, doch beeinflussen ihre Skripts die Imaginationen der Jugendlichen in vielfältiger Weise, indem sie etwa Identitätstypen vorstellen, die durchaus mit denen der Spiele Übereinstimmung haben bzw. dort eingeführt werden. Auch die Bands selbst können, gerade wenn ihr Auftreten wie ihr Handeln von den Jugendlichen als authentisch empfunden wird, zu Vorlagen für die fiktionalen Zirkel der Spiele und ihre Interaktion werden. In ihnen zeigen sich redundant Beispiele komplexer und problematischer Beziehungen unter Gleichaltrigen, die aber erfolgreich, weil eben solidarisch, gestaltet werden. Im Fokus der Selbstdarstellung der Bands steht ein Gemeinschaftserleben, das in einer stets prekären Konstellation das Emanzipationsstreben der einzelnen Mitglieder mit einer Integration in die Gruppe ausbalanciert. Mithin bilden sich hier mehrdimensionale effiziente Modelle von Distinktion und Integration ab: die Gemeinschaft der Extrovertierten, die einer Interaktion zwischen Band und Posse, die Szene. Besonders im deutschsprachigen HipHop und Rap vermitteln sich den Jugendlichen in rhapsodisch gestalteten Texten Erzählungen von Orientierungssuche, Navigation und problemlösenden Handeln in einem Alltag, der obwohl fiktiv ihrem direkt anschließbar zu sein scheint. Der Einfluss derartiger Vorlagen erfolgt auf zwei Ebenen: Als direkte Interpretation aus der Rezeption der Texte in der Nachfolge der Skripts, aber auch indirekt als im Kollektiv entwickelte ästhetisierte Fiktion, die ebenfalls auf das Alltagshandeln zurückwirkt. Verstärkt werden diese Prozesse durch die Bildwelten der Videoclips, Internetseiten und CD-Cover, die nachhaltig Vorlagen für eine Integration in die kollektive Fiktion anbieten. So ist es kein Wunder, dass bestimmte Songs und bestimmte Gruppen die Einblendung der kollektiven Fiktion gewissermaßen assoziativ erzwingen. Die Musikrezeption kann sich auch mit bestimmten intensiven Interaktionsmomenten der Jugendlichen in einer besonderen Weise verbinden, dass in ihr immer wieder dieses Event manifest und gewissermaßen archiviert wird. TV/ Film Situation Fernsehen gehört unbestritten immer noch vor Computer und Handy zu einem der zentralen Medien der Jugendlichen und hat eine wichtige Funktion bei ihrer Gestaltung von Alltag und Lebenswelt und ihrer Identitätskonstitution.323 Die Jugendlichen nutzen Fernsehen in vielfacher Hinsicht: Zunächst dient es der konkreten Gestaltung von Alltagssituationen: Fernsehen wird von ihnen etwa benutzt, um affektiv- kompensatorisch die Langeweile zu bekämpfen, es vermittelt motivationale Impulse von Spaß und Unterhaltung. Fernsehen ist ein zentrales Moment familialer Interaktion, aber auch wichtiger Gegenstand jugendlicher Interaktion in Peer Group und Szene. Es dient neben dem Internet, dem Radio und den Jugendzeitschriften als wichtiges Informationsmedium für relevante Bereiche des jugendlichen Alltags wie etwa den der Musik. Und es stellt schließlich ein faktisch unerschöpfliches Reservoir an symbolischen Objektivationen dar, welche die Jugendlichen sich aneignen und für ihre Prozesse der Bedeutungszuweisung und Identitätsfindung verwenden.324 323 Grundlegend: BACHMAIR 1996; unter den Medien zeigt TV die größte Affinität zum Identitätskonstrukt des Jugendlichen, s. RESEARCH & MEDIA MARKETING 2002, 11, SCHORB 2003 324 MPFS 1999, 2004 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 265 Eine Reihe der Jugendlichen verfügt in ihren Zimmern über ein eigenes Gerät und ist damit in der Lage, die TV- Nutzung praktisch eigenständig zu gestalten.325 Für andere, gerade jüngere aber gelten immer noch einschränkende Rahmenbedingungen, welche in Verhandlungen mit den Eltern definiert und modifiziert werden.326 Die Jugendlichen führen in diesem Zusammenhang Vereinbarungen über Inhalte und Themen, die Einführung eines am Alter orientierten Zeitfensters und eine Einschränkung des TV-Konsums vor schulischen Prüfungen an. Im Vergleich mit anderen Erhebungen zur Fernsehnutzung von Jugendlichen erweist sich die Elternschaft der beobachteten Jugendlichen damit als vergleichbar kritisch gegenüber dem TV-Konsum ihrer Kinder.327 Die am Konsens orientierte Regelung des Fernsehkonsums ähnelt dem Umgang der Eltern mit dem Fantasy-Rollenspiel der Jugendlichen, das trotz aller Bedenken und meist ohne nähere Kenntnis grundsätzlich als Teil ihres Alltags und ihrer Lebenswelt akzeptiert wird und mehr oder minder begrenzt Förderung erhält. Tendenziell allerdings beurteilen die Eltern offensichtlich Fantasy-Rollenspiele als erheblich kreativeres Handeln als den Fernsehkonsum und ermöglichen vielleicht auch deswegen größere Freiräume.328 In Bezug auf das Medien-, Text- und Ereignisarrangement Fantasy-Rollenspiele hat das Fernsehen für die Jugendlichen unterschiedliche Funktionen: Wie auch in anderen Kontexten dient es bei den eigentlichen Treffen der Entspannung und Unterhaltung in den Phasen der Inaktivität, wie sie gerade bei "BattleTech"-Chapterfights durch den rundenbasierten Spielablauf immer wieder auftreten. Ähnlich ist auch bei MUD und LAN-Partys zu beobachten, dass beim Chillen gerne auch auf Formate des TV-Programms zurückgegriffen wird, die digital auf den Festplatten der Rechner archiviert sind. Beim genuinen Rollenspiel wie etwa DSA verlagert sich die Fernsehnutzung auch auf explizite Pausenphasen, während des Spiels ist wegen der Interaktionsdichte an eine parallele Rezeption eigentlich nicht zu denken. Von diesen kompensativen Funktionen zu unterscheiden ist die gemeinsame Rezeption eines Formats wie etwa eines Spielfilms, als geplantes Element des Event. Dies kann sich auf konkrete Ausstrahlungen ebenso beziehen wie auf die Verwendung von Datenträgern wie Video, CD und DVD, mit denen die Gestaltung des Event flexibler vorgenommen werden kann. Die Videothek ist mittlerweile nicht mehr der zentrale Ort der Beschaffung von Videomaterial. Die Jugendlichen greifen auf sie meist nur dann bei der Organisation längerer Events wie ihrer Wochenenden zurück, wenn das Material nicht auf andere Art zu bekommen ist. Lieh man sich früher die Videobänder bei den Freunden oder bekam sie von diesen mit entsprechenden Kommentaren angetragen; so werden heute die meisten Filme als Raubkopien auf CD-ROM bzw. DVD in verschiedenen Datenformaten untereinander getauscht oder während der MUD über die Netzwerke von den Freunden auf die eigene Festplatte geladen. Die qualitative Einbußen bei diesen Verfahren der illegalen digitalen Vervielfältigung sind minimal. Wie bei den Musik-CD sind auch bei den Kinofilmen praktisch alle jeweils aktuellen Titel kurz nach dem deutschen Kinostart, teilweise schon zuvor durch Download aus den USA, bei den Jugendlichen zu finden.329 Mit der Verbreitung analoger und digitaler TV-Karten werden nun auch Kopien von TV-Ausstrahlungen aufgezeichnet, die so nicht unter das Vervielfältigungsverbot fallen. Manche Jugendliche besitzen deshalb umfangreiche Sammlungen jugendrelevanter Filme und Formate und sind gesuchte Partner für Ausleihe und Tausch wie für die Gestaltung von Wochenenden.330 Neben der Qualität solcher Archive trägt gleichermaßen auch ihre Qualität zum Status ihrer Besitzer bei. Es gilt nicht nur die aktuellsten Produktionen zu besitzen, sondern auch eine angemessene Mischung aus den Tops, Kult, Klassikern und Genres. Da die meisten heutigen PC-Laufwerke in der Lage sind, diese Datenträger abzuspielen, lässt sich die Rezeption von Filmen unschwer in MUD integrieren. Sie kompensieren auch ein eventuell im Zimmer des Jugendlichen nicht vorhandenes Fernsehgerät. Die Rezeption von Kinofilmen im Kreis der Peer Group ist wie die von Musik ein wesentliches und häufiges Element eines befriedigenden Arrangements, das sich um Fantasy-Rollenspiele bildet. 325 MPFS 2004, 3; APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 100 326 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-05-12 HT; Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2003-06-08 OJ Magic-Novize; 327 IZI 2004; Stiftung Ravensburger Verlag 2004 328 APENDIZES/ Interviews/ Interview 2000-09-08 LE-HS; 329 Der Umfang, den dieses Phänomen angenommen hat, zeigt sich in den rigiden Reaktionen der Filmindustrie, SCHIEB 2003 330 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD; 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 266 Die im Laufe der letzten Jahre stattgefundene Aufwertung des Kino-Besuchs zum rituellen Ereignis an Nachmittagen oder an Wochenenden mit Clique und Freundin hat dazu geführt, dass beide Rezeptionsformen von Spielfilmen momentan gleichermaßen von den Jugendlichen favorisiert werden. Während man bislang die Privatheit der Video-Session bevorzugte, gilt es jetzt als trendy, sich ganz als passionierter Kinogänger zu geben und zusammen mit Freunden die wöchentlichen Premieren zu besuchen. Auch der gemeinsame Kino-Besuch wird dann zu einem wesentlichen Element bei der Gestaltung eines Spieltreffens. Entscheidend für die Akzeptanz unter den Jugendlichen der Szene war die Eröffnung eine neues Kino-Zentrums, das aufgrund seiner moderneren Aufmachung und aggressiveren Vermarktungsformen (Sneek Preview etc.) bei den Jugendlichen zum Favoriten unter den Freizeitangeboten avancierte. Der gemeinsame Kinobesuch als ein Highlight des Spieltreffens findet mit der FRPG-Clique statt. Ausschlaggebend für eine solche Aktion ist in der Regel ein Film, der thematisch engere Bezüge zu Fantasy-Rollenspielen hat, also thematisch Bezüge zu Fantasy, Science- Fiction und Mystery aufweist, auf einem konkreten Spiel wie "Final Fantasy"331 basiert oder ein thematisches Crossover darstellt wie die Verfilmung eines Cartoon wie "Spiderman" 332. Andererseits kann aber das Bedürfnis, am aktuellen Trend zu partizipieren, dazu führen, dass auch die Tops anderer Genre-Filme 333 besucht werden. Der gemeinsame Kinobesuch der Clique kann aber auch ohne direkte Anknüpfung an ein Spieltreffen unter der Woche an Nachmittagen oder dem frühen Abend erfolgen. Im Mittelpunkt des Interesses der Fantasy-Rollenspieler am TV stehen zunächst die für Jugendliche allgemein typischen Sendungen und Programmformate. Hinzu kommen dann für Jungen typische Präferierungen von Formaten, in denen Action und Gewalt dominieren.334 Bei Fantasy-Rollenspielern stehen naturgemäß im Vordergrund Genres, die Fantastisches thematisieren. Dazu gehören Fantasy, Science-Fiction, Mystery, Horror und ihre Mischformen. 335 Neben den Kino- und TV-Filmen, deren Rezeption als eigene Event gestaltet werden, haben im 'normalen' Alltag Serials 336 eine besondere Bedeutung, weil sie mit ihren Programmzeiten den Wochen- und Tagesplan der Jugendlichen mitbestimmen. 337 Gerade im Programm der kommerziellen Sender haben sich mittlerweile "Themenabende" profiliert, an denen thematisch vergleichbare Formate aufeinander folgen bzw. mit denen anderer Kanäle konkurrieren. Als ein für Jugendlichen weiteres wichtiges Genre erweist sich die Comedy und ihre Formatderivate, welche die performative Gestaltung von Anekdotischem durch die Jugendlichen prägt und ihre kommunikative Interaktion thematisch wie pragmatisch beeinflusst.338 Zur Comedy zählen auch Real-Trash, Real-Fun und Shock-Doku ("Jackass"). Die Jungen amüsieren sich dabei über das versteckt aufgenommene Missgeschick mit oft fatalen und brutalen Folgen für den Betroffenen oder goutieren den masochistischen Slapstick eines Johnny Knoxville in "Jackass".339 Interesse besteht auch für die Talkshows am frühen Nachmittag, deren Themen ähnlich wie beim Real-Trash aus der Perspektive der Jugendlichen als reale Monströsitäten zu Comedy-Erlebnissen werden. Talkshows wie die von Harald Schmid und Stefan Raab dagegen stehen für einen demaskierenden Sarkasmus, der mit der eigenen Weltsicht und –interpretation korreliert. Die Comedy-Formate sind deshalb beliebte Elemente, wenn es gilt erfolgreich in Spielpausen zu chillen. 340 Wie oben schon angeführt entscheiden sich die Jugendlichen bei der gemeinsamen Rezeption von Kino- bzw. TV-Film-Produktionen mittels TV oder im Kino bevorzugt für Filme 341, die besonders dem Faktor Action Rechnung tragen und üblicherweise einen Mix der von ihnen präferierten Genre darstellen, wie ihn die Spieler auch in ihren Spielen kennen. 342 331 SAKAGUCHI/ SAKAKIBARA 2001; TERADA 1987, 1988 332 RAIMI 2002, 2004 333 Comedy-, Splatter-, Teenie-Filme etc.; 334 STIFTUNG RAVENSBURGER VERLAG 2004 (http://internet.ravensburger.de/portal/index,1451275-1451306-1464024-1507756.html [2004-09-30]; 335 STIFTUNG RAVENSBURGER VERLAG 2004 (http://internet.ravensburger.de/portal/index,1451275-1451306-1464024-1507756.html [2004-09-30]; 336 Aus der Beobachtung ergibt sich eine breite Rezeption verschiedenster Genre im Format des Serial mit einer Tendenz zu Fantasy bzw. Science-Fiction thematisierenden Serien wie "Star Trek" (mit Kultstatus) und seine Derivate, etwa "Space 2063" oder das in mehreren Staffeln laufende "Star Gate"; 337 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 69 338 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-15 BC 01; Interview 1997-06-21 RES; 339 BUSCHE 2004 340 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 56 341 Im Untersuchungszeitraum sind dies u.a. etwa die "Star Wars" -Tetralogie, die "Mad Max"-Trilogie, die "The Highlander"-Trilogie, die "Terminator"- Trilogie", die "Alien"-Tetralogie, die "Matrix"-Trilogie; die "Lord of the Rings"-Trilogie, , "Gladiator" und weitere zahlreiche Einzelfilme; 342 Vgl. dazu: Tim aka CYBAX : "Koma Bros. Preview: I-Ninja", In: Take off, 2004-01-21 (http://takeoff.zisch.ch/takeoff.nsf/ TreatAsHTML/9D893EFD83F87523C1256E2000590A50 [2004-08-29]); 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 267 TV und Film als zentrales Symbolarchiv der Jugendlichen Wie die Genre und Formate von Musik zählen auch die von TV und Film zu den wesentlichen Medien, welche die jugendlichen Fantasy-Rollenspieler erreichen. Die Rezeption bedarf auch hier der individuellen wie kollektiven Aneignung mittels adäquater kognitiver, affektiver und pragmatischer Kompetenzen, die aber angesichts der Komplexität der hier verwendeten Zeichen- und Sprachsysteme erheblich höhere Anforderungen an die Jugendlichen stellen. 343 Gerade in TV und Film werden in der aktuellen mediatisierten Gesellschaft die Texte geschaffen, deren Preferred Reading die Wirklichkeitswahrnehmung und Bedeutungszuweisung der Jugendlichen zu beeinflussen sucht und dies auch partiell erreicht. Bei der interpretativen Auseinandersetzung mit diesen Texten folgen die Jugendlichen sozialen Codes, die hier vermittelt werden und zugleich entstehen. Mehr noch als kommerzielle Musik suchen diese Texte die Rezeption und ihre Wirkung auf den Rezipienten zu antizipieren und in den Texten zu integrieren, so dass ein Dominant bzw. Negotiated Reading die Regel zu sein scheint. TV und Film sind der hauptsächliche Ursprung unserer modernen Mythen.344 TV und Film als Archive symbolischer Objektivation und zentraler Skripts In der Subjektkonstitution erfährt und erlebt sich der Jugendliche als autonom handelndes reflexives Wesen, als Individuum. Subjektkonstitution basiert auf der symbolischen Interaktion des Menschen mit seiner Umwelt, aus der er Symbole bzw. symbolische Objektivationen sich aneignet, um seine Umwelt sich erfahrbar und verständlich machen zu können, um ihr Bedeutung zu verleihen. Die an sich heteronomen symbolischen Objektivationen, derer er sich bei der Bedeutungskonstitution seiner Welt bedient, werden im Prozess der Verwendung durch den Menschen zur Grundlage erfahrbarer Autonomie, konstituieren seine Identität und seine Subjektivität. Von hier nimmt wohl die intrinsische Motivation des Menschen für Interaktion und Kommunikation ihren Anfang. Mit der Darstellung bzw. Entäußerung der von ihm in der Aneignung und Verwendung neu geschaffenen Symbole gehen diese in das soziale Umfeld des Menschen ein und werden erneut objektiviert. Im Zentrum der Individualisierung steht als das Erleben von Autonomie. Dieses Erleben wird geprägt von den Aneignungs- und Darstellungsformen des Umfelds, die sich dem Menschen in Form der symbolischen Objektivationen durch Medien vermitteln. Fernsehen und Film stellen demnach neben der Musik die zentralen Medien dar, mit und in denen die Jugendlichen auf symbolische Objektivationen zugreifen können, und dies trotz der Einschränkung, dass Fernsehen und Film weiter unidirektional organisierte und strukturierte Medien darstellen, die nur sehr bedingt Formen der Interaktivität ermöglichen, wie sie eigentlich das Autonomie -Kriterium von Identitätsentwicklung fordert. Andererseits ist die Rezeption von TV und Film eingebunden in ein integratives Arrangement aus Medientexten, Konsumobjekten und Ereignissituationen, deren Intertextualität und Multiplität wie Interdependenz mit sozialen Formationen eben gerade dieses Erfahrung autonomen Handelns des Jugendlichen ermöglicht, welche diese wiederum reflexiv als "expressive Handlungssituationen"345 erleben. Die Dominanz von TV und Bild als zentrale Archive jugendlicher Bedeutungs- und Subjektkonstitution ergibt sich weiter auch aus der (quantitativen) ubiquitären Verfügbarkeit wie Verbreitung dieser Medien wie aus der mit diesen Medien geleisteten Entgrenzung und Kompensation jugendlicher Wahrnehmung in der "sinnlichen Qualität der Bilder"346. TV- und Film-Konsum als Formen von Microflow Grundsätzlich eignet auch die Rezeption von Texten in TV und Film Eigenschaften, die Flow-Erlebnisse und Flow-Erfahrung ermöglichen, allerdings mit den Einschränkungen, die schon oben am Medium Musik aufgezeigt wurden. Dazu gehört insbesondere das vergleichsweise niedrige Komplexitäts- und Aktivitätslevel, auf dem die Interaktion des Individuums mit dem Medium und seinen Texten geschieht und etwa auch die heuristische Dimension des Handelns betrifft. Sieht man in der Rezeption von TV und Film andererseits den wichtigen Prozess der Aneignung symbolischer Objektivationen durch den Jugendlichen, die für seine Bedeutungszuweisung und Identitätsentwicklung unabdingbar sind, verbietet sich eine kulturpessimistische 343 Vgl. MERZ' Aitologie cineastischer Syntax in KUCHENBUCH 1978, 32 344 BACHMAIR 1996, 242 345 BACHMAIR 1996, 239 346 BACHMAIR 1988, 97 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 268 Disqualifikation. Auch auf vordergründig niedrigem Niveau handeln die Jugendlichen in von ihnen begrenzten Handlungsfeldern nach einer adäquaten Relation von Anforderungen und Kompetenzen und erfahren dieses Handeln selbst-referentiell als positives Erlebnis.347 Derartige Konsumformen stellen weiter Routinisierungen von Alltagsgestaltung dar, die wesentlich zu dessen Stabilisierung beitragen, in dem sie wegen der Minderung der benötigten Aufmerksamkeitszuwendung Entlastungsbereiche darstellen. Die scheinbare Passivität des jugendlichen Medienkonsums erweist sich alltagsnotwendige Strukturierung individueller Konstitutionsprozesse im Sinne des Microflow.348 Kitsch as Kitsch can Auffällig an den kollektiven Fiktionen der Jugendlichen sind die Übereinstimmungen von Plot und Dramaturgie mit denen von TV-Formaten und Spielfilmen. Auch hier scheint die Korrelation zwischen Angebot und Nutzungsformen unschwer erkennbar. Mehrere Dezennien TV-Kultur haben ursprünglich elaborierte Formen des Narrativen weitgehend popularisiert und trivialisiert, so dass die Jugendlichen in der Regel eine angemessene Literalität besitzen, um mit narrativen, d.h. kontinuierlichen Medientexten erfolgreich umgehen zu können. 349 Dies gilt besonders für Schemata im Spannungsaufbau, aber auch für narrative Mittel wie die Figuration, Zeitgestaltung und Erzählperspektive. Die Vermittlung derartiger Kenntnisse erfolgt nicht anhand von Belletristik, sondern in der die visuellen Medien beherrschenden Filmsprache, welche Funktion wie Wirkung dieser Mittel augenscheinlich werden lässt. Massenhafte Wirkung wird als Metapher dabei zum eigentlichen Qualitätskriterium, d.h. mit der Sehbeteiligung definiert sich auch der ästhetische Anspruch, der an den Einsatz dieser Mittel gestellt wird. Andererseits kann aber von den Rezipienten auch nicht mehr verstanden werden, was sich nicht dieser Schemata bedient. Im Zuge einer ökonomischen Prozessoptimierung muss man deshalb präventiv mögliche Irritationen des Rezipienten vermeiden, die eintreten könnten, wenn man den narrativen Mitteln in den Fiktionen andere Funktionen zuweisen würde. Die notwendige Variation liefern dabei minimal modifizierte Sujets und Inhalte, die über diese Schemata organisiert werden.350 In der Zuordnung von narrativen Kino- und TV-Produktionen zu einem überschaubaren Katalog von Genre wird diese Standardisierung deutlich.351 Es ist also völlig konsequent und ein Ausweis ihrer Medienkompetenz, wenn in den kollektiven Fiktionen der Jugendlichen wieder und wieder narrative Schemata wiederkehren, die man aus Film und TV kennt, da sich mit ihrer Imitation ein Erleben als Wirkung definitiv erwarten lässt. Die kollektiven Imaginationsräume des Erlebnisangebots und der konstitutiven Prozesse der Nutzung korrelieren miteinander und realisieren sich nicht allein in der Rezeption, sondern in der reflexiven wie adaptiven Integration in die von den Jugendlichen gestalteten Fiktionen, die ebenso zur Ästhetisierung ihres Alltags herangezogen werden wie die medienvermittelten Texte des Erlebnismarktes. TV und Film sind als symbolische Objektivationen individuellen sozialen Handelns letztlich Formen antizipierter kollektiver Fiktionen und transzendieren den Alltag ihrer Rezipienten.352 Digitale Kommunikationsmedien: Handy Situation Im Mittelpunkt jugendlicher Interaktion steht die Kommunikation mit anderen. Von daher ergibt sich ein besonderes Interesse an Kommunikationsmedien und den von ihnen ermöglichten Kommunikationsformen. Eine im hohen Maße individualisierte Form der Interaktion bietet das Handy, das Kommunikation räumlich und zeitlich weitgehend entgrenzt und damit optimal mit den Strukturen jugendlichen Alltags übereinstimmt bzw. zur Entwicklung diese Strukturen beiträgt. 353 War das Handy aufgrund seines Preises und der Kommunikationskosten zu beginn der Untersuchung noch relativ wenig verbreitet, zählt es heute zum Standard im Medienarrangement der Jugendlichen.354 347 BACHMAIR 1996, 238 348 CSIKSENTMIHALYI 1985, 200-202 349 BACHMAIR 2002, 19-21 350 SCHULZE 1996, 439-443 351 http://www.imdb.com/Sections/Genres/ [2004-09-30]; 352 BACHMAIR 1996, 242-244 353 GEISSLER 2004 354 Während 1998 das Item Handy noch gar nicht erfragt wurde, ist repräsentativen Erhebungen zufolge heute in 98% der Haushalte ein Gerät vorhanden; 86% der befragten Jugendlichen besitzen ein Handy; MPFS 1998, 2004, 3 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 269 Ende der 90er Jahre gehörte dagegen der Pager noch zum notwendigen Inventar eines Jugendlichen. Die den Skyper-Services in den Rettungsdiensten und Firmen nachempfundene Pager-Technologie ermöglicht den Empfang von Informationsdiensten und das Versenden von SMS mit dem PC via Mobilfunk-Netze und stellt eine kostengünstige Alternative zum Handy dar. Der Aspekt der ständigen Erreichbarkeit überwiegt dabei das Problem, Botschaften nur auf dem PC entwerfen und versenden zu können. Pager werden von den Jugendlichen auch als 'stumme' Radios genutzt, etwa zum Empfang von Sportinformationen, Nachrichten oder Börsenmeldungen während der Schulzeit, besonders in Zeiten sportlicher Großereignisse wie Fußballweltmeisterschaft oder Olympiaden. Handys mit vergleichbarer Technologie, die Zugang zu Informationsdiensten und Internet (WAP) bieten, sind erst seit einigen Jahren für die Jugendlichen erschwinglich. Obwohl die dort angebotenen Dienste trotz mittlerweile schneller Datentransferraten in der Nutzung sehr teuer sind, werden sie wie skizziert zur Information – und zur Selbstdarstellung – mitunter genutzt. Der Kultstatus des Pager ist heute abgelöst durch das Handy, das zum alltäglichen Erscheinungsbild bei Jugendlichen gehört und den Pager – außer bei Angehörigen der Feuerwehren und Rettungsdienste – fast völlig verdrängt hat. Dem Bedürfnis der Jugendlichen, bei jeder nur möglichen Gelegenheit mit anderen zu kommunizieren, entspricht die ubiquitäre Verbreitung der Telefonnetze und die Technik der rundenbasierten bzw. auch zeitversetzten Kommunikation mittels SMS. Auch nach Einführung von SMS-Gebühren ziehen die Jugendlichen die kostengünstigeren SMS dem normalen und gerade zur Prime-Time bei den bei ihnen üblichen Prepaid-Verträgen besonders teuren Telefongespräch vor. Die Netzbetreiber bieten inzwischen eine Fülle unterschiedlicher Prepaid- und Kartenvertragsmodelle für die jugendlichen Käufer an.355 Da die Jugendlichen oft noch die Zustimmung der Eltern benötigen, die besonderen Wert auf eine Kostenkontrolle legen, sind Prepaid-Verträge die gängige Lösung, bei denen ein Guthaben abtelefoniert wird. Für die Jugendlichen wichtig sind dagegen die Möglichkeiten, die ihnen das Handy eröffnet, Personality zu demonstrieren. Dazu zählt zunächst die Wahl der 'richtigen' Marke und eines Modells, das sich individuell modifizieren lässt. Dies geschieht durch die Wahl eines bestimmten Gerätedesigns, das man zudem unschwer auswechseln kann, und die Konfiguration von bestimmten Hintergrundbildern auf dem Display ("Logo") und möglichst ausgefallenen Klingeltönen. Waren letztere ursprünglich rein funktional als akustische Meldung gedacht, so präsentieren heute Klingeltöne das ästhetische Konzept des Jugendlichen und Elemente seiner Identität in der Öffentlichkeit, wenn etwa aktuelle Hits oder selbst komponierte Titel sich lautstark in Alltagssituationen vernehmen lassen. Wie überhaupt bei technischen Geräten haben die Jugendlichen ein ausgeprägtes Qualitäts- und Markenbewusstsein bei Handys, was die Besitzer älterer oder billigerer Modelle zu ständigen Exkulpationsritualen zwingt. Die Argumentation läuft dabei darauf hinaus, dass eine Neuanschaffung demnächst ansteht oder die Eltern bislang eine Veränderung behindert hätten; Pädagogen als erwiesenermaßen technisch völlig unbedarfte Laien haben dagegen eine gewisse Narrenfreiheit und dürfen sogar auch kein Handy ihr eigen nennen. Die teuren Geräte sollten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele der Spieler die Altgeräte ihrer Väter besitzen, die mittels Prepaid-Karten reaktiviert werden. Erst die Einführung dieser Karten hat ja auch die weitere Verbreitung der Handys unter den Jugendlichen möglich gemacht, weil sie selbst oder die Eltern damit eine Kostenkontrolle haben. In Elterngesprächen werden die Handys der Jugendlichen als Notruf-Einrichtung gerechtfertigt; auch Jugendliche operieren in der Diskussion mit Eltern mit dieser Funktion, wenn es um die Anschaffung eines Handy geht;356 die Beschaffung der notwendigen Geldmittel zum Wiederaufladen der Prepaid-Karten stellt für die Jugendlichen durchaus ein Problem dar und ist für Schüler ohne eigene Einkommen mit Anreiz für ihre zahlreichen Nebentätigkeiten. In Gesprächen bei (privaten) Kurstreffen mit Schülern der Oberstufe zeigt es sich, dass Schüler ohne Nebentätigkeit die Ausnahme sind.357 355 Marktübersicht, COMPUTERBILD 2004, 16, 128-130 356 Inzwischen gibt es per Internet kostenpflichtige Dienste, mit denen z.B. Eltern über das Handy ihres Kindes dessen augenblicklichen Standort feststellen lassen können (http://www.trackyourkid.de/ [2004-09-30]); 357 HASSE 2004; OLG Hamm zur Werbung für Handy -Logos und Screensaver, NRW Justiz-Online 2004; LG Hamburg: Zur Sittenwidrigkeit von Handy -Klingeltönen, deren Download mehr als 3 EUR kostet/ Landgericht Hamburg, Urteil v. 14.05.2002, Az: 312 O 845/01 (nicht rechtskräftig); 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 270 Die Bedeutung jugendlicher Nutzungsformen für die Profilierung des Angebots zeigt die aktuelle Ausdifferenzierung in Fun- bzw. Smart- oder Businessphone. Erstere verlieren sukzessive Ausstattungsmerkmale des Büroalltags zugunsten von Gimmicks, die sich an Freizeitaktivitäten orientieren: Die Jugendlichen nutzen insbesondere in Situationen, in denen sie isoliert sind oder keine Kommunikation möglich ist, die Spielfunktionen. Schon gibt es auch die ersten Multi-User-Modi bei Handy-Spielen. Aus dem Netz lassen sich telefonisch die speziell für das Handy entwickelten Derivate der aktuellesten PC-Games herunterladen. Neben die SMS treten im Augenblick MMS, mit denen neben den Texten auch Bilder, Video- und Audioaufnahmen verschickt werden können. Nachdem die Handy mit Digitalkameras ausgestattet wurden, folgt jetzt die Integration von MP3-Playern. Das Handy integriert damit zunehmend alle wesentlichen kommunikativen und interaktiven Mediennutzungsformen des jugendlichen Alltags. In ihm verdichten sich Elemente der Identität des Jugendlichen zu einem zentralen Dingsymbol. Die Sprache der SMS hat aus Gründen der Eingabebeschränkungen über die Minitasten der Handys, aber auch aus Chiffrierungs- und Distinktionsüberlegungen heraus eine Reihe von Sonderzeichen und Abbreviaturen entwickelt und ähnelt darin sehr der in Emails, News und Chat-Beiträgen der Jugendlichen. Die entscheidenden Potentiale der SMS-Kommunikation liegen in ihrer Verfügbarkeit, Bequemlichkeit und Schnelligkeit. Sie steht in starker Nähe zu synchroner dialogischer Kommunikation, da die zeitliche Versetzung sehr gering sein kann. Sie bietet die Möglichkeit der Spontaneität und kann spontane Affekte zum Ausdruck bringen. Ausschlaggebend für die Wahl dieses Kommunikationswegs sind für die Jugendliche aber auch der damit verbundene Spaß. Entlastend wirkt neben der notwendige Kürze der Kommunikation auch der Verzicht auf die formellen Elemente des Briefes. Andererseits vermeidet man auch die Konfrontationssituation und den affektiven Druck einer Face-to-face- oder unmittelbaren telefonischen Kommunikation. Mittlerweile entsteht parallel zur Entwicklung in anderen elektronischen Interaktionsformen der neuen Medien (Chat, Foren) auch für die Handy-Nutzung unter den Jugendlichen eine Art an das Internet angelehnte Netiquette, welche die Einhaltung bestimmter grundlegender Konventionen im Umgang mit anderen regelt.358 Der Jugendliche hat eine echte Chance, den Kommunikationsprozesses zu steuern und zu gestalten. Zudem ermöglichen die mediale Distanz die Zeitversetzung eine Reflexion vor jeder Interaktion. Dazu gehört auch eine Versachlichung und Depersonalisierung, die als Dekontextualisierung mit dem Verschriftlichungsprozess einhergehen kann. Die neuen, noch recht teueren Möglichkeiten, mit dem Handy zu fotografieren und Foto- und Videobotschaften (MMS) auszutauschen, dient ihnen weniger dazu, diese Distanz und Dekontextualisierung aufzuheben als vielmehr sich und die mit und ihnen verknüpfte Botschaft zu inszenieren. Und schließlich interpretieren Jugendliche den Austausch von SMS-Mitteilungen als Signale sozialer Zusammengehörigkeit, auf die sie auch dann reagieren, wenn sie wissen, dass ein jeder versucht, möglichst angerufen zu werden, um Kosten zu sparen. 359 SMS sind damit heute die wohl ureigenste Form der jugendlichen Kommunikation via elektronischer Medien und zugleich – trotz aller Öffentlichkeit - die privateste. Zur SMS treten die verschiedenen Dienstleistungen ("Services") der Netzanbieter: Wie oben schon beschrieben informieren sich die Jugendlichen anhand der Nachrichtendienste über aktuelle Sportereignisse, Musik-Events etc., sie können sich an einer Reihe von Preisrätseln und anderen Wettbewerbsformen beteiligen und nicht zuletzt dienen ihnen die Handys mehr und mehr als Plattform für Logos und Klingeltöne und als Spielkonsolen für zunehmend raffinierter gestaltete Spiele, die oft aus parallel sic ereignenden Medienereignissen resultieren. Mit dem Handy nutzen die Jugendlichen also ein Gesamtarrangement intertextueller Überlagerungen und integrieren es in ihre Alltagsgestaltung. Die Jugendlichen nutzen weiter souverän die Organizer-Funktionen der Handys zur Adressen- und Terminverwaltung im Bereich ihres Alltags. Da die Alltagsorganisation des Jugendlichen integrativ über das Handy verläuft, ist man ständig online, um kommunizieren zu können und ansprechbar zu sein. Gerade SMS können jederzeit eintreffen und müssen gelesen und beantwortet werden. Wichtige Gespräche, die den jugendlichen Alltag betreffen, werden nicht aufgeschoben, sondern sofort erledigt. Die Mailbox wird deshalb ständig in kurzen Abständen auf neue Nachrichten und entgangene Anrufe hin kontrolliert. Die Antwort erfolgt unabhängig vom situativen Kontext in der Regel sofort. 358 vgl. dazu: PATOCKA 1997 359 Die zunehmende Bedeutung des Mediums spiegelt sich auch in der Forschung. So berücksichtigt FEILKE 1998 bei seiner Untersuchung der autobiographischen Erzählung Handy und SMS noch nicht. Zum aktuellen Forschungsstand vgl. DÜRSCHEID 2002, 24-25 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 271 Weil sich die Bedeutung einer Person auch durch die Anzahl der sozialen Kontakte definiert, werden Anrufe generell, auch während eines Spiels, von den Jugendlichen keineswegs als störend empfunden. Auch die Intimität des Gesprächs ist kein Hindernisgrund, ein Gespräch abzulehnen oder einen Anruf zu beenden. Um das eigentliche Spielen nicht zu stören, wo man konzentriert zur Sache gegen will, benutzen die Jugendlichen den Vibrationsalarm, um dann für das Gespräch doch kurz den Spieltisch oder auch den Raum zu verlassen, wenn es die Spielsituation zu erfordern scheint, oder mit einer SMS zu reagieren. Befindet man sich allerdings in einer Spielphase, wo das Gespräch nicht stört, oder nimmt momentan nicht konkret daran teil, wird man – unter Wahrung einer gewissen Distanz zum eigentlichen Spielort - sofort kommunizieren. Im Schulbereich (wie auch an anderen Orten mit dominierend normativen Kontexten) führt dieses Interaktionsverhalten konsequenterweise zu restriktiven Maßnahmen dieser Institutionen: Handys müssen mittlerweile fast überall während der Unterrichtszeit ausgeschaltet sein. Handys werden durch ihre Verfügbarkeit damit zu wesentlichen Instrumenten der organisatorischen Gestaltung des jugendlichen Alltags und ihrer Lebenswelt. Sie besitzen zudem einen hohen Symbolwert, der zuverlässig über den Identitätsentwurf ihres Besitzers Auskunft gibt und die soziale Orientierung erleichtert.360 Ubiquität medialer Kommunikation/ Zeichenräume Handys ermöglichen eine Just-in-time-Interaktion entweder durch die direkte sprachliche und teils demonstrativ öffentliche Kommunikation oder durch zeitversetzt ausgetauschte Nachrichten und andere Texte, die im Privaten rezipiert werden. Die Selbstverständlichkeit, mit der Handys sich bei den Jugendlichen durchgesetzt haben, wie die Intensität ihrer Nutzung in quantitativer und qualitativer Perspektive korrespondieren mit der immensen Bedeutung, die soziale Kontakte in Dyade, Peer Group und Szene grundsätzlich für den Jugendlichen haben. Handys erleichtern die Encodierung und Produktion von Texten, die neben der Information des Gegenüber auch die reflexive Präsentation eigenen Erlebens zum Ziel haben. In ihnen vergewissern sich die Jugendlichen in der Interaktion mit den Gleichaltrigen der angemessenen Zuweisung von Bedeutungen zu Handlungssituationen, aus denen heraus sie ja direkt oder in unmittelbarer Nähe sich mitteilen. Als Rezipienten leisten sie mit ihrer Decodierung und deren Artikulation ihren Interaktionspartnern wertvolle Dienste in der Spiegelung wie Kommentierung und partizipieren zugleich Anteil nehmend an dessen Handlungssituationen, die so auch für sie konkrete Bedeutung erhalten. Andererseits sind sie auch in der Lage, sich dem Preferred Reading ihrer Interaktionspartner partiell oder gänzlich zu verweigern und aus ihrer distanzierten Perspektive korrigierend oder kompensativ den ursprünglichen Text zu interpretieren. Aus dieser Distanz haben sie auch die Möglichkeit, das konkrete Handeln ihres Kommunikationspartners in anderen kontextuellen Zusammenhängen zu sehen und ein differierendes bzw. differenziertes Bild zu entwickeln. Das Handy als Repräsentation von Identität Als Objekte sind Handys zugleich auch selbst Texte, die über sich hinausweisend für ihren Besitzer und dessen Persönlichkeit stehen. In diesem Sinne gibt es ganz offensichtlich auch ein Preferred bzw. Dominant Reading, das sich in der Dominanz bestimmter Handy-Marken, in dessen personalisierter Ausstattung (Schale, Logo, Klingelton), in der Präferenz bestimmter Netzbetreiber und schließlich in der konkreten Nutzung (Kommunikation, audiovisuelles Medium, Spielgerät, Organisationswerkzeug) manifestiert.361 Handys gehören zum intertextuellen Arrangement des Jugendlichen, das er im Zuge seiner Identitätsentwicklung ausbildet und fortwährend modifiziert. Die Nutzung der Handys folgt damit zudem medial wie personal vermittelten Skripts, die neben dem Handy weitere Texte, Objekte, Medien und Handlungsvarianten umfassen, die sich im Handy fokussieren. Das Handy stellt damit ein Sub-Arrangement dar, mit dessen Präsentation bzw. Aneignung der Jugendliche sich und anderen dezidiert Auskunft über seine Identitätsentwürfe gibt. Aktive und kontrollierte Gestaltung von Kommunikation Die Attraktivität des Handy und seiner Nutzung beruht auch auf den Flow-Potentialen, die in ihm angelegt sind. Die persönliche Verfügbarkeit des Geräts und seine ostentative Personalisierung erlauben im Gegensatz zu 360 Vgl. dazu: LYTLE 2004 361 Research & Media Marketing 2004, 48 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 272 anderen Kommunikationsgeräten eine fast ausschließliche individuelle Kontrolle und erfüllen damit eine wesentliche Voraussetzung von Flow. In der Entscheidung über die Aufnahme bzw. Ablehnung von Interaktion und in deren konkreten Gestaltung finden sich weitere Faktoren, die positiv zum Flow-Erleben beitragen. Je nach Intensität der Beziehung zwischen den Interaktionspartnern stellen sich fortlaufend Aufgaben, über deren Komplexität und heuristische Qualität der Jugendliche selbst bestimmen kann. Das verstetigte Chat mittels dem Handy stellt auch eine wichtige Alltagsroutine im Sinne des Microflow dar. SMS-Chat: neue Dramaturgien? SMS stellen die aktuell am meistens gebrauchte Form distanzierter Interaktion der Jugendlichen neben dem eigentlichen Anruf dar. Dabei stellen sie nur eine Facette von Distanzkommunikation dar, die sich in den Communities des Internets mittels ICQ, IRC, Chat- und News-Foren vielfältig ausgebildet hat. Gerade die sich virtuell organisierenden kollektiven Fiktionen nutzen diese Kommunikationsformen sehr intensiv, schon um den fehlenden personalen Kontakt zu kompensieren, aber auch, weil sie neue Formen der Interaktion ermöglichen. So kann der Jugendliche etwa seine Anonymität durch die Wahl eines Akronyms wahren, eine Kommunikation kann nicht erzwungen werden, sondern liegt in der Entscheidungsgewalt des einzelnen wie auch der Eintritt und Ausgang beim Chat, Rede und Replik können, müssen nicht direkt aufeinander folgen, können reflektiert werden. Die Schnelligkeit und Direktheit einer Face-to-face-Kommunikation sucht man dagegen mittels Abbreviaturen und durch Icons abzubilden. Die Zugangsmöglichkeiten zu dieser Kommunikation sind ubiquitär und weder an Zeit noch Ort gebunden, man kann sofort interagieren. Die Auswirkungen dieser Interaktionsformen auf das Collective Storytelling liegen zum einen in einer weiteren Verflachung bestehender Hierarchien, die le tztlich dazu führen, die klassische Funktion des autoritativen Master an alle Mitspieler zu übertragen, zum anderen in der Auflösung traditioneller narrativer Schemata infolge der Just-in-time-Wirkung der Handlungsimpulse, welche die Teilnehmer fortwährend setzen. Und schließlich kennen die Räume dieser Fiktionen nun wirklich keine Grenzen mehr außer der physischen Erschöpfung ihrer Teilnehmer. Und selbst diese lässt sich mit Hilfe anderer Mitspieler in der globalen Community egalisieren, wenn sie stellvertretend und im Auftrag die gewünschten Impulse setzen. Spannung ist jetzt immer sofort möglich und als Erfolg bzw. Misserfolg erlebbar und nicht das Resultat einer sorgfältig geplanten, sich steigernden Storyline, die Spannungsakzente bewusst setzt. Die Storyline entwickelt sich jetzt aus der Summe der Handlungsimpulse und ihrer in der entsprechenden Spielsoftware angelegten aggregativen Interdependenzen, die weniger Fiktion als vielmehr Faktizität sind. Notwendigerweise erschöpft sich das Handeln in den meisten OBG auch auf die Beherrschung von technischen, ökonomischen und militärischen Variablen aus einer mehr oder minder auktorialen Position. Andererseits können diese Kommunikationsformen aber auch die traditionelle kollektive Fiktion intensivieren, indem insbesondere die bislang von außen erzwungenen Latenzzeiten interaktiv gestaltet werden können. Der einzelne findet seine Gruppe nicht mehr nur an den Events, sondern sie steht ihm virtuell in Permanenz zur Verfügung. Digitale Kommunikationsmedien: Computer Situation Der häusliche PC wird inzwischen mehr und mehr zu einem Standardelement in der Alltagsgestaltung eines Jugendlichen.362 Bei den FRPG-Spielern kommen noch die spezifischen Interessen von männliche Jugendlichen an technischen Geräten und Entwicklungen verstärkend hinzu. Der PC hat wie andere Medien auch im Medien-, Text- und Ereignisarrangement der Fantasy-Rollenspiele verschiedenen Funktionen in den Bereichen Kommunikation, Unterhaltung, Information und Gestaltung. Dabei kann eine explizit spielbezogene Verwendung von anderen zwar unterschieden werden, doch sind die Grenzen zwischen den verschiedenen Nutzungsintentionen und Nutzungspraktiken fließend. Einen direkten Bezug zu den Spielen hat der PC als Unterhaltungsmedium und notwendiges Gerät zum Spiel einschlägiger PC-Games in den verschiedenen Formaten und Sozialmodi. 363 Dazu gehört auch die Archivierung 362 Lt. JIM 2003 verfügen zwar über 96% der befragten Haushalte über einen Computer, aber nur 53% davon waren im jugendlichen Eigenbesitz; 85% der Haushalte verfügen über Zugang zum Internet, aber nur 34% dieser Zugänge sind Eigentum der Jugendlichen, MPFS 2004, 3 363 Vgl. grundsätzlich zur Attraktivität von PC-Games: DURKIN/ AISBETT 1999; die Autoren stellen die überwiegend positiven Ergebnisse der Studie heraus, demnach Ängste der Eltern und Pädagogen bezüglich der Spiele als einer Aggressionsquelle, als Ursache von Isolation und Vereinsamung, als 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 273 spielbezogener Software und Dateien wie Handbücher, FAQs, Updates, Patches, Spielstände, Skins, Maps und Mods etc. Diese Daten werden direkt von unterschiedlichen Datenträgern als Originale oder als Kopien durch Kauf, Tausch, Download und Transfer gesammelt und ebenso weiter verbreitet. Ohne Internetzugang ist bei den heutigen Spielen die schon wegen des technischen Fortschritts notwendige Aktualisie rung kaum praktikabel. Soweit die PC-Spiele eine Ausgestaltung und Fortentwicklung durch den Spieler vorsehen, modifizieren die Jugendlichen am PC auch die Spiele und publizieren ihre Resultate im Netz.364 Die fortwährende technische Weiterentwicklung der PCs, der gleichzeitige Preisverfall der Hardware und die Fortentwicklung der spezifischen Spiele -Software365 haben in den letzten Jahren die Verbreitung von Fantasy- PC-Spielen auch unter Fantasy-Rollenspielern gefördert, die diesen Medien zunächst sehr kritisch gegenüberstanden und teilweise auch heute noch verhalten auf diese Entwicklung reagieren. Die Affinität der PC-Spiele zu Fantasy-Rollenspielen ist ein wesentliches Kriterium für deren Akzeptanz in der Klientel der Fantasy-Rollenspieler und kann inhaltlicher Natur sein – etwa als Adaption oder Modifikation eines Table Top- Spiels – auf der Analogie des Spielsystems beruhen oder sie kann auf der Übernahme der Spielanlage basieren.366 Zur Attraktivität der Fantasy-PC-Spiele trägt besonders ein Modus bei, bei dem analog zum Table Top-Spiel mehrere Spieler miteinander vernetzt in einem sog. MUD simultan agieren. Grundsätzlich lassen sich diese PC-Spiele gerade über diese Spielmodi unterscheiden: Neben dem 'klassischen' Single -User-Modus gibt es verschiedene Varianten des Multi-User-Modus, mit denen die Spiele erst eine den Fantasy-Rollenspielen vergleichbare Spielpraxis und Nutzungsmöglichkeit gewinnen. Die Jugendlichen fasziniert wie bei allen PC-Versionen von Spielen der grafischen Realismus, welche die imaginative Wirkung im Vergleich zum traditionellen Spiel verstärkt im Sinne von Authentizität und Virtualität.367 Besonders die der Realität nachempfundene Einschränkung der Wahrnehmung des Geschehens erhöht diese Imaginationswirkung, etwa als Perspektive eines "MechWarrior" im Kampfstand seines Maschine; hinzu kommen weitere Elemente virtueller Realität wie HUD, Instrumentenkonsolen, Feuerleitkontrollen, weiter die Darstellung von Feuerwirkung und Treffern.368 „Mittlerweile sind [die Spiele] zu einer festen Spielgröße im Freizeitbudget geworden, deren grafische, tontechnische und interaktive Potenziale ein Faszinosum für junge Menschen darstellen.“369 Auch für genuine Fantasy-Rollenspielen existiert eine Reihe von Software, mit der die Spiele und besonders auch die Spielvorbereitung effizienter gestaltet werden kann. Die Jugendlichen nutzen etwa Vordrucke von Standardformularen und passen sie an ihr konkretes Spiel an, sie finden Szenarien, Karten und anderes Material, mit dem das Spiel bereichert werden kann, oder auch Entwicklungsprogramme für eine individuelle und korrekte Gestaltung von Charakteren und Mechs. Die digitale Aufbereitung dieses Materials geschieht wie seine Verbreitung ebenfalls mittels des PC. Ein Großteil der ursprünglich in den Printmedien veröffentlichten Materials wurde dazu eingescannt und so aufbereitet, dass es weiter modifiziert werden kann. Die Spieler haben nun auch Zugriff auf die aktuellen Kompendien und Regelwerke und auf die Artikel und Archive der Prozines und Fanzines.370 Mit der weiteren Verbreitung des Internet und den sinkenden Zugangskosten371 stellen die formellen wie informellen Online-Präsenzen der einzelnen PC-Spiele wie der genuinen Fantasy-Rollenspiele eine immer Suchtanlass etc. unbegründet seien. Die Nutzung der PC-Games verlaufe in gewisser Weise analog zu denen des TV; RÖTZNER verweist darauf, dass PC-Games der Studie zu Folge zur "Grunderfahrung von Kindern und Jugendlichen" gehörten, s. RÖTZNER 1999 364 Modifikationsmöglichkeiten bieten besonders Ego Shooter wie "Halflife" mit ihrer vergleichsweise einfach zu programmierenden Engine, s. www.counterstrike.net [2004-08-29]; 365 Die Entwicklung der PC-Spiele beginnt mit Spielkonsolen, da nur dort zunächst eine befriedigende grafische Darstellung möglich war; allerdings bevorzugt die dort übliche Joystick-Steuerung eher bewegungsdynamische Jump 'n Run-Spiele als komplexe Fantasy-Rollenspiele, die ein Keyboard voraussetzen; erst PC mit Prozessoren der III. und IV. Generation, massiv erweitertem Kernspeicher und superschnellen Grafik -Karten, schnellen Festplatten etc. ermöglichen heute PC-Spiele in einer den Konsolen vergleichbaren Qualität; 366 Zur Ausdifferenzierung des Genre vgl. Kap 4.2 367 BARON 2000: "Präzise Fantasien"; 368 Um der Indizierung zu entgehen, werden zahlreiche Versionen für den deutschen Markt im Realismus der Darstellung von Trefferwirkungen 'entschärft'; 369 VOGELGESANG 2003, 66 370 Bsp.: Archiv des Nice-Dice e.V. (http://www.nice-dice-ev.de/WG.html [2004-08-29]); 371 Für die Internet -Nutzung jüngerer Jugendlicher ohne eigenen Provider von Bedeutung sind Zugänge über Internet-by-Call-Anbieter mit Minutenpreisen unter 0,02 €; für ältere jugendliche Spieler auch von den Kosten her interessant sind mittlerweile DSL-Volumen- und Zeit- sowie 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 274 wichtigere Ergänzung der Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten dar und substituieren u.a. mehr und mehr Funktionen der szenentypischen Printmedien. Die Informationen werden einerseits von den Produzenten oder Verlagen, mehr aber noch von FRPG-Enthusiasten ins Netz gestellt. Gleichzeitig findet der Spieler dort Foren und Chaträume. Mit einer einfachen Nachfrage, einer Anmerkung, einem Verbesserungsvorschlag oder einem Hinweis auf weitere Regeln beginnt eine solche Kommunikation mit anderen Spielern, zunächst über die in diesen Web-Publikationen üblichen FAQ- und Kontakt-Seiten, dann über Diskussions- und News-Foren, über Chat, Emails und SMS. Die Jugendlichen kommunizieren aber nicht nur über die Spiele und das Spiel selbst, sondern auch über Themen der Peer Groups und der Szene. 372 Eine besondere Form der direkten Kommunikation (mit Ähnlichkeit zur SMS) am und mit dem PC stellt das ICQ dar, mit dem die Jugendlichen online Just-in-time miteinander korrespondieren.373 Spielgebundene Versionen dieser Technik, bei denen die Spieler direkt miteinander kommunizieren, finden sich auch bei OBG 374oder bei MUD mit Ego-Shooter auf LAN-Partys.375 Mit dem Aufkommen günstiger CD-Writer ist der PC zu einer omnipotenten Kopiermaschine geworden, mit der sehr rasch Daten unterschiedlichster Art dupliziert werden können. Für die Jugendlichen von besonderem Interesse sind dabei Audio- und Videodaten, die entweder vom Original ausgelesen oder aus anderen Quellen (Internet; LAN) schon aufbereitet bezogen werden. Versuche der Industrie, ihre CD vor dem Kopieren zu schützen, fordern die Jugendlichen eigentlich nur heraus, diesen Kopierschutz zu umgehen. Im Internet sind eine Reihe von Hacker-Seiten mit den notwendigen Cracks und Patches vorhanden, um fast jeden Kopier- bzw. Programmschutz erfolgreich überwinden zu können. 376 Angesichts der Anstrengungen der Industrie, ihre Produkte zu sichern, sind Kenntnisse und Fähigkeiten in diesem Bereich durchaus ein Profilierungsitem mancher Jugendlicher. Aus der Sicht des Pädagogen zwar zunächst erfreulich, rechtlich aber sehr bedenklich, erweist sich der Altruismus der Jugendlichen, andere an ihren Erfolgen in dieser Sache teilhaben zu lassen und ohne Bedenken die Routinen wie die Kopien zu verteilen. Die aufwendigen Auslese- und Kopierverfahren benötigen weiter eine entsprechende technische Ausstattung und auch einiges an Zeit, besonders bei der Aufbereitung von Videodaten. Außerdem arrangieren die Spieler aus dem ihnen zur Verfügung stehenden Musikmaterial eigene CDs für den Gebrauch im Alltag. Mit speziellen Kompressionsverfahren ist auch der weltweite Austausch per moderner File -Sharing-Software möglich. Ein wesentlicher Impuls beim unerlaubten Kopieren ist der Touch des Cyberpirate, der mit dem unerlaubten Download rechtlich geschützter Musik und anderen Materials erfolgreich gegen die Ökonomisierung des Internet durch sinistre globale Konzerne protestiert. Die Hard- und Software stellt ein in der Interaktion der Jugendlichen unerschöpfliches Thema dar. In der sachgerechten Teilnahme am technischen Diskurs bieten sic dem Jugendlichen verschiedene Möglichkeiten der Profilierung. Wichtig für seine Position in der Gruppe ist etwa die Qualität seiner Hardware, doch reicht nicht der einfache Besitz, der einen schnell in den Verruf bringt, über genügend materielle Ressourcen zu verfügen, um sich Authentizität 'einzukaufen' (Poser). Es müssen, um Anerkennung auf dieser Schiene finden zu können, auch besondere Fähigkeiten und Kenntnisse vorhanden sein, die sich insbesondere in der entsprechenden Modifikation der Hardware als Tuning, als Case Modelling oder in besonders cleveren Lösungen niederschlagen und das besondere Profil manifest machen, wenn man seine 'Maschine' etwa auf LAN-Partys vorstellen kann. "Die szenenspezifische partikularistische Medienkompetenz geht einher mit einer wachsenden Aufgeschlossenheit gegenüber apparativ-technischen und inhaltlich-formativen Medienentwicklungen. Hardware- und Software - Skills werden gleichermaßen als selbstverständlich angesehen. So gibt es etwa eine szenenübergreifende Faszination für neue filmische Tricktechniken und Computeranimationen [...] ('mediale Koppelungen')." 377 'Flatrate'-Angebote, die z.B. in studentischen Wohngemeinschaften unter den Mitbewohnern geteilt werden, s. dazu: APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2000-09-06 SCHTH 01, 12 372 Bsp: http://www.chizuranjida.de/dsa/dsa_bm.html [2004-08-30]; http://www.geocities.com/Area51/Vault/1103/dsa.htm [2000-07-30]; http://www.die-reisenden.de/ [2004-08-15]; 373 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2004-02-09 AM, 33-35 374 Bsp.: Blizzard Entertainment stellt für seine Spielwelten von "Warcraft", "Diablo", "Starcraft" eine eigene Interaktionsplattform bereit (www.battle.net [2004-08-29]); 375 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 376 Ein typisches Portal für derartige Software: http://astalavista.box.sk/ [2004-08-15]; 377 VOGELGESANG 2000, 154 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 275 Auf den ersten Blick zeigen die Jugendlichen deshalb zahlreiche Kompetenzen im Umgang mit dem Computer und mit elektronischen Medien generell. Eine ganze Reihe von ihnen beschäftigt sich über die Fantasy- Rollenspiele hinaus mit speziellen Bereichen wie Informatik, PC-Bau und -Tuning, alternativen Betriebssystemen, Graphik, digitaler Fotografie und Videografie, CAD, Autorenprogrammen, Internetpräsenzen etc. Dieser Gruppe von Experten steht allerdings die Masse der User gegenüber, die sehr beschränkte oder doch sehr spezielle Kenntnisse im Umgang mit Hard- und Software hat. Ihre Kompetenzen 'beschränken' sich auf den Umgang mit PC-Spielen und die Internet-Nutzung, die oft in einem zeitraubenden Prozess des Learning-by- doing erworben werden.378 Der wenig verbreitete und mit der Attitüde eines "Cyberpunk" ja auch unvereinbare Wille, sich diese Kenntnisse konsequent anzueignen, führt in Konsequenz zum Aufbau persönlicher Netzwerke, in denen Tipps und Informationen ausgetauscht werden. Hier können dann auch die wegen ihres distinktiven Anderssein ansonsten sozial weniger integrierten Egg Head eine Nische als respektierte Fachautoritäten finden, in der man sie entweder dulden muss oder die sie selbst besetzten, will man seine Hard- und Software am Laufen halten.379 Ubiquitärer und interaktiver Zugang zu Zeichenräumen Der PC stellt neben dem eigenen TV-Gerät und dem Handy das entscheidende Objektsymbol dar, in dem sich die Integration des Jugendlichen in Alltag und Lebenswelt seines Alters und sein Identitätsstatus artikulieren. Trotz der heute infolge sinkender Preise weiten Verbreitung eignet der PC gerade mit entsprechender Ausstattung und Leistung immer noch den Charakter von distinktiver Exklusivität. Während ursprünglich seine wissenschaftliche und bürotechnische Anwendung im Vordergrund des Prefered Reading standen, sind es heute zunehmend seine multimedialen Eigenschaften, mit denen er beworben wird. Es fällt somit den Jugendlichen heute leichter und bedarf kaum noch eines Oppositional Reading, sich dieses Medium nach ihren Hauptinteressen anzueignen. Die Umwidmung des PC in ein reines Spielgerät oder eine Multimedia -Plattform steht weniger denn je den Anwendungswünschen der Eltern entgegen, die implizit ebenso die heimliche Anschaffung und den verborgenen Besitz unerwünschter bzw. unerlaubter Materialien wie nichtaltersgerechte Filme oder Raubkopien akzeptiert zu haben scheinen. Der PC ermöglicht neben dem Spielen und der Rezeption von audiovisuellen Medien wie CD, DVD, Radio und TV in ihren verschiedenen Formaten in erster Linie Interaktion und Kommunikation und ist weiter ein Instrument der Information und Repräsentation. 380 Mit ihm stehen den Jugendlichen praktisch unbegrenzte Datenmengen und der umfassende Zugriff auf in konkreten Sinne alle Archive symbolische Objektivationen zur Verfügung.381 Diese intertextuellen Potentiale sind Chance wie Risiko zugleich, denn mit der Zunahme des Zugriffs auf Texte wächst auch das Problem der Orientierung. Obgleich grundsätzlich offen angelegt, verdichtet sich die Nutzung des PC durch die Jugendlichen auf die modifizierende Abarbeitung von Skripts, um in dem Dschungel Pfade anzulegen, die Effizienz und Erfolg der Interaktion sichern. PC tragen somit wie Radio und TV zur Verbreitung dominanter Texte bei, öffnen sich aber im Gegensatz zu unilateralen/ unidirektionalen Medien in größerem Umfang einer interaktiven Nutzung, die zur Aktualität und Bedeutung des Mediums bei Jugendlichen entscheidend beiträgt, da hier ähnlich wie beim Handy eine im Vergleich zu anderen Medien unmittelbare Reaktion auf die Interaktionsimpulse erfolgt und die Deutung der dabei vermittelten Texte sich als Diskurse sozialer Entitäten unterschiedlicher Größe etablieren. Zugleich fördern sie grundsätzlich die Aktivität der Jugendlichen, die Texte intendiert suchen und sich – nicht immer legal – beschaffen und nicht mehr Rezeptionsmomente und –situationen abwarten. Eine weitere Ebene der Aktivierung liegt in der Simultaneität von Interaktion und Kommunikation mittels des PC (und anderer Medien), die sich auf verschiedenen Kanälen organisiert und eine reflexive Auseinandersetzung über gerade rezipierte Texte mit sich und anderen ermöglicht. 