Als künftiger Autor der „Neuhochdeutschen Grammatik" in der „Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte" ist man doppelt in die Zange genommen. Denn einerseits hat man die Verpflichtung und auch den Willen, eine ehrwürdige Tradition historischer Grammatikschreibung würdig fortzusetzen. Andererseits muss man auch den theoretischen Anforderungen genügen, die an Gegenwartsgrammatiken gestellt werden. Schließlich mündet ja die eigene historische Beschreibung unmittelbar in die Beschreibung der Gegenwartssprache. Die Situation ist also aus der Sicht der „Neuhochdeutschen Grammatik" die: Man baut seit geraumer Zeit an einer Brücke von beiden Seiten des Flusses aus. Allerdings ist es unsicher, ob die Brückenbauer auf der jeweils einen Seite wirklich wissen bzw. wirklich daran interessiert sind, dass von der jeweils anderen Seite aus an derselben Brücke gebaut wird. Die jeweiligen Konstrukteure bzw. deren Erfahrungen, Überzeugungen, Techniken und Stoffe sind auf jeden Fall verschieden. Für den potentiellen ,Konstrukteur' einer „Neuhochdeutschen Grammatik" wäre es natürlich ein Alptraum zu erleben, dass sich die zwei Brückenbogen in der Mitte nicht treffen würden. Es wäre ein Misserfolg, der zwar keinesfalls bloß auf seine Kappe ginge, den er aber alleine ausbaden müsste. Angesichts dieser schwierigen - oder besser gesagt: spannenden und anregenden - Situation hat er wohl keine andere Wahl, als zu versuchen, eine gründliche Diagnose aufzustellen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu ziehen. Die Diagnose sollte m.E. aus zwei Teilen bestehen. Einerseits sollte man empirisch überprüfen, ob es begründete Ängste sind, die das „Brückenproblem“ heraufbeschwören, oder bloße Hysterie des "Konstrukteurs". Andererseits sollte man die Theorien zur Konstruktion untersuchen, ob sie zum Stoff, zur matière, passen. Denn mangels adäquater points de vue könnte die Konstruktion des objet gründlich schiefgehen (s. CLG fr: 23). Unter einer empirischen Diagnose verstehe ich Viabilitätsanalysen, d.h. Untersuchungen, die auf der methodologischen Basis des Prinzips der Viabilität, das ein Prinzip der sprachhistorischen Adäquatheit darstellt, arbeiten. Wie eine Viabilitätsanalyse aussehen könnte, habe ich exemplarisch an der Serialisierung im Verbalkomplex zu zeigen versucht (Ágel 2001). Der Ausgangspunkt des vorliegenden Beitrags ist eine theoretische Diagnose. Deren Ergebnis wird die Formulierung einiger Prinzipien der (dynamischen) Grammatik ermöglichen. Diese Prinzipien sollen die Grundlegung neuer Grammatiktheorien - und natürlich auch die Aufstellung weiterer Prinzipien – anregen.
@inbook{doi:10.17170/kobra-202102113187, author ={Ágel, Vilmos}, title ={Prinzipien der Grammatik}, keywords ={430 and Deutsch and Grammatiktheorie and Verb and Serialisierung}, copyright ={https://rightsstatements.org/page/InC/1.0/}, language ={de}, publisher ={Universität Kassel}, year ={2003} }