Bu rc ha rd t | D ie tz W ar ne ck e- Be rg er [H rs g. ] Grüne Energiewende in Lateinamerika G rü ne E ne rg ie w en de in L at ei na m er ik a 49 Burchardt | Dietz | Warnecke-Berger [Hrsg.] Studien zu Lateinamerika | 49 Latin America Studies https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Studien zu Lateinamerika Latin America Studies herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h.c. Kai Ambos, Georg-August-Universität Göttingen Prof. Dr. Manuela Boatcă, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Prof. Dr. Hans-Jürgen Burchardt, Universität Kassel Prof. Dr. Olaf Kaltmeier, Universität Bielefeld Prof. Dr. Anika Oettler, Philipps-Universität Marburg Prof. Dr. Stefan Peters, Justus-Liebig-Universität Gießen Prof. Dr. Stephanie Schütze, Freie Universität Berlin Band 49 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Grüne Energiewende in Lateinamerika Hans-Jürgen Burchardt | Kristina Dietz Hannes Warnecke-Berger [Hrsg.] https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb © Titelbild: www.pinterest.de: Künstler: Joaquin Torres Garcia (Montevideo, Uruguay, 1874–1949); Titel: América Invertida, 1943. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 1. Auflage 2025 © Die Autor:innen Publiziert von Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG Waldseestraße 3 – 5 | 76530 Baden-Baden www.nomos.de Gesamtherstellung: Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG Waldseestraße 3 – 5 | 76530 Baden-Baden ISBN (Print): 978-3-7560-1873-4 ISBN (ePDF): 978-3-7489-4605-2 DOI: https://doi.org/10.5771/9783748946052 Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. Onlineversion Nomos eLibrary https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Inhaltsverzeichnis Kristina Dietz, Hannes Warnecke-Berger und Hans-Jürgen Burchardt Einleitung 7 Kristina Dietz Energiewende in Lateinamerika aus globaler Perspektive 21 Luíza Cerioli Die Geopolitik der Energiewende und die Rekonfiguration globaler Machtverhältnisse: Lateinamerika am Scheideweg 37 Fabricio Rodríguez Energiewende, Machtkämpfe und Konflikte um Ökologie. Kritische Rohstoffe und geopolitische Spannungsfelder zwischen Lateinamerika und China 59 Hannes Warnecke-Berger Post-fossile Zukunft: Lateinamerika zwischen Rohstoffreichtum und ungleicher Spezialisierung 81 Hans-Jürgen Burchardt Gibt es eine Energiewende ohne Steuerreformen? Antworten aus Lateinamerika 103 Felix Malte Dorn Eine neue Frontier der Dekarbonisierung? Grüner Wasserstoff in Lateinamerika 125 Nina Schlosser Kapital und Staat im Grünen Extraktivismus. Widersprüche und Widerstände in Lithiumsektor Chiles 143 Alina Heuser Geschlechterverhältnisse in Konflikten um Kupferbergbau in Peru 163 5 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Javier Lastra-Bravo und Sebastian Matthes Kupfer für die Energiewende und die Rechte der Natur in Ecuador 181 Andreas Gutmann Lateinamerikanische Alternativen in der Energiewende. Die Natur als Rechtssubjekt in der ecuadorianischen Verfassung 201 Hinweise zu den Autor*innen 217 Inhaltsverzeichnis 6 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Einleitung Kristina Dietz, Hannes Warnecke-Berger und Hans-Jürgen Burchardt 1 Die Energiewende in Lateinamerika Mit der Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens im Jahr 2015 einigte sich die internationale Staatengemeinschaft auf das Ziel, die globale Erder‐ wärmung auf unter 2°C bzw. maximal 1,5°C zu begrenzen. Um dieses Ziel zu erreichen, setzen politische Parteien und soziale Bewegungen, nationale Regierungen, supranationale Staatenbünde und internationale Organisatio‐ nen auf Dekarbonisierung. Damit gemeint ist eine Abkehr von fossilen Energien, im Sinne eines klimaneutralen Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft und der Reduzierung der CO2-Emissionen auf Netto-Null1. Die Zeitvorstellungen darüber, bis wann dieser Umbau erreicht werden soll, unterscheiden sich nur gering: Die Bundesrepublik Deutschland zielt auf Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 (KSG 2021), die USA und die Europäische Union (EU) wollen bis zum Jahr 2050 (Europäische Kom‐ mission 2019; U.S. Department of State 2021) und China bis 2060 klima‐ neutral werden (IRENA 2022). Ebenso vergleichbar sind die politischen Programme, mit denen die Ziele erreicht werden sollen: der European Green Deal (EGD) in Europa (Europäische Kommission 2019), der Infla‐ tion Reduction Act (IRA) der Biden Regierung in den USA2 und das 1+N Strategieprogramm Klimapolitik in China. Alle drei Strategien folgen einem grün-technologischen Verständnis: Energie- und Verkehrssysteme, Infrastrukturen sowie die Industrie sollen mittels technologischer Innova‐ tionen ökologisch modernisiert werden. Beispiele hierfür sind der Ausbau der Elektroautomobilität und der Speicherinfrastruktur, die Förderung grü‐ nen oder emissionsarmen Wasserstoffs, der mit Strom aus erneuerbaren Energien oder unter Einsatz von Technologien zur Abscheidung, Nutzung oder Speicherung von CO2 hergestellt werden soll. 1 Netto-null bedeutet nicht, dass kein CO2 mehr emittiert wird, sondern das CO2 an anderer Stelle entweder ausgeglichen oder der Atmosphäre entzogen wird (Brad et al. 2024). 2 https://www.whitehouse.gov/cleanenergy/inflation-reduction-act-guidebook/, letzter Aufruf 28.08.2024. 7 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://www.whitehouse.gov/cleanenergy/inflation-reduction-act-guidebook/ https://www.whitehouse.gov/cleanenergy/inflation-reduction-act-guidebook/ https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Inwiefern mittels dieser Ansätze der sozial-ökologische Umbau und die Erreichung des 1,5° C Ziels gelingt, ist umstritten. Zum einen werden bisher zu wenig Mittel mobilisiert: Schätzungen gehen davon aus, dass allein Deutschland bis zum Jahr 2030 zwischen 100 Milliarden Euro und 460 Milliarden Euro (Krebs et al. 2021) jährlich investieren müsste, um das selbstgesteckte Ziel durch neue, grüne Technologien zu erreichen. Auf eu‐ ropäischer Ebene fordert Mario Draghi (2024) jährliche Investitionen von bis zu 800 Milliarden Euro sowie eine tiefgreifende Reform der EU-Institu‐ tionen. Aus einer kritischen Perspektive stellen Sozialwissenschaftler:innen dagegen die Produktions- und Konsummuster westlicher Gesellschaften in Frage und argumentieren, dass das Entkoppeln von Wachstum und Wohl‐ stand im Rahmen einer privatwirtschaftlich und marktorientierten Gesell‐ schaftsordnung – der des Kapitalismus – grundsätzlich nicht gelingen kann (Schor/Jorgenson 2019; Brand/Wissen 2017, 2024; Lessenich 2016). Auf politischer Ebene und in Teilen der Zivilgesellschaft findet diese Kritik jedoch nur wenig Gehör. Die Zeichen stehen auf ökologisch-technologische Modernisierung, ohne die zugrundeliegenden Strukturen und Muster von Produktion und Konsum in Frage zu stellen. Neben den strukturellen Bedenken an der Machbarkeit einer grün-tech‐ nologischen Transformation zur Nachhaltigkeit besteht aus globaler Per‐ spektive ein weiteres Problem: Die Verfasser:innen von Programmen wie dem EGD neigen dazu, die Kosten der Transformation zu externalisieren, das heißt diese anderen Ländern und Gesellschaften – insbesondere im globalen Süden – aufzubürden. Sie verbleiben so in einem eurozentrischen bias. Unsichtbar bleibt, dass die grün-technologische Energiewende in glo‐ bale Ungleichheits- und Abhängigkeitsverhältnisse eingebettet ist.3 Damit die EU, die USA, China und andere Staaten ihre Dekarbonisierungsziele erreichen können, benötigen sie mineralische Rohstoffe, die für die neuen grünen Technologien unerlässlich sind. Ihr Abbau ist oft mit immensen sozial und ökologischen Verwerfungen verbunden. Ein Großteil dieser Rohstoffe wie Kupfer, Lithium, Kobalt oder Nickel lagert in Ländern Lateinamerikas. Im Kontext der grünen Modernisierung der Welt erlangt Lateinamerika aufgrund seines Rohstoffreichtums eine neue geopolitische und ökonomische Bedeutung. Dieses Mal als Lieferant für jene Rohstoffe, ohne die Elektroautos, Windräder und Solarpaneele nicht gebaut, Batteriespeicherkapazitäten nicht erhöht werden können und 3 vgl. https://extractivism.de/. Kristina Dietz, Hannes Warnecke-Berger und Hans-Jürgen Burchardt 8 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://extractivism.de/ https://extractivism.de/ https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb grüner Wasserstoff nicht hergestellt oder elektrische Energie aus erneuerba‐ ren Energiequellen nicht transportiert werden kann. Aktivist:innen und kritische Wissenschaftler:innen haben vor diesem Hintergrund Begriffe wie „grüner Kolonialismus“ (Lang et al. 2024), „grüne Opferzonen“ (Zografos 2022) und „grüner Extraktivismus“ (Dunlap et al. 2024; Voskoboynik/And‐ reucci 2022) in die Diskussion um die sozial-ökologische Transformation eingebracht. Der grüne Extraktivismus unterscheidet sich vom Extraktivis‐ mus4 des beginnenden 21. Jahrhunderts vor allem durch den Zweck und die Legitimation der Rohstoffausbeutung für grün-technologische Ziele. Lateinamerika ist aber nicht nur aufgrund seines Rohstoffreichtums für Akteure der Energiewende von Interesse. Geopolitisch zeichnet sich die Energiewende neben einem Wettrennen um den Zugang zu strategischen Rohstoffen auch durch einen Wettlauf um die Erschließung und Kontrolle neuer Absatzmärkte für grüne Technologien aus (Lachapelle et al. 2017; Overland 2019). Und hier bietet die Region ein enormes Potenzial. Staatli‐ che und nichtstaatliche Akteure verschiedener Länder verfolgen – ähnlich wie in der EU – Programme zur Dekarbonisierung, etwa Kolumbien (Con‐ greso de la República 2021; Ministerio de Minas y Energía 2021) und Chile (Ministerio de Energía 2021). Diese Programme folgen der gleichen Logik ökologischer Modernisierung wie der European Green Deal. Das bedeutet, dass auch für die Energiewende in Lateinamerika Kapital und Technologie‐ importe aus dem globalen Norden in enormem Umfang erforderlich sind. Gleichzeitig versuchen einige Staaten wie Kolumbien und Brasilien sowie Wirtschaftsunternehmen, wie der kolumbianische Ölkonzern Ecopetrol, die Energiewende als Mittel zur Erschließung neuer Einnahmequellen und neuer Entwicklungspotenziale zu nutzen, etwa durch den Aufbau grüner Industrien (vgl. CONPES 2023). Diesen Entwicklungen zum Trotz setzt sich in vielen Ländern die Ausbeutung fossiler Energieträger fort und weitet sich sogar aus; etwa in Argentinien unter dem ultraliberalen und rechtsex‐ tremen Präsidenten Javier Milei (seit Dezember 2023 im Amt)5. Schließlich sind auch in Lateinamerika die Politiken der Energiewende umstritten, wie eine Vielzahl von Konflikten um Bergbau oder den großflächigen Aus‐ 4 Extraktivismus bezeichnet ein Entwicklungsmodell, das auf dem Abbau und dem Ex‐ port von Rohstoffen basiert. Im Extraktivismus wird die soziale Reproduktion ganzer Gesellschaften abhängig von den Einnahmen aus Rohstoffexport (Warnecke-Berger et al. 2023). 5 https://www.dw.com/de/argentiniens-%C3%BCberraschende-energiewende/a-69991 790, letzter Aufruf, 02.09.2024. Einleitung 9 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://www.dw.com/de/argentiniens-überraschende-energiewende/a-69991790 https://www.dw.com/de/argentiniens-überraschende-energiewende/a-69991790 https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb bau erneuerbarer Energien zeigen (Agostini et al. 2017; Ulloa 2023). Aber auch der Stopp von Öl-, Kohle- und Gasförderungen sowie die Kürzung von Subventionen in diesem Sektor und die damit verbundenen Preisstei‐ gerungen lösen immer wieder Proteste aus, wie zuletzt im September 2024 in Kolumbien6. Gleichzeitig bilden sich auf lokaler Ebene alternative, oft gemeinschaftliche Ansätze einer sozial und ökologisch gerechten Energie‐ wende aus, die als Gegenentwürfe zu grün-technologischen Ansätzen von sozialen Bewegungen politisiert werden (Censat Agua Viva et al. 2023). Der vorliegende Band widmet sich der Energiewende in Lateinamerika. Die Beiträge betrachten geo- und entwicklungspolitische, politisch-ökono‐ mische, institutionelle, gesellschaftliche und ökologische Konsequenzen so‐ wie Herausforderungen der Energiewende in und für Lateinamerika. Sie fragen nach den Folgen grün-technologischer Strategien der Energiewende, etwa des europäischen Green Deals, für Lateinamerika und setzen sich mit staatlichen Programmen und gesellschaftlichen Alternativen auseinander. Die Beiträge gehen davon aus, dass die Energiewende sich nicht in einem Staat oder in einer Region allein analysieren lässt, sondern in ihren globa‐ len und multiskalaren Interdependenzen und Bezügen betrachtet werden muss. Sie gehen auf globale Macht- und Ungleichheitsverhältnisse ein, dis‐ kutieren die Konzepte des grünen Extraktivismus, grünen Kolonialismus und der grünen Opferzonen sowie die Geopolitik der Energiewende aus Sicht Lateinamerikas. Sie betrachten die Folgen einer verstärkten Ausbeu‐ tung sogenannter strategischer Rohstoffe, wie Lithium oder Kupfer, sowie der Etablierung eines grünen Wasserstoffmarktes in der Region, unter an‐ derem mit dem Ziel des Exports nach Europa. Sie analysieren Konflikte, die im Kontext dieser Rohstoffausbeutungen entstehen und betrachten die Gegenstände und Folgen dieser Konflikte in Bezug auf Geschlechterver‐ hältnisse, Demokratie, institutionellen Wandel oder die Missachtung indi‐ gener Rechte und Menschenrechte. Sie fragen nach den sozial-räumlichen und politischen Konsequenzen des beginnenden Booms der erneuerbaren Energien, zum Beispiel von flächenintensiven Windparks und vor allem dann, wenn sich diese in kollektiv genutzten indigenen Gebieten ausweiten. Vor dem Hintergrund der sozial-ökologischen und politisch-ökonomischen Widersprüchlichkeiten des Extraktivismus, der die Region zu Beginn des 21. Jahrhunderts prägte, fragen eine Reihe von Autor:innen nach den Po‐ 6 https://elpais.com/america-colombia/2024-09-03/los-transportadores-bloquean-las-vi as-de-bogota-y-seis-departamentos-de-colombia-por-el-aumento-del-precio-del-diesel. html, letzter Aufruf 07.10.2024. Kristina Dietz, Hannes Warnecke-Berger und Hans-Jürgen Burchardt 10 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://elpais.com/america-colombia/2024-09-03/los-transportadores-bloquean-las-vias-de-bogota-y-seis-departamentos-de-colombia-por-el-aumento-del-precio-del-diesel.html https://elpais.com/america-colombia/2024-09-03/los-transportadores-bloquean-las-vias-de-bogota-y-seis-departamentos-de-colombia-por-el-aumento-del-precio-del-diesel.html https://elpais.com/america-colombia/2024-09-03/los-transportadores-bloquean-las-vias-de-bogota-y-seis-departamentos-de-colombia-por-el-aumento-del-precio-del-diesel.html https://elpais.com/america-colombia/2024-09-03/los-transportadores-bloquean-las-vias-de-bogota-y-seis-departamentos-de-colombia-por-el-aumento-del-precio-del-diesel.html https://elpais.com/america-colombia/2024-09-03/los-transportadores-bloquean-las-vias-de-bogota-y-seis-departamentos-de-colombia-por-el-aumento-del-precio-del-diesel.html https://elpais.com/america-colombia/2024-09-03/los-transportadores-bloquean-las-vias-de-bogota-y-seis-departamentos-de-colombia-por-el-aumento-del-precio-del-diesel.html https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb tenzialen und Herausforderungen der Energiewende für sogenannte Ent‐ wicklung in der Region heute. Diese Beiträge diskutieren, inwiefern und unter welchen Bedingungen die Energiewende zu einer Perpetuierung oder einem Wandel der Rohstoff- und Rentenabhängigkeit lateinamerikanischer Volkswirtschaften beiträgt. Einige Artikel widmen sich zudem alternativen Strategien und regionalen Ansätzen einer sozial- und ökologisch gerechten Energiewende. Die Autor:innen nehmen je nach Gegenstand und Argument eine latein‐ amerikaweite Perspektive ein ohne zu verallgemeinern. Andere analysieren die Bedeutung der Energiewende im Kontext länderspezifischer Entwick‐ lungen. Sie richten den Fokus der Analyse unter anderem auf die Rolle des Staates im chilenischen Lithiumsektor, Konflikte um den expandierenden Kupferbergbau in Ecuador und Peru, die Ausweitung erneuerbarer Energi‐ en wie Wind- und Sonnenenergie in indigenen Territorien Kolumbiens, Chiles und Argentiniens oder die politischen Konflikte um Energiewen‐ destrategien in Kolumbien. Die Beiträge des Buches bieten Erklärungen dafür, welche Rolle Lateinamerika in der globalen Energiewende spielt, welche Herausforderungen und Probleme dabei entstehen und inwiefern die grüne Energiewende Potenziale zur Reduzierung globaler Abhängigkei‐ ten und der Emanzipation für die Region bietet. Sie zeigen, inwiefern transnationale Unternehmen, internationale Organisationen und Regierun‐ gen aus dem globalen Norden die Energiewendepfade in Lateinamerika mit beeinflussen, wie sich im Kontext der Energiewende soziale Ungleich‐ heiten in der Region rekonfigurieren, welche Akteure die Energiewende in Lateinamerika maßgeblich fördern, wessen Interessen sich durchsetzen, wer gewinnt und wer verliert. 2 Die Beiträge des Sammelbandes Der erste Teil des Buches beschäftigt sich mit der Geopolitik der Energie‐ wende aus der Perspektive Lateinamerikas. Die Beiträge diskutieren zudem, welche Energiewendepfade sich in Lateinamerika herausbilden. Sie stellen diese in den Kontext des wachsenden geopolitischen Wettbewerbs zwi‐ schen den USA und China und dem Versuch Europas, von den grün-tech‐ nologischen Entwicklungen in diesem Bereich nicht abgehängt zu werden. Den Auftakt macht Kristina Dietz mit einem Überblick über die Geopolitik der Energiewende, die Bedeutung Lateinamerikas hierin und die sich in der Region unterschiedlich herausbildenden Energiewendepfade. Sie argu‐ Einleitung 11 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb mentiert, dass Dekarbonisierung keine Anstrengung einzelner Staaten ist, um erneuerbare Energien im eigenen Land zu fördern. Vielmehr handele es sich um einen Prozess wechselseitiger Abhängigkeiten zwischen Staaten des globalen Nordens und Südens und Unternehmen, in denen alle auf unterschiedliche Weise versuchen, von der Klimakrise und Energiewende zu profitieren. Es reiche daher nicht aus, die lateinamerikanischen Staaten lediglich als Lieferanten kritischer Rohstoffe und die lateinamerikanischen Gesellschaften als sogenannte Opfer eines grünen Kolonialismus zu kon‐ zeptualisieren. Denn staatliche und nicht-staatliche Akteure in der Region verfolgten mit und in der Energiewende eigene Interessen und beeinfluss‐ ten hierüber dessen Verlauf. Wie sich die Energiewende in der Region gestalte, wer die Gewinner:innen und wer die Verlierer:innen sind, welche Regionen für grüne Ziele „geopfert“ würden und inwiefern es überhaupt zu einem Ausstieg aus fossilen Energien kommt, ist aus ihrer Sicht ein offener, zur Zeit umkämpfter Prozess. Am Beispiel des kolumbianischen Wasser‐ stoffsektors zeigt Kristina Dietz, dass sich drei unterschiedliche Energie‐ wendepfade herausbilden: grüner Extraktivismus, grüne Entwicklung und ökologische Modernisierung der fossilen Energiewirtschaft. Welche Trends sich durchsetzen, hängt von vielen Faktoren ab, etwa den Interessen und Strategien der Regierungen möglicher Importländer (z.B. Deutschlands), transnationaler Unternehmen aber auch nationaler staatlicher, privater und zivilgesellschaftlicher Akteure und ihrer Kämpfe. An diese einführende Betrachtung knüpft der Beitrag von Luíza Cerioli an. Sie argumentiert, dass die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft globale Machtverhältnisse verändert. Rohstoffe wie Lithium, Kobalt und Seltene Erden spielen eine Schlüsselrolle in der Transformation. Die Kontrolle über den Zugang zu und die Verfügung über diese Rohstoffe sowie über die dazugehörigen Technologien sei geopolitisch entscheidend. China, die USA und die EU dominierten derzeit die Produktion erneuerbarer Ener‐ gien und strebten eine globale Führungsrolle an. Für Lateinamerika sei dies von wachsender Bedeutung: Die Region besitze zwar bedeutende Rohstoffvorkommen, sei jedoch wirtschaftlich und technologisch im globa‐ len Wettbewerb unterlegen. Länder wie Chile, Brasilien und Argentinien verfügten über enorme Rohstoffreserven, stünden aber vor der Herausfor‐ derung, internationale Investitionen anzulocken, um diese Rohstoffe im Zuge sogenannter grüner Industrialisierung für die Diversifizierung und die eigene Energiewende nutzbar machen zu können. Cerioli schließt mit dem Verweis darauf, dass die lateinamerikanischen Staaten Strategien ent‐ werfen müssten, um die sich im Zuge der Energiewende vollziehenden, Kristina Dietz, Hannes Warnecke-Berger und Hans-Jürgen Burchardt 12 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb geopolitischen Verschiebungen zum Vorteil zu nutzen und ihre eigene Energiewende zu beschleunigen, ohne dabei von externen Akteuren abhän‐ gig zu werden. Hieran schließt der Text von Fabricio Rodríguez mit einer Analyse der chinesisch-lateinamerikanischen Beziehungen in der Energiewende an. Ausgangspunkt seiner Analyse ist die im Jahr 2020 getroffene Entscheidung der chinesischen Regierung, die Dekarbonisierung zu einem strategischen Ziel zu erklären, inklusive nationaler und internationaler Implikationen. Der Zugang zu und die Weiterverarbeitung von kritischen Rohstoffen wie Kupfer und Lithium seien zentrale Voraussetzungen für Chinas Vision einer so genannten ökologischen Zivilisation, die Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit vereinen soll. Er zeigt, dass mit Chinas wachsender Präsenz in Lateinamerika in Sektoren wie dem Bergbau der Druck auf jene Regionen wachse, die reich an Rohstoffen wie Kupfer oder Lithium seien. Neben China bemühten sich auch die EU und die USA, im Rennen um Wettbewerbsvorteile, in der grünen Energiewende einen Zugang zu diesen Ressourcen zu sichern. Diese Konkurrenz führe zu Spannungen in ökolo‐ gisch sensiblen Gebieten, in denen oft indigene Bevölkerungen lebten. Sie hätten kaum zur Klimakrise beigetragen, seien aber mit den negativen Folgen des expandierenden grünen Extraktivismus stark konfrontiert. Am Beispiel des Kupferabbaus in Peru analysiert Rodríguez die geopolitischen Spannungsfelder, die mit der globalen Energiewende und Chinas Investitio‐ nen in kritische Rohstoffe in Lateinamerika verbunden sind. Er zeigt, dass die chinesische Regierung durch die Kontrolle strategischer Rohstoffe, den Ausbau erneuerbarer Energien und der Elektromobilität in Lateinamerika ihre politisch-ökonomische Macht nach außen erhöhe. Zugleich werde die Erreichung ökologischer Ziele nach innen zunehmend autoritär durchge‐ setzt. Im nächsten Abschnitt widmet sich das Buch Fragen entwicklungspoliti‐ scher und -ökonomischer Bedeutungen der Energiewende in Lateinameri‐ ka. Den Auftakt zu diesem Teil macht Hannes Warnecke-Berger. Mit seiner Analyse der Chancen und Risiken der Energiewende für Lateinamerikas Volkswirtschaften greift er zentrale Argumente aus dem ersten Teil des Buches auf. Diese entwickelt er verbunden mit der Frage weiter, was die Energiewende für jene Gesellschaften und Volkswirtschaften in der Region bedeute, die sich bisher auf den Export fossiler Energien spezialisiert haben und durch hohe soziale Ungleichheiten gekennzeichnet sind, etwa Vene‐ zuela oder Mexiko. Aus einer politisch-ökonomischen Perspektive und un‐ ter Verweis auf die Konzepte Rohstoffrente und ungleiche Spezialisierung Einleitung 13 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb argumentiert er, dass die grüne Energiewende die bestehenden innergesell‐ schaftlichen Ungleichheiten in vielen Ländern der Region perpetuiet und vertieft. Die Ursache hierfür seien die fortgesetzten ungleichen Spezialisie‐ rungen und volkswirtschaftlichen Abhängigkeiten von Rohstoffrenten. Der Region drohe eine neofeudale Dystopie, in der sich die Herrschaft einer kleinen Elite stabilisieren würde, während die Armen im Chaos versinken. Um dies zu vermeiden verweist Warnecke-Berger auf die Notwendigkeit, die ungleiche Spezialisierung politisch zu regulieren und mit geeigneten Politiken zu überwinden. Im zweiten Beitrag in diesem Abschnitt fragt Hans-Jürgen Burchardt nach der Vereinbargkei von grünem Extraktivismus mit Nachhaltigkeits‐ zielen. Seine Antwort lautet: unter bestimmten Voraussetzungen sei dies möglich. Um eine sozial-ökologisch gerechte Transformation für alle zu erreichen, benötige es jedoch umfassende Strukturreformen in der Steuer-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik in Lateinamerika. Die Reformen müssten die Abhängigkeit von Rohstoffexporten kontinuierlich verringern sowie eine breitere Verteilung des Wohlstands und der sozialen und politischen Teilhabe durch Produktivitätssteigerungen gewährleisten. Hierfür sei der Aufbau von Steuersystemen, die nicht allein auf Rohstoffeinnahmen basier‐ ten, entscheidend. Ohne diese Maßnahmen drohe mit der Energiewende die Wiederholung vergangener Fehler, bei denen kurzfristige Gewinne nicht zu nachhaltiger Entwicklung, sondern oft in tiefe Krisen geführt hätten. Im nächsten Abschnitt widmet sich das Buch den Konflikten um die Energiewende in Lateinamerika. Die Beiträge untersuchen Konflikte um Windenergie und grünen Wasserstoff, Lithium und Kupfer. Sie analysie‐ ren aus einer machtsensiblen und herrschaftskritischen Perspektive die Rolle des Staates, die Mechanismen der Herrschaftssicherung, die Rolle des Rechts und die Bedeutung der Konflikte in Bezug auf die (Re-)Kon‐ figuration von Geschlechterverhältnissen. Im ersten Beitrag widmet sich Felix Dorn einem Schlüsselelement der Energiewende: grüner Wasserstoff. Hinsichtlich der Produktion, Verfügbarkeit und Sicherung des Zugangs zu diesem so genannten sauberen Energievektor erlangt Lateinamerika für die Europa wachsende Bedeutung. Die Herstellung von Wasserstoff ist energieintensiv. Damit er zur Dekarbonisierung beitragen kann, muss die Energie für die Herstellung von Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequel‐ len (Wind, Sonne) kommen. Lateinamerika habe einen geographischen und klimatischen Vorteil, da die Region über viel Sonne und Wind verfügt. Allerdings existieren in der Region derzeit weder die notwendigen Kapazi‐ Kristina Dietz, Hannes Warnecke-Berger und Hans-Jürgen Burchardt 14 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb täten im Bereich erneuerbarer Energien noch eine etablierte Wasserstoffin‐ dustrie. Beides soll in den nächsten Jahren mit Hilfe ausländischer, oftmals deutscher Investitionen aufgebaut werden. Bezugnehmend auf das Konzept der frontier zeigt Felix Dorn anhand der Entwicklungen in Argentinien, Chile und Kolumbien, dass mit der Ausweitung erneuerbarer Energien für grünen Wasserstoff bestehende soziale Ordnungen, Institutionen und Formen der Ressourcennutzung zerstört und durch neue ersetzt werden. Hierüber gelänge es Regierungen und Unternehmen Kontrolle über Raum und Ressourcen zu gewinnen, die bislang meist von indigenen Bevölkerun‐ gen kontrolliert werden. Im darauffolgenden Beitrag geht es um Lithium. Nina Schlosser zeigt in ihrer Analyse zu den Konflikten um Lithiumbergbau im Salar de Ata‐ cama im Norden Chiles, wie der chilenische Staat und die beteiligten Unternehmen versuchen, Proteste zu spalten und Zustimmung für die Li‐ thiumförderung zu erlangen. Chile verfügt über große Lithiumvorkommen. Den größten Teil des importierten Lithiums bezieht die EU aus Chile. Zwischen 2016 und 2018 hatte die damalige chilenische Regierung die Ver‐ dreifachung der Produktionskapazitäten im Salar de Atacama angekündigt. Dagegen organisierte ein breites lokales Bündnis Protest. Heute ist dieses Bündnis gespalten. Ehemals widerständige Gruppen unterstützen jetzt die Förderpläne der aktuellen Regierung von Präsident Boric. Wie sich diese Veränderungen erklären lassen, ist der Gegenstand des Beitrags von Nina Schlosser. Sie fragt, welche Rolle der Staat und die Lithiumunternehmen bei der wachsenden Zustimmung für den Lithiumabbau im Salar de Ataca‐ ma spielen. Eines ihrer zentralen Argumente lautet, dass sich im Norden Chiles nach und nach ein sogenannter Lithium-Konsens herausbilde. Ge‐ winner:innen in diesem Konsens seien die Unternehmen und der Staat. Für die mehrheitlich indigene Bevölkerung im Salar de Atacama bedeute die Ausweitung der Lithiumförderung trotz selektiver Zustimmung eine Vertiefung rassifizierter Ungleichheits- und Ausbeutungsverhältnisse mit grünem Vorzeichen. Wie sich sowohl die Ausbeutung strategischer Rohstoffe für die Energie‐ wende als auch die Konflikte um diese auf soziale Ungleichheits- und Herr‐ schaftsverhältnisse auswirken, analysiert Alina Heuser. Anhand des langjäh‐ rigen Konflikts um den Kupfertagebau Tintaya-Antapaccay im südlichen Andenraum Perus untersucht sie, inwiefern sich Geschlechterverhältnisse in Konflikten um Kupferbergbau verändern und welche Implikationen für geschlechtsbezogene Ungleichheiten die Konflikte haben. Ausgangs‐ punkt ihrer Analyse ist die Beobachtung, dass ländliche, indigene Frauen Einleitung 15 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb eine Schlüsselrolle in den Protesten gegen Kupferbergbau einnehmen, so‐ ziale Ungleichheiten basierend auf Geschlecht und geschlechtsbezogene Diskriminierungen jedoch nicht abnehmen. Auf Grundlage einer qualita‐ tiven Fallstudie mit ethnographischen Forschungsmethoden identifiziert sie (re-)produktive Arbeitsverhältnisse, Beziehungen zwischen Körper und Territorium und politische Partizipation als zentrale Bereiche, über die sich asymmetrische Geschlechterverhältnisse artikulieren und reproduzieren. In den letzten beiden Beiträgen widmet sich der Band einem rechtlichen Ansatz aus Lateinamerika, der auch in Konflikten um die Energiewende wachsende Bedeutung erlangt: die Rechte der Natur. Beide Beiträge disku‐ tieren diesen Ansatz ausgehend von Entwicklungen in Ecuador, wo die Rechte der Natur seit 2008 in der Verfassung verankert sind. In ihrem Beitrag zu Konflikten um Kupferbergbau in der Region Intag, zeigen Javier Lastra Bravo und Sebastian Matthes die Möglichkeiten auf, mit Hilfe der Rechte der Natur die Ausbeutung kritischer Rohstoffe zu verhindern. Sie verweisen auf Zielkonflikte, die auch in den UN-Nachhal‐ tigkeitszielen (UN 2015) verankert sind, nämlich zwischen einer rohstoff‐ basierten Entwicklungs- und Sozialpolitik zur Reduzierung von Armut und Ungleichheiten einerseits und dem Arten- und Ökosystemschutz an‐ dererseits. Die Autoren argumentieren, dass die Kupfervorkommen im Intag-Tal für das hoch verschuldete Ecuador im Kontext der grün-techno‐ logischen Energiewende eine lukrative Einnahmequelle darstellen könnten. Allerdings handelt es sich beim Intag-Tal um ein artenreiches, fragiles Ökosystem, dessen Vegetation anfällig gegenüber klimatischen und ökolo‐ gischen Veränderungen ist. Diese Tatsache nutzten Bergbaugegner:innen. Sie beriefen sich in ihrem Protest auf die in der Verfassung verankerten Rechte der Natur und reichten mit Erfolg Verfassungsklage ein. Der Fall zeige, dass sich Bergbauvorhaben, auch solche, die durch die Energiewende legitimiert würden, mit den Rechten der Natur zumindest vorläufig stoppen ließen. Inwiefern sich hierauf aufbauend alternative Energiewendestrategi‐ en herausbilden könnten, sei jedoch eine offene Frage. Dass Konflikte um die Energiewende in der Region juristisch bearbeitet werden, dokumentiert auch der Beitrag von Andreas Gutmann. Er disktu‐ iert, inwiefern Rechte der Natur dazu beitragen können, Konflikte um die Energiewende in rechtlichen Verfahren zu verhandeln und wo die Grenzen dieser juristischen Aushandlungen liegen. Das Kapitel diskutiert wie unter Verweis auf die Rechte der Natur in Ecuador versucht wird, die Komplexi‐ täten des Umgangs mit der Natur in rechtliche Verfahren zu übersetzen. Dabei wird deutlich, dass die Komplexität der Konflikte das Recht selbst Kristina Dietz, Hannes Warnecke-Berger und Hans-Jürgen Burchardt 16 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb herausfordert. Denn selbst wenn die Abkehr von fossilen Energiequellen vollzogen würde, führe das nicht zum Ende der Auseinandersetzungen um schwerwiegende Eingriffe in natürliche Ökosysteme. Rechte der Natur werden bisher selten unmittelbar gegen Energiewendeprojekte in Stellung gebracht, sondern adressieren vor allem den Bergbau. Dieser zielt aber immer häufiger auf für die Energiewende benötigte Rohstoffe. Das Kapitel fasst die Entstehung der Rechte der Natur in Ecuador, deren Verhältnis zum Extraktivismus und den Verweis auf indigenes Wissen zusammen. Gutmann untersucht, welches Verständnis des Verhältnisses von Mensch und Natur diesen Rechten zugrunde liegt und wer die Rechte der Natur im Gerichtsverfahren geltend machen kann. Das Buch dokumentiert die Rolle Lateinamerikas und dessen Wider‐ sprüche in der globalen Energiewende. Auf der einen Seite wird Lateiname‐ rika durch Rohstoffvorkommen aber auch durch die strategische geogra‐ phische Lage bedeutend für die industriellen Zentren der Weltwirtschaft: USA, China und EU. Kritische Rohstoffe, die zu einem bedeutenden Anteil in Lateinamerika lagern, werden auf absehbare Zeit für die grün-technolo‐ gische Energiewende gebraucht. Wind und Sonne für grünen Wasserstoff sind ebenfalls reichlich auf dem Kontinent vorhanden. Die Region wird vor diesem Hintergrund in Zukunft noch weiter ins Zentrum des internationa‐ len Interesses rücken. Auf der anderen Seite sind schon jetzt die Widersprü‐ che dieser neuen Rolle erkennbar. Vermehrt beeinflussen transnationale Unternehmen die Ausgestaltung der Energiewende zu ihren Gunsten. Lo‐ kale Gemeinschaften und von der Energiewende und ihren Schattenseiten betroffene, oftmals indigene Gruppen, verlieren ihre Lebensgrundlagen und werden nur selten in die Energiewendeentscheidungen einbezogen. In der Regel erhalten sie zudem keinen Zugang zu der in großflächigen Wind- oder Solarparks produzierten Energie. Vor dem Hintergrund der sich in vielen Teilen der Welt zunehmend formierenden Ablehnungskulturen, die die Energiewende gänzlich in Frage stellen und der anwachsenden rechts- populistischen und rechtsextremen Bewegungen auch in Lateinamerika stellt die Partizipation breiter Bevölkerungsschichten jedoch eine zentrale Voraussetzung für eine sozial-ökologische Transformation dar. Dieser Sam‐ melband zeigt, dass die globale Energiewende in ihrer aktuellen Ausgestal‐ tung in Lateinamerika keinen Wandel im Sinne einer just transition bietet, die Rohstoffabbau und die Ausweitung erneuerbarer Energien mit sozialer Teilhabe, vertiefter Demokratisierung und sozio-ökologischer Gerechtig‐ keit verbindet. Ansatzpunkte für eine solche gerechte Energiewende bilden sich aktuell vor allem in Konflikten heraus, in denen sich Protestakteure auf Einleitung 17 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb ihre politischen, sozialen und kulturellen Grundrechte, feministische und indigene Sichtweisen und auf die Rechte der Natur beziehen. 3 Literatur Agostini, Claudio; Silva, Carlos; Nasirov, Shahriyar (2017): Failure of Energy Mega- Projects in Chile: A Critical Review from Sustainability Perspectives, in: Sustainabili‐ ty 9: 1073. https://doi.org/10.3390/su9061073. Brad, Alina; Haas, Tobias; Schneider, Etienne (2024): Whose negative emissions? Exploring emergent perspectives on CDR from the EU's hard to abate and fossil industries, in: Frontiers in Climate, 5, https://doi.org/10.3389/fclim.2023.1268736. 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Ich folge einer globalen, interdependenten Analyseperspektive. Das bedeutet, über den vielfach kritisierten Ansatz des „methodologischen Nationalismus“ (Wimmer/Glick Schiller 2002) sozial‐ wissenschaftlicher Analysen hinauszugehen und Energiewendepolitiken in ihren globalen Interdependenzen zu analysieren, dabei aber die Bedeutung des nationalstaatlichen Kontexts nicht zu ignorieren. Der Beitrag ist wie folgt aufgebaut. Im nächsten Abschnitt diskutiere ich Lateinamerikas Energiesysteme und Energiewendepolitiken im Kontext der Geopolitik der Energiewende. Anschließend stelle ich den konzeptio‐ nellen Rahmen vor, den ich nutze, um die Energiewende in Lateinamerika aus globaler Perspektive zu fassen. Im vierten Teil zeige ich anhand der kolumbianischen Wasserstoffpolitik, dass sich in der Energiewende unter‐ schiedliche Transformationspfade herausbilden. Im Fazit fasse ich wichtige Beobachtungen zusammen und argumentiere, dass die Energiewende in Lateinamerika ein umkämpfter, von einer Vielzahl globaler und nationaler Interessen strukturierter Prozess ist, dessen Ausgang (noch) offen ist. 2 Die Geopolitik der Energiewende und ihre Bedeutung für Lateinamerika Die während der Coronapandemie erlebte Störung von Lieferketten hat in Europa und den USA zu einem geopolitischen Umdenken geführt (Mai‐ hold 2022). Mit Strategien wie re-shoring oder friend-shoring sollen Liefer‐ ketten verkürzt und in sogenannte befreundete oder vertrauenswürdige Länder (rück-)verlagert werden. Diese geopolitische Neuordnung ist auch eine Reaktion auf den russischen Krieg gegen die Ukraine und gleichzeitig ein zentrales Kennzeichen der Energiewende. Angetrieben wird die Neu‐ ordnung durch den wachsenden geopolitischen Wettbewerb zwischen den 21 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb USA und China. In diesem Wettbewerb bemühen sich die europäischen Staaten, nicht zu den Verlierern einer grünen, klimaneutralen Wirtschaft zu werden und sich zugleich den Zugang zu strategischen Rohstoffen für die Energiewende zu sichern (Riofrancos 2023). So hat die EU-Kommis‐ sion mit dem im März 2024 vom Europäischen Rat verabschiedeten Ge‐ setz über kritische Rohstoffe (Critical Raw Materials Act) (EU 2024)1 ein Regelwerk verabschiedet, um den Zugang zu diesen zu garantieren. Ein weiteres Element europäischer Geopolitik ist eine neuartige Energiewende‐ diplomatie, mit bilateralen Partnerschaftsabkommen als zentrale Strategie. In den letzten Jahren hat insbesondere die deutsche Bundesregierung eine Reihe solcher Partnerschaften in den Bereichen Energie, Klima, Wasser‐ stoff und zuletzt sozial-ökologischer Transformation (Könnecke 2024) mit lateinamerikanischen Staaten geschlossen, etwa Brasilien, Chile und Mexi‐ ko.2 Weitere sind in Vorbereitung, zum Beispiel mit Kolumbien3. Darüber hinaus setzt die Bundesregierung auf den Aufbau internationaler Netzwer‐ ke und Initiativen sowie die Förderung von Public Private Partnerships (PPP). In beiden Strategien ist die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) ein zentraler Akteur. Ein Beispiel ist die von der GIZ zusammen mit der Weltbank, der Wirtschaftskommission für Latein‐ amerika und die Karibik (Comisión Económica para América Latina y el Caribe, CEPAL) und der EU im Jahr 2020 gegründete Plattform H2LAC4. H2LAC zielt auf die Förderung der Produktion, Nutzung und den Export von grünem Wasserstoff und seiner Derivate (z.B. grüner Ammoniak) in Lateinamerika und der Karibik. Lateinamerika spielt für Europa im Be‐ reich grünen Wasserstoffs eine zunehmend wichtige Rolle. Die EU plant bis 2030 20 Millionen Tonnen Wasserstoff zu nutzen, 50 Prozent sollen aus dem globalen Süden importiert werden (European Commission 2022). Deutschlands Wasserstoffstrategie ist noch stärker importorientiert. Die Bundesregierung rechnet mit einem Importanteil von 50 bis 70 Prozent, um den prognostizierten Wasserstoffbedarf bis 2030 zu decken (BMWK 2023). Ein Land, mit dem die Bundesregierung in Lateinamerika besonders intensive diplomatische Beziehung im Bereich Wasserstoff aufgebaut hat, ist 1 https://single-market-economy.ec.europa.eu/sectors/raw-materials/areas-specific-inter est/critical-raw-materials_en#critical-raw-materials-act, letzter Aufruf 27.08.2024 2 https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Artikel/Energie/internationale-energiepolitik-2. html, letzter Aufruf 27.08.2024 3 s. https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/scholz-trifft-petro-2196512, letzter Aufruf 28.08.2024. 4 https://h2lac.org/, letzter Aufruf 28.08.2024. Kristina Dietz 22 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Artikel/Energie/internationale-energiepolitik-2.html https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Artikel/Energie/internationale-energiepolitik-2.html https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/scholz-trifft-petro-2196512 https://h2lac.org/ https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Artikel/Energie/internationale-energiepolitik-2.html https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Artikel/Energie/internationale-energiepolitik-2.html https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/scholz-trifft-petro-2196512 https://h2lac.org/ https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Kolumbien. Im März 2024 gründeten die beiden kolumbianischen Ministe‐ rien für Handel, Industrie und Tourismus sowie das Ministerium für Ener‐ gie und Bergbau zusammen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) in Bogotá die High Level Group on Green Hydrogen (Ministerio de Minas y Energía 2024). Teilnehmer:innen aus der deutschen Privatwirtschaft waren der Bundesverband der Deutschen In‐ dustrie (BDI), UNIPER, die Deutsche Bahn, Allianz, Notus Energy, RWE und ThyssenKrupp (Ministerio de Minas y Energía 2024). Nicht alle dieser Unternehmen sind Importeure grünen Wasserstoffs. Einige betrachten den grünen Wasserstoff-Sektor in Kolumbien als eine Gelegenheit, die für den Aufbau des Sektors erforderliche (Elektrolyse-)Technologie und Infrastruk‐ tur zu liefern. Die Beispiele zeigen, dass Lateinamerika in der Geopolitik der Ener‐ giewende für Europa aus drei Gründen an Bedeutung gewinnt: erstens, aufgrund seines Reichtums an strategischen Rohstoffen; zweitens, aufgrund seiner hohen Wind- und Sonnenpotentiale, die eine Voraussetzung für den Aufbau einer grünen Wasserstoffindustrie sind; drittens, als Absatzmarkt für grüne Technologien. Beispiele für strategische Rohstoffe aus Lateiname‐ rika sind Lithium und Kupfer. Lithium ist ein Metall, das zur Herstellung leichter, so genannter Lithium-Ionen Batterien in der Elektroautomobilität benötigt wird. Gemäß US Geological Survey (USGS) (2022) lagern über 50 Prozent des weltweit verfügbaren Lithiums in Solen unter den andinen Salzseen der Grenzregion von Argentinien, Bolivien und Chile, dem so genannten Lithiumdreieck (siehe Schlosser in diesem Band). Kupfer ist ebenfalls für den Ausbau der Elektromobilität von Bedeutung. Chile ist gegenwärtig der größte Kupferproduzent, gefolgt von Peru. Beide Länder verfügen über die weltweit höchsten Reserven an diesem Metall (USGS 2024, siehe Heuser und Lastra Bravo/Matthes in diesem Band). Schließlich verfügt Lateinamerika über enorme Wind- und Sonnenenergiepotenziale, ideal für den Aufbau einer grünen Wasserstoffindustrie mit dem Ziel des Exports nach Europa (Hank et al. 2023). Aber Lateinamerika wird im Kontext der Energiewende nicht nur zum grünen Rohstofflieferanten, sondern auch zu einem riesigen Absatzmarkt für grüne Technologien. Um die grünen Technologiemärkte der Region wird bereits heute gestritten, oft unter chinesischer Führerschaft (The Eco‐ nomist 2024; siehe Rodríguez in diesem Band). Hohe chinesische Investi‐ tionen zeigen sich in den Bereichen Elektromobilität, Photovoltaik, Wind und dem Ausbau der Energienetze. In vielen Hauptstädten der Region, Energiewende in Lateinamerika aus globaler Perspektive 23 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb etwa in Santiago de Chile (Chile), Montevideo (Uruguay) oder Bogotá (Kolumbien) bestimmen E-Busse aus China den öffentlichen Nahverkehr. Über 70 Prozent aller 2023 importierten E-Autos in der Region kommen aus China, das Gleiche gilt für über 90 Prozent der Lithium-Ionen Batteri‐ en sowie 99 Prozent der importierten Solarpaneele und über 60 Prozent der Windturbinen (edd.). In Chile hat das chinesische Staatsunternehmen State Grid zwei der größten Energieversorger des Landes übernommen und bedient damit über 50 Prozent des nationalen Strommarktes und in Lima (Peru) wird der Strom zukünftig komplett von chinesischen Unternehmen zur Verfügung gestellt (ebd.). Im sich herausbildenden Wasserstoffmarkt konkurrieren europäische mit chinesischen Unternehmen darum, wer den Markt für die hierfür notwendige Technologie dominiert. Weltweit werden die meisten Elektrolyseure in China produziert – aktuell vor allem für den nationalen Markt (Ansari et al. 2022). Perspektivisch sollen diese auch nach Lateinamerika, zum Beispiel nach Uruguay exportiert werden. Chine‐ sische Investitionen in Lateinamerika verschieben sich seit einigen Jahren in Richtung der „gesamten erneuerbaren Energien-Lieferkette“ (Bull 2024: 54; Übers. K.D.), von Lithium zu Energienetzen, Solarparks, Staudämmen und der Produktion von Elektroautos. 2021 hat Daimler ein Autowerk in Brasilien an den chinesischen Automobilkonzern Great Wall Motor (GWM) verkauft. GWM will in dem Werk E-Autos und Batterien für den lateinamerikanischen Markt produzieren.5 Die Beispiele verweisen auf eine Verschiebung um den Gegenstand des geopolitischen Wettbewerbs. Waren im fossilen Zeitalter vor allem geopolitische Strategien zur Sicherung des Zugangs zu Öl, Gas und Kohle zentral, also den fossilen Schmierstoffen des kapitalistischen Wachstums, so geht es in der heutigen Geopolitik der Energiewende vor allem um die Kontrolle der grünen Technologien und Märkte. Allerdings liegen aus Sicht jener gesellschaftlichen Gruppen in der Regi‐ on, die über keinen gesicherten Zugang zu Energie verfügen, die Herausfor‐ derung der Energiewende nicht primär in der Reduktion von CO2-Emissio‐ nen, sondern im Zugang zu Energie selbst. Lateinamerika ist für nur sieben Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich, 55 Prozent stammen aus dem Energiesektor (CEPAL 2022). Der Anteil fossiler Energien (vor al‐ lem Öl und Gas) am Gesamtenergiemix liegt mit etwa zwei Drittel (CEPAL 5 https://www.reuters.com/article/great-wall-motor-daimler-brasil-idLTAL6N2PP0 5W/, letzter Aufruf 12.09.2024. Kristina Dietz 24 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://www.reuters.com/article/great-wall-motor-daimler-brasil-idLTAL6N2PP05W/ https://www.reuters.com/article/great-wall-motor-daimler-brasil-idLTAL6N2PP05W/ https://www.reuters.com/article/great-wall-motor-daimler-brasil-idLTAL6N2PP05W/ https://www.reuters.com/article/great-wall-motor-daimler-brasil-idLTAL6N2PP05W/ https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb 2022; IEA 2023) deutlich unter dem globalen Durchschnitt. Dabei gibt es jedoch Unterschiede. In einigen Ländern (Costa Rica, Kolumbien, Brasili‐ en) basiert die Stromversorgung zu 80 Prozent und mehr auf erneuerbaren Energien. In anderen Ländern wie Mexiko und Argentinien wird Strom zu 50-70 Prozent aus fossilen Energien gewonnen.6 Obgleich 95 Prozent aller Haushalte in der Region über einen Zugang zu Strom verfügen, beste‐ hen zwischen den Subregionen und Ländern sowie innerhalb dieser Unter‐ schiede (CEPAL 2022). Innergesellschaftlich beeinflussen Determinanten sozialer Ungleichheit wie Ethnizität, race, Klasse, Geschlecht und Stadt- Land Differenzen den Zugang zu Energie. Von Energiearmut ist besonders die ländliche, indigene Bevölkerung betroffen. Gründe für die mangelnde Versorgung des ländlichen Raums mit Strom sind die fehlende infrastruktu‐ relle Erschließung, sowie die im Zuge der Strukturanpassungsmaßnahmen seit den 1980er Jahren eingesetzten Liberalisierungen der Strommärkte und Privatisierungen der Stromerzeugung und -verteilung. Eine Folge hiervon sind Marktkonzentrationen. Neben einigen chinesischen und lateinameri‐ kanischen Unternehmen verfügt das italienische Unternehmen ENEL in Zentralamerika und einer Reihe von Ländern Südamerikas (zum Beispiel Chile, Kolumbien, Argentinien, Brasilien) über eine de facto Monopolstel‐ lung in den Bereichen Stromerzeugung, -verteilung und Netzbetrieb.7 Mit seiner Marktmacht beeinflusst ENEL auch die nationalen Energiepolitiken, vor allem wenn es um eine eher kostenintensive Erschließung peripherer ländlicher Regionen geht. Aber nur in den wenigsten der seit 2015 verabschiedeten Energiewen‐ destrategien und -gesetze steht Zugangsgerechtigkeit oben auf der Agenda.8 Gemeinsam ist den Programmen vielmehr das Ziel der Dekarbonisierung qua erneuerbarer Energien, Elektromobilität, Effizienzsteigerungen und Förderung von Wasserstoff aus erneuerbaren (grün) oder fossilen (blau) Energieträgern mit Carbon Capture and Storage (CCS) Technologien. Manche Passagen der Programme lesen sich wie eine Kopie des europä‐ ischen Green Deals (s. die Einleitung in diesem Buch). Das ist nicht verwunderlich, denn die Formulierung der lateinamerikanischen Energie‐ wendegesetze und -programme wurde meist von staatlichen und privaten Akteuren aus Europa oder Nordamerika unterstützt. Ein Beispiel ist die 6 https://www.irena.org/Data/Energy-Profiles, letzter Aufruf 29.08.2024. 7 https://www.enel.com/company/about-us/where-we-are, letzter Aufruf 28.08.2024. 8 z.B. Kolumbien (Congreso de la República, 2021), Chile (Ministerio de Energía, 2021), Argentinien (Ministerio de Economía, 2023). Energiewende in Lateinamerika aus globaler Perspektive 25 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://www.irena.org/Data/Energy-Profiles https://www.enel.com/company/about-us/where-we-are https://www.irena.org/Data/Energy-Profiles https://www.enel.com/company/about-us/where-we-are https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb kolumbianische Wasserstoffstrategie, die von Beratungsunternehmen aus Spanien und Mexiko ausgearbeitet und von der Interamerikanischen Ent‐ wicklungsbank (IADB) und der britischen Regierung finanziert wurde und heute mit der Unterstützung der GIZ weiterentwickelt wird (Combariza Diaz 2024; Ministerio de Minas y Energía 2021). Ein weiterer gemeinsamer Nenner der Programme und Gesetze ist die Formulierung von Steueranrei‐ zen zur Anlockung ausländische Investitionen (Combariza 2024. 3 Energiewende und Energiewendepfade – ein Analyserahmen In der sozialwissenschaftlichen Forschung zu den Folgen der Energiewende aus globaler, interdependenter Perspektive stehen sich zwei Argumentati‐ onslinien gegenüber. Wissenschaftler:innen aus den Forschungsfeldern der postkolonialen Entwicklungsforschung, der politischen Ökologie und der globalen politischen Ökonomie argumentieren, dass sich die Energiewen‐ de aufgrund der fortgesetzten Rohstoffausbeutung im globalen Süden als so genannter grüner oder Energiekolonialismus manifestiert (Lang et al. 2023). Indem sich Regierungen und Unternehmen des globalen Nordens strategische Rohstoffe, Land, Wasser, Wind, Sonne und Arbeit in Latein‐ amerika aneigneten und deren Nutzung und Weiterverarbeitung kontrol‐ lierten, würden die sozialen und ökologischen Kosten der Energiewende in so genannte Opferzonen des globalen Südens ausgelagert, die Gewinne hingegen konzentrierten sich weiterhin in Europa, China oder Nordameri‐ ka. Eine ähnliche Kritik formulieren Autor:innen, die die Rohstoffausbeu‐ tung zum Zweck der Energiewende als grünen Extraktivismus konzeptua‐ lisieren (Voskoboynik/Andreucci 2022). Grün steht hier nicht für eine umweltschonende und sozial gerechte Nutzung von Natur, sondern für eine Kritik an einer exportorientierten Rohstoffausbeutung, die diskursiv mit ökologischer Modernisierung, Nachhaltigkeit und Klimaschutz legitimiert wird. Dabei reproduziere der grüne Extraktivismus globale Ungleichheits- und Ausbeutungsverhältnisse (Ulloa 2023). Die Kritik des Energiekolonia‐ lismus und des grünen Extraktivismus unterstreicht, dass sich die histori‐ schen politisch-ökonomischen Muster ungleicher Entwicklung zwischen Ländern des globalen Nordens und Südens in der Energiewende reprodu‐ zieren und festschreiben. Demgegenüber argumentieren Forscher:innen aus den Feldern der Nachhaltigkeitsforschung und der Internationalen Beziehungen, dass die Energiewende das Potenzial besitzen könnte, die globalen Ungleichheits‐ Kristina Dietz 26 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb verhältnisse zu verändern und zu einem game changer für Länder des Globalen Südens zu werden (Scita et al. 2020: 30). Internationale Orga‐ nisationen unterstreichen die entwicklungsökonomischen Potenziale der Energiewende. Diese lägen im Aufbau einer grünen Industrieproduktion, neuer Exportmöglichkeiten mit höherer Wertschöpfung, einer Zunahme der regionalen Handelsbeziehungen, in der Dezentralisierung der globalen Energieproduktion, der Schaffung neuer Arbeitsplätze und einer Erhöhung der nationalen Energiesicherheit, sowie der Reduzierung von Energiearmut (De Blasio/Eicke 2023; IRENA 2022; Scholten et al. 2020). All dies könnte die globalen Interdependenzen und Ungleichheitsverhältnisse verändern. Bisher ist noch unklar, in welche der beiden Richtungen die Energie‐ wende in Lateinamerika verläuft. Kritische Studien zu Konflikten um die Ausweitung von Lithium- oder Kupferbergbau sowie die Ausweisung von Mega-Windparks zeigen jedoch, dass das Fortschreiten der so genannten grünen Grenze (frontier) (siehe Dorn in diesem Band) mit weitreichenden sozial-ökologischen Verwerfungen verbunden ist. Hierzu zählen die Ver‐ drängung vorheriger Nutzungen und Nutzer:innen, ökologische Zerstörun‐ gen, Missachtung kultureller Praktiken, Verletzung politischer, kultureller und territorialer Rechte (Dorn 2021; Schwartz 2021; Ulloa 2023, siehe auch Heuser und Schlosser in diesem Band). Diese Konflikte stärken das Argu‐ ment des Energiekolonialismus und des grünen Extraktivismus. Aus der Literatur lassen sich aktuell vier mögliche Transformationspfade identifizieren: grüner Extraktivismus, grüne Entwicklung, Fossilismus und sozio-ökologische Alternativen (Kalt et al. 2023). Grüner Extraktivismus bezieht sich auf eine exportorientierte Energiewende, die durch die Aneig‐ nung und Gewinnung erneuerbarer Energien, Rohstoffe, Land, Wasser und Arbeit für den Export durch transnationale Akteure gekennzeichnet ist. Bei diesem Weg findet die Wertschöpfung hauptsächlich außerhalb der Pro‐ duktionsländer statt. Dekarbonisierungseffekte in den Ländern der Region, etwa durch den Aus- oder Aufbau einer erneuerbaren Infrastruktur erfol‐ gen zum Preis der Ausbeutung der Rohstoffe und Arbeit. Hierzu passt der von Maristella Svampa und Pablo Bertinat geprägte Begriff der transición energética corporativa, der korporativen Energiewende (Svampa/Bertinat 2022). Der grüne entwicklungsorientierte Pfad ist durch die Absicht ge‐ kennzeichnet, die Wertschöpfung in den Produktionsländern zu erhöhen, indem die Energiewende für den Aufbau heimischer grüner Industrien, die Schaffung grüner Arbeitsplätze und eine verstärkte Wertschöpfung im Land genutzt wird. Anders als im grünen Extraktivismus nimmt der Staat in diesem green developmentalism (Gabor/Sylla 2023: 2) eine aktive Rolle, Energiewende in Lateinamerika aus globaler Perspektive 27 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb etwa im Rahmen grüner Industriepolitik ein (siehe auch den Beitrag von Burchardt in diesem Band). Im fossilistischen Pfad gelingt es privaten und staatlichen Akteuren des Gas- und Ölsektors ihre Interessen durch‐ zusetzen, etwa indem sie den Klimawandel leugnen und den bekannten Weg des Fossilismus fortsetzen oder indem sie argumentieren, dass sie mit CO2-Speichertechnologien klimaneutral Energie produzieren können. Sozial-ökologische Alternativen unterscheiden sich in ihren Merkmalen je nach Kontext, Akteuren und sozialen Protesten. Im Allgemeinen sind sie durch Dezentralisierung, öffentliche Kontrolle, kollektives Eigentum, Demokratisierung und soziale Umverteilung gekennzeichnet. Svampa und Bertinat (2022) sprechen diesbezüglich von einer transición energética po‐ pular. 