378 Geschätzte Einarbeitungszeit für eine zufriedenstellende Kompetenz in komplexe Ego Shooter wie "Quake I-III", "Halflife" und seine Derivate, "Soldiers of Fortune" etc. etwa 1 Monat/4 Stunden täglich, ungerechnet die Zeit in Online-/MUD-Spielen, APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2000-09-06 SCHTH 01, 11; es fehlen dagegen oft schon Grundkenntnisse im Hin blick auf die Hardware-Ausstattung und die Verwendung einfacher Office-Software, s. MATHEA 2002-2003 379 Typische Konstellation von fachautoritativer Dominanz und Unterstellung vgl. APPENDIZES/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD; 380 BERS 2000 381 AXG 2001 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 276 PC-Nutzung als Identitätsfokus/ Modding Als Objektsymbol steht der PC auch für die Persönlichkeit des Jugendlichen. Allerdings lässt das Gerät nur sehr bedingt Rückschlüsse auf dessen Identitätsentwurf zu, wenn seine distinktiven Elemente sich wie bislang auf Brandmark, Preis, Leistung und Ausstattung beschränken. Trotzdem ergeben sich auch so aus den in der Öffentlichkeit präsentierten Gerätedaten Einblicke in den individuellen Identitätsentwurf, dem die Geräte der Jugendlichen sich in ihrer Verwendung und der damit verbundenen Modifizierung anpassen. Dabei wirken bestimmte Freizeitaktivitäten wie etwa das Spiel aufwendiger und technisch anspruchsvoller PC-Spiele unmittelbar auf die Gerätekonstellation zurück, wenn etwa entsprechende Grafikkarten des High-End-Bereichs zur Anwendung kommen und ihre Besitzer als Hardcore-Player ausweisen. Angesichts der geringen Halbwertzeit heutiger PC wird die dadurch bedingte Notwendigkeit, den PC nachzurüsten und auf dem aktuellen Stand zu halten, zum Alptraum der zur Finanzierung herangezogenen Eltern und zur ständigen Aufgabe des Jugendlichen, will er weiter mit seinem Gerät und dem ihm zugrundliegenden Identitätsentwurf konkurrieren können. Dabei ist abzusehen, dass trotz aller Anstrengungen der Wettlauf mit der technischen Entwicklung, zur der insbesondere die PC-Spiele die Referenz darstellen, mittelfristig nicht zu gewinnen ist. Die Anschaffung eines neuen und leistungsfähigen PC wird damit zum Dauerthema der Verhandlungen zwischen Jugendlichem und Eltern und das Warten auf das neue Gerät zu einer den Alltag mitbestimmenden und intensiv wirkenden Quelle von Frustration und Motivation. Kompensieren können die Jugendlichen derartige Defizite in ihrer Außendarstellung u.a. auch durch technische Fähigkeiten, etwa beim Tuning der Hardware im sog. Overclocking, mit ihrer Effizienz bei der Herstellung der bei den Spiele-Events notwendigen Verbindungen und mit ihrer Beherrschung der jeweiligen Software. Da letztlich jeder mit einer Hardware arbeitet, die nur bedingt seinen Vorstellungen entspricht, liegt in dem kreativen Umgang mit den Defiziten ein erhebliches Potential von positiv wirkender Selbstdarstellung. Eine Reihe der Jugendlichen der FRPG-Szene verwendet einen erheblichen Teil seiner Freizeit, um sich derartige Fähigkeiten anzueignen bzw. sie weiter auszubilden. Derartige Skills können zudem zum Fokus von Peer Groups und jugendkultureller Szenen werden. Der Erwerb von Fähigkeiten dieser Art steht wegen seiner kognitiven Dimension zudem allen offen und ist in besonderer Weise geeignet, andere Mängel der Selbstdarstellung, die der Jugendliche reflexiv wahrnimmt oder die ihm signalisiert werden, zu kompensieren. Dem Objektsymbol PC trägt insbesondere ein erst seit wenigen Jahren aktueller Trend zur Personalisierung des Geräts im sog. [Case] Modding Rechnung. Dabei geht es darum, nicht nur die Technik des PC optima l zu tunen, sondern dieses Tuning wie auch das Gerät selbst ästhetisch zu präsentieren. Neben speziellen Designformen des Gehäuses sind dies besonders Gimmicks im Innenraum, die über Glasausschnitte zu beobachten sind, etwa farbige Lichteffekte, besondere Kühlsysteme und Schnittstellenkarten, Netzgeräte und Verbindungskabel. Der PC wird damit zum Solitär und steht wie das Handy und weitere Mediengeräte unverwechselbar für den Identitätsentwurf und seine Darstellung durch den Besitzer. Auch hier greifen die Jugendlichen auf ein begrenztes Angebot an Elementen zurück, die Individualisierung versprechen und organisieren diese über ein spezifisches Arrangement, in dem gerade selbst sich das Gestaltungshandeln des Jugendlichen ausdrückt. Mit dem PC vergrößern die Jugendlichen ihre Möglichkeiten, ihre Identitätsentwürfe sich und anderen auf verschiedenen Ebenen darzustellen und in der Auseinandersetzung mit denen anderer weiter zu bestimmen und zu entwickeln. Kontrollierte Auseinandersetzung mit einem anspruchsvollen Medium Im Hinblick auf die Kriterien, welche ein Handeln bestimmen, das intrinsisch motiviert um seiner selbst Willen geführt wird und sich verstetigt, erfüllt das Medium des PC diese Anforderungen in hervorragender Weise. Er ermöglicht eine schon in seinen Interface-Elementen zum Ausdruck kommende interaktive und zugleich kontrollierte Auseinandersetzung des Jugendlichen mit Hardware und Software, deren Regeln und Prozeduren klar, einsichtig und stabil sind, deren Anforderungsniveau unschwer an vorhandene Fähigkeiten angepasst werden können und trotzdem als Herausforderung weiter bestehen bleiben, und deren Resultate als Funktionieren oder Erfolge unmittelbar erfahrbar sind und affirmativ wirken. Die Beschäftigung mit dem Medium und seinen Elementen gilt Systemen, ihren Komponenten wie spielerisch erfahrbaren Simulationen in weitgehend definierten sozialen Situationen und Räumen. Es ist damit zugleich begrenzt und schließt irrelevante 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 277 Kontextfaktoren und irritierende Stimuli weitgehend aus. Das Denken und Handeln erfolgt explizit nach Regeln und Algorithmen und in Prozeduren, deren Struktur und Organisation evident und zumindest partiell ebenfalls mitgestaltbar sind. "Interactive media like video games create a further sophistication of media consumption by enabling consumers to switch between a passive control of their emotional and cognitive states (by actively selecting one-way media) and an active control of these states (by choosing interactive media). These interactive media are still in their infancy for reasons related to the kinds of stories that, for technical reasons, can be a way in which they enable players to stimulate an interactive control of human faculties and emotions in possible worlds."382 Die Sinnhaftigkeit dieses Umgangs mit dem PC gründet sich auf dem Erleben ("zunehmende erlebnisorientierte Aufladung des Alltags") im Sinne eines interaktiven und kompetitiven Handelns ("im wettkampfmäßigen Leistungsvergleich"), in der in ihm angelegten und mit ihm verknüpften heuristische Herausforderung und in der selbstreferentiellen Reflexion dieses Umgangs als regressives Moment. Letztlich vergrößert der PC "individuelle Freiräume der Selbstdarstellung und Selbstdefinition"383 und ermöglicht dem Jugendlichen eine erlebnisrationale Konstitution von Alltag und Lebenswelt, aus der er eine Affirmation von Selbstbestimmung erfährt. "The predominant motives for game play, among young people and adults, are enjoyment, diversion, and challenge. These are psychologically healthy motives, common to many leisure activities."384 Der PC als liminales Objekt Der PC stellt schon für sich ein Faszinosum dar. Er vermittelt seinem Nutzer das Gefühl einer vermeintliche Autonomie, etwa durch die Erweiterung bzw. Überwindung psychischer und physischer humaner Grenzen der Wahrnehmung und Erfahrung. Mit dem PC glaubt man Räume jeder Art öffnen und besuchen zu können. Er erlaubt eine anonyme Präsentation von Identität und von Affekten. Der PC erweist sich damit als grenzüberschreitendes und zugleich emanzipatorisches Medium. "In psychological terms, computers are liminal objects, located on the threshold between external reality and our own minds."385 Ein ähnliches Faszinosum erleben die Jugendlichen in ihren Erzählungen, mit denen ebenfalls jene Schwellenerfahrung möglich sind. Auch die Fiktion verheißt ihrem Schöpfer auktoriale Fähigkeiten, öffnet imaginative Räume jenseits normaler menschlicher Wahrnehmung und Erfahrung. In ihr kann sich das Individuum seines Identitätsentwurfs versichern, indem er ihn sich und anderen narrativ expliziert.386 Die Erfahrung des Fiktionalen wird manifest in transitorischen Objekten, deren Symboleigenschaft es den Jugendlichen erlaubt, eine fiktional Existenz mit affektiv-metaphorischen Eigenschaften, die von ihnen als Projektion geschaffen wurde, an ihre real-physische Welt anzuschließen. Die Jugendlichen trachteten nun, die auf der Erfahrung dieses fragilen Momentes beruhende immersive Wirkung zu verstetigen, indem sie das Fiktionale in ihrer Realität als transzendierendes Element zu integrieren suchen. Während traditionelle Medien wie etwa das Buch zur Perpetuierung dieses Moments den Rezipienten von einer aktiven Teilhabe ausschließen und ihn auf eine passive Wahrnehmung zu beschränken suchen, während der Berufene den grenzüberschreitenden Moment inszeniert und zelebriert, ermöglicht der PC als transitorisches Objekt erstmals die interaktive Partizipation auch des Rezipienten mit der Fiktion und weist ihm bei diesem Prozess zunehmend die Rolle des Autors zu. 382 GRODAL 2000, 211-212 383 VOGELGESANG 2003, 67 384 DURKIN/ AISBETT 1999 385 MURRAY 1999, 99 386 Vgl. dazu den Begriff des Durchgangsritus nach GENNEP 1909: Vf. verweist auf das Praktizieren von Durchgangsriten an den Wendepunkten des Lebens und unterscheidet dabei drei Phasen: Ablösung aus dem normalen Status (Segregation); Schwellenphase (Liminalität), Angliederung (Aggregation); Die Liminalitätsphase ermöglicht es nach Turner sozialen Gruppen, Normen neu zu bewerten, sie wiederherzustellen oder zu modifizieren; 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 278 Digitale Kommunikationsmedien: Netzwerke Spielmodi und Spielanlage aktueller PC-Spiele zeigen eine zunehmende Tendenz zum Spiel in vernetzten Kontexten, gefördert durch eine Vereinfachung und qualitative Verbesserung der Netzwerktechnik, einen Preisverfall der dazu notwenigen Hardware und durch die wachsende Verfügbarkeit von Intra- und Internets. Dieser Trend kann als Antwort auf jugendliche Nutzungsformen verstanden werden, bei denen es darum ging, die PC-Spiele analog zu denen der Konsolen interaktiv zu gestalten und damit die geringe Verbreitung der Konsolen in der Szene zu kompensieren Als beachtenswerter Nebeneffekt ergab sich die Chance, Spiele - Software nun auch kopieren zu können. Eine erste Entwicklungsstufe, der Multi User Dungeon, also das Spiel mehrerer Spieler mit einem Spiel an einem PC ist mittlerweile Spiele -Standard und gilt in der Community letztlich als antiquiert.387 Die Jugendlichen haben es durch diverse Formen von Spielen in LAN- und auf Internet- bzw. WWW-Plattformen (Massive Multi User Online Roleplaying Games) ersetzt.388 Beide Formen des vernetzten Spiels besitzen für die Jugendlichen eine hohe Attraktivität, wie die Ausbreitung von LAN-Partys in der Szene oder die rasch steigende Zahl von Teilnehmern an MMOR[P]Gs zeigen.389 Die Jugendlichen unterscheiden PC-Spiele generell und auch netzwerkfähige PC-Spiele recht genau nach der Spielanlage und Genre. Die zahlreichen Spielanlagen und Genre wie etwa der große Bereich der Simulationsspiele sind allerdings kaum wirklich in Reinform in den Spielen zu finden, die üblicherweise auf der Basis einer Spielanlage einen Genremix darstellen. Auch der engere Bereich der Fantasy-PC-Spiele umfasst deshalb sehr unterschiedliche Spielanlagen und integriert verschiedenste Crossover. Beispielsweise operieren die Jugendlichen in einer Spielanlage, welche das genuine Fantasy-Rollenspielformat des Adventure und der Quest zu kopieren sucht, wie die Spieler eines Ego Shooter390 in Kleingruppen. Während aber in der Quest die Zusammenarbeit des Team der Spieler für den Erfolg eine notwendige Bedingung ist, agieren die Mitglieder einer Squad in einem Ego Shooter nur lose für die kurze Zeit der Spielrunde miteinender in einem taktischen Konsens verbunden und weitgehend unabhängig. Die Squad ist immer nur Mittel zur Realisierung letztlich individueller Ziele. Die Gratif izierung erfolgt denn auch als Erhöhung des für eine Verbesserung der Waffenausrüstung zur Verfügung stehenden finanziellen 'Stock' des Einzelspielers. Es fehlt zudem den Ego Shooter an strategischen Zielen, die einer längerfristige Zusammenarbeit notwendig machten. Taktischen Ziele wie etwa eine Geiselbefreiung mögen bei formellen Veranstaltungen der E-Sport-Szene eine gewisse Rolle als Handicaps spielen – hier treten die Spieler in den Clans auch als organisierte Gruppen auf - in der Praxis der informellen LAN-Partys sind sie von den Spielern müde belächelte Feigenblätter sinnfreier Gewalthandlungen. Geiseln stehen nur in der Schusslinie und werden konsequenterweise von beiden Seiten möglichst rasch beseitigt. Die Auffassung von VOGELGESANG, die Zusammenarbeit der Spezialisten in den Squad stelle gruppendynamisch-integrative Prozesse der Jugendlichen dar, sollte um eine Bewertung auch aus der Perspektive von Intensität, Qualität und Intentionalität erweitert werden.391 Der komplexen Problem- und Konfliktentwicklung und dem damit verbundenen elaborierten Problemlösungshandeln der Figuren in der Quest steht also die Realisierung taktischer Ziele und das simple Killing im Ego Shooter gegenüber. Die heuristische Komplexität der Quest führt zu einem dem normalen Spiel von FRPG ähnlich hohen Zeitaufwand. Damit scheinen MUD mit Quest-Anlage prädestiniert für die oft das ganze Wochenende andauernden LAN-Partys. Dort aber dominieren eben die kurzen Runs der Ego Shooter, die in redundanten Zyklen solange gespielt werden, bis die bespielte Map ausgereizt scheint und durch eine neue ersetzt wird. Das vernetzte Spiel in PC- Spielen anderer Anlage wie Quest und Simulation stellt auf LAN-Partys nichts anderes als eine Variante des Chill dar.392 PC-Spiele mit Quest-Anlage scheinen eher eine Sache der OBG-Modi zu sein, bei denen die Jugendlichen in der Regel allein, ohne physischen Kontakt zu anderen, zu Hause, im Internet-Cafe, in der 387 Während jüngere PC-Spieler sich über die qualitativen Defizite mokieren, erleben Veteranen die spezifischen Präsentationsformate derartiger veralteter Software wie etwa den geteilten Bildschirm als nostalgische Momente, APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD; andererseits halten sich in den Hochschulgemeinden hartnäckig die TELNET-basierten MUMM. MACK, MURK aus der Anfangszeit vernetzten Computerspiels, vgl. Kap. 4.2; 388 Für die weiteren Ausführungen grundlegend: APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD 389 In OBG spielen mehrere Tausend Spieler, APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2004-02-09 AM, 4; s.a. http://www.destinysphere.net/ ds/index_login.php [2004-08-30]; 390 Ego Shooter: Den entscheidenden qualitativen Sprung erzielte dabei 1997 der erste 3-D-Ego Shooter "Quake", dessen Format beispielgebend für die weitere Entwicklung wurde; aktuell "Quake III Gold", s. http://www.idsoftware.com/games/quake/quake3-gold/ 82004-08-01]; aktuelle Ego Shooter: "Doom 3", s. http://www.doom3.com/ [2004-08-29]; "Halflife 2", s. http://hl2.gamigo.de/index.php [2004-08-28] 391 VOGELGESANG 2000, 69; APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD; 392 Zu Aufbau, Strukturierung und Ablauf von LAN-MUDs vgl. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD; zur Gestaltung von Ruhe-Phasen (Chillen) s. Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 56 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 279 Schule oder wo auch immer ein Terminal steht, per Internet in einem MMOR[P]G mit anderen Mitspiele rn vernetzt sind. 393 Vorbereitung und Vor-Erleben im Aufbau von Netzwerken Die Vorbereitung und der Aufbau von Netzwerken stellen an sich schon ein Erlebnis für die beteiligten Jugendlichen dar. Technisch geschieht dies in den meisten Fällen über eine physikalische Kabelverbindung der PC via Netzwerkkarten und Hub bzw. Rooter in einem Local Area Network mit einer Datentransferrate von 100 Mbit/s. Zu Beginn der Entwicklung kamen noch die langsameren und weniger standfesten BNC-Verbindungen mit 10 Mbit/s zum Einsatz. Im Kommen sind trotz der vergleichsweise schlechten Performance beim Datentransfer Funk-Netzwerke (WLAN) wegen ihrer Praktikabilität. Die Einrichtung der Vernetzung stellt auch auf der Software-Seite heute zwar kein eigentliches Problem mehr dar, erfordert aber gerade bei Anfängern immer noch ein gewisses Maß an Frustrationstoleranz. Im Learning-by-doing wie mit Hilfe der Experten gelingt es aber meist dann doch, die Vernetzung herzustellen. Eine weitere Schwierigkeit stellt die Lokalisierung der Software in der jeweiligen Netzwerkumgebung dar. Es bedarf eines ausgeprägten und ständig im Diskurs mit Gleichgesinnten aktualisierten Insiderwissens, diese technischen Probleme zu lösen. Hier werden vergleichbar zu den Master der Fantasy-Rollenspiele Experten aktiv, die sich diese Fähigkeiten praktisch wie theoretisch in einer ausgeprägten Marktbeobachtung, auf einer Reihe von virtuellen wie reellen Diskursforen und im konkreten Umgang mit dem Material selbst erwerben. Diese Gruppe der Spieler-Experten neigt zu einem gewissen Perfektionismus, der sich in einem hochkomplexen und detaillierten Spezialwissen und im ständigen Nachbessern funktionierender Systeme manifestiert. LAN-Partys sind für diese Jugendlichen aus diesem Grund weit über das eigentliche Ereignis hinausgreifende Phänomene und bilden Kulminationspunkte, die massiv vorher und hinterher in die Alltagsgestaltung eingreifen und ihr Orientierung und Sinn vermitteln. Allein schon aus den technischen Herausforderungen entwickeln sich in diesem Stadium Potentiale interaktiv-sozialen und technisch-kognitiven Erlebens für die Gruppe der Interessierten und Experten im Vorfeld des eigentlichen Spiels. 394 Zu dieser technizistisch orientierten Dimension kreativer Gestaltung gehören schließlich auch die Möglichke iten, auf die im LAN gespielten Spiele selbst Einfluss zu nehmen und auf deren Source Codes (Engines) modifizierte oder neue Spielszenarien (Mods) Habitus der Figuren (Skins) und Schauplätze (Maps) zu programmieren.395 Eine Reihe von Spielern widmet sich intensiv dem Tuning ihrer Maschinen, bei dem es darum geht, technische Defizite oder Handicups wie etwa zu langsame Prozessoren zu egalisieren. Eine relativ neue Beschäftigung ist das optische Tunen der PC im sog. Case Modding, bei dem die Gehäuse mit Einsichtmöglichkeiten versehen werden und der Innenraum des Computer mit zahlreichen Gimmicks ästhetisiert wird.396 Den Jugendlichen gelingt es angesichts der dabei zu bewältigenden Anforderungen unschwer, sich die autotelischen Potentiale dieser Aktivitäten zu erschließen. Da die Spieler ihre eigenen PC für den Aufbau der LAN benutzen, ergeben sich daraus weitere logistische und organisatorische Probleme. Schule, Elternhaus und andere formelle wie informelle Institutionen, etwa der Vereinssport, greifen gerade an Wochenenden in die Zeitressourcen der Jugendlichen ein, die sich für LAN- Partys aufgrund der Dauer des Event erst Freiräume schaffen müssen. Für die Aufstellung von PC, Monitoren und Eingabegeräten der Spieler benötigt man ausreichenden Platz, den die meisten Jugendzimmer nicht unbedingt bieten. Hier müssen also Alternativen im Haus wie vielleicht der Partykeller oder auswärts, etwa in Jugend- und Vereinsheimen, gefunden werden. Die oft mehrtägige Dauer des Event verlangt auch nach Verpflegungs- und Übernachtungsmöglichkeiten, bei deren Bereitstellung der das Spiel ausrichtende Jugendliche oder die Organisatoren auf die Hilfe von Erwachsenen wie der Eltern angewiesen sind. Deren Entgegenkommen oder das älterer Geschwistern benötigen die meist noch minderjährigen Jugendlichen auch, um ihr Equipment zum Einsatzort zu fahren.397 393 Bsp.: "Starcraft" (http://www.blizzard.com/starcraft/ [2004-08-15]); 394 VOGELGESANG 2003, 68: "Die Gruppe wird dabei für die Jugendlichen zu einer Art Wissensdrehscheibe und Sozialisationsagentur [....]." 395 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2000-09-06 SCHTH 01 396 Zahlreiche Beispiele: http://www.case-gallery.de/gallery.php?gallery_nr=1 [2004-08-15]; 397 Besondere Tragesysteme für das Equipment sollen die Mobilität auch mit anderen Transportmitteln ermöglichen (http://www.hardwareshop4u.de/catalog/product_info.php/cPath/658_500_917/products_id/7051/name/xbags_ctssl,_lan-_bag_tragesystem_fuer_pc- _bigtower; http://www.hardwareshop4u.de/catalog/product_info.php/cPath/658_500_917/products_id/7100 [2004-08-15]); 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 280 Die Teilnahme, mehr noch aber die Veranstaltung einer LAN-Party, wird wegen dieser kontextuellen Anforderungen auch dadurch unter den Jugendlichen zum Ausweis von Kompetenz, Emanzipation und Eigendarstellung und stellt mittlerweile ein wesentliches Symbol von Status, Prestige und Reputation in der engeren Gruppe wie unter den Peers des weiteren sozialen Kontexts dar. Welche Bedeutung diese Events für die Identitätsbildung der Jugendlichen haben zeigt auch eine zunehmende Bereitschaft der Eltern, die Jugendlichen in ihren LAN-Aktivitäten zu unterstützen, eben weil sie dies offensichtlich erkennen. 398 Während Mütter mehr oder minder klaglos die vielfältigen Transportaufgaben wahrnehmen, fühlen sich die Väter besonders durch die Bereitstellung eines akzeptablen technischen Equipment und durch die Mithilfe bei der Veranstaltung einer LAN-Party gefordert. Die erste LAN-Party, häufig in Verbindung mit einem initiationsrelevanten Geburtstag, wird dann zum Gesamtprojekt von Jugendlichen und Erwachsenen, in dem beide Seiten einerseits einen signifikanten biographisch-sozialen Entwicklungsschritt des Jugendlichen sehen, andererseits aber auch den Ausweis greifbaren Erziehungserfolges bzw. moderner Elternrolle. Die Jugendlichen akzeptieren hier eine Teilnahme der Eltern am Projekt eigener Identitätsbildung, das sich einer medialen Erlebnisdimension entwickelt, die den Eltern im Gegensatz etwa zu Sport und Kultur, wo sie vergleichbare unterstützende Dienste leisten, relativ unbekannt ist. Redundanz und Perpetuierung von Erlebnishandeln: die LAN-Party Der Organisationsgrad von LAN-Partys kann sehr stark differieren. Die Bandbreite reicht dabei von semi- kommerziellen bzw. –professionellen Veranstaltungen der E-Sport-Szene mit zum Teil Hunderten von Teilnehmern über regionale Treffen bis zu den kleinen Netzwerk-Event der Peer Groups, wie sie von den beobachteten Jugendlichen organisiert wurden. 399 Während bei Großveranstaltungen die PC häufig linear aufgestellt werden und die Spieler keinen oder nur beschränkten direkten Kontakt zueinander während des Spielens haben, präferieren die Jugendlichen auf privaten LAN-Partys eine kreisförmige Anordnung der PC, die es ihnen möglich macht, nicht nur über den PC sonder auch Face-to-face zu agieren.400 LAN-Partys sind Veranstaltungen, die ihren Schwerpunkt in der Kommunikation der Teilnehmer untereinander haben. "[...] so stehen auf den LAN-Partys [...] die Geselligkeit und das Vergnügen im Mittelpunkt. Organisatoren und Spieler bilden über ein verlängertes Wochenende [...] eine Interessen- und Spaßgemeinschaft, bei der die Begeisterung für ein bestimmtes Computerspielgenre eine kommunikative Klammer zwischen den Anwesenden bildet."401 Eine Vielzahl der Strukturen des Spiels im LAN müssen vor dem unmittelbaren Beginn des eigentlichen Treffen wie während seines Verlaufs trotz der erheblichen Vorbereitungen diskursiv vorgestellt, diskutiert und entschieden werden, um Verbindlichkeitscharakter zu erhalten. Eines dieser typischen Lokalisierungsprobleme ist z.B. der technische Standard, auf dem gespielt werden soll. Während die einen mit schlechterer Hardware- Ausstattung deren Berücksichtigung bei der Auswahl der Spiele verlangen, etwa durch die Verwendung einer älteren, aber noch lauffähigen Version, ärgern sich die mit einer aktuellen Konfiguration über die Einbußen bei der Performance des Spiels. Einen weiteren wesentlichen Impuls für Kommunikation liefert das Spiel selbst mit der notwendigen Interpretation seines Regelwerkes. Die interaktive Offenheit der Spiele erlaubt den Spielern auch ein sehr individuelles Vorgehen, das zwangsläufig mit der Spielanlage oder mit dem Spielhandeln anderer Spieler in Konflikt geraten kann. In diesen Situationen erfolgt eine entsprechende verbindliche Adaption der Spielregeln ad hoc im repräsentativen Fach-Diskurs der Experten, an dem die gesamte Spielergruppe mit eigenen Beiträgen, Kommentaren und emotionalen Äußerungen regen Anteil nimmt. Zum Regelwerk des Spiels tritt eine ebenso wesentliche Netiquette, mit der die Kommunalisierung des Spiels wie Erlebens im LAN geregelt wird. Die ungeschriebenen, gleichwohl einzuhaltenden Regeln dienen zur Sicherung der Gleichheit der Teilnehmer im Spielprozess, etwa durch das strikte Verbot LAN-spezifischer wie 398 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD; 399 vgl. VOGELGESANG 2003, 71; APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 106 400 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.5-1; Bild 1.5-13 401 VOGELGESANG 2003, 70 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 281 anderer Cheats. Die Überwachung und Sanktionierung erfolgt durch die Jugendlichen selbst, mit die härteste Maßnahme ist der Ausschluss eines Spielers von künftigen Events. In den meisten Fällen gelingt es der Gruppe, die Überwachung und Sanktionierung in einer von allen tolerierten bzw. akzeptierten Form durchzuführen, wozu in erster Linie der gleichberechtigte Diskurs aller bei der Konfliktbewältigung wie eine gemeinsame Ordnungsvorstellung als "Metapher"402 der im Alltag sich ereignenden Ordnungsprozesse beiträgt. Vor Beginn des eigentlichen Spiels wie etwa eines Ego Shooter müssen sich die Jugendlichen über das zu spielende Szenario und den Schauplatz verständigen. Einer von ihnen muss die Organisation und Koordination der Squad übernehmen und entsprechende Ressourcen zuweisen. Zuletzt müssen die Spieler sich für eine Skin und eine angemessene Ausstattung entscheiden, wofür Tipps und Hilfen gerne akzeptiert werden. Im Spiel selbst dann kommunizieren die Jugendlichen auf verschiedenen Kanälen und Ebenen miteinander: Zunächst auditiv im "BattleCom" per Headset, in dem die Angehörigen des Squad untereinander Kontakt halten. Diese Kommunikation orientiert sich mehr oder minder an der in der Spielidee nachempfundenen Realität. Hier hört und gibt man Befehle und Meldungen und kommentiert das Spielgeschehen. Zusätzlich oder auch kompensativ – wenn Technik oder Spiel eine auditive spielinterne Kommunikation nicht zulassen – gibt es ein ICQ auf den Display zur Interaktion mit Short Messages. Hier ist zum Beispiel auch eine selektive und personenorientierte Kommunikation möglich, die durchaus die 'offizielle' des "BattleCom" konterkarieren kann. Gleichzeitig und ergänzend führen die Spieler auch eine direkte verbale Kommunikation im Raum, die einerseits spielbezogen sein kann, andererseits aber auch spielfernere und fremde Bereiche thematisiert.403 Zu diesen Kommunikationsformen treten weitere auditive Quellen wie die Spiele selbst mit ihren Schuss- und Nachladegeräuschen und Musik aus Abspielgeräten, PC-Miniboxen oder als zentrale Raumbeschallung. 404 Zu dieser komplexen verbalen Kommunikation tritt als eine weitere Kommunikationsform expressiver Natur die Inszenierung, mit sich die Jugendlichen nonverbal anderen wie sich selbst präsentieren und die sie insbesondere als Ausdruck von "Kreativität, Unverwechselbarkeit und Authentizität"405 verstanden wissen wollen. Die Bandbreite der dazu eingesetzten Elemente reicht über die Gestaltung ihres Arbeitsplatzes406 oder des PC und die Inhalte der Festplatten407 bis zu Kleidung, Artikulation- und Verhaltensformen. 408 Neben der Kommunikation in den eigentlichen Spielphasen, die naturgemäß doch vom Spielgeschehen dominiert wird, findet eine besonders intensive Interaktion während des Chillen statt. Die Jugendlichen besuchen sich u.a. dabei einander an ihren Arbeitsplätzen. Während der Besuchte nun versucht, möglichst interessante Medienimpulse auf seinem PC zu finden und den anderen zu zeigen, kommentiert und kontextualisiert man dieses 'Programm'. Aus diesen Gesprächen heraus ergeben sich dann neue Anstöße, wenn die Teilnehmer ihre Beiträge mit eigenem Material verdeutlichen oder das bislang Gebotene toppen wollen. Miteinander konkurrierend sucht man bei den anderen Anerkennung und Bestätigung als Ambivalenz von integrativer Partizipation und distinktiver Präsentation.409 Als eine weitere wichtige Dimension des Erlebens auf LAN-Partys müssen die sensitiven, haptischen und motorischen Kompetenzen angeführt werden, welche eine souveräne Beherrschung der Spiele von den Jugendlichen einfordern. Neben einer Vie lzahl von Tastaturbefehlen müssen gleichzeitig eine komplexe Maussteuerung, wenigstens zwei auditive Kanäle, nämlich der On-Ton der spielinternen Kommunikation ("BattleCom") und der Off-Ton der Face-to-face-Kommunikation, und mehrere visuelle Kanäle auf dem Bildschirm (Bewegungen der eigenen und fremden Figuren, Radarbild; Ressourcenkontrollen etc.) kontrolliert werden, um den Erfolg des eigenen Atavars im Spiel zu sichern. Die komplexen, aber klaren Anforderungen der 402 VOGELGESANG 2003, 70 403 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 33-39 404 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 53 405 VOGELGESANG 2003, 70 406 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.5-21 407 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 56 408 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 44 409 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 56-57 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 282 Spiele zwingen die Spieler zu umfangreichen Übungsphasen, um sich in den wechselnden Spielkontexten (Maps) behaupten zu können.410 Gleichzeitig werden diese sensitiven, haptischen und motorischen Anforderungen auch als motivierende Herausforderungen verstanden, denen man u.a. mit einer ausgeprägten Frustrationstoleranz und konsequenter Leistungsbereitschaft begegnet. Andererseits brechen die Jugendlichen ihre Bemühungen auch ohne weiteres ab, wenn sich nach einer akzeptablen Zeit kein Fortschritt erkennbar oder keine Erfolge einstellen. 411 Der Erfolg wird bei Spielen wie einem Ego Shooter direkt und unmittelbar erfahren. Entweder man überlebt das Massaker oder wird zu irgendeinem Zeitpunkt des kurzen Run Opfer eines computergenerierten NPC, einer gegnerischen Squad oder stirbt im Friendly Fire des eigenen Kameraden. Die Überlebenden erhalten dann weiter in Abhängigkeit von den von ihnen erzielten Erfolgen zusätzliche Anerkennung etwa in Form von Kapital, das sie zur Optimierung ihrer Ausrüstung einsetzen können. Innerhalb der Squad und unter den Squad entsteht so aus den errungenen Scores ein Ranking, d.h. der jeweilige aktuelle Status des Jugendlichen ist immer und sofort abrufbar und erkennbar, die Erfolgskontrolle stets unmittelbar. Die immer wieder neu sich formierenden Squads ermöglichen dem einzelnen Spieler intraludial die redundante Partizipation an gruppendynamisch Aktionsprozessen, bei denen er integrativ wie distinktiv handeln muss. So hat er etwa Verpflichtungen zu erfüllen wie die Unterstützung seiner Team-Kollegen und die Orientierung an den Zielen des gemeinsamen Auftrags, andererseits duldet bzw. erwartet man aber auch eine Profilierung etwa durch riskante Manöver oder Cleverness in unmöglichen Situationen. Dabei entsteht aus der Perspektive des Spielers eine dynamische Balance von distinkter Betonung individueller Kompetenzen und integrativem Sozialverhalten mit der Einbringung dieser Kompetenzen in die Gruppe. Interludial setzt sich die Interaktion der Jugendlichen in den Squad fort, wenn sie in der Metakommunikation der Spiele, in den Spielpausen oder vor und nach der LAN-Party weiter als mehr oder minder formelle Gruppe agieren. Die Squad wird dabei zu einem mehr oder minder offenen Kreis konkreter wie potentieller Interaktionspartner, der sich unterschiedlich komplex in verschiedenen Situationen manifestieren und reorganisieren kann. Bei der Auswahl stellen dann die während des Spiels gezeigten Kompetenzen und Verhalten wesentliche Kriterien dar, die in den Fällen, wo man sie bei Experten nachfragen muss, eine Nichtberücksichtigung faktisch unmöglich machen. Wie bei anderen sozialen Formationen der FRPG-Szene werden sie durch das Spiel initiiert und realisieren sic um das Spiel. Das gemeinsame, vernetzte Spiel fördert dabei eine Kommunikation, in deren Mittelpunkt zunächst das Spielhande ln selbst steht, die aber konzentrisch weitere Bereiche des jugendlichen Alltags anschließt. Unmittelbar nach dem Ende der LAN-Party beginnt mit dem Abbau des Equipment schon die Vorbereitungsphase auf den nächsten Event und das damit verbundene Vor-Erleben.412 Internet-MUD und Online Browser Games Neben dem vernetzten Spiel im LAN ermöglicht der heutige Standard von FRPG-PC-Spielen mittels der Multi- User-Modi auch das Spiel mit mehreren Spielern online per Internet. Konsequent sind diese Möglichkeiten von den Spielen auch zu einer reinen Online-Version weiterentwickelt worden, die nicht mehr auf der CD als zentralem Datenträger basieren, sondern wie die Internetforen und –Portale entweder eine direkt Teilnahme ermöglichen oder die Installation kleiner Software-Pakete benötigen: MMOR[P]G (Massive Multi-User Online Roleplaying Games) und OBG (Online Browser Games).413 Neben genuinen Fantasy-Rollenspielen, die wie herkömmliche Spiele sich durch komplexe Kontexte, Möglichkeiten der Charakter-Entwicklung und Handlungsverläufe auszeichnen, gibt es zahlreiche Crossover wie etwa zu Simulationen. Der Ablauf der Internet-MUD und OBG in Realtime erhöht in den Augen der Jugendlichen ihre Authentizität, da der Spielablauf in seiner Zeitdimension mit ihren Alltagserfahrungen übereinstimmt. Die indirekte mediale Kommunikation ermöglicht es den Jugendlichen, im Vergleich zum klassischen FRPG fast vollständig anonym aufzutreten und damit auch Identitäten zu fiktionalisieren, die in Situationskontexten 410 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 43 411 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 22-25 412 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 95; Bilder/ Bild 1.5-26 413 'Klassiker' des Internet-MUD: "Warcraft", "Diablo II", "St arcraft" (http://www.blizzard.com/ [2004-09-03]; http://www.indiablo.de [2004-09-04]); 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 283 einer Face-to-face-Interaktion nicht möglich sind. Entlastend wirkt auch die dabei entstehende Ferne sozialer Kontrolle, die nun durch die Community vorgenommen wird, etwa durch ein Rating oder durch die Einbindung in Clan und Player Association. 414 Der Jugendliche kann dabei eine distanzierte Kommunikation betreiben, die von ihm in vielfacher Hinsicht gestaltbar ist. Schon die Reduktion auf die schriftliche Form erhöht die Reflexionstiefe der Interaktion und ermöglicht eine Reihe von Formen der Abgrenzung. Internet-MUD und OBG erlauben dem Jugendlichen, die für das Spiel notwendige soziale Interaktion in stärkerem Maße mitbestimmen und gestalten zu können als im traditionellen FRPG. Die Jugendlichen nutzen die ubiquitäre Dimension des Spielens im Internet, zu dem sie an fast jedem Ort und zu jeder Zeit Zugang finden können. Selbst in restriktiven Räumen wie Schule geschieht dies mit den dort aufgestellten Terminals oder mit dem eigenen Laptop über die vorhandenen Netzwerke. Damit können sie insbesondere Pausen- und Freizeiten nutzen und sinnvoll gestalten. Da die Spielpartner über das Internet gefunden werden und die Kommunikation im "Battle.net" ebenfalls elektronisch vorgenommen wird, entfällt der Aufwand für die Organisation des Spiels. Weitere Beschränkungen wie die Verfügbarkeit der Teilnehmer oder die Raumfrage spielen kaum noch eine Rolle. Die Konkurrenzsituation unter den einzelnen Spielern und in den temporär sich etablierenden Teams der Internet-MUD und OBG ist wesentlich ausgeprägter als im traditionellen Spiel. Um bestehen zu können, organisieren sich die Spieler innerhalb der Community in Clan oder PA, in denen sie Verbündete auf der Grundlage gemeinsamer Interessen oder 'Ideologien' finden. Typischerweise agiert man dort anonym unter einem aussagefähigen Pseudonym und zeigt sein Engagement nicht nur in eigentlichen Spielaktionen, sondern in der Partizipation am gesamten virtuellen sozialen Leben der Gruppe, das sich in den Foren und im Chat wie beim OBG selbst abspielt. Auf diese Weise kann man ebenso wie in der reellen Gruppe Autorität gewinnen und sich im internen Ranking nach oben arbeiten. Die Aufnahme in eine PA geschieht ein einem komplexen Rekrutierungsprozess, bei dem man zunächst in der Regel nur den vorläufigen Status eines Kandidaten besitzt.415 Die Ausgestaltung der Atavare der Spieler ähnelt den Möglichkeiten, die traditionelle FRPG bieten. Die Jugendlichen können in Relation zum Entwicklungsstand ihrer Figur und ihren Erfolgen Ausrüstungsgegenstände mit zunehmender Qualität und Fähigkeiten erwerben und im Spiel einsetzen. Auch die Fähigkeiten der Atavare verändern sich in Abhängigkeit zu ihren Erfolgen und lassen sie stufenweise neue Level erreichen. Die Spieler können Artefakte und Level allerdings im Unterschied zu den traditionellen Spielen auch außerhalb der Spiele veräußern oder erwerben, etwa in Internet-Aktionen, ihren Atavar damit 'aufrüsten' und eventuelle Defizite und Handicaps ausgleichen. Damit aber wächst auch das Gestaltungspotential, das allerdings nicht mehr auf spielerischen Kompetenzen, sondern auf ökonomischen Fähigkeiten und Ressourcen beruht. Zum Spiel treten zudem Intentionen des Sammelns und Archivierens hinzu. 416 Resümee: Shared Fantasies LAN-Partys, Internet-MUD und OBG sind schon aufgrund ihrer zeitlichen wie thematischen Intensität konstitutive Elemente einer Alltags- und Lebensweltgestaltung durch Jugendliche. Eine Bewertung dieser Phänomene als "Befreiungsversuch aus der modernen Alltagsrealität" und als "Freiraum und Aufbruch zu außeralltäglichen Erlebnisformen"417 betont dagegen zu sehr die immersiven Momente dieser Gestaltung und könnte zu einer Einschätzung führen, dieses gestaltende Handeln der Jugendlichen als Eskapismus zu disqualifizieren. Gerade das Gegenteil ist der Fall: Die Jugendlichen integrieren über diese Formen des Spielens wesentliche Momente ihrer Alltagsgestaltung auch in bislang heteronom bestimmten Räumen, Feldern und Lebenswelten. 414 Bsp.: Eine Übersicht über deutsche PA der "Star Wars Galaxy" bietet die Homepage der "Tempest Guardians of Alderaan German Rebel Player Association" (http://www.alderaaner.de/index.php?go=section§ion=about [2004-09-03]); 415 Bsp.: "Join Us" (http://www.alderaaner.de/index.php?go=join [2004-09-03]); 416 Bsp:: eBay-Artikel 8128077714 (endet 04_09_04 184448 MESZ ) - DIABLO NEW LADDER Trang-Oul's FULL SET 5-5 SEASON 2.htm [2004- 09-04]; 417 VOGELGESANG 2003, 69 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 284 Selbstgestaltete kollektive Zeichenräume Mit den Netzwerk-Events erstellen die Jugendlichen ausgehend von den technischen Bedingungen, spielspezif ischen Anforderungen und ihren sozialen Bedürfnissen einen Metatext, der vielfach iteriert und partiell modifiziert zu einem wesentlichen konstitutiven Element ihrer Alltagsgestaltung wird. Wesentlicher Subtext dieses Arrangements sind Interaktionsregeln und –prozeduren, die vergleichbar auch in anderen Formen digitaler Kommunikation zu finden sind (Netiquette), mit der die Kommunalisierung des Spiels wie Erlebens organisiert wird. Typisch sind dabei ungeschriebene, gleichwohl kollektiv tradierte, kontrollierte und sanktionierte Regeln, die insbesondere die Ebenbürtigkeit der Teilnehmer in den Netzwerken und bei den Spiel- Events wahren sollen, etwa durch einen konsequenten Ausschluss von Cheats und die strikte Einhaltung bzw. Interpretation der von den Spielen vorgegeben Regeln. Angesichts fehlender institutioneller Autoritäten basiert die Akzeptanz dieses Ordnungsprozesses offensichtlich auf einem Common Sense, der auf ein Negotiated Reading verweist, das sich nicht nur mit dem Prefered Reading der Spiele, sondern auch mit deren vielfältigen Interpretation durch die Spieler auseinandersetzen muss. Dabei setzt sich in der Regel Autorität gegenüber anderen Meinungen durch, die auf den Sach- und Fach- wie rollendynamische Kompetenzen einzelner Jugendlicher beruht und ihnen einen Status Primus-inter-pares zugesteht. In der Praxis entsteht damit der dominante Text einer autoritativen Elite, der als Skript die Konstitutionsprozesse der Jugendlichen strukturiert. Zwar neigen auch die Jugendlichen im Zuge ihrer indexikalischen Wahrnehmungsstruktur, die auf Totalität drängt, zu ausgeprägter Detaillierung und Überregulierung, im Unterschied zur Welt der Erwachsenen gestalten die Jugendlichen den Ordnungsprozess aber als weiter offenen Prozess mit einem virulenten und vitalen Diskurs, der eine ständige Re-Definition des Regelwerks ermöglicht. Eventarisierter Alltag und Lebenswelt Die werktägliche Latenzphase des Events mit intensiver individueller wie gruppeninteraktiver Vorbereitung spricht als asketischer Prozess aufgeschobener und verzögerter Befriedigung für ein wesentliches konstitutives Moment jugendlicher Alltagsgestaltung in Elternhaus, Schule und Freizeit. Die Latenzphase dauert – in Abhängigkeit von Altersstufe und anderen kontextuellen Faktoren wie etwa konkreter Anlässe oder Ressourcenproblemen - oft bis zu 4 Wochen und liefert in diesem Zeitraum beständig motivationale Energie, bevor das Erlebnis in die Aktivphase als Wochenend-Event von mehrtägiger Dauer eintritt. In der Latenzphase entwickeln die Jugendlichen fiktionale Weiterführungen, Alternativkonzeptionen, Antizipationen, sie 'schreiben' an der Shared Fantasy weiter. Den Herausforderungen des Spiels begegnen die Jugendlichen mit einem Problemlösungshandeln als weitgehend selbstgesteuerter Prozess. In der Verfügungsgewalt über Problemdefinition, in der Entscheidungsgewalt über Problemlösung wie in der pragmatischen Realisierung liegen wesentliche motivationale Elemente, welche diesen Prozess zum Flow-Erlebnis werden lassen. Das Netzwerk besteht auch außerhalb der eigentlichen LAN-Party auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlicher Intensität fort, d.h. gerade die integrative Funktion des Netzes bleibt gewährleistet und steht dem einzelnen auch außerhalb des konkreten Spiels verlässlich zur Verfügung. Diese zyklische Periodisierung von Alltag und Lebenswelt in Latenz- und Aktivphasen durch die Mediennutzung wird damit zum wesentlichen und zentralen Element jugendlichen Alltags. 418 Der Alltag der Jugendlichen erfährt damit durch sie ein konsequent an einer Erlebnisrationalität ausgerichtete Gestaltung, bei der alltagsästhetische Episoden einen für die Fantasy-Rollenspieler typischen persönlichen Stil mit spezifischen Stilelementen manifest werden lassen. Die Form des Handelns betont etwa die Intensität sensitiver Wahrnehmung, aber auch die intellektueller Leistung. Ein körperliches Ausagieren findet sich nur noch sublimiert in der Steuerung der Interface-Geräte und in der Länge bzw. Dauer der Events. Spannung changiert zwischen den iterierenden Runs der Ego Shooter und der klassischen Dramaturgie der Fantasy- Rollenspiele.419 Eine ostentative Unruhe und die Angst vor Langeweile korrespondiert einer spezifischen und nur langfristig wie mühevoll zu erwerbenden Literalität und Spiel- wie Interaktionskompetenzen. Dem Jetzt und Sofort des konkreten Events gehen lange Phasen asketischer Konzentration und aufgeschobener Bedürfnisbefriedigung voraus. Vor diesem Hintergrund verstehen sich die Jugendlichen als unangepasst und Mitglieder einer wenig bekannten Elite, die anders sein will als andere. Dies bedarf schließlich einer reflexiven 418 VOGELGESANG 2003, 69 419 SCHULZE 1996, 155 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 285 Selbstdarstellung der einzelnen Identitätsentwürfe und ihrer Affirmation in ihrer Präsentation sich selbst und anderen gegenüber, bei der die Perfektion420 des zur Präsentation gewählten Arrangements symbolischer Objektivationen zum entscheidenden Kriterium für die Viabilität der in ihm angelegten Lebenswelt wird. "[LAN-Partys] generieren, wie ihre Anhänger immer wieder hervorheben, gleichermaßen einen virtuellen und realen Raum für Nähe, Vergnügen und Geselligkeit." 421 Die Selbstdarstellung der Jugendlichen zielt dabei auf Identitätskomponenten wie "Kreativität, Unverwechselbarkeit und Authentizität", die in einem spezifischen Arrangement symbolischer Objektivationen und Interaktionsformen manifest werden. Neben ihren Unikaten und Rares präsentieren die Jugendlichen diese Identitätsentwürfe auch in ihren jeweiligen spielerischen und sozialen Kompetenzen, die zugleich eingebunden sind in die gruppendynamische Prozesse des Teams bzw. der Squad als primäre soziale Verortung des Events. Dabei verändert sich die distinktive Funktion der Präsentation zu einer Darstellung sozialer Integration und Affirmation. Der Jugendliche profitiert konkret von den Aktionen wie auch vom Status des Teams ebenso wie er zugleich zu dessen erfolgreichen Außendarstellung beiträgt. "Selbstprofessionalisierung"422 Die komplexen Anforderungen der Spiele zwingen die Spieler in den Netzwerken zu umfangreichen Übungsphasen, um sich in den wechselnden Spielkontexten (Maps) behaupten zu können. 423 Die schon für die Nutzung des PC beschriebenen Potentiale von Flow-Erfahrung gelten auch für die Kontexte jugendlicher Netzwerk-Events. Wie dort kommt es Flow-Erlebnissen, da die Jugendliche einerseits auf die von den Spielen antizipativ bereit gestellten Strukturen treffen, die Flow möglich machen, andererseits aber um die Spiele intuitiv die Kontexte wie das eigene Handeln weiter im Sinne eines Flow-Erlebens strukturieren. Für die Wahrscheinlichkeit des Flow-Erlebens sprechen Aktivitätsstrukturen wie die Orientierung der Handlungssituationen an den Kompetenzen der jeweiligen Spieler, die funktionale Begrenzung des Handlungskontextes im integrativen, nach außen hin geschlossenen Netzwerk, der Ausschluss irrelevanter Kontextfaktoren und irritierender Stimuli durch den Rückzug in einen kontrollier- und partiell gestaltbaren realen wie virtuellen Raum, die das Spiel wie in der interludialen und extraludialen Interaktion beherrschende Ritualisierung von Denken und Handeln in Prozeduren und Regeln sozialer interdependenter Kontrolle und das unmittelbare Erleben der Konsequenzen aus den selbst verantworteten Handlungsimpulsen. Die Perpetuierung dieses Erlebens beruht auf der Offenheit und Grenzenlosigkeit der virtuellen Räume, die ein heuristisches Verhalten erzwingen. Ihre Entdeckung und Erkundung wird als Navigation zu einer anspruchsvollen und sich in den Levels der Dungeons steigernden anspruchsvollen Aufgabe, welche die Ausbildung komplexer Kompetenzen nach sich zieht. Aufwand und Belastung schlagen dabei um in Intensität des Erlebens, das intrinsisch motiviert und weitere Versteigungsbedürfnisse evoziert. Die konkreten Parallelen zu den Shared Fantasies sind aus der Beschreibung der Nutzungsformen oben unschwer zu erkennen. Zudem zeigen Ego Shooter und PC-Spiele eine karthetische Wirkung. "Vor allem die Shooter-Spiele bieten die Möglichkeit, aggressive Impulse abzureagieren. Gerade bei männlichen Jugendlichen konnten wir immer wieder beobachten, wie aus Alltagserfahrungen resultierende negative Gefühle wie Angst oder Wut durch bestimmte Spieltypen und –praktiken absorbiert werden. Die virtuellen Kämpfe werden regelrecht zum Ventil [...]." 424 Erfolg (wie Misserfolg) erfahren die Jugendlichen bei diesem Spielen direkt und unmittelbar, ohne das es frustrierend wirkt. Indiz für eine erfolgreiche Perpetuierung intrinsischer Motivation ist die Umdeutung, welche die Jugendlichen an den zum Spiel zunächst notwendigen sensitiven, haptischen und motorischen Anforderungen, darüber hinaus aber auch an kognitiven und affektiven vornehmen. Obwohl sie in ihrem Alltag sonst kaum geneigt sind, sich langfristig und methodisch Kompetenzen anzueignen und eine Dramaturgie des Jump 'n Run präferieren, verstehen sie diese Anforderungen als Herausforderungen, denen man u.a. mit einer 420 SCHULZE 1996, 149-150 421 VOGELGESANG 2003, 71; VOGELGESANG 2000, 152 422 VOGELGESANG 2003, 71 423 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD, 43 424 VOGELGESANG 2003, 74; ebenso positiv: CLAUSS 2002 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 286 ausgeprägten Frustrationstoleranz und konsequenter Leistungsbereitschaft begegnet. In dieselbe Richtung weist die o.a. Integration des Spiels als Latenzphase in den jugendlichen Alltag. Der beim Spiel von PC-Fantasy-Rollenspielen, Ego Shootern und Realt ime-Strategiespielen auf LAN-Parties sich entwickelnde Flow basiert weiter auf der sozialer Interaktionsfähigkeit der Jugendlichen, die bei diesen Events sozialer Kontakte spürbar suchen und eine vielfältige Kommunikation organisieren. Die Interaktionsprozesse während der LAN-Party laufen eben nicht allein auf der eigentlichen Spielebene ab, wie oben aufgezeigt, sondern gerade auch außerhalb der Kommunikationswege des MUD auf verschiedenen Interaktionsebenen, die teils medial angelegt sind (Chat), zu einem guten Teil aber eben auch als Face-to-face- Kommunikation realisiert werden. Gerade die Aufgabe, auf partizipatorischer Basis kommunikativ Elemente einer zumindest rudimentären sozialen Kontrolle zu organisieren, erweist sich als anspruchsvolle und andauernde Herausforderung an die Spieler. Es gilt innerhalb der sozialen Kleingruppe mit den spielbedingten und anderen Frustrationen kompensativ umgehen zu können, den Erfolg gegenseitiger Kommunikation mittels ritualisierten Interaktionsformen sichert, dem einzelnen seinen angemessenen Platz in der Gruppe zu gewährleisten. Das ist ebenso Herausforderung wie Spaß und ist mit ein Grund für die Länge der Treffen und die Intensität des Erlebens. "[...] so stehen auf den LAN-Partys [...] die Geselligkeit und das Vergnügen im Mittelpunkt. Organisatoren und Spieler bilden über ein verlängertes Wochenende [...] eine Interessen- und Spaßgemeinschaft, bei der die Begeisterung für ein bestimmtes Computerspielgenre eine kommunikative Klammer zwischen den Anwesenden bildet."425 Shared Fantasies426 Medien im allgemeinen zeigen eine ausgeprägte Relevanz zu jugendlicher Alltagsgestaltung und Identitätsfindung und werden zu Kristallisationspunkten "jugendkultureller Sozialwelten".427 Computerspiele im besonderen faszinieren zusammen mit den liminalen Objekten PC und PC-Spiel Jugendliche und zeigen wie andere Medien auch eine ausgeprägte immersive Wirkung in und auf deren Formen von Alltagsgestaltung. 428 Wie Fantasy-Rollenspiele vermitteln auch Fantasy-PC-Spiele gerade in ihren interaktiven Varianten entscheidende motivationale Impulse in ihren interaktiv-sozialen wie immersiv-fiktionalen Momenten in der Alltagsinteraktion der Jugendlichen. Auf den ersten Blick und nach gängigen Vorstellungen scheinen PC-Spiele in abgeschlossenen virtuellen Räumen abzulaufen und auf die individuellen Kompetenzen hin angelegt zu sein, in der Praxis allerdings zeigt sich neben den teilweise exzessiven Formen autistischer Nutzung429 auch die Einbindung von PC-Spielen in vielfältige Formen jugendlicher Kommunikation und Interaktion. Das Spiel von PC-Fantasy-Rollenspielen und Ego Shooters auf oben dargestellten LAN-Partys spricht gegen eine Verarmung sozialer Kontaktfähigkeiten der Jugendlichen, denn hier wird ähnlich zum Fantasy-Rollenspiel sozialer Kontakt von ihnen spürbar gesucht und selbst organisiert. Integration und Distinktion werden in hierarchisch strukturierten Gemeinschaften erlebt und erfahren. Zu den immersiv-fiktionalen Momenten zählen insbesondere Autonomieerfahrungen wie etwa die erfolgreiche Überwindung von Hindernissen und Problemen in selbstentwickelten und -gesteuerten Lösungsvarianten, die Navigation in bislang unbekannten Räumen und deren Erschließung, die Selbstbehauptung in fiktionalen leistungsorientierten Konkurrenz- und Wettbewerbssituationen, die damit verbundenen Potentiale von Selbstdarstellung und Selbstdefinition. Im Interactive Story Telling des MUD verbinden sich die interaktiv- sozialen und immersiv-fiktionalen Wirkungselemente des PC-Fantasy-Rollenspiels vergleichbar wie bei den Fantasy-Rollenspielen zu "Wirklichkeitsgefühl" und "Erlebnisdichte". 430 PC-Fantasy-Rollenspiele bieten dabei eine spezifische Form von interaktiver Intensität, welche Kontrolle auf pragmatischer, kognitiver wie 425 VOGELGESANG 2003, 70 426 AARSETH 1997; FINE 2000 427 VOGELGESANG 2003, 65 428 MURRAY 1999, 112-113 429 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.5-6; Bild 1.5-2 430 VOGELGESANG 2003, 67 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 287 emotionaler Basis anbietet: die bewusst intendierte und als solche erfahrene Transition431 - eine Diffusion von Realität und Virtualität findet gerade nicht statt, sondern deren Differenzierung ist konstitutiv für PC- und Netzwerk-Spiele. Die Spieler wechseln dabei kompetent und virtuos zwischen den beiden Dimension ("Rahmungskompetenz"432) - die distanzierte Partizipation in den Figuren und Charakteren, welche eine reflektierte Identifikation ermöglicht - die Jugendlichen wissen bei aller Virtualität der Räume und Figuren um deren Fiktionalität und der von ihnen dort oft exzessiv praktizierten Handlungen433 - Prozeduren, welche das Handeln strukturieren und seine emotionalen Dimensionen ausmessen. Die Selbststeuerung dieser Prozesse aber ist neben der Voraussetzungen für ein Handeln im Flow ein Element einer den Alltag der Jugendlichen und seine Identität transzendierende Erfahrung von Autonomie.434 "These interactive media are still in their infancy for reasons related to the kinds of stories that, for technical reasons, can be a way in which they enable players to stimulate an interactive control of human faculties and emotions in possible worlds." 435 Die Fiktionalisierung als konstitutive Leistung des MUD-Spielers findet ihre reale Erdung und zugleich ihre Basis in seiner Integration in einer physisch erfahrbaren, hierarchisch organisierten und strukturierten Spielergemeinschaft, in Virtualität wie in Realität. Gerade über die Strukturierung der Handlung in Kleingruppen können die Spieler unschwer an beide Aktivitäts- und Sozialformen des PC-Fantasy-Spiels - Quest und Adventurer – bzw. Task und Squad beim Ego Shooter - andocken. Diese Integration ermöglicht zugleich auch Formen der Distinktion innerhalb und außerhalb des Fandom mit weiteren identitätsbildenden Folgen. In diese Richtung deutet auch, dass die Spieler der LAN-Szene ihr Handeln in den Kategorien ihres Alltags als sog. E-Sport verorten, d.h. sie verweisen bei dem Versuch, sich ihrem Handeln reflexiv zu nähern, auf ihnen evident scheinende Analogien zu traditionellen sozialen Events in Interaktions- und Sozia lformen.436 Offensichtlich findet in den Netzwerken der Jugendlichen ähnlich wie bei anderen sich um Texte, Medien und Ereignisse fokussierenden jugendkulturellen Szenen eine jugendspezifische, durch den Einsatz von Medien optimierte und forcierte und kommunalisierte Eigensozialisation statt, die zur Ausbildung hoch wirklichkeitsrelevanter bzw. -affiner Kompetenzen gerade auch in sozialer Interaktion führt. 437 Die literarisch-fiktionale Vision des Jugger- bzw. Cybernaut und Desk-Cowboy wird zum reellen jugendlichen "Gesellungstypus"438: zum Netzwerkspieler, ein männlicher Jugendlicher im Alter zwischen 15-25 Jahren, primär alltagsästhetisch erlebnis- und spannungsorientiert, der im besonderen Maße an realer wie virtueller vernetzter Interaktion interessiert ist. Weitere Nutzungsformate: Objekte Printmedien/ Spielzeug-/Merchandising-Artikel Der allgemein unter Eltern und Pädagogen verbreitete Pessimismus, dass Jugendliche nur noch an den Bildschirmen und Spielkonsolen hingen, findet durch die hier beobachteten Fantasy-Rollenspieler keine Bestätigung. 439 Unbestritten ist, dass sich das Leseverhalten der Jugendlichen allgemein erheblich gegenüber früher verändert hat: Tendenziell nimmt bei den 14-19 Jährigen die Buchlektüre ab, ändern sich die Lesestrategien und -techniken in deutlicher Relation zur Ausweitung des Fernsehkonsums, schwindet der Einfluss der Familien auf die Lesesozialisation. Andererseits sehen die Jugendlichen in den Neuen Medien keine eigentliche Konkurrenz, intensive PC-Nutzung korreliert mit einem höheren Literaturkonsum. 440 Zudem gehören die beobachteten Jugendlichen zu gesellschaftlichen Milieus, in denen bestimmte Variablen wie das 431 MURRAY 1999, 114-115 432 FRITZ 1997c; VOGELGESANG 2003, 74 433 FRITZ 1997c, 245 434 VOGELGESANG verweist in diesem Zusammenhang auf den Perceived Reality Approach anglo-amerikanischer Medienwissenschafter, VOGELGESANG 2003, 67; vgl. dazu: KLIMMT/ VORDERER 2002; SHAFFER 2002; BILLINGHURST 2002 435 GRODAL 2000, 211-212 436 VOGELGESANG 2003, 73: "gruppensportliche Auseinandersetzung mit anderen Spielakteuren"; 437 VOSS 2000 438 VOGELGESANG 2003, 67 439 Die Diskussion zur Leseunwilligkeit bzw. die Lektüre 'falscher' Literatur bei Jugendlichen stellt ein bewahrpädagogisches Stereotyp der Literaturdidaktik dar, vgl. dazu: ULSHÖFER 1961 440 STIFTUNG LESEN 2001, 7-31 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 288 exemplarische Leseverhalten der Eltern wie das familiale Bildungsniveau, ein kontrollierter Medienzugang und gesicherte Einkommensverhältnisse die Wahrscheinlichkeit erhöhen, sich zum Typus des Viellesers zu entwickeln. 441 Die Jugendlichen lesen, allerdings nicht unbedingt das, was wohlmeinende Pädagogen oder besorgte Eltern sich wünschen442, sondern präferieren Themen und Gattungen, die zu ihrem zentralen Fokus der Alltagsgestaltung, den Fantasy-Rollenspielen, passen.443 An erster Stelle ihrer Lektüre stehen die einschlägigen Werke der Fantasy und Science-Fiction, die insbesondere von den Jugendlichen mit der Intention gelesen werden, ihre Imaginationsräume auszuweiten und auszugestalten. Einstiegsliteratur ist bei vielen das Werk Wolfgang und Heike Hohlbeins, das in immer neuen Scharaden die Tolkien'schen Themen und Entwürfe durchexerziert. Unbeschadet der oftmals frappierenden Dreistigkeit, mit der sich seine Epigonen beim großen Meister bedienen, und ihrer literarischen Qualität sind ihre Werke oft bekannter und verbreiteter als das Original. Ihre Zahl ist Legion.444 Für "BattleTech"-Spieler ein Muss sind die Einzelbände der "BattleTech"-Romane, welche die Elite der Spieler natürlich in Englisch liest, um möglichst authentische Vorstellungen der Szenarien zu entwickeln. 