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11. Pflegelehrkraft-Qualifikationen oder: "Was macht eine gute Pflegelehrkraft aus?"

"Pflege braucht Eliten!" lautete der provokative Titel der Denkschrift der Robert Bosch Stiftung. Gemeint waren Leitungs- und Lehrkräfte. Sie sollten fortan akademisch qualifiziert sein, an Fachhochschulen und Universitäten die Leitungskräfte, ausschließlich an Universitäten die Lehrkräfte.

Aber macht eine akademische Qualifizierung schon eine "gute" Lehrkraft aus? Haben die bisherigen Lehrerbildungsstätten im Pflegebereich versagt? Muß man nicht eher zunächst einmal das Qualifikationsspektrum der Lehrkräfte beschreiben, um dann in Gegenüberstellung zu den situativen Anforderungen zu ermitteln, ob das Qualifikationsspektrum zu ihrer Erfüllung ausreicht oder ergänzungsbedürftig ist? Wer ist berechtigt, befugt oder auch nur kompetent, Qualifikationsanforderungen zu bestimmen? Welche Qualifikationsanforderungen lassen sich überhaupt ausmachen, in der Literatur, in Stellenausschreibungen, in Praktikeräußerungen? Angesichts dieses Fragenbündels erscheint es sinnvoll, an die Kernfrage zu erinnern, die sowohl die SchülerInnen als auch die KollegInnen und Vorgesetzten, nicht zuletzt natürlich die Betroffenen selbst am meisten interessiert: Was macht eine gute Pflegelehrkraft aus?

Wer sich daran begibt, einmal in der erziehungswissenschaftlichen Literatur jenen Quellen nachzuspüren, die Aufschluß über Qualifikationsanforderungen an Lehrkräfte bieten, dem zeigt sich ein merkwürdiger Widerspruch. Es ist völlig unbestritten, daß ein vorwiegend interaktiv gesteuerter Prozeß wie eben der Lernprozeß in Unterricht und Ausbildung in erster Linie durch die daran beteiligten Personen geprägt wird, also auch die Qualität dieses Prozesses - größtmöglicher Lernerfolg - als von den Qualifikationen dieser Personen abhängig einzuschätzen ist. Aber wer daraus schließt, es müßte sich eine Fülle an Aussagen und Befunden über die Qualifikationsanforderungen - das positive Lehrerbild - finden lassen, der wird enttäuscht.

Vielmehr finden sich zahllose Aussagen über pädagogische Prozesse, insonderheit über Inhalte und Methoden, vorwiegend auf der normativen Ebene. Die Erfassung, Deskription und Bewertung des Intra- und Inter-Personalen an und in intentionalen pädagogischen Prozessen ist aufwendig und erfolgt deshalb selten; schon die Bestimmung der Kategorien ist problematisch, die Erfassung desgleichen, von der Quintessenz ("Was fangen wir mit unseren Erkenntnissen an? Wie lassen sie sich in der Planung, Initiierung, Steuerung, Gestaltung, Kontrolle und Reflexion von Lehrerbildungsprozessen fruchtbar machen?") ganz zu schweigen.

Ist es mithin aussichtslos, Kategorien für Pflegelehrerqualifikationen aufzuspüren? Ist es unergiebig, derartige Kategorien zu bestimmen? Beide Fragen möchte ich im Vorgriff mit "nein" beantworten; schließlich läßt sich nach meiner Überzeugung ein Curriculum für die Ausbildung von Pflegelehrkräften nicht sinnvoll ohne eine möglichst präzise Vorstellung von den Qualifikationsanforderungen an Lehrkräfte entwickeln.

Im folgenden wird deshalb einmal versucht, das Problem von mehreren Angängen aus "in den Griff zu bekommen":

1 In einem ersten Zugriff stelle ich Lehrerbilder aus der Literatur zusammen. Die Auswahl ist recht zufällig. Ein gewisses provokativ-plakatives Interesse kann und will ich nicht ausschließen.

2 In einem zweiten Zugriff sondiere ich pflegepädagogische Literatur, dies am Beispiel einschlägiger Werke und aller bisher erschienenen Jahrgänge der "PflegePädagogik".

3 Anschließend suche ich in der Literatur zur Lehrerbildung, eingegrenzt auf die Berufsschullehrerbildung, präziser: "Lehrer an beruflichen Schulen" (Czycholl 1994 in Anspielung an Bals 1994), nach Hinweisen und Empfehlungen.

4 Sodann setze ich mich mit den Positionen zweier Fachkollegen allgemeiner Pädagogik auseinander: Hartmut von Hentig ("Schule neu denken") und Gerold Becker ("Odenwaldschule").

5 Anhand dieser Vorüberlegungen nehme ich die Ausgangsfrage wieder auf: "Was macht eine gute Lehrerin, was einen guten Lehrer für Pflege aus?"

6 Die Überlegungen versuche ich in einem "Aufgabenprofil" für LehrerInnen für Pflegeberufe zu verdichten.

7 Abschließend werde ich Curriculumelemente skizzieren, die zur didaktischen Qualifizierung von LehrerInnen für Pflegeberufe beitragen sollen.

a. Lehrerbilder in Lyrik und Prosa

"Also lautet ein Beschluß,

daß der Mensch was lernen muß.

Nicht allein das Abc

bringt den Menschen in die Höh';

Nicht allein in Schreiben, Lesen

übt sich ein vernünftig Wesen;

nicht allein in Rechnungssachen

soll der Mensch sich Mühe machen,

sondern auch der Weisheit Lehren

muß man mit Vergnügen hören.

Daß dies mit Verstand geschah,

war Herr Lehrer Lämpel da."

(Wilhelm Busch: Max und Moritz; 1865, vierter Streich).

"Durch Vergleich mit sechs Jahren Schulung an einem deutschen, autoritär geführten Gymnasium wurde mir eindringlich bewußt, wie sehr die Erziehung zu freiem Handeln und Selbstverantwortlichkeit jener Erziehung überlegen ist, die sich auf Drill, äußere Autorität und Ehrgeiz stützt. Echte Demokratie ist kein leerer Wahn." (Einstein-Zitat in: Hermann 1994, S. 93 f.).

"Ich konnte noch nicht lesen und schreiben, und schon wollte ich Lehrer werden. Nichts anderes. Und trotzdem war es ein Mißverständnis. Ja, es war der größte Irrtum meines Lebens. Und er klärte sich erst auf, als es fast zu spät war. Als ich mit siebzehn Jahren vor einer Schulklasse stand und, da die älteren Seminaristen im Felde standen, Unterricht erteilen mußte. Die Professoren, die als pädagogische Beobachter dabeisaßen, merkten nichts von meinem Irrtum und nichts davon, daß ich selber in dieser Stunde ihn endlich begriff und daß mir fast das Herz stehenblieb. Doch die Kinder in den Bänken, die spürten es wie ich. Sie blickten mich verwundert an. Sie antworteten brav. Sie hoben die Hand. Sie standen auf. Sie setzten sich. Es ging wie am Schnürchen. Die Professoren nickten wohlwollend. Und trotzdem war alles grundverkehrt. Und die Kinder wußten es. Der Jüngling auf dem Katheder, dachten sie, das ist kein Lehrer, und er wird nie ein richtiger Lehrer werden. Und sie hatten recht.

Ich war kein Lehrer, sondern ein Lerner. Ich wollte nicht lehren, sondern lernen. Ich hatte Lehrer werden wollen, um möglichst lange ein Schüler bleiben zu können. Ich wollte Neues, immer wieder Neues aufnehmen und um keinen Preis Altes, immer wieder Altes weitergeben. Ich war hungrig, ich war kein Bäcker. Ich war wissensdurstig, ich war kein Schankwirt. Ich war ungeduldig und unruhig, ich war kein künftiger Erzieher. Denn Lehrer und Erzieher müssen ruhig und geduldig sein. Sie dürfen nicht an sich denken, sondern an die Kinder. Und sie dürfen Geduld nicht mit Bequemlichkeit verwechseln. Lehrer aus Bequemlichkeit gibt es genug. Echte, berufene, geborene Lehrer sind fast so selten wie Helden und Heilige."

(Erich Kästner: Als ich ein kleiner Junge war. 21. Auf. Zürich 1957, S. 79 f.).

Erich Kästner würde ich gerne zurufen, gerade deshalb doch sein Vorhaben, Lehrer zu werden, durchzuführen, weil seine Argumente sich nicht gegen seine eigenen Fähigkeiten, sondern gegen eine pädagogische Position richten, die eine strikte Trennung von Lehren und Lernen, eine hierarchische Lehrer-Schüler-Beziehung und eine Kenntnisvermittlungsdominanz postuliert, die weder er noch ich für angemessen und sinnvoll halten. "Ich hatte Lehrer werden sollen, um möglichst lange ein Schüler bleiben zu können." Eben! Immerhin ist uns Kästner als Erzähler erhalten geblieben und als Dichter in besonderer Erinnerung. Insofern müssen wir heute nicht allzu traurig sein, daß aus der Lehrerkarriere nichts geworden ist. Aber vielleicht hätte gerade er Vorreiter einer handlungsorientierten, schülerzentrierten, projektbezogenen Pädagogik werden können...

b. Lehrerbilder in der pflegepädagogischen Fachliteratur

"Warum hat dieser Lehrerberuf eine Sonderstellung, warum ist hier der Professionalisierungsgrad so gering?" fragte zu Recht Claudia Bischoff auf dem 1. Europäischen Kongreß der Lehrerinnen und Lehrer für Pflegeberufe im Mai 1991 in Gwatt/Thun (Schweiz). In der Tat ist eine maximal 24monatige Lehrerbildung mit der relativ aufwendigen 7jährigen Berufsschullehrerbildung kaum zu vergleichen. So ist denn auch verständlich, daß PflegelehrerInnen ihre berufliche Identität in erster Linie aus ihrer Pflegekompetenz und erst in zweiter Linie aus ihrer pädagogischen Kompetenz schöpfen.