4 Energiewende – Quo vadis? Wasserstoff in Kolumbien Wie sich die Energiewende in Lateinamerika gestaltet und welche Transfor‐ mationspfade eingeschlagen werden, ist kontextabhängig und Gegenstand innergesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Am Beispiel des kolumbiani‐ schen Wasserstoffsektors zeige ich, dass sich unterschiedliche Transformati‐ onspfade herausbilden, die miteinander konkurrieren, sich aber auch wech‐ selseitig ergänzen. In allen diesen Pfaden spielen die Interessen nationaler und internationaler, staatlicher und privater Akteure gleichermaßen eine Rolle. 4.1 Grüner Extraktivismus Die politische Förderung von Wasserstoff begann in Kolumbien im Jahr 2021 inmitten der COVID-19-Pandemie. 2020, im ersten Jahr der Pandemie, sank das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt in Kolumbien um 8,6 Prozent, Arbeitslosigkeit und Armut nahmen zu, während Exporte und Exportein‐ nahmen einbrachen (CEPAL 2021). Besonders stark betroffen waren der Öl- und Kohlesektor, ein Rückgrat der kolumbianischen Wirtschaft (Oei/ Mendelevitch 2019). Als Reaktion verabschiedete die Regierung des dama‐ ligen konservativen Präsidenten Iván Duque (2018-2022) im Juli 2021 das Gesetz 2099 zur Energiewende (Congreso de la República 2021) mit dem Ziel, bestehende gesetzliche Regelungen zur Förderung erneuerbarer Ener‐ gien zu aktualisieren und die nationale Wirtschaft mittels Investitionen in Kristina Dietz 28 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb den Energiesektor zu reaktivieren. Letzteres sollte vor allem mit der Förde‐ rung von blauem und grünem Wasserstoff gelingen. Hierfür bietet das Ge‐ setz steuerliche Erleichterungen als Anreize für Investitionen (Combariza 2024: 11). Im September 2021 veröffentlichte die Regierung einen Fahrplan zum Auf- und Ausbau der Wasserstoffindustrie im Land. Erklärtes Ziel ist es, Kolumbien zum regionalen Marktführer in den Bereichen Produktion, Vertrieb und Export von Wasserstoff zu entwickeln, vor allem im Norden des Landes, in einer der ärmsten Regionen, der Provinz La Guajira (Minis‐ terio de Minas y Energía 2021). Aufgrund der vorteilhaften klimatischen Potenziale von viel Wind und Sonne als Quellen für erneuerbaren Strom, soll hier ein Zentrum für die Produktion und den Export von grünem Wasserstoff entstehen. Wichtige internationale Akteure, die den Aufbau eines solchen Zentrums finanziell und mit technischem Wissen unterstützen, sind die deutsche GIZ sowie die Fraunhofer Gesellschaft. Beide sehen in Kolumbien einen wichti‐ gen Partner für den Import grünen Wasserstoffs und grünen Ammoniaks nach Deutschland (GIZ 2023). Hier bildet sich deutlich ein grün-extrakti‐ vistischer Transformationspfad heraus. Das Ziel internationaler Investitio‐ nen ist der Export grünen Wasserstoffs nach Europa, um dort eine grüne Industrieproduktion zu ermöglichen. 4.2 Grüne Entwicklung Auch die aktuelle Regierung des linksgerichteten Präsidenten Gustavo Pe‐ tro (seit August 2022) verfolgt diesen Pfad weiter, allerdings ergänzt um das Ziel einer sozial und ökologisch gerechten Energiewende in Kolumbi‐ en. Was eine gerechte Energiewende bedeutet, ist bis heute Gegenstand politischer Debatten und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Die Re‐ gierung versteht hierunter eine Energiewende, die nicht nur den Interessen des globalen Nordens dienen soll. In diesem Zusammenhang zeichnet sich in Kolumbien die Herausbildung eines grünen Entwicklungspfades ab, der sich in der 2023 verabschiedeten Reindustrialisierungspolitik der Regierung Petro widerspiegelt (CONPES 2023). Mit dieser Politik beabsichtigt die Regierung erstens, Wasserstoff für die Dekarbonisierung der heimischen petrochemischen Industrie zu nutzen und im Verkehrssektor einzusetzen. Zweitens sollen mit der Produktion von grünem Wasserstoff und Wasser‐ stoffderivaten, unter anderem mittels des Aufbaus einer grünen Düngemit‐ Energiewende in Lateinamerika aus globaler Perspektive 29 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb telindustrie, neue Arbeitsplätze entstehen und die nationale Wirtschaft gefördert werden (ebd.). Der grüne Entwicklungspfad wird von verschie‐ denen nationalen Unternehmen unterstützt, von denen einige im Unter‐ nehmerverband ANDI-Naturgas (Cámara de hidrógeno ANDI-Naturgas) organisiert sind. Ihr erklärtes Ziel ist die Förderung einer Wertschöpfungs‐ kette für Wasserstoff und Wasserstoffderivate als „Motor für die Dekar‐ bonisierung und nachhaltige Entwicklung in Kolumbien“9. Die Kammer umfasst 48 Unternehmen, hauptsächlich aus dem fossilen Sektor und der Düngemittelindustrie sowie Beratungsfirmen, darunter 16 transnationale Unternehmen. Aus Deutschland sind unter anderem Siemens energy, Bosch und BASF vertreten. 4.3 Ökologische Modernisierung der fossilen Energiewirtschaft Neben dem Aufbau einer grünen, exportorientierten Wasserstoffprodukti‐ on im Norden des Landes unterstützt die GIZ den Aufbau von Pilotprojek‐ ten für die Produktion und Nutzung grünen Wasserstoffs über PPP. In Kolumbien sind an diesen PPP-Initiativen vor allem die etablierten Unter‐ nehmen aus dem fossilen Sektor beteiligt, zum Beispiel Promigas oder der staatliche Ölkonzern Ecopetrol. Eines der ersten Pilotprojekte für grünen Wasserstoff wird von Ecopetrol in der eigenen Raffinerie in Cartagena durchgeführt, den Zuschlag für den Bau und Betrieb der Elektrolyse-Anla‐ ge erhielt Siemens Energy zusammen mit anderen europäischen Unterneh‐ men. Für Ecopetrol ist grüner Wasserstoff ein Mittel für eine mehrstufige Diversifizierungsstrategie seiner fossilen Einnahmequellen. Ziel des Unter‐ nehmens ist es, bis 2040 jährlich 1 Mio. Tonnen sogenannten emissionsar‐ men Wasserstoff für den Export zu produzieren10. Zusammenfassend ist der kolumbianische Wasserstoffsektor durch drei unterschiedliche Energiewendepfade gekennzeichnet: erstens, die Entwick‐ lung und Ausweitung der Exportpotenziale für Wasserstoff und seine Deri‐ vate (grüner Extraktivismus); zweitens, die Nutzung von Wasserstoff zur Dekarbonisierung der heimischen Industrien und damit verbunden die Förderung und Stärkung einer grünen Industrie (grüne Entwicklung); drittens, die ökologische Modernisierung der fossilen Energiewirtschaft 9 https://www.andi.com.co/Home/Camara/1044-camara-de-hidrogeno-andi-naturgas, letzter Aufruf 27.05.2024. 10 https://www.ecopetrol.com.co/wps/portal/Home/estrategia2040/, letzter Aufruf 02.09.2024. Kristina Dietz 30 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://www.andi.com.co/Home/Camara/1044-camara-de-hidrogeno-andi-naturgas https://www.ecopetrol.com.co/wps/portal/Home/estrategia2040/ https://www.andi.com.co/Home/Camara/1044-camara-de-hidrogeno-andi-naturgas https://www.ecopetrol.com.co/wps/portal/Home/estrategia2040/ https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb (fossilistischer Pfad). Ein entscheidender Faktor für die Gestaltung der Energiewende im Bereich Wasserstoff in Kolumbien ist die Frage, welche Interessen sich bei der Aushandlung künftiger politischer Strategien durch‐ setzen werden. Initiativen, die einen alternativen Energiewendepfad im Bereich Wasser‐ stoff verfolgen, existieren, abgesehen von einigen dezentralen Forschungs‐ projekten zu Wasserstoff, aktuell nicht. Alternative Strategien der Energie‐ wende sind in den letzten Jahren vor allem im Bereich dezentrale Was‐ serkraft entstanden. In diesem Bereich gibt es eine lange Tradition so genannter energías comunitarias, kollektiver lokaler Energieorganisationen, bei denen lokale Gruppen gemeinschaftlich und dezentral Staudämme und kleinere Wasserkraftwerke aufbauen und gemeinschaftlich betreiben (Censat Agua Viva et al. 2023). Umweltschutz- und Menschenrechtsorgani‐ sationen fordern seit Jahren die Stärkung und Ausweitung solcher Basisor‐ ganisationen mit dem Ziel, Klimaschutz und den Abbau sozialer Ungleich‐ heiten im Bereich Energie miteinander zu verbinden. Auch in Konflikten um die dominanten Energiewendepfade wie grüner Extraktivismus, grüne Entwicklung und ökologisch modernisierter Fossilismus, zeichnen sich erste Elemente einer alternativen Energiewendestrategie ab, die auf den Prinzipien gerechte Verteilung, Partizipation, Zugang und Anerkennung der Menschen- und Naturrechte basieren. Vertreter:innen der indigenen Gemeinschaft der Wayuu in der Provinz Guajira im Norden des Landes fordern in ihrem Protest gegen Windparks demokratische Mitsprache, Ge‐ winnbeteiligung, Zugang zum produzierten Strom und zu Wasser (siehe Dorn in diesem Band). Als Antwort hierauf hat die Regierung unter Präsi‐ dent Petro die Einrichtung so genannter Windpartnerschaften vorgeschla‐ gen. Hierüber sollen indigene Gemeinschaften Partner:innen der investie‐ renden Unternehmen und an den Gewinnen beteiligt werden. Wie sich dies vor dem Hintergrund asymmetrischer Machtbeziehungen zwischen den Unternehmen und indigenen Gemeinschaften gestalten könnte, ohne zu einem grünen und sozialen Feigenblatt zu werden, ist offen. Darüber hinaus hat die Regierung dezentrale, erneuerbare Energiegemeinschaften bzw. -genossenschaften, so genannte comunidades energéticas, im Nationa‐ len Entwicklungsplan verankert (Gobierno de Colombia 2022). Gemäß Zahlen der Regierung liegen mehr als 18.000 Anträge zur Einrichtung sol‐ Energiewende in Lateinamerika aus globaler Perspektive 31 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb cher Gemeinschaften vor (September 2024)11. Bis Ende September 2024 waren hiervon 100 eingerichtet (Interview mit dem Leiter der zuständigen Abteilung im Energieministerium, Bogotá, 26.09.2024). 5 Fazit Ziel des Beitrags war es zu zeigen, dass sich die Energiewende in Latein‐ amerika nur aus einer Perspektive globaler Interdependenzen heraus ana‐ lysieren und verstehen lässt. Hierbei reicht es nicht aus, die lateinamerika‐ nischen Staaten lediglich als Lieferanten strategischer Rohstoffe für den globalen Norden und die lateinamerikanischen Gesellschaften als Opfer ei‐ nes grünen Kolonialismus zu konzeptualisieren. Denn staatliche und nicht- staatliche Akteure verfolgen mit und in der Energiewende eigene Interessen und gestalten hierüber den Verlauf der Energiewende mit. Auch dann, wenn Interessen machtvoller Akteure des globalen Nordens diesen Verlauf im Kontext der Geopolitik der Energiewende stark beeinflussen. Am Bei‐ spiel des kolumbianischen Wasserstoffsektors habe ich gezeigt, dass sich aktuell drei Energiewendepfade herausbilden, die komplementär zueinan‐ der existieren. Im Gegensatz zu anderen lateinamerikanischen Ländern, wie Argentinien (Dorn 2024), engagieren sich in Kolumbien eine Reihe nationaler Unternehmen aktiv am Aufbau einer Wasserstoffindustrie. Die meisten von ihnen sind etablierte Unternehmen aus dem fossilen Sektor, die versuchen, ihre Unternehmensstrategien in Zeiten der Energiewende grüner zu gestalten. Dies könnte Industrialisierungseffekte entfalten, die zumindest punktuell Einfluss auf globale Wertschöpfungsketten und De‐ pendenzverhältnisse nehmen. Alternative, partizipative Erfahrungen und Ansätze von unten werden vor allem in Konflikten um die Energiewende sichtbar. Im Kontext bestehender Kräftekonstellationen und globaler Ab‐ hängigkeitsverhältnisse können sich diese bisher allerdings nur in Nischen durchsetzen. Wie sich die Energiewende in Lateinamerika gestaltet, wer die Gewin‐ ner:innen und wer die Verlierer:innen sind, welche Regionen für grüne Ziele geopfert werden und inwiefern es überhaupt zu einem Ausstieg aus den fossilen Energien kommt, ist ein offener, umkämpfter Prozess. Latein‐ amerikanische Staaten und Unternehmen sind ebenso wie die EU und 11 https://www.minenergia.gov.co/es/comunidades-energeticas/, letzter Aufruf 12.09.2024. Kristina Dietz 32 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://www.minenergia.gov.co/es/comunidades-energeticas/ https://www.minenergia.gov.co/es/comunidades-energeticas/ https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb andere Akteure, mit je eigenen Interessen in einen globalen Dekarbonisie‐ rungskonsens (Bringel/Svampa 2023) eingebunden. Der EU geht es in der Geopolitik der Energiewende vor allem um Energiesicherheit sowie die Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen, Wind- und Sonnenpotentialen und ferner um die Kontrolle grüner Märkte im Wettbewerb mit China. Dahingegen geht es den lateinamerikanischen Staaten vor allem um die Sicherung ausländischer grüner Investitionen und die Positionierung in der neuen globalen grünen Arbeitsteilung. 6 Literatur Ansari, Dawud; Grinschgl, Julian; Pepe, Jacopo Maria (2022): Electrolysers for the hy‐ drogen revolution: challenges, dependencies, and solutions. SWP Comment, https:// doi.org/10.18449/2022C57. BMWK (2023): Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie. Berlin. [https://w ww.bmwk.de/Redaktion/DE/Wasserstoff/Downloads/Fortschreibung.pdf?__blob=p ublicationFile&v=4] <02.10.2024>. Bringel, Breno; Svampa, Maristella (2023): Del ‘Consenso de los Commodities’ al ‘Con‐ senso de la Descarbonización’, in: Nueva Sociedad, Julio-Agosto 2023, 306, 51-70. Bull, Benedicte (2024): China and the New Geopolitics of Climate Multilateralism in Latin America, in: Iberoamericana – Nordic Journal of Latin American and Caribbean Studies. https://doi.org/10.16993/iberoamericana.633. Censat Agua Viva et al. 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Wird weiterhin an den Klimazielen hin zu einer emissionsarmen Zukunft festgehalten, bedarf es des Umbaus etablier‐ ter sozio-technologischer Regime und des Auf- und Ausbaus einer techno‐ logie- und materialintensiven Infrastruktur für erneuerbare Energien (Le‐ derer 2022). Um das fossile Zeitalter zu überwinden, sind weitere Rohstoffe wie Kobalt, Lithium und seltene Erden für die Erzeugung, Speicherung und Bereitstellung erneuerbarer Energien unverzichtbar. Die Extraktion und Weiterverarbeitung dieser Rohstoffe erfordern Technologien, die bis‐ her von nur wenigen Ländern beherrscht werden. Die Energiewende hängt davon ab, wer diese Zukunftstechnologien, die dafür gebrauchten Rohstoffe und schließlich damit verbundene Wertschöpfungsketten, Patente, Energie‐ speicherkapazitäten und Infrastrukturen kontrolliert (Hafner/Tagliapietra 2020). Die Energiewende hat somit auch eine geopolitische Dimension. In einer postfossilen Zukunft werden Akteure und Staaten mächtig, die den Zugang zu und die Produktion sogenannter strategischer Rohstoffe und erneuerbarer Technologien kontrollieren können. China, die Europäische Union (EU) und die USA beanspruchen in die‐ sem Prozess eine Führungsrolle. Sie dominieren die Produktion von Elek‐ troautos, Windturbinen, Solarzellen und Ionenbatterien (Herranz-Surralles 2024). Die Kontrolle über die Organisation, Finanzierung und Produktion von Energiesystemen war schon immer ein entscheidender geopolitischer Faktor. Erdöl war beispielsweise für die US-amerikanische Vision einer po‐ litischen, wirtschaftlichen und militärischen Vormachtstellung in der Welt von zentraler Bedeutung (Newell 2019). Im Zuge der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft geht es in der internationalen Politik allmählich weniger um den Klimaschutz, als vielmehr um den Gewinn eines strategischen Wettbewerbs und die Sicherung einer privilegierten Position in neuen Pro‐ duktionsnetzwerken (van de Graaf et al. 2024). Die russische Invasion 37 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb in der Ukraine hat die geopolitische Dimension der Energiewende noch verstärkt, indem sie die Anfälligkeit von Energieversorgung nachdrücklich unterstrichen und den Bedarf an belastbareren Energieerzeugungs- und -handelsmustern aufgezeigt hat. Der globale Süden steht heute vor der Herausforderung, sowohl seine ei‐ genen sozioökonomischen und entwicklungspolitischen Bestrebungen, als auch die Klimaschutzverpflichtungen in einem zunehmend komplexeren internationalen Umfeld miteinander in Einklang zu bringen. Besonders für Lateinamerika sind diese Herausforderungen zentral. Der Kontinent steht an einem Scheideweg. Er verfügt über viele dieser strategischen Rohstoffe, ist aber technisch und wirtschaftlich noch nicht in der Lage, mit den mächtigen Staaten und Akteuren zu konkurrieren oder gar die Energiewen‐ de anzuführen. Das Lithiumdreieck zwischen Bolivien, Argentinien und Chile verfügt allein über drei Viertel der weltweiten Lithiumreserven, Chile ist zudem der größte Kupferlieferant der Welt, gefolgt von Peru. Kuba verfügt über riesige Kobaltreserven und Brasilien ist führend bei Eisenerz, Niob, Grafit und Seltenen Erden. Damit kann die Region einen wichtigen Beitrag zur weltweiten Energiesicherheit im Kontext der globalen Anstren‐ gungen um eine sozio-ökologische und gerechte Transformation leisten. Technologien für erneuerbare Energien sind jedoch kostenintensiv und Lateinamerika muss massive Investitionen anziehen, um seine eigene Ener‐ giewende zu beschleunigen. In einer Region, die lange unter sozioökonomi‐ scher Ungleichheit und Deindustrialisierung gelitten hat, ist dies besonders schwierig. Darüber hinaus birgt die Ausweitung der Bergbaugebiete in der Region im Namen der globalen Nachhaltigkeit zahlreiche sozioökonomi‐ sche und ökologische Risiken. Multinationale Bergbau- und Energieprojek‐ te gehen oftmals mit der Missachtung von Naturschutz, sozialem Abbau, der Ausnutzung schwacher Umweltgesetze, der Verschlechterung sozialer Lebensbedingungen, sowie der zunehmenden Unterdrückung sozialer Be‐ wegungen einher. Dieses Kapitel beleuchtet die geopolitische Dimension der globalen Energiewende und die Bedeutung Lateinamerikas in diesen neuen Kon‐ figurationen. Der Text beleuchtet die geopolitischen Faktoren, die den Wettbewerb zwischen mächtigen Akteuren in einem wachsenden globalen Kontext der Unsicherheit und potenzieller Konflikte, aber auch der Kontin‐ genz bestimmen. Der Text fragt, wie sich die lateinamerikanischen Länder in die neuen Konfigurationen einbringen und gleichzeitig versuchen, ihre eigene Position in einem Kontext rapider Veränderungen zu stärken. Es wird argumentiert, dass die Region in vier Bereichen für die Geopolitik der Luíza Cerioli 38 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Energiewende relevant ist: erstens, die Verfügbarkeit von Lithium; zwei‐ tens, das Potenzial für grüne Wasserstoffproduktion; drittens, die Zukunft der Erdölförderung und viertens, die Förderung grüner Industrialisierung. Dieses Kapitel ist wie folgt aufgebaut. Zunächst werden die geopoliti‐ schen Dimensionen der globalen Energiewende erläutert, wobei die wich‐ tigsten Unsicherheitsfaktoren hervorgehoben werden, die zu Wettbewerb zwischen mächtigen Ländern führen. Zweitens wird argumentiert, dass die USA, die Europäische Union und China die Hauptakteure in diesem Wettbewerb sind. Dabei wird untersucht, wie diese drei Akteure eine soge‐ nannte grüne globale Führungsrolle anstreben. Schließlich wird ein Blick auf Lateinamerika geworfen und darauf fokussiert, wie lokale politische Akteure ihre Länder als wichtige globale Partner fördern. Im Fazit werden Themen für die weitere Diskussion aufgezeigt. 2 Unsicherheiten der globalen Energiewende Die Energiewende ist von zahlreichen geopolitischen Spannungen geprägt, die zur Konkurrenz zwischen den zentralen Staaten führen wird. Autor:in‐ nen, die sich mit diesen geopolitischen Dynamiken beschäftigen, kritisie‐ ren, dass bisherige Ansätze der sozial-ökologischen Transformation sehr technizistisch sind und Fragen von Macht, Konflikt und Gewalt ausblenden (Goldthau et al. 2020; Lederer 2022; Riofrancos 2023). Während die De‐ karbonisierung politisch eingeleitet wurde, hängt die Transformation der Energieregime von vielen verschiedenen gesellschaftlichen Interessen und konkurrierenden Prioritäten in Bezug auf Energiesicherheit, wirtschaftliche Entwicklung und Umweltschutz ab. Es gibt keine vorgegebene postfossile Zukunft und keinen fertigen Fahrplan dorthin. Stattdessen ist die Energie‐ wende ergebnisoffen und mit Unsicherheiten behaftet, die von unterschied‐ lichen gesellschaftlichen Praktiken und Kontexten abhängen (Kuzemko et al. 2024; vgl. auch Dietz in diesem Band). Erstens ist festzuhalten, dass die Energiewende mit Unsicherheiten be‐ haftet ist, da sie von technologischen Entscheidungen abhängt, die in dieser Form noch nie zuvor getroffen werden mussten. Die Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen führt zu einer Diversifizierung der Primärquellen, aus denen sich der Energiemix eines Landes zusam‐ mensetzen kann. Die Nutzung von Bio-, Wind- und Solarenergie basiert auf unterschiedlichen technologischen Konzepten, die nicht ohne Weiteres miteinander austauschbar sind. Außerdem unterscheidet sich die Logistik Die Geopolitik der Energiewende und die Rekonfiguration globaler Machtverhältnisse 39 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb der Produktion, Speicherung und Verteilung erneuerbarer Energien stark von fossilen Brennstoffen und erfordert eine komplexere Koordination. Daher müssen Regierungen ihre Prioritäten auf der Grundlage des für ihr Land angestrebten erneuerbaren Energiemixes neu festlegen. Bei diesen Entscheidungen müssen Faktoren wie etwa die Tragfähigkeit der Stromnet‐ ze, die Energiespeicher- und -Lieferkapazitäten, der Zugang zu neuen Tech‐ nologien, Patente und die Struktur der Arbeitsmärkte berücksichtigt wer‐ den. Dieser Entscheidungsprozess wird durch den Wettbewerb zwischen verschiedenen Akteuren und deren Präferenz für eine bestimmte Energie‐ art, sowie die Rolle bestehender Arbeits-, Sozial- und Umweltkämpfe beein‐ flusst (Newell 2019). Regierungen müssen heute viele Entscheidungen tref‐ fen, die pfadabhängig sind, ohne selbst über umfangreiche Erfahrungen zu verfügen. Dadurch entstehen möglicherweise neue Abhängigkeiten, die ei‐ nige wenige Akteure, welche diese neuen Technologien und Infrastrukturen liefern können, favorisieren (Paltsev, 2016). Der gesellschaftliche Kontext und die Akteure in den einzelnen Ländern sind für Tempo und Erfolg der Energiewende entscheidend. Zweitens führt die im Zusammenhang der Energiewende zentrale Rol‐ le elektrischer Energie zu neuen Mustern von Raum und Territorium. Zunächst ist elektrische Energie aus erneuerbaren Energiequellen im Ge‐ gensatz zu Öl und Gas schwieriger und teurer zu transportieren. Zur Herstellung großer Mengen an Elektrizität sind zahlreiche unterschiedli‐ che Produktionsanlagen und Versorgungsstationen notwendig und Länder benötigen einen Mix aus verschiedenen Primärquellen (Kuzemko et al. 2024; van de Graaf et al. 2024). Solarenergie wird nur bei Sonnenlicht, Windenergie nur wenn es auch windet, produziert. Diese Herausforderung wird höchstwahrscheinlich zu einer Zentralisierung von Energieprodukti‐ on und -Verteilungsinfrastruktur führen (Hafner/Tagliapietra 2020; van de Graaf et al. 2024). Hinzu kommt, dass die Energiewende die Verhandlungs‐ macht derjenigen Transitländer stärken wird, durch welche diese Netze verlaufen. Schon jetzt wird erkennbar, dass diese Akteure darauf bedacht sind, politische und wirtschaftliche Vorteile aus neuen Transportwegen zu ziehen (Pronińska 2023). Viele Staaten forcieren eine Politik, Energiepro‐ duktionszentren auf ihrem Territorium zu errichten, um die Abhängigkeit von internationalen Märkten zu verringern und die nationale Energiesi‐ cherheit zu gewährleisten. Nationale Zielvorstellungen gewinnen an Bedeu‐ tung und begünstigen Alleingänge, welche durch Autarkie und geoökono‐ mische Instrumente wie Protektionismus und Subventionen charakterisiert sind (Goldthau et al. 2020), sowie ökonomischen Nationalismus schüren Luíza Cerioli 40 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb helfen. Die zunehmende Bedeutung erneuerbarer Energien provoziert neue Diskussionen über Nutzung von Land und Wasser (Huber und McCarthy 2017). Megaprojekte für Solar- und Windkraftanlagen verändern bereits heute das Landschaftsbild vieler Länder und führen zu einer neuen Dyna‐ mik sozio-ökologischer Konflikte (Nygren et al. 2022; Dietz/Engels, 2017). Hinzu kommt, dass die Komplexität hochdigitalisierter Energienetze neue Sicherheitsprobleme wie Terrorismus, Cyberkriminalität und Datenverlet‐ zungen hervorrufen kann (Hafner/Tagliapietra 2020). Drittens entsteht Unsicherheit durch verschiedene Strategien des Zu‐ gangs zu kritischen Rohstoffen und der Kontrolle über zukünftige Schlüs‐ seltechnologien wie Photovoltaik (PV), Konzentrierende Solarthermie (CSP) Systeme, Onshore- und Offshore-Windturbinen, sowie Wasserstoff‐ brennstoffzellen. Ein erwarteter Nachfrageanstieg für zum Beispiel Lithi‐ um, Kupfer und Seltenen Erden hat einen globalen Wettlauf um Rohstoffe im Globalen Süden und zunehmend auch in den Ländern des globalen Nordens ausgelöst (Riofrancos 2023); auch hier werden neue Abbaumög‐ lichkeiten eruiert und neue Minen eröffnet. Viele Akteure im Globalen Süden sehen diesen Wettlauf als Chance, neue Handelspartner:innen und Investor:innen zu gewinnen, höhere Einnahmen aus dem Rohstoffabbau zu erzielen und diese in soziale Entwicklungserfolge zu verwandeln (Müller 2023; Allan et al. 2021). Diese Option sollte jedoch nicht überschätzt wer‐ den. Erstens sind, durch die Möglichkeit der Wiederverwendung und des Recyclings, Abnehmerländer und Unternehmen in Zukunft weniger von Anbieter:innen der Rohstoffe abhängig als heute (Månberger/Johansson 2019). Zweitens ist es aufgrund der räumlichen Verteilung dieser Ressour‐ cen und ihrer Spezifizität für bestimmte Technologien unwahrscheinlich, dass Rohstoffexportländer einen dauerhaften politischen Einfluss erlangen werden, wie ihn die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) hat (Paltsev 2016). Prinzipiell wird erwartet, dass die Energiewende „grüne Opportunitäts‐ fenster“ (Lema et al. 2020) aufstößt, sodass eine Verknüpfung wirtschaftli‐ cher Entwicklung mit Nachhaltigkeitsstandards zunehmend an Bedeutung gewinnen kann. Für den Globalen Süden entsteht hierbei eine ambivalente Dynamik. Einerseits kann die steigende Nachfrage nach neuen Rohstoffen wirtschaftliche Potenziale in Ländern, die über Rohstoffvorkommen verfü‐ gen, freisetzen, mehr Investitionen anlocken und neue Arbeitsplätze schaf‐ fen. Das Ziel Europas und der USA, ihre Volkwirtschaften vom Einfluss Chinas abzukoppeln, bedeutet außerdem, dass alternative Lieferquellen und Industriezentren erschlossen werden müssen (Müller 2023). Dieser Die Geopolitik der Energiewende und die Rekonfiguration globaler Machtverhältnisse 41 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb sich intensivierende Wettbewerb zwischen Industrieländern kann für den Globalen Süden positive Folge haben. Steigt die Zahl der jeweiligen Anbie‐ ter:innen, sinken auch die Preise für erneuerbare Technologien. In derar‐ tigen Szenarien wird die Verhandlungsposition der Länder des Globalen Südens eher gestärkt, da sie für eigene Projekte unterschiedliche Partner wählen können. Anderseits veranlasst der Wettbewerb zwischen den USA, der EU und China viele Länder dazu, protektionistische Maßnahmen zu ergreifen, um geistige Eigentumsrechte zu stärken, Subventionen für den Einsatz erneuerbarer Energien zu fördern und Anreize für lokale Innovationen zu erleichtern. Der Zugang zu Technologie ist jedoch global nach wie vor eingeschränkt, da nur wenige mächtige Länder über sie verfügen. Innerhalb des Wettbewerbs ist ein Technologietransfer von einem Land zum ande‐ ren unwahrscheinlicher, weil Technologie selbst ein wichtiges Instrument ist, um eine Führungsposition zu erreichen oder zu halten (Nem Singh 2023). Im Kontext wachsender geopolitischer Spannungen zwischen den Industriemächten erschwert sich somit die Entscheidungsfindung, welche Partnerschaften für den Zugang zu den richtigen Technologien, Investitio‐ nen und Krediten eingegangen werden sollen. Zudem werden diese Ent‐ scheidungen zunehmend von den Bedingungen globaler Sicherheit und dessen Perzeption abhängen. Es besteht die Möglichkeit, dass zahlreiche Länder des Globalen Südens in Zukunft weiter eingeschränkte Handlungs‐ möglichkeiten für eine sozial-ökologische Energiewende ohne externe Un‐ terstützung hinnehmen müssen. Ein beträchtlicher Anteil des Globalen Südens bleibt von der eigenen Dekarbonisierung nicht nur ausgeschlossen, sondern sieht sich zudem mit einer Ausweitung extraktivistischer Aktivitäten konfrontiert (Lang et al. 2024). Nur wenige Länder haben daher das Potenzial von der Energiewen‐ de signifikant zu profitieren. Zwar versuchen einige Entwicklungsländer, fossile Energienutzung in ihren Industriesektoren schnell zu überwinden. Damit reproduzieren sie jedoch den historischen Entwicklungsweg der In‐ dustrienationen und laufen, dadurch dass sie sich technologisch auf fossile Energiequellen festlegen, Gefahr zu scheitern (Goldthau et al. 2020). Ande‐ re Länder versuchen aus der wachsenden Nachfrage nach bestimmten Roh‐ stoffen Kapital zu schlagen, indem sie ihre Exportaktivitäten ausweiten, um mehr Rohstoffrenten zu erzielen und diese zu reinvestieren. Die Strategien, Renten in Kapital und Technologie zu transferieren, ist maßgeblich von der Fähigkeit lokaler politischer Akteure abhängig, innovative Lösungen zu entwickeln und das Risiko für internationale Investor:innen zu reduzieren. Luíza Cerioli 42 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Die internationale Neuordnung wird aufgrund der geopolitischen Dy‐ namik der Energiewende also neue Gewinner:innen und Verlierer:innen hervorbringen. Dabei ist schon jetzt feststellbar, dass China, die USA und die EU die Energiewende nutzen, um ihren Einfluss auszubauen und neue Kooperationsformen anstreben. Jedoch unterscheiden sich diese Rollenmo‐ delle teilweise erheblich. Der folgende Abschnitt widmet sich diesen soge‐ nannten grünen Führungsmodellen, die China, USA und die EU aktuell verfolgen. 3 China, USA und die EU China, USA und die Europäische Union sind die größten Protagonist:in‐ nen im Kampf um die globale Vormachtstellung in der Energiewende. Die chinesische Belt and Road Initiative (BRI), die US Partnership for Global Infrastructure and Investment (PGII) und die EU Global Gateway Initiative (GG) sind Instrumente, um die jeweilige angestrebte Vormachtstellung aus‐ zubauen. China besitzt einen großen Anteil der für die Dekarbonisierung strate‐ gischen Rohstoffe. Das Land kontrolliert etwa ein Drittel der weltweiten Mengen an seltenen Erden und große Reserven an Lithium, Nickel, Kobalt und Grafit (International Energy Agency 2024). Zudem dominiert China die meisten Bearbeitungs- und Raffinierungsphasen derjenigen Rohstoffe, die für grüne Energie unbedingt benötigt werden. Kobalt und seltene Er‐ den etwa werden derzeit nur in China weiterverarbeitet. Auch hat China wichtige internationale Netzwerke aufgebaut, um den Zugriff auf kritische Rohstoffe zu sichern und seine eigenen Märkte zu erweitern (Gonzalez- Vicente 2019, Rodriguez und Lastro Bravo/Matthes in diesem Band). So hat China einen großen Anteil an der Produktion von Batterien, Solarzellen, Windturbinen und Halbleitern erreicht. Die Raffinierung und Verarbeitung von Rohstoffen gehen oft mit enormen negativen Auswirkungen auf die Umwelt einher. Umweltrisiken und lokaler Protest halten viele industriali‐ sierte Länder des globalen Nordens bisher davon ab, diese Prozesse im eigenen Land zu realisieren. Daher bleibt die Welt in Bezug auf die Energie‐ wende von China weiterhin abhängig (van de Graaf et al. 2024). Mehr Energiesicherheit durch erneuerbare Energie ist entscheidend, um die Kontinuität des chinesischen Wirtschaftswachstums zu sichern. China hat sich dazu verpflichtet, bis 2060 klimaneutral zu werden. Es strebt an, seine zentrale Position im Bereich der Energiewende zu halten, indem es Die Geopolitik der Energiewende und die Rekonfiguration globaler Machtverhältnisse 43 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb sich vermehrt an internationalen Projekten für erneuerbare Energien betei‐ ligt. Anfang der 2020er Jahre wurde China der größte Produzent und Ex‐ porteur erneuerbarer Technologien weltweit (IRENA 2024). Das wichtigste Instrument zur Stärkung seines weltweiten Einflusses ist die BRI, ein Pro‐ gramm zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten im Globalen Süden. Die BRI koordiniert hauptsächlich Projekte auf inter-staatlicher Ebene, an denen chinesische Nationalbanken und Entwicklungsinstitutionen beteiligt sind. Hier stehen weniger große Infrastrukturprojekte, als vielmehr kleine‐ re, kurzfristige und rentable Investitionen im Vordergrund und der Fokus richtet sich auf die Förderung erneuerbarer Energie, Kommunikationstech‐ nologien, Satelliten, E-Mobilität, sowie künstliche Intelligenz (Myers et al. 2024). China ist bestrebt, seine etablierte entwicklungspolitische Rolle im Glo‐ balen Süden zu seinem Vorteil zu nutzen. Dies erfolgt durch die Fokussie‐ rung von Finanzmitteln auf Projekte zur grünen Rohstoffextraktion und erneuerbaren Energie (Myers/Ray 2023). Darüber ist China bestrebt einen Regulierungsmechanismus zur Unterstützung seines industriell-technologi‐ schen Fortschritts zu schaffen. Es beteiligt sich an multilateralen Gremien wie der International Organization for Standardization (ISO) und der International Electrotechnical Commission (IEC), um inländische Innova‐ tionen zu unterstützen und seine Unternehmen als globale Vorreiter zu positionieren. Damit strebt das Land an, sich in der Wertschöpfungskette nach oben zu bewegen und den technologischen Vorsprung zu erlangen, der traditionell den OECD-Ländern vorbehalten war (Malkin 2022). Die USA hingegen wollen ihren traditionellen wirtschaftlichen Vor‐ sprung und damit auch ihre Führungsrolle verteidigen. In Zeiten multi‐ pler Krisen und unter Bedingungen eines sich verstärkenden Konfliktes mit China versuchen die USA die heimische Industrie zu revitalisieren, ihre Produktionsnetzwerke zu sichern und sich zunehmend von China abzukoppeln (Malkin 2022). Präsident Biden hat das sogenannte America First-Narrativ beibehalten, um der wachsenden wirtschaftlichen und politi‐ schen Macht Pekings zu begegnen. Biden erließ Durchführungsverordnun‐ gen zur Stärkung und Wiederbelebung der heimischen Produktionskapa‐ zitäten, zur Modernisierung der Energieinfrastruktur und zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit in Forschung und Entwicklung. Zudem wurde 2022 mit dem Inflation Reduction Act (IRA) ein umfangreiches Subventi‐ onsprogramm für Privatinvestitionen in heimische grüne Technologien wie Wasserstoff, Elektromotoren und Batterien eingeführt. Diese Maßnahmen Luíza Cerioli 44 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb sind eine klare Antwort auf die Dominanz Chinas in den meisten klima‐ freundlichen Produktionsketten. Die USA machen damit klar, dass ihre eigene Machtposition sowie ihre Energiesicherheit davon abhängen, auf Chinas umfassende globale Präsenz zu reagieren und gleichzeitig die Produktion grüner Energie abseits von Peking zu diversifizieren (Elking 2020). Die Neubelebung des Quadrilate‐ ral Security Dialogue (Quad) mit Australien, Indien und Japan seit 2017 spiegelt dies wider. Außerdem sieht die 2022 gestartete Partnership for Global Infrastructure and Investment (PGII) eine stärkere Rolle der USA in Infrastruktur- und nachhaltige Entwicklungsprojekte im Globalen Süden vor. Die PGII wird als Kontrapunkt zur BRI gesehen und umfasst Ziele wie die Eindämmung der Folgen des Klimawandels, die Verbesserung der En‐ ergiesicherheit, die Diversifizierung grüner Lieferketten und die Stärkung von Cybersicherheit. Anders als die BRI dominiert die PGII jedoch eine privatwirtschaftliche Idee. Die Strategie soll privates Anlagekapital mobili‐ sieren und favorisiert eine Kombination aus Zuschüssen, Privatisierung und staatlicher Finanzierung, ohne jedoch direkt den öffentlichen Haushalt zu belasten. Daher bleibt das US-Modell der globalen Führungsrolle in der Energiewende eng mit neoliberalen Ideen verwoben (Gabor 2021). Obwohl es sich noch in seiner Anfangsphase befindet, wird seine neoliberale Ten‐ denz den Handlungsspielraum der PGII im Globalen Süden wahrschein‐ lich im Vergleich zur BRI einschränken, da die finanziellen Risiken hier primär den Zielländern auferlegt werden. Die EU schließlich setzt ambitionierte Ziele, um eine „global leadership on Renewables“ (European Commission 2019: 4, 16) zu erreichen und den Weg für ein nachhaltigeres, autarkes und integriertes Energieregime zu ebnen. Die EU kämpft gleichzeitig mit ihrer starken Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen und der für die Energiewende benötigten, ins‐ besondere chinesischen, Rohstoffe. Im Kontext wachsender geopolitischer Unsicherheiten will die EU den Binnenmarkt besser gegen externe Schocks schützen, indem sie etwa Stromnetze für erneuerbare Energien entwickeln, ihre Rohstofflieferant:innen diversifizieren, sowie die Industrialisierung und Investitionen in Innovationen wiederbeleben will (Pronińska 2023). Mit dem EU Green Deal, der 2019 veröffentlicht wurde, setzt sich die EU das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden. Die 2020 vorgestellte EU-Indus‐ triestrategie konzentriert sich auf die globale Wettbewerbsfähigkeit im Be‐ reich klimafreundlicher Technologien, sowie der inländischen Produktion kritischer Sektoren. Die Geopolitik der Energiewende und die Rekonfiguration globaler Machtverhältnisse 45 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb In diesem Rahmen wurde 2021 die Global Gateway Initiative (GG) vorgestellt. Sie zieht darauf ab, strategische Investitionen in Entwicklungs‐ projekte im Globalen Süden zu fördern, wobei der Schwerpunkt auf erneu‐ erbaren Energien, sowie der elektrischen und digitalen Integration liegt (European Commission 2021). Die GG, die auch als Antwort auf die BRI gesehen wird, unterscheidet sich von der PGII-Initiative in Bezug auf die staatliche Förderung und die direkte Mobilisierung von nationalen EU-Finanzmitteln. Die EU ist bereit, die Risikolast mit den Gastländern bei Klimaschutzstrategien zu teilen und versucht, öffentliche und private Initiativen zu koordinieren. Im Rahmen der GG haben viele EU-Länder bereits Investitionsprojekte für erneuerbare Energien im Globalen Süden beschlossen, die von der Europäischen Investitionsbank (EIB) finanziert werden (Herranz-Surralles 2024). Im Jahre 2023 wurde schließlich der EU-Critical Raw Materials Act (CRMA) vorgestellt. Hierin wurden Maßnahmen zur Diversifizierung der Versorgung mit kritischen Rohstoffen, zur Erhöhung der Lagerkapazität, zur Stärkung der inländischen Abbau- und Prozesskapazitäten und zur For‐ schungsförderung im Bereich Recycling und Substitution von Rohstoffen festgelegt (European Commission 2023). Die EU führt auch Mechanismen zum Screening ausländischer Investitionen, neue Subventionsregelungen und andere Instrumente ein, um Wirtschaftskonkurrenten in strategischen Bereichen entgegenzuwirken. Der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM), der 2026 in Kraft treten soll, zielt darauf ab, die grüne Indus‐ trieproduktion der EU vor CO2-intensiven Importen zu schützen. Diese Maßnahmen sind wirtschaftlich defensiv und geopolitisch orientiert und heben sich von der traditionellen Freihandelsorientierung der EU ab. Mit diesen Initiativen demonstrieren China, die USA und die EU eine proaktive Energiediplomatie, indem sie versuchen neue Transportrouten, grüne Märkte und neue Rohstoffreserven zu erschließen, während gleich‐ zeitig auf defensive wirtschaftliche Maßnahmen gedrängt wird. Während die PGII den Widerstand der USA zeigt, ihre neoliberale Strategie der globalen Führung zu ändern, hat die Initiative GG das Potenzial, sich als Alternative zur BRI im Globalen Süden zu etablieren und mit dieser zu konkurrieren. Luíza Cerioli 46 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb 4 Lateinamerika und die Geopolitik der Energiewende Lateinamerika hat eines der saubersten Energieregime der Welt und ein be‐ trächtlicher Teil des Energieverbrauchs wird durch Wasser-, Biokraftstoff-, Wind- und Solarenergie gedeckt. Gleichzeitig befinden sich in Lateiname‐ rika rund 15 Prozent der Gas- und Erdöllagerstätten. Der Brennstoffver‐ brauch ist immer noch überwiegend fossil, wobei Öl in der Industrie, der Landwirtschaft und im Verkehr dominiert (International Energy Agency 2023). Daher wird die Region in die Debatte durch positive und negative Perspektiven einbezogen, die sowohl Chancen aber auch Grenzen oder gar zukünftige Entwicklungsfallen mit sich bringen. 4.1 Neue Rohstoffe: das Beispiel Lithium Erstens findet sich im "Lithium-Dreieck" zwischen Bolivien, Argentinien und Chile eine der größten Lithiumreserven der Welt. Der Rohstoff Lithi‐ um ist hauptsächlich für Batterien und damit für Energiespeicherung zen‐ tral, erlangt aber global eine Schlüsselrolle in der Energiewende. Gleichzei‐ tig verfügen diese Länder nicht über die technologischen Kapazitäten zur Extraktion des Lithiums um dessen Weiterverarbeitung hin zu industriell nutzbaren Batterien zu gewinnen. Unternehmen aus den USA, Australien, China, Kanada, Deutschland, Japan und Frankreich haben seit den frühen 1990er Jahren Lithiumkonzessionen in der Region erworben. Der im inter‐ nationalen Vergleich geringe Produktionspreis in dieser Region hat das internationale Interesse am Lithiumabbau verstärkt. Die global steigende Nachfrage nach Lithium hat in der Region Hoffnungen auf Wirtschafts‐ wachstum durch höhere Rohstoffrenten geweckt. Vor diesem Hintergrund ist zu beobachten, dass die politischen Akteure in der Region Strategien entwickeln, um von dem neuen internationalen Interesse an Lithium zu profitieren. In Argentinien regeln die Provinzen die Rahmenbedingungen für den Lithiumabbau, bisher gibt es nur wenige Vorschriften und geringe Lizenzgebühren (Milanez/Dorn 2024). In den Abbaugebieten von Jujuy, Catamarca und Salta bauen transnationale Kon‐ sortien das Lithiumkarbonat mit wenigen Einschränkungen oder sozialen Verpflichtungen ab (Barberón 2023). Der aktuelle Präsident Javier Milei drängt auf eine Reform, die weitere Beschränkungen im Bereich der Um‐ weltstandards abbauen und transnationale Konsortien begünstigen würde. Argentinien ist zwar attraktiv für Investitionen von BRI, GG und PGII und Die Geopolitik der Energiewende und die Rekonfiguration globaler Machtverhältnisse 47 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb kann daraus internationales Kapital anziehen, aber es strebt nicht danach, die Struktur seiner Wirtschaft zu verändern. Bolivien verfolgt eine gegenteilige Strategie und unterwirft Lithium seit 2009 der Kontrolle des Staates. Im Jahr 2017 kündigte die Landesregierung die Yacimientos de Lítio Bolivianos (YLB) als ein nationales Industrieunter‐ nehmen an, um die Extraktion, Raffinierung und Kommerzialisierung von Lithiumbatterien zu kontrollieren. Bislang ist das bolivianische Lithium je‐ doch aufgrund von infrastrukturellen und technologischen Schwierigkeiten noch nicht wettbewerbsfähig (Obaya 2021). Daher hat die Regierung nach privaten Partnerschaften gesucht, um ihre Kapazitäten zu verbessern. Im Jahr 2020 wollte das deutsche Unternehmen ACI System in ein Projekt im Salar de Uyuni investieren. Die politischen Spannungen im Bolivien machten das Risiko jedoch zu hoch und beendeten die Verhandlungen. 2023 verhandelte Bolivien mit dem chinesischen CATL über eine Investiti‐ on von rund 1,4 Mrd. US-Dollar in ein Joint Venture mit YLB. 2025 soll ein Plan mit dem russischen Unternehmen Uranium One für den Bau einer Lithium-Fabrik abgeschlossen sein. Chile ist derzeit in der Region in der Extraktion und dem Export von Lithium führend. Das Land hat einen Anteil von 22 Prozent an der Welt‐ produktion (International Energy Agency 2023). Seit den 1990er Jahren baut die nationale Sociedad Química y Minera (SQM) durch Joint Ventures mit US-Unternehmen Lithium ab. Mit dem Abschluss des Freihandelsab‐ kommen mit China im Jahr 2005 hat sich dieses Szenario verändert. So hat die Tianqi Corporation Anteile der SQM gekauft. Seit 2015 entwickelt Chile einen Plan zum Aufbau eines staatlichen Lithiumbergbauunternehmens, zur Förderung des Technologietransfers und zur Verbesserung seiner Posi‐ tion in der Produktionskette für Lithiumbatterien (Milanez / Dorn 2024). Für 2023 kündigte Präsident Gabriel Boric eine nationale Lithiumstrategie mit neuen Regeln an, um einerseits den Produktionswert zu steigern und gleichzeitig Nachhaltigkeit, höhere Investitionen und eine stärkere Partner‐ schaft zwischen öffentlichen und privaten Akteuren zu gewährleisten. Die Strategie sieht die Einrichtung eines Technologiezentrums und hohe Inves‐ titionen in Forschung und Entwicklung vor und zielt darauf ab, im Bereich der Verarbeitungs- und Elektromobilität neue Kapazitäten aufzubauen um damit industrielles upscaling zu fördern (Barberón 2023). Luíza Cerioli 48 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb 4.2 Grüner Wasserstoff Grüner Wasserstoff kann zur Dekarbonisierung von Industriesektoren bei‐ tragen und die Energiesicherheit verbessern, da er potenziell über längere Strecken transportiert und über längere Zeiträume gespeichert werden kann. Lateinamerika hat das Potenzial, Wasserstoff im internationalen Vergleich zu den niedrigsten Kosten herzustellen, da es über zahlreiche erneuerbare Energiequellen verfügt, die bei der Trennung von Wasser in Wasser- und Sauerstoff effektiv genutzt werden können. Chile hat für 2020 eine nationale Wasserstoffstrategie angekündigt, und Kolumbien, Uruguay, Brasilien, Ecuador, Argentinien, Costa Rica und Panama haben bereits nachgezogen (s. Dietz und Dorn in diesem Band). Diese Strategien setzen sich zum Ziel, regulatorische Rahmenbedingungen festzulegen, um finan‐ zielle Anreize für den Aufbau der Wasserstoffindustrie zu schaffen, auf Wissens- und Technologietransfers aufzubauen, den Zugang zu internatio‐ nalen Märkten zu gewährleisten und den Aufbau lokaler Infrastruktur zu unterstützen. Damit wurden die Voraussetzungen geschaffen, dass transnationale Un‐ ternehmen in diesen Sektor investieren können. Chile hat Verträge mit der Weltbank und transnationalen Unternehmen aus Deutschland und den USA abgeschlossen, um grüne Wasserstoffprojekte zu beschleunigen. Kolumbien hat sich mit multilateralen Entwicklungsagenturen wie der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) und der Europäischen In‐ vestitionsbank (EIB) zusammengetan, um neue Kapazitäten aufzubauen. Ein weiteres erwähnenswertes Beispiel ist die sogenannte Clean Hydrogen Mission, welche Erzeugung von Wasserstoff weltweit beschleunigen und Preise senken soll. Im Rahmen dessen wurden bereits vier Wasserstoff-Val‐ leys in Chile, Brasilien und Guyana geschaffen. Dies verdeutlicht, dass die jeweiligen Regierungen anstreben, die globale Energiewende in nationale Vorteile zu verwandeln. Sie wollen fossile Brennstoffe durch Wasserstoff‐ brennstoffe ersetzen, neue Arbeitsplätze schaffen und die Wirtschaft stär‐ ken. Allerdings ist die Infrastruktur, die für die Herstellung und den Export von Wasserstoff benötigt wird, sehr kapitalintensiv, der Aufbau braucht Zeit und der Erfolg hängt von Technologien ab, die sich bisher noch in der Demonstrationsphase befinden. Damit bleibt die geopolitische Dimension des Wasserstoffs bisher nach wie vor unklar. Es deutet sich aber an, dass Investitionen in Wasserstoff in Lateinamerika eine zentrale Rolle für die Führungsrolle der EU spielen werden. Die Geopolitik der Energiewende und die Rekonfiguration globaler Machtverhältnisse 49 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb 4.3 Die Zukunft fossiler Rohstoffe Zusammen mit den Dekarbonisierungsbemühungen steigt die Produktion fossiler Brennstoffe durch die Entdeckung neuer unkonventioneller Reser‐ ven in Brasilien, Guyana und Argentinien weiter an. Dank der Tiefseefel‐ der von Pré-Sal entwickelte sich Brasilien zum größten Ölproduzenten in der Region. Als Ausweg aus der Wirtschaftskrise setzt Argentinien zurzeit auf die Vaca-Muerta-Schieferformation, in der die drittgrößten nicht-kon‐ ventionellen Erdöl- und Erdgasreserven der Welt vermutet werden (Ar‐ gentinisches Tageblatt 2024). Die gleichen Unternehmen, die sich für die Energiewende in der EU, China und den USA einsetzen, arbeiten auch bei der Erschließung weiterer Gas- und Ölfelder in der Region mit (Gon‐ zalez-Vicente 2019). Beispielsweise verstärken transnationale Unternehmen und Konglomerate wie etwa Exxon, Repsol, CNOOC, Total, Hess und Chevron ihre Abbauaktivitäten in Guyana seit der russischen Invasion, um Energiealternativen für Europa anzubieten. Die Rolle transnationaler Unternehmen in Vaca Muerta und dem ecuadorianischen Yasuní-Park wird zwar aufgrund von sozialen und ökologischen Aspekten kritisiert. Dennoch befindet sich Lateinamerika weiterhin in dem globalen Wettbewerb um billigere fossile Brennstoffe, was seinen eigenen Zielen für einen gerechten Energiewandel widerspricht. Hier geht es auch um Abstieg. Venezuela allein verfügt über die größten Ölreserven weltweit, während Brasilien, Mexiko, Kolumbien und Ecuador wichtige Produzenten sind. Bolivien und Peru sind wichtige Gasproduzen‐ ten und Argentinien verfügt über eine der größten Schiefergasreserven der Welt. Es wächst die Sorge über die sozialen und politischen Folgen eines Rückgangs der weltweiten Nachfrage nach fossilen Brennstoffen und die Fähigkeit dieser Länder, ihre Wirtschaft rechtzeitig zu diversifizieren (Fat‐ touh et al. 2019). Venezuela und Bolivien werden als Verlierer der globalen Energiewende bezeichnet, da sie wahrscheinlich einen Niedergang ihrer Produktion erleben werden, ohne nachhaltige und rentable Alternativen aufbauen zu können (Valdivia/Lyall 2019). Der Rückgang der Exportein‐ nahmen fossiler Brennstoffe und die danach folgende Umsetzung restrik‐ tiver Fiskalpolitiken können neuen geopolitische Krisen in der Region provozieren. Luíza Cerioli 50 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb 4.4 Grüne Industrialisierung Grüne Industriepolitik bedeutet, sozioökonomische Bedürfnisse mit Um‐ weltschutzmaßnahmen zu verbinden, die Wirtschaft durch die Schaffung strategischer Industrien aktiv umzustrukturieren, Exporteinnahmen zu er‐ halten oder zu steigern und Jobs und die Sozialsysteme auszubauen (Allan et al. 2021, s. Dietz in diesem Band). Einige Autor:innen argumentieren, dass Länder des Globalen Südens durch industriepolitische Maßnahmen neue Synergien zwischen globalen Klimaschutzzielen und nationalen Ent‐ wicklungsbestrebungen imitieren können (Lema et al. 2020, Müller 2023). Idee dabei ist, Industriesektoren vertikal und horizontal miteinander zu verbinden und dabei allmählich grüne Technologien selbst herzustellen. Entwicklungstheoretisch erscheinen diese Ideen jedoch problematisch. Ökonomische Aufholprozesse hängen vom Zugang zu Technologie und deren endogener Entwicklung ab (Nem Singh 2023). Ein großes Problem für Investitionen in Lateinamerika sind weiterhin die hohen Finanzierungs‐ kosten und bestehende makroökonomische Risikofaktoren wie Inflation, die Investor:innen eher entmutigen. Wichtiger noch ist, dass im Bereich der Schlüsseltechnologien eine große technologische Lücke besteht. Lateiname‐ rika könnte durch die angestrebte Industriepolitik somit in Abhängigkeit zu denjenigen Akteuren geraten, die die benötigte Technologie in diesem Sek‐ tor besitzen. Da die Industrieländer jedoch Maßnahmen zum Schutz ihrer Technologien ergreifen, kann dies den sektoralen Wandel in Lateinamerika verlangsamen. Brasilien, Chile, Kolumbien und Argentinien versuchen von der geopoli‐ tischen Konkurrenz zu profitieren, um strategische Vorteile aus BRI, GG und PGII für ihre Entwicklungsprojekte zu gewinnen. Sie haben das Poten‐ zial, Industriekapazitäten im Zusammenhang mit Lithium-, Kobalt-, Phos‐ phat-, Eisen- oder Nickelabbau zu entwickeln und aufzubauen und damit wirtschaftliche Transformationsprozess einzuleiten (International Energy Agency 2023). Chile und Brasilien führen damit die Debatte um grüne Industrialisierung an. Das chilenische Modell nutzt den Reichtum an Roh‐ stoffen und die relative politische Stabilität, um Investitionen im Sektor der erneuerbaren Energie anzuziehen. Diese finanziellen Mittel sollten be‐ nutzt werden, um die Technologien und das Know-how zu erhalten und die Position des Landes in der Produktionskette für Lithiumbatterien zu verbessern. Außerdem zielt Chile darauf ab, Solar- und Windenergie zur Erzeugung von grünem Wasserstoff zu nutzen, um seinen Bergbau- und Industriesektor zu versorgen und letztlich den Export damit zu stärken. Zu Die Geopolitik der Energiewende und die Rekonfiguration globaler Machtverhältnisse 51 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb diesem Ziel hat Chile Partnerschaften mit US-amerikanischen und europä‐ ischen Unternehmen geschlossen. Umgekehrt hat sich Brasilien auf das sogenannte Powershoring konzen‐ triert, das heißt es zielt auf transnationale Unternehmen, die ihre Pro‐ duktionsstrategie dezentralisieren und ihre Industrieanlagen an Standorte verlagern wollen, die sauberere, billigere und sicherere Energie anbieten. Brasilien verfügt über eines der emissionsärmsten Stromnetze weltweit, produziert in großem Umfang Biokraftstoffe und entwickelt eine Infra‐ struktur sowohl für Carbon Capturing als auch zur Wasserstoffproduktion (International Energy Agency 2023). Mit der Rückkehr Präsident Lulas in die Regierung im Jahr 2023 entwarf die brasilianische Regierung Reformen, um transnationalen Unternehmen Anreize zu bieten, einschließlich der Schaffung Freier Exportzonen (FEZ), um damit ausländische Investitionen anzulocken. Im Juni 2023 kündigte Brasilien eine neue industriepolitische Maßnahme an, die darauf abzielt, das verarbeitende Gewerbe zu moderni‐ sieren und den Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit und technologische Inno‐ vation zu legen. Das chinesische Automobilunternehmen BYB hatte einen Investitionsplan veröffentlicht, um Brasilien zu seinem ersten E-Batterie- Hersteller außerhalb Asiens zu machen (Martin/Tavera 2024). Die BRI entfaltet von den drei zuvor analysierten internationalen Ent‐ wicklungsinitiativen eindeutig die größte Wirkung in Lateinamerika. Chi‐ nesische Unternehmen investierten in große Infrastruktur- und Verkehrs‐ projekte in der Region und gewährten dafür Kredite. Seit 2015 fokussiert sich China auf kleinere, aber schnellere Projekte in Lateinamerika, die insbesondere in den Bereichen Strom- und Internetverbindungen und E- Mobilität zu verorten sind. Im Bereich der erneuerbaren Energien konzen‐ trierte sich China auf die sogenannten neuen Drei: Elektromobilität, Lithi‐ um-Ionen-Batterien und Solarzellen. Im Jahr 2021 überstiegen die Exporte dieser Produkte nach Lateinamerika 5 Milliarden US-Dollar (Myers / Ray 2023). Brasilien erhält die meisten dieser Produkte, aber die Exporte in die gesamte Region wachsen weiter. Das bedeutet jedoch nicht, dass chine‐ sische Unternehmen ihr internationales Engagement bei der Gewinnung strategischer Rohstoffe drosseln, wie ihre Beteiligung an Bergbauvorhaben in Bolivien, Peru und Chile zeigt (s. den Beitrag von Rodriguéz in diesem Band). Die EU-Latin America and the Caribbean Global Gateway Investment Agenda (GGIA) wurde im Jahr 2023 eingeführt, um Infrastruktur-, Digita‐ lisierungs- und Nachhaltigkeitsprojekte zu fördern. Von den 28 Projekten, die 2023 für Lateinamerika angekündigt wurden, beziehen sich 20 auf den Luíza Cerioli 52 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Aufbau von Wasserstoff-, Solar- und Windparks (van de Graaf et al. 2024). Allerdings sind die Vereinbarungen in Bezug auf Investitionspakete und Umsetzungsfahrpläne noch unklar (Melguizo/Torreblanca 2023). Bislang hat die GG-Initiative nicht ausreichend Kapital mobilisiert, um ihren stra‐ tegischen Nachteil gegenüber China in der Region zu verändern. Trotz Wasserstoffallianzen in Chile und Brasilien und digitalen Konnektivitäts‐ programmen wie Building the Europe Link to Latin America (BELLA) ent‐ fallen auf die Region weniger als 30 Prozent der aktuellen GG-Investitionen weltweit. Gleichzeitig haben lateinamerikanische Akteure die EU-Protekti‐ onsmaßnahmen kritisiert, insbesondere der CBAM, den Präsident Lula auf der COP28 als „diskriminierend“ bezeichnete (Weise 2023). Das Gleiche gilt bisher für die PGII. Die US-Regierung hat zwar ihr Interesse bekundet, die Americas Partnership Platform zu nutzen, um die öffentlich-private Zu‐ sammenarbeit bei Infrastruktur- und Entwicklungsprojekten zu erleichtern, aber die Ergebnisse sind noch nicht absehbar. 