445 Mittlerweile gibt es auf dem Markt additive Belletristik zu fast jedem Fantasy-Rollenspiel, die von den Spielern mit gleicher Intensität wie die eigentlichen Spielmaterialien bei der Ausgestaltung ihrer Szenarien genutzt wird. 446 Hinzu kommen die 'Klassiker', insbesondere Tolkien, Verne und weitere Autoren einer hochliterarischen Fantasy und Science- Fiction, die ebenfalls eine breite Rezeption finden, solange das Spannungs- und Actionbedürfnis der jugendlichen Leser erfüllt wird und ein Held als Protagonist erkennbar ist. Derartige narrative Strukturen vereinfachen nicht nur die Rezeption, sondern mehr noch die Integration in die imaginativen Archive der Jugendlichen und ihre Adaption in konkreten Spielszenarien.447 Diese Vorteile einer vom Werk her unproblematischen Rezeption finden die Jugendlichen auch bei den Werken der Sword and Sorcery, die ja vielfach auch Pate für die Entwicklung der Fantasy-Rollenspiele standen.448 Auch hier findet sich ein ausuferndes Epigonentum, das mittels schwergewichtiger Romane in immer weiteren Zyklen die einschlägig bekannten Elemente der Fantasy ausbreitet, die aber den Lesedurst der Jugendlichen weniger bremsen, denn entfachen, gilt es doch, die vorhandene Sammlung zu komplettieren. Die weitgesponnenen Sagas entsprechen offensichtlich auch dem Weltbild und historischen Verständnis der Jugendlichen, demnach die Phänomene der Welt evident eschatologischen Gesetzen unterworfen sind. 449 Die könnte einer der Gründe sein für die Beliebtheit ist die "Perry Rhodan"-Reihe, wenn sie auch wegen ihrer allgemein pejorativen Bewertung als Trivialliteratur ungern von den Jugendlichen genannt wird.450 Die mehrfachen Parallelausgaben als Heftreihen ermöglichen auch dem Neueinsteiger eine Lektüre des Epos von Beginn an und befriedigen die ausgeprägte Sammelleidenschaft und das akribische Streben nach Vollständigkeit der jugendlichen (und erwachsenen) Fans. Auf unzähligen Tauschbörsen, besonders im Internet, können ältere und fehlende Bestände auch erworben und hinzugekauft werden. Auch die Hardcoverausgaben bestimmter Zyklen des kosmischen Abenteuers genießen unter den Jugendlichen hohes Ansehen und Sammlerwert. Beeindruckt zeigt man sich u.a. von der 3-D-Gestaltung der Cover als Imaginationsimpulse und den technischen Risszeichnungen als szientistische "präzise Phantasien"451. Die Klientel der "Perry Rhodan"-Romane stellt eine 441 STIFTUNG LESEN 2001, 79-83 442 Mit die dramatischsten Verluste beim Einfluss auf das Leseinteresse hat der Deutschunterricht, STIFTUNG LESEN 2001, 25 443 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 40-48 444 Vgl. Kap. 4.1 Belletristische Quellen; das Oevre des Autorenteams Hohlbein umfasst laut VLB 359 Titel, davon sind aktuell noch 237 Werke lieferbar (http://vlb2.buchhandelshop.de/ [2003-03-07]); s.a. Wolfgang Hohlbeins Internet -Auftritt ("Alles über Deutschlands erfolgreichsten Autor phantastischer Literatur"): http://www.hohlbein.org/ [2003-03-07]; Hohlbein schrieb zunächst für den Heftromanbereich von Bastei-Lübbe in den Genre Horror-, Myst ery-, "Jerry Cotton", "Gespenster-Krimi", Western, bevor ihm 1982 mit "Märchenmond" der Durchbruch im Fantasy-Genre bei Verlag Carl Uebereuter gelang; 445 Die Chapter differieren im Gebrauch der englischen Fachtermini nach sozialer Rekrutierungsebene. Manche "BattleTech"-Chapter kennen das Spiel nur in der deutschen Variante mit deutschen Bezeichnungen der Mech-, die nicht unbedingt den englischen entsprechen müssen; bei Chapterfights kann das schon einmal zu Verwirrung und herablassendem Gehabe der Sprachkundigen führen; von der englischen Version geht eindeutig ein Anpassungsdruck aus, da ihre Beherrschung als professioneller und authentischer gilt; 446 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 40 447 Der Spieler-Elite sind allerdings Autoren und Werke mit komplexeren narrativen Strukturen durchaus bekannt wie etwa das Werk von Marion Zimmer Bradley, Stanislaw Lem, Philipp K. Dick; 448 Vgl. Kap. 4.1 Heroic Fantasy/ Sword and Scorcery; 449 Ein typisches Beispiel für derartig weitverzweigte Mythen stellt u.a. das "BattleTech"-Romanzyklus dar mit zahlreichen Binnenzyklen, vgl. Einträge der Deutschen Bibliothek, APPENDIZES/ Material-BT / DDB 2004-09-04 Battletech Angebot; 450 Es liegen nur rezeptiv erhobene Nachweise über Lektüre und Besitz vor; zum Gesamtumfang des Werks vgl. Einträge der Deutschen Bibliothek, APPENDIZES/ Material-Lifestyle/ DBB 2004-09-04 Perry Rhodan Angebot 001-695 451 BARON 2000 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 289 weitere, das Fantasy-Fandom schneidende Szene dar, der besonders, vergleichbar dem "Star Trek"-Fandom ältere Jugendliche und jüngere und jung gebliebene (bis zu 65 Jahren alte) Erwachsene angehören.452 Das Genre des Buchs zum Film, mit dem das Merchandising erfolgreich seit einigen Jahren auch auf dem Literaturmarkt Fuß gefasst hat, erfreut sich ebenfalls bei den Jugendlichen großer Beliebtheit. Die Jugendlichen lernen auf diesem Weg die Fantasien weiterer Genres wie Horror, Mystery, Action, Soap und Comedy kennen. Sie kompensieren damit manchmal auch einen versäumten Kinobesuch, viel öfters aber entspringt ihr Interesse einem Bedürfnis, die im Film dargestellte Thematik und ihre Entfaltung in Personenkonstellation und Handlung sich nochmals zusammenhängend anzueignen. Besonders den Details und Fakten widmet man dabei erhöhte Aufmerksamkeit, um die Defizite aus der Flüchtigkeit der konkreten Rezeption des Films zu kompensieren. Im Gespräch sind den Jugendlichen diese Details offensichtlich oft viel wichtiger als der Handlungszusammenhang oder die Botschaft eines Films. 453 Typisch jugendliche Literatur der Klientel sind Comics und Cartoons. Die Jugendlichen lesen in den vielen Pausen während des Fantasy-Rollenspiels Comics und Printversionen von TV-Cartoons jeder Art, die Palette der konsumierten Magazine und Heftchen reicht von der eher harmlosen Welt der "Ducks" und "Toons" bis zu den faschistoiden Helden der "Marvel"-Comic und den postmodernen Phantasien japanischer Mangas. Sie stellen wichtige visuelle wie dynamische Konkretisierungen von Imaginationen dar, welche wegen ihrer Nähe zur Semiotik des Films und der Fotografie den an TV geschulten Wahrnehmungsformen der Jugendlichen in einem hohen Maße entsprechen und ihre Archive an Symbolen bereichern. Comic sind auch Gegenstand des Sammelns, Leihens und Tauschens. Die teureren Bildbände verbleiben auch nach erloschenem Interesse im Regal und werden immer mal wieder vom Besitzer oder seinen Gästen hervorgeholt. Wie die CD-Sammlung und die Merchandising-Artikel stehen sie für die Persönlichkeit des Jugendlichen und seine Entwicklung. 454 Auf Comic bezogene Fachkenntnisse (Titel, Themen und Handlungen, Protagonisten und Figurationen wie Genre) sind notwendige bzw. distinktive Kompetenzen in der Szene. Sie gehören damit zum Arrangement, das sich durch Fantasy-Rollenspiele fokussiert, trotz ihrer geringen augenscheinlichen Präsenz unabdingbar dazu. Die Sprache der Comics, ihre Themen und deren Ausgestaltung fließen als Zitate, Fragmente und Modelle in das Handeln der Jugendlichen ein, besonders wenn es um die Verbalisierung von dynamischen Prozessen geht, die narrative Form der Mitteilung oder um Standardsituationen der Interaktion wie die clevere Auseinandersetzung mit Forderungen von Gleichaltrigen oder Erwachsenen oder etwa die sichere Gestaltung eines eigenen Auftritts zur Pointe.455 Ein weiteres von den Jugendlichen rezipiertes Genre sind historische Romane, die sie in Thematik, Plot und Figuration in vieler Hinsicht an die Konzeptionen der Fantasy-Rollenspiele erinnern und sich teilweise wie Rollenspielszenarien lesen.456 Der an sich in der modernen Historiographie abgelehnte Ansatz "Was wäre, wenn..." ist die zentrale Fragestellung, welche die Jugendlichen bei ihrer Lektüre bewegt. Sie bevorzugen demnach Szenarien alternativer historischer Entwicklungen. Hinzu kommt ein Bedürfnis nach Personalisierung der abstrakt, komplex und undurchschaubar empfundenen historischen und sozialen Prozesse. Geschichte wird zu einer Geschichte der Individuen. Ebenso wichtig ist ihnen der Versuch, historisches Geschehen aus seiner Zeit allein zu begreifen und die Integration in historische Gesamtzusammenhänge zu vernachlässigen. Das Geschichtsverständnis der Jugendlichen lässt sich damit als eine Form des 'Historismus' begreifen, der über das exemplarische Handeln des in seine Geschichte eingebundenen Individuums eben jene Figurationen abbildet, die als symbolische Objektivationen zur Gestaltung und Stabilisierung von jugendlichem Alltag und jugendlicher Lebenswelt eingesetzt werden.457 Vergleichbares Interesse wie Bücher finden Jugendliche an diversen Magazinen aus den Bereichen Sport, Auto, Technik und Wissenschaft, PC-Spiele und Computer. Die mit manchen Magazinen verknüpften Gimmicks und Sammelbilderaktionen führen auch in diesem Bereich zum Sammeln und Tauschen. In der Auswahl der Magazine zeigt sich bei gleicher Thematik der individuelle Zugriff, den man in Diskussionen über die Qualität 452 Zur Außendarstellung der Szene vgl. http://www.perry-rhodan.net/ [2004-08-15]; einen guten Zugang zur Community auch über http://www.pr- welt.de/ [2004-08-15] bzw. http://www.prfz.de/ [2004-08-15]; eine wissenschaftliche Darstellung u.a. bei BOLLENHÖFENER/ FARIN/ SPREEN (Hg.) 2003 453 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1997-06-21 RES 454 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 92 455 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD 456 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 48 457 ELIAS 1969, 46-48 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 290 des bevorzugten Heftes erbittert begründet und verteidigt. Der regelmäßige Bezug teurer Magazine ist weiter ein Statussymbol. Mit Spezialmagazinen zum Hobby oder zu bestimmten Freizeitaktivitäten signalisiert man einerseits Insidertum, schafft Distanzen und bietet zugleich Anlässe für Diskurse, erprobende Teilnahme bis zur Rekrutierung, dauerhafte Beziehungen und Freundschaften.458 Die Faszination der Magazine für die Jugendlichen beruht sichtbar auf den (teilweise sehr aufwendig gestalteten und technisch perfekten) Bildern, welche die Imagination der Jugendlichen in besonderer Weise anregen. Oft 'versinken' die Jugendlichen bei der Betrachtung derartiger Abbildungen in eigene Imaginationswelten. 459 Magazine verschaffen weiter ein über das Übliche hinausgehendes Spezialwissen, das sorgsam gepflegt wird und neben dem pragmatischen Nutzen auch soziale Reputation möglich macht. Nicht zu verkennen ist auch die Funktion der Magazine als Surrogat für nicht vorhandene, aber angestrebte oder gewünschte Konsumgüter, etwa bei den PC-Spielen, wo sie dem Jugendlichen Informationen und Anschauungsmaterial vermitteln, das ein imaginiertes Spiel mit dem Spiel zulässt, oder als Projektionen von alltäglichen Kontexten wie die an sich irrelevanten Diskussionen um die Motorleistungen diverser Fahrzeuge, mit denen sich die Jugendlichen (und ihr Elternhaus) positionieren. Das so erworbene Spezialwissen schafft auch mit Grundlagen zum Surfen zwischen verschiedenen Szenen, wo es oft genügt, um zu partizipieren mitreden zu können. Bei der Literaturauswahl folgt man in der Regel den persönlichen Empfehlungen der Peer Group und anderer Gleichaltriger. Auf diesem Weg werden weiter eventuelle Marketing-Aktionen der Verlagsindustrie in den Medien konkret im Alltag manifest. Man folgt wie bei der Musikauswahl im allgemeinen nicht affirmativ den Hitlisten des Mainstream, sondern sucht Distanz in alternativen und als authentisch empfundenen und bewerteten Werken. In vielen Fällen wird die Literatur zunächst auch privat weiterverliehen bzw. ausgeliehen, erst danach folgt möglicherweise die Kaufentscheidung. Die Beschaffung ähnelt damit der bei PC-Spielen, Computerprogrammen und Musik-CDs, alle rdings ohne die Kopiermöglichkeit, die dort den Kauf oft ersetzt. Daneben versuchen auch Eltern und Schule auf die Jugendlichen einzuwirken. Bei den Eltern können die Jugendlichen meist ohne großes Verhandeln eigene Wünsche natürlich leichter durchsetzen, da diese keinen Lektürekanon vertreten, generell das Lesen fördern wollen und nachgerade begeistert sind, wenn der Jugendliche Interesse an Literatur erkennen lässt. Besonders Väter scheinen sich für den Erwerb von Fachzeitschriften besonders motivieren zu lassen. 460 Die Kommerzialisierung von Fantasy und Science-Fiction zeigt hier auch positive Effekte, da nach Meinung der Erwachsenen sich die Genre grundsätzlich legitimieren und ihr Erweb Unterstützung findet. Comics gehen dagegen, weil nicht unbedingt gefördert, aufs meistens auf Taschengeld. Die Zimmer der Jugendlichen sind voll von Spielzeug, mit denen sie einmal gespielt haben, immer noch spielen oder gerade spielen. Wie andere Medien nutzen die Jugendliche das Spielzeug zur Gestaltung ihres Alltag, das Spiel organisiert und beansprucht einen bedeutenden Teil ihrer Freizeit. Gespielt mit Spielzeug wird in den meisten Fällen allein oder auch zu zweit zuhause im eigenen Zimmer. Geschlechtsrollentypisch bevorzugen die Jugendlichen technisches Spielzeug wie Baukastensysteme, Plastik-Modellbausätze, Modelle von Autos, Flugzeugen, Schiffen, Experimenten, Spielzeug mit actionorientierten Handlungspotentialen wie Autorennbahnen, Actionfiguren oder Gimmicks wie "Beyblade"461 und natürlich auch Spielzeug mit Bezug zu Fantasy-Rollenspielen. Hinzu kommen Merchandising-Artikel zu Filmen, TV-Produktionen, Werbetrailer, Fußball- und Sportmannschaften, Musikbands, deren ins Auge fallende Platzierung im Raum (Wände, Regale, Vitrine) ihre besondere Bedeutung für den Jugendlichen dokumentiert. Die Jungen setzen dabei auf bestimmte Objekte, die ihre eigene Positionierung manifest werden lassen.462 458 Rezeptiv beobachtete Beispiele: Angler-Magazin mit Fan-Gemeinde; Fachzeitschrift für Feuerwehrwesen; Eisenbahn-Modellbau; 459 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.4-9-10 460 Eine Fachzeitschrift wie "PC-Games" kommt im Jahres-Abonnement auf ca. 55 €, am Kiosk kostet das Heft ca. 6 €; Zeitschriften dieser Qualität stellen eine erhebliche Belastung des Taschengeldbudgets dar; 461 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-05-12 HT; 462 RESEARCH & MEDIA MARKETING 2003, 22-23, APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA; 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 291 Nahrungs- und Genussmittel Die Jugendlichen der Fantasy-Rollenspiele unterscheiden sich im Hinblick auf den Konsum von Nahrungs- und Genussmitteln sehr wahrscheinlich nicht von anderen.463 Sobald sie die Möglichkeit zu selbständiger Gestaltung wie auf den Events der Szene haben, dominiert in ihrem Alltag eine medienvermittelte Konsumpraxis mit Fast Food, Softdrinks, Salzgebäck und Süßigkeiten. 464 Beliebt ist weiter gerade bei den Spielséancen, aber auch bei anderen Gelegenheiten von gemeinsamen Handeln noch das Catering, in aller Regel von Pizzen, manchmal auch von Fast Food und Asia Food. Weniger häufig als das Catering, aber ebenfalls sehr beliebt ist der gemeinsame Besuch eines Restaurants wie z.B. "McDonald", "Burgerking", "Pizza Hut" meist an Wochenenden, entweder nach dem Besuch eines 'Events wie Kino oder während oder nach dem Abschluss einer gemeinsamen produktiven Handlungsphase wie einer Spielséance etc. Kriterien für die Auswahl des Restaurants wie für das Catering ist neben einem als positiv empfundenes Preis-Leistungsverhältnis besonders die Marke, die für die Qualität der Produkte steht. Das Ambiente, das sich mit der Marke verbindet, ist gerade bei jüngeren Jugendlichen noch ausschlaggebend, ältere präferieren auch schon offenere Formen bürgerlicher Gastlichkeit.465 Von großer Bedeutung ist weiter das Angebot an Salzgebäck und Süßigkeiten. In den Spielen selbst dienen sie vergleichbar den Zigaretten der Interaktion des Jugendlichen mit sich selbst wie mit anderen. Das Auspacken eines Schokoriegels in einer bestimmten Spielsituation kann deutliches Zeichen von Nervosität oder Überlegenheit sein, kann einen Dialog eröffnen, ein Gegenüber trösten oder eine Übereinkunft besiegeln. 466 Hinzu kommt die mit dem Konsum dieser Produkte verbundene Reproduktion des in den Medien gezeigten Habitus und Gestus, die als Zitate wirkungssicher in die Interaktion eingebaut werden.467 Die Bandbreite reicht dabei von unbewusster Identifikation bis zur ironischen Distanzierung, mit der man deutlich macht, dass man um die manipulativen Intentionen der Medienpräsentation, um die ernährungstrophologische Fragwürdigkeit des Produkts wie um die eigene Unzulänglichke it im Widerständigen weiß. 468 Auch bei ihren Getränken unterscheiden sich die Jugendlichen der Fantasy-Rollenspiel-Szene nicht von ihren Altersgenossen. Die eigentlichen Spielséancen dominieren Softdrinks, Säfte und Mineralwasser. Hinzu kommen schon recht selten diverse Kultgetränke wie Energizer ("Red Bull") und die inzwischen gesellschaftlich geächteten Alcopops. Der geringe Alkoholkonsum der Szene bei diesen Treffen beschränkt sich weiter auf verschiedene Biersorten, meist als Dosenware, selten auch einmal Wein und konkret 'harte' Sachen. Das Spiel erfordert alle Aufmerksamkeit, Alkoholkonsum könnte da nur schaden. Die Getränke spielen während des Spiels in der gegenseitigen Interaktion eine geringere Rolle aus andere Nahrungsmittel, auch wenn es z.B. üblich ist, dass man auf Nachfrage seine Cola weitergibt. Da die Getränke angesichts der Spieldauer meist knapp sind und nur bedingt ausreichen, sind meist zusätzliche Beschaffungsaktionen während der Treffen bei Tankstellen etc. notwendig. Außerhalb der konkreten Spielsituationen, also auch im Umfeld der Spielséancen, finden sich durchaus auch die für diese Altersgruppe typischen, den Medien wie der Welt der Erwachsenen entnommenen Trinkrituale, verbunden mit einem manchmal exzessiven Alkoholkonsum einiger weniger, welche den Initiationsprozess begleiten. Konsumgüter Die meisten Jugendlichen der beobachteten Klientel stammen aus gutbürgerlichen Elternhäusern und sind daher mit hochwertigen Konsumgütern wie auch sonst finanziell gut ausgestattet. Das heißt in der Regel nicht, dass man alles auf die einfache Bitte hin erhält oder man sich alles erlauben kann. Die Eltern propagieren erfolgreich einen Leistungs-Belohnungs-Konnex nach dem Schema von Aszese und aufgeschobene Befriedigung, sorgen aber gleichzeitig mit dafür, dass die Erwartungsperspektive wie der Zeithorizont realistisch bleiben. So zwingen die zur Verfügung stehenden Taschengelder zwar zum Sparen, sind aber andererseits hoch genug, um in adäquater Zeit zum Erfolg zu führen. Wünsche nach relativ teueren Konsumgütern wie HiFi-Geräten, PC, 463 RESEARCH & MEDIA MARKETING 2003, 40 464 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.3-21-22; Bild 1.5-15; Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD; Teilnehmende Beobachtung/ Video DSA Mainz; 465 Während die Leitung von NICE-DICe e.V. sich in einer Pizzaria trifft, besuchen die meist jüngeren Spieler der Chapter den örtlichen "McDonald", APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg; 466 APPENDIZES/ Teinehmende Beobachtung/ Video BT -Nürnberg; BT -Kassel; FRPG-Schule; 467 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 1999-10-22 Siemens Join Multimedia AG; 468 ERBERSDOBLER/ EMMERICH/ TRAUTWEIN 1988; Aktuell: Wechsel des Werbedesigns bei McDonald und Umsatzerfolge von "Subway" in der Folge von Morgan Spurlock's "Super Size Me", SPURLOCK 2004 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 292 Handy, Urlaub, Scooter, Auto werden zunächst verweigert, doch dann für den Jugendlichen abschätzbar zu einer passenden Gelegenheit wie Geburtstag, Weihnachten oder Abitur doch erfüllt. Eine weitere Technik, die sich auch die Jugendlichen aktiv nutzbar machen, ist die Verteilung der Kosten in den Kreis der Verwandten. Weniger beliebt ist das Modell der Vor- und Refinanzierung, das in den Augen der Jungen zu große Abhängigkeit schafft und mit seiner Systemlogik als penetrant empfunden wird. Trotzdem reichen die von den Eltern erhaltenen Mittel bei den meisten Jugendlichen nicht aus, die gewünschten Konsumgüter wie deren Unterhalt und die täglichen Kosten zu bestreiten. Von den Eltern nach außen hin weniger unterstützt, aber toleriert, arbeiten deshalb die meisten an Abenden und Wochenenden je nach Alter als Austräger, Verkäufer, Kellner. In Gesprächen mit Eltern zeigen diese eine ambivalente Reaktion: Einerseits sind sie stolz auf die Eigenständigkeit des Sohnes, andererseits besorgt wegen der zusätzlichen Belastung und eventuelle negative Folgen auf die schulischen Leistungen. Nach außen werden die Bedenken meist unter der Prämisse überwunden, dass Arbeit an sich vernünftig sei und der Jugendliche ja zu lernen habe, seinen eigenen Weg zu gehen. Der Besitz hochwertiger Konsumgüter ist ein wesentlicher Ausdruck von jugendlicher Persönlichkeit. Die Wertigkeit der Güter ergibt sich aus Kriterien wie Marke, Design, Leistung und Preis, die wiederum in Beziehung stehen zu den aktuellen Trends und ihrer Manifestation in der Peer Group und der Szene. Die symbolische Qualität der Objekte als temporäres Verhältnis zwischen diesen Kriterien unterliegt dabei einer permanenten Veränderung. Einer der Gradienten dafür ist das Ranking der Objekte auf der ständig aktualisierten In-and-out-Liste.469 Dabei gilt alles das, was einen Markennamen hat und teuer ist, grundsätzlich als akzeptabler Text von Identitätsentwicklung und Selbstinszenierung. Doch reicht der alleinige Erwerb und Besitz in der Regel nicht aus. Die Authentizität des Identitätselements, welches sich im Objekt präsentiert, basiert auf weiteren Items, die erkennbar werden und diese Authentizität eben erst ausweisen müssen. Cleverness etwa beim Kauf oder beim Ersteigern eines Schnäppchens zählt dazu, auch Hartnäckigkeit, Konsequenz und andere Eigenschaften. So ranken sich um die gerade favorisierten Konsumgüter stets auch die Anekdoten, wie sie erworben wurden, und bilden zusammen als biographische Elemente eine Persönlichkeitsfacette des Jugendlichen für ihn und die Außenwelt ab.470 Dabei gilt es im Interesse der Aufrechterhaltung sozialer Integration, ein Understatement zu organisieren, das einerseits den konkreten Marktwert des Objekts bagatellisiert zugunsten seines ideellen bzw. persönlichen Werts für seinen Besitzer, andererseits aber auch seine eigentliche Bedeutung für die Identitätskonstruktion marginalisiert. Die Jugendlichen der Fantasy-Rollenspiel-Szene präsentieren ihre hochwertigen Konsumgütern in verschiedenen Kontexten: So bie tet sich es an, beim Treffen im eigenen Zimmer die entsprechenden Objekte angemessen zu präsentieren oder mit ihrer Benutzung in die Wahrnehmung der anderen zu rücken. Bei Treffen an anderen Orten kommt es u.a. auf die Mobilität und den Wert der Objekte weniger auf deren Praktikabilität an, ob sie dort anderen gezeigt werden können. Beim eigentlichen Spiel können sie – wenn möglich – zur Unterstützung des Spiels hinzugezogen werden oder aber in den Spielpausen als gern angenommene Impulse ausführliche Gespräche und Interaktion provozieren. Schließlich benutzt der Jugendliche auch noch sein Erscheinungsbild und sein Handeln in Alltagssituationen zur Präsentation hochwertiger Konsumgüter wie die gerade aktuellen Sneakers und hochwertige und aktuelle Street- und Sportswear, das Bike, die bestimmte, altersspezifisch gewählte Armband-Uhr ("G-Shock" vs. "Fossil"), das jeweilige Fun-Sport-Gerät (Skate-Board, Kick-Board) gerade bei den Youngsters. Die 12-14jährigen favorisieren den "All 4 You" bzw. "Eastpac" als Abgrenzung gegen "Scout"-Ranzen und machen ihn mit der unnachahmlichen Art und Weise, ihn knapp an langen Riemen über dem verlängerten Rücken zu tragen, zu ihrem unverwechselbaren Erkennungszeichen. Die älteren zeigen ein demonstratives Desinteresse an diesen frühen Formen von Distinktion und suchen nach unverwechselbareren Zeichen ihrer Individualität etwa mit dem Scooter oder gar mit Führerschein, Auto und Motorrad. Grundsätzlich gilt aber auch hier, dass man, um Konsumgüter zur Selbstdarstellung verwenden zu können, sie nicht unbedingt besitzen muss. Es genügt auch schon eine potentielle Verfügungsgewalt, etwa bei Konsumgütern, die man mit der Familie oder den Geschwistern teilt. Und manchmal reicht es auch schon, 469 Vgl. dazu: In-and-out-Listen in diversen Magazinen und Portalen wie z.B. "Tops & Flops" in: Com!Online, H. 9, 2000, 22; "Bravo" Charts (http://www.bravo.de/sid04-aaa8rEZNhfa_sT/bravo/Charts/index.html [2004-09-01]; 470 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 92 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 293 einfach nur mitreden oder seine Wünsche artikulieren zu können, um die Aura dieser Objekte instrumentell zur Selbstdarstellung zu nutzen. Weitere Nutzungsformate: Freizeit/Sport Fantasy-Rollenspiele sind für die Jugendlichen ein zwar häufig dominantes, aber keineswegs das einzige Thema, um das und mit dem sie den Alltag und ihre Lebenswelt gestalten. Es gehört zum Erscheinungsbild des heutigen Jugendlichen, sich auch in anderen Szenen wenigstens partiell angemessen bewegen zu können. 471 Diese additiven Szenen berühren die Bereiche Musik, Medien, Events und Sport. HipHop, Techno Ein Teil gerade der jüngeren Jugendlichen unter den Fantasy-Rollenspielern beteiligen sich allein oder mit weiteren Freunden an Peer Groups der HipHop-, teilweise auch der Techno- und House-Szene. Sie eignen sich dazu aus den Medien und durch Kontakte, die sie unter diesem Fokus herstellen, besondere Kenntnisse zur Musikproduktion, zum Angebot, zu DJs, Interpreten und Bands an. Dazu gehört auch die Beschaffung und Rezeption der Musik. Aufgrund ihres Alters ist eine aktive Teilnahme an Events oft nur einen wenigen möglich, doch werden szenentypische Interaktionsformen und -attitüden umfassend individuell wie kollektiv imaginiert, etwa durch Skizzen für Graffiti und Breakdance-Choreographien. Angesichts des aktuellen Trends, genuine Symbole der Szene in den Mainstream zu integrieren, fällt den Jugendlichen eine angemessene Distinktion zu den Gleichaltrigen zunehmend schwer und erzwingt extreme Formen der Gestaltung mit der Gefahr, sich ungewollt zu isolieren.472 PC-Insider Viel unscheinbarer und in ihrem Erscheinungsbild allenfalls gerade durch eine Dominanz des Bürgerlichen erkennbar geben sich die Mitglieder der PC-Insider-Zirkel. Als Egg Heads sind sie die raffinierte Mischung aus Bewunderung, Unverständnis und Repression durch ihre weniger talentierte Umgebung seit der Grundschule gewöhnt und versuchen im Schulalltag möglichst wenig aufzufallen. In kleinen Teams trifft man sich, häufig unter dem Schirm einer Institution wie der Schule etwa als Netzwerkgruppe, reell im PC-Labor oder virtuell im Internet, um weitgehend selbständig an gemeinsamen Projekten zu arbeiten. Die relative Offenheit der Fantasy- Rollenspiele und die Möglichkeit, auch dort als Experte fiktiv im Spiel wie reell im Spielumfeld aufzutreten führt zu einer hohen Affinität dieser Jugendlichen zu den Spielen und den sich um sie konstituierenden sozialen Gruppen. Von der aktuellen Entwicklung zu vernetztem Spielen auf LAN-Partys oder per Internet profitieren die Jugendlichen wegen ihrer Unentbehrlichkeit und dem ihnen zufallenden Experten-Status. Dieser ist nicht allein auf eine technische Kompetenz beschränkt. Viele der PC-Insider haben sich im Umgang mit PC-Spielen auch eine respektable Kompetenz im Spielen an sich angeeignet, die in ihrem sozialen Umfeld geachtet wird und wesentlich zur Stabilisierung ihrer Identitätsentwürfe beiträgt. Jugendgruppen Trotz der im allgemeinen und in der jugendlichen Lebensphase im besonderen sinkenden Bindung von Jugendlichen an Vereine473 sind eine Reihe der beobachteten Jungen Mitglieder konfessioneller Jugend-Gruppen und wollen die wöchentlichen Gruppenstunden, Rüstzeiten, Fahrten und Zeltlager nicht missen. Die Gruppen sind nach Alter differenziert und werden von einem älteren Jugendlichen moderiert. Die Jugendlichen aus den Gruppen bilden im Alltag verschworene Gemeinschaften und eigene personale Netzwerke. Die Affinität dieser Jugendgruppen zu Fantasy-Rollenspielen und den sie betreibenden Gruppen ist recht hoch. Dazu beitragen mag neben genderspezifischen Faktoren, dass Tabletop-Spiele zum klassischen Zeitvertreib der Gruppenstunden gehören und die Jugendlichen dort gruppendynamische Methoden kennen lernen, bei denen sie kollektiv fiktionale Räume entwickeln.474 471 Szenesurfen und –sampling, s. TFACTORY 2004, 4 472 RESEARCH & MEDIA MARKETING 2003, 27 473 RESEARCH & MEDIA MARKETING 2003, 19 474 Vgl. methodische Ansätze des neurolinguistischen Programmierens, s. O'CONNOR/ SEYMOUR 1993; SCHÜTZ et al. 2001; SAUERWEIN- WEBER 2004 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 294 Street-Sport Gerade jüngere Fantasy-Rollenspieler engagieren sich auch in der Street-Sport-Szene, allerdings stellen diese Jugendlichen in der Klientel eine Minderheit dar. Zwar besitzen sehr viele Jugendliche die Funsport-Geräte475, die auf der Straße zum Einsatz kommen, und können mit ihnen einigermaßen umgehen oder sind zumindest in der Lage, angemessen über den Umgang mit ihnen zu reden. Ein weiter gehendes Engagement allerdings berührt bei der Intensität, mit der diese Sportarten betrieben werden, und der expressiven Distinktion, welche die entsprechenden Cliquen betreiben, sehr schnell die soziale Offenheit des jugendlichen Alltagsgestaltung und Lebensweltentwurfs, die aufzugeben viele nicht bereit sind. 476 Vereins-/Verbandssport Einen wesentlichen Teil der freien Zeit widmet ein Großteil der Jugendlichen sportlichen Aktivitäten. Viele sind schon seit ihrer frühen Jugend in diversen Sportvereinen. Zwar hören mit Eintritt der Pubertät manche Jugendliche dann mit dem Vereinssport auf, doch die meisten führen - eventuell mit verändertem Engagement - den Sport im Verein weiter fort. Verbandssport beansprucht in erheblichem Maß die Wochenenden der Jugendlichen. Allerdings berührt er nicht unbedingt die eigentlichen Kernzeiten jugendlicher Alltagsgestaltung an diesen Tagen. Hier ergeben sich wohl neben den Anforderungen des Alltags die meisten Friktionen mit den Entwürfen der Jugendlichen zur Gestaltung ihres Alltags. Andererseits kommt die Stabilität, die der über lange Jahre gepflegte Verbandssport als Sport wie auch als soziales System vermittelt, dem jugendlichen Wunsch nach Ordnung entgegen. Weitere Nutzungsformate: Habitus und Selbstinszenierung Die meisten Jugendlichen, die in dieser Untersuchung beschrieben werden, fallen von ihrem Äußeren her kaum auf. Damit unterscheidet sich die FRPG-Szene von einer Reihe anderer Jugendszenen, bei denen der äußeren Erscheinung eine wesentliche distinktive und konstitutive Funktion zukommt.477 Der Fantasy-Rollenspieler hebt sich vom Äußeren her von einem anderen Jugendlichen im allgemeinen nicht ab und ist anhand seines Habitus kaum zu identifizieren.478 Gerade diese 'Normalität' der Fantasy-Rollenspiel-Klientel verbirgt das Phänomen einer von FRPG her gestalteten Alltag ganz besonders vor den Augen der Eltern und Pädagogen und erlaubt den Jugendlichen eine weitgehend 'konfliktfreie' Gestaltung trotz der von den Fantasy-Rollenspielen ausgehenden intensiven Belastungen und Beanspruchungen. Haare Die Darstellung und Inszenierung des eigenen Körpers stellt ein zentrales Moment jugendlicher Selbsterfahrung und Entwicklung dar.479 Der Haarschnitt ist seit der Jugendrevolte der 50er Jahre offensichtlichster Ausdruck männlichen jugendlichen Selbstverständnisses. Wie bei anderen Phänomenen der Jugendszene auch ist dabei ein Prozess der Trivialisierung zu beobachten, bei dem die ursprünglich im Symbol zum Ausdruck gebrachte distinktive Radikalität im kommerziellen und pragmatischen Mainstream aufgeht. Während in den 60er und 70er Jahren langes Haar dominierte, differenzierte sich heute die (männliche) Haarmode im Zuge der Individuation immer weiter aus. Heute herrscht Stilvielfalt: Skin, Punk, Rasta, Longhair etc. Nur noch extremen Formen machen dabei die distinktive Funktion der Haartracht wirklich deutlich. Dabei mag der Haarstil noch auf bestimmte Intentionen und Identifikationen des Jugendlichen verweisen, er muss es aber nicht zwingend, sondern kann ebenso ein mehr oder minder unbedeutendes Element jugendlicher Selbstinszenierung sein. Der distinktiven Funktion des Haarstils abträglich ist auch die weitgehende Toleranz, auf welche die Jugendlichen bei der Adaption der von ihren Peer Groups oder Medienidolen propagierten neuesten Trends treffen. Nicht selten finden sie die aktive Unterstützung ihrer Mütter, die im Zuge ihres Projekts der Entgrenzung von Jugend dieselben Vorlieben goutieren. Grundsätzlich verhindert die Selbstaufmerksamkeit der Jugendlichen ja auch die oft befürchtete Verwahrlosung. Besser ein Haarschnitt als kein Haarschnitt. 475 Skate Board, Inline Skater, Kick-Board als neue Formen urbaner jugendlicher Mobilität, s. HEINE 2001; SCHWIER 1997 476 SCHWIER 1997 477 FARIN 2002, 72-204; Kleidung als eigenes distinktives Item der Exploration bei: HITZLER/ BUCHER/ NIEDERMACHER 2001, 39-188 478 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-32-35; Bild 1.2-39-41 479 SCHWIER 1997; BÄRNTHALER 1998 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 295 Ganz im Gegensatz zum eigenen Erscheinungsbild eines mehr oder minder angepassten Boy-Typus zeigt sich die äußere Gestaltung Charaktere, wo sie neben dieser 'Normalität' auch in diesem Bereich Imaginationen entwickeln, welche über ihren Alltag weit hinausgehen. Bei ihren 'Helden', ob nun denen in den Fantasy- Rollenspielen oder in ihrem Alltag wie die Mitglieder der Bands dominiert nämlich das lange Haar als spezifischer Ausdruck von Männlichkeit. Die Jugendlichen folgen dabei medial vermittelten Konkretisationen von Imagination. Ausgangspunkt dieser Gestaltungsform dürfte dabei das Action-Genre in Comic, Film und TV sein, wo immer wieder die Protagonisten mit zum Zopf gebundenem langen Haar ihre Abenteuer bestreiten, und gerade nicht die Welt des Rock and Roll. Stilbildend war hier wohl im Bereich der Sword&Sorcery Arnold Schwarzeneggers "Conan"-Darstellung480, ebenso Christopher Lamberts "Highlander"481. Beide Figuren stehen für Archetypen eines männlichen Heroismus.482 "Renegate"483 mit Lorenzo Lamas steht für eine Traditionslinie von Action, die unmittelbar an die Roadmovies des Rocker-Milieus der 70er Jahre anknüpft484 und diese mit Elementen des Western, Eastern und Krimis verbindet. Auch eine Reihe der Protagonisten des Eastern und Bloodsport wie z.B. Steven Seagull tragen langes, zum Zopf gebundenes Haar485. Im Western hat langes Haar ein lange Tradition, wenn man an frühe Darstellungen von Lederstrumpf oder Buffalo Bill denkt, so dass die Young Guns des neueren Western hier nahtlos anknüpfen konnten. Eine weitere Quelle stellen die im Hispano- und Latino- Milieu spielenden Krimis dar, in denen ebenfalls eine Reihe der Figuren langes Haar als obligater Zopf trägt. Aber auch in neueren Krimi-Produktionen dominiert mehr und mehr das lange Haar. Als aktuellen Vertreter könnte man Tom Cruise in "Mission Impossible II" anführen486 Die Übernahme dieser Genre in die Videoclips der Musikwelt hat zu einer weiteren Präsentationsfläche geführt. Auch die Rock- und Heavy-Metal-Bands knüpfen mit ihrem Design in Bühnen- wie Szenenpräsenz und den CD-Cover an die Bildwelt der Fantasy an und propagieren heroische Erscheinungsformen des Mannseins.487 Körper Obwohl keiner der Jugendlichen dieser Untersuchung explizit Body Shaping betreibt, wie etwa eine Reihe anderer Jugendlicher, die u.a. auch in Fitness-Studios jobben, zeigt jeder mehr oder minder offen Interesse an Gestaltungsformen des Körpers und hegt einigen Respekt für deren Protagonisten. Der athletische männliche Körper stellt auch für die Jugendlichen der Fantasy-Rollenspiel-Szene ein Faszinosum und ein Item ihrer Orientierung dar. Dabei greifen sie auf Materialien zurück, die ihnen in den Medien angeboten und dort von ihnen angeeignet werden. In vielen Videoclips und Star-Inszenierungen der letzten Jahre werden mehr und mehr parallel und additiv zu sexuellen Geschlechtsmerkmalen athletische Körperformen gezeigt. Kaum ein für die primäre Medien-Zielgruppe der 14-40jährigen agierender männlicher Künstler kommt heute ohne Body Shaping aus. Der Waschbrettbauch wird zum Symbol der Kommerzialisierung und Mediatisierung des männlichen Körpers. Selbst bei Frauen ist ein athletischer Körperbau en vogue und tritt neben die androgynen Formen der Moderne.488 Auch in der Musikszene der Medien, besonders in den Hip-Hop/ R&B-Videos der Kultur der Schwarzen erscheint Athletik als zusätzliches Merkmal beider Geschlechter, besonders auch der Frau, neben einer Welle chauvinistischer "Boobs and Asses". In Gesprächen relativieren allerdings die Jugendlichen recht schnell die Mediendarstellungen und unterscheiden sicher und oft auch selbstironisch zwischen imaginierten Ideal und ihrer Alltags-Realität. An Body Shaping wird neben den sichtbaren Resultaten in erster Linie die Disziplin und Härte gegenüber sich selbst bewundert, 480 HOWARD 2003 (1932-1933); MILIUS 1982 481 MULCAHY 1986 482 THEWELEIT 1987 483 CANNELL 1992-1997 484 HOPPER 1969; die Jugendlichen kennen "Easy Rider" als hieratisches Zitat in Jugendmedien und in der Werbung; 485 US-Schauspieler: "Tall, striking and somewhat boyishly handsome looking (often with ponytail)" (http://german.imdb.com/name/nm0000219/ [2004-08-15]; 486 WOO 2000 487 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung Man O'War Fighting the World Analyse; Feldbeobachtung Man O'War Kings of Metal Analyse; Bilder/ Bild 1.4-1 488 Einher damit geht ein Verlust des Femininen zugunsten des Androgynen bzw. Athletischen; zum Frauenbild der Jugendlichen vgl. Entwicklungsstudien für weibliche NPC, APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 1996-12-13 BC Konvolut; 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 296 die man aufbringen muss, will man darin erfolgreich sein. Gleichzeitig macht man damit deutlich, wie wenig man sich eine derartige Leistung zutraut. Auch wenn man die s vordergründig bedauert, ist man doch letztlich froh, sich nicht derartigen asketischen Forderungen stellen zu müssen. Dies trifft so auch auf andere aktuelle Sportarten zu, die zur Jugendszene gerechnet werden. Im Kontrast zur expliziten Körperkultur z.B. der Streetsport-Szene steht eine auffallend demonstrierte sportliche Inaktivität der Mitglieder der FRPG-Szene, deren Body Shaping sich in der Hauptsache auf die Ausgestaltung der Charaktere in den Fantasy-Rollenspielen beschränkt, womit eine Reihe von Jugendlichen die Chance erhalten, entgegen den Modetrends von Schönheit und Ästhetik sozial erfolgreich interagieren zu können. Wie schwer dies bei fehlenden Voraussetzungen in einem Alltag fällt, der vom athletischen Ideal dominiert wird, zeigt die verbale Anfeindung und soziale Ausgrenzung, die Jugendliche zeigen können, wenn sie diesen Idealen nicht entsprechen.489 Die 'Körperlosigkeit' des eigentlichen Spiels verbunden mit der Virtualität der imaginierten Körper enthebt ihre Teilnehmer der Sorge, hier einen Nachweis antreten zu müssen, der so in den meisten Fällen nicht zu leisten ist, und ermöglicht auch dann noch eine erfolgreiche Integration in Gruppe und Szene, die in anderen Kontexten nicht denkbar wäre.490 Kleidung Von wenigen Beispielen abgesehen ziehen sich die Jugendlichen der FRPG-Szene im Alltag nicht auffallend an, sondern schwimmen im Mainstream der Moden mit.491 Für die einzelnen Events der Szene sind einige mehr der Fans von "BattleTech" und "Halflife" bereit, auch in ihrer Kleidung den Fantasy-Rollenspielen Rechnung zu tragen.492 Für derartig martialisch orientierte Fantasy-Rollenspieler bieten sich dazu Uniformteile an oder Outfit- Elemente der Rocker-Szene, grundsätzlich aber zeigen die Jugendlichen im Alltag eine für den Außenstehenden frappierende Uniformität in der Kleidung. 493 Fantasy-Rollenspieler gehören bei der Kleidungsmode selten zur Gruppe der Trendsetter und Early Adopter. Gerade deswegen folgen besonders jüngere Jugendliche deutlich den Vorgaben des vom HipHop geprägten Mainstream: Kapuzensweatshirt, Baggy-Hose494, Unterhosensaum, "4 You"-Rucksack, Skateboard-Sneakers495 etc., weil so die Gefahren von Exponierung und Isolierung am ehesten vermieden werden. Diese relativ starke Affinität verliert sich bei den meisten mit zunehmenden Alter, wo sich die Jugendlichen sicher genug fühlen, selbstständig zu entscheiden und aus dem aktuellen Angebot ihre Wahl zu treffen. Für alle aber gilt, dass grundsätzlich eine gewisse Modesensibilität und eine ausgeprägte Markenorientierung vorhanden sind. Gerade le tztere vermittelt in diesem wesentlichen Bereich jugendlicher Selbstinszenierung einerseits eine Kontinuität, die grundlegend auch zur Identitätsbildung beiträgt, andererseits auch einen Referenzrahmen, der die soziale Integration des Identitätsentwurfs unterstützt und zu seiner Affirmation führt.496 "In einer Zeit, in der massive Unsicherheit herrscht, wirken starke Marken wie ein Fels in der Brandung."497 Die Jugendlichen sind des mit Recht davon überzeugt, dass sie ihre Individualität in ihren Klamotten zum Ausdruck bringen. Sie wissen dabei sehr wohl um die Gesetze von Mode und Trend, denen sie unterworfen sind und denen sie trotzdem mit Leichtigkeit begegnen, weil wie auch in anderen Bereichen sich die Individualität ihrer Selbstdarstellung im Arrangement der kommerzialisierten Objekte und in ihrer Handhabe und Nutzung begründet. Erst im Blick auf das Detail wie auf den Gesamteindruck wird man auch für die Kleidung den Ausdrucksformen jugendlicher Selbstdarstellung gerecht. Allerdings bedarf diese Darstellung häufig der erläuternden Interpretation durch den Jugendlichen, die anekdotisch in die Gespräche einfließt, etwa als Schilderungen von Kaufentscheidungen und häuslichen Konflikten, aber auch als direkte Bedeutungszuweisung. 489 Rezeptiv konnten ein Reihe von Beispielen für Diffamierung beobachtet werden, die auf Normverstößen gegenüber körper-ästhetischen Vorstellungen basieren; wohl selten entsprach ein Ideal allerdings weniger der tatsächlichen Situation: Übergewichtigkeit als jugendliches Massenphänomen, s. MULVIHILL/ NÉMETH/ VEREECKEN 2004 490 SCHWIER 1997; BÄRNTHALER 1998; WINTER 1998 491 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-43 492 APPENDIZES/ Teilnehmende Beobachtung/ Video Convention Nürnberg; Bilder/ Bild. 1.2-43; BERT UCH 2000 493 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-32; 1.5-17; 1.6-11; 1.6-19; 1.7-4 etc. 494 Zum Distinktionspotential dieses Kleidungsstücks s. http://www.kxii.com/home/headlines/976151.html [2004-09-01]; http://www.cnc- board.de/thread.php?threadid=1059 [2004-09-01]; 495 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.13-2-3 496 RESEARCH & MEDIA MARKETING 2003, 36, 39-43; 55-56; ENGLUND 2001, 259 497 RESEARCH & MEDIA MARKETING 2003, 52 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 297 Körperschmuck Faszinierend empf inden die männlichen Jugendlichen der Szene die heute mehr und mehr gesellschaftlich tolerierten Möglichkeiten, den eigenen Körper zu schmücken. Dabei ist von der ursprünglichen distinktiven Provokation, die von den Rasierklingen der Punks ausging, immer noch etwas zu spüren, wenn die Jugendlichen beginnen, ihren Körper zu gestalten. Körperschmuck und Männlichkeitsvorstellung schließen dabei einander nicht mehr aus, sondern bedingen in gewisser Weise einander, da der Ausweis von Identität und der korporativem Selbstverständnis der Gruppe manifester Symbole bedarf. In der praktischen Umsetzung sind die Fantasy-Rollenspieler allerdings wesentlich vorsichtiger als in ihren Gesprächen zu diesem Thema, in denen sie ihren Phantasien Raum lassen. Formen der Körpergestaltung wie Piercing, Tattoos und Skarifizierung. sind denn eher auch Gesprächsanlass und –thema denn Faktum.498 "Also der Kerl da auf der Werbung, der hat ja ein irres Geld dafür bekommen, dass er das mit sich gemacht hat. Also der hat jetzt ausgesorgt. Ich weiß nicht, ob ich das wollte, aber der hat ja erst nur ein paar davon gehabt, und hat dann sich den ganzen Kopf und Körper machen lassen. Das muss irre viel gekostet haben, aber das hat er ja alles wieder rausbekommen. Wenn ich wüsste, dass ich genauso viel rausholen könnte, würde ich es schon machen. Auf jeden Fall aber lasse ich mir wie mein älterer Bruder den Arm und die Schulter tätowieren, das sieht ganz geil aus." 499 Piercing De facto können fast alle Körperteile gepierct werden. Neben dem Piercing der Ohren kommt auch bei den Jungen das der Augenbrauen vor. Das Piercing der Nasenwand und Unterlippe scheint mehr ein Ressort der Mädchen zu sein. Als extremere Formen und deshalb auch umso mehr angesehen und bewundert in den Gesprächen über und um den Gegenstand gelten das Piercing der Zunge, der Brustwarzen, des Nabels, Bauches oder gar von Penis und Schamlippen. Wie weit die einzelnen Jugendlichen ihre narrativen Phantasien verwirklicht haben, muss offen bleiben. Nur wirklich selten ist etwa bei Fantasy-Rollenspielern ein Zungenpiercing zu sehen. Beim Piercing hat der verwendete Schmuck eine wichtige Bedeutung für den Träger. Wesentlich sind zum einen das verwendete Material (Edel- bzw. Buntmetalle) und die vielfältigen und auswechselbaren Formen, vom einfachen Ring bis zu komplexen Emblemen. Wichtig als Zeichen gegenseitiger Zuneigung scheint auch der Tausch der Schmuckstücke mit der Partnerin zu sein. Piercing ist eines der wenigen Gesprächsthemen, bei denen die Jugendlichen auch ihre sexuellen Kontakte und Erfahrungen einander mitteilen, z.B. über die sehr intensiv empfundene Wirkung eines Zungenpiercing beim Küssen. Tattoos Da ähnlich komplex, ästhetisch individuell gestaltbar und irreversibel wie das Piercing, stellen Tattoos in den Augen der Jugendlichen weitere Möglichkeit dar, den eigenen Körper zu inszenieren. Wer kann berichtet stolz von seiner "Viper", seiner "Rose" oder anderen, in der Regel sehr kleinen Tattoos, die unaufdringlich präsentiert oder gar völlig verborgen werden.500 Wie das Piercing sind Tattoos Gegenstand mehr intimer Gespräche, wie auch sonst bei Objekten und Kompetenzen, die für die Szene typisch sind, ist es üblich, über Tatoos zu reden, auch wenn man selbst keine trägt. Viele geben vor oder kennen wirklich jemanden, der ein besonderes Tatoo trägt. Sie bewundern ihre Bekannten, die derart intensiv ihren Körperschmuck betreiben. Mit dieser Bewunderung lenken sie auch vom eigenen Zögern bei der Verwirklichung ihrer Wünsche ab, aber allein schon diese Wünsche weisen auf Gestaltungsvorstellungen hin, die zwar nicht realisiert, aber zumindest mitgeteilt werden.501 Dabei können die Jugendliche auch auf Medieninhalte von Musik-, Video-, Film- und TV-Formate verweisen, wo die Protagonisten in aller Regel tätowiert sind. 502 498 Aufgrund der Intimität der Thematik konnte eine explizite Sicherung der Gesprächssituationen nicht durchgeführt werden; vgl. dazu: DAHM 1999, 22-31; s.a. APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.4-9-10; zur Bedeutung des Körperschmucks unter Jugendlichen vgl.: FRIEDRICH 1993; STIFTUNG WARENTEST 1999, 21-25; SPIEGEL 1997, 80-95; ZBINDEN 1998; EMILIAN/ KAMPWERTH 1998 499 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-02 BS 02; 500 Die Tattoos befinden sich auf Unter- bzw. Oberarmen und am Bizeps, am Schlüsselbein, im Nacken unter dem Haaransatz, auf dem Schulterblatt und im Lendenbereich, vgl. APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-02 BS 02; 501 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1996-11-02 BS 02. 502 Tätowierungsszene, VERHOEVEN 1997 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 298 Skarifizierung: Scarving, Cutting, Branding, Metal Inlets Im Augenblick noch unter den Fantasy-Rollenspielern diskutiert, aber zumindest bei manchen Szenen im Kommen sind weitere Formen der Körperverzierung wie Scarving, Branding und Metal Inlets. Insbesondere Scarving hat durch das Beispiel einer Reihe von afrikanischen Sängern mit ihren traditionellen basreliefartigen Stammestattoos wie etwa Seal503 eine gewisse Akzeptanz erfahren. Während es bei Tattoos immer noch die geringe (und kostenaufwendige) Möglichkeit einer späteren Entfernung gibt (mittlerweile gibt es Tattoos, deren Farben nach einer Reihe von Jahren von selbst verblassen)504 sind diese Narben dauerhafte und irreparable Verletzungen der Haut. Damit werden sie aber zu evidenten und permanenten Präsentationen der Identität gegenüber der Außenwelt. Besonders dem Aspekt der fehlenden Reversibilität kommt dabei als verewigten Ausweis einer spezifischen Stufe der Persönlichkeitsentwicklung besondere Bedeutung zu. Im Gegensatz zu Verletzungsnarben aus Unfällen oder etwa den bei schlagendenden Verbindungen gewünschten Narben bei Schnittverletzungen in Kämpfen (obwohl auch hier ein ursprünglich sozialintegrierendes Ritual vorliegt) bilden die Narben hier ein bestimmtes Muster, aus dem der Eingeweihte (unbestimmt aber auch der Fremde) Rückschlüsse auf die Persönlichkeit und die soziale Integration des so Gezeichneten ziehen kann. 505 Scarving hat allerdings noch keiner der Jugendlichen betrieben, im Augenblick stellt diese Technik noch ein intensiv diskutiertes Faszinosum unter den Jungen dar. Brandings sind ursprünglich mit glühenden Zigarettenkippen erzeugte einfache Narbenmuster verbrannter Haut. Effizienter erfolgt diese vorsätzliche Verletzung der oberen Hautregionen heute durch erhitzte Metallformen. 506 Als Resultat von Mutproben unter den Jugendlichen kann man sie hin und wieder schon einmal beobachten, doch stellen sie (noch) keine echte Alternative zu den anderen Formen der Körpergestaltung dar. Durch Werbung ins Blickfeld und in die Diskussion der Jugendlichen gerückt sind weiter Metal Inlets - kleine Metallkügelchen, die unter die Haut projiziert werden - die ebenfalls zu basreliefartigen Mustern führen, vergleichbar denen von Scarving, andererseits aber den Touch des Innovativ-Technischen aufgrund der dazu notwendigen Operation haben. Bei den verschieden Formen des Körperschmucks zeigen sich ebenfalls Parallelen zu den Charakteren der Fantasy-Rollenspiele. Diese weisen häufig, unter legitimierenden Verweis auf die (fiktive) Zugehörigkeit zu einer Rasse, Stamm oder Clan die erwähnten Formen der Gestaltung des Körpers auf. Auch die Logos der Piloten und Kampfeinheiten auf den Mech haben eine gewisse Ähnlichkeit mit Tattoos. Die an sich technisch bedingte Oberflächenstrukturierung der Mechs folgt ebenfalls, ob nun bewusst, sei dahingestellt, weil funktional-technische Zusammenhänge im Vordergrund stehen, ästhetischen distinktiven wie integrativen Gesichtspunkten und kann als ein Scarving betrachtet werden, welches das bedrohliche Aussehen der Mechs verstärkt und über seine Kapazitäten Auskunft gibt.507 In dieselbe Richtung weist die bewusste Beibehaltung von (ineffizienten) Trefferschäden am Mech als Ausweis seiner Biografie und Identität, die an Brandings erinnern.508 Trotz des intensiven virilen Diskurses unter den männlichen Jugendlichen über die vielfältigen Formen männlicher Selbstdarstellung und dessen teilweise Integration in die FRPG ("reality testing"), erweisen sich die mit der Enkulturation (Literatur, Bild, Film) und Erziehung tradierten Männlichkeitssymbole weiter als sehr dominant. So ergibt sich für die Gestaltung jugendlicher Ideen von Männlichkeit eine fast eindeutige und wenig variable Struktur, die von der Aneignung vorgegebener Ästhetik geprägt ist, so dass die Individualität dieser Gestaltung nur schwer dem Betrachter deutlich wird. 503 http://www.seal.com/seal/photos/seal5_2.cfm# [2004-08-15]; 504 SCHILDBACH 1998, 16-19 505 ZBINDEN 1998; BISILLIAT/ VILLAS-BÔAS/ VILLAS-BÔAS 1979 506 DAHM 1999 507 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.1.-13: Totenschädel des "AS7 -D Atlas"; Bild 1.2-17: "CP 10-Z Cyclops"; 508 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.2-38 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 299 Resümee Weitere Nutzungsformate Effizienz kommerzialisierter Objektsymbole/ Konsum als Mittel der Identitätskonstitution Die Jugendlichen finden in diesen auf den Markt in vielfältigen Produktklassen angebotenen und von ihnen erworbenen Objektsymbolen Textelemente, welche die von ihnen intendierte Interpretation innerhalb des individuellen Medien-, Text- und Ereignisarrangements schon weitgehend wegen ihrer Marktorientierung antizipieren509 und ein Negotiated oder Oppositional Reading überflüssig bzw. sehr unwahrscheinlich werden lassen. Die Objekte eignen eine generelle Kompatibilität und Anschlussfähigkeit an die sozialen Codes der jugendkulturellen Szenen und ihrer Mitglieder auf der Basis der mit ihnen in der Regel gerade auch medial vermittelten und intertextuell vernetzten Skripts und den in diesen verdichteten Interaktionsformaten und Identitätspatters. Sich dieser Dominanz zu entziehen, ist einerseits nicht beabsichtigt, da die symbolische Qualität dieser Objekte wie die Simplizität ihrer Aneignung im Konsum im Sinne von Effizienz ihr wesentliches Argument ist, andererseits auch kaum noch möglich, da die in ihnen vermittelten Skripts über ihren massenhaften Gebrauch in der Szene legitimiert sind510, in welcher der Jugendliche ja gerade affirmative Integration sucht. Besonders deutlich werden diese Prozesse bei der Nutzung von Nahrungs- und Genussmittel wie hochwertiger Konsumgüter durch die Jugendlichen. Mit den ersteren verfolgen Jugendliche primär integrative Intentionen in sozialen Kontexten. Nicht ohne Grund finden sich hier neben Formen archaischer Kommunalisierung von Erlebnissen wie der Agape die zentralen Symbole adoleszenter Initiation wie Nikotin- und Alkoholmissbrauch. Letztere dienen aufgrund ihres deutlich ausgeprägteren eigenen und arbiträr-qualitativen Symbolgehalts vornehmlich distinktiven Intentionen der Individualisierung. Hier korrespondieren in besonderer Weise die Strategien der Erlebnisrationalität von Konsumenten und Produzenten im Sinne einer symbolischen Diversifikation über Rares und Uniques.511 Kommerzielle Objektsymbole schließen über ihre Integration in Skripts kognitive, affektive, pragmatische und soziale Handlungsroutinen ebenso wie Manifestationen wie Events mit ein. In diesem Sinne müssen neben den Produktklassen von Objektsymbolen im traditionellen Sinn von Gütern auch die sich um Objekte und Medien fokussierenden sozialen Formationen als derartige Güter gesehen werden, die den Jugendlichen zur Aneignung zur Verfügung stehen. Deutlich wird dieses Phänomen etwa in den Street-Sport-Szenen, Fandoms oder den Communities, die sich auf der Basis einer interpretativen Aneignung von Dienstleistungsangeboten in Interdependenz der User mit den Produzenten etablieren. Für die Jugendlichen von besonderer Bedeutung ist offensichtlich die konsequente Fortentwicklung des eigenen Erscheinungsbildes als Repräsentationsfläche eigener und fremder Wahrnehmung. Gerade hier spielt die kreative Aneignung kommerzieller Objektsymbole eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung und repräsentativen Darstellung und Inszenierung jugendlicher Identitätsentwürfe. Während sich in den Details einer modifizierenden Außendarstellung die ästhetisch-distinktive Funktion des Arrangements abbildet, verweist die Konformität des gesamten Erscheinungsbildes in seiner Typisierung auf die soziale Integration des jugendlichen Identitätsentwurfs. Dieser reflexiv auch von den Jugendlichen wahrgenommen Konformität steht als distinktives Moment und Grundlage der Identitätsentwicklung der konstitutive Akt, etwa als Auswahl512 und als Arrangement der Objektsymbole 513 gegenüber. Grundsätzlich wird das Angebot in der Nutzung durch die Jugendlichen selektiv wahrgenommen, angeeignet und entäußert. 