Die Dissertation „Institutionelle Filter: Das deutsche Hochschulwesen zwischen Persistenz und Reform“ untersucht gegenwärtige Hochschulreformen, die auf die Leistungsproduktion von Wissenschaftlerinnen zielen. Sie betrachtet Hochschulreformen als Phänomene, die sich im Spannungsfeld zwischen den Gestaltungsintentionen der Akteure und den Beharrungskräften verfestigter institutioneller Ordnungen entfalten. Analytischer Ausgangspunkt ist die Mehrebenen-Gestalt von Hochschulreformen in einem doppelten Sinne: Gestaltungsintentionen von Reformerinnen finden sich nicht nur auf der obersten Ebene, sondern auf mehreren ineinander verschränkten Ebenen des Einwirkens auf das Hochschulwesen (weltpolitische Ebene, nationale Ebene und Organisationsebene), und auch die institutionellen Kontexte, in denen sich Reformen entfalten, sind vielschichtig. Um diese doppelte Mehrebenen-Gestalt zu entfalten, wird im Rahmen dieser Arbeit ein analytisches Bezugsschema der multiplen institutionellen Filterung von Reformen in geschichteten Feldern entworfen und methodologisch untermauert. Institutionelle Filter betonen, dass global zirkulierende Reformskripte mit vielfältigen institutionellen Kontexten in Wechselwirkung treten, die jeweils durch beharrliche lokale Traditionen, Spielregeln und Akteurs-Strategien geprägt sind. Unter institutioneller Filterung wird dabei verstanden, dass Reformskripte entlang der Eigensinnigkeit dieser institutionellen Kontexte selektiert, aber auch transformiert werden. Eine Kombination aus soziologischem Neo-Institutionalismus, historischem Institutionalismus und Feldtheorie bildet die theoretische Grundlage, um diese institutionelle Filterung von Reformskripten in einem komplexen - durch die Überlagerung verschiedener Feldschichten gekennzeichneten - Hochschulsystem herauszuarbeiten. Dabei wird nicht nur die Filterung globaler Reformskripte durch nationale Pfade des Hochschulwesens in den Blick genommen, sondern auch die Filterung in disziplinären Feldern, die Filterung in Forschung („wissenschaftliches Feld“) und Lehre („Bildungsfeld“) sowie die Relevanz organisationaler Felddifferenzierungen (funktionale Differenzierung zwischen Hochschulen oder vertikale organisatorische Statusdifferenzierung) für die institutionelle Filterung betont. Damit leistet die Arbeit einen Beitrag zur Theoriearbeit in der Hochschulforschung, indem verschiedene relevante Forschungsstränge unter einem gemeinsamen theoretischen Rahmen miteinander verknüpft werden. Empirisch baut die Dissertation auf Daten aus zwei Forschungsprojekten auf: 1. „The Academic Profession in Knowledge Societies (APIKS)“, eine international vergleichende Befragung von Wissenschaftlerinnen (deutsche Teilstudie gefördert durch das BMBF); 2. „Multipler Wettbewerb in Forschung und Lehre“, ein Teilprojekt der DFG-Forschungsgruppe „Multipler Wettbewerb im Hochschulsystem“. Zur Analyse der institutionellen Filterung von Reformen wurde vor allem auf 'small-n' Vergleiche gesetzt, wobei ein breites Instrumentarium an quantitativen Methoden (z.B. Mehrebenenregression, Moderationsanalyse, multiple konfirmatorische Faktorenanalyse) und qualitativen Methoden (Fallstudien, Inhaltsanalyse und 'critical incidents'-Methode) zum Einsatz kam. Den analytischen Ansatzpunkt bilden zwei Reformbündel, die auf die Leistungsproduktion von Wissenschaftlerinnen zielen. Erstens, Reformen, die auf das Academics' Societal Engagement zielen: Hier steht eine qualitative Veränderung der Leistungsproduktion von Wissenschaftlerinnen im Hinblick auf eine stärkere Orientierung an direktem ökonomischen und gesellschaftlichen Nutzen im Zentrum der Reformbemühungen; Zweitens, Reformen der Valorisierung von Leistungen: Hier steht die an spezifischen (quantifizierten) Bewertungskriterien gemessene Leistungssteigerung in Forschung und Lehre auf der Reformagenda. Die Veröffentlichungen dieser kumulativen Dissertation greifen unterschiedliche Forschungsfragen auf, gruppieren sich aber alle um die Thematik des Spannungsverhältnisses zwischen Reformintentionen und beharrlichen institutionellen Kontexten. Sie verdeutlichen die Wirkungsmacht institutioneller Filter, die in unterschiedliche Felder und Felddifferenzierungen eingebettet sind. Folgende Hauptthemen werden in den Einzelveröffentlichungen behandelt: a) nationale Institutionalisierungspfade binärer Hochschulsysteme (Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften) und der Zusammenhang mit der Leistungsproduktion von Wissenschaftlerinnen; b) Differenzen in nationalen Anerkennungsmechanismen von organisationalem Status und der Zusammenhang von organisationalen Statusdifferenzen mit der Leistungsproduktion von Wissenschaftler*innen; c) der Wandel der Leistungsproduktion in verschiedenen disziplinären Feldern im Kontext des ‚weak evaluation state‘ Deutschland und der Zusammenhang mit der organisatorischen Valorisierung von Leistungen; d) die soziale Konstruktion von Wettbewerb in der wissenschaftlichen und hochschulpolitischen Diskussion in Forschung und Lehre; e) die zeitliche Dimension strategischer Positionierung von Hochschulen im Kontext unterschiedlicher institutioneller Rahmenbedingungen in Forschung und Lehre. Damit werden neben der Entwicklung eines analytischen Bezugsschemas auch weitere theoretisch und empirisch relevante Forschungsdesiderate der Hochschulforschung adressiert.
@phdthesis{doi:10.17170/kobra-2024090210782, author ={Götze, Nicolai}, title ={Institutionelle Filter: Das deutsche Hochschulwesen zwischen Persistenz und Reform}, keywords ={300 and 370 and Institutionalismus and Deutschland and Hochschulreform and Funktionale Differenzierung and Neues Steuerungsmodell}, copyright ={http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/}, language ={de}, school={Kassel, Universität Kassel, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften}, year ={2024} }