5 Fazit Viele lateinamerikanische Akteure sehen in der Energiewende eine Chance, ihre eigenen Entwicklungsziele zu erreichen. Sie wollen ihren Ressourcen‐ reichtum nutzen, um ihre Position in den globalen Produktionsnetzen zu verändern und eine nachhaltige Wirtschaft zu fördern. Die Region steht jetzt vor der Herausforderung, die angesprochenen geopolitischen Veränderungen in einen Vorteil zu verwandeln und sowohl nationale Ent‐ wicklungserfolge zu realisieren, als auch international eine neue Rolle zu finden. Verschiedene Staaten suchen bereits nach Alternativen, die ihre sozioökonomischen Bedingungen verbessern, ohne ihre Abhängigkeit von transnationalem Kapital oder neuer Technologie zu erhöhen oder extrakti‐ vistische Aktivitäten auszuweiten, die oft lokalen Gemeinschaften schaden. Chile, Brasilien, Kolumbien und Argentinien versuchen mit verschiedenen Strategien, die notwendigen Investitionen und Technologien anzuziehen (Milanez/Dorn 2024). Die geopolitischen Aspekte der Energiewende erschweren jedoch die Entscheidungsfindung. Sie schaffen zwar Möglichkeiten für Investitionen, verringern aber den Spielraum für den Technologie- und Wissenstransfer, da die globale Konkurrenz zu Protektionismus und anderen restriktiven Maßnahmen führt. Will Lateinamerika neue Opportunitätsfenster nutzen, braucht die Region progressive stabile Entwicklungskoalitionen, die in der Die Geopolitik der Energiewende und die Rekonfiguration globaler Machtverhältnisse 53 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Lage sind, internationale Unsicherheit und technologische Abhängigkeiten anzugehen und eine klare Entwicklungsvision für ihre Länder zu entwer‐ fen. Der Erfolg hängt von der Fähigkeit der jeweiligen Staaten und loka‐ len Akteure ab, nachhaltige Entwicklungsprozesse durch die Umsetzung verschiedener finanz-, industrie- und verteilungspolitischer Maßnahmen zu steuern (siehe Burchardt in diesem Band). Diese Ziele sind schwer zu erreichen, da die Entscheidungsprozesse von konkurrierenden Akteuren gestaltet werden und der Transformationsprozess soziale Spannungen, po‐ litische Verwerfungen und ökonomische Krisen hervorrufen wird. Hinzu kommt, dass Akteure, die auf Rohstoffexport setzen, in der Region traditio‐ nell eine starke Vetomachtposition haben. In diesem Kontext werden neue Unsicherheiten, die sich aus geopolitischen Verschiebungen ergeben, eine klare Strategie und ein deutliches Bekenntnis zu einer just transition in Lateinamerika auch in Zukunft erschweren. 6 Literatur Allan, Bentley; Lewis, Joanna I.; Oatley, Thomas (2021): Green Industrial Policy and the Global Transformation of Climate Politics, in: Global Environmental Politics 21, 1–19. DOI: 10.1162/glep_a_00640. Barberón, Agustín (2023): Geopolítica y Transición Energética en el Tríangulo del Litio: un análisis entre Argentina, Bolivia y Chile, in: Revista CEERI Global 2, 79–97. 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Die Geopolitik der Energiewende und die Rekonfiguration globaler Machtverhältnisse 57 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://www.politico.eu/article/brazil-anger-eu-carbon-tax-infiltrates-cop28-luiz-ignazio-lula-da-silva-china-india-south-africa https://www.politico.eu/article/brazil-anger-eu-carbon-tax-infiltrates-cop28-luiz-ignazio-lula-da-silva-china-india-south-africa https://www.politico.eu/article/brazil-anger-eu-carbon-tax-infiltrates-cop28-luiz-ignazio-lula-da-silva-china-india-south-africa https://www.politico.eu/article/brazil-anger-eu-carbon-tax-infiltrates-cop28-luiz-ignazio-lula-da-silva-china-india-south-africa https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Energiewende, Machtkämpfe und Konflikte um Ökologie. Kritische Rohstoffe und geopolitische Spannungsfelder zwischen Lateinamerika und China Fabricio Rodríguez 1 Einleitung Die globale Energiewende, der Übergang von fossilen zu erneuerbaren En‐ ergiequellen, ist ein zentraler Bestandteil der internationalen Klimapolitik. Sie wird oft als wesentlicher Schritt hin zu einer nachhaltigen Zukunft betrachtet und steht in einem Zusammenhang mit der Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Kohlendioxid-Emissionen. Dieses Vorhaben, be‐ kannt auch als Dekarbonisierung, ist in der Volksrepublik China (China) seit 2020 zu einem strategischen Handlungsfeld deklariert worden, das sowohl nationale als auch transnationale Implikationen hat (Xinhuanet 2020).1 Allerdings bringt diese Transformation nicht nur technische und wirtschaftliche Herausforderungen mit sich, sondern auch neue geopoliti‐ sche Spannungen. Energie und imperiale Macht sind historisch betrachtet stets eng miteinander verbunden. Die europäische Kolonisierung der Ame‐ rikas nutzte Windkraft und Schiffe, um versklavte Menschen und Waren zu transportieren. Wasserräder, tierische Muskelkraft sowie die Verbrennung von Holz und Holzkohle ermöglichten im 16. Jahrhundert die gewaltsame Aneignung von Land und die Errichtung kolonialer Handelswege (Mintz 1985; Moore 2009; Backhouse et al. 2019). Im 19. Jahrhundert bildete der Abbau von Kohle die materielle Grundlage für das British Empire, wäh‐ rend im 20. Jahrhundert die Gewinnung und Verbrennung von Erdöl die wirtschaftliche, politische und militärische Expansion der USA ermöglichte (Moore 2009; Stürmer 2012; Mitchell 2013; Alimonda 2015). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit Chinas anhal‐ tender Vorstoß im globalen Wettrennen um erneuerbare Energien die materiellen Grundlagen des 21. Jahrhunderts verschiebt und welche Rolle 1 Xi Focus: Xi announces China aims to achieve carbon neutrality before 2060, Xin‐ huanet, http://www.xinhuanet.com/english/2020-09/23/c_139388764.htm, letzter Aufruf: 20.06.2024. 59 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb http://www.xinhuanet.com/english/2020-09/23/c_139388764.htm http://www.xinhuanet.com/english/2020-09/23/c_139388764.htm https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Lateinamerika in diesem Zusammenhang einnimmt. Diese geopolitischen Spannungen sind historisch betrachtet sehr bedeutend, jedoch nicht auf die bilateralen Beziehungen zwischen Lateinamerika und China beschränkt. Auch die Interessen Europas, nicht zuletzt der Europäischen Union (EU) und der USA spielen eine bedeutende Rolle. Aus Sicht der EU sind kriti‐ sche Rohstoffe „Rohstoffe von großer wirtschaftlicher Bedeutung […], bei denen aufgrund der Konzentration der Bezugsquellen und des Mangels an guten, erschwinglichen Ersatzstoffen ein hohes Risiko von Versorgungs‐ unterbrechungen besteht.“2 Die EU hat im Rahmen des European Green Deal eigene Ziele für die Reduktion von Treibhausgasemissionen und die Förderung erneuerbarer Energien gesetzt, was den Bedarf an kritischen Rohstoffen erhöht und entsprechende Strategien hervorruft (Kampourakis 2024). Ähnlich verhält es sich mit den USA, die durch den Inflation Re‐ duction Act unter der Regierung Biden eine verstärkte Hinwendung zu erneuerbaren Energien und Elektromobilität erlebten (Barbanell 2023). Kritische Rohstoffe wie Kupfer und Lithium sind unerlässlich für die Herstellung von Batterien, Solarzellen und anderen Technologien, die den Kern der erneuerbaren Energien bilden (Marscheider-Weidemann et al. 2016). Chile, Peru, Bolivien, Argentinien (und im geringeren Maß auch andere lateinamerikanischen Länder) verfügen über bedeutende Vorkom‐ men dieser Elemente, was sie zu einem begehrten Ziel für Bergbauinvesti‐ tionen aus China macht. Mit dem Ziel, Versorgungsengpässe in für die Energiewende relevanten Lieferketten zu vermeiden, kontrollieren chinesi‐ sche Unternehmen dank staatlicher Unterstützung weltweit den Abbau, die Weiterverarbeitung und den Konsum kritischer Rohstoffe wie Kupfer, Lithium, Kobalt und seltener Erden (IEA 2024). Für verschiedene latein‐ amerikanische Länder könnte diese Entwicklung zu einer Verschiebung der ökonomischen und technologischen Abhängigkeiten weg vom Westen und hin zu China führen. Für die politische Führung Chinas stellt Lateinamerika zudem eine stra‐ tegische Arena dar, die weiterhin geopolitisch von den USA dominiert wird. Eine verstärkte ökonomische und diplomatische Präsenz in dieser Region dient der politischen Führung in Peking dazu, den globalen Einfluss Chinas entgegen der hegemonialen Machtstellung der USA zu stärken (Yu 2015; Rodríguez/Rüland 2022). Der Zugang zu kritischen Rohstoffen ist 2 Ein EU-Gesetz zu kritischen Rohstoffen für die Zukunft der EU‑Lieferketten, Europäi‐ scher Rat, https://www.consilium.europa.eu/de/infographics/critical-raw-materials/, letzter Aufruf: 31.07.2024. Fabricio Rodríguez 60 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://www.consilium.europa.eu/de/infographics/critical-raw-materials/ https://www.consilium.europa.eu/de/infographics/critical-raw-materials/ https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb in diesem Zusammenhang auch mit der Frage verknüpft, ob es China im Kontext der Klimakrise gelingen wird, die energetische Basis und damit auch die zukünftigen Machtverhältnisse entgegen westlicher Interessen um‐ zugestalten. Diese Dynamik verursacht und verschärft eine Vielzahl bekannter Kon‐ flikte, die in Debatten über Extraktivismus (Gudynas 2020; Dietz/Engels 2018) oder Dependencia (Santos 1968, Cardoso/Faletto 1973; Jenkins 2012) seit vielen Jahren thematisiert werden. Viele der abbaubaren Gebiete sind ökologisch sensibel und Lebensraum indigener Völker, deren Wirt‐ schaftsweisen kaum zur Erderwärmung und Klimakrise beigetragen haben. Gleichzeitig bleiben die Interessen der Industrieländer und nationaler Eli‐ ten bestehen, sich uneingeschränkten Zugang zu diesen Rohstoffen zu ver‐ schaffen, wenn nötig auch mit Gewalt. Wie verändert sich die internationale Arbeitsteilung im Kontext von Energiewende und welche geopolitischen Spannungsfelder entstehen im Wettbewerb um einen sicheren Zugang zu den neuen strategischen Res‐ sourcen? Um diese Frage zu beantworten, gehe ich in diesem Beitrag folgender‐ maßen vor. Kapitel zwei diskutiert die globale Energiewende im Kontext von Dekarbonisierung und Extraktivismus. Kapitel drei veranschaulicht die mit chinesischen Bergbauinvestitionen verbundenen Herausforderun‐ gen anhand des Kupferabbaus in Peru. Obwohl dieser Fall nicht reprä‐ sentativ für alle chinesischen Bergbauinvestitionen in Lateinamerika ist, verdeutlicht er einige der geopolitischen Spannungen, mit denen China und Lateinamerika im Zuge der globalen Energiewende konfrontiert sind. Kapitel vier thematisiert die wichtigsten Spannungsfelder, die sich aus der vorangehenden Diskussion ergeben. Kapitel fünf schließt die Analyse ab. 2 Energiewende, Dekarbonisierung und Extraktivismus Seit Anfang der 2000er Jahre ist eine strukturelle Verschiebung in der inter‐ nationalen Arbeitsteilung zu beobachten. Chinas zunehmend wichtige Rol‐ le in der Weltwirtschaft zeigt sich deutlich im globalen Energieverbrauch und der rasanten technologischen Vorreiterrolle in Bereichen wie Robotik, Nanotechnologie und künstlicher Intelligenz. Im Jahr 2000 waren die USA noch der größte Energiekonsument der Welt mit einem Verbrauch von 2.269 Millionen Tonnen Öläquivalent (MTOE), fast doppelt so viel wie China, das damals bei 1.161 MTOE lag. Doch zwischen 2000 und 2009 Energiewende, Machtkämpfe und Konflikte um Ökologie 61 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb änderte sich dies: Chinas Energieverbrauch überholte den der USA. Wäh‐ rend die Wirtschaft in vielen westlichen Ländern wegen der Finanzkrise 2008/2009 stagnierte, stieg Chinas Energieverbrauch weiter an und stabi‐ lisierte sich ab 2014 bei geringeren Wachstumsraten (Enerdata 2016; Ro‐ dríguez 2020). Allmählich ist die chinesische Wirtschaft auch ein führender Technologiestandort, der den Zugang zu und die Weiterverarbeitung von mehreren kritischen Rohstoffen dominiert. Diese Aspekte lösen Unbehagen im Westen aus. Aus Sicht der EU ist China deshalb nicht nur ein wichtiger Handelspartner, sondern auch „ein wirtschaftlicher Konkurrent in Bezug auf technologische Führung und ein Systemrivale, der alternative Governance-Modelle propagiert“ (EU Kom‐ mission 2019: 1). Dabei ist die jüngere Geschichte des chinesischen Wirtschaftswunders nicht ohne Weiteres vom Westen zu trennen. Von Anfang an wurde die Marktöffnung Chinas, die Ende der 1970er Jahre begann, als ein Prozess verstanden, der westliche Kapitalquellen und Hightech-Innovationssysteme mit einem enorm großen Pool an kostengünstigen und qualifizierten Ar‐ beitskräften kombiniert (Butollo 2014). Der Drang des Westens zur Moder‐ nisierung führte zur Ausweitung der Geschäftstätigkeiten seiner Unterneh‐ men auf chinesische Produktionsstandorte. Diese Unternehmen erhofften sich nicht nur eine Steigerung ihrer Gewinne durch größere Marktnähe. Sie konnten dadurch auch die ökologischen Folgekosten ihrer kohlenstoff‐ intensiven Produktionsketten auslagern (Malm 2012). Dennoch ist der internationale Druck auf China in den letzten Jahren ge‐ wachsen, dem anhaltenden Anstieg der CO2-Emissionen im Zuge der Kli‐ makrise entgegenzuwirken. Umweltverschmutzung und schlechte Luftqua‐ lität wurden in den urbanen Zentren des Landes außerdem zu einem sen‐ siblen Politikum, das klare Handlungsperspektiven seitens der politischen Führung der Kommunistischen Partei erforderte. Auf dem internationa‐ len Parkett der Klimaverhandlungen nutzte die chinesische Führung den historischen Mangel an politischer Verantwortung unter der Trump-Regie‐ rung in den USA geschickt für ihre Reputation als aufstrebende Weltmacht. Vor diesem Hintergrund kündigte Präsident Xi Jinping im September 2020 an, dass China den Höhepunkt der CO2-Emissionen vor 2030 erreichen und bis 2060 kohlenstoffneutral sein wolle (Hongqiao 2022). Chinas Dekarbonisierungspolitik zeichnet sich durch mehrere Strategi‐ en aus. Diese zielen hauptsächlich auf eine Entkoppelung der Wirtschafts‐ leistung von den Treibhausgasemissionen bei gleichzeitiger Steigerung der technologischen Innovation ab. Der aktuelle 14. Fünfjahresplan (2021-2025) Fabricio Rodríguez 62 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb legt großen Wert auf die Förderung erneuerbarer Energien und die Verbes‐ serung der Energieeffizienz. Die chinesische Regierung hat massive Investi‐ tionen in Photovoltaik- und Windkraftprojekte getätigt und Subventionen sowie günstige Finanzierungsbedingungen geschaffen, um den Ausbau die‐ ser Technologien zu fördern. Diese Dekarbonisierungsmaßnahmen gehen Hand in Hand mit der flächendeckenden Ausweitung der Digitalisierung, was zu einem rasanten Anstieg des nationalen Stromverbrauchs geführt hat. Dieser Umstand, gepaart mit der massiven Ausweitung von Infrastrukturen wie Bahnlinien, Häfen, Straßen, Brücken und digitalen Kommunikations‐ netzen, hat dazu geführt, dass etwa die Hälfte der weltweiten Nachfrage nach Kupfer als stromleitendes Element auf die chinesische Wirtschaft zurückzuführen ist (IEA 2024). Ein Kernstück der allgemeinen Energiepolitik Chinas stellt die Förde‐ rung von naturwissenschaftlicher Forschung als Antrieb von technologi‐ schen Innovationen in Bereichen wie Energiespeicherung, intelligente Stromnetze und kohlenstoffarme Mobilität dar. Diese Technologien sollen langfristig dazu beitragen, den CO2-Ausstoß zu senken und die Energieeffi‐ zienz zu steigern. Frühere Studien haben dennoch erwiesen, dass eine Ab‐ nahme der Materialintensität keineswegs automatisch mit einer Reduktion des materiellen Fußabdrucks einhergeht. Im Gegenteil, je ressourceneffizi‐ enter die chinesische Wirtschaft geworden ist, desto stärker ist auch der absolute Rohstoffverbrauch gewachsen (Rodríguez 2020: 102). Seit 2005 ist die Energieintensität des Bruttoinlandsprodukts deutlich gesunken, doch dies ändert wenig am steigenden materiellen Bedarf der chinesischen Wirt‐ schaft. Chinas Energieverbrauch hat sich in den letzten zwanzig Jahren verdoppelt. Demzufolge ist China einerseits beim Ausbau seiner Photovol‐ taik-Kapazitäten schneller als kaum ein anderes Land. Andererseits stam‐ men mehr als 60 Prozent der Stromerzeugung aus Kohle, während neue Kohlekraftwerke gebaut werden (IEA 2024). Diese widersprüchliche Tendenz wird in der chinesischen Automobil‐ branche ebenfalls deutlich. China fördert aktiv die Entwicklung und den Einsatz von Elektrofahrzeugen. Dazu unterstützt der Staat die Indus‐ trie durch Subventionen, steuerliche Anreize und den Ausbau der Lad‐ einfrastruktur. Und dennoch: obwohl der individuellen Elektromobilität (hauptsächlich E-Autos) eine zentrale Rolle in puncto Dekarbonisierung zukommt, ist China der zweitgrößte Ölverbraucher der Welt bei einer ho‐ Energiewende, Machtkämpfe und Konflikte um Ökologie 63 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb hen Abhängigkeit von fossilen Energieimporten.3 Gleichzeitig beherbergt China 70 Prozent der weltweiten Produktionskapazitäten für Batterien von Elektrofahrzeugen (ebd.), wobei ein Drittel dieser Kapazitäten allein in der Provinz Jiangsu an der Ostküste Chinas angesiedelt ist. Die starke Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen ist in China wie in vielen anderen Ländern ein großes Hindernis für die Reduzierung von Treibhausgasen. Trotz massiver Investitionen in den Ausbau der erneuerba‐ ren Quellen ist der Energiesektor in China für fast 90 Prozent der Treib‐ hausgasemissionen des Landes verantwortlich. Das belastet nicht nur den nationalen, sondern auch den globalen Energiemix, der weiterhin zu 80 Prozent aus fossilen Energieträgern (Kohle, Gas, Erdöl) besteht (Enerdata 2024). Dieses Muster spiegelt sich auch in den energierelevanten Investitio‐ nen chinesischer Unternehmen in Lateinamerika wider. Obwohl es eine Tendenz zur Diversifikation chinesischer Kapitalflüsse im Bereich der er‐ neuerbaren Energien gibt, bleiben Erdöl und Gas das Hauptziel, während große Investitionen in Wind, Solar- und Wasserkraftanlagen noch keine Garantien für eine nachhaltigen Operationsweise bieten (AEI 2023). Coca Codo Sinclair, Ecuadors größtes Wasserkraftwerk, das von chine‐ sischen Unternehmen und staatlichen Banken gebaut wurde, verdeutlicht diese Problematik. Finanzielle Schwierigkeiten ergaben sich durch Kosten‐ überschreitungen und hohe Schulden bei chinesischen Kreditgebern. Um‐ weltprobleme wie Schäden am Amazonas-Regenwald und die Zerstörung von Lebensräumen indigener Gemeinschaften verschlimmern die Situati‐ on. Die fehlende Transparenz und Korruptionsvorwürfe gegen beteiligte chinesische Firmen und ecuadorianische Politiker:innen belasten das Pro‐ jekt zusätzlich. Diese Probleme beeinträchtigen nicht nur die Energiever‐ sorgung und den Übergang zu sauberer Energie, sondern auch das Vertrau‐ en in große Infrastrukturprojekte und internationale Partnerschaften mit chinesischen Unternehmen (Casey/Krauss 2018; Garzón/Castro Salgado 2018; Rodríguez/Gurol 2023). 3 Im Jahr 2023 importierte China etwa 18,1 Prozent seines gesamten Erdöls aus Russland. Aus Saudi-Arabien kamen im gleichen Jahr etwa 14,3 Prozent der Erdöleinfuhren. Malaysia war das drittwichtigste Land für Chinas Erdölimporte mit einem Anteil von rund 11 Prozent. Außerdem bezieht China etwa 20 Prozent seines Erdöls aus der Golf- Region, zu der Irak, Oman, die Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait gehören, während Brasilien nach Daten der IEA für 2023 etwa 6 Prozent der chinesischen Erdölimporte bediente. Fabricio Rodríguez 64 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb 3 Das Beispiel Kupfer Kupfer ist aufgrund seiner Leitfähigkeit und formbaren Eigenschaften für die Leitung und Verteilung von Strom unverzichtbar. Große Mengen davon fließen in groß angelegte Urbanisierungs-, Infrastruktur- und Digitalisie‐ rungsprojekte, die ländliche Städte mit Industriezentren durch Stromnetze verbinden. Kupfer ist außerdem zentral für den Bau von Windkraftanlagen, Photovoltaikanlagen und Wasserkraftwerken und stellt somit ein Schlüssel‐ produkt für die Umsetzung der nationalen Dekarbonisierungsagenda und der Belt and Road Initiative. Dabei ist China je nach kritischem Rohstoff und Wertschöpfungsstufe mehr oder weniger abhängig von Importen aus anderen Ländern (IEA 2024). Während China den Abbau und die Verarbeitung von seltenen Er‐ den dominiert und die globale Versorgung mit diesen kritischen Rohstoffen von chinesischen Staatsunternehmen abhängt, fürchtet sich der Staat vor Versorgungsengpässen in anderen Bereichen. Chinas Bemühungen, auslän‐ dische Mineralien zu sichern, setzte bereits während der 1990er Jahre ein. In einem 2003 veröffentlichten White Paper kommunizierte die chinesische Regierung ihren Bedarf nach Rohstoffen offen mit der Welt4 (The People’s Republic of China 2003, 2012). Darin stellte sich die politische Elite des Landes hinter Chinas staatlichen Bergbauunternehmen und hielt diese an, nach Bergbauprojekten im Ausland zu suchen. China ist heute für fast die Hälfte des weltweiten Mineralienverbrauchs verantwortlich (Stürmer 2012, Marscheider-Weidemann 2016). Dabei bleibt die Importabhängigkeit bei wichtigen Industrie- und Baumaterialien wie Eisenerz, Kupfer, Aluminium, Blei und Zink eine anhaltende Herausforderung (PRC 2013, IEA 2024). Vor diesem Hintergrund sind chinesische Staatsunternehmen weltweit in der Rohstoffgewinnung tätig und expandieren zunehmend auch in La‐ teinamerika. Diese Expansion geht häufig mit großen sozial-ökologischen Herausforderungen einher. Chinesische Bergbauunternehmen sehen sich kontinuierlich mit Vorwürfen rund um Umweltverschmutzung, Menschen‐ rechtsverletzungen, Landvertreibung und Korruption konfrontiert, was auch in der europäischen Öffentlichkeit gerne kritisiert wird. Dennoch sind diese Praxen nur schwer vom problematischen Verhalten westlicher Berg‐ baukonzerne zu trennen. Im Gegensatz, der chinesische Extraktivismus ist nicht nur ähnlich problematisch wie der europäische oder nordamerikani‐ 4 The People’s Republic of China (2003): China’s Policy on Mineral Resources. Siehe auch: The People’s Republic of China (2012): ‘China’s Energy Policy.’ Energiewende, Machtkämpfe und Konflikte um Ökologie 65 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb sche Extraktivismus. Chinesische Bergbauinvestitionen bauen oft auf Struk‐ turen, Elitenkonstellationen und Praxen, die von westlichen Unternehmen und Investoren überhaupt erst identifiziert, stabilisiert oder geschaffen worden sind. Das Beispiel der von chinesischen Bergbauunternehmen betriebene Kupfermine Las Bambas in den peruanischen Anden veranschaulicht die‐ ses Phänomen (Bazán Seminario 2023; Rodríguez/Bazán Seminario 2023). Ursprünglich befand sich Las Bambas im Besitz des schweizerisch-briti‐ schen Bergbaukonzerns Xstrata. Dieser hatte Bergbaukonzessionen für den Betrieb der Kupfermine sowie für die in der Region Apurimac nahegele‐ gene Kupfermine Tintaya in der Region Cuzco erworben. Beide Minen liegen in über 4.000 Meter Höhe in den peruanischen Anden, wo mehr als 80 Prozent der Bevölkerung Quechua als ihre Muttersprache haben (INEI 2018:37). Im Jahr 2012 fusionierte Xstrata mit dem Schweizer Berg‐ baukonzern Glencore. Ziel von Glencore/Xstrata war es, den überregiona‐ len Bergbau von der Förderung über den Handel bis hin zu Lagerung und Transport unter einem Unternehmensdach zu kontrollieren (Ross/Zhou 2013). Um ein Monopol nach den Regeln der Welthandelsorganisation zu vermeiden, musste Glencore/Xstrata jedoch die Kupfermine Las Bambas verkaufen (Sanborn/Chonn 2015: 8). Darauf hatte die chinesische Regie‐ rung bei den internationalen Verhandlungen bestanden. In Folge dessen, erwarb MMG Ltd. (der transnationale Arm der staat‐ lichen China Minmetals) die peruanische Kupfermine Las Bambas von Glencore/Xstrata für 5,9 Milliarden US-Dollar im Jahr 2014. MMG über‐ nahm 62,5 Prozent des Eigentums an Las Bambas und bildete ein Konsor‐ tium mit Guoxin International Investment (22,5 Prozent) und der staats‐ eigenen CITIC Metal (15 Prozent). Die Chinesische Entwicklungsbank CDB unterstützte die Transaktion mit einer Kombination aus Beteiligungs‐ kapital und staatlich verbürgten Krediten. Diplomatische Kontakte wurden zudem genutzt, um die politische Unterstützung des peruanischen Staates auf nationaler und subnationaler Ebene zu gewinnen (Rodríguez/Bazán Seminario 2023). Die Kupfermine Las Bambas bedient sowohl den kritischen Kupferbe‐ darf Chinas als auch den Traum der peruanischen Eliten, Chile als weltweit führenden Produzenten dieses Metalls abzulösen (Sanborn/Chonn 2015: 7). Doch für die von den Bergbauaktivitäten direkt betroffenen indigenen Gemeinden in Apurimac ist der Abbau von Kupfer mit gewaltigen Heraus‐ forderungen und Konflikten verbunden. Im Falle von aufkommenden Dif‐ ferenzen zwischen der Mine und der dort ansässigen Bevölkerung schützt Fabricio Rodríguez 66 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb der Sicherheitsapparat des peruanischen Staates das Bergbauunternehmen. Weil der peruanische Staat vom Kupferexport abhängig ist, und weil der peruanische Bergbau seit Staatsgründung zum nationalen Selbstverständnis propagiert worden ist, operiert der Staat zu Gunsten der Investoren und nicht der dort ansässigen Gemeinden. So kommt es zu einer systematischen Repression von Protesten in indigenen Gebieten. Das geht auf die neuere Geschichte des Landes zurück, in der das handelsliberalisierende und auf Privatisierung setzende Credo des Washington Consensus zum dominan‐ ten Wirtschaftsparadigma wurde (Rodríguez/Bazán Seminario 2023). Die in den 1990er Jahren durch den autoritär regierenden Präsidenten Alberto Fujimori angestoßene Liberalisierung der staatlichen Sicherheits‐ dienste sichert bis heute den von Gewalt geprägten Bergbausektor in Peru ab. Eine im Jahr 2002 unter Präsident Alejandro Toledo verabschiedete Reform erlaubt es der peruanischen Nationalpolizei, auf legaler Basis au‐ ßerordentliche Sicherheitsvereinbarungen mit privaten Unternehmen zu schließen (ebd.). So hatte die peruanische Polizei im Jahr 2016 etwa 200 Verträge mit Privatunternehmen unterzeichnet, die 31 Bergbauunterneh‐ men aus unterschiedlichen Herkunftsländern betrafen, darunter auch das chinesische staatliche Bergbaukonzern Las Bambas MMG (RED MUQUI 2016). Wenn sich Protestierende gegen die Mine organisieren, darf Las Bambas MMG etwa 30 US-Dollar pro Tag an die geliehenen Polizist:in‐ nen zahlen, damit diese die Versammlungen notfalls mit extremer Gewalt auflösen. Das Abkommen zwischen der Mine und dem Regionalbüro der Nationalpolizei in Cuzco legt fest, dass die Nationalpolizei in extremen Fällen Gewalt anwenden darf, um das Leben der Minenarbeiter:innen zu schützen (Rodríguez/Bazán Seminario 2023). 4 Ökologie, Technologie und Autoritarismus Der Zugang zu als auch die Weiterverarbeitung von kritischen Rohstoffen sind von zentraler Bedeutung für den chinesischen Staat, denn diese stellen die materielle Basis der chinesischen Vision einer ökologischen Zivilisation dar (Geall/Ely 2018, Li/Shapiro 2020, DeBoom 2021, Tyfield/Rodríguez 2022). Um die gegenwärtige ökologische Krise zu bewältigen, greift die chinesische Regierung auf dieses Konzept zurück, dessen Ursprung Lao Tze vor 2.500 Jahren zusammengefasst hat. Lao Tze beschrieb das Verhält‐ nis des Menschen zur Natur als eine harmonische Beziehung, in der die Gesellschaft im Einklang mit den natürlichen Gesetzen der Erde und des Energiewende, Machtkämpfe und Konflikte um Ökologie 67 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Himmels agiert, wobei diese Gesetze dem großen Tao (göttlicher Weg) und dem Lauf der Natur folgen (Pan 2016: 35). In jüngerer Zeit hat die Kommunistische Partei Chinas das Konzept der ökologischen Zivilisation jedoch an ihre politischen Ziele angepasst. Zu‐ sammenfassend dient dieses als nationales Leitbild, um Wirtschaftswachs‐ tum und Nachhaltigkeit durch technologischen Fortschritt und eine autori‐ täre Regierungsweise in Einklang zu bringen (Li/Shapiro 2020; DeBoom 2021; Tyfield/Rodríguez 2022). Dabei stellt Ökologie ein strategisches Handlungsfeld dar, das die Output-Legitimität des chinesischen Staats durch historische und kulturell verwurzelte Narrative untermauern soll. Indem die Kommunistische Partei Chinas die ökologische Zivilisation als einheitliches nationales Ziel darstellt, symbolisiert sie Fortschritt und wirbt für den chinesischen Sozialismus als Weg zur nationalen Verwirklichung. Die Partei inszeniert sich dabei als die einzige politische Kraft, die fähig ist, China in eine nachhaltige Zukunft zu führen (Westmann/Huang 2022: 190). Der Ausbau von großangelegten und landesweit sichtbaren Infrastruktu‐ ren zur Förderung der erneuerbaren Energien (und der elektrischen Mobi‐ lität) versetzen die Kommunistische Partei Chinas in die Lage, das Bild einer handlungsfähigen Organisation zu festigen, das greifbare Lösungswe‐ ge aufzeigt. Darüber hinaus wird die ökologische Zivilisation in weitere nationalistische Diskurse wie die des Chinesischen Traums integriert, was den moralisch verpflichtenden Aspekt des Konzepts unterstreicht. Die Ver‐ bindung von ökologischer Nachhaltigkeit mit dem weiter gefassten Ziel der nationalen Verjüngung fördert ein Gefühl der kollektiven Zielsetzung und des Nationalstolzes, was für die autoritäre Regierungsführung Chinas von zentraler Bedeutung ist. Dieses Verständnis von Macht und Wohlstand reproduziert die Maß‐ stäbe des eurozentrischen Strebens nach Wachstum, Technologie und Ka‐ pitalakkumulation, verändert diese jedoch gleichzeitig. Ein wesentlicher qualitativer Unterschied im Ökologieverständnis der Volksrepublik China liegt in der techno-kulturellen Ausrichtung eines offen autoritären Partei‐ staates auf der Suche nach einer dominanten Stellung im Zeitalter der De‐ karbonisierung. Letzterer stützt sich auf den Einsatz von digitaler Technik, künstlicher Intelligenz und Vorstellungen einer multipolaren Welt, in der China und nicht länger nur der Westen die technologischen und normati‐ ven Parameter des globalen Wandels setzt; also bestimmt wer welche Art von Infrastrukturen wo baut, wer welche Geräte produziert und an wen verkauft. Fabricio Rodríguez 68 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Chinas federführende Rolle in der Elektromobilität bietet einen Einblick in diese Veränderungsprozesse. Der angehende Massenverkauf von Elek‐ troautos, für deren Herstellung und Nutzung immer größere Mengen an Lithium, Kupfer, Aluminium, Kobalt und seltenen Erden vonnöten ist, ver‐ anschaulicht das in China vorherrschende, technifizierte Verständnis von Ökologie und Autoritarismus. Durch die Digitalisierung und Verarbeitung von Big Data ist das Elek‐ troauto eine Mobilitätstechnologie, die ein zunehmendes Maß an Überwa‐ chung und Kontrolle von Menschen ermöglicht. Nicht nur ist die soziale und ökologische Nachhaltigkeit des Elektroautos in Frage zu stellen (Brun‐ nengräber 2020). Das Elektroauto ist mit dem Anspruch einer demokrati‐ schen Energiewende nicht automatisch in Einklang zu bringen (Tyfield 2022). Im Gegenteil, im Bereich der E-Mobilität zeigen die chinesischen Elektroautos, wie technologische Innovationen zur Überwachung genutzt werden können. Diese sind häufig mit fortschrittlichen GPS-Systemen aus‐ gestattet, die es ermöglichen, die Bewegungen der Fahrzeuge in Echtzeit zu verfolgen. Diese Daten können dann von der Regierung genutzt werden, um die Bewegungsfreiheit der Bürger:innen zu überwachen und zu kon‐ trollieren. Unabhängige Medien zufolge, übermitteln mehr als 200 in China aktiven Hersteller, darunter Tesla, Volkswagen, BMW, Daimler, Ford, Gene‐ ral Motors, Nissan, Mitsubishi und das US-amerikanische Unternehmen NIO, Positionsdaten und weitere Informationen an staatlich unterstützte Überwachungszentren ohne das Wissen der Autobesitzer (Kinetz 2018).5 Diese Entwicklungen sind mit Digitalisierungsprozessen verbunden und haben weitreichende Auswirkungen jenseits von China. Chinesische Tech‐ nologieunternehmen wie Huawei und ZTE sind führend in der Entwick‐ lung und dem Export von Kommunikations- und Überwachungstechno‐ logien. Diese sind aufgrund ihrer vergleichsweise niedrigen Produktions‐ kosten bei steigender Qualität weltweit nachgefragt, oft in Ländern mit schwachen demokratischen Institutionen. Ein Beispiel dafür ist der Ein‐ satz chinesischer Überwachungstechnologien in Ländern wie Venezuela. In diesem Zusammenhang spielt die staatliche Firma China National Electro‐ nics Import & Export Corporation (CEIEC) eine zentrale Rolle bei der Bereitstellung digitaler Technologien, die es der venezolanischen Regierung ermöglichen, Kritiker:innen zu überwachen und zu verfolgen. CEIEC ist 5 Kinetz, Erika (30/11/2018): “In China, your car could be talking to the government, AP, https://apnews.com/article/4a749a4211904784826b45e812cff4ca, letzter Aufruf: 06.08.2024. Energiewende, Machtkämpfe und Konflikte um Ökologie 69 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://apnews.com/article/4a749a4211904784826b45e812cff4ca https://apnews.com/article/4a749a4211904784826b45e812cff4ca https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb jedoch nicht nur ein gewöhnliches Technologieunternehmen. Es zählt zu den größten militärischen Auftragnehmern in China und gehört zu den wenigen Verteidigungsfirmen, die von der chinesischen Regierung für den Export ins Ausland zugelassen sind (Soler 2021).6 Überwachungssysteme könnten künftig auch mit Elektroautos aus China mitgeliefert werden, so‐ fern dies von einzelnen lateinamerikanischen Ländern zugelassen wird. Ängste vor autoritärer Kontrolle und eingeschränkter Privatsphäre durch den Einsatz von Tracking Apps, Ortungssystemen und autonome Fahrsys‐ teme haben in China insbesondere im Nachgang der COVID-19 Pandemie ihren berechtigten Platz. Die strikten Maßnahmen zur Eindämmung der 2020 in China ausgebrochenen Pandemie unter dem Schlagwort Zero Covid stellen ein Beispiel für wachsende staatliche Eingriffe in die Privat‐ sphäre mittels neuer Technologien dar (Gurol/Schütze 2022). Zugreisen er‐ forderten obligatorische PCR-Tests an Abfahrts-, Umsteige- und Zielbahn‐ höfen. Die riesigen Mengen an erhobenen Daten wurden in staatlichen Zentren gespeichert und verarbeitet, was wiederum zur Vergabe von QR- Codes an die Bevölkerung führte. Diese QR-Codes fungierten als digitale Durchlasskontrolle und waren für den Zugang zu öffentlichen Einrichtun‐ gen und Dienstleistungen wie U-Bahnen, Schulen und Krankenhäuser un‐ erlässlich. Die farbliche Codierung (grün für vermeintlich risikoarme und rot für risikoreiche Personen) brachte darüber hinaus ein unterschwelliges System der gegenseitigen Kontrolle hervor, das tiefgreifende Auswirkungen auf die Lebensweise der chinesischen Bevölkerung hat (Shapiro/Li 2022: 331). Die umfassende Kontrolle der individuellen Mobilität mittels künstlicher Intelligenz, Gesichtserkennung und Big Data bietet dem chinesischen Staat ein autoritäres Handlungsinstrumentarium, das jenseits von kollektiven Notsituationen auch für die tagtägliche Ordnung des sozialen Lebens von Relevanz bleibt. Autoritäre Politiker:innen und im Sicherheitssektor tätige Unternehmen in anderen Ländern betrachten China daher als technologi‐ sches Innovationszentrum, das Überwachungs- und Kontrolltechnologien weiterentwickeln und exportieren kann. Diese Dynamiken werden inner‐ halb und außerhalb von China durch groß angelegte Infrastrukturinvesti‐ tionen in digitale Netzwerke als Teil der digitalen Belt and Road Intitative 6 Soler, Alessandra (8/9/2021): „Is China exporting its surveillance state to Venezuela? CEIEC has provided defense and surveillance systems to Venezuela, Global Voices, https://globalvoices.org/2021/09/28/is-china-exporting-its-surveillance-state-to-venezu ela/, letzter Aufruf: 06.08.2024. Fabricio Rodríguez 70 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://globalvoices.org/2021/09/28/is-china-exporting-its-surveillance-state-to-venezuela/ https://globalvoices.org/2021/09/28/is-china-exporting-its-surveillance-state-to-venezuela/ https://globalvoices.org/2021/09/28/is-china-exporting-its-surveillance-state-to-venezuela/ https://globalvoices.org/2021/09/28/is-china-exporting-its-surveillance-state-to-venezuela/ https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb weiter gestützt (Schütze/Gurol 2022). Das könnte auch in Lateinamerika dazu führen, dass die sogenannten Zukunftstechnologien im Namen des öffentlichen Interesses (Sicherheit, Energietransition, Modernisierung) so eingesetzt werden, dass demokratische Verfahren und der Schutz der Pri‐ vatsphäre weiter untergraben werden. Diese Entwicklungen verdeutlichen, inwiefern das Streben nach ökologi‐ scher Nachhaltigkeit in China mit autoritären Praktiken verknüpft ist. Der Ausbau von erneuerbaren Energien und elektrischer Mobilität wird tenden‐ ziell auch als Mittel genutzt, um die politische Kontrolle des Staates und seiner politischen Elite zu stärken. Diese Kombination aus ökologischen Zielen, nationalistischen Diskursen und technologischer Überwachung zeigt, wie die politische Führung Chinas versucht, im Zeitalter der Dekar‐ bonisierung eine führende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel ein‐ zunehmen, gleichzeitig aber autoritäre Repressionsmechanismen ausbaut. Die Nutzung von Überwachungstechnologien zur Unterdrückung von Dis‐ sens könnte bei entsprechender Nachfrage seitens einzelner lateinameri‐ kanischer Regierungen zu einem Exportprodukt unter dem Deckmantel von ökologischer Zivilisation und/oder Dekarbonisierung werden. Diesem denkbaren Szenario scheinen US-amerikanische oder europäische Firmen noch wenig entgegenzusetzen. 5 Fazit: Energiewende und neue Machtverhältnisse Entgegen anfänglicher Bedenken im Zuge des wirtschaftlichen Aufstiegs ist China im Gegensatz zu den USA nicht darauf aus, lateinamerikanischen Regierungen vorzuschreiben, welches politische System sie übernehmen sollen. Die chinesische Führung folgt nicht dem Muster der Weltbank oder des Internationalen Währungsfonds (IWF), die Institutionen in anderen Staaten mittels politischem und finanziellem Druck von außen zu verän‐ dern. Das erweckt den Anschein einer nicht-autoritären Handlungsweise, die sich von den negativen Vorerfahrungen der lateinamerikanischen Län‐ der mit dem Westen abhebt. Stattdessen nutzt die chinesische Regierung die in Lateinamerika weit verbreitete Ablehnung des US-Interventionismus als strategischen Vorteil, um wirtschaftliche und technologische Kooperati‐ onsformate einzuführen, die autoritäre Tendenzen auf der Ebene konkreter Projekte in als strategisch deklarierten Sektoren (Energie, Infrastruktur, Mobilität, Bergbau) reproduzieren. Genau das macht China für viele latein‐ amerikanische Regierungen attraktiv. Insbesondere in Krisenzeiten, wenn Energiewende, Machtkämpfe und Konflikte um Ökologie 71 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb das westlich dominierte Finanzsystem ganze Staaten für zahlungsunfähig erklärte, trat China zur Rettung ein und stellte finanzielle Unterstützung bereit, wie im Falle von Venezuela (Rosales 2016). Chinesische Kredite bie‐ ten eine Alternative zu den mit politischen Auflagen verbundenen Krediten des IWF oder der Weltbank. Der Verdacht, Peking wolle sein autoritäres Regierungssystem mittels eines sogenannten Beijing-Konsensus verbreiten, hat sich bis dato als unbegründet erwiesen. Das bedeutet aber nicht, dass Peking auf die Nutzung bestehender Repressionsstrukturen (wie im Falle der Kupfermine in Las Bambas) oder auf den Export autoritärer Überwa‐ chungssystemen (wie im Falle Venezuelas) verzichten würde. In Ländern wie Chile oder Peru, deren Wirtschaftsmodelle und politi‐ sche Systeme stark an das neoliberale Credo der internationalen Finanzin‐ stitutionen in Washington angelehnt sind, hat China trotzdem bedeutende Kooperationspartner gefunden. Seit dem Freihandelsabkommen zwischen Chile und China im Jahr 2005 stiegen Chiles Exporte nach China von rund 2 Milliarden US-Dollar im Jahr 2000 auf 35 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020, hauptsächlich Kupfer. In Peru trat 2010 ein ähnliches Abkom‐ men in Kraft, wodurch der Handel von etwa 2 Milliarden US-Dollar im Jahr 2000 auf über 23 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 anstieg (AEC 2024).7 Chinesische Direktinvestitionen in Schlüsselindustrien wie Lithium und Kupfer erreichten in Chile über 4 Milliarden US-Dollar und fördern bedeutende Projekte wie die Las Bambas Kupfermine in Peru (AEI 2023). Zudem investieren chinesische Unternehmen in Infrastrukturprojekte, um den Rohstoffexport zu erleichtern, etwa den Ausbau des Hafens von Chan‐ cay in Peru. Politisch haben sich Chile und Peru der Belt and Road Initiati‐ ve angeschlossen, was die wirtschaftliche Kooperation und diplomatische Beziehungen verstärkt. China setzt seine finanzielle und wirtschaftliche Stärke also nicht direkt dazu ein, die lateinamerikanischen Staaten zu zwingen, ihre politischen Systeme nach eigenem Vorbild zu reformieren. Vielmehr geht es um die periphere Einbindung Lateinamerikas in die von China dominierten Han‐ delswege und Wertschöpfungsketten, um China als neues Wirtschafts- und Technologiezentrum der Welt zu positionieren und zu konsolidieren. An‐ statt politische Reformen einzufordern, setzt Peking auf eine magere institu‐ tionelle Zusammenarbeit (Rodríguez/Rüland 2022) und verfolgt dezidiert ökonomische Ziele mit einer eigenen räumlichen Dynamik im Kontext der 7 The Atlas of Economic Complexity, https://atlas.cid.harvard.edu/, letzter Aufruf: 06.08.2024. Fabricio Rodríguez 72 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://atlas.cid.harvard.edu/ https://atlas.cid.harvard.edu/ https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Belt and Road Initiative (Rodríguez/Gurol 2023). Von zentraler Bedeutung sind dabei die Wiederbelebung des Süd-Süd-Entwicklungsdiskurses, der Zugang zu kritischen Rohstoffen, der Export von Zukunftstechnologien und der Bau von Megainfrastrukturen im Rahmen der Neuen Seidenstraße (González-Vicente 2019). Diese Strategie führt zu einer neuen Hierarchisierung der globalen Machtverhältnisse. Durch den Ausbau seiner wirtschaftlichen und techno‐ logischen Präsenz in Lateinamerika schafft China neue Abhängigkeiten und stärkt gleichzeitig ihre geopolitische Position. Die Investitionen in die Infrastruktur, wie der Bau von Bahnlinien, Häfen und Straßen, verbessern nicht nur die logistische Anbindung der Region an die globalen Märkte, sondern auch die strategische Kontrolle Chinas über diese Verkehrswege. Der Zugang zu kritischen Rohstoffen wie Kupfer, Lithium, Kobalt und seltenen Erden ist ein zentraler Aspekt von Chinas Strategie zur Festigung ihrer globalen Position im Zuge globaler Machtverschiebungen, die einen erheblichen Teil ihrer Antriebskräfte aus dem Zusammenspiel von Dekar‐ bonisierung und Digitalisierung speisen. Die Kontrolle über diese Rohstof‐ fe ermöglicht es China, eine führende Rolle in der globalen Energiewende zu übernehmen und gleichzeitig seine wirtschaftliche und technologische Überlegenheit zu sichern. Da chinesische Unternehmen den Abbau, die Weiterverarbeitung und den Konsum kritischer Rohstoffe dominieren, kann das mit einer schrittweisen Verschiebung der ökonomischen und technologischen Abhängigkeiten in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern führen – weg vom Westen und hin zu China. China exportiert Zukunftstechnologien nach Lateinamerika, was die ökonomische Abhängigkeit der Region von China weiter verstärken könn‐ te, während sich die USA und die EU mit neuen Konkurrenzverhältnissen in der Region konfrontiert sehen. So sind europäische Investitionen wei‐ terhin federführend in Lateinamerika. Spanien ist unter den EU-Mitglieds‐ staaten die stärkste Kapitalquelle und liegt mit etwa 150 Milliarden US Dollar auf Augenhöhe mit China. Zu den einflussreichsten Unternehmen aus Spanien zählen beispielsweise Telefonica, BBVA, Santander und Rep‐ sol, was der europäischen Präsenz in den Bereichen Telekommunikation, Finanzen, Energie und Infrastruktur zwar weiterhin Sichtbarkeit verleiht, ihre Marktdominanz jedoch in Frage stellt (Creutzfeldt et al 2024: 20). Dabei verlieren US-amerikanische und europäische Unternehmen an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber chinesische Unternehmen. Während sich US Unternehmen auf den Verkauf von 5G-Ausrüstung konzentrieren, un‐ Energiewende, Machtkämpfe und Konflikte um Ökologie 73 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb ternimmt China einen Prozess der vertikalen Integration in lateinameri‐ kanischen Technologiesektoren, wodurch chinesische Unternehmen wie Huawei ihre Produktpaletten und Dienstleistungen mit etwa 41 Prozent der gesamten chinesischen Investitionen für 2018-2023 auf Rechenzentren, Cloud-Infrastrukturen und Cybersicherheit ausweiten, insbesondere in Ar‐ gentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Mexiko und Peru (Melguizo/Myers 2024).8 Die Neue Seidenstraße, Chinas globale Expansionsinitiative, spielt eine zentrale Rolle in dieser Strategie. Durch den Bau von Megainfrastrukturen fördert China nicht nur den Handel und die wirtschaftliche Anbindung strategischer Abbaugebiete, sondern auch seine geopolitischen Interessen. Die Belt and Road Iinitiative verknüpft Asien, Afrika und Europa über ein Netz von Handelsrouten, in das auch Lateinamerika zunehmend als eige‐ ne Peripherie integriert wird. Die EU-angetriebene Gegeninitiative Global Gateway und das US-geleitete Infrastrukturprogramm Build Back Better zeugen davon, dass auch die westlichen Großmächte eine Verschiebung in den Machtverhältnissen wahrnehmen. Dabei sind beide Initiativen noch weit davon entfernt, sich als Alternativen zur Belt and Road Initiative in der Praxis zu behaupten. Gleichzeitig führen diese Entwicklungen zu neuen Spannungen und Konflikten in Lateinamerika. Die wachsende Präsenz chinesischer Unter‐ nehmen und die damit verbundenen Investitionen erzeugen Widerstand in der lokalen Bevölkerung und bei Umweltaktivist:innen, wie das Beispiel von Las Bambas gezeigt hat. Viele der abbaubaren Gebiete wären im Zuge der Klimakrise stattdessen von Bergbaueingriffen zu schützen. Indigene Gemeinschaften stehen dem wachsenden Druck des ungezügelten Bergbaus unter anderem deshalb kritisch oder ablehnend entgegen, weil sie keinen Vorteil von Chinas Energiewende haben. Denn auch diese Art von Extrak‐ tivismus führt im Namen der Dekarbonisierung zu erheblichen sozial-öko‐ logischen Konflikten. Chinas Engagement in Lateinamerika offenbart ein komplexes Geflecht wirtschaftlicher, politischer und technologischer Interessen im Kontext der globalen Energiewende. Die Analyse zeigt, wie China ökologische und technologische Fortschritte nutzt, um ihre politische Kontrolle zu stärken. 8 Melguizo, Ángel/Myers, Margaret (10/05/2024): Ahead of the curve: Why the EU and US risk falling behind China in Latin America, European Council on Foreign Relations, https://ecfr.eu/article/ahead-of-the-curve-why-the-eu-and-us-risk-falling-be hind-china-in-latin-america/, letzter Aufruf: 06.08.2024. Fabricio Rodríguez 74 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://ecfr.eu/article/ahead-of-the-curve-why-the-eu-and-us-risk-falling-behind-china-in-latin-america/ https://ecfr.eu/article/ahead-of-the-curve-why-the-eu-and-us-risk-falling-behind-china-in-latin-america/ https://ecfr.eu/article/ahead-of-the-curve-why-the-eu-and-us-risk-falling-behind-china-in-latin-america/ https://ecfr.eu/article/ahead-of-the-curve-why-the-eu-and-us-risk-falling-behind-china-in-latin-america/ https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Während die Bekämpfung des Klimawandels ein legitimes Ziel darstellt, zeigt die Kombination aus ökologischen Zielen und autoritären Praktiken, wie China seine globale Führungsrolle ausbaut. Durch die Integration von Überwachungstechnologien und ökologischen Diskursen entsteht in Chi‐ na eine neue Form der Macht, die über nationale Grenzen hinaus wirkt. Dies wirft grundlegende Fragen zur Vereinbarkeit von technologischem Fortschritt, ökologischer Nachhaltigkeit und demokratischen Prinzipien auf. Für einzelne lateinamerikanischen Staaten eröffnet China einen größe‐ ren Handlungsspielraum gegenüber traditionellen Partnern wie den USA und Europa. Doch die zunehmende Abhängigkeit lateinamerikanischer Staaten von chinesischen Technologien und Investitionen birgt das Risiko einer verstärkten politischen Einflussnahme. Diese schreibt den Partner‐ staaten zwar keine institutionellen Reformen vor, baut jedoch bestehende Ausbeutungs- und Repressionsmechanismen aus und verstärkt tendenziell autoritäre Praktiken durch den Einsatz von importierten Überwachungs‐ technologien aus China. Lateinamerikanische Regierungen stehen deshalb vor der Herausforderung, diesem Wandel aktiv entgegenzuwirken und eige‐ ne Zukunftsvisionen der Energiewende zu artikulieren. Zum Schluss ist auf die historischen Implikationen der hier behandelten Problematik hinzuweisen. Der technologische Vorsprung Chinas sowie die dominante Stellung chinesischer Unternehmen im Bereich kritischer Roh‐ stoffe konfrontiert Regierungen, Unternehmen und soziale Bewegungen in und jenseits von Lateinamerika mit neuen geopolitischen Spannungs‐ feldern. Diese erfordern eine intensivere sozialwissenschaftliche Auseinan‐ dersetzung mit den veränderten Wechselwirkungen zwischen Ökologie, Technologie und Gesellschaft. Das ist eine Grundvoraussetzung für die demokratische Gestaltung der Energiewende vor dem Hintergrund sich verschiebender Machtverhältnisse im 21. Jahrhundert. 6 Literatur AEC (2024): The Atlas of Economic Complexity, [https://atlas.cid.harvard.edu/] <06.08.2024>. AEI (2023): China Global Investment Tracker, The American Enterprise Institute and The Heritage Foundation, [https://www.aei.org/china-global-investment-tracker/?n cid=txtlnkusaolp00000618] <01.06.2024>. Energiewende, Machtkämpfe und Konflikte um Ökologie 75 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://atlas.cid.harvard.edu/ https://www.aei.org/china-global-investment-tracker/?ncid=txtlnkusaolp00000618 https://www.aei.org/china-global-investment-tracker/?ncid=txtlnkusaolp00000618 https://atlas.cid.harvard.edu/ https://www.aei.org/china-global-investment-tracker/?ncid=txtlnkusaolp00000618 https://www.aei.org/china-global-investment-tracker/?ncid=txtlnkusaolp00000618 https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Alimonda, Héctor (2015): Mining in Latin America: Coloniality and degradation, in: Raymond L. Bryant (Hg.), The international handbook of political ecology. Chel‐ tenham: Edward Elgar Publishing, 149–161. Backhouse, Maria; Rodríguez, Fabricio; Tittor, Anne (2019): From a Fossil Towards a Renewable Energy Regime in the Americas? 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Der Weg dorthin ist steinig, umkämpft, riskant, und doch notwendig. Wollen wir die globalen Klimaziele erreichen, so müssen wir bis ins Jahr 2050 einen Großteil der globalen Energieproduktion auf den Einsatz klima‐ neutraler und CO2-emissionsarmer Energiequellen umstellen. Noch immer stammen 80 Prozent unserer Energie aus fossilen Brennstoffen wie Öl, Gas und Kohle. Mit ihnen sind jene Wirtschaftsformen und Lebensstile verbunden, die sich im Zuge des fossilen Energiezeitalters als carbon culture herausprägen konnten und die zu einem erheblichen Teil den Klimawandel mitverursachen (Johnson 2014). In den kommenden Jahren muss diese Quote auf weniger als 30 Prozent fallen (International Energy Agency 2023). Uns steht ein gewaltiger Umbruch bevor, der von allen Wandlungs‐ willen und Anpassungsfähigkeit abverlangen wird. Es ist ein globaler Umbruch, der nicht nur Deutschland und Europa betrifft, sondern die Weltordnung, die sich während der letzten 150 Jahre herausprägte, stark verändern wird. Neue klimaneutrale Produktionskapa‐ zitäten müssen nicht nur in der Energieproduktion, sondern der gesamten Industrie, aufgebaut werden. Infrastrukturen müssen neu errichtet oder umgebaut werden; von Tankstellennetzwerken bis hin zu den etablierten Portalen gegenwärtiger Globalisierung, den internationalen Häfen und Transportknotenpunkten. Wir müssen lernen, anders mit der Welt umzuge‐ hen, unsere Konsummuster überdenken und alltägliche Mobilitätsgewohn‐ heiten verändern. All dies wird aber nicht ohne Rohstoffe auskommen. Auch die neuen Energietechniken, andere Lebensweisen, und nicht zuletzt der Aufbau von Infrastruktur oder etwa klimaneutralen Häusern brauchen Rohstoffe: Kupfer, Kobalt, Zement, Eisen, Nickel, aber auch Magnesium, Mangan, Lithium und seltene Erden sind die Stoffe der Zukunft. Studien erwarten im Fall von Lithium bis 2050 Nachfragesteigerungen von über 81 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb 2000 Prozent, andere Rohstoffe wie etwa Kupfer oder Nickel werden ebenfalls immer mehr nachgefragt werden (Gielen 2021). Der Aufbruch in ein post-fossiles Energiezeitalter bedeutet zunächst eine tiefgreifende Rohstoffwende.1 Diese Rohstoffwende setzt viele Länder, die bisher fossile Brennstoffe exportieren, vor enorme Herausforderungen. Was sollen Län‐ der, die heute stark von fossilen Rohstoffexporten abhängen (etwa: Vene‐ zuela, Mexiko, Brasilien oder Bolivien) exportieren, wenn in 15 oder 30 Jahren keiner mehr Öl und Gas kaufen will? Mehr noch als fossile Brenn‐ stoffe kommen die für die Energiewende strategische Rohstoffe in nur we‐ nigen Ländern vor. Geographische Konzentration wird neue geopolitische Interessen schüren, wie nicht zuletzt der russische Angriffskrieg auf die Ukraine verdeutlicht. Die zukünftigen Rohstoffproduzenten laufen Gefahr, sich abermals ungleich zu spezialisieren. Der Aufbruch in ein post-fossiles Energiezeitalter wird neue Gewinner:innen und neue Verlierer:innen her‐ vorbringen (s. Cerioli und Dietz in diesem Band). Der Text beleuchtet die neue Rolle Lateinamerikas in der Weltordnung, die sich allmählich durch die Energiewende herausbildet. Auch wenn diese neue Position für einige Länder möglicherweise sozioökonomische und geopolitische Vorteile bietet, besteht ein großes Risiko, dass die Region in eine neo-feudale Dystopie abrutscht. Diese Dystopie besteht darin, dass sich neue ungleiche Spezialisierungsmuster, diesmal allerdings auf den Ex‐ port strategischer Rohstoffe, herausbilden und sich dabei innergesellschaft‐ liche und internationale Ungleichheiten vertiefen. Dies geschieht vor dem Hintergrund einer strukturell verhärteten globalen Ungleichheitsachse, die sich in den letzten 150 Jahren durch die Spezialisierung auf Rohstoffabbau und -export entwickeln konnte (Warnecke-Berger 2024). Der Text ist wie folgt aufgebaut: Der erste Teil des Kapitels stellt den theoretischen Ansatz ungleicher Spezialisierung vor und verweist auf die grundlegenden Zusammenhänge zwischen Nachfrage, Ungleichheit, Tech‐ nologie und dem Auftreten von Renten. Daran anschließend wird im zweiten Teil die Energiewende im Kontext der verfestigten globalen Un‐ gleichheiten diskutiert. Der dritte und abschließende Teil wendet sich in diesem Szenario schließlich der aufkommenden Rolle Lateinamerikas zu und argumentiert, dass sich Ungleichheiten durch die Energiewende weiter dynamisieren und dabei drohen, in eine neofeudale Dystopie abzugleiten, die durch Ultrastabilität für die Reichen und Chaos für die Armen gekenn‐ zeichnet ist. 1 Zum aktuellen Forschungsstand siehe auch: https://extractivism.de/. Hannes Warnecke-Berger 82 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://extractivism.de/ https://extractivism.de/ https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb 2 Wie Rohstoffe und Renten die Weltwirtschaft prägen Spezialisierung beschreibt einen politikökonomischen Prozess, durch den sich Länder in der internationalen Arbeitsteilung im Weltmarkt auf die Produktion und den Export einzelner Produktgruppen ausrichten, die sie relativ zu ihren anderen Sektoren und den Sektoren anderer Länder günsti‐ ger herstellen können. Spezialisierung folgt komparativen Kostenvorteilen. Diese müssen im internationalen Handel in absolute Wettbewerbsvorteile verwandelt werden, das heißt, die Endprodukte müssen auch billiger als die der Konkurrent:innen verkauft werden. Bildet sich im Zuge dessen eine Arbeitsteilung heraus, an der Länder gleichermaßen beteiligt sind, kann dies Wohlfahrtsgewinne für alle generieren. Wie später dargestellt wird, ist dies jedoch ein wenig realistisches Szenario. 