Schwerpunkt: Allgemeine Didaktik und Körperlichkeit : Journal für Allgemeine Didaktik (JfAD) Jg.12/2024
Die vorliegende Ausgabe des Journals für Allgemeine Didaktik (JfAD) widmet sich dem Zusammenhang von Allgemeiner Didaktik und Körperlichkeit und damit einem Themenschwerpunkt, der aktuell durch Krisen (z. B. Corona-Pandemie), technische Innovationen (z. B. Online- und Hybridumgebungen), Gesetzesgrundlagen (z. B. UN-Behindertenrechtskonvention), veränderte Lebensbedingungen (z. B. erhöhte Lebenserwartung) einem deutlichen Wandel unterworfen ist. Dieser führt gesamtgesellschaftlich zu einer veränderten Realisierung, Thematisierung und Fokussierung des menschlichen Körpers. Der Wunsch nach gesunder Langlebigkeit, Körperidealisierungen und -ästhetisierungen, Körperakzeptanz und „body shaming“, die aufkommenden Grenz- bzw. Übergangsfragen im Hinblick auf das Zusammenspiel von Mensch und Technik in transhumanistischen Ansätzen, didaktische Settings, die ohne leibliche Präsenz auskommen, Körpertracking und anderes mehr bilden Indikatoren für eine veränderte Sicht auf Körperlichkeit. In der Folge dieser Veränderungen scheint es zunehmend möglich, den eigenen Körper zu gestalten und zu „optimieren“ und diesen identitätsstärkend, zuweilen auch identitätsstiftend zu erleben. Sichtbar werden damit aber auch die Grenzen der gestaltbaren Körperlichkeit. In der Folge erfährt der kranke, geschädigte, den gesellschaftlichen Erwartungen nicht gerecht werdende Körper Abwertungen. Dass sich die Sicht auf Körperlichkeit aktuell in einem Modus der Entwicklung und Veränderung befindet, wird auch in der sozialwissenschaftlichen Diagnose angezeigt, dass man es mit einem „body turn“ oder „corporal turn“ zu habe; und der Terminus „embodied learning“ weist darauf hin, dass der „body turn“ zumindest an die Tür der Allgemeine Didaktik klopft. In Lehr-Lernzusammenhängen wird der Körper bzw. Leib von Lernenden und Lehrenden in der Regel – solange er das Lernen nicht einschränkt – als eine Gegebenheit und Selbstverständlichkeit vorausgesetzt, ohne dass ihm in institutionellen Lehr-Lernzusammenhängen jenseits von kognitiven Vorgängen die Beachtung geschenkt wird, die mit den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen korrespondieren würde. Die körperliche Sorge wird als Teil der Selbstsorge gesehen und meist als privat eingestuft. Es wird vorausgesetzt, dass Lehrende und Lernende ihre Körper jenseits und für die Lehr-Lernsituation versorgen und pflegen. Insbesondere angeschoben durch die Corona-Pandemie hat sich die Perspektive auf Körperlichkeit verschoben: Im Rahmen von Online Lehr-Lernsettings ist zum Beispiel die Frage virulent geworden, welche Wirkungen die körperliche Distanz bzw. Präsenz auf Bildung hat. Sollte demnach das Thema Körperlichkeit in allgemeindidaktischen Ansätzen und Überlegungen und in der Konsequenz in der (Aus-)Bildung von Lehrenden in jedweder Erziehungs- oder Bildungseinrichtung stärker fokussiert bzw. theoretisch, empirisch und praktisch neu in den Blick genommen werden? Sollten neue Ansätze, Zugänge und Studien das Thema Körperlichkeit bzw. Leiblichkeit stärker oder neu in die allgemeindidaktische Diskussion aufnehmen? Hat die Allgemeine Didaktik womöglich die Materialität des Seins als Thema zu wenig gesehen, marginalisiert und vernachlässigt oder vergessen? Die Beiträge dieses Journals greifen diese Fragen aus unterschiedlichen theoretischen, fachwissenschaftlichen, fachdidaktischen und empirischen Blickwinkeln auf und machen deutlich, dass ein allgemeindidaktischer blinder Fleck in Bezug auf Körperlichkeit Lehrende und Lernende gewissermaßen allein mit ihren Körpern in Lehr-Lernsituationen lässt, obwohl es der Körper ist, der das Lehren und Lernen in erster Linie ermöglicht und modelliert. Hierbei geht es nicht allein darum, das gemeinsame Lernen von Menschen mit und ohne Behinderung zu realisieren oder die Potenziale der körperlichen Ko-Präsenz in Bildungsangeboten vor Ort zu entfalten. Vielmehr geht es grundsätzlich darum, Körperlichkeit als Komponente, Element, Aspekt und Grundlage des Lernens aller Menschen in den Blick zu nehmen. Nebenbei bemerkt: Würde dies gelingen, dann wäre damit ein echter Beitrag auch zur Inklusion geleistet. Das vorliegende Journal möchte hierzu einen Beitrag leisten.
@book{doi:10.17170/kobra-2024102210983, author ={Xavier, Charlotte and Schwehr, Marion Y. and Breiwe, René and Fock, Elisabeth and Dindas, Henrik and Schulte, Frank P. and Rupp, Robert and Wallmann-Sperlich, Birgit and Schlimmer, Lotte and Bucksch, Jens and Schäfer, Sarah-Lena and Häußler, Angela and Knapp, Jonatha and Giese, Martin and Küth, Simon and Scholl, Daniel and Brinkmann, Malte and Borsutzky, Nicole}, editor ={Esslinger-Hinz, Ilona and Reinmann, Gabi and Scholl, Daniel}, title ={Schwerpunkt: Allgemeine Didaktik und Körperlichkeit : Journal für Allgemeine Didaktik (JfAD) Jg.12/2024}, keywords ={370 and Allgemeine Didaktik and Leiblichkeit}, copyright ={http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/}, language ={de}, year ={2024-09} }