Professionalität wird in den Augen der Mahner und Forderer mit Rückgriff auf Überlegungen von Thomas Bals (1990) in fünf Kategorien umschrieben: Sie ist "Ergebnis wissenschaftlicher Ausbildung, in der

* wissenschaftlich-technisches Spezialwissen,

* eine berufspädagogische Identität sowie

* die Fähigkeit zur pädagogischen Empathie erworben wird.

Weitere Merkmale sind

* Handlungsautonomie und

* Kollektivitätsorientierung in der Berufsausübung." (Bischoff 1991, S. 6).

Vor diesem idealisierenden Hintergrund wird das gegenwärtige Konsekutivmodell (gute Pflegerin besucht pädagogische Weiterbildung und wird gute Unterrichtsschwester) "aus der Praxis für Praxis" als minderwertig eingestuft (Ertl-Schmuck 1990). Ebenso wie die Zweitrangigkeit der Pflegetätigkeit gegenüber ärztlichem Handeln überwunden werden soll, so soll auch die LehrerInnenbildung aus der Zweitklassigkeit herausgeholt werden (Wanner 1987). An die Stelle einer derivativen Qualifikationsdefinition ("Heilhilfsberuf") soll eine originäre, auf eine gesicherte, eigene Identität gegründete Qualifizierungsdefinition treten. Von der Akademisierung der PflegelehrerInnenbildung wird nicht nur die Vergleichbarkeit der Berufsschullehrerbildung erhofft, sondern auch ein gewandeltes Identifikationsbild der Lehrkräfte: weg von der unterrichtenden Schwester und hin zur Lehrerin für Pflegeberufe. Gewandeltes Rollenbild und Selbstverständnis hier (auf der Station, in der ambulanten, der Haus- und Familienpflege), gewandeltes Rollenbild und Selbstverständnis da (in der Pflegeschule)! Dazu ist eine Änderung auf verschiedenen Ebenen notwendig:

* institutionell (Universität)

* intentional (selbstbestimmtes Aufgabenfeld; eigene Identität)

* inhaltlich (Entkopplung von der medizinischen Dominanz: "Die medizinische Wissenschaft war lange Zeit die Theorie der Pflege" (Bischoff 1991, S. 9)).

Dies bedarf offenkundig einer gesellschaftlichen Kraftanstrengung kaum zu ermessenden Umfanges, gilt es doch, zahllose Privilegien anderer Berufsgruppen einzuschränken (Welcher Berufsstand konnte sich über Jahrzehnte hinweg eine derart unterbezahlte, treu ergebene Hilfstruppe halten?) und unzählige verbandliche und moralische Hemmnisse zu überwinden. Offenbar war die didaktische Kompetenz der unterrichtenden Oberin auf die Vermittlung ethisch-moralischer Werte in "gemüthvoller Belehrung" eingegrenzt (Bischoff 1991, S. 13). Das kann für die zeitgemäße Berufsausübung einer Lehrerin für Pflegeberufe nicht mehr genügen.

Aber offenkundig gebricht es an Voraussetzungen zur Überwindung der Identitäts- und Qualifikationsdefizite. Bis 1991 fehlte ein eigener Berufsverband (der LehrerInnen für Pflegeberufe) in Deutschland, eine eigene Fachzeitschrift, "die Abschottung von der Lehrerbildungsdiskussion, von erziehungswissenschaftlichen und berufspädagogischen Fragestellungen ist ein Dauermanko dieses Berufes...Das Berufsbild war und ist unspezialisiert und diffus, wie der Herkunftsberuf Pflege" (Bischoff 1991, S. 15).

Das Lehrerbild ist allerdings ausgesprochen diffus, nimmt man die Zielsetzungen der lehrerbildenden Institutionen zum Ausgangspunkt (Dielmann 1991, S. 22 f.). Anthropologische Ethik steht neben christlicher, gesellschaftspolitische ("eigenständige Bedeutung des Pflegedienstes gegenüber z.B. dem ärztlichen Dienst") neben der Betonung gesundheitspolitischer Zielsetzung.

Wie wird die Ausbildung der Krankenpflegelehrkräfte von den Betroffenen selbst empfunden?

In einer neuen Göttinger Untersuchung (schriftliche Befragung von 204 Lehrkräften) wurde festgestellt, daß

- Bewertungs- und Beratungstätigkeiten zu kurz kommen,

- die fachliche Vorbereitung der Lehrkräfte unbefriedigend ist,

- die Lehrkräfte lediglich für Frontalunterricht vorbereitet werden; handlungsorientierte Lehr-/Lernformen lernen sie offensichtlich bestenfalls marginal kennen (Oelke 1994).

Insgesamt reicht die Ausbildung in fach(wissenschaft)licher Hinsicht nicht aus, werden Aufgaben der individuellen pädagogischen Beratung und Betreuung nicht gründlich genug thematisiert und die angehenden Lehrkräfte mehr oder minder deutlich für Frontalunterricht vorbereitet. Das Ergebnis dürfte ein im umfassenden Sinne inadäquates Rollenmuster der Lehrkräfte sein. Spiegelt sich dieses Urteil in der SchülerInnensicht?

Als "Resultat einer Umfrage unter Schülerinnen an der Schwesternschule am Basler Kinderspital" über "Fähigkeiten und Eigenschaften einer Lehrerin für Krankenpflege" fördert Rappl (1993) auf der Grundlage von 38 Fragebögen (von 95 versandten) in vier Rubriken (persönliche Eigenschaften; didaktische Fähigkeiten; pflegerische Fachkompetenz; berufliches Interesse) folgende "Highlights" zutage (jeweils die meistgenannten):

- Einfühlungsvermögen (20 Nennungen)

- abwechslungsreiches Unterrichten (12 Nennungen)

- Kompetenz (14) und Erfahrung (14)

- Freude am Unterrichten (11).

Da vorab in die vier Kategorien unterteilt worden war, läßt sich der Untersuchung keine Rangfolge der Wertschätzung eben jener vier Kategorien entnehmen. Insofern ist der Aussagegehalt im Hinblick auf unser Grundproblem "Was macht eine/n gute/n LehrerIn für Pflegeberufe aus?" relativ gering.

Gegenwärtige und zukünftige Anforderungen werden u.a. in Stellenanzeigen abgebildet. J. Geissbühler, Schulleiterin an einer Schweizer Krankenpflegeschule, hat die so benannten Aufgaben einmal zusammengestellt:

"Gesucht: Lehrerin/Lehrer für eine Krankenpflegeschule

Ihre Aufgaben sind

- Zielorientierter, individualisierter, problembezogener und praxisorientierter Unterricht im Klassenzimmer und Arbeitsfeld

- Fördern der Selbstkompetenz der Lernenden

- Fördern der Sozialkompetenz der Lernenden

- Fördern des kritischen Denkens und des selbstverantwortlichen Handelns der Lernenden

- formative und summative Evaluation

- Führen einer Klasse mit 24 Auszubildenden

- Beraten der Lernenden bei Lernschwierigkeiten

- Troubleshooter bei Problemen in der praktischen Ausbildung

- Mithilfe beim Erarbeiten eines neuen Lehrplanes

- Beraten der Ausbildnerinnen und Ausbildner in der Praxis

- Mitglied in abteilungsübergreifenden Arbeitsgruppen (Bibliotheksgruppe, Pflegetechnikgruppe etc.)

Sie sind:

fachkompetent, flexibel, verantwortungsbewußt und empathisch

Sie haben:

ein gutes Selbstwertgefühl, die Fähigkeit, Wiedersprüche zu ertragen, und die Fähigkeit, im Team zu arbeiten..."

Mit dieser - von ihr selbst so genannten - Karikatur wollte die Autorin auf den Widerspruch zwischen Erwartungen und Möglichkeiten, zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen Anforderungen und Vergütungen, Vorgaben und Freiräumen hinweisen. Dabei bietet sie ein Gemisch aus funktionalen und extrafunktionalen Qualifikationen, aus Sach-, Sozial- und Selbstkompetenz. Die karikaturistische Überzeichnung besteht allerdings nicht darin, daß einzelne Anforderungen überzeichnet oder hinzugedichtet wurden - sie finden sich sehr wohl in einschlägigen Stellenanzeigen -, sondern in deren Bündelung.

Sie zu systematisieren, bedarf eines Blicks auf erziehungswissenschaftlich relevante Kategorien zur Beschreibung von Lehrkräfteanforderungen.