2.1 Ein theoretischer Streit ohne empirische Erdung Wie genau sich diese Spezialisierungsmuster herausprägen, ist nach wie vor Gegenstand einer breiten Debatte. Dabei unterscheiden sich (neo-)klas‐ sische von marxistisch geprägten Ansätzen. Die neoklassische Mainstream- Perspektive, das Modell des internationalen Handels auf der Grundlage des komparativen Vorteils nach Heckscher-Ohlin, erklärt Spezialisierungsmus‐ ter durch die jeweilige Ausstattung an Produktionsfaktoren (Flam/Flanders 1991). Unter den Annahmen von Vollbeschäftigung, inländischer Faktormo‐ bilität, der Ausblendung von Transaktionskosten sowie der Produktion von Vorprodukten stellt dieses Modell dar, dass sich Volkswirtschaften mit einem Überschuss an Arbeitskräften auf den Export arbeitsintensiver Pro‐ dukte spezialisieren. Volkswirtschaften mit reichlich Kapital spezialisieren sich dagegen auf den Export kapitalintensiver Güter. Asymmetrien sind in diesem neoklassischen Modell nicht vorgesehen. Anpassungsmechanismen, insbesondere Migration von Kapital und Arbeit, sollen Asymmetrien zwi‐ schen den Volkswirtschaften sofort ausgleichen. Konvergenz zwischen den Ökonomien wird im Modell durch relative Preisanpassungen, Faktormobi‐ lität und fortschreitende Spezialisierung erreicht. Ungleiche Entwicklung und divergierende Wachstumsraten werden lediglich auf störende Auswir‐ kungen politischer Einflussnahme und sogenannte falsche Politik zurück‐ geführt, die sich mit der Zeit durch die Wirkung der freien Marktkräfte auflösen sollten. Empirisch wurde jedoch vielfach gezeigt, dass sich diese Konvergenz nicht herausprägt (Rodrik 2013) und insbesondere die globa‐ Post-fossile Zukunft 83 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb le Ungleichheitsachse zwischen Nord und Süd weiter fortbesteht (Thomp‐ son/Reuveny 2010). Demgegenüber gehen die Gegenspieler:innen dieser Mainstream-Per‐ spektiven, insbesondere marxistische Ansätze des internationalen Handels, von einer hierarchischen Arbeitsteilung aus, die sie in den Strukturmerk‐ malen des Kapitalismus verorten. Sie folgen Konzepten des ungleichen Tausches (Emmanuel 1972) und des Imperialismus (Amin 2018). Ungleiche Entwicklung wird demzufolge als ein Ergebnis internationaler Machtasym‐ metrien gesehen. Die Rolle der verschiedenen Volkswirtschaften innerhalb der internationalen Arbeitsteilung ergibt sich demnach aus den funktio‐ nalen Zuweisungen der kapitalistischen Kernwirtschaften und dem kapita‐ listischen Bedürfnis nach Überausbeutung der Arbeitskräfte im globalen Süden (Ricci 2019). In jüngster Zeit haben diese Ansätze mit dem Konzept des „ungleichen ökologischen Tauschs“ (Infante-Amate/Krausmann 2019) und des „ökologischen Imperialismus“ (Hickel et al. 2022) zunehmende Be‐ achtung gefunden. Marxistische Ansätze verweisen damit auf grundlegen‐ de Asymmetrien innerhalb der Weltwirtschaft, die die Entwicklung unter‐ drückter und ausgebeuteter Volkswirtschaften behindern. Ähnlich wie ihre theoretischen Vorgänger der 1970er und 1980er Jahre können jedoch diese neueren marxistischen Ansätze die Veränderungsprozesse innerhalb der Weltwirtschaft nicht hinreichend erklären. Insbesondere dann, wenn sich verändernde Spezialisierungsmuster abzeichnen, die zu Verschiebungen in‐ nerhalb der globalen Machtkonfiguration führen, geraten diese Ansätze in Erklärungsnöte. Beide Modelle sind auf Faktoren beschränkt, die in der gegenwärtigen Welt wenig realistisch sind. Die Annahmen beider Modelle, insbesondere des neoklassischen, sind viel zu restriktiv, um die Verschiebung der Spezia‐ lisierungsmuster sowie den konkreten Zeitpunkt dieser Verschiebung zu erklären. Ein weiteres Problemfeld bezieht sich darauf, dass beide Perspek‐ tiven dazu tendieren die Haupttriebkraft dieses Wandels, die Dynamik des Kapitalismus, als abhängig von den Wünschen, Interessen und Hand‐ lungen einer bestimmten Gruppe von Akteuren, den Unternehmer:innen, zu beschreiben. Es handelt sich um eine nicht-relationale, entsozialisierte Perspektive des Kapitalismus (Warnecke-Berger 2020). Beide Ansätze sind daher wenig geeignet, einerseits die Weltwirtschaft als ein dynamisches Makrosystem zu analysieren, das sich als Emergenz aus einer Vielzahl kon‐ kurrierender Interessen und Handlungen ergibt, und andererseits daraus systemischen Wandel zu erfassen oder zu erklären. Kontinuität und Wandel in der Weltwirtschaft müssen also neu gedacht werden. Hannes Warnecke-Berger 84 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Beide Perspektiven reagieren darüber hinaus nur wenig auf die folgen‐ den empirischen Herausforderungen (Warnecke-Berger 2025). Auf der einen Seite befindet sich die Welt entgegen den Annahmen der neoklassi‐ schen Mainstream-Ansätze derzeit nicht auf dem Weg globaler Konvergenz. Trotz erheblicher Dynamik und tiefgreifenden Wandels stellen sich insbe‐ sondere die globalen Asymmetrien zwischen Nord und Süd als strukturell verhärtet dar (Warnecke-Berger 2021).2 Neben den traditionellen technolo‐ gischen Spitzenreiter in Nordamerika und Europa sowie den aufstrebenden Wachstumspolen der bevölkerungsreichen Staaten Indiens und Chinas sind die meisten Volkswirtschaften der Weltwirtschaft in eben beschriebener Entwicklungsfalle gefangen, leiden unter globalen Asymmetrien und blei‐ ben auf die Rolle als Rohstoffexporteure festgelegt. Auf der anderen Seite und im Gegensatz zu orthodoxen marxistischen Ansätzen des internationalen Handels verändern sich die internationalen Spezialisierungsmuster. Drei Prozesse sind besonders hervorzuheben: Ers‐ tens steigt die Anzahl derjenigen Volkswirtschaften, die sich auf den Export arbeitsintensiver industriell hergestellter Güter spezialisieren, weltweit an. Eben diese Länder stoßen dabei jedoch auf die middle-income-trap3 und können die Qualität, den Technologiegehalt ihrer Exportprodukte, sowie die Beschäftigung in der Industrie nicht weiter anheben (Kang/Paus 2020). Zweitens spezialisiert sich eine wachsende Gruppe von Volkswirtschaften auf den Export von Arbeitskräften und die Erwirtschaftung von Geld, wel‐ ches Migrant:innen in die Heimat schicken, den sogenannten remittances (Warnecke-Berger 2022). Diese Migrationsländer und ihre Geldtransfers spielen eine zunehmend wichtige Rolle in der Weltwirtschaft. Drittens schließlich lässt sich eine Diversifizierung innerhalb der rohstoffexportie‐ renden Länder des Extraktivismus beobachten, ohne jedoch die generelle Spezialisierung auf Rohstoffexporte aufzugeben. Dabei werden zwar die Rohstoffe, welche extrahiert und exportiert werden, diversifiziert, nicht 2 Ein Beispiel dafür ist das Verhältnis des Pro-Kopf Einkommens zwischen den ärmsten und den reichsten Ländern der Welt. Dieses Verhältnis betrug Ende des 19. Jahrhun‐ derts 1:3, wuchs bis in die 1970er Jahre auf 1:20, und rangiert derzeit auf etwa 1:60 (Ei‐ gene Berechnungen nach World Development Indicators, siehe auch Thirlwall 2013). 3 Das Konzept der „middle income trap“ bezieht sich auf die Schwierigkeiten von Län‐ dern mit mittlerem Einkommen zu den Industrieländern mit hohen Einkommen auf‐ zuschließen. Ihnen bleibt der Übergang von Sektoren mit geringer Produktivität und Wertschöpfung (rohstoff- und arbeitsintensive Primär- und Industriegüter) zu Sekto‐ ren mit hoher Produktivität und Wertschöpfung (z.B. technologieintensive Fertigung, wissensbasierte Produktion) verschlossen (Doner/Schneider 2016; Alonso/Ocampo 2020). Post-fossile Zukunft 85 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb aber Extraktivismus als Entwicklungsmodell überwunden. Politökonomi‐ sche Ansätze stehen demnach vor den Herausforderungen sowohl die Kontinuität der Asymmetrien in der Weltwirtschaft als deren Wandel und Dynamik gleichzeitig zu erklären. 2.2 Das Konzept der ungleichen Spezialisierung An diesem Punkt greift das Theorem der ungleichen Spezialisierung ein, welches diese Kontinuität aber auch den bereits angedeuteten Wandel mit‐ einander verbindet. Ungleiche Spezialisierung beschreibt einen Spezialisie‐ rungsprozess, der komparativen Kostenvorteilen folgt und dazu führt, dass sich Ökonomien in der internationalen Arbeitsteilung auf Produktgruppen spezialisieren, welche international hohe Exporteinnahmen abwerfen, in‐ nerhalb der Wirtschaft aber zu Verwerfungen führen (Warnecke-Berger 2024). Ungleiche Spezialisierung lässt sich darauf zurückführen, dass sich Ökonomien in der internationalen Arbeitsteilung ‚falsch‘ spezialisieren. Sind Länder durch strukturelle Arbeitslosigkeit geprägt und abhängig von Technologieimporten, die es ihnen nicht erlauben, die von der Bevölke‐ rung nachgefragte Produktpalette lokal herzustellen, folgen die Speziali‐ sierungsmuster nicht mehr den mainstream-ökonomischen Annahmen. Trotz Arbeitslosigkeit und Technologieabhängigkeit schaffen diese Länder es aber trotzdem in einzelnen Sektoren erhebliche Exporteinnahmen zu erwirtschaften. Sie erwirtschaften einen großen ökonomischen Überschuss aus dem Export, ohne jedoch Wohlfahrt für alle bereitstellen zu können. Ungleiche Spezialisierung ermöglicht es weder genügend Arbeitsplätze zu schaffen, um die gesamte Bevölkerung in Lohn und Brot zu bringen, noch technologisches Lernen anzukurbeln und allmählich die zu exportierende Produkte im Binnenmarkt weiterzuverarbeiten. Extraktivismus, die einsei‐ tige ungleiche Spezialisierung auf den Abbau und Export von Rohstoffen, ist eines dieser Muster. Letztlich ist ungleiche Spezialisierung eine Folge des Auftretens und der Persistenz von Renten. Diese Renten beruhen darauf, dass sich Produk‐ tionspreise auf internationaler Ebene nicht angleichen und sich Länder mit kostengünstigeren Produktionsmöglichkeiten Übergewinne aneignen können. Das geschieht, weil sie zwar billiger produzieren, ihre Güter aber auf dem Weltmarkt genauso teuer verkaufen als teurere Produzent:innen. Renten führen dazu, dass die Sektoren, in welchen Renten auftreten, inter‐ national als besonders gewinnträchtig und produktiv wahrgenommen wer‐ Hannes Warnecke-Berger 86 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb den. Dies ist aber nicht Ausdruck der tatsächlichen Arbeitsproduktivität, sondern zeigt lediglich an, dass hier jenseits des Einsatzes von Investitionen und Arbeit enorme Übergewinne realisiert werden können. Folgende Zahlen können diesen Prozess veranschaulichen. Saudi-Arabi‐ en produziert für etwa 10$ ein Fass Öl. Norwegen muss für die Produktion eines Ölfasses aber 45$ ausgeben. Dadurch, dass die globale Nachfrage nach Öl sehr hoch ist, und Öl auf internationalen Märkten unter Konkur‐ renzbedingungen verkauft wird, pendelt sich der Rohölpreis im Mittelwert seit 2000 bei ca. 65$ pro Barrel ein. Auch Norwegen realisiert einen Gewinn. Die Differenz zwischen den marginalen Produktionskosten Sau‐ di-Arabiens und denjenigen Norwegens kann sich Saudi-Arabien als (Dif‐ ferential-)Rente aneignen. Diese Rente, im Rechenbeispiel sind es 35$, fällt für Saudi-Arabien sozusagen einfach so an. Diese Rente entsteht notwen‐ dig, einfach nur, da beide Länder das gleiche Produkt produzieren und zu einem ähnlichen Preis verkaufen. Entscheidend ist in dem Fall die Struktur der Weltwirtschaft sowie die divergierenden Produktionspreise. In diesem Fall gibt es keinen (Markt-)Zwang, der sowohl die Produktionskosten an‐ gleicht, noch über die Verwendung der angeeigneten Rente entscheidet. Renten fallen in der Landwirtschaft, etwa in der globalen Weizenproduk‐ tion, genauso wie in der Öl-, Kupfer-, oder Lithiumproduktion an. Sie entstehen aber auch auf globalen Finanzmärkten und sogar im verarbeiten‐ den Gewerbe. Meist verschwinden sie jedoch nach kurzer Zeit wieder, da Anpassungsmechanismen wirken, die Produktionskosten international angleichen. Renten können politisch auch neutralisiert werden, indem ihre Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft durch kluge Politiken aktiv unterminiert werden (Bresser-Pereira 2020). Rohstoffe sind jedoch besonders anfällig für Renten, da ihr Abbau standortgebunden ist und mit Technologie abgebaut wird, die global verfügbar ist und die von wenigen Unternehmen monopolisiert werden kann. Renten und ungleiche Speziali‐ sierung sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Rentensektoren erscheinen international besonders gewinnträchtig und verstärken die Ausrichtung des Produktionsapparates auf den Export der darin hergestellten Güter. Gleich‐ zeitig werden damit weiter Übergewinne erwirtschaftet und die ungleiche Spezialisierung fortgeschrieben. Post-fossile Zukunft 87 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb 2.3 Rohstoffe und Renten Rohstoffe sind besonders rentenanfällig, da deren Abbau und Export größ‐ tenteils standortgebunden und die Extraktion kapitalintensiv und hoch‐ technologisch ist. Dies wird schon sehr früh in der Geschichte des kapi‐ talistischen Welthandels deutlich. Die Genese des Kapitalismus beruhte zunächst auf der Verfügbarkeit fossiler Energiequellen wie Holz, Kohle, und schließlich Öl und Gas. Mit deren Erschließung wurde ein globales, fossiles Rohstoffregime hervorgebracht, das Produktion, Handel, Verarbei‐ tung und Ge- sowie Verbrauch von Rohstoffen regelt. Damit entstand eine zentrale Ungleichheitsachse der Weltwirtschaft. Nord und Süd trennt seit‐ her ein enormes Wohlstandsgefälle. Triebfeder ist wie schon beschrieben das Auftreten von Renten. Wurden für die Industrialisierung die meisten Rohstoffe zunächst noch lokal gefördert (Bairoch 1993), konnten mit neue‐ rer Transporttechnologie im 19. Jahrhundert bald Lagerstätten im Globalen Süden, und hier insbesondere in Lateinamerika erschlossen werden, die im Vergleich kostengünstiger waren (O'Brien 1997). Die Länder Westeuro‐ pas und Nordamerikas förderten bei hohen Preisen weiter ihre eigenen Rohstoffe, und der Süden verkaufte auf dem Weltmarkt zu Preisen des Nordens. Es entstanden große (Über-)Gewinne, eine Rente, die nicht auf Investition, Arbeit oder Produktivität zurückgeführt werden können. Diese Übergewinne sind eine internationale Preisdifferenz, die auf den Verkauf günstiger Natur, auf Produktivitätsunterschiede und vor allem auf eine hohe Nachfrage zurückzuführen sind. Renten machen einen beträchtlichen Anteil des Welthandels und des Weltrohstoffhandels aus. Folgende Abbildung verdeutlicht diesen Zusam‐ menhang. Im Durchschnitt summierten sich seit 1970 der Anteil der (Dif‐ ferential-)Renten am Wert des Weltrohstoffhandels auf etwas mehr als 50 Prozent. Gleichzeit können allein die Renten, die im Rohstoffhandel anfal‐ len, im Jahresdurchschnitt der letzten Jahrzehnte auf 15 Prozent des Wertes des gesamten Welthandels beziffert werden; sie erreichen damit derzeit etwa den Wert des Bruttoinlandprodukts Frankreichs.4 4 Die Berechnung der Rente ist herausfordernd, denn dies erfordert, die Produktions‐ kosten sowie die Produktionsvolumina aller am Markt beteiligter Akteure sowie den tatsächlichen Verkaufspreis einzubeziehen. Für einige Rohstoffe, etwa für Öl, gibt es seit Jahrzehnten globale Handels- und Preismechanismen. Andere Rohstoffe, wie etwa Lithium, werden erst seit kurzer Zeit auch global gehandelt, etwa an der London Metal Exchange. Für viele Rohstoffe existieren darüber hinaus langfristige Lieferverträge zwischen einzelnen Unternehmen, die weitgehend geheim sind. In den letzten Jahren Hannes Warnecke-Berger 88 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Anteil der Rente am Weltrohstoff- sowie Welthandel5 Renten machen nicht nur einen beträchtlichen Teil an Handel und Produk‐ tion aus, sondern wurden zu einem Strukturmerkmal der Weltwirtschaft. Dies verweist auf einen wichtigen Zusammenhang ungleicher Spezialisie‐ rung, wie er insbesondere in der globalen Rohstoffproduktion und im Roh‐ stoffhandel deutlich wird. Für Lateinamerika ist dies besonders relevant. Es bildete sich ein enormer Reichtum der Wenigen bei gleichzeitiger großer Prekarität und Armut der Massen. Triebfeder dieser Ungleichheit sind aber nicht der Kapitalismus per se, oder die koloniale Ausbeutung. Triebfeder ist das Auftreten der Rente und ungleicher Spezialisierung (Warnecke-Berger 2023). 2.4 Renten verändern Gesellschaft Innerhalb der Gesellschaften, die diese Renten aneignen, sind sie Fluch und Segen zugleich. Als eine besondere Einnahmequelle, die in der Weltwirt‐ schaft einfach so anfällt, sind sie nicht an einen Verwertungszwang gebun‐ Abbildung 1: konnten aber mit einigen Initiativen neue Datenquellen erschlossen werden (siehe Jasansky et al. 2023). Mit dem Bericht „Changing Wealth of Nations“ berücksichtigt die Weltbank (2022) diese Renten in ihren statistischen Berechnungen. 5 Eigene Berechnungen auf Grundlage der UN Comtrade Database sowie der World Development Indicators. Post-fossile Zukunft 89 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb den. Sie können investiert und für strukturellen Wandel, Wohlstand, sowie Entwicklung ausgegeben werden. Müssen sie aber nicht. Politische Akteure können sie ebenso gut in Loyalität, Abhängigkeiten, Systemerhalt oder Re‐ pression und Ausschluss verwandeln. Gesellschaften, die in ungleicher Spe‐ zialisierung gefangen sind und deren soziale Reproduktion als Gesellschaft von zukünftigen Renteneinnahmen abhängen, weisen ein entscheidendes Charakteristikum auf: sie werden nicht über den Markt vergesellschaftet (Elsenhans 1997). Für die soziale Reproduktion der Träger:innengruppen der Rente ist weniger ihr Markthandeln als vielmehr die politische Kontrol‐ le der Rente entscheidend. Die soziale Positionierung innerhalb der Gesell‐ schaft basiert nicht auf Leistung, Zukunftsinvestition und Arbeitsprodukti‐ vität, stattdessen ist die Stellung des Einzelnen abhängig von politischem Zugriff auf Renten und damit auf Mitgliedschaft in relativ geschlossenen sozialen Gruppen.6 Dies hat einen enormen Einfluss auf die Bedeutung von Politik, denn es ist dieser Zugriff auf Renten, der das Verhalten politischer Träger:innengruppen, aber auch breiter Bevölkerungsschichten prägt. Die jüngeren Entwicklungen Venezuelas illustrieren dies sehr deutlich. In den meisten Fällen ist die Masse der Rente nicht ausreichend, um die gesamte Bevölkerung zu beteiligen. Es entsteht ein politischer Kampf um die Aneignung und Verwendung von Rente und einzelne Gruppen müssen Koalitionen miteinander eingehen. Diese Koalitionen innerhalb der Träger:innengruppen der Rente entwickeln wiederum politische Optio‐ nen, tiefgreifende Wandlungsprozesse zu blockieren, um den eigenen privi‐ legierten Status-Quo aufrecht zu erhalten. Aus den Verteilungskonflikten um Renten entsteht somit eine Dynamik zwischen elitenorientierten und massenkonsumorientierten Entwicklungsstrategien. Rentengesellschaften erscheinen damit als wandlungsfähig, ohne jedoch strukturell aufzubrechen. Vielmehr stellen sich Renten bei genauerer Be‐ trachtung als verführerisch heraus (Warnecke-Berger/Ickler 2023). Selbst entwicklungsorientierte Träger:innengruppen erliegen immer wieder die‐ ser Verführung und prägen Mentalitäten und kulturelle Praxen mit. Übli‐ 6 Da soziale und politische Loyalität erzeugt werden müssen, um sich Renten anzu‐ eignen, hängt der Zugang zu Renten auch von symbolischen Kategorien, sozialer Distinktion und spezifischen Kommunikationsmodi ab, die generell als Prozess sozia‐ ler Schließung beschrieben werden können. Renten können damit in symbolische Ressourcen und Gruppenzugehörigkeit übersetzt werden, was die Rolle von exklusiven Gruppenzugehörigkeiten in Rentengesellschaften, wie etwa Religionsgemeinschaften, ethnischen Gruppen, politischen Parteien und andere Formen horizontaler Ungleich‐ heit aufwertet. Hannes Warnecke-Berger 90 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb cherweise werden Renten in Folge dessen zu einem Entwicklungsmythos verklärt, weil viele Regierungen das Auftreten zusätzlicher finanzieller Res‐ sourcen oftmals mit Entwicklung gleichsetzen ohne jedoch wirtschaftliche Alternativen zu Rentensektoren zu schaffen (Warnecke-Berger et al. 2023). 3 Ungleiche Spezialisierung und die globale Energiewende Die nun eingeschlagene globale Energiewende wird die Struktur der Welt‐ wirtschaft tiefgreifend verändern. Die meisten Szenarien eines sozio-ökolo‐ gischen Transformationspfades hin zu einer emissionsärmeren Welt, in der den Auswirkungen des Klimawandels entgegengesteuert werden kann (In‐ ternational Energy Agency 2021; International Renewable Energy Agency 2022; s. Beitrag von Dietz in diesem Band), sind nicht nur hochgradig technizistisch, sondern basieren auf den folgenden Grundannahmen. Neue effiziente Technologie kann die Emission von Treibhausgasen enorm redu‐ zieren, indem fossile Brennstoffe zunehmend durch erneuerbare Energien verdrängt werden. Diese Technologien werden durch ihre Effizienz und letztlich durch ihren geringeren Preis eingesetzt. Die Konsumgüter, die diese Technologien herstellen, werden von einer breiten Masse gekauft und damit deren Konsummuster klimaneutral gestaltet. Gleichzeitig wird für die Herstellung dieser Technologien enorme Mengen mineralischer Rohstoffe benötigt, deren Förderung aufgebaut werden muss. Mit dem zuletzt genannten Punkt dieses Szenarios deutet sich bereits an, dass sich die Welt in neue Gewinner:innen und Verlierer:innen unterteilen wird (s. Cerioli in diesem Band), und sich damit die Produktgruppen der ungleichen Spezialisierung zwar verändern, nicht aber die übergeordnete Asymmetrie der Weltwirtschaft. Dafür sind unter anderem drei Besonder‐ heiten verantwortlich, die sowohl mit dem Angebot an Rohstoffen als auch mit der Struktur der Nachfrage und damit den zukünftigen Käufer:innen zu tun haben. 3.1 Energiewende, Struktur der Nachfrage und soziale Ungleichheiten Erstens ist die Frage, welche Zukunftstechnologie sich durchsetzt, nicht ausschließlich von der derzeitigen oder zukünftigen Effizienz dieser Tech‐ nologie abhängig. Es zeigt sich bei genauer Betrachtung, dass sich effiziente Technologien oftmals eben nicht durchsetzen können. Ein anschauliches Post-fossile Zukunft 91 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Beispiel dafür ist die moderne Computertastatur, deren Tasten für das Abtippen englischer und deutscher Wörter ineffizient angeordnet sind. Bei Einführung gab es Tastaturen, mit welchen wesentlich schneller getippt werden konnte. Unsere heutige Tastatur setzte sich aber durch, da sie als erste einen großen Massenmarkt erreichte, und sich Menschen, die sich einmal darauf eingelassen hatten, nicht mehr umtrainieren wollten (David 1985). Das macht deutlich, dass die Durchsetzung neuer Technolo‐ gie gesellschaftlich nicht neutral ist. Ist eine Gesellschaft egalitärer, setzen sich Massenkonsum-Technologien besser durch. Ist eine Gesellschaft sehr ungleich, orientiert sich der Produktionsappart oft auf Luxusgüter, da die breite Masse zu arm ist, die Reichen aber bereit sind, sehr viel zu bezahlen. Tributäre Imperien waren stets dadurch gekennzeichnet, dass es ein auf die Reichen abgestimmtes, hochspezialisiertes Kunsthandwerk gab (Roy 2008: 100; Charlotte Arnauld/Michelet 2004: 101). Europäische Könige trugen Gewänder aus feinster Seide, die breite Masse allerdings nur Lumpen und einfache Röcke (Wickham 2021). Heute ist dieser Zusammenhang besonders relevant. Luxusgüter, wie et‐ wa eine Gucci-Tasche, werden zum Zwecke der Distinktion und als conspi‐ cious consumption (Veblen 2007[1899]) gekauft. Werden Gucci-Taschen bil‐ liger, steigt die Anzahl der verkauften Taschen aber nicht proportional an. Meist sehen Reiche keinen Nutzen darin fünf oder zehn dieser Taschen zu kaufen, weil sie sich dann nicht mehr als Statussymbol eignen. Produziert eine Gesellschaft jedoch einfache Konsumgüter für eine homogene Nach‐ frage, etwa T-Shirts, die in hoher Stückzahl verkauft werden, dann führen schon einfache zu Verbilligung führende Innovationen zu einer schnellen Ausweitung der verkauften Anzahl und damit zu einer Ausweitung der Produktion. Das liegt daran, dass der Bedarf an T-Shirts kontinuierlich sehr groß ist und schnell neue Käufer:innenschichten erschlossen werden können. Eine derartige Ausweitung des Produktionsapparates hat ebenfalls große Effekte auf den Arbeitsmärkten, da zusätzliche Arbeitskräfte nachge‐ fragt werden. Dementsprechend gibt es einen Zusammenhang zwischen Wachstum und Gleichheit (Araujo/Teixeira 2021). Dieses Beispiel lässt sich auf die Energiewende übertragen. Wenn eine sehr wohlhabende Minderheit in Deutschland durch ihre Distinktion da‐ für sorgt, dass sehr teure und energieintensive SUVs angesagt sind, und derzeitigen Schätzungen folgend bis 2030 etwa die Hälfte aller registrierten Neuwagen und bis zu 70 Prozent der neuzugelassenen E-Autos ausmachen werden (International Energy Agency 2024: 30), dann reagieren nicht nur Industriebetriebe auf diese Nachfrage und richten ihre Produktion darauf Hannes Warnecke-Berger 92 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb aus (Stichwort: derzeitige Krise bei Volkswagen). Es macht darüber hinaus politisch und ökonomisch auch Sinn, klimaschädliche Subventionen auf‐ rechtzuerhalten, statt klimaneutralen öffentlichen Nah- und Fernverkehr für die breite Mehrheit auszubauen (Warnecke-Berger/Burchardt 2024). Die Schlussfolgerung dessen wird daran deutlich, dass nicht das Angebot an neuen Technologien darüber entscheidet, wie klimafreundlich die Zu‐ kunft sein wird. Vielmehr setzen soziale Ungleichheit und die daraus re‐ sultierende Struktur der Nachfrage die Impulse, auf Grundlage derer sich konkrete Technologien in der Zukunft durchsetzen werden. 3.2 Grüne Technologie und Substituierbarkeit der Rohstoffe Zweitens ist die Technologiefrage eng mit der Frage um die Substituierbar‐ keit von Rohstoffen verwoben, also der Frage, wie Rohstoffe durch andere Rohstoffe ersetzt werden können. Zunächst ist klar, dass der Technologie‐ pfad der Dekarbonisierung enormen Einfluss auf die Nachfrage nach Roh‐ stoffen hat, die zur Herstellung dieser Technologien notwendig werden. Auch hier ist der Vergleich zwischen SUVs und dem öffentlichen Nahver‐ kehr nützlich: Wird auf individuelle Mobilität in Form von E-Autos gesetzt, werden zukünftig enorm viele Batterien notwendig. Je größer das Auto, des‐ to größer die Batterie, desto größer die erforderliche Masse an kritischen Rohstoffen für die Batterieproduktion. Wird jedoch vermehrt etwa auf öffentlichen Nahverkehr gesetzt, verschieben sich diese Nachfrageimpulse nach Rohstoffen, und Batterien sind möglicherweise weniger gefragt, dafür aber kommunale Energieproduktion für kommunalen Nahverkehr. Insgesamt ist klar, dass mehr mineralische Rohstoffe für neue, klimaneu‐ trale Technologie gebraucht werden. Derzeit wächst besonderes Interesse für Lithium, da dieses Mineral zentral für die gegenwärtige Batterieproduk‐ tion ist. Gleichzeitig bleibt aber unklar, wie Batterien in 20 oder 30 Jahren hergestellt und welche Rohstoffe für diese zukünftigen Batterien etwa benö‐ tigt werden. Welche Rohstoffe genau gebraucht werden, das hängt von der Technologie, mehr noch, von der in der Zukunft entwickelten Technologie ab. Es ist sicher schwer abzusehen, welche der heutigen Technologien sich durchsetzen werden. Was jedoch aus der Geschichte gelernt werden kann, ist, dass der technologische Pfad politisch nur schwer steuerbar ist. Einige Rohstoffe können mit wenig Aufwand durch andere ersetzt werden. Koh‐ lekraftwerke können mit einigen Umbauten auch mit Gas betrieben wer‐ Post-fossile Zukunft 93 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb den. Metalle in Autos können ausgetauscht werden. Nur wenige Rohstoffe können nicht substituiert werden, und diese Rohstoffe werden in Zukunft den Ton angeben (Graedel et al. 2015). Dazu gehören Blei, Magnesium, Mangan, und seltene Erden wie Thallium, Dysprosium und Euphorium. Diese Rohstoffe besitzen Eigenschaften, die in vielen Technologien gefragt sind, die aber nur sie erfüllen können. Gleichzeitig weisen diese Rohstoffe einen hohen Konzentrationsgrad in nur wenigen Ländern auf. Eben um diese Rohstoffe wird sich in Zukunft der Streit drehen, und gerade hier ist Lateinamerika weniger im Zentrum, als es bisher den Anschein lässt, denn die großen Reserven lagern in Afrika und Asien (United States Geological Survey 2022). 3.3 Das notwendige Auftreten der Renten Drittens schließlich richtet sich der zukünftige Weltmarktpreis dieser Roh‐ stoffe nach dem teuersten Anbieter, der gerade noch am Markt verkaufen kann. Wie oben mit Verweis auf Erdöl dargestellt wurde: Saudi-Arabien produziert für unter 10$/Barrel, verkauft es aber zu 50$, eben dem Preis, bei dem Norwegen und die USA als teuerste Anbieter noch verkaufen. Diese Differenz ist aber wichtig, da sie darüber entscheidet, wieviel Geld Produzent:innen einnehmen können. Deutschland strebt mit der sich nun herauskristallisierenden Industriepolitik schon heute an, kritische Rohstoffe im Land zu fördern: Lithiumabbau wird im Rheingraben und im Erzge‐ birge erprobt. Die Produktionskosten sind mit bis zu 22.000$/Tonne Lithi‐ um aber sehr hoch (Steiger et al. 2022). Im Vergleich dazu liegen sie in Lateinamerika, etwa in Chile oder Argentinien, bei etwas über 2.000$ pro geförderte Tonne. Es ist also zu vermuten, dass sich hier wie beim Erdöl ein Preisgefälle herausprägen wird, dass aber weit über bisher gekanntes hinausgehen wird. Im Fall von Öl hat sich eine Preisdifferenz von eins zu vier zwischen billigeren und teureren Produzenten herausgeprägt. Bei den für die Energiewende wichtigen Rohstoffen werden es Preisgefälle von bis hin zu eins zu zwölf im Fall von Lithium sein. Diese drei Faktoren zeigen, dass wenn das post-fossile Szenario konkret wird, die Weltwirtschaft noch viel mehr durch Rohstoffrenten gekennzeich‐ net sein wird. Länder wie Chile und Argentinien werden sich enorme Extragewinne aneignen können. Im Unterschied zu vergangenen Rohstoff‐ wenden, etwa am Beginn des Aufstiegs von Erdöl, setzt dieser Prozess heute jedoch unter den Bedingungen schon vertiefter Ungleichheiten ein, die Hannes Warnecke-Berger 94 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb selbst wiederum durch den Impuls der Technologiewahl auf die Gestaltung des Umbruchs zurückwirken und schließlich Gefahr laufen, den gesamten Prozess der Energiewende zu torpedieren. 4 Die neue Rolle Lateinamerikas Für Lateinamerika kann dies Fluch und Segen zugleich sein. Auch wenn auf dem Kontinent wenig der oben benannten nicht-substituierbaren Roh‐ stoffe vorkommen, lagern trotzdem große Reserven von kritischen Rohstof‐ fen, die im post-fossilen Energiezeitalter benötigt werden, wie Lithium, Kupfer, Grafit, Silber, Zinn, Nickel, Kobalt oder seltene Erden in der Re‐ gion (Burchardt 2023). Lateinamerika läuft mit diesem absehbaren Geldse‐ gen jedoch auch Gefahr, die schon bestehende ungleiche Spezialisierung weiter zu vertiefen. Dies geschieht zudem vor dem Hintergrund einer brei‐ ten Erfahrung mit Extraktivismus, denn die Geschichte Lateinamerikas ist wohl der deutlichste Nachweis für die Verfestigung ungleicher Spezialisie‐ rung. Seit mehr als 150 Jahren exportieren viele Länder des Kontinents nahezu ausschließlich Rohstoffe. Viele der Länder Lateinamerikas sind im Extraktivismus gefangen. Dies verdeutlicht die folgende Abbildung 2. Sie stellt die jeweiligen Spe‐ zialisierungsmuster von 1960 bis 2020 dar und zeigt, dass seit den 1960er Jahren lediglich Mexiko, Costa Rica und für einige Jahre nach 1990 auch Brasilien dem extraktivistischen Entwicklungsmodell entkommen konnten. Aber auch Mexiko und Brasilien haben nach wie vor einen starken Roh‐ stoffsektor und produzieren große Mengen an Erdöl. Kleinere Länder wie etwa El Salvador und Guatemala spezialisieren sich darüber hinaus auf Migration und die erwähnten remittances. Die restlichen Länder Latein‐ amerikas haben ihre generellen Spezialisierungsmuster wenig verändert. Gleichzeitig haben einige dieser Länder jedoch Extraktivismus selbst diver‐ sifiziert, dabei ihre Exportproduktgruppen verändert, ohne allerdings dem Extraktivismus selbst zu entkommen. Post-fossile Zukunft 95 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Spezialisierungsmuster in Lateinamerika, 1960-20207 Die Ungleichheit zieht sich dabei prägend durch die Gesellschaften Latein‐ amerikas. Sie vertieft soziale Disparitäten und lässt exorbitanten Reichtum in den Händen der Wenigen, die sich die Renten aneignen können, konzen‐ trieren (Bértola et al. 2010). Diese traditionell hohen Ungleichheitsmuster haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten zum Nachteil breiter Massen verschärft. Bis heute weist Lateinamerika die weltweit höchsten Ungleich‐ heitsraten auf (Burchardt/Lungo Rodríguez 2023). Diese vorgestellten Dynamiken lassen dramatische Wandlungsprozesse auf dem Kontinent erahnen, da die dargestellten Spezialisierungsmuster enorm herausgefordert werden. Mit den traditionellen Exporteuren der im Abbildung 2: 7 Eigene Berechnungen auf Grundlage der UN Comtrade Database sowie der World Development Indicators. Für die Darstellung wurde der Anteil der jeweiligen Devisen‐ einnahmen an den Gesamteinnahmen berechnet. Spezialisierung wird als mindestens 30% einer der folgenden Deviseneinnahmen an den Gesamtdeviseneinnahmen de‐ finiert: Official Development Aid (ODA), Remittances, Rohstoffexporte (Extraktivis‐ mus) oder Industrieexporte (Industrie). Hannes Warnecke-Berger 96 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb fossilen Energiezeitalter gebrauchten Rohstoffe Öl, Gas und Kohle müssen sich Länder wie Venezuela, Bolivien und Ecuador (teilweise auch Brasilien) auf enorme Exporteinbrüche einstellen. Daneben findet sich eine zweite Ländergruppe etwa mit Chile, Uruguay, Paraguay und Peru in einer eher komfortablen Situation. Sie exportieren schon jetzt landwirtschaftliche und mineralische Rohstoffe, etwa Kupfer, die global auch in Zukunft gebraucht werden. Sie werden ihre schon bestehenden Exportmuster weiter vertiefen können, ohne große Anpassungsprozesse hinnehmen zu müssen. Schließ‐ lich befindet sich zwischen diesen beiden Gruppen ein dritter Block an Ländern, welche sowohl alte als auch neue Rohstoffe bereitstellen und darüber hinaus einen nicht zu unterschätzenden Teil an verarbeiteten Produkten herstellen. Mit Argentinien, Brasilien, Kolumbien und Mexiko ist diese Ländergruppe zentral für die Zukunft der Region. Diese vier Länder allein beheimaten zwei Drittel der Bevölkerung des gesamten la‐ teinamerikanischen Kontinents und spielen damit eine zentrale Rolle. Ihre politischen Entscheidungen ungleicher Spezialisierung zu entkommen wird wegweisend für ganz Lateinamerika. Gleichzeitig haben in diesen Ländern politische Zukunftsvisionen Be‐ deutung erlangt, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Mit der Idee eines neuen Marktradikalismus beabsichtigt Argentinien das extraktivisti‐ sche Entwicklungsmodell weiter zu vertiefen. Dagegen setzt Brasilien auf grüne Industrialisierung, um internationales Kapital anzuziehen und in erneuerbare Energie zu investieren, ohne den extraktiven Sektor direkt anzugehen (Cerioli 2022). Kolumbien schließlich positioniert sich direkter gegen den Extraktionssektor (Domínguez 2022). Ob es gelingen wird, eine regionale Perspektive zu entwickeln, und dabei Überwindungsstrategien aus ungleicher Spezialisierung zu etablieren, bleibt nach wie vor offen. Dieser Weg steht aber schon jetzt vor prekären Vorzeichen. Erstens lei‐ den die Länder nach wie vor unter in den letzten Jahren weiter auseinan‐ derdriftenden Technologielücken (Cimoli et al. 2019), was das technologi‐ sche Aufwerten der eigenen Produktion und letztlich auch die Produktion grüner Technologie enorm erschwert. Bisher ist es nicht gelungen, eigene Forschung und Entwicklung aufzubauen, um weniger von internationaler Technologie abhängig zu sein. Zweitens ist die Ungleichheit in Lateinameri‐ ka nach wie vor exorbitant hoch. Der besonders starke Luxuskonsum und die Ausrichtung eines erheblichen Teils der Produktion und des Imports auf Luxusgüter kann dabei den Entwicklungsweg weiter verschränken und die Energiewende versanden lassen, da sie die Masse der Bevölkerung nicht erreicht (Galindo 2024). Drittens werden, wie oben bereits angedeutet, Post-fossile Zukunft 97 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb auch die neuen Rohstoffe einen erheblichen Anteil an Renten abwerfen und damit weiter auf ungleiche Spezialisierung, diesmal aber unter grünen Vorzeichen, drängen. Zusammengenommen deuten diese Faktoren eher auf eine neo-feudale Dystopie, in der zwar enorme Übergewinne realisiert werden können, die Bevölkerung daran aber nicht partizipiert. Diese Dystopie beruht auf der Verfestigung ungleicher Spezialisierung im Weltmaßstab, dem Fokus auf die Förderung neuer Rohstoffe, der Persistenz von Renten, aber eben der enormen Vertiefung sozialer Ungleichheit. Nachhaltigkeit und die aktive Partizipation an einem post-fossilen Rohstoffzeitalter wird dann zu einer neuen Ungleichheitsachse, die die zukünftigen haves und have nots trennt. Schon jetzt erwachsen aus diesem Wandlungsprozess Möglichkeiten von traditionellen und neuen Eliten sich gegen sozialen Wandel abzuschirmen (Ickler/Ramos Padrón 2025). Lateinamerika wird dann im sich andeuten‐ den post-fossilen Energiezeitalter abermals in eine Position ungleicher Spe‐ zialisierung gedrängt. Wie die Geschichte zeigt, ist ein derartiges Muster einmal eingeschlagen, ist die Überwindung kaum zu schaffen, da die Kos‐ ten des Wechsels des Spezialisierungsmuster als zu hoch wahrgenommen werden, und eine mächtige und politikbestimmende Minderheit am Status Quo profitiert. Noch ist Zeit für den entscheidenden Kampf gegen diese Dystopie, um das post-fossile Energiezeitalter für alle sozial und nachhaltig zu gestalten. Der Erfolg der Energiewende ist nicht nur eine technologische Frage, er hängt nicht nur von der Verfügbarkeit von Rohstoffen ab, sondern ist an Verteilungsfragen geknüpft. Für Lateinamerika kann die Energie- und Rohstoffwende aber auch in eine Chance verwandelt werden. Sie muss als Katalysator verstanden werden, soziale Ungleichheiten anzugehen, um un‐ gleiche Spezialisierung zu überwinden. Die Mechanismen sind klar: erstens braucht es Beschäftigungspolitik, die mit technologieorientierten Industrie‐ politik Hand in Hand greift. Sie kann dafür genutzt werden, klimaneutrale Technologien zu forcieren und dabei Infrastrukturen aufzubauen, die im angehenden Energiezeitalter wichtig sind. Zweitens aber wird dies nur ge‐ lingen, wenn parallel dazu durch Steuer- und Agrarreformen die eklatanten sozialen Ungleichheiten aufgebrochen werden (siehe Burchardt in diesem Band). Nur unter Bedingungen sich stark verringernder Ungleichheit kön‐ nen sich die neuen Technologien auch durchsetzen, eben weil die breite Masse der Bevölkerung lokal und dezentral ermächtigt wird, sich die Ener‐ giewende leisten zu können (siehe Dietz in diesem Band). Die Zukunft Lateinamerikas wird durch eine konkrete Frage entschieden: Wird der Hannes Warnecke-Berger 98 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb neue Boom die Rohstoffabhängigkeiten und Ungleichheit weiter vertiefen oder zu einem tiefgreifenden Wandel führen? 5 Literatur Alonso, Josâe A.; Ocampo, Josâe A. (Hg.) (2020): Trapped in the Middle? 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Der Subkontinent ist im Bereich der Produktion von Ener‐ giepflanzen für Biokraftstoffe, dem Abbau von Lithium für die Herstellung von Batterien für Elektromotoren oder der Speicherung von Kohlendioxid in Wäldern führend und besitzt zusätzlich attraktive Bedingungen für die Herstellung von grünem Wasserstoff (vgl. Dietz, Dorn und Schlosser in diesem Band). Für Lateinamerika ist also ein erneutes Erstarken eines rohstoffexportie‐ renden Entwicklungsweges zu erwarten1, welcher bereits die letzten beiden Jahrzehnte deutlich geprägt hat. In Zukunft soll diese Strategie aber mit Anforderungen der Nachhaltigkeit verbunden werden und als Transmissi‐ onsriemen für eine Energiewende dienen. Eine neue Phase der Rohstoff‐ ausbeutung, ein sogenannter `grüner Extraktivismus´, wird vorbereitet. Danach soll die Gewinnung und Verwertung von Rohstoffen über den Einsatz von umweltfreundlichem Hightech, der Schaffung von green jobs und klimafreundlichem Rohstoffabbau mit den Zielen der nachhaltigen Entwicklung sowie einer `kohlenstoffarmen´ Zukunft für alle möglich wer‐ den (Voskoboynik/Andreucci 2021). 1 Die Internationale Energieagentur (IEA 2021) prognostiziert, dass die Nachfrage nach Lithium bis 2040 im Vergleich zu 2020 um das 43-fache, nach Kupfer um das 28-fache und nach Kobalt um das 21-fache ansteigen wird. 103 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Um zu prüfen, welche Erfolgschancen ein solches Entwicklungsmodell hat, bietet es sich an, die letzte Rohstoffboomphase (2003-2014) der Region genauer zu analysieren. Hierbei wurde versucht, Armut und eklatante so‐ ziale Ungleichheit durch eine rohstoffexportierende Entwicklungsstrategie zu verringern. Der folgende Beitrag skizziert zentrale Charakteristika dieser Boomphase, analysiert anhand der Arbeitsbeziehungen und Steuersysteme die Ergebnisse der damaligen Reformbemühungen und identifiziert die Bedingungen, die heute erfüllt werden müssen, damit ein rohstoffexortie‐ rendes Entwicklungsmodell die Anforderungen einer sozial-ökologischen Transformation in Richtung von sozialer Kohäsion und nachhaltiger Ent‐ wicklung erfüllen kann. 2 Rohstoffe und Entwicklung in Lateinamerika Zwischen 2003-2014 hat sich Lateinamerika durch ein fast durchgehend hohes und robustes Wirtschaftswachstum ausgezeichnet. Dieses beruhte zu einem großen Anteil auf dem gleichen Fundament, welches dem Sub‐ kontinent bereits mehrfach zum wirtschaftlichen Aufschwung verhalf: die Extraktion und der Export von Rohstoffen. Diese Wirtschaftsform begann in Lateinamerika mit der Plünderung der Edelmetallvorkommen und der kolonialen Unterdrückung der indigenen Bevölkerung vor 500 Jahren. Zum herrschenden Gesellschaftsmodell wurde der Extraktivismus2 jedoch erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dabei wurden die bis heute für Staat und Gesellschaft gültigen Entwicklungsdeterminanten konstituiert: Erstens, der export of nature (Coronil 2013: 43), also ein primär auf Aus‐ beutung und Verwertung ausgerichtetes Verhältnis zur Natur (Burchardt/ Leinius 2022). Zweitens eine rohstoffbasierte Entwicklung und somit große Abhängigkeit von der Rohstoffpreisentwicklung auf dem Weltmarkt. Und im Zuge dieser Globalisierung (Bayly 2004) begann drittens die struktu‐ 2 Der Begriff Extraktivismus leitet sich aus dem Lateinischen ex-tractum „das Herausge‐ zogene“ ab und wird als Synonym für das Herausziehen, Abbauen oder Fördern ver‐ wendet. Er wurde vor allem in den Wirtschaftswissenschaften zur Beschreibung von Wirtschaftsformen und -sektoren (v.a. Bergbau) eingesetzt, die auf einem Abbau von Rohstoffen basieren. In Lateinamerika wird seit mehr als zehn Jahren mit dem Konzept Extraktivismus ein spezifisches Entwicklungs- bzw. Regulationsmodell diskutiert, über das die Politik verstärkt versucht, die Renten aus Primärgüterexporten für gesellschaft‐ liche Entwicklung und für mehr soziale Teilhabe einzusetzen (vgl. Burchardt/Dietz 2014, siehe zum Thema auch: www.extractivism.de. Hans-Jürgen Burchardt 104 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb http://www.extractivism.de/ http://www.extractivism.de/ https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb relle Verankerung der bis heute extrem hohen Ungleichheitsraten in der Region (WID 2024; Williamson 2015). Im Mittelpunkt der jüngsten Phase dieses Extraktivismus standen Sekto‐ ren wie der Bergbau und fossile Energierohstoffe (Öl, Gas, Kohle), aber auch monokulturell angebaute Agrar- und Forstprodukte wie Soja, Kau‐ tschuk, Zuckerrohr und Palmöl (Burchardt/Dietz 2014). Die wachsende Nachfrage nach Rohstoffen sowie die dadurch in die Höhe schnellenden Rohstoffpreise füllten fast in der gesamten Region die Staatskassen. Diese Dynamik wurde nicht nur von makroökonomischen Gleichge‐ wichten und niedriger Inflation flankiert. Sie wurden auch von expansiven Sozial- und Arbeitspolitiken begleitet, die in der Region mit den höchsten Ungleichheitsraten weltweit zu einer Entschärfung der sozialen Frage führ‐ ten. So sanken die Armutsraten in den meisten Ländern Lateinamerikas bis Mitte der zweiten Dekade auf den niedrigsten Stand seit zwanzig Jahren: im Durchschnitt lebte nur noch ein Drittel der Bevölkerung in Armut. Zusätzlich war eine Verbreiterung und deutliche Aufwärtsmobilität der Mittelschichten zu beobachten, die allein in Brasilien rund 20 Millionen Personen umfasste. Gleichzeitig stieg der Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in vielen Staaten signifikant an (Blofield/Fil‐ gueira 2020; CEPAL 2012b; ILO 2013). Auch in Bezug auf die stark dispara‐ ten Arbeitsmärkte Lateinamerikas, die mit ihrem hohen Anteil informeller Beschäftigung als „Fabrik der Ungleichheit“ (CEPAL 2012c: 225) wirken, wurde eine Reihe arbeitspolitischer Initiativen durchgeführt, dank derer sich die registrierte Arbeitslosigkeit fast halbierte (ILO 2013). Des Weiteren waren die Demokratien Lateinamerikas relativ beständig. Insgesamt besa‐ ßen die Regierungen der pink tide (Ellner 2019) eine breite politische und gesellschaftliche Unterstützung. Diese Melange aus wirtschaftlichen Erfolgen, sozialen Verbesserungen, stabiler Demokratie und starker gesellschaftlicher Legitimation war in der Geschichte der 200-jährigen Unabhängigkeit Lateinamerikas eine bedeu‐ tende Etappe. Sie hat zu einer deutlichen Aufwertung des Staates und Aus‐ weitung seiner Aktivitäten in der Wirtschafts-, Sozial- und Strukturpolitik geführt. Die folgende Analyse des Aufstiegs, des Erfolges und des späteren Scheiterns dieses Extraktivismus kann uns Hinweise auf die Potenziale und Risiken des rohstoffbasierten Entwicklungsmodells sowie auf die Transfor‐ mationsfähigkeit von Rohstoffländern geben. Gibt es eine Energiewende ohne Steuerreformen? 105 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb 3 Rohstoffe und Arbeit Viele lateinamerikanische Regierungen haben den Extraktivismus als eine temporäre Strategie verstanden, mit dem die nötigen Ressourcen für ein solides Wirtschaftsfundament und die Bearbeitung der sozialen Frage mo‐ bilisiert werden sollten. Das anvisierte Entwicklungsziel wurde, unabhängig von Paradigmen und politischer Couleur, mit Konzepten wie Produktivi‐ tätszuwachs sowie qualitativem oder integrativem Wachstum umschrieben (ILO 2013; World Bank 2012). Solche Strategien sind immer mit der Frage der gesellschaftlichen Or‐ ganisation von Arbeit verbunden (ILO 2012). Es bleibt also zu prüfen, wieweit es das rohstoffexportierende Entwicklungsmodell in Lateinameri‐ ka geschafft hat, über die Gewährleistung guter Ausbildung und sozialer Absicherung qualitativ hochwertige Arbeit zu generieren, welche über eine Erhöhung der Arbeitsproduktivität das Fundament für eine produktive und nachhaltige Wirtschaft schafft. Im Folgenden werden die wichtigsten Makrotrends in diesem Feld skizziert. Mit Blick auf den sektoralen Beschäftigungswandel nahm die Gesamtbe‐ schäftigung in Lateinamerika im Primärsektor (der Ressourcenextraktion) trotz ökonomischer Aufwertung in der letzten Boomphase um mehr als drei Prozent ab. Bei Extraktionsökonomien handelt es sich häufig um Enklaven, die entweder wenig Beschäftigte benötigen oder wenig formale Tätigkeiten generieren. Generell sind extraktive Aktivitäten kapitalintensiv und binden lediglich einen sehr kleinen Teil der Beschäftigung (Ericsson/ Löf 2018). Die Industriebeschäftigung hat sich mit etwas mehr als 20 Prozent und der öffentliche Dienst mit rund elf Prozent an der Gesamtbe‐ schäftigung regional kaum verändert. Auch die öffentliche Beschäftigung ist nicht gewachsen; dies liegt daran, dass viele zentrale Dienste und Infra‐ strukturmaßnahmen in Lateinamerika privat und oft informell (domestic work) durchgeführt und somit statistisch eher dem tertiären Sektor zuge‐ rechnet werden. Insgesamt entstanden in der letzten Boomphase in Latein‐ amerika vor allem im ausgeprägt informellen Tertiärsektor Beschäftigungs‐ effekte, in dem fast zwei Drittel aller Erwerbsfähigen tätig waren (ILO 2013, 2023; CEPAL 2022). Im Bereich der sozialpolitischen Einbettungen der Arbeitsbeziehungen wurde die Einführung von Conditional Cash Transfers (CCTs) lange als in‐ novative sozialpolitische Erneuerung gelobt. Die Rede ist von international gefeierten Programmen wie die Bolsa Familia in Brasilien. Solche Sozial‐ Hans-Jürgen Burchardt 106 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb transfers erreichten rund 12 Prozent aller lateinamerikanischen Haushalte (in Brasilien z.B. 44 Mio. Menschen) und führten zu einer signifikanten Abnahme der Armut. Im Vergleich mit anderen Sozialleistungen war die Höhe der Ausgaben der CCTs mit 0,25 Prozent des regionalen Bruttoin‐ landsprodukts dennoch minimal und lag weit hinten den Möglichkeiten der Boomzeit (CEPAL 2016). In Wirklichkeit gab es kaum sozialpolitische Innovationen, die mit dem tradierten Muster der exklusiven Sozialpolitik Lateinamerikas brachen. Ressourcenmäßig überwog die Stärkung früherer Sozialversicherungsformen, welche der Bismarck’schen Logik folgend, den Versicherungs- mit dem formalen, privilegierten, Berufsstatus verkoppelten und sich, mit Blick auf Umverteilungspotenziale, durch stark regressiv wirkende Effekte auszeichnen (Filgueira et al. 2011; World Bank 2012). Die Mehrheit der erhöhten sozialstaatlichen Leistungen kam also formal beschäftigten und sozial abgesicherten Arbeitnehmer:innen und Einkom‐ mensschichten zugute3. Das ärmste Fünftel der Bevölkerung erhielt auch während der Boomphase nur knapp zehn Prozent aller Sozialtransfers. Mit anderen Worten: Wohlhabende bzw. vetofähige Gruppen wurden sozi‐ alpolitisch weiter gefördert, während weniger einflussreiche Schichten vor allem durch assistentialistische Politiken wie CCTs alimentiert wurden. Forderungen, breitenwirksame sozialpolitische Leistungen in universelle soziale Rechte umzuwandeln (Barrientos 2013), wurden in der Region nur selten umgesetzt. Insgesamt ist es nicht gelungen, dass traditionell hohe Maß an informeller Arbeit während der Boomphase signifikant zu verrin‐ gern; für die unteren Einkommensgruppen sank teilweise sogar der Zugang zu sozialen Sicherungssystemen (CEPAL 2011). Und da assistentialistische Leistungen nicht über Steuereinnahmen, sondern primär über zusätzliche Rohstoffeinnahmen finanziert wurden, blieben sie hochgradig von Welt‐ marktpreisen und krisenabhängig (Borges 2018). Die fehlenden Bemühungen, Sozialpolitik zu universalisieren und somit über gute Ausbildungschancen und soziale Absicherung qualitativ hoch‐ wertigere Arbeitsbedingungen zu schaffen, hatte direkte Auswirkungen auf die Arbeitsproduktivität. So weisen Studien zur Entwicklung der Produkti‐ vität der Arbeit ebenfalls auf einen Status-quo Erhalt in der Region hin. Trotz einiger arbeitspolitischer Maßnahmen, insbesondere die Einführung und regelmäßige Erhöhung von Mindestlöhnen, zeichneten sich die latein‐ 3 Nur elf der 33 Länder in der Region besitzen eine Arbeitslosenversicherung und ein nur Drittel der erwerbstätigen Personen, die in Haushalten mit niedrigem und unterem bis mittlerem Einkommen leben, ist rentenversichert (CEPAL2020a). Gibt es eine Energiewende ohne Steuerreformen? 107 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb amerikanischen Ökonomien auch während der Boomphase weiter durch eine extreme strukturelle Heterogenität (Diao et al. 2019) aus. Dies betrifft zum einen die Arbeitsproduktivität, zum anderen aber auch die Beschäfti‐ gungsstruktur. Im Feld der Arbeitsproduktivität zeichnet sich der extraktive Sektor wie der Bergbau durch enorm hohe Werte aus, ohne dass diese sich über die Zeit hinweg mit den Produktivitätswerten anderer Sektoren wie der Industrieproduktion ausglichen (De Vries et al. 2021). In der Region wirkte kein Angleichungsmechanismus, der die verschiedenen wirtschaftli‐ chen Sektoren miteinander verkoppelt und dafür Sorge trägt, dass (Produk‐ tivitäts-)Gewinne in einem Feld zum Aufbau und zu Effizienzsteigerungen in anderen Bereichen führte. Die Struktur des Arbeitsmarktes unterstreicht diesen Befund ebenfalls. So stand einem schmalen, sozialpolitisch gut abgesicherten Beschäftigungs‐ segment mit ökonomisch großer Bedeutung ein mittleres, teilreguliertes Segment kleinerer Betriebe mit einem hohen Anteil Erwerbstätiger in der informellen Ökonomie gegenüber, die ökonomisch eine nachgeordnete Be‐ deutung haben. Deutlich wird dies, wenn man die Betriebsgrößen und deren Beschäftigungsanzahl mit ihrem jeweiligen BIP-Anteil korreliert. Im ersten Segment arbeiteten, meistens in Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten, 19,8 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung und es wurden 66,9 Prozent des BIP produziert. Das zweite Segment umfasste mittelgroße bis kleine Betriebe mit 30 Prozent der Erwerbsbevölkerung und mit einem Anteil von 22,5 Prozent am BIP. Rund die Hälfte aller lateinamerikanischen Erwerbstätigen war hingegen im dritten Segment beschäftigt, wo nicht ein‐ mal elf Prozent des BIP erwirtschaftet wurden. Die Pro-Kopf-Produktivität liegt im produktivsten Segment um mehr als das 16-fache höher als im Segment niedriger Produktivität (CEPAL 2011: 110ff.). Diese Fragmentierung der Arbeitsmärkte mit einem hohen Anteil infor‐ meller Beschäftigung, also prekärer Arbeitsbeziehungen ohne soziale und legale Absicherung, die oft kaum zum Lebensunterhalt reichten, wurde während der Boomphase nur diskret verändert und bleibt – bis heute – ein prägendes Strukturmerkmal lateinamerikanischer Gesellschaften. In den letzten Jahren oszilliert die informelle Beschäftigung ohne große Ver‐ änderungen weiter bei etwa 50 Prozent aller Erwerbstätigen der Region, also über 160 Millionen Menschen, deren Mehrheit junge Menschen und Frauen sind (ILO 2020; 2023). Diese traditionell sehr disparaten Arbeitsmärkte Lateinamerikas er‐ schwerten oder blockierten mit ihrer niedrigen Arbeitsproduktivität wie‐ derum die während der pink tide anvisierten Produktivitätssteigerungen, Hans-Jürgen Burchardt 108 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb wie verschiedene Indikatoren dokumentieren: Lag der internationale Wert der Beschäftigungselastizität, bei dem eine hohe Elastizität Ausdruck für arbeitsintensive Produktion und geringe Arbeitsproduktivität ist, während der Boomphase im internationalen Durchschnitt bei 0,32–0,37 Punkten, war er in Lateinamerika fast doppelt so hoch. Er bewegte sich seit drei Dekaden um 0,6 Punkte und hat sich auch während der Boomphase kaum verbessert (ILO 2013: 25). Die regionale Zunahme der Produktion wurde also primär nicht mit hochwertiger Arbeit, sondern eher durch die Auswei‐ tung arbeitsintensiver Tätigkeiten erreicht: „[…] the region made some progress between 2002 and 2010, with labour productivity rising at the rate of 1.5% a year. But this progress falls short of that seen in other regions such as Sub-Saharan Africa (2.1%) and, above all, East Asia (8.3%, not counting Japan and the Republic of Korea). Moreover, in many of the countries of the region these gains have not been distributed equitably.” (ECLAC/ILO 2012: 2; vgl. auch Paus 2020). Mit anderen Worten: Es wurde vor allem Beschäftigung ohne Produktivität und ohne wirtschaftlichen Output geschaffen. Bei der Entwicklung der Lohnquote4 wird die gleiche Tendenz sichtbar. Berechnungen zeigen, dass diese während der Boomphase in 13 Ländern abgenommen hat und sich insgesamt eine Lohnquote errechnen ließ, die zwischen 23 und 48 Prozent variierte und sich regional bei 40 Prozent einpendelte. Im Vergleich dazu hatte die OECD im gleichen Zeitraum eine durchschnittliche Lohnquote von über 50 Prozent (ILO 2012: 40). In der Regel wird davon ausgegangen, dass eine sinkende Lohnquote zu einer geringeren Teilhabe der Lohnabhängigen an der gesamtgesellschaft‐ lichen Wertschöpfung und darüber zu wachsender Einkommensungleich‐ heit zugunsten von Kapital und Rente führt. Paradoxerweise war aber in Lateinamerika im letzten Jahrzehnt das Gegenteil zu beobachten. Nicht nur die Lohnquote, sondern auch der Gini-Koeffizient und somit die darüber zu messende Einkommensungleichheit sanken. Studien erklären diesen Widerspruch über eine empirisch nachweisbare Abnahme der Un‐ gleichheit innerhalb des Lohngefüges selbst (ILO 2013). Innerhalb des schrumpfenden Anteils der Lohnmasse der Region verringerten sich auch 4 Die Lohnquote gibt den Anteil der Arbeitnehmerentgelte, also des Einkommens aus unselbstständiger Arbeit am gesamten Volkseinkommen an. Die Lohnquote wird häu‐ fig als Maßstab für die Einkommensverteilung angesehen. Gibt es eine Energiewende ohne Steuerreformen? 