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Molekulare Systematik der Gattung Suaeda (Chenopodiaceae) und Evolution des C4-Photosynthesesyndroms

Mit der vorliegenden Arbeit wird eine Synthese aus molekularer Phylogenie und Merkmalsentwicklung fĂŒr die Unterfamilie Suaedoideae der Chenopodiaceae prĂ€sentiert. Anhand von rekonstruierten StammbĂ€umen aus den Sequenzunterschieden von DNA-Abschnitten zweier unabhĂ€ngiger Genome (Kern, Chloroplast) werden monophyletische Gruppen herausgearbeitet und die VariabilitĂ€t der molekularen Merkmale in Bezug auf die bekannten Arten diskutiert. Insgesamt wurden fĂŒr alle molekularen Analysen 294 Sequenzen ausgewertet. Mit 254 Sequenzen von Arten der Unterfamilie Suaedoideae und 18 Sequenzen von Arten der Unterfamilie Salicornioideae wurde eine vergleichende molekulare Analyse mit den DNA-Regionen ITS, atpB-rbcL und psbB-psbH durchgefĂŒhrt. Mit der Einbeziehung von ca. 65 bekannten Suaeda-Arten sind damit je nach Artauffassung bis zu 80% aller Arten der Gattung berĂŒcksichtigt. Mittels Fossildaten werden die wichtigsten Divergenzereignisse zeitlich fixiert. Die molekularen StammbĂ€ume dienen weiterhin als Grundlage fĂŒr die Bewertung der Arten sowie ihrer morphologischen und anatomischen Merkmale. Ein wichtiger Aspekt bildet dabei die Entwicklung der C4-Photosynthese mit den zugehörigen Blatttypen. Die folgenden vier Themenkomplexe bzw. Fragestellungen sollten bearbeitet werden (fĂŒr ausfĂŒhrliche Darstellung vgl. Kap. 1.3):

  1. Monophyletische Gruppen und ihre Beziehungen
  2. Prinzipien der Evolution und Artbildung in der untersuchten Gruppe, Abgrenzung der Arten.
  3. Entwicklung des C4-Photosynthesesyndroms
  4. Entwicklung und VariabilitĂ€t systematisch relevanter Merkmale Die Ergebnisse der auf vergleichender DNA-Sequenzierung beruhenden molekularen Analyse und die Synthese mit weiteren Daten fĂŒhren als Resultat der vorliegenden Arbeit zusammenfassend zu folgenden Ergebnissen:

1.) Die drei sequenzierten DNA-Regionen ITS, atpB-rbcL und psbB-psbH zeigen im Vergleich eine sehr unterschiedliche VariabilitĂ€t, ITS ist die variabelste aller Regionen. Die in den Alignments gefundenen Merkmale in Form von Punkt- und LĂ€ngenmutationen zwischen den Einzelsequenzen waren zahlenmĂ€ĂŸig ausreichend und qualitativ geeignet, um mit den drei Verfahren Maximum Parsimony, Maximum Likelihood und Bayes’scher Analyse aussagekrĂ€ftige und in wesentlichen Aussagen kongruente molekulare Phylogenien zu rekonstruieren. Die Chloroplasten-Daten wurden fĂŒr die Berechnungen kombiniert.

2.) Die beiden DNA-Regionen ITS und atpB-rbcL evolvieren mit sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Die mit der GlĂ€ttungsmethode PL berechneten durchschnittlichen Substitutionsraten weisen fĂŒr ITS eine 5,5fach höhere Substitutionsrate gegenĂŒber atpB-rbcL nach. Die ITS-Sequenzen sind daher wesentlich diverser und fĂŒr einige Sippen, bei identischen atpB-rbcL-Sequenzen, unterschiedlich. Eine direkte Homologisierung von molekularer und morphologischer VariabilitĂ€t oder die molekulare Limitierung von Arten ist daher nur in einigen FĂ€llen möglich.

3.) Die Gattungen Suaeda, Alexandra und Borszczowia bilden eine monophyletische Gruppe, die den Salicornioideae als Schwestergruppe gegenĂŒbersteht. Dies bestĂ€tigt die Ergebnisse der Phylogenie der Chenopodiaceae (Kadereit et al. 2003). Im traditionellen VerstĂ€ndnis ist damit die Gattung Suaeda paraphyletisch. Durch taxonomische Umkombination (SchĂŒtze et al. 2003. Kapralov et al. 2006) werden die Gattungen Alexandra und Borszczowia in Suaeda eingegliedert, womit das Monophylie-Kriterium fĂŒr die Gattung wieder erfĂŒllt ist. Die molekularen Daten unterstĂŒtzen diese nomenklatorische Neubewertung. Der nachfolgend verwendete Gattungsname Suaeda bezieht sich auf die neue Fassung.

4.) Bienertia gehört nicht in die unter 2.) beschriebene monophyletische Gruppe. Die Stellung dieser Gattung ist intermediÀr. Im ITS-Baum bildet sie die Schwestergruppe zu den Salicornioideae, im Chloroplasten-Baum diejenige zu Suaeda. Da Bienertia aufgrund morphologischer Merkmale Suaeda Àhnlicher ist als den Salicornioideae wird sie in die intern neu gegliederte Unterfamilie der Suaedoideae einbezogen, die weitgehend der in Ulbrich (1934) vertretenen Auffassung entspricht.

5.) Suaeda teilt sich in zwei sehr deutlich getrennte Gruppen, die in einer neuen Gliederung als Untergattungen Brezia und Suaeda definiert werden. Die Trennung datiert mit etwa 30 Mio. Jahren in das OligozĂ€n. Zur Untergattung Brezia gehören alle Arten der Sektion Brezia nach bisheriger taxonomischer Auffassung, die Untergattung Suaeda vereint alle ĂŒbrigen Arten und wird in weitere Sektionen untergliedert.