Offenkundig wird in neueren pflegepädagogischen Veröffentlichungen eher auf die Bedeutung sozialpsychologischer Fähigkeiten verwiesen als das in allgemein berufspädagogischen Veröffentlichungen der Fall ist. So verweist beispielsweise Stratmeyer zu Recht auf die hohen psychologischen Anforderungen im Berufsalltag und begründet dies mit der Konfrontatation mit Belastungssituationen wie "Elend, Leid, Krankheit, Sterben, Tod, ekelerregenden Körperflüssigkeiten oder -ausdünstungen". Diese führten "immer wieder zu traumatisch erlebten psychischen Zuständen" (1995, S. 13). Aufgabe der Lehrkräfte sei es dabei, die PflegeschülerInnen auf derartige Situationen einfühlsam vorzubereiten und mit ihnen gemeinsam Handlungsstrategien zu erarbeiten.

Insofern ist die handlungsorientierte Gestaltung von Lernsituationen als propädeutisch für das angemessene Handeln in pflegerischen Extremsituationen dringend geboten. Über die Funktionspflege könne man den Patienten in diesen Situationen nicht gerecht werden. Gleichwohl ist vor einer gleichsam doppelten Überforderung zu warnen, wenn einerseits von den Lehrkräften die Gestaltung handlungsorientierter Lernsituationen (und damit die Abkehr von frontalen Unterrichts- und Unterweisungspraktiken) gefordert wird (ohne daß sie darauf über ihre eigene Ausbildung hinreichend vorbereitet worden wären; Oelke 1994) und andererseits Innovationen in Richtung patientenorientierte Bezugspflege über die SchülerInnen in die Stationen transportiert werden sollen. Im übrigen ist nach Stratmeyer (unter Hinweis auf die von Wanner 1987 geäußerten Bedenken) Skepsis geboten, ob von einer wegen der Mediziner-Dominanz zur Unselbständigkeit angehaltenen Berufsgruppe überhaupt derartige Innovationen erwartet werden können.

Die Formulierung von Schlüsselqualifikationen der Pflegelehrkräfte sieht Feigenwinter als Möglichkeit zur präzisen Bestimmung ihrer Qualifikationsanforderungen (1994, S. 20). Dazu formuliert er 50 Einzelqualifikation in neun Aufgabenbereichen:

- Selbstwahrnehmung,

- Umgebungswahrnehmung,

- Kommunikationsfähigkeit,

- Kooperations- und Teamfähigkeit,

- Arbeits-, Lern- und Leistungsverhalten,

- Unterrichtsplanung,

- Sensibilität für Lern- und Wachstumsprozesse,

- Persönlichkeit/Werte,

- Wahrung der Psychohygiene.

Dieser Vorschlag vermag allerdings nicht sonderlich zu überzeugen. Er ist zwar auf mittlerer Konkretionsebene angesiedelt (auch PETRA-Siemens enthält 48 Schlüsselqualifikationen; Klein 1990), denn denkbar wäre eine Skala von drei (Kompetenzen: Heinrich Roth 1971) oder vier (Qualifikationsebenen; Mertens 1974) bis unendlich vielen; aber die Genese der Qualifikationen wird nicht nachgewiesen, das Verhältnis der unterschiedlich gewichtigen Qualifikationen zueinander nicht geklärt, die Vollständigkeit und Gültigkeit werden nicht (empirisch) überprüft. So gesehen bietet der Katalog interessante Anhaltspunkte und zugleich eine Bestätigung des von Feigenwinter selbst aufgestellten Formulierungsdilemmas: Werden Schlüsselqualifikationen zu abstrakt formuliert, sind sie nicht auf die Praxis transferierbar; werden sie zu differenziert formuliert, verlieren sie ihren "Schlüssel"-Charakter: auf allgemeinem Niveau Verhaltensziele und Persönlichkeitsmerkmale zu erfassen (S. 21).

c. Lehrerbilder in der Literatur zur Lehrerbildung, insbesondere zu den Lehrern an beruflichen Schulen

Jüngst (am 12.5.95) haben die Kultusminister die Rahmenrichtlinien für die Ausbildung von BerufsschullehrerInnen novelliert und dabei die Dominanz des Fach(wissenschaft-)lichen eindeutig bestätigt (mit 80 SWS soll sie weiterhin die Hälfte des Studiums ausmachen, während sich berufliche Fachrichtung/Unterrichtsfach (mit nunmehr 50 SWS) und Erziehungswissenschaft (von 40 auf 30 SWS vermindert) die andere Hälfte teilen müssen. Nimmt man die Seminarangebote und die Prüfungshürden zum Maßstab, so verstärkt sich die Fachdominanz noch erheblich. 130 fachwissenschaftliche SWS stehen nur 30 erziehungs- und gesellschaftswissenschaftlichen SWS gegenüber! Ist der Lehrer in der beruflichen Bildung ein berufsschulisch eingefärbter Fachwissenschaftler?

Es sieht so aus. Denn nicht anders erscheint das Bild in den Referendariaten bzw. der Zweiten Phase der Lehrerbildung, sieht man von Ausnahmen einmal ab (offenbar ist das Studienseminar Gießen eine solche, in der Adressatenorientierung und Handlungsorientierung eine Rolle spielen). In Hamburg fiel ein Referendar über Jahre hinweg eher durch, wenn ihm ein sachlicher Fehler unterlief, als wenn es ihm nicht gelang, den Lehrstoff auf lerneffiziente Weise zu vermitteln.

In seinem Überblick über "Lehrer an beruflichen Schulen" teilt Bader in Anlehnung an Bonz die Anforderungen an Lehrkräfte zunächst in pädagische und berufsfachliche Qualifikationen (1995, S. 320). Anschließend verweist er auf die fünf Aktivitätsfelder, die der Deutsche Bildungsrat in seinem "Strukturplan" vor einem Vierteljahrhundert definierte: Lehren, Erziehen, Beraten, Beurteilen, Innovieren (dort S. 270). Nimmt man die beiden Handlungsebenen hinzu ("Verstehen" und "Gestalten"), ergeben sich 10 Aktivitätsfelder - und eigentlich ist nichts gewonnen. Denn zunächst muß man die Trennung von Lehren und Erziehen einem überkommenen Unterrichtsbegriff zuweisen, zudem ist die Brücke von der Performanzebene zur Kompetenzebene nicht geschlagen worden. Der Ansatz, über Tätigkeitsfelder von Lehrkräften Kompetenzen zu erschließen, erweist sich - so gesehen - offenbar nicht als fruchtbar. Er vermag aber zu erklären, warum sich so selten Anforderungen auf einer nichtfachlichen, nichtformalen Ebene finden. Und dabei weiß doch jeder Berufsschullehrer - sofern er nicht gerade "handzahme", weil karrierebewußte und prüfungsorientierte angehende Bank- oder Versicherungskaufleute unterrichtet - ein Lied davon zu singen, wie wichtig gerade außerfachliche Qualifikationen für seine Berufsausübung sind. Warum nimmt man dies auf der Normierungsebene so wenig zur Kenntnis?

Die Mindestnormen der EU für die zwischenstaatliche Anerkennung von Abschlüssen für Lehrkräfte in der beruflichen Bildung geben ein weiteres Musterbeispiel für mangelnde Konkretion. Es gibt lediglich drei Mindestnormen: dreijährige Hochschulbildung, Qualifizierung für Berufsschullehrertätigkeit im betreffenden Land, Angehörigkeit zur Landesnationalität. Diese Mindestnormen werden für ausländische Bewerber in der Bundesrepublik noch um die Voraussetzungen ergänzt, daß die deutsche Sprache beherrscht und Fakultas für zwei Fächer nachgewiesen werden muß (Bader 1995, S. 330). Diese formalen Voraussetzungen bieten überhaupt keine inhaltlichen Hinweise auf pädagogisch relevante Qualifikationen.

Hilfe mag man von einschlägiger berufspädagogischer Literatur erwarten. Beispielsweise von einem der gegenwärtig meistzitierten Autoren. So schreibt Rolf Arnold: "Ganzheitliche Berufsbildung setzt ganzheitlich qualifizierte Berufspädagogen voraus. Wer Schlüsselqualifikationen vermitteln soll, muß selbst über Schlüsselqualifikationen verfügen. Hierfür muß sich die wissenschaftliche Lehrerbildung selbst `weiten': Sie muß die Persönlichkeit der (zukünftigen) Lehrer durch selbstgesteuertes, handlungs- und erfahrungsorientiertes Lernen bilden." (Arnold 1994, S. 177) Bei Lichte besehen handelt es sich um Deklamation statt Konkretion, um Worthülsen statt Pragmatiken. Denn Arnold bleibt dem ratsuchenden Leser die Antwort schuldig, wie denn "selbstgesteuertes, handlungs- und erfahrungsorientiertes Lernen" konkret geplant, initiiert, gesteuert, kontrolliert und reflektiert werden kann, welche Probleme sich dabei auftun, welche Qualifikationen vom Initiator erwartet werden müssen, wie solche herbeigeführt werden können und wo mit dieser Initialzündung begonnen werden soll.

Zwei Zitate von Hugo Gaudig, einem der führenden Reformpädagogen um die Jahrhundertwende, belegen, wie überkommen derartige Grundsätze bereits sind: "In unseren Schulen wird vom Lehrer zu viel gelehrt und vom Schüler zu viel gewußt. Die Zeit fordert, daß alle Lehrer (...) das Ziel vor Augen haben, selbsttätig denkende Köpfe zu bilden" (Hugo Gaudig 1904, S. 7; zit. in Arnold 1994, S. 179). Und weiter: "Im Mittelpunkt aller pädagogischen Erwägungen und Handlungen steht hier nicht die schaffende Kunsttätigkeit des Lehrers, deren `Òbjekt'der Schüler ist, sondern die Tätigkeitsweise des Schülers; der Schüler ist die 'handelnde Person', um die sich alles dreht. Nicht als Opfer fremder Tätigkeit, sondern als selbstwirkendes Subjekt (als `Täter seiner Taten') kommt der Schüler in Frage" (ebenda, S. 11; zit. in Arnold 1994, S. 179).

