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wunderbar wandelbar? Stadtraum zwischen Kontinuität und Veränderung, zwischen Beschleunigung und Irreversibilität. Kleinmaßstäbliche Aneignungsprozesse im megaurbanen Freiraum: Typen, Transformationen und Potentiale. Das Beispiel der Megastadt Guangzhou.

Die anhaltende Transformation der südchinesischen Megastadt Guangzhou bringt eine Vielfalt von (temporär) ungenutzten Flächen hervor. Diese Brachflächen und urbane Leerstellen als ihre besondere Ausprägung stellen ein Zwischenprodukt stadträumlicher Entwicklungsprozesse und der Anpassung urbaner Systeme an sich wandelnde Anforderungen dar. Besonders häufig finden sie sich in heterogenen Gebietsstrukturen wie den Dörfern in der Stadt (urbanized villages), die durch zahlreiche Entwicklungsimpulse einem stetigen Wandel ausgesetzt sind und sich vom Dorf zu einem integrierten Teil der Megastadt entwickeln. Sie sind ein Spiegelbild der Komplexität der Transformationsprozesse und ihrer räumlichen sowie gesellschaftlichen Auswirkungen: Heterogenisierung der Stadtgesellschaft, Verdichtung, Ressourcenknappheit. Insbesondere vor dem Hintergrund der steigenden Zahl von Arbeitsmigranten in den urbanized villages, die nicht über ausreichend wirtschaftlich und sozial stabile Handlungsfähigkeit verfügen, sowie vor dem aktuellen 13. Fünfjahresplan, der eine ausreichende Sozialabsicherung und Raumversorgung für alle Bevölkerungsgruppen vorsieht, erhält die Frage nach einer für alle geltenden Zugänglichkeit und Verfügbarkeit von Raum eine aktuelle Relevanz. In den drei untersuchten urbanized villages (periurbanes Shibi und Yuangangcun, zentrales Xincun) besteht ein weites Spektrum an urbanen Leerstellen, die mittlerweile einen typischen Faktor in Chinas Megastädten darstellen. Dabei handelt sich um Räume im planerischen Vakuum – da sie lediglich in Übergangsphasen auftreten, wurde weder den Flächen an sich noch ihren Potentialen für die Stadtentwicklung bislang planerische oder politische Beachtung geschenkt. Gerade die Übergangsprozesse stellen die Bewohner der betroffenen Gebiete jedoch vor enorme Herausforderungen. Insbesondere auf den transitorischen Freiraumformen der urbanen Leerstellen finden daher als Reaktion auf sich ändernde Raum- und Gesellschaftsbedingungen verschiedenartige informelle Aneignungsprozesse statt. Vor allem für unterprivilegierte Gruppen stellen die urbanen Leerstellen dabei eine Chance im Umgang mit räumlichem Ressourcenmangel dar. Insoweit sollten die jeweils beobachteten Aneingnungsprozesse als Indikator für die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Bewohner dienen und durch ihre Selbstregulierung Ausgleichspotentiale für diese Bedürfnisse bieten können. Hiervon ausgehend besteht ein Ziel der vorliegenden Arbeit darin, verschiedene Formen urbaner Leerstellen in Guangzhou zu identifizieren und Aspekte ihrer Entstehung und Aneignung herauszuarbeiten. Darauf aufbauend wird das Potential der erfolgten Aneig-nung zur Bewältung von räumlichen Ressourcenmängeln und als stabilisierendes Moment für (sozial-)räumliche Versorgungsmängel innerhalb der megaurbanen Umwelt diskutiert. Hierzu wird die Aneignung als eine mögliche Interaktionsform zwischen Mensch und Stadtraum betrachtet, die schnelllebigen Transformationsprozessen ausgesetzt ist, welche den chinesischen Stadtraum auszeichnen. Der theoretische Rahmen dieser Arbeit spannt sich dabei zwischen zwei Polen auf: die spezifischen Ausprägungen und Einflüsse der chinesischen Stadtbaukultur auf der einen und eine übergeordnete Betrachtung von zentralen Aspekten zu Öffentlichkeit, Urbanität und urbanem Freiraum auf der anderen Seite. Der Untersuchung liegt ein theoriegeleitetes Denkmodell der Aneignungsräume zugrunde, das maßgeblich auf Ansätzen zur sozialräumlichen Dialektik und zur Mensch-Umwelt-Transaktion basiert. Gleichzeitig greift es auf Aspekte eines prozessualen Verständnisses von Raumerzeugung zurück, das eine Integration des Pols der chinesischen Stadtbaukultur ermöglicht, der sich in den Aneignungen räumlich manifestiert. Die Analyse erfolgt in zwei Phasen. Eine Phase der Annäherung widmet sich den Veränderungen, die innerhalb der drei urbanized villages mit unterschiedlicher Urbaniserungsdy-namik stattfinden, und analysiert die verschiedenen Merkmale und Einflussparameter ihrer Transformationen. Sodann werden in der Phase der Inspektion die Wirkungszusammenhänge und (Bewältigungs-)Potentiale im Kontext der Mensch-Umwelt-Transaktionen erkenntnistheoretisch aus der Perspektive von insgesamt 12 Fallstudien von Aneignungen urbaner Leerstellen rekonstruiert. Die Erkenntnisse sind u.a. die Basis für die Erarbeitung prozessbasierter, dynamisch abbildender Darstellungsformen. Methodisch folgt die Dis-sertation einem qualitativen und phänomenologischen Ansatz mit quantitativen Elemen-ten, der auf der hermeneutischen Grundlage des Verstehens und Nachvollziehens subjek-tiver Konstruktionen und Aneignungen basiert und sich maßgeblich an der Logik des Ent-deckens orientiert. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich über die Jahre 2007 bis 2012. Die Dissertation soll die Diskussion um die Genese der stadträumlichen Veränderung durch eine Analyse der städtischen Raumstruktur und dynamischen Transformation ergänzen und die Risiken und Potentiale urbaner Leerstellen analysieren. Zentrales Anliegen der Arbeit ist es, durch einen Perspektivwechsel auf die Mikroebene der Aneignung mögliche Regelmäßigkeiten und Prinzipien hinter den Einzelphänomenen der untersuchten Fallstudien zu entschlüsseln, um so Grundlagen für weiterführende Maßnahmen im Bereich der strategischen Stadtplanung und für konkrete Maßnahmen auf der Ebene der urbanized villages zu schaffen und – auch für andere urbane Kontexte – zu einem Erkenntnisgewinn über mikrourbane Selbstregulierungsmechanismen beizutragen.

Collections
@phdthesis{urn:nbn:de:hebis:34-2018030754735,
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