6.) Die Untergattung bzw. Sektion Brezia zeigt im ITS-Baum eine deutliche Dreigliederung in 3 Subclades, die allerdings von den Chloroplasten-BĂ€umen nicht verifiziert wird und auch durch morphologische Merkmale nicht zu rechtfertigen ist. Die Subclades der Untergattung Suaeda entsprechen in GrundzĂŒgen den bisherigen Sektionen und sind durch synapomorphe Merkmale gekennzeichnet. FĂŒr die Gattung Suaeda leiten sich nach monophyletischen Gruppen oder singulĂ€ren Linien folgende Sektionen ab: Brezia, Alexandra, Borszczowia, Schanginia, Schoberia Salsina (inkl. der frĂŒheren Sektionen Limbogermen, Immersa und Macrosuaeda), Suaeda, Physophora und Glauca (neu).

7.) Hybridisierung und Polyploidisierung sind wichtige Prozesse der sympatrischen Artbildung innerhalb der Suaedoideae und waren wahrscheinlich immer mit Arealerweiterungen gekoppelt. Mehrere Linien sind durch Vervielfachung des Chromosomensatzes charakterisiert, wobei auch die recht seltene Form der Dekaploidie erreicht wird. Vieles spricht dafĂŒr, dass sowohl Auto- als auch Allopolyploidie eine Rolle spielt. Auf Autopolyplodie beruhen höchstwahrscheinlich die unterschiedlichen Chromosomenrassen von S. corniculata. Durch Inkongruenzen zwischen Chloroplasten- und ITS (Kern)-StammbĂ€umen konnten einige Arten mit hoher Wahrscheinlichkeit als etablierte, allopolyploide Hybridsippen identifiziert werden (Suaeda kulundensis, S. sibirica). Es ist damit erwiesen, dass die Diversifizierung durch retikulate Evolution beeinflusst wird.

8.) Die Ergebnisse der molekularen Phylogenien belegen sehr deutlich, dass sich die C4-Photosynthese innerhalb der Suaedoideae viermal unabhĂ€ngig mit vier vollkommen unterschiedlichen Blatttypen entwickelt hat. Dazu gehören zwei Blatttypen mit single cell C4-photosynthesis, ein bis vor kurzem bei Landpflanzen unbekanntes PhĂ€nomen. Innerhalb der Sektionen Schoberia, Salsina und Borszczowia datiert die Entstehung in das spĂ€te MiozĂ€n, bei Bienertia entstand die C4-Photosynthese möglicherweise noch frĂŒher.

9.) Als systematisch Ă€ußerst bedeutsame Merkmale haben sich die schon von Iljin (1936a) benutzten Pistill-Formen sowie spezifische Blattmerkmale herausgestellt. Mit diesen Merkmalen können Sektionen, die auf monophyletischen Gruppen beruhen, gut definiert werden. Synapomorphe Merkmale des Pistills sind die Zahl und Ausbildung der Narben sowie die Form ihrer Insertion im Ovar. Bei den Blatttypen sind es vor allem die vier histologisch hoch differenzierten C4-Blatttypen, die als gemeinsam abgeleitetes Merkmal rezenter, teilweise aufgespaltener Linien gewertet werden.

10.) Die frĂŒher z.T. ĂŒberbewerteten Merkmale des Perianths (Verwachsungen, FlĂŒgel, AnhĂ€nge und Umbildungen) können nur zur Beschreibung einzelner Sippen oder lokaler Gruppen herangezogen werden. Ebenso ist das Merkmal der Lebensformen (Therophyten, Chamaephyten) kaum zur Charakterisierung von Gruppen geeignet. Wie das Beispiel Brezia sehr deutlich zeigt, kam es allein in dieser Gruppe mehrfach zur Entwicklung ausdauernder, verholzender Sippen. Der umgekehrte Prozess fand bei der Entstehung der annuellen S. aegyptiaca und S. arcuata statt.

Mit Hilfe von DNA-basierten StammbĂ€umen ist es in der vorliegenden Arbeit möglich geworden, die evolutionĂ€re Geschichte der Gattung nachzuzeichnen und eine auf monophyletischen Gruppen basierende Gliederung abzuleiten. Damit wird eine Grundlage fĂŒr ein verbessertes Artkonzept der Gattung Suaeda geschaffen. FĂŒr die praktische Taxonomie ist dies aber nur teilweise bedeutend. Die morphologisch nachvollziehbare Abgrenzung von Arten bleibt, gerade in den diversen Sektionen Brezia und Salsina, umstritten und kaum nachvollziehbar. Ein Großteil der Arten hat offenbar keine interspezifischen KompatibilitĂ€tsschranken, es handelt sich daher um Morpho- oder Semispecies, möglicherweise sogar nur geographische Rassen, die allerdings mit schnell evolvierenden DNA-Regionen wie ITS differenzierbar sind. Ausgehend von den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit verbleibt genĂŒgend Raum fĂŒr weiterfĂŒhrende, vertiefende systematische und populationsbiologische Studien.

Sponsor
Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG (Cl 188/1-1 und We 1830/2-1); Deutscher Akademischer Austauschdienst DAAD (Kennz. D/03/26150)
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  author    ={SchĂŒtze, Peter Wolfram},
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  school={Kassel, UniversitĂ€t, FB 18, Naturwissenschaften, Institut fĂŒr Biologie},
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