Spritzgießen von faserverstärkten Kunststoffen mit drehendem Werkzeugkern. Rheologie - praktische Untersuchungen - Auslegungsmethodik
Beim Spritzgießen von länglichen rotationssymmetrischen Bauteilen führen Fertigungsrestriktionen sowie komplexe Geometrien oftmals dazu, dass die Bauteilfüllung in axialer Richtung erfolgt. Strömungsbedingt richten sich die Moleküle sowie ggf. vorhandene Verstärkungsfasern hierbei in Fließrichtung aus. Da bei faserverstärkten Kunststoffen die maximale Verstärkungswirkung erzielt wird, wenn ein Großteil der Fasern in Belastungsrichtung ausgerichtet ist, ist diese axiale Ausrichtung bei innendruckbelasteten Bauteilen nachteilig und führt zu einer ineffizienten Materialausnutzung. In dieser Arbeit wird gezeigt, wie bei solchen Bauteilen durch einen drehenden Werkzeugkern die Faserorientierung und die daraus resultierende Mechanik gezielt beeinflusst und für Innendruckbelastung optimiert werden kann. Um wichtige Einflussgrößen und deren Auswirkung bei dieser Prozesstechnologie zu charakterisieren, wird zu Beginn der Arbeit eine rheologische Vorbetrachtung vorgestellt. Diese zeigt u.a., dass sich die Einspritzgeschwindigkeit und die Rotationsgeschwindigkeit maßgeblich auf den resultierenden Schergeschwindigkeitsvektor auswirken und damit den größten Einfluss auf die Faserumorientierung haben. Die Berechnungen zeigen zudem, dass die absolute Schergeschwindigkeit zwar maßgeblich von der Wanddicke und der Strukturviskosität der Polymerschmelze abhängen, diese Größen jedoch die Ausrichtung des resultierenden Schergeschwindigkeitsvektors nur geringfügig verändern. Im Anschluss folgen Kapitel, in denen die Prozessumsetzung des Spritzgießens mit drehendem Werkzeugkern sowie Methodiken zur direkten und indirekten Quantifizierung der Faserumorientierung vorgestellt werden. Darauf aufbauend werden umfangreiche Untersuchungen an kurz- und langfaserverstärktem Polypropylen und Polyamid u.a. zum Einfluss der Drehzahl, der Wanddicke, des Fasergehalts sowie von Spritzgießprozessparametern vorgestellt. Hierbei können die rheologischen Voruntersuchungen zum Teil bestätigt werden und es zeigt sich, dass unabhängig vom Material und der Wanddicke mit zunehmender Drehzahl ein Großteil der Fasern in tangentiale Richtung umorientiert werden kann. Mit steigender Drehzahl führt die rotationsinduzierte Scherung dazu, dass die ursprüngliche Schichtstruktur der Faserorientierung mit in Fließrichtung ausgerichteten Fasern in den Randschichten sowie quer zur Fließrichtung orientierten Fasern in der Kernschicht nicht mehr vorhanden ist. Durch die Drehung werden die Randschichten schmaler und der Großteil der Fasern in diesen Schichten kann tangential ausgerichtet werden. Auch in der Kernschicht ist es möglich, die Fasern noch stärker auszurichten, wodurch beispielsweise der mittlere tangentiale Orientierungsgrad für ein kurzfaserverstärktes Polypropylen (PP-GF50) von 0,32 (ungedreht) auf 0,73 (gedreht mit 4,4 s-¹) erhöht werden kann. Kurzfassung Durch die vermehrt tangential ausgerichteten Fasern kann die Berstdruckfestigkeit signifikant, in vielen Versuchsreihen um über 100 %, gesteigert werden. Für ein kurzfaserverstärktes PP (PP-GF50) ist somit eine Steigerung von 58 bar auf 120 bar und für ein kurzfaserverstärktes Polyamid (PA-GF50) von 85 bar auf 159 bar möglich. Um den positiven Einfluss des drehenden Werkzeugkerns auf die Mechanik in der Simulation berücksichtigen zu können, folgt anschließend die Entwicklung einer Simulationsmethodik, mit der die beeinflusste Faserorientierung in der Struktursimulation abgebildet werden kann. Diese Simulationsmethodik kann an den Ergebnissen der Berstdruckprüfungen erfolgreich validiert werden. Darauf aufbauend wird eine Auslegungsmethodik für Bauteile, die mit einem drehenden Werkzeugkern hergestellt werden sollen, vorgestellt und auf zwei Bauteile aus der Industrie übertragen. Die Anwendung der Auslegungsmethodik bei diesen Bauteilen verdeutlicht zum Abschluss der Arbeit das große Potential der Prozesstechnologie: Bei einem innendruckbelasteten Bauteil mit einfacher Geometrie kann der Auslastungsgrad je nach Lastfall deutlich von u.a. 0,81 auf 0,47 reduziert werden. Bei einem Pumpengehäuse mit komplexer Geometrie kann durch die Rotation der Auslastungsgrad von 0,58 auf 0,4 gesenkt werden. Zudem führt die höhere Steifigkeit bei diesem Bauteil durch die in Belastungsrichtung ausgerichteten Fasern zu einer deutlich geringeren Verformung und der Reduktion von Spannungsspitzen.
@book{doi:10.17170/kobra-202401159367, author ={Land, Philipp}, title ={Spritzgießen von faserverstärkten Kunststoffen mit drehendem Werkzeugkern. Rheologie - praktische Untersuchungen - Auslegungsmethodik}, keywords ={600 and Spritzgießen and Simulation and Kunststoff and Rheologie}, copyright ={http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/}, language ={de}, year ={2024} }