109 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb die Unterschiede zwischen hohen und niedrigen Einkommen. Dies führte zwar dazu, dass die Einkommensungleichheit Lateinamerikas sank. Sowohl Investitionen als auch Beschäftigungseffekte wiesen in der Rohstoffboom‐ phase aber gleichzeitig auf eine weitergehende Konzentration auf niedrig qualifizierte und nicht-handelbare Dienstleistungen hin, die mit einer Ent‐ wertung höherer Berufsqualifikationen einhergingen (CEPAL 2013: 136ff.; Warnecke-Berger 2023). Das Ergebnis dieser Politiken ist klar: Die wach‐ sende Angleichung des Lohnniveaus wurde primär durch eine Ausweitung niedrig qualifizierter Arbeit bei gleichzeitiger Abwertung von Bildungstiteln erreicht. Mit Blick auf diese Dynamik und dem Umstand, dass Lateinamerika mit einem Beschäftigungsanteil von durchschnittlich 65 Prozent im Dienst‐ leistungssektor bereits deutlich über internationalen Vergleichswerten lag, machte die Weltbank eine beunruhigende Feststellung: „[…] what is nor‐ mally considered to be a positive development – the decreasing inequality in labor earnings – may hide a worrisome trend, namely, a tendency towards specialization in low-skill, low-productivity non-tradable sector“. (World Bank 2012: 39). Mit anderen Worten: Zwar stieg das lohnabhängige Einkommen in den unteren Sektoren, aber nicht die Lohnsumme als Ganzes. Vielmehr dehnt sich Arbeit in Richtung niedrig qualifizierter Arbeitsfelder aus. Die Arbeits‐ politiken der progressiven Regierungen tendierten also trotz positiver Be‐ schäftigungseffekte zur Abwertung formeller Arbeit (z.B. Brasilien und Chi‐ le) oder in Richtung einer versteckten Prekarisierung. Die ökonomischen Unterschiede der Lohnabhängigen wurden geringer, ohne dass diese ihre sozioökonomische Position innerhalb der Wirtschaft insgesamt verbessern konnten. Trotz verschiedener Bemühungen gelang es in der letzten Rohstoffboom‐ phase also nicht, die tradierten Arbeitsregime der Region strukturell zu verändern. Das Maß an informeller Arbeit ist kaum gesunken, die Hetero‐ genität der Arbeitsmärkte wurde nicht aufgebrochen, sie generierten weiter ein hohes Maß an Ungleichheit, schufen aber kaum Impulse für Produk‐ tivitätsentwicklung. Das Sinken der regionalen Einkommensungleichheit entstand in einem signifikanten Maße durch die Expansion eines schlecht ausgebildeten und sozial wenig abgesicherten Sektors niedrig qualifizierter Arbeit. Die dafür mobilisierten Ressourcen wiederum hingen nicht von Umverteilungs- und insbesondere Steuerpolitiken oder von Produktivitäts‐ gewinnen, sondern weitgehend von wachsenden Rohstoffexporteinnahmen ab. Hans-Jürgen Burchardt 110 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Die angestrebten Produktivitätszuwächse und daraus aufbauende wirt‐ schaftliche Diversifizierung konnten während der letzten Boomphase des exportorientierten Entwicklungsmodells nicht erreicht werden. Jüngere Zahlen bestätigen diesen Befund. Nach Statistiken der Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD 2023) machten die Primärrohstoffex‐ porte in Venezuela, Chile, Ecuador und Bolivien im Jahr 2018 mehr als 80 Prozent der Gesamtexporte aus; in Argentinien und Brasilien lag die‐ ser Anteil über 60 Prozent. Selbst dort, wo der Industriesektor (wie in Brasilien) stark ist, sind die Wachstumsraten in diesem Produktionszweig dennoch niedriger als in den Rohstoffsektoren. Statistiken der Wirtschafts‐ kommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL 2022) zeigen, dass beispielsweise in Argentinien 1990 die Rohstoffsektoren (Landwirtschaft und Bergbau) 9,1 Prozent und die Industrie 20,3 Prozent des BIP ausmach‐ ten. Die Industrie schrumpfte 2010 auf 15,8 Prozent, während der Rohstoff‐ sektor im selben Jahr auf über 12 Prozent anstieg. Insgesamt konnte sich in der Region kein Industriezweig unabhängig von den Rohstoffsektoren entwickeln, so dass eine wirtschaftliche Diversifizierung ausblieb. Regional ist der Anteil der Industrie gemessen am BIP von 17,8 Prozent im Jahr 1990 auf 12,6 Prozent im Jahr 2018 gesunken. Hieraus ergibt sich ein erster klarer Befund: Die neuen Sozial- als auch Arbeitspolitiken der Boomphase verringerten zwar bei gewissen Teilen der Bevölkerung die soziale Vulnerabilität; die Eintrittsbarrieren in den formalen, sozialversicherten Arbeitsmarkt blieben aber hoch. Stattdessen wurde Arbeit mit geringen Qualifikationsanforderungen gefördert und da‐ rüber indirekt eine Abwertung von Bildungstiteln begünstigt. So gelang es, die extremen Einkommensungleichheiten zu verringern, aber nicht, die tra‐ dierten Produktions- und Stratifikationsmuster der Region zu verändern. Mit dem Ende des Rohstoffbooms Mitte des letzten Jahrzehnts erschlaff‐ te diese an Weltmarktpreise gekoppelte Sozialpolitik, so dass Armut und Ungleichheit bereits vor der Pandemie erneut zunahmen; die Pandemie beschleunigte diesen Prozess weiter (Dietz et al. 2022). Offensichtlich steckt die Mehrheit der lateinamerikanischen Länder in einem middle income trap5 (Paus 2020), aufgrund der es ihnen nicht ge‐ lingt, aus einer primären Exportspezialisierung herauszukommen und über 5 Mit dem Begriff middle income trap wird eine wirtschaftliche Entwicklungssituation beschrieben, in der ein Land, das aufgrund gegebener Vorteile (wie z.B. Rohstoffe in Lateinamerika) ein mittleres Einkommensniveau erreicht, auf diesem Level feststeckt, da es im Wettbewerb mit Gütern mit hoher Wertschöpfung nicht mit hochindustriali‐ sierten Volkswirtschaften mithalten kann (Doner/ Schneider (2016). Gibt es eine Energiewende ohne Steuerreformen? 111 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Arbeitsproduktivitätssteigerungen eine qualitativ hochwertigere Produkti‐ onsstufe zu erreichen. Soll mit dem neuen grünen Rohstoffboom diese Falle verlassen werden und will sich die Region von einem rohstoffexpor‐ tierenden zu einem sozial und ökologischen nachhaltigen Wirtschaftsmo‐ dell transformieren, bei dem das quantitative Mehr an Exporteinnahmen in ein qualitatives, ressourcenschonendes Wachstum mit Produktivitätszu‐ wächsen verwandelt wird, ist es unabdinglich, Arbeit aufzuwerten. Diese Aufwertung geschieht über die Universalisierung von hochwertiger Ausbil‐ dung und guter sozialer Absicherung, die einen signifikativen Abbau infor‐ meller Beschäftigung einleitet und das Fundament für eine Steigerung der Arbeitsproduktivität schafft. Die dafür benötigten zusätzlichen Ressourcen können anfangs über die Einnahmen des neuen grünen Rohstoffsbooms generiert werden. Die letzte Boomphase lehrt uns aber, dass dies nur kurzzeitig trägt; deshalb müssen Ressourcen jenseits der Rohstoffeinnahmen generiert werden. Die rasche Erschließung weiterer Einnahmen, die weniger von Weltmarkttrends abhängen und langfristige Strategien erlauben, wird erforderlich. Bis Pro‐ duktivitätssteigerungen und Diversifizierungserfolge tragen, kann dies nur durch fiskalpolitische Maßnahmen erreicht werden. Damit wird die Frage der Steuerreform zu einer der zentralen Fragen der lateinamerikanischen Entwicklung im 21. Jahrhundert. 4 Rohstoffe und Verteilung Heute lassen sich die Steuersysteme Lateinamerikas durch drei Charakte‐ ristika kennzeichnen (Fehling/ Burchardt 2023): Erstens durch historisch bis heute stark auf Rohstoffexport und Außenhandel fokussierte Abgaben. Die Einnahmen aus Exportsteuern waren hierbei meistens an die Preisent‐ wicklungen am Weltmarkt gebunden, machten die Staatseinnahmen volatil und förderten die Auslandsverschuldung sowie wirtschaftliche Krisen. Die Importzölle insbesondere auf Konsum und Vorleistungsgüter wiederum hatten oft eine protektionistische Komponente. Beide Steuerformen wiesen dem Außenhandel vor allem mit Agrargütern und Rohstoffen frühzeitig eine hohe Bedeutung zu und begünstigten die darin involvierten ökono‐ mischen Eliten (Bértola 2016). Diese historische Abhängigkeit des Steuer‐ aufkommens von Rohstoffexporten (Clemens/ Williamson 2012) wurde während der letzten Boomphase nicht verringert, in einigen Fällen sogar erhöht. Hans-Jürgen Burchardt 112 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Zweitens durch einen stark regressiven Charakter. Dieser basiert auf der einen Seite auf eine durchgehend sehr niedrige, direkte Besteuerung von Vermögen, hohen Einkommen und Unternehmensgewinnen. Während des Rohstoffbooms ist es den progressiven Regierungen nicht gelungen, durch direkte Steuern die Besteuerung der Vermögenden zu erhöhen. Nach jüngeren Zahlen der CEPAL (2021:67) beträgt die Einkommenssteuer in der Region aktuell 5,6 Prozent des BIP, die Vermögenssteuer beträgt 0,8 Prozent des BIP. Zusätzlich genießen Unternehmer:innen und Vermögende zahlreiche Privilegien der Steuervermeidung. Dazu gehören legale Steuer‐ befreiungen oder -ermäßigungen für neue Industrien, Investitionen oder für den Import von Investitionsgütern, sowie beschleunigte Abschreibun‐ gen. Für Einkommen gelten sehr hohe Steuerfreibeträge und sehr niedrige Höchststeuersätze von rund 26 Prozent in Lateinamerika gegenüber 41 Pro‐ zent in der EU (Jiménez 2017). Es gibt niedrige oder keine Erbschaftssteu‐ ern, dafür aber eine verbrämte Tolerierung illegitimer Steuerhinterziehung und Steuerflucht ins Ausland, sowohl von Einzelpersonen als auch transna‐ tionalen Unternehmen (CEPAL 2021). Diese historisch hohen Steuerhinter‐ ziehungsraten belaufen sich Schätzungen zufolge konstant auf 50 Prozent im Bereich der Einkommens- und Unternehmenssteuern (Centrángolo et al. 2017: 350); insgesamt wird ihr Umfang auf 60 Prozent der möglichen regionalen Steuereinnahmen geschätzt (CEPAL 2020b: 58). Dank dieser Politik zahlen die reichsten 10 Prozent einen effektiven Steuersatz von 5,4 Prozent im Vergleich zu den 20 Prozent, die sie in der EU zahlen (Busso/ Messina 2020: 286). Parallel dazu ist in der Region ein hohes Niveau und die regelmäßige Anhebung indirekter Steuern, vor allem der Mehrwertsteuer, zu beobach‐ ten. Auch hier ist es während des Rohstoffbooms zu keinen signifikanten Änderungen gekommen. Die Steuern auf den Verbrauch von Gütern und Dienstleistungen machen zurzeit 46 Prozent aus (CEPAL 2021: 67). Die indirekten Steuern liegen in Lateinamerika somit fast 14 Prozentpunkte höher als im OECD-Durchschnitt. Insgesamt zeichnen sich die lateinamerikanischen Steuersysteme also bis heute durch eine bemerkenswert niedrige Steuerlast für Vermögende und einer verhältnismäßig hohen Belastung für niedrige Einkommen aus. Sie sind stark regressiv (Clifton et al. 2017) und verringern Ungleichheiten nicht, sondern perpetuieren bzw. vergrößern sie sogar in einzelnen Län‐ dern. Drittens dominiert in Lateinamerika bis heute eine sowohl distributive als auch allokative Steuerpolitik, die die Mittelschichten und ökonomischen Gibt es eine Energiewende ohne Steuerreformen? 113 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Eliten besonders begünstigt. Staatsausgaben konzentrieren sich traditionell auf staatliche Kernaufgaben (Militär, Verwaltung, Strukturpolitik und Un‐ ternehmenssubventionen sowie Schuldendienst) und vernachlässigen die wichtigen Bereiche der steuerlegitimierenden öffentlichen Dienstleistungen (wie Gesundheit, Erziehung, Kultur). Der lateinamerikanische Steuerstaat erfüllt somit seit seinem Entstehen nur sehr begrenzt Redistributionsaufga‐ ben (Abad/Lindert 2017). Auch diese Konstellation hat sich während des letzten Rohstoffbooms wenig verändert. Trotz des skizzierten Anstiegs der Sozialausgaben und einer leichten Verbesserung der Progressivität der regionalen Steuersyste‐ me liegt das Umverteilungspotenzial der Steuern in Lateinamerika gerade einmal bei fünf Prozent. Im Vergleich dazu liegt die Umverteilung in der EU-OECD nach Steuern heute bei 38 Prozent (Izquierdo/ Pessino 2020: 283). Hier spiegelt sich sowohl die Niedrigbesteuerung hoher Einkommen und Vermögen als auch das hohe Maß an informeller Beschäftigung in der Region wider. So hat rund die Hälfte der Erwerbstätigen kaum oder keinen Zugang zu steuerfinanzierten öffentlichen Leistungen und noch weniger zu staatlichen Wirtschaftssubventionen. Sie finanziert aber über indirekte Steuern fiskalpolitische Distribution und Allokation mit, die vor allem Besserverdienenden zugutekommen. Zusammenfassend bleibt zu konstatieren, dass die Regierungen in La‐ teinamerika während des jüngsten Rohstoffbooms dank anhaltender wirt‐ schaftlicher Prosperität, expansiver Sozialpolitik und hoher politischer Le‐ gitimation zwar alle Voraussetzungen erfüllten, um in den Steuersystemen Strukturreformen durchzuführen, diese aber weitgehend unterlassen wur‐ den (OECD et al. 2022: 47). Diese fehlende Umsetzung von Steuerreformen ist weniger Ausdruck einer fehlenden institutionellen Durchsetzungskraft. Sie lässt sich auch nicht ausschließlich mit politischer Mutlosigkeit oder Opportunismus er‐ klären. Sie ist vielmehr ein strukturelles Ergebnis des rohstoffexportieren‐ den Entwicklungsmodells selbst: Zum einen hat es kleine, aber sehr agile und mächtige Eliten (Wirtschaft, Politik, Militär) hervorgebracht, die auf‐ grund der wenig diversifizieren Wirtschaft und gering ausdifferenzierten Gesellschaft über eine enorme Vetomacht verfügen und jede sie betreffende Form von Umverteilungspolitiken sabotieren. Zum anderen haben die üp‐ pigen Rohstoffeinnahmen während der Boomphase die Regierungen dazu verführt, diese Konflikte nicht auszutragen, sondern vielmehr die Zusatz‐ einnahmen aus dem Rohstoffexport zu nutzen, um die soziale Frage zu Hans-Jürgen Burchardt 114 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb entschärfen und darüber politische Legitimation zu erhalten (Burchardt 2016). Ein neuer `grüner Extraktivismus´, der seine Ressourcen für eine nach‐ haltige Entwicklung einsetzen will, kann nur Erfolg haben, wenn er mit dieser Logik bricht. Dabei geht es nicht darum, den Konflikt mit den Eliten einzufordern. Vielmehr muss die wirtschaftliche Prosperität der nächsten Boomphase genutzt werden, um strukturelle Reformen demokratisch legiti‐ miert umzusetzen. Eine Steuerreform, die effektiv höhere Einkommen und Vermögen besteuern will, ist nicht nur eine Frage technischer Umsetzung. Sie muss gleichzeitig Steuerlegitimität schaffen, das heißt die Ablehnung gegenüber Steuern bei wichtigen Teilen der Gesellschaft verringern. Dies lässt sich nicht nur mit Gesetzen oder effizienten Verwaltungen erreichen, sondern mit einem Staat, der hochwertige öffentliche Güter anbietet, die breit zugänglich sind, der Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen für große Teile der Erwerbstätigen verbessert und darüber Produktivitätspotenziale entfesselt, die die Wirtschaft und Gesellschaft dynamisieren. Es geht um Weichenstellungen für eine fiskalpolitische Distribution und Allokation, die die Lebensqualität der Steuerzahler:innen spürbar erhöht. Die dafür erforderlichen Reformen lassen sich mit verschiedenen Maß‐ nahmen erreichen:. Erforderlich ist die zeitnahe Verbesserung der Datenla‐ ge zur Erfassung der hohen Einkommen und Vermögen sowie des Boden- und Immobilienbesitzes in der Gesamtregion durch die Einrichtung von öffentlichen Vermögensregistern, welche Auskunft und Vergleichsmöglich‐ keiten über den aktuellen Stand der nationalen Reichtumskonzentration sowie der jeweiligen Steuersituation geben. Dies ist eine gute Grundlage für eine effektive Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -flucht, die mittels einer verallgemeinerte Sanktionsgefahr, also nichts anderem als geltendem Recht, durchgesetzt werden muss. Dies würde das regionale Steueraufkommen nach verschiedenen Schätzungen um mindestens die Hälfte erhöhen (CEPAL 2020b: 54). Die Abschaffung pauschaler Steuerbe‐ freiungen für hohe Einkommen und Vermögen könnte je nach Land zu‐ sätzliche Einnahmen zwischen zwei und sechs Prozent des regionalen BIP generieren (CEPAL/Oxfam 2019: 24; Ruiz 2020). Bei der vergleichsweise niedrigen Spitzensteuerbelastung (25–40 Prozent bei hohen Einkommen, nur fünf bis15 Prozent bei Finanz- und Kapitaleinkommen) ist ebenfalls noch viel Luft nach oben. Vermögenssteuern existieren in Lateinamerika nur in Argentinien, Uruguay und Kolumbien (CIAT 2018); Erbschafts- und Grundsteuern sind viel zu niedrig angesetzt oder gar nicht vorhanden. Insgesamt gibt es hier also einen breiten Spielraum, ohne dass jemand Gibt es eine Energiewende ohne Steuerreformen? 115 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb darben muss. Würden die reichsten zehn Prozent Lateinamerikas mit dem effektiven EU-Steuersatz besteuert, könnte die soziale Ungleichheit der Re‐ gion auf den OECD-Durchschnitt reduziert werden (Valdés 2017). Dort hingegen, wo eine hinreichende Steuerlegitimität nicht zu generie‐ ren und eine aktive Umverteilung politisch nicht durchzusetzen ist, kann über den Abbau von unternehmerischer Protektion und Subventionen sowie einer steuerfinanzierten Strukturpolitik zugunsten des öffentlichen Sektors eine passive Umverteilung umgesetzt werden. 5 Steuern und Energiewende Die letzte Rohstoffboomphase in Lateinamerika hat verdeutlicht, dass Ent‐ wicklung keine Frage von Knappheit ist. Ressourcen sind genug da. Es geht nur um deren kluge Mobilisierung und Verteilung. Entwicklung durch Rohstoffexport ist also immer eine Frage der Politik. Die vorliegende Ana‐ lyse der Arbeitsbeziehungen und Steuersysteme zeigt, dass es Staat und Politik trotz exzellenter Ausgangsbedingungen und klar artikulierten politi‐ schen Willens, strukturellen Wandel zu fördern, nicht geschafft haben, ihre Ziele auch nur annähernd zu erreichen. Der Grund dafür ist, dass Staat und Regierungen nicht jenseits der Rohstoffe stehen, sie werden vielmehr von ihnen geprägt. In Extraktions‐ ökonomien werden Einnahmen über Naturausbeutung generiert. Den er‐ wirtschafteten Rohstoffeinkommen steht meistens keine profunde Arbeits- und Investitionsleistung des Empfängers gegenüber, sie sind relativ frei verfügbar. Arbeit hat keinen oder nur einen niedrigen Wert für die Schaf‐ fung von Wohlstand. Gleichzeitig wird über die Verteilung der Rohstoffein‐ nahmen nicht durch ökonomische Allokation, Wettbewerb und Effizienz, sondern primär politisch und meistens durch den Staat als zentralen Akteur entschieden (Warnecke-Berger 2021). Coronil (2008:19) hat das einmal prägnant formuliert: Gilt in Marktwirtschaften „the business of politics is business“, mit anderen Worten, der Staat setzt die zentralen Parameter für die kapitalistische Akkumulation, heißt es in Rentierstaaten „the business of business is politics“. Zusätzlich entbinden die von außen kommenden Rohstoffeinnahmen den Staat von der Notwendigkeit der Besteuerung der Bevölkerung. Wo aber kein Fiskalvertrag zwischen Staat und Gesellschaft erforderlich ist, verringert sich auch das Erfordernis, die Legitimierung des Staates primär durch demokratische und soziale Teilhabe zu sichern: No Taxation, No Rep‐ Hans-Jürgen Burchardt 116 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb resentation. Staat und Regierungen können sich eine geringe Responsivität gegenüber gesellschaftlichen Forderungen und partikularen Interessen er‐ lauben und treten verstärkt als Verteilungsagenten auf. Nicht die demokra‐ tische Partizipation sichert die Legitimität der Bevölkerung, sondern das Versprechen auf materielle Teilhabe durch Verteilung der Rohstoffeinnah‐ men. Die staatliche Ausgabenpolitik zielt in Rohstoffgesellschaften somit pri‐ mär auf die Sicherung politischer Loyalität und Stabilität. Die ungleiche Verteilung der Rohstoffrenten innerhalb der Bevölkerung ermöglicht dem Staat verschiedene gesellschaftliche Gruppen zu kooptieren und die Gesell‐ schaft, zumindest in Zeiten hoher Einnahmen, tendenziell zu befrieden. Diese besondere Gemengelange hemmt das Transformationspotenzial von Regierungen und Staaten, die rohstoffexportierende Entwicklungsmo‐ delle verfolgen. Wenn Macht, Status und Wohlstand primär vom Zugang zu Rohstoffrenten und somit vom Zugang zum Staat abhängen, ist es für den Staatsapparat als Ganzes selbst dysfunktional, Entwicklungsalternativen im Sinne von mehr Produktivität, Diversifizierung oder nachhaltigem Wachs‐ tum zu schaffen (Warnecke-Berger/Ickler 2023). Vielmehr haben im Staat und in den Regierungen viele Akteure ein Interesse, das Extraktionsmodell institutionell abzusichern und weiter zu vertiefen, um ihre Autonomie und eigenen Privilegien zu bewahren. Dies erklärt, warum die politischen Eliten in Lateinamerika während der letzten Boomphase selbst unter optimalen Reformbedingungen (parla‐ mentarische Mehrheiten, konsolidierte Demokratie, wirtschaftliche Prospe‐ rität, volle Staatskassen, hohe Legitimation), keine Universalisierung von Sozialpolitik oder stärkere Regulierung der informellen Arbeit sowie fiskal‐ politische Umverteilung umgesetzt haben, die mehr soziale Kohäsion, wirt‐ schaftliche Produktivität und anhaltende politische Stabilität garantieren. Die Dynamiken dieser Kräftekonstellation lassen sich als ein Fahrstuhlef‐ fekt beschreiben, also eine kollektive Aufwärtsmobilität, bei der während der Boomphase fast alle beteiligten Gruppen gleichermaßen nach oben befördert wurden, ohne die innere Zusammensetzung der Gesellschaft zu verändern. Der Staat übte die zentrale Funktion aus, dieses Gleichgewicht kontinuierlich zu regulieren. Konflikte mit einflussreichen Gruppen insbe‐ sondere mit den ökonomischen Eliten, die bei einer aktiveren Arbeitspo‐ litik oder Steuerreformen zwangsläufig entstanden wären, wurden über Mehrausgaben kompensiert und vermieden. Die Wirtschaftseliten konnten ihre Vermögen unter den progressiven Regierungen darum nicht nur hal‐ ten, sondern oft sogar ausbauen. Insgesamt basierte der so entstandene Gibt es eine Energiewende ohne Steuerreformen? 117 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Konsens nicht auf sozialem Zusammenhalt, sondern eher auf einer Art roh‐ stoffbasierter Beutegemeinschaft, die so lange stabil blieb, wie ausreichend zu verteilen war (Burchardt/Dietz 2014). Allerdings werden in politischen Allianzen, die sich primär nicht durch Kompromiss, sondern als Beutegemeinschaft auszeichnen, institutionelle Legalität und demokratische Institutionen schleichend erodiert. Sowohl das Erstarken autoritärer Tendenzen in Ländern wie Venezuela als auch der drastische Einflussgewinn (rechts-)populistischer Regierungen und Be‐ wegungen wie in Argentinien lassen befürchten, dass die progressiven Regierungen, die während des letzten Rohstoffbooms versuchten, über Rohstoffextraktion auch die soziale Teilhabe in der Region zu erhöhen, vielleicht langfristig die Herrschaftsform geschwächt haben, die sie an die Macht gebracht hat: die Demokratie. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Rohstofforientierung die Wettbewerbsfähigkeit des nicht-extraktiven Sektors ökonomisch reduzierte und stattdessen eine niedrige regionale Arbeitsproduktivität festigte. Sozial- und arbeitspolitisch minderte das Modell Armut bestenfalls temporär, ging aber nicht die zugrundeliegenden Ursachen der strukturellen Heterogenität an. Statt fiskalpolitischer Umverteilung fand eine (Mehr-)Verteilung der zusätzlich erwirtschafteten Rohstoffeinkommen statt. Mit dem durch Roh‐ stoffexporte erkauften Verzicht auf Strukturreformen konnten gesellschaftli‐ che Verteilungskonflikte und der Widerstand der Mittel- und Oberschicht bequem geschwächt bzw. umgangen werden. Politisch verfestigten sich oft exklusive und klientelistische Herrschaftsstrukturen, die sich um das Roh‐ stoffexportmodell herum entwickelten und kein tiefergehendes Interesse an Transformation hatten. Bei diesen Dynamiken handelte es sich nicht um Naturgesetzmäßigkeiten, sondern um Muster, die sehr stark von ihrer institutionellen, sozialen und kulturellen Einbettung abhängig waren und somit der Politik in der Zukunft deutliche Handlungsoptionen einräumen. Soll der neue Rohstoffboom für eine Energiewende und sozial-ökologi‐ sche Transformation genutzt werden soll, gibt es einen klaren Fahrplan. Ein Einsatz grüner Technologien wird definitiv nicht reichen. Für eine nachhaltige Entwicklung muss ein `grüner Extraktivismus´ durchgehend mit Strukturreformen in der Sozialpolitik, in den Arbeitsbeziehungen sowie in den Steuersystemen verknüpft werden, die die strukturelle Heterogeni‐ tät abbauen. Und zwar so engmaschig, dass jede neu eingeleitete Extrakti‐ onsaktivität ihren konkreten Widerhall in derartigen Reformmaßnahmen findet. Die Reformierung des Steuersystems hat hierbei im Zentrum jeder rohstoffexportierenden Strategie zu stehen, die eine Transformation ver‐ Hans-Jürgen Burchardt 118 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb folgt. Durch Steuern kann der Staat Einnahmen garantieren, die nicht di‐ rekt der Naturausbeutung sowie der volatilen Weltmarktdynamik unterlie‐ gen, die den langfristigen qualitativ hochwertigen Ausbau der öffentlichen Dienstleistungen als soziale Rechte finanzieren und die wirtschaftliche Di‐ versifizierung und Produktivitätspotenziale zugunsten einer Energiewende fördern. Können solche Maßnahmen anfangs auch durch neue Rohstoffein‐ nahmen finanziert werden, muss von Beginn an klar formuliert werden, wie sie graduell auf eine Steuerfinanzierung umgestellt werden. Breite Le‐ gitimation für solche Steuerreformen können Regierungen am besten in wirtschaftlichen Prosperitätsphasen erlangen. Der dadurch heranwachsende Fiskalvertrag garantiert zusätzlich die Demokratisierung der Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft. Steu‐ ereinnahmen und -ausgaben müssen politisch legitimiert werden, die Beutegemeinschaft transformiert zur partizipativen Gesellschaft, die den verschiedenen sozialen Gruppen eine formal-gleiche Teilhabe garantiert. Taxation and Representation würde im Idealfall zur neuen Konfiguration der gesellschaftlichen Organisation. Gleichzeitig muss die Politik eines `grünen Extraktivismus´ neue Ant‐ worten auf den Strukturwandel der Weltwirtschaft, die sich in Richtung Dekarbonisierung und Digitalisierung entwickelt, finden. Mit dem Bedeu‐ tungsverlust fossiler Energien werden für Erdöl- und Gas- exportierende Länder wie Venezuela, Bolivien oder Ecuador mittelfristig schmerzhafte Einnahmeverluste absehbar. Anstatt traditionell den Exportwarenkorb auf andere Rohstoffe umzuschichten (wie es z.B. Venezuela durch massive Bergbauförderung im Amazonas versucht) und somit weiter steigende Umweltbelastungen in Kauf zu nehmen, ist ein profunder Strukturwandel schon jetzt das Gebot der Stunde. Die bisherigen Überlegungen zeigen, dass es für Lateinamerika durchaus möglich ist, mit einem `grünen Extraktivismus´ eine nachhaltige Entwick‐ lung und eine Energiewende zu fördern. Dazu muss aber jeder weitere Schritt der Rohstoffextraktion mit konkreten Maßnahmen in Richtung sozialpolitischer Universalisierung sowie den Abbau der informellen Be‐ schäftigung einher gehen, die möglichst rasch mit steuerpolitischer Umver‐ teilung zu verzahnen sind. Ziel all dieser Bemühungen ist die Schaffung gut abgesicherter, hoch qualifizierter und weniger ressourcenintensiver Arbeit, mit der es gelingt, über eine wissensbasierte und technologisch effiziente Produktion die Arbeitsproduktivität zu erhöhen sowie eine einheimische Technologieproduktion zu begründen, die unter Nachhaltigkeitsvorzeichen in ein neues weltwirtschaftliches Integrationsmuster mündet. Gibt es eine Energiewende ohne Steuerreformen? 119 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Sollte dies nicht geschehen, wird auch der sich neu ankündigende Roh‐ stoffboom in Lateinamerika weder Nachhaltigkeit noch soziale Kohäsion befördern. Es würde eine an Ressourcen und Menschen noch weiter aus‐ gelaugte Region zurückbleiben. Die Geschichte würde sich wiederholen; diesmal jedoch als Farce, denn die Politik wusste rechtzeitig, was zu tun ist. 6 Literatur Abad, Leticia Arroyo; Lindert, Peter H. (2017): Fiscal Redistribution in Latin America Since the Nineteenth Century, in: Bértola, Luis; Williamson, Jeffrey (Hg.), Has Latin American Inequality Changed Direction? Looking over the long-run, Cham: Springer, 243-282. https://doi.org/10.1007/978-3-319-44621-9_11. 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Gibt es eine Energiewende ohne Steuerreformen? 123 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb http://dx.doi.org/10.18235/0002629 https://doi.org/10.1787/rev_lat_car-2018-en-fr https://doi.org/10.1787/58a2dc35-en-es https://doi.org/10.1080/00220388.2019.1595600 https://unctadstat.unctad.org https://unctadstat.unctad.org https://doi.org/10.1177/25148486211006345 https://doi.org/10.1177/25148486211006345 http://pubdocs.worldbank.org/en/226371486076391711/CMO-Historical-Data-Annual.xlsx http://pubdocs.worldbank.org/en/226371486076391711/CMO-Historical-Data-Annual.xlsx https://wid.world https://doi.org/10.1080/19452829.2015.1044821 http://dx.doi.org/10.18235/0002629 https://doi.org/10.1787/rev_lat_car-2018-en-fr https://doi.org/10.1787/58a2dc35-en-es https://doi.org/10.1080/00220388.2019.1595600 https://unctadstat.unctad.org https://unctadstat.unctad.org https://doi.org/10.1177/25148486211006345 https://doi.org/10.1177/25148486211006345 http://pubdocs.worldbank.org/en/226371486076391711/CMO-Historical-Data-Annual.xlsx http://pubdocs.worldbank.org/en/226371486076391711/CMO-Historical-Data-Annual.xlsx https://wid.world https://doi.org/10.1080/19452829.2015.1044821 https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Eine neue Frontier der Dekarbonisierung? Grüner Wasserstoff in Lateinamerika Felix Malte Dorn 1 Einleitung Grüner Wasserstoff (nachfolgend GH2) gilt als Schlüsselelement für die Energiewende. Besondere Hoffnungen ruhen auf Wasserstoff für die De‐ karbonisierung sogenannter hard-to-abate Sektoren wie der Luftfahrt, der Zement-, Eisen- oder Stahlindustrie. Darüber hinaus wird Wasserstoff als Alternative zu fossilen Brennstoffen in Haushalten, Kraftwerken und im Verkehr diskutiert. Neben der Klimakrise und der Verpflichtung der in‐ ternationalen Gemeinschaft auf die im Pariser Abkommen festgelegte 2°C- Grenze, gewinnt Wasserstoff auch aufgrund aktueller geopolitischer Span‐ nungen an Bedeutung. So haben der Krieg in der Ukraine und eine zuneh‐ mend multipolare Weltordnung Europas Abhängigkeit von Energie- und Rohstoffimporten deutlich gemacht und Fragen der Versorgungssicherheit aufgeworfen, die Thea Riofrancos (2023) als „Sicherheits-Nachhaltigkeits- Nexus“ bezeichnet. Die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedsstaaten haben in den vergangenen Jahren Wasserstoffstrategien formuliert, die darauf abzielen, den Wasserstoffanteil im Energiemix in den nächsten Jahrzehnten zu erhö‐ hen. Um diese Ziele zu erreichen, sind die europäischen Länder stark auf Importe angewiesen. Etwa 70 Prozent der Produktionskosten von grünem Wasserstoff entfallen auf den Stromverbrauch (Scholvin 2024). Deshalb versuchen die EU und insbesondere Deutschland, die zukünftige Versor‐ gung mithilfe sogenannter Wasserstoff-, Energie- oder Klimapartnerschaf‐ ten mit afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten zu sichern, denen günstige räumliche und klimatische Bedingungen für eine kostengünstige Produktion zugeschrieben werden. Wie wichtig sowohl GH2 als auch La‐ teinamerika, für die politische Agenda sind, zeigt dabei der Besuch von Bundeskanzler Scholz in Argentinien, Chile und Brasilien Anfang 2023 mit dem Ziel, bilaterale Partnerschaften aufzubauen. Während sich die Bundesregierung im Juni 2023 mit Kolumbien darauf einigte, zukünftig bei der Produktion von GH2 zusammenzuarbeiten, unterzeichnete die EU- 125 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Juli 2023 mit dem dama‐ ligen argentinischen Präsidenten Alberto Fernández eine Absichtserklärung über die Zusammenarbeit im Energiesektor, insbesondere im Hinblick auf Wasserstoff und seine Derivate (Europäische Kommission 2023). Bereits im März 2023 hatte der EU-Rat ein bilaterales Handelsabkommen mit Chile angenommen, bei dem es ausdrücklich auch um den Zugang zu kritischen Rohstoffen wie Lithium, sowie sauberen Kraftstoffen wie Wasserstoff geht (Europäischer Rat 2024). In den lateinamerikanischen Staaten revitalisiert GH2 nicht nur Erwar‐ tungen auf Arbeitsplätze, Investitionen und Wirtschaftswachstum, sondern GH2 ist auch mit Hoffnungen auf eine moderne, CO2-neutrale Zukunft verbunden. Gleichzeitig reihen sich Wasserstoffprojekte in eine lange Ge‐ schichte der Ressourcenextraktion ein (Infante-Amate et al. 2022), die vie‐ lerorts in Form von Enklaven organisiert war und nur bedingt zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Mehrheitsbevölkerung beigetra‐ gen hat (Arias et al. 2013; Ulloa 2021). Die GH2-Produktion ist deshalb in gleich zweifacher Hinsicht umkämpft. Erstens bilden sich mit gegenwär‐ tig diskutierten Wasserstoffregulierungen politische Konfliktlinien heraus, in denen sich oftmals grüne und fossile Kapitalinteressen gegenüberste‐ hen (Dorn 2024). Als sekundärer Energieträger lässt sich Wasserstoff mit verschiedenen Energieformen herstellen. Ein Großteil der weltweiten Was‐ serstoffproduktion basiert heute auf fossilen Brennstoffen, das heißt auf Erdgas, sogenannter grauer Wasserstoff, und Kohle, sogenannter schwarzer Wasserstoff. Die Produktion von blauem Wasserstoff, bei der fossile Brenn‐ stoffe mit Carbon Capture and Storage (CCS)-Technologien eingesetzt wer‐ den, und von grünem Wasserstoff, der durch Elektrolyse mit erneuerbaren Energien erzeugt wird, macht derzeit nur einen unbedeutenden Teil der Gesamtproduktion aus (van de Graaf et al. 2020). Darüber hinaus gibt es weitere Formen der Wasserstofferzeugung, die nur in wenigen Ländern diskutiert werden, wie z. B. violetter oder rosa Wasserstoff auf der Basis von Kernenergie. Divergierende Interessen hinsichtlich der Produktion (grün, blau, rosa, usw.) und Verwendung (Export, nationale Industrie) führen somit zu Konflikten über die mit Wasserstoff verbundenen Transiti‐ onspfade (siehe Dietz in diesem Band, Kalt et al. 2023). Zweitens bringen GH2-Projekte neue sozial-ökologische Konflikte mit sich. Da erneuerbare Energien, die Basis der GH2-Produktion, eine geringere Energiedichte ha‐ ben als fossile Brennstoffe, verweist Tittor (2023) mit dem Begriff des „postfossilen Extraktivismus“ darauf, dass technologieorientierte Dekarbo‐ nisierungsstrategien wie GH2 auch mit einer Zunahme an Landbedarf und Felix Malte Dorn 126 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Landnutzungskonflikten einhergehen (Simon et al. 2024). Somit knüpft grüner Wasserstoff an vergangene Phasen der modernisierungsbasierten Erschließung, Valorisierung und Inwertsetzung vermeintlich leerer oder strukturschwacher Räume an. Dieses raum-zeitliche Phänomen lässt sich mit dem Begriff der Frontier reflektieren (Coy et al. 2016). Neue globale Muster der Ressourceninwertsetzung und -nutzung füh‐ ren zu regionalen Rekonfigurationen des Verhältnisses zwischen Naturres‐ sourcen und institutionellen Arrangements (Rasmussen/Lund 2018). In diesem Beitrag frage ich anhand der entstehenden Wasserstoffökonomie in Argentinien, Chile und Kolumbien auf der Grundlage von politischen Strategiepapieren, Medienberichten und Veröffentlichungen der Zivilgesell‐ schaft nach den politischen, ökonomischen und sozialen Ordnungen, die sich mit diesen Ökonomien herausbilden. Komplementierend nutze ich für die Analyse Notizen und Interviewtranskripte aus Forschungsreisen nach Argentinien (Februar 2023 und Februar 2024) und Kolumbien (August 2023 und Mai bis Juni 2024). Ich argumentiere, dass mit dem Wasserstoff‐ boom eine neue Frontier der Dekarbonisierung entsteht, die einerseits soziale Ordnungen aufbricht und Eigentumssysteme, Rechte und soziale Verhältnisse zerstört (Rasmussen/Lund 2018). Andererseits werden politi‐ sche Machtverhältnisse und Forderungen mittels Mechanismen der Raum- und Ressourcenkontrolle, sogenannter Territorialisierung, räumlich veror‐ tet und in Natur eingeschrieben (Peluso/Lund 2011). Nachfolgend stelle ich in Kapitel 2 meinen theoretisch-analytischen Rahmen vor. In Kapitel 3 wid‐ me ich mich der Wasserstoffproduktion in Lateinamerika und untersuche Frontiertendenzen in den drei Fallstudienländern. Anschließend diskutiere ich die Ergebnisse und schließe mit einem Fazit zu Wasserstoff als neue Frontier der Dekarbonisierung. 2 Frontiers und Territorialisierung Als klassisch geographisch-räumliches Konzept wurde die Frontier lange Zeit von Frederick Jackson Turners (1920) Beschreibung des amerikani‐ schen sogenannten Wilden Westens und einer vermeintlich zu koloni‐ sierenden Wildnis beeinflusst. Der daraus resultierende Frontier-Mythos reicht zeitlich und geografisch weit über die Vereinigten Staaten des 19. Jahrhunderts hinaus. Das Verständnis der Frontier als Raum unbegrenzter Landressourcen, hoher sozialer Mobilität und dem modernisierungsorien‐ tierten Narrativ der Transformation von „Natur in Fortschritt“ (Coy et al. Eine neue Frontier der Dekarbonisierung? 127 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb 2022, S.104) wurde fortan in Geschichtsbüchern und unzählig als Erfolgs‐ geschichte reproduziert und von idealisierten Frontier-Pionieren wie dem Westernhelden John Wayne verkörpert (Coy et al. 2016; Tsing 2005). „In diesem Zusammenhang werden Frontiers auch oftmals als raum-zeit‐ liche Übergänge von der ‚Wildnis‘ zur ‚Zivilisation‘, gleichzeitig auch als ‚Räume der Freiheit‘ jenseits der ‚Fesseln‘ des Überkommenen ‚mystifi‐ ziert‘ und als solche geradezu als ‚Schicksalsorte‘ von nationaler Bedeu‐ tung ‚stilisiert‘. Dies alles sind wesentliche Bestandteile eines ‚Frontier- Mythos‘, der im Neuen, im Aufbruch, in der Dynamik und im ‚Kraftvol‐ len‘ der Pionierfronten wurzelt“ (Coy et al. 2016, S. 329). Bereits ansässige indigene Bevölkerungsgruppen bleiben in diesem zwei‐ felsohne romantisierten Frontier-Diskurs unsichtbar, obwohl die Überlage‐ rung verschiedener territorialer Logiken vielerorts zu gewalttätigen Kon‐ flikten sowie der Marginalisierung, Verdrängung und teilweise auch Auslö‐ schung ebendieser Gruppen führt. Die Frontier lässt sich im Kern als eine Ausbreitung der eurozentristischen Vorstellung von Moderne sowie kapita‐ listischer Verhältnisse in periphere Räume des Hinterlandes interpretieren, wobei die dichotome Konstruktion von Zivilisation und Wildnis sowie von Natur- und Kulturraum beständig reproduziert wird. In der Gegenwart gewinnen Regionen insbesondere aufgrund ihrer stra‐ tegischen Potenziale (Energie, Fläche, Rohstoffe, Biodiversität) als globali‐ sierte Orte von Ressourcenvorkommen an Aufmerksamkeit. Dichotomien zwischen Natur und Kultur, Wildnis und Zivilisation, Tradition und Mo‐ derne sowie zwischen sogenannten unterentwickelten und entwickelten Regionen haben vielerorts komplexe sozioökonomische und sozial-ökolo‐ gische Konfliktkonstellationen hervorgebracht, bei denen eine positiv kon‐ notierte ökonomische Dynamik meist einer starken sozialen Vulnerabilität sowie drastischer Umweltzerstörung gegenübersteht. Durch Jahrzehnte sich überlappender territorialer Logiken sind jedoch auch hybride Formen ent‐ standen (Dorn 2021), weshalb die klassische Gegenüberstellung vermeint‐ lich guter indigener Gemeinschaften und böser Imperialisten, sowie globa‐ ler Entwicklungen und lokaler Konflikte in vielfacher Hinsicht zu kurz greift (Dietz/Engels 2020). Die Frontier verstehe ich als Ort der sozial-räumlichen Rekonfiguration, der multiskalar in eine bestimmte Phase der Ressourceninwertsetzung ein‐ gebettet ist. Die soziale Konstruktion von Rohstoffen und Commodities (Bridge 2010; Machacek 2017) und daraus resultierende globale Muster der Exploration, Kommodifizierung und Nutzung von Ressourcen haben Aus‐ Felix Malte Dorn 128 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb wirkungen auf verschiedenen räumlichen Ebenen. Das Konzept der Fron‐ tier ermöglicht es, nach den politischen, ökonomischen und sozialen Ord‐ nungen zu fragen, die mit der Inwertsetzung einer neuen Commodity einer‐ seits zerstört werden und andererseits neu entstehen. Tsing (2005) versteht unter einer Frontier eine Kontaktzone zwischen Altem und Neuem. Die‐ ses oft ungleiche Aufeinandertreffen erzeugt Reibungen (Frictions), was zu neuen Arrangements von Kultur und Macht führen kann. In Frontierräu‐ men geht es deshalb ebenso sehr um die Entstehung von institutionellen Ordnungen wie um deren Auflösung (Rasmussen/Lund 2018; Lund 2020). Bereits bestehende sozial-räumliche Ordnungen wie Regeln zur Kontrolle und des Zugangs zu Rohstoffen werden zerstört und durch neue ersetzt. Frontiers lassen sich somit auch als umkämpfte Inwertsetzungsstrategien verstehen, die meist durch staatliche Politik in Gang gesetzt werden (Back‐ house/Lehmann 2020; Rasmussen/Figueroa 2023; Silva/Sareen 2023). In diesem Beitrag stütze ich mich vor allem auf die Arbeit von Rasmus‐ sen und Lund (2018), die Frontiers als Auflösung bestehender sozialer Ord‐ nungen und als inhärent mit der Territorialisierung neuer Ordnungen ver‐ knüpft betrachten. Das Konzept der Territorialisierung stellt Mechanismen zur Kontrolle von Raum und Ressourcen in den Mittelpunkt. Während Frontiers diskursiv, politisch und physisch als leere, ungeregelte, natürliche oder dünn besiedelte Räume produziert werden, umfassen Prozesse der Territorialisierung die territoriale Verwaltung, das Rechtssystem, Privatei‐ gentum, Kartierungen sowie die Fähigkeit, all dies mit Gewalt durchzuset‐ zen. Im nachfolgenden Analysekapitel fokussiere ich daher auf Akteure und ihre Narrative, neue Institutionen und Gesetze sowie resultierende Konflikte. 3 Grüner Wasserstoff in Lateinamerika Die GH2-Produktion in Lateinamerika steht in direktem Zusammenhang mit einem zunehmenden Bedarf für saubere Kraftstoffe im Rahmen der Nachhaltigkeitswende. Eingebettet in den Kontext der globalen Energie‐ wende führt die Expansion von grünen Energieprojekten vielerorts zu so‐ zial-räumlichen Rekonfigurationen, die Frontier-Dynamiken und Prozesse der Territorialisierung zur Folge haben. Diese Tendenzen werde ich nach‐ folgend an den Entwicklungen zur Produktion von GH2 in Argentinien, Chile und Kolumbien diskutieren. Eine neue Frontier der Dekarbonisierung? 129 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb 3.1 Argentinien Die argentinische Wasserstoffpolitik beginnt mit der Ankündigung einer Jahrhundertinvestition. Während der UN-Klimakonferenz in Glasgow (COP26) im November 2021 kündigte der damalige argentinische Präsident Alberto Fernández (2019-2023) eine 8,4 Milliarden US-Dollar Investition des australischen Unternehmens Fortescue für den Bau eines exportorien‐ tierten Wasserstoffprojekts in der Provinz Río Negro im Norden Patagoni‐ ens an (Gobierno de Argentina 2021). Das Unternehmen beabsichtige den Bau von Windparks in der Meseta Somuncura, einem Naturschutzgebiet mit einer Fläche von 1,6 Millionen Hektar. Die Industrieanlage für die Produktion von GH2 soll in der Nähe des Dorfes Sierra Grande errichtet werden. Die Pläne sehen auch eine Hafenanlage für den Export von GH2 in Playa Dorada vor (Salgado 2021). Seitdem wird in Argentinien um eine nationale Wasserstoffgesetzgebung gerungen, die auch durch die Präsenz mächtiger Öl- und Gaskonzerne und den Boom der Ölschiefer-Lagerstätte Vaca Muerta in den vergangenen 10 Jahren beeinflusst wird (Dorn 2024). So sieht die 2023 veröffentlichte na‐ tionale Wasserstoffstrategie Fördermaßnahmen für mehrfarbigen Wasser‐ stoff (hidrógeno multicolor) vor (Secretaría de Asuntos Estratégicos 2023). Zwar sollen die in einem Gesetzesentwurf vorgesehenen Anreize abgestuft werden, so dass GH2 die größtmöglichen Vorteile erhält, jedoch wird auch die Produktion von Wasserstoff aus Gas mit CCS-Technologie (blauer Wasserstoff ) sowie Wasserstoff aus nuklearer Energie (rosa Wasserstoff ) explizit unterstützt. Grundsätzlich werden bei alledem ausländische Direkt‐ investitionen und die Beteiligung von privatem Kapital politisch gefördert. Dies deckt sich mit der marktliberalen Politik des ultra-libertären argenti‐ nischen Präsidenten Javier Milei (seit 2023). Als bekannter Klimawandel‐ leugner bietet das von ihm angestoßene Anreizsystem für Großinvestitio‐ nen (RIGI, Régimen de Incentivo para Grandes Inversiones) Steuer-, Zoll-, Rechts- und Devisenvorteile für Großunternehmen, unabhängig davon, ob es sich um grüne oder fossile Investitionen handelt (Cholakian 2024). Eingebettet in diese nationale Politik der Begünstigung von Investitionen in jeglichen Wasserstoffausbau, grün, blau oder türkis, sind aufgrund der föderalen Struktur des Landes in der Provinz Río Negro eine Reihe von Gesetzen zur Förderung von GH2 verabschiedet worden. So erklärte die da‐ malige Gouverneurin Arabela Carreras (2019-2023) das Fortescue-Projekt mit dem Gesetz 5560 von 2022 zu einem öffentlichen Interesse der Provinz Río Negro. Durch Artikel 4 des Gesetzes werden Fortescue 625.000 Hektar Felix Malte Dorn 130 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb öffentliches Land für einen Zeitraum von 50 Jahren, verlängerbar um wei‐ tere 25 Jahre, für die Exploration und Konstruktion eines Windparks sowie Infrastrukturen für die GH2-Produktion gewährt. Wenig später verabschie‐ dete die Provinzregierung das Gesetz 5559 zur Gründung einer mehr als 600 Hektar großen Freihandelszone. Bereits im Juli 2020 hatte die Provinzregierung die deutsche Fraunhofer- Gesellschaft mit der Erstellung einer Machbarkeitsstudie und einer Analyse der Bedingungen für die Produktion von Windenergie und Wasserstoff beauftragt. Die Studie wurde ein Jahr später, im Juli 2021, vorgelegt und kommt zu dem Schluss, dass die Provinz Río Negro enorme Möglichkeiten für eine kosteneffiziente Produktion von GH2 auf Basis der „erstklassigen Winde“ in der Region bietet (Bard 2021). Zu den größten Wasserstoffpro‐ jekten des Landes zählt neben dem Pampas Projekt von Fortescue heute auch ein Projekt des serbischen Investors CWP Global in Feuerland, der südlichsten Provinz Argentiniens. Bereits seit Ende 2008 produziert Hychi‐ co zudem mithilfe des 6,3 Megawatt (MW) Diadema Windparks kleine‐ re Mengen grünen Wasserstoffs in Comodoro Rivadavia in der Provinz Chubut. Zu den Mechanismen der Raum- und Ressourcenkontrolle gehören im Kontext der Etablierung einer Wasserstoffindustrie in Argentinien in ers‐ ter Linie regulatorische Maßnahmen, die sich aus einem Zusammenspiel einer neoliberalen staatlichen Investitionspolitik und konkreten Gesetzen auf Provinzebene ergeben. Darüber hinaus wird das (Wind-)Potenzial der Region mit Studien und Kartierungen unterstrichen und kartographisch international sichtbar gemacht. Legitimiert wird dieser Prozess der Terri‐ torialisierung – die Herstellung einer neuen Ordnung und Mechanismen der Raum- und Ressourcenkontrolle – außerdem durch ein weitreichendes grün-technologisches Narrativ, wobei Wasserstoff insbesondere seitens der Provinzregierung als nachhaltige und zukunftsorientierte Entwicklungs‐ chance für Argentinien gerahmt wird (Dorn 2024). Gleichzeitig ist das Wasserstoffprojekt auf lokal-regionaler Ebene stark umkämpft. Die indigenen Gemeinschaften der Mapuche-Tehuelche stellen die exportbasierte GH2-Produktion in Frage und beklagen die Missachtung indigener Rechte sowie der Selbstbestimmung und Selbstverwaltung ihrer Territorien. Die betroffenen Flächen werden von Mapuche Gemeinschaften für die extensive Weidewirtschaft genutzt. Eine Mapuche-Repräsentantin in Sierra Grande erklärt dabei, dass es „nie einen Konsultationsprozess ge‐ geben“ habe (Interview, 02/2024). Dieser Widerstand wird von NGOs und aktivistischen Gruppen wie OPSur (Observatorio Petrolero Sur) sowie der Eine neue Frontier der Dekarbonisierung? 131 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Bioandina Stiftung unterstützt. Letztere betreibt ein Ansiedlungsprogramm zur Erhaltung des Andenkondors in der Sierra Pailemán und kritisiert die Regierung für ihre Versäumnisse im Umweltschutz (Interview mit einem Sprecher der Stiftung, 03/2023). Neben der Missachtung bestehender sozialer Arrangements und Eigentumssysteme ergibt sich die besondere Frontier-Dynamik jedoch auch aus einer klassischen Abwertung lokaler Lebenswelten sowie dem Narrativ der terra nullius. So hält ein Mitarbeiter der Provinzregierung in einem Gespräch anschaulich fest: „Dort leben ein paar Typen, abgeschlagen und ohne Perspektive. Das ist der Mond selbst. Da ist einfach nichts“ (Interview, 02/2023). 3.2 Chile Während die argentinischen GH2-Projekte nur langsam anlaufen, positio‐ niert sich Chile seit einigen Jahren als Vorreiter der südamerikanischen Wasserstoffwende. Da das Land keine nennenswerten Gasvorkommen be‐ sitzt, liegt der Fokus explizit auf der Produktion von GH2. Bereits 2015 veröffentlichte das chilenische Energieministerium unter der damaligen Regierung von Michelle Bachelet (2006-2010 und 2014-2018) einen Bericht zur langfristigen Energiepolitik, der Wasserstoff als innovative Technologie und als Chance für den chilenischen Energiesektor anerkennt (Ministerio de Energía 2015). Im November 2020 stellte die damalige Regierung von Sebastián Piñera (2010-2014 und 2018-2022) die Nationale Grüne Wasser‐ stoffstrategie vor, die klare Ziele für den Ausbau der Branche enthält. So soll die Produktion von GH2 fortan jährlich um 15 Prozent wachsen, wobei der chilenische Bergbausektor zunächst als Hauptabnehmer identifiziert wird. Der Export nach Europa und nach Ostasien soll zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen (Ministerio de Energía 2020). Als Element der Strategie wurde 2021 ein Projekt zur Beschleunigung des Wasserstoffausbaus vorge‐ stellt (Aceleradora H2V), das die Produktion und den Export von Wasser‐ stoff mithilfe der Kofinanzierung durch die Agentur für Nachhaltigkeit in der Energiewirtschaft (Agencia de Sostenibilidad Energética, AgenciaSE) fördert. Die Regierung von Präsident Gabriel Boric (seit 2022) setzt die von Piñera begonnene Wasserstoffpolitik fort. So erarbeitete das Energiemi‐ nisterium einen Aktionsplan für grünen Wasserstoff, der als detaillierte Roadmap im April 2024 vorgestellt wurde (Ministerio de Energía 2024). In diesem Zusammenhang wurde ein Strategieausschuss eingerichtet, der Felix Malte Dorn 132 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb neue Finanzierungsquellen erschließen und Vorschläge zur Anpassung des institutionellen Rahmens unterbreiten soll, um ein anhaltend gutes Investitionsklima zu schaffen. In einem ersten Schritt (bis 2026) sieht der Aktionsplan vor, die notwendigen Voraussetzungen für das Wachstum der Wasserstoffindustrie zu schaffen. Dazu zählen steuerliche Anreize, die Op‐ timierung von Genehmigungsverfahren, aber auch die Festlegung von Um‐ welt-, Sozial- und Arbeitsstandards. In einem zweiten Schritt (2026-2030) soll der Schwerpunkt stärker auf der regionalen und lokalen Entwicklung liegen (Ministerio de Energía 2024). Unterstützt wird der private Sektor zudem von der chilenischen Gesellschaft für Produktionsförderung (Cor‐ poración de Fomento de la Producción, CORFO) sowie der Investitionsför‐ derungsagentur InvestChile (Scholvin 2024). In Zusammenarbeit mit den Ministerien für Wirtschaft, Energie und Finanzen setzt CORFO derzeit ein Finanzierungsprogramm in Höhe von 1 Mrd. US-Dollar für die Entwick‐ lung von GH2 in Chile auf. Die Mittel werden indes von multilateralen Organisationen wie der Interamerikanischen Entwicklungsbank, der Welt‐ bank, der Lateinamerikanischen Entwicklungsbank, der Kf W, sowie der Europäischen Investitionsbank bereitgestellt (Bachelet 2024). Die angekündigten Wasserstoffprojekte in Chile übersteigen die Zahlen in Argentinien und Kolumbien deshalb deutlich (IEA 2023). Die bestehen‐ den Pilotprojekte oder Projekte im Bau konzentrieren sich in zwei Regio‐ nen: Während die Atacamawüste im Norden Chiles zu den Regionen mit der höchsten Sonnenstrahlung weltweit zählt, bietet der Süden ideale Be‐ dingungen für die kostengünstige Produktion von Windenergie. In beiden Regionen reiht sich die Wasserstoffwirtschaft in eine weit zurückreichen‐ de extraktive Geschichte ein (Kupfer und Lithium in Antofagasta, fossile Rohstoffe in Magallanes). Gleichzeitig leben in beiden Regionen vor allem indigene Gemeinschaften, etwa Atacameños, Mapuche, Aymara und Que‐ chua in Antofagasta im Norden und Mapuche Huilliche und Kawésqar in der Region Magallanes im Süden des Landes (Dorn & Gundermann 2022; Gundermann et al. 2009). In Antofagasta werden gegenwärtig sonnenbasierte Wasserstoff- und Am‐ moniakprojekte vom Atacama Hydrogen Hub, Enaex, der spanischen TCI Gecomp und der amerikanischen AES Gruppe aufgebaut. In der Region Magallanes kündigte das österreichisch-dänische Konsortium HNH Ener‐ gy kürzlich ein 11 Milliarden US-Dollar Megaprojekt zur windbasierten Produktion von grünem Ammoniak für den Export an. Das größte Invest‐ ment der chilenischen Geschichte wird von den österreichischen Firmen AustriaEnergy und Ökowind in Kooperation mit dem dänischen Investor Eine neue Frontier der Dekarbonisierung? 133 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Copenhagen Infrastructure Partners (CIP) in der Kommune San Gregorio entwickelt. Seit 2022 betreibt die chilenische Gesellschaft Highly Innovative Fuels (HIF Global) die Pilotanlage Haru Oni zur Produktion von stromba‐ sierten synthetischen Kraftstoffen (E-Fuels) nördlich von Punta Arenas. Porsche, Siemens, ENEL und ExxonMobil gehören zu den Investoren (Siemens Energy 2022). Die Vorführanlage umfasst bislang ein einziges Windrad und produziert 130.000 Liter E-Fuel pro Jahr. Die Kapazität soll bis 2030 etwa 550 Millionen Liter betragen (Porsche 2022). In Magallanes unterstreichen weitere sieben Projekte, entwickelt von Firmen wie Total Energies, TEG, Consorcio Austral oder der EDF Gruppe, das Vertrauen internationaler Investoren in die chilenischen Institutionen. In beiden Fällen regt sich Widerstand seitens der lokalen Bevölkerung sowie NGOs. Zwar wird grundsätzlich die Exportorientierung in Frage gestellt, der Hauptkritikpunkt in der Region Antofagasta ist jedoch der hohe Wasserverbrauch. In der Region Magallanes sind hingegen stärker Landnutzungskonflikte zu beobachten, was auch an der weit verbreiteten Schaf- und Rinderzucht sowie an der hohen räumlichen Mobilität der Mapuche und der damit verbundenen ontologischen Bedeutung von Land liegt (Gundermann et al. 2009). In diesem Zusammenhang wird seitens des Staates und der Unternehmen argumentiert, dass GH2-Projekte ange‐ sichts der Landflucht und der jüngsten Krise der Schafzucht eine starke wirtschaftliche Alternative bieten können. Von Seiten der lokalen Bevölke‐ rung wird die mögliche Wasserstoffproduktion jedoch als Bedrohung für traditionelle wirtschaftliche Aktivitäten wahrgenommen. Die Frontier-Dy‐ namik resultiert somit vor allem aus dem Konflikt um Lebensgrundlagen wie Wasser und Land. Gleichzeitig hat der chilenische Staat mit einem Territorialisierungsprozess begonnen. Mit Berichten, Strategiepapieren und einem Aktionsplan wird gezielt das Engagement privater Akteure gefördert. Dazu zählen auch eine Vereinfachung von Genehmigungsverfahren, das gezielte Anwerben ausländischer Direktinvestitionen sowie die Kofinanzie‐ rung von Projekten. 