Diskurstraditionelle Formationen verbaler Höflichkeit zwischen Handschrift und Inkunabel: Apollonius/Apolonio-Variationen im Spanischen

Die historische Pragmatik untersucht überlieferte Texte als Äußerungseinheiten, die in einer spezifischen historischen Situation dazu dienten, eine kommunikative Aufgabe zu erfüllen. Ziel ist es, diese Aufgabe, ihre sprachlichen und kulturellen Traditionen, so präzise wie möglich zu rekonstruieren. Das Zusammenspiel dieser Traditionen wird im vorliegenden Beitrag am Beispiel des spätantiken Apollonius-Stoffes aufgezeigt. Die Geschichte(n) um den gelehrten König Apollonius werden im spanischen Mittelalter nicht allein im handschriftlich überlieferten ‚Libro de Apolonio‘ (ca. 1250) gestaltet, sondern auch in einer Inkunabel, die Ende des 15. Jahrhunderts gedruckt wurde und 35 Holzschnitte enthält. Grundlage der Analyse sind damit literarische Texte. Die Prämisse dieser Auswahl ist, dass ein literarischer Text zwar keine historisch verbürgte Interaktion abbildet, jedoch als mimetische Repräsentation durchaus die seine Zeit prägenden Traditionen des Sprechens spiegelt. Das Ineinanderwirken von Materialität und Formation wird in diesem Beitrag als Zusammenspiel der materia im Sinne der Apollonius-Geschichte(n) mit kulturellen Diskurstraditionen der Durchformung und Veränderung der Narrative verstanden. Dabei konzentriert sich die synoptische Analyse auf eine Szenenfolge, in der Aspekte verbaler Höflichkeit thematisiert werden. In den linguistisch-philologischen Interpretationen geht es nicht allein um historische Komponenten höflichen Verhaltens, sondern auch um die Frage nach den Korrelationen zwischen historischen Formen der Höflichkeit und zeitlosen Prinzipien von Kooperation und kommunikativem Vertrauen.