Endozoochorer Transport von Pflanzendiasporen durch den Rothirsch (Cervus elaphus)
Potenzial für Pflanzenarten des wertgebenden Offenlands
Ziel der Arbeit ist es, den endozoochoren Ausbreitungserfolg über den Rothirsch für Pflanzenarten wertgebender Offenlandlebensräume zu untersuchen. Dazu wurden folgende Fragestellungen bearbeitet: (i) Welche Artenzusammensetzung weist das endozoochor transportierte Diasporenspektrum auf? (ii) Profitieren vor allem Offenlandarten von dieser Ausbreitungsweise und warum? (iii) Lassen Vergleiche zwischen angebotenem und transportiertem Artenspektrum auf flächenvernetzende Streifbewegungen im Rothirschlebensraum schließen? (iv) Welche Diasporenmengen werden transportiert und pro Flächeneinheit eingetragen? (v) Welches Nachausbreitungsschicksal erwartet die mit dem Kot abgesetzten Diasporen? Untersuchungsgebiet ist der US-Truppenübungsplatz „Grafenwöhr“ in der bayerischen Oberpfalz (Deutschland). Hier ist es u. a. durch ein störungsarmes Wildtiermanagement gelungen, den Rothirsch wieder ganzjährig an die Offenlandnutzung heranzuführen. Im Fokus der Untersuchungen stehen die FFH-LRT 4030 | Europäische Heiden und LRT 6510 | Extensive Mähwiesen, die sich hinsichtlich Nahrungsattraktivität und Deckungsreichtum deutlich unterscheiden. Um das endozoochor transportierte Artenspektrum zu erfassen, wurden über ein Jahr lang gesammelte Losungsproben im Gewächshausexperiment zur Keimung gebracht. Das Resultat waren knapp 36 Tsd. aufgelaufene Keimlinge von 206 Pflanzenarten. Die besondere Relevanz der Ausbreitungsweise für naturschutzfachlich wertgebende Offenlandarten konnte durch den hohen Anteil an LRT-Charakterarten und an 32 Rote Liste-Arten verdeutlicht werden, die im Kot nachgewiesen wurden. Typische Arten der Wälder und Gebüsche traten dagegen stark unterrepräsentiert auf. Dies wurde u. a. darauf zurückgeführt, dass viele Offenlandarten, anders als typische Waldarten, kleine und leichte Diasporen ausbilden, die die Kau- und Verdauungsvorgänge unbeschadet überleben. Aus Spektrenvergleichen wurde deutlich, dass Arten signifikant häufiger innerhalb desselben Vegetationstyps transportiert wurden als zwischen verschiedenen Vegetationstypen. Dieses biotopstete Verhalten wurde als besonders günstig im Sinne der Biotopvernetzung interpretiert. Die unterschiedliche Beschaffenheit der untersuchten Offenland-LRT hinsichtlich Nahrungsattraktivität und Deckungsreichtum übten gegenüber anderen Faktoren (z. B. störungsarme Jagdmethoden) nur einen nachrangigen Einfluss auf das Vektorpotenzial des Rothirschs aus. Als quantitative Merkmale wurden die pro Tier transportierten Mengen sowie die pro Raumeinheit eingebrachten Mengen an Arten und keimfähigen Ausbreitungseinheiten betrachtet. Die dazu nötigen Grundgrößen wurden im Versuchsgelände erfasst bzw. experimentell ermittelt. Während sich sowohl Transportleistungen als auch Eintragsmengen im Jahresverlauf in beiden LRT anglichen, führten unterschiedliche saisonale Aufenthaltsschwerpunkte der Tiere dazu, dass im LRT Wiese eine schwerpunktmäßige Ausbreitung während der Vegetationsperiode stattfand, während im LRT Heide eine Aufteilung der Transportleistungen zwischen Vegetationsperiode und Winterruhe erfolgte. Es konnten jährliche Eintragsmengen von bis zu einer halben Million keimfähiger Ausbreitungseinheiten pro Hektar nachgewiesen werden, wobei dieses Ergebnis vor allem auch auf die große lokale Rothirschpopulation zurückgeführt wurde. Pro Tier wurden jährliche Transportleistungen von über 300 Tsd. keimfähigen Ausbreitungseinheiten ermittelt. Im Hinblick auf das Nachausbreitungsschicksal der mit dem Kot transportierten Arten wurde in einem Feldexperiment untersucht, ob Rothirschlosung, die zufällig in Gaps abgesetzt wird, maßgeblich zur kleinräumigen Artenvielfalt beiträgt. Die Ergebnisse der Versuchsreihen im LRT Wiese belegten die aufgestellte Hypothese, da sich in fast allen Ansätzen nach kurzer Zeit signifikante Unterschiede zwischen den Artenspektren der Kotprobenfeld- und Umgebungsvegetation zeigten. Im LRT Heide konnte die Hypothese nicht eindeutig belegt werden. Als Hürde stellte sich hier der schnelle Austrocknungsprozess der einzelnen Losungspellets dar, der dazu führte, dass die Diasporen im Kot eingeschlossen und deren Keimung (zumindest im Untersuchungszeitraum) verhindert wurde. Als übergreifende Erkenntnis wird festgehalten, dass der Rothirsch auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr eine wichtige Schlüsselrolle im Hinblick auf die Erhaltung und Verbreitung von Pflanzenarten wertgebender Offenlandlebensräume spielt, u. a. auch deshalb, weil sich durch andere Biotopmanagementmaßnahmen keine gleichwertigen Resultate erzielen lassen (z. B. ganzjähriges Unterwegssein auf unwegsamen oder munitionsbelasteten Flächen). Auch in anderen Zielgebieten des Naturschutzes sollte mehr auf den landschaftspflegerischen Einfluss des Rothirschs gesetzt werden. Dazu müssen Maßnahmen des Biotop- und Wildtiermanagements auf der Basis wissenschaftlicher Arbeiten und gemeinschaftlich getragener Modellprojekte weiterentwickelt werden und zukünftig stärker Hand in Hand gehen.
@phdthesis{doi:10.17170/kobra-202102033107, author ={Wichelhaus, Anya}, title ={Endozoochorer Transport von Pflanzendiasporen durch den Rothirsch (Cervus elaphus)}, keywords ={500 and Rothirsch and Samenverbreitung and Grünlandnutzung and Verbreitungsökologie and Diaspore and Endozoochorie and Pflanzenart}, copyright ={http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/}, language ={de}, school={Kassel, Universität Kassel, Fachbereich Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung}, year ={2020} }