514 Allerdings reichen die Kreativität und die ästhetischen Potentiale der Jugendlichen häufig weiter, als der Markt es antizipieren kann. Neben den jugendkonformen Codes gibt es zahlreiche weitere mehr oder minder 509 SCHULZE 1996, 443-450 510 BACHMAIR 2001, 235: "Kulturinszenierungen"; 511 SCHULZE 1996, 444 512 SCHULZE 1996, 50 513 BACHMAIR 2001, 235: "persönliche Erlebnisarrangements"; 514 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 1997-06-21 RES; 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 300 heteronome, mit denen der Jugendliche sich auseinandersetzen muss. Wenn es darum geht, Objektsymbole anderer Bedeutungszusammenhänge wie aus der Welt der Erwachsenen für die eigene Verwendung zu okkupieren, zeigen die Jugendliche gerade bei der Aneignung und Integration in ihre spezifischen intertextuellen Bezüge eine bemerkenswerte Fantasie, welche gerade über die Dekontextualisierung dieser Objektsymbole zu einem Oppositional Reading führt. Konsum als Microflow Die Nutzungsformen kommerzieller Objektsymbole durch die Jugendlichen heben grundsätzlich auf ein autotelisches Handeln ab. Primäre Dimension dieses Handelns ist seine innengerichtete Wahrnehmung als Erleben. In seiner situativen Konkretisierung erfahren die Jugendlichen dieses Erleben als eine heuristische Auseinandersetzung von heteronomen Anforderungen (Begrenzen, Nahelegen, Auslösen) und individuellen Kompetenzen (Einwirken, Symbolisieren, Auswahl bzw. Entdecken, Erkunden, Lösen), aus dem sich in selbstreferentieller Reflexion der Prozesse Sinn- und Werthaftigkeit dieses Handelns und Befriedigung erschließt. Die damit verbundene intrinsische Motivierung führt zur Intention nach Perpetuierung dieser Erfahrung und löst ein Folgehandeln aus, das diese Verstetigung verwirklichen soll und sich bestimmten Handlungsfelder optimaler als in anderen gestalten lässt. Kommerzielle Objektsymbole heben auf Handlungsfelder der Jugendlichen ab, in denen sich Flow-Erlebnisse gestalten und Flow-Erfahrungen konkretisieren können. Dabei ermöglichen die Objekte in der Regel ein simultanes Handeln in verschiedenen Feldern mit unterschiedlicher Intensität. Während etwa die Printmedien eine intellektuelle Herausforderung darstellen, unterstützen andere wie Spielzeug und Merchandising-Artikel eine spezifische, hier auf Fantasy- Rollenspiele oder andere Arrangements fokussierte Interaktion. Nahrungs- und Genussmittel dienen der Strukturierung jugendlichen Alltags durch Ritualisierung sozialer Interaktion, Konsumgüter der Distinktion als Aufgabe und Herausforderung, Freizeitaktivitäten und Sport ermöglichen kinästhetische und kompetetive Erlebnisse und Erfahrungen, die Gestaltung des äußeren Erscheinungsbildes wird zur verstetigten alltäglichen Herausforderung des Jugendlichen. Kommerzielle Objektsymbole antizipieren ihre Verwendung durch die Jugendlichen in Flow-fördernden Kontexten bzw. haben entscheidenden Anteil an der Entstehung derartiger Kontexte. Mit der Fokussierung der Aufmerksamkeitszuwendung des Jugendlichen auf das Objekt als Faszinosum leisten sie einen wesentlichen Beitrag zur Begrenzung des Stimulusfeldes und heben irritative Strukturen wie den situativen Außenraum, die Diskursivität der Zeit und die Regression auf das Selbst auf. Mit den in ihnen zugleich angelegten Skripts ermöglichen sie gleichzeitig die effiziente Kontrolle der Interaktion mit ihnen, indem die Skripts an die Kompetenzpotentiale der Jugendlichen adaptiert sind und in komplexen, den differenzierenden heuristischen Anforderungsniveaus entsprechenden Kompetenzlevels abbilden. Die damit von außen evozierte und individuell realisierte Balance von Anforderungen und Kompetenzen bedeutet eine positive selbstreferentielle Sanktionierung, die zur intrinsischen Motivierung und Verstetigungsintention führt, die letztlich den Rückgriff auf ähnliche, vergleichbare Objektsymbole im Analogieschluss des einzelnen wahrscheinlich macht. Mit der Aneignung der Objekte werden die Jugendlichen auf diese in ihnen integrierten Skripts verwiesen, die sie in der Interaktion mit den Objekten hinzuziehen können. Andererseits verfügen die Jugendlichen auch über ihre intuitiven phylogenetischen Kompetenzen einer effizienten Organisation von Handeln als Flow. Mit hoher Wahrscheinlichkeit realisiert sich die Interaktion des Jugendlichen mit den Objektsymbolen deshalb als Flow- Aktivität: Die Handlungssituation wird von ihm nach seinen Kompetenzen, wie sie vom Objekt evoziert werden, gestaltet, der Handlungskontext in der genuinen Funktionalität des Objekts begrenzt. Die Fokussierung auf das Objekt verhindert den Einfluss irritativer Stimuli, das Objekt selbst bietet mit seinem Skript ein Handeln im Simulakrum, dessen Prozeduren, Regeln und Algorithmen evident scheinen und Viabilität eignen, die auch den vorübergehenden Misserfolg als Aufforderung zur Iteration mit einschließt. Die Bedeutung dieser Prozesse für den Alltag des Jugendlichen wird deutlich in der Intensität von Flow, dessen wesentliche Funktion sich gerade nicht in den ostentativen "fruchtbare Momenten"515 darstellt, sondern im Microflow. Hier korrespondieren Objektsymbole mit Alltagsritualen, Routinehandlungen und iterativen Interaktionsmustern, bei denen Anforderungstiefe und Kompetenzadäquatheit wie etwa im Konsum vorbestimmt sind. Derartige Verlässlichkeit von positiver Erfahrung und Befriedigung schafft alltägliche 515 COPEI 1969 (1930) 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 301 Entlastung in einer vermeintlichen Passivität, welche die Bildung von Ressourcen ermöglicht, die wiederum Voraussetzung für Deepflow-Erlebnisse sind. Der Typus des Helden als Projektionsfläche pubertärer und adoleszenter Identitätsentwürfe Die in den kommerziellen Objekten dargestellten und entwickelten Inhalte und Themen haben als symbolischen Objektivationen eine hohen Affinität zu den Identitätsentwürfen der Jugendlichen, da sie deren Entäußerungshandeln entspringen. Mit deren wieder aneignenden Konsum reintegrieren die Jugendlichen diese objektivierten Elemente individueller Identitätsfindung in ihrem konkreten und aktuellen Arrangement, mit dem sie ihre augenblickliche Identität inszenieren und präsentieren. Zu diesem Arrangement, das hier sich um Fantasy-Rollenspiele fokussiert, gehören ebenfalls diese Objekte und deren Nutzung, die sich an das Projekt einer kommunalisierten Fiktion im weitesten Sinn anschließen lassen. Diese Objekte öffnen in diesem Zusammenhang Handlungsräume, beschreiben Welten, stellen ein Faszinosum dar und ermöglichen Partizipation und Interaktion. Objektsymbole ermöglichen dank ihrer liminalen Potentiale den Zugang und die Grenzüberschreitung zu fiktionalen Räumen und stellen weiter mit den in ihnen angelegten Skripts Partizipationsroutinen zur Verfügung. Vergleichbar zu Fantasy-Rollenspielen erlauben bzw. fordern sie im Umgang mit ihnen eine distanzierte Teilnahme mittels ausdifferenzierter und komplexer Prozeduren. Die Bedeutung, welche die vom Erlebnisangebot evozierte und in seinen Skripts mitorganisierte Nutzung für die Subjektkonstitution hat und wie sie mit den kollektiven Fiktionen der Jugendlichen korreliert, wird u.a. deutlich bei der Gestaltung des Habitus der Jugendlichen als repräsentativem Ausweis seiner Identitätsentwicklung. In seinen Fiktionen sind seine Charaktere in einer bestimmten entwicklungspsychologischen Phase notwendigerweise Typen von Helden, die sich durch archaische Attribute wie Größe, Körperkräfte und Langhaar auszeichnen.516 Diese fiktiven Typen korrespondieren mit den Gewaltphantasien oder Ohnmachterfahrungen, den Entwürfen von Männlichkeit und Sexualität, von Ordnung und Kontrolle, von Alltag und Lebenswelt der Jugendlichen. Ein Surrogat für das Athletische stellt besonders für die "BattleTech"-Spieler das Faszinosum Technik dar. Wie die pseudo-historische Entwicklung der "Mechanics" zeigt, kann Technik menschliche Körperschwäche kompensieren und auch dem Schwachen ungeahnte Kräfte verleihen.517 Viele Spieler der "BattleTech"-Szene stehen Technik deshalb grundsätzlich positiv gegenüber, ihr Diskurs über Technik ist geprägt von einer ungehemmter Begeisterung für technische Leistungen und das technisch Machbare uns seiner spezifischen Ästhetik. Sie negieren zwar ostentativ die Vorbehalte des politischen Mainstream und der ökologischen Kritik etwa an der Verschwendung von Ressourcen, andererseits sind sie sich der Ambiguität dieses Phänomens durchaus bewusst und es prägt sie ein tiefgehender Pessimismus, was die ethische und moralische Dimension von Technik und ihre Anwendung betrifft. Trotzdem stellen die Mech ein Faszinosum dar, das ihre Fiktionen prägt. Die Darstellungen der Mechs im kommerziellen Angebot und die Bearbeitungen der entsprechenden Miniaturen durch die Spieler betonen deren athletischen Habitus als humanoide Konstruktionen mit meist extrem ausgeprägten Thorax und überdimensionierter Arm- und Bein-'Muskulatur'. Im Inneren der Kampfmaschine befindet sich zur Kraftübertragung und Steigerung ein muskelstrangähnliches Geflecht aus "Myomer"-Material um ein "Endo-Skelett". 518 Die Darstellung von Kraft und Gewandtheit fließt weiter ein in die Beweglichkeit der Mech, etwa als Torsodrehungen oder Sprünge vermittels Schubdüsen, und in die Waffen, deren phallische Monstrosität auf die mit dem Athletischen thematisierte Mannhaftigkeit verweist.519 Die Jugendlichen setzen damit u.a. die Ästhetik der überdimensionierten körperlich Action-Figuren520 einer früheren Entwicklungsphase auf subtilere Art und Weise fort. Die – meist nur antizipierte - Erfahrung körperlicher Unzulänglichkeit und eigener Verwundbarkeit erlebt in den Fiktionen vom gepanzerten Krieger in seiner unzerstörbaren Rüstung und der Allgewalt seiner Waffen ihre individuelle fiktionale Verarbeitung. Diese 516 Die Verbindung von Manneskraft, Heldentum und langem Haar stellt eine anthropologisch-kulturgeschichtliche Tradition dar: Samson und Delila; Absalom, germanisch-merowingisches Königsheil, Helden der mittelalterlichen Epen; 517 Zur Entwicklung der Exoskelette als Grundform der Mechs, APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.1-9, 10; vgl. weiter LEM 1989; weiter Sigourney Weaver als Lt. Ripley im Exoskelett im Schlusskampf mit dem "Alien", CAMERON 1986 518 Vgl. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 1999-02-10 BT Battletech Game Set 519 Zum Waffenfetischismus als Männlichkeitskompensation s. THEWELEIT 1987 520 Klassiker: "He-Man" von Mattel Inc. 1982 Novum einer Puppe für Jungen, s. http://www.mattel.com/About_Us/History/mattel_history.pdf [2004-09- 30]; http://www.he-man.org/primary_sects/toys/html/toys_index.shtml [2004-09-30]; 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 302 Fiktion findet ihre Anschlussfähigkeit an den Alltag der Jugendlichen zum einen über die Gruppe, in der sie realisiert wird, womit ihre Bedeutung, Angemessenheit und Sinnhaftigkeit ähnlich wie bei Skripts in der gemeinsamen Interaktion affirmiert wird. Die Fiktion konkretisiert sich im Alltag gerade in den Latenzphasen, wenn die Bestätigung durch die Gruppe nicht eingeholt werden kann, in den liminalen Objekten, mit denen sich der Jugendliche den Zugang zur Fiktion permanent offen hält. Zugleich hilft sie, die evidente Unvereinbarkeit von eigener Erscheinung und fiktiver Projektion zu überwinden, indem sie deutlich macht, dass dies letztlich ein Problem technischer Natur ist, dessen Lösung nicht in der Hand des Jugendlichen liegt. Die Identitätskonstruktion an der Grenze von Innen- und Außenwelt verweist im Innern fiktional auf einen potentiellen Kontext, in dem die Unzulänglichkeiten des Außen aufgehoben sind, der zwar so nicht gegeben ist, aber eben als Fiktion intensiv erlebbar ist und die Wirklichkeit transzendieren kann. Die Fiktionen der Jugendlichen dieser Entwicklungsstufe favorisieren im allgemeinen "hyboreische"521 Märchenwelten. Die weitgesponnenen Sagas entsprechen offensichtlich dem Weltbild und dem historischen Verständnis der Jugendlichen, demnach die Phänomene der Welt evident eschatologischen Gesetzen unterworfen sind. 522 Die Verkürzung der historischen Perspektive in einem Historismus ist ebenso Fiktion wie ein wesentliches Instrument der Jugendlichen, ihrer Welt in der zeitlichen Dimension und ihrem Kausalnexus eine Ordnung zu geben; es ermöglicht aktive Gestaltung, entschuldigt zugleich aber auch Versagen und enthebt sie einer Verantwortung, die einzulösen sie überfordert sind. In einem fortgeschrittenerem Stadium bevorzugen die Jugendlichen dagegen erheblich realitätsnähere Fiktionen wie die schmutzigen Welten der anti-utopischen Dark Science Fiction und Fantasy. Standardplot ihrer Fiktionen ist hier der Einzelne, der gegen seine Entmenschlichung in einer technizistischen Umwelt aufbegehrt. In der teilweise komplexen Ausarbeitung des Bewusstsein, dass er in seinen Bemühungen letztlich scheitern wird; zeigt sich eine Affinität zur eigenen, als Tragödie gedeuteten Biografie. In wieder einem weiteren Entwicklungsschritt gelangen die Jugendlichen dann zu Projektionen von Helden, die eine ironische Distanz deutlich werden lassen, die auch gegenüber eigenen Identitätsentwürfen besteht. 5.5 Die Jugendlichen entwickeln ein typisches Arrangement aus Objekten, Texten, Medien und Ereignissen Alltagspragmatische Trias von Kulturtechniken Bedeutungs- und Subjektkonstitution Die offensichtliche Fähigkeit der Jugendlichen, in verschiedenen Szenen gleichzeitig zu operieren und sie für distinktive wie integrative Ziele zu nutzen, beruht auf der Intertextualität und Multiplität der von Ihnen verwendeten symbolischen Objektivationen, wie sie etwa in dem Bereich jugendmusikkultureller Szenen als ubiquitär gültige spezifische Symbolsprache herausgebildet hat.523 Vergleichbare Vorgänge einer Glokalisierung können auch für die Szene der Fantasy-Rollenspieler vermutet werden: Mittels eines besonderen Mix aus nur oberflächlich verschiedenen, strukturell aber kohärenten symbolischen Objektivationen erfährt hier der Identitätsentwicklungsprozess der Jugendlichen seine angemessene, distinktiv wie integrativ wirkende Konstruktion und Repräsentation in seiner individuellen wie sozialen Dimension. Dies gelingt den Jugendlichen zunächst durch eine gestaltende Aneignung symbolischer Objektivationen zu einer spezifischer jugendkulturellen Symbolsprache und durch die Akkumulation eines populärkulturell-symbolischen wie sozialen Kapitals524 im Fandom. Daneben tritt aber als weitere wesentliche Quelle jugendlicher Identitätskonstruktion und –präsentation die einer Logik der intertextuellen Kohärenz525 folgende mehr oder minder partielle Aneignung symbolischer Objektivationen auch entfernterer, aber den jugendlichen Alltag 521 HOWARD 2003, 713-754 522 Ein typisches Beispiel für derartig weitverzweigte Mythen stellt u.a. der "BattleTech"-Romanzyklus dar, APPENDIZES/ MATERIAL-BT/ DDB 2004-09-04 Battletech Angebot; 523 MÜLLER 2004, 10 524 BEASLEY-MURRAY 2000; DAUER 2003; WEINHOLD 2003 525 SCHULZE 1996, 349-352 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 303 ebenfalls bestimmender sozialer Szenen und Milieus526 mittels eines als "Surfing" bzw. "Sampling" beschriebenen Handelns.527 "In der Regel sind hier die entsprechenden Aneignungs- und Verarbeitungsformen Teil einer gruppengebundenen Alltagsästhetik, Stilsprache und Distinktionspraxis [...] Prozesse voll Interpretation, Sinngebung und Konstruktion der Realität." 528 Die Skripts als antizipierende medienorientierte und –vermittelte Inszenierungsanweisungen primär des Erlebnisangebots verweisen auf tiefer liegende kollektive Intentionen der Jugendlichen wie handlungsleitende Themen und die diesen zugrundeliegenden existentiellen Fragestellungen529. Dies erinnert an den von SCHULZE Prozess der sozialer Existenzformen: Die grundlegende Problematik von Orientierungslosigkeit geriert innerhalb der Matrix der reflexiven und sozialen Kriterien von Wahrnehmung zu einer als individuell empfundenen Variante von Desorientierung, deren konstantes Element eben gerade die subjektorientierte Existenzform ist. Wahrgenommen werden kann diese Konstante im alltäglichen Handeln als sich aus diesen Momenten herausbildende perpetuierende und redundante Interaktion, als persönlichen Stile. Andererseits können derartige Strukturen auch im sozialen Umfeld auf der Basis eines homologen Semantik wahrgenommen werden. Hier verdichten sich persönliche Stile zu Schemata alltäglichen Handelns, deren Aneignung und Reinterpretation ebenso affirmative wie entlastende Wirkung hat, legitimieren sie doch das Handeln des Individuums eben mit seiner Integration in Szene und Milieu530: "Herstellung sozio-medialer Erlebnissphären in eigener Regie"531 Die Inszenierung der in den Skripts der Jugendlichen integrierten handlungsleitenden Themen subsumiert unterschiedlichste Formen von Texten, solange sie sich an diese Skripts von Alltagsproblemen wie "Eifersucht, Ehre, Heldentum oder Notwendigkeit" subjektiv anschließen lassen. Es geht demnach weniger um die Inhalte und Wirkung der Texte in den sie vermittelnden Medien selbst als vielmehr um deren individuelle Nutzungsformen, deren subjektive Wahrnehmung in spezifischen situativen Kontexten und Organisation in "rezipienten-spezifischen Gebrauchsmustern". 532 Skripts geben damit einerseits schon konkrete und von den sozialen Formationen legitimierte Formen von Handeln vor, andererseits erlauben sie eine individuelle Adaption bzw. Modifikation, etwa mit der bei Jugendlichen ausgeprägten Inszenierung von Emotionen und Affekten. Als dominante Form der Aneignung nutzen die Jugendlichen die Angebote eines expandierenden Erlebnismarktes. In den hier medial verbreiteten Texten wie in den Medien selbst finden sie Skripte vor, die ihnen die Aneignung und Nutzung dieser Texte erleichtern, weil sie Orientierung dabei geben, in welcher Weise diese Texte an die individuellen handlungsleitenden Texte anzuschließen sind und welche Potentiale sie insbesondere für die Identitätsentwicklung bieten. Die Offenheit dieser Texte als Folge ihrer Intertextualität, welche die Skripts nicht mindern, sondern gerade aufzeigen, ermöglicht eine mehr oder minder modifizierende Integration in das "persönliche Ereignisarrangements"533, mit dem der Jugendliche sich und anderen Auskunft über seinen Identitätsentwurf geben will. Ohne Frage beherrschen die Jugendlichen diese von ihnen als Antwort auf die ihnen angetragenen Sozialisationsaufgaben entwickelte Kulturtechnik einer konsumtiven wie eigenständigen Identitätsentwicklung. In ihren Entscheidungen folgen sie der Logik einer Erlebnisrationalität, die darauf abzielt, ihre Handlungskontexte in einer solchen Weise zu gestalten, dass sie bestimmte psychophysische Wirkungen auslösen. Gestalten heißt, diesen Kontexten bestimmte Bedeutungen zuzuweisen. Da sie um die Ökonomisierung weiterer Bereiche der zur Verfügung stehenden Archive symbolischer Objektivationen und deren Manifestation als Texte auf dem Erlebnismarkt wissen, treten sie dort als kritische und selbstbewusste Konsumenten auf, die ihre Bedürfnisse sehr genau kennen und nach entsprechender Befriedigung suchen. 534 Dabei nutzen sie konsequent und zugleich souverän die mit diesen Objektivationen korrelierenden Skripts, um gerade innerhalb eines dominant scheinenden Raumes von Heteronomie ihre Identität in deren Transformation zum Authentischen zu behaupten. 526 Besondere Affinität besteht zu sportiven Freestyle- Szenen wie Snowboard, Skateboard, HipHop, http://tfactory.com/html/timescout_41.html [2004-09-30] 527 HEINZLMAIER/ SCHAEFBERGER 2004 528 VOGELGESANG 2000, 152-153 529 SCHULZE 1996, 232-233: "normale existentielle Problemdefinition"; CHARLTON 1997 530 SCHULZE 1996, 223 531 VOGELGESANG 2003, 68 532 VOGELGESANG 2003, 152 533 BACHMAIR 2001, 235: 534 Zu den Prozessen dieses Kompetenzerwerbs vgl. RESEARCH & MEDIA MARKETING 2004, 31-38 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 304 Flow und Autotelos Entscheidend bei diesem Handeln der Jugendlichen ist seine sinnstiftende wie sinnhafte Qualität in einer Welt der Beliebigkeit. Eine der wesentlichen Ursachen für diese Qualität liegt darin, dass es den Jugendlichen gelingt, dieses Handeln autotelisch zu organisieren. Eine Voraussetzung für autotelisches Handeln ist das Erleben als seine primäre Wahrnehmung durch das Individuum, Handeln verändert Kontexte so, dass sie in einer intendierten Weise auf das Individuum zurückwirken. Handlungskontexte werden dazu aus einer heuristischen Perspektive wahrgenommen bzw. heuristisch interpretiert. Problemlösendes Handeln aber erweist sich selbstreferentiell als sinn- und werthaftig und führt zur intrinsischen Motivierung des Individuums. Den Wunsch nach Perpetuierung dieser Erfahrung sucht das Individuum in spezifischen Kontextarrangements, Handlungsfeldern, die sich als verlässlich bei der Evokation dieser Prozesse erwiesen haben. Daraus erwächst dem Individuum eine Gestaltungsaufgabe, die in sein autotelisches Handeln erneut einmündet. Dass die Jugendlichen über derartige Kompetenzen verfügen, ist aus der obigen Beschreibung ihrer Nutzungsformen deutlich geworden. Mit der in einer mediatisieren Gesellschaft konsequenten Verwendung konsumtiver Formen der Kontextgestaltung rekurrieren die Jugendlichen richtig darauf, dass das ihnen vom Markt zur Verfügung gestellte symbolischen Material antizipativ ihre Kompetenzen angemessen berücksichtig und sie nicht überfordert. Andererseits hat es jene Offenheit, die es ihnen erlaubt, in seiner Synthese zu komplexeren Formen das Anforderungsniveau im Umgang mit ihm selbst zu modifizieren und mittels temporärer wie partieller Überforderung die heuristische Perspektive zu wahren. Die Verortung des Handelns in mit den Materialien des Erlebnismarktes transferierten spezifischen Umgebungen verschafft ebenso Kontrolle wie der darin angelegte Ausschluss irrelevanter Kontextfaktoren und Stimuli. Die Unberechenbarkeit der Realität hebt sich auf in modellhaften Räumen und Simulationen, die als Kontexte von ihnen nach Maßgabe der Skripts und über diese hinaus gestaltet werden können. Andererseits definieren sie in einer gewünschten und mitbestimmbaren Eindeutigkeit die Ziele, die Mittel und Wege. Das Handeln erfolgt nach Regeln, zeigt sich als Prozeduren, folgt impliziter Logik und liefert ein unmittelbares und eindeutiges Feedback über den Erfolg. In der Alltagsgestaltung der Jugendlichen zeichnen sich in ihren Nutzungsformen zwei grundlegende Formen autotelischen Handelns ab. Zum einen verfolgen sie komplexe Aktivitäten mit anspruchsvollen Anforderungen, die zu ihrer Bewältigung elabor ierte Kompetenzen erfordern und deren Erwerb notwendig machen.535 Diese Aktivitäten führen trotz des Aufwands und der Belastung, die für den Jugendlichen mit ihnen verbunden sind, zu intensivem positiven Erleben und zur reflexiven Erfahrung von Momenten besonderen Gelingens und Glücks.536 Zum anderen verschaffen aber auch einfache Aktivitäten wie etwa die Routinehandlungen des Alltags vergleichbares psychophysisches Erleben, und dies nicht in geringerer Intensität. Passivität und Konsum erweisen sich in ihrer entlastenden Wirkung als ebenso wichtige Formen autotelischen Handelns.537 Kollektive Fiktionalisierung Wesentliche Bedingung für den Erfolg der Skripts ist ihre Legitimierung in der kollektiven Nutzung der jugendkulturellen Szene, die den einzelnen der Sinnhaftigkeit seines Handelns versichert. Dieser Perspektive muss allerdings erweitert werden um die von den Jugendlichen selbst gemeinsam mit anderen geschaffenen kollektiven Fiktionen, welche ebenso die von der Angebotseite her intendierten Skripts wie den jugendlichen Alltag beeinflussen. Damit bewahren sich die Jugendlichen auch innerhalb eines weitgehend ökonomisierten Alltags mit einer spezifischen Produktions, - Allokations- und Konsumtionslogik weite Bereiche selbstbestimmten Handelns. Die Bedeutung die ser Bereiche für die Identitätsfindung des Jugendlichen wird allein schon darin deutlich, dass der Erlebnismarkt sich intensiv bemüht, diese Prozesse zu antizipieren und in seine Produkte einfließen zu lassen. Die Jugendlichen verfügen offensichtliche über eine spezifische Literalität besonders im Umgang mit Medien, den von Medien vermittelten Texten und insbesondere bei der Nutzung der in diesen vorhandenen liminalen Potenzen. Skripts modellieren Wirklichkeit nach kollektiven Fiktionen, die ihnen zugrunde liegen und sicher stellen sollen, dass sie in einem zureichenden Maße erfolgreich die Interaktion ihrer Nutzer antizipieren. In ihrer Aneignung und Nutzung transzendieren diese Fiktionen das Handeln der 535 VOGELGESANG 2003, 71: "Selbstprofessionalisierung"; 536 CSIKSZENTMIHALYI 1997, 117-130 537 CSIKSZENTMIHALYI 1985, 200-202 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 305 Jugendlichen in ihrem Alltag und geben ihm Wert und Sinn. Die Intertextualität der Skripts weist aber auch über sie hinaus und ermöglicht, dass sie nicht nur adaptiert, sondern eben auch modifiziert und variiert werden können, gerade dann, wenn sie von dem Individuum in anderen Bezügen integriert werden, als ursprünglich in ihnen angelegt. Man kommt dann nicht umhin, diese Fiktionen umzuschreiben, fortzuschreiben, neu zu schreiben, besonders dann, wenn man wie die Jugendlichen aufgefordert ist, die Transzendierung seines Handelns selbst zu entwickeln. Nach dem Ende der 'großen Erzählungen' sind sie zurückverwiesen auf ihre eigene Kreativität, Fiktionen zu entwickeln, die Wert und Sinn vermitteln. Obgleich diese Fiktionalisierung als impliziter Auftrag alle betrifft und ein allgemeines Phänomen einer mediatisie rten und individualisierten Gesellschaft ist, kann sie auch zum Fokus jugendlichen Handelns werden und jugendkulturelle Szenen wie die FRPG-Szene begründen. Das sollte allerdings nicht den Blick dafür verstellen, dass das Fortschreibung der Fiktionen im Sinne eines Collective Storytelling grundsätzlich eine wesentliche Kulturtechnik der Jugendlichen darstellt, denen es auf diese Weise gelingt, autotelisches Handeln in immer neuen Feldern zu organisieren und zu perpetuieren. Handlungsleitende Themen Elemente einer fundamentalen Semantik Die Gestaltung der Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements als Nutzung eines in Medienarchiven verwahrten und vermittelten Fundus an symbolischen Objektivationen ist Ausdruck einer fundamentalen Semantik menschlicher Identitätsfindung in der Postmoderne: die selbstreferentielle Identifikation des Individuums nach seiner Homologie zu seinen Kontexten. Die Distinktion als individueller Lebensstil wird zum zentralen und grundsätzlichen Parameter einer Semantik der Innenorientierung. In ihrer Wahrnehmung von sich und den anderen glauben die Individuen primär kognitive wie pragmatische Formen dieser Distinktion unterscheiden zu können. Der Raum der kognitiven Differenzierung entfaltet sich als "Denkstil"538 innerhalb der Polarität von "Komplexität"539 und Simplizität. Komplexität zielt grundsätzlich auf eine von Individuum ausgehende Kontrolle des ihn umgebenden Kontextes. Sein Identitätsentwurf beruht demnach auf distinktiver autoritativer Führung und integrativer subordinativer Anerkennung in hierarchischen Strukturen wie etwa indexikalisierten Räumen und organisierten sozialen Formationen. Flow erfährt es in der Perpetuierung positiver Erfahrungen der Beherrschung des Kontextes mittels elaborierter Formen der Navigation und Heuristik (Deep Flow). In seiner kommunalisierten Fiktion als Transzendierung seines Alltags und seiner Lebenswelt gestaltet es vielschichtige, detailliert-antizipative Handlungsräume als Master. Simplizität dagegen zielt auf Entlastung durch Akzeptanz des Kontextes und seines Einflusses auf das Individuum. Identität zeigt sich nun als Verstetigung solidarischer sozialer Interaktion in integrierenden und soziale Formationen begründenden Routinen und Ritualen, das distinktive Moment in der differenzierenden Wahrnehmung der anderen als Angehörige eben dieser Entitäten und der ostentativen Gewissheit der Verortung. Flow wird hier zu einer affirmativen Erfahrung einer hinreichenden Balance von Anforderungen und Kompetenzen (Microflow). Die kommunalisierte Fiktion beschreibt archetypische Kontexte und Handlungen in perpetuierenden Iterationen. Der Raum der pragmatischen Differenzierung entfaltet sich als "Handlungsstil"540 innerhalb der Polarität von "Ordnung" und "Spontaneität"541. Eine Auseinandersetzung des Individuums mit seinen Kontexten unter der Prämisse von Ordnung zielt auf konservative Sicherheit angesichts einer als Chaos empfundenen Außenwelt. Der Identitätsentwurf des Individuums zeigt eine Inszenierung retrospektiver Regression, in der sich seine Gültigkeit und Authentizität aus der Übereinstimmung mit dem Vergangenen und einer sozialen Inszenierung transindividueller Determinierung und Heteronomität im Sinne einer Selfulfilling Prophecy ergibt. Flow wird als Begrenzung der Anforderungen gestaltet, die Verortung motivationalen Handelns erfolgt mittels einfacher 538 SCHULZE 1996, 338 539 SCHULZE 1996, 339-340 540 SCHULZE 1996, 338 541 SCHULZE 1996, 343-345; 345-348 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 306 Kompetenzen. Die Transzendierung von Alltag und Lebenswelt mittels kommunalisierter Fiktion gestaltet sich als Standardisierung, Adaption, Übernahme im Sinne einer "kollektiven Parallelisierung"542. Dagegen zielt die Auseinandersetzung des Individuums mit seinen Kontexten unter der Prämisse von Spontaneität zielt auf ein dynamisches Autotelos. Der Identitätsentwurf des Individuums sucht die künftige Grenzlinie zwischen seiner Innen- und Außenwelt zu antizipieren, Authentizität wird zu einer sozialen Inszenierung innenorientierte Radikalität und Autonomie. Flow basiert auf Entgrenzung und kompetitivem Austesten motivationalen Handelns mittels komplexer, sich steigernder Herausforderungen. Die Transzendierung von Alltag und Lebenswelt basiert auf einer kommunalisierten Fiktion, die Partizipation, Interaktion und Metamorphose ermöglicht und thematisiert. Ursprung der Handlungsleitenden Themen – Primärkategoriale Welterfahrung und "Normale existentielle Problemdefinition"543 des Jugendlichen Die individuellen Realitätsvorstellungen der Jugendlichen beruhen Modellen und Normalitätsvorstellungen, die sich in ihren handlungsleitenden Themen artikulieren. Das für diese Artikulation notwendige symbolische Material finden die Jugendlichen in Medienarchiven und Skripts als symbolischen Objektivationen, welche sie sich interpretierend aneignen und als individuelle Arrangements ihrer Identitätsentwürfe inszenieren und präsentieren. Die Homologie ihres Handelns führt als massenhafter Prozess zu deren erneuten Objektivierung und Sedimentierung in spezifischen sozialen Formationen, welche als Ebene der Präsentation wie als Vermittler eben dieses symbolischen Materials auf diese Prozesse der Identitätsentwicklung Einfluss nehmen. In die sen Formationen bildet sich schließlich ein dominanter sozialer Code ab, der als soziales wie kulturelles Kapital vom Individuum erworben wird und seine Artikulationsfähigkeit im Rahmen seiner Identitätsentwicklung erst schafft.544 Die Realitätswahrnehmung des Jugendlichen wird deshalb wie die aller Menschen von Kategorien geprägt, von denen er glaubt, dass sie eigener Reflexion entsprungen sind, die aber heteronomen entstanden und gesellschaftlich vermittelt sind. Die Strukturierung der Realitätswahrnehmung durch den Jugendlichen folgt dabei Kategorien wie vertikale Ordnungssysteme menschlicher Interdependenzen (Hierarchie), horizontale Ordnungssysteme menschlicher Interdependenzen (soziale Erwartung), existentielle Infragestellung durch die Außenwelt (Bedrohung), Essenz (Innerer Kern) und der Diskrepanz zwischen Intentionen und Ressourcen (Bedürfnisse).545 In der intentionalen Auseinandersetzung des Individuums mit den Kontexten seiner Wirklichkeit manifestieren sich diese Strukturen als apriorische Ordnungsvorstellung und grundlegende existentielle Anschauungsweisen, auf denen dann handlungsleitende Themen als konkrete Impulse einer referentiellen wie konstitutiven Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Außen- wie Innenwelt basieren. Dabei konkretisieren sich folgende Antinomien als problematisch in der Perspektive der Jugendlichen. Die eigene Lebenszeit wird mit dem Bewusstsein und der Erfahrung einer sich beschleunigenden Zeit als unverhältnismäßig kurz gegenüber der historischen und kosmischen Zeit gesehen. BLUMENBERG nennt dies das "Lebenszeit-Weltzeit-Dilemma", das als elementares Koordinatensystem die Biografie des Jugendlichen prägt.546 Identität und Individualität scheinen überhaupt nur noch erfahrbar durch eine Intensivierung des eigenen Lebens angesichts der drohenden Bedeutungslosigkeit des Ichs und der damit verbundenen Existenzängste. Die Homogenität von Welt- und Lebenswissen ist seit der kartesianischen Wende aufgegeben worden. Das Ungleichgewicht erreicht im Zeitalter der mediatisierten Gesellschaften ein das Individuum und seine Identität bedrohende wie herausfordernde Intensität. Erschließt sich Descartes noch seine Identität aus dem Bewusstsein, erkennendes Subjekt einer letztlich endlichen Objektwelt zu sein, erscheint dem Jugendlichen heute die Objektwelt als unüberschaubare und nicht mehr anzueignende Totalität von Informationen. Dem Jugendlichen 542 SCHULZE 1996, 345 543 SCHULZE 1996, 232 544 Vgl. zu den folgenden Ausführungen: SCHULZE 1996, 231-242 545 SCHULZE "primärkategoriale Welterfahrung"; 546 BLUMENBERG 1986 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 307 stellt sich als Aufgabe und Frage, wie sich das Individuum, das nach Identität ringt, in diesem Universum positionieren kann. Der konstruktive Umgang mit dem komplexen Weltwissen setzt Auswahl und Beurteilung voraus. Beides impliziert das Problem der vom Individuum unter den Bedingungen der postmodernen Dekonstruktion ("Risikogesellschaft"; "Erlebnisgesellschaft") zu findenden Kriterien, nach denen die Auswahl getroffen werden soll, was zum Lebenswissen werden kann oder soll. Neben den Erwerb funktionaler und zivilisationstechnischer Kompetenzen wie Literalität tritt die Aufgabe für das Individuum, selbständig Wertorientierungen zu entwickeln, in deren Rahmen diese Kompetenzen identitätsstiftende Funktion erhalten. Die Strukturierung und Organisation des Alltags der Jugendlichen orientiert sich in zunehmenden Maß an Kriterien der Ökonomie und Technologie: Effizienz, Optimierung, Wachstum etc. sind Zielvorstellungen und Werte des gesellschaftlichen Alltags, welche den Jugendlichen, seine Identitätsfindung und Lebensweltgestaltung in Frage stellen. 547 Zugleich treten ihm in ihrer Wirkung immer schwerer zu durchschauende und damit kontrollierbare komplexe Großstrukturen gegenüber, die sich zu totalitären Systemen verdichten. Die Marktwirtschaft hat sich infolge der von ihr freigesetzten innovativen Kräfte gegenüber alternativen Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme wie etwa der Planwirtschaft als konkurrenzlos erfolgreich bei der Realisierung eines gesamtgesellschaftlichen Wohlstands erwiesen. SCHULZE sieht im Ende der "Bedürfnisgesellschaft" und der faktisch unbegrenzten "Vermehrung der Möglichkeiten" die entscheidende säkulare Veränderung beim Übergang zur "Erlebnisgesellschaft". 548 Mit dem Begriff Globalisierung wird ein Prozess der weltweiten Umformung aller Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme nach marktwirtschaftlichen Kriterien beschrieben. Entscheidende Bedeutung bei diesem Prozess haben die neuen Kommunikationstechnologien, welche die kapitalistischen Produktions- und Konsumptionszyklen weiter beschleunigen. Die Wirtschaft erweist sich dabei mehr und mehr als das substantielle System mit der Fähigkeit zu Autopoiesis und Selbstorganisation, dessen Dynamik Alltag und Lebenswelt der Menschen prägt. Das Gefühl des Ausgeliefertseins und Ohnmacht verstärkt sich noch durch die ökonomisch typischen Akzelerations- und Multiplikatoreffekte, die den gesellschaftlichen Überbau mit verändern. 549 Wirtschaftliche Produktions- und Konsumtionslogik überwindet die Grenzen der klassischen Ökonomie (Produktion, Allokation von Waren, Gütern, Dienstleistungen) und 'kolonisiert' den Alltag der Menschen. Indiz dafür ist die umfassende Kommerzialisierung aller Lebensbereiche. Die (scheinbare) Freisetzung des Menschen (als individuell handelndes Wirtschaftssubjekt) ist nicht nur Freiheit, sondern auch Verantwortung und wird zur Belastung, denn die Risiken der Lebensgestaltung obliegen dem einzelnen. 550 Damit verbunden ist der Übergang von einer an den existentiellen Bedürfnissen orientierten Rationalität zur "Erlebnisrationalität" der Postmoderne, die freilich noch mit den Methoden der Moderne sich zu verwirklichen sucht. Diese aber gründet ihren Erfolg bei der Aufhebung des Mangels als sozialem Problem auf einen Funktionalismus, auf die Effizienz der kapitalistischen Produktions- und Konsumtionslogik. Den Positiva der Freisetzung des Individuums mit der historisch einmaligen Chance der eigenständigen Gestaltung seiner Lebenswelt steht als Negativum die augenscheinliche Möglichkeit einer Verengung seiner gesellschaftlichen Bedeutung auf einen reinen Funktionalismus und Utilitarismus gegenüber. Die "normale existentielle Problemdefinition"551 des Jugendlichen ist Artikulation seines reflexiven Bemühens, der allgemeinen Sinnfrage in seinem alltäglichen Handeln eine grundsätzliche und pragmatische subjektive Relevanz zu verschaffen. Zur Bestimmung des Ist- und Soll-Zustands, zur Beschreibung des Defizitären wie Wünschenswerten greift er auf die primären Kategorien einer Strukturierung von Wirklichkeitswahrnehmung zurück und entwickelt aus ihnen Zielvorstellungen einer Optimierung, etwa Überlegungen zu einer distinktiven Aufwärtsorientierung, zu einer integrative Verortung in sozialen Hierarchien, zur Verwirklichung von Schutz und Sicherheit, zur Manifestation des Ich, zur Aufhebung der Diskrepanz von Erwartung und Faktizität. 547 Vgl. RITZER 1996 548 SCHULZE 1996 549 Vgl. VIRILIO 1993; VIRILIO, 1996; VIRILIO 1995 550 BECK 1993 551 SCHULZE 1996, 232-234 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 308 Die innenorientierte Perspektive, aus welcher der Jugendliche diese Optima formuliert und pragmatisch zu realisieren sucht, verweist ihn, da eine Änderung der situativen und normativen Kontexte angesichts der dem Jugendlichen zur Verfügung stehenden Ressourcen und Handlungsmacht wenig aussichtsreich scheint, auf das Erleben, in dem sich der Erfolg seines sinnstiftenden Handelns konkretisiert. Der grundsätzliche Verzicht auf eine Modifikation der Kontexte erlaubt zwar keine objektive Veränderung, ermöglicht aber in der subjektiven Interpretation des Handelns und seiner Resultate eine Sinngebung im Erleben auch dann, wenn objektiv ein solcher nicht herstellbar wäre. In der konstitutiven alltagsästhetischen Praxis führt dies bei den Jugendlichen zu einer erlebnisrationalen Präferierung von Kontexten, welche Erlebnisse dieser Qualität ermöglichen und um welche sich das Handeln der Jugendlichen fokussiert. Einen diese Kontexte stellt das Spiel von Fantasy- Rollenspielen dar, indem sich die apriorische Ordnungsvorstellungen der Jugendlichen auf einer interaktiven Handlungsebene weiter konkretisieren, um schließlich jene Skripts zu gerieren, in denen sich dieses Handeln als symbolische Objektivation wieder sedimentiert. Handlungsleitende Themen Handlungsleitende Themen verweisen auf Motive eines intentionalen Handelns der Jugendlichen, die eine Stufe an Verdinglichung erreichen, auf der sie operationalisierbar werden. Der Begriff der Fantasie fasst diese Metaebene von individueller Handlungssteuerung und ihre Interdependenzen zu spezifischen sozialen Formationen nur sehr bedingt, indem er immerhin einen Imaginationsraum andeutet, innerhalb dessen Realisierungsoptionen fiktional entwickelt und erlebt werden können. Als derartige kollektiv organisierte und gestaltete Fantasien552 gelten u.a. Allmachtsfantasien, die auf die Ohnmachterfahrungen der Jugendlichen rekurrieren553, Gewaltfantasien, aus denen karthatische Effekte entstehen sollen554, Interaktionsfantasien, in denen sich die Defizite jugendlicher Interaktionskompetenz wie ihre Sehnsucht nach Orientierung in einer entsolidarisiert empfundenen Umwelt in Identität und Heimat niederschlagen, Gestaltungsfantasien, deren Utopien antizipative wie eskapistische Züge eignen, wenn sie die Dynamik einer Antithetik von autonom gestalteter Lebenswelt und heteronomen Alltag transzendieren.555 Die handlungsleitenden Themen der jugendlichen Fantasy-Rollenspieler liegen zwar ebenfalls in dem in diesen Fantasien beschriebenen Kontinuum pubertärer und adoleszenter Imagination von Sinnhaftigkeit und Realisierung, sind aber, wie sich aus den Nutzungsformen und dem Angebot als sekundäre bzw. nachgelagerte Objektiv ierung konkreter Nutzung ergibt, durchaus konkreter beschreibbar. Die kommunalisiere Fiktionalisierung durch die Spieler führt über die sich dabei öffnenden Imaginationsräume zu einer Transzendierung von Realität und Alltag. Rekonstitution von Gesamtheit –Ordnung Die Nutzungsformen der jugendlichen Fantasy-Rollenspieler verweisen auf die Vorstellung einer konstruktiven Kontrolle und konstitutiven Funktion von Macht mit dem Ziel, in den kommunalisierten Fiktionen der Spiele wie bei der Konstitution des Alltags eine verloren gegangene Ordnung und die Gesamtheit einer dissoziierten Wirklichkeit wiederherzustellen. Fantasy-Rollenspiele müssen deshalb als weit über das eigentliche konkrete Spiel-Ereignis hinausgreifende Phänomene betrachtet werden, als Kulminationspunkte, die massiv vor und danach in die Alltagsgestaltung der Teilnehmer eingreifen und ihr Orientierung und Sinn vermittelt. In diesem handlungsleitenden Thema imaginiert und operationalisiert das Individuum seine sinnstiftenden Vorstellungen einer konstruktiven Autorität und Subordination in den Begriffen von Hierarchie und Geborgenheit. Andererseits neigen die Experten unter den Spielern dazu, die Schaffung von Ordnung als einen schöpferischen Prozess aufzufassen und in der eigenen hierarchischen Verortung eine Stimulans zu sehen, sich seiner Essenz distinktiv gegenüber anderen zu vergewissern. Die Fiktionen der Fantasy-Rollenspiele neigen nicht ohne Grund zu einem subtilen Perfektionismus, der sich in einem hochkomplexen und detaillierten Spezialwissen und im ständigen Nachbessern funktionierender Systeme manifestiert und einen Großteil der Spieler letztlich nicht nur von Gestaltungsmöglichkeiten ausschließt, sondern auch bestimmt. 552 KREITLING 1999 553 FRITZ 1997a 554 GIESELMANN 2000 555 Begriff der "konkreten Fantasie", BLOCH 1977 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 309 Affirmation von Autonomie – Autotelos Die Nutzungsformen der jugendlichen Fantasy-Rollenspieler verweisen weiter auf Vorstellungen eines autotelischen und autonomen Handelns, indem das Selbst sich als verwirklicht erfahren kann. Hierzu zählen insbesondere erlebnisbetonte Erfahrungen immersiv-fiktionaler Momente ("Stimulation"556) wie etwa die erfolgreiche Überwindung von Hindernissen und Problemen in selbstentwickelten und -gesteuerten Lösungsvarianten, die Navigation in bislang unbekannten Räumen und deren Erschließung, die Selbstbehauptung in fiktionalen leistungsorientierten Konkurrenz- und Wettbewerbssituationen, die auf weitreichende Potentiale von Selbstdarstellung und Selbstdefinition hinweisen, die einer Aktivierung offen stehen.557 Reintegration und Solidarität: Gemeinschaft Die Nutzungsformen der jugendlichen Fantasy-Rollenspieler verweisen weiter auf Vorstellungen eines solidarischen, gemeinsamen und altruistischen Handelns in sozial konkreten Entitäten und Situationen, dessen integrative Komponenten mit den Zielen einer Restitution von Ordnung wie eines autotelischen Handelns korrespondieren. Soziale Kontakte in einer Welt zunehmender Individuation beschreiben eine Form von Sinnhaftigkeit und Lebensqualität, die von Jugendlichen intensiv gesucht wird. Integration und Distinktion scheinen in flach-hierarchisch strukturierten Gemeinschaften erleb- wie erfahrbar. In diesem handlungsleitenden Thema imaginiert und operationalisiert das Individuum seine sinnstiftenden Vorstellungen von gemeinschaftlicher Verortung und Sicherheit. 556 SCHULZE 1996, 236-237 557 CSIKSZENTMIHALYI 1997, 128; 130 5 Fantasy-Rollenspiele – ein Medien-, Text - und Ereignis -Arrangement in der Nutzung 310 311 6. Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 6.1 Jugendliche Subjektkonstitution als erfolgreiche Selbstsozialisation Unter den aktuellen Bedingungen einer mediatisierten Gesellschaft zeigt sich in der gelingenden individuellen Gestaltung des Alltags durch die Jugendlichen einerseits ein Handeln in Koinzidenz mit einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, andererseits aber wird eben auch eine zunehmende Diskrepanz zwischen gesellschaftlichem Auftrag, Menschenbild und praktizierter Pädagogik in den bislang zentralen Sozialisationsinstanzen wie etwa der Schule deutlich. Jugendliche Subjektkonstitution findet als "Sozialisation in eigener Regie"1 heute zunehmend unter gesellschaftlichen Bedingungen statt, welche die Funktion traditioneller Erziehungsinstitutionen wie Elternhaus, Schule und Kirche mehr und mehr obsolet erscheinen lassen. Als Kontexte der intertextuellen Arrangements des jugendlichen Alltags existieren diese Institutionen zwar weiter, jedoch allein als eines von vielen Textelementen und in Konkurrenz mit einer Vielzahl weiterer. Die Ursachen für diese Entwicklung liegen in der dynamisierten Individuation in einer modernen entfalteten Gesellschaft2, die auch Alltag und Lebenswelt der Jugendlichen dominant prägt. Dieser Individualisierungsprozess als das zentrale Programm der Moderne erfährt mit seiner erneuten Dynamisierung durch die ubiquitäre Präsenz der Medien und die in ihnen begründeten sich ausweitenden Handlungspotentiale des Individuums eine Weiterführung zur Erlebnisrationalität der Postmoderne. Historisch gesehen ist dies der Übergang von öffentlicher sozialer Fremdkontrolle zu privater individueller Selbstkontrolle 3: "Der Anspruch auf Selbststeuerung des Lebens wurde zur Leitidee gesellschaftlichen Umbaus."4 Derartige säkulare Prozesse müssen angesichts der Einbindung von Erziehung und Bildung in gesamtgesellschaftliche Kontexte Schule wie andere pädagogischen Institutionen beeinflussen und verändern. Damit einher geht gleichzeitig eine grundsätzliche Verunsicherung des Jugendlichen, dem die Gesellschaft die Risiken dieses Prozesses wie etwa die individuelle Entwicklung seiner Persönlichkeit zur Identität auferlegt, auch wenn ihm die nun eingeräumte Verfügungsgewalt zunächst mehr Segen denn Last zu sein scheint.5 Traditionelle Sozialisationsinstitutionen verlieren demnach nicht allein an Bedeutung, weil ihnen die Individuen in diesem Prozess keine Bedeutung mehr zuschreiben, sie ziehen sich in einer reziproken Bewegung auch mehr und mehr aus der Sozialisation zurück und delegieren ihre ursprüngliche Aufgabe, aber auch gerade die mit diesem Prozess verbundenen Risiken an die Jugendlichen. 6 Schule macht da vielfach noch eine Ausnahme, wird damit aber auch zum Substitut all derer, die sich ihres Erziehungsauftrags entledigen. Aufstieg und Niedergang der Institutionen Institutionen sind die wesentlichen Instrumente sozialer Fremdkontrolle. Sie sind definiert als soziale Formationen, die der Habitualisierung von intertextuellen Arrangements der Individuen entspringen.7 Die Rigidität ihrer Erscheinung erklärt sich aus den Bereichen von Alltag und Lebenswelt, die sie besetzen, nämlich die grundlegenden Strukturen der Gesellschaft wie Arterhaltung, Ökonomie, Politik etc. aufzubauen und zu stabilisieren. Ihre Funktion besteht in der generalisierenden Objektivierung individuellen Handelns im Sinne einer Faktizität und Gegenständlichkeit, in seiner Durchsetzung als individuelle internalisierende (Wieder-) Aneignung, gestützt auf ein umfangreiches Instrumentarium an Sanktionen, und in seiner Tradierung und Sedimentierung im Sinne einer Historizität. 1 HENGST 1991, 22 2 KLEMM 1982, 151 3 HABERMAS 1990 4 ZULEHNER 1998, 17 5 BECK 1990, 205-219 6 Dieser Prozess lässt sich quantitativ etwa an den stagnierenden bzw. sinkenden Investitionen von Staat und Kirche im Bildungsbereich ablesen, s. OECD 2004; qualitativ führt dieser Prozess zu Veränderungen im Rollenbewusstsein von Eltern, Lehrern und Erziehern, vgl. dazu GUTH 2002 7 BERGER/ LUCKMAN 2001, 49-98 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 312 Institutionen treten dabei den Individuen mit konkreten Rollenerwartungen gegenüber, die deren selbstbestimmtes Handeln gerade nicht einschränken, sondern funktional kanalisieren. Die Rollentheorien der 60er und 70er Jahre8 haben die gesellschaftliche Bedeutung und Funktion von Institutionen überzeugend nachgewiesen. Die Akzeptanz von Institutionen wie ihrer Durchsetzungsrigidität erklärt sich zum einen aus ihren im gesellschaftlichen Diskurs als sinnhaft legitimierten Funktionen, zum anderen aber auch aus ihren evidenten Leistungen im Prozess der Alltagsästhetisierung des Individuums. Institutionen verschaffen den Menschen eine erhebliche Entlastung im Prozess der Bedeutungs- und Subjektkonstitution. Für sie spricht mithin ihre Effizienz und Viabilität. Institutionen bieten dazu in weitgehend unidirektional organisierter Interaktion und hierarchischen Systemen komplexe Arrangements symbolischer Objektivationen an und erzwingen, falls notwendig, mittels einer Reihe von Instrumenten deren Akzeptanz und Verwendung durch die Individuen. Sie vereinfachen und reduzieren damit einerseits die Komplexität von Welt und entsprechen dem Bedürfnis der Menschen nach eindeutigen Zusammenhängen. Andererseits zeigt sich die von ihnen ausgehende dominante Fremdbestimmung allzu deutlich in der Rigidität der Sanktionierungs- und Repressionsinstrumente und –mechanismen geschlossener Gesellschaften. Eine offene pluralistische Gesellschaft dagegen basiert auf der gestaltenden Kreativität ihrer Individuen. Die Gesellschaften der okzidentalen Moderne zielen vor dem Hintergrund einer mentalen Geschichte in Renaissance, Humanismus, Aufklärung und Rationalismus auf ein sich selbst bestimmendes und seine Umwelt aktiv mitgestaltendes Individuum. Damit aber erhalten Institutionen eine ambivalente Funktion. Einerseits sichern sie heteronom grundlegende Strukturen der Gesellschaft, andererseits liegt ein wesentliches Element ihrer Legitimität gerade in der Aufgabe, die Individuen zu befähigen, sich von ihnen zu emanzipieren. Pluralismus und Permissivität moderner Gesellschaften lassen in Konsequenz Institutionen in ihrer traditionellen Form nicht zu. Sie geraten folgerichtig unter erheblichen Legitimierungsdruck mit zumindest partiellen Verlust ihrer Sinnhaftigkeit, ohne aber grundlegend in Frage gestellt zu werden. Vielmehr suchen die Individuen die Institutionen in einem Prozess der Re-Interpretation erneut zu legitimieren, was von diesen allerdings häufig missdeutet wird. Diese Ausweitung der Gestaltungsmöglichkeiten für den Menschen im Prozess seiner individuellen Identitätsfindung korreliert aber mit seiner Verantwortung der individuellen Entscheidungen in einer subjektiven Reflexivität. Ohne die Orientierungen, welche traditionelle Sozialisationsinstitutionen Individuen auf ihrem Weg zur ausgebildeten Handlungskompetenz bei der Persönlichkeitsentwicklung vermitteln, sind die Jugendlichen auf handlungsleitende Themen zurückgeworfen, die ihrer Wirklichkeitswahrnehmung entstammen. Letzte verlässliche Instanz ist dabei die Eigenwahrnehmung der Interaktion zwischen Individuum und Umwelt, radikalisiert in psychophysischen Erfahrung und ihrer Fokussierung in einer Reihe jugendkultureller Szenen. Mit der rationalen Konzentration auf das Erlebnis entwickeln Jugendliche, wie überhaupt der Mensch der Postmoderne, eine spezifische Logik und Strukturierung der Interaktion mit sich und ihrer Umwelt.9 Die Singularität des individuellen Erlebnisses korrespondiert in der sozialen Interaktion mit der Pluralität kollektiver Erfahrung. Deren Formen wie Cliquen, Szenen und Milieus verändern nachhaltig das Konstrukt einer nivellierten Mittelstandsgesellschaft.10 Unter den Bedingungen einer kapitalistischen Produktions- und Konsumptionslogik entsteht ein Erlebnismarkt als ökonomisiertes Archiv von Sinngebung.11 Auch von daher scheinen traditionelle Institutionen ihre Rechtfertigung zu verlieren, da sie grundsätzlich nicht marktorientiert arbeiten, sondern sich über ihren Nutzen per se zu legitimieren glauben. Mit der Ökonomisierung intertextueller Medien- und Ereignisarrangements und deren Konsumption als alltagsästhetisierende Handlungsdimension scheint das Individuum einer Verantwortung seiner Gestaltung zunächst weitgehend enthoben. Nutzung konkretisiert sich als eine redundante Abfolge von Akten der Auswahl 8 DAHRENDORF 1977 (1958) 9 SCHULZE 1996, 40-42 10 SCHELSKY 1953; BOLTE 1990 11 SCHULZE 1996, 417-458 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 313 aus einem expandierenden Angebot. Im Alltag führt dies zur Beliebigkeit und Reversibilität individueller Entscheidungen.12 Unter den Bedingungen einer derartigen Multioptionalität13 gehen besonders Jugendliche notwendigerweise dazu über, die Bedingungen ihrer Subjektkonstitution mit sich und anderen auszuhandeln. 14 An die Stelle von Gehorsam, Aszese und Pflichterfüllung treten gerade im noch verbleibenden Umgang mit den traditionellen Sozialisationsinstitutionen hochvariable und kurzlebige gegenseitige Verpflichtungserklärungen von mehr als begrenzter Gültigkeit und Verbindlichkeit, welche die Jugendlichen aus anderen Bezügen ihres Alltags und ihrer Lebenswelt als dort konstitutiv kennen. .15 Die Bedeutung, welche Medien bei diesem zunehmend individuellen Prozess der Bedeutungs- und Subjektkonstitution heute haben, scheint ähnlich der zu sein, wie sie die traditionellen Erziehungsinstitutionen hatten: ein komplexes wie situationsadäquat variables Angebot von plausiblen und praktikablen Sinndeutungen bereitzuhalten. In einer mediatisierten Gesellschaft16 stehen damit den Jugendlichen - in der Bandbreite ihrer Kompetenzen - faktisch unbegrenzte Archive symbolischen Materials zur Verfügung, gleichzeitig aber bilden Medien auch die Räume, in denen in Aneignungs- und Entäußerungsprozessen die Jugendlichen sich und anderen ihre Bedeutungszuweisungen und Identitätsentwürfe mitteilen. "Der hinlänglich ausgewiesene Trend zur Separierung und Segregation von Gruppen als immer bedeutungsvoller werdende informelle Sozialisationsinstanzen setzt sich in den Medienspezialkulturen nicht nur fort, sondern findet dort eine stilgebundene Steigerung." 17 Auch die Symbolarchive und Interaktionsformen dieser heute weniger denn je 'heimlichen' Miterzieher sind einer umfassenden Ökonomisierung unterworfen, die damit - ganz im Gegensatz zur Praxis traditioneller Erziehungsinstanzen, die sich strikt jeder ökonomischen Einflussnahme verweigern - immanent die intertextuellen Medien-, Text und Ereignisarrangements der Jugendlichen mitbestimmt. Bedeutungsschwund der Institution Schule Die bisherige Schule als offensichtlich zunehmend nachgeordnetes Phänomen des gesellschaftlichen Überbaus18 kann sich den Auswirkungen dieser gesellschaftlichen Prozesse nicht entziehen. In der historischen Entwicklung des Schulsystems der Moderne lässt sich der gesellschaftliche Auftrag von Schule im Begriff der "sozialen Leistungsschule"19 fassen. Nach der bis heute virulenten Humboldt'schen Konzeption soll Schule mittels einer umfassenden und allgemeinen Bildung die Enkulturation des Individuums in der bürgerlichen Gesellschaft sicherstellen.20 Schulische Bildung soll deshalb zu sozialer Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit führen, in Konsequenz bedeutet dies die Institutionalisierung von Schule in einem staatlichen Bildungsmonopol. 21 Im Rahmen verbindlicher Bildungswege müssen aber in einer sich weiterhin individualisierenden Gesellschaft grundsätzlich individuelle Bildungsentscheidungen möglich sein, wie der Prozess der Diversifikation im Bildungssystem deutlich macht. Die Sicherstellung eines Bildungsangebots durch die Gesellschaft korreliert mit einer expliziten Leistungsanforderung an das sich bildende Individuum, dem zu deren Verwirklichung optimale Bedingungen geschaffen werden. 12 BECK 1996; BAACKE 1997, 29-30; SCHULZE 1996, 205, 207-208 13 GROSS 1994; SCHULZE 1999; SAYAK 2003 14 Zur Entstehung einer Verhandlungsmentalität vgl.: BERGER/ LUCKMANN 2001, 26; zum Begriff einer Negotiation Society vgl. KÜBLER 1997b, 1997c; der Begriff geht zurück auf Charles TAYLORs kommunitaristische Auseinandersetzung mit einem atomistischen Liberalismus, vgl. TAYLOR 1971; GADAMER/ BOEHM 1978, 169-226 15 Vgl. die Aufhebung der Faktizität von Unveränderlichem in den virtuellen Welten der Medien, wie etwa die Reanimation von Figuren in PC-Spielen, Soaps und anderen Medienwelten (Respawn); 16 BAACKE 1997, 33 17 VOGELGESANG 2000, 153 18 Schule zeigt sich gerade im deutschen Sprachraum als soziales Konstrukt des 19. Jahrhunderts zur Integration eines sich emanzipierenden Bürgertums in die korporativen Strukturen des Spätabsolutismus; 19 HELDMANN 1990, 315-360 20 Die jeweiligen Landesverfassungen der Bundesländer formulieren explizit die Funktionen von Schule, vgl. dazu Verfassung des Landes Nordrhein - Westfalen Art. 7, 8, (1) 10 (1), Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz Art. 27-40; vgl. BOURDIEUs Begriff des "enkorporierten Kapitals", BEASLEY-MURRAY 2000, WEINHOLD 2003 21 Die Ausweitung des Bildungsangebots auf das Bürgertum entsprach dabei weniger einem Altruismus Humboldts als vielmehr einem Modernisierungsprogramm des spätabsolutistischen Staates, der angesichts der revolutionären Veränderungen das Überleben seiner Eliten durch eine partielle Integration weit erer sozialer Schichten sichern wollte; 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 314 Der säkulare Trend der Individualisierung führt mit der wachsenden Bedeutung der Massenmedien und dem Übergang zu mediatisierter Kommunikation zu der Tatsache, dass den institutionellen sozia len Formationen (Schule bzw. Ausbildung) individualisiertes privates Handeln (Alltag bzw. Gestaltung) entgegengestellt wird, wobei dessen hoch-individuelle intertextuellen Arrangements sich der heteronomen Bestimmung der Institution Schule mehr und mehr zu entziehen scheinen. Der allzu langsame Prozess der Adaption der aktuellen gesellschaftlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen führt zu einem Legitimierungsproblem von Schule im Innenverhältnis durch Autoritätsverluste von Institution wie Personal wie im Außenverhältnis durch die evidente Ineffizienz schulischer Ausbildung nach ökonomischen Kriterien und in marktwirtschaftlichen Kontexten: "Unsere Lehrer versuchen, Schüler von heute in einer Schule von gestern auf die Welt von morgen vorzubereiten." 