Arnold spricht von der "Kultur des selbstgesteuerten Lernens" (1994, S. 180), aber läge nicht vielmehr die Frage nahe, warum die wegweisenden Gedanken der Gaudigs, Fischers, Petersens und anderer 90 Jahre später immer noch die Ausnahme darstellen, wenn es um die konkrete Umsetzung in Lehrerhandeln geht? Gaudigs Vorstellungen vom Lehrer prägen jedoch nicht das heutige Lehrerbild, weder in der beruflichen noch in der allgemeinbildenden Schule.

Noch ein Zitat: "Dem Kind gehört der erste Platz, und der Lehrer folgt ihm und unterstützt es. Er muß auf seine eigene Aktivität zugunsten des Kindes verzichten. Er muß passiv werden, damit das Kind aktiv werden kann; denn es gibt kein größeres Hindernis für die Entfaltung der kindlichen Persönlichkeit als einen Erwachsenen, der mit seiner ganzen überlegenen Kraft gegen das Kind steht. Es handelt sich bei der Haltung des Erwachsenen dem Kind gegenüber um die Begrenzung des Einschreitens". Diesmal wird Maria Montessori aufgeboten (Arnold 1994, S. 180), deren "Pädagogik vom Kinde her" bestenfalls in marginalen Reformansätzen wie dem offenen Unterricht (Wallrabenstein 1987) in der bundesdeutschen Schulpraxis zu beobachten ist. Auch diese Ansätze sind nicht prägend für das vorherrschende LehrerInnenbild.

Nach dieser historischen Einstimmung begibt sich ARNOLD auf die Suche nach einer Antwort auf die Frage: "Welche Professionalität brauchen ein Gewerbelehrer oder eine Gewerbelehrerin, wenn sie ganzeitlich und nicht nur fachlich (aus)gebildet sein sollen?":

"(1) Er muß zur Ermöglichung von Selbstlernprozessen, zur Aufbereitung und zum Einsatz entsprechender Selbstlernmaterialien in der Lage sein. Neben der Vermittlungskompetenz benötigt er deshalb eine Erschließungskompetenz.... Erforderlich ist .. in immer stärkerem Maße eine mediendidaktische Kompetenz.

(2) Der Lehrer bringt den Unterricht in seiner eigenen Person dar, d.h. die fachdidaktische Kompetenz wird erst über seine Selbst- und Sozialkompetenz wirksam. Um selbsttätiges Lernen ermöglichen zu können, muß er deshalb zur `Begrenzung des Einschreitens'(Maria Montessori) bzw. zur Zurücknahme seiner eigenen Person im Unterrichtsgeschen in der Lage sein... Er... fördert das Unterrichtsgeschehen durch Beratung, Lernhilfen und innere Differenzierung. Dabei verhält er sich gemäß dem ... Grundsatz von Ruth Cohn: "Wer weniger gibt als nötig, ist ein Dieb, wer mehr gibt, ein Mörder" (Cohn 1975, S. 123). ...notwendig ist der Erwerb einer Selbstkompetenz.

(3) Schlüsselqualifikationen können nur entwickelt werden von Lehrkräften, die selbst über Schlüsselqualifikationen verfügen... Lehrkräfte müssen ... selbst in ihrer Ausbildung selbstgesteuert lernen können, damit sie die für sie relevanten Schlüsselqualifikationen erwerben können. Soziale, gruppenbezogene Kompetenzen erweisen sich dabei als Schlüsselqualifikationen für Lehrer, die selbstgesteuerte Lernprozesse initiieren und begleiten möchten. D.h., erforderlich ist der systematische Erwerb einer sozialen Handlungsfähigkeit über Feed-back-Erfahrungen, Supervision etc., Elemente einer Qualifizierung von Qualifikatoren, wie sie in anderen z.B. im Bereich der Trainerausbildungen schon seit längerem üblich sind." (S. 181 f.).

Arnold kritisiert, "daß die drei Ebenen einer berufspädagogischen Professionalität bislang konzeptionell, inhaltlich und didaktisch zu wenig miteinander verzahnt sind." (S. 183). Er fordert, "das Übergewicht der fachorientierten Ausbildung zu mildern" (S. 184). Er kritisiert, daß "die Eingewöhnung in die Kultur fremdgesteuerten Lernens zu einem wichtigen "Effekt" universitärer Sozialisation" wird (ebenda). Das mag ja alles stimmen, aber Wege in die richtige Richtung erschließt man dem Suchenden nicht, indem man ihm lediglich das Reiseziel schmackhaft macht (das der Leser derartiger Lektüre ohnehin schon sein eigen nennt) und ihn mit Prinzipien der Streckenführung beglückt; der Reisende will vielmehr wissen, was er auf dem (mühseligen) Weg zum erstrebten Ziel zu beachten hat, wie er sich auf diesem Weg verhalten soll, um sein Ziel bestmöglich zu erreichen, welchen Gefahren er aus dem Wege gehen muß, wie er gegebenenfalls Gefahren zu trotzen vermag. Gewappnet will er sein - und da nützen ihm Prinzipien der Kartographie herzlich wenig!

So finden wir denn in den Arnold'schen Ausführungen immerhin eine Erklärung dafür, daß auch heute, 90 Jahre nach Hugo Gaudigs Forderungen, das herrschende Lehrerbild - jedenfalls soweit wir es in curricularen Normierungen und EU-Richtlinien repräsentiert finden - eher dem des preußischen Landschulmeisters ähnelt als dem eines Anwaltes für selbstbestimmtes Lernen. Die Arnold'sche Position steht übrigens stellvertretend für Ausführungen zur Lehrerbildung aus den Reihen von Berufspädagogen: Sie haben sich in der Vergangenheit mehr mit den Rahmenbedingungen des Lehrerhandelns beschäftigt als mit den ethischen Grundsätzen - und daher sind auch die Qualifikationsanforderungen meist nicht in ihr Blickfeld getreten. Nimmt man beispielsweise eine "bahnbrechende" Schrift ins Visier, wie sie 1967 von Saul B. Robinsohn als dem damaligen Leiter des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung verfaßt worden ist, dann zeigt der Titel "Bildungsreform als Revision des Curriculum" deutlich (was auch der Inhalt nicht widerlegt), daß didaktische Innovationen nicht über (verändertes) Lehrerwissen und Lehrerhandeln eingeleitet werden soll, sondern über neu gewonnene und neu legitimierte ("Situationsprinzip") Inhalte. Was das für ein Lehrer sein sollte, der da "Bildung als Ausstattung zum Verhalten in der Welt" erzeugen soll, kann der Leser nur erahnen; konkretisiert wird dieses nicht.

Für derlei Defizite mag auch die Historie der Gewerbelehrerbildung mit ausschlaggebend sein. Sie läßt sich nach Stratmann in drei Etappen gliedern:

* Entstehung in der ersten Hälfte des 19. Jh.

* Jahrhundertwende

* 60er Jahre mit der Öffnug der beruflichen Schulen für differenzierte Bildungsgänge (Bader 1995, S. 320).

Über diesen Zeitraum von nahezu 200 Jahren lassen sich (nur) zwei Leitbilder ausmachen: Der Gewerbelehrer ist Fachmann und (Gymnasial-)Pädagoge (ebenda). Für eine Charakterisierung der Qualifikationen ist das eine fürwahr dürftige Liste. Auch die bereits genannte Differenzierung der Lehreraufgaben durch den Deutschen Bildungsrat mag zwar einen Ansatzpunkt für eine entsprechend differenziertere Betrachtung bieten; gleichwohl sind alle diese Aufgaben bloß auf der kognitiven Ebene der Lehrerpersönlichkeit gelagert: Lehren, Erziehen, Beraten, Beurteilen, Innovieren (S. 217; zit. in Bader 1995, S. 320).

Bader schlägt selbst drei Akzentuierungen vor:

* fachwissenschaftliche Kompetenz

* pädagogische Kompetenz

* schulfachliche Kompetenz (Leitbild Gym.lehrer).

Aber dabei handelt es sich auch nur um ein seltsames Gemisch von disziplinären, normativen und institutionellen Aspekten. Für die Bestimmung von Qualifikationen einer Lehrerin oder eines Lehrers für Pflege reichen derlei Ansätze bei weitem nicht aus.

Vielleicht ergeben sich Hinweise auf die Qualifikationsanforderungen aus der gegenwärtig virulenten Qualitätsdebatte, ausgelöst durch den Wettbewerbs- und Beteiligungsdruck der ISO 9000 ff.-Normen. Edgar Sauter, Leiter der Hauptabteilung "Weiterbildungsforschung" im BiBB, verweist in diesem Zusammenhang zunächst auf die Qualitätsmerkmale in [[section]] 34 AFG, die von der Arbeitsverwaltung bei der Gewährung von Leistungen an private Bildungsträger zur Durchführung sogenannter Auftragsmaßnahmen zugrundezulegen sind. Diese gelten unverändert seit 1969: "Die Förderung der Teilnehmer setzt voraus, daß die Maßnahmen nach Dauer, Gestaltung des Lehrplans, Unterrichtsmethoden, Ausbildung und Berufserfahrung des Leiters und der Lehrkräfte (Hervorh. von mir, W.S.) eine erfolgreiche berufliche Bildung erwarten läßt". (Sauter 1995, S. 4) Bei der Entscheidung über Anträge auf Förderung kann die Bundesanstalt Präzisierungen vornehmen, so daß diese - wahrlich recht offene Kategorisierung - nur ein Minimum an Voraussetzungen anbietet, die im Einzelfall jeweils der Konkretisierung bedarf.

