Wahrnehmungen und Deutungen von Jugendstrafgefangenen und Fachkräften zum Jugendstrafvollzug
Eine multiperspektivische, qualitative Analyse.
Die Jugendstrafe stellt die ultima ratio jugendstrafrechtlicher Sanktionen dar und soll nur dann zur Anwendung kommen, wenn die im Jugendgerichtsgesetz vorgesehenen Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel nicht mehr geeignet erscheinen, die Wiederholung von Straftaten zu verhindern. Sie wird ausdrücklich mit erzieherischen Intentionen verhängt und soll damit die Adressaten dazu »… befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen« (vgl. § 2 SächsJStVollzG). Am 31.05.2006 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass es für den Vollzug von Jugendstrafen einer spezifischen gesetzlichen Grundlage bedarf. In diesem Kontext wurde unter anderem auch die Berücksichtigung einer verbindlichen Regelung zur Sicherung einer wirkungsvollen, an empirischen Erkenntnissen orientierten Vollzugsgestaltung für notwendig erachtet. Neben der Verpflichtung zur Beobachtung und Nachbesserung forderte das Bundesverfassungsgericht, dass die verantwortlichen Träger des Vollzugs durch die Erhebung von Daten, durch Evaluationen und kriminologische Forschung in der Lage sein müssen, die Wirkungen der von ihnen erlassenen Vollzugskonzepte auch überprüfen und ggf. im Sinne der intendierten Ziele modifizieren zu können. Nach Inkrafttreten des Sächsischen Jugendstrafvollzugsgesetzes begann im Januar 2011 der Kriminologische Dienst des Freistaates Sachsen in der Jugendstrafvollzugsanstalt Regis-Breitingen mit einem auf quantitativen Forschungsmethoden basierendem Evaluationsprojekt. Die vorliegende Untersuchung fokussierte nun darauf, diese Evaluation durch ein qualitatives Forschungsdesign zu ergänzen. Im Mittelpunkt stand hierbei die Erkundung relevanter Sinnsetzungs- und Sinndeutungsvorgänge der Adressaten, aber auch verschiedener Akteure innerhalb und außerhalb des Untersuchungsfeldes. Dazu wurden in der JSA 16 problemzentrierte Interviews mit Jugendstrafgefangenen sowie fünf Gruppendiskussionen mit Bediensteten der verschiedenen Professionen durchgeführt. Zudem fand in jeweils drei Gruppendiskussionen eine Datenerhebung mit Mitarbeitern der Jugendgerichtshilfen und der Bewährungshilfen aus verschiedenen Ballungsräumen des Freistaates Sachsen statt. Hierbei galt es, verschiedene Wahrnehmungsperspektiven hinsichtlich struktureller und organisationaler Aspekte, vollzuglicher Prozesse sowie etwaiger Folgen und Auswirkungen des Vollzugs der Jugendstrafe zu erfassen. Im Ergebnis der Datenauswertung kristallisierten sich vier übergeordnete inhaltliche Themenbereiche heraus, die einer genaueren Analyse unterzogen wurden:
- Identitätsstrategien der Adressaten und berufliches Rollenverständnis der Fachkräfte
- Beziehungserleben und Atmosphäre
- Vollzugs- und Eingliederungsplanung sowie die Bedeutung von Bildungs-, Freizeit- und Behandlungsangeboten
- Optionen der Wiedereingliederung: Außenkontakte, Entlassungsvorbereitung und Reintegration nach der Haft Über sämtliche inhaltliche Schwerpunkte hinweg offenbarte sich, dass der Jugendstrafvollzug im Spannungsfeld von Strafe und Erziehung sowohl in seinen theoretischen Bezügen als auch in der praktischen Ausgestaltung ein in vielfacher Hinsicht von Widersprüchen, Uneindeutigkeiten und Ambivalenzen geprägtes Gegenstandsfeld darstellt, in welchem ein fortwährender Reflexions- und Verständigungsprozess der beteiligten Akteure unabdingbar erscheint.
@phdthesis{doi:10.17170/kobra-202008311684, author ={Krause, Volker}, title ={Wahrnehmungen und Deutungen von Jugendstrafgefangenen und Fachkräften zum Jugendstrafvollzug}, keywords ={300 and 340 and Jugendstrafvollzug and Gefängnis and Evaluation}, copyright ={http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/}, language ={de}, school={Kassel, Universität Kassel, Fachbereich Humanwissenschaften}, year ={2019-08} }