22 Schule als ambivalentes Segment jugendlicher Alltagsgestaltung Die Akzentuierungen, welche allerdings Erziehungsinstitutionen wie Schule in dieser Konkurrenzsituation von Seiten der Jugendlichen bei der Aufnahme in ihr individuelles intertextuelles Arrangement erfahren, sind vielfältig. Manchen Jugendlichen erscheinen sie - und besonders die in ihnen vermittelten Bedeutungszuweisungen - weiter von großer und überragender Bedeutung für Sinngebung und -findung, andere weisen ihnen eine mehr oder minder unterstützende Funktion bei der äußeren Organisation ihrer Subjektkonstitution zu, wieder andere glauben auf sie völlig verzichten zu können.23 In den normativen Kontexten ihres Alltags können sich die Jugendlichen den Erziehungsinstitutionen allerdings nur schwer entziehen, die ihre Funktionen teilweise gar juristisch im elterlichen Sorgerecht, der Schulpflicht, der Religionsmündigkeit u.a. kodifiziert haben. Andererseits zeigen die Institutionen bei der Durchsetzung dieser Ansprüche durchweg eine gewisse Müdigkeit, welche den Jugendlichen Freiräume zubilligt, die früher undenkbar waren. Trotzdem bilden die Institutionen ungeachtet ihrer offensichtlichen Erosion immer noch einen fundamentalen gesellschaftlichen Konsens über die Ziele, wenn auch nicht mehr unbedingt über die Methoden einer Integration des Individuums in die Gesellschaft ab. Ursache für die Konsistenz ihres Programms im Konkurrenzkampf mit anderen Faktoren ist ihre grundsätzliche Übereinstimmung mit dem säkularen Prozess der Entwicklung autonomer Selbstbestimmung und emanzipatorischer Individualisierung in der bürgerlichen Zivilgesellschaft.24 Der augenscheinliche Widerspruch einer institutionell vermittelten Sozialisation und einer Persönlichkeitskonzeption, die auf eine umfassende Individualisierung zielt, ergibt sich aus der Tatsache, dass die Vergesellschaftung des Individualisierungsprozesses historisch als Ideologisierung verstanden werden muss, die bürgerlicher Emanzipation Orientierung verlieh und weiter gibt. In der entfalteten Moderne dagegen erweisen sich Erziehungsinstitutionen wie Schule zunehmend und zwangsläufig als grundsätzlich heteronome Bestimmung der vergesellschafteten Individuen, die sich von dieser Fremdbestimmung – der inneren Logik des Individualisierungsprogramms der Moderne folgend - zu befreien suchen.25 Selbstbestimmte jugendliche Subjektkonstitution erscheint deshalb von daher auch den traditionellen Erziehungsinstitutionen durchaus als legitime und konsequent aktuelle Modifikation des auch von ihnen propagierten Prozesses autonomer Selbstbestimmung. Dass es offensichtlich heute möglich ist, auch ohne Sozialisationsinstitutionen sich ein erfolgreiches Interagieren in der Gesellschaft anzueignen, stellt ein Novum dar, das diese Institutionen zwar zunächst hinterfragt und obsolet werden lässt, andererseits aber auch zu ihrer erfolgreichen Modifikation und Reintegration in die Erziehungs- und Bildungsprozesse beitragen kann. Jugendlichen gelingt infolge dieser permanenten, wenn auch oft zu wenig dynamischen Adaption weiterhin eine Integration dieser Erziehungsinstitutionen in ihre Subjektkonstitution.26 Symptomatisch für diesen Erfolg ist der Wandel des Erscheinungsbilds von Familie, Schule und Kirchen in den letzten Jahrzehnten im Zeichen wachsender Permissivität, der diese Institutionen von notwendigen zu hinreichenden Bedingungen erfolgreicher 22 DICHANZ 2001, 3 23 FRITZSCHE 2000; SHELL 2002; GENSICKE 2002, 142-145; 160-163; 193 24 KANT 1968 (1787), 53: "Der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit"; 25 ADORNO/ HORKHEIMER 1981 26 KÜBLER weist in der Auseinandersetzung mit BAACKE mit Nachdruck darauf hin, dass Sozialisation im klassischen Sinne auch in einer mediatisierten Gesellschaft weiter stattfindet, vgl. KÜBLER 1997a 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 315 Subjektkonstitution machte, sie aber gerade nicht obsolet werden ließ, sondern neue Formen ihrer Funktionalität entdeckte.27 In gewisser Weise findet damit eine Umkehrung der Kolonisierung statt, deren sich jugendlicher Alltag und Lebenswelt in der Moderne ausgesetzt sah. Jugendliche okkupieren nunmehr zunehmend die von den traditionellen Institutionen besetzten Funktionen und Räume und gestalten sie tendenziell in ihrem Sinne.28 Schule kann ihre Legitimität deshalb gerade behaupten bzw. wiedergewinnen, wenn es ihr gelingt, Jugendliche bei ihrer Identitätsfindung in einer individualisierten Gesellschaft angemessen und sinnvoll zu begleiten, indem sie diese Aneignungsprozesse positiv und aktiv unterstützt. Entlastung Während Schule bei der Legitimierung ihrer Funktion im Bereich der kognitiven Wissensvermittlung zwar mit Problemen zu kämpfen hat, im Großen und Ganzen aber immer noch, gerade auch mangels praktikabler Alternativen, noch weitgehend akzeptiert wird, gestaltet sich dies für andere Funktionen von Schule wie etwa die Aufgabe einer Wertevermittlung weitaus schwieriger.29 Schon Ende der 60er Jahres des 20. Jahrhunderts wies man darauf hin, dass auch der ethische Bereich von Alltag privatisiert werde. 30 Dieser ethische Bereich wird von traditionellen Erziehungsinstitutionen wie etwa Schule, die mit dem Bildungskonzept eines Humanismus einer säkularisierten Ethik folgt, betreut. Sie vertritt notwendigerweise wenig flexible Sinndeutungen als Werte, Normen, Orientierungen, die zwangsläufig mit den autonomen Entwürfen der Individuen in einer individualisierten und mediatisierten Gesellschaft zunehmend in Konflikt geraten. Ethik als reflexive wie antizipative Strukturierung von Alltagshandeln fokussiert die Verantwortung des Individuums sich und anderen gegenüber.31 Institutionen wie Schule transzendieren diese belastende und lähmende Komponente von Individualität des modernen Menschen und entlasten ihn in Handlungssituationen mit individuellem Charakter, aber institutioneller Kontextualisierung als "[...] Instrument[e] der kollektive[n] Innensteuerung [...]"32. Institutionen beruhen aber auch als Objektivationen auf dem konkreten Handeln der Menschen, so dass z.B. der Dialog als Face-to-face-Interaktion mit seinen in der Dyade angelegten Qualitäten sozialer Kontrolle für das Individuum durchaus auch konkret gerade in einer Institution wie Schule erfahren werden kann, während er sich etwa in einem ökonomisch bestimmten, als frei geltenden Alltag auf sog. Interaktivität beschränkt, die nur mühsam eine Ausbeutung kaschiert. Institutionen wehren sich also dann erfolgreich gegen ihren Bedeutungsschwund, wenn es ihnen gelingt, sich als stets wieder effizienter Kontext individuellen Handelns zu legitimieren. Dies gelingt nicht mit einer oft überhasteten Anpassung an den Zeitgeist etwa mit Aktionen wie "Schulen ans Netz"33, aber gewiss auch nicht mit einer Ausklammerung sozialer Realität und dem Rückzug in eine Pädagogische Provinz34. Schule erweist sich als ein Kontext, dessen Attraktivität für den Jugendlichen gerade auch auf einer fehlenden Dynamik beruht in einer Welt ständigen und sich beschleunigenden Wandels.35 Im Sinne eines latenten, auf der Abwehr von Risikostress beruhenden 'jugendlichen Konservatismus' gilt sie den Jugendlichen als einer der wesentlichen Bereiche, der zur Ritualisierung und Rhythmisierung ihres Alltags beiträgt. Aneignung Schule wird im Aneignungsprozess durch die Jugendlichen zu einem wesentlichen Sozialraum jugendlichen Alltags, der insbesondere die Interaktion mit den Mitgliedern der Peer Group ermöglicht und damit Möglichkeiten der Darstellung und Wahrnehmung von Identitätsentwürfen schafft. Dabei okkupieren die Jugendlichen neben den von Schule eingeplanten Räumen sozialer Interaktion auch weitere, die von Seiten der 27 ZULEHNER 1998 28 SAUERWEIN-WEBER 2004 29 BAACKE 1997, 33; GUDJONS 1999, 194-195 30 LUCKMANN 1967 31 KOHLBERG 1986 32 ZULEHNER 1998, 21 33 KÜBLER 1997b; KÜBLER 1997c 34 GOETHE 1967 (1829) 35 BLUMENBERG 1986; VIRILIO 1993; SOUTIF 1999; ZENTRALSTELLE BILDUNG DER DEUTSCHEN BISCHOFSKONFERENZ 2001 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 316 Institution her mit anderen Funktionen gedacht sind und interpretieren sie nach ihren Intentionen neu. 36 Auch die zeitliche Strukturierung des Raumes durch die Schule adaptieren die Jugendlichen, etwa der stete Wechsel von Unterricht und Pause, die, entgegen der institutionellen Intention, weniger dem Erreichen des nächsten Fachraums als vielmehr einer als existentiell wichtigen Erholung dient und in dieser Funktion ostentativ präsentiert wird. Die Jugendlichen nutzen damit also die normativen und organisatorischen Strukturen der Institution Schule als Ordnung stiftende Elemente bei ihrer Alltagsgestaltung und übernehmen insbesondere Formen der Rhythmisierung und Ritualisierung aus ihrer Perspektive im Sinne eines Negotiated oder seltener auch Oppositional Reading, das als beständiger Diskurs zu einer der Hauptaufgaben des Pädagogen wird. Schule ist intertextuell eingebunden in den Alltag der Jugendlichen und bildet dort eine Metapher für Arbeit und Beruf, die diesem Alltag aus der Sicht der Jugendlichen wie aus der von Erwachsenen gesellschaftlich vereinbarten Sinn im Sinne der Produktions-, Allokations- und Konsumptionslogik des dominanten sozialen Codes gibt: Vergleichbar den Berufen der Erwachsenenwelt wird sie von den Jugendlichen als ein ausgearbeitetes Arbeitsverhältnis begriffen, das durch die Gratifikation von Leistung, durch Arbeitshierarchien, spezifische Arbeitsbedingungen, eine feste Arbeitszeit und durch die Differenzierung von Arbeitsprozessen geprägt ist. Aus dieser Intertextualität von Schule, jugendlichem Alltag und Beruf ist Schule auch eine Metapher für das Erwachsenwerden. Insbesondere der Schulabschluss mit dem Abitur wird von den Jugendlichen neben anderen bedeutsamen Prüfungen wie z.B. dem Erwerb des Führerscheins zum Ausweis des Eintritts in den Status des Erwachsenen und zum Initiationsritual, das immer mit zunehmender Intensität und Aufwand gestaltet wird. Resümee: Attraktivität von Schule Angesichts einer am Jugendlichen weitgehend desinteressierten oder allenfalls vordergründig interessierten Umwelt besitzt Schule für die Jugendlichen durchaus eine gewisse Attraktivität. Jugendliche erfahren hier ihre Alltagsgestaltung trotz mancher Rückschläge und des Risikos des Scheiterns als ein gelingendes Unterfangen, das in Koinzidenz mit einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung auf eine weitere Ausweitung von Individualität zielt. Die Gestaltung ihres Alltags ist wesentliches Moment ihrer Identitätsbildung und findet in einer mediatisierten Gesellschaft in medienkommunikativen Prozessen statt. Daraus ergibt sich als Bildungsaufgabe und -ziel, dass die Gesellschaft diesen Prozess mit ihren Institutionen fördern sollte. Zu den engeren Aufgaben von Schule gehören innerhalb dieses Programms die Vermittlung von ethischen Kategorien und Werten, die Einrichtung und Verteidigung geschützter Räume, die Entwicklung von Konzeptionen eines der an Biographien sich orientierenden Curriculums und dessen Operationalisierung in didaktisch wie methodisch adäquaten Formen von Erziehung und Unterricht. 37 Bildung muss auf die jugendliche Alltagsästhetisierung in einer ganzheitlichen Weise eingehen, so dass "Vernunft und Moral, Wissen und Handeln"38 zusammenfallen und einer ethischen Grundlegung bedürfen, aus der sich Kompetenzen zur Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität39 als Orientierung entwickeln lassen. Bildung liefert damit letztlich Antworten auf die zentralen Fragen des modernen Menschen: "D'où venons-nous? Où allons-nous? Que sommes-nous?"40 Sie muss also zu einer reflexiven Selbstbildung beitragen, bei der die Jugendlichen ihre Identität als Trias aus "Selbstvergewisserung", "Sinnkonstitution" und "zeitgeschichtlicher Ortsbestimmung"41 entwickeln. 6.2 Reformulierung des pädagogischen Auftrags für die Schule: Vom Erziehungs- zum Dialogparadigma Eine gelingende jugendliche Alltagsgestaltung sollte damit auch zum zentralen Thema von Schule werden, die sich einerseits dabei auf die sozialen und interaktiven Kompetenzen der Jugendlichen verlassen kann, 36 SAUERWEIN-WEBER 2004; APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.6-26 37 BAACKE 1997 38 GUDJONS 1999, 205 39 KLAFKI 1991 40 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.12-17 41 GUDJONS 1999, 207 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 317 andererseits aber ihr bislang praktiziertes Menschenbild und ihre Pädagogik modifizieren muss. Es geht um eine Förderung von Individuation und Gestaltungskompetenzen durch eine individualisierte Lernkultur im Hinblick auf die Alltagsgestaltung der Jugendlichen. Alltagsästhetisierung Die gesellschaftlichen Anforderungen sind mit dem Auftrag an den einzelnen, sein Leben umfassend und kompetent zu gestalten, im Vergleich zur Moderne gestiegen. Es reicht nicht mehr aus, sich in vorhandene Strukturen einer hochkomplexen Industriegesellschaft einzugliedern, sondern im Zuge der Individuation müssen diese Lebensstrukturen vom Individuum selbst geschaffen werden.42 Insbesondere gilt es, den in der Medienkommunikation angelegten Entwicklungen zu Abstraktion, Globalisierung und Interaktion reflexiv zu begegnen.43 Das aktuelle Versagen traditioneller Sozialisationsinstitutionen bzw. -instanzen (wie etwa von Schule) hat hier seinen Ursprung, denn eine derartige "Lebenskompetenz"44 existiert so nicht mehr. Schule erhebt zwar noch den Anspruch, sie vermitteln zu können, doch erweist sie sich den zentralen Anforderung gegenüber, den Alltag zu gestalten und eine eigene Lebenswelt aufzubauen, als inpraktikabel wie ineffizient und disqualifiziert damit sich und die Institution, die sie vermittelt hat. 45 Die traditione lle Konzeption einer "Lebenskompetenz" wird noch sehr stark von industriellen Arbeitsprozessen und deren spezifischem Arbeitsethos der Moderne dominiert. Diesem weitgehend fremdbestimmten Leistungsbereich des Individuums entsprechen heute die zunehmend autonomen Gestaltungsprozesse wie ein spezifischer Kulturbegriff, der auf eine postmoderne Konstitutionskompetenz abhebt. Eine derartig kompetente Nutzung all der kulturellen Interferenzphänomene bezeichnet man auch als "Alltagsästhetisierung"46. Gerade an Kinder und Jugendliche werden heute die Erwartung und Anforderung gerichtet, diese Konstitutionskompetenz zu erwerben und anzuwenden. In der expliziten Formulierung dieser Erwartungen und Anforderungen allerdings erweisen die traditionellen Sozialisationsinstanzen wie Schule einmal mehr ihre Untauglichkeit, denn sie haben kaum eine Vorstellung von den Prozessen, die sie initiieren wollen. Fast zwangsläufig fallen sie deshalb auf einen mechanistischen Kompetenzbegriff der Moderne zurück. Notwendig für das Überleben dieser Institutionen in der Gesellschaft wäre es aber, diese Konstitutionsarbeit ähnlich erfolgreich, wie dies in der Konsumgesellschaft geschieht, zu transzendieren. Postmoderne Konstitutionsprozesse greifen auf medial aufbereitetes und vermitteltes symbolisches Material zurück, auf ein präkontextualisiertes Angebot ursprünglich dekontextualisierten symbolischen Materials, auf "Kulturinszenierungen"47. Die Medien entwickeln bei der Vermittlung dieses Angebots fortwährend neue Medienformaten und Medienangebote, deren komplexe Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements Präkontextualisierungen darstellen, die sich den traditionellen Bewertungskriterien der Erwachsenen normalerweise entziehen, von Kindern und Jugendlichen aber ohne weitere Probleme in ihre Alltagsästhetisierung integriert werden können. Diese Rekontextualisierung erfolgt nun bei Kindern und Jugendlichen in weitgehend individueller Deutung, da gesamtgesellschaftliche Diskurse über deren Integration in Alltag und Lebenswelt fehlen. Kompensatorisch entwickeln Kinder und Jugendliche statt dessen spezifische Diskurse der sozialen Verortung ihrer Alltagsästhetisierung in jugendkulturellen Szenen, in die sie kreativ ihren Umgang mit den Angeboten einbringen. 48 Allerdings tragen die Kinder und Jugendlichen auch die Risiken des gesellschaftlichen Auftrags, im Falle ihres Scheiterns finden sie kein soziales Netz mehr vor, das ihnen helfen könnte, ihre fragmentarische Identität zu kitten. Nur allzu bereitwillig haben die bisherigen Institutionen wie Elternhaus, Schule und Kirche sich ihres 42 Vgl. BECK 1973, 2001; KLAFKI 1991; MAROTSKI/ SÜNKER 1992/1993 43 BAACKE 1997, 32 44 BACHMAIR 2001, 237 45 Zur Legitimierung sozialer Codes Begriff der "Naturalisation" bei BARTHES, CHANDLER 2002, 145; s.a. BOURDIEUs Begriff der "sozialen Disposition" im Habitus des Subjekts, DAUER 2000 46 BACHMAIR 2001, 237 47 BACHMAIR 2001, 237 48 Diese Diskurse finden sich in den sozialen Figurationen der Kinder- und Jugendlichen wie Peer Groups, Szenen, Milieus in einer Vielzahl von Plattformen wie Jugendzeitschriften; TV-Formate, Soaps, Filme, Internet-Foren, Werbung, etc. 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 318 genuinen Erziehungsauftrags unter dem Vorwand einer falsch verstandenen Modernisierung entledigt. In einer Welt ohne verlässliche Normen bzw. in völliger Permissivität kann "die Beliebigkeit der subjektiven Erlebnisperspektive"49 zum Problem werden. "Wenn der Mensch durch seine Statur vor allem ein Kommunikationswesen ist, so ist diese seine Wesenhaftigkeit über die neuen Kommunikationstechniken zu einem Höhepunkt gelangt, der freilich Schein bleibt, wenn er ausschließlich der Selbstläufigkeit selbstsozialisatorischer Prozesse anvertraut bleibt."50 Andererseits kann Schule auch nicht der erfolgreichen Eigenleistung und praktizierten Selbstverantwortung von Kindern und Jugendlichen in der Auseinandersetzung mit mediatisierter Kommunikation im Sinne von Lebenswelt- und Subjektkonstitution mit Restriktionen begegnen. Die Alltagästhetisierung von Kindern und Jugendlichen muss deshalb zum wesentlichen Gegenstand einer Reformulierung des pädagogischen Auftrags werden. Wesentliche Aufgabe der Pädagogik ist es, die Kinder und Jugendlichen bei ihren Gestaltungsbemühungen zu begleiten und zu fördern und zugleich reflexiv zu beobachten, um in einem folgenden Schritt zu einem Verständnis der Phänomene zu gelangen, die sich der Logik der Erwachsenenwelt weitgehend entziehen oder in ihren Folgen nicht ausreichend bedacht sind. Zentrales Anliegen einer sich an den Problemen von Jugendlichen sich orientierenden Pädagogik sollte deshalb sein: Die Wahrnehmung der Rekontextualisierung medialer Angebote im schulischen Umfeld durch Kinder und Jugendliche und eine reflexive Auseinandersetzung mit dieser Integrationsleistungen als Ausgangspunkt konkreten pädagogischen Handelns, insbesondere auch, .um die Jugendlichen für neue Formen von "Machtmechanismen" und "Machtausübung" in kindlichen und jugendlichen Medien-, Text- und Ereignis-Arrangements etwa nach dem Kriterium der "Verletzlichkeit" adäquat zu sensibilisieren.51 Eine wesentliche Voraussetzung – und damit auch eine konkrete Formulierung von Aufgabe und Ziel einer sinnvollen Pädagogik - für den Erfolg von Kindern und Jugendlichen bei der ihnen aufgetragenen Konstitutionsarbeit ist eine "stabile runde Persönlichkeit", die allein einer "empathischen Beziehung der sozialen Umwelt zu den Kindern" entspringen kann. 52 Schule hat demnach die Aufgabe, auf die Bedürfnisse der Jugendlichen einzugehen und partizipatorisch mit ihnen derartige Identitätsentwürfe zu entwickeln. "Kinder werden nicht mehr im Verhältnis zu den Erwachsenen allein betrachtet, sondern Kinder sind Inhaber einer eigenständigen Lebensphase. Nicht mehr die Lebenschancen, die Kinder als Erwachsene haben werden, sondern ihre aktuellen Lebenschancen bestimmen die Sicht auf Kindheit. Kinder werden nun als Subjekte ihrer Selbst gesehen." 53 Der kompetente Jugendliche Gerade weil sich in der Gesellschaft heute eine zunehmende Entgrenzung von Kindheit und Jugend erkennen lässt54, kommt Schule (wie auch anderen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen) die zentrale Aufgabe zu, kindliche und jugendliche Bedeutungs- und Subjektkonstitution in einer adäquaten Weise zu fördern und sie vor einem neuartigen kolonisierenden Adultismus zu schützen. Für Schule bedeutet dies konkret eine bewusste Förderung von Individuation und der dazu notwendigen Handlungs- und Gestaltungskompetenzen durch Ausbildung einer individualisierten Lernkultur, welche auf die Bedürfnisse wie die Fähigkeitspotentiale der Jugendlichen eingeht. Dies gelingt besonders mit von den Jugendlichen selbst gesteuerten Lernprozessen, deren Innovation und Verstetigung besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte, da sie mit intrinsischen Motivationsprozessen in einem hohen Maße korrelieren. Ziel ist, den Jugendlichen zu einer von ihm 49 BACHMAIR 2001, 237 50 BAACKE 1997, 34 51 HENGST 2002 52 BACHMAIR 2001, 238 53 BAACKE 1997, 35 54 Zum Entgrenzungsphänomen von Jugend s.a. HENGST 2003, BUCKINGHAM 2003 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 319 ausgehenden gelingenden Gestaltung seines Alltags in einer "globalisierten Wissensgesellschaft"55 zu befähigen. 56 Eine dieser Kernkompetenzen ist die angemessene Auseinandersetzung des Jugendlichen mit Wirklichkeitswahrnehmung in einer mediatisierten Gesellschaft, auf deren Archiven symbolischer Objektivationen seine Ästhetisierung gründet. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Einführung und Begleitung von Jugendlichen in der Semantik mediatisierter Kommunikation. 57 Schule geht damit auf eine grundsätzliche Dynamik der mediatisierten Gesellschaft ein, in dem sie das Paradigma des zu Erziehenden gegen das Bild des sich weitgehend selbst gestaltenden Jugendlichen eintauscht und damit ein Stück an Realitätswahrnehmung zurückgewinnt, das ihr als Institution wieder Legitimität verleihen kann. Schule versteht sich als einer der Möglichkeitsräume, in denen Jugendliche ihre Existenz als gestaltbar erfahren können. "Entscheidend ist, dass immer mehr Menschen ihre Existenz in einem umfassenden Sinn als gestaltbar ansehen."58 Damit verbunden ist die Absage an Techniken der Assimilation, der Kolonisation und eines Utilitarismus, mit denen Schule unter Beibehaltung des traditionellen Erziehungsparadigmas zum Teil immer noch glaubt, ihren Sinn in einer sich wandelnden Gesellschaft aufzeigen zu können. Aufhebung institutioneller Diffamierung und Repression Eine an Jugendlichen orientierte Pädagogik an der Schule ist nur dann möglich, wenn es gelingt, die "strukturelle Demütigung"59 des Jugendlichen zu verhindern. Schule vermittelt Jugendlichen entgegen ihrer Selbstwahrnehmung60 immer wieder ein Gefühl der Ohnmacht, das auf vielfältige Art negativ empfunden werden kann, als Ignoranz, Herabsetzung, aber auch als existentielle Bedrohung, die seltener in Aggressionen gegenüber Sachen und Menschen, öfters aber in Schulangst und Depressionen einmünden. Schulisches Versagen (in seiner ambivalenten Bedeutung) muss zunächst einmal der Jugendliche verantworten, nicht die Institution.61 In der Folge werden die Symptome medikamentös behandelt, nicht aber die Ursachen beseitigt, die offensichtlich in einer 'strukturellen Gewalt' zu suchen sind, die Schule als Institution eignet. In einer wichtigen Entwicklungsphase, in der Jugendliche heute ihre Identität zu einem bestimmten Teil ohne Hilfe selbständig ausbilden und in einem hohen Maße innenorientiert handeln, nimmt Schule, repräsentiert in den Pädagogen, den Jugendlichen oft nicht als Menschen wahr, sondern nur in den von ihr eingeforderten Leistungen, und verletzt ihn, indem sie eine Wertschätzung der Person vermissen lässt, in seinem berechtigten Anspruch auf Würde. Es geht dabei nicht darum, den Leistungsanspruch aufzuheben – Herausforderungen, Leistungen wie Erfolgs- und Misserfolgserlebnisse tragen positiv zur Identitätsbildung bei – sondern wieder zu einer umfassenden und ganzheitlichen Betrachtung des Jugendlichen zu finden und insbesondere weitere Bereiche seiner Fähigkeiten zu suchen, in denen ihm Leistungen möglich sind. Die Jugendlichen sind sich dabei ihrer Defizite wohl bewusst, ein strukturelles Insistieren auf ihnen anstatt einer angemessenen Förderung zur Kompensation und Überwindung kann deshalb nur demotivierend und entwürdigend wirken. 55 BAACKE 1997, 56 Die Bedeutung einer ausgeprägten Handlungs- und Gestaltungskompetenz für eine gelingende Gestaltung von Alltag und Lebenswelt wird u.a. deutlich in dem Projekt 'Kompetenter Patient' der Freiburger Klinik für Tumorbiologie, wo eine derartig modifizierte Gravitierung von Fachautorität einen signifikanten Prozess von Salutogenese evozierte, s. dazu: BETTGE 2003: "'Patientenkompetenz' wird gefordert und gefördert. 'Kompetente Patienten', so Nagel, 'mischen sich in ihre Angelegenheiten ein, sie verstehen sich als Partner der Medizin, glauben an die Wirksamkeit der eigenen Abwehr und entwickeln Konzepte der Selbsthilfe ergänzend zu den medizinischen Therapien.' Nach seiner Ansicht herrscht in traditionellen Häusern immer noch ein System der patriarchalischen Medizin vor, die große Probleme mit der Patienteneinmischung haben." 57 BAACKE 1997 58 SCHULZE 1993, 58 59 EDELSTEIN 2002, 5 60 HENTIG, zit. n.: KAHL 2003: "Die größte Gefahr kommt der Pädagogik von ihrem eigenen Zweck. Will sie einen guten Menschen machen, wird sie ihn nicht bekommen." 61 Jedes Jahr erhalten 90 000 Jugendliche in Deutschland keinen Schulabschluss, ohne dass dies von der breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen wird. In Finnland gelten 900 Schüler ohne Abschluss als nationale Katastrophe. Nichts indiziert die Unterschiede der Bildungs- und Gesellschaftssysteme zwischen beiden Ländern besser, s. ALBERS 2002 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 320 Eine wesentliche Bildungsmaxime zur Umgestaltung von Schule ist also das Respektieren des Jugendlichen, letztlich also das Sich-Widerspiegeln der Persönlichke it des Pädagogen im Gegenüber, der sich ebenfalls in seinem Spiegelbild wiedererkennen sollte. Das "Respect me!" des Hip-Hop ist nicht ohne Grund Schlüsselbegriff und berechtigte Forderung von Jugendlichen, die einen grundsätzlichen Mangel an Aufmerksamkeit gerade bei jenen spüren, die vorgeben, sich ihnen professionell zu widmen, und nach Anerkennung verlangen. Bildung setzt einerseits eine Aufmerksamkeit für die Intertextualität der Wirklichkeit voraus, andererseits aber auch eine Aufmerksamkeit, die wir anderen zukommen lassen und von ihnen einfordern. 62 Schule kann ihre demotivierende Struktur nur überwinden, indem sie beides ermöglicht: "Missachtete können weder neugierig noch lernbegeistert sein."63 Verständnisintensives Lernen64 Zentrale pädagogische Aufgabe ist es, die reflexiven Potentiale der Kinder und Jugendlichen zu finden und zu entwickeln. "Es geht heute darum, den Eigensinn der Kinder und Sachen zum Anker in der fließenden Welt der Zeichen zu machen."65 Die konsumierenden bzw. mediatisierten Aneignungsformen heutiger Kinder und Jugendlicher unterscheiden sich grundsätzlich von denen eines klassischen Lernens. Der postmoderne Primat der individualisierten Lebensweltkonstitution als Alltagsästhetisierung gilt gerade auch für Kinder und Jugendliche und konkretisiert sich als eine sich verstärkende Subjektivierung von Welt, die Ausdruck in einer der "Lern- und Sachwelt der Schule"66 fremden Erlebnisrationalität findet.67 Wie oben schon ausgeführt kann Alltagskonstitution zunächst beschrieben werden als Bedeutungskonstitution, als eine dynamische und aktive sinnstiftende und zugleich sinnhafte Rezeption bzw. Konsumption mediatisierter Angebote symbolischen Materials mittels Bedeutungszuweisung. Diese Autonomieerfahrung ist wesentliche Voraussetzung für Identitätsbildung. Der in der traditionellen Schule restriktiv diffamierte Begriff Eigen-Sinn verdeutlicht diese grundsätzliche Leistung des Individuums: "Kinder eignen sich das symbolische Material von Konsumobjekten, Medien und Ereignissen individuell an, indem sie ihnen perspektivisch und innerhalb von Relevanzrahmen subjektive Bedeutung verleihen. Die jeweilige Medienwelt ist einer dieser Relevanzrahmen." 68 Die schulisch übliche Reflexion von Medien reduziert sich auf Formen der inhaltlichen und methodischen Analyse der in ihnen vermittelten Texte. Schon weniger deutlich werden die Medien an sich und ihre Funktion innerhalb der Informationsgesellschaft zum Unterrichtsgegenstand. Obschon wir einer primär vom Fernsehen geprägten Gesellschaft leben, wird dieses Faktum in den Curricula allein mit einem engeren Begriff der Medienkompetenz69 zum Unterrichtsgegenstand. In der heute obligaten pädagogische Profilierung der einzelnen Schulen wie in den kultusministeriellen Beschreibung aktueller Schullandschaft wird diese Tatsache schon so weit einfach vorausgesetzt, dass man sie, ohne dass man sich mit ihr auseinandersetzt, erst gar nicht thematisiert. Eine derartige Konzeption von Medienkompetenz muss durch weitere und andere Formen, die insbesondere die soziale und entwicklungspsychologische Bedeutung der Medien reflektiert, ergänzt werden.70 Notwendig sind deshalb weiter "Angebote [...], die dazu beitragen, Lebenswelten selber zu ordnen und zu gestalten." Schule kann dazu beitragen, indem hier etwa Räume entstehen, wo Kinder und Jugendliche ästhetische Prozesse mittels Medien ausprobieren können, oder eine Rhythmisierung des kindlichen und 62 MÜLLER 2004, 14 63 KAHL 2003 64 EDELSTEIN 2002 65 BACHMAIR 2001, 238 (Hervorhebung durch Autor); 66 BACHMAIR 2001, 239 67 Zur Problematik von Edu- bzw. Infotainment bzw. Formen des Instructional Design und E-Learning in schulischen Zusammenhängen s. STRITTMATER/ NIEGEMANN 2000 68 BACHMAIR 2001, 239 69 Vgl. das Begriffsquadrivium von Medien-Kritik, -Kunde-, Nutzung, -Gestaltung, BAACKE 1997, 34, s. dazu BACHMAIR 2002/03, 19 70 GUDJONS 1999, 206 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 321 jugendlichen Alltags als "ein hervorragendes Gestaltungs- und Ordnungselement"71 als Wechsel verschiedenster Formen von Interaktion organisiert wird. Kinder und Jugendliche sind Objekte ökonomischer und medienpolitischer Überlegungen und drohen aus der Angebotsperspektive der Produzenten von "Kulturinszenierungen"72 nur als solche betrachtet zu werden.73 Verstehen bedeutet demnach auch Widerständigkeit und Bewahrung der subjektiven Dimension von Alltagsästhetisierung. Eine pädagogische Leitfrage ist deshalb notwendigerweise, ob die Kinder und Jugendlichen über den Konsumenten hinaus adressiert werden und welches Bild vom ihnen die Angebote implizieren. Schule muss sich die Möglichkeiten bewahren, ihre Klienten vor den Konsequenzen einer Durchkapitalisierung zu schützen und die Kinder und Jugendlichen auf die Ökonomisierung der Medien und die Folgen für ihre Bedeutungs- und Subjektkonstitution vorzubereiten. Von Seiten des Marktes fehlt es bislang weitgehend an einem das mediale Material im Sinne einer Verstehensförderung begleitenden Angebot für Kinder und Jugendliche. Schule muss sich überlegen, ob sie Kindern und Jugendlichen angesichts die ser Defizite nicht "ästhetische Ordnung und stilistische Orientierung"74 anbieten muss. Dazu gehören zunächst eher grundsätzliche Interaktionskompetenzen zur Bewältigung der entropisch wachsenden Informationsmenge, zur Dekompression der Informationsdichte und zur Differenzierung der laufenden Interaktionsprozesse, aber auch Fähigkeiten zur objektiven Auseinandersetzung mit Semantik und Semiotik wie mit der Ästhetik von Medien und ihren Texten.75 Bei aller Dominanz subjektiver Erlebnisrationalität steht ihr immer "eine Welt der Sachverhalte und Ereignisse"76 gegenüber, die sich nicht oder nur sehr bedingt individuell gestalten lässt, aber trotzdem objektiv die Bedeutungs- und Subjektkonstitution beeinflusst. Die pädagogische Leitfrage lautet demnach auch, wie weit "Kulturinszenierungen" in der Lage sind, diese kontextuelle Realität angemessen darzustellen, ihre Wahrnehmung zuzulassen und sie zu erklären. Vom Erziehungs- zum Dialogparadigma Da eine im Alltag erfolgreiche Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen eigentlich nicht bestritten werden kann, muss eine Pädagogik, die mediatisierter Kommunikation und ihrer Nutzung durch Jugendliche gerecht werden will, sich vom "Entwicklungsparadigma", dem "Adultismus"77, und vom Bild einer überkulturellen, allein anthropologisch endogen verstandenen Menschwerdungsphase lösen, die in das Erwachsensein hineinführt. Kindheit und Jugend müssen neu verstanden werden als aktuell sich wandelnde soziokulturelle Prozesse, in denen Kinder und Jugendliche ihren Lebenszusammenhang mehr und mehr autonom und in der Emanzipation von der Erwachsenenkultur konstituieren. Pubertät und Adoleszenz dürfen nicht mehr einseitig aus der Perspektive der Erwachsenenwelt verstanden werden als Phasen eines Sozialisationsprozesses, sondern stellen eigenständige Kulturen und Lebensformen dar, die wie alle sozialen Lebensformen dem historischen Wandel unterliegen78: "Kinder werden nicht mehr im Verhältnis zu den Erwachsenen allein betrachtet, sondern Kinder sind Inhaber einer eigenständigen Lebensphase. Nicht mehr die Lebenschancen, die Kinder als Erwachsene haben werden, sondern ihre aktuellen Lebenschancen bestimmen die Sicht auf Kindheit. Kinder werden nun als Subjekte ihrer Selbst gesehen." 79 So leicht sich dieser Fokus postulieren lässt, so steht dahinter doch ein grundsätzliches hermeneutisches Problem. Nämlich dass der Versuch, sich auf eine authentische Kinder- und Jugendperspektive einzulassen, stets aus der Perspektive des Erwachsenen geschieht, wodurch dieser Versuch von vorneherein zu scheitern 71 BACHMAIR 2001, 239 72 BACHMAIR 2001, 235 73 BAACKE 1997, 33: "Kommunikations-Disseminatoren"; 74 BACHMAIR 2001, 240 75 BAACKE 1997, 28 76 BACHMAIR 2001, 240 77 ARIÈS 1988, 78 JENKS 1996; HONIG 1999 79 BAACKE 1997, 35 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 322 scheint. Als Lösung bietet es sich an, zunächst methodisch nach dem qualitativen Paradigma vorzugehen, das die konkreten Äußerungen der Kinder und Jugendlichen in den Mittelpunkt der Analyse stellt. Die Kriterien und Kategorien, nach denen die Analyse dann vorgenommen wird, basieren auf denen der Kinder und Jugendlichen, welche diese selbst in der reflexiven Wertung ihres Handelns deutlich werden lassen und artikulieren. Kinder und Jugendliche sind demnach entgegen den Postulaten des traditionellen Erziehungsparadigmas Akteure, die wie Erwachsene offensichtlich über angemessene Kompetenzen verfügen, ihren Alltag und ihre Lebenswelt zu gestalten. Im Zuge der fortgesetzten Individualisierung einer entfalteten Gesellschaft sind Kinder und Jugendliche aufgefordert und zunehmend gezwungen, diese Konstitutionsprozesse weitgehend selbstständig in Angriff zu nehmen und zum Erfolg zu führen. Bei dieser Selbstsozialisation spielen Medien als Vermittler und Archive symbolischer Objektivationen eine wesentliche und entscheidende Rolle. Mit ihnen gelingt den Kindern und Jugendlichen die Aneignung jener Texte, Medien und Ereignisse, die sie benötigen, um Bedeutungen zuzuweisen, Sinnhaftigkeit zu konstituieren und diese wie ihre temporären Identitätsentwürfe als Resultat dieses Prozesses sich und anderen als "persönliche Ereignisarrangements"80 mitzuteilen. Kindheit und Jugend werden nun nicht mehr pädagogisch als Stationen und Zwischenschritte zum Erwachsensein, sondern als eigenständige und aus sich heraus bestimmte wie notwendige Phasen der individuellen Entwicklung verstanden.81 Erziehung kann demnach nicht mehr verstanden werden als linearer, auf das Erwachsensein hin zielender Prozess der Belehrung und Anleitung, sondern das Paradigma Erziehung wird ersetzt durch das Paradigma Dialog, d.h. eine Pädagogik als Begleitung und Unterstützung eines "selbstsozialisatorischen"82 Handelns der Kinder und Jugendlichen auf der Basis einer herrschaftsfreien partizipatorischen Kommunikation und Interaktion zwischen moderierendem Erwachsenen und ästhetisierendem Kind bzw. Jugendlichen. Paradigma-Wechsel in der Medienpädagogik? Anmerkungen zu einer theoretischen Kontroverse Die Medienpädagogik konstatiert einen aktuell sich ereignenden Wechsel in der Pädagogik von einem Erziehungs- zu einem Dialogparadigma als notwendige Folge der durch mediatisierte Kommunikation veränderten und sich weiter verändernden Prozesse der Subjektkonstitution im Sinne einer Selbstsozialisation in einer sich individualisierenden Gesellschaft. Daraus resultiert die Einsicht und das Postulat, dass Pädagogik sich als unterstützende Begleitung weitgehend autonom agierender Individuen und in Konsequenz auch gleichberechtigter oder aufgrund ihrer spezifischen Kompetenzen auch partiell überlegener Jugendlicher zu verstehen hat. Kindheit und Jugend als eigenständige Phasen im Prozess autonomen Handelns und Individuation Kindheit und Jugend sind als eigenständige und gleichwertige Lebensabschnitte zu begreifen, nicht als Übergangsphasen zum Erwachsensein.83 Die aus Aufklärung und Romantik 84 stammende traditionelle Wachstums- und Entwicklungsmetaphorik ("Erziehung") der Pädagogik, die Prozesse der Bedeutungs- und Subjektkonstitution in den Dimensionen von Autorität, Hierarchie und Sozialisation zu begreifen sucht, kann die aktuellen Selbstsozialisationsprozesse von Kindern und Jugendlichen nicht mehr angemessen beschreiben. Ebenso wird der Funktionalismus und Pragmatismus einer Rollentheorie und Rollensozialisation den gesellschaftlichen Veränderungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts, insbesondere der Überschreibung der klassischen horizontalen Schichtengliederung durch vertikale gesellschaftliche Formationen wie Milieus, Szenen etc., im Zuge einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung der Individualisierung nicht mehr gerecht.85 Mediensozialisation Der Übergang der modernen Gesellschaft zur mediatisierten Gesellschaft der Postmoderne verändert nachhaltig die Figurationen von Individuum und Gesellschaft durch die zunehmende Bedeutung der Medien in den Interaktions- und Sozialisationsprozessen. Für BAACKE ist die klassische Sozialisation durch 80 BACHMAIR 2001, 236 81 Zur westeuropäischen Konstruktion von Jugend grundlegend: MITTERAUER 1986 82 BAACKE 1997, 36 83 BAACKE, 1997: s.a. ARIÈS 1988; HENTIG 1988 84 Vgl. dazu originäre Ansätze wie die von Rousseau, Novalis, Herder, Humboldt, Pestalozzi, die jugendliche Subjektkonstitution als Initiation beschreiben; 85 Darstellung sozialer Interaktion einer BRD der 60er Jahre in Schichtenmodellen, BOLTE 1974, 1984, 1990; DAHRENDORF 1977 (1959) 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 323 Erziehungsinstanzen und -institutionen inzwischen abgelöst durch eine sog. Mediensozialisation, welche die Kinder und Jugendlichen eigenständig anhand von Skripts durchführen, welche ihnen die Medien per se und die dort vermittelten symbolischen Materialen nahe legten. 86 KÜBLER dagegen verweist darauf, dass in der theoretischen Auseinandersetzung die Bedeutung der Medien bei den Prozessen der Identitätsbildung häufig im Sinne einer notwendigen Akzentuierung bewusst dominanter und totaler dargestellt werde als sie in der Realität vorhanden sei. In der Regel hätten Kinder und Jugendliche neben den klassischen Erziehungsinstanzen wie Eltern und Peer Group zwar auch mit Sozialisationsagenturen wie Massenmedien zu tun, jedoch weniger mit mediatisierter Kommunikation, deren Anteil allerdings zunehme. Die Bedeutung traditioneller Sozialisationsinstitutionen spiegele sich auch in der Reflexion der Kinder und Jugendlichen selbst, wo persönliche Beziehungen zu Freunden und zur Familie wie Erfolg in Schule und Beruf in ihrer Bedeutung weit vor medialen Bezugsgrößen wie Konsumgütern und Freizeitaktivitäten rangieren.87 Wenige Spezialkulturen88 aus dem Bereich mediatisierter Kommunikation erfüllten bislang Kriterien, die den Begriff einer Mediensozialisation rechtfertigen könnten. Dagegen betont BACHMAIR in seinen Untersuchung zur bundesdeutschen TV-Kultur gerade die Funktion des klassischen Fernsehens als dominantes Medium in familialen Interaktionsstrukturen und dessen Bedeutung bei der dort verorteten Sozialisation. Auch in den Familien scheinen sich Änderungen und Trends zu einer mediatisierten Kommunikation abzuzeichnen.89 Zur Bedeutung der Medien bei der Subjektkonstitution Aus dem Diskurs kann man folgern, dass Pädagogik mehr denn je eine Medienpädagogik im eigentlichen Sinn ist, da die Subjektkonstitution primär über medial vermittelte symbolische Objektivationen verläuft.90 Zwar wird dieser Prozess im Augenblick noch dominant von klassischen Massenmedien wie Rundfunk und Fernsehen geprägt, doch zeichnen sich gewichtige Veränderungen ab, die insbesondere auf die Aufhebung von Distanzkommunikation in den Massenmedien zielen. Derartige Veränderungen der Medien – wie sie sich in sog. interaktiven Multimedia -Produktionen andeuten und teilweise auch schon etabliert haben – können diesen Prozess entscheidend beeinflussen und die Bedeutung von Medien für jugendliche Subjektkonstitution weiter verstärken. Pädagogik muss den Prozess der Aneignung und Entäußerung auch auf der Relationsebene Subjekt - Objekt und Subjekt - Handlungssituation thematisieren. Den Objekten, besonders ihren konsumptiven Formen, kommt wie den Handlungssituationen (Erlebnisse) im Zusammenhang mit der Subjektkonstitution als Material der Bedeutungskonstitution entscheidende Bedeutung zu. 91 Beides wird in zunehmenden Maße durch Medien vermittelt und ergänzt Texte und Materialien der Primärerfahrung. Medien kommunalisieren weiter die Subjektkonstitutionsprozesse der Individuen in einer sich ständig ausdifferenzierenden Gesellschaft. Ihre Aneignungs- und Verarbeitungsformen werden zu Elementen einer gruppenspezifischen Alltagsästhetik und ihrer distinktiven Stilsprache. Sie vermitteln die Skripts, nach denen die Menschen ihrer Wirklichkeit gestalten, wie die sie bewegenden handlungsleitenden Themen, an die sie diese Gestaltung anschließen. Gegenstand von Pädagogik wird damit die individuelle Wahrnehmung, Aneignung und Nutzung von Medien, Texten und Ereignissen in ihren situativen Kontexten. "Nicht mehr die Fetische Inhalt und Wirkung und ihre isolierte Betrachtung bilden mithin den paradigmatischen Fokus unserer Jugend- und Medienforschungen, sondern der Rezeptionsvorgang und die Analyse der in ihm vollzogenen Prozesse voll Interpretation, Sinngebung und Konstruktion der Realität."92 86 HENGST 1997, 2002 87 RESEARCH & MEDIA MARKETING 2004, 14-16 88 VOGELGESANG 1991 89 BACHMAIR 1996 90 Zum aktuellen Forschungsparadigma der Medienpädagogik vgl. HENGST 2003 91 HUND 1976, BAACKE 1997 92 VOGELGESANG 2000, 152-153 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 324 6.3 Förderung von Individuation und Gestaltungskompetenzen durch eine individualisierte Lernkultur 6.3.1 Bereitstellung von geschützten und moderierten Kontexten (Räumen) für Formen jugendlicher Individuationsprozesse Rückzugsraum Schule Schule wird von den Jugendlichen selbst weiterhin als ein immer noch wesentlicher und zugleich sinnvoller räumlicher Kontext von sozialer Interaktion, Kompetenzerwerb und Bedeutungs- und Identitätskonstitution angesehen.93 Es ergibt sich daraus eine von Schülern, Pädagogen und Eltern an die Schule herangetragene tragfähige und für alle Seiten akzeptable Konzeption eines in ihren Interessen gestalteten und auch geschützten Areals, einer Enklave, als Basis einer grundsätzlich partizipatorisch und konstruktivistisch konzipierten Pädagogik. Gedacht ist dabei allerdings nicht an einen "Rückzugsraum" im Sinne einer pädagogischen Provinz, in der als schädigend empfundene Realitätsaspekte weitgehend ausgeblendet werden. Es geht vielmehr darum, aktuelle gesellschaftliche Prozesse in die Schule kontrolliert einfließen zu lassen, um Jugendlichen die Möglichkeit eines gestaltenden und reflexiven Umgangs mit ihnen im Sinne einer "bergenden Humanität"94 zu ermöglichen. Allerdings mögen dabei bewahr- oder kompensationspädagogische Intentionen durchaus bei der Umsetzung des Konzeptes in den Überlegungen von Eltern und Pädagogen mitschwingen. Für die Praktikabilität und Akzeptanz eines derartigen geschützten Bereichs sprechen eine Reihe von Überlegungen: Die hohe emotional-affektive Bindung der Kinder und Jugendlichen an den Lebensraum Schule und dessen Integration in ihre Alltagsgestaltung: Schule ist – jenseits von Erziehung und Bildung – ein Ort sozialer Interaktion und wesentlicher Bestandteil des jugendlichen Alltags.95 Gerade männliche Jugendliche genießen offensichtlich die sich aus ihren Peer Groups ergebende Stabilisierung von Alltag und Lebenswelt, die sich an der Schule etablieren und dort im wesentlichen agieren. Derartige Räume stellen offensichtlich "Enklaven" dar, die regenerative Funktion haben.96 Dafür spricht weiter die latente, im normalen Schulalltag spürbare und gerade in Konflikt- und Krisenfällen oft auch explizit geäußerte Forderung der Kinder und Jugendlichen an die Schule, die dortigen sozialen Räume und ihre sie von der Alltagswirklichkeit separierenden Institutionen unbedingt aufrecht zu erhalten, auch wenn man sich vordergründig nur sehr bedingt mit Schule solidarisiert. Eine grundsätzliche Bereitschaft der Pädagogen, sich in diesen Räumen an dem ergebnisoffenen Projekt der Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen zu beteiligen, kann angesichts einer weit verbreiteten Kultur der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise nicht in Abrede gestellt werden. Die Bereitschaft der Eltern, Jugendliche in diesen geschützten Räume zu belassen, kann positiv als Einsicht in die dort als wesentlich optimaler betrachteten Bedingungen von Erziehung und Bildung wie als Einwilligung in einen sukzessiven Prozess der Emanzipation betrachtet werden. Das im Zuge der Diskussion um notwendige Konsequenzen aus der PISA-Studie entwickelte Konzept eines flächendeckenden Angebots an Ganztagsschulen weist in eben diese Richtung.97 Kontraproduktiv wirkt allerdings die weiterhin manifeste und evidente Zuweisung einer reinen Wissensvermittlungs- und Dienstleistungsfunktion als zentrale Beschreibung von Schule durch Schüler, Lehrer und Eltern. In der Praxis verweigern gerade Eltern und Pädagogen den Jugendlichen häufig, den Alltagsraum Schule nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Auf der anderen Seite glauben manchmal Kinder und 93 APPENDIZES/ Interviews/ Interview 2003-03-19 HA, 74-76; Interview 2004-02-09 AM, 61, 91 94 BAACKE 1997, 33 95 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.5-7; 1.5-27; 1.5-32; 1.6.-11; 1.6.-15; 1.6-24 96 SAUERWEIN-WEBER 2004, BERGER/ LUCKMANN 2001, 28-29 97 http://www.ganztagsschulen.org/ [2004-09-30]; BUHLMAN 2003 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 325 Jugendliche die Dominanz funktionaler Kategorien an Schule offen legen zu können, indem sie sich Gestaltungsmöglichkeiten verweigern, die als Camouflage empfunden werden. Grundsätzlich aber entwickeln Kinder und Jugendliche im Umgang mit Schule eine Reihe von pragmatischen Nutzungsformen, mit denen sie erfolgreich Schule als Raum in ihren Alltag integrieren. Ihr Erfolg besteht insbesondere darin, schulische Räume mittels medialer Freizeitangebote wie etwa Fantasy-Rollenspiele zu Kontexten weitgehend autonomer wie autotelischer Interaktion und ihres Gesamtprogramms von Identitätsbildung zu machen. Wie kann Schule diesen Raum weiter für Jugendliche optimieren? Räume spielen bei den alltäglichen Medien, Text- und Ereignis-Arrangements der Jugendlichen eine besondere Rolle, wie bei der Beschreibung der Nutzungsformen gezeigt werden konnte. Dabei kommt es weniger auf eine bestimmte Ausgestaltung der Räume als vielmehr auf die in ihnen verdichteten Potentiale an– die Räume der FRPG-Spieler sind in den meisten Fällen sachlich nüchtern, die Street-Sport-Szene98 kennt individuell gestaltete Räume erst gar nicht, auch wenn man sich diese Räume zurückerobert. Es genügt offensichtlich die Integration in das gestaltende Handeln der Kinder und Jugendlichen, um einen adäquaten Raum zu begründen. Dazu aber muss dieser Raum trotz latent heteronomer Struktur weitgehend autonom gestaltbar scheinen bzw. sein. Aufgabe der Pädagogik und der Erziehungsinstitutionen war es schon immer und wird weiter sein, 'behütete' Freiräume für die Subjektkonstitution der Kinder und Jugendlichen und ihre Selbstsozialisationsprozesse anzubieten. Dies kann Schule einmal strukturell leisten, ihre Chance liegt im Angebot eines gerade nicht utilitaristisch geprägten, vorstrukturierten Erfahrungsraumes ohne "Durchkapitalisierung"99, zum anderen kann Schule aber auch inhaltlich Imaginationsräume anbieten. Raum als Struktur Unbestritten sind schulische Räume heute noch weitgehend von gesellschaftlichen Phänomenen wie etwa Mediatisierung, Ökonomisierung und Globalisierung nur wenig berührt und stellen geschützte Bereiche dar. Zwar sind auch diese Räume in die utilitaristische Zweckrationalität von Marktwirtschaft eingebunden, wie die Orientierung des gesellschaftlichen Diskurses über die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Schulsystems an ökonomischen Kriterien zeigt.100 Dennoch scheint Schule immer noch als Reservat, als geschützter Bereich gesehen zu werden, in dem statt des Surrogats arbiträrer Entscheidung innerhalb eines ökonomisch vorgegebenen Designs von Optionen ein autonomes Handeln möglich ist. Schule bleibt ein Raum personaler Interaktion und bildet damit auch eine Alternative zum aktuellen Trend einer mediatisierten Kommunikation. 101 Dies ermöglicht gerade im Bereich der Mediennutzung und der Ausbildung von Medien-, Text- und Ereignis- Arrangements eine ansonsten angesichts der Dominanz des Erlebnismarktes kaum noch herstellbare neutrale Kontextualität für Versuche jugendlicher Bedeutungs- und Subjektkonstitution. Jugendliche können hier ohne Risiken102 im gegenseitigen Diskurs ihre Wirklichkeitsentwürfe präsentieren und testen. Im Zusammenhang mit der Betrachtung mediatisierter Kommunikation verweist BAACKE auf die zunehmende Komplexität und Reversibilität von Entscheidungsprozessen des Individuums, was zu dessen Verunsicherung führe. Eine Belastung sieht er weiter im Problem "unerledigter Information" und nicht abgeschlossener Interaktion. Während die unkontrollierte Zunahme an Informationen gewissermaßen als Müll den Zugang zu Informationen wie deren Verbreitungsgeschwindigkeit hemmen kann und die Ausformung spezifischer Auswahlkompetenzen bei den Rezipienten notwendig macht, führen Intensität und Dichte zur Belastung von Interaktion. Interaktionsabbrüche werden Frustrationen bei den Interakteuren hervorrufen, auf die man Kinder und Jugendliche vorzubereiten und in der Praxis zu begleiten hat. In diesen Zusammenhang gehört auch das Problem der "Überfremdung und deren Nichtbewältigung". Selbst lang geübte und gesicherte 98 SCHWIER 1997, 90 99 BAACKE 1997, 29 100 BAACKE 1997, 28; OECD 2004 101 BAACKE 1997, 28; BAACKE fordert in diesem Zusammenhang die Einführung einer "Ch arta der Kommunikationsethik", BAACKE 1997, 33 102 Als Risiken benennt BAACKE z.B. die Multioptionalität des Erlebnismarktes, die Virtualisierung sozialer und interaktiver Wahrnehmung und Erfahrung, die Entropie der Informationen, die Dekulturation im Zuge einer Globalisierung, s. BAACKE 1997, 29-32 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 326 Interaktionsprozesse können dadurch noch gestört und beendet werden. Die Offenheit medienkommunikativer Interaktion kann damit konträr auch zu Irritationen, zu Abwehr- und Rückzugshandlungen führen: "Der Kommunikationsmodus des Abbruchs, ja der Umkehrung (von prinzipieller Offenheit zu aggressivem Sich-Abschließen) ist jederzeit denkbar und kommt auch vor." 103 Als Raum kann Schule Heimat bieten, gerade auch weil dieser Raum seinen Bewohnern die Chance gibt, nicht den utilitaristischen Kriterien des Marktes und dessen Reduktion von Werten auf Kategorien wie Funktionalität, Effizienz, Rentabilität unterworfen zu sein. Der Reduktion von Interaktion auf Funktionszusammenhänge kann hier mittels einer Werteerziehung begegnet werden. Grundsätzlich gilt es, kindliche und jugendliche Interaktion gerade in den neuen Medien zu ethisieren, d.h. sich auch gegen einen ausschließlich funktional gefassten Begriff von Medienkompetenz zu wenden. 104 ZULEHNER erwähnt bei der Darstellung der Ent- und Re-Institutionalisierung eine "Ich-Schwäche" vieler Kinder und Jugendlicher und stellt die Frage, ob die Möglichkeiten von autonomer Selbstbestimmung nicht deren Fähigkeiten übersteigt.105 In der Adaption von Möglichkeiten und Fähigkeiten könnte Schule Legitimierung erwerben und erfahren. Schüle r präferieren angesichts der chaotisch empfunden Informationsfülle eine selektierende Auswahl wie Vorstrukturierung von Texten und begreifen sie als eine wesentliche und positive Leistung von Institutionen wie Schule, die es ihnen ermöglicht, in einer angemessenen Weise herausgefordert zu werden und eine reelle Chance auf eine als befriedigend empfundene Auseinandersetzung zu haben. Diese Form der Selektion koinzidiert allerdings nur bedingt mit der Aufforderung an politische Institutionen von Seiten der Erwachsenen, einen ordnungspolitischen Rahmen zu schaffen.106 Bemühungen einer prohibitiven Selektion von Texten sind unter den Bedingungen individualisierten Lernens innerhalb der Informationsgesellschaft nur dann erfolgreich, wenn das Individuum selbst mitbestimmt, wie die Beschränkungen aussehen, also nach welchen Kriterien und in welchen Modi der Zugang zu Informationen bzw. die Selektion von Informationen erfolgen soll. Im Gegensatz zu anderen Räumen stellt Schule mit ihren kontrollierten Zugangsmöglichkeiten zu Texten als Katalog bzw. Archiv symbolischer Objektivationen eine eher konsensuelle Einrichtung dar, in der dieser Vorgang partizipatorisch etwa in einer Konvention107 organisiert werden kann. Eine wesentliche Eigenschaft des "behüteten Freiraums" ist gerade die im Konsens entwickelte partielle Aufhebung einer ansonsten üblichen Reversibilität als eine wesentliche Vorbedingung eines spezifischen Lernens. Auf der anderen Seite ermöglicht Schule auch eine Aus- und Weiterbildung der ästhetischen und ethischen Kompetenzen in exemplarischen Kontexten, welche die Schüler befähigen, auch außerhalb des geschützten Raumes bei ihrer alltäglichen Mediennutzung mittels qualitativer Kriterien eine sinnvolle und sinnstiftende Auswahl unter medial transferierten Texten vorzunehmen, die sie zu ihrer Identitätsbildung heranziehen.108 Eine besondere Bedeutung bei der Gestaltung eines jugendlicher Subjektkonstitution angemessenen Kontextes kommt den Zeitstrukturen zu, in denen die Identitätsfindungsprozesse der Jugendlichen wie der pädagogische Dialog stattfinden. Zeit zählt zu den wesentlichsten Kriterien und Faktoren der ökonomischen Produktionslogik und stellt eines der großen Einfalltore dar, über die diese in die Lebenswelt der Menschen und Jugendlichen eindringt.109 Die räumlichen Kontexte der Schule ermöglichen für die Jugendlichen die Erfahrung einer "Entschleunigung", der Retardation und konkret die Vermeidung der zeitgenössischen "Beschleunigungsfalle"110: Ziel pädagogischer Anstrengung muss also auch sein, dass Kinder und Jugendliche darin gefördert werden, alternative Zeitstrukturen zu entwickeln und der heteronomen Dynamik von Markt und 103 BAACKE 1997, 31 104 BAACKE 1997, 29-32 105 ZULEHNER 1998 106 Die Unterstützung der Eltern für das Notebook-Projekt der Schule beruht u.a. auch auf ihrer Hoffnung, auf diese Weise eine kontrollierte Nutzung von PC und Internet bei den Jugendlichen zu initiieren, typisch das Verhalten eines Vaters (Ingenieur), der den Internetzugang zu Hause ablehnt, ihn in der Schule aber massiv unterstützt; 107 Üblich sind vertragliche Übereinkünfte zwischen Schülern, Eltern und Schule über die Nutzung von Netzwerk und Internet, z.B. am Evangelisch Stiftischen Gymnasium in Gütersloh (http://www.ev-stift -gymn.guetersloh.de/medienprojekt/verpflichtung.html [=2003-05-06] 108 BACHMAIR 2001, 239 109 DEUTSCHE BISCHOFSKONFERENZ 2001; BLUMENBERG 1986: "Der Komplex gesundheitlicher Musszeiten zur Erwerbung von Kannzeit wächst an."; VIRILIO 1995 110 Nicole TRUCKENBRODT von der Unternehmensberatung TWIST, Expertin für Time-Management, im Interview mit Friederike Stüben, STÜBEN. 2001; vgl. dazu weiter: HENTIG 1988, 42-43: "Hierzu gehört vor allem: Zeit haben – Zeit der Tätigen für die Lernenden, Zeit der Eltern für die Kinder, Zeit für das Unfertige, nicht unmittelbar Produktive, nicht Terminierte oder Berechenbare." 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 327 Medien einen eigen Pulsschlag gegenüberstellen. Gerade in den kommunalisierten Fiktionen der Jugendlichen werden alternative Zeitstrukturen erfahrbar wie Akzeleration, Retardation und Delation, Retrospektive, Antizipation, eine die Ausdifferenzierung eines inneren und äußeren Zeitempfindens.111 Die ordnungspolitische Strukturierung der schulischen Freiräume bedarf notwendigerweise einer auf Konsens beruhenden Legitimation durch die an ihnen partizipierenden Mitglieder und wird damit zum Gegenstand eines schulinternen Diskurses über politische Partizipation. Schulen verweisen in der Regel zwar zurecht auf die Notwendigkeit einer Legitimation durch das normativ Faktische, das sich in den Bestimmungen einer Hausordnung niederschlägt, das allerdings rechtfertigt nicht per se die Verweigerung jedweden Dialogs über das, was erlaubt und unerlaubt sein soll. Dabei kann oft unschwer beiden Seiten mit flexiblen, an der Realität sich orientierenden Lösungen Rechnung getragen werden, bei denen z.B. als Stillarbeitszonen eingerichtete Schulbereiche vorübergehend für eine andere Nutzung geöffnet werden, wenn der ursprüngliche Bedarf nicht mehr besteht. Die frühe Einbindung der Kinder und Jugendlichen in diese Entscheidungsprozesse ist wesentliche Voraussetzung für die spätere Akzeptanz des getroffenen Konsens. Nicht immer ist es einfach, den pädagogischen Überlegungen vor materiellen und organisatorischen Bedenken den Vorzug zu geben bzw. sie durchzusetzen. 