Hinsichtlich der Qualifikation der Lehrkräfte wurden offenbar in den Jahren nach der fast zeitgleichen Verabschiedung von AFG und BBiG die Regelungen nach [[section]] 46 (1) und (2) BBiG zugrundegelegt. Über diesen Weg wurden die AdA-Voraussetzungen zugleich Mindestanforderungen für Lehrkräfte in der Weiterbildung. Dies nun ist ein recht trauriges Kapitel bundesdeutscher Berufsbildungspolitik, stellt doch nach nahezu übereinstimmender Auffassung verschiedenster Experten - außerhalb des Arbeitgeber- und DIHT-Zirkels - die AEVO eher einen Schwachpunkt in der Qualifizierungspolitik als einen ernstzunehmenden Ansatz dar (siehe die Diskussion in Heft 20/1993 der "Berufsbildung", die jüngsten Beiträge von Ilse 1994 und Paffenhofer 1994 sowie auch die Position des Verfassers in Seyd 1994a). Auswege boten der 1976 verabschiedete sogenannte Begutachtungskatalog, der aber die Qualifikationsanforderungen an das Lehrpersonal in Weiterbildungseinrichtungen nicht hinreichend präzisierte, und schließlich die FuU-Qualitätsstandards (in Langfassung: "Grundsätze der Bundesanstalt für Arbeit zur Sicherung des Erfolges der beruflichen Fortbildung und Umschulung") aus dem Jahre 1989 (siehe dazu die Diskussion in Meifort/Sauter 1991). Das Ergebnis bleibt enttäuschend: Auch die FuU-Qualitätsstandards bieten keine Hinweise auf personale Qualifikationsanforderungen bei Weiterbildungsträgern. Auch hier läßt sich die Qualifikation der Verantwortlichen nur indirekt, über deren Planungs- und Gestaltungshandeln, erschließen.

Das didaktische Handeln von Lehrkräften in der beruflichen Bildung wird häufig als von äußeren Rahmenbedingungen in starkem Maße begrenzt eingeschätzt. Das gilt in ganz besonderem Maße für das Verhältnis von didaktischer Gestaltung und Prüfungsformen. So wird von vielen gerade im Zusammenhang mit den in den Lehrabschlußprüfungen dominanten Multiple-Choice-Aufgaben behauptet, diese rigide Ankreuzform präfomiere das Lehrerverhalten in unzumutbarer Weise (Knaut 1978, Perczynski 1978). Gestaltungsfreiräume beständen faktisch nicht; der Lehrer sei quasi in der Zange zwischen Rahmenlehrplananforderungen und Prüfungsmodalitäten. Wer handlungsorientierte Gestaltung von Lernsituationen in der beruflichen Bildung fordere, müsse zunächst für die Abschaffung der überkommenen Prüfungsformen eintreten.

Insofern gewinnen Überlegungen zu einer Neugestaltung von Abschlußprüfungen an Bedeutung, wenn auch eine eindeutige Determinierung - Ankreuzprüfung = Unterricht als Testvorbereitungskurs = Lehrerhandeln als Dressurakt - nicht ernsthaft zu akzeptieren ist. Zudem wird in neueren Ausbildungsordnungen eine stärkere Übereinstimmung von beruflicher Anforderungssituation, Prüfungssituation und Ausbildungssituation eingefordert. Indiz dafür sind die Bestimmungen in den neuen Ausbildungsordnungen für Metall- und Elektroberufe (1987), für Kaufleute im Einzelhandel (1989), Bürokaufleute und Kaufleute für Bürokommunikation (1991), in denen die praktische Prüfung soviel wiegt wie die schriftliche und - von der Korrekturfunktion bei schriftlich mangelhafter Leistung abgesehen - die mündliche Prüfung entfallen ist. Diese mündliche Prüfung stellte eine besonders deutlich hierarchische Form der Leistungskontrolle dar, die weder mit einem handlungsorientiert-ganzheitlichen Lehrerbild noch mit der Orientierung auf die Arbeitsplatzanforderungen konform ging.

Insoweit ist von handlungsorientierten Prüfungsanforderungen zumindest ein Impuls auf entsprechendes Lehrerhandeln zu erwarten, wenngleich noch eine Reihe von Widerständen bei Prüfern, Betrieben und Kandidaten zu beobachten und unter dem Primat der Handlungsorientierung und des selbstbestimmten Lernens aus dem Wege zu räumen sein wird (Walter 1995, S. 27). Immerhin setzt Walter mit Recht die handlungsorientierte Prüfung mit (vier) Gestaltungsprinzipien handlungsorientierten Lernens in Beziehung: Sie sollen nach dem Prinzip der "vollständigen Handlung" (Information, Planung, Durchführung, Kontrolle Bewertung, Reflexion), der "Ganzheitlichkeit" von Theorie und Praxis einerseits, fachlicher und überfachlicher Qualifizierung andererseist, der "Gestaltbarkeit" und der "Mehrdimensionalität" konstruiert sein (ebenda, S. 25).

Hierin finden sich Kategorien von Qualifikationsanforderungen an Lehrkräfte, die in Abschnitt e aufgenommen und in eine konstruktive Betrachtung einbezogen werden sollen.

Auf ein weiteres Dilemma macht Niedermair bei der Erörterung von Qualifikationsanforderungen an betriebliche Ausbilder in Österreich aufmerksam: Die Bedeutung der Qualifikationsmerkmale für das Gelingen der Ausbildung steht in krassem Widerspruch zu ihrer präzisen Deskription und Validierung (1995, S. 41). Man kann das auch in schlichteren Worten ausdrücken: Was beim Lehrer zählt, läßt sich nicht zählen; was nicht sonderlich zählt, kann man bestens erfassen, beschreiben und bewerten.

d. Weiterführende Überlegungen für den Weg zu einem tragfähigen Bild von der Lehrerin und vom Lehrer für Pflegeberufe

"Schule neu denken", das neueste Buch des Bielefelder Schulreformers ("Laborschule") Hartmut von Hentig ist ein einziges Plädoyer für eine Schule, die sich nicht an den Scheinwirklichkeiten und den damit verknüpften Scheinproblemen orientiert, sondern Kinder und Jugendliche auf die wirklich lebensbestimmenden und -bedrohenden Situationen vorbereitet. Wenn auch die Person des Lehrers nur im Kontext der - veränderten didaktischen Funktion - ins Spiel gebracht wird, ist doch deutlich erkennbar, daß er nicht "Vermittler toten Wissens" sein darf, daß er vielmehr Freund und Vorbild, Partner und Gestalter, "recherchierend Lernender" (Gerdsmeier) sein muß. Das von Hentig propagierte Lehrerbild ähnelt dem vom Ehepaar Tausch (1977) mit den Kategorien "Achtung/Wärme/Zuneigung" und "fordernd/fördernd/helfend" beschriebenen Erzieherverhaltens. Allerdings ähnelt es dieser Kategorisierung nur, denn die Hamburger Psychologen ließen sich noch allzusehr von einem patriarchalisch gefärbten, pseudodemokratischen Lehrerbild leiten, mit dem von Hentig wegen der revolutionären Neuorientierung der Schule wohl kaum konform gehen kann.

Gerold Becker hat jüngst auf einer Tagung in Hamburg die Einstellungskriterien der Odenwaldschule vorgestellt. Nicht zu überraschen vermochte, daß es sich dabei um Verhaltenskategorien handelte, die weitab der Wissensebene angesiedelt waren. Bemerkenswert aber war die Reihenfolge. Als erstes nannte Becker die Befähigung, mit schwierigen Schülern und problematischen Situationen zurechtzukommen. Als zweite "und vielleicht wichtigste Voraussetzung" nannte er die Freude, jungen Menschen etwas "beizubringen". Diese beiden Kategorien verweisen auf Sozial- und Selbstkompetenz, wie sie von Heinrich Roth 1971 ins Spiel gebracht und bewußt gegen die Fachkompetenz gesetzt wurden. Als dritte Kategorie brachte Becker die Begeisterung für das vertretene Schulfach ins Spiel.

Diese Position steht diametral gegen die Voraussetzungen, unter denen Universitäten und Studienreferendariate die Ausbildung von Lehrkräften betreiben. Aber sie bildet die konkreten Berufsanforderungen valider ab als die im vorangegangenen Abschnitt ausgebreiteten bildungspolitischen und berufspädagogischen Ausführungen.

e. Was macht eine gute Lehrerin, was einen guten Lehrer für Pflege aus?