3.3 Kolumbien Zwar verfügt Kolumbien noch nicht über einen etablierten politischen Rahmen für die Regulierung eines künftigen GH2-Marktes und die erfor‐ derliche Energie- und Industrieinfrastruktur, doch wurden seit 2021 eine Reihe politischer Initiativen formuliert, die eine rasche Ausweitung der Felix Malte Dorn 134 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Produktionskapazitäten zum Ziel haben. 2021 verabschiedete der damalige konservative Präsident Iván Duque (2018-2022) das Gesetz zur Energie‐ wende (Gesetz 2099), mit dem Bestreben die bestehenden gesetzlichen Regelungen zu erneuerbaren Energien aus dem Jahr 2014 (Gesetz 1715) zu modernisieren und die nationale Wirtschaft zu reaktivieren. Gleichzeitig werden blauer und grüner Wasserstoff als alternative, saubere Energieträger verankert. Die im Gesetz festgelegten steuerlichen Anreize und die Gleich‐ behandlung von grünem und blauem Wasserstoff zeigen jedoch, dass der Hauptzweck darin besteht, private Investitionen zu fördern (Combariza 2024). Im September 2021 veröffentlichte die Regierung zudem eine nationale Roadmap für Wasserstoff. Darin werden industrielle Zentren wie Cartage‐ na und Barranquilla (mit Öl- und Gasraffinerien, Düngemittelproduktion usw.) an der Karibikküste als ideale Orte für die Förderung grüner Indus‐ trieprojekte, wie die Produktion von GH2 und grünem Ammoniak, defi‐ niert. Demgegenüber wird die Provinz La Guajira aufgrund seiner Wind- und Solarpotenziale und der vorhandenen Transportinfrastruktur aus dem Kohlebergbau als potenzielle Exportregion für GH2 in Form von grünem Ammoniak definiert (MME 2021). Auch nach Amtsantritt des progressiven Präsidenten Gustavo Petro im August 2022 wurden die Bestrebungen fortgeführt, GH2-Produktion für den Export zu fördern. Allerdings wurde die Wasserstoffpolitik nun stärker mit dem Ziel einer gerechten Energiewende verknüpft. GH2 soll dabei in erster Linie für eine grüne Industrialisierung innerhalb Kolumbiens genutzt werden. Viel diskutiert wird insbesondere der Vorschlag einer grünen Dün‐ gemittelindustrie. Noch im gleichen Jahr wurde ein Gesetzesentwurf zur Förderung und Regulierung der Wasserstoffindustrie vorgelegt, der vom Kongress jedoch noch nicht verabschiedet wurde. Darin verankerte Ziele wie Energiesicherheit und -souveränität finden sich auch in der Roadmap für eine gerechte Energiewende, die derzeit vom kolumbianischen Bergbau- und Energieministerium (Ministerio de Minas y Energía, MME) erarbeitet wird. Der Wasserstoffboom materialisiert sich vor allem in Form einer Expan‐ sion von Windparks im Department La Guajira. Besonders das kartierte Windpotenzial erhöht dabei den Druck auf La Guajira als mögliche Pro‐ duktionsregion für erneuerbare Energien. Schon im Jahr 2006 veröffent‐ lichte das MME zusammen mit Kolumbiens Abteilung für Bergbau und Energieplanung (UPME) und dem Institut für Hydrologie, Meteorologie und Umweltstudien (IDEAM) den Windatlas für Kolumbien, der zehn Eine neue Frontier der Dekarbonisierung? 135 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Jahre später erneut aktualisiert wurde und „ein gutes Windenergiepotenzial entlang der Halbinsel La Guajira“ ausweist (MME 2006: 15). Auch interna‐ tionale Akteure wie die Fraunhofer-Gesellschaft und die Deutsche Gesell‐ schaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) haben in eigenen Studien das Potenzial der Halbinsel für eine kosteneffiziente Windenergieprodukti‐ on hervorgehoben (Interview mit GIZ-Mitarbeiter, 08/2023). In diesem Zusammenhang sieht auch Präsident Gustavo Petro die Region als ein mögliches „Zentrum des grünen Wasserstoffs in Südamerika“ (Hernández 2024). Bislang haben 17 Unternehmen Anträge für 57 On- und Offshore Wind‐ parks eingereicht (Barney 2023). Einige der Unternehmen, darunter das amerikanische Unternehmen AES Colombia, verknüpfen ihre Windpark‐ projekte explizit mit Plänen zur Herstellung von GH2. Zwölf der Unter‐ nehmen kommen aus dem Ausland, hauptsächlich aus Spanien, Italien, Portugal, Frankreich, Kanada, Brasilien, den USA und den Niederlanden. Außerdem liegen Anträge für den Bau von drei Hochspannungsleitungen vor, da die Guajira mit Ausnahme einer privaten Leitung des Kohleminen‐ betreibers Glencore noch nicht an das nationale Stromnetz angeschlossen ist. Windparks benötigen zum Aufbau und Betrieb eine Umweltgenehmi‐ gung. Projekte mit einer Leistung von mehr als 100 MW benötigen eine Ge‐ nehmigung der Nationalen Behörde für Umweltlizenzen (ANLA). Projekte mit einer Leistung von weniger als 100 MW werden von den regionalen Umweltbehörden, namens CorpoGuajira im Fall von La Guajira, geneh‐ migt. Da sich die meisten dieser Projekte auf Territorien der indigenen Wayúu Gemeinschaften befinden, muss ein Unternehmen darüber hinaus einen Konsultationsprozess mit den lokalen Gemeinschaften durchführen. Dabei geht es zum Beispiel um finanzielle Vereinbarungen für die Nutzung eines Gebiets sowie um Entschädigungen für sozial-ökologische Auswir‐ kungen. Schließlich wird die sogenannte protocolización von allen Parteien als rechtsverbindliche Vereinbarung unterzeichnet (Interview mit einem Mitarbeiter von CorpoGuajira, 08/2023). Neben bürokratischen Initiativen und neuen Gesetzen hat insbesondere die Kartierung von Potenzialen zu einem Windenergie-Boom in der Guaji‐ ra beigetragen. Während der ehemalige Präsident Duque im Januar 2022 den Windpark Guajira-1 auf einer 80 Meter hohen Windturbine einweihte und darauf hinwies, dass Kolumbien und die Guajira zu einem der attrak‐ tivsten Orte für internationale Investitionen werden würde, musste der Windpark im Vorfeld vom kolumbianischen Militär gesichert werden, um Felix Malte Dorn 136 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Sabotageakte der umliegenden indigenen Gemeinschaften zu verhindern. Dies zeigt, dass auch die Durchsetzung von Projekten durch Zwang nicht ausgeschlossen wird. Sowohl Unternehmen als auch der Staat agieren in diesem Fall als ter‐ ritorialisierende Akteure. Während die Kartierung von Windpotenzialen das Interesse internationaler Konzerne geweckt hat, zielen Strategiepapiere sowie ein neuer Gesetzesentwurf auf eine Förderung von Investitionen. Das Narrativ der Inwertsetzung eines armen, wüstenartigen Hinterlands stützt zudem die besondere Frontier-Dynamik der Guajira. Der Prozess ist jedoch vonseiten der indigenen Wayúu Gemeinschaften stark umkämpft. Auf der Halbinsel Guajira leben etwa 270.000 Menschen in 28 resguardos (Ulloa 2021), die in der nationalen Verfassung von 1991 als indigenes Land in Kollektivbesitz anerkannt sind. Eine teilweise unklare Rechtslage so‐ wie das Aufeinanderprallen divergierender Logiken, Wahrnehmungen und Konstruktionen von Territorium und Natur (Guerra Curvelo/Schwartz 2023; Ulloa 2023) erzeugen Frictions. Die institutionelle Durchsetzung der Windparkprojekte führt daher zu konkreten Konflikten um Umweltauswir‐ kungen und Wasser, Partizipation, Anerkennung territorialer Rechte, die Verteilung der Erträge sowie um das historische Trauma mit vergangenen Rohstoffbooms. 4 Fazit Die hier skizzierten Wasserstoffprojekte im Rahmen der globalen Energie‐ wende lassen sich zweifelsohne nicht mit den groß angelegten Flächener‐ schließungen und klassischen Frontiers des 19. Jahrhunderts vergleichen (Osterhammel 2016). Doch in den modernisierungsorientierten Narrativen der Inwertsetzung oftmals marginalisierter Räume wie der Halbinsel La Guajira, der Atacamawüste, sowie der chilenischen und argentinischen Steppe Patagoniens finden sich zahlreiche Parallelen zu vergangen Episo‐ den des von Coy et al. (2016) beschriebenen Frontiermythos. Staatliche und unternehmerische Akteure argumentieren häufig, dass diese Gebiete unter Landflucht leiden, eine geringe Bevölkerungsdichte aufweisen und kaum wirtschaftliche Alternativen bieten. Die Böden seien degradiert, wüsten‐ ähnlich und ließen keine Landwirtschaft zu. Somit böten die Wasserstoff‐ projekte eine Gelegenheit, ein leeres oder strukturschwaches Hinterland zu erschließen oder inwertzusetzen. Die Regierungen Chiles, Kolumbiens und Argentiniens bzw. die Provinzregierung Rio Negros haben hierzu mittels Eine neue Frontier der Dekarbonisierung? 137 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb unterschiedlicher Territorialisierungsstrategien begonnen, Kontrolle über Raum und Ressourcen zu gewinnen. Zentrales Ziel ist die Schaffung eines guten und sicheren Investitionsklimas. Ausländische Direktinvestitionen werden mit Steuervorteilen und anderen Anreizen oder direkt durch Kofi‐ nanzierungsprogramme gefördert. Im Kern lässt sich die Wasserstoff-Fron‐ tier mithin als eine Ausweitung kapitalistischer Verhältnisse in periphere Räume fassen. Basierend auf Rasmussen und Lunds (2018) Definition einer Frontier, zeigt sich anhand der Entwicklungen in Argentinien, Chile und Kolum‐ bien, dass die neue ökonomische Aktivität vielerorts bestehende soziale Arrangements und Ordnungen sowie legitime Formen der Ressourcennut‐ zung zerstört. In Argentinien wurde beispielsweise per Gesetz und ohne vorherige Konsultation der indigenen Gemeinschaften, Land der Mapuche in der Meseta Somuncura an Fortescue überschrieben. Im kolumbiani‐ schen Department La Guajira werden das Rechtssystem der Wayúu Ge‐ meinschaften, ihre territoriale Organisation und Eigentumsstruktur igno‐ riert und verdrängt. All dies passiert nicht ohne eine Abwertung lokaler Lebenswelten, häufig verbunden mit rassistischen Argumenten. Dabei stel‐ len neue Frontiers frühere infrage, verändern sie oder löschen sie aus (Pelu‐ so/Lund 2011). Mit Kohle-, Eisen-, Kupfer-, Öl- und Gasprojekten reicht die extraktive Geschichte aller hier beschriebenen Regionen weit zurück. In diesem Sinne haben vergangene Frontiers bereits Beziehungen zu einem globalisierten Arbeitsmarkt geschaffen und zahlreiche hybride Ordnungen und Lebensformen produziert. Diese vergangenen Frontier-Dynamiken bil‐ den den Kontext der territorialen Rekonfiguration des Wasserstoffbooms. Dieser ist lokal umkämpft. An einigen Orten sind soziale Bewegungen entstanden, die sich mit verschiedenen Mitteln, zum Beispiel mit Sichtbar‐ machung, Sabotage oder juristisch, gegen die Wasserstoff-Frontier wehren. Ob sich Konflikte materialisieren und wie diese ausgehen, ist eine offene empirische Frage. Dies bleibt in zukünftigen Studien zu untersuchen. 5 Literatur Arias, Martín; Atienza, Miguel; Cademartori, Jan (2013): Large mining enterprises and regional development in Chile: between the enclave and cluster, in: Journal of Economic Geography, 14, 73-95, https://doi.org/10.1093/jeg/lbt007. Bachelet, Michelle (2024): Hidrógeno verde: oportunidades y desafíos para el Estado, [https://elpais.com/chile/2024-08-25/hidrogeno-verde-oportunidades-y-desafios-pa ra-el-estado.html] <30.08.2024>. 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Felix Malte Dorn 142 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.2458/jpe.5475 https://doi.org/10.2458/jpe.5475 https://doi.org/10.1016/j.erss.2020.101667 https://doi.org/10.2458/jpe.5475 https://doi.org/10.2458/jpe.5475 https://doi.org/10.1016/j.erss.2020.101667 https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Kapital und Staat im Grünen Extraktivismus. Widersprüche und Widerstände in Lithiumsektor Chiles1 Nina Schlosser Chile. Territorio ensangrentado. Chile. Seguirá por siempre unido. Chile. Luchará contra el tirano. Chile. No será jamás vencido.2 1 Einleitung „Immer wenn ein Rohstoff gebraucht wird, gehen Geologen (sic!) los und finden ihn“, erklärt der Leiter des Projekts Regionale Kooperation zur nachhaltigen Gestaltung des Bergbaus in den Andenländern der deutschen Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) (Interview 1, 4.4.2023). Die Europäische Union (EU) benötigt Lithium, und zwar für die Dekarbonisierung ihrer überwiegend fossilen Ökonomie. Nach China, den Vereinigten Staaten und Indien gehört die EU zu den größten CO2-Emit‐ tenten des Planeten (EC 2024a). Die ökologische Modernisierung kohlen‐ stoffintensiver Wirtschaftsbereiche wie des Verkehrssektors, insbesondere der Automobilität, droht derweil an erste materielle Grenzen zu stoßen. Denn die europäischen Dekarbonisierungspolitiken, die auf den Ausbau der Elektro-Automobilität abzielen, setzen den Zugang zu sogenannten strategischen Rohstoffen wie Lithium voraus. Bis zur geplanten Erreichung der Klimaneutralität im Jahr 2050 schätzt die EU, dass sie 60-mal mehr Lithium benötigen wird (EP 2023). Ohne den Zugang zu Lithiumreserven würde sie ihr ambitioniertes Ziel auf dem eingeschlagenen Wachstumspfad, 1 Für hilfreiche Hinweise danke ich Kristina Dietz, Markus Wissen, Mario Candeais und Alex Demirović. 2 Diese Passage bildet den Refrain des Lieds „El rojo gota a gota irá creciendo“ (Tropfen für Tropfen wächst das Rot weiter) der chilenischen (Widerstand-)Musikgruppe Qui‐ lapayún. Übersetzt heißt es etwa so viel wie: „Chile. Blutbeflecktes Land. Chile. Weiter für die Einheit. Chile. Kampf dem Tyrannen. Chile. Niemals besiegt.“ Ich schreibe diesen Text mit der Feder der Solidarität für die unterdrückten Klassen(-fraktionen) und widerständigen Gruppen in Chile und weltweit. 143 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb den sie mittels des European Green Deal eingefasst hat (EC 2019), vermut‐ lich nicht erreichen. In Chile lagern die weltweit größten Lithiumreserven. Bereits heute deckt die EU etwa 84 Prozent ihrer Lithiumbedarfe aus Chile (EC 2024b). Die chilenische Regierung garantiert ihr auch zukünftige Lithium-Lieferun‐ gen. Dafür unterzeichneten sie und die EU-Kommission im Dezember 2023 den Beschluss zum fortgeschrittenen Rahmenabkommen und zu einem Interimshandelsabkommen. Mit diesen Abkommen sichert sich die EU den zollfreien Zugang zu Lithium aus Chile (EP 2024). Gegenseitig gaben sich die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der chilenische Präsident Gabriel Boric (seit 2022 im Amt) das Versprechen gemeinsamer Anstrengungen zur Eindämmung des globalen Klimawandels. Während eines Besuchs im Juni 2024 in Berlin erklärte Boric: „eine grüne Wirtschaft würde dazu beitragen, die Welt besser zu machen und die per‐ manente Herausforderung gemeinsam zu nehmen.“ „Je mehr wir wachsen“, fuhr Boric fort, „desto mehr können wir umverteilen.“ Chiles „immenser Reichtum an Lithium im nördlichen Salar de Atacama, dessen Ökosysteme jedoch zu schützen wären, könne genutzt werden, um sowohl der ökono‐ mischen Armut in Chile als auch dem globalen Klimawandel zu begegnen“, so Boric (eigene Aufnahme, 11.6.2024, Übers. NSc.). Von der beschlossenen Aktualisierung des Assoziierungsabkommens hatten die Gemeinden in der Kommune San Pedro de Atacama bis vor Kurzem keinerlei Kenntnis, wie sich in einem Gespräch mit einer führen‐ den Aktivistin herausstellte. Sie kritisieren, dass sie von Entscheidungen zum Lithiumbergbau ausgeschlossen sind, obwohl diese sie unmittelbar betreffen. Schon in den Jahren 2016 und 2018, als die Verdreifachung der Extraktionsraten lithiumhaltiger Sole aus dem Salar de Atacama von der Regierung in Santiago de Chile genehmigt wurde (Poveda Bonilla 2020: 67), wurden sie nicht berücksichtigt und mobilisierten dagegen (Jerez et al. 2021; Liu et al. 2019). Mittlerweile ist das Protestbündnis allerdings gespal‐ ten. Der manifeste Widerstand hat sichtlich nachgelassen (Furnaro 2019; Lorca et al. 2019). Einige Gruppen haben sich distanziert und scheinen mit dem Lithiumabbau und der Dominanz der Unternehmen in der Region sogar einverstanden zu sein. Es wirkt fast so, als wären sie mit den beiden im Salar operierenden Konzernen Albemarle und SQM (Sociedad Química y Minera) eine Art Allianz eingegangen, und als hätte sich so etwas wie ein „Lithium-Konsens“ (Schlosser 2024) herausgebildet. In diesem Beitrag zeichne ich den umkämpften Prozess um den Abbau von Lithium in San Pedro nach. Meine zentrale Frage lautet, welche Rolle Nina Schlosser 144 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb der Staat und die Lithiumunternehmen bei der Herausbildung eines Lithi‐ um-Konsenses spielen. Um diese zu beantworten, verbinde ich zunächst hegemonie- und staatstheoretische Überlegungen von Antonio Gramsci und Nicos Poulantzas miteinander. In diesen konzeptionellen Rahmen bet‐ te ich die Analyse zu widerständigen wie widersprüchlichen Dynamiken, (Herrschafts-)Praktiken und sich wandelnden Akteurskonstellationen im chilenischen Lithiumsektor auf lokaler Ebene ein. Dafür kontextualisiere ich die Produktions- und Lebensweisen vor und seit der Lithiumextraktion in dem Gebiet. Anschließend skizziere ich die sozialen Widerstände gegen die Unternehmen und den Staat, und zeige mittels welcher Strategien die Lithiumkonzerne auf diese einwirken. In diesem Zuge arbeite ich gleichzei‐ tig inhärente Widersprüche heraus, die ich im letzten Kapitel staatstheore‐ tisch reflektiere und mit Poulantzas für einen demokratischen Sozialismus argumentiere. 2 Staat und Konsens Das hier zu Grunde liegende materialistische Staatsverständnis speist sich aus den Arbeiten Nicos Poulantzas und Antonio Gramscis. Poulantzas (2002: 159) versteht den kapitalistischen Staat als ein „gesellschaftliches Verhältnis“, oder anders ausgedrückt als eine „materielle Verdichtung eines Kräfteverhältnisses zwischen Klassen und Klassenfraktionen“. Dieser Argu‐ mentation folgt auch Gramsci. Um der Komplexität des Staats und seinem dialektischen Verhältnis mit der gesellschaftlichen Sphäre Rechnung zu tra‐ gen, nutzt er den Begriff des „integralen Staates“ (GH 4: 824). Dieser setze sich aus einer „politischen Gesellschaft“ und der „Zivilgesellschaft“ zusam‐ men. Mit der politischen Gesellschaft fasst er den Staat im engeren Sin‐ ne, einschließlich der staatlichen Apparate, politischen Institutionen und repressiven Elemente. Die Zivilgesellschaft setzt sich aus Institutionen wie der Familie, Schule, Gewerkschaften oder auch der Kirche zusammen. Die untrennbare Verbindung und das Zusammenwirken beider Gesellschaften zum erweiterten Staat bringt Gramsci auf die folgende Formel: „Integraler Staat = Zivilgesellschaft + Politische Gesellschaft, das heißt Hegemonie, gepanzert mit Zwang“ (GH 6: 783). Hegemonie versteht er als die Fähig‐ keit der dominanten Klassen, ihre Interessen gegenüber den subalternen Klassen durchzusetzen und ihre Herrschaft zu legitimieren (GH 2: 411). Das Ringen der kollektiven Subjekte um Hegemonie, das einen manifesten Ausdruck etwa in Streiks oder Blockaden findet, geschieht auf dem Terrain Kapital und Staat im Grünen Extraktivismus 145 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb der Zivilgesellschaft. Der Staat setzt die zur Disposition stehenden Nor‐ men schließlich selektiv durch und verankert diese beispielsweise mittels (Handels-)Verträgen, Richtlinien oder Gesetzen. Doch davor kommt es im Rahmen der Konfliktbearbeitung zu einem Aushandlungsprozess, der so lang andauert, wie das Hegemonieprojekt verfolgt wird. Und dieser Prozess fördert die antagonistischen Interessen der beteiligten Klassen und Klassenfraktionen zu Tage und macht Widersprüche zwischen sowie inner‐ halb der Akteure und Allianzen sichtbar. Um ihre partikularen Interessen schließlich durchzusetzen, macht die herrschende Klasse oder Fraktion durchaus auch materielle Zugeständnisse an die Subalternen. Dabei nimmt sie Teile der Forderungen von unten auf. Allerdings in der Absicht ihre eigene „politische und ökonomische Position“ (GH 6: 1242) zu erhalten und die dominanten Verhältnisse dafür nur so weit wie unbedingt nötig anzupassen, ohne die strukturellen Machtverhältnisse zu berühren. Wenn dieser Prozess, also eine „Revolution ohne Revolution“ (Candeias 2018) gelingt, erlangt die herrschende Klasse Hegemonie. Dem Staat kommt in diesem Prozess eine Scharnierfunktion zu. Er orga‐ nisiert den Kompromiss zwischen den herrschenden und den subalternen Kräften, den Konsens der Regierten. Dafür macht der Staat als Zwangsap‐ parat zwar von repressiven Maßnahmen Gebrauch, ergänzt diese jedoch um wirkmächtigere konsensuale Komponenten. Das heißt, auch der Staat geht Kompromisse ein und macht wie die herrschenden Klassenfraktionen materielle Zugeständnisse an die Beherrschten. Das können etwa höhere Abgaben für Bergbauunternehmen zur Umverteilung und Finanzierung (wohlfahrts-)staatlicher Leistungen oder striktere Umweltauflagen sein. Au‐ ßer Frage stünde dabei, den Bergbausektor bzw. die gesamtökonomische Ordnung grundsätzlich umzustrukturieren. Dazu gehörte beispielweise Konzerne vollständig in Staatseigentum zu überführen oder gar zu verge‐ sellschaften. Die institutionellen Zugeständnisse des Staats gefährden die systemi‐ schen Grundlagen des dominanten Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells demzufolge ebenso wenig wie die Position der herrschenden Kräfte, die der Staat befördert. Der Staat ist es, der deren materielle Basis eigens bildet, argumentiert Poulantzas (2002): „Der Staat steckt von Anfang an das Kampffeld ab, das Feld der Pro‐ duktionsverhältnisse mit inbegriffen, er organisiert den Markt und die Eigentumsverhältnisse, etabliert die politische Herrschaft und die poli‐ tisch herrschende Klasse, er markiert und codiert alle Formen der ge‐ Nina Schlosser 146 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb sellschaftlichen Arbeitsteilung, die gesamte gesellschaftliche Realität im Bezugsrahmen einer Klassengesellschaft.“ (ebd.: 120) Dabei agiere der Staat zwar im Interesse der herrschenden Klassen, doch mitnichten als ihr bloßes Instrument. Vielmehr organisiert und etabliert er diese erst als dominante Kräfte zu einem „Block an der Macht“ (Poulantzas 2002: 167). Ohne jedoch gleich ein eigenständiges Subjekt darzustellen, das ausschließlich autonom, wissentlich wie willentlich und mit „eigener Macht“ (ebd.: 163) vorgeht. Dennoch repräsentiert er „das langfristige po‐ litische Interesse des Blocks an der Macht“ (ebd.: 157). Dieser setzt sich nicht lediglich aus einer einzelnen gesellschaftlichen Gruppe, der bürgerli‐ chen Klasse, sondern aus verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie und in Abhängigkeit von Zeit, Raum und Hegemonieprojekt auch weiteren herrschenden Klassenfraktionen zusammen. Trotz der vorübergehenden Verbundenheit, die der Staat schafft, herrschen auch zwischen den herr‐ schenden Klassen und Klassenfaktionen teils diametrale Vorstellungen vom Hegemonieprojekt vor. Aus den Widersprüchen erwachsen Widerstände, die wechselseitige Spannungen und interne Konflikte provozieren und schließlich Risse im Machtblock hervorbringen. Es sind genau diese Wi‐ dersprüche innerhalb der herrschenden Klassen und des Machtblocks, die einerseits „die staatliche Organisation der Einheit dieses Blocks notwendig“ (ebd.: 164) und andererseits die „Organisationsrolle des Staates“ überhaupt erst möglich machen (ebd.: 165). Der Staat spachtelt diese Risse vorerst an der Oberfläche zu. Und das, obwohl er selbst gespalten ist. Den Staat als eine Verdichtung von Kräfteverhältnissen zu begreifen, bedeutet nicht, dass er diesen äußerlich wäre, sondern im Gegenteil, dass die Klassenwi‐ dersprüche in ihm eingeschrieben sind. Aus ihnen konstituiert sich der Staat und auf diesen Klassenwidersprüchen baut sich seine Organisation auf. Sie durchziehen den Rahmen des Staates spaltend und verdichten sich letztlich in seinen Strukturen. Trotz dieser immanenten Widersprüchlichkeit des Staates selbst, gewähr‐ leistet er erstens die vorübergehende Vereinheitlichung des Blocks an der Macht, von dem die Mehrheit der Subalternen ausgeschlossen bleibt. Zwei‐ tens ermöglicht er die Spaltung, Desorganisation und Demobilisierung der beherrschten Gruppen, die gegen den Block an der Macht, sowie den Staat aufbegehren und versuchen den gesellschaftlichen Konsens zu unterwan‐ dern. Obgleich seiner Herrschaftspraktiken, die sich scheinbar unmissver‐ ständlich für den Erhalt der Ordnung im Sinne des Machtblocks und Kapital und Staat im Grünen Extraktivismus 147 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb gegen die Interessen der Subalternen richten, besitzt der Staat wie bereits angedeutet eine „relative Autonomie“ (Poulantzas 2002: 158). Das heißt, er ist nicht gänzlich autonom gegenüber der Gesellschaft, wird durch diese aber ebenso wenig in Gänze determiniert (Hall 2014: 37). Nur so kann er seine organisierende und kompromissbildende Rolle gewährleisten. Dass der Staat eine gewisse Souveränität wahrt, bedeutet nämlich nicht, dass er eine einheitliche Position einnimmt oder „einen eindeutigen politischen Willen“ (Poulantzas 2002: 167) besitzt. Auch wenn er Widersprüche zwi‐ schen antagonistischen Gruppen organisatorisch bearbeitet, existieren eben solche gleichermaßen innerhalb, sowie zwischen den staatlichen Apparaten und verdichten sich in dem Netz, das sie nichtsdestoweniger in einem Knoten zusammenhält. Die Politiken sind „die Resultante der innerstaatli‐ chen Widersprüche“ (ebd.: 165). So könnte beispielsweise das nationale Wirtschaftsministerium eines naturexportierenden Landes eine Erhöhung der Förderung von Rohstoffen anvisieren, während das Umweltministeri‐ um derselben Regierung, vielleicht sogar Partei, stattdessen eine Senkung und den Rückbau der extraktivistischen Infrastrukturen für den Schutz der Umwelt vorsieht. Innerstaatliche Widersprüche resultieren in widersprüch‐ lichen Politiken. Vor diesem Hintergrund ließe sich begreifen, warum der Staat eher eine „Vielzahl zerstreuter Mikropolitiken“ (ebd.: 167) umsetzt, als eine einheitliche Politik im Sinne der herrschenden Klasse auszuüben (Demirović et al. 2010). Eine diffuse Politik prägt auch den chilenischen Lithiumsektor, die ich eingebettet in den hier skizzierten staats- und hegemonietheoretischen Analyserahmen untersuche. In Anlehnung an Gramscis Überlegungen zum integralen Staat berücksichtige ich dabei insbesondere die beiden Chemie‐ unternehmen Albemarle und SQM, die im Salar de Atacama einerseits Lithium fördern. Andererseits agieren sie dort aber auch selbst als so etwas wie ein Wohlfahrtsstaat, womit sie auf die Produktions- und Lebensweise der lokalen Bevölkerung einwirken. Der Staat auf Zentralebene institutio‐ nalisiert ihr Vorgehen schließlich, wie sich zeigt. 3 (Prä-)Lithium-Ära: Lebensweisen und Lithiumabbau im Salar de Atacama Der Salar de Atacama liegt in der Atacama-Wüste, in der Region Antofa‐ gasta im Norden Chiles, der trockensten Wüste der Welt. Dort befindet sich eine abflusslose Senke mit einer Gesamtfläche von über 15.000 km2, Nina Schlosser 148 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb in der sich der Salar mit etwa 3000 km2 einfügt und die derzeit größten bekannten Lithiumreserven der Welt beherbergt (USGS 2024: 111). Nach Australien ist Chile gegenwärtig der zweitgrößte Lithiumexporteur der Welt. Zusammen deckten die beiden Länder im Jahr 2020 etwa drei Viertel des weltweiten Lithiumbedarfs (DERA 2023: 10), der den Rohstoffpreis in die Höhe treibt. 2020 kostete eine Tonne Lithiumkarbonat 8400 US-Dol‐ lar. Binnen zweier Jahre stieg der Preis um über 800 Prozent auf 68.100 US-Dollar (Balakrishnan/Neef 2023). Dass die im Salar de Atacama angesiedelten Gemeinden „auf einem Milliardenschatz sitzen“, wie der Lithium-Experte der DERA in einem Interview (Interview 2, 25.1.2023) sagte, wussten die Menschen nicht, als sie sich dort vor 11.000 Jahren angesiedelt haben. Ihre Produktions- und Lebensweise basierte nicht auf dem Lithiumbergbau, wie es heute zum Teil der Fall ist, sondern auf subsistenzwirtschaftlichen Aktivitäten. Trotz des ariden Klimas, geringer Wasserreserven und einer Lage auf 2300 Meter über dem Meeresspiegel lebten sie von und mit der Natur. Der Anbau von Quinoa, Mais, Bohnen und auch einigen Obstsorten sowie das Halten von Schafen, Lamas und Alpakas versorgte sie mit Nahrung (Jerez et al. 2021). Die Felle von Alpakas verarbeiteten sie zu Wolle und nutzten diese für die Herstellung von Kleidung, die sie während der kalten Monate warmhielt. Sie konsumierten die Waren, die sie produzierten, entweder selbst oder tauschten sie untereinander (Schlosser 2024). Einige verkauften sie auf lo‐ kalen Märkten in San Pedro oder in der nächstgelegenen Stadt Calama, wo sie derweil auch einige Lebensmittel und Gebrauchsgüter erwerben. Ihnen war der materielle Lebensstandard kapitalistischer Gesellschaften bis vor einigen Jahren persönlich wenig bekannt. Das änderte sich anteilig mit den neuen Lithiumverträgen (2016/2018), mittels derer die Produktionsexpansi‐ on und die materielle Beteiligung einiger indigener Gruppen beschlossen wurde, wie ich im nächsten Abschnitt zeige. Davon abgesehen stehen der Mehrheit der bäuerlichen Bevölkerungsteile auch heute normalerweise keine Maschinen für die schwere Feldarbeit zur Verfügung, wie sich bei Besuchen der insgesamt 18 im Salar angesiedelten Gemeinden beobachten lässt. Genauso wenig war die Mehrheit der privaten Haushalte mit Elektro‐ herden oder Waschmaschinen ausgestattet, die die Reproduktionsarbeit im Alltag erleichtern, berichtet eine indigene Bäuerin. Heizungen bzw. Klima‐ anlagen, die die Temperaturen in der Wüste erträglicher machen, stellen noch immer eine Ausnahme dar. Dieser Umstand erklärt sich durch das Preisniveau in Chile, das jenem west- und mitteleuropäischer Ökonomien ähnelt, während das Lohnniveau ungleich hoch ist (Boddenberg 2020: 8). Kapital und Staat im Grünen Extraktivismus 149 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Der chilenische Mindestlohn lag 2020 bei umgerechnet 355 Euro monatlich (Graf/Landherr 2020: 475). Ohne ein entsprechendes Einkommen oder Vermögen sind Haushaltsgeräte im neoliberalen Chile, in dem Gesundheit, Bildung, Altersvorsorge, und sogar Wasser seit der Diktatur (1973–1990) überwiegend marktförmig organisiert sind, schier unerschwinglich (Soli‐ mano 2012). Die dominante Wirtschaftsordnung setzt so gesehen auch eine gewisse Gemeinschaftlichkeit voraus, um sich gegenseitig mit dem Notwen‐ digen zu versorgen. Aber die skizzierte Produktions-, Distributions- und Konsumweise ist nicht nur strukturell erzwungen, sondern auch kulturell determiniert. Sie liegt auch heute noch einem alternativen Verständnis von Natur zugrunde, demzufolge Natur keine Ware, sondern ein Subjekt dar‐ stellt, das Leben schenkt, und das selbst lebt. Diese Vorstellung kommt in zahlreichen Gesprächen mit den mehrheitlich indigenen Menschen in San Pedro wiederholt zur Sprache. Auf der Grundlage der suffizienten Lebens‐ weise benötigten die Menschen bis vor wenigen Jahren deutlich weniger Geld als heute, erinnert sich eine Chilenin, die in der Gemeinde Coyo aufgewachsen ist (Interview 3, 14.3.2023, Übers. NSc.). Sie entnahmen der Natur nur, was sie brauchten. Und sie selbst lebten auch solidarischer miteinander, fügt sie an. Der indigene Bürgermeister von San Pedro de Ata‐ cama, der seine gesamte Kindheit dort verbrachte, erzählte im Interview, dass diese Lebensweise mindestens bis in die 1980er-Jahre vorherrschte. Bis dahin hätte es „nichts“ gegeben: „Es gab keinen Bergbau, es gab nichts.“ (Interview 4, 30.3.2023, Übers. NSc.) Lithium wird in Chile tatsächlich nicht erst seit der Politisierung des Klimawandels und den dominanten Dekarbonisierungsstrategien zur An‐ triebs- und Energiewende in den Industrieländern, einschließlich China abgebaut. Bereits seit circa 30 Jahren operieren dort zwei (trans-)nationale Konzerne: Albemarle, ein US-amerikanischer Konzern, begann mit der Soleextraktion und der Weiterverarbeitung zu Lithiumkarbonat im Jahr 1984 (Albemarle 2024). Damals bildete er ein Joint Venture mit der staatli‐ chen Behörde zur Wirtschaftsförderung (Corporación de Fomento de la Producción, Corfo), die bis 1989 ihre gesamten Anteile an den Konzern veräußert hatte (Lagos 2012: 10). 1992 setzte auch SQM „einen Fuß in den Salar“ (Cofré 2019: 201). Das Chemieunternehmen startete ebenso als gemischtwirtschaftliches Unternehmen mit Corfo, wurde jedoch auf der Grundlage des Bergbaugesetzes (1983) 1985 privatisiert (Dorn/Gunder‐ mann 2022: 344). Seit 1994 operiert es im Salar und entwickelte sich zu einem global operierenden Unternehmen, das heute anteilig dem ehemali‐ gen Schwiegersohn von Augusto Pinochet gehört. Nina Schlosser 150 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Lithium wurde seinerzeit nicht für die Batterien von Elektroautos ge‐ nutzt. Die zivil-militärische Junta erteilte die Erlaubnis zur Lithiumausbeu‐ tung im Salar de Atacama vor dem Hintergrund des Kalten Krieges (1947– 1989) und dem atomaren Wettrüsten zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Lithium als integraler Bestandteil von Wasserstoffbomben sollte die Versorgungssicherheit der USA im „nationalen Interesse“ sichern (Lagos 2012: 8f.). Während Lithium aktuell vor allem für die Produktion von Lithium-Io‐ nen-Batterien verwendet wird (DERA 2023: 22), blieb das Extraktionsver‐ fahren annähernd gleich. Zur Entnahme der lithiumhaltigen Sole bohren die Unternehmen auf einer Fläche, die sie als Nukleus, den Kern des Salars bezeichnen, erst durch die Erdkruste und dann durch diverse Bo‐ denschichten bis zu einer Tiefe von etwa 40 Meter (Lagos 2012: 2). Von dort pumpen sie beide zusammen genommen mehrere Millionen Liter Sole täglich (SQM: 1500 l/s; Albemarle: 442 l/s) an die Oberfläche (Poveda Bonilla 2020: 67). Anschließend leiten sie die Sole in fußballfeldgroße Ver‐ dunstungsbecken, die insgesamt zwischen 30 und 40 Quadratkilometer ein‐ nehmen. Eines der großflächigsten misst eine Länge von einem Kilometer und ist bis zu 600 Meter breit. In diesen sogenannten piscinas (Schwimm‐ becken) lagert die Flüssigkeit dann zwischen zwölf und 18 Monaten un‐ ter freiem Himmel. Die starke Sonneneinstrahlung, die in der Regel den Höchstwert auf einer Skala von eins bis elf erreicht, bedingt, dass das in der Sole gelöste Wasser verdunstet und sich die Lithium-Konzentration selbständig von 0,2 Prozent auf annähernd sechs Prozent steigert. SQMs leitender Hydrogeologe, der den Prozess bei einem Besuch der Anlagen am 1. März 2023 veranschaulichte, gab an, dass dies die höchstmögliche Konzentration im Zuge des Evaporationsprozesses darstelle und bislang nirgends auf der Welt höhere Werte, zumal zu derart sozusagen günstigen Konditionen, erzielt würden. Die noch zu Beginn der eingelagerten Sole fast schon wie Ausschnitte eines karibischen Meers wirkende Landschaft, verwandelt sich dabei in einen Teppich aus Industrie-Becken, die eine grünlich-gelbe gallertartige Lake enthalten. Die Residuen werden geerntet, wie die Unternehmen es nennen, und anschließend abtransportiert. Allein das SQM-Gelände verlassen täglich an die 80 vollbeladene Diesel-LKW, die sich den Weg durch die Atacamawüste bis zu den Anlagen im Salar del Carmen in derselben Region, unweit des Exporthafens bahnen, wo die chemische Weiterverarbeitung zu Lithiumkarbonat (2022: 180.000 Tonnen) und Lithiumhydroxid (2022: 30.000 Tonnen) stattfindet (SQM 2022: 4). Kapital und Staat im Grünen Extraktivismus 151 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Der gesamte Prozess gestaltet sich kapital- aber nicht gleichermaßen arbeitsintensiv. Bei SQM beispielsweise, ein in 110 Ländern operierender Konzern, waren im Jahr 2021 lediglich 6081 Menschen beschäftigt. 5671 da‐ von arbeiteten in Chile (SQM 2021: 73–75) und mit 62 Prozent die Mehr‐ heit von ihnen in der Region Antofagasta. Wie hoch der Anteil indigener Beschäftigter ist, lässt sich den Unternehmensberichten nicht entnehmen. Auch die Höhe der Einkommen ist unklar. Wahrscheinlich ist jedoch, dass es über dem geringen Mindestlohn liegt. Trotzdem merkt ein ehemaliger Angestellter von SQM im Gespräch an, dass sie mehr zahlen könnten. Aus dem Jahresbericht 2022 geht indessen hervor, dass SQM mit einer Höhe von 10,7 Milliarden US-Dollar „die höchsten Einnahmen [ihrer] gesamten Konzerngeschichte“ erzielt habe, 98 Prozent des Gesamtumsatzes stamm‐ ten aus dem Export. (SQM 2022: 6) Mit fünf Milliarden US-Dollar sei das Unternehmen, laut Bericht, „der größte Beitragszahler in die Steuerkasse des Landes“ (ebd.: 4) gewesen. 4 Widersprüche und Widerstände Für viele Menschen in der Region scheint eine Beschäftigung bei den Lithiumunternehmen attraktiv zu sein. Sie beziehen ein finanzielles Ein‐ kommen für eine Arbeit, die weniger körperlich anstrengend ist als die in der Land- und/oder Wanderweidewirtschaft und darüber hinaus ein relativ hohes gesellschaftliches Ansehen im vom Bergbau geprägten Norden Chiles genießt (Furnaro 2019). Gerade die jüngeren Generationen ziehen eine Lohnarbeit im Lithiumsektor vor, beobachtet ein indigener Bauer aus Toconao, wo SQM ein Büro besitzt. Statt täglich Pflanzen zu wässern und Tiere zu versorgen, arbeiten sie mit Maschinen in Schichten auf den Anlagen oder in den Büros. Ihr Einkommen gestattet ihnen zudem eine andere Lebensweise, denn sie können sich Güter wie Smartphones, Haus‐ halts- sowie Fernsehgeräte und sogar Autos kaufen. Sie tragen Kleidung nordamerikanischer Marken und kaufen anteilig industriell hergestellte Le‐ bensmittel im Laden in der Stadt, statt sie selbst zu produzieren, erklärt ein indigener Mensch, der in der Sprengstoffindustrie für den Kupferbergberg‐ bau nahe der Hafenstadt Antofagasta arbeitet. „Nichts ist gratis“ (Interview 5, 26.3.2023), sagt er. Aber dank seines Einkommens konnte er sich wie andere auch, ein privates Auto anschaffen, das die flexible Fortbewegung in der Wüste und in die mehrere hundert Kilometer entfernten Städte wie Ca‐ lama oder Antofagasta ermöglicht. Busse fahren selten, Züge transportieren Nina Schlosser 152 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb im Norden ausschließlich Rohstoffe. „Das ist nicht die Lebensqualität, wie unsere Vorfahren lebten“, kritisiert die ehemalige Präsidentin des Consejo de Pueblos Atacameños (CPA), dem Organ zur Vertretung der indigenen Interessen in Atacama (Interview 6, 29.3.2023). Diese Lebensqualität sei dem CPA, lokal-indigenen Gruppen und Bäu‐ er:innen zufolge schon seit einigen Jahren nicht mehr gewährleistet. Aller‐ dings begründen sie dies mit den sozial-ökologischen Auswirkungen des Lithiumabbaus. Sie beobachteten ein Absinken des Grundwasserspiegels (Jerez et al. 2021), die zunehmende Versalzung der Böden und Wasserreser‐ ven (Garcés/Alvarez 2020), das Austrocknen Letzterer sowie der Lagunen und eine deutliche Degradation der Biodiversität (Marazuela et al. 2019; Liu et al. 2019; Liu/Agusdinata 2020). Wasser bildet die materielle Grund‐ lage der subsistenzbasierten Lebensweise (Olmos Herrera 2019), die gefähr‐ det sei, skandierten sie. Trotzdem erlaubte der Staat beiden Unternehmen ab 2016 (Albemarle) und 2018 (SQM) die Verdreifachung der Extraktions‐ raten. Aus diesem Grund organisierten sie sich in Atacama und mobilisier‐ ten gegen die geplanten Vertragsunterzeichnungen. Anfangs bewegte sich das widerständige Bündnis überwiegend auf lokaler Ebene und war ins‐ besondere indigen geprägt. Einerseits forderten sie unabhängige Untersu‐ chungen der ökologischen Auswirkungen der Lithiumextraktion. Bis die Ergebnisse nicht vorlägen, solle keine weitere Sole entnommen werden (Jerez et al. 2021). Zudem beschuldigten sie SQM, unerlaubte Mengen Wasser abzupumpen und verklagten den Konzern; sie erhielten letzten Endes jedoch kein Recht. Dabei hatten sie Stellen im Salar ausfindig ge‐ macht, an denen illegale Rohrleitungen in den Boden eingelassen waren, erzählte eine Deutsch-Chilenin, die dort lebt und die Proteste unterstützte (Interview 7, 18.3.2023). Andererseits forderten indigene Bevölkerungsteile die Einhaltung ihres Rechts auf Free, Prior and Informed Consent, das in der ILO-Konvention 169 zum Schutz indigener Völker festgeschrieben ist, und in Chile im Jahr 2010 ratifiziert wurde (Garcés/Alvarez 2020). Demnach müssten die indigenen Einwohner:innen über die auf ihren oder angrenzenden Territorien geplanten Aktivitäten, die sich auf die Gebiete auswirken könnten, vorab in Kenntnis gesetzt werden. Und sie hätten das Recht, solchen extraktivistischen Vorhaben wie in Atacama zu widerspre‐ chen. In der Regel käme es in solch einem Fall zu Aushandlungen zwischen den Konzernen, den indigenen Gemeinden und dem Staat mit dem Ziel, sich auf einen Kompromiss zu einigen. Andernfalls dürfe der Rohstoffab‐ bau nicht begonnen werden. Eine vorläufige Einigung wurde tatsächlich Kapital und Staat im Grünen Extraktivismus 153 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb erzielt. Allerdings erst nachdem die Lithiumextraktion ohne vorherige Zu‐ stimmung erhöht fortgesetzt wurde. In diesem Zeitraum scheint sich die Konfliktachse unerwartet gedreht zu haben. Der aktive Widerstand gegen die Unternehmen, der sich zu Beginn auf den Zugang und die Kontrolle der salaren Naturgüter, die Autonomie der dort lebenden Bevölkerungen und ihrer Partizipation bezog (Jerez et al. 2021; Garcés/Alvarez 2020) hatte nachgelassen. Der Bürgermeister von San Pedro erklärte diese etwas überraschende, diametral entgegengesetzte Ent‐ wicklung mit einer Übereinkunft zwischen Albemarle und den indigenen Gemeinden. Seitdem (2016) gäbe es keine „kollektive Sicht mehr auf das Territorium, und sie können einander nicht mehr in die Augen schauen.“ Jede Einzelne und jeder Einzelne kämpfe nur noch für sich selbst und sie seien mittlerweile sehr gespalten. Es gäbe in erster Linie „Konfrontationen zwischen der Welt der Atacameños und den afuerinos“ („Außenseiter“, hier: Zugezogene, Nicht-Atacameños; Übers. NSc.). Der Staat nehme dabei eine widersprüchliche Rolle ein, sagte er, und meint damit den Nationalstaat. Letzterer spreche zwar von einer grünen Ökonomie, jedoch nicht mit ihnen. Während der Staat in der über 1500 Kilometer entfernten Hauptstadt San‐ tiago de Chile Entscheidungen fälle, die sie in Atacama betreffen, hätten sie nun „die Möglichkeit in San Pedro, von Angesicht zu Angesicht mit den Unternehmen zu sprechen.“ (Interview 4, 30.3.2023, Übers. NSc.) Die Möglichkeit zum Dialog geht unter anderem auf eine Initiative bei‐ der Konzerne zurück. Zusammen mit einzelnen indigenen Gemeinden, der Lokalregierung, der staatlichen Corfo, der Universidad Católica del Norte und indigenen Verbänden zum Schutz des Wassers haben sie den soge‐ nannten Mesa Multiactor ins Leben gerufen (Mesa Multiactor o.J.). Im Rah‐ men dieses Dialogformats, koordiniert von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), versuchen die Lithiumunterneh‐ men der Forderung der lokalen Gemeinden nach Transparenz Rechnung zu tragen, erklärt ein Mitarbeiter von Albemarle. Ebenso versuchen sie die Bedarfe und Bedürfnisse der Gemeinden zu erkennen, um anschließend ihre Corporate-Social-Responsibility-Maßnahmen (CSR) nachzujustieren (Olarte-Sánchez et al. 2022). Diese konzentrierten sich bis vor einigen Jah‐ ren zuvorderst auf die vertraglich vereinbarten Kompensationszahlungen: Albemarle transferiert seit 2016 jährlich 3,5 Prozent seines Umsatzes an den CPA, der die Gelder über die indigenen Gemeinden umverteilt. SQM zahlt seit 2018 zwischen zehn und 15 Millionen US-Dollar (Poveda Bonilla 2020: 67). Der Lithiumexperte der DERA wandte jedoch ein, dass es inoffizielle Zahlungen gäbe, die sich eher in den mittleren zweistelligen Millionenbe‐ Nina Schlosser 154 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb trägen bewegten. Auch der Bürgermeister versichert, er könne dazu nichts mit Gewissheit sagen, denn der CPA sei nicht zur Offenlegung verpflichtet. Das führe zu neuen Konflikten, jedoch innerhalb der Gemeinden, beob‐ achtet der Projektleiter der BGR: „Dann weiß die Gemeinde A nicht, was Gemeinde B bekommt. Und wenn die einen wissen, dass der Nachbar mehr kriegt als man selbst, dann gibt es natürlich Stress.“ (Interview 1, 4.4.2023) „Wir wissen, dass wir die Gemeinden spalten“, räumte ein SQM-Manager ein. „Aber wir wollen mehr tun, als nur Geld geben. Wir wollen etwas zurückgeben.“ (Interview 8, 24.1.2023, Übers. NSc.). Die Konzerne fördern den Bau von Straßen, einer öffentlichen Schule in Toconao und eines Krankenhauses in San Pedro. Mithilfe der Finanzierung der Unternehmen konnte eine Apotheke eröffnet werden, SQM hat eine mobile Zahnarzt‐ praxis bereitgestellt. Sie fördern materielle Infrastrukturmaßnahmen und sogenannte Entwicklungsprojekte in den Bereichen Bildung, Ernährung und Landwirtschaft, die die lokale Regierung im zentralisierten Chile nicht mit eigenen Haushaltsmitteln bewerkstelligen könnte (Olarte-Sánchez et al. 2022; Schlosser 2024). Ohne den Lithiumabbau und die Unternehmen gäbe es dort keine Entwicklung, erklärt der Bürgermeister. Der Staat solle daran „bloß nichts ändern“ (Interview 4, 30.3.2023, Übers. NSc.). Grundlegende Veränderungen sieht die Zentralregierung ohnehin nicht vor. Stattdessen verabschiedete sie Ende 2023 die Nationale Lithiumstra‐ tegie (Gobierno de Chile o.J.). In diesem Rahmen unterzeichneten der staatliche Kupferkonzern Codelco und SQM ein Abkommen, mittels des‐ sen Chile seine fast führende Position auf dem globalen Lithiummarkt halten und gleichzeitig einen „entscheidenden Beitrag leisten wird, um den Klimawandel zu bekämpfen“, stellt der Präsident von Codelco, dem weltweit größten Kupferkonzern, in Aussicht (SQM 2024). Bei diesem Joint Venture hält Codelco laut Vertrag 51 Prozent der Anteile, die kleinere Hälfte befindet sich in den Händen von SQM (Codelco/SQM 2024). Schon in der Vergangenheit begannen extraktivistische Kooperationen mit staatlicher Beteiligung, die auf der Basis der heute noch gültigen Gesetze in private Projekte umgewidmet wurden. SQM erklärt sich vorerst dazu bereit, sei‐ nem staatlichen Partner die Infrastrukturen, die Anlagen, „das technische und menschliche Know-how, finanzielle Ressourcen und das Vertriebsnetz“ zur Verfügung zu stellen, fasst Codelcos Präsident die vertraglichen Kon‐ ditionen zusammen. Der Staat, konkret Codelco, Corfo und das Finanzmi‐ nisterium, würde 70 Prozent der Gewinne, die zwischen 2025 und 2030 erzielt werden, erhalten. Ab 2031 würde sich der Anteil, in Abhängigkeit des Lithiumpreises auf dem Weltmarkt, auf 85 Prozent, einschließlich Gewinne Kapital und Staat im Grünen Extraktivismus 155 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb und Steuereinnahmen, erhöhen. Vor dem Hintergrund der gegenwärtig wachsenden Lithiumbedarfe industrialisierter Ökonomien, die eine ökolo‐ gische Modernisierung forcieren, allen voran China, die USA und die EU, verdoppelt Chile die geplanten Produktionskapazitäten annähernd. Davon profitiert auch SQM. Die zukünftig gesteigerte staatliche Beteiligung an Rohstoffrenditen und fortwährende teil-privatisierte Profite auf nationaler Ebene ergänzt das neue öffentlich-private Bündnis „durch eine Beteiligung der lokalen Gemeinden an allen Angelegenheiten von gemeinsamem Inter‐ esse“ (SQM 2024). Den Dialogprozess im Rahmen des mesa multiactor beabsichtigt es zusammen mit den bereits partizipierenden Akteuren wie Albemarle, der GIZ und vor allem den Gemeinden fortzuführen, „um einen Konsens in Fragen der menschlichen Entwicklung, des sozialen und ökologischen Umfelds und der Unternehmensführung zu erreichen.“ (ebd.) 5 Fazit: Die Grenzen des Staates und ihre Überwindung Die Konstituierung eines Lithium-Konsenses scheint vorerst bereits gelun‐ gen zu sein. Dabei nimmt nicht nur der Staat als politische Gesellschaft, sondern der integrale Staat, der auch die Lithiumkonzerne einschließt, eine entscheidende Rolle ein, die ich in diesem Beitrag beleuchtet habe. Als Fraktion des Lithium-Machtblocks, den der Staat, insbesondere die Cor‐ fo, bereits während der Diktatur konstituiert hat und seitdem stabilisiert, scheinen die Unternehmen heute selbst einen Lithium-Konsens organisiert zu haben. Sie haben materielle Zugeständnisse an indigene Gruppen ge‐ macht, die sie auf der Grundlage von unternehmerischen Leistungen, die eigentlich dem Wohlfahrtsstaat behalten wären, spalten konnten. Indem sie selektiv auf ihre Forderungen nach Kompensationszahlungen, Entwick‐ lungsmöglichkeiten, der Implementierung basaler Infrastruktur und Parti‐ zipation an Entscheidungen, jedoch ohne Wirkmacht, eingegangen sind, waren sie schon vor den jüngsten Lithium-Reformen in der Lage, einen einstweiligen Kompromiss auszuhandeln. Trotz aller Widersprüche, sowohl zwischen als auch innerhalb der ant‐ agonistischen Akteursbündnisse und Klassenfraktionen, und trotz gesell‐ schaftlicher Widerstände erweist sich der integrale Staat in Chile als Garant für die (Re-)Produktion der kapitalistischen Produktions- und Lebenswei‐ se. Durch Chiles tiefere Integration in den teil-begrünten Weltmarkt verän‐ dern sich vorkapitalistische Lebensweisen im Salar de Atacama, indem sie durch Lohnarbeit im Lithiumsektor phasenweise ergänzt, und solidarische Nina Schlosser 156 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Produktionsweisen anteilig substituiert werden. Die Einkommen ermögli‐ chen die Anschaffung materieller Konsumgüter wie verarbeitete Lebens‐ mittel, Haushaltsgeräte oder Autos, die den Alltag in der Wüste kurzfristig erleichtern, auch wenn die Expansion extraktivistischer Grenzen das Leben gleichzeitig langfristig erschwert. In diesem Licht liest sich die Nationale Lithiumstrategie als ein erneuer‐ ter, doch widersprüchlicher Kompromiss zwischen dem Staat, SQM und den Gemeinden, wenngleich Letztere durch Dialogformate eher scheinbar an der Bildung beteiligt wurden. Besonders die Corfo, die laut eigenen Angaben zukünftig eine aktivere Rolle spielen soll, nimmt bereits seit Deka‐ den eine zentrale Rolle bei der Festigung des Blocks an der Macht ein. Sie schließt die extraktivistischen Verträge mit den Konzernen und handelt die Konditionen mit dem Lithiumblock aus. Bis etwa 2016/2018 wurde dieser von den beiden Konzernen und der nationalen Bourgeoisie, einschließlich des SQM-Anteilseigners Julio Ponce Lerou dominiert. Unterdessen wurden jedoch auch einst widerständige indigene Fraktionen der Atacameños darin eingebunden (Olarte-Sánchez et al. 2022; Schlosser 2024). Beschäftigte tragen den Kompromiss, den die chilenische Zentralregierung institutiona‐ lisiert und dem sie oberflächlich einen grünen Anstrich verpasst, zumindest passiv. Den Schutz des Salar staatlich garantieren zu wollen, gleichzeitig aber seine fortdauernde und sogar erweiterte Ausbeutung zu organisieren, könn‐ te ambivalenter kaum sein. Die grüne Erzählung kollidiert mit der materia‐ listischen Praxis. Mit Poulantzas (2002: 166) ließe sich die Lithium-Politik der progressiven Regierung als „chaotisch und inkohärent“ beschreiben, aber auch erklären. Der Staat operationalisiert je nach Problem punktuel‐ le, konflikthafte und kompensatorisch-reformistische Politiken. Deswegen wirken sie zuweilen widersprüchlich, aber genau das ist auch der Staat, der zudem in strukturelle Schranken gewiesen wird. Die Grenzen der Organi‐ sationsrolle des Staates gründen sich zwar auch auf dem von ihm beförder‐ ten Prozess der Kapitalakkumulation und -reproduktion durch Lithiumex‐ traktion, um beim Beispiel zu bleiben. Aber die geschichtlich gewachsenen materiellen Strukturen grenzen den Wirkungsbereich des Staates, den er selbst bildet und aufrechterhält, ebenso ein. Diese staatlichen Beschrän‐ kungen öffnen wiederum den Handlungsspielraum der Lithiumunterneh‐ men. Die Kombination aus CSR-Strategien auf territorialer Ebene, (natio‐ nal-)staatlichen Lithiumreformen und novellierten Handelsverträgen, wie beispielsweise mit der EU, kreiert einen wirkmächtigen Internalisierungs‐ hebel und mündet in eine „Transformation ohne Transformation“. Kapital und Staat im Grünen Extraktivismus 157 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb „Eine bessere Welt“, wie sie Boric imaginiert, ist auf der Basis von Ex‐ traktivismen in all ihren Facetten unmöglich – im kapitalistischen Sinne jedenfalls nur für Wenige. Doch auch sie können in keiner guten Welt leben, in der eine lebensspendende Natur intakt ist und Menschen ein würdevolles Leben führen können. Extraktivismen zerstören Naturräume, vergrößern soziale Ungleichheiten, schüren Konflikte, spalten sogar Sub‐ alterne entlang von Trennungslinien wie „raza“, Klasse, Geschlecht und Alter – und zersplittern Gesellschaften regelrecht. Gegen die Ausbreitung einer „imperialen Lebensweise“ (Brand/Wissen 2017) der Wenigen in Chi‐ le und für ein Gutes Leben für alle gilt es jedoch zusammenzuwachsen. In Dialogformaten und inklusiven Räumen wäre nicht über die ökologi‐ sche Modernisierung der kapitalistischen Produktionsweise zu sprechen, sondern über solidarische Alternativen, die in Atacama bis zum Beginn der Lithiumextraktion vorherrschten. Eine „Revolution mit Revolution“, für ein vereintes Chile, von dem die Musikgruppe Quilapayún singt und auf die sich Boric in seiner Grundsatzrede im Juni 2024 in Berlin bezieht (eigene Aufnahme, 11.6.2024, Übers. NSc.), setzt eine Kombination aus der Stärkung der parlamentarischen (Direkt-)Demokratie und dem Auf- und Ausbau basisdemokratischer Selbstverwaltungen voraus. Dieser komplexe Prozess zum Umbau des Staates und der dominanten Ordnung ist ein lang‐ wieriger. Es wäre zudem ein tiefgehender Vorgang, der buchstäblich an die Wurzeln des Systems ginge, nämlich um die demokratischen Grundfesten zu stabilisieren, die reaktionär-autoritäre Kräfte angreifen. Der demokrati‐ sche Weg zum Sozialismus, für den sich Poulantzas (2002: 278) ausspricht und den die Volksfrontregierung unter Salvador Allende bereits vor über 50 Jahren antrat, wäre mitnichten ein einfacher. Aber einer, den es sich im Lichte der Geschichte und der sich zunehmend verschärfenden Vielfachkrise geschlossen zu gehen lohnt. 6 Literatur Albemarle (2024): Nuestra historia, [https://www.albemarlelitio.cl/products/nuestra-hi storia] <22.9.2024>. Balakrishnan, Abhishek/Neef, Christoph (2023): Preisschwankungen bei Batterie-Roh‐ stoffen: Wie die Automobilindustrie reagiert und welche Auswirkungen sie auf die Zellkosten haben, [https://www.isi.fraunhofer.de/de/blog/themen/batterie-update/b atterie-rohstoffe-preis-schwankungen-wie-reagiert-automobil-industrie-auswirkung en-zellkosten.html] <14.9.2024>. Boddenberg, Sophia (2020): Revolte in Chile: Aufbruch im Musterland des Neolibera‐ lismus. Münster: Unrast. 