112 Offenheit bedeutet auch Angebot. Die "behüteten" schulische Freiräume treffen wie andere symbolische Objektivationen aus dem Alltag der Jugendlichen letztlich auf deren an Marktgesetzen entwickelten konsumptiven Nutzungsformen, das sich an Option orientiert. Die zunehmende Ausweitung des Angebots führt zur Zunahme der Optionsmöglichkeiten, die ihre Entscheidungen als latent-permanent reversibel und korrekturfähig erleben. In diesem Sinne konkurriert das Raumangebot der Schule mit dem gesamten materiellen und immateriellen Textangebot, das Kinder und Jugendlichen heute zur Verfügung steht, und ist gezwungen, im Eingehen auf den Konsumenten und dessen Bedürfnisse dessen Option zu erreichen. So wünschenswert eine Verstetigung dieser Option aus pädagogischer Sicht auch ist, sie muss gegenüber einer attraktiven Konkurrenz erreicht und gesichert werden, was nicht immer gelingt und vielleicht auch nicht immer sinnvoll ist. 113 Schule stellt neben konkreten Räumen auch weitere geschützte Bereiche bereit wie etwa Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise und deren liminalen114 Räume von Aufgaben, Themen, Wettbewerben, die sich in virtuellen Labyrinthen und Netzen entwickeln und zu Besuch und Erforschung verleiten. Hier gelingt es immer wieder, Kinder und Jugendliche für Inhalte, Themen und Probleme zu faszinieren und ihnen imaginative Räume anzubieten, die zur Transition einladen und immersive Wirkung ausüben. Die Akzeptanz dieser Räume beruht u.a. auf ihrer Ähnlichkeit zu denen, welche die Kinder und Jugendlichen in ihrem Alltag mittels kommunalisieren Fiktionen schaffen und die vergleichbare Erlebnisse versprechen. Schule neigt allerdings dazu, diese Räume oft allzu schnell wieder zu schließen, anstatt zur Ausfahrt zu provozieren und auf die Rückkehr des Jugendlichen zu warten, oder ist sich der immersiven Wirkung ihrer liminalen Objekte nicht sicher bzw. beraubt sie oft auch unbewusst dieser wesentlichen Eigenschaft. Raum als soziales Phänomen Die imaginativen Räume, die Schule entwickeln und bereitstellen kann, können aber nur dann erfolgreich sein und Akzeptanz finden, wenn sie sich an die Bedeutungs- und Subjektkonstitution der Kinder und Jugendlichen anschließen lassen, die wesentliche Elemente dieses Prozesses in außerschulischen Kontexten finden. Auf Schule wirkt dabei eine aktuelle Entwicklung zurück, die zur Verkürzung und absehbaren Auflösung von Kindheit 115 wie zur "Entgrenzung" von Jugend116 führt, indem das "kulturelle Feld der Individualität setzenden Konsumgesellschaft" heute schon für Kinder beim Übergang in die weiterführende Schule die wesentlichen 111 MURRAY 1997, 125 112 Als problematisch bzw. hochsensibel gilt z.B. die Vergabe von Raumschlüsseln an Schüler, der Zugang zu hochwertigen Materialien und Geräten etc., allerdings steht dem die Erfahrung gegenüber, dass mit der Bedeutung der übertragenen Verantwortung auch die Sorgfalt der Jugendlichen wächst, was auch kritische Hausmeister bei einiger Übung akzeptieren lernen; 113 Schulische Räume besitzen bei allen Anstrengungen doch oft auch nur einen funktionalen Charme für die Jugendlichen, wie etwa PC-Räume mit installierter Vernetzung; problematisch ist andererseits etwa die Durchführung von LAN-Partys in schulischen Räumen, bei denen indizierte oder vom Alter her restringierte Ego-Shooter wie "Counter-Strike" oder "Doom III" gespielt werden sollen, auch wenn dies immer wieder gewünscht wird und die in der Regel negative Entscheidung zur Nagelprobe schulischer Partizipation von den Jugendlichen stilisiert wird; 114 MURRAY 1997 115 Zur Historizität von Kindheit, ARIÈS 1988 116 Inkonsistenzproblematik, SCHULZE 1996, 382-386; HENGST 2003; BUCKINGHAM 2003 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 328 Orientierungen liefert. Manifest wird diese Initiationsstufe im Wechsel der Schultaschentypen vom klassischen Ranzen mit seinen kindlichen Bildmotiven ("Scout") zum Daypack ("Eastpak ", "4You").117 "Heute zeigt sich deutlich, dass sich Kinder nach dem Grundschulalter an den Formen, auch an den Medien, des Jugendlebens orientieren und sich diese Foren aneignen, nicht zuletzt mit den dafür typischen Medien." 118 Kinder und Jugendliche greifen dabei über die Medien und in den Medien in der makrosoziologischen Dimension auf ein Angebot an symbolischen Materialien von "Kulturinszenierungen" zu, das sie dazu verwenden, sich und anderen ihre Bedeutungs- und Subjektkonstitution mittels "persönlicher Ereignisarrangements" inszenierend mitzuteilen.119 In der Pragmatik der Alltagsästhetisierung stellen beide "Kulturinszenierungen" und "persönliche Arrangements" wie selbstverständlich genutzte "soziale Räume"120 dar, die Problematik besteht für Kinder und Jugendliche darin, sie trotz des Fehlens traditioneller kultureller Kontextualisierung reflexiv auch in ihre Lebenswelt zu integrieren. Die Unangemessenheit traditioneller kultureller Kontextualisierung aktueller Phänomene der Identitätsentwicklung und Alltagsästhetisierung ist Resultat eines Prozesses fortschreitender Dekontextualisierung, der in einer permissiven und ausdifferenzierten Gesellschaft eine Verortung innerhalb eines dominanten Diskurses nicht mehr zulässt. Individualisierung erweist sich dadurch als ein Projekt einer vom Individuum zu leistenden umfassender Rekontextualisierung, mit der transzendierende Sinnstiftung wie Vergesellschaftung einhergehen. Kinder und Jugendliche betreiben deshalb mehr und mehr eine "Sozialisation in eigener Regie"121. Ein derartiger Prozess von Individuation bedeutet bezogen auf die Vergesellschaftung eine Neudefinition von Integration und Distinktion, die nun in die Verantwortung des Individuums fällt und von ihm generiert werden muss. Die Unangemessenheit sozial-verbindlicher traditioneller und universeller Entscheidungskriterien wie von Werten, Normen und Orientierungen kompensieren Kinder und Jugendliche mittels einer sich verabsolutierenden "Perspektive der Alltagserfahrungen und Alltagsbewältigung", die auf medial vermittelten Human Interests basiert, die sich u.a. in der individuellen Adaption der mit dem symbolischen Material verbundenen Skripts konkretisiert. Auf der pragmatischen Ebene zeigt sich die Identitätsentwicklung und Alltagsästhetisierung der Kinder und Jugendlichen zwar erfolgreich, problematisch erweist sich allerdings ihr Bemühen, aus diesen individuellen Erfahrungen einer Alltagsbewältigung universellere Alltagswerte zu entwickeln, die eine Transzendierung des Alltags zulassen.122 Dies gelingt schließlich über eine konsequente Individualisierung der Realitätswahrnehmung mittels einer ausschließlichen Orientierung am Erlebnis im Sinne einer "Erlebnisrationalität"123. "Erlebnisorientierung heißt, Gesellschaft subjektiv wahrzunehmen und auch als subjektive Welt aufzubauen."124 Die medial gestalteten und vermittelten "Kulturinszenierungen" als makrosoziologische Angebotsphänomene 125 liefern dazu den Individuen Handlungsanweisungen, "Skripts", die in deren "persönliche Ereignisarrangements" einfließen. Dabei korreliert die zunehmende Mediatisierung dieser Prozesse mit einer Akzentuierung und Wendung zu sensitiv-haptischen und sozial-affektiven Erfahrung von Erlebnissen. Es entsteht eine antithetische Interdependenz virtuell vermitteltem und sensitiv erfahrenem Erlebnis. Sozialer Raum dieser sensitiven Erfahrung sind noch die Familie und immer mehr die Gruppe der Peers und die konkrete Interaktion mit deren Mitgliedern, sozialer Raum der virtuellen Erfahrung sind Szenen, Subkulturen, Milieus etc.:126 117 Inzwischen gleichen sich die Schultaschen der Grundschüler mehr und mehr denen in den weiterführenden Schulen an, etwa durch ein Rucksack- Design, vgl. "Scout Easy "bzw. "Scout I und II" (http://www.der-echte-scout.de/ [2004-09-30]; 118 BACHMAIR 2001, 235 119 BACHMAIR 2001, 235 120 BACHMAIR 2001, 235 121 HENGST 1992, 22 122 BACHMAIR verweist auf Talkshows, wo die alltägliche Banalität zur Agens gesellschaftliche Diskurse werde. Vgl. dazu: SCHIEDER 1998 123 SCHULZE 1996, 40-42 124 BACHMAIR 2001, 236 125 SCHULZE 1996, 443-450 126 Zur Bedeutung der Peers s. RESEARCH & MEDIA MARKETING 2004, 14-16 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 329 "Damit bekommt der Alltag als die vorrangige Wirklichkeit des heutigen Lebens mit der körperlichen Erfahrung seinen zweiten Brennpunkt neben dem Brennpunkt des Virtuellen. Dies ist einer der Gründe, warum Szenen und deren Stile die Familie und die Peers als sozialen Bezugsrahmen ergänzen." 127 Die Präzision und Totalität von Virtualität der mediatisierten "Kulturinszenierungen" kann Schule schon angesichts der Begrenztheit ihrer Ressourcen nicht erreichen und wäre auch aus pädagogischer Perspektive wohl wenig erfolgreich als ein Versuch, Alltagsbereiche der Kinder und Jugendlichen zu kolonisieren. Andererseits kann Schule aber durchaus andere Aspekte des sozialen Raumes trotz der begrenzten Mittel in einer zureichenden Intensität realisieren. Dazu bietet sich es zunächst an, im Trend zu einer sensitiv-haptischen wie sozial-affektiven Erfahrung von Erlebnissen die vielfach vorhandenen dyadischer Beziehungen der Kinder und Jugendlichen zu einem sozialen Raum zu aggregieren, wie es bislang schon in den vielfältigen Arbeitsgemeinschaften geschieht. Ist Schule bereit, die Formation solcher Einheiten personaler Interaktion weniger formell und institutionell als bisher und damit offener zu ermöglichen und diese Prozesse angemessen, d.h. aus der Ziel- und Funktionsorientie rung der Kinder und Jugendlichen zu moderieren, kann sie ihre Attraktivität in diesem Bereich durchaus weiter steigern. Die dabei entstehenden Gruppen von Peers stellen dann temporäre, sich an gemeinsamen Zielen orientierende funktionale soziale Einheiten dar, die dem Individuum eine weitgehend selbstkontrollierte Nähe wie Distanz zu den Mitgliedern der Gruppe wie zum Interaktionsprozess und zum fokussierenden Thema ermöglichen. Fokus dieser Gruppe ist die gemeinsame Interaktion in einem kollektiv entwickelten und sich entwickelnden Projekt, das zum Erfolg führen, genauso gut aber auch scheitern mag. Aufgabe von Schule ist es, die dazu notwendigen kontextuellen Bedingungen zunächst zu schaffen und zu optimieren. Dazu zählt primär die Berücksichtigung von Kriterien in der Supervision der Gruppen und ihrer Moderation, welche Flow-Erlebnisse ermöglichen und auf Flow-Erfahrung und ein autotelisches Handeln abheben. Schule stellt in diesem Zusammenhang zunächst einen notwendigen geschützten Raum dar, in dem durch den Ausschluss irritativer Kontexteinflüsse Flow überhaupt erst möglich werden kann. Angesichts des zunehmenden Bedeutungsverlustes von Familie und der damit korrelierenden wachsenden Bedeutung der Peer Groups für die Selbstsozialisation der Kinder und Jugendlichen, fungieren letztere mittlerweile als ein qualitativ gleichwertiges Substitut, das institutionell Flow-Erfahrung vermitteln kann und ein innerhalb bestimmter Kontexte selbst von den Kindern und Jugendlichen gestaltbares moratoratives Propädeutikum darstellt. Dabei stellen diese sozialen Entitäten nicht allein Kontext dar, sondern werden in ihrer interaktiven Komplexität und Gestaltbarkeit selbst zum Gegenstand von Flow-orientiertem Handeln. "The family seems to act as a protective environment (Hervorhebung durch den Autor) where a child can experiment in relative security, without having to be self-conscious and worry about being defensive or competitive. [...]It could be argued, in fact, that the more complex the adult world in which they have to find a place, the longer a period of dependence an adolescent needs in order to prepare for it. Of course this "social neoteny" only works if the family is a relatively complex unit that provides stimulation as well as support."128 Obwohl die sozialen Räume, die an Schule entstehen können, mit der Professionalität medialer "Kulturinszenierungen" nicht wirklich mithalten können, ermöglichen sie in den in ihnen gestaltbaren kollektiven Fiktionen Handlungsmöglichkeiten, die vielfach jene des ökonomisierten Angebots an Interaktionspotentialen übertreffen. Ohne großen Aufwand und nur in einer sich ergänzenden und fördernder Interaktion der Mitglieder der Gruppe können hier die Kinder und Jugendlichen sich die den sozialen Raum fokussierenden fiktionalen Räume schaffen, deren Wirkung auf einer selbst initiierten und produzierten Intensität beruht, die Folge qualitativer Einflussnahme auf verschiedenen, sich steigernden Niveaus ist. Die Kinder und Jugendlichen schaffen sich dabei auf einer ersten Stufe Möglichkeiten der Teilnahme, welche insbesondere elektronische Medien sich immer noch mehr oder weniger erfolgreich zu kopieren suchen, wie die Navigation in begrenzten und unbegrenzten fiktionalen Welten und ihren imaginativen Räumen. Aus der Navigation in diesen Räumen erwachsenen Problemstellungen, die auf einer zweiten Stufe von Intensität und Interaktion heuristische Prozesse verlangen, und schließlich können die Kinder und Jugendlichen auf einer letzten Stufe unbegrenzt Metamorphosen dieser fiktionalen Räume schaffen. Dies geschieht in Interdependenz zu ihren Erfahrungen im Umgang mit einem mediatisierten Angebot und seiner Konkretisierung als "Kulturinszenierungen" in ihrem Alltag und den dabei von ihnen gewonnenen Kompetenzen. Umgekehrt 127 BACHMAIR 2001, 236 128 CSIKSZENTMIHALYI 1997, 122-123 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 330 befruchten auch ihre Erfahrungen aus den kollektiven Fiktionen und die dort erworbenen Fähigkeiten positiv ihre Alltagsästhetisierung. Die an Schule verorteten sozialen Räume erhalten somit eine weitere Komponente von Anschließbarkeit an die Prozesse jugendlicher Bedeutungs- und Subjektkonstitution. Zwischen Alltag und Schule entsteht damit dritter Bereich, der als Übergang einerseits strukturierende Elemente von Schule ausweist, andererseits aber auch schon die Offenheit jugendlicher Alltagsästhetisierung aufweist. Konkrete Chancen einer Realisierung ergeben sich insbesondere aus den bundesweit angedachten Überlegungen zu einer Ganztagsschule, die mehr als nur eine Aufbewahrungsfunktion wahrnehmen soll. 6.3.2 Lernen mit Medien Medien, jugendlicher Alltag, Schule Medien an der Schule, das sind zunächst einmal die von den Jugendlichen aus ihrem Alltag in die Schule mitgebrachten Geräte. Ihre Zahl ist Legion. Ein großer Teil dieser Medien dient zum Transport und zur Rezeption von Musik als universaler symbolischer Sprache jugendlichen Alltags mit ihren komplexen immanenten Texten, die sich bis in das Erscheinungsbild der Kinder und Jugendlichen erstrecken (Walkmen, CD-Player, MP3-Player, MD-Player, Crossovers wie Handys mit Radio oder MP3-Player, Memory-Sticks mit MP3-Player). und deren Besitz unübersehbar unauffälliges Indiz von Identitätsentwurf und Initiationsstufe ist. Ein anderer Teil der Medien korreliert mit elektronischen Spielen etwa als Minikonsolen wie Nintendos "Gameboy" oder Crossovers wie Handy-Spiele. Und schließlich gibt es die Medien für Kommunikation- und Interaktion in den sog. neuen Formaten neben dem klassischen Anruf wie SMS, EMS, MMS und Smart-Handys mit weiteren Funktionen wie GRPS, WAP; Foto und Video. 129 Als alternative MP3-Player finden nun zunehmend auch die allzu an ernsthafte Erwerbstätigkeit erinnernden und vergleichsweise nüchtern wirkenden PDA Eingang in die Medienwelt und in den Schulalltag der Kinder und Jugendlichen. Medien an der Schule, das sind weiter auch gerade die im Alltag durch Medien transportierten Texte einer allgemeinen Fernsehkultur, die mit den Schülern auch in Schule gebracht werden und dort vielfältig in Objekten wie Interaktionen reproduziert sich manifestieren. Medien an der Schule das sind schließlich auch Unterrichtsmedien, das Bild im Unterrichtswerk, die Skizze des Lehrers an der Tafel, schon weniger oft das Musikbeispiel, die Filmsequenz, der Dokumentar- und Spielfilm, präsentiert oft noch auf museumsreifen Geräten, mittlerweile immer öfters auch mit High-Tech wie Laptop, DVD-Player, Beamer und Sensorrundklang. Medien sind für Schüler Instrumente für Aneignung und Entäußerung von Texten wie zugleich Texte selbst, mit denen sie sich anderen mitteilen: Jugendliche Identität manifestiert sich gerade auch in den ostentativ gezeigten Medien, zwischen dem antiquierten CD-Player und dem coolen MP3-Player oder Minidisc-Player, im jeweiligen hypen Handymodell liegt die grundsätzliche Unterscheidung von In und Out, der Anerkennung in der Peer Group, der Distinktion nach Angepasstem, Normalen, die soziale Verortung nach Arm und Reich. Hier spiegelt sich die Transformation der klassischen "normalen existentiellen Problemlage" der Kinder und Jugendliche in eine fundamentale ökonomische wie psychophysische Semantik wie die neuen Problemdefinitionen der Postmoderne als Selbstverwirklichungspostulat und Innenorientierung. 130 Die Totalität der Medien in Alltag und Lebenswelt der Jugendlichen führt nach BAACKE zur "Mediensozialisation"131, bei der die Jugendlichen (wie übrigens auch die Erwachsenen) aufgefordert sind, weitgehend eigenständig den Prozess der Vergesellschaftung zu gestalten. 129 Die künftige Entwicklung hochindividueller elektronischer Kommunikation mittels Handy und PDA und ihre Bedeutung für jugendkulturelle Szenen wie für die individuelle Bedeutungs- und Subjektkonstitution lässt sich sehr gut an aktuellen japanischen Trends verfolgen; mangels leistungsfähiger Netze hinkt die US-amerikanische und europäische Massenkultur hier der Entwicklung noch hinterher, s. dazu: ARTE-Themenabende "Kinder des Konsums – Japans Jugend" (26.07.2003) und "Japan 2000" (25.05.2000); LYTLE 2004 130 ´SCHULZE 1996, 249-258 131 BAACKE 1997 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 331 "Medien sind heute nicht nur mit vielfältigen Lebensbereichen und Alltagsfunktionen verflochten, sondern beginnen in der Überlagerung von Fernsehen, Computer und Telefon eine Art von Basisschicht unseres Lebens zu bilden." 132 HENGST vermutet mit guten Gründen eine "Sozialisation in eigener Regie"133, die traditionelle Sozialisationsinstitutionen wie Schule zwar nicht überflüssig macht, sie aber in ihrer Bedeutung für die jugendliche Entwicklung spürbar reduziert. Im Zusammenhang mit einer autotelischen Persönlichkeit sind auch medienkommunikative Kompetenzen zu sehen. Die Fähigkeit des Individuums mit komplexen Symbolsystemen, gerade auch denen der Mediengesellschaft, produktiv und kreativ umzugehen, erhöht seine Chancen, auf die Prozesse von Encoding wie Decoding mittels eines reflektierten Aufmerksamkeitszuwendung transformativ Einfluss nehmen zu können. CSIKSZENTMIHALYI erhofft sich davon eine qualitative Optimierung der an Flow sich orientierenden heuristischen Interaktionsprozesse der Individuen, ihrer Selbstreferentialität und der Möglichkeiten der Perpetuierung etwa in der Entwicklung individueller Medien, Text- und Ereignis- Arrangements.134 Anstatt nun Medienerziehung als zentrales Element ihres Erziehungs- und Bildungsauftrags zu verstehen, steht Schule (mehr als die ebenfalls konfrontierten Eltern) den aus dem Alltag mitgebrachten Medien der Schüler misstrauisch und ablehnend gegenüber, obwohl sie im Unterricht die Potentiale von Medien methodisch zu nutzen sucht. 135 Neben dem Unvermögen, sie als Symbole und konstitutive Elemente der Bedeutungs- und Subjektkonstitution von Kindern und Jugendlichen in ihrer eigentlichen Aussage und zentralen Funktion zu lesen und zu verstehen, gelten Medien aus der Perspektive von Schule da genuin individuell genutzte Instrumente als Einfallstor eines emanzipatorischen Elements, das Kinder und Jugendliche prinzipiell befähigt, sich der institutionellen Rigidität und ihrem latenten Repressionsdruck erfolgreich zu entziehen oder sich ihm zu widersetzen. In fast allen Schulen wird deshalb der Gebrauch der Alltagsmedien unter dem Vorwand, die Kontextbedingungen pädagogische Prozesse herstellen zu müssen, restriktiv kontrolliert und limitiert. Mit dem Betreten des Schulgeländes haben die Geräte aus zu sein, im Unterricht selbst ist ihr Einsatz grundsätzlich verboten, selbst in den Pausen werden sie allenfalls missbilligend vom aufsichtsführenden Lehrer geduldet. Da Schüler ohne diese Restriktionen entweder mit Vorbedacht im Sinne einer ostentativen Demonstration von Desinteresse oder aus Vergesslichkeit ihre Medien nun auch wirklich in unterrichtlichen Situationen nutzen wollen, wo sie wirklich nicht angebracht sind, ist natürlich auch Teil von Schulwirklichkeit, auf den man pädagogisch auch reagieren muss, was Restriktionen und Sanktionen mit einschließt. Hintergrund dieser Abneigung von Schule gegenüber den Alltagsmedien ist die instinktiv richtige Erkenntnis, dass diese Medien liminale Objekte darstellen, die ihre Nutzer befähigen, sofort und ohne große Vorbereitung eine Grenzüberschreitung vorzunehmen und in jedem situativen Kontext Alltag zu fiktionalisieren. Schule interpretiert offensichtlich immer noch dieses gestaltende Handeln der Jugendlichen grundsätzlich als Eskapismus bzw. als emanzipatorischen Akt gegenüber der Schulwirklichkeit, dem sie unterstellt, ihre Legitimation zu hinterfragen, obwohl doch gerade darin ihr zentrales Anliegen bestehen sollte. Sorge bereitet weiterhin auch die Nutzungskompetenz der Kinder und Jugendlichen, welche die Medien souverän zu beherrschen scheinen, stellt dies doch auch den als Monopol verstandenen Wissensvorsprung und die Überlegenheit des pragmatisches Weltwissen in Frage, auf welche sich die Autorität von Pädagogen und Schule vielfach beruft. Ein weiteres, Schule beunruhigendes Element kommt hinzu: Die Faszination dieser liminalen Objekte geht nun so weit, dass sie selbst ohne konkrete Nutzung weiter Wirkung zeigen. Sie selbst wie die mit ihnen transportierten Texte (Musik, Spiele, Kommunikation, Events) bestimmen weitgehend unbemerkt auch dann noch den Alltag des Kindes und Jugendlichen in der Schule, wenn diese glaubt, diese Medien erfolgreich ausgeschlossen zu haben. Schule erfährt so einen Prozess der Aneignung, dessen interpretative Dimension 132 BACHMAIR 2001, 230 133 HENGST 1991, 22 134 CSIKSZENTMIHALYI 1997, 129 135 BACHMAIR 2001, 230 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 332 Schule selbst nicht kontrollieren kann. Es entsteht das Paradox, dass Schüler Schule zu einem wesentlichen Element ihres Alltags bei dessen Ästhetisierung machen, ohne dass die Institution Schule dies erkennen will bzw. nur eine sehr ungefähre Vorstellung davon hat, als was sie in diesem "persönlichen Ereignisarrangement" nun den wirklich erscheint. Schule disqualifiziert und diffamiert deshalb meist präventiv die Interaktion mit diesen Medien in expliziter wie impliziter Form, etwa als Selbstisolation des Jugendlichen, wenn dieser sich in der Pause mit seinen Earphones in die Welt von "Eminem" begibt, sie befürchtet – angesichts einer exzessiven Nutzung von Medien leider oft zu recht136 – eine körperliche Schädigung fürchtet nichts mehr als die ihr subversiv und bedrohlich scheinenden, weil unkontrollierbaren Formen der Kommunikation mit Handy und SMS, die in ihrer Vorstellung doch allein raffinierten Täuschungsmanövern, der Absprache terroristischer Akte oder einem völlig unangebrachten Liebesflüstern dienen können. Leider reflektieren Pädagogen nur selten, dass sie außerhalb von Schule oft auf ebenso obsessive Weise den Medien frönen und ähnliche Nutzungsformen entwickeln, etwa der Klassikfan im Ohrensessel abgeschottet von den Fährnissen einer Interaktion mit seiner Familie, die oft stundenlange nächtliche Bildschirmarbeit, das nervige Klingeln des eigenen Handys, das wichtige Gespräche ankündigt. Schule geht bei ihrem Bemühen, diese Medien zu disqualifizieren, für die Jugendlichen spürbar unehrlich vor: Man sorgt sich in der konkreten Auseinandersetzung mit dem Jugendlichen um eventuelle organische und soziale Schäden, aber natürlich wissen beide Seiten, dass dies des Pudels Kern nicht ist. Auch die Jugendlichen kennen die Gefahren, die in einer exzessiven Mediennutzung angelegt sind, und thematisieren in diesem Zusammenhang ohne weiteres auch eigene wie Erfahrungen aus ihrer Peer Group oder Kolportiertes aus den Medien. Im Grunde fürchtet Schule aber die Verfügungsgewalt und damit die Individualität, die Medien dem Jugendlichen geben. Um dieses Potential wissen die Jugendlichen eben auch und ahnen, was Schule in diesem hegemonialen Diskurs beabsichtigt. Das Immersionspotential von Medien veranlasst die Schule, sie in unterrichtlichen Zusammenhängen nur sehr sparsam und gezielt motivational oder illustrativ einzusetzen, um den kognitiven Primat nicht durch fiktionale Elemente zu gefährden. Besonders restriktiv erfolgt der Umgang mit komplexen medialen Texten wie Fernsehformaten und dem Spielfilm, deren Einsatz aufwendig in Planung und Durchführung von Unterricht gerechtfertigt werden muss. Medienerziehung in curricularer Perspektive Der gesellschaftlichen Bedeutung von Medien trägt die Schule seit den 60er Jahres des 20. Jahrhunderts mit der Aufnahme eines Medienkompetenzbegriffs in die Curricula der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer und mit Informatik in denen der naturwissenschaftlichen Fächer Rechnung. 137 Die Forderungen, die an Schule herangetragen werden, richteten sich ursprünglich in erster Linie auf die Entwicklung reflexiver bzw. kritischer Kompetenzen, mit denen Schule den Heranwachsenden befähigen sollte, sich insbesondere manipulativen Strategien von Medienangeboten in den Massenmedien zu entziehen.138 Diese emanzipationspädagogische Intention ist in der Jugendmedienarbeit wie auch in der schulischen "Medienerziehung" weiter dominant.139 Ihre Operationalisierung in Erziehungs- und Lernzielen führt zu Kompetenzkatalogen, die über rein instrumentelle bzw. funktionale Fähigkeiten hinausgreifen, ihrer Substanz nach allerdings weiter auf denen der Handlungstheorie aufbauen, wie etwa Empathie, Frustrationstoleranz, Ambiguitätstoleranz, Ich-Distanz, kommunikative Fähigkeiten etc. Inzwischen wächst auch mit der Entwicklung, dass Medienaneignung und – Nutzung der Kinder- und Jugendlichen zum Großteil selbstsozialisatorisch erfolgt, die Einsicht in die konstruktivistische pädagogische Dimension dieses Handelns.140 Trotzdem versteht Schule ihre Aufgabe hier immer noch in erster Linie als aufklärendes Korrektiv und vermittelt deshalb primär analytische und kritisch- reflexive Kompetenzen, wohingegen die ästhetische Dimension von Medienhandeln weniger deutlich in den 136 CURRIE/ ROBERTS/ MORGAN et al. 2004 137 HÜTHER 1997 138 Vgl. zur Perspektive der Eltern: HURRELMANN et al. 1996 139 HÜTHER/ SCHORB 1997, 244-246 140 Eine vergleichende Darstellung der Zielkategorien bei HÜTHER/ SCHORB 1997, 246-249; zum Medienkompetenzbegriff s.a. SANDERS 2001, BACHMAIR 2001 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 333 Curricula wird. Andererseits gravitiert schon die Schulung in den Grundtechniken des Mediengebrauchs die methodischen Aspekte auch von ästhetischer Kompetenz und vermittelt damit notwendiges "intelligentes Wissen"141, das in der selbständigen Weiterentwicklung durch die lebenslang Lernenden zur Literacy als unabdingbare Kulturtechnik ausgebaut werden soll. "Alles, was Vorschule, Schule, Hochschule und Weiterbildung können, auch was ein Medienarrangement kann, ist, Lerner neugierig zu machen, sie zu motivieren, ihnen eine anregende Lernumgebung anzubieten und individuelle Lernunterstützungen zu entwickeln." 142 Schule hat trotz mancher Einschränkungen, die noch zu machen sind, doch eine beeindruckenden Fülle von Maßnahmen und Methoden entwickelt, mit denen Medienkompetenz generiert werden soll: 143 In Zusammenarbeit mit einer Reihe von Institutionen aus dem Bereich der Medien hat Schule inzwischen zahlreiche Projekte entwickelt, die sich auf eine unterrichtliche Auseinandersetzung mit Qualitätsfilm und Qualitätsfernsehen konzentrieren. Dabei orientiert man sich zwar u.a. auch an Prämierungen und der fachwissenschaftlichen Rezension, aber eben auch an Themen und Trends, in welchen sich die Interessen der Kinder und Jugendlichen spiegeln. Die Unterrichtsmodelle zielen deshalb neben der Vermittlung von Grundkenntnissen der genuin filmsprachlicher Semiotik eben auch auf reflexive Kompetenzen des Decoding und der Integration der Themen im Alltag und den lebensweltlichen Bezügen der Jugendlichen. Exemplarisch für diese Form der Medienerziehung sind die in Zusammenarbeit mit der Filmindustrie entwickelten Unterrichtsangebote der Stiftung Lesen oder die Materialien der Shoa-Foundation Steven Spielbergs. 144 Obwohl die deutschen Lehrpläne dezidiert Literaturlisten beinhalten, gibt es allerdings einen ähnlich verbindlichen Kanon für den Film leider noch nicht. Während traditionelle Unterrichtsmodelle einen starken Schwerpunkt in der Medienanalyse und Medienkritik haben und vergleichbar der Didaktik und Methodik des Literaturunterrichts auf die Vermittlung eines funktionalen Instrumentariums und ästhetischer Qualitätskriterien zielen, zeichnen diese Unterrichtsmodelle ihre Konzentration auf thematische Problem- und Fragestellungen aus, mit denen unschwer der Anschluss an die existentielle Problemdefinition und handlungsleitenden Themen und damit die Bedeutungs- und Subjektkonstitution der Kinder und Jugendlichen gelingen kann. Schule sucht aber auch wie die freie Jugendarbeit eine pragmatische Medienarbeit zu realisieren, bei denen Medien als Ausdrucks- und Gestaltungsmittel von den Kindern und Jugendlichen erfahren werden können: Die Vermittlung von Medienkompetenz erfolgt dabei als produktive wie kreative Auseinandersetzung mit Medien. Früher relativ schwer wegen der kostspieligen Ressourcen an den Schulen umzusetzen, stellt sich heute wegen des Preisverfalls der Aufnahme- und Aufzeichnungsmedien die Situation wesentlich besser dar.145 Trotzdem ist eine kreative und ästhetische Medienkompetenz nur gering in schulischen Curricula verankert und basiert, wenn ihre Vermittlung denn angegangen wird, weitgehend auf der Initiative einiger weniger engagierter Schüler und Lehrer. Dabei besteht von Seiten der Kinder und Jugendlichen ein hohes Interesse daran, ihre Medienerlebnisse und –erfahrungen in der praktischen Auseinandersetzung mit den Medien zu hinterfragen. Da sich schon wegen des hohen Zeitbedarfs wie der Größe der Lerngruppen eine Verankerung im Normalunterricht fast ausschließt, sind derartige unterrichtliche Prozesse eine Domäne schulischer Arbeitsgemeinschaften und von Projekttagen. Einen wesentlichen Beitrag zur Verstetigung dieser Prozesse leisten Einrichtungen wie Offene Kanäle, Filmhochschulen und Filminstitute, die teilweise professionelles Equipment auch für die Nutzung durch Schulen bereitstellen können und für die Präsentation der Resultate Programmfenster im lokalen TV-Netz anbieten. Da die pragmatische Arbeit mit Medien eine der wenigen Unterrichtssituationen darstellt, die eine poietische Orientierung und Zielsetzung haben, leisten sie – obschon vergleichsweise selten – einen essentiellen Beitrag zur pädagogischen Förderung der Kinder und Jugendlichen. Zugleich korrelieren sie schon von ihrer Anlage her mit den Kriterien, die Flow ermöglichen sollten und mit den Prozessen kollektiver Fiktionalisierung. 141 SCHORB 1997, 242 142 DICHANZ 2001, 4 143 BACHMAIR 2001, 234: "Institutionalisierungsschub" medienpädagogischer Ansätze, Methoden, Modelle und Programme; 144 Die Zusammenarbeit von Stiftung Lesen e.V. Mainz mit Twentieth Century Fox- führte u.a. zu einer schulpädagogisch orientierten Webpage "Fox- Film-Forum" (http://www.foxfilmforum.de/ [2004-09-30]) und zu zahlreichen Unterrichtsmodellen zu aktuellen wie prämierten Filmen (z.B. "Antwone Fisher", "Thirteen", "In America", "The Day After Tommorow", "I Robot"); zur Shoa-Foundation s. http://www.vhf.org/vhfmain-2.htm [2004-09-30]; 145 Deutlich zugenommen haben unterrichtliche Projekte mit elektronischen Medien wie PC, Digitalkamera und Digitalcamcorder, die entweder von Seiten der Schule, häufiger aber noch von engagierten Schülern und Eltern bereitgestellt werden; semi-professionelles Equipment allerdings ist eher kostspieliger geworden, ein digitaler 3-Chip -Camcorder kommt auf ca. 3.500,00 €; 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 334 Ein notwendiges, aber bislang kaum und wenn, dann eher noch im Bereich der Primärstufe verwirklichtes Feld schulischer Medienarbeit wäre parallel zu den weitgehend unreflektierten bzw. unbewussten Verarbeitungsprozessen von Fernseherlebnissen in der Familie ein Angebot an Hilfen zur produktiven Verarbeitung von Fernseherlebnissen. Schule könnte sich hier im direkten Anschluss an die Alltagsästhetisierung der Kinder und Jugendlichen ein Feld von Legitimierung erschließen, allerdings nur dann, wenn sie wirklich nur auf eine Moderation der Mediennutzung abhebt und sich insbesondere die Bedeutung der Mediennutzung für deren Identitätsentwicklungsprozesse vergegenwärtigt. 146 Im Gegensatz zur Arbeit an und mit Medien hat Schule schon fast immer einem bewahrpädagogischen Mainstream folgend zahlreiche kompensatorische Programme ausgearbeitet, die in Konkurrenz zu den Medien des Erlebnismarktes entweder die Nutzung alternativer Medien fördern oder andere Ausdrucksformen wie Musik, Darstellende und Bildende Kunst als Gegenbewegung zur Ikonisierung der Welt und Erfahrungsräume anbieten. Die Intention, eine kindliche und jugendlichen Identitätsentwicklung im Sinne einer ganzheitlichen sensitiven und affektiv-emotionalen Wahrnehmung im Sinne einer medialen Literacy zu fördern, ist angesichts der zunehmenden Ökonomisierung von Medien und ihren Nutzungsformen wohl notwendiges Korrektiv und eigentlich nur noch in den Schulen oder in privater Organisation durch die Eltern zu leisten.147 Derartige Intentionen korrespondieren weiter mit einem Konzept von Schule als einem Ort, der geschützte Räume bietet. Gleichzeitig sind die Interdependenzen dieser alternativen bzw. kompensatorischen Interaktion und Pragmatik mit Medien zu autotelischem Handeln und kollektiv entwickelten Fiktionen evident. 148 Die Jugendlichen sind durchaus bereit, diese Aspekte der schulischen Medienerziehung anzuerkennen und als sinnvoll auch für ihre Alltagsgestaltung zu würdigen. Eine alleinige Fokussierung auf funktionale Teilbereiche von Medienkompetenz aber und die immer noch vorgetragene Dämonisierung von Medien, wie es immer noch im schulischen Alltag geschieht, haben mit dem alltäglichen Umgang der Jugendlichen und letztlich auch der Gesellschaft selbst mit Medien nur wenig zu tun. 149 Jugendlichen verfügen heute nicht nur über diese funktionalen Kompetenzen oft in einem weit höherem Maße als die Erwachsenen, sonder als erfahrene Mediennutzer auch neue kognitive Kompetenzen, die sie an neuen Medien entwickeln. Ohne Zweifel wachsen heute Jugendliche "polymedial" auf und erwerben sich ihre medialen Kompetenzen weitgehend als Autodidakten. 150 Schule sollte sich bemühen, diese Erfahrungen aufzugreifen und den Jugendlichen partiell als Experten zu begreifen, dem Respekt in Form einer autoritative Autorität entgegengebracht werden sollte. Um die Jugendlichen über ihre schon erworbenen Kompetenzen zu fördern, müssen ihnen Handlungsfelder eröffnet werden. Schule sollte dabei dazu übergehen, alle Potentiale moderner Medien anzuerkennen und sie bewusst zur Generierung individuell geprägter Lern- und Verstehensprozesse zu fördern. "Werden diese Erkenntnisse in die Schule getragen, eröffnet sich damit die Möglichkeit, die mit spezifischen Medien verbundenen kulturellen Wertvorstellungen zu relativieren und zu helfen, die verborgene kulturelle Ressource alltäglicher Medienkompetenz auch für den Erwerb traditioneller Literalität mit dem gedruckten Buchtext zu Tage zu fördern. [...] Der medienwissenschaftliche Blick auf die Medienentwicklung sensibilisiert für das Literalitätspotenzial pädagogisch unterschätzter Medien." 151 Dazu sollten Schlüsselqualifikation ausgebildet werden wie die Fähigkeit, selbständig, aber wegen potentieller Synergien auch kooperativ die Prozesse initiieren und durchführen zu können. Neben einer angemessenen Konzentration auf den Gegenstand muss dieser auch in interdisziplinären Bezügen betrachtet werden. Diese Intertextualität gilt es insgesamt zu beachten und neue Räume zu erschließen. Lernen muss als dynamischer und autotelischer Prozess begriffen werden.152 Das nun aber setzt ein 'offenes' Vorwegdenken des Pädagogen voraus, der die individuellen Kompetenzen und ihr Niveau wie die Anforderungen und ihre Komplexität der von ihm betreuten bzw. moderierten Jugendlichen sorgsam beobachten und dem Jugendlichen dabei helfen muss, beide Größen zu optimieren. Ziel ist dabei die Konstitution von Lernkontexten, die den Individuen Flow-Erfahrungen ermöglichen und intrinsisch motivieren. Diese können sich nicht auf den Bereich traditionellen Unterrichts beschränken, sondern müssen alle schulischen Bereiche transformieren und können dabei Formen annehmen, 146 BACHMAIR 1999; 2001, 230-232, 239-241 147 BACHMAIR 2001, 240 148 CSIKSZENTMIHALY 1997, 122, 128, 130 149 BACHMAIR 2001, 231 150 SCHORB 1997, 241 151 BACHMAIR 2001, 59 152 BECK 1993; HOFFMANN/ KNOPF 1996; GUDJONS 1999, 341-343 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 335 deren Interdependenz zunächst nicht einsichtig zu sein scheint.153 Lernkontexte dieser Art basieren denn auch auf einem erweiterten Textbegriff, der den Lerngegenstand fasst, und berücksichtigen in einer der mediatisierten Gesellschaft angemessenen Form eben auch Medien bzw. Medientexte. Während schon die Berücksichtigung diskontinuierlicher Texte154 wie ausgeprägter Medienformate155 in traditionellen unterrichtlichen Zusammenhängen und ihrem analytischen bzw. kritisch-reflexiven Umgang mit Medien eine Herausforderung darstellen dürfte, können Schule und Unterricht Jugendliche aber auch mit bislang nicht genutzten oder unbekannten Potentialen von Medien bekannt machen: Insbesondere deren kreativen und produktiven Anwendungsmöglichkeiten sind Jugendlichen, deren Umgang mit ihnen sich meist auf eine Rezeption beschränkt, oft interessantes Neuland und können zu einem essentiellen Bestandteil ihrer Identitätsentwicklung werden. Dies gilt insbesondere für die zielgerichtete und effiziente Verbindung von Hard- und Software zur Gestaltung und Produktion multimedialer Textarrangements. Dabei werden die bislang analytisch vermittelten Kompetenzen einer Literalität durch Einsichten in produktionsästhetische Kriterien und Kategorien sinnvoll ergänzt. Medien werden auf diesem Wege nicht nur entdämonisiert, sondern es erschließen sich neue Möglichkeiten einer auch außerschulisch gelingenden Bedeutungs- und Subjektkonstitution, wie sie in den digitalen Produktionen der Jugendlichen manifest werden.156 Elektronische Medien wie Notebook, PDA oder auch Handy ermöglichen eine individuelle Verfügung über Zugang, Organisation und Verwendung von Informationen aus den vielfältigen Archiven der heutigen Welt. Sie ermöglichen neben der individuellen Aneignung aber auch eine Reihe bislang nicht zur Verfügung stehender Formen der Entäußerung und Darstellung. Medien sind nun über ihre ursprüngliche pädagogische Funktion der Repräsentation von Wirklichkeit in der Lage, auch Denk- und Gestaltungsprozesse abzubilden. Dies gelingt den elektronischen Medien mit ihrer prozessoralen Adaption kognitiver Prozesse besser als traditionellen Medien, man denke nur an die assoziative Kognition des Menschen. Zudem treten neben die klassische Vermittlung kognitiven Wissens in einer globalisierten "Wissensgesellschaft"157 individuelle Formen des Wissenserwerbs, die auf selbstgesteuerte Lernprozesse abheben. Schule und Unterricht können eine Individualisierung dieser Prozesse durch eine angemessene Neuorganisation besonders mit Formen des Projektunterrichts fördern. 158 Medien erlauben weiter andere Formen von Interaktion auch in der Schule als eine Vernetzung menschlicher und materieller Ressourcen. Netzwerke erweisen sich zunehmend als adäquate soziale Organisations- und Integrationsformen eines individualisierten Lernens etwa auf Whiteboards, in Chatrooms, auf Foren oder per Email oder SMS. Medien haben insbesondere eine emanzipatorische Funktion in hierarchischen Strukturen und Kontexten und führen zu einer Abflachung bisher 'steiler' Hierarchien, indem sie die Verfügungsgewalt über wesentliche Herrschaftsinstrumente wie z.B. Informationen auf bisher Deprivierte ausdehnen. Institutionen wie Funktionäre müssen in solchen veränderten und 'demokratisierten' Kontexten umdenken und partizipatorische Formen von Autorität entwickeln. Für Schule bedeutet dies nicht nur die (sozialverträgliche) Bereitstellung der dazu notwendigen Infrastruktur, sondern einen antizipativen fördernden Umgang mit den sich entwickelnden neuen Strukturen. Für den Pädagogen bedeutet dies die Rückkehr zu seiner eigentlichen Funktion als Moderator, Tutor und Mentor von Individuen und deren Lernprozessen. Bislang beruhte seine Stellung im pädagogischen Prozess der Schule häufig allein auf einem Kompetenz- und Wissensmonopol. Damit verbunden waren pädagogisch zumindest teilweise sinnvolle fachlich begründete autoritative Hierarchien. Diese Position wird schon in naher Zukunft nicht mehr so zu halten sein. Das Wissensmonopol des Lehrers erodiert mit den ubiquitären Informationsarchiven einer mediatisierten Gesellschaft, sein Tätigkeitsfeld verlagert sich weg von Didaktik auf Instruktion und Moderation, sein fachliche Autorität gründet auf Kenntnissen der Strukturierung von Wissen, 153 z.B. ein Sportangebot wie die "Aktive Pause" für Schüler, die Öffnung der Sporteinrichtungen auch außerhalb des Unterrichts oder die Aufstellung von Sportgeräten; Aufenthalts- und Ruheräume wie ein Internet -Cafe, Möglichkeiten kreativen Umgangs mit Texten, Materialien, Medien; 154 BACHMAIR 2002/ 2003, 20-21; s.a. ENZENSBERGER 1957: "Ins Lesebuch für die Oberstufe. Lies keine Oden, mein Sohn, lies die Fahrpläne [...]." HURRELMANN 2002 155 Einen interessanten Ansatz dazu stellen neben den oft allzu dezidiert medientheoretisch orientierten Materialien verschiedener Schulbuchverlage die Unterrichtsmodelle der Stiftung Lesen dar, die aktuelle Kinofilme mit thematischer Relevanz für Jugendliche in ihren (Lese-) Fokus stellen, etwa für Filme wie "8 Mile" (HANSON 2002) oder "The Beach" (BOYLE 2000); 156 BERS 2000 157 DRUCKER 1969: "knowledge society"; 158 STRUCK 1998, 4: "Wenn Schüler mit dem Computerlernen und mit der Verknüpfung der bisherigen Fächer zu Lernbereichen und fächerübergreifenden und überfachlichen Projekten in die Lage versetzt werden, eine Aufgabe, ein Problem, eine Frage oder ein Vorhaben gleichzeitig in ihrer geographischen, historischen, ökologischen, ökonomischen, sozialen, politischen, chemischen, biologischen und mathematischen Dimension zu begreifen, dann können sie vernetzt denken und werden später als Wissenschaftler, aber auch als Arbeitnehmer oder als Unternehmer begehrt sein." 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 336 der Strategien von Wissenserschließung und –verarbeitung, auf seinen Fähigkeiten der Steuerung von Lernprozessen bei Individuen und Gruppen. Gefragt ist der "Wissensmanager", der Anlage und Zugang von und zu Wissensressourcen ebenso wie die Distribution organisiert. Moderation bedeutet dabei auch im Unterricht und seiner Planung Formen des Projektmanagements (Contracting, Reports) oder Wissensmanagements (Metaplantechniken) zu verwenden. Vorauszusehen ist damit aber eine zunehmende Individuation der Lernprozesse mit der Chance einer effizienten und praktikablen Binnendifferenzierung, und dies unabhängig von Schulart und didaktischer Philosophie. Parallel zu dieser Individualisierung müssen Formen der Integration gefunden werden. Moderne Medien erlauben neue Formen sozialer Interaktion in interaktiv-kommunikativen Netzwerken und schaffen damit neue soziale Räume synergetischen Arbeitens und Lernens in Communities im Sinne von "safe yet stimulating social environments"159. 6.3.3 Intrinsische Motivierung Arbeit Schule stellt im Alltag der Jugendlichen einen wesentlichen und großteils heteronomen Bereich dar, der in seinen Strukturen in vielem an die Berufswelt der Erwachsenen erinnert. Hier wie dort begegnen die Individuen in von ihnen kaum zu gestaltenden Kontexten zahlreichen Herausforderungen, auf deren Herausbildung wie auf deren Bewältigung sie kaum Einfluss nehmen können. Andererseits wiederum machen die Individuen die Erfahrung, dass gerade in Arbeitsprozessen als komplexe Formen von Problembewältigung ein immenses Potential von positivem Erleben steckt, wenn es gelingt, sie als autotelisches Handeln zu erleben. Dazu aber müssen insbesondere die Kontexte dieses Handelns optimiert werden.160 Auch der Jugendliche hat die Möglichkeit, sinnvolles Arbeiten dann zu erfahren, wenn er entsprechende Handlungsfelder sich wählen kann und obstruktive Kontexte vermeidet, also als radikalste Lösung Schule oder Schultyp wechselt. Im Hinblick auf die Schullaufbahnkarrieren mancher Schüler wäre das die wohl beste Entscheidung, die leider aber aus verständlichen Gründen nur allzu selten getroffen wird. Andererseits stellen die von der Schule angebotenen Handlungsfeldern durchaus ein Kriterium bei der Auswahl von Schulen dar, ihre Bedeutung ist Jugendlichen wie Eltern bewusst. In traditionellen unterrichtlichen Zusammenhängen ist nicht zu erwarten, dass sich bestimmte Lernformen allzu rasch ändern. Sollen hier zusätzliche intrinsische Potentiale entwickelt werden, müssen die Jugendlichen versuchen, ihr Lernen in einem intensiven und permanenten Reflexionsprozess durch die Entwicklung genuin eigener Ziele und der ihnen adäquaten Arbeitsformen zu optimieren. Dies gelingt oft nur parallel und additiv zu weiter dominierenden kontraproduktiven Strukturen, kann aber wegen seiner autotelischen Qualität diese in einem gewissen Umfang transzendieren. Von besonderer Bedeutung sind dabei die selbst-organisatorischen und selbst-kontrollierenden Kompetenzen des Jugendlichen, die ihm über die Steuerung der Aufmerksamkeitszuwendung eine möglichst umfassende Transformation von Alltagshandeln ermöglichen sollte, zunächst unterrichtliche Handlungsroutinen mittels einer erhöhten Aufmerksamkeitszuwendung zu re-intensivieren, dann passive Handlungen zu entdecken, zu eliminieren oder in aktive umzuwandeln und schließlich neue Handlungsmöglichkeiten zu entdecken und auszugestalten. "Instead of waiting for an external stimulus or challenge to grab our attention, we must learn to concentrate it more or less at will. This ability is related to interest by a feedback loop of mutual causation and reinforcement. [...] As one focuses on any segment of reality, a potentially infinite range of opportunities for action – physical, mental, or emotional – is revealed for our skills to engage with." 161 In diesem Zusammenhang sind gerade auch medienkommunikative Kompetenzen zu sehen. Die Fähigkeit des Individuums mit den komplexen Symbolsystemen einer mediatisierten Gesellschaft produktiv und kreativ umzugehen, erhöht seine Chancen, auf die Prozesse von Encoding wie Decoding mittels eines reflektierten 159 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 94 160 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 54-55 161 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 127-128 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 337 Aufmerksamkeitszuwendung transformativ Einfluss nehmen zu können, etwa durch die Entwicklung genuin eigener Medien, Text- und Ereignis-Arrangements.162 Auch Routinetätigkeiten bedürfen einer konzentrierten Aufmerksamkeitszuwendung des Individuums, um Flow-Erfahrung zu erzielen. Die Ritualisierung von Handeln im Unterricht dient der Entlastung der Jugendlichen und ermöglicht ihnen das Erleben eines Microflow, bei dem Anforderungen und Kompetenzen auf einem niedrigen Niveau korrespondieren und unschwer Erfolg und positives Feedback möglich sind. Von daher wird verständlich, welche Bedeutung die Chill-Phasen im Unterricht für die Jugendlichen haben, die eben nicht in der Lage sind, ständig in einer Orientierung am Deepflow zu handeln, sondern ebenso Flow in konsumtiven und redundantem Handeln finden. "By taking the whole context of the activity into account, and understanding the impact of one's actions on the whole, a trivial job can turn into a memorable performance that leaves the world in a better shape than it was before." 163 Außerhalb traditionellen Unterrichts sind dagegen leichter auch im schulischen Feld Kontexte einzurichten, die Flow-Erfahrung evozieren können.164 Schule kann dabei von den Erfahrungen anderer bzw. alternativer pädagogischer Einrichtungen profitieren, wenn sie deren Erkenntnisse in ihre eigenen Strukturen einfließen lässt.165 Die Jugendlichen erwerben hier Kompetenzen im Umgang mit eigenen Zielvorstellungen und steuern diesen Lernprozess weitgehend selbst. Hier hebt sich für die Jugendlichen die Antithetik von Arbeit und Spiel weitgehend auf. "Even though operating at the edges of knowledge must necessarily include much hardship and inner turmoil, the joy of extending the mind's reach into new territories is the most obvious feature of their lives [...].”166 Interaktion Neben dem Arbeitsprozess an sich als einem der wesentlichen Kontexte, in denen Flow-Erleben möglich scheint, bietet sich als weiterer potentiell optimierbarer Kontext die schulische Interaktion an. Das Flow- Potential von Interaktion beruht auf dem evidenten Faktum, dass sie vom Individuum weitgehend kontrolliert und gestaltet werden kann. Diese Verfügungsgewalt zeigt sich im Extremfall als Verweigerung oder Abbruch, doch kann dieses Moment des Scheiterns den Kriterien eines letztlich autotelischen Handelns der Individuen nicht genügen. Positive Effekte versprechen dagegen dialogische Formen der Interaktion. Schule bietet mit der Sozialform Unterricht eine in der bildungshistorischen Tradition entwickelte, ursprünglich dialogisch und dyadisch orientierte Interaktionsform zwischen Lehrer und Schüler an und besitzt hierin zweifellos eine Reihe von Kompetenzen. Allerdings haben sich diese Interaktionsformen in den Strukturen des heutigen Normalunterrichts und der Regelschule oft auf ein hierarchisch dominiertes Rede-Replik-Schema reduziert. LUHMANN erfasst diese Disqualifizierung bei seinen systemtheoretischen Betrachtungen von Schule richtig, wenn er festhält, dass das System Schule seine Legitimation allein der Tatsache verdanke, dass die Lehrenden es völlig respektlos als Ressource für die konkreten Interaktionsprozesse instrumentalisieren.167 Ziel muss daher die umfassende Wiederherstellung einer personalisierten Interaktion im Schulalltag sein. Dabei kann Schule auf unterschiedliche Formen der Auto-Organisation der Jugendlichen eingehen. So gestalten Jugendliche ihre Interaktion oft im Sinne eines funktionalen Utilitarismus in symbiotischen Dyaden, die sich in Relation zu den Anforderungen weiter verdichten können zu temporär agierenden Teams. Diese von Schülern selbst organisierten funktionalen Beziehungen, die sich außerhalb der klassischer Freundschaft bewegen, sind eine effiziente Basis für Jointventures wie inner- und außerunterrichtliche Projekte.168 Auf einer vergleichbaren Ebene bewegen sich die von Schülern organisierten funktionalen Peer Groups auf Kommunikationsplattformen 162 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 129 163 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 103 164 Vgl. KAP 6.4 Praktische Perspektiven; 165 RETTER 2004; FUCHS 2002, 5: "Gerade die außerschulische Jugendarbeit hat pädagogische Konzepte entwickelt, in denen repressionsfrei Fehler gemacht werden dürfen, in der eine weitgehende Selbststeuerung stattfindet." 166 CSIKSZENTMIHALYI 1997a, 61 167 LUHMANN: "Unterrichten ist ein opportunistischer Prozess, und je mehr er sich nach den Gelegenheiten richtet, desto besser ist er." zit. n. KAUBE 2002 168 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 1999-10-22 Siemens Join Multimedia AG; 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 338 im Internet mit ihren Chatrooms und Foren. Daneben steht als jugendliche Interaktionsform mit Zielorientierung die Quest. Sie ist eine wesentliche Organisationsform bzw. Sozialform von Lernen im Protective Environment von Schule. Die Quest verbindet die Vorteile kollektiven (und institutionell kompatiblen) Lernens mit denen individuellen Lernens: ein informelles, spontanes Team mit selbst gewähltem Ziel, einer wenigstens begrenzt adjustierbaren Herausforderung durch einen Kontext, einem selbst gewählten Niveau des Lernwiderstandes und der guten Chance, Flow-Erlebnisse evozieren zu können. Obwohl an Zielvorstellungen orientiert, ist deren Realisation eigentlich Nebensache, solange der Prozess als gelingend empfunden werden kann. Komplexeste Form jugendlicher Interaktion ist die ausgeprägte Forumkultur der Communities in den jugendkulturellen Szenen, deren Intensität man sich auch im schulischen Feld wünschen könnte. Die Jugendlichen haben hier eine Sozialform entwickelt, welche eine thematisch offene Kommunikation gleichberechtigter Interakteure mit minimaler hierarchischer Strukturierung ermöglicht. Die dabei möglich werdende Kommunalisierung von Identität und Individualität in den vielfältige Formen, die insbesondere neue Medien ermöglichen, hilft den Jugendlichen, Brüche der Persönlichkeitsentwicklung solidarisch aufgefangen und kompensiert werden. Gerade die gemeinsame Arbeit in der Quest oder im Projekt erlaubt in den dort sich manifestierenden Dyaden oder Teams die attentive Präsentation von Identitätsentwürfen mit geringem Verbindlichkeitscharakter. Gleichzeitig kann hier auch gescheiterten Präsentationen die Erfahrung einer erfolgreichen sozialen Interaktion kompensierend gegenübergestellt werden. Im Gegensatz zur klassischen Unterrichtssituation mit ihrem kognitiven Primat findet hier der Jugendliche eine ganzheitliche Wahrnehmung seiner Person. Im Aufbau von realen wie virtuellen Foren und Märkten kann Schule versuchen, vergleichbare Interaktionsplattformen zu schaffen, um die innerschulische Kommunikation zu verbessern. Ziel ist dabei eine Vernetzung und synergetische Verknüpfung schulischer Human Resources in offenen Kommunikationsplattformen .169 6.3.4 Kompetenzen reflexiver Alltagsgestaltung: Bildung als kritische Selbstbildung Aneignung eines substantiellen und systematisierten Wissens Schule hat als zentrale Aufgabe den Auftrag, Jugendliche auf eine Realität vorzubereiten, in der es vornehmlich darum geht, die Potentiale medial vermittelter Texte unter den spezifischen Bedingungen einer mediatisierten Informations- und Wissensgesellschaft sich zu erschließen und zur gelingenden Gestaltung von Identität und Lebenswelt einzusetzen. Schule muss mittels neuer "Lernformen über Multimedia -Angebote [...]" die Partizipation der Kinder und Jugendlichen am sich beschleunigenden Informationstransfer an einer "Welt- Kommunikation" möglich zu machen, die Grundlage des Überlebens unserer Gesellschaft ist.170 Wie außerschulische Bereiche müssen deshalb auch Schulen Freiräume zur Nutzung mediatisierter Kommunikation zu schaffen, die insbesondere die Ausbildung auch affektiver, kreativer und sozialer Kompetenzen in und an Medien und medienvermittelten Texten erlauben. Gerade die curriculare Organisation dieses Lernens ist ein wesentliches und notwendiges Proprium schulischer Pädagogik. Schule gelangt damit zu effizienten Formen der Vermittlung von Basiskompetenzen, die allerdings angesichts einer sich entwickelnden mediatisierten Gesellschaft fortwährend modifiziert werden müssen. Die zu vermittelnden Basiskompetenzen berühren die Dimensionen von Medien-Kritik, Medien-Kunde, Medien-Nutzung und Mediengestaltung. 171 Zu ihnen gehören die Fähigkeit zur sicheren technischen Handhabe von Kommunikation, zu semantischer bzw. semiotischer Komplexität und Varianz ("Sprachkompetenz") und schließlich die klassischen Fähigkeiten der Interaktionstheorie wie Ambiguitätstoleranz, Rollendistanz, Empathie und Frustrationstoleranz. 172 In Konsequenz führt dies zunächst zur Vermittlung eines inhaltlichen und technischen Wissens zu mediatisierter Kommunikation. Ein der Komplexität von Medienkommunikation angemessener Umgang mit Medien bedarf dann in einem weiteren Schritt der Vermittlung, Sicherung und Erweiterung von multimedial möglichen, ikonographisch wie sprachlichen Symbol- und Zeichensystemen. Hinzu kommen reflexive Kompetenzen wie die Ausbildung einer hermeneutischen (Eigen-)Wahrnehmung ("[...] in selbstbezogener Reflexivität das eigene Eingebundensein ständig gegenwärtig zu halten [...]") und Selbstdarstellung und eine Habitualisierung grundsätzlicher Toleranz und eines Enthusiasmus gegenüber Novum und Innovation in all seinen Erscheinungsformen, um xenophoben Reaktionen infolge der entropischen 169 MEYER 1997, II, 97-113; STOLPMANN 2003; DANKWART 2003 170 BAACKE 1997, 33 171 BACHMAIR 2002, 19 172 Vgl. TILLMANN 1994, 140 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 339 Dynamik eines informationellen Globalisierung entgegenzuwirken ("[...] die Neugier von Kindern und Jugendlichen auf Kommunikation unbekannter Art derart freizusetzen, dass sie autonom, zugleich aber sozial verantwortlich in eine Weltgesellschaft hineinwachsen"). Es gilt "[...] über distanzierende Kommunikationswege technisch sicher, in den Zeichen variantenreich, offen auf andere und frei für den eigenen Selbstausdruck zu agieren." 