Die folgenden Begründungszusammenhänge spielen in der heutigen Diskussion um didaktische Innovationen eine Rolle. Sie könnten auch für die Formulierung der Qualifikationsanforderungen an die Lehrkräfte in der beruflichen Bildung, bedeutsam sein. Dabei wollen wir unser Augenmerk besonders auf jene Aspekte legen, die für die Lehrkräfte in der Pflege von Bedeutung sind:

1. die demographische und wirtschaftliche Situation in der Bundesrepublik Deutschland und die Perspektive, auf die hin Teilnehmer an Qualifizierungsmaßnahmen vorzubereiten sind

2. Innovationen in der beruflichen Bildung, sei es in aufgeschlossenen Ausbildungsbetrieben, sei es in experimentierfreudigen Berufsschulen, sei es in Einrichtungen außerhalb des Dualen Systems, in der Aus- wie in der Weiterbildung

3. die Diskussion um Normen und Ansprüche beruflicher Bildung, zentriert etwa in der Auseinandersetzung um "Schlüsselqualifikationen", "Ganzheitlichkeit" oder "Handlungsorientierung"

4. die neuerliche Debatte um die "Qualität" beruflicher Bildung, nicht allein um Zertifizierungssysteme, sondern um das, was die Güte didaktischer Einflußnahmen überhaupt ausmacht.

(1) Das Beschäftigungssystem hat allein in Westdeutschland in den beiden zurückliegenden Jahren knapp 1,5 Mio. Arbeitsplätze eingebüßt (von 29,7 auf 28,3 Mio.). Die Arbeit auf den verbliebenen Arbeitsplätzen ist teils hochverdichtet, teils wird sie gestreckt, da Computer große Teile repetitiver Beschäftigung übernommen haben und insbesondere in Industriebetrieben mehr Beschäftigte vorhanden sind, als für die Aufrechterhaltung von Verwaltungsvorgängen vonnöten sind. Unternehmen haben sich darauf eingestellt: Beim Staat, in Industrieunternehmen und besonders im Handelsbereich werden immer weniger Auszubildende aufgenommen - ein Zeichen für die Erwartung geringen Einstellungsbedarfs in diesen Wirtschaftsbereichen. Chancen haben sowohl eigene Auszubildende als auch Außenbewerber nur dann, wenn sie in der Lage sind, ihre Arbeit eigenständig, sorgfältig, kreativ und flexibel zu gestalten.

Arbeitsverdichtung ist auch in den produktionsfernen Bereichen, im Handel und - für unser Thema besonders interessant - in Dienstleistungsbereichen zu registrieren. Mittlerweile hat dieser Trend auch das Gesundheitswesen erreicht. Auf der anderen Seite nehmen die Anforderungen in diesem Bereich sowohl qualitativ (kürzere Verweildauern, stärkerer Einfluß der "Apparatemedizin") als auch quantitativ (Anwachsen der pflegebedürftigen PatientInnen insbesondere in Einrichtungen der Alterspflege, aber auch der Psychiatrie) erheblich zu.

(2) Die neueren Ausbildungsordnungen für Berufe nach BBiG stellen eindeutig auf die Maxime "berufliche Handlungskompetenz" ab. Informationsbestände können aus Informationssystemen abgerufen werden; nicht das Auswendigwissen, sondern das Umgehenkönnen mit Wissensbeständen ist gefragt. Die computergestützte Sachbearbeitung ist sowohl in industriellen Fertigungsberufen als auch in der kaufmännischen und öffentlichen Verwaltung arbeitsplatzprägend. Wer mit dem Computer nicht umgehen kann, hat kaum noch berufliche Chancen. Die Modellversuche in Ausbildungsbetrieben (WOKI bei VW, bei der Wacker-Chemie, Zahnradfabik Ludwigshafen, Daimler-Benz Gaggenau etc.) haben allesamt methodische Veränderungen und ein neues Verständnis vom Ausbilder zum Gegenstand. Sie setzen entweder auf die Leittext-Methode oder auf Projektarbeit. Sie stimmen darin überein, daß vom Frontalunterricht und der Vier-Stufen-Methode abzugehen ist, diese Formen bestenfalls im Kontext anderer, "selbststeuernder", "ganzheitlicher", "handlungsorientierter" Lernformen in begrenztem Umfang mit eingeschränkter Aufgabenstellung zugelassen sein sollen.

(3) Die Debatte über Schlüsselqualifikationen wurde in bildungsökonomischer Schwerpunktsetzung von Dieter Mertens eingeleitet. Dem damaligen Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung war (1974) Angst und Bange um die Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Wirtschaft. Sie hat in einem rohstoffarmen Land ja lediglich das Know how ihrer Beschäftigten als Pfund, mit dem sich wuchern läßt. Und im Zeitalter permanenter technischer Innovationen (wenn nicht: Revolutionen), in dem sich permanent die Arbeitsstrukturen ändern, müssen sich auch die Menschen in ihren Denk- und Verhaltensweisen ändern. Sie müssen "strategischer" werden, wo sie bislang solide und zuverlässig ihr Tagewerk verrichteten. Dabei ist es gleichgültig, ob die Zielformel "Schlüsselqualifikationen", "Ganzheitlichkeit" oder "Handlungsorientierung" lautet - gemeint ist immer dasselbe: Der selbständige Arbeitnehmer, der sich die Arbeit nicht vorlegen läßt, sondern an der Definition seines Tätigkeitsfeldes mitwirkt, der von sich aus auf die Aufgaben zugeht, seine Beschäftigung anbahnt, sein Arbeitshandeln resolut und selbstbewußt plant, durchführt und kontrolliert.

Wer auf solcherart Berufshandeln vorbereitet werden soll, bedarf solcher Lehrkräfte, die vom gleichen Berufsverständnis geleitet werden. Das sind Lehrkräfte, die ihre Arbeit nicht aus vorgegebenen Plänen ableiten, die nicht das vorgefundene Selbstverständnis der bereits langjährig in einer Bildungsstätte tätigen DozentInnen und AusbilderInnen kritiklos übernehmen, sich darin einrichten und zu ErfüllungsgehilfInnen eines womöglich überkommenen Didaktikverständisses verkommen. Ihr Selbstverständnis, vielleicht besser: ihre Didaktikphilosophie muß sich auf ein Verständnis vom selbständig planenden, initiierenden, gestaltenden, reflektierenden und evaluierenden Lernprozeßgestalter richten, der seine Aufgabe gemeinsam mit anderen Ausbildungsfachkräften und gemeinsam mit den SchülerInnen definiert und wahrnimmt.

(4) Die neuerliche Debatte um Qualitätsstandards für berufliche Bildung hat gezeigt, daß es nicht reicht, sich mit dem Zertifizierungssystem ISO 9000 ff. zufrieden zu geben. Dort werden keine bildungsrelevanten Normen definiert und ihre Einlösung kontrolliert. Die Zertifizierung bietet keine Handhabe für eine Qualitätskontrolle von didaktischen Prozessen. Bildung ist immer noch am besten definiert als "Ausstattung zum Verhalten in der Welt" (S. B. Robinsohn 1967).

Fragen wir nach konkreten Systematisierungsschemata für Qualifikationsanforderungen an Lehrkräfte, so könnte man zunächst auf die Kategorien des Amerikaners B.S.Bloom zurückgreifen. Er hat seinerzeit (1956) menschliches Verhalten in drei Dimensionen zergliedert:

-kognitiv

-affektiv

-motorisch.

Seinerzeit sind Taxonomien entwickelt worden, die die Qualität des Verhaltens in den drei Dimensionen einschätzbar machen sollten[6]. Die Taxonomie des kognitiven Bereichs ist am griffigsten vom Deutschen Bildungsrat beschrieben worden in der Hierarchie:

-Reproduktion

-Reorganisation

-Transfer

-Problemlösung (Kreativität).

Aber auch die von Krathwohl und Mitarbeitern beschriebene Taxonomie des affektiven Bereichs will beachtet sein:

-Aufmerksamkeit

-Bereitschaft

-Identifikation.

Schließlich ist an die Taxonomie des motorischen Bereichs von Gage zu erinnern, die folgende Stufung aufweist:

-Beachtung

-Handhabung

-(selbständige) Ausführung

-Beherrschung.

Wollte man es sich jetzt einfach machen, so könnte man schlicht und einfach das Qualifikationsprofil der optimalen Pflegelehrkräfte als auf den jeweils höchsten Stufen in allen drei Verhaltensdimensionen angesiedelt beschreiben. Und in der Tat sind die von Gerold Becker für die Einstellungspraxis der Odenwaldschule ausgegebenen Kategorien damit erfaßt (nimmt man die Belastbarkeit als Synonym für die motorische Beherrschung - des eigenen Körpers): Kreativität und Identifikation in den inhaltlich und interpersonal relevanten Aufgabenfeldern.

Wer die kognitiven Qualifikationsanforderungen präziser bestimmen will, dem kann die Differenzierung der Kenntnisebene Hilfe bieten, wie sie von Bloom und Mitarbeitern entwickelt worden ist:

- konkrete Einzelheiten

--Begriffe

--einzelne Fakten

-Verfahrensweisen und konkrete Einzelheiten

--Übereinkünfte, Vereinbarungen, Regeln

--zeitliche Verläufe

--Klassen, Kategorien, Gliederungsmöglichkeiten, übergeordnete Gesichtspunkte

--Kriterien (zum Prüfen, zum Messen)

--Forschungsmethoden, Techniken, Verfahren

-Gesamtheiten und Begriffsbildungen

--Gesetze und Verallgemeinerungen

--Theorien und Strukturen (Seyd 1994, S. 171).

