Lungenfische (Dipnoi), als phylogenetisch früh aus der Sarcopterygii-Linie hervorgegangene Vertreter einerseits, und als nächste rezente Verwandte der Tetrapoden andererseits, sind von essentieller Bedeutung für die Erforschung und Rekonstruktion der evolutionären Entwicklung olfaktorischer Untersysteme. So wurden im vergangenen Jahrhundert die unterschiedlichsten Strukturen im Geruchssystem der Lungenfische als akzessorische Geruchsorgane interpretiert. Die in diesem Punkt vielversprechendsten Kandidaten wurden in neueren Studien bei Vertretern der Afrikanischen Lungenfische (Protopteridae) entdeckt und als Vomeronasalorgan (VNO) gedeutet. Diese, als „epitheliale Krypten“ bezeichneten Organe standen im Fokus der vorliegenden Dissertation und wurden bezüglich ihrer morphologischen und funktionellen Eigenschaften auf mögliche Parallelen zum VNO hin untersucht. Dabei wurden die epithelialen Krypten nicht nur beim Westafrikanischen Lungenfisch Protopterus annectens, sondern erstmals auch bei einer Lungenfisch-Spezies außerhalb der Protopteridae, dem Südamerikanischen Lungenfisch Lepidosiren paradoxa, identifiziert. Die Analyse verschiedener Alterstufen beider Spezies ergab, dass die epithelialen Krypten als vollständig ausgeprägtes akzessorisches Geruchsorgan – wenngleich in geringerer Anzahl – bereits bei juvenilen Tieren vorzufinden sind. Im Fall der untersuchten Juvenilen des Australischen Lungenfischs Neoceratodus forsteri konnten allerdings keine vergleichbaren Organe ermittelt werden. Des Weiteren deutet die erstmals im Rahmen der vorliegenden Arbeit detailliert analysierte komplexe Morphologie der epithelialen Krypten – bestehend aus sensorischem Epithel, verschiedenen Drüsenstrukturen und Flimmerepithelien – auf spezialisierte Mechanismen zur Optimierung der spezifischen Detektion chemischer Stimuli. Unterschiede in den Lektinbindeeigenschaften und Schleimkomponenten zwischen den in der Literatur beschriebenen elongierten Drüsenzellen innerhalb der Krypten und dem in dieser Studie neu beschriebenen Drüsenzelltyp scheinen mit differenzierten Funktionen der sezernierten Schleime verbunden zu sein: Vor allem im Bereich des Krypteneingangs werden vermutlich Bindeproteine sezerniert, die eine Rolle bei den perireceptor events spielen könnten, während den elongierten Drüsenzellen in erster Linie eine Spülfunktion zukommen könnte. Die Morphologie der Zelloberflächen im sensorischen Kryptenepithel von P. annectens stellte sich als vergleichbar mit der des VNOs der meisten Amphibien heraus, während die bei L. paradoxa vorgefundene Situation Parallelen zum VNO der Mammalia und der Squamata aufwies. Auf Ebene der Signaltransduktion wurde die G-Protein-Untereinheit αo in den VNO-typischen Microvilli der Neurone erstmals bei L. paradoxa immun¬histo¬chemisch nachgewiesen und selbiges für P. annectens bestätigt. Dieser Befund deutet auf die Exprimierung des vomeronasalen Rezeptors Typ 2 (V2R) hin. Die Isolation dieses offenbar speziellen Rezeptorzelltyps (sensorische Microvilli, G αo, V2R) in einem vom Hauptgeruchsepithel anatomisch separierten Organ wird als Parallele zum VNO interpretiert. Auf Grundlage der in einer Kooperation erhobenen Transkriptomdaten (Korsching-Lab, Universität zu Köln) wurde die Expression vomeronasaler Rezeptorgene (v1r) im Geruchssystem von P. annectens nachgewiesen (in-situ-Hybridisierung). Zukünftig ist die weiterführende Analyse der exprimierten Rezeptorgene in den epithelialen Krypten und dem Hauptgeruchsorgan geplant, um den vomeronasalen Charakter der Krypten exakter bestimmen zu können. Aufgrund der in dieser Untersuchung erhobenen Daten müssen die epithelialen Krypten der Dipnoi als hoch spezialisiertes akzessorisches Geruchsorgan mit deutlichen Parallelen zum VNO der Tetrapoden betrachtet werden. Gestützt auf die hier gewon¬nenen Erkenntnisse und die bekannten Daten zum VNO lässt sich spekulieren, dass die epithelialen Krypten durch speziesspezifische Signalstoffe (Pheromone) stimuliert werden könnten, wodurch in der Folge beispielsweise soziale Verhaltensweisen ausgelöst würden. Die Ausprägung der epithelialen Krypten kann somit als erster Hinweis auf ein neu in der Sarcopterygii-Linie entwickeltes Geruchsorgan interpretiert werden, welches möglicherweise der effektiveren und selektiveren Detektion von Pheromonen dient.
@phdthesis{urn:nbn:de:hebis:34-2017071253034, author ={Wittmer, Carolin}, title ={Epitheliale Krypten - ein potentielles Vomeronasalorgan der Lungenfische (Dipnoi)}, keywords ={500 and Geruchssinn and Südamerikanischer Lungenfisch}, copyright ={https://rightsstatements.org/page/InC/1.0/}, language ={de}, school={Kassel, Universität Kassel, Fachbereich Mathematik und Naturwissenschaften, Institut für Biologie, Zoologie}, year ={2017-07-12} }