173 Die Viabilität dieser Kompetenzen basiert dabei auf qualitativen Kriterien des in ihnen sich manifestierenden Wissens. Gefordert ist der Erwerb eines "intelligenten" Wissens, das flexibel, transferierbar und anschlussfähig eine Orientierung ermöglicht. Schule kommt dem mit der Vermittlung von Allgemeinwissen, Fachwissen und interdisziplinären Wissen (Metawissen, Wissensmanagement) nach. Allerdings neigt Schule dazu, über den Aufbau von Fachwissen hinaus auch die Erweiterung vorhandener Wissensstrukturen steuernd vermitteln zu wollen anstatt sie der Selbststeuerung der Lernenden zu überlassen, sobald diese - wie die Jugendlichen in ihrer gelingenden Subjektkonstitution wie Alltagsästhetisierung ja ausweisen - über die dazu notwendigen Lernkompetenz verfügen.174 Wissen benötigt eine pragmatische Anschlussfähigkeit an die alltäglichen Kontexte des Jugendlichen, das er sich am besten in projektorientierten Unterrichtsformen erarbeiten kann. Diese Anschlussfähigkeit bleibt weiter nur erhalten, wenn Wissen permanent in selbständigen Handeln aktualisiert und in Relation zu den Anforderungen der Kontexte erweitert werden kann. Die pragmatische Dimension bedingt ebenfalls ein Wissen um die eine kontextbezogene, variable methodische Realisierung.175 Vermittlung einer reflexiven Dimension individueller Lernprozesse Auf der Angebotsseite von Medienkommunikation herrscht der Primat einer marktwirtschaftlichen Produktions-, Allokations- und Konsumptionslogik, der ethische Forderungen nur insoweit anerkennt, als sie vom Rechtssystem her einzuhalten oder effizient instrumentalisierbar sind. Im Umgang mit diesen Medien lernen Kinder und Jugendliche allenfalls die Zynismen kennen, mit denen die Produzenten eine eigentliche Kommunikationsethik unterlaufen, etwa in den Debatten über die Indizierung symbolischen Materials wie Clips und PC-Spiele. Hinzuweisen wäre hier etwa auf die mehr oder minder oberflächliche Anpassung von PC- Spielen an bundesdeutsche Jugendschutzstandards oder die vermeintliche Wahrnehmung jugendlicher Interessen durch Produzenten, die sich als Anwälte grundgesetzlich verbürgter Pluralität ausgeben und damit eine Affinität zu jugendlichem Emanzipationsverhalten herstellen. 176 Die Forderung nach der Vermittlung von Basiskompetenzen reflexiver Alltagsgestaltung schließt deshalb notwendigerweise die nach einer ethischen Reflexion jugendlicher Konstitutionsprozesse und die einer Werteerziehung mit ein. BAACKEs Zielbeschreibungen von jugendlichem Handeln als Orientierung und kritische Analyse wie Pragmatik und Selbstverpflichtung verweisen über Kriterien und Kategorien letztlich auf Wertbegriffe. Zugleich kann eine ethische Reflexion letztlich nur ein freiwilliges, an Werten orientiertes Handeln sein, in dem sich Individualität als Ausdruck autonom-reflexiven Handelns manifestiert. Es muss dabei allerdings berücksichtigt werden, dass allenfalls eine Annäherung an diese Zielvorstellung möglich ist, die heutzutage von Schule angesichts der Permissivität der Gesellschaft immer schwerer geleistet werden kann. Auch die zunehmende Individualisierung einer "Erlebnisgesellschaft" schafft hierfür durch die Pluralisierung bzw. Spezialisierung der Werte in einzelnen Milieus ebenfalls keine besseren Bedingungen. Es bleiben demnach Meta-Werte177 übrig, an denen sich die Interaktion der Kinder und Jugendlichen orientieren kann, mit der Gefahr rhetorisch brillanter Formulierung und pragmatischer Beliebigkeit, wenn es nicht gelingt, diese Werte exemplarisch in Alltag und 173 BAACKE 1997, 34 174 Im Rahmen des Projektes "Medienschulen" der Bertelsmann-Stiftung haben verschiedene Schulen derartige curriculare Modelle entwickelt. BRICHZIN/ STOLPMANN 2003; eine gänzlich andere Position in dieser Sache bezieht das Gymnasium "Kaiser-Friedrich-Ufer" in Hamburg, das eine curriculare Verortung des Kompetenzerwerbs angesichts der bei den Schülern schon vorhandenen Fähigkeiten ablehnt und ein Modell selbstgenerierenden gegenseitigen Lernens verfolgt, das gerade die kreativen Potentiale der Schüler fördern soll, BEECKEN 2003 175 HOFFMANN 1996; WEINERT 2000 176 Wie Jugendliche mir anhand der Original- und BRD-Versionen zeigen konnten, unterscheiden sich die Versionen bestimmter MODs etwa von "Halflife" nur durch eine vordergründige Veränderung der Spielanlage als Kampf gegen "Aliens" (getarnt in menschlicher Gestalt), der Vermeidung von Rot als Blutfarbe und exzessiven Darstellungen der Waffenwirkungen (etwa in Zeitlupe), s. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen Feldbeobachtung 2002-04-02 MUD; vgl. weiter Foren-Diskussion zu dem Amoklauf in Erfurt bei GIG@-TV (NBC); 177 GENSICKE 2002 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 340 Lebenswelt des Jugendlichen als wesentliche Erfahrung der Selbstkonstitution zu verankern.178 Dazu muss der Begriff der Bindung auch von der Institution Schule her erfüllt werden, d.h. die Interaktionsbedingungen an der Schule selbst bedürfen ebenfalls der ethischen Selbstverpflichtung gerade des Pädagogen und müssen im diskursiven Prozess gleichberechtigt Partizipierender ausgehandelt werden. Zwar attestieren eine Reihe von Medienpädagogen Kindern und Jugendlichen ein gewisses Maß an selbst entwickelter Medienkompetenz und Selbstsozialisation bzw. Selbstkonstitution ihrer Lebenswelt und schreibt ihnen damit eine gewisse Autonomie zu, unbestritten aber bleibt die Gefahr einer Meinungs-, Informations- und Kommunikationsmacht der Produzenten, die auf ihrer ökonomischen Macht beruht.179 Kinder und Jugendliche stellen andererseits in den Überlegungen der Kulturindustrie unbestritten eine von Zahl und Kaufkraft her wichtige Gruppe der Konsumenten dar.180 Eine Forderung nach einer globalen "bergenden Humanität"181 erweist sich angesichts der Dominanz ökonomischer Strukturen zwar als berechtigt, aber wenig realistisch. Schule hat notwendigerweise deshalb die Aufgabe, nicht nur ein Protective Environment zu bieten, sondern eben auch den Jugendlichen auf die Wirklichkeit in einer Weise vorzubereiten, die Handeln auch als sinnhaft erfahrbar werden lässt und die Welt anhand "überkulturelle Wertorientierungen"182 wie Solidarität, Zukunft, Verantwortung, Autonomie und Vernunft183 zu gestalten sucht. "An active responsibility for the rest of humankind, and for the world of which we are part, is a necessary ingredient of a good life.” 184 6.4 Praktische Perspektiven einer Implementierung bzw. Lokalisierung In der Schulpraxis kann die Implementierung der oben beschriebenen pädagogischen Ziele, die auf der reflexiven Rezeption der alltagspragmatischen Trias jugendlicher Kulturtechniken von Bedeutungs- und Subjektkonstitution, intrinsische Motivierung und kollektive Fiktionalisierung basiert, auf mehreren Ebenen gleichzeitig in Angriff genommen werden: Eine Modifikation der allgemeinen Schulstrukturen, die sich naturgemäß aufgrund der institutionalisierten Entscheidungsprozesse nur mittelfristig als politischer Prozess gestalten lässt, ist unter dem Eindruck der Ergebnisse internationaler Vergleichsstudien185 allenthalben forciert worden und ergänzt Initiativen der einzelnen Bundesländer, die auf Überlegungen eines Qualitätsmanagements an Schulen beruhen. 186 Schon jetzt bietet es sich deshalb an, für eine Implementierung bzw. Lokalisierung Freiräume zu nutzen, die Schulen zunächst nur nicht-staatlicher Träger, unter dem politischen Schlagwort einer 'Schulautonomie' aber nun allen in mittlerweile allen Bundesländern zugestanden werden. 187 Zwar geht es den politischen Entscheidungsträgern wohl mehr um eine finanzielle Entlastung der kommunalen und Landeshaushalte, trotzdem ergeben sich bei der Übertragung bisher schulextern wahrgenommener Entscheidungs- und Gestaltungskompetenzen Möglichkeiten, die gerade auch pädagogisch genutzt werden können. Schulen erlangen damit eine Möglichkeit der distinktiven Selbstgestaltung, die sich insbesondere in der Projektierung von Schulentwicklung und –profilierung manifestiert und in der pädagogischen Praxis sich auf eine Veränderung der Mikrostrukturen von Schule konzentriert. Im Rahmen des Schulentwicklungsprozesses 178 Vgl. dazu: KOHLBERG 1974; KOHLBER/ BOYD/ LEVINE 1986; vgl. auch die Darstellung von KOLHLBERGs Konzept einer kommunikativen Kompetenz und der Entwicklung eines moralischen Urteils bei TILLMANN 1994, 222-229; Klassischer Prüfpunkt dieser Ethik wird der Umgang mit (geistigem) Eigentum des anderen! Vgl. dazu: Ulrich in: DIE WELT; Raub- und Tauschverhalten der Jugendlichen, etwa das Verhalten in MUD- LANs, wo man sofort schon auf den Verdacht eines möglichen Nutzen hin, die HDD-Inhalte der Mitspieler kopiert. 179 BAACKE beschreibt mit seinem Bild von "Kommunikations-Disseminatoren", welche die Kinder und Jugendlichen zu "ohnmächtigen Minderheiten" degradieren, objektiv zwar richtig die Machtverhältnisse, berücksichtigt allerdings dabei zu wenig das auch in seinem Ansatz angelegte emanzipatorische Potential kindlicher und jugendlicher Konstitution, BAACKE 1997, 33 180 Protokolle Tagung "Fernsehkultur" 181 BAACKE 1997, 33 182 Klassischer Prüfpunkt dieser Ethik wird der Umgang mit (geistigem) Eigentum des anderen! Vgl. dazu Napster-Diskussion,; ULRICH 2000; Raub- und Tauschverhalten der Jugendlichen, etwa Thorstens Beschreibung des Verhaltens in MUD-LANs, wo man sofort schon auf den Verdacht eines möglichen Nutzen hin, die HDD-Inhalte der Mitspieler kopiert. 183 GUDJONS 1999, 207 184 CSIKSZENTMIHALYI 1997, 133 185 OECD 2004 186 LOHRE/ KLIPPERT 1999 187 PRASSE 2002 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 341 werden nun eine Reihe von Feldern im innerschulischen Diskurs virulent, die bei entsprechender pädagogischer Gravitierung Schule in einer solchen Weise verändern können, dass sie aus der Perspektive der Jugendlichen an ihre handlungsleitenden Themen zumindest von den strukturellen Voraussetzungen her anschließen kann. Dazu gehört wesentlich, diese Perspektive überhaupt wahrzunehmen und zu respektieren. Schule kann dann zu einem aus der Sicht der Jugendlichen ernst zu nehmenden Angebot werden, das erfolgreich mit dem des Erlebnismarktes konkurrieren kann. Aber auch aus dem konkreten Unterricht heraus ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, die oben beschriebenen pädagogischen Zielkategorien im wie neben dem Unterricht zu realisieren. Selbst unter ungünstigen kontextuellen Bedingungen bestehen damit Möglichkeiten, die Kinder und Jugendlichen in ihrer Individuation zu unterstützen. Auch im Unterricht können unschwer Räume geschaffen werden, die einerseits als Protected Environment sie der ökonomisierten Logik eines Alltags vorübergehend entziehen und ihnen so einen propädeutischen wie experimentellen Zugang zu den Phänomenen einer mediatisierten Gesellschaft ermöglichen, in denen sie ihre Bedeutungs- wie Subjektkonstitution vorzunehmen haben, andererseits als Soziale Räume integrative Momente vermitteln, die ähnlich jugendkulturellen Szenen affirmative wie motivationale Funktion für ihr Handeln haben. Dass Unterricht darin erfolgreich sein kann, zeigen die positiven Erfahrungen besonders aus dem Bereich der Primärschule und Orientierungsstufe, die didaktisch von einem selbstgesteuerten Lernen des Schülers ausgehen, was sie methodisch mit unterrichtlichen Organisationsformen wie Projektarbeit und Freiarbeit zu realisieren suchen.188 Der Wert dieser Unterrichtsformen ist inzwischen auch für die Sekundarstufen erkannt, wo sie entwicklungspsychologisch angemessen adaptiert wenigstens temporär zum Normalunterricht werden. Gelingt es dabei, diesen Prozess weniger von der Schule dominiert als vielmehr von den Kinder und Jugendlichen her gestaltet erlebbar werden zu lassen, erhält er unter bestimmten kontextuellen Voraussetzungen eine spezifische Eigendynamik, die als Flow nicht nur den eigentlichen Unterricht, sondern auch die außerschulische Ästhetisierung des Alltags beeinflusst. Die Kinder und Jugendlichen transformieren dabei den ursprünglich unterrichtlichen Auftrag und die mit ihm angedachten pädagogischen Mittel in eine von ihnen kompetent im Alltag beherrschten Form heuristisch orientierter und kollektiv organisierter Interaktion, wie sie diese als Quest aus ihren Fantasy Rollenspielen kennen. In den folgenden Beispielen soll gezeigt werden, wie auf verschiedenen schulischen Handlungsebenen Schule versuchen kann, ein Programm zur Förderung von Individuation bei Kindern und Jugendlichen zu entwickeln und zu realisieren und die Kinder und Jugendlichen bei ihrer Bedeutungs- und Subjektkonstitution zu unterstützen. "Netzwerk Medienschulen"– Horizonte öffnen in einem Projekt der Bertelsmann-Stiftung (1999-2002) Die Bertelsmann-Stiftung initiierte 1999 im Rahmen ihrer Bemühungen um ein Qualitätsmanagement an Bildungseinrichtungen ein Projekt "Netzwerk Medienschulen"189. Ziel war dabei, die vorhandenen Ansätze und Modelle einer zeitgemäßen Medienbildung in den Schulen zu erfassen, sie pädagogisch zu durchdringen und zu strukturieren und exemplarisch einer interessierten Öffentlichkeit zu präsentieren. Das Projekt sah dabei keine direkte finanzielle Unterstützung der beteiligten Schulen vor, sondern konzentrierte sich auf die Bereitstellung und Förderung der für einen effizienten Diskurs notwendigen materiellen und personellen Ressourcen. Dies umfasste u.a. regelmäßige bundesweite Treffen der beteiligten Schulen auf verschiedenem Organisationsniveaus: etwa als Gesamtforen, Meetings der Schulleitungen, Treffen einzelner Arbeitskreise, aber auch die Einrichtung von Kommunikationsplattformen im Internet, die Einbindung von Experten und die laufende Dokumentation wie eine begleitende und abschließende Evaluation. Das Projekt war auf drei Jahre angelegt.190 In der ersten Phase konnten sich Schulen anhand von Ausschreibungsunterlagen für das Projekt bewerben. Dabei sollten dezidiert die aktuelle Medienausstattung der Schule, die bislang durchgeführte Arbeit mit Medien wie die mit der Projektteilnahme intendierten schulspezifischen Ziele angeführt werden. In einer zweiten Phase besuchte eine Kommission der Bertelsmann-Stiftung die Schulen und führte mit der Schulleitung wie den für 188 MEYER 1997, II, 155-191 189 Vgl. "Netzwerk innovativer Schulen in Deutschland seit 1998, s. dazu: STERN 1999; Verleihung des Carl Bertelsmann-Preises, 1996 z.B. an das 'Durham Board of Education, Ontario, Kanada, s. dazu: KAHL 1996, BERTELSMANN STIFTUNG 1996; 190 VORNDRAN/ SCHNOOR 2003; http://www.netzwerk-medienschulen.de/dyn/1668.asp [2004-08-15]; 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 342 die Projektarbeit vorgesehenen Personen Interviews durch. Am Ende der Bewerbungsphase entschied sich die Stiftung für zwölf Schulen, die an dem Projekt beteiligt werden sollten. Das Bischöfliche Willigis-Gymnasium erhoffte sich von der Teilnahme am Projekt zum einen positive Auswirkungen auf seinen parallel verlaufenden Prozess einer Profilbildung und Schulentwicklung, zum anderen eine konkrete Evaluation des bisherigen pädagogischen Medieneinsatzes und daraus resultierend Informationen für dessen Fortentwicklung und Optimierung. Die am Projekt teilnehmenden Lehrerinnen und Lehrer aus allen Unterrichtsfächern sahen die Vorteile des Projekts weiter in den zahlreichen und qualitativ hochwertigen Fortbildungsveranstaltungen, im Erfahrungszugewinn beim Besuch anderer Schulen und im Diskurs mit deren Kollegen und mit weiteren Experten über Didaktik und Methodik eines mediengestützten Unterrichts. In der Konstitutionsphase des Projekts etablierten sich eine Reihe von Arbeitskreisen aus den Reihen der Projektteilnehmer, welche die Themenstellung des Projekts weiter konkretisierten und neben dem Plenum und den Meetings der Schulleitungen zur eigentlichen Organisationsform des Projekts wurden: ?? Medienprojekte im Unterricht, ?? Lernen in Laptop-Klassen, ?? Curriculum Medienbildung, ?? Schulinterne Lehrerfortbildung und ?? Intranets an Schulen. Da die Teilnehmer der Arbeitskreise aus verschiedenen Schulen kamen und unterschiedliche Unterrichtsfächer repräsentierten, entstand aus diesen Interferenzen eine sehr effiziente Arbeitsatmosphäre. Die Integration der Ergebnisse der Arbeitskreise auf Landesebene erfolgte durch eine laufende Berichterstattung der jeweiligen Leitung an das Plenum und vor Ort durch die Berichterstattung der Teilnehmer in den Projektarbeitskreisen, die sich parallel an den einzelnen Schulen bildeten. Gleichzeitig übernahmen die Teilnehmer auch die Verantwortung für die Implementation der Arbeitskreisergebnisse an ihrer Schule. Ein explizites Berichtswesen sicherte die Effiz ienz des Projektmanagements durch die Projektkoordinatoren an den einzelnen Schulen. Als Ergebnis des Projekts lässt sich für das Bischöfliche Willigis-Gymnasium u.a. folgendes festhalten191: Grundsätzlich war eine Zunahme von Medienprojekten in und außerhalb des Unterrichts zu verzeichnen, die auch qualitativ wie innovativ in neue Bereiche vorstießen. Dazu gehörten neben spezifischen medienorientierten Unterrichtsprojekten besonders europäische Bildungsprojekte im Rahmen von EU-Programmen wie internationale Kommunikationsprojekte, die weitere Unterrichtsfächer einbanden und fächerverbindend wie fachübergreifend arbeiteten. Die Delegation von Aufgaben in selbständige bzw. moderierte Schülerarbeit schuf neue Bereiche und Formen von Unterricht. Allgemein kann bei den Projektteilnehmern eine Professionalisierung durch Wissens- und Projektmanagement festgestellt werden.192 Im Schuljahr 2003/ 04 sollte nach längerer Vorbereitung eine Klasse mit einem notebookgestützten Unterricht beginnen. Da das Projekt nur unter der Bedingung durchführbar war, dass die Eltern die Anschaffung der Geräte vornahmen, war es angesichts der sich verschlechternden Wirtschaftslage nicht verwunderlich, dass sich zwar eine beachtliche Anzahl, letztlich aber dennoch zu wenige Schüler und Eltern zu diesem Schritt entschließen konnten. Das Projekt bleibt aber nach dem Willen der schulischen Institutionen weiter in der Agenda und soll von Schuljahr zu Schuljahr neu angeboten werden. Trotzdem: Die notwendige Information der Schüler und Eltern und die sich daraus ergebenden Diskussionen erwiesen sich als ein produktiver Reflexionsprozess von Möglichkeiten und Zielen, die mit dieser Form einen mediengestützten Unterrichts realisiert werden sollen. Konsens besteht darüber, dass mit und in diesem Unterrichtsprojekt selbstkontrolliertes Lernen gefördert werden kann, sich die Lehrerrolle zu einer partizipatorischen verändert, intrinsische Motivation gesteigert und verstetigt wird und veränderte soziale wie kommunikative Interaktionsformen und wie ein erweiterter Medienkompetenzbegriff zu erwarten sind. Das neue Medium leistet weiter einen wesentlichen Beitrag zu einer effizientern Binnendifferenzierung und zur gezielten Förderung leistungsschwacher wie –starker Schüler im 191 Zur schulspezifischen Evaluation vgl. PRASSE 2002; VORNDRAN 2002a; DICHANZ 2001; 192 BLÖMEKE 2002; SONNABEND 2002, KILZ 2002; VORNDRAN 2002b; 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 343 Unterricht.193 Eng mit der geplanten Einführung des notebookgestützten Unterrichts verbunden ist die schulinterne Weiterführung und Modifikation der entsprechenden Fachcurricula wie der Ausarbeitung eines schulspezifischen Curriculums Medienbildung, das fächerverbindend realisiert werden soll. 194 Schon während der Projektlaufzeit wurde dabei immer wieder deutlich gemacht, dass es sich dabei um mehr als nur eine technische Beherrschung von Medien handeln muss, was im Begriff einer kritisch-reflexiven Medienkompetenz zum Ausdruck kommen soll. Von Beginn der Implementierung an wurde auch ein umfassender Medien- und Textbegriff im schulischen Diskurs verwendet.195 Als erfolgreiche Form der schulinternen Lehrerfortbildung hat sich neben den thematisch orientierten Fortbildungstagen des gesamten Kollegiums die sog. 20-Minuten-Fortbildung etabliert. An zwei Tagen in der Woche können sich interessierte Kollegen zu festgelegten und im Stundenplan geblockten Zeiten zu bestimmten Themen fortbilden. Als Referenten fungieren dabei Lehrer, Eltern und Schüler mit Expertenwissen. Themenwünsche können in einer Liste eintragen werden und werden dann abgearbeitet, oder aber Referenten bieten thematische Einheiten an und interessierte Kollegen schreiben sich dafür ein. Da nicht alle Kollegen zu den Terminen frei haben, werden die Themen so lange angeboten, bis keine Nachfrage mehr besteht. Bislang haben etwa 60 dieser Veranstaltungen stattgefunden. Die Bandbreite der Themen reicht dabei von der Bedienung technischer Geräte bis zur Einführung in neuere pädagogische Ansätze. Von Beginn an war beim Arbeitskreis 'Schulische Intranets' auf eine möglichst umfassende Bedeutung des Begriffs Intranet Wert gelegt worden, um einer technizistischen Verengung vorzubeugen, die eine hohe Konzentration von Netzwerk-Spezialisten erwarten ließ. Unter Intranet versteht der Arbeitskreis schließlich eine Vernetzung aller humanen und materiellen Ressourcen einer Schule.196 Eine wesentliche Aufgabe war es deshalb, dieses Netzwerk in seinen Verknüpfungen und entscheidenden Knoten zu beschreiben und eine generelle Interaktions- bzw. Kommunikationsplattform zu finden, welche dieses Netzwerk konstituieren und verstetigen konnte.197 Bei der konkreten Umsetzung der Ergebnisse aus dem Arbeitskreis an der Schule stellte dennoch zunächst der Ausbau bzw. Aufbau des schulischen Intranets eine technisch wie finanziell besondere Anstrengung und Leistung dar. Mit dem Aufbau eines Glasfaser-Backbone und einer professionellen Serverstation konnten zunächst alle Klassenräume an ein Schulnetzwerk mit hochwertiger Performance angeschlossen werden. Als erheblich problematischer erweist sich dagegen die Suche nach einer Software- Plattform, die eine umfassende Nutzung dieses Netzwerks ermöglichen soll. Während der Projektphase experimentierte die Schule wie andere Teilnehmer mit von der Bertelsmann-Stiftung zur Verfügung gestellten Software198, die allerdings nicht überzeugen konnte. Von besseren wie überzeugenden Ergebnisse berichten Projekt-Schulen mit dem Einsatz von professioneller Software wie "Notes" und "Quickplace"199. Diese Lösungen scheitern aber an den hohen Lizenzkosten. Auf Dauer können allerdings die momentanen Provisorien nicht überzeugen und müssen durch ein leistungsfähiges und ubiquitär verfügbares Content Management200 ersetzt werden. Immerhin gelang es mit der Konzentration auf den Netzwerkknoten Mediathek, eine weitere Voraussetzung für eine Optimierung und Intensivierung des schulischen Intranets zu schaffen. Hier sollen eine Reihe von Prozessen zusammenlaufen, die ebenfalls für dessen Aufbau als notwendig erachtet werden. Etwa die Erfassung aller Medien der Schule in einer zentralen Datenbank und der Aufbau eines zentralen Servers mit überall vorhandenen und umfassenden Recherche- und Nutzungsmöglichkeiten. Weiter die möglichst weitgehende Digitalisierung der analogen audiovisuellen Medien und ihre Einbindung in die zentrale Datenbank. Damit verbunden ist der gezielte Aufbau und die konsequente Weiterführung vorhandener Sammlungen analoger wie zunehmend digitaler Medien. Die Mediathek selbst wird als 'offener' Arbeitsraum gestaltet durch die Optimierung der vorhandenen Medienarbeitsplätze, die Ausdehnung der Öffnungszeiten und der Beratungs- und Moderationsangebote. Sie 193 ENGELEN 2003; SCHAUMBURG/ ISSING 2002; BRICHZIN 1999; STOLPE 2002 194 STOLPE 2001 195 Vgl. dazu BACHMAIR 2002/ 2003 zur Bedeutung z.B. diskontinuierlicher Texte in der Literalität von Jungen; 196 DICHANZ 2001 197 Vgl. zur Funktion schulischer Intranets besonders DICHANZ 2001 198 DANKWART 2003; http://www.iicm.edu/ [2004-08-15]; 199 http://www-306.ibm.com/software/lotus/ [2004-08-15]; 200 Netzwerk-Software, bei der administrativ eingerichtete und gestaltete Oberflächen (Form Sheets) von den Usern ad hoc und selbständig mit Inhalten gefüllt werden können; die User verwalten dabei die von ihnen geschaffenen Flächen selbst; s. http://www.contenido.org/opensourcecms/de/ [2004-08-15]; 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 344 koordiniert und organisiert die Förderung klassischer wie moderner Medienkompetenzen durch Schulung von Schüler- und Lehrergruppen mit und an den Medienbeständen und arbeitet eng mit Projekten von Klassen, Arbeitsgemeinschaften, Gruppen und einzelnen Nutzern zusammen. Schließlich schafft sie Möglichkeiten der Dokumentation, Präsentation und Publikation von Projektresultaten. Mittlerweile konnten neben der Mediathek weitere Knoten im Bildungsnetzwerk der Schule gebildet werden. Dazu gehören insbesondere sog. Fachschaftsräume, die nach den Vorstellungen der einzelnen Fächer auch mit Medien ausgestattet werden. So verfügen nun auch die geisteswissenschaftlichen Fächer und Sprachen wie bisher die Naturwissenschaften über eigene Bereiche, für die u.a. auch weitere Hardware wie Multimedia -PC, Beamer und Active Boards angeschafft wurden.201 Die Teilnahme am Projekt "Netzwerk Medienschule" hat offensichtlich einen Prozess in Gang gesetzt, der spürbar die Schule verändert. Vieles was in der pädagogischen Diskussion allzu abstrakt bleibt, wird in der Umsetzung der Projektergebnisse geerdet. In der Schule findet eine 'stille Revolution' statt, bei der sie Legitimität zurückgewinnt, indem sie Schülern, Lehrern und Eltern als einen Kontext gibt, der ihnen selbstbestimmtes und gestaltendes Handeln ermöglicht. Die Öffnung von Schule für Medien jeder Art und Netzwerke verändert den Schulalltag: So entstehen in den medienorientierten Projekten Soziale Räume, die Unterricht an sich schon verändern und teilweise über den engeren Bereich von Schule hinausreichen. Es kommt hier zu einer deutlichen Zunahme differenzierten und individualisierten Lernens durch die Jugendlichen, das sie durch kooperative Formen ergänzen. Strukturierung und Organisation dieses Lernens basieren auf den Alltagskompetenzen der Kinder und Jugendlichen und erfahren einen erfolgreichen Transfer in schulische und unterrichtliche Kontexte. Mit den Medien und in ihrer kompetenten Verwendung erhalten die Jugendlichen entscheidende Werkzeuge zu einem zumindest in der Eigenwahrnehmung weitgehend autonomen Handeln und erfahren so eine Unterstützung ihrer Bedeutungs- und Subjektkonstitution. Zu beobachten ist damit weiter ein Prozess der Enthierarchisierung von Schule und Unterricht, bei dem der Pädagoge mehr und mehr zum Begleiter und Moderator selbstbestimmter Lernprozesse wird, in seiner funktionalen Autorität an Bedeutung gewinnt und in die kooperativen Formen des Sozialen Raumes mit eingebunden wird. Die Intensität der Projektarbeit der Jugendlichen, welche sich gerade darin äußert, dass die Projekte weiter als vom Lehrer angedacht expandieren und durch die Jugendlichen in Durchführung und Zielsetzung bestimmt werden, deutet auf autotelisches Handeln und Prozesse intrinsischer Motivierung hin. In deren redundanten Übung an neuen Gegenständen entwickeln sich bei den Jugendlichen Identitätsentwürfe, die Ergebnisse einer kritisch-reflexiven Selbstbildung202 sind. Schule weiter entwickeln - "Miteinander leben und lernen" Unter dem Schlagwort "Qualitätsmanagement" sind in den meisten Bundesländern die Schulen aufgefordert, Schulentwicklungsprogramme zu entwickeln und einen evaluierbaren Schulentwicklungsprozess in Gang zu setzen.203 Als Schule in der Trägerschaft des Bistums Mainz stellt sich diese Anforderung für das Bischöfliche Willigis-Gymnasium Mainz von zwei Seiten: einerseits hat das Land Rheinland-Pfalz eine Qualif izierungsinitiative für Schulen begonnen und die Schulen aufgefordert, deren Vorgaben möglichst rasch umzusetzen204, andererseits hat sich der Schulträger die Forderungen der hessischen Kultusbehörden nach einer möglichst rasch durchzuführenden Profilbildung der dortigen Schulen205 zu eigen gemacht und für alle Schulen in seiner Verantwortung als verbindliches Ziel propagiert in der Hoffnung, im Rahmen künftiger Kontingenzstundenpläne das eigene Profil deutlicher als bisher in der Unterrichtsorganisation markie ren zu können. 201 MATHEA 2002/ 2003 202 MAROTZKI 2004 203 Bund-Länder-Kommission-Programm "Qualitätsverbesserung in Schulen und Schulsystemen (QuiSS)" (1999-2004), s. http://www.blk-quiss.de [2003-06-30]; 204 In Rheinland-Pfalz werden im Rahmen von QuiSS zwei Programmteile mit Modellcharakter realisiert: "Unterstützung des schulinternen Qualitätsmanagements durch Kooperation zwischen Schulen und Moderatoren (QuiSS-rp I)" (1999-2002) und "Qualifizierung von schulinternen Steuerungsgruppen und Fachgruppen (QuiSS-rp II)" (2002-2004); Ziel der Programme ist die Ausweitung der Qualifizierungsprozesses auf weitere Schulen des Landes, s.a. http://quiss.bildung-rp.de/quiss/quiss/quissrp.htm [2003-07-15]; 205 s. http://modelle.bildung.hessen.de/modellregion-frankfurt/01_projekt/print_all [2003-07-15]; 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 345 Diese Entwicklung läuft parallel zu einem schon seit mehreren Jahren in Gang befindlichen Prozess einer Profilfindung, die sich aus den besonderen Bedingungen einer Jungenschule in einer weitgehend koedukativen Schullandschaft ergibt. Der Hinweis auf die Tradition der Jungenschule kann heute die Frage nach ihrer Berechtigung nicht mehr ausreichend beantworten, so dass die Schule argumentativ ihre Legitimation entwickeln muss.206 Erfreulicherweise kommt auch von der Elternschaft der Schule ein wesentlicher Impuls, diesen Prozess voranzutreiben. Engagierte Vertreter der Eltern, die u.a. in Qualifizierungsverfahren in der Privatwirtschaft eingebunden waren und sind, haben mehrfach Unterstützung insbesondere für Auditing- und Evaluationsprozesse angeboten. So hat die Elternseite auch eine umfassende Befragung bei Schülern, Lehrern und Eltern zum Status Quo der Schule, aber auch zu den kontextuellen Zusammenhängen des Lebensraumes Schule durchgeführt. Dabei wurden insbesondere auch affektive Items erfragt, d.h. die Schülerperspektive und ihre Wahrnehmung von Schulalltag angemessen berücksichtigt.207 Besonders auffallend ist etwa die differierende Einschätzung des konkreten unterrichtlichen Handelns bei Schülern, Lehrern und Eltern. So fühlt sich die Mehrzahl der Schüler zwar eher im Unterricht bei Problemen gefördert und unterstützt, doch gerade mit zunehmendem Alter artikuliert sich auch eine deutliche Gegenmeinung, die in der Oberstufe schließlich sogar die Oberhand gewinnt. Dies wird auch durch die Einschätzung der Lehrer bestätigt, welche die pädagogische Begleitung von Schülern oder Klassen ist in den vorgesehenen Gesprächen und Konferenzen keinesfalls als ausreichend empfinden. Es gelingt offensichtlich Schule nur begrenzt, die Identitätsentwicklungsprozesse der Jugendlichen in der Adoleszenz angemessen zu begleiten. Dies korrespondiert mit dem Phänomen, dass jüngere Schüler den persönlichen Umgang zwischen Lehrern und Schüler durchweg positiv beurteilen. In der oberen Mittelstufe kippt dann das ursprünglich positive Urteil, wenn die Identitätsentwürfe der Jugendlichen eine besondere distinktive Brisanz entwickeln. Interessanterweise empfinden die Schüler der Oberstufe dann wieder den Umgang mit Lehrern deutlich positiv. Offensichtlich führt ihr veränderter Status und ein geändertes Rollenverständnis der Lehrer zu einem gleichberechtigteren Umgang. Dass Lehrer grundsätzlich dazu tendieren, ihr Verhältnis zu Schülern als positiv zu empfinden, mag auf solche Erfahrungen zurückgehen. Aus der Perspektive der Mehrzahl der jüngeren Schüler kann Unterricht auch in einer Erlebensdimension ('Spaß') motivieren. Unklar bleibt nach der Umfrage, was genau im Unterricht motivierend wirkt und wie diese Motivation entsteht und verstetigt wird. In der oberen Mittelstufe attestieren die Schüler dem Unterricht der Lehrer zwar grundsätzlich weiter eine motivierende Wirkung, allerdings zunehmend und spürbar reduziert. Eine gewisse Unzufriedenheit mit dem Unterricht wird sehr deutlich. Bei der abgewandelten Fragestellung, ob Lehrer die Schüler für Themen und Fächer interessieren könnten, kommt die Oberstufe zu einem deutlich negativen Urteil. Man sieht dort wenig Motivierendes aus dem Unterricht entstehen. Begreift man Leistungsanforderungen als ein wesentliches kontextuelles Element zur Förderung autotelischen Handelns und der damit verbundenen motivationalen Effekte, so scheint dem Unterricht dies bei den jüngeren Schülern bis zum Ende der Mittelstufe zu gelingen. Die leichte Tendenz, die Anforderungen als zu schwer zu empfinden, kann dabei als der durchaus positive Versuch im Unterricht gedeutet werden, die Anforderung mit Rücksicht auf die erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten sukzessive zu erhöhen. In der Oberstufe allerdings scheint dies nur noch bedingt zu gelingen. Die me isten Schüler fühlen sich hier überfordert und zu wenig gefördert, wenn es darum geht, die Anforderungen zu erfüllen. Offensichtlich kommt es beim Wechsel von Mittelstufe zu Oberstufe (und deren Kurssystem) zu Friktionen, die wohl weniger an den bundesweit standardisierten Anforderungen der gymnasialen Oberstufe als vielmehr auf einem unzureichenden Propädeutikum in der oberen Mittelstufe hindeuten. Dabei schätzen die Lehrkräfte grundsätzlich die Leistungsanforderungen eher als zu gering ein. Um die Defizite gerade im Bereich der Motivation zu kompensieren, sollte sich der Unterricht gerade auch in der Oberstufe und ihren adoleszenten Jugendlichen mehr an Kriterien orientieren, die auf ein autotelisches Handeln abzielen. Es geht dabei weniger darum, Anforderungen als definitive Lernziele zu formulieren als 206 WINTER/ NEUBAUER 2001 207 APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2003-11-11 Auswertung Schulumfrage 2003 Vergleichende Präsentation Kurzfassung.ppt 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 346 einen Zielkorridor zu beschreiben, wie es die aktuellen Standards 208 beabsichtigen. Der Unterricht bleibt dabei aufgefordert, kontextuelle Bedingungen zu schaffen, welche es den Kindern und Jugendlichen ermöglichen, Kompetenzen und Anforderungen in einem angemessenen, d.h. fördernden, nicht überfordernden Verhältnis zu bestimmen. Hinzu kommt als weiteres wesentliches Element eine ebenso angemessene Autonomie, die es ihnen erlaubt, Lernprozesse als selbstgestaltet zu erleben. Obwohl also in der Regel wenig motiviert, sind Schüler grundsätzlich trotzdem davon überzeugt, einen Lernerfolg beobachten zu können. Überraschend ist hier gerade auch die positive Zustimmung noch in der oberen Mittelstufe und die sehr deutliche Mehrheit in der Oberstufe. Der Unterricht kann offensichtlich zwar kaum oder immer weniger an sich motivieren, trotzdem realisiert er erfolgreich gerade kognitive Lernziele. Aus der Perspektive der Jugendlichen gelingt dies Schule insbesondere durch ihre ordnenden und stabilisierenden Strukturen, in denen sich eine Alltags- und Lebensweltrelevanz manifestiert. Die Akzeptant der Prüfungsverfahren und der Notengebung ist so in Orientierungsstufe- und Sekundarstufe I bei den Schülern überraschen hoch, erst in der Oberstufe kommt es zu einem leichten Übergewicht des Missmuts. So richtig toll findet man Prüfungen und Noten da kaum noch, ohne aber die Sinnhaftigkeit der Verfahren generell in Frage stellen zu wollen. Trotzdem sollte Schule alternative Formen der Gratifizierung finden, die besonders auch für die entwickelteren Identitätsentwürfe älterer Jugendlicher akzeptabel sind. Die Schüler fordern in allen Stufen ein sich konsequent am Unterricht und seiner erfolgreichen Durchführung orientierendes Handeln der Lehrer ein. Schule hat Unterricht zu ermöglichen und sicher zu stellen. Dazu ist man bereit, sich in einem angemessenen Umfang auch rigiden Maßnahmen zu unterwerfen. Diese institutionelle Rigidität ist essentieller Bestandteil der Legitimation von Schule. Ihre Akzeptanz ist weniger Ausdruck mangelnden emanzipatorischen Bewusstseins als vielmehr Ausdruck von Suche nach Verortung in einer permissiven Welt zunehmender Indifferenz. Mit der Konstitution einer Reihe von Arbeitskreisen hat das Kollegium der Schule eine pragmatisch orientierte Reflexion der Schulsituation und einer Schule im Wandel begonnen. Dabei zeigt sich allerdings auch deutlich, wie schwer es Pädagogen fällt, diese Veränderungen von Schule wahrzunehmen und insbesondere die Problematik auch aus der Perspektive der betroffenen Schüler zu sehen. Ein Teil der Arbeitskreise beschäftigt sich deshalb fast ausschließlich mit den normativen Strukturen der Schule unter dem Aspekt von deren Optimierung und ihrer Anpassung an eine veränderte und sich weiter verändernde Jugend. In wie weit angesichts einer partiell zu beobachtenden Vernachlässigung grundsätzlicher pädagogischer Überlegungen, die besonders dem gewandelten Phänomen heutiger Jugend gerecht werden müssten, derartige Vorgaben erfolgreich sein werden, bleibt abzuwarten. Hoffnungsvoll stimmt andererseits, dass die Arbeitskreise sich dieser Problematik, wenn auch nicht immer explizit, doch grundsätzlich bewusst sind und insbesondere den Interaktions- und Kommunikationsformen an der Schule wie den gesellschaftlichen Bedingungen von Schule ihre Aufmerksamkeit widmen. Als seine wesentliche Aufgabe sieht so der Arbeitskreis "Wandel in der Gesellschaft/ Herausforderung für Schule" eine Sensibilisierung aller am Profilierungsprozess Beteiligter. In einer ersten Bestandsaufnahme musste man sich eingestehen, mit diesem Wandel zwar täglich konfrontiert zu werden, ihn aber wegen fehlender Kenntnisse nicht angemessen theoretisch reflektieren zu können, um daraus adäquate Handlungsimpulse gewinnen zu können. Der Arbeitskreis versucht deshalb, sich einen Überblick über den State of Art der psychologischen, soziologischen und pädagogischen Forschung zu verschaffen und Fachreferenten zur Fortbildung seiner Mitglieder wie grundsätzlich des Kollegiums zu gewinnen. Auf einem Studientag zeigte sich als weiteres Problem bei einem Referat zur aktuellen Situation von Jugend heute209 deutlich, nicht nur, wie wenig Kenntnisse Lehrer von den Bedingungen einer Jugend in der sog. entfalteten Moderne haben, sondern auch eine wenig ausgeprägte Reflexionsbereitschaft, Gesellschaft und Schule auch aus der Perspektive von Jugendlichen wahrzunehmen. In der Diskussion überwogen in einer bewusst euphemistisch gehaltenen Bewertung der Situation bewahrpädagogische Positionen, deren Relevanz angesichts der tiefgreifenden Veränderungen in der Gesellschaft ja nicht geleugnet werden soll, die aber in der konkreten Situation zum fatalen Ausschluss wesentlicher Realitätswahrnehmung durch die Schule führen können. Eine Schule in privater Trägerschaft verfügt zwar über die Möglichkeit, ihre Klientel auswählen zu 208 http://bildungsstandards.rlp.de/ [2004-08-15] 209 SAYAK 2003 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 347 können. Von da her mag sich, wie selbstkritisch in der Diskussion mehrfach betont wurde, die Brisanz dieser Situation anders als an staatlichen Schulen stellen, bei denen diese Probleme andere Größenordnungen erreichen können. Dass allerdings gesellschaftliche Trends mittelfristig vor den Toren der Schule halt machen könnten, vermag keiner zu glauben, auch wenn man diese Wahrheit gerne verdrängt. Andererseits gelang es dem Arbeitskreis doch, auf den weiteren Verlauf des Profilbildungsprozesses positiv Einfluss zu nehmen. Die Aufnahme einer Reihe von Vorschlägen in das Konzept, die vom Kollegium wie dem das Projekt koordinierenden Lenkungsausschuss gebilligt wurden, zeigen, dass eine Sensibilisierung der Teilnehmer erreicht werden konnte: ?? die Vertiefung der psychologischen, soziologischen und pädagogischen Kenntnisse durch die Durchführung weiterer spezifisch auf jugendkulturelle Phänomene bezogene Fortbildungsmaßnahmen für das Kollegium; ?? die Fokussierung der pädagogischen Diskussion auf die Gender-Problematik (in einem der letzten Jungen-Gymnasien in Deutschland), insbesondere im Hinblick auf Ergebnisse zum häufigeren Versagen von Jungen in Schlüsselkompetenzen bei internationalen vergleichenden Evaluationsstudien210 und zu ihrer Benachteiligung in Bildungsprozessen und Bildungssystem;211 ?? die Förderung selbstgesteuerten und selbstkontrollierten Lernens, u.a. mittels einer Jungen entgegenkommenden weiteren Forcierung der medienpädagogischen Ausrichtung der Schule; ?? die Entwicklung bzw. Optimierung kooperativer Strukturen zur Förderung eines fächerverbindenden und projektorientierten Unterrichts. Mit Beginn des Schuljahres 2004/ 05 konnten eine Reihe von Arbeitskreisen ihre Tätigkeit erfolgreich beenden. Andere haben ihre Intentionen und Ziele als Ergebnis des Reflexionsprozesses modifiziert und bleiben weiter tätig. Eine Reihe von Vorschlägen bedarf ebenfalls noch der Verabschiedung durch die Gremien der Eltern und des Schulträgers. Obwohl eine verstärkte Förderung individuellen Lernens kaum in Frage gestellt wird, tut sich Schule doch sehr schwer, selbständig entwickelte Formen sozialer Interaktion von Kindern und Jugendlichen als eine wesentliche Voraussetzung zu akzeptieren und dafür schulische Kontexte und Räume bereitzustellen. Dass dies in einem doch relativ breiten Umfang trotzdem gelingt, ist immer noch mehr der Initiative einzelner Pädagogen als den schulischen Organisationsstrukturen zu verdanken.212 Andererseits ist deutlich auch ein Bewusstseinswandel zu erkennen. Viele Pädagogen bemühen sich, die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen und deren Auswirkungen auf die Bedeutungs- und Subjektkonstitution der Kinder und Jugendlichen zu erkennen und daraus Konsequenzen für ihr pädagogischen Handeln zu entwickeln. Dabei sind sie bereit, sich an der Reformulierung des pädagogischen Auftrags von Schule zu engagieren. Die Generierung intrinsischer Motivierung ist zwar allgemein anerkannt als unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg von Schule und Unterricht, allerdings folgt man in der pragmatischen Umsetzung weiter einer traditionellen Methodik, die weniger auf die Autonomie des Lernenden und damit eine Wiedergewinnung bzw. Verstetigung der Motivation setzt als vielmehr auf singuläre Impulse durch den Lehrenden in Didaktik und Methodik. Eine Berücksichtigung der alltagsgestaltenden Praxis der Jugendlichen auch im schulischen Umfeld und eine Öffnung von Schule in diese Richtung ist noch immer kaum vermittelbar, erfolgreiche Unterrichtsbeispiele gelten weiter als Solitäre und im schulischen Alltag nicht einsetzbar. Unter den aktuellen Rahmenbedingungen von Unterricht wie Regelstunde, Stundenplan, Leistungsüberpüfungen etc. kann dem auch kaum widersprochen werden. Andererseits haben insbesondere als Projekte organisierte Unterrichtseinheiten213 gezeigt, dass wenigstens temporär diese motivationalen Effekte erreichbar sind und den Unterricht gleichzeitig umfassend verändern. Im außerunterrichtlichen, aber noch schulischen Bereich können zudem gerade als Förderungsmaßnahme Schülergruppen moderiert werden, die sich weitgehend selbst organisieren.214 210 Dominanz kontinuierlicher Texte vs. Kompetenz diskontinuierlicher Texte, s. BACHMAIR 2002/ 2003 211 BIDDULPH 1998; WINTER/ NEUBAUER 2001 212 Begriff des Aktivlehrers bei PRASSE 2002; dort auch eine Darstellung der Bedeutung persönlicher Netzwerke für Schulentwicklung; 213 z.B. fächerverbindende/ -übergreifende Comenius-Projekte "Students Writing Europeen History"; "Europe an Odyssey", "Europe: an Faustian Vista"; 214 Beispiel: JOIN Multimedia-Wettbewerb; Edutainment-AG 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 348 Die Alltagsästhetisierung von Jugendlichen wird trotz einer zunehmenden Einsicht in die aktuellen Bedingungen von Jugend immer noch vor dem Hintergrund sog. humanistischer Bildungsideale diskreditiert, d.h. die vielfältigen individuellen Bemühungen der Jugendlichen um Bedeutungs- und Subjektkonstitution werden nur sehr bedingt ernsthaft als solche wahrgenommen und hermeneutisch reflektiert. Ihre handlungsleitenden Themen werden dabei entweder nicht erkannt oder verkannt. Die Realitätskonstrukte der Erwachsenen gelten weiter als das Maß aller Dinge, auch wenn das Unbehagen wächst, dass sie von den Jugendlichen nicht akzeptiert und als sinnlos empfunden werden. Es ist daher kein Wunder, dass Schule die vielfältigen Formen kollektiver Fiktionen, welche die Kinder und Jugendlichen praktizieren, kaum oder nur disqualifizierend wahrnimmt. Weder werden ihr die für deren Alltag wesentliche Funktion der im Angebot vermittelten und kollektiven Handeln affirmierten Skripts bewusst noch die autonomen Formen der kollektiven Erstellung eigener Skripts, die den jugendlichen Alltag transzendieren. Handeln und Verantwortung in sozialen Feldern - "Compassion" Die Deutsche Bischofskonferenz hatte 1992 beschlossen ein Programm zu entwickeln, welche das spezielle Profil der Erziehungs- und Bildungsarbeit der Katholischen Freien Schulen gerade in Bezug zu den aktuellen Bedürfnissen der Gesellschaft aufzeigen sollte. Die daraufhin eingerichtete Arbeitsgruppe "Innovation"215 konnte auf Erfahrungen von Schulen mit sog. Sozialpraktika zurückgreifen, ging allerdings in ihrer abschließenden Konzeption erheblich weiter. Vorgesehen wurde jetzt eine gezielte Vor- und Nachbereitung bzw. eine unterrichtliche Integration über eine Modifikation der Curricula. Die Dauer der Praktika sollte jetzt wenigstens zwei Wochen umfassen. Das Praktikum sollte für alle Schüler verpflichtend sein ("desideratum humanum") und sich von der Zielrichtung her deutlich von den üblichen Berufspraktika unterscheiden. Der Begriff "Compassion"216 schließlich beschreibt angemessen die religiöse Dimension des Projekts217, kann aber auch von den Jugendlichen als Element ihres Alltags akzeptiert werden, in dem solidarisches Handeln eben auch auf der affektiven Empathie der Jugendlichen untereinander beruht.218 Die positiven Auswirkungen des Projektes auf Jugendliche wie Schule wurden mittlerweile auch wissenschaftlich evaluiert.219 Die Schule realisiert das "Compassion"-Konzept seit 1995 als ein mehrwöchiges Sozialpraktikum zunächst Ende der Jahrgangsstufe 11, seit der Verkürzung des 13. Schuljahres in Rheinland-Pfalz am Ende der Jahrgangsstufe 10 im Gymnasium. 220 Die Schüler bewerben sich dabei bei möglichst von ihnen selbst ausgewählten Einrichtungen um einen Praktikumplatz. Im Falle einer Zusage werden sie bei dieser Institution in den letzten drei bis vier Wochen vor den Sommerferien unter den üblichen Bedingungen für Auszubildende ihres Alters arbeiten. Sie sind während dieser Zeit vom Unterricht freigestellt. Sie werden durch ihre Lehrer betreut, die gehalten sind, im Rahmen ihrer Unterrichtsverpflichtung die Schüler vor Ort zu besuchen, mit den Mitarbeitern der Einrichtung und den Schülern zu sprechen und als ständige Ansprechpartner für Konflikt- und Krisensituationen zu fungieren. Um die Bedeutung des Praktikums als schulisches Angebot zu unterstreichen, wurde bewusst auf eine Einbeziehung von Ferienzeiten verzichtet. Es kommt allerdings immer wieder vor, dass Schüler weit über den vereinbarten Umfang sich in den Einrichtungen engagieren. Die Bandbreite der Einrichtungen, die von den Schülern gewählt werden, reicht von Kindergärten bis hin zur Schwerbehindertenbetreuung. Die Schüler reflektieren ihre Erfahrungen in einem Praktikumbericht, den sie schon während der Praktikumzeit beginnen und später abschließen. Dabei sind neben den üblichen schriftlichen Formen der Gestaltung auch künstlerische ausdrücklich gewünscht. Die betreuenden Lehrer nehmen eine Bewertung der Berichte vor. Ebenso geben die Institutionen eine Beurteilung des Schülers ab. Liegen Bericht und die Beurteilungen des betreuenden Lehrers und der Institution vor, erhält der Schüler ein Zeugnis über seine Sozialpraktikumzeit. Die anfänglichen Vorbehalte gegenüber dem Projekt sind mittlerweile völlig ausgeräumt worden: Zwar stellt das doch stark verkürzte 10. Schuljahr Schüler und Lehrer im Hinblick auf das Curriculum unter Zeitdruck, doch sehen beide Seiten dies mit den Erfahrungen des Praktikums mehr als kompensiert. Befürchtungen einer 215 Vorsitz: Adolf Weisbrod 216 Sozialethischer Begriff der Kennedy -Administration, vgl. auch Compassionate Conservatism als Programm der Bush-Administration (http://compassionate.conservative.com/ [2004-09-30]); 217 Vgl. hierzu besonders: METZ 1999, 10-17 218 Einen Projektüberblick liefert: METZ/ KULD/ WEISBROD 2000 219 KULD/ GÖNNHEIMER 2000 220 Die Vorverlegung des Termins hatte wegen des nun gesenkten Alters der Jugendlichen teilweise Auswirkungen auf die Bereitstellung von Praktikumplätzen; 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 349 psychischen Überforderung der Jugendlichen haben sich selbst für 'harte' Einrichtungen, in denen sie mit außergewöhnlichen Situationen konfrontiert werden, nicht bewahrheitet. Trotzdem steht für mögliche Fälle dieser Art ein Betreuungsteam aus Schulpsychologen, Ärzten und Schulseelsorge bereit. Gerade die Jugendlichen selbst zeigen in ihren Berichten, welchen hohen Stellenwert sie der Möglichkeit, sich sozial betätigen zu können, einräumen. Dies stimmt mit dem positiven Urteil der Institutionen überein, die den Einsatz der Jugendlichen sehr befürworten und ihnen uneingeschränkt eine engagierte Arbeit attestieren. Die Jugendlichen erleben in den Einrichtungen unterschiedlichste Formen menschlicher Interaktion. Die auch dort üblichen hierarchischen Strukturen treten allerdings in ihrer Wahrnehmung in den Hintergrund zugunsten personaler Interaktion, etwa im Betreuerteam, in den Beziehungen zu den Klienten, mit der man zusammenarbeitet bis hin zu emotional und affektiv sehr intensiven dyadischen Beziehungen zu einzelnen Personen aus der Gruppe der Betreuten. Diese Interaktionsformen scheinen den Jugendlichen um so natürlicher, da sie über eine reine Finalität hinaus eine Sinnhaftigkeit besitzen, die sie auch außerhalb der eigentlichen Berufswelt virulent bleiben lässt. Für den Alltag der Einrichtungen stellen die Jugendlichen auch eine Herausforderung dar, sich mit dem eigenen Handeln und der Alltagsritualisierung reflexiv auseinander zusetzen. Die Jugendlichen erleben deshalb die Einrichtung und deren Mitarbeiter oft als vorbildhaft. Nicht selten hat deshalb das Sozialpraktikum auch schon zu Berufsorientierungen geführt, die den Mitmenschen in den Fokus des eigenen Handelns stellen. Angesichts der vielfältigen alternativen Identitätsentwürfe und – entwicklungsprozesse, denen die Jugendliche in den sozialen Einrichtungen begegnen, erfährt ihre Bedeutungs- und Subjektkonstitution eine tiefgehende Konterkarierung, die zur reflexiven Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln führt. Die Konfrontation mit jüngeren und älteren Menschen öffnet den Blick für die Geschichtlichkeit eigener Entwicklung und ihrer Vergegenwärtigung als Biographie, die Begegnung mit physisch und in ihrer Wirkung noch intensiver mit psychisch Kranken vermittelt Einsicht in die Fragilität menschlichen Daseins und intentionalen Handelns. In den betreuenden Gespräche und in den vielfältigen schriftlichen und künstlerischen Auseinandersetzungen mit diesen Erfahrungen zeigen sich die Jugendlichen in einem hohen Maße sensibilisiert in der Wahrnehmung von anderen und sich selbst. Obwohl die Jugendlichen in den Institutionen der dortigen Arbeitsorganisation und –strukturierung unterworfen sind und formell weitgehend keine Mitgestaltungsmöglichkeiten haben, erleben sie das Praktikum doch als einen gestaltbaren Teil ihres Alltags und ihrer Lebenswelt. Sie werden sehr häufig schon nach kurzer Zeit am Diskurs der Mitarbeiter in den Einrichtungen beteiligt, erfahren, dass gerade auch unter den restriktiven Bedingungen, unter denen die meisten Einrichtungen leiden, innovative Freiräume gefunden werden können und erhalten schon aufgrund der üblichen angespannten Personallage sehr rasch Aufträge, die selbständiges Arbeiten erfordern. Der Rückhalt im Team oder bei einer betreuenden Fachkraft erlaubt dabei attentives Handeln bis zur Erfahrung des Scheiterns als alltägliche Option menschlicher Interaktion. Im Gespräch berichten die Jugendlichen aber immer wieder von Flow-Erfahrungen als Resultat gelingend und sinnvoll empfundenen Handelns. Dazu tragen neben den Möglichkeiten, auf die Anforderungen begrenzt Einfluss nehmen zu können, auch die direkten und personalen Erfolgserlebnisse bei, von den die Jugendlichen begeistert berichten. In den als Herausforderung empfundenen Situationen entdecken die Jugendlichen, dass sie über bislang unbekannte und unbenutzte Kompetenzen verfügen oder sich in kürzester Frist solche verschaffen können, um diese Aufgaben erfolgreich zu lösen. Eine neue Erfahrung für viele ist auch, dass eine hohe alltägliche Belastung auch als Strain empfunden werden kann und zur Qualität der Alltagsgestaltung beiträgt, Arbeit also auch positiv besetzt sein kann. "Compassion" bietet Jugendlichen die Möglichkeit, ihren Alltag auf neue Art zu erleben und gleichzeitig zu transzendieren. Neben die meist rein kognitive Kenntnis von außeralltäglichen Lebenswelten wie Kindheit, Krankheit, Armut, Alter, Tod tritt das reale und immersive Erleben, das zur Reflexion und kritischen Verortung bisheriger Identitätsentwürfe, zum Handeln und Verändern auffordert. Damit aber wird dem üblichen Alltag und seiner Gestaltung ein alternatives Konzept gegenübergestellt, das in seiner Radikalität die Normalität häufig herausfordert und zur Auseinandersetzung mit dem Bisher führt. 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 350 Kritisch-reflexive Medienkompetenz über einen Notebook-gestützten Unterricht Nachdem im Rahmen des Projektes "Medienschulen" mehrere Schulen mit eingeführtem Notebook-Unterricht besucht werden konnten221 und sich eigene Arbeitskreise222 im Bertelsmann-Projekt wie an der Schule selbst mit den Chancen und Risiken eines derartigen Unterrichts befasst haben, soll nun, sofern es gelingt, die Eltern einer 7. Klasse für diese Angelegenheit zu gewinnen, ein zunächst auf drei Jahre angelegter Versuch begonnen werden, persönliche Notebooks im Unterricht zu integrieren. Da nach dem großen Internet-Hype derartige Projekte aus dem Fokus der Unternehmen gerückt sind, liegt die ganze Last dieser Investition auf Seiten der Eltern, welche die Anschaffung vornehmen sollen223, und der Schule, welche die technischen, administrativen und pädagogischen Voraussetzungen für eine Realisierung schaffen muss. Auf mehreren Elternabenden mit Seminarcharakter konnten sich die Schüler und Eltern über die Konzeption und die Ziele des Projektes informieren. Im Mittelpunkt standen dabei immer auch Fragen, welchen pädagogischen Mehrwert sich die Initiatoren vom Einsatz von Notebooks im Unterricht erhoffen und wie ein solcher Unterricht denn nun konkret aussehen könnte. Für die Eltern als überzeugend erwiesen sich dabei folgende Items des Diskurses: 224 ?? Entwicklung einer kritisch-reflexiven Medienkompetenz: Konfiguration bzw. Nutzung des Notebook als Arbeitsmittel und nicht als Spielgerät; kontrollierte Nutzung des Internet, ethisch bzw. moralisch verantwortlicher Umgang mit fremdem geistigen Eigentum, technischer Lernwiderstand durch LINUX als Betriebssystem, fächerverbindende bzw. -übergreifende Medienbildung, Ausbildung medienästhetischer Kriterien, Ausbildung inhaltlicher Kriterien, Ausbildung syntaktischer Kriterien der einzelnen Medien; ?? Unterstützender, methodisch-überlegter punktueller Einsatz des Notebooks als Unterrichtsmedium; ?? Erweiterung der Möglichkeiten der Binnendifferenzierung als Chance für die Förderung schwächerer wie guter Schüler; ?? Erweiterung der Möglichkeiten von fächerverbindender bzw. –übergreifenden Unterricht; ?? Begleitende pädagogische Evaluation und Fortführung des Diskurses mit Eltern während der gesamten Projektzeit; Nach den bisherigen Evaluationen zum Einsatz von persönlichen Notebooks im Unterricht können alle Beteiligte eine grundlegende Veränderung im Schüler-Verhalten wie im Lehrer-Schüler-Verhältnis erwarten.225 Neben einer sicheren und problemorientierten Handhabung von Hard- und Software stellen die Untersuchungen besonders die reflexiven Kompetenzen heraus, welche die Schüler in einem solchen Unterricht erwerben. Dazu zählen Elemente von Literalität wie die Fähigkeit zur strukturierten Recherche, zur kritischen Reflexion des Erhebungsbefundes und dessen Kommunikation, zu seiner begründeten Beurteilung, zur konstruktiven und gestaltenden Weiterverwendung des Materials und seiner multimedialer Gestaltung. Auch die Förderung der Problemlösungskompetenzen als eine weitere sog. Schlüsselqualifikation lässt sich beobachten. Mit der unterrichtlichen Integration des Mediums trägt Schule auch zu einer 'Demokratisierung' eines Mediums in einer Gesellschaft bei, die sich in der Verfügung über elektronische Informationsmedien in 'Loser' und 'User' zu spalten droht.226 Mitentscheidend für die Anbahnung des Projektes ist auch die hohe Affinität von männlichen Jugendlichen zu technischen Medien, die gerade für den Einsatz an einer Jungenschule spricht. Notebooks führen zu einer Stärkung schülerzentrierter Arbeitsformen, die ein nachhaltiges Lernen durch Eigenaktivität und Selbständigkeit fördern. Damit einher geht notwendigerweise eine Zunahme 221 Das Gymnasium Kaiser-Friedrich-Ufer, Hamburg, ist Teilnehmer des auf vier Jahre angelegten BLK-Förderprogramms SEMIK (Systematische Einbeziehung von Medien, Informations- und Kommunikationstechnologien in Lehr-/ Lernprozesse); das Evangelisch Stiftische Gymnasium, Gütersloh, zählt zu den Pionieren bei Einsatz und Erprobung von Notebooks in unterrichtlichen Zusammenhängen seit 1997; das Gymnasium Ottobrunn hat im Schuljahr 2003/03 Notebook-Klassen eingerichtet; zur wachsenden Zahl von Schulen mit Notebook-Klassen s. die Webseite des "Bundesarbeitskreises 'Lernen mit Notebooks'" (BAK), http://www.Lernen-mit -Notebooks.de [2003-09-11]; 222 VORNDRAN/ SCHNOOR 2003 223 Anschaffungswert: ca. 1.500,00 € für Business-Modelle mit erhoffter hoher Alltagstauglichkeit; Leasingraten um € 40,00/ Monat stellen für eine Reihe von Haushalten angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage eine kaum zu bewältigende Herausforderung dar; 224 Einen guten Überblick über die von den Eltern gesehenen Probleme bei der Realisierung des Projekts gibt eine von Elternseite durchgeführte Erhebung, vgl. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2003-06-30 Auswertung Umfrage; 225 ENGELEN 2003; Evaluation u.a. durch: SCHAUMBURG/ ISSING/ LUDWIG 2002 226 BRICHZIN 1999; BRICHZIN/ STOLPMANN 2002; 2003 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 351 schülerorientierter Lehrverfahren und kollektiv-integrativer Unterrichtsverfahren, die gerade auch soziale Kompetenzen fördern. Deutlich sollte eine Abnahme der Lehrerdominanz im Unterricht werden, etwa durch die Partizipation der Schüler am methodologischen Diskurs. Der geänderten Rolle des Lehrers als Moderator entspricht die des Schülers als partiellen Experten in einer 'flachen', partizipatorisch-emanzipatorisch wie autoritativen Hierarchie. Notebooks erlauben eine effizientere Interaktion in und außerhalb von Unterricht und Schule, ermöglichen eine intensivere, material- und sachgestützte Diskussion und führen zu gesicherten und strukturierten Ergebnissen. Ausschlaggebend hierfür sind die durch sie möglichen kooperativen Arbeitsverfahren (Whiteboards), die Kommunalisierung und reflexive Integration der Arbeitsergebnisse über Dissens und Konsens und die abschließende strukturierte Präsentation wie Archivierung, die Repetition, Redaktion und Weiterentwicklung ermöglicht. Gerade in der Präsentation der Arbeitsergebnisse liegt die Chance, Kinder und Jugendliche entscheidend in ihren handlungsorientierten Kompetenzen zu fördern, auf denen identitätsbildende Interaktionsformen wie Vortrag, Disput und Kolloquium, aber auch Rollenszenarien und szenisches Spiel basieren. Gleichzeitig ergibt sich eine Förderung ästhetischer Kompetenzen beim Einsatz auditiver und visueller Mittel. Die Erfahrungen an den Schulen227 verweisen weiter auf eine Zunahme fächerverbindenden bzw. fachübergreifenden Arbeitens, einfach schon deswegen, weil mit dem Notebook eine Reihe schulorganisatorischer Handicaps (Stundenplan, Raumplan, Personalplan etc.) kompensiert werden kann, die im Normalfall derartigen Unterricht be- bzw. verhindern. Durch die Sicherung des Arbeitsprozesses wie der Arbeitsergebnisse auf dem Notebook können etwa die in den einzelnen Fächern erarbeiteten Elemente unschwer in anderen integriert werden bzw. auf dem Notebook zusammengeführt werden. Ein weiterer positiver Effekt des Notebookeinsatzes für den Schüler stellt die offene Textarbeit dar, die ihm erlaubt, Texte jeder Art nicht nur zu produzieren, sondern auch zu redigieren, zu gestalten und zu veröffentlichen. Dies führt nicht nur zu einer erhöhten Textproduktion, sondern auch zu deutlichen qualitativen Verbesserungen der Texte, etwa in ihrer argumentativen Struktur. Nicht unerwähnt bleiben sollte der Entlastungseffekt im Bereich von Orthographie und Grammatik. Die dort üblichen Softbots erlauben Schülern eine Konzentration auf eigentliche Problemfälle wie semantische Bedeutung und grammatische Kongruenz. Nicht unterschätzt werden darf auch die Anschaulichkeit, die gerade kognitives Wissen mit seiner Kommunalisierung gewinnt. In seinen interaktiven Alltagsbezügen wird damit Wissen auch zu einer Erfahrung von Authentizität, deren man sich in der Science Community vergewissert. Von den Jugendlichen fordern Notebooks ein stetiges und langfristiges hohes Engagement. In dem Medium objektivieren sich umfangreicher Zeitaufwand und eine intensive Beschäftigung. Das Notebook wird dabei über die Schule hinaus Teil des jugendlichen Alltags und seiner distinktiven und integrativen Interaktionsformen. In der Perspektive von Schule und Eltern weitgehend unberücksichtigt bleiben die eigentlichen Intentionen, Hoffnungen und Interessen der Jugendlichen. So weit sich die Schüler angesichts der Intensität der pädagogischen Diskussion zu artikulieren trauen, sollen die Notebooks ganz im Gegensatz zu der schulischen Konzeption folgende Aktivitäten ermöglichen bzw. fördern: an erster Stelle das Spielen von PC-Spielen als Einzelspiel oder im MUD und die Teilnahme an LAN-Partys, weiter einen möglichst uneingeschränkten Internetzugang für Email, Chat, OBG und den Download über den Highspeed-Zugang der Schule, schließlich die Möglichkeiten der Medienwiedergabe wie DVD, MPEG und MP3 und zuletzt das Kopieren von CD und DVD. Den Erwartungen von Lehrern und Eltern begegnen die Schüler mit einem spürbaren Misstrauen: Sie erwarten zum einen verstärkten Anforderungsdruck, mit dem die Rentabilität des neuen Mediums ausgewiesen werden soll, eine erhöhte Belastung durch die Verantwortung für das teure Gerät beim Transport, der Pflege und der Wartung und eine Mehrbelastung durch experimentelle Unterrichtsmethoden und Unterrichtsstoff, mit denen das neue Medium implementiert werden soll. Von den entlastenden und gestaltenden Potenzialen können sich die Jugendlichen nur sehr bedingt eine Vorstellung machen. Die beabsichtigte Reduktion des persönlichen Notebook auf ein reines Arbeitsgerät ist eine wesentliche Ursache dafür, dass das Projekt für die meisten 227 ENGELEN 2003; SONNABEND 2002 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 352 Schülern nur bedingt attraktiv ist. Auch manche Eltern melden hier Bedenken an, gerade dann, wenn das Notebook den bisherigen häuslichen PC substituieren soll, der ja in erster Linie zum Spielen und für Internetkommunikation genutzt wird. Auch die zu erwartende höhere Belastung ist für manche Eltern wie Schüler ein Grund, den Notebook-Einsatz abzulehnen. 228 Die Praxis an anderen Schulen hat allerdings gezeigt, dass die Jugendlichen die Notebooks trotz der vom Konzept her gesetzten technischen Beschränkungen zu einem erheblichen Teil innerhalb ihres Alltags und für dessen Gestaltung einsetzen und einen Großteil ihrer Interessen auch damit umsetzen können. Sie nutzen insbesondere die Formen elektronischer Kommunikation und die Zeit- und Projekt-Management-Funktionen wie die marginaleren Medienrezeptionsfunktionen. Die Integration der Geräte in das identitätspräsentative Arrangement der Jugendlichen zeigen die vielfältigen Gestaltungsformen, welche das Äußere der Notebooks vergleichbar zu anderen jugendlichen Alltagsgegenständen erfährt. Wie die Erfahrungen aus Schulen zeigen, die Notebooks eingeführt haben, werden die Geräte sehr rasch zum alltäglichen Gegenstand, d.h. ihre schulische und unterrichtliche Nutzung tritt gegenüber der privaten mehr und mehr zurück. Sie dienen dann u.a. auch den üblichen Interaktions- und Kommunikationsformen des jugendlichen Alltags, insbesondere dem Emailing und dem Chatten. Weitere Tätigkeitsfelder sind die Partizipation an Online-Auktionen und OBG und der Besuch von Fan- und Fun-Seiten im Internet etc. Im unterrichtlichen Bereich erlauben die Laptops einen direkteren und intensiveren, z.B. kommentierenden Austausch der Arbeitsmaterialien und Arbeitsresultate. Der Umgang mit dem Notebook, der ein Gutteil der Schüler vor erhebliche kognitive und pragmatische Anforderungen stellt, fördert die Herausbildung dyadischer Beziehungen und die von Kleingruppen, in denen die Schüler einander als Experten und Novizen begegnen. Prozesse der Binnendifferenzierung, die auf einer fordernden, aber nicht überfordernden Integration der Jugendlichen in Unterrichtszusammenhänge beruhen, um positive Rückkoppelungseffekte im Sinne intrinsischer Motivation zu erzielen, finden damit eine informelle, weitestgehend von den Jugendlichen selbst organisierte Basis. In diesen sich um die Notebook-Nutzung etablierenden Zirkeln schaffen sich die Jugendlichen ähnlich denen in ihrer Freizeit weitere Interaktionsräume, die der Aufarbeitung von Ohnmacht- und Versagenserfahrungen, aber auch der Ausbildung von Interaktionskompetenzen und der Entwicklung und Affirmation von Identitätsentwürfen dienen.229 Neben dem eher kurzfristig auf die Jungen wirkenden Moments eines neuen technischen Instruments ist der Übergang eines sehr komplexen und mächtigen Mediums in die Eigenverantwortung und Verfügungsgewalt des Jugendlichen von erheblichem Gewicht für eine dauerhafte motivierende Stimulierung.230 Das Gerät stellt einen eigenen, Motivation fördernden Kontext dar und sichert weitgehend eine selbstbestimmte Interaktion des Jugendlichen mit seiner Umwelt auf der Grundlage der vorhandenen und sich im Diskurs mit anderen erweiternder Kompetenzen, die in akzeptabler wie angemessenen Relation zu Anforderungen aus unterrichtlichen wie außerunterrichtlichen Zusammenhängen stehen. Ein Notebook ermöglicht Kontrolle als ein weiteres wesentliches Basiselement von autotelischem Handeln. Gleichzeitig aber öffnet es als liminales Objekt aber auch den Zugang zu unbegrenzt wirkenden Räumen. Als Medium verschaffen Notebooks den Kindern und Jugendlichen einen fast ubiquitär zur Verfügung stehenden Zugang zu den symbolischen Archiven des Internet und digitaler Datenträger. Als praktisch stets zur Verfügung stehendes liminales Objekt ermöglicht das Notebook auch in schulischen Kontexten die Transition mit immersiver Wirkung und die Partizipation an einer digital vermittelten bzw. sich etablierenden kollektiven Fiktionen mit weiteren Potentialen wie Mitwirkung und Gestaltung. Damit eignen sich die Kinder und Jugendlichen einerseits den schulischen Raum an, indem sie ihn partiell in ihrer Alltagsgestaltung integrieren und insbesondere seine protektiven wie sozialen Funktionen nutzen231, andererseits ergeben sich für Schule Möglichkeiten, an ihre kollektiven Fiktionen und die sich in ihnen artikulierenden handlungsleitenden Themen Anschluss zu finden, wenn sie Unterstützung und Begleitung anbietet. 228 Zur Bandbreite von zustimmenden und ablehnenden Argumenten s. APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung 2004-10-08 Evaluation Umfrage Eltern 6 für Notebook-Klasse 2004_05 229 VALLENDAR 2003b 230 CSIKSZENTMIHALYI 1997 231 SAUERWEIN-WEBER 2004 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 353 Unterrichtliche digitale Interaktionsplattformen: Lo-Net, Contenido und IRC Als eigentliches Problem eines mittels digitaler Medien über den Normalunterricht hinaus sich öffnenden und interaktiven Unterrichts erweisen sich weniger die technischen und systemadministrativen Voraussetzungen als vielmehr das Fehlen kostengünstiger und zugle ich in der Anwendungspraxis verlässlicher und einfach zu handhabender Kommunikationssoftware,232 Notwendig ist die Bereitstellung einer Plattform, über die Inhalte jeder Art ausgetauscht werden können. Weiter muss diese Plattform flexibel an die sich verändernde Strukturen in und außerhalb von Schule anpassbar sein. Problematisch sind die Vergabe von Rechten an die User und die Administration eines nach Umfang wie Tiefe dynamisch sich entfaltenden Netzwerks. Die digitale Öffnung von Schule nach außen und eine potentielle Kooperation mit semi-privaten wie privaten Clients führt zu einer Reihe rechtlicher Probleme.233 Die bislang in Schulen zum Einsatz kommende kommerzielle Software löst diese Probleme über eine Standardisierung der Textformate, die den Benutzern zur Verfügung stehen, exklusive Netzwerkstrukturen und komplexe Administrationstools als Content bzw. Document Management Systeme. Diese setzen allerdings leistungsfähige Netzwerk-Hardware, umfangreiche Human Resources und ausgezeichnete Finanzierungsmitte l voraus.234 Erfahrungen mit Interaktionsformen eines Unterrichts, der sich öffnet und in den Alltag der Schüler hineinreicht, sind damit nur auf wenige Schulen beschränkt. Eine Möglichkeit, trotzdem in diesem Bereich alternativer Unterrichtsorganisation zu schnuppern, bietet das Lo-Net235, ein virtueller Klassenraum, das im Internet vom Land Nordrhein-Westfalen kostenlos für interessierte Pädagogen bereit gestellt wird. Mit der Anmeldung und Einrichtung seiner Klasse in Lo-Net kann jeder Fachlehrer fast alle Elemente eines Internetportals für die Belange seiner Klasse verwenden. Via Internet kann die Klasse auch außerhalb von Schule und Unterrichtszeit fachorientiert wie privat kommunizieren. Lo-Net ermöglicht dies mit folgenden Elementen: einem Chatroom, beliebt besonders zur sofortigen Nachfrage bzw. Kommentierung und zum privaten Talk, ein Forum zum Einstellen und zur Diskussion von Beiträgen, eine Mitgliederliste, ein Mailverteiler für den Administrator bzw. den Klassenlehrer, ein Aufgabenbereich, ein Terminkalender, eine Plattform für den Datenaustausch als Up- und Download und zuletzt einem Webspace zur einfachen Gestaltung von Internetauftritten, etwa um Resultate präsentieren zu können. Die Bedienung der Funktionen erschließt sich den Schülern intuitiv. Systembedingte Friktionen wie etwa die beschränkten Textproduktions- und Editiertools lassen sich unschwer durch den Einsatz weiterer Software im Vorfeld der eigentlichen Nutzung von Lo-Net kompensieren236 Für den betreuenden Lehrer ist allerdings Lo-Net aufgrund der sehr eingeschränkten Administrations- und Publikationstools zeitlich recht aufwendig und vielfach sehr umständlich. Exemplarisch für die Arbeit mit Lo-Net steht etwa folgende Unterrichtssequenz: Im Rahmen der Vermittlung von Basiskompetenzen zur Textanalyse sollten Schüler einer 7. Klasse im Fach Deutsch die Inhaltssicherung theoretisch wie praktisch erarbeiten.237 Lo-Net bietet nun mehrere Möglichkeiten, die Schüler darin zu unterstützen. Die kontrollierte Sicherung der Arbeitsergebnisse der Stunde (Tafelbilder etc.) im Download- Bereich erlaubte dem Schüler einen Überblick auf den Verlauf der Sequenz und ermöglichte ein selbständiges Rekapitulieren. Eine ähnliche Funktion hat die Aufgabenliste bei der Organisation und Strukturierung der 232 Mit "Hyperwave" (Hyperwave AG, München) stand für die Projektdauer den Schulen des "Netzwerkes Medienschulen" eine professionelle Content-/ Document-Management-Software zur Verfügung, deren Hardware-Basis und Administration von der Uni Paderborn bzw. der Fa. Nixdorf zur Verfügung gestellt wurde; auch andere Softwarelösungen auf dem Markt liegen preislich alle im 10K-Bereich und sind ohne Industrie-Sponsoring für Schulen nicht finanzierbar, z.B.: "Enterprise Content Management Suite" (RedDot Solutions AG, Oldenburg); "Lotus Notes"/ "Lotus Quick- /Workplace" (Lotus Software IBM Software Group, Cambridge, MA., USA); 233 Vgl. dazu die Darstellung der Realisierung einer E-Learning-Plattform auf der Basis von "Lotus LearnSpace" im Rahmen des Projektes 'Wirtschaft in die Schule!': WIELAND 2003, 22-24; 25-29 234 Das Gymnasium Ottobrunn arbeitet z.B. dank einem Sponsoring der regionalen Industrie mit IBM/ Lotus-Software auf industriellen Serverplattformen, die von den Firmen administriert und gewartet werden; 235 LO-NET: das Lehrer-Online-Netzwerk (http://www.Lo-Net.de [2003-07-09]); LO-NET wird von "Lehrer-Online", einem Projekt der Initiative des BMBF und der Deutschen Telekom AG "Schulen ans Netz e.V." unterhalten und vom BMBF auch finanziert. Im Augenblick sind 13729 virtuelle Klassen mit 171.692 Schülern angemeldet, 24059 Pädagogen tauschen sich in 1.460 Gruppenräumen miteinander aus; 236 Texte z.B. werden mit einem Edit or erstellt und per Drag'n Drop nach LO-NET kopiert; das geringe zur Verfügung stehende Datenvolumen (5 GB) kann durch Komprimierung der Daten effizienter genutzt werden; 237 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.14-1-12 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 354 Hausaufgaben. Die Schüler können dabei wählen, in welcher Reihenfolge und wann sie diese Aufgaben erledigen wollen. Ihre Resultate werden anschließend von Ihnen im Forumsbereich mit der ausdrücklichen Aufforderung um Kommentierung veröffentlicht. In den sich daraus entwickelnden (und sich sehr schnell versachlichenden) Diskussionen (als Forumsbeiträge oder nach zeitlicher Abstimmung auch als Chat) entwickeln die Schüler pragmatisch verortete objektive Kriterien einer Inhaltssicherung. Das Forum bietet weiter die Gelegenheit, redigierte und weitere neue Texte zu veröffentlichen und aus der Kritik zu lernen. Hier bietet sich wie auch schon bei den Aufgaben die Möglichkeit, binnendifferenziert Lernimpulse einzelnen Schülern zu setzen. 238 Im Vergleich mit den Ergebnissen eines bislang traditionellen Unterrichts zum selben Thema produzieren die Schüler qualitativ hochwertige Resultate mit sehr großer Homogenität in der Lerngruppe und ausgeprägtem intrinsisch motivierten Handeln. Die Schüler erfahren weiter die wesentliche Bedeutung kommunikativer Handlungskompetenzen wie etwa Distanz und Toleranz, aber auch sog. sekundärer Tugenden wie Disziplin, Pünktlichkeit und Verlässlichkeit etc.als sinnhafte Instrumente wie Basis sozialer Interaktion. Lo- Net bietet sich auch an zur sekundären Organisation der Klasse als sozialer Raum. Die Schüler nutzen besonders gern das Chat, um sich mit anderen über Themen zu unterhalten, welche Unterricht, Klasse und Schule betreffen wie etwa Hausaufgabenprobleme oder aber die anstehende Klassenfahrt. Die Plattform für Datenaustausch dient auch dazu, fertige Hausaufgaben zu kommunalisieren oder MP3-Dateien zu versenden. Im Forum veröffentlicht einer der Schüler regelmäßig mehr oder weniger gelungene Witze und übernimmt damit partiell redaktionelle Funktionen. Bietet die verwendete Software die Möglichkeit, dass man dem User weitere Rechte einräumen kann, verringert sich naturgemäß der administrative Aufwand, gleichzeitig vergrößern sich die Gestaltungsspielräume der Schüler. Genuine Content Management Systeme geben den Benutzern vordefinierte Freiflächen in webgenerierten Seiten, in die sie ohne explizite administrative Kontrolle ihre Texte einstellen und für die Gesamtheit der Nutzer bereitstellen können. Die Autoren werden damit gleichzeitig zu Redakteuren. Für das gewünschte Feedback der Rezipienten können ebenso weitere Flächen geschaffen werden oder andere Formen wie ein Posting gewählt werden, bei dem man sich direkt mit dem Autor in Verbindung setzt. In diesen Flächen können auch auditive wie visuelle Materialien bis hin zu Streaming Audio/ Video-Publikationen eingestellt werden. Grundsätzlich bleibt aber die Gesamtstruktur der Seiten unberührt und damit der einheitliche Charakter der Webpublikation erhalten. Mit "Contenido"239 steht interessierten Kollegen und Schülern ein Open Source Content Management System zur Verfügung, das sie im Non-Profit-Bereich unter bestimmten Bedingungen240 kostenlos benutzen können. Ein derartiges System eignet sich auch für Projekte im Klassenrahmen, exemplarisch soll allerdings hier die Arbeit der Redaktion einer Schulhomepage beschrieben werden: Der Zusammenhang hier lässt sich am besten im Sinne einer Quest verstehen, bei der verschiedene Teilnehmer über verschiedene Felder und Wege ein gemeinsames Ziel anstreben. Die Qualität von Homepages basiert einerseits auf einem überzeugenden Layout. Dessen Unverletzlichkeit wird im Content Management System auf jeden Fall gesichert. Andererseits steht und fällt eine Homepage mit der Aktualität der Inhalte und ihrer ständigen Pflege. Sollen Informationen aus sehr disparaten Quellen ständig erfasst und dargestellt werden, geht das nur in einer weitgehend dezentralisierten Organisation, die diese Bereiche in die Verantwortung selbständig agierender Redakteure stellt. Angesichts der vielfältigen Aktivitäten einer Schule sind dies am besten Schüler und Lehrer, die sich in diesen Bereichen engagieren und als Experten aus ihnen berichten. Die für die Handhabung des Programms notwendige technische Schulung der künftigen Mitarbeiter erlaubt gleichzeitig auch die Vermittlung von Qualitätskriterien und eine Einführung in die normativen Kontexte schulische Publikationen. Ein paritätisch besetztes Administrations- und Redaktionsteam aus Schülern, Eltern und Lehrern führt schließlich noch ein permanentes Monitoring durch, um Fehlleistungen weitgehend zu vermeiden. Nach mehreren erfolglosen, weil zentralistisch und hierarchisch angelegten Ansätzen ist es damit nach langer Zeit endlich gelungen, eine lebendige Schulhomepage zu etablieren, die dazu tendiert, auch die bisherige Schülerzeitung zu ersetzen. Gerade die Selbständigkeit ihrer Position als verantwortlich handelnde Redakteure stellen Schüler wie auch Lehrern als besonders positiv heraus. 238 APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.14-10 239 "Contenido" (http://www.contenido.de [2003-07-09]) ist ein Produkt der Fa. "four for business", Bad Soden a.Ts (http://www.4fb.de [2003-07-09]); 240 GNU-Lizenzbedingungen; bekanntestes Beispiel: LINUX; 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 355 Die offenste und von der Schule kaum noch wahrzunehmende Form von Interaktion stellen die von den Jugendlichen selbst geschaffen Räume im Internet Relay Chat dar, wo sie auf eigenen Servern eine manchmal an der Klasse sich orientierende Community aufbauen. Da hier die Partizipation nur für angemeldete Teilnehmer möglich ist, kann der Außenstehende nur einen sehr oberflächlichen Einblick in das Interaktionshandeln der Community gewinnen. Oft sind deshalb derartige Chats auch nicht repräsentativ für eine Klasse, sondern das Produkt einer exklusiven Gruppe, die sehr genau darauf achtet, wen sie zulässt. Immerhin wird man auch als Pädagoge ab und an eingeladen, sich zu beteiligen, und kann so einen sehr authentischen Diskurs über Unterricht und Schule und eine Unzahl weiterer Themen erleben. Die Teilnehmer agieren dabei mit Nicknames, ihre Identität lässt sich allerdings meist ohne Probleme aus ihrem Interaktionsstil erschließen. Der Umgangston ist euphemistisch gesagt recht "rau, aber herzlich". Man kommt direkt und ohne Umschweife zur Sache. Im Vordergrund stehen dabe i Tagesaktualitäten, gerade auch aus dem Schulbereich, zu dem man sich dezidiert äußert. Zu den schulischen Themen gehören noch die Hausaufgaben, zu denen Lösungen gesucht werden, und die anstehenden Leistungsüberprüfungen, deren Vorbereitung organisiert sein will. Breiten Raum nehmen auch Kommentare zum Verhalten von einzelnen in Unterricht und Schule ein. Wie in Foren üblich, eröffnet einer der User mit einem Beitrag einen Thread, zu dem andere Stellung nehmen können. Im Chat dagegen erfolgt eine direkte Kommunikation. Aufgabe des meist freiwilligen Sysop ist es, dieser Kommunikation eine Struktur zu geben und insbesondere die Performance des Chatroom sicher zu stellen. Nimmt man als Pädagoge anonym an einer solchen Community teil, steht es einem gewiss nicht zu, mit schulischen Maßstäben die Interaktion der Jugendlichen zu beurteilen, die sich hier eine im besten Sinne eine eigene Kommunikationsplattform schaffen. Foren sind vielmehr als Präsentationsflächen der Jugendlichen zu sehen, als Laboratorien für experimentelle individuelle Ausdrucksformen von Identitätsentwürfen, die in ihrer Radikalität durch die Anonymität des Auftritts unterstützt werden. Produktiver Umgang mit Bildwelten: Video-AG Gerade die Arbeit in offenen Arbeitskreisen zeigt immer wieder, wie positiv Jugendliche auf Freiräume reagieren, die sie weitestgehend selbständig gestalten können. Die Video-AG kommt den Jugendlichen entgegen, die über einen rein rezeptiven Umgang mit audiovisuellen Medien hinausgekommen wollen. Diese Räume zu schaffen, setzt im Bereich der Videoproduktion einigen Aufwand voraus, orientiert man sich an semi- professionellen Standards.241 Die Jugendlichen arbeiten dabei mit einem umfangreichen und zugleich nach schulischen Maßstäben sehr teurem Equipment. Das Interesse gilt dabei zunächst einmal der technischen Seite der Produktion von Video und Film im Umgang mit Kamera und Schnittcomputer: Filmaufnahme, Filmschnitt und Vertonung reduzieren sich in der Erstwahrnehmung durch die Jugendlichen zunächst auf ein Hardware- bzw. Software-Problem, das sie recht schnell und erfolgreich lösen, wenn sie auf eine entsprechende Ausstattung zurückgreifen können. Wesentlich weniger Aufmerksamkeit widmet man der inhaltlichen wie kommunikativen Elemente bei der Gestaltung einer Produktion. Allerdings aktivieren die Jugendlichen für diese Probleme Lösungsansätze, die ihrer Medienerfahrung/ -sozialisation entstammen, und sie können so intuitiv wie imitierend trotz einer sehr geringen Reflexionstiefe durchaus solide Produktionen in ihnen bekannten Formaten etwa des Infotainments erstellen. (Berichterstattung, Dokumentation, Schnitttechniken, Kameraperspektiven, Off-/ On-Ton-Gestaltung, Hintergrund-/ Leit-Musik etc.) Eine Herausforderungen stellen andererseits anspruchsvollere Produktformate ihres Alltags dar, die nicht so einfach rein technisch bzw. imitierend zu erstellen sind, etwa der Versuch, Videoclips zu produzieren. Die Notwendigkeit sorgfältiger Planung von Aufnahme und Schnitt ergibt sich dabei von selbst in einem aufwendigem Learning-by-Doing-Verfahren, bevor die Jugendlichen, deren ästhetische Kriterien für Medien ihrer Lebenswelt hoch sensibilisiert sind, einigermaßen mit ihrer Produktion zufrieden sind. Weitere Impulse für weniger übliche Formate ergeben sich aus einem journalistischen und weniger cineastischen Selbstverständnis der Gruppe. Von daher versteht man die vielen Ereignisse des schulischen Lebens als Auftrag zur Dokumentation. Über mehrere Versuche hinweg wurde dabei von den Jugendlichen entdeckt, dass z.B. die angemessene Darstellung eines Konzertabends eine subtile Kenntnis des Gegenstands verlangt, die man sich im Diskurs mit den Aufführenden verschaffen muss. Erst mit präzisem, an die Partitur 241 http://www.kreidestriche.de/onmerz/pdf-docs/zeiler_tapethat.pdf [2003-05-19]; ULRICH W. 1993 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 356 angelehnten Aufnahmeplan, Aufnahmen mit mehreren Kameras aus vordefinierten Positionen und einem sich an der Musik orientierendem Schnitt gelang der Gruppe eine überzeugende Aufnahme eines Mendelsohn- Bartholdy-Oratoriums. Die Gruppe arbeitet weitgehend selbständig als Team Gleichberechtigter unter der informellen Leitung zweier Video-Enthusiasten. Diese Selbständigkeit geht sehr weit: so hat die Gruppe wegen des hohen Zeitaufwands, den viele Maßnahmen erfordern, auch außerhalb der eigentlichen Schulzeit Zugang zum Schneideraum. Aktionen und Projekte werden selbständig beschlossen, geplant und durchgeführt. Die Gruppe verwaltet weiter ein sehr hochwertiges und kostspieliges Equipment. Die Aufgaben des betreuenden Lehrers beschränken sich auf ein Moderieren der Aktivitäten und auf das Wegräumen institutioneller und sonstiger Hindernisse, die Vertretung der Gruppe gegenüber Schulgremien (Tätigkeitsbericht) und Öffentlichkeit (etwa für Drehgenehmigungen im Außenbereich), die Finanzierung und Akquisition von Ausstattung nach Vorschlägen der Gruppe und den Einsatz seines PKW. Als einer der Experten ist natürlich auch seine Beteiligung beim Produktionsprozess gefragt. Mit dem Wiederaufbau des Offenen Kanals in Mainz sieht die Gruppe Möglichkeiten, sich weitere TV-Formate wie z.B. die Produktion von Shows zu erschließen, da jetzt auch Studios zur Verfügung stehen. Auch diese Kontakte werden von der Gruppe selbst hergestellt und gepflegt. Produktion von Infotainment-Software im Wettbewerbsrahmen - Join Multimedia (Quest) Eine völlig anderes Projekt betreibt eine kleine Gruppe von 16jährigen. Sie wollen ohne jede Anbindung an den aktuellen Unterricht eine Edutainment-CD mit Hilfe sog. Autorenprogramme erstellen. Auch hier geht es in erster Linie darum, den Jugendlichen für dieses Anliegen einen Raum und weitere Ressourcen zu erschließen, in dem sie ihr Projekt ansiedeln können. Die Gruppe hat sich ohne jedes Zutun eines Lehrers oder der Schule gefunden. Zumindest in dem Schuljahr, in dem man zusammenkam, liegen auch keine unterrichtlichen Impulse vor. Man trifft sich nun seit einem halben Jahr regelmäßig (ohne einen Terminausfall!) in der Bibliothek und kann dort die beiden – etwas besser ausgestatteten – Verwaltungsrechner für ihre Projektarbeit benutzen. Mit der Anschaffung weiterer spezieller Software durch die Schule hat die Gruppe die Möglichkeit, auch besondere 'Features' in ihrer Produktion zu realisieren. Ziel der Gruppe ist die Produktion einer multimedialen Edutainment-CD. Sie greift dabei auf Projektergebnisse eines Comenius-Projektes zurück, an dem die Klasse vor zwei Jahren beteiligt war. Sie will die bislang als 'Reader' vorliegenden Resultate zu einer selbstablaufenden wie vom Benutzer kontrollierbaren Präsentation umformen. Wie umfangreich dieses Vorhaben sich gestaltet, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass nicht nur die vorliegenden Texte auf das Layout-Format umgebrochen werden müssen, sondern dieses erst ja wahrnehmungs- und lernpsychologisch entwickelt werden muss. Dies reicht von der Wahl der Navigationsinstrumente bis zur Farbgebung der Seiten. Für die selbstablaufende Präsentation müssen die Texte (in Englisch) gesprochen und aufgenommen werden. Die Texte müssen weiter um Bildmaterial erweitert werden. Da eine Internetveröffentlichung geplant ist, muss die Copyright-Frage für alle Fremdmaterialien geklärt werden. Aus diesem Grund ging die Gruppe auch dazu über, die gesamte Hintergrund- und Leitmotivmusik selbst themen- und epochentypisch zu komponieren und zu produzieren. Der fehlende Index und ein Glossar müssen erst erstellt werden. Ein eigenes Feld bildet dann die technische Umsetzung, die Fertigkeiten in verschiedenen Software-Umgebungen und Programmiersprachen voraussetzt, die sich die Gruppe teilweise bei diesem Prozess erst selbst beibringt. Für die Gruppe entwickelte sich aus der doch sehr entfernten Zielvorstellung einer vollständigen Umsetzung des gesamten 'Readers' in ein professionelles und marktfähiges Edutainment-Angebot eine zunehmende Belastung. Mit dem Hinweis auf den von Siemens initiierten Wettbewerb "Join Multimedia" erhielten die Jugendlichen ein realistisches Nahziel, indem sie sich entschlossen, zunächst an drei Kapiteln exemplarisch ihr Vorhaben zu realisieren und diesen Versuch als Wettbewerbsbeitrag einzureichen. Das damit verbundene Zeit- und Projektmanagement erarbeitete sich die Gruppe selbst. Der Wettbewerbbeitrag konnte fristgerecht fertiggestellt und eingereicht werden. Die Gruppe hat dabei immerhin unter den fremdsprachigen Beiträgen unter ca. 1100 Einsendern einen anerkennenswerten 11. Platz errungen. 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 357 Auch hier gestaltet sich die Betreuung als eine zurückhaltende Moderation und Hilfestellung besonders im administrativen Belangen wie der Formulierung der Wettbewerbsunterlagen. Beeindruckend ist, wie es der Gruppe gerade auch in Stress- und Konfliktsituationen gelingt, wieder zueinander zu finden: nach lauten verbalen Attacken findet man durch die Moderation eines nicht direkt involvierten Gruppenmitglieds sehr schnell auf die Sachebene zurück. Erwähnenswert ist auch eine hohe Toleranz, die der kritischen Selbstwahrnehmung entspringt. Moderne Kommunikationsmittel werden souverän und flexibel eingesetzt, wenn etwa ein verhindertes Gruppenmitglied per Handy, Email und VPN ad hoc in die Entwicklungsarbeit eingebunden wird. Hier zeigen sich problemlösende Interaktionsformen, die denen des betreuenden Lehrers weit voraus und überlegen sind. Projektunterricht Science Across the World Als konkreter wie propädeutischer Einstieg in die klassische Projektarbeit im sozialkundlichen, naturwissenschaftlichen aber auch (fremd-) sprachlichen Unterricht haben sich Module der Organisation "Science Across the World"242 bewährt. Zwar sind die in der Hauptsache ökologischen und biologischen Themen der Module 243 auch für Kurse der Oberstufe von Interesse, die Module eignen sich aber gerade wegen ihrer Alltagsorientierung besonders für die Arbeit in der Orientierungsstufe und unteren Mittelstufe, wo mit ihnen projektorientierte Unterrichtsformen eingeführt werden können. Die Module liegen als ausgearbeitete Unterrichtseinheiten für eine Reihe der Themen in fast allen gängigen Sprachen unserer Welt vor. Methodisch basieren alle Module auf dem entdeckenden Lernen und einem handlungsorientierten Arbeitsunterricht. Vom kognitiven Anspruch her können sie ohne große Probleme didaktisch von Seiten des Lehrers reduziert oder elaboriert werden, die Erfahrung zeigt allerdings, dass Schüler jeder Altersstufe und Wissensstufe von sich aus Impulse des Materials nutzen, selbstbestimmte Lernprozesse zu initiieren und das Thema zu vertiefen. Die nach Inhalt und Form identische Gestaltung der Module gestattet nun verschiedene Varianten der Projektarbeit. So kann man ein Modul im fachwissenschaftlichen wie auch fremdsprachlichen projektorientierten Unterricht einsetzen. SAW versteht sich aber in erster Linie als Projektbörse. D.h. nach der Wahl eines Themenmoduls kann man seine Bereitschaft zur Projektarbeit und ein Zeitfenster für die Durchführung auf der Datenbank von SAW international bekannt machen. Auch weitere Präferationen wie z.B. die Arbeitssprache, die Alterstufe oder der Schultyp können hier angezeigt werden. Man selbst kann natürlich die Datenbank ebenfalls nach möglichen Partnern durchstöbern. Finden sich nun Partner, so ist der Austausch der Materialien und Ergebnisse wegen der beiden Seiten identisch vorliegenden Module unschwer zu organisieren und durchzuführen. Positive Zusatzeffekte ergeben sich z.B. aus der Übersetzung der Ergebnisse in oder aus fremden Sprachen.244 Die Themen machen ebenfalls die Zusammenarbeit mit anderen Fächern fast immer notwendig. Auch hierbei erweisen sich die vorgefertigten Materialen als sehr hilfreich, denn sie ermöglichen neben dem leichteren Zugang des Fachkollegen zum Thema auch eine über die Fächer hinweg gewahrte Einheitlichkeit der Unterrichtsdurchführung und Ergebnissicherung. Der Austausch kann alle Formen von Kommunikation nutzen. Gerade bei der Kommunikation mit Partnern in industriell weniger entwickelten Ländern empfiehlt sich allerdings der Einsatz traditioneller Medien wie Post oder Fax-Gerät, um die Projekte erfolgreich durchführen können. Stehen digitale Informationsmedien zur Verfügung, vereinfacht sich natürlich die Kommunikation erheblich. Auch hier bieten sich vielfältige Möglichkeiten, vom Projekt ausgehend weiteren Unterricht zu initiieren.245 SAW bietet neuerdings auch die Nutzung von Netmeeting- und Videokonferenzen an, bei denen die Schüler ad hoc mit ihren Partnern 242 Science Across the World, The Association for Science Education, College Lane, Hatfields, Herts AL110 9AA, UK (http://www.scienceacross.org [2003-07-08]); urspr. eine Stiftung der British Petrol wird SAW heute von The Association for Science Education verwaltet und vom Pharmamulti GlaxoSmithKline gesponsert; 243 Aktuell stehen folgende Einheiten zur Verfügung: Saurer Regen; Artenvielfalt um uns; Chemie in unserem Leben; Vertrocknende Feuchtgebiete; Hausmüll; Trinkwasser; Behausungen; Globale Erwärmung; Essen und Trinken rund um die Welt; Gesund bleiben; Pflanzen in unserem Leben; Erneuerbare Energien; Sicherheit im Straßenverkehr; Sprechen wir über Genetik in der Welt; Der Regenwald; Was hast Du gegessen? 244 Naturgemäß dominiert der angelsächsische Kulturkreis die Datenbank von SAW; 245 Einführung der Schüler in Email-; Chat-/ Foren-Techniken; Verfassen von Mitteilungen und Briefen; einfache Formen des Projektmanagements, z.B. mittels Planungssoftware wie MS-OUTLOOK etc. 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 358 kommunizieren können. Die dabei notwendige Live-Präsentation von Projektresultaten stellt für die Schüler eine anspruchsvolle Herausforderung dar. Als ebenfalls noch in der Oberstufe schwierig erweist sich die meist fremdsprachliche Face-to-face-Kommunikation mit den Projektpartnern. Die Themen der Projekte rekurrieren auf die Alltagserfahrung der Kinder und Jugendlichen. In der reflexiven Auseinandersetzung mit diesen Erfahrungen beschäftigen sie sich auch mit den von ihnen vorgenommenen Bedeutungszuweisungen und der auf diesen basierenden Subjektkonstitution. Aus dem Austausch dieser Erfahrungen mit Kindern und Jugendlicher anderer Länder und Kulturkreise und der Interaktion mit den Projektpartnern erwächst eine konstruktive Konterkarierung eigenen Alltags wie eigener Identitätsentwürfe. Zwar heben die Materialien schon der Vergleichbarkeit wegen auf das Faktische ab, doch manifestiert sich in ihm eben auch der Beitrag des Individuums zu seinem Alltag und verweist auf die Intentionen, die sein Handeln bestimmen. Wenn man über zwei Wochen im Rahmen eines Projekts zu Hausmüll den täglich anfallenden Müll nach bestimmten Kriterien sortiert und wiegt und diese Ergebnisse den Jugendlichen eines anderen Landes mitteilt, erfährt man eine Menge auch über die eigene Alltagsgestaltung, die der Mitschüler und schließlich auch die von Gleichaltrigen im Ausland. Konsum bildet Prozesse der Identitätsbildung ab. Unschwer gelangen die Schüler über Ähnlichkeiten und Unterschiede zu einer Problemdimension, in der sie selbst zum Gegenstand ihres Untersuchens werden. Der Erfolg der Projekte im Unterricht basiert u.a. darauf, dass mit ihnen effiziente Kontexte für autotelisches Handeln geschaffen werden können. Das einheitlich ausgearbeitete Material gibt konkrete Ziele ebenso vor wie es realistische und pragmatische Vorschläge zur Problemlösung unterbreitet. Die dabei initiierten Kleingruppen arbeiten weitgehend autonom, weil sie materialgesteuerten Handlungsimpulsen folgen, die als konkrete Arbeitsaufträge wie –schritte formuliert sind und dabei immer wieder im Sinne eines heuristischen Zirkels die Interdependenz von Arbeitsschritt und Gesamtziel darstellen. Andererseits sind die Impulse so offen formuliert, dass sie nicht nur eigenständige Ideen zulassen, sondern provozieren. Die Kleingruppen entwickeln weitgehend selbständig eigene Interaktionsformen wie Teamarbeit, die damit verbundene Arbeitszerlegung und Arbeitsverteilung und eine meist mediengestützte interne Kommunikation (Email, Webspace). Im Allgemeinen entsprechen die in den Materialien angelegten Anforderungen den Kompetenzen der Schüler, die so rasch Erfolge erfahren können. Aus dem Diskurs in der Gruppe, im Klassenverband und schließlich mit den ausländischen Projektpartnern erwachsen in der Regel rasch weitere Anforderungen, die in eigendynamische Prozesse der Kompetenzerweiterung und Redefinition der Projektziele einmünden können. Im Rahmen des Projektunterrichts gelingt es so allen Gruppen, Flow auf verschiedenen Intensitätsebenen zu erfahren. COMENIUS AKTION 3 Im Rahmen von SOKRATES bietet die EU mit dem COMENIUS-Programm und seinen einzelnen Aktionsebenen246 eine breite Palette an Möglichkeiten, Projektarbeit zu betreiben. Insbesondere "Aktion 3" ermöglicht unter der Voraussetzung einer Beteiligung von Partnern aus wenigstens drei verschiedenen europäischen Ländern247 die Realisierung fast jeder thematischen Überlegung der Projektpartner, solange Bezüge zu Europa in irgendeiner Weise erkennbar sind. COMENIUS fördert (im Gegensatz zu anderen Programmen) nicht die Schülermobilität, sondern stellt Sachmittel für die eigentliche Projektplanung und –durchführung bereit. Dazu zählen auch die Lehrermobilität, die Einrichtung von Kommunikationsstrukturen und die Präsentation der Projektresultate. Von den beteiligten Schulen wird erwartet, dass sie in einem vergleichbaren Umfang die Projekte durch Zuweisung von Personal, Zeit und Sachmittel fördern. Die Mehrarbeit der das Projekt koordinierenden Schule wird durch einen entsprechend höheren Beitrag anerkannt. Die Projekte sind auf ein Jahr angelegt, doch kann eine Verlängerung um bis zu zwei weitere Jahre auf Antrag gewährt werden. Die wohl schwierigste Hürde bei COMENIUS ist das sehr ausführliche Antragsverfahren, das alle Partnerschulen in ihren Ländern (mit den jeweiligen landestypischen Formen der Kultus- und Europa- 246 Eine Darstellung des SOKRATES-Programms und seiner Unterprogramme auf dem Portal der KMK: http://www.kmk.org/pad/sokrates2/sokrates/fr- comenius_1.htm [2003-07-10]; WITTENBRUCH 1998 247 Neben den Kernländern der EU zählen dazu auch schon die sog. Beitrittskandidaten und assoziierte Staaten wie z.B. Norwegen; 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 359 Bürokratie) durchstehen müssen. Partnerschulen selbst können über eine Datenbank relativ einfach gefunden werden. Dort kann man seinen Projektvorschlag natürlich auch in der Hoffnung auf Partner einstellen.248 Die Erfahrungen mit COMENIUS basieren auf drei Projekten, die seit 1996 durchgeführt werden konnten: ?? Students Write European History (1996-1997); ?? Europe: an Odyssey (1997-2000), ?? Europe: a Faustian Vista (2000-2003) Für 2005 ist die Durchführung eines weiteren Projektes angedacht, bei dem innereuropäische Migrationen von den Jugendlichen der partizipierenden Schulen in ihrem Alltag beschrieben werden sollen ("Migrations"). Im Projekt "Students Write European History" verglichen die Jugendlichen der Partnerschulen die Darstellung ausgewählter historischer Ereignisse in den Unterrichtswerken ihrer jeweiligen Heimatländer mit denen der anderen mit dem Ziel, Ideologemen nationaler Historiographie auf die Spur zu kommen und zu korrigieren. Die Schüler fertigten dazu zunächst von den entsprechenden Lehrbuchseiten Kopien an, die sie den anderen zur Verfügung stellten. Diese Seiten wurden dann nach Inhalt und Aufmachung untersucht, wobei die Schüler weitgehend selbständig Kriterien der Quellenkritik entwickeln mussten. Andererseits zeigten sich auch schon im direkten Vergleich oft wesentliche Auffälligkeiten. Die Beobachtungen wurden in Protokollen festgehalten und per Email den Partnern mitgeteilt. Während der Großteil des Projektes in den Geschichtssunden stattfand, erfolgte die Entwicklung der Untersuchungskriterien auch im Fach Deutsch. Die Übersetzung der Protokolle in die Arbeitssprache des Projektes geschah mit der Unterstützung des Kollegen im Fach Englisch. Die Projektorganisation sah jeweils Schülerteams vor, die sich zunächst anhand des Unterrichtswerks und sekundärer Literatur für historische Ereignisse entschieden, die eine unterschiedliche nationale Bewertung erwarten ließen. Parallel wurden im Unterricht die Untersuchungskriterien erarbeitet, exemplarisch angewendet und optimiert. Die sich anschließende Untersuchung geschah nach Eintreffen des Materials außerhalb des Unterrichts, wobei die Schulbibliothek sich für die meisten Teams als Arbeitsplatz für ihre Treffen nach Unterrichtsende sich als ideal erwies. Hinzu kamen besonders zum Ende von Arbeitsphasen auch Treffen zuhause. In regelmäßigen Abständen wurden die Arbeitsergebnisse in dafür terminlich festgelegten Unterrichtsstunden besprochen. Es folgte eine abschließende Redaktion der Übersetzung ins Englische, bevor die Dokumente per Email ausgetauscht wurden. Eintreffende Untersuchungsprotokolle wurden per Wandaushang präsentiert und von den betreuenden Teams im Unterricht vorgestellt. Insgesamt waren auf deutscher Seite etwa 30 Schüler einer 9. Klasse in das Projekt involviert. 249 Das Projekt "Europe: an Odyssey" hatte den Weg der europäischen Einigung zum Thema, dessen Langwierigkeit und Problematik seinen symbolischen Ausdruck in der Gestalt des Odysseus fand. Analog zu den 24 Gesängen des antiken Epos sollte in eben so vielen Kapiteln der Gedanke eines vereinten Europas von der Renaissance bis heute dargestellt werden. Dabei übernahmen die einzelnen Partnerschulen die Kapitel zur Bearbeitung, die mit ihrer nationalen Geschichte am ehesten korrespondierten. Die Jugendlichen sollten sich mit exemplarischen historischen Persönlichkeiten befassen, deren Wirken in besonderer Weise mit dem Werden des heutigen Europa verknüpft war. Es galt dabei, systematisch in den jeweiligen historischen Kontext einzuführen, eine Biographie zu dieser Persönlichkeit einzustellen, ihre Werk vorzustellen und seine Bedeutung aufzuzeigen und zugleich den zu erstellenden Text angemessenen zu illustrieren. Das so entstehende Werk wurde in den Partnerschulen dann als Unterrichtswerk in den Fächern Geschichte und Englisch eingesetzt. Die Arbeitsorganisation gestaltete sich in vielem ähnlich wie bei dem ersten Comenius-Projekt, allerdings erforderte das Projekt wegen seiner Größe und wegen des Umfang der zu leistenden Arbeiten erheblich mehr an Zeit und Engagement. Um trotzdem die curricularen Vorgaben des Normalunterrichts erfüllen zu können, musste zusammen mit den Schülern ein effizientes Projektmanagement entwickelt werden, das minutiös die einzelnen Teams in verbindliche Arbeitsphasen und Abgabetermine einband und zugleich in längeren Zeiträumen operierte. Die wesentlich umfangreicheren Essays stellten auch das erneut beteiligte Fach Englisch vor Probleme, wie die Redaktion des Textes unterrichtlich eingebunden werden konnte, die schließlich durch ein ebenfalls aufwändiges Programm von Vorab-Lektüre, Vortrag und Besprechung gelöst werden konnten. Die eigentliche Arbeit an dem entstehenden Reader, also die Textproduktion und –redaktion, war in der eigentlichen Unterrichtszeit faktisch nicht zu leisten und musste im nachunterrichtlichen und außerschulischen Bereich 248 Partbase: http://partbase.eupro.se [2003-07-10]; COMENIUS-Space: http://www.eun.org/eun.org2/eun/content_comenius_forum.cfm? [2003-07-10]; 249 Weitere Informationen: APPENDIZES/ Feldbeobachtung/ Feldbeobachtung Students Write History 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 360 erfolgen. Dennoch gingen die beteiligten zwei Klassen engagiert und begeistert das Projekt an und verloren auch während der schließlich fast drei Jahre währenden Projektzeit nicht den Spaß an der Sache. Lohn der Mühe war ein von den Jugendlichen verfasster und ansprechend gestalteter Reader zur europäischen Geschichte, der auch von offizieller Seite gewürdigt wurde.250 Im Fokus des sich anschließenden Projektes stand die Figur des "Faust" als integratives gesamteuropäisches literarisches Motiv, das in jeder nationalen Literatur seine Ausformung gefunden hat. Ziel des Projektes war es, diesmal erneut durch die Jugendlichen einen Reader in Anlehnung an das Vorgängermodell zu erstellen. Weiter sollte ein Faust-Musical entwickelt werden, das inhaltlich sich an der sog. Gretchentragödie (Faust I) orientieren und die bei der Arbeit am Reader entstandenen Interpretationsperspektiven der Jugendlichen zum Ausdruck bringen sollte. Auf diese Weise entstand die dezentrale Bühnenproduktion eines "Totaalteater: Faust aan de Maas/ Faust am Rhein", die am 26.04.2001 in Rotterdam erstmals aufgeführt wurde. Neben der szenischen Darstellung, die von den Jugendlichen der niederländischen Schule inszeniert wurde, basiert das Werk auf einer musikalischen Begleitung durch das partizipierende belgische Schulorchester und die Beteiligung der Pop-und- Folklore-Gruppe und Band der deutschen Schule. Bei den Aufführungen in Rotterdam und Mainz waren so bis zu 120 Jugendliche auf der Bühne und spielten vor ausverkauften Häusern. Mittels eines erfolgreichen Fund Raisings gelang es, auch die von Comenius nicht unterstützte Schülermobilität, ein großer Wunsch der beteiligten Jugendlichen, zu realisieren.251 Neben dem Theaterwerk konnte auch die Produktion des Readers in der bewährten Qualität erfolgreich bewältigt und alle Projektziele realisiert werden. Der Umfang dieses Projektes erforderte ebenfalls ein komplexes Management. Auch führten die Bühnenpläne dazu, dass eine Reihe weiterer Fächer wie Musik und Bildende Kunst in das Projekt mit einbezogen wurden. Die Produktion der Essays des Readers geschah nach entsprechender Vorplanung in den Unterrichtsstunden erneut in der 'Freizeit' der Jugendlichen, die ihre Ergebnisse dann wieder als Präsentationen in den Unterricht einbrachten. Diese Formen der Vorstrukturierung, die mit den Jugendlichen gemeinsam entwickelt wurde, fanden sie in der sich anschließenden aktiven und weitgehend freien bzw. moderierten Projektarbeit als äußerst hilfreich und weniger einschränkend denn Orientierung gebend. Eine viable und dialogisch entwickelte Interdependenz von Strukturierung und Gestaltungsfreiheit ist ein entscheidendes Element erfolgreicher Projektarbeit. Derartig organisierte Gestaltungsräume vereinen die Vorzüge eines Protective Environment mit denen des sozialen Raumes und ermöglichen den Jugendlichen die Navigation in definierten Kontexten wie in noch von ihnen zu entdeckenden Fremden. Eine Arbeitsgruppe von interessierten Schülern, die sich im Rahmen des Projektes der Produktion einer Edutainment-CD widmete, ist noch heute aktiv dabei, in ähnlicher Weise weitere Lernsoftware 'vom Schüler für Schüler' zu erstellen und von dieser Quest noch nicht zurückgekehrt. 250 Weitere Informationen: APPENDIZES/ Feldbeobachtungen/ Feldbeobachtung Europe An Odyssey 251 Projektpräsentation? 6 Der Beitrag von Schule zur gelingenden Gestaltung von Lebenswelt – Versuch einer pädagogischen Schlussfolgerung 361 7. Verzeichnis der Abkürzungen und spieltechnischen Fachtermini AD&D Advanced Dungeons and Dragons Aegis-Cruiser Typklasse eines Raumschiffs/ BattleTech Aero-Space-Fighter Typklasse eines Raumschiffs/ BattleTech Atavar Virtuelle Figur als Repräsentant des User in PC-Spielen/ Internet/ E-Commerce/ Portalen Battle Wettbewerb/ Event in der HipHop-Szene, z.B. mittels Breakdancing BattleMech Battle-Mechanic: Kampfroboter, gelenkt von einem MechWarrior/ BattleTech Battlenet Kommerzielle Internetplattform für das Multiplayerspiel, z.B. mit Ego Shootern und Echtzeitstrategiespielen BattleTech Tabletop-Spiel Board Spielplan, -brett Booster Pack Nachkaufpackung (in der Regel 11 Karten) bei einem Collecting/ Trading Card Game BPM Beat per minute/ HipHop-Kriterium Briefing Missionsplanung BT BattleTech Card Boxes Aufbewahrungsbehälter von Spielkarten; hier im speziellen Trading Cards CCG Collectable Card Game Chapter Zusammenschluss von BattleTech-Spielern, Organisationsform der Mechforce Germany und der Nice Dice e.V., fast ausschließlich nur in Deutschland Chapterfight Kampf zwischen mindestens 2 Chapter/ Battletech Charakter fiktive Person, die der Spieler in dem FRPG verkörpert/ steuert Chatroom virtueller Raum, in dem eine Unterhaltung stattfinden kann. Cheat Urspr. Programmelement der PC-Spiele-Software, welches die Entwicklung und Erprobung des Spiels unterstützt, indem es Spieleinstellungen und Challenges modifiziert, z.B. durch Transparenz der Texturen; da im Quellcode des Spiels resident, kann es auch im endgültigen Release von Spielern manipulativ oder intrigant genutzt werden Clan Zusammenschluss einer Gruppe von Spieler zu einer teamartigen Organisation z.B. bei Ego-Shootern und Echtzeitstrategiespielen, s.a. PA; Gegner der "Inner Sphere"/ Battletech 7 Verzeichnis der Abkürzungen und Fachtermini 362 Clix neuartiges Sammel- und Spielsystem mit vorgefertigten Figuren Con/ Convention überregionales Zusammentreffen einer Fangemeinde Contracting Anwerbung / Vertragsschluss einer Einheit mit einem Auftraggeber Curse Planet im Battletech Universum/ jährlicher Event: "Kampf um Curse" D&D Dungeons and Dragons Damage Display Visuelle Anzeige erlittener Schäden am eigenen Fahrzeug/ PC-Games Deck Kartenspielsätze bei einem CCG oder TCG bzw. Bezeichnung für die Eingabekonsole/ das Interface eines PC oder Netzwerkes Demon Virtuelle, meist figurativ gestaltete Hilfe auf digitalen Multimedia -Plattformen, u.a. bei PC-Spielen Diarama Begriff aus der Modellbau- und Wargame-Szene: komplexes Arrangement von Miniaturen in spezifischen, oft historischen Vorbildern nachempfundenen Kontexten Djing HipHop-Szene: Zusammenstellung von Szenemusik als Diskjockey Dogfight Raum-/ Luftkampf, besonders zwischen Jagdmaschinen DOS Disk Operating System Draconis Combine Eines der "Häuser" im BattleTech-Universum, Militärdiktatur mit japanischer kultureller Tradition Dungeon Spielraum entweder virtuell oder physisch bzw. elektronischer Art DSA Das Schwarze Auge Egg Head Auf Elektronik, Informatik und Informationstechnologien spezialisierter Experte EMS Electronic Messaging Service/ Handy E-Sport Electronic Sport; weniger Digitalisierungen traditioneller Sportarten als vielmehr PC- Spiele wie rundenbasierte und Echtzeitstrategiespiele und Ego Shooter Ego Shooter Computerspiel in dem der Spieler aus einer „Ich-Perspektive“ den Charakter steuert. Engine Teilweise zugängliche Software eines Spiels zur Erzeugung eigener Elemente Fandom Fangemeinde, -szene Fantasy Role Playing Game Fantasy-Rollenspiel Fanzine Fan-Zeitschrift von Fans für Fans FASA Freedonian Aeronautics and Space Administration Frag Abschuss FRPG Fantasy Role Playing Game 7 Verzeichnis der Abkürzungen und Fachtermini 363 Gamer Spieler GRPS General Packet Radio Service/ Handy Häuser/ Houses Großmächte des BattleTech-Universums Headup-Display Visuelle Projektion wichtiger Instrumente, Daten und Informationen auf die Frontscheibe eines militärischen oder zivilen Fahrzeugs/ PC-Games ICQ "I seek you": Internet Chat Plattform IMDB International Movie Database Invasion Chapterfight Kampf zweier Chapter um den Besitz eines Planeten mit Auswirkungen auf die Storyline/ BattleTech IRC Internet Relay Chat Kill Abschuss Kurita Name des herrschenden Clans im "Draconis Combine" LAN Local Area Network LARP Life-Action-Role-Playing/ Life-Action-Rollenspiel: Anstatt virtueller Figuren spielen die Spieler ihre Charaktere selbst in möglichst authentischen Kontexten Liao eines der "Häuser" im BattleTech-Universum, militaristische Feudalgesellschaft in chinesisch - südostasiatischer kultureller Tradition. Magic Trading Card Game Magic Card Deck Stapel von Magic Karten die in einem Spiel verwendet werden Map Karte bei Ego Shootern Master Spielleiter Mech Mechanic, BattleMechanic: Kampfroboter/ militärisches Fahrzeug MechForce von FASA (später von FanPro) gegründete Spielervereinigung MechWarrior entweder das Rollenspiel oder die Verkörperung eines M. in dem Rollenspiel M. oder dem Tabletop Battletech; Pilot eines Kampfroboters oder militärischen Fahrzeugs Meister Spielleiter MERP Middle Earth Role Playing Game MERS Mittel Erde Rollen Spiel MMOR[P]G Massive(ly) Multiplayer Online Role[playing] Game: Internet-basiertes, in Echtzeit ablaufendes Rollen- und Simulationsspiel Mod Variante eines Basisspiels (z.B.: Ego Shooter "Counterstrike" als Mod von "Halflife") 7 Verzeichnis der Abkürzungen und Fachtermini 364 Morphing Trickeffekt digitaler Bildbearbeitung MMS Multimedia Messaging System MUCK Multi User Chat Kingdom MUD Multi User Dungeon MWDA Mech Warrior Dark Age Newbee Anfänger Ninja Ursprünglich disqualifizierende, heute auch positiv konnotierende Bezeichnung für einen japanischen Krieger, der nicht dem Bushido-Ehrenkodex der Samurai folgt, in Geheimbünden organisiert Novize Anfänger NPC Non Player Character NSC Nicht Spieler Charakter OBG Online Browser Game PA Players' Association Paper & Pen traditionelles Rollenspiel ohne Computerunterstützung und i.A. ohne Verkleidung im Gegensatz zum LARP PDA Personal Digital Assistent Player Spieler Players' Association Zusammenschluss einer Gruppe von Spieler zu einer teamartigen Organisation, besonders bei OBG, Ego-Shootern, Real-Time Strategy Spielen Prozine Fan-Zeitschrift vom Hersteller für Fans Quest Gemeinsame Aufgabe für ein Team von Abenteurern RAM Random Access Memory Release Version eines PC-Spiels/ Spiels Respawn Wiederauferstehung, -belebung eines Charakters nach dessen Tod Rookie Anfänger RPG Role Playing Game Rüstungsklasse Eines der unzähligen Kriterien. nach denen die Entwicklung eines Charakters gestaltet werden muss Shilone Typklasse eines Raumschiffs/ BattleTech Skin Erscheinungsbild eines Atavars/ Objekts 7 Verzeichnis der Abkürzungen und Fachtermini 365 SMS Short Messages Service/ Handy Softbot Virtuelle, meist figurativ gestaltete Hilfe auf digitalen Multimedia -Plattformen, u.a. bei PC-Spielen Sourcebook Sekundärliteratur zu FRPGs mit alternativen Szenarien, Figurarien und Zusatzinformationen Steiner eines der "Häuser" im Battletech-Universum, militaristische Feudalgesellschaft in preußisch-deutscher kultureller Tradition, die assoziativen Analogien zur literarischen Figur im Werk Will Heinrichs (HEINRICH 1968) und zum Film sind gewollt Tabletop/ Table Top Brettspiel Targetting-Computer Zielverfolgungsrechner eines militärischen Fahrzeugs/ PC-Games Task Aufgabe, die es im Spiel zu lösen gilt TCG Trading Card Game Trading Card Game Sammelkartenspiel, s. a. CCG UMTS Universal Mobile Telecommunications System/ Handy User (Be-)Nutzer WAP Wireless Application Protocol/ Handy WASP White Anglo-Saxon Protestant 367 8. Literaturverzeichnis A.A. Produktbeschreibung 'Belkin Nostromo n30 GameMouse'. In: Conrads Multimedia- Magazin, H. 2, 2002, 37 A.A. "Alle aktuellen Handys im Überblick." In: Computerbild, H. 16, 2004, 128-130 A.A. "Geschichte des japanischen Comics." http://www.arte-tv.com/de/kunst- musik/mangarte/Planet_20Manga/Mangathek/512028,CmC=510342.html 2004-06-29 Aarseth, Espen J. Cybertext. Perspectives on ergodic literature. Baltimore/ London: John Hopkins University Press, 1997 Abrahamson, Craig Eilert Storytelling as a pedagocical tool in higher education. In: Education, Spring 1998, 1-12, 1998-01-03 Achilli, Justin ; Skemp, Ethan Werewolf – The Wild West. Stone Mountain, GA, USA: White Wolf Games, 1977 Adamowsky, Natascha Totale Vernetzung – totale Verstrickung? In: Aus Politik und Zeitgeschichte. 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Ich danke Herrn Dr. Norbert Hämmerer für sein Verständnis und die Freistellung von dienstlichen Verpflichtungen, Anna Hennig und Thorsten Schliephake für das sorgfältige Korrekturlesen und die Mithilfe bei der Gestaltung, Wolfgang Mathea für seine verlässliche Hilfe in vielfältiger Form, Clemens Lambrecht und Waltraud Mühlke für ihre Unterstützung und den vielen Jugendlichen, die mir Einblick in ihr Fantasy-Rollenspiel gewährt haben. 8 Literaturverzeichnis 387 Erklärung Hiermit versichere ich, dass die vorliegende Dissertation selbständig und ohne unerlaubte Hilfe angefertigt und andere als die in der Dissertation angegebenen Hilfsmittel nicht benutzt habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus veröffentlichten oder unveröffentlichten Schriften entnommen sind, habe ich als solche kenntlich gemacht. Kein Teil dieser Arbeit ist einem anderen Promotions- oder Habilitationsverfahren verwendet worden. Mainz, den 15. Oktober 2004