Diese Kategorien sind - zugegeben - sehr allgemein gehalten. Sie umschreiben aber in zutreffender Form auf berufsübergreifendem Niveau das Qualifikationsspektrum auch der Pflegelehrkräfte. Nicht nur den jeweils höchsten (=komplexesten) Stand der Taxonomie muß man eigentlich erwarten, sondern alle "darunter" liegenden Stufen bzw. Qualifikationen.

Die inhaltlichen und interpersonalen Anforderungen lassen sich anhand eines curricularen Grundmodells noch weiter präzisieren, das im folgenden kurz umrissen werden soll. Dazu ist die Position des Verfassers "zu setzen", nach der im Hinblick auf die oben umrissenen Anforderungen an Pflegefachkräfte und ihre LehrerInnen die didaktische Arbeit dem Konzept "handlungsorientierten Lernens" folgen sollte. Dieses Konzept greift bekanntlich auf Überlegungen zurück, die in den letzten 30 Jahren von bekannten Lernpsychologen wie PIAGET, AEBLI, DÖRNER, HACKER und VOLPERT angestellt worden sind. Danach besteht ein enger Zusammenhang zwischen Denken und Handeln (AEBLI: "Denken, das Ordnen des Tuns").

Der handlungskompetente Mensch nimmt in seiner Vorstellung die Ziele, Inhalte, Schritte seines Handelns vorweg. Er probiert nicht drauflos, sondern bildet die Aufgabe und die zu ihrer Lösung einzuschlagenden Schritte in seiner Vorstellung ab. Dazu benötigt er verschiedene Handlungsspielräume:

- Aktivitätsspielraum

- Dispositionsspielraum

- Interaktionsspielraum

- Entscheidungsspielraum.

Lerntheoretisch kann als gesichert gelten, daß nur derjenige berufliche Handlungskompetenz erwirbt, der in all diesen Bereichen menschlichen Handelns genügend Freiräume besitzt. Handlungsorientierung ist also keine moderne Methode (man kann Aspekte bei COMENIUS in seiner "Großen Didaktik" von 1632 finden), sondern ein Konzept. Wir haben das Konzept im Rahmen eines vorangegangenen Modellversuchs präzisiert ( ... ) Im Kern läuft die Programmatik auf die Kritik traditioneller didaktischer Konzepte (4-Stufen-Methode betrieblicher Unterweisung, lehrgesprächsbestimmter Frontalunterricht im Klassenraum, Nichtbeteiligung der Lernenden an der Lernprozeßgestaltung) hinaus und fordert die Abkehr von frontalen Lehr-Lernstrukturen in den acht didaktischen Entscheidungsfeldern, die in Kapitel 7 vorgestellt und besprochen worden sind.

Selbstverständlich heißt das alles nicht, sich als Lehrkraft von der Verantwortung für den Lehrgang freizusprechen, selbst wenn die Prüfung an seinem Ende von den SchülerInnen - und nicht den LehrerInnen - bestanden und wenn der Arbeitsplatz vom Absolventen - und nicht vom Arbeitsberater - gefunden werden muß. Die Beratungs-, Anleitungs- und Unterstützungsfunktion soll keineswegs aufgegeben werden. Aber es soll nicht mehr soviel Spielraum wie nötig und soviel Hilfe wie möglich gewährt werden, sondern soviel Hilfe wie nötig und soviel Spielraum wie möglich.

So zeigt sich das Qualifikationsprofil der LehrerInnen für Pflege in der Handlungskompetenz (= Sach-, Sozial- und Selbstkompetenz) in allen acht didaktischen Feldern. Er/sie soll in

- der Organisation,

- der Zielbestimmung,

- der Inhaltsauswahl,

- der Methodenwahl,

- der Medienwahl,

- der Ausübung von Lernkontrollen,

- der Gestaltung der Kommunikationsbeziehungen,

- der Definition seines Selbstverständnisses

hinreichend sensibel und versiert sein, so daß er den Prinzipien handlungsorientierter Lernprozeßgestaltung zu entsprechen vermag (siehe Kapitel 7).

f. Das Aufgabenprofil von LehrerInnen für Pflegeberufe

Waren BerufsschulehrerInnen im traditonellen fächergegliederten Unterricht im Regelfall jeweils auf zwei Fächer spezialisiert, so müssen sie bei der handlungsorientierten Gestaltung von Lernsituationen im Sinne ganzheitlicher Ausbildung in mehreren fachlichen Schwerpunkten versiert sein. Dazu gehören:

--Vermitteln des Lernstoffs, Unterstützung der Lernenden in ihren Lernprozessen

--Beraten der Lernenden in Fragen der Lernprozeßgestaltung und Berufsplanung

--Betreuen des Lehrgangs in organisatorischer Hinsicht

--Bereitstellen, Vorbereiten, Nachbereiten von Lernobjekten

Im traditionellen fächergegliederten Unterricht steht die Vermittlung von Stoffinhalten bzw. praktischen Fertigkeiten durch Unterrichtsgespräch bzw. Unterweisung nach der Vier-Stufen-Methode im Zentrum didaktischen Handelns. Bei der handlungsorientierten Gestaltung von Lernsituationen im Sinne ganzheitlicher Bildung verlagert sich hingegen der Schwerpunkt zu Beratungs-, Bereitstellungs- und Betreuungstätigkeiten, da die Lernenden ihre Lernprozesse weitgehend selbst planen, initiieren, steuern, kontrollieren und reflektieren sollen. Diese Forderung bedeutet lediglich, daß Kompetenzen, die in der Berufspraxis zunehmend verlangt werden (und deren Besitz heute überwiegend die alleinige Voraussetzung für eine erfolgreiche Vermittlung in eine adäquate Beschäftigung darstellt), bereits während der Ausbildung erworben werden können.

LehrerInnen in der Pflege müssen in der Lage sein, mit ihren KollegInnen im Team zusammenzuarbeiten. Sie müssen ferner aktuelle und künftige berufspraktische Anforderungen kennen und didaktische Schlußfolgerungen daraus ziehen. Sie kennen sich nicht nur in den praktischen Anforderungen des Ausbildungsberufs aus, sondern vermögen diese auf der Grundlage fundierter Kenntnisse in den Bezugswissenschaften (Pflegewissenschaft, Psychologie, Soziologie, Medizin, Pharmazie etc.). Sie wissen um die Bedeutung von Erkrankungen und sind sensibel und sachkundig im Umgang mit den Lernenden. Die Ansprüche der Trägereinrichtung greifen sie auf und beziehen sie in ihr didaktisches Konzept ein.

Lerntheoretische, persönlichkeitstheoretische und bildungsökonomische Erkenntnisse werden von den Bildungsstätten dahingehend aufgegriffen, daß sie sich handlungsorientiertem Lernen gegenüber nicht nur aufgeschlossen zeigen, sondern die Bereitstellung optimaler Möglichkeiten für eine ganzheitliche Pflegebildung zum Ziel nehmen. Diesen Anspruch einzulösen, bedarf der Bereitstellung besonderer Bedingungen:

Die Lehrgangsorganisation ist auf die Lernbedürfnisse der Lernenden zuzuschneiden. Drei, maximal vier Lehrkräfte teilen sich in die Betreuung eines Lehrgangs. Sie planen die Inhalte und Methoden gemeinsam, sie bilden ein für die Lehrgangsorganisation verantwortliches Team.

Dazu benötigen sie neben einem Präsentationsraum Möglichkeiten zu Gruppenarbeiten. Es müssen geeignete Arbeitsmöglichkeiten für sie in der Bildungsstätte bereitgestellt werden.

In der Ausbildung wird der Aspekt "Persönlichkeitsbildung" über die Maxime "Kenntnis- und Fertigkeitsvermittlung" gestellt. Der "Mitarbeiter der Zukunft" ist nicht mehr derjenige, der einen soliden Bestand festgefügten Wissens und berufspraktischer Fertigkeiten sein eigen nennt, sondern derjenige, der weiß, daß er auf der Grundlage soliden Wissens und angemessener berufspraktischer Fertigkeiten neben einer starken beruflichen Identifikation die Fähigkeit und Bereitschaft zum ständigen Weiterlernen besitzen muß.

Überkommene, vornehmlich an den Interessen der Lehrenden ausgerichtete Trennungen werden künftig aufgehoben sein: Theorie - Praxis; Unterricht - Unterweisung; Unterrichtsraum - Labor etc. Sie sind angesichts zunehmend komplexer Anforderungen der Berufspraxis im Sinne von "Schlüsselqualifikationen" und "beruflicher Handlungskompetenz" nicht mehr zeitgemäß. Demensprechend sind auch überkommene Spezialisierungen auf Seiten der Lehrkräfte unerwünscht, sofern sie nicht gepaart sind mit der Einstellung, einen Beruf in seiner ganzen Wissens- und Anwendungsbreite zu repräsentieren.

Herkömmliche Vermittlungsmethoden wie Vortrag, Lehrgespräch, Unterweisung nach der Vier-Stufen-Methode sind zwar nicht verboten, sollen aber ihre Dominanz verlieren. An ihre Stelle rücken "handlungsorientierte" Methoden wie Projekte, Fallstudien, Planspiele, Rollenspiele, Ernstaufträge.

Die Lernenden sollten den Lernstoff der Bildungsmaßnahme frühzeitig überblicken und ihren jeweiligen Lernstand selbst überprüfen können.