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Die weltweite Kupferförderung konzentriert sich in Chile und Peru. Hauptab‐ nehmer des Kupferkonzentrats aus Peru ist China mit 74,5 Prozent, aber auch die deutsche Kupferindustrie ist auf Importe des Primärrohstoffes angewiesen (Müller et al. 2022). Mit dem Ziel, die Rohstoffversorgung zu sichern, hat Deutschland daher im Jahr 2014 eine Rohstoffpartnerschaft mit Peru abgeschlossen (Deutsche Rohstoffagentur 2024). Mit der Ausweitung des Kupferbergbaus nehmen auch Konflikte um die‐ sen zu. Die Gegenstände der Auseinandersetzungen sind vielzählig. Hierzu zählen etwa die Zerstörung der Lebensgrundlagen, eine fehlende Einbezie‐ hung der ländlichen Bevölkerung oder Forderungen nach Gewinnbeteili‐ gung. Im südlichen Andenhochland zeigen sich die Folgen des Kupferberg‐ baus in der Wasser-, Boden- und Luftverschmutzung mit toxischen Schwer‐ metallen und zahlreichen sozialen Konflikten in den Abbaugebieten und entlang der Transportstraße. Die Auswirkungen des Kupferbergbaus auf Geschlechterverhältnisse und die Konflikte die daraus entstehen, wurden bisher wenig analysiert. Dabei wird Frauen1 in territorialen Verteidigungs‐ kämpfen gegen den Bergbauextraktivismus in Lateinamerika eine zentrale Rolle zugeschrieben (Aliaga et al. 2021). In diesem Kapitel gehe ich der Frage nach, wie sich Geschlechterverhält‐ nisse in Konflikten um Kupferbergbau in Peru artikulieren. Zunächst fasse ich den Forschungsstand und meine theoretische Perspektive auf Gender 1 Frauen/Männer bezieht sich hier und im Folgenden auf ein gesellschaftlich zugewiese‐ nes binäres Geschlecht unabhängig der von den Akteur:innen gewählten Geschlechts‐ identität, die auch im non-binären/trans Spektrum liegen kann. Um die soziale Konstruktion von Geschlecht zu kennzeichnen verwende ich den englischen Begriff Gender (siehe hierzu Butler 1993). 163 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb und Bergbau zusammen. Anschließend stelle ich den Fall vor, anhand dessen ich die Bedeutung von Gender in Konflikten um Bergbau entlang der Kategorien (re)produktive Arbeitsverhältnisse, Körper-Territorium und politische Teilhabe analysiere. Die Datengrundlage des Beitrages basiert auf zwei empirischen ethnographischen Forschungsaufenthalten von insgesamt acht Monaten in Peru (2023/2024). 2 Gender und Bergbau in Lateinamerika: ein Analyserahmen Die lateinamerikanische Diskussion um Bergbau und Gender teilt sich in zwei Forschungsrichtungen. Eine erste Gruppe von Forscher:innen be‐ obachtet eine Intensivierung bestehender geschlechtsspezifischer Verwund‐ barkeiten und Ungleichheiten (Bauriedl/Hackfort 2015; Silva Santisteban 2017). Dazu zählt die Verstärkung ökonomischer Abhängigkeiten durch den ungleichen Zugang zu Lohnarbeit im Bergbausektor (Escalona Thomas 2021), eine Intensivierung von Sorgearbeit im Zusammenhang mit der Umweltverschmutzung (Pérez et al. 2019), ein Anstieg an Gewalt gegen Frauen und die Zunahme von Prostitution und Menschenhandel (Wagner 2016). Unter der These einer (Re)patriarchalisierung2 der Territorien wird argumentiert, dass die Auswirkungen des Bergbaus auf die Lebenswelten von Frauen in einem strukturellen Zusammenhang mit patriarchaler, neo‐ kolonialer und extraktiver Gewalt stehen (García-Torres et al. 2020). Eine zweite Gruppe von Forscher:innen betont die zentrale Rolle von Frauen in territorialen und alltäglichen Widerständen gegen den Bergbau (Jenkins 2024). Boudewijn (2021) und Paredes Peñafiel (2021) analysieren den Bei‐ trag von Umweltverteidigerinnen im Konflikt um das Kupferprojekt Conga in Peru, dessen Implementierung infolge von Protesten gestoppt wurde. Weitere Studien thematisieren die Erfahrungen von Aktivistinnen in Mobi‐ lisierungen, Strategien der Resilienz (Jenkins 2017) und die Herausbildung weiblicher liderazgos (dt. Führungsrollen) in Verhandlungen mit Bergbau‐ unternehmen (Soria Torres 2017). In Abgrenzung zu einem einseitigen Fokus auf geschlechtsspezifische Vulnerabilitäten (Cuadros Falla 2010), lege ich den Schwerpunkt auf die Artikulation von Geschlechterverhältnissen und frage danach inwiefern sich diese in Konflikten um Bergbau rekonfi‐ gurieren. Anhand einer Analyse der Aspekte (re)produktive Arbeitsverhält‐ 2 Andere Autor:innen wie Svampa (2018) verwenden den Begriff einer Maskulinisierung der Territorien. Alina Heuser 164 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb nisse, Körper-Territorium und politische Teilhabe trägt dieses Kapitel zu einem tieferen Verständnis der geschlechtsspezifischen Dynamiken in Ex‐ traktionskontexten bei. Theoretisch stütze ich mich in meiner Analyse auf dekoloniale Ansätze der Feministischen Politischen Ökologie aus Lateinamerika (im Folgenden FPE für Feminist Political Ecology). Konflikt fasse ich als soziale Beziehung zwischen Akteur:innen mit widersprüchlichen Interessen, Zielen und/oder Bedürfnissen (Dietz et al. 2018). Arbeiten der FPE analysieren die Wechsel‐ beziehung zwischen der Ausbeutung von Natur und der Aneignung weibli‐ cher Körper. Dabei werden alltägliche Praktiken als politisch verstanden. Dies bedeutet Widerstand nicht nur in Form sozialer Mobilisierungen, sondern auch auf der Alltagsebene zu verstehen (Jenkins 2017). Die FPE greift damit Ideen der dekolonialen feministischen Theorie auf. Diese geht davon aus, dass Gewalt in gesellschaftliche Strukturen eingebettet ist und historisch gewachsene und koloniale Machtstrukturen bis heute auf Geschlechterverhältnisse wirken (Espinosa Miñoso 2018). Lugones (2010) argumentiert anknüpfend an Quijanos (2000) Begriff der Kolonialität der Macht, dass koloniale Machtverhältnisse zu geschlechtsspezifischen und rassistischen Hierarchien geführt haben. Dies bildet die Grundlage für eine intersektionale Analyse, die Gender als relationale Kategorie in Wech‐ selwirkung mit Ethnizität und sozialer Klasse betrachtet (Lugones 2010). Die dekoloniale feministische Theorie erkennt neben körperlicher Gewalt auch epistemische Gewalt gegen indigene Frauen als eine Fortsetzung kolo‐ nialer Praktiken an (ebd.). Diese zeigt sich in der Marginalisierung nicht- westlicher Wissenssysteme und Geschlechterverhältnisse. Vertreter:innen kommunitärer Feminismen fordern daher eine feministische Praxis aus den Erfahrungen und dem Wissen indigener Gemeinschaften heraus (Par‐ edes und Guzmán 2014). Sie betonen die Handlungsmacht von Frauen im Widerstand gegen patriarchale Gewalt und Unterdrückung. Dabei zie‐ hen sie Parallelen zwischen einem territorialen Kampf gegen den Extrakti‐ vismus und einem Kampf gegen patriarchale Diskriminierungsstrukturen innerhalb ihrer Gemeinschaften. Mit dem Konzept des cuerpo territorio (dt. Körper-Territorium) wird auf eine Wechselbeziehung zwischen der Verteidigung von Land (tierra) und Körper (cuerpo) als zentrale territoriale Dimensionen in der Verteidigung des Lebens verwiesen (Ulloa 2016). Der Körper wird zu einem kollektiven Ort des Widerstandes und zu einem politischen Territorium im Kampf gegen Unterdrückung und Enteignung (Haesbaert 2020). Eine multidimensionale territoriale Analyseperspektive ermöglicht es die Auswirkungen sozial-ökologischer Konflikte auf verschie‐ Geschlechterverhältnisse in Konflikten um Kupferbergbau in Peru 165 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb dene Territorien zu analysieren, wie ich dies am Beispiel des Kupferberg‐ baus nachfolgend aufzeigen werde. 3 Konflikte um Kupferbergbau im südlichen Bergbaukorridor Perus Bergbau ist eine der Hauptursachen für soziale Konflikte in Peru (Defenso‐ ria del Pueblo 2024). Die Tagebaue Las Bambas, Constancia und Tintaya- Antapaccay, die einen wesentlichen Teil der nationalen Kupferproduktion ausmachen, sind entlang des 482km langen corredor minero del sur (dt. südlicher Bergbaukorridor) situiert. Die Transportstraße des corredor mi‐ nero führt zum Exporthafen Matarani in Arequipa und ist Gegenstand kontinuierlicher Proteste und Blockaden (Maquet et al. 2024). Sie durch‐ quert die Provinz Espinar, in der die Bevölkerung seit über 40 Jahren mit dem Bergbau und Konflikten um diesen lebt (FFII-Interview 30). Dabei wechseln sich unterschiedliche Konfliktphasen immer wieder ab: auf Momente der Mobilisierung, folgen Prozesse politischer Verhandlungen und Phasen der Abwesenheit von Protest. Espinar ist ein typischer Fall einer umkämpften Kupferbergbauprovinz in Peru. Die Bergbauaktivität in Espinar begann 1981 mit einer staatlichen Enteignung von 2368 Hektar Land der Gemeinde Antaycama, wo nachfolgend der Tagebau Tintaya entstand, welcher 1993 mit dem Verkauf an das US-Unternehmen Magma Copper Company/Global Magma Ltda. privatisiert wurde (Echave et al. 2022). 2012 erfolgte eine erste Ausweitung des Projektes mit dem Tagebau Antapaccay. Tintaya-Antapaccay wird heute vom Schweizer Unternehmen Glencore betrieben. Proteste der Bevölkerung mündeten immer wieder in Verhandlungen mit dem Unternehmen, etwa in Bezug auf eine höhere Gewinnbeteiligung der Gemeinden. Ein Großteil der Abkommen wurden jedoch nicht oder nur teilweise umgesetzt. Ein Erfolg war der 2003 erreich‐ te convenio marco, ein Rahmenabkommen mit Glencore, das zusätzlich zu den nationalen Steuerabgaben eine direkte Abgabe von drei Prozent netto des Unternehmensgewinns an die Provinz Espinar vorsieht (Cuadros 2021). Paredes (2022) bezeichnet den Fall Espinar als einen Konflikt der Abhängigkeit, da es trotz einer langen Konfliktgeschichte weiterhin an einer staatlichen Reaktion auf die schwere Gesundheitskrise und Schwer‐ Alina Heuser 166 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb metallbelastung in der Region mangelt.3 Auf Druck der Zivilbevölkerung und Umweltorganisationen wurde 2022 eine Studie durch die Umweltbe‐ hörde OEFA (Organismo de Evaluación y Fiscalización Ambiental) durch‐ geführt, die die Kausalität zwischen der Schwermetallbelastung und der Bergbauaktivität nachweist.4 Glencore bestreitet diesen Zusammenhang je‐ doch weiterhin. Aktuelle Verhandlungen betreffen die ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen der Schwermetallbelastung, ökonomische Kompensationszahlungen für die Nutzung der Transportstraße und die Aktualisierung des convenio marco. Ein weiterer Konfliktgegenstand ist die geplante Ausweitung des Bergbaus durch das Projekt Corroccohuayco. Diese wird von lokalen Akteur:innen widersprüchlich bewertet. Der jahr‐ zehntelange industrielle Kupferbergbau in Espinar hat zu einer sozialen Spaltung der Bevölkerung zwischen Befürworter:innen und Gegner:innen geführt, häufig in Abhängigkeit davon, inwiefern die Menschen vom Kup‐ ferbergbau ökonomisch profitieren. Die einst starke Widerstandsbewegung, angeführt von den Organisationen Verteidigungsfront für die Interessen Espinars FUDIE (Frente Único de Defensa de los Interesses de Espinar) und der Bauernförderation FUCAE (Federación Unificada de Campesi‐ nos de Espinar), ist heute aufgrund interner Machtkämpfe institutionell geschwächt (FFII-Interview 34). Espinar zeichnet sich durch eine „perma‐ nente Situation des Konfliktes“ (Maquet et al. 2024: 24, Übers. A.H.) aus, die eine ständige Gefahr der Eskalation birgt, solange grundlegende Lösungen für die Forderungen der lokalen Bevölkerung ausbleiben. Auf Mobilisierungen reagiert der peruanische Staat mit wiederholter Ausrufung des Ausnahmezustandes. Diese räumt den staatlichen Sicherheitskräften Sonderrechte ein und ermöglicht eine gewaltvolle Repression sozialer Pro‐ teste. Während Maquet et al. (2024) Geschlechterverhältnisse als eine von fünf Konfliktvariablen (Transportstraße, Umweltverschmutzung, Repressi‐ on/ Menschenrechtsverletzungen, und ökonomische Gewinnbeteiligung) einstufen, argumentiere ich, dass sich Geschlechterverhältnisse als systema‐ tische Ungleichheits- und Machtverhältnisse durch alle gesellschaftlichen 3 In einer Studie von Amnesty International aus dem Jahr 2021 wurden bei 117 von 150 Personen (78%) erhöhte Werte an toxischen Substanzen wie Arsen, Blei, Quecksilber, Kadmium und Mangan festgestellt. 4 Die OEFA (Organismo de Evaluación y Fiscalización Ambiental) ist eine staatliche Institution in Peru, die für die Überwachung und Durchsetzung von Umweltvorschrif‐ ten zuständig ist. Bei der erwähnten Studie handelt es sich um eine Umweltverträglich‐ keitsprüfung für die geplante Ausweitung Corroccohuayco und eine Evaluierung der Schwermetallbelastung in den umliegenden Gemeinden des Tagebaus Antapaccay. Geschlechterverhältnisse in Konflikten um Kupferbergbau in Peru 167 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Bereiche ziehen und dabei in einem komplexen Wechselverhältnis zueinan‐ der stehen. Wie ich im Folgenden aufzeige, verfestigen sich in Konflikten um den Kupferbergbau nicht nur historisch gewachsene patriarchale Un‐ gleichheiten, sondern es lässt sich auch eine Ermächtigung von weiblich gelesenen Akteur:innen erkennen, die wesentlich in territorialen Verteidi‐ gungskämpfen mitwirken. 4 Geschlechterverhältnisse im Konflikt um Kupferbergbau in Espinar Mit dem Ziel, die Geschlechterverhältnisse im Konflikt um Kupferberg‐ bau in Espinar zu beleuchten, rücke ich auf Basis meiner eigenen em‐ pirischen Beobachtungen die Aspekte (re)produktive Arbeitsverhältnisse, Körper-Territorium und politische Partizipation in den Mittelpunkt der Analyse. Anknüpfend an Echave et al. (2022: 267, Übers. A.H.), die danach fragen, „welche Art von Gesellschaft, Politik, Kultur und Leben [...] durch Konflikte hervorgebracht“ werden, analysiere ich die Konfiguration von Geschlechterverhältnissen. 4.1 Transformation (re)produktiver Arbeitsverhältnisse Die Lohnarbeit im Tagebau Tintaya-Antapaccay ist überwiegend männlich strukturiert (Weill 2023). Sie entspricht einem Narrativ des erfolgreichen männlichen Bergarbeiters (minero), der im Vergleich zu anderen Sekto‐ ren gut verdient und soziales Prestige erfährt. Unter den interviewten Akteur:innen bedeutet eine kritische Einstellung gegenüber dem Bergbau nicht unbedingt die Negierung der Lohnarbeitstätigkeiten im Bergbau, im Gegenteil wird mit einem gewissen Stolz darauf verwiesen, denn der Traum vom minero ist tief im sozioökonomischen Aufstiegsstreben junger Männer in Espinar verankert (FFII Feldnotiz 19). Während ich einen jun‐ gen Viehhirten aus der Ortschaft Coporaque dabei begleite, das Vieh auf die Wiesen neben dem Tagebau zu treiben, erzählt er mir von seinem Wunsch, im Bergbau zu arbeiten. Von hier aus beobachtet er die LKWs, die den spiralförmigen Tagebau befahren und träumt davon in der Zukunft einen von ihnen zu lenken (ebd.). Was als Widerspruch erscheinen mag, ist es für ihn nicht. Zwar beklagt er die Krankheiten der Tiere durch die Staubbelastung aus dem nahe gelegenen Tagebau und ist sich der ökologi‐ schen Auswirkungen der Bergbauaktivität bewusst, gleichzeitig möchte er Alina Heuser 168 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Teil des Fortschrittgedankens des Kupferbergbaus sein. Mit Verweis auf die Sozialraumtheorie von Bourdieu (1982) ist der Zugang zu Lohnarbeit im Tagebau durch ökonomisches und kulturelles Kapital strukturiert. Die Möglichkeiten, eine Anstellung im Bergbau zu finden, sind dabei nicht nur durch die intersektionalen Variablen Geschlecht, Alter und Bildung bedingt, sondern in koloniale Machtverhältnisse eingewoben, wie folgendes Zitat eines Gemeinderatmitgliedes aufzeigt: Die meisten Arbeiter kommen von außerhalb, die lokalen Gemeinschaf‐ ten stellen nur einen kleinen Prozentsatz. Und aufgepasst, bei diesem kleinen Prozentsatz [...] der den lokalen Gemeinschaften zusteht, handelt es sich stets um ungelernte Arbeitskräfte. Wie in meinem Fall, da man mir, auch wenn ich ausgebildet bin und arbeiten wollte, sagte: „Nein, du bist aus der Gemeinde, wenn du einen Job willst, wirst du Geschirr spülen.5 (FFII-Interview 3, Übers. A.H.). Arbeitsplätze die lokalen Arbeitskräften vorbehalten sind, befinden sich im unteren Bereich der Wertschöpfungskette, selbst wenn diese über einen Bil‐ dungsabschluss verfügen. Der Zugang zu Lohnarbeit ist zudem geschlechts‐ spezifisch ungleich verteilt was die These einer (Re)patriarchalisierung der Territorien unterstützt. Gleichzeitig entstehen in den so genannten ciudades dormitorios (dt. Übernachtungsstädte) neue Infrastrukturen, die überwiegend auf die Bedürfnisse männlicher Minenarbeiter ausgelegt sind (Barrientos Delgado et al. 2011). Die Anstellung von Frauen in Restau‐ rants, Cafés, Hotels, Bars, Diskotheken und im informellen Prostitutions‐ gewerbe reproduziert eine traditionelle Verortung der Arbeitskraft von Frauen im Servicebereich. Dies kann in einer gewaltvollen sexualisierten Aneignung feminisierter Körper resultieren, eröffnet jedoch auch neue Ein‐ kommensmöglichkeiten. Daher argumentiere ich, dass die Lohnarbeit im Tagebau, sowie das Streben nach und der Zugang zu derselbigen, zwar soziale Ungleichheiten verschärfen und zur Reproduktion patriarchaler und kolonialer Arbeitsstrukturen führen können, jedoch die These einer einseitigen Maskulinisierung der Territorien infrage stellen. Im Hinblick auf die Transformation landwirtschaftlicher (re)produktiver Tätigkeiten wird eine Feminisierung der Landwirtschaft in Wechselwirkung mit einer 5 Originalzitat: “La mayor parte de los trabajadores son de otro lado, la comunidad solamente tiene un pequeño porcentaje. Y ojo, si digamos en ese pequeño porcentaje […] que tiene que cumplir la comunidad, siempre es mano de obra no calificada. Por ejemplo, en mi caso yo, si era profesional y quise trabajar, me dijeron: ‚No, tú eres de la comunidad, así que si quieres un trabajo, vas a lavar platos‘.” (FFII-Interview 3). Geschlechterverhältnisse in Konflikten um Kupferbergbau in Peru 169 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Maskulinisierung der Territorien beobachtet (Grieco 2018). Dies geht ein‐ her mit einer Verschiebung familiärer Rollenverteilungen, bei der die in Espinar verbreitete Subsistenzwirtschaft auf weibliche Familienmitglieder ausgelagert wird. Dieser Prozess wird durch eine überwiegend männliche Anstellung im Tagebau sowie anderweitige Arbeitsmigration bedingt. Die Feminisierung der Landwirtschaft impliziert durch den alltäglichen Kon‐ takt mit kontaminierten Böden, Luft und Wasser ein erhöhtes gesundheitli‐ ches Risiko für Frauen. Obwohl die Hochebene der Provinz Espinar eine Viehzuchtregion ist, werden nur wenig lokale Milchprodukte verkauft, da sie aufgrund des Stigmas der Umweltverschmutzung durch den Tagebau an monetärem Wert verloren haben. Auch angesichts fehlender Bildungsmög‐ lichkeiten sind Familien, die vorher in den umliegenden Gemeinschaften von Tintaya-Antapaccay lebten, größtenteils in die Provinzhauptstadt Yauri migriert, von wo aus insbesondere Frauen pendeln (FFII-Feldnotiz 19). Dies führt, zusätzlich zu den Herausforderungen mit Wasserknappheit und -verschmutzung, zu einer Intensivierung der Arbeitszeitbelastung durch längere Transportwege, sowie durch die Pflege erkrankter menschlicher und nicht-menschlicher Subjekte. Aufgrund dieser Beobachtungen, sowie der Integration von Frauen in Lohnarbeitssektoren der Bergbauinfrastruk‐ tur, erhöht sich die Arbeitsbelastung von Frauen. Dies lässt sich mit dem Begriff triple jornada fassen (Pérez et al. 2019). Dieser beschreibt eine dreifache Arbeitszeitbelastung, die Sorgearbeit, familiäre Landwirtschaft und Lohnarbeit in den urbanen Zentren umfasst. Ergänzend möchte ich als vierte Dimension die Selbstfürsorge (auto-cuidado) hinzufügen, deren Relevanz insbesondere aufgrund der erlebten Gewalt bei den Protesten zugenommen hat (FFII-Interview 2). 4.2 Körper in Protesten um Kupferbergbau In diesem Abschnitt frage ich danach, wie Protest ausgehend vom Körper erfahren wird. Wie konstituiert sich Handlungsmacht im Einsatz femini‐ sierter Körper in Protesten und Konflikten um Kupferbergbau? Welche Bedeutung erlangt der Körper als Territorium des Widerstandes? Zur Ver‐ anschaulichung der Analyse nehme ich eine zeitliche Einordnung vor und unterscheide Phasen „vor“, „während“ und „nach“ Mobilisierungen. Diese Aufteilung ist nicht linear, sondern in eine dynamische Situation der „per‐ manenten Konfliktivität“ (Maquet et al. 2024: 20, Übers. A.H.) eingebettet. Alina Heuser 170 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Dennoch beziehen sich Akteur:innen in ihren Erzählungen auf spezifische Momente und Phasen des Konfliktverlaufs. Ein „Vorher“ der Proteste verdeutlicht den gesellschaftspolitischen Kon‐ text in dem diese eingebettet sind und der ausschlaggebend für die Hand‐ lungsmacht sozialer Akteur:innen ist. Wie bereits dargelegt beeinflussen die ökologischen Auswirkungen des Kupferbergbaus die Körper menschlicher und nicht-menschlicher Subjekte im unmittelbaren Umfeld des Tagebaus. Feminisierte Körper sind zudem physischer und sexualisierter Gewalt aus‐ gesetzt, unter anderem im häuslichen Umfeld und im Zusammenhang mit Alkoholismus und ökonomischen Abhängigkeitsverhältnissen (Cuadros Falla 2010). Anders als die gesundheitlichen Auswirkungen auf Körper, die öffentlich diskutiert werden, bleibt geschlechtsspezifische Gewalt unsicht‐ bar. Diese Beobachtung trifft auch auf den Umgang mit feminisierten Kör‐ pern während der Proteste zu. Mit der Begründung eines kollektiven Schut‐ zes der Protestakteur:innen werden feminisierte Körper oft in der ersten Reihe bei sozialen Protesten positioniert bzw. sind es Frauen selbst die sich hier positionieren (FFII-Interview 2). Mit dem Einsatz ihrer Körper instru‐ mentalisieren sie das patriarchale Narrativ des vulnerablen weiblichen Kör‐ pers zum Zwecke des Schutzes des kollektiven Korpus der Protestierenden. Dennoch kommt es zu sexualisierter Gewalt gegen Frauen durch (staatli‐ che) Sicherheitskräfte, wie folgende Erzählung mit Bezug auf die Proteste 2020 in Espinar zeigt: Sie wurden sie in einem Lastwagen zu einem Kreisverkehr gebracht, ihnen wurden die Handys abgenommen, sie wurden angefasst und zu Boden geworfen. Die Frauen wurden auf diese Weise von der Polizei angegriffen. [...] Sie schießen nicht auf sie, sie greifen sie an. Deshalb kommen sie nicht ins Krankenhaus.6 (FFII-Interview 9, Übers. A.H.). In den Protesten verletzte Akteur:innen vermeiden eine Registrierung im Krankenhaus aufgrund der Gefahr einer politischen Verfolgung. Aus Angst vor sozialer Stigmatisierung erstatten Frauen zudem kaum Anzeige wegen Vergewaltigung (FFII-Interview 14). In vielen Fällen bleibt Gewalt gegen Frauen in den Protesten daher unsichtbar. 6 Originalzitat: „Las llevaron en un camión a un ovalo, les quitaron sus celulares, hubo tocamientos, fueron tirados al suelo. Las mujeres han sido agredidas de esta forma por parte de la policía. [...] No las ponen una bala, las agreden. Por eso no llegan al hospital” (FFII-Interview 9). Geschlechterverhältnisse in Konflikten um Kupferbergbau in Peru 171 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Nach nationalen Protesten 2022/2023 gegen die Regierung von Dina Boluarte kam es in Espinar zu einem Rückgang der Mobilisierungen gegen Bergbau. Dies wird unter anderem in einer Angst vor erneuter Gewalt und ökonomischer Instabilität begründet (FFII-Interview 23). Echave et al. (2022) verwenden den Begriff des posestallido (dt. Postaufstand, in Abgrenzung zum Begriff des Postkonfliktes) um sich auf eine Zeit zu be‐ ziehen in der Mobilisierungen und Proteste abflauen, jedoch keine Lösung für den vorherrschenden Konflikt in Sicht ist. Die Kriminalisierung von Umweltverteidiger:innen hört nicht mit einem Abflauen von Protesten auf, sondern ist konstant und eingebettet in eine Landschaft der politischen Repression und sozialen Stigmatisierung. Frauen kümmern sich nach den Protesten um die Pflege verletzter Körper, auch wenn sie selbst Gewalter‐ fahrungen gemacht haben (FFII-Interview 12). Die komplexen Ebenen von Gewalt gegen Umweltverteidiger:innen betreffen alle Geschlechter. Körper werden sexualisiert und objektifiziert, jedoch auch selbstbestimmt gegen einen repressiven staatlichen Apparat eingesetzt (FFII-Interview 9). Der Körper wird als Territorium des Widerstandes wahrgenommen, denn „er ist im Grunde das Einzige, was dich erhält und schützt“7 (FFII-Interview 24, Übers. A.H.). 4.3 Politische Partizipation von Frauen Im Folgenden untersuche ich die politischen Praktiken sozialer Akteur:in‐ nen in Konflikten um Kupferbergbau. Welche institutionellen Rahmenbe‐ dingungen beeinflussen die Artikulation von Geschlechterverhältnisse in Konflikten um Kupferbergbau? Dabei gehe ich davon aus, dass Politik nicht nur in institutionalisierten Räumen stattfindet, sondern eng mit all‐ täglichen Handlungen verknüpft ist (Curiel et al. 2015). Dies zeigt sich in empirischen Beobachtungen: „Wir machen immer Politik“8 (FFII-Feldnotiz 16, Übers. A.H.) wie eine Teilnehmerin des Forums Klimakrise, Extraktivis‐ mus und Autoritarismus formuliert. Dieses „immer Politik machen“ (ebd.) entfaltet sich in alltäglichen landwirtschaftlichen Tätigkeiten als Alternative zum Bergbau. Die Sprecherin einer Frauenorganisation aus der Region Puno betont: 7 Originalzitat: „ O sea, el cuerpo básicamente es lo único que te sostiene, que te protege”. (FFII-Interview 24). 8 Originalzitat: „Nosotras hacemos siempre política”. (FFII-Feldnotiz 16). Alina Heuser 172 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Wir Frauen fertigen unsere Kleidung selbst an. Wir sind vom Land, wir bearbeiten die Erde und wir haben unser eigenes Territorium, auf dem wir anbauen. Wir stärken unsere Wirtschaft durch Handwerk und Landwirtschaft.9 (ebd.). In Espinar engagieren sich Frauen unter anderem in geschlechtergemisch‐ ten sozialen Organisationen, in Radioprogrammen wie Despertar K´ana und dem Verband Verteidigerinnen des Landes und der Kultur K´ana (Aso‐ ciación de Mujeres Defensoras de la Tierra y Cultura K´ana). Letzterer hat eine Agenda bis 2025 aufgesetzt, in der Themen wie „geschlechtsspezifische Gewalt, Einkommensmöglichkeiten, Gesundheit, sexuelle und reprodukti‐ ve Rechte, Bildung für Gleichberechtigung, Territorium und Umwelt, und politische und zivilgesellschaftliche Partizipation“ adressiert werden (Laro‐ ta 2020: 4, Übers. A.H.). Weitere zentrale Organisationen des territorialen Verteidigungsprozesses in Espinar sind die Gewerkschaft des Zentralmark‐ tes (SUCME), die Bauernförderation (FUCAE), die Verteidigungsfront der Interessen der Provinz Espinar (FUDIE) und die Vereinigung der städt‐ ischen Wohngebiete (AUPE). Die SUCME hat sich als zentraler Akteur in der Mobilisierung und Bereitstellung der Infrastruktur der Proteste her‐ auskristallisiert, da eine Schließung des Marktes in der Vergangenheit eine Stilllegung des sozioökonomischen Lebens in Yauri zur Folge hatte. Die Verkäuferinnen des Marktes organisieren Gemeinschaftsküchen und die Transportinfrastruktur der Straßenblockaden. Auf regionaler Ebene haben die letzten Jahre neue politische Partizipationsmöglichkeiten für Frauen eröffnet, etwa durch die Wahl einer Bürgermeisterin in Yauri und einer Präsidentin der FUCAE. Zusammengefasst spielen Frauen in Espinar eine bedeutende Rolle im territorialen Verteidigungsprozess. Erstens, indem sie die Bedeutung des Territoriums als Grundlage für Autonomie und Ernährungssouveräni‐ tät mit dem Fortführen landwirtschaftlicher Produktion unterstreichen. Zweitens, indem sie sich wesentlich in institutionalisierten Räumen gesell‐ schaftspolitisch engagieren. Drittens, indem sie die Protestinfrastruktur (Verpflegung und Transport) organisieren und viertens, in dem sie in Protesten die kollektiven Interessen ihrer Gemeinschaften unter Einsatz ihrer Körper verteidigen. Trotz ihrer wesentlichen Rolle in territorialen 9 Originalzitat: „Nosotros las mujeres hacemos nuestras prendas. Nosotros somos del campo, hacemos charca, tenemos nuestro propio territorio donde estamos cultivando. Activamos nuestra economía de artesanía y agricultura“. (ebd.). Geschlechterverhältnisse in Konflikten um Kupferbergbau in Peru 173 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Verteidigungsprozessen bleiben sie jedoch aus politischen Verhandlungs- und Entscheidungsprozessen weitestgehend ausgeschlossen. Dies stellt sie vor folgende Herausforderungen: Erstens werden Frauen durch die patrili‐ neare Vererbung von Landtiteln strukturell benachteiligt. So musste eine Umweltverteidigerin erst ihre Familie darum bitten, ein Stück Land auf ihren Namen umzuschreiben um an Versammlungen in ihrer lokalen Ge‐ meinschaft teilnehmen und mitentscheiden zu dürfen (FFII-Interview 20). Diese Dynamik ist Gegenstand konstanter Transformationen und kontext‐ spezifisch zu betrachten, denn oft übernehmen Frauen bei Abwesenheit männlicher Familienmitglieder (z.B. bedingt durch Arbeitsmigration in urbane Zentren oder Arbeitseinsätze im Tagebau) die Repräsentanz ihrer Familien in Versammlungen. In anderen lokalen Gemeinschaften „dür‐ fen [Frauen] anwesend sein aber nicht teilnehmen“10 (FFII-Interview 23, Übers. A.H.). Entscheidungen werden zudem auch in informellen Räumen getroffen, wobei eine Strategie des Unternehmens darin besteht individuelle Abkommen mit männlichen Repräsentanten lokaler Gemeinschaften zu treffen. In diesem ungleichen Pakt zwischen Männern schreibt sich eine ko‐ lonial-patriarchale Logik ein, die Assis Clímaco (2018: 98) als „abhängiges Patriarchat“ bezeichnet. Frauen laufen in den Protesten an vorderster Front mit, sind jedoch nur bedingt in die dahinter liegenden Entscheidungen einbezogen (FFII-Interview 12). In politischen Verhandlungen wird ihre Teilhabe durch die Abwertung ihrer Redebeiträge und indem ihnen Wissen und Führungspotential abgesprochen wird erschwert (Soria Torres 2017). Dies wird als machismo (dt. übersteigertes Gefühl männlicher Überlegen‐ heit) kritisiert, beispielsweise „wenn sich in Versammlungen darüber lustig gemacht wird, wenn Frauen sprechen.“11 (FFII-Interview 14, Übers. A.H.). Dies ist ein Grund dafür, dass Frauen ihre eigenen Protestorganisationen bilden. Sie tun dies auch, um geschlechtsspezifische Problematiken disku‐ tieren zu können, denen in kollektiven Verteidigungsorganisationen kein Raum gegeben wird (FFII-Interview 2). Mit Rückgriff auf die Metapher der Kolonialität der Macht (Quijano 2000) schreibt sich zudem eine sprachli‐ che Exklusion Quechua sprechender Personen fort, wenn Versammlungen auf Spanisch abgehalten werden. Ein Problem, das sich auch in den unter‐ stützenden NGOs reproduziert. Der Zugang zu Bildung und die Alphabeti‐ sierungsquote insbesondere der älteren Generation ist geschlechtsspezifisch 10 Originalzitat: „las mujeres pueden asistir, pero no participar” (FFII-Interview 23). 11 Originalzitat: “se burlan en las reuniones cuándo hablan las mujeres” ( FFII-Inter‐ view 14). Alina Heuser 174 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb ungleich strukturiert, sodass vor allem ältere Frauen der Region von einer Teilhabe an den Versammlungen ausgeschlossen sind (INEI 2022). Ein weiterer erschwerender Faktor für die politische Teilhabe von Frauen ist die ihnen auferlegte Sorgearbeit, die zu einer Zeitknappheit für gesellschafts‐ politisches Engagement führt (FFII-Interview 14). Soria Torres (2017) ver‐ weist zudem auf Gewalt seitens des Partners und anderer Männern in den lokalen Gemeinschaft, die darauf abzielt, das politische Engagement von Frauen zu unterbinden. Protestakteur:innen kritisieren zudem einen fehlenden Zusammenhalt zwischen den verschiedenen Frauenorganisatio‐ nen (FFII-Interview 14). Diese Entwicklung steht stellvertretend für ein allgemeines Panorama des Misstrauens und der sozialen Konfliktivität zwi‐ schen sozialen Organisationen in Espinar. Eine weitere Herausforderung für Umweltverteidigerinnen hinsichtlich ihrer politischen Partizipation in Konflikten um Bergbau ist die soziale Stigmatisierung, die sie in sozialen Medien, ihren lokalen Gemeinschaften und Familien erfahren. Ihnen wird vorgeworfen, von ausländischen NGOs bezahlt zu werden, gegen Entwick‐ lung zu sein und sie werden unter anderem als terruqos (dt. Terrorist:in‐ nen) und ignorante Indigene beschimpft (FFII-Interview 24 u. 26). Hin‐ zukommen sexistische Kommentare in Abwertung ihrer Körper und ein Zurechtweisen auf ihren gesellschaftlichen Platz als Frauen (FFII-Interview 2). Diese Form der psychischen Gewalt gegen Umweltverteidigerinnen zielt darauf ab sie zum Schweigen zu bringen und erfolgt eingebettet in eine allgemeine „Kriminalisierung der Dissidenz“ (De Echave et al. 2022, Übers. A.H.). 5 Fazit Die vorliegende Analyse veranschaulicht wie Bergbaukonflikte Geschlech‐ terverhältnisse in den Aspekten (re-)produktive Arbeitsteilung, Körper-Ter‐ ritorium und politische Teilhabe beeinflussen. Ziel ist es, die Komplexität einer Rekonfiguration von Geschlechterverhältnissen zu verdeutlichen. Ei‐ nerseits verstärken sich patriarchale Ungleichheiten durch wirtschaftliche und familiäre Abhängigkeiten und die Intensivierung von Sorgearbeit. Weibliche Körper erfahren sexualisierte, physische und psychische Gewalt. Indigene Frauen werden durch eine Verknüpfung rassistischer und sexisti‐ scher Narrative in Protesten und beim Zugang zu Lohnarbeit und politi‐ scher Teilhabe unter anderem durch soziale Stigmatisierung benachteiligt. Strukturelle Diskriminierung hindert Frauen an politischen Verhandlungen Geschlechterverhältnisse in Konflikten um Kupferbergbau in Peru 175 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb und Entscheidungsprozessen teilzunehmen und wird durch eine patrilinea‐ re Vererbung von Landtiteln und den machismo in sozialen Organisatio‐ nen verstärkt. Gleichzeitig brechen patriarchale Geschlechterverhältnisse auf, da Frauen zunehmend politisch aktiv werden, sich in sozialen Orga‐ nisationen engagieren und neue Lohnarbeitsmöglichkeiten wahrnehmen. Die Partizipation von Frauen in kommunalen Versammlungen steigt, be‐ sonders wenn männliche Familienmitglieder abwesend sind. Sie schaffen darüber hinaus eigene Räume des Austausches und Widerstandes, nut‐ zen strategisch geschlechtsspezifische Narrative und entwickeln politische Handlungsfähigkeit in der Organisation kollektiver Mobilisierungen. Ihre alltäglichen Praktiken des Widerstandes inspirieren dazu, Politik neu zu denken. In diesem Sinne ist eine Ermächtigung von Frauen im territorialen Verteidigungsprozess in Espinar festzustellen. Im Kontext einer sich ausweitenden Kupferproduktion im Rahmen der Energiewende, etwa durch das Projekt Corroccohuayco, das eine Fortset‐ zung des industriellen Bergbaus in Espinar für weitere Jahrzehnte sicher‐ stellt, ist jedoch auch von einer Verschärfung geschlechtsspezifischer Un‐ gleichheiten und Gewalt gegen Territorien und Körper auszugehen. Dies bedeutet eine Intensivierung bereits bestehender neokolonialer Machtver‐ hältnisse und geopolitischen Druck auf die Territorien. Bei neuen Mobili‐ sierungen unter der repressiven Regierung von Dina Boluarte ist mit einer gewaltvollen Fortsetzung der Kriminalisierung von Protestakteur:innen zu rechnen. Entgegen der aktuellen politischen Entwicklung in Peru, die die Rechte von Frauen und LGBTIQ+ Personen systematisch einschränkt, ist ein Einbezug von Gendergerechtigkeit für ein Wiederaufleben der Wider‐ standsbewegung in Espinar entscheidend. Ein zentraler Referenzpunkt für die, in den territorialen Verteidigungsprozess involvierten, Frauen ist ihr Verantwortungsbewusstsein für zukünftige Generationen. Sie verknüpfen multiple Kämpfe gegen extraktivistische, patriarchale und koloniale Gewalt und sprechen sich für eine kollektive Verteidigung ihrer territorialen Le‐ bensgrundlagen aus (FFII-Interview 14). 6 Literatur Aliaga, Carmen; Fuentes, Nancy; Rojas Becerra, Angela Daniela; Vega, Stefanía; Vásquez, Eva (Hg.) (2021): Mujeres defensoras contra el extractivismo minero en el Abya Yala. Lima: El Chaski editores. Alina Heuser 176 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Amnesty Internacional (2021): Estado de salud fallido: Emergencia de salud en pueblos indígenas de Espinar, Perú. London, [https://www.amnesty.org/es/documents/amr4 6/3829/2021/es/] <31.08.2024>. 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Defensoras FFII-Interview 14 Espinar 13.05.2024 Mitglied der Asociación de Vigilantes y Monito‐ res Ambientales de Espinar (AVMAE) FFII-Feldnotiz 16 Espinar 19.05.2024 Ex-Präsident einer Gemeinde FFII-Interview 19 Espinar 20.05.2024 Präsident einer Gemeinde FFII-Interview 20 Espinar 19.05.2024 Mitglied der Plataforma Nacional de afectados por metales tóxicos (PAMETEC) FFII-Interview 23 Espinar 20.05.2024 Mitglied der Federación unificada de campesinos de Espinar (FUCAE) FFII-Interview 24 Virtuell 17.06.2024 Mitglied der Frente Único de la Juventud Espinar K´ana (FUJEK) FFII-Interview 26 Virtuell 04.07.2024 Protestakteur*in FFII-Interview 30 Cusco 21.08.2024 Vorstand einer NGO FFII-Interview 34 Lima 30.08.2024 Vorstand einer NGO Geschlechterverhältnisse in Konflikten um Kupferbergbau in Peru 179 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Kupfer für die Energiewende und die Rechte der Natur in Ecuador Javier Lastra-Bravo und Sebastian Matthes 1 Einleitung Aufgrund seiner exzellenten elektrischen und thermischen Leitfähigkeit gilt Kupfer als ein strategischer Schlüsselrohstoff für die Grüne Energiewende. Für Windkraft und Solaranlagen werden allein in Deutschland bis 2030 schätzungsweise 900.000 Tonnen Kupfer benötigt. Der Bedarf könnte sich demnach verdoppeln (PowerShift 2022: 4).1 Im südamerikanischen Ecuador, in der Region Intag, in den nordwestli‐ chen Andenhängen, etwa 150 Kilometer nördlich der Hauptstadt Quito, befindet sich eine der größten bisher nicht geförderten Kupferreserven der Welt. Für das derzeit hoch verschuldete Ecuador könnten die Vorkommen in Intag also eine lukrative Einnahmequelle darstellen. Gleichzeitig handelt es sich beim Intag-Tal, gelegen zwischen zwei Biodiversitätshotspots, um ein fragiles Ökosystem, dessen Vegetation als anfällig gegenüber klimati‐ schen und ökologischen Veränderungen gilt. Hierdurch liegt eine besonde‐ re Konfliktdynamik vor, die exemplarisch für das extraktivistische Entwick‐ lungsmodell steht.2 Der Rohstoffreichtum weckte bei Regierungen verschie‐ 1 Weltweit wurden zwischen 2016 und 2020 durchschnittlich 20,5 Mio. Tonnen geför‐ dert. Davon wurden rund 2,05 Mio. Tonnen, also rund 10 %, in der EU verbraucht. Dabei war Deutschland das Land mit der stärksten Nachfrage innerhalb der EU (SCREEN 2020: 7). 2 Der Preisboom für Rohstoffe zu Beginn des neuen Millenniums führte in Lateinameri‐ ka zum Aufstieg eines rohstoffbasierten und exportzentrierten Entwicklungsmodells, des (Neo-)Extraktivismus. Der Rohstoffboom bescherte den lateinamerikanischen Staaten wachsende Einnahmen und erhöhte maßgeblich den finanziellen Spielraum für entwicklungs- und sozialpolitische Aktivitäten. Im Neo-Extraktivismus sind inten‐ siver Rohstoffabbau und Versuche zur Lösung der sozialen Frage eng miteinander verknüpft (Gudynas 2009: 209; Burchardt / Dietz 2014). Dabei verspricht der Staat, über (ökonomische) Ausgleichsmechanismen für die durch die Rohstoffextraktion ent‐ standenen Folgen aufzukommen (Gudynas 2009: 209–213). Das Modell hat sich in der Region soweit konsolidiert, dass Regierungs- und Kräftekonstellationen unterschiedli‐ cher politischer Ausrichtung rohstoffbasierte Entwicklungs- und Wirtschaftsstrategien verfolgen und Kompensationsmechanismen etabliert haben. 181 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb dener Couleur Begehrlichkeiten und gilt als ursächlich für einen über 30 Jahre schwelenden Konflikt. In der ecuadorianischen Verfassung von 2008 wurde, weltweit einzigartig, die Natur als Rechtssubjekt festgeschrieben (siehe Beitrag von Gutmann in diesem Band). Dies beinhaltete den Schutz der Natur, ihres Lebenszyklus sowie den Schutz der Ökosysteme vor Zer‐ störung (Art. 71 und 73). Hierauf beriefen sich die Minengegner:innen und haben Verfassungsklageeingereicht. Mit Erfolg, denn im November 2021 urteilte das Verfassungsgericht zu Gunsten der Kläger:innen. Insofern stellt Intag einen Präzedenzfall für die Implementierung der Rechte der Natur dar und könnte für das rohstoffexportierende Land weit‐ reichende Folgen haben. Nichtsdestotrotz ist eine grundsätzliche Abkehr vom Extraktivismus in Ecuador stark zu bezweifeln. In dem vorliegenden Kapitel werden die Ambivalenzen identifiziert, denen Ecuador im Zuge der Grünen Energiewende gegenübersteht. Vor diesem Hintergrund wird diskutiert, warum das ecuadorianische Entwicklungsmodell, trotz des ver‐ fassungsrechtlichen Schutzes, nur begrenzt reformfähig ist. 2 Kupfer für die Grüne Energiewende Die Internationale Energieagentur (IEA) definiert Kupfer als ein Schlüssel‐ mineral der Energiewende (IEA 2024: 14, siehe Rodríguez und Heuser in diesem Band). Kupfer gilt aufgrund seiner exzellenten elektrischen und thermischen Leitfähigkeit als unverzichtbar für Technologien in den Bereichen Verkehr (Energieinfrastruktur, Hybrid- und Elektrofahrzeuge und die dazugehörige Ladeinfrastruktur), Windenergie (Verkabelung und Temperaturregelung in Windturbinen), Solarenergie (Wärmetauscher für solarthermische Anlagen, Photovoltaikmodule) und Gezeitenenergie (ECI 2012). So findet sich Kupfer in nahezu allen Arten der Verkabelung; von der Stromversorgung über Motorwicklung für Elektromotoren bis hin zu Steck‐ verbindungen in Computern (SCREEN 2020: 8). Entsprechend handelt es sich bei Kupfer um einen jener sogenannten kritischen Rohstoffe, die für die grünen und digitalen Transformationsprojekte von Washington über Brüssel bis Peking unverzichtbar sind. Entsprechend wird der Bedarf an Kupfer mit der Energiewende bis 2040 um 40,7 Prozent zunehmen (BMWi 2020: 10; IEA 2024). Goldman Sachs prognostizieren dabei zwischen 2024 und 2030 eine Verdoppelung der sogenannten Grünen Nachfrage von 2,16 auf 5,4 Mio. Tonnen. Anteilig am globalen Gesamtbedarf wird die Javier Lastra-Bravo und Sebastian Matthes 182 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb sogenannte Grüne Kupfernachfrage von 8 Prozent auf 16 Prozent steigen (Goldman Sachs 2021: 5, 15). 2.1 Die Folgen der Energiewende für Lateinamerika Die Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik geht in ihrem Ausblick auf den Bergbausektor davon aus, dass die globale Energie‐ wende und die Elektromobilität maßgeblichen Einfluss auf die Art und Menge der Mineralien haben werden, die die Region zukünftig exportiert (CEPAL 2023: 30). Der Abbau von Lithium und Kupfer ist – neben Wind- und Solarenergie, der Elektromobilität und Grünem Wasserstoff – demnach einer von vier Kerntrends mit dem Potential, die lateiname‐ rikanischen Entwicklungsmodelle und Volkswirtschaften in den kommen‐ den Dekaden zu prägen. 56,8 Prozent der weltweiten Lithiumvorkommen und 36,6 Prozent der Kupferreserven werden in Lateinamerika verortet. Gegenwärtig werden in der Region 32 Prozent des weltweit verwendeten Lithiums und 41 Prozent des Kupfers abgebaut (CEPAL 2023: 13). Die Ausgangslage und die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus dem jüngsten Rohstoffboom (2002/03-2013/14) lassen befürchten, dass, im Hinblick auf den Abbau und Export kritischer Rohstoffe für die globale Energiewende, eine Fortsetzung der extraktivistischen Logik in Lateinamerika zu erwarten ist (Dietz 2024: 33). Im Zuge dieses sogenannten Grünen Extraktivismus nimmt die Rohstoffausbeutung weiter an Intensität zu und dringt in zum Teil neue Territorien vor. In den vergangenen drei Dekaden war bereits, insbesondere in den Ländern des Globalen Südens, ein auffälliger Trend zur Expansion von Bergbauaktivitäten zu beobachten. Der Boom war so‐ wohl in Mittel- und Südamerika als auch in Teilen Asiens und im subsa‐ harischen Afrika verstärkt festzustellen. Auffällig war, dass die Expansion nicht mehr nur auf die traditionellen Bergbauökonomien wie Chile oder Peru beschränkt blieb, sondern auch zunehmend auf Länder und Regio‐ nen ausgeweitet wurden, in denen der Sektor bisher eine untergeordnete Bedeutung einnahm. So verzeichneten Lateinamerika und die Karibik zwi‐ schen 1990 und 2008 einen Anstieg des Produktionsniveaus bei Zinn um 29 Prozent, bei Eisen um 83 Prozent, bei Zink um 124 Prozent und bei Kupfer um 223 Prozent (Matthes 2019: 17, Tab. 2.9). Neben der globalen Nachfragesteigerung und der damit verbundenen Preisentwicklung besteht eine Ursache darin, dass neue Techniken eine höhere Effizienz beim Abbau versprechen. Dadurch steigt das Interesse auch an solchen Rohstoffquellen, Kupfer für die Energiewende und die Rechte der Natur in Ecuador 183 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb deren Inwertsetzung noch vor wenigen Jahren als unwirtschaftlich erachtet wurde (Gómez Montes/Eschenhagen et al. 2014: 389). Jedoch gelten die reichhaltigsten und relativ gut zugänglichen Vorkommen vieler (Edel-)Me‐ talle und Mineralien bereits weitgehend als erschöpft (Larmer 2009: 11). Entsprechend groß ist der Druck, neue Rohstoffquellen zu erschließen. Diese Konstellation löste in Lateinamerika in den vergangenen Jahren einen regelrechten Bergbauboom aus, sodass der Sektor auch in Staaten mit einer vergleichsweise geringen Bergbautradition, wie Argentinien und eben Ecuador, expandierte (FDCL 2015: 1; Svampa 2019). Aufgrund der weltweiten Nachfrage, insbesondere aus China, kletterten die Kupferpreise 2021 auf Rekordniveau (CEPAL 2023: 29). Damit bot sich den Staaten mit entsprechenden Vorkommen (wieder einmal) die Gelegen‐ heit, die Haushaltskassen über die Veräußerung natürlicher Ressourcen zu füllen und Spielraum für entwicklungs- und sozialpolitische Vorhaben zu generieren. Der Abbau von Kupfer im großen Stil ist aber mit verschiede‐ nen problematischen Auswirkungen verbunden. Beim Abbau von Kupfer fallen beträchtliche Mengen schädlicher bergbaulicher Reststoffe an. Insbe‐ sondere die Bildung saurer Grubenwässer ist ein verbreitetes Problem. Ge‐ langen diese verschmutzten Abwässer in den ökologischen Kreislauf, stellt dies ein ernstzunehmendes Gesundheitsproblem für jegliche Lebewesen dar, die mit den kontaminierten Stoffen in Berührung kommen. Zusätzlich sind der Abbau und die Aufbereitung von Kupfer besonders wasserinten‐ siv. So sind bis zu 350 Kubikmeter Wasser pro extrahierter Tonne Kupfer nötig. Insofern stellt die Wasserfrage eine häufige Quelle für Konflikte dar (BGR 2020: 2). Im Zuge der räumlichen Expansion der Bergbauaktivitäten dringen die operierenden Unternehmen tiefer in ökologisch sensible Zonen und Lebensräume indigener Gemeinschaften vor. Oftmals steht dabei die Lebens- und Versorgungsgrundlage der lokalen Bevölkerung der globalen Rohstoffnachfrage entgegen. 2.2 Zur Rolle Chinas in der lateinamerikanischen Kupferproduktion Der Verteilungskampf um kritische Rohstoffe aus Lateinamerika für die Energiewende ist in vollem Gange. Dies zieht geopolitische Spannungen nach sich und hat weitreichende Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen. Die größte Nachfrage kommt weiterhin aus dem Globalen Norden, allen voran aus den USA und der EU. Seit einigen Jahren wird der globale Bedarf nach mineralischen Rohstoffen aber nicht mehr nur von den Javier Lastra-Bravo und Sebastian Matthes 184 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb traditionellen kapitalistischen Zentren bestimmt, sondern zunehmend von den Schwellenländern vorangetrieben, allen voran China (Svampa 2019: 90; BMWi 2020: 9; Cepal 2023: 29). Seit Beginn der 2000er Jahre verfolgt China eine zweigleisige Strategie zur Sicherung kritischer Rohstoffe. Dabei soll einerseits die Produktion der heimischen Rohstoffe ausgeweitet und effizienter gestaltet werden, an‐ dererseits soll der Zugang zu Rohstoffen, bei denen China eine hohe Im‐ portabhängigkeit aufweist, durch Auslandsinvestitionen verbessert werden (DERA 2020: 48; siehe Rodríguez und Heuser in diesem Band). Im Zuge dessen stieg das Engagement Chinas in den Entwicklungs- und Schwellen‐ ländern und die lateinamerikanischen Länder gerieten verstärkt ins Visier chinesischer Interessen. In den vergangenen Jahren hat die Volksrepublik in verschiedenen la‐ teinamerikanischen Ländern als Investor und Kreditgeber an politischer und ökonomischer Bedeutung gewonnen. Hierdurch sind aber auch neue Abhängigkeiten entstanden. China wurde damit nicht nur Entwicklungs‐ promotor, sondern auch Gläubiger und erkaufte sich über günstige Kre‐ ditbedingungen den privilegierten Zugang zum begehrten lateinamerikani‐ schen Rohstoffmarkt (Chicaiza 2014: 47-64). So stieg die Volksrepublik zum weltweiten Magnet für Kupfer auf. Die chinesische Wirtschaft ist heute für etwa die Hälfte der weltweiten Nachfrage verantwortlich (Cepal 2023: 29; IEA 2024). Chinas Hunger auf Kupfer ist auf die führende Rolle der Volksrepublik in der Elektromobilität, sowie der Kommunikations- und Überwachungstechnologie zurückzuführen (siehe Beitrag von Rodríguez und Heuser in diesem Band). In den vergangenen Jahren schloss die ecuadorianische Regierung zu‐ nehmend Förderverträge über Bergbauprojekte mit chinesischen Firmen ab. Von den strategischen Großprojekten im offenen Tagebau im Land hielten chinesische Konsortien drei der fünf Lizenzen – darunter waren zwei Kupferminen im Südosten des Landes: Mirador mit einem geschätz‐ ten Vorkommen von 2,96 Millionen Tonnen und Panantza-San Carlos mit ca. 6,6 Millionen Tonnen (BCE 2022). Allein für die beiden Großprojekte investierte China rund 4,5 Mrd. US-Dollar, wodurch Ecuador – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – das lateinamerikanische Land mit den höchs‐ ten chinesischen Auslandsinvestitionen wurde (ARCOM/Ministerio de Mi‐ nería 2016; Matthes 2019: 224, Tab. 4.19). 2010 kamen knapp ein Drittel der ausländischen Direktinvestitionen aus China. Die Gelder flossen überwie‐ gend in die sogenannten strategischen Sektoren wie Mineralien und Ener‐ gien (Chicaiza 2014: 49, 63). Im Zuge dessen stieg die Volksrepublik China Kupfer für die Energiewende und die Rechte der Natur in Ecuador 185 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb zwischenzeitlich zum wichtigsten Kreditgeber Ecuadors auf (El Comercio 2016), was neben dem Zuschlag für lukrative Infrastrukturprojekte wiede‐ rum mit dem privilegierten Zugang zum ecuadorianischen Rohstoffmarkt einherging (Ospina 2013: 152). 3 Ecuador zwischen Transformation und Stagnation Die Zunahme der chinesischen Interessen an Ecuador fiel in eine Zeit des politischen Umbruchs. Ende 2006 gewann mit Rafael Correa ein pro‐ minenter Vertreter des sogenannten Sozialismus des 21. Jahrhunderts die Präsidentschaftswahlen und versprach Ecuador einen tiefgreifenden Trans‐ formationsprozess. Im Zuge dessen wollte der Präsident die Abhängigkeit des Landes von den Rohstoffen beenden, die Wirtschaft diversifizieren und Ecuador von einer Primärgüterökonomie in eine Dienstleistungsgesell‐ schaft umbauen. Die nötigen Finanzmittel wollte die Regierung aus der zeitweisen Intensivierung des Abbaus und Exports traditioneller Ressour‐ cen, wie Erdöl, Bananen oder Kakao beziehen. Zukünftig sah man sich als Exporteur von erneuerbaren Energien sowie Bio- und Nanotechnologien. Das Fundament dieses ambitionierten Transformationsprojekts sollte mit einer Neugründung des Staates, über eine Verfassungsgebende Versamm‐ lung gelegt werden. Die ecuadorianische Verfassung von 2008 wurde aufgrund verschiedener rechtlicher Innovationen international mit großer Aufmerksamkeit bedacht (Peck et al. 2024). Sie zeichnet sich unter anderem durch eine umfassende Anerkennung individueller wie kollektiver sozialer, politischer und kultu‐ reller Rechte aus. Mit dem Konzept des buen vivir wurde das Streben nach einem alternativen Entwicklungsparadigma in der neuen Verfassung defi‐ niert. Besonders im Bereich des Umweltschutzes zeichnete sich die Magna Carta, in der die Natur als Subjekt mit Rechten ausgestattet wurde, durch ihren innovativen Charakter aus (Art. 71). Demnach kann jede Person und jede Gemeinschaft die Erfüllung der Rechte der Natur gegenüber den öffentlichen Amtsträger:innen und Behörden einfordern (siehe Beitrag von Gutmann in diesem Band). Trotz dieser fortschrittlichen Inhalte enthält der Verfassungstext auch einige Ambivalenzen. Wesentliche Entscheidungsbefugnisse, im Hinblick auf die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, verbleiben beim Staat. So beinhaltet der Text die Ausnahmeregelung, dass die Präsidentschaft einen Anspruch von nationalem Interesse auf die Rohstoffvorkommen deklarie‐ Javier Lastra-Bravo und Sebastian Matthes 186 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb ren kann. In diesem Fall legt die Verfassung zwar die Durchführung einer Volksbefragung fest (Art. 407), allerdings sieht der Verfassungstext auch vor, dass die Ergebnisse keine rechtskräftige Verbindlichkeit für den Staat darstellen. Hierin spiegelt sich das inhärente Spannungsverhältnis zwischen Verfassung und Entwicklungsmodell wider. Auf der einen Seite steht die Wahrung der progressiven Verfassungsprinzipien (wie die Rechte der Na‐ tur und die Rechte indigener Gemeinschaften) und auf der anderen ein Entwicklungsmodell, das wesentlich auf der Ausbeutung eben jener Natur und Territorien basiert. Aus diesem Grund stellt die Implementierung der progressiven Verfassungsartikel anhaltend eine Herausforderung dar. Mitt‐ lerweile werden die Rechte der Natur, überwiegend im Zusammenhang mit Bergbauprojekten, von natürlichen Personen und Körperschaften gericht‐ lich eingeklagt und hierdurch Präzedenzfälle hinsichtlich der Auslegung der Verfassungsprinzipien geschaffen (vgl. Gutmann in diesem Band). 3.1 Der ecuadorianische Neo-Extraktivismus Im regionalen Vergleich weist die ecuadorianische Wirtschaft, neben den Ökonomien Boliviens und Venezuelas, eine der stärksten Abhängigkeiten von natürlichen Ressourcen auf. Die Warenexporte setzen sich zu 90 Pro‐ zent aus Primärgütern zusammen (Worldbank Data Group 2024). Wäh‐ rend des Rohstoffbooms (2002/03-2013/14) lag der Anteil des Sektors an der ecuadorianischen Wirtschaftsleistung regelmäßig bei über 20 Prozent (Matthes 2019: 202). Die Staatseinnahmen basieren in der Regel zu einem Drittel allein aus den Erdöleinnahmen (Alarcón 2021: 141). In den Boom‐ jahren (s.o.) bescherte das Rohstoffgeschäft dem Staat wachsende Einnah‐ men und erhöhte maßgeblich den finanziellen Spielraum für entwicklungs- und sozialpolitische Aktivitäten. Diese Form der rohstoffexportbasierten Entwicklung mit sozialem Antlitz, bekannt als Neo-Extraktivismus (Gudy‐ nas 2009; dazu kritisch Warnecke-Berger et al. 2023), bildete das Rückgrat der ecuadorianischen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Der Einbruch der Rohstoffpreise 2014/15 leitete das Scheitern des Neo- Extraktivismus ein (Burchardt/Dietz 2014; Warnecke-Berger et al. 2023). Der Preisabfall hinterließ in Ecuador eine tiefe Wirtschaftskrise und eine leere Staatskasse. Um das Haushaltsloch zu stopfen, nahm die Regierung Kredite bei ausländischen Geldgebern, vorzugsweise der Volksrepublik China, die damit zwischenzeitlich zum größten Gläubiger des Landes aufstieg, auf. Die Kreditvergabe wurde wiederum mit dem Zugriffsrecht Kupfer für die Energiewende und die Rechte der Natur in Ecuador 187 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb auf die Rohstoffe erkauft. Zwischen 2013 und 2017 verdoppelte sich die öffentliche Verschuldung. 2017 belief sich die Staatsverschuldung auf 43 Mrd. US-Dollar (Cepalstat 2024). 2019 und 2024 schloss Ecuador weitere Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ab. Damit rückte Ecuador auf Platz fünf der Länder vor, die weltweit am höchsten beim IWF verschuldet sind (Vásconez 2024). Entgegen den fortschrittlichen Verfassungsprinzipien und die politischen Absichtserklärungen gründet das Entwicklungsmodell nach wie vor we‐ sentlich auf dem Export natürlicher Ressourcen. Die ecuadorianische Roh‐ stoffwirtschaft setzt sich heute aus mehreren Säulen zusammen. Neben dem wichtigsten Primärgut Rohöl sind die Plantagenwirtschaft, die Hoch‐ seefischerei (insbesondere der Krustentierfang), der Waldeinschlag und seit einigen Jahren auch der Megabergbau maßgebend. Die zehn wichtigsten Exportgüter waren 2022 ausschließlich Primärgüter (UN Comtrade 2024).3 Hierbei stiegen die Ausfuhren zuletzt sowohl wert- als auch mengenmä‐ ßig an. Besonders ersichtlich war diese Entwicklung im Bereich der Berg‐ bauprodukte (Abb. 1 und 2). Ein Ausstieg aus dem (Neo-)Extraktivismus war nicht erkennbar. Im Gegenteil, die Rohstoffwirtschaft wurde über die vergangenen zwei Dekaden trotz anderer politischer Zielsetzungen weiter intensiviert. Die Ölförderung drang in bislang nicht erschlossenes Terrain vor, der Palmölanbau expandierte und der Einstieg in den Megabergbau wurde vollzogen. Damit wurde und wird die Ökonomie darauf vorbereitet, dass Bergbau und Plantagenwirtschaft die in wenigen Jahren erschöpften Öleinnahmen ersetzen können. 3.2 Kupferabbau in Ecuador Verglichen mit anderen Ländern der Region, wie etwa Bolivien, Chile oder Peru, ist Ecuador in dem Sinne keine traditionelle Bergbaunation. Bis vor wenigen Jahren war der Abbau von Metallen und Mineralien auf Projekte mittlerer Größe sowie subsistenz-handwerklichen und informellen Bergbau begrenzt. Im großen Stil wurden lediglich nicht-metallische Mineralien 3 Den Angaben in den Handelsberichten von UN-Comtrade zur Ermittlung des inter‐ nationalen Warenverkehrs (bspw. Import und Exportdaten) liegen sogenannte Klassi‐ fizierungsschemata zugrunde. Geläufig verwendet wird das Harmonized System (HS Code) zur Bezeichnung und Kodierung von Waren. Mit dem HS Code wird der Außenhandel von Staaten international vergleichbar und eine einheitliche Einordnung des Warenverkehrs möglichen. Javier Lastra-Bravo und Sebastian Matthes 188 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb abgebaut, jedoch blieb die wirtschaftliche Bedeutung des Sektors lange Zeit marginal. Der Bergbau machte 2011 noch lediglich 0,3 Prozent der Wirtschaftsleistung aus (Matthes 2012: 79). Die Ausfuhr von Metallen und Mineralien betrug 2010 gerade 0,63 Prozent der Gesamtexporte (Matthes 2012: 16). Aufgrund der Vorkommen birgt der Sektor jedoch erhebliches wirtschaftliches Potential in sich. So verfügt das Land über vielversprechen‐ de Ressourcen metallischer Mineralien, wie Gold, Silber und Kupfer (AR‐ COM 2016). Der Gesamtwert der metallischen Mineralien lag Schätzungen zufolge bei 270 Mrd. US-Dollar (Acosta/Sacher 2012: 2). Entsprechend wecken diese Rohstoffvorkommen regelmäßig Begehrlichkeiten. Die Amtszeit von Rafael Correa und dem Wahlbündnis Alianza País (2007-2017) bedeutete einen Wendepunkt. Im Zuge der Entwicklungspläne der Regierung wurde das Interesse an einem Ausbau des Bergbausektors seit 2009 reaktiviert und massiv gefördert. Hierin spielte der Bergbau eine strategisch wichtige Rolle für die Ökonomie als wichtige Devisenquelle für die schwindenden fossilen Brennstoffvorkommen. So wurden die Weichen für den Einstieg in den großangelegten Bergbau gestellt. Nach Schätzungen von Acosta/Sacher (2012) waren bis 2011 etwa 2.000 Bergbau-Konzessionen auf 1,21 Mio. Hektar vergeben, was etwa 4,5 Prozent der Landesfläche ent‐ sprach (ebd.: 42). Bei den Investoren handelte es sich überwiegend um transnationale Konsortien mit Firmensitz in Nordamerika, Europa sowie zunehmend China (ebd.: 49). Zudem baute der Staat mit der Gründung der staatlichen Minengesellschaft Empresa Nacional de Minería (ENAMI EP) im Jahr 2010 seine aktive Beteiligung im Bergbausektor aus. Aufgrund der geringen Erfahrung des Unternehmens spielte die staatliche Bergbauge‐ sellschaft als Produzent eine untergeordnete Rolle. Hierzu schloss ENAMI EP Partnerschaften mit erfahrenen ausländischen Firmen wie dem chileni‐ schen Unternehmen CODELCO (OCMAL 2008: 56). Bis 2015 wurden landesweit 18 Großprojekte aufgesetzt (ARCOM 2015). Der ecuadorianische Staat deklarierte darunter fünf strategische Projekte von nationalem Interesse. Hierbei handelte es sich um die sogenannte megaminería, denen die Regierung aufgrund der vermuteten Vorkommen und zu erwartenden Einnahmen eine besondere Aufmerksamkeit und Un‐ terstützung zusicherte (ebd.: 17). Zusätzlich waren weitere 13 Projekte in Planung, die mittelfristig zu Großprojekten ausgebaut werden sollten. Die Aktivitäten konzentrierten sich vor allem auf das Andenhochland, beson‐ ders das nördliche und südliche Hochland, und die südlichen Amazonas‐ provinzen. In der Provinz Azuay, in den südlichen Anden, wurden Konzes‐ sionen für eine Fläche von 193.569 Hektar (25 Prozent der Gesamtfläche) Kupfer für die Energiewende und die Rechte der Natur in Ecuador 189 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb und in der südöstlichen Provinz Zamora-Chinchipe 282.998 Hektar (26,8 Prozent der Gesamtfläche) vergeben (Acosta/Sacher 2012: 42f ). Aufgrund dieser Dynamik lag Ecuador bereits 2022 unter den zwanzig Ländern mit der höchsten Kupferproduktion weltweit (ICSG 2023: 18). Dieser Trend wird eindrucksvoll durch die Entwicklung der Exportdaten unterstrichen. Seit 2019 stiegen die Warenausfuhren für Kupfer, Gold, Edelmetallerze und -konzentrate von 324 Mio. USD auf 2,9 Mrd. USD im Jahr 2022. Die höchste Steigerung verzeichnete dabei der Kupferexport mit einem Plus von 1,26 Mrd. USD (Abb. 1). Dass es sich hierbei um keine reine Preissteigerung handelte belegen die Daten zum Exportvolumen: von 2019 bis 2022 stieg die ausgeführte Kupfermenge von 22.608 Tonnen um den Faktor 26,8 auf 606.606 Tonnen an (Abb. 2). Ziel des ausgeführten ecua‐ dorianischen Kupfers war zu 94,1 Prozent die Volksrepublik China (OEC 2024). Innerhalb von nur drei Jahren wurde aus Ecuador ein global player in der Kupferproduktion mit weitreichenden Folgen für die betroffenen Territorien.4 4 Der Bergbau im mittleren und kleinen Maßstab ist damit keinesfalls verschwunden. Die makroökonomische Bedeutung wird durch den Megabergbau verschleiert. Insbe‐ sondere der illegale Bergbau, der staatlich nur schwer zu regulieren ist, stellt in vielen ländlichen Gebieten eine wichtige Einkommensquelle dar. Entsprechend stehen die Aktivitäten zunehmend unter Kontrolle der im Land agierenden Drogenbanden. Javier Lastra-Bravo und Sebastian Matthes 190 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Exporte von Metallen und Mineralien (in US-Dollar) Eigene Darstellung auf Grundlagen der Daten von UN Comtrade (2024). Export von Metallen und Mineralien (in Kilogramm) Eigene Darstellung auf Grundlagen der Daten von UN Comtrade (2024). Abb. 1: Abb. 2: Kupfer für die Energiewende und die Rechte der Natur in Ecuador 191 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb 4 Bergbaukonflikt in der Region Intag Die Region Intag, im Wesentlichen gebildet durch die Täler Intag-Mandu‐ riacos, umfasst sieben Kreisgemeinden, welche administrativ dem Kanton Cotacachi in der Provinz Imbabura zugeordnet sind. Das Gebiet liegt auf einer Höhe von 500 bis 2.500 Meter über dem Meeresspiegel und hat eine Fläche von knapp 150.000 Hektar, die zum überwiegenden Teil aus Ne‐ belwäldern, tropischen Regenwäldern sowie landwirtschaftlichen Flächen besteht und nur einen geringen Urbanisierungsgrad aufweist (Batker et al. 2011: 11; Knee/Encalada 2013). Die Landwirtschaft stellte den wichtigsten Wirtschaftszweig dar. Etwa 70 Prozent der Bevölkerung waren als klein- bis mittelständische Produ‐ zent:innen im Agrarsektor tätig (INEC 2010) und etwa 90 Prozent der Bäuer:innen betrieben Subsistenzwirtschaft (López Oropeza 2011). In der Region Intag war der Anteil der in Armut lebenden Bevölkerung besonders gravierend. Während in der Kantonhauptstadt Cotacachi 56,8 Prozent der Bevölkerung betroffen waren, liegt der Anteil in den Kreisgemeinden der Region Intag bei 88,1 Prozent (INEC 2010). Die nur wenige Kilometer nördlich des Äquators liegende Region be‐ findet sich zudem zwischen zwei von weltweit 34 lokalisierten Biodiversi‐ täts-Hotspots, zum einen den tropischen Anden und zum anderen den Tumbes-Chocó-Magdalena. Diese Übergangszone zwischen Andenhoch‐ land und Pazifikküste weist in den Nebel- und tropischen Regenwäldern eine einzigartige Vielfalt an Pflanzen und Tieren auf. In dem Ökosystem finden sich weltweit einzigartige Spezies, von denen zahlreiche als bedroht gelten. Besonders die Nebelwälder bilden ein fragiles Ökosystem, dessen Vegetation als anfällig für klimatische Veränderungen gilt (Batker et al. 2011: 48). Im Zentrum des Intag-Tals liegt der Schutzwald Los Cedros. Das Waldgebiet umfasst 4.800 Hektar, wovon 4.094 Hektar aus Primärwald bestehen. Das Reservat wurde auf Bestreben der NGO Centro de Investiga‐ ción de Bosques Tropicales im Jahr 1988 gegründet und im Jahr 1994 von der ecuadorianischen Regierung zum Schutzwald erklärt (INEFAN 1994). Da es sich um ein Ökosystem von großer Bedeutung handelt, richtete die NGO eine Forschungsstation in Los Cedros ein. Dies war in seiner biologischen Vielfalt und der Bedeutung des Waldes als Wasserreservoir begründet (MOTH 2024: 9). Neben Süßwasserreserven, Wäldern und einer hohen Artenvielfalt wer‐ den in Intag immense Erz- und Edelmetallvorkommen vermutet. In erster Linie handelt es sich dabei um hohe Kupferkonzentrationen, die weitere Javier Lastra-Bravo und Sebastian Matthes 192 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb wirtschaftlich wertvolle Elemente, wie Gold, Silber und Molybdän enthal‐ ten. Schätzungen zufolge könnte es sich um eine der reichsten bisher nicht geförderten Kupfervorkommen der Welt handeln. Demnach liegen dort bis zu 2,26 Mio. Tonnen konzentriertes Kupfergestein unter der Erde (Japan International Cooperation Agency 1996; 1998). Entsprechend hoch sind die Begehrlichkeiten. Es wurden Bergbaukonzessionen für 85 Prozent der Wälder, Flüsse und Gemeinden vergeben (Geo o.D.); die Konzessionen gingen an die australische BHP Group (2) und Sunstone Metals (1), an die ecuadorianisch-chilenische Mix-Gesellschaft ENAMI/CODELCO (1), so‐ wie an eine weitere Kooperation mit der nordamerikanischen Cornerstone Metals (2). Vor allem zwei Bergbauprojekte haben international Aufsehen erregt: Das Projekt Junin/Llurimagua von ENAMI/CODELCO im Osten der Region und das Projekt Rio Magdalena ENAMI/CORNERSTONE, welches in zentraler Lage in und um den Schutzwald Los Cedros lokalisiert wurde. 4.1 Hintergrund des Konflikts Die Anfänge der Konflikte in Intag gehen bis zum Beginn der 1990er Jahre zurück. Damals schlossen die Regierungen von Ecuador und Japan eine Vereinbarung über die Erkundung von Metall- und Mineralienvor‐ kommen im Intag-Tal (Codelco out of Intag 2013). Daraufhin führte das japanische Unternehmen Bishi Metals explorative Studien durch und stieß auf das Depot. Das Gerücht der Entstehung einer Kupfermine sorgte in den Gemeinden für Skepsis. Auslöser hierfür waren die Ergebnisse einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Demnach wären die Folgen unter anderem eine enorme Entwaldung, Bodenerosion und eine damit einhergehende Veränderung des regionalen Klimas, eine Verschmutzung der Gewässer mit Schwermetallen, sowie die Umsiedlung von vier Gemeinden (Japan International Cooperation Agency 1996). Die ökologischen Auswirkungen sollten außerdem das angrenzende Naturschutzgebiet Cotacachi Cayapas sowie den Primärwald beeinträchtigen (ebd. 1996). Nachdem die Ergeb‐ nisse der Studie an die Öffentlichkeit gelangten, organisierten sich Anwoh‐ ner:innen und begannen mit Protestaktionen gegen die Bergbaupläne. In diesem Kontext entstand 1995 die lokale Vereinigung zur Verteidigung und ökologischen Konservation der Zone, Asociación para la Defensa y la Con‐ servación Ecológica de Intag (DECOIN). Kupfer für die Energiewende und die Rechte der Natur in Ecuador 193 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Nach einer Reihe von Protestaktionen zog sich Bishi Metals 1997 aus dem Tal zurück. Daraufhin gingen die Lizenzrechte an die Regierung zurück und blieben einige Jahre unangetastet, bis sie im Jahr 2005 an das kanadische Unternehmen Ascendant Copper weitergegeben wurden. Das Unternehmen entsandte Vertreter:innen in die Region, um die Vorbe‐ reitungen für eine Kupferförderung wieder aufzunehmen. Hierbei stießen sie auf starken Widerstand in den Kreisgemeinden, der sich mittlerweile konsolidiert und Unterstützung von internationalen Entwicklungsorganisa‐ tionen erhalten hatte (El Comercio 04.05.2014). Ende 2006 heuerte das Unternehmen bewaffnete Sicherheitsleute an, um das Firmengelände zu sichern. Im Dezember kam es zu einem gewaltsamen Zusammenstoß, bei dem die Aktivist:innen von den angeheuerten Sicherheitskräften attackiert wurden. Nachdem die Vorkommnisse publik wurden, forderte die ecuado‐ rianische Regierung das Unternehmen auf, alle Aktivitäten einzustellen. Die Förderlizenzen gingen abermalig an den Staat zurück und lagen erneut auf Eis. Im Zuge der Bergbaupolitik der Regierung Correa (ab 2007) und der Reform des Bergbaugesetzes (2009/2011) wurden landesweit zahlreiche neue Konzessionen vergeben und Projekte angeschoben. So auch im Fall von Intag, wo das Projekt Junín neu aufgelegt wurde und zudem weitere Konzessionen vergeben wurden. Im November 2011 wurde eine Vereinba‐ rung zwischen ENAMI-EP und der chilenischen Bergbaufirma CODELCO unterzeichnet. Als Zeichen des Neuanfangs wurde das Projekt Junín in „Ll‐ urimagua“, nach einem Fluss in dem Intag-Tal, umbenannt (El Comercio 04.05.2014). Im März 2017 vergab das Bergbauministerium zudem zwei Konzessionen an die staatliche Bergbaugesellschaft ENAMI EP in Partner‐ schaft mit der kanadischen Firma Cornerstone. Die konzessionierten Flä‐ chen von 3.568 Hektar liefen unter den Projektnamen Rio Magdalena 1 und 2 und umfassten 68 Prozent des Schutzwaldes Los Cedros (Rey et al. 2018: 5). Die Bergbaupläne in Intag sind der Grund für einen anhaltenden Kon‐ flikt, der die lokale Bevölkerung spaltet. Die Verlockung potenzieller Ein‐ nahmen macht den Bergbau besonders in jenen ländlichen Gebieten, die durch Armut und informelle Arbeitsverhältnisse geprägt sind, attraktiv. Die Spaltung der lokalen Bevölkerung in der Bergbaufrage hängt daher wesent‐ lich mit den potenziellen Einkommens- und Beschäftigungseffekten infolge des Kupferabbaus zusammen. Befürworter:innen hoffen auf ökonomische Verbesserungen, darunter Einnahmen für die Gemeinden und einen Aus‐ bau der Grundversorgung in Bereichen wie Gesundheit und Infrastruk‐ tur. Hingegen befürchten Gegner:innen schwerwiegende Umweltschäden, Javier Lastra-Bravo und Sebastian Matthes 194 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb die eine Gefahr für die wirtschaftlichen Alternativen sowie die Subsistenz‐ grundlage darstellen. In der langjährigen Geschichte der Bergbauprojekte in Intag wurden bislang wenige hundert Jobs geschaffen. Das Fehlen von höheren Bildungseinrichtungen und die unterdurchschnittliche Quote der Schuljahre in der Region sprechen dafür, dass die Jobs mit höheren Qualifi‐ zierungsgrad außerhalb der Region oder gar des Landes rekrutiert werden müssten. Zudem wies die Region anhaltend starke Mängel bei der Basisver‐ sorgung (Wasser, Gesundheit) auf. Die Lage spiegelt in der Gesamtheit ein strukturelles Versagen des Staates wider, der seinen Pflichten in der Region über Jahrzehnte nur ungenügend nachkam (Matthes 2019: 248-258). 4.2 Juristische Schritte zum Schutz der Rechte der Natur Während die Aktivist:innen bisher vor allem darauf abzielten, den Berg‐ bau durch verschiedene Formen der Mobilisierung und eine breite inter‐ nationale Öffentlichkeit zu verhindern, war ab 2017 ein Strategiewechsel zu beobachten, indem sie dazu übergingen, juristische Schritte gegen die Bergbauaktivitäten in Intag einzuleiten. Als Reaktion auf die Konzessions‐ vergabe reichte die Stadtverwaltung von Cotacachi im November 2018 eine Schutzklage bei der Multikompetenz-Kammer von Cotacachi ein und argumentierte, dass die Bergbauaktivitäten die verfassungsmäßigen Rechte der Natur, das Recht auf eine gesunde Umwelt und das Recht auf Wasser verletzen (MOTH 2024:11). Ebenfalls wurde das Fehlen einer vorherigen Konsultation der lokalen Gemeinschaften beklagt. Das Kantonsgericht wies die Klage zunächst ab, woraufhin die Stadtverwaltung gegen diese Ent‐ scheidung Berufung beim Provinzgericht von Imbabura einlegte. Das Pro‐ vinzgericht erkannte die Verletzung des Rechts der lokalen Gemeinschaften auf Konsultation an, äußerte sich jedoch nicht zur Frage der Rechte der Na‐ tur (República del Ecuador 2019: 20). Damit blieb die langfristige Zukunft von Los Cedros ungewiss. Infolgedessen entschied die Stadtverwaltung von Cotacachi, den Fall vor das höchste Gericht des Landes, das ecuadoriani‐ sche Verfassungsgericht, zu bringen, um eine endgültige Entscheidung zu ersuchen, die den Schutz des Waldes vor jeglichen zukünftigen extraktiven Aktivitäten sicherstellen könnte (MOTH 2024:11). In seinem historischen Urteil vom 10. November 2021 kam das Gericht zu dem Schluss, dass die Bergbauaktivitäten in Los Cedros zu einer erheblichen Umweltdegradation führen würden, wodurch das Recht auf eine gesunde Umwelt, das Recht auf Wasser und, entscheidend, die Rechte der Natur verletzt würden (Corte Kupfer für die Energiewende und die Rechte der Natur in Ecuador 195 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Constitucional del Ecuador 2021). Das Gericht stellte zudem fest, dass der Bergbau die Rechte der im Wald lebenden Arten verletzte, indem er ihre Existenz und ihre Fähigkeit, sich durch gesunde Lebenszyklen zu regene‐ rieren, gefährde. Auf Grundlage dieser Schlussfolgerungen annullierte das Gericht alle zuvor erteilten Umwelt- und Bergbaulizenzen für das Gebiet und verbot jegliche zukünftigen extraktiven Aktivitäten im Wald. 5 Fazit Das Urteil zu Los Cedros stellte einen Meilenstein in der globalen Recht‐ sprechung zu den Rechten der Natur dar. Der Fall veranschaulicht, wie verfassungsrechtliche Prinzipien genutzt werden können, um gefährdete Ökosysteme vor den Bedrohungen durch extraktive Aktivitäten zu schüt‐ zen. Der Präzedenzfall hat den Umweltschutz in Ecuador gestärkt, da im Zuge des Verfahrens die Rechte der Natur genauer definiert wurden. Der Urteilsspruch bildete für die sozioökologischen Bewegungen im Land eine strategisch-rechtliche Grundlage für ähnliche Schritte. Im Fall des Projekts Llurimagua reichten Aktivist:innen 2021 ebenfalls erfolgreich Klage ein (Malcolm Rogge/CCSI 2023). Seitdem wurden verschiedene Urteile gefällt, die sich auf den Rechtsstreit Los Cedros beriefen.5 Für das ecuadorianische Entwicklungsmodell könnte der Präzedenzfall also weitreichende Folgen haben. Landesweit wurden Bergbaukonzessionen in 377.706 Hektar Schutz‐ wald vergeben. Über 500 Bergbauprojekte sind demnach juristisch anfecht‐ bar (Torres 2021). Auf das hochverschuldete Land könnte also eine Reihe von Entschädigungsklagen von Seiten der Unternehmen zukommen. Momentan sieht es so aus, als ob der Konflikt im Intag-Tal zugunsten der Natur ausfällt. Der globale Kupferbedarf wird dadurch aber nicht sinken. Insofern wird das Mineral auch in Zukunft Begehrlichkeiten wecken. In der Konsequenz sind hierdurch zunehmende Spannungen zwischen dem Verfassungsrecht und dem Entwicklungsmodell zu erwarten. Gleichzeitig erlebt Ecuador derzeit eine der schwersten Krisen seiner Geschichte. Neben den wirtschaftlichen Problemen avancierte das Land in den vergangenen Jahren zum Drehkreuz des südamerikanischen Drogenhandels und erleb‐ te eine bis dahin beispiellose Welle der Gewalt. Der im November 2023 vereidigte Präsident Daniel Noboa – Sohn des Oligarchen der Bananen‐ 5 Eine Übersicht der Klagen im Namen der Natur findet sich unter: https://www.derech osdelanaturaleza.org.ec/casos-ecuador/, letzter Aufruf 05.09.2024. Javier Lastra-Bravo und Sebastian Matthes 196 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://www.derechosdelanaturaleza.org.ec/casos-ecuador/ https://www.derechosdelanaturaleza.org.ec/casos-ecuador/ https://www.derechosdelanaturaleza.org.ec/casos-ecuador/ https://www.derechosdelanaturaleza.org.ec/casos-ecuador/ https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb exportwirtschaft und reichsten Mannes des Landes, Álvaro Noboa – hat den Kartellen den Kampf erklärt (Secretaría General de Comunicación de la Presidencia 2024). Die Strategie ging bisher auch zu Lasten der Rechtsstaatlichkeit. Vor diesem Hintergrund droht das Land schrittweise in den Autoritarismus zu gleiten. Diese Konstellation könnte bedeuten, dass in Zukunft eher die Verfassung untergraben wird, als eine ernstgemeinte Lösung des Extraktivismus durchzusetzen. 6 Literatur Acosta Espinosa, Alberto; Sacher, William (2012): La minería a gran escala en Ecuador: Análisis y datos estadísticos sobre la minería industrial en el Ecuador, Quito: Abya Yala. Alarcón, Pedro (2021): The Ecuadorian Oil Era: Nature, Rent, and the State, Baden- Baden: Nomos. ARCOM (2015): Producción Minera Reportada Año 2014. ARCOM (2016): Agencia de Regulación y Control Minero: Entidad estatal que vigila, audita, interviene, controla, fiscaliza y sanciona en todas las fases de la actividad minera, Quito: ARCOM. ARCOM-Ministerio de Mineria (2016): Plan Nacional de Desarrollo del Sector Minero, Quito: ARCOM. Batker, David; Harrison-Cox, Jennifer; Kocian, Maya (2011): An Ecological Study of Ecuador's Intag Region: The Environmental Impacts and Potential Rewards of Min‐ ing, Tacoma: Earth Economics. 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Die Natur als Rechtssubjekt in der ecuadorianischen Verfassung Andreas Gutmann 1 Einleitung Die Energiewende führt zu Umweltkonflikten: Das machen verschiedene Beiträge dieses Bandes deutlich. Diese Konflikte werden auch rechtlich bearbeitet und fordern in ihrer Komplexität das Recht heraus. In ihnen manifestieren und reproduzieren sich auch koloniale Kontinuitäten; sie sind also von Kolonialität geprägt. Der Begriff bezeichnet nach Aníbal Quijano den Fortbestand kolonialer Machtstrukturen in Wirtschaft, Poli‐ tik, Recht und der globalen Wissensproduktion (Quijano Obregón 1992). Den Fortbestand solcher Machstrukturen zeigen etwa Projekte für grünen Wasserstoff (hierzu Dorn in diesem Band), aber auch der Zugriff auf Bodenschätze für die Energiewende, etwa Kupfer oder Lithium (hierzu Heuser, Schlosser und Laster-Bravo/Matthes in diesem Band), auf. Nicht selten geschehen diese auf indigenen Territorien und gegen den Willen deren Bewohner:innen (ebd.). Dass hier Akteur:innen aus dem globalen Norden auf Rohstoffe und Landflächen im Süden zugreifen, weckt häufig die Assoziation eines grünen Kolonialismus (Claar 2021). Meistens sind diese Auseinandersetzungen nicht einfach beilegbar, es handelt sich um Zielkonflikte. So wird die Energiewende nicht ohne – teilweise naturzer‐ störenden – Zugriff auf natürliche Ressourcen bewerkstelligt werden. Die Energiewende führt zu vielfältigen Druck auf die Natur. Selbst wenn die Abkehr von fossilen Energiequellen vollzogen wird, führt das nicht zum Ende von Auseinandersetzungen um schwerwiegende Eingriffe in natürli‐ che Ökosysteme (Tittor 2023). Dies zeigt sich an vielen Orten der Welt, nicht zuletzt in den Konflikten um Kupferbergbau in Ecuador, oder um den Lithiumabbau in Chile. 201 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb 2 Die Rechte der Natur Dieses Kapitel behandelt mit den Rechten der Natur eine rechtliche Inno‐ vation, die – jedenfalls nach einer Lesart – versucht, diese Komplexitäten des Umgangs mit der Natur, die sich im Kontext der Energiewende in besonderer Weise zeigen, in rechtliche Verfahren zu übersetzen. Solche Rechte finden sich seit 2008 in der ecuadorianischen Verfassung (Gutmann 2021a) und sind mittlerweile auch an anderen Orten der Welt anerkannt (Putzer et al. 2022). So wurden etwa in Kolumbien in verschiedenen Fällen einzelnen Ökosystemen – überwiegend Flüssen (Clark et al. 2018) – eigene Rechte zugesprochen (Gutmann 2021a: 89 ff.; Wesche 2021). Jüngst hat sich ein peruanisches Gericht dieser Entwicklung angeschlossen und Rech‐ te des Río Marañón, einem Quellfluss des Amazonas, anerkannt (Corte Superior de Justicia Loreto, Resolución vom 15.03.2024; Lorber 2024). In Bolivien bestehen Gesetze, welche die gesamte Natur mit Rechten ausstat‐ ten (Tănăsescu 2016: 117 ff.). Auch Ecuador nimmt keine Beschränkung auf einzelne Teile der Natur vor, sondern adressiert diese umfassend. In diesem Falle stellt sich sogleich die schwierige Frage, wie die Grenzen dieser Natur gezogen werden, inwiefern also auch durch Menschen geprägte Landschaf‐ ten hierunter zu fassen sind. Die ecuadorianische Rechtsprechung zieht diesen Kreis weit und sieht auch urbane Ökosysteme als von den Rechten der Natur geschützt an (Ávila Santamaría 2022). Letztlich handelt es sich um eine schwierige Einzelfallfrage, die stets mit Hinblick auf das konkrete Ökosystem zu beantworten ist. Auch außerhalb Lateinamerikas finden sich solche Rechte der Natur, et‐ wa in Aotearoa Neuseeland (MacPherson 2022; Kramm 2023a). Mittlerwei‐ le ist die Debatte auch in Europa angekommen. Mit der Salzwasserlagune Mar Menor in Spanien wurde 2021 das erste europäische Ökosystem zur Rechtsperson erklärt (Martínez Dalmau 2023; Mührel 2023; Vicente Gimé‐ nez/Salazar Ortuño 2024; Putzer/Zenetti 2023). In Deutschland existieren verschieden Vorschläge, sowohl aus der Zivilgesellschaft1 als auch aus der Wissenschaft (Fischer-Lescano 2018: 213; Kersten 2022; Wesche 2023) oder der Rechtsprechung (Gutmann/García Ruales 2024), solche Rechte der Natur in die Rechtsordnung aufzunehmen. Die Natur könnte nach diesen 1 Siehe etwa die Initiative Grundgesetzreform des Netzwerk Rechte der Natur (https:// www.rechte-der-natur.de/de/initiative-grundgesetzreform.html); zu einem Volksbegeh‐ ren für Rechte der Natur in Bayern siehe Ewering und Gutmann 2021. Andreas Gutmann 202 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://www.rechte-der-natur.de/de/initiative-grundgesetzreform.html https://www.rechte-der-natur.de/de/initiative-grundgesetzreform.html https://www.rechte-der-natur.de/de/initiative-grundgesetzreform.html https://www.rechte-der-natur.de/de/initiative-grundgesetzreform.html https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Vorschlägen also ähnlich wie Menschen gewisse Rechte, etwa auf Schutz vor Verschmutzung haben, die gerichtlich durchsetzbar wären. Diese Diskussionen stehen noch relativ am Anfang und sind sehr dy‐ namisch. Aufgrund dieser Dynamik bieten Rechte der Natur sicherlich keine fertigen Lösungsmodelle zu den durch die Energiewende verursach‐ ten Konflikten. In ihnen finden sich jedoch möglicherweise alternative Formen, diese rechtlich zu diskutieren und adressieren. 2.1 Rechte der Natur und Energiewende Im Folgenden wird das Konzept der Rechte der Natur am ecuadorianischen Beispiel vorgestellt und ausgeleuchtet, wie es sich zu den Konflikten um die Energiewende verhält. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Ener‐ giewende in der ecuadorianischen Gerichtspraxis zu Rechten der Natur hauptsächlich mittelbar adressiert wird. Vereinzelt wird hier die Wasser‐ kraft thematisiert. So wenden sich im Fall San Pablo de Amalí am Río Dul‐ cepamba im südlichen Ecuador Anwohner:innen gestützt auf Rechte der Natur gegen ein Wasserkraftwerk, das neben Energie auch Treibhauszertifi‐ kate für europäischen Markt erzeugen soll (Ewering/Vetter 2012: 379 ff.). Überwiegend werden Rechte der Natur jedoch gegen Bergbauprojekte in Stellung gebracht. Hier geht es neben der Gewinnung fossiler Energieträ‐ ger immer häufiger um Kupferbergbau (Sacher/Acosta 2012: 98). So lag etwa dem wohl berühmtesten ecuadorianischen Gerichtsfall zu Rechten der Natur, dem sogenannten Los Cedros-Fall, eine Auseinandersetzung über ein Kupferbergbauprojekt zugrunde (Gutmann 2022). Hier sollte im Los Cedros-Nebelwald, einem der Biodiversitätshotspots der Welt, etwa 100 km nördlich der Hauptstadt Quito gelegen, Kupfer abgebaut werden. Hier‐ gegen wurde im Namen des Nebelwaldes geklagt, letztlich mit Erfolg. Das Verfassungsgericht zeigte im Jahr 2021, dass Rechte der Natur kein bloßer Papiertiger sind und stoppte das Projekt, da schwerwiegende Beeinträchti‐ gungen des Ökosystems jedenfalls nicht ausgeschlossen werden konnten (Verfassungsgericht Ecuador, Urteil vom 10.11.2021)2. Kupfer gehört zu den für die Energiewende wesentlichen Rohstoffen (Dietz 2024: 28; vgl. Heuser und Lastra-Bravo/Matthes in diesem Band). Dementsprechend besteht zwi‐ 2 Eine englischsprachige Übersetzung des Urteils findet sich unter http://celdf.org/wp -content/uploads/2015/08/Los-Cedros-Decision-ENGLISH-Final.pdf. Ausführliche Besprechung des Urteils und seines Hintergrunds bei Gutmann 2022. Lateinamerikanische Alternativen in der Energiewende 203 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb http://celdf.org/wp-content/uploads/2015/08/Los-Cedros-Decision-ENGLISH-Final.pdf http://celdf.org/wp-content/uploads/2015/08/Los-Cedros-Decision-ENGLISH-Final.pdf http://celdf.org/wp-content/uploads/2015/08/Los-Cedros-Decision-ENGLISH-Final.pdf http://celdf.org/wp-content/uploads/2015/08/Los-Cedros-Decision-ENGLISH-Final.pdf https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb schen den Konflikten um den ecuadorianischen Kupferbergbau und dem europäischen Umstieg auf erneuerbare Energien eine direkte Verbindungs‐ linie (Weydt 2023: 10 f.). 2.2 Die ecuadorianische Verfassung von 2008 und der Extraktivismus Ecuador gab sich im Jahr 2008 eine neue Verfassung, die in vielen Berei‐ chen äußerst innovativ ist. Sie hat einen ausdrücklich dekolonialen Charak‐ ter, geht also davon aus, dass der Staat und das Recht in Ecuador durch koloniale Einflüsse geprägt sind und möchte diese überwinden (Gutmann 2021a: 25). So wird Ecuador etwa zum interkulturellen und plurinationalen Staat erklärt und damit anerkannt, dass es indigene Nationen mit Selbst‐ bestimmungsrechten innerhalb des Nationalstaats gibt (Santos 2012). Als Völker und Nationen werden in Ecuador indigene Gruppen sowohl von der Verfassung, als auch ihrer Selbstbeschreibung bezeichnet. Im Rahmen der Ausarbeitung der ecuadorianischen Verfassung spielte der Extraktivismus eine große Rolle (Becker 2011: 57 f.). In der verfassungs‐ gebenden Nationalversammlung, die 2007/2008 zunächst unter dem Vor‐ sitz von Alberto Acosta tagte, fanden sich starke Stimmen, die den Bergbau per se ablehnten. So erließ die Versammlung etwa einen Rechtsakt (Manda‐ to Constituyente Nro 6, Mandato Minero vom 18.3.2008), der das entschä‐ digungslose Erlöschen zahlreicher Bergbaukonzessionen anordnete und ein Moratorium für die Vergabe neuer Konzessionen ausrief (Gutmann/Valle Franco 2019: 62 f.). Die verfassungsgebende Versammlung wollte die Frage des Bergbaus also grundsätzlich regeln und hierin nicht durch bestehen‐ de Bergbaurechte beschränkt sein. Allerdings erließ das Parlament bereits 2009 ein Bergbaugesetz, das den Bergbau wieder in großem Maße zuließ und an dessen Verfassungsmäßigkeit erhebliche Zweifel bestanden (Gut‐ mann/Valle Franco 2019: 66). Trotz dieser bergbau- und entwicklungskritischen Haltung in der verfas‐ sungsgebenden Versammlung finden sich in der ecuadorianischen Verfas‐ sung auch Vorschriften, die die wirtschaftliche Entwicklung und Bergbau fördern und stützen, was häufig als inkonsistent kritisiert wird (Acosta 2019: 159). Allerdings sind Verfassungen häufig kompromisshaft und weisen interne Widersprüche auf (Gutmann 2021a: 18f.). Auch die Aufnahme der Rechte der Natur in die Verfassung wurde stark durch die Diskussionen um den Bergbau beeinflusst. Wird der kom‐ promissartige Charakter der Verfassung ernstgenommen, so ist es kaum Andreas Gutmann 204 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb verwunderlich, dass auch diese Rechte keine einfache Lösung für die Umweltkonflikte bereithalten. So wird häufig darauf verwiesen, dass der Staat auf Einnahmen aus dem Bergbau angewiesen ist, etwa um Sozialpro‐ gramme zu finanzieren. Außerdem besteht auf dem Weltmarkt eine große Nachfrage nach Bergbauprodukten, gerade auch für Energiewendeprojekte. Auch unter den direkt betroffenen Anwohner:innen besteht häufig keine Einigkeit über die Durchführung solcher Projekte. Während einige Perso‐ nen auf verbesserte wirtschaftliche Bedingungen durch zusätzliche Arbeits‐ plätze hoffen, fürchten andere schwerwiegende Umweltschädigungen, die sich auch auf menschliche Subsistenzgrundlagen auswirken können (zu vergleichbaren Diskussionen in Peru und Chile siehe Heuser und Schlosser in diesem Band). 3 Rechte der Natur oder Pacha Mama Eine der innovativsten Neuerungen der ecuadorianischen Verfassung von 2008 ist sicherlich die Einführung von Rechten der Natur. Damit ist Ecua‐ dor das erste und bislang einzige Land der Welt, das solche Rechte auf Verfassungsebene verankert hat. Die zentrale Vorschrift der Rechte der Natur in der ecuadorianischen Verfassung (CRE) ist Art. 71: Die Natur oder Pacha Mama, in der sich das Leben realisiert und repro‐ duziert, hat das Recht, dass ihre Existenz, der Erhalt und die Regenerie‐ rung ihrer Lebenszyklen, Struktur, Funktionen und Entwicklungsprozes‐ se umfassend respektiert werden. Jede Person […] kann von der öffentlichen Gewalt die Einhaltung der Rechte der Natur verlangen. […]3 Wie Menschen durch die Verfassung mit Rechten ausgestattet werden, wird hier nun die Natur als Rechtsträgerin anerkannt. Rechtstechnisch ist ein solches Vorgehen weniger revolutionär, als es auf den ersten Blick scheinen könnte. Nichtmenschliche Rechtsträger:innen sind dem Recht in Form der juristischen Personen (Aktiengesellschaft, GmbH etc.) schon lange bekannt (Kramm 2023b: 70). So werden etwa in Deutschland auch juristische Per‐ sonen durch die Grundrechte des Grundgesetzes geschützt und können sich beispielsweise auf ihre Eigentumsfreiheit berufen. Das Recht kann also 3 Übersetzung aller spanischsprachiger Zitate, soweit nicht anders gekennzeichnet, durch den Autor. Eine englische Übersetzung der ecuadorianischen Verfassung findet sich unter: https://pdba.georgetown.edu/Constitutions/Ecuador/english08.html. Lateinamerikanische Alternativen in der Energiewende 205 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://pdba.georgetown.edu/Constitutions/Ecuador/english08.html https://pdba.georgetown.edu/Constitutions/Ecuador/english08.html https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb relativ frei darüber entscheiden, welche Gebilde außerhalb des Menschen als Rechtsträger:innen anerkannt werden, also über gerichtlich einklagbare Rechte verfügen soll (Fischer-Lescano 2018: 208). Spricht die ecuadorianische Verfassung von Natur, sind damit Ökosyste‐ me gemeint (Greene / Muñoz 2013: 37; Gutmann 2021a: 125). Entscheidend sind die Zusammenhänge und Prozesse, die sich innerhalb dieser Ökosys‐ teme abspielen, worauf die Rechtsprechung häufig Bezug nimmt (Verfas‐ sungsgericht Ecuador, Urteil vom 10.11.2021, Rn. 71 ff.; Verfassungsgericht Ecuador, Urteil vom 19.01.2022, Rn. 121). Gleichzeitig nennt Art. 71 der Verfassung die Pacha Mama als Rechtsträ‐ gerin. Der Begriff wird teilweise als Synonym von Natur bezeichnet (Acosta 2015: 110), was ihm allerdings nicht vollständig gerecht wird. Pacha Ma‐ ma verweist auf verschiedene indigene Vorstellungen von der natürlichen Umwelt. Pacha ist im Sinne eines allumfassenden Kosmos zu verstehen (Estermann 2015: 166). Indigene Vorstellungen auf dem Gebiet Ecuadors betonen häufig die Abhängigkeiten und gegenseitigen Verantwortlichkeiten zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Bestandteilen des Kosmos (Pacari 2014: 131). Diese verschiedenen Sichten auf Natur müssen Gerichte in Einklang bringen, wobei ihnen das Instrument der sogenannten interkulturellen Aus‐ legung zur Verfügung steht (Gutmann 2021c). Diese fordert, dass Gerichte bei der Auslegung des Rechts stets auch indigene Vorstellungen berücksich‐ tigen müssen (Llasag Fernández 2009: 204). Was Natur ist, kann also nicht nur durch den Blickwinkel der Naturwissenschaften erörtert werden; vielmehr müssen auch indigene Wissensformen Berücksichtigung finden. Besonders zu berücksichtigen sind hierbei die Rechts- und Wissensproduk‐ tionen indigener Völker und Nationen, welche die Rechte der Pacha Mama aus indigener Perspektive ausdeuten und mit Leben füllen (García Ruales 2024). In Hinblick auf die Ausdeutung der Begriffe „Natur oder Pacha Mama“ aus Art. 71 der Verfassung bilden sich in der Rechtsprechung langsam gewisse Grundsätze heraus. So wird die Natur als Gesamtheit aller natürli‐ chen Entitäten interpretiert und hierbei auf die Verbindungen und Abhän‐ gigkeiten zwischen den verschiedenen Lebensformen abgestellt (Gutmann 2024: 283). Gleichzeitig wird anerkannt, dass der Naturbegriff keineswegs festste‐ hend ist, sondern in den jeweiligen Fällen einer Konkretisierung bedarf. So setzt sich etwa das Verfassungsgericht im bereits erwähnten Los Cedros- Fall ausführlich mit dem betreffenden Ökosystem auseinander und erörtert Andreas Gutmann 206 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb dessen klimatische Bedingungen, die Flora, Fauna und die Wasserkreisläu‐ fe, die den Nebelwald auszeichnen (Verfassungsgericht Ecuador, Urteil vom 10.11.2021, Rn. 71 ff.). Erst auf dieser Wissensgrundlage ist es möglich, die potentiellen Auswirkungen eines Bergbauprojekts auf das Ökosystem zu beurteilen. 4 Der Inhalt der Rechte der Natur Die ecuadorianische Verfassung spricht der Natur ausdrücklich drei Rechte zu: Das Recht auf umfassende Respektierung ihrer Existenz (Art. 71 Abs. 1 CRE), das Recht auf Aufrechterhaltung und Regeneration ihrer Lebenszy‐ klen, Struktur, Funktionen und Entwicklungsprozesse (Art. 71 Abs. 1 CRE) und das Recht auf umfassende Wiederherstellung (Art. 72 Abs. 1 CRE). Diese Rechte sind eng miteinander verbunden und in den meisten Fällen kaum zu trennen. Umfasst ist davon primär das Recht der Natur, so zu sein, wie sie ist, und sich im Rahmen der natürlichen Entwicklungsprozesse zu verändern und entwickeln. Dem liegt kein statisches Verständnis zugrunde: Die Natur ist nicht so, wie sie heute ist, in alle Ewigkeit zu schützen, ihr soll vielmehr ein Freiraum für Entwicklung gegeben werden (Viciano Pastor 2019: 146; Gutmann 2021a: 209 f.). Geschützt sind primär ökosystemische Prozesse vor der Einflussnahme und der Störung von außen (Pietari 2016: 44). Allerdings soll damit keinesfalls jede menschliche Naturnutzung verboten werden (Acosta 2015: 118) – nur solche Eingriffe, die zu schwerwiegenden und irreversiblen Veränderungen der Natur führen, stellen eine Verletzung der Rechte der Natur dar. Die Grenzziehung kann selbstverständlich in vielen Fällen schwierig sein (Gutmann 2021a: 212). So wollen Rechte der Natur etwa nicht verbieten, dass Menschen Landwirtschaft betreiben. Wel‐ che der Formen der Landwirtschaft hiervon umfasst sind und ob dies etwa auch für industriell bewirtschaftete Monokulturen gilt, ist hingegen keine triviale Frage. Zentral ist die Frage, wie sich Rechte der Natur und menschliche Rech‐ te zueinander verhalten. Häufig besteht die Hoffnung, dass Rechte der Natur die Dichotomie Mensch – Natur aufheben oder abmildern können (Espinosa 2014: 399). Allerdings kann auch gerade das Gegenteil der Fall sein: So verhandelt etwa das Provinzgericht Loja im Vilcabamba-Fall, ob dem Interesse des Vilcabamba-Flusses im südlichen Ecuador an seinem un‐ gestörten Verlauf oder menschlichen Interessen an Infrastrukturprojekten Lateinamerikanische Alternativen in der Energiewende 207 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Vorrang einzuräumen ist (Corte Provincial de Loja, Urteil vom 30.03.2011). In Fällen, die den Bergbau betreffen, scheinen sich menschliche Interessen an wirtschaftlicher Entfaltung und verschiedenste natürliche Interessen (et‐ wa am Arten-, Gewässer-, Klima- oder Landschaftsschutz) entgegenzuste‐ hen. Rechte der Natur können – derart antagonistisch ausgelegt – also die Trennung von Mensch und Natur sogar verstärken (Gutmann 2021b: 141). Eine solche dichotomische Gegenüberstellung von menschlichen Rech‐ ten und Rechten der Natur kommt aber bereits bei der typischen Energie‐ wendekonstellation an ihre Grenzen. Hier werden im Interesse des Klima‐ schutzes Eingriffe in die Natur vorgenommen, etwa, wenn für Wasserkraft‐ werke Flüsse gestaut, für Windräder Wald gerodet oder für erneuerbare Energien Rohstoffe abgebaut werden. Man könnte in diesen Fällen von einem Konflikt der Natur gegen die Natur sprechen (Kloepfer 2016: 31). In der ecuadorianischen Rechtsprechungspraxis werden Rechte der Na‐ tur und menschliche Rechte häufig zusammen verhandelt. So führt das Verfassungsgericht im Fall des Río Aquepi, dem ein Konflikt über Wasser‐ nutzungen zugrundenlag, aus, ein Missbrauch des Flusses würde zugleich zu sozialen und ökologischen Konflikten führen (Verfassungsgericht Ecua‐ dor, Urteil vom 15.12.2021, Rn. 65). Im Los Cedros-Fall erklärt das Gericht, dass auch die menschliche Existenz vom Existenzrecht der Natur geschützt sei (Verfassungsgericht Ecuador, Urteil vom 10.11.2021, Rn. 30). Ein solches Vorgehen scheint auch für die über den Pacha Mama-Begriff in Bezug genommenen indigenen Vorstellungen anschlussfähig. So werden im indi‐ genen Denken Umweltschädigungen häufig als Verletzung der Beziehung zwischen Mensch und Natur wahrgenommen (Li 2015: 74). Ein Verfahren betreffend die Rechte der Natur muss also darauf ausgerichtet sein, diese Beziehungen zu reparieren und nicht, Mensch und Natur konflikthaft ge‐ genüberzustellen. 5 Menschliche Vertretung der Natur Rechte der Natur müssen selbstverständlich von Menschen geltend ge‐ macht werden: Die Natur selbst kann sich schwerlich in der Sprache eines Gerichtsverfahrens ausdrücken. Welche Menschen für die Natur sprechen dürfen, ist dabei eine umstrittene Frage, zu der zahlreiche Vorschläge be‐ stehen. Interessant ist insbesondere das Vorgehen der kolumbianischen Gerichte. Diese Gerichte hatten in mehreren Fälle einzelne Bestandteile der Natur, hauptsächlich Flüsse, zu Träger:innen von Rechten erklärt, obwohl Andreas Gutmann 208 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb solche Rechte der Natur jedenfalls nicht ausdrücklich in der kolumbiani‐ schen Verfassung verankert sind. So hatte das kolumbianische Verfassungs‐ gericht im Jahr 2016 dem Atrato Fluss in der Pazifikregion Rechte zugespro‐ chen um ihn hiermit gegen Verschmutzung durch illegalen Bergbau zu schützen. Häufig benennen die kolumbianischen Gerichte in diesen Fällen pluralistisch besetzte Kommissionen, die kollektiv für bestimmte Ökosyste‐ me sprechen sollen (Verfassungsgericht Kolumbien, Urteil vom 10.11.2016). An anderen Orten der Welt hingegen werden spezialisierte Stellen, die die Natur vertreten, gefordert (Söhnlein 2021: 203 ff.). 5.1 Stellvertretung Einen anderen Weg geht Ecuador und räumt in Art. 71 Abs. 2 der Verfas‐ sung allen Personen das Recht ein, die Rechte der Natur einzufordern. Dies kann sowohl individuell durch einzelne Menschen als auch kollektiv durch Gruppen, etwa indigene Völker und Nationen, erfolgen. Es handelt sich hierbei um eine Form der Stellvertretung (Fischer-Lescano 2018). Figuren der Stellvertretung sind im Recht gängige Praxis. So werden et‐ wa Kinder von ihren Erziehungsberechtigten vertreten oder eine GmbH durch ihre Geschäftsführer:innen. Dies ist notwendig, da eine GmbH sich selbst überhaupt nicht äußern kann und Kinder von gewissen rechtlichen Verfahren intellektuell überfordert sind. Aus diesem Grund sprechen ihre Vertreter:innen für sie in diesen Verfahren. Gleichzeitig sind diese Vertre‐ ter:innen nicht völlig frei, sondern sollen im Interesse der Vertretenen agieren. In diesem Sinne ist es ohne weiteres vorstellbar, dass Menschen auch für die Natur in rechtlichen Verfahren sprechen. Die Natur wird durch die Stellvertretung, also dadurch, dass Menschen für sie sprechen, überhaupt erst als Rechtssubjekt greifbar. Nur wenn Men‐ schen für sie sprechen, kann sie Teil eines rechtlichen Verfahrens werden. Dies führt gleichzeitig dazu, dass nur manche Naturen vor Gericht gehört werden. Hier öffnet sich eine bedeutsame Arena für „Rechtskämpfe“ (Pichl 2021), denn es ist keinesfalls gesichert, dass stets progressive Akteur:innen besonders schützenswerte Naturbestandteile in gerichtlichen Verfahren auf‐ treten lassen (Gutmann 2024: 290). Es besteht also eine gewisse Macht von Menschen, die zugleich die Gefahr des Missbrauchs der Vertretungsmacht (Fischer-Lescano 2018: 212 ff.), also der Instrumentalisierung der Rechte der Natur für eigene Zwecke, in sich trägt. Lateinamerikanische Alternativen in der Energiewende 209 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Eine solche Gefahr besteht gerade in Energiewendekonflikten. Hier ist denkbar, dass sich in einem Konflikt beide Seiten auf Rechte der Natur berufen. Paradigmatisch hierfür sind die in Deutschland regelmäßig auftre‐ tenden Konflikte zwischen Windkraft und Artenschutz. 5.2 Pluralisierung des Sprechens über Natur Möglicherweise können in diesen Konflikten über Rechte der Natur Öff‐ nungen vorgenommen und verschiedene Stimmen wahrnehmbar gemacht werden. Bruno Latour kritisiert, dass westliche Wissenschaftler:innen häu‐ fig ein Monopol darin zukommt, für die Natur zu sprechen und diese zu definieren (Latour 2017: 42). Dies unterdrückt zugleich andere Wissensfor‐ men, etwa solche, auf die der Begriff der Pacha Mama in der ecuadoriani‐ schen Verfassung verweist. Diese Engführung können Rechte der Natur möglicherweise aufbrechen. Sie erfordern eine Abkehr von der Vorstellung, dass es lediglich eine objektive authentische Vertretung der Natur gibt (Gutmann 2021a: 182 ff.). Vielmehr treten immer Menschen auf, die einen bestimmten Hintergrund und eine bestimmte Beziehung zur Natur haben. Mit Alyse Bertenthal gesprochen geht es nicht darum, die eine authentische Stimme einer natürlichen Entität zu finden, sondern die Vielzahl der Stim‐ men anzuhören: „The challenge of representing the tree, may be understood as how best to represent a community; to find not one voice, but rather voices that together suggest the varied interests of an ecosystem“ (Bertenthal 2019: 367). Die Gerichte in Ecuador bemühen sich häufig um eine solche Öffnung, indem sie möglichst viele Menschen anhören, die ihre Sicht auf ein betrof‐ fenes Ökosystem in ein Gerichtsverfahren einbringen. So werden etwa in einem Verfahren über ein Bergbauprojekt neben Vertreter:innen des Bergbauunternehmens auch Anwohner:innen, Naturwissenschaftler:innen, die das betreffende Ökosystem oder einzelne dort lebende Arten erfor‐ schen, Umweltverbände, indigene Organisationen und viele andere ange‐ hört (Gutmann 2021b: 143). Am Ende muss ein Gericht selbstverständlich autoritativ entscheiden. Wird das Sprechen für die Natur aber geöffnet und pluralisiert, besteht die Hoffnung, dass diese Entscheidung auf einer infor‐ mierten Grundlage erfolgt, die verschiedene Wissensformen einschließt. Jedenfalls das Verfassungsgericht bemüht sich regelmäßig um eine breite Wissensbasis und betont die Bedeutung der Einbeziehung auch indigener Andreas Gutmann 210 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Wissensformen. Möglicherweise ist auch bereits dieser Diskurs über das Verständnis von Natur an sich ein transformativer Prozess. 6 Rechtliche Aushandlung der Energiewende In Deutschland scheint die Entwicklung gerade dahin zu gehen, im Inter‐ esse des Klimaschutzes und der Energieversorgung Eingriffe in konkrete Ökosysteme hinzunehmen. So wird etwa in sensiblen marinen Ökosyste‐ men eine Flüssigerdgas-Infrastruktur aufgebaut, die möglicherweise in Zu‐ kunft auch sogenannten grünen Wasserstoff aufnehmen kann. Partizipation und Rechtsschutzmöglichkeiten etwa von Umweltverbänden werden hier eher als hinderlich wahrgenommen (Wulff 2023). Rechte der Natur scheinen gerade für eine gegensätzliche Stoßrichtung zu sorgen, auch wenn die Rechtspraxis ambivalent ist. Die neuen Rech‐ te haben in Ecuador nicht zu einer Abkehr von einer extraktivistischen Ausrichtung geführt. Die Fälle, in denen, auf Rechte der Natur gestützt, konkrete Eingriffe in die Natur verhindert wurden, bleiben verhältnismäßig gering (Koehn/Nassl 2023). Eine gewisse Lücke zwischen Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit ist also durchaus zu verzeichnen. Gleichzeitig haben die Gerichte diese Rechte in einigen Fällen sehr weit ausgelegt und sie somit zu einem potentiell wirkmächtigen Instrument gemacht. Wie sich dies in Zukunft weiterentwickeln wird, bleibt abzuwarten. In jedem Fall machen Rechte der Natur auch Energiewendeprojekte zumindest schwieriger durchführbar und erhöhen die Rechtfertigungslast. Jeder Zugriff auf die Natur stellt zunächst einen Eingriff in die Rechte der Natur dar, der gerechtfertigt werden muss. In diese Abwägung muss eine Frage eingestellt werden, die insbesondere in Deutschland stets vermieden wird: Müssen tatsächlich so viele Ressour‐ cen und Energie gewonnen werden, dass alles so weitergehen kann, wie jetzt? Kann der jetzige Energiebedarf mit erneuerbaren Energien gedeckt werden und wenn ja, zu welchem Preis, auch für die Natur außerhalb Deutschlands? Rechte der Natur sorgen dafür, dass in dieser Frage nicht nur das menschliche Interessen als subjektive Rechte gefasst werden kann, sondern auch die Interessen an der ökologischen Integrität einzelner Ökosysteme. In den Worten eines ecuadorianischen Gerichts ist „für die effektive Durch‐ setzung der Rechte der Natur eine Situation erforderlich […], in der Har‐ monie zwischen den menschlichen Wesen und der Natur existiert“ (Sala Lateinamerikanische Alternativen in der Energiewende 211 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Multicompetente de la Corte Provincial de Justicia de Zamora Chinchipe, Urteil vom 18.09.2019:11). Hiermit sind jedenfalls sogenannte green sacrifice zones, also Gebiete, in denen die Natur gewissermaßen für Projekte der sogenanntengrünen Energiegewinnung geopfert werden (Ó’Briain 2024), nicht vereinbar. In diesen Fällen erfolgt diese Abwägung lokal einseitig zulasten der betroffenen Ökosysteme. Wenn wir also von einer sozial-ökologischen Transformation sprechen, heißt das, dass die Energiewende nicht nur sozialverträglich gestaltet wer‐ den, sondern auch die ökologischen und ökosozialen Zusammenhänge verstärkt in den Blick nehmen muss. Eine Öffnung des Gerichtszugangs wie in Ecuador kann dabei dazu beitragen, diese Gestaltung, die letztlich eine Aushandlungsfrage ist, ein stückweit zu demokratisieren. Rechte der Natur liefern also weniger konkrete Antworten auf die Fragen nach einer zukunftsverträglichen Naturnutzung, sondern öffnen vielmehr Diskursräu‐ me um genau diese Fragen auch rechtlich zu diskutieren. 7 Literatur Acosta, Alberto (2015): Buen vivir: Vom Recht auf ein gutes Leben, München: oekom. Acosta, Alberto (2019): Construcción constituyente de los Derechos de la Naturaleza: Repasando una historia con mucho futuro. 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Er forscht dort zur Politischen Ökologie der Dekarbonisierung am Bsp. von Lithium und Wasserstoff in Lateinamerika und Südeuropa. Andreas Gutmann, Dr. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Just Transitions an der Universität Kassel. Alina Heuser promoviert am Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien zum Thema Bergbauextraktivismus und Geschlechterver‐ hältnisse. Javier Lastra Bravo, Dr. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Leibniz Universität Hannover im Arbeitsbereich Kulturan‐ thropologie und Weltgesellschaft. Er ist im Vorstand des Centre for Atlantic and Global Studies. Sebastian Matthes, Dr. vertritt im Wintersemester 2024/25 die Professur für Internationale und intergesellschaftliche Beziehungen an der Universität Kassel im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften. Fabricio Rodríguez, Dr. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arnold-Berg‐ straesser-Institut (ABI) und Mitglied des BMBF-Kompetenznetzwerks „Postcolonial Hierarchies in Peace and Conflict“ 217 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://www.extractivism.de https://www.extractivism.de https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Nina Schlosser ist politische Ökonomin, Doktorandin und Aktivistin. Sie promoviert an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und an der Universität Wien zum Grünen Lithium-Extraktivismus in Chile. Sie ist Mitglied des Graduiertenkollegs „Krise und sozial-ökologische Transforma‐ tion“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin. Hannes Warnecke-Berger, Dr. leitet den Projektverbund Extractivism.de und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Kassel. Hinweise zu den Autor*innen 218 https://doi.org/10.5771/9783748946052, am 14.01.2025, 17:28:30 Open Access – - https://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748946052 https://www.nomos-elibrary.de/agb Cover Einleitung 1 Die Energiewende in Lateinamerika 2 Die Beiträge des Sammelbandes 3 Literatur Energiewende in Lateinamerika aus globaler Perspektive 1 Einleitung 2 Die Geopolitik der Energiewende und ihre Bedeutung für Lateinamerika 3 Energiewende und Energiewendepfade – ein Analyserahmen 4 Energiewende – Quo vadis? Wasserstoff in Kolumbien 4.1 Grüner Extraktivismus 4.2 Grüne Entwicklung 4.3 Ökologische Modernisierung der fossilen Energiewirtschaft 5 Fazit 6 Literatur Die Geopolitik der Energiewende und die Rekonfiguration globaler Machtverhältnisse: Lateinamerika am Scheideweg 1 Einleitung 2 Unsicherheiten der globalen Energiewende 3 China, USA und die EU 4 Lateinamerika und die Geopolitik der Energiewende 4.1 Neue Rohstoffe: das Beispiel Lithium 4.2 Grüner Wasserstoff 4.3 Die Zukunft fossiler Rohstoffe 4.4 Grüne Industrialisierung 5 Fazit 6 Literatur Energiewende, Machtkämpfe und Konflikte um Ökologie. Kritische Rohstoffe und geopolitische Spannungsfelder zwischen Lateinamerika und China 1 Einleitung 2 Energiewende, Dekarbonisierung und Extraktivismus 3 Das Beispiel Kupfer 4 Ökologie, Technologie und Autoritarismus 5 Fazit: Energiewende und neue Machtverhältnisse 6 Literatur Post-fossile Zukunft: Lateinamerika zwischen Rohstoffreichtum und ungleicher Spezialisierung 1 Einleitung 2 Wie Rohstoffe und Renten die Weltwirtschaft prägen 2.1 Ein theoretischer Streit ohne empirische Erdung 2.2 Das Konzept der ungleichen Spezialisierung 2.3 Rohstoffe und Renten 2.4 Renten verändern Gesellschaft 3 Ungleiche Spezialisierung und die globale Energiewende 3.1 Energiewende, Struktur der Nachfrage und soziale Ungleichheiten 3.2 Grüne Technologie und Substituierbarkeit der Rohstoffe 3.3 Das notwendige Auftreten der Renten 4 Die neue Rolle Lateinamerikas 5 Literatur Gibt es eine Energiewende ohne Steuerreformen? Antworten aus Lateinamerika 1 Einleitung 2 Rohstoffe und Entwicklung in Lateinamerika 3 Rohstoffe und Arbeit 4 Rohstoffe und Verteilung 5 Steuern und Energiewende 6 Literatur Eine neue Frontier der Dekarbonisierung? Grüner Wasserstoff in Lateinamerika 1 Einleitung 2 Frontiers und Territorialisierung 3 Grüner Wasserstoff in Lateinamerika 3.1 Argentinien 3.2 Chile 3.3 Kolumbien 4 Fazit 5 Literatur Kapital und Staat im Grünen Extraktivismus. Widersprüche und Widerstände in Lithiumsektor Chiles 1 Einleitung 2 Staat und Konsens 3 (Prä-)Lithium-Ära: Lebensweisen und Lithiumabbau im Salar de Atacama 4 Widersprüche und Widerstände 5 Fazit: Die Grenzen des Staates und ihre Überwindung 6 Literatur Geschlechterverhältnisse in Konflikten um Kupferbergbau in Peru 1 Einleitung 2 Gender und Bergbau in Lateinamerika: ein Analyserahmen 3 Konflikte um Kupferbergbau im südlichen Bergbaukorridor Perus 4 Geschlechterverhältnisse im Konflikt um Kupferbergbau in Espinar 4.1 Transformation (re)produktiver Arbeitsverhältnisse 4.2 Körper in Protesten um Kupferbergbau 4.3 Politische Partizipation von Frauen 5 Fazit 6 Literatur Kupfer für die Energiewende und die Rechte der Natur in Ecuador 1 Einleitung 2 Kupfer für die Grüne Energiewende 2.1 Die Folgen der Energiewende für Lateinamerika 2.2 Zur Rolle Chinas in der lateinamerikanischen Kupferproduktion 3 Ecuador zwischen Transformation und Stagnation 3.1 Der ecuadorianische Neo-Extraktivismus 3.2 Kupferabbau in Ecuador 4 Bergbaukonflikt in der Region Intag 4.1 Hintergrund des Konflikts 4.2 Juristische Schritte zum Schutz der Rechte der Natur 5 Fazit 6 Literatur Lateinamerikanische Alternativen in der Energiewende. Die Natur als Rechtssubjekt in der ecuadorianischen Verfassung 1 Einleitung 2 Die Rechte der Natur 2.1 Rechte der Natur und Energiewende 2.2 Die ecuadorianische Verfassung von 2008 und der Extraktivismus 3 Rechte der Natur oder Pacha Mama 4 Der Inhalt der Rechte der Natur 5 Menschliche Vertretung der Natur 5.1 Stellvertretung 5.2 Pluralisierung des Sprechens über Natur 6 Rechtliche Aushandlung der Energiewende 7 Literatur Hinweise zu den Autor*innen