Die von der allgemeinbildenden Schule übernommene Subjekt-Objekt-Trennung von Lehrer und Schüler ist für die Pflegebildung kein geeignetes Muster. Vielmehr sollte die Maxime des partnerschaftlichen, gemeinsamen, recherchierenden Lernens an ihre Stelle rücken. In diesem Sinne ändert sich auch das Selbstverständnis vom Lehrer und Ausbilder zum "Lernberater" und "Moderator" von Lernprozessen.

Man kann durchaus darüber streiten, ob herkömmlich ausgebildete Lehrer über jene Qualifikationen verfügen, die im Sinne ganzheitlicher Pflegebildung von Ihnen gefordert werden. Schließlich ist die universitäre Sozialisation nach wie vor stark von (frontalen) Vorlesungen insbesondere in fachwissenschaftlichen Veranstaltungen und die Sozialisation in den Studienseminaren während des Referendariats nach wie vor stark vom frontalunterrichtlichen Lehrerbild geprägt. Andererseits kann nicht erwartet werden, daß didaktisch nicht entsprechend vorgebildete Berufspraktiker jenes "Handwerkszeug" mitbringen, das im traditionellen wie im handlungsorientierten

Verständnis von Pflegebildung gefordert ist. Insofern bedarf es sowohl des erfahrenen Fachmanns zur Vermittlung berufspraktischer Kenntnisse und Fertigkeiten als auch des didaktisch versierten Weiterbildners, die in einem partnerschaftlich geführten Team gemeinsam die Voraussetzungen für eine handlungsorientierte Gestaltung von Lernsituationen zu schaffen vermögen.

PflegelehrerInnen sollten mindestens verfügen über

- eigene einschlägige Berufsausbildung

- berufspraktische Erfahrungen

- didaktische Erfahrungen

An Hochschulen qualifizierte PflegelehrerInnen werden zusätzlich verfügen über

- ein fachwissenschaftliches Studium und

- eine wissenschaftlich fundierte didaktische Qualifikation.

Der im nachfolgenden Abschnitt wiedergegebene Entwurf von Curriculumgrundlagen sucht abschließend einen Überblick über didaktische Mindestanforderungen an LehrerInnen für Pflegeberufe zu bieten.

h. Qualifikationsanforderungen an LehrerInnen für Pflegeberufe

- Curriculumelemente -

A Grundkenntnisse über das Berufsbildungssystem und das Gesundheitssystem unter besonderer Betonung der Pflegeaufgaben

B Kenntnisse über den Teilnehmerkreis an Bildungsmaßnahmen (PflegeschülerInnen, UmschülerInnen in der Altenpflege) und Fähigkeiten zur Gewinnung, Deutung und Verarbeitung von Informationen über die AdressatInnen

C Didaktische Qualifikationen

-.-.-.-.-.-.-

A Grundkenntnisse über das Berufsbildungssystem und das Gesundheitssystem unter besonderer Betonung der Pflegeaufgaben

1 Lehrkräfte in Pflegeberufen

1.1 Aufgabenbereich

1.2 Rekrutierungsfelder

1.3 Rechtliche Situation

1.4 Organisationsmodelle der Berufsbildungsstätten

2 Struktur und Rahmenbedingungen des Berufsbildungssystems

2.1 Der Beruf als Zentrum didaktischer Reflexion

2.2 Der Zusammenhang von Bildungs- und Beschäftigungssystem

2.3 Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation

2.4 Aufbau des Bildungssystems in der Bundesrepublik Deutschland unter Betonung des Weiterbildungs(sub-)systems (auch in Abgrenzung zu Bildungssystemen anderer Industrieländer)

2.5 Rechtsgrundlagen (Krankenpflegegesetz, BiBB, BerBiFöG, AEVO, AFG)

2.6 Duales System (als Orientierungsmodell für die mögliche Umgestaltung der Pflegeaus- und weiterbildung)

2.7 Gesundheitssystem und -institutionen (Tätigkeitsfelder von Pflegefachkräften, Leistungsträger, Kliniken, Sozialstationen ...)

B Kenntnisse über den Teilnehmerkreis an Bildungsmaßnahmen (PflegeschülerInnen, UmschülerInnen in der Altenpflege) und Fähigkeiten zur Gewinnung, Deutung und Verarbeitung von Informationen über die AdressatInnen

1 Kennzeichnung des Teilnehmerkreises

1.1 Soziale und psychische Voraussetzungen von PflegeschülerInnen

1.2 Interessen, Neigungen, Motive von PflegeschülerInnen

1.3 Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten von PflegeschülerInnen

1.4 Selbstkonzepte der PflegeschülerInnen

1.5 Demographische Merkmale (Alter, Familienstand) und ihre Auswirkungen auf die Entwicklung von Menschen

1.6 Bedeutung der familiären, schulischen und beruflichen Sozialisation

1.7 Gesellschaftliche Orientierungsmuster und individuelle Wertvorstellungen und ihre Bedeutung für das Selbstkonzept

1.8 Schulische und berufliche Voraussetzungen und ihre Konsequenzen für die Ausbildung/Weiterbildung

2 Didaktische relevante Teilnehmervoraussetzungen

2.1 Kennzeichnung didaktisch relevanter Teilnehmervoraussetzungen und ihre Auswirkungen auf die individuelle Lernsituation

2.2 Kategorien und Methoden der Ermittlung von Teilnehmervoraussetzungen (Modelle Vester, Kolb, Schrader etc.)

2.3 Didaktische Verarbeitung ermittelter Teilnehmervoraussetzungen

C Didaktische Qualifikationen

1 Motivation und Lernen

1.1 Erkennen und Fördern der Leistungsbereitschaft

1.2 Grundlegende Erkenntnisse zum Lernen (Erwachsener)

1.3 Didaktische Konsequenzen aus einschlägigen Lerntheorien

2 Rahmenbedingungen der Aus- und Weiterbildung für Pflegeberufe

2.1 Institutionell vorgegebene Ziele der Berufsbildung (Krankenpflegegesetz, Altenpflegegesetz (Entwurf) )

2.2 Räumlichkeiten und Ausstattung

2.3 Organisation von Lernsituationen

3 Grundbegriffe der Didaktik

3.1 Theorien und Modelle der Didaktik

3.2 Didaktische Modelle zur Analyse und Planung von Unterricht

3.3 Handlungsorientiertes Lernen als Maxime didaktischer Planung und Gestaltung/Schlüsselqualifikationen

(Die folgenden Abschnitte richten sich vor allem auf die berufliche Handlungskompetenz der Lehrkräfte, Lernsituationen handlungsorientiert zu planen, zu initiieren, zu gestalten, zu kontrollieren und zu reflektieren)

4 Auswahl und Anordnung von Lerninhalten

4.1 Auswahl

4.2 Anordnung

4.3 Präzisierung von Lernzielen und -inhalten

5 Methodische Gestaltung von Lernprozessen

5.1 Aktivierungstechniken (Brainstorming, Metaplan, Mind map, Strukturlegetechnik, Blitzlicht, Aufwärmspiele, Anfangs- und Schlußsituationen ...)

5.2 Leittextmethode

5.3 Programmierte Unterweisung und Computer Based Train-ing

5.4 Projekt

5.5 Unterweisung (nach der 4-Stufen-Methode)

5.6 Unterrichtsformen

5.6.1 Vortrag und Teilnehmerreferat

5.6.2 Demonstration

5.6.3 Gelenktes Unterrichtsgespräch

5.6.4 Diskussion und Debatte

5.6.5 Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit (einschließlich Ergebnispräsentation)

5.6.6 Fallmethode

5.6.7 Rollenspiel

5.6.8 Planspiel

5.7 Einsatz von Materialien

5.7.1 Visuelle Medien (Tafel, Flip Chart, OHP, Wandzeitung, Dia-Projektion ...)

5.7.2 Video-Einsatz (Aufnahme und Präsentation)

5.7.3 Weitere Materialien: Modelle, auditive Medien, Spiele etc.

6 Kommunikation

6.1 Grundaussagen über menschliche Kommunikation

6.2 Kommunikationsstörungen: Analyse und Behebung

6.3 Führungsstile und Führungsverhalten

6.4 Rhetorik

7 Lernerfolgskontrolle

7.1 Ziele und Formen

7.2 Verfahren

7.2.1 Aufgabenstellung

7.2.2 Durchführung, Teilnehmervorbereitung

7.2.3 Auswertung, Rückmeldung, Rückgabe

7.3 Gütemerkmale

7.4 Fehler bei der Leistungskontrolle


Zum Literaturverzeichnis
Zum Inhaltsverzeichnis

Alle Rechte des vorliegenden Textes bleiben beim Verfasser. Bei Zitaten aus diesem Dokument ist die Quelle anzugeben.


Der Text
"Pflege" an der GhK
kann auch als Buch gelesen werden. Die bibliographischen Daten sind:

Wolfgang Seyd: "Pflege" an der GhK.
Kassel: Gesamthochschul-Bibliothek, 1995. - 109 Seiten.
(Universität Gesamthochschule Kassel; Berufs- und Wirtschaftspädagogik; Band 21).
ISBN 3-88122-849-7.


Verantwortlich für den Inhalt: Dr. Wolfgang Seyd

Verantwortlich für die Bereitstellung als HTML-Dokument:

Dr. Karlheinz Fingerle, GhK, Fachbereich 10
E-mail: fingerle@uni-kassel.de

Letzte Änderung: 17. Febr. 1996
Aktualisierung der Angaben zu Fachbereich und